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German Pages 401 [406] Year 2019
Alexander Mayer
Universitäten im Wettbewerb Deutschland von den 1980er Jahren bis zur Exzellenzinitiative
WISSENSCHAF T SKULT UREN Reihe III: Pallas Athene Band 52
Franz Steiner Verlag
Alexander Mayer Universitäten im Wettbewerb
Herausgegeben von Christian Joas Veronika Lipphardt Gabriele Metzler Kärin Nickelsen Margit Szöllösi-Janze
W I S S E N S C H A F T S K U LT U R E N Reihe III: Pallas Athene Geschichte der institutionalisierten Wissenschaft Bd. 52
Alexander Mayer
Universitäten im Wettbewerb Deutschland von den 1980er Jahren bis zur Exzellenzinitiative
Franz Steiner Verlag
Coverabbildung: Universität Bremen, © Universität Bremen / Harald Rehling Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Zugleich Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12337-2 (Print) ISBN 978-3-515-12343-3 (eBook)
Inhalt
Einleitung .....................................................................................................................
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I. Konkurrenz nach dem Abbruch des Hochschulausbaus ............................. 1. Die staatliche Grundfinanzierung als knappes Gut ............................................. 2. Neue Prioritäten: „Zukunftstechnologien“ und „Schwerpunktbildung“......... 3. Der Modus politischer Konkurrenz ....................................................................... 4. Konkurrenz um die Besetzung neuer wissenschaftlicher Felder ...................... 5. Drittmittel als Leistungsnachweis .......................................................................... 6. Folgeprobleme der expandierenden Drittmittelforschung ................................
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II. Konkurrenz und Kooperation im Umbruch: Die Transformation des ostdeutschen Hochschulsystems .................................................................... 1. Die ostdeutschen Hochschulen: „konkurrenzfähig“? ......................................... 2. Der personelle Umbruch an den ostdeutschen Universitäten .......................... 3. Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaft ................................. 4. Konkurrenz im wiedervereinten Berlin ................................................................
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III. Das Wettbewerbsparadigma ............................................................................. 109 1. Eine hochschulpolitische „Wende“? ....................................................................... 110 2. Das Wettbewerbsparadigma auf dem Weg zum hochschulpolitischen common sense .............................................................................................................. 118 3. Präsidenten und Rektoren als Hochschulmanager .............................................. 126 4. Kompetitive Profilbildung ...................................................................................... 136 5. Alte Ansichten und neue Konflikte ........................................................................ 146 6. Die Erschließung neuer Ressourcen: Fundraising und Wirtschaftskontakte 152 IV. „Leistungsindikatoren“: Formalisierung der Konkurrenz ....................... 164 1. Die Quantifizierung wissenschaftlicher „Leistungen“......................................... 165 2. „Leistungsorientierte Mittelverteilung“ ................................................................ 171 3. Universitätsinterne Konkurrenz ............................................................................. 183 4. Die Folgen der „Tonnenideologie“ ........................................................................ 199 5. Evaluation: „Experten“ als neue Dritte .................................................................. 212
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Inhalt
V. Rankings ............................................................................................... 1. Neue Dritte ................................................................................................................. 2. Konkurrenz um Studierende? ................................................................................. 3. Konkurrenz um Prestige .......................................................................................... 4. Öffentlichkeitsarbeit und Marketing..................................................................... 5. Der öffentliche Umgang mit Rankings: Kritik und Opportunismus................
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VI. Der globale „Kampf um die klügsten Köpfe“ ............................................... 1. Sorgen um den „Wissenschaftsstandort“ Deutschland ....................................... 2. Kompetitive „Internationalisierung“ ..................................................................... 3. „Europäisierung“ als Konkurrenzstrategie ............................................................
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VII. Die Exzellenzinitiative ..................................................................................... 1. Die Aushandlung eines neuen Wettbewerbs ........................................................ 2. Ein neues Konkurrenzsystem ................................................................................. 3. „Wettbewerbsföderalismus“..................................................................................... 4. Wettbewerb ohne Ende oder das Ende des Wettbewerbs? ................................
290 291 300 315 320
Resümee ........................................................................................................................ 328 Danksagung .................................................................................................................. 337 Anhang........................................................................................................................... Abkürzungsverzeichnis ................................................................................................ Quellenverzeichnis ....................................................................................................... Gedruckte Quellen und Literatur .............................................................................. Namensregister .............................................................................................................
339 339 340 348 400
Einleitung
Aber welcher Geist wird in den Universitäten herrschen, wenn Wettbewerb und Eliteförderung zu dominierenden Handlungsmaximen erhoben werden? Und welche Maßstäbe für die Gestaltung des Zusammenlebens in der Gesellschaft erhalten unter diesen Vorzeichen die Studentinnen und Studenten?1
Diese Fragen stellte der Präsident der Universität Oldenburg, Horst Zilleßen, 1985 in seinem Bericht an das Konzil, ein 80-köpfiges, von allen Hochschulmitgliedern gewähltes Gremium, dem er jährlich Rechenschaft ablegen musste. Auch wenn die Bewertungen darüber auseinander gehen dürften, ob heute das Schreckgespenst einer neoliberalen Ökonomisierung oder der „spirit“ von Leistung und Exzellenz die Universitäten beherrscht – dass „Wettbewerb und Eliteförderung“ sich zu Leitprinzipien der Hochschulpolitik entwickelt haben, würde gegenwärtig wohl kaum jemand bestreiten. Die deutschen Hochschulen haben in den letzten Jahrzehnten einen tiefgreifenden Wandel durchlaufen. Das Konzil als quasi-parlamentarisches Entscheidungsgremium ist einem meist aus handverlesenen Wissenschaftsgrößen und Wirtschaftsvertretern besetzten Hochschulrat gewichen. Die akademischen Senate wiederum mussten einen Großteil ihrer Kompetenzen an die Hochschulleitungen abgeben. Wenn Universitätspräsidenten und -präsidentinnen heute Rechenschaft ablegen, tun sie dies hinter verschlossenen Türen oder aber in Form von Erfolgsmeldungen an die breite Öffentlichkeit. Ihre auf Hochglanzpapier gedruckten Berichte zeichnen sich weniger durch Fragen aus, als durch selbstbewusste Verweise auf die Exzellenz ihrer Institution, die sich in Erfolgen im Wettbewerb um Drittmittel, Studierende sowie um herausragende Professoren und Professorinnen ausdrückt und in der Regel auch genau beziffern lässt. Rektoren und Präsidenten sind, zumindest in der Außendarstellung, in die Rolle eines Hochschulmanagers gerückt, der die Geschicke seiner Einrichtung im Wettbewerb zu lenken hat, – wie etwa Bernd Huber, der Präsident der LMU München, der im Jahr 2005 auf einer Konferenz zum Thema „Humboldt neu denken“ verkündete:
1 Der Präsident der Universität Oldenburg (1986), S. 9.
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Einleitung
Wir wollen in den nächsten Jahren 10 % unserer Studiengänge aufgeben, um umgekehrt die verbleibenden Bereiche international leistungsfähig und wettbewerbsstark zu machen, also die notwendige kritische Masse zu haben, um uns erfolgreich wissenschaftlich zu positionieren.2
Profilbildung, das heißt der Ausbau der eigenen Stärken auf Kosten anderer Bereiche, gilt als dringende Aufgabe der Hochschulleitungen und als Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit einer Universität. Wettbewerbsmechanismen hielten allerdings nicht erst in den letzten Jahrzehnten Einzug in das deutsche Hochschulsystem. Wie Fabian Waßer zeigen konnte, war die Entstehung der modernen „Leistungsuniversität“ untrennbar mit dem Wettbewerb der Hochschulen und der deutschen Einzelstaaten um renommierte Professoren verbunden. Bereits im späten 18. Jahrhundert bildete sich ein Wettbewerbssystem heraus, in dem die Universitäten in erster Linie um renommierte Wissenschaftler, aber auch um Studenten und finanzielle Ressourcen konkurrierten und das sich über die politischen Zäsuren des 20. Jahrhunderts hinweg in seinen Grundzügen erhielt.3 Lediglich die DDR scheint den interuniversitären Wettbewerb weitgehend ausgeschaltet zu haben.4 In der Bundesrepublik führte der Ausbau der Hochschulen in den 1960er und frühen 1970er Jahren zeitweise zu einer verschärften Konkurrenz um Professoren, während mit den Sonderforschungsbereichen (SFB) eine neue Prämie des interuniversitären Wettbewerbs geschaffen wurde. Insgesamt betrachtet verloren Konkurrenzmechanismen in dieser Zeit jedoch an Bedeutung. Absprachen zwischen den Kultusministern der Länder und die zunehmende gesetzliche Regulierung hegten den Wettbewerb ebenso ein wie die stark ansteigenden Studierendenzahlen.5 Mit dem Ende des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms veränderte sich die Lage dann aber auf einschneidende Weise.6 Obwohl weiterhin eine wachsende Zahl junger Menschen an die Hochschulen drängte, sahen sich die Regierungen von Bund und Ländern angesichts der wachsenden Haushaltsdefizite zu finanziellen Restriktionen genötigt. Zugleich begann in der Wissenschaftspolitik die Suche nach Mitteln und Wegen, wie die Hochschulen trotz stagnierender Finanzen zu größeren Leistungen zu bewegen wären, denn international konkurrenzfähige „Spitzenforschung“ galt immer mehr als Garant für wirtschaftliche Prosperität und Erfolg auf dem Weltmarkt. Die Antwort lautete: Wettbewerb. In den frühen 1980er Jahren entspann sich eine intensive Diskussion über die Bedeutung von Konkurrenz im deutschen Hochschulsystem, in deren Kontext die kritischen Äußerungen des Oldenburger Universitätspräsidenten zu sehen sind. Wettbewerb, nicht nur unter den Wissenschaftlern und Wissenschaftle-
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Huber (2005), S. 19. Vgl. Waßer (2016); vgl. auch Szöllösi-Janze (2014). Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 336 f. Vgl. Waßer (2016), S. 207–247. Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 331–333.
Einleitung
rinnen, sondern auch zwischen Universitäten als Institutionen avancierte seither zum wissenschaftspolitischen Leitprinzip.7 An diesem Wendepunkt setzt die vorliegende Arbeit ein. Im Mittelpunkt steht die Frage, mit welchen neuen Formen interinstitutionellen Wettbewerbs deutsche Universitäten seit den beginnenden 1980er Jahren konfrontiert waren, und wie sich bestehende Konkurrenzverhältnisse seitdem wandelten. Wie entstanden neue Formen von Konkurrenz und welche Rolle spielten die Universitäten selbst bei der Genese von Wettbewerb? Anhand von sechs Universitäten als Fallbeispielen soll verfolgt werden, wie die entscheidenden Akteure innerhalb der Hochschulen Konkurrenz wahrnahmen und mit welchen Strategien sie reagierten. Welche Folgen hatte der interuniversitäre Wettbewerb überdies für Forschung, Lehre und Studium? Da sich Konkurrenz und Kooperation keineswegs ausschließen müssen, sondern durchaus spannungsvolle Verbindungen eingehen können,8 soll außerdem die Frage nach dem Wechselverhältnis dieser beiden sozialen Interaktionsformen ständig im Auge behalten werden. Zum Forschungsstand Konkurrenz zwischen Universitäten als Institutionen ist erst in neuerer Zeit durch die Arbeiten von Margit Szöllösi-Janze in den Fokus der historischen Forschung gerückt. Konkurrenz prägte demnach nicht erst seit den jüngsten Hochschulreformen und der Exzellenzinitiative das deutsche Hochschulwesen prägt, sondern ist bereits im 19. Jahrhundert anzutreffen und hat seither neue, zunehmend komplexere Formen angenommen.9 Diese Feststellung bildete den Ausgangspunkt für ein Forschungsprojekt zu „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland“. Dieses war wiederum eingebettet in den Forschungsverbund „Konkurrenzkulturen. Soziale Praxis, Wahrnehmung und Institutionalisierung von Wettbewerb in historischer Perspektive“, an dem die Historiker Jost Dülffer, Karl-Joachim Hölkeskamp, Ralph Jessen, Margit Szöllösi-Janze, Hans-Peter Ullmann und Nina Verheyen beteiligt waren.10 Die Projekte innerhalb dieses Verbundes beschäftigten sich mit der Entstehung und
7 Zum wissenschaftspolitischen Diskurs vgl. Bartz (2007); vgl. außerdem Bartz (2005); aus der Perspektive des Zeitgenossen und Beteiligten: Turner (2001). Zu den Diskursen im Vorfeld der Exzellenzinitiative vgl. auch aus sozialwissenschaftlicher Perspektive Peter (2014); Markova (2013). Die Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), die als Mittelgeber für die universitäre Forschung und damit als wichtiger Akteur im Wettbewerb während des letzten Drittels des 20. Jahrhunderts immer mehr an Gewicht gewann, ist nur bis zum Beginn der 1970er Jahre erforscht, vgl. Orth (2010); Vom Bruch (2008). Zu einem Teilaspekt, den Begutachtungsprozessen im sogenannte „Normalverfahren“ vgl. allerdings Neidhardt (1988). 8 Man denke etwa an Phänomene, die in der wirtschaftswissenschaftlichen Debatte als co-opetition bezeichnet werden, vgl. z. B. Schmidtchen (2005). Vgl. hierzu die DFG-Forschergruppe FOR 2553 zum Thema „Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften“, s. online: https://www.kooperation-und-konkurrenz. geschichte.uni-muenchen.de/index.html. 9 Vgl. Szöllösi-Janze (2011); Szöllösi-Janze (2012); Szöllösi-Janze (2014). 10 S. online: http://neuere-geschichte.phil-fak.uni-koeln.de/903.html.
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Einleitung
dem Wandel von Wettbewerbsordnungen in verschiedenen historischen Kontexten. Das Forschungsvorhaben zum Wettbewerb zwischen Universitäten gliederte sich in zwei Teilprojekte. Fabian Waßer beleuchtete die Entwicklung interuniversitären Wettbewerbs von der Entstehung der modernen Universität bis in die 1980er Jahre und konzentrierte sich dabei auf die Makro-Ebene des Hochschulsystems.11 Das zweite Teilprojekt, aus dem die vorliegende Arbeit hervorgegangen ist, setzte um das Jahr 1980 ein und verfolgte die Entwicklungen bis zur ersten Exzellenzinitiative, wobei vor allem die Veränderungen in den Universitäten und die alltägliche Praxis des Konkurrenzhandelns im Fokus standen. Zur unmittelbaren Vorgeschichte der hier thematisierten Entwicklungen, nämlich zur Hochschulexpansion der 1960er und frühen 1970er Jahre und den Reformversuchen dieser Zeit liegen mittlerweile einige Arbeiten vor.12 Mit den Folgen der Wiedervereinigung für die Hochschulen der ehemaligen DDR beschäftigen sich sowohl historische als auch soziologische Arbeiten. Im Fokus steht dabei meist der personelle Umbruch, doch finden sich auch Hinweise auf Konkurrenzverhältnisse zwischen den Hochschulen, die aus der Neugestaltung der ostdeutschen Hochschullandschaft erwuchsen.13 Abgesehen davon ist die Geschichte des deutschen Hochschulwesens seit den 1980er Jahren von der historischen Forschung bisher nicht unter systematischen Gesichtspunkten in den Blick genommen worden. Zwar decken einige Universitätsgeschichten, die in den letzten Jahren anlässlich von Jubiläen erschienen sind, auch die jüngere Vergangenheit der jeweiligen Institutionen ab.14 Anders als in den Beiträgen zu früheren Perioden fehlt in diesen Abschnitten allerdings in der Regel eine analytische Fragestellung, die das Hochschulsystem als Ganzes in den Blick nähme oder zeithistorische Debatten reflektierte. Die Studien haben daher oft einen rein ereignisgeschichtlichen Charakter und spiegeln bisweilen in erster Linie die Perspektive der Beteiligten und insbesondere der Hochschulleitungen wider.15 11 Vgl. Waßer (2016). 12 Zur Hochschulgesetzgebung vgl. Bocks (2012); Hoymann (2010); Rohstock (2010). Zu Hochschulexpansion und Hochschulplanung vgl. Rudloff (2014); Kaiser (2010b); Rudloff (2005b); Müller et al. (2001). Zu Reformansätzen und Hochschulneugründungen vgl. Mälzer (2016); Rudloff (2011); Rudloff (2007); Rudloff (2005a). Aus vergleichender Perspektive: Jessen (2010). 13 Vgl. Meinhold (2014); Meinhold (2010); Jarausch (2010); König (2010); Ploenus (2009); Vollrath (2008); Ploenus (2007); Hermes et al. (2005), S. 189–198; Bloch/Pasternack (2004); Elsenhans/Lange (2004); Pommerin (2003), S. 321–339; Gottwald/Ploenus (2002); Pasternack (2001); Pasternack (1999); Kocka/Mayntz (1998); Buck-Bechler et al. (1997b); Mayntz (1994a). 14 Vgl. Jarausch et al. (2012); Gräfing (2012); Meier-Hüsing (2011); Hehl et al. (2010); Hoffmann et al. (2008); Kubicki/Lönnendonker (2008); Martin (2007); Pabst (2006); Hermes et al. (2005); Pommerin (2003); Kubicki/Lönnendonker (2002); Lüthje et al. (2000). 15 Letzteres ist besonders augenfällig bei der Geschichte der TU München, einem Auftragswerk, das diese Hochschule ganz im Sinne ihres derzeitigen Präsidenten als „Wissenschaftsunternehmen“ präsentiert. Die ‚Reformpolitik‘ der letzten Hochschulleitungen wird nicht historisiert, zeitgenössische Einwände dagegen erscheinen lediglich als „Widerstände“, die es zu überwinden galt (Pabst (2006), S. 682 f. und passim). Selbst eine geschichtswissenschaftlich solide Universitätsgeschichte wie die der Universität „Unter den Linden“ übernimmt ohne Kontextualisierung Deutungsmuster der aktuellen Hochschulpolitik und die Perspektive einzelner Akteursgruppen, wenn etwa „objektive Indikatoren“ wie Drittmittelzahlen die „Wettbewerbsfä-
Einleitung
Große Aufmerksamkeit haben die hochschulpolitischen Reformen seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre in der soziologischen Forschung gefunden. Eine Reihe von Autoren und Autorinnen konstatiert, in der Bundesrepublik habe sich, ähnlich wie in den meisten anderen westlichen Industrieländern, wenn auch mit zeitlicher Verzögerung, in dieser Zeit ein neues Leitbild der Hochschulpolitik durchgesetzt, das sich als New Public Management beschreiben lasse und das in der Regel idealtypisch gegenüber einem älteren Modell der Hochschulsteuerung abgegrenzt wird. An die Stelle staatlicher Detailregulierung und Prozesssteuerung träten autonome Hochschulen mit gestärkten Leitungsämtern, die über Evaluations- und Wettbewerbsverfahren auf politisch vorgegebene Ziele verpflichtet würden.16 Ein Zweig der sozialwissenschaftlichen Hochschulforschung fragt aus der Perspektive der Governance-Forschung, die einen Fokus auf Steuerungs- und Koordinationsmechanismen legt, nach dem Umsetzungsstand dieser Leitvorstellungen im deutschen Hochschulsystem und kommt zu dem Schluss, dass Wettbewerbselemente ausgebaut und die Hochschulleitungen deutlich gestärkt worden seien, wenngleich sich das New Public Management nicht völlig durchgesetzt habe und an verschiedenen Stellen an Grenzen stoße.17 Seit den 1990er Jahren, so eine organisationssoziologische Forschungsrichtung, zu der unter anderem Georg Krücken und Frank Meier beigetragen haben, würden Universitäten zunehmend zu entscheidungs- und handlungsfähigen Akteuren, da sie einerseits durch das Hochschulrecht neue Kompetenzen bekommen hätten und ihnen andererseits diskursiv Verantwortlichkeiten zugeschrieben worden seien. Die Reformen liefen tendenziell darauf hinaus, den Organisationscharakter von Universitäten zu stärken, das heißt, ihre Fähigkeit, für alle Mitglieder verbindliche Ziele zu definieren und arbeitsteilig umzusetzen.18 Besondere Aufmerksamkeit widmet die sozialwissenschaftliche Hochschulforschung den Universitätsleitungen, die sich in unterschiedlichem Maße die hochschulpolitische Forderung nach einer wettbewerbsorientierten Profilbildung zu eigen gemacht hätten, sich teilweise aber immer noch an traditionellen akademischen Normen orientierten.19 Profilbildung im Sinne einer gezielten Stärkung von Teilbereichen einer Universität finde vor allem in der Forschung statt und sei insbesondere durch finanzielle Zwänge und die Exzellenzinitiative befördert worden.20 higkeit der Humboldt-Universität“ belegen sollen oder wenn Vertretern der Studierenden und Mitarbeiter vorgeworfen wird, „überfällige Entscheidungen“ blockiert zu haben ( Jarausch (2012a), S. 680, 684). 16 Vgl. de Boer et al. (2008); Schimank/Lange (2009); Bogumil et al. (2013); Münch (2009); Kehm/Lanzendorf (2006); Ziegele (2005). 17 Vgl. Bogumil et al. (2013); Gläser/Stuckrad (2013); mit Fokus auf Wettbewerbsmechanismen, aber fast ausschließlich auf Literatur und wenigen publizierten Quellen basierend: Kamm (2014). 18 Vgl. Brunsson/Sahlin-Andersson (2000); Krücken/Meier (2006); Meier (2009); Hüther (2010); Kehm (2012). 19 Vgl. Kleimann (2016); Blümel (2016); Scherm (2013); Dorenkamp et al. (2012); Bieletzki (2012); Meier/ Schimank (2010); Röbken (2006); Beckmeier (1994). 20 Vgl. Flink/Simon (2015a); Rogge et al. (2013). Zur Exzellenzinitiative vgl. auch die Ergebnisse einer Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften: Leibfried (2010). Außerdem liegen Berichte von DFG und Wissenschaftsrat sowie der Internationalen Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative vor, die im Detail nützliche Informationen enthalten (vgl. DFG/Wissenschaftsrat
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Hochschulrankings, die sich in den letzten Jahrzehnten auch in der Bundesrepublik und auf internationaler Ebene etabliert haben und mit denen sich die Vorstellung eines Wettbewerbs um Prestige verbindet, haben umfangreiche sozialwissenschaftliche Debatten ausgelöst. Diese drehen sich vor allem um theoretische und methodische Fragen, während zu den Auswirkungen für die einzelnen Hochschulen bislang nur wenige empirische Studien vorliegen.21 Ähnlich steht es um die Frage nach der Wirkung quantitativer „Leistungsindikatoren“, die den Wettbewerb im Hochschulbereich seit den 1990er Jahren in wachsendem Maße prägen.22 Auch die wissenschaftssoziologische Auseinandersetzung mit den Wirkungen neuer institutioneller Arrangements wie der an Bedeutung gewinnenden Drittmittelforschung, Evaluationen und anderen Wettbewerbsverfahren auf die Inhalte der Forschung ist bisher noch nicht weit fortgeschritten.23 Aus kritischer Perspektive beschäftigte sich Richard Münch in mehreren Publikationen mit dem neuen Wettbewerb zwischen Universitäten als Organisationen. Seiner Ansicht nach führten die am New Public Management orientierten Reformen dazu, dass an die Stelle des erkenntnis- und innovationsfördernden Wettbewerbs zwischen individuellen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eine von Monopolen und Kartellen geprägte Konkurrenz der Universitäten um die Akkumulation von materiellem und symbolischem Kapital trete.24 Die sozialwissenschaftliche Forschung weist allerdings aufgrund ihrer Herangehensweise und ihrer Erkenntnisinteressen einige blinde Flecken auf, die ein geschichtswissenschaftlicher Ansatz möglicherweise zu füllen vermag. Die angeführ-
(2008); DFG/Wissenschaftsrat (2015b); Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016)). 21 Für eine Zusammenfassung der methodologischen Debatten vgl. Rauhvargers (2011); Rauhvargers (2013). Aus sozialtheoretischer Perspektive vgl. Ringel/Werron (2016); Brankovic et al. (2018). Ellen Hazelkorn befasst sich mit dem Einfluss internationaler Hochschulrankings in verschiedenen Ländern, stützt sich dabei allerdings weitgehend auf Interviews mit Rektoren und Präsidenten, vgl. Hazelkorn (2011). Für die USA vgl. die einflussreiche und theoretisch weiterführende Studie von Espeland/Sauder (2007); darauf aufbauend vgl. neuerdings auch Mau (2017). Für Deutschland kann zumindest festgehalten werden, dass sich Studienanfänger und -anfängerinnen teilweise an Ranking-Ergebnissen orientieren, vgl. Horstschräer (2011). 22 Es liegen zwar mehrere Evaluationsstudien zu Systemen der „leistungsorientierten Mittelverteilung“ in den deutschen Bundesländern vor, doch liegt diesen keine detaillierte Analyse der Wirkungen in den Hochschulen zugrunde. Die Autoren operieren vielmehr mit denselben Wirkungsannahmen, die bereits die Einführung solcher Modelle anleiteten (vgl. Ebcinoglu et al. (2008); Jaeger/In der Smitten (2009); Jaeger/ In der Smitten (2010)). Für Arbeiten, die sich empirisch mit den Folgen eines quantifizierten Leistungswettbewerbs sowohl zwischen als auch innerhalb der Hochschulen beschäftigen vgl. Flink/Simon (2014); Krempkow et al. (2012); Schröder (2004); Minssen/Wilkesmann (2003). 23 Vgl. z. B. die Beiträge in Whitley/Gläser (2014). Studien, die sich dem deutschen Hochschulsystem widmen sind bislang selten und lassen noch kaum generalisierte Aussagen über die Wirkung bestimmter Steuerungsmechanismen zu, vgl. vor allem Laudel (2006); Gläser et al. (2008); Jansen (2009); Gläser et al. (2010). Christina Besio und Marc Torka beschäftigen sich mit der zunehmenden „Projektförmigkeit“ der Forschung infolge der Umstellung auf wettbewerbliche Finanzierungsverfahren, vgl. Besio (2009); Torka (2009). 24 Vgl. Münch (2011a); Münch (2009); Münch (2007a).
Einleitung
ten Arbeiten legen ihren Fokus, von Ausnahmen abgesehen,25 auf die Zeit seit Mitte der 1990er Jahre und gehen bei der Suche nach Wettbewerbsmechanismen von den Zielvorstellungen eines dominanten hochschulpolitischen Paradigmas aus. Auf diese Weise fallen Konkurrenzverhältnisse aus dem Blick, die sich schon früher herausgebildet haben, ferner solche, die nicht das beabsichtigte Ergebnis hochschulpolitischer Reformen waren, sondern aus veränderten Rahmenbedingungen oder dem Handeln der Akteure erwachsen sind. Da die soziologische Hochschulforschung oft modellhaft argumentiert26 und sich, methodisch bedingt, auf institutionalisierte Arrangements konzentriert, ist bislang noch zu wenig über die konkreten Wirkungen des auf Wettbewerb abzielenden politischen Handelns bekannt. Dem kann der Blick auf konkrete Entscheidungsprozesse innerhalb der Universitäten, wie ihn Quellen aus den Hochschularchiven gestatten, Abhilfe schaffen. Gegenüber veröffentlichten Quellen, Umfragen und Interviews, wie sie der soziologischen Arbeiten als empirische Basis dienen, erlauben es Archivquellen zudem eher, den konflikthaften Charakter der Umwälzungen im deutschen Hochschulbereich nachzuvollziehen. „Konkurrenz“ als analytischer Begriff27 In der Soziologie und der Geschichtswissenschaft ist seit einigen Jahren ein gestiegenes Interesse an einem auf möglichst viele gesellschaftliche Bereiche anwendbaren Begriff der Konkurrenz zu verzeichnen.28 Hinter diesem Interesse steht die Diagnose, dass das Konkurrenzprinzip „in modernen Gesellschaften immer weitere, seit einigen Jahrzehnten beinahe ubiquitäre Verbreitung gefunden“ habe.29 Der Köln-Münchner Forschungsverbund „Konkurrenzkulturen“ machte einen an Georg Simmels „Soziologie der Konkurrenz“ von 1903 angelehnten Konkurrenzbegriff für historische Analysen fruchtbar.30 Teil dieses Verbundes war auch das universitätsgeschichtliche
25 Vgl. überblickartig für die Zeit seit den 1980er Jahren: Winter (2012a); zum wissenschaftspolitischen Diskurs über Schwerpunktbildung in der Forschung seit den 1960er Jahren vgl. Meier (2017). 26 Dies macht Richard Münch explizit, wenn er ausführt, er mache „von idealtypischen Konstruktionen Gebrauch, um aus ihnen [aktuellen Trends; A. M.] Prognosen über sich abzeichnende Veränderungen abzuleiten, die über das hinausgehen, was aktuell schon sichtbar ist. Es soll erkennbar werden, wohin sich die Universität bewegt, wenn sich die idealtypisch erfassten Kräfte des Wandels ungebremst durchsetzen“ (Münch (2011a), S. 32). 27 Anders als bei manchen Autoren (vgl. z. B. Kirchhoff (2015)) wird im Folgenden nicht begrifflich zwischen „Konkurrenz“ und „Wettbewerb“ unterschieden. 28 Vgl. z. B. Duret (2009), Werron (2011), Wetzel (2013). 29 Kirchhoff (2015), S. 7, vgl. auch Jessen (2014), S. 7. 30 Zum Konkurrenzbegriff vgl. Simmel (1995); für einen theoriegeschichtlichen Überblick vgl. Jessen (2014), S. 12–18; Kirchhoff (2015), S. 7–12; für eine Darstellung der Geschichte des Konkurrenzbegriffs auch jenseits sozialwissenschaftlicher Theoriebildung vgl. Werron (2014). Vgl. weiterführend auch die DFG-Forschergruppe FOR 2553 zum Thema „Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften“, s. online: https://www.kooperation-und-konkurrenz.geschichte.uni-muenchen.de/index.html.
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Einleitung
Forschungsprojekt, in dessen Rahmen die vorliegende Arbeit entstand. Im Folgenden sollen die theoretischen Grundlagen der Studie erläutert werden. Konkurrenz soll hier im Anschluss an Simmel als ein triadisches Verhältnis verstanden werden, in dem mindestens zwei Akteure versuchen, ein knappes Gut, die Prämie, zu erringen, das sich in der Verfügungsgewalt eines dritten Akteurs befindet. Konkurrenz unterscheidet sich somit von Formen des Kampfes, in denen mehrere Parteien um ein Gut streiten, über das während der Auseinandersetzung gar kein Akteur verfügt oder das sich im Besitz eines der Kämpfenden befindet. Indem ein Dritter darüber entscheidet, welcher der Konkurrenten die Prämie erhält, entfaltet Konkurrenz, anders als ein Kampf, in dem es lediglich darauf ankommt, einen Gegner zu überwinden, eine vergesellschaftende Wirkung. Um in den Besitz der Prämie zu kommen, müssen die Konkurrenten nämlich die Gunst dieses Dritten erlangen und nach seinen Regeln spielen.31 Dies unterscheidet zum Beispiel einen sportlichen Boxkampf, in dem nicht die Ausschaltung des Kontrahenten per se das Ziel der Kämpfer ist, von einem Raubüberfall. Nur im ersten Fall gibt es eine dritte Instanz, die über die Zuteilung knapper Güter entscheidet, nämlich die Kampfrichter, die über Sieger und Verlierer befinden und nur ein regelkonformes K. o. als Sieg werten werden. Zwar können auch in gewaltsamen Auseinandersetzungen Regeln gelten, etwa in Gestalt des Kriegsvölkerrechts. Doch erst, wenn die Einhaltung dieser Regeln notwendig ist, um das umkämpfte Gut zu erlangen, kann man von Konkurrenz sprechen. Die Instanz, die über die Einhaltung der Regeln wacht, übernimmt dann die Rolle des Dritten. Konkurrenz entsteht nur dann, wenn das Gut, das die Akteure begehren, knapp ist, wenn also die Wünsche eines jeden einzelnen nicht oder zumindest nicht in vollem Maße befriedigt werden können.32 Es handelt sich um ein Nullsummenspiel, in dem die Handlungsabsichten der Konkurrenten einander zuwiderlaufen, da die Befriedigung der Wünsche des einen Akteurs impliziert, dass andere nicht in den Besitz des begehrten Guts gelangen können. Da der Dritte über die Zuteilung der Prämie entscheidet, kommt es für die Konkurrenten darauf an, durch ihr Verhalten die Entscheidungen der dritten Instanz in ihrem Sinne zu beeinflussen, wozu sie allerdings ihr Handeln nach dessen Kriterien ausrichten müssen. Handlungsweisen, die diesen Kriterien entsprechen, sollen als Leistungen bezeichnet werden. Es ist nicht nötig, dass diese Kriterien explizit gemacht werden und allen Konkurrenten im Detail bekannt sind. Allerdings müssen die Entscheidungen des Dritten für die Konkurrenten wenigstens ansatzweise kalkulierbar sein, da diese sonst keinen Bezugspunkt hätten, an der sie ihr Handeln ausrichten könnten.33 Um in den Genuss des knappen Gutes zu kommen, ist es für die Konkurrenten nicht ausreichend, Leistungen im Sinne der Kriterien der dritten Instanz zu erbringen, sondern sie müssen dabei ihre Wettbewerber übertreffen. Handlungen, die darauf abzielen, einen 31 Vgl. Simmel (1995); Werron (2011), S. 231 f. 32 Vgl. Werron (2011), S. 228 f. 33 Zu beachten ist, dass es, um die für Konkurrenz typischen Effekte hervorzurufen, ausreicht, wenn Akteure eine Situation als Konkurrenzsituation interpretieren.
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Konkurrenten zu übertreffen, sollen im Folgenden als Konkurrenzverhalten bezeichnet werden. Der bloße Versuch mehrerer Akteure, einander in irgendeiner Hinsicht zu überbieten, soll – abweichend vom gängigen Sprachgebrauch – nicht als Konkurrenzverhalten verstanden werden, wenn es dabei nicht um eine Prämie geht. Für die Zwecke dieser Arbeit ist es nötig, Simmels Begriff von Konkurrenz mit Georg Krücken zu erweitern. Als zusätzlicher Faktor sollen die Situationswahrnehmung und Handlungsorientierung der beteiligten Akteure einbezogen werden, das heißt das ihnen zur Verfügung stehende Wissen, ihre Werthaltungen und die von ihnen anerkannten sozialen Normen. Damit Konkurrenz zustande kommt, ist es nämlich nötig, dass eine Situation von den potenziellen Konkurrenten als Konkurrenzsituation wahrgenommen wird.34 Ihre Werthaltungen werden beeinflussen, wie sie sich in der Konkurrenz verhalten und ob sie sich überhaupt daran beteiligen. So kann es sein, dass einzelne Konkurrenten bestimmte Formen von Konkurrenzverhalten für unwürdig halten oder aber ein besonders kompetitives Selbstbild pflegen. Schließlich können soziale Normen potenzielle Konkurrenzverhältnisse stilllegen, wie zum Beispiel der oft zitierte implizite „Nichtangriffspakt“ zwischen Professoren, der lange Zeit inneruniversitären Wettbewerb um Ressourcen eingedämmt habe.35 Das Wissen der Akteure, ihre Werthaltungen und die von ihnen anerkannten Normen entscheiden folglich darüber, ob aus potenziellen Konkurrenzsituationen tatsächlich Konkurrenz erwächst. Auf diese Weise erschließt sich, wie einzelne Akteure zur Entstehung von Konkurrenz beitragen können: indem sie eine Situation überhaupt erst als Konkurrenzsituation interpretieren, indem sie ein kompetitives Selbstbild an den Tag legen oder indem sie mit bisher anerkannten, Konkurrenz eindämmenden Regeln brechen. Sie können durch entsprechendes Verhalten andere Akteure dazu veranlassen, sich ebenfalls als Konkurrenten zu begreifen, oder sie unter Handlungszwang setzen und so gegen ihren Willen in den Wettbewerb hineinziehen. Manche Fälle von Konkurrenz lassen sich mit Simmels Begriff nur unzureichend fassen, was eine weitere Modifikation seines Modells erforderlich macht. Es handelt sich um Konkurrenzsituationen, wie sie zum Beispiel auf Märkten für Konsumgüter auftreten und bei denen Konkurrenten um die Gunst einer für sie nicht überschaubar großen Zahl an Dritten werben.36 Die konkurrierenden Unternehmen haben dabei nämlich nicht einen jeden einzelnen potenziellen Käufer mit seinen besonderen Vorlieben im Blick, sondern streben lediglich danach, eine gewisse Zahl an Kunden zu gewinnen. Der Soziologe Tobias Werron schlägt vor, solche Formen der Konkurrenz, bei denen die dritte Instanz aus einer für die Konkurrenten unüberschaubar großen Zahl im Einzelnen unbekannter Akteure besteht, als Konkurrenz um ein Publikum zu begreifen. Das Publikum soll dabei als „mitlaufende Fiktion öffentlicher Kommunikations34 Vgl. Krücken (2008), S. 168. 35 Schimank (1994b), S. 40. Zur Bedeutung von Werten und Deutungsmustern für die „Legitimität und Akzeptanz“ von Konkurrenz als Handlungsmodus vgl. Hölkeskamp (2014), S. 45. 36 Bereits Theodor Geiger nahm solche Fälle von Konkurrenz in den Blick, vgl. Geiger (2012), S. 28, 113 f.
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prozesse“ verstanden werden.37 In diesem Sinne entsteht ein Publikum erst dadurch, dass es in Kommunikation als Adressat oder als Gegenstand vorausgesetzt wird. So werben Universitäten nicht um die Gunst einzelner Studieninteressierter, über die sie kaum etwas wissen, sondern versuchen, sich einem imaginierten Publikum attraktiv zu präsentieren, dem sie gewisse Interessen unterstellen. Die Vorstellungen über das Publikum und seine Interessen speisen sich dabei nicht zuletzt aus der öffentlichen Kommunikation über Hochschulen und Studiengänge, in der dieses Publikum als Adressat angesprochen und vorausgesetzt wird, wie dies etwa bei Rankings der Fall ist. Die Fallbeispiele Die vorliegende Studie wird die eingangs aufgeworfenen Fragen anhand von sechs Fallbeispielen untersuchen. Bei den ausgewählten Hochschulen handelt es sich um staatliche Universitäten mit einem breiten Fächerspektrum aus fünf verschiedenen Bundesländern. Wichtige Gesichtspunkte bei der Auswahl waren zum einen die Größe, gemessen an der Zahl der Professuren und Studierenden, zum anderen das Abschneiden in der ersten Runde der Exzellenzinitiative als grober Indikator für den Erfolg im interuniversitären Wettbewerb. Die Fallbeispiele sollten mit Blick auf beide Kriterien einen gewissen Varianzbereich abdecken. Die Universität zu Köln und die Freie Universität Berlin zählten zu den größten Universitäten in Deutschland. Während in Köln im ersten Förderzeitraum der Exzellenzinitiative lediglich ein Exzellenzcluster finanziert wurde, gehörte letztere zu den großen Gewinnern. Die FU Berlin ist darüber hinaus von besonderem Interesse, weil sie nach der Wiedervereinigung in Berlin einer intensiven Konkurrenzsituation ausgesetzt war, in der sich nunmehr drei Universitäten den schrumpfenden Wissenschaftshaushalt teilen mussten. Die TU München, an der sich ebenfalls die besonderen Auswirkungen der Präsenz zweier Universitäten an einem Standort beobachten lassen, ist die einzige Technische Universität unter den Fallbeispielen und zählte wie die FU Berlin zu den Gewinnern der Exzellenzinitiative. Als Fallbeispiele mittlerer Größe dienen zum einen die Universität Bielefeld, die in der ersten Exzellenzinitiative erfolgreiche Anträge für eine Graduiertenschule und einen Exzellenzcluster stellte, zum anderen die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Letztere bekam zwar nur eine Graduiertenschule bewilligt, schnitt damit aber besser ab als die meisten anderen ostdeutschen Universitäten. Außerdem verfügte sie, anders als ein Teil dieser Universitäten, auch über eine in die DDR und darüber hinaus zurückreichende universitäre Tradition. Beides war wichtig, um der Gefahr zu begegnen, durch die Wahl des ostdeutschen Fallbeispiels bereits eine Geschichte des unausweichlichen Scheiterns vorzuzeichnen.38 Die Carl von Ossietzky
37 Werron (2011), S. 239. 38 Für die FSU Jena beschränkt sich der Untersuchungszeitraum auf die Jahre ab 1990.
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Universität Oldenburg schließlich wurde als kleine bis mittelgroße Universität ausgewählt, die in der ersten Phase der Exzellenzinitiative keine Fördergelder erhielt. Aus arbeitsökonomischen Gründen beschränkt sich die Zahl der Fallbeispiele auf sechs, weshalb private Universitäten, Fachhochschulen und Universitäten mit stärker spezialisiertem Fächerprofil außen vor bleiben. Durch die Eingrenzung auf staatliche Universitäten mit breitem Fächerspektrum sollte sichergestellt werden, dass sich die Befunde zumindest für den Teil der deutschen Hochschulen verallgemeinern lassen, der im Zentrum der Wettbewerbsdebatten stand und dessen Geschichte auch die des Großteils der Hochschulbeschäftigten und Studierenden in Deutschland ist. Dass Wettbewerb möglicherweise für jene anderen Hochschulen ebenso bedeutsam war und sie teilweise vielleicht sogar vor noch größere Herausforderungen gestellt hat, soll damit nicht bestritten werden. Wenn es sich im Übrigen auch ausschließlich um deutsche Fallbeispiele handelt, werden internationale Konkurrenzverhältnisse – seien sie imaginiert oder real – gleichwohl eine wichtige Rolle spielen. Das Verhältnis zwischen staatlichen Universitäten und deutschen Privathochschulen bleibt ausgeblendet, da letztere in den analysierten Quellen so gut wie gar nicht als Konkurrenten auftauchen. Die Quellen Da sich Konkurrenzverhältnisse in den Entscheidungen der konkurrierenden Akteure manifestieren müssen, stellen die Akten der mit Entscheidungskompetenzen ausgestatteten Hochschulgremien, also der akademischen Senate und ihrer Kommissionen, der Hochschulleitungen und der Fakultäts- und Fachbereichsgremien die wichtigsten Quellen für die hier verfolgten Fragestellung dar. Der Zugang zu diesen Quellen war allerdings nicht an allen Universitäten gleichermaßen gegeben. Zwei der ursprünglich als Fallbeispiele vorgesehenen Universitäten, nämlich die Ludwig-Maximilians-Universität München und die Universität Konstanz, verweigerten grundsätzlich eine Verkürzung der Archivsperrfristen bzw. eine Einsicht in ihre Akten. Die Hochschulleitung der Universität Bielefeld wiederum gestattete einen Einblick in Archivmaterial nur bis zum Beginn der 2000er Jahre. Ein weiteres Problem ergab sich daraus, dass die verschiedenen Gremien der Universitäten ihre Aktenbestände bisweilen nur unvollständig oder gar nicht an die Universitätsarchive abgeben; dies betrifft insbesondere die Fakultäten, teilweise, so an der TU München und an der Universität zu Köln, sogar die zentralen Gremien. Im Fall der Universität zu Köln ermöglichten allerdings das Rektorat, das Dekanat der Philosophischen Fakultät und das Dekanat der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät dankenswerterweise Einsicht in ihre Akten. Dem Präsidium der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg ist für eine besonders umfassende Aufhebung der Sperrfristen zu danken. Materialien zur Entwicklungsplanung der Universitäten sowie die Rechenschaftsberichte der Hochschulleitungen waren hingegen oftmals als sogenannte ‚graue‘ Literatur verfügbar, teilweise auch, da sie von den Universitäten auf ihren Internetseiten
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veröffentlicht wurden, über den Online-Dienst des Internet Archive in San Francisco.39 Auch Universitätszeitungen dienten als Quelle. Deren Quellenwert für die Rekonstruktion von Entscheidungsprozessen und universitätsinternen Problemen ebenso wie der vieler anderer universitätseigener Veröffentlichungen nimmt aber vor allem seit dem Ende der 1990er Jahre deutlich ab, weil diese Publikationen zunehmend Zwecken der möglichst günstigen Selbstdarstellung der Universitäten als Gesamtinstitution dienten. Hochschulinterne Konflikte, die zumindest in einem Teil der herangezogenen Universitätszeitungen in den 1980er und frühen 1990er Jahren noch zu finden sind, tauchen mittlerweile in solchen Publikationen nicht mehr auf. Als erster Befund lässt sich also formulieren, dass in jüngster Zeit Universitäten – im allgemeinen Verständnis die zentrale Institution wissenschaftlicher Wissensproduktion und -distribution in modernen Gesellschaften – ihrer eigenen Erforschung teilweise nicht aufgeschlossen gegenüberstehen und die Herausgabe von Informationen nach dem Primat ihrer Interessen gestalten. Diese Arbeit mag dazu beitragen, die Genese dieses augenfälligen Widerspruchs zu erhellen.40 Interviews mit Zeitzeugen ergänzen die schriftlichen Quellen, insbesondere für die Universitäten und Zeitabschnitte, für die Schriftquellen nur eingeschränkt zur Verfügung standen.41 Die Gesprächspartner und -partnerinnen waren größtenteils frühere Mitglieder der Hochschulleitungen, Angestellte auf Stabsstellen oder Referenten. Methodisch waren die Gespräche als Experteninterviews angelegt, zielten also vorrangig darauf, einzelne Sachinformationen zu gewinnen, nicht wie in der oral history auf die Rekonstruktion der subjektiven Erfahrung der Zeitzeugen.42 Statistische Daten zur finanziellen und personellen Ausstattung sowie zum Fächerprofil der Universitäten lieferten die universitätseigenen statistischen Berichte, die allerdings seit dem Ende der 1990er teils versiegen oder nur mehr als knappe Broschüren eine „Leistungsschau“ der Universitäten als Gesamtorganisation präsentieren, die Haushaltspläne der Länder und die amtliche Hochschulstatistik. Da sich die Wirkungsweisen der verschiedenen Konkurrenzmechanismen nicht ausschließlich aus der Perspektive der einzelnen Universitäten erschließen lassen, basiert diese Studie auch auf weiteren veröffentlichten Quellen, insbesondere auf Publikationen aus den Wissenschaftsministerien, Rechtsquellen und veröffentlichten Berichten von Gremien, die eine Rolle in Konkurrenzverhältnissen spielten, so zum Beispiel des Wissenschaftsrats und verschiedener Evaluations- und Expertenkommissionen. Um abschätzen zu können, wie repräsentativ die für die Fallbeispiele herausgearbeiteten qualitativen Befunde sind, wurden die Deutsche Universitätszeitung und die Zeitschrift Forschung & 39 Online unter: https://archive.org/web/. 40 S. insbesondere Kap. V.4. Ganz neu ist freilich auch dieses Phänomen nicht, denn wie Fabian Waßer zeigt, ging intensive interuniversitäre Konkurrenz immer wieder mit einer auf Opportunität der Außenwirkung bedachten Informationspolitik der Universitäten einher, vgl. Waßer (2016), S. 41 f., 165. 41 Ein Verzeichnis der Interviewpartner und -partnerinnen findet sich im Anhang. 42 Zur Methode des sozialwissenschaftlichen Experteninterviews vgl. Gläser/Laudel (2010), zu Zielsetzung und Vorgehen in der oral history vgl. Obertreis (2012).
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Lehre des Deutschen Hochschulverbandes systematisch ausgewertet. Protokolle und Beschlüsse der Westdeutschen Rektorenkonferenz (WRK) bzw. der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), Veröffentlichungen des Wissenschaftsrates, des Centrums für Hochschulentwicklung und andere einschlägige Publikationen gaben Aufschluss über die Entwicklung hochschulpolitischer Diskurse.
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I. Konkurrenz nach dem Abbruch des Hochschulausbaus
Bundesdeutsche Universitäten sahen sich seit den späten 1970er Jahren, wie es der Rektor der Universität Bielefeld formulierte, mit einer „zunehmende[n] Konkurrenz um knappe Finanzmittel“1 konfrontiert. Dies lag in erster Linie an einer drastischen Verengung der finanziellen Spielräume der Bundesländer nach der ersten Ölpreiskrise und an den neuen wissenschaftspolitischen Prioritätensetzungen, welche die Wissenschaftsministerien in dieser Situation entwickelten. Die Ursachen dieser neuen Konkurrenzsituation sollen in diesem Kapitel ebenso beleuchtet werden wie ihre unmittelbaren Folgen für die Universitäten. Denn diese Entwicklungen blieben für den übrigen Untersuchungszeitraum prägend und gaben überdies Anlass zu Debatten über die Notwendigkeit von mehr Wettbewerb im Hochschulsystem. Die Verschlechterung der Staatsfinanzen nach der ersten Ölpreiskrise bremste den seit den 1960er Jahren betriebenen Ausbau des bundesdeutschen Hochschulsystems ab und führte dazu, dass die staatliche Grundfinanzierung für die Universitäten zum knappen Gut wurde (Abschnitt 1). In dieser Situation der Knappheit formierte sich seit Beginn der 1980er Jahre ein neues Konkurrenzverhältnis zwischen den Universitäten, da die Wissenschaftsministerien der Länder, die als Dritte über die Verteilung der Grundfinanzierung entschieden, wiederholt Kürzungsrunden verhängten und disponible Mittel nunmehr nach veränderten Kriterien, mit Fokus auf wirtschaftlich relevante „Spitzenforschung“, verteilten (2). Um die knappe Grundfinanzierung als neue Prämie stritten die Universitäten im Modus politischer Konkurrenz, der sich dadurch auszeichnete, dass die Konkurrenten über Interventionen bei den Landesregierungen und in der medialen Öffentlichkeit auf die Verteilungskriterien Einfluss nehmen und diese zu ihren Gunsten verschieben konnten (3). Die Universitäten passten sich in dieser Konkurrenzsituation aber auch an die neuen Präferenzen der Wissenschaftsministerien an und versuchten einerseits, wissenschaftliche Felder wie die Biotechnologie und die Informationstechnologie zu besetzen, die von der Wissenschaftspolitik
1 UA Bielefeld, S 003, Protokoll der 138. Sitzung des Senats am 13.7.1983, S. 5.
1. Die staatliche Grundfnannierung als naaaes Gut
wegen ihrer wirtschaftlichen Relevanz favorisiert wurden. Diese Anpassung an die Präferenzen der Dritten vollzog sich aber nicht ohne einen Wandel inneruniversitärer Machtverhältnisse und entfachte Konkurrenz zwischen den Vertretern der verschiedenen Fächer (4). Andererseits traten die Universitäten in einen Wettbewerb um Drittmittel ein, da diese zu einem Beleg für Forschungsleistung avancierten und die Wissenschaftsministerien Drittmittelerfolge als Kriterium für die Verteilung der Grundfinanzierung heranzogen (5). Die Expansion der Drittmittelforschung zog allerdings mehrere Folgeprobleme nach sich, die bereits in den 1980er Jahren spürbar wurden, nämlich Schwierigkeiten bei der Bereitstellung der Grundausstattung sowie die Problematik einer hohen Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse. Zudem stellte sich die Frage nach dem Einfluss, den Mittelgeber als Dritte in Konkurrenzverhältnissen um Forschungsgelder auf die Wissenschaftsentwicklung ausüben konnten (6). 1. Die staatliche Grundfinanzierung als knappes Gut Die erste Ölpreiskrise in den Jahren 1973 und 1974, mit der gemeinhin ein wichtiger Einschnitt der deutschen und der europäischen Nachkriegsgeschichte verknüpft wird, markiert auch für das deutsche Hochschulsystem eine Zäsur. Die Finanzlage des Bundes und der Länder verschlechterte sich in den darauffolgenden Jahren massiv, da die Steuereinnahmen zurückgingen und zugleich die Ausgaben zur Bewältigung der wirtschaftlichen Strukturkrise und für Sozialleistungen anstiegen, was Einsparungen, vor allem im Personalbereich, und die Aufnahme von Staatsschulden zur Folge hatte.2 Die Kürzungen, zu denen sich die Landesregierungen genötigt sahen, trafen auch den Hochschulsektor und brachten den Ausbau der Ausbildungskapazitäten weitgehend zum Erliegen. Damit war ein Trend gebrochen, der bereits in den 1950er Jahren begonnen hatte, als mit den Schulabschlüssen geburtenstarker Jahrgänge und einer steigenden Nachfrage nach Hochschulbildung – der Anteil der Studierenden am jeweiligen Jahrgang verdoppelte sich in den 1950ern von 4 auf 8 Prozent3 – erste Überfüllungserscheinungen an den Universitäten aufgetreten waren und die Bundesländer mit Ausbauplanungen reagiert hatten. Nachdem der Wissenschaftsrat, der 1957 als Beratungsgremium auf Bundesebene eingerichtet worden war, 1960 seine Empfehlungen zum Hochschulausbau veröffentlicht hatte, setzte eine koordinierte Erhöhung der Ausbildungskapazitäten ein, die neben der Erweiterung der bestehenden Universitäten auch eine Welle von Universitätsgründungen auslöste, so dass sich die Zahl der Studienplätze bis in die 1970er Jahre verdoppelte.4 Schon in den 1960er Jahren hatte allerdings der Ausbau der Hochschulen nicht mehr mit den steigenden Studierendenzahlen 2 Vgl. Ullmann (2009). 3 Vgl. Peisert/Framhein (1990), S. 6. 4 Vgl. Oehler/Bradatsch (1998), S. 414 f. Zur Wirkung der Empfehlung des Wissenschaftsrates vgl. Rudloff (2005b), S. 263 f.
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I. Kon urrenn nach dem Abbruch des Hochschulausbaus
mitgehalten, weshalb in einer wachsenden Zahl von Fächern Zugangsbeschränkungen eingeführt wurden.5 Im Lauf der 1970er Jahre zeichnete sich ab, dass sich die Mittel, die sich die Länder aufzubringen im Stande sahen, und die steigenden Studierendenzahlen weiter auseinander entwickeln würden. Daraufhin beschlossen die Regierungschefs der Länder und des Bundes 1977, die Hochschulen auch in den kommenden Jahren prinzipiell für Studienanfänger offenzuhalten und dafür temporäre Überlastungen in Kauf zu nehmen, die durch befristete Überlasthilfen abgemildert werden sollten.6 Diesem Beschluss lag die Auffassung zugrunde, dass die Zahl der Studierenden in den 1980er Jahren zwar ansteigen, aus demographischen Gründen aber nach einigen Jahren wieder sinken würde. Es bürgerte sich daher der Begriff des „Studentenberges“ ein, den es durch zeitlich befristete Maßnahmen zu „untertunneln“ gelte. Diese Prognosen kamen den politischen Entscheidungsträgern auch insofern entgegen, als sich mit ihnen der Verzicht auf weitere Investitionen rechtfertigen und die (rechnerische) Überlastung der Hochschulen als temporäres Phänomen entschuldigen ließ, was in einer Phase angespannter Haushaltslage Entlastungen brachte.7 Obwohl sich weiterhin immer mehr junge Menschen für ein Studium entschieden, stagnierten die staatlichen Ausgaben für die Hochschulen seit 1975. Lässt man die wachsenden Ausgaben für die Universitätsklinika, die größtenteils nicht für Forschung oder Lehre eingesetzt wurden, beiseite, so sanken die inflationsbereinigten Aufwendungen von Bund und Ländern für den Hochschulbereich von 1975 bis 1990 sogar leicht. Vor allem die Investitionen in Bau und Gerätschaften gingen in den Jahren nach 1975 deutlich zurück. Die Bundesregierung kündigte 1979 einseitig eine deutliche Reduktion der Ausgaben im Rahmen des gemeinsam mit den Ländern durchgeführten Hochschulbaus an.8 Zwar stiegen die Zahl der Stellen für wissenschaftliches Personal an Hochschulen in den 1980er Jahren um 24 Prozent,9 doch stand dies in einem deutlichen Missverhältnis zur Zunahme der Studierendenzahlen um 45 Prozent von knapp über einer Million im Jahr 1980 auf 1,5 Millionen im Jahr 1990.10 Zudem flossen diese zusätzlichen Mittel vor allem in die Universitätsklinika und dort teilweise in den Bereich der Krankenversorgung, während in den nicht-medizinischen Fächern nur wenige Professuren hinzukamen.11 Für die einzelnen Universitäten äußerte sich diese Entwicklung konkret darin, dass die Landesregierungen die Zahl der vorgesehenen Studienplätze nicht entsprechend dem Anwachsen der Studierendenzahlen erhöhten, so dass sich die räumlichen Verhältnisse und die Betreuungsrelationen zunehmend verschlechterten. So studier5 Vgl. Oehler/Bradatsch (1998), S. 426. 6 Vgl. Oehler/Bradatsch (1998), S. 8; Hödl/Zegelin (1999), S. 29. 7 Vgl. Peisert/Framhein (1990), S. 34–37. 8 Vgl. Hödl/Zegelin (1999), S. 29; Oehler/Bradatsch (1998), S. 30; Wissenschaftsrat (1988b), S. 243–246. 9 Berechnung auf Basis der Zahlen zum hauptberuflichen wissenschaftlichen Personal an Hochschulen in Lundgreen (2009), Tab. 1.4. 10 Berechnung auf Basis der Zahlen des Statistischen Bundesamtes (Internetquelle 1). 11 Vgl. WRK (1986), S. 5 f.; Lundgreen (2009), Tab. 2.1 bis 2.10.
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Studierende (1972 = 100) Hauptberufliches wissenschaftliches Personal (1972 = 100)
Abb. 1: Entwicklung der Studierendenzahlen und des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals an Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland (1972–2005) Zahlen: Statistisches Bundesamt; Lundgreen (2009), Tab. 1.4.
ten 1982 an der TU München bereits 18 754 Personen, während das flächenbezogene Ausbauziel bei 14 075 Studienplätzen belassen wurde.12 Der Gebäudebestand der Ludwig-Maximilians-Universität München orientierte sich seit 1977 am Richtwert von 25 000 Studienplätzen, während die Zahl der eingeschriebenen Studierenden schon damals 39 000 betrug und in den folgenden Jahren weiter anstieg.13 An der Universität Oldenburg stieg das Verhältnis zwischen Studierenden und wissenschaftlichen Stellen von 11,6 im Jahr 1977 bis 1981 auf 15,6. Die „Überlast“, so das damals übliche technizistische Vokabular, betrug in extremen Fällen, wie etwa im Oldenburger Diplomstudiengang Soziologie 259 Prozent, gemessen an den von Bund und Ländern fachspezifisch in Relation zum wissenschaftlichen Personal festgelegten Ausbildungskapazitäten.14 Eine „Auslastung“ von mehr als 150 Prozent war in den 1980er Jahren, vor allem in den Geistes- und Sozialwissenschaften, keine Seltenheit. An der FU Berlin zum Bei12 Vgl. TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.4206, Hochschulentwicklungsplan 1983. 13 Vgl. UAM, M I 400, Ludwig-Maximilians-Universität München, Hochschulentwicklungsplan 1989. 14 Vgl. Universität Oldenburg (1982). Die Berechnung von Ausbildungskapazitäten orientierte sich an Richtlinien, die in den Kapazitätsverordnungen festgelegt waren. Dieses Verfahren war in den 1970er Jahren zur Festlegung von Zulassungszahlen in NC-Fächern eingeführt worden, diente aber auch der Berechnung der „Auslastung“ in nicht-zulassungsbeschränkten Studiengängen.
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I. Kon urrenn nach dem Abbruch des Hochschulausbaus
spiel erreichte sie gegen Ende des Jahrzehnts im Schnitt der sprach- und kulturwissenschaftlichen Fächer sogar knappe 200 Prozent.15 Vor allem an den Universitäten, die in den 1960er und der ersten Hälfte der 1970er Jahre gegründeten worden waren, machte es sich bemerkbar, dass der Hochschulausbau nicht abgeschlossen, sondern von Bund und Ländern aus finanzpolitischen Gründen abgebrochen wurde. Die Universität Bielefeld, die ursprünglich unter maßgeblichem Einfluss von Helmut Schelsky als Forschungsuniversität mit intensiver Studienbetreuung konzipiert worden war, verlor schon bald ihre besonderen Charakteristika.16 Bereits kurz nach ihrer Eröffnung im Jahr 1969 erhöhte das Land Nordrhein-Westfalen die Zulassungszahlen von 3 600 auf 5 500 Studierende.17 Schließlich wurde der strukturelle Numerus Clausus, der privilegierte Betreuungsrelationen garantieren sollte und damit ein zentrales Element im Konzept der Reformuniversität war, ganz aufgehoben.18 Schon 1975, als das Land mit seinen Sparmaßnahmen begann, konstatierte der Rektor der Universität Bielefeld: „Es scheint aber, daß die noch vor wenigen Jahren als ‚Reformuniversität‘ gegründete Universität Bielefeld nicht mehr in das hochschulpolitische Konzept des Landes paßt.“19 Und Mitte der 1990er Jahre urteilte einer ihrer Professoren: „Die Bielefelder Universität ist längst zu einer ‚normalen‘ Forschungs- und Ausbildungsuniversität in einer kaum differenzierten Hochschullandschaft geworden“.20 Stark vom Abbruch des Hochschulausbaus betroffen war auch die Universität Oldenburg, die 1974 auf der Basis einer Pädagogischen Hochschule gegründet worden war. Die neugewählte Regierung unter Ministerpräsident Ernst Albrecht senkte aber bereits 1977 das landesweit angestrebte Ziel von 85 000 auf 81 000 Studienplätze ab. Infolgedessen wurden auch in Oldenburg die „Ausbauzielzahlen“ sukzessive reduziert, im Jahr 1980 schließlich von 6 800 auf 5 500, und das geplante Fächerprofil unter anderem um die Rechtswissenschaft beschnitten.21 Im Fall der TU München scheiterte zu Beginn der 1980er Jahre die von der Universität gewünschte und von der Landesregierung geplante vollständige Verlegung der in der Münchner Innenstadt untergebrachten Fakultäten an den Standort Garching aus finanziellen Gründen.22 Selbst in Berlin, das stark von Bundeszuschüssen profitierte,23 verengten sich die finanziellen Möglichkeiten zu Beginn der 1980er Jahre deutlich, so dass Überlegungen zur Gründung einer dritten Universität, die angesichts der steigenden Stu15 Vgl. Der Präsident der FU Berlin (1999), S. 17. 16 Zu Konzeption und Gründung der Universität Bielefeld vgl. Mälzer (2016). Hierzu und zum Folgenden vgl. außerdem Waßer (2016), S. 247–254. 17 Vgl. Storbeck (1979), S. 28. 18 Vgl. Grotemeyer (1979), S. 14. 19 Zitiert in: Krauß (1994), S. 33. 20 Lundgreen (1994), S. 30 21 Vgl. UAOL 20002–088, Protokoll der 20. Sitzung des Senats am 19.3.1980; Boetticher (2010), S. 792; Helmers (1983), S. 331, 348. 22 Vgl. TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.4206, Niederschrift über die 39. Sitzung des Senats am 23.1.1980; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1980), S. 97; Heßler (2007), S. 78 f. 23 Vgl. Ahrens (2015).
1. Die staatliche Grundfnannierung als naaaes Gut
dierendenzahlen die Technische und die Freie Universität entlasten sollte, bald wieder vom Tisch waren.24 Da die Wissenschaftshaushalte der Länder kaum noch Zuwächse zu verzeichnen hatten, die Regierungen aber dennoch an einem eingeschränkten Ausbau der Neugründungen festhielten, – was oft auch nötig war, um dort ein halbwegs attraktives Angebot an Fächerkombinationen zu ermöglichen,25 – entwickelte sich insbesondere zwischen den jüngeren und den etablierten Universitäten eine Konkurrenzsituation. Denn die Konsolidierung der ersteren wurde zum Teil, so in Niedersachsen, durch Kürzungen bei den Traditionsuniversitäten finanziert,26 oder dadurch, dass deren Ausbildungskapazitäten trotz höherer Auslastung nicht aufgestockt wurden. Statistisch schlägt sich dies darin nieder, dass die neuen Universitäten in den Jahren von 1974 bis 1978 beim wissenschaftlichen Personal Zuwächse von 15,1 Prozent zu verzeichnen hatten, während die älteren Universitäten bereits bei 0,3 Prozent stagnierten.27 Die LMU München zum Beispiel forderte 1980, als dort bei rechnerischen 25 000 Studienplätzen etwa 41 000 Studenten eingeschrieben waren, vergeblich eine Umlenkung der Ressourcen weg von den Neugründungen, deren Studierendenzahlen noch unterhalb ihrer Kapazitäten lagen.28 Der Planungsstab der LMU argumentierte 1982: „Der landesweite Umverteilungsprozeß im Hochschulbereich ist so vonstatten gegangen, daß die anderen, insbesondere die neuen Universitäten am wissenschaftlichen Personal (und, wenn man die Klinikhaushalte vernachlässigt, auch an den Mitteln für Forschung und Lehre) stärker partizipieren als sie die LMU im Bereich der Studierenden und d. h. der Lehre zu entlasten vermochten.“29 Und als 1982 die Landesregierung die Mittel für Baumaßnahmen an der LMU und der TU München um zwei Drittel kürzte, protestierten die Präsidenten beider Universitäten gemeinsam gegen die „Benachteiligung“ der Münchner Hochschulen.30 Mit der Verknappung der finanziellen Möglichkeiten des Staates hatte sich also die Befürchtung der älteren Universitäten realisiert, 24 Vgl. Tent (1988), S. 481; FU Berlin, UA, AS 2, Beschlußprotokoll der 250. Sitzung des Akademischen Senats am 11.3.1981, S. 3; ebd., Der Senator für Wissenschaft und Forschung, Eine Gesamthochschule für Berlin, 12 Thesen zur Hochschulplanung, 20.12.1979. 25 Dieses Problem war für die Universität Oldenburg besonders dringend, die mit der Erweiterung des Fächerspektrums eine „Erhöhung der Attraktivität einer relativ kleinen regional bezogenen Universität für künftige Studienbewerber“ bezweckte; UAOL 20002–257, Dezernat Planung und Statistik, Stand der Konzeption neuer Studiengänge an der Universität Oldenburg, 6.3.1980. 26 So z. B. im Fall der Universität Oldenburg, vgl. UAOL 20002–256, Protokoll der 26. Sitzung der Hochschulplanungskommission am 29.4.1981; UAOL 20002–225, Protokoll der 4. Sitzung der Hochschulplanungskommission am 5.10.1983. Auch die etablierten Universitäten nahmen offenbar eine Konkurrenzsituation zu den Neugründungen wahr, wie sich an der Ablehnung von Erweiterungsplänen der Universität Oldenburg im Bereich Jura, Agrarwissenschaften, Zahnmedizin und Medizin durch die von der Landesregierung konsultierten Fakultäten der älteren Universitäten zeigte, vgl. Gorny (1984), S. 224. 27 Vgl. DFG (1979), S. 16 f. Die Zahlen basieren laut DFG auf einer Auswertung der Haushaltspläne der Länder durch den Wissenschaftsrat. Eingeschlossen sind neben Universitäten und Technischen Universitäten auch die Gesamthochschulen. 28 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1980), S. 97, 48–50. 29 Planungsstab (1982). 30 Vgl. SZ, 16.7.1982; um-bits aktuell, no. 9 (1982).
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dass die Neugründungen zu Konkurrenten um Ressourcen werden könnten. Denn bereits 1961 hatten die Universitäten in München, Erlangen und Würzburg die Gründung einer vierten bayerischen Universität in Regensburg abgelehnt.31 Weitere potentielle Konkurrenten waren die Fachhochschulen, die Ende der 1960er Jahre als neuer Hochschultyp geschaffen worden waren. Sie boten Studiengänge an, die sich stärker an der Berufspraxis orientierten und kürzere Studienzeiten vorzuweisen hatten. Der verstärkte Aufbau von Studienplätzen an den Fachhochschulen konnte daher als politisch sinnvolle Option erscheinen, weil den Universitäten in der öffentlichen Debatte oft die Praxisferne und die lange Studiendauer vorgeworfen wurden. Dabei war letzteres allerdings auch ein Resultat der verschlechterten Betreuungsrelationen. Zudem waren die Ausbildungskosten pro Absolvent an den Fachhochschulen geringer.32 Unter anderem in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen wurden daher in den 1980er und 1990er Jahren Kürzungen bei den Universitäten zum Ausbau von Fachhochschulen verwendet.33 Der Rektor der Universität Bielefeld, Karl Peter Grotemeyer, war 1992 der Auffassung, die Politik sehe die Universitäten als ineffizient und nicht erneuerungswillig, die Fachhochschulen dagegen als Hochschulen der Zukunft, weshalb die Universitäten Innovationskraft beweisen müssten, um nicht ins Hintertreffen zu geraten.34 Die Fachhochschulen wiederum sahen sich ebenfalls in Konkurrenz zu den Universitäten und forderten immer wieder einen größeren Anteil am Wissenschaftshaushalt der Länder.35 2. Neue Prioritäten: „Zukunftstechnologien“ und „Schwerpunktbildung“ Mit dem Schwinden der finanziellen Spielräume der Bundesländer wurde die staatliche Grundfinanzierung in Gestalt von Personalstellen, von Investitionen in die Räumlichkeiten und in Geräte für die Experimentalwissenschaften, sowie in Form von Hilfskraft-Stunden, Reisemitteln und alltäglich benötigten Verbrauchsmitteln zu einem knappen Gut. Zur Prämie in einem Konkurrenzverhältnis entwickelte sich zumindest ein Teil der Grundfinanzierung – die Schließung ganzer Universitäten stand kaum jemals zur Debatte – dadurch, dass die Wissenschaftsministerien der Länder sich nicht damit begnügten, den status quo zu verwalten. Stattdessen strebten sie danach, sich 31 Vgl. Müller et al. (2001), S. 341; zu Bedenken der Leitungen der älteren Universitäten gegen Neugründungen in den 1960er Jahren vgl. auch Waßer (2016), S. 226. 32 Die nordrhein-westfälische Landesrektorenkonferenz protestierte 1996 gegen Kürzungen bei den Universitäten zugunsten des Ausbaus der Fachhochschulen und wies das Argument der höheren Effizienz der FH-Ausbildung zurück, vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 7, Landesrektorenkonferenz NRW, Resolution zu den vom Land verfügten Stellenabsetzungen und Mittelkürzungen, [Entwurf o. D., vermutlich Januar 1996]. 33 Vgl. Der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst (1985), S. 138 f. 34 Vgl. UA Bielefeld, S 122, Niederschrift der 212. Sitzung des Senats am 24.6.1992. 35 So 2001 in Niedersachsen, vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 3. Sitzung des 15. Senats am 27.6.2001, und zu Beginn der 1980er wie auch gegen Ende der 1990er Jahre in Berlin, vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 250. Sitzung des Akademischen Senats am 11.3.1981, S. 3; Wissenschaftsrat (2000b), S. 36.
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durch Umverteilung zwischen den Universitäten und mittels neuer Verteilungsverfahren gewisse Handlungsspielräume zu erhalten. Dies war dort der Fall, wo die Ministerien versuchten, die neugegründeten Universitäten durch Abstriche bei den älteren Hochschulen zu konsolidieren. Darüber hinaus machten sie den Universitätsleitungen in den jährlich anstehenden Verhandlungen über die Hochschulhaushalte deutlich, dass diese nicht auf die bedingungslose Fortschreibung ihrer bisherigen Stellen und Mittel rechnen könnten, sondern dass ihre Etats angesichts des voraussichtlich anhaltenden Nullwachstums zur Disposition gestellt würden. Neue Fächer und Forschungsschwerpunkte könnten in Zukunft, so die Wissenschaftsministerien, nur durch Umschichtungen zwischen den Hochschulen finanziert werden.36 Für die Universitäten entstand daher eine Konkurrenzsituation, da sie nun ihre Ansprüche auf die kleiner werdenden Zuwächse und – was noch wichtiger war, da es potentiell die Interessen vieler an einer Universität beschäftigten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler tangierte – sogar den jeweiligen Bestand an Stellen und Mitteln gegenüber anderen Verwendungszwecken für die knappen finanziellen Ressourcen zu rechtfertigen hatten. Neu an dieser Situation waren aber nicht nur die Verknappung der Grundfinanzierung und ihre zunehmende Verwandlung in eine Prämie, die von den Wissenschaftsministerien vergeben wurde, sondern auch die Kriterien, die diese dabei anlegten. Die Ministerien maßen der Forschung gegenüber der Lehre einen höheren Stellenwert bei und konzentrierten sich dabei vor allem auf bestimmte Bereiche der Natur- und Ingenieurwissenschaften. Im bayerischen Hochschulgesamtplan von 1985 wurde eine solche Prioritätenverschiebung von der Lehre zur Forschung festgehalten mit Verweis auf eine „Neubesinnung über die Relevanz der Forschung als Triebfeder für innovative Entwicklungen und als Grundlage für wirtschaftliche Prosperität“ seit dem Beginn des Jahrzehnts.37 Die Wirtschaftslage schränkte nämlich nicht nur den finanziellen Handlungsspielraum der Landesregierungen ein, sondern erzeugte aus deren Sicht auch die Notwendigkeit neuer Investitionen in Forschung und Produktentwicklung. Bereits seit Mitte der 1960er Jahre kursierten in Deutschland und anderen europäischen Ländern Warnungen vor der „amerikanischen Herausforderung“ und einer „technologischen Lücke“ gegenüber den USA – und seit den 1970er Jahren auch gegenüber Japan. Die Aufmerksamkeit galt dabei einigen wenigen neuen Technologien wie der Mikroelektronik und zunehmend auch der Biotechnologie.38 Auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft gab diese Debatte den Anstoß dazu, die gemeinsa-
36 Vgl. FU Berlin (1981), S. 51; FU Berlin, UA, AS 2, Anlage zum Protokoll der 256. Sitzung des Senats am 24.6.1981, Schreiben des Referats II A 2 vom 21.5.1981; UAOL 20002 ZW, Protokoll der 19. Sitzung des 7. Senats am 25.2.1987, S. 10; UA Bielefeld, R 084, Protokoll der 457. Sitzung des Rektorats am 19.2.1982, S. 2 f.; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1985), Vorwort [o. S.]. 37 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1985), S. 235. 38 Vgl. Ritter/Szöllösi-Janze/Trischler (1999); vgl. außerdem Bähr (1995); Flink (2016), S. 80–83.
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me Forschungsförderung verstärkt an Hochtechnologiebereichen mit ökonomischem Potenzial zu orientieren und erheblich auszubauen.39 Vor diesem Hintergrund legten seit Mitte der 1970er Jahre die meisten deutschen Länder wie auch der Bund Technologieförderprogramme auf, um durch die Stimulierung technischer Innovationen dazu beizutragen, die wirtschaftliche Strukturkrise zu überwinden, die durch den Verlust an Wettbewerbsfähigkeit der älteren deutschen Industrien gegenüber neuen internationalen Konkurrenten entstanden war.40 Der verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt und der Verschiebung der industriellen Produktion in die Schwellenländer sollte durch wissenschaftsgetriebene technische Innovationen und deren rasche Umsetzung in marktfähige Produkte begegnet werden. Neben der Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen in technologieintensiven Branchen und der Verbesserung des Wissenstransfers von Hochschulen und Instituten in die Wirtschaft bedeutete dies eine Stärkung der öffentlich finanzierten Forschungskapazitäten.41 Als „Zukunftstechnologien“ bzw. „Schlüsseltechnologien“, deren Weiterentwicklung Vorteile heimischer Unternehmen auf dem Weltmarkt versprach, wurden vor allem die Informations-, Bio- und Lasertechnologie sowie die Entwicklung neuer Werkstoffe identifiziert.42 Entsprechend teilte der nordrhein-westfälische Wissenschaftsminister Hans Schwier den Rektoren der Hochschulen des Landes 1982 mit, er wolle die durch Kürzungen gewonnenen Stellen vor allem für wirtschaftlich relevante Forschung einsetzen: „Eine eindeutige Priorität […] sehe ich für die Hochschulen und die wissenschaftlichen Laboratorien darin, daß know how geschaffen und die Grundlagen erforscht werden, um Innovation in der Produktstruktur der Wirtschaft zu fördern.“43 Teilweise begannen die Ministerien außerdem damit, die Schwerpunktbildung in der Forschung zu stärken. Dies bedeutete, dass sich die Vertreter einer Disziplin an einer Universität auf ein paar wenige Bereiche konzentrieren sollten, so dass die Breite des Faches nicht mehr an jedem einzelnen Standort, sondern allenfalls noch über eine abgestimmte Schwerpunktbildung auf Landesebene repräsentiert sei. Die Hochschulen sollten sich zudem jeweils auf bestimmte Forschungsfelder spezialisieren und diese bevorzugt fördern. Dahinter stand eine Diagnose, die zunächst vor allem von Konservativen und Wirtschaftsliberalen verbreitet wurde. Im internationalen Vergleich fehle es an den deutschen Universitäten, so zum Beispiel der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, besonders an „Spitzenforschung“, weshalb eine stärkere 39 S. u. Kap. VI.3. 40 Vgl. Abelshauser (2011), S. 392; Scherzinger (1998), S. 7; Plumpe/Steiner (2016). Auf Bundesebene hatte bereits die erste Große Koalition in Reaktion auf Debatten über die vermeintliche „amerikanische Herausforderung“ bzw. die „technologische Lücke“ gegenüber den USA mit einer aktiven Technologiepolitik begonnen, vgl. Bähr (1995); Ritter/Szöllösi-Janze/Trischler (1999). 41 Vgl. Scherzinger (1998); Szöllösi-Janze (1990), 209 f.; Weitkamp (1992), S. 334–336; Trischler (2004), S. 169–172. 42 Vgl. z. B. Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1986) und Bundesbericht Forschung 1984, S. 20–23. 43 Zitiert in Universität Bielefeld (1985), S. 12.
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Konzentration von Ressourcen nötig sei.44 Wissenschaftspolitische Überlegungen zu einer verstärkten Schwerpunktbildung hatte es zwar bereits in den 1960er Jahren gegeben, als der Wissenschaftsrat entsprechende Vorschläge verabschiedet hatte.45 Die folgenden Bemühungen „verliefen“ jedoch „im Sande“, auch weil es an den Universitäten Widerstände dagegen gab. Das einzige bleibende Ergebnis war die Einführung der SFBs als Förderinstrument der DFG.46 Zu Beginn der 1980er Jahre gewann dieses Vorhaben vor dem Hintergrund der drastisch beschränkten Staatsfinanzen und der Debatte über die wirtschaftliche Bedeutung wissenschaftlicher Innovationen jedoch eine neue Dringlichkeit. Um eine stärkere Schwerpunktbildung in den Universitäten zu erreichen, die Forschung gegenüber der Lehre aufzuwerten und gezielt bestimmte Bereiche fördern zu können, richteten die Länder seit der ersten Hälfte der 1980er Jahre zentrale Fonds für Stellen und Mittel ein, die von den Ministerien zeitlich befristet und zweckgebunden an die Universitäten vergeben wurden.47 In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel überführte das Wissenschaftsministerium Stellen, die durch eine Kürzungsrunde bei den Lehramtsfächern und anderen, schwach nachgefragten Studiengängen gewonnen worden waren, in einen zentralen Stellenpool, der zur Unterstützung der Schwerpunktbildung in der Forschung dienen sollte.48 Ab Ende der 1980er Jahre wurden nordrhein-westfälischen Universitäten neue Stellen im Regelfall nicht mehr über Bedarfsanmeldungen im Haushaltsaufstellungsverfahren, sondern über ein Antragsverfahren aus diesem Stellenpool zugewiesen, der durch weitere Stelleneinsparungen bei den Universitäten anwuchs.49 Bei den Mitteln sollte dort nach Absicht des Wissenschaftsministeriums ein „gezielterer, stärker qualitätsorientierter Einsatz“ stattfin44 Vgl. hierzu z. B. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (1982); s. auch Bundesregierung (1985), S. 17: „Die Notwendigkeit […] Spitzenforschung und Spitzenforscher auch in den Hochschulen verstärkt zu fördern, wird heute allseitig anerkannt.“ 45 Vgl. Fraunholz/Schramm (2005a), S. 31 f. 46 Fraunholz/Schramm (2005a), S. 33. 47 Vgl. Wissenschaftsrat (1988b), S. 260. Der Umfang der Zentralmittel der Landesministerien für Forschungsförderung stieg in den Jahren 1980 bis 1990 von 65 auf 128 Millionen DM, vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 26. Für Baden-Württemberg vgl. Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg (1989), S. 37 f. Für Berlin vgl. Kubicki/Lönnendonker (2002), S. 202; sowie FU Berlin, UA, AS 2, Der Senator für Wissenschaft und Forschung, Zusammenfassung: „Forschung an den Hochschulen“, als Anlage zum Schreiben des Senators für Wissenschaft und Forschung an den Präsidenten der Freien Universität Berlin vom 22.4.1981, S. 1; für Bayern vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1980), S. 97, 299–302; um-bits aktuell, no. 2 (1988) sowie no. 8 (1988). 48 Vgl. Krauß (1994), S. 48; Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1986), S. 12 f. Der Wissenschaftsminister kündigte gegenüber den Hochschulen an, er wolle durch die Kürzungen „in unserem Haushalt uns Flexibilitätsreserven schaffen, um neue Probleme angehen zu können, um uns auf neue Forschungsimpulse einzustellen. Dies ist nur möglich, wenn wir gemeinsam eine Schwerpunktsetzung erarbeiten.“ Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 117b, Schreiben des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an die Rektoren und Kanzler der wissenschaftlichen Hochschulen vom 1.4.1982, S. 3 f. 49 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 888, Niederschrift der Sitzung des Senats am 11.1.1989, S. 2–4; ebd., Entwurf einer Stellungnahme des Sentas der Universität zu Köln zur Aufstellung des Beitrags der Hochschule zum Haushaltsvoranschlag 1994, S. 1.
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den.50 Durch die Ausbildung individueller Forschungsprofile sollte die „Wettbewerbsposition der jeweiligen Hochschule“ gestärkt werden.51 Dadurch verstärkte sich der Wettbewerbscharakter der Verteilung, da die Anträge der Universitäten direkt und anhand explizit formulierter Kriterien verglichen wurden.52 Auch in Niedersachsen setzte das Wissenschaftsministerium seit Mitte der 1980er Jahre angesichts knapper Mittel auf eine verstärkte Schwerpunktbildung.53 Noch wenige Jahre zuvor hatte es ein solches Vorgehen für politisch nicht durchsetzbar gehalten.54 Dieser Wandel wurde an der Universität Oldenburg, die sich bis dahin trotz Einschnitten in die Ausbaupläne noch einer bevorzugten Finanzierung erfreuen konnte, aufmerksam wahrgenommen, da die neue Politik tendenziell auf eine Stärkung der größeren, etablierten Universitäten in Göttingen, Braunschweig und Hannover hinauslief.55 Die gezielte Vergabe von Mitteln und Stellen durch die Ministerien richtete sich auch gegen die Tendenz der Universitäten, pauschal zugewiesene Mittel intern nach Proporz aufzuteilen56 und so die Konkurrenz innerhalb der Hochschule außer Kraft zu setzen. Indem nun ein Teil der Mittel den universitätsinternen Verteilungsmechanismen entzogen und von den Ministerien vergeben wurde, wandelte er sich zu einer Prämie, um welche die Universitäten zugunsten ihrer forschungsintensiven Bereiche konkurrierten. Die universitätsinterne Profilbildung in bestimmten, als wirtschaftlich relevant eingestuften Fächern wurde damit zu einem Leistungskriterium in der Konkurrenz um die knappe Grundfinanzierung. Aber nicht nur bei der Forschung, sondern auch bei der Lehre verschoben sich die Prioritäten der Wissenschaftsministerien. Sie orientierten sich seit Anfang der 1980er Jahre stärker an einem angenommenen „Bedarf “ der Wirtschaft an Absolventen und an der Entwicklung des Arbeitsmarkts und weniger an den Entscheidungen der Studieninteressierten.57 Dies bedeutete einen Kurswechsel, denn seit Ende der 1960er Jahre hatte sich die Bildungspolitik vorrangig an der erwarteten Nachfrage nach Studienplätzen und dem zuerst von Ralf Dahrendorf postulierten „Bürgerrecht auf Bildung“
50 Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1986), S. 13. 51 Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1986), S. 88. 52 Der Wissenschaftsrat schrieb den Zentralmitteln der Länder für die Forschungsförderung daher einen ähnlichen Status zu wie Drittmitteln, vgl. Wissenschaftsrat (1993a): 26. 53 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 19. Sitzung des 7. Senats am 25.2.1987, S. 6 f. 54 UAOL 20002–088, Niederschrift über das Ergebnis der Dienstbesprechung mit den Leitern und Kanzlern der wissenschaftlichen und künstlerisch-wissenschaftlichen Hochschulen am 11.12.1979 in Hannover, S. 15. Zwischenzeitlich hatte zwar ein Personalwechsel an der Spitze des Wissenschaftsministeriums stattgefunden, beide Minister gehörten aber der CDU an. 55 Vgl. UAOL 20002 ZW, Schreiben des Präsidenten der Universität Oldenburg an den Niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst, 19.5.1987; UAOL 20002–252, Protokoll der 18. Sitzung der Haushaltsund Planungskommission am 20.5.1987, S. 2. Die vom Land als besonders wichtig erachteten Forschungsschwerpunkte befanden sich größtenteils in Göttingen, Braunschweig und Hannover; vgl. Der Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1986), S. 89–91. 56 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1980), S. 97, 299 f. 57 Diese Wende von der Nachfrage- zur Bedarfsorientierung bemerkte 1981 auch George Turner, der Präsident der WRK; vgl. Turner (1981), S. 161.
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orientiert. Dies hatte unter anderem dazu geführt, dass die gemeinsame Bildungsplanung von Bund und Ländern das bereits zu Beginn der 1970er Jahre prognostizierte Überangebot an Absolventen und Absolventinnen von Lehramtsstudiengängen ignorierte.58 Der Wandel zu einer stärker bedarfsorientierten Bildungsplanung im Gefolge des Anstiegs der Arbeitslosigkeit und der Verengung der finanziellen Spielräume seit Mitte der 1970er bedeutete schließlich vor allem Kürzungen bei den Lehramtsstudiengängen, da zu dieser Zeit ein sinkender Bedarf an Lehrern prognostiziert wurde und den Absolventen schlechte Chancen auf dem privatwirtschaftlichen Arbeitsmarkt attestiert wurden.59 Tatsächlich hatte sich die Arbeitslosigkeit unter den Absolventen und Absolventinnen von Lehramtsstudiengängen im Jahr 1980 gegenüber 1976 verdreifacht, und auch die Zahl erwerbsloser Soziologen und Geisteswissenschaftler war seit Mitte der 1970er Jahre kontinuierlich angestiegen, während die wirtschaftliche Erholung in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die Arbeitslosigkeit unter Betriebswirten und Ingenieuren hatte sinken lassen.60 Das Land Niedersachsen zum Beispiel beschloss 1983 als Reaktion auf diese Entwicklung, die Ausbildungskapazitäten in den Lehramtsstudiengängen von etwa 5 400 auf 2 400 Studienanfänger pro Jahr zu reduzieren,61 was eine schwierige Situation für eine Universität wie Oldenburg erzeugte, die unter anderem wegen ihrer Vorgeschichte als Pädagogische Hochschule einen hohen Anteil ihrer Studienplätze für die Lehrerausbildung zur Verfügung stellte. Zudem machten die für die Lehramtsstudiengänge benötigten Personalstellen oftmals den Grundstock der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer aus.62 Auch in Nordrhein-Westfalen betraf die erste größere Kürzungsrunde, die auf eine „Konzentration“ von Studiengängen an einer geringeren Anzahl von Standorten zielte, vor allem die Lehrerausbildung. Die Nachfrage nach Studienplätzen in bestimmten Fächern spielte allerdings immer noch insofern eine Rolle, als relativ gering ausgelastete Studiengänge angesichts der knappen Finanzen ebenfalls ein bevorzugter Gegenstand von Sparmaßnahmen waren.63 Stellen für neue Studiengänge und für zusätzliche Studienplätze wurden nun vor allem in den naturund ingenieurwissenschaftlichen Fächern geschaffen, die in der Zukunft eine hohe wirtschaftliche Relevanz einzunehmen versprachen, zum Beispiel in der Informatik und in der Biotechnologie.64 58 Vgl. Rudloff (2005b), S. 272–274. 59 Vgl. z. B. Der Senator für Wissenschaft und Forschung (1984), S. 16. 60 Vgl. Windolf (1990), S. 203–206. 61 Vgl. Der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst (1985), S. 138. Eine weitere Standortkonzentration bei den Lehramtsstudiengängen folgte 1988, vgl. UAOL 20002 ZW, Anlage zum Protokoll der 12. Sitzung des 8. Senats am 27.4.1988, Unterrichtung des Senats durch den Präsidenten zum Dienstgespräch beim Minister für Wissenschaft und Kultus am 26.4.1988. 62 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 13. Sitzung des 10. Senats am 3.6.1992, S. 3; UA Bielefeld, S 079, Protokoll der 168. Sitzung des Senats am 13.5.1987, S. 2. 63 Vgl. UA Bielefeld, R 011, Protokoll der 457. Sitzung des Rektorats am 19.2.1982, S. 2 f. 64 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 117a, Schreiben des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an die wissenschaftlichen Hochschulen vom 8.12.1983; Meier-Hüsing (2011), S. 99 f.
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I. Kon urrenn nach dem Abbruch des Hochschulausbaus
Die von manchen Ländern als Sparmaßnahme durchgesetzte Konzentration von Studiengängen an einer geringeren Anzahl von Standorten stand in Gegensatz zu den Prinzipien, die der Welle von Universitätsneugründungen in den 1960er und frühen 1970er Jahren zugrunde gelegen hatten. Diese waren unter anderem von einer Studie Clemens Geißlers aus dem Jahr 1965 beeinflusst, die gezeigt hatte, dass wegen der hohen Bildungssesshaftigkeit in Deutschland die Entscheidung für ein Studium und die Fächerwahl stark vom regionalen Angebot abhingen. Geißler ermittelte zudem die Einzugsgebiete von Hochschulen. Die Ausfüllung der weißen Flecken auf der Landkarte, die nicht Teil einer Hochschulregion waren, versprach eine weitere Ausschöpfung des Begabungspotentials und eine höhere Chancengleichheit.65 Geißler selbst beriet in mehreren Fällen norddeutsche Landesregierungen bei der Wahl von Standorten.66 Wie derartige Konzepte die Politik prägten, lässt sich noch im bayerischen Hochschulgesamtplan von 1980 ablesen, der ausführte: „Leitlinie der Planung war das Bestreben, das Hochschulsystem zu dezentralisieren, den Ausbau also verstärkt auf die neuen Hochschulen zu konzentrieren, um Bildungschancen und Lebensqualität in bisher hochschulfernen Regionen zu verbessern.“67 Auch die auf Studienangebote bezogenen Kürzungsrunden und die Prioritätenverschiebung bei der Einrichtung von Studiengängen trugen zur Entstehung der neuen Konkurrenzsituation um das knappe Gut Grundfinanzierung bei. Waren Studiengänge nicht ausgelastet und der Stellenbestand in den entsprechenden Fächern nicht durch besondere Forschungsschwerpunkte zu rechtfertigen,68 so drohten Kürzungen. Zugewinne konnten hingegen durch die Entwicklung von Studienangeboten in den von den Ministerien favorisierten wirtschaftlich relevanten Bereichen erzielt werden. Diese neue Konkurrenzsituation, die sich von 1974 bis Mitte der 1980er Jahre formierte, erwies sich in manchen Aspekten als dauerhaft. Zwar gab es ab dem Ende der 1980er Jahre wieder leichte Zuwächse beim wissenschaftlichen Personal der Hochschulen, doch blieb das prognostizierte starke Absinken der Studierendenzahlen nach dem „Studentenberg“ aus. Es kam lediglich zu einem leichten Rückgang in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre um etwa 73 000 Studierende an wissenschaftlichen Hochschulen, bevor die Immatrikulationszahlen wieder anstiegen.69 Der aus finanzpolitischen Gründen abgebrochene Hochschulausbau wurde aber nicht wieder aufgenommen, so dass die Etablierung neuer Wissenschaftsfelder auch weiterhin zu guten Teilen über Kürzungen an anderen Stellen finanziert werden musste. Kürzungsrunden beim Universitätspersonal kehrten daher in den 1990er und 2000er Jahren immer wieder. In eher finanzschwächeren Ländern wie dem wiedervereinigten Berlin führten sie
65 Vgl. Rudloff (2014), S. 173 f.; Geißler (1965). 66 Vgl. Rudloff (2014), S. 175 f. Rudloff verweist aber auch darauf, dass man den Einfluss Geißlers auf konkrete Standortentscheidungen nicht überschätzen sollte. 67 Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1980), Vorwort [o. S.]. 68 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 887, Niederschrift über die Sitzung des Senats am 19.5.1982, S. 3. 69 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 1.35.
3. Der Modus aolitischer Kon urrenn
phasenweise sogar zu einem Abbau von Kapazitäten,70 aber auch in finanziell besser gestellten Ländern wie Bayern, wo zum Beispiel von 2004 bis 2008 600 Stellen aus den Hochschulen eingezogen wurden, blieben sie nicht aus, dienten dort allerdings eher dazu, Umschichtungen zwischen Fächern und Universitäten zu ermöglichen.71 Stabil blieben auch – parteiübergreifend – die grundsätzlichen Präferenzen der Wissenschaftspolitik für Schwerpunktbildung, innovative „Spitzenforschung“ und bedarfsorientierte Studienangebote. Die ursprünglich zur Berechnung von Höchstlasten gedachte Kapazitätsberechnung wurde zum Normalmaß, dessen Unterschreitung Sparpotentiale signalisierte. 3. Der Modus politischer Konkurrenz Wie reagierten nun die Universitäten auf die neue Konkurrenzsituation? Interpretierten sie diese Konstellation als ein kompetitives Verhältnis und versuchten sie, einander die neue Prämie streitig zu machen? Die Lage nach dem Abbruch des Hochschulausbaus wurde durchweg als neuartig wahrgenommen und in den Universitätsleitungen sowie Senaten meistens auch als Wettbewerbssituation thematisiert. Der Rektor der Universität Bielefeld, Karl Peter Grotemeyer, etwa sprach 1983 von einer „zunehmende[n] Konkurrenz um knappe Finanzmittel“.72 Das Rektorat sah sich mit einem Wettbewerb konfrontiert, in dem Bielefeld gegenüber den Universitäten im Rheinland möglicherweise im Nachteil wäre, und stellte Überlegungen an, wie die eigene Position verbessert werden könnte.73 Auch im Senat der TU München sah man zu Beginn der 1980er Jahre die eigenen Ausbauvorhaben durch die Ressourcenforderungen anderer Universitäten bedroht.74 Davon zeugen auch die Proteste der Münchner Universitäten gegen ihre angebliche „Benachteiligung“ im Vergleich mit den Neugründungen. In Berlin, wo aufgrund des unterschiedlichen Fächerprofils der Freien und der Technischen Universität zu Beginn der 1980er Jahre der Wettbewerb um die Grundfinanzierung noch weniger stark ausgeprägt war, sah der Präsident der FU seine Universität in Konkurrenz zu anderen Ausgabenfeldern der Stadt, woraus er einen gewachsenen Rechtfertigungsbedarf ableitete.75
70 Vgl. die Zahlen in Statistisches Bundesamt (2004b), S. 15–17; sowie Statistisches Bundesamt (2012), S. 17–19. Das Anwachsen des Hochschulpersonals ab Mitte der 2000er, nachdem zuvor Stagnation oder Rückgänge zu verzeichnen waren, ist zu guten Teilen durch die zusätzlichen Mittel des Bundes, unter anderem über die Exzellenzinitiative, zu erklären. Zu Berlin vgl. auch Pasternack (2007), S. 346. 71 Vgl. Innovationsbündnis Hochschule 2008 zwischen den staatlichen Universitäten und Fachhochschulen und dem Freistaat Bayern zur Sicherung und Optimierung der Leistungsfähigkeit der bayerischen Hochschullandschaft, 11.5.2005, § 3. 72 UA Bielefeld, S 003, Protokoll der 138. Sitzung des Senats am 13.7.1983, S. 5. 73 UA Bielefeld, R 012, Protokoll der 533. Sitzung des Rektorats am 7.3.1984, S. 3. 74 TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.174, Niederschrift über die 47. Sitzung des Senats am 25.2.1981. 75 FU Berlin, UA, AS 2, Schreiben des Präsidenten der Freien Universität Berlin an die Sprecher der Fach-
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Auch dort, wo die Situation nicht explizit (oder zumindest nicht quellenmäßig greifbar) mit den Begriffen „Konkurrenz“ oder „Wettbewerb“ beschrieben wurde, waren sich die Akteure in den Hochschulleitungen und Senaten bewusst, dass sich Gewinne und Verluste der Universitäten eines Bundeslandes in einem Nullsummenspiel austarierten. Sie dürften sich angesichts der bereits erwähnten Ankündigungen der Wissenschaftsministerien im Klaren darüber gewesen sein, dass ihre Forderungen nach zusätzlichen Mitteln oder auch nur nach geringeren Sparauflagen für andere Hochschulen Konsequenzen haben mussten. So wurden zum Beispiel Versuche der Universität Bielefeld, Kürzungen abzuwenden, von den übrigen Universitäten des Landes sogleich als Konkurrenzverhalten interpretiert,76 genauso wie die Pläne zum Aufbau einer neuen Technischen Fakultät Befürchtungen auslösten.77 Auch das Vorhaben der Universität Oldenburg, einen ingenieurwissenschaftlichen Studiengang aufzubauen, erregte bei anderen Hochschulen „Befürchtungen, daß zugunsten von Oldenburg auf die Konsolidierung und die Umsetzung der eigenen Ausbaupläne verzichtet werden muß“.78 Gelegentlich unternahmen Hochschulleitungen daher Versuche, ihre Interessen mit denen anderer Universitäten abzustimmen, wie zum Beispiel 1983, als der Präsident der Universität Oldenburg, Horst Zilleßen, sich in einem Gespräch mit dem Präsidenten der benachbarten Universität Osnabrück versicherte, dass die eigenen Ausbauforderungen nicht deren Interessen widersprachen.79 Eine geschlossene Front der Hochschulen eines Landes gegen Kürzungspläne konnten hingegen leicht an Konkurrenzverhältnissen scheitern, wie 1988 Zilleßens Amtsnachfolger Michael Daxner nach Diskussionen in der niedersächsischen Landeshochschulkonferenz über die anstehende Kürzungsrunde konstatierte: „Die […] Diskussion wurde unter dem Appell, sich solidarisch zu verhalten und der gleichzeitigen illusionslosen Erkenntnis für die Grundlagen des bestehenden Mißtrauens zwischen den Hochschulen geführt.“ Alle Beteiligten wüssten davon, dass die anderen sich jeweils im eigenen Interesse an das Ministerium gewandt hätten.80 bereiche, Zentralinstitute und Zentraleinrichtungen und an die Vorsitzenden der Ständigen Kommissionen vom 30.11.1983, S. 2. 76 UA Bielefeld, S 005, Protokoll der 122. Sitzung des Senats am 21.10.1981, S. 6. Grotemeyer führte die Ablehnung der Bielefelder Versuche, die Kürzungsauflagen abzuschwächen, auf Widerstände der anderen Hochschulen des Landes zurück, vgl. ebd., Protokoll der 120. Sitzung des Senats am 10.6.1981, S. 8. 77 UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985, S. 15. 78 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 19. Sitzung des 9. Senats am 6.2.1990, S. 3. Andere Hochschulen versuchten daher gegen diese Pläne beim Wissenschaftsminister zu intervenieren, der allerdings zugunsten Oldenburgs entschied, vgl. ebd., Protokoll der 20. Sitzung des 9. Senats am 6.3.1991, S. 4. Die Universität Oldenburg wiederum hatte wenige Jahre zuvor ihre Interessen von Plänen bedroht gesehen, den Hochschulstandort Vechta zu einer eigenständigen, kleinen Universität auszubauen. Daxner vertrat gegenüber dem Wissenschaftsrat, der die Landesregierung beraten sollte, die Auffassung, ein Ausbau Vechtas dürfe nicht die Konsolidierung der Universität Oldenburg gefährden; vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 2. Sitzung des 8. Senats am 6.5.1987, S. 3. 79 Vgl. UAOL 20002–125, Protokoll der konstituierenden Sitzung des Senats am 13.4.1983, S. 12. 80 UAOL 20002 ZW, Unterrichtung des Senats: Sitzung der Landeshochschulkonferenz 2.5.1988 in Lüneburg. Auch in Nordrhein-Westfalen konnten die Universitäten 1981 zu keiner gemeinsamen Haltung angesichts der Sparauflagen des Ministeriums finden; vgl. Krauß (1994), S. 45.
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Inwieweit liegt hier nun aber tatsächlich Konkurrenz vor? Anders als vielleicht eingewendet werden könnte, geschah die Verteilung von Finanzmitteln auf die Hochschulen nicht in einem rein hierarchisch strukturierten System – mit den Landesregierungen, den Wissenschaftsministerien und den Parlamenten an der Spitze –, sondern ließ Raum für Konkurrenz zwischen den Universitäten. Diese konnten, da die Ministerien nicht völlig losgelöst von Forderungen und Vorschlägen aus den Hochschulen entschieden, durch eigene Initiativen durchaus Einfluss auf die Verteilung von Finanzmitteln nehmen. Diese Konkurrenz der Universitäten um die staatliche Grundfinanzierung zeichnete sich zudem dadurch aus, dass die Kriterien, nach denen die Wissenschaftsministerien bzw. die Landesregierungen als Dritte das knappe Gut verteilten, bis zu einem gewissen Grad diffus waren.81 Zwar bildeten sich im Lauf der 1980er Jahre, wie bereits beschrieben, bei den Wissenschaftsministerien bestimmte Präferenzen aus, zum Beispiel für wirtschaftlich relevante Forschungszweige, doch konnten bei Verteilungsentscheidungen auch andere Gesichtspunkte, etwa regionalpolitischer Art, eine Rolle spielen. Die Kriterien für die Vergabe der Prämie waren Gegenstand politischer Debatten, die bisweilen in den Massenmedien ausgetragen wurden, und in die sich Vertreter einzelner Universitäten einschalten konnten. Daher erscheint für diesen Modus von Konkurrenz die Bezeichnung politische Konkurrenz angemessen.82 In derartigen Situationen stehen den Wettbewerbern grundsätzlich zwei Optionen offen, wenn sie ihre Erfolgschancen erhöhen wollen: Entweder erbringen sie, gemessen an den Kriterien, welche die dritte Instanz anlegt, bessere Leistungen als die übrigen Konkurrenten, oder aber sie versuchen, durch Argumente oder andere Formen der Einflussnahme, die Kriterien auf der Seite des Dritten so zu verschieben, dass das eigene Handeln als belohnenswerte Leistung definiert wird. Je nach Situation kann die eine oder die andere Alternative aussichtsreicher erscheinen. Dafür, dass Universitäten die Auseinandersetzungen um ihre Grundfinanzierung als politische Konkurrenz austrugen, lassen sich zahlreiche Beispiele finden: Im Senat der TU München gab es Anfang der 1980er Jahre Überlegungen, dass man vor allem dann gute Chancen auf zusätzliche Mittel habe, wenn dem wirtschaftlichen Bedarf an Forschungsergebnissen und Absolventen gegenüber der Nachfrage nach Studienplätzen der Vorrang eingeräumt würde.83 Präsident Wolfgang Wild argumentierte öffentlich und gegenüber der Wissenschaftspolitik für einen stärkeren Ausbau der Natur- und Ingenieurwissenschaften – letztere waren in Bayern vor allem an der TU München vertreten – anstelle der überwiegend geisteswissenschaftlich ausgerichteten Universitäten. Er verwies dabei auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft und Empfehlungen des Wissenschaftsrates zum bevorzugten Ausbau der ökonomisch 81 Dies konnte sich auch darin äußern, dass den Hochschulleitungen unklar war, nach welchen Kriterien die Wissenschaftsministerien entschieden, vgl. z. B. UAOL 20002–119, Protokoll der 10. Sitzung des Senats am 24.3.1982, S. 3. 82 Dem soll später der Modus formalisierter Konkurrenz als eine Form von Konkurrenz, bei der die Kriterien durch die Konkurrenten nicht beeinflusst werden können, gegenübergestellt werden; s. u. Kap. IV.2. 83 TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.174, Niederschrift über die 47. Sitzung des Senats am 25.2.1981.
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relevanten Fächergruppen.84 Damit versuchte die TU, die Kriterien des Dritten zu verschieben, anstatt sich diesen anzupassen. Ähnlich agierte die Universität zu Köln im Jahr 1988 angesichts drohender Verluste durch eine Kürzungsrunde, die sich vor allem an der Entwicklung der Studierendenzahlen orientierte. Das Rektorat legte daraufhin eigene Berechnungen vor, die auf einen zusätzlichen Stellenbedarf hinausliefen, und ließ diese über die Presse verbreiten.85 Der Kölner Rektor versuchte, seinen Einwänden gegen die Kriterien des Ministeriums bei den Stellenstreichungen Eingang in die politische Debatte zu verschaffen, indem er sich an Vertreter sowohl der regierenden SPD als auch der Oppositionsparteien im Landtag (FDP und CDU) wandte.86 Dass die Situation als Konkurrenzverhältnis verstanden wurde, zeigt auch der Vergleich mit anderen Hochschulen, den der Rektor in seinem Schreiben an Abgeordnete des Landtags zog: „In den Geisteswissenschaften bildet die Universität zu Köln mit weniger Personal 50 % mehr Studenten aus als alle Gesamthochschulen des Landes zusammen!“87 Das Kalkül ging zumindest insofern auf, als FDP und CDU sich in der politischen Debatte diese Argumente zu Eigen machten.88 Letztlich änderte sich allerdings nichts an der überdurchschnittlichen Auslastung der Universität zu Köln. Für Universitäten wie Oldenburg und Bielefeld, die abseits der politischen Zentren ihrer jeweiligen Bundesländer lagen, im Fall Oldenburgs noch dazu in einer wirtschaftlich schwachen Gegend, spielten insbesondere Kontakte zu regionalen Politikern eine Rolle, auf deren Unterstützung gegenüber ministeriellen Vorhaben teils auch dann zu rechnen war, wenn sie den Regierungsparteien angehörten.89 Beide Universitäten griffen in den frühen 1980er Jahren außerdem auf die Mobilisierung der jeweiligen Städte und regionaler Verbände wie der Industrie- und Handelskammern zurück – teils durch direkte Kontakte, teils über die Presse.90 Sie argumentierten mit den Leistungen
84 Vgl. Pabst (2006), S. 638 f.; vgl. auch TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.4206, Hochschulentwicklungsplan 1983. 85 UA Köln, Zugang 543, Nr. 576, Vermerk des Dezernats für Planung, Organisation und Revision, 12.7.1988; ebd., Landtag Nordrhein-Westfalen, Kleine Anfrage 1328 der Abgeordneten Marita Rauterkus (SPD), Drs. 10/3435, 27.7.1988. 86 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 576, Schreiben des Wiss. Referenten der CDU-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen an den Rektor der Universität zu Köln vom 28.12.1988; ebd., Schreiben des Mitglieds der F. D. P.-Landtagsfraktion Nordrhein-Westfalen, Joachim Schultz-Tornau, an die Universität zu Köln vom 1.3.1988; ebd., Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Abgeordneten des Landtages von Nordrhein-Westfalen vom 1.12.1988; ebd., Schreiben des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln an die Abgeordneten des Landtages von Nordrhein-Westfalen vom 23.11.1988; Hanau (2007), S. 146. 87 Dass er, leicht abschwächend, anschloss: „Dies spricht nicht gegen die Gesamthochschulen, wohl aber dagegen, den Stellenabbau vorzunehmen, wo und wann die Belastung am größten ist“, ändert nichts daran, dass es sich um eine Kritik an den Kriterien handelte, nach denen das Ministerium vorging; UA Köln, Zugang 543, Nr. 576, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an Abgeordnete des Landtags vom 24.8.1988, S. 2. 88 UA Köln, Zugang 543, Nr. 576, Schreiben von Dr. Ottmar Pohl, MdL (CDU), an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 18.7.1988. 89 Vgl. UAOL 20002–119, Protokoll der 10. Sitzung des Senats am 24.3.1982, S. 8; ebd., Protokoll der 15. Sitzung des Senats am 9.1.1980, S. 4 f.; Krauß (1994), S. 46 f. 90 UAOL 20002–088, Protokoll der 20. Sitzung des Senats am 19.3.1980, S. 3.
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der Hochschulen für die Region als Ausbildungsstätten und Wirtschaftsfaktor.91 Insbesondere der Präsident der Universität Oldenburg, Michael Daxner, versuchte angesichts der neuen Präferenz der niedersächsischen Landesregierung für eine Schwerpunktbildung in der Forschung, regionalpolitischen Argumenten wieder Eingang in die politische Debatte zu verschaffen und auf eine „Diskriminierung“ des „Nordwestens“ aufmerksam zu machen.92 Auch öffentlichkeitswirksame Aktionen wurden eingesetzt, um Aufmerksamkeit und politische Unterstützung für die eigenen Interessen zu erzeugen. So reagierte die Universität Bielefeld auf das Vorhaben des Ministeriums, bestimmte Studiengänge an weniger Standorten zu konzentrieren, mit einer koordinierten Kampagne, die Pressemeldungen und einen als Anzeige in Tageszeitungen platzierten Aufruf der Professorenschaft einschloss und in einer Demonstration mit angeblich 7 000 Hochschulangehörigen in Bielefeld gipfelte.93 Der Senat der Universität Oldenburg beschloss, dem Minister bei einem Besuch in der Stadt als Protest gegen die Kürzung der Ausbaupläne ein Memorandum zu überreichen. Er unterstützte außerdem das Vorhaben des AStA, in Nachahmung des Aktionskünstlers Christo ein neues Universitätsgebäude zu verhüllen und mit einer Reklamation wegen „unvollständiger Lieferung“ zu versehen.94 Derartige öffentliche Interventionen blieben aber meist auf solche Fälle beschränkt, in denen Universitäten ihre Interessen in besonders gravierender Weise betroffen sahen und sich von der persönlichen Kommunikation mit der Landespolitik keinen Erfolg versprachen. In der Regel brachten sie ihre Argumente auf direktem Weg bei den Ministerien ein, anlässlich von Kürzungsrunden oder bei den jährlichen Haushaltsverhandlungen. Der Präsident der Universität Oldenburg beispielsweise wurde 1981 beim Minister vorstellig, um angesichts der im Vergleich zu Osnabrück höheren Studierendenzahlen bei geringerer Ausstattung mit Stellen eine Verbesserung der Grundfinanzierung zu fordern.95 Und nach den erwähnten öffentlichen Protesten gegen die Kürzungsrunde von 1982 beschränkte sich auch die Universität Bielefeld wieder auf Verhandlungen mit dem Ministerium, um die Zahl der abzugebenden Stellen gegenüber den ursprünglichen Berechnungen zumindest zu reduzieren.96 Der Kölner Rektor hatte sich 1987, als das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium eine 91 Vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 10; Universität Bielefeld (1987), S. 68: Universität Oldenburg (1984), S. 11–15. 92 UAOL 20002 ZW, Schreiben des Präsidenten der Universität Oldenburg an den niedersächsischen Minister für Wissenschaft und Kunst vom 19.5.1987; vgl. auch ebd., Michael Daxner: Erklärung vor dem Konzil am 27.5.1987, Anlage zum Protokoll der 3. Sitzung des 8. Senats am 3.6.1987. Auch sein Vorgänger Horst Zilleßen sah den Nordwesten Niedersachsens mit Studienplätzen „unterversorgt“, Universität Oldenburg (1982), S. 2. 93 Vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 10; Krauß (1994), S. 46 f. 94 UAOL 20002–087, Protokoll der 17. Sitzung des Senats am 6.2.1980, S. 2 f.; zur Umsetzung vgl. Harms (1980). 95 Vgl. UAOL 20002–108, Protokoll der 4. Sitzung des Senats am 9.9.1981, S. 4, sowie ebd., 1/Sena/1942, Protokoll der 7. Sitzung des Senats am 16. und 23.12.1981, S. 4. Auch die FU Berlin forderte Anfang der 1980er wegen der hohen Studierendenzahlen zusätzliche Mittel ein, vgl. Kubicki/Lönnendonker (2002), S. 202. 96 Vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 11.
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Kürzungsrunde zugunsten der verstärkten Förderung von Natur- und Ingenieurwissenschaften plante, zunächst ebenfalls an die Ministerin gewandt und kritisiert, dass die Verteilung der Mittel den Studierendenzahlen der Hochschulen zu wenig Rechnung trage. Die Universität zu Köln habe daher in den vorangegangenen Jahren trotz steigender Belastung in der Lehre Stellen abgeben müssen. Er stimmte der Politik des Ministeriums insofern zu als ein erhöhter Bedarf für die Förderung der Forschung bestehe, doch solle sich die Finanzierung nicht ausschließlich an der „Nützlichkeit“ der Fächer orientieren und stattdessen auch die Geisteswissenschaften einbeziehen.97 Der vom Ministerium geforderte „Beitrag zur ökologischen und ökonomischen Erneuerung des Landes und zum notwendigen Strukturwandel“ sei laut Hochschulgesetz nicht Aufgabe der Universitäten. Aus regionalpolitischen Gründen ignoriere das Ministerium „die Attraktivität der nachgefragten alten Hochschulen für Forscher und Lehrende“ zugunsten der Neugründungen. Vor allem zielte die Kritik des Rektors auf die Abwendung von der Nachfrageorientierung, die für die Universität zu Köln äußerst nachteilig war: „[E]ine Politik, die die Präferenzen der Betroffenen (hier: die Studenten) ignoriert“, sei „fragwürdig und zum Scheitern verurteilt“.98 Das Verfahren zur Aufstellung der Hochschulhaushalte, in dem die Universitätsleitungen ihre Forderungen regulär einbringen konnten, verlief in den meisten Bundesländern ähnlich:99 Jedes Jahr mussten Institute und Lehrstühle ihren Bedarf an Stellen und Mitteln an die Fachbereiche oder Fakultäten melden, diese wiederum an die zentrale Universitätsverwaltung, welche die einzelnen Aufstellungen zu einem Haushaltsvoranschlag zusammenfasste. Über diesen entschieden die akademischen Senate, worauf er den Wissenschaftsministerien zugeleitet wurde. Das Ministerium musste die Wünsche der Universitäten mit den finanziellen Möglichkeiten des Landes zur Deckung bringen und führte dazu auch Gespräche mit den Hochschulleitungen. Teils wurden letztere auch bei den Beratungen des Landeshaushalts im Parlament angehört. In diesem Verfahren konnten also die Rektoren oder Präsidenten ihre finanziellen Forderungen argumentativ vertreten – angesichts der knappen Mittel stets in Konkurrenz zu anderen Universitäten. Die Wissenschaftsministerien gaben den Hochschulen zwar einen – meist sehr knappen – Rahmen vor, in dem sich die Forderungen bewegen soll97 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 64b, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an den Minister [sic!] für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 25.2.1987, Zitat S. 5. Ähnliche Argumente brachte ein späteres Kölner Rektorat auch 1991 gegenüber der Ministerin vor, vgl. ebd., Nr. 133b, Schreiben des Rektorats der Universität zu Köln an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7.3.1991. Auch die Landesrektorenkonferenz kritisierte die Benachteiligung der Geisteswissenschaften in den Plänen des Ministeriums, vgl. ebd., Nr. 64b, Der Vorsitzende der Landesrektorenkonferenz Nordrhein-Westfalen, Stellungnahme der Landesrektorenkonferenz zu den Fragen zur Anhörung im Ausschuss für Wissenschaft und Forschung, 21.2.1989. 98 UA Köln, Zugang 694, Nr. 64b, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7.6.1988, S. 2 f. 99 Vgl. zum Folgenden Blümel et al. (1997), S. 23–31; Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017. Zum Sonderfall der Kuratorialverfassung der Berliner Universitäten vgl. Landeshochschulstrukturkommission Berlin, Stellungnahmen und Empfehlungen zu Struktur und Entwicklung der Berliner Hochschulen, Berlin 1992, S. 47.
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ten. Dies hielt aber die akademischen Senate und Universitätsleitungen nicht davon ab, in der Hoffnung auf Zugewinne in den Haushaltsverhandlungen deutlich höhere Forderungen zu stellen.100 In dieser politischen Konkurrenzsituation kam es immer wieder zur Kooperation, wenn mehrere Hochschulen gemeinsam für ähnliche Belange eintraten. Die Zusammenarbeit hatte allerdings nur so lange Bestand, wie die gemeinsamen Interessen überwogen. So agierten die Universitäten Oldenburg und Osnabrück in den frühen 1980er Jahren sowohl miteinander – für den weiteren Ausbau der in den 1970er Jahren gegründeten Hochschulen – als auch gegeneinander.101 Solche Bündnisse dienten der Interessensvertretung, einer Bündelung von Stimmen, die einem Argument mehr Gewicht gab, wie zum Beispiel dem von der Benachteiligung der Neugründungen bzw. des niedersächsischen „Nordwestens“. Indem Universitäten gemeinsam Pläne in Verteilungsfragen entwickelten und diese dem Ministerium als eine Lösung präsentierten, gegen die zumindest ein Teil der Hochschulen des Landes nicht opponieren würde, versuchten sie, die Entscheidungen des Dritten in ihrem Sinne zu beeinflussen.102 Angesichts der politischen Diskussionen über die Verteilungskriterien stellt sich die Frage, ob die nach dem Abbruch des Hochschulausbaus für die Universitäten entstehende Situation nicht eher als Verhandlungssituation103 denn als Konkurrenzverhältnis beschrieben werden sollte. Von Verhandlungen über die Verteilung von Gütern, wie sie zum Beispiel in Tarifverhandlungen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden stattfinden, lassen sich die Kämpfe der Hochschulen um ihre Grundfinanzierung allerdings dadurch abgrenzen, dass die Streitenden nicht gemeinsam über die Verteilung des knappen Gutes entscheiden. Dieses befindet sich vielmehr in den Händen einer dritten Instanz, die alleine darüber entscheidet, welche Argumente hinsichtlich der Verteilungskriterien sie gelten lässt. Die Verteilung wird nicht dadurch bestimmt, dass sich die Aspiranten auf das knappe Gut, sei es auf Basis von Gerechtigkeitsnormen, sei es in Form eines Kompromisses, einigen.104 Zudem hatten die konkurrierenden Universitäten in der Regel die Möglichkeit, die Ebene der Auseinandersetzung zu wechseln und ihre Konkurrenten durch bessere Leistungen zu überbieten, anstatt zu versuchen, die Definition von Leistungen in ihrem Sinne zu verschieben. Dass Universitäten in den 1980er Jahren von den beiden Optionen, die ihnen die politische Konkurrenz eröffnete, stark auf eine, nämlich die einer diskursiven Auseinandersetzung um die Definition von Leistungen, stützten, erklärt sich auch durch 100 Vgl. z. B. UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 190. Sitzung des Senats am 17.1.1990; Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 11.1.1989, S. 2; ebd., Protokoll der Sitzung des Senats am 13.1.1999, S. 5; Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017. 101 Vgl. UAOL 20002–125, Protokoll der konstituierenden Sitzung des 6. Senats am 13.4.1983, S. 11; UAOL 20002–108, Protokoll der 4. Sitzung des Senats am 9.9.1981, S. 3. 102 So berichtete der Präsident der Universität Oldenburg 1982 von einer gemeinsamen Initiative der Universitäten Göttingen, Braunschweig und Hannover in der Frage der Konzentration der Lehramtsstudiengänge in Niedersachsen, vgl. UAOL 20002–119, Protokoll der 9. Sitzung des Senats am 24.2.1982, S. 4. 103 Zum Begriff der Verhandlung in der Soziologie vgl. Münch (2007b), S. 309–328. 104 Zur Unterscheidung dieser beiden Formen von Übereinkommen vgl. Habermas (1992), S. 203–205.
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ihre Organisationsstrukturen und die Handlungsorientierung ihrer Mitglieder. Die zentrale Ebene der Universitäten, die mit den Anforderungen der Ministerien zuerst konfrontiert war, hatte kaum Einfluss auf die Forschungs- und Lehrtätigkeiten der Professoren und deren Mitarbeiter. Ähnlich verhielt es sich mit den Dekanen und Fachbereichs- bzw. Fakultätsräten. Auch eine Steuerung über die Umlenkung von Finanzmitteln, sei es als Sanktion oder Belohnung, sei es zur Etablierung neuer Forschungsfelder und Studienangebote, war schon deswegen schwer möglich, weil ein großer Teil der Universitätshaushalte von den Hochschulleitungen und Senaten nicht beliebig eingesetzt werden konnte. Personalmittel machten den größten Teil des Etats aus und waren durch Stellenpläne festgelegt, die nur in Übereinstimmung mit den Wissenschaftsministerien geändert werden konnten. Ein erheblicher Teil der laufenden Mittel war durch unbefristete Berufungszusagen an Professoren gebunden, wozu auch Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter zählten. Selbst die Mittel, die zur universitätsinternen Verteilung zur Verfügung standen, konnten kaum in größerem Maße umgeschichtet werden, da Umverteilungen meist heftigen Widerstand der Betroffenen auslösten105 und von vielen Gremienmitgliedern abgelehnt wurden. Dies zeigte sich unter anderem daran, dass akademische Senate und Fakultäten sich angesichts extern verfügter Kürzungen oft nur schwer und manchmal gar nicht dazu bereitfanden, diese Kürzungen selbst intern vorzunehmen.106 Diese Neigung lässt sich damit erklären, dass Einschnitte, die externen Instanzen zugerechnet werden konnten, das kollegiale Verhältnis und die alltägliche persönliche Interaktion weit weniger belasteten als interne Entscheidungen. Denn die Entscheidenden in den Gremien und Leitungsämtern waren sowohl Kollegen der Betroffenen als auch selbst potentiell Betroffene.107 Angesichts dieser Strukturen waren Initiativen mit dem Ziel, die Kriterien bei der Mittelverteilung durch die Länder zu beeinflussen, für die Universitäten mit wesentlich geringerem Aufwand verbunden, als Versuche nach extern vorgegebenen Kriterien ihre Leistungen in Konkurrenz mit anderen Hochschulen zu steigern. Dennoch ergriffen die Universitäten auch diese Möglichkeit, die im Gegensatz zur Austragung von Konkurrenz auf rein diskursiver Ebene auch einschneidende Folgen für ihre internen Strukturen sowie für Forschung und Lehre hatte. Wie rasch und in welchem Maß sie sich auf die Leistungskriterien der Ministerien einließen, hing aber davon ab, wie stark sie von der Verknappung der Finanzmittel betroffen waren und wie sehr intern bestimmte personelle Konstellationen die Durchsetzung eines derartigen Konkurrenzverhaltens begünstigten. Erste Veränderungen in diese Richtung traten an manchen Universitäten bereits innerhalb des ersten Jahrzehnts nach dem Abbruch des Hochschulausbaus ein. In den nächsten beiden Abschnitten soll verfolgt werden, wie sich Universitäten in zweierlei Hinsicht allmählich an die Kriterien der Wissenschafts105 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 106 Vgl. UAOL 20002–127, Protokoll der 4. Sitzung des 6. Senats am 6.7.1983, S. 8–10; FU Berlin, UA, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Protokoll der 273. Sitzung des Fachbereichsrats am 30.5.1984, S. 5–7. 107 Vgl. Schimank (2005), S. 363 f.
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ministerien anpassten. Zum einen richteten sie ihre Ausbauplanungen verstärkt auf die Fächer, die auch von der Wissenschaftspolitik favorisiert wurden, zum anderen ergriffen sie Maßnahmen, um die Einwerbung von Drittmitteln zu steigern, die sich immer mehr zum Nachweis für Forschungsleistungen entwickelten. 4. Konkurrenz um die Besetzung neuer wissenschaftlicher Felder Während sich die im weitesten Sinne politischen Interventionen der Universitäten vor allem gegen die Kürzungsrunden richteten, die seit den frühen 1980er Jahren immer wieder auf der Tagesordnung standen, waren Zuwächse an Stellen und Mitteln in nennenswertem Ausmaß kaum mehr anders als über zweckgebundenen Kontingente der Wissenschaftsministerien zu erhalten. Diese waren oft über Stellenstreichungen finanziert und dienten einer Forschungsförderung, die sich an wirtschaftlich relevanter und in Schwerpunkten konzentrierter „Spitzenforschung“ orientierte. In den Haushaltsverhandlungen, in denen grundsätzlich die Finanzierung aller Aufgabenbereiche der Hochschulen zur Debatte stand, waren oft nur geringe Zuwächse zu erreichen, wenn die Universitäten nicht, wie in einigen Bundesländern zu Beginn der 1980er Jahre, sogar mit einem Nullwachstum konfrontiert waren.108 Wollten sie also der Stagnation oder einem Stellenabbau durch Kürzungen entgegenwirken, so mussten sie sich auf die Kriterien einlassen, welche die Ministerien als Dritte bei der Verteilung der knappen Mittel anlegten. Besonders früh und energisch reagierte die Universität Bielefeld auf diese neue Konkurrenzsituation. Der langjährige Rektor Karl Peter Grotemeyer erkannte in der Ankündigung des nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministers, in Zukunft vor allem einige wenige Forschungsfelder wie die Biotechnologie fördern zu wollen, einen deutlichen Politikwandel, weg von einer fast ausschließlichen Ausrichtung der Hochschulpolitik auf Ausbildungskapazitäten hin zu einer verstärkten Forschungsorientierung.109 Darin, dass nun Mittel gezielt für die Forschung eingesetzt und nicht mehr vorrangig nach Studierendenzahlen verteilt wurden, sah er allerdings auch Vorteile.110 Das Rektorat stellte bald danach Überlegungen dazu an, auf welchen wissenschaftlichen Feldern für Bielefeld die besten Aussichten bestünden.111 Grotemeyer war der Meinung, die „Universität Bielefeld müsse aus Gründen der Bestandswahrung und der 108 Eine solche Verschiebung von Mitteln aus der regulären Grundfinanzierung in spezielle Fonds war für die Universitäten deutlich erkennbar, vgl. z. B. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 19. Sitzung des 7. Senats am 25.2.1987, S. 6 f. In Nordrhein-Westfalen erhielten die Universitäten in den 1990er Jahren keine Stellen für wissenschaftliches Personal mehr über die Haushaltsverhandlungen, sondern nur mehr aus den Stellenfonds des Ministeriums, vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 15, Niederschrift über die Sitzung des Konvents der Universität zu Köln vom 18.5.1992, S. 7; ebd., Bericht des Kanzlers der Universität zu Köln für den Berichtszeitraum 01.01. bis 31.12.1994 zur Vorlage im Konvent am 23.01.1995, S. 9; Blümel et al. (1997), S. 28 f. 109 Vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 44 f. 110 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 144. Sitzung des Senats am 11.4.1984, S. 4. 111 Vgl. ebd., Protokoll der 145. Sitzung des Senats am 27.6.1984, S. 4 f.; Krauß (1994), S. 48.
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Selbstbehauptung besondere Anstrengungen zur Profilierung und Erweiterung ihres Qualifikationsangebots und Forschungspotentials unternehmen“, da sie ansonsten gegenüber den übrigen Landesuniversitäten benachteiligt sei, die über ein breiteres Fächerspektrum und oft über Medizin und Ingenieurwissenschaften verfügten.112 Auch die Hochschulleitung in Oldenburg war angesichts des Drängens der Landesregierung auf Schwerpunktbildung und bevorstehender Kürzungen im Lehramtsbereich der Auffassung, dass die Universität sich an die Präferenzen des Ministeriums anpassen und entsprechende Initiativen entwickeln müsse. Da Personalstellen von den Erziehungs-, Kultur- und Sozialwissenschaften in die Natur- und Ingenieurwissenschaften umgeschichtet würden, so der Kanzler, müsse die Universität, wenn sie nicht schrumpfen wolle, in diesen Feldern mindestens zehn zusätzliche Stellen im Jahr gewinnen, indem sie „weitere interessante, politisch chancenreiche Entwicklungen“ plane.113 Es gehe angesichts der Politik des Ministeriums „künftig darum, welche Hochschule mit welchem Anteil an den Einsparungen teilhaben werde und wohin die Zahl der neu geschaffenen Stellen gehe“.114 In beiden Fällen argumentierten die Universitätsleitungen gegenüber einem Teil der Gremienmitglieder, die eine grundsätzlichen Oppositionshaltung gegenüber der Landesregierung anstrebten und eine universitätsinterne Bevorzugung bestimmter Fachrichtungen ablehnten, mit externen Zwängen. Der Oldenburger Kanzler verteidigte interne Stellenumwidmungen zugunsten eines „Instituts für die Chemie und Biologie des Meeres“ mit dem Argument, dass mit einem Verzicht auf das Institut die vom Ministerium bereits für Umwidmungen vorgesehenen Stellen nicht gerettet werden könnten. Wenn man nicht demonstrativ neue Stellen fordere, werde dies als Stillstand oder Rückschritt gesehen.115 Ebenso verteidigte er die Absicht die Informatik in Oldenburg aufzubauen damit, dass durch einen Verzicht auf dieses Fach die von Streichungen betroffene Pädagogik nicht auf dem bestehenden Niveau erhalten werden könne.116 In Bielefeld brachte Rektor Grotemeyer zur Verteidigung der auf die Naturund Ingenieurwissenschaften ausgerichteten Ausbaupläne dasselbe Argument vor: Selbst wenn wir Maßnahmen des Stellenkürzungsplans rückgängig machen wollen, geht dies allenfalls über den Weg, daß wir auf der Basis der jetzt geschaffenen Umstände handeln und solche Forderungen nicht mit der Begründung stellen, da müsse etwas rückgängig gemacht werden, sondern mit der Begründung, daß diese Stellenforderung in das Konzept für die Verteilung der Stellenreserve des Wissenschaftsministers genau hineinpaßt.117
112 UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 146. Sitzung des Senats am 24.10.1984, S. 7. 113 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 20. Sitzung des 7. Senats am 25.3.1987, S. 3–5, Zitat S. 5. 114 Ebd., Protokoll der 17. Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 22.4.1987, S. 3. 115 Vgl. Ebd., Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Senat und Haushalts- und Planungskommission am 24.6.1987, S. 3. 116 Vgl. Ebd., Protokoll der 17. Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 22.4.1987, S. 3. 117 Universität Bielefeld (1985), S. 12.
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Das Rektorat entwickelte daraufhin Pläne zur Gründung einer „Technischen Fakultät“ mit den beiden Schwerpunkten Biotechnologie und Informatik/Informationstechnik. Dem lag die Überlegung zugrunde, dass der Universität diese politisch besonders geförderten Fächer fehlten, die vorhandene naturwissenschaftliche Forschung überwiegend grundlagenorientiert sei und deshalb keine Aussicht auf besondere finanzielle Begünstigung bestehe. Angesichts der Prioritäten des Landes müsse sich die Universität fähig zeigen, „auf Anforderungen an die Forschung, die außerhalb der Universitäten formuliert werden, stärker einzugehen“.118 Bei der Festlegung der fachlichen Ausrichtung der neuzugründenden Fakultät ging das Rektorat einerseits von bestehenden Forschungsschwerpunkten aus – eine C 4-Professur für Genetik und Arbeitsbereiche in der Mathematik und der Linguistik mit Anknüpfungspunkten zur Informatik,119 – andererseits von den Präferenzen derjenigen Dritten, die für die Universität relevante Prämien verteilten. Für den Schwerpunkt Biotechnologie spreche der „Nutzen für die Gesellschaft“ und die „hohe Bereitschaft von Staat, Drittmittelgebern und Industrie, die Forschung finanziell zu fördern“. Zudem bestünden für Studierende wahrscheinlich gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Die Erweiterung des Studienangebots um einen Bereich, „für den eine große Nachfrage zu erwarten ist“,120 war ebenfalls relevant, da die Universität Bielefeld in einigen Studiengängen mit zu niedrigen Studierendenzahlen zu kämpfen hatte und deshalb in der Kürzungsrunde von 1982 Stellen hatte abgeben müssen. Mit einem Studiengang Biotechnologie, so die Hoffnung, könne sogar eine „Vorreiter-Funktion“ eingenommen werden, da ein solcher bislang noch an keiner deutschen Hochschule vorhanden sei.121 In der Biotechnologie spielte die eigenständige Profilierung des aufzubauenden Faches gegenüber den in Deutschland bereits etablierten Forschungszentren auf diesem Gebiet eine wichtige Rolle. Insbesondere im Verhältnis zu Köln suchten die Planer in Bielefeld nach Abgrenzungsmöglichkeiten und Argumenten, mit denen sich eine Technische Fakultät rechtfertigen ließe.122 Auch bei der Diskussion im Senat spielten
118 UA Bielefeld, R 091, Planungsskizze für einen Schwerpunkt „Gentechnologie/Biotechnologie“ in der Fakultät für Biologie sowie einige allgemeine Überlegungen zum Beratungsverfahren, 30.6.1983; für spätere Planungsstufen vgl. unter anderem ebd., S 072, Planungsskizze zum Aufbau einer Technischen Fakultät, Planungsstand vom 7.9.1984. Eine ähnliche Initiative unternahm die Universität Freiburg, die in Reaktion auf eine stärkere Orientierung der Landesregierung auf neue Technologien ab 1987 Pläne zur Gründung einer Fakultät für Angewandte Wissenschaften entwickelte. An dieser Fakultät sollten Angewandte Informatik, Mikrosystemtechnik und Materialwissenschaften vertreten sein. Hier stand als Konkurrenzprojekt auch die Gründung einer neuen Technischen Universität im Raum, doch setzten sich die Universitäten Mannheim und Freiburg mit ihren Plänen für Fakultätsneugründungen durch. Vgl. Rüchardt (2007); Rüchardt war zum Zeitpunkt der Planungen Rektor der Universität Freiburg. 119 Vgl. hierzu auch UA Bielefeld, S 072, Planungsskizze zum Aufbau einer Technischen Fakultät, Planungsstand vom 7.9.1984, S. 16; sowie Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016. 120 UA Bielefeld, S 072, Planungsskizze zum Aufbau einer Technischen Fakultät an der Universität Bielefeld. Planungsstand vom 7.9.1984, S. 3. 121 Ebd., S. 8. 122 Vgl. UA Bielefeld, R 091, Planungsskizze für einen Schwerpunkt „Gentechnologie/Biotechnologie“ in der Fakultät für Biologie sowie einige allgemeine Überlegungen zum Beratungsverfahren, 30.6.1983.
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mögliche Konkurrenzverhältnisse eine Rolle. Ein Senatsmitglied bezweifelte zum Beispiel die Erfolgsaussichten der Informationstechnik, da es angesichts der in Braunschweig, Hannover, Dortmund und Paderborn etablierten Angebote fraglich sei, ob genügend Studierende nach Bielefeld kommen würden und die Forschung sich „im oberen Bereich der Rangskala“ behaupten könne.123 Selbst das Projekt als solches wurde unter Konkurrenzgesichtspunkten betrachtet. Es gehe dabei, so der Rektor, auch darum zu zeigen, dass die Universitäten, entgegen dem verbreiteten Eindruck in der Politik, zu eigenständiger Erneuerung in der Lage seien. Dies werde sich für Bielefeld als Vorteil im kommenden Wettbewerb erweisen.124 Die Informatik und die Mikroelektronik, denen in den Bielefelder und Oldenburger Ausbauplänen eine wichtige Rolle zugemessen wurde, gehörten ebenfalls zu den wissenschaftspolitisch favorisierten Feldern. Den Aufbau der Informatik an deutschen Hochschulen hatten Bund und Länder seit dem Ende der 1960er Jahre koordiniert betrieben. Im Rahmen des „Überregionalen Forschungsprogramms Informatik“ wurden an vierzehn Hochschulen, die bereits einen Grundstock mitbrachten, neue Studiengänge und Forschergruppen aufgebaut.125 Mit der Förderung der Mikroelektronik verbanden sich bei den Landesregierungen besondere Hoffnungen auf eine Behebung der wirtschaftlichen Strukturprobleme, wobei ihnen seit den 1970er Jahren insbesondere das Vorbild des Silicon Valley vor Augen stand. Die Länder konkurrierten um die Ansiedlung von anwendungsorientierten Fraunhofer-Instituten. Welche Bedeutung sie diesen beimaßen, zeigte sich 1978, als Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die von der wirtschaftlichen Strukturkrise besonders betroffen waren, einer Erhöhung des Landesanteils bei der Finanzierung solcher Einrichtungen auf 50 Prozent zustimmten. In den frühen 1980er Jahren bestand hier eine intensive Konkurrenz der einzelnen Bundesländer um renommierte Wissenschaftler, was zu einer neuen Welle von Institutsgründungen führte.126 Auf dem Feld der Informatik verzeichnete die TU München, an der die frühe Entwicklung der Informatik in Deutschland entscheidend geprägt wurde, einen solchen Vorsprung, der für den Ruf und die weitere Entwicklung eines Forschungszentrums von großer Bedeutung sein konnte.127 An den Universitäten entwickelte sich die Informatik in der Regel aus den mathematischen Fachbereichen heraus.128 Der Ausbau solcher Ansätze zu (Teil-)Studiengängen und Forschungsbereichen war für die Universitäten in den 1980er Jahren, sofern sie noch nicht über eine ausgebaute Informatik verfügten, von erheblichem Interesse, da nach Ansicht vieler Wissenschaftler die elektronische Datenverarbeitung zunehmend die Forschungsmethoden anderer Fächer bestimmen und der Bedarf in der Lehre steigen würde. Interessant war für die Universitäten daher auch die Einrichtung von 123 124 125 126 127 128
UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 146. Sitzung des Senats am 24.10.1984, S. 10. Ebd., Protokoll der 163. Sitzung des Senats am 29.10.1986, S. 8 f. Vgl. Pieper (2009), S. 30–34, 194. Vgl. Gall (1999), S. 141–153. Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. Vgl. z. B. für Oldenburg Gorny (1984), S. 223.
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Studiengängen wie Bioinformatik und Wirtschaftsinformatik.129 Die Universität Oldenburg konnte sich 1983 die Zusage der Landesregierung zu einem grundständigen Studiengang in Informatik sichern, da zu diesem Zeitpunkt in Niedersachsen nur an der TU Braunschweig ein solches Angebot vorhanden war.130 Der Senat der FU Berlin beschloss im selben Jahr, die Informatik, die bereits in Anwendungsfeldern vorhanden war, mithilfe von Umschichtungen als Grundlagenfach auszubauen. Ausschlaggebend für die Entscheidung waren auch hier die voraussichtliche wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung sowie die günstigen Auswirkungen für andere Fächer. Angesichts der Kürzungen in anderen Bereichen, so die Vorlage des Präsidenten, dürfe der Erhalt von Altem nicht auf Kosten der Erneuerung gehen.131 Das zweite Gebiet, auf das sich die Ausbaubestrebungen der Universitäten konzentrierten, war die Biotechnologie.132 Nachdem es in den 1970er Jahren möglich geworden war, Mikroorganismen gezielt genetisch zu verändern, und sich rasch die wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten der neuen Technologie in der Pharmazeutik abzeichneten, rückte dieses Forschungsfeld in den Fokus der Wissenschaftspolitik.133 In der Forschungsförderung der Europäischen Gemeinschaft, die in den frühen 1980er Jahren ausgebaut wurde, nahm die Biotechnologie einen wichtigen Platz ein.134 In der Bundesrepublik setzte eine verstärkte Förderung nach dem sogenannten „HoechstSchock“ im Jahr 1981 ein, als das Chemie- und Pharmaunternehmen Hoechst einen Vertrag mit dem Klinikum der Harvard Medical School abschloss. Die Hoechst AG verpflichtete sich darin zum Aufbau einer molekularbiologischen Abteilung für 70 Millionen Dollar. Das Unternehmen erhielt im Gegenzug exklusive Lizenzen für kommerziell verwertbare Ergebnisse und konnte Mitarbeiter in gentechnischen Ar129 Vgl. Rüchardt (2007), S. 743 f., FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 297. Sitzung des Senats am 15.6.1983, Vorlage Nr. C 1773/83. Der Fachbereich Mathematik der FU Berlin sah die Etablierung der Informatik auch als Möglichkeit, den besonders niedrig ausgelasteten mathematischen Studiengang attraktiver zu machen, vgl. ebd., Unterlagen zur Strukturplanung Fachbereich Mathematik, 9.6.1988. In Nordrhein-Westfalen beabsichtigte der Wissenschaftsminister, die vom Bund im Rahmen des Hochschulsonderprogramms ab 1989 bereitgestellten Mittel zur Erhöhung der Ausbildungskapazitäten vorrangig zum Ausbau von Informatik und BWL einzusetzen. Die Universität zu Köln stellte daraufhin einen Antrag auf die Einrichtung eines Studiengangs in Wirtschaftsinformatik, mit dem sie Erfolg hatte; vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 64b, Schreiben des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an die wissenschaftlichen Hochschulen vom 23.3.1989; ebd., Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an den Minister für Wissenschaft und Forschung, o. D.; ebd., Schreiben des Ministers an die Universität zu Köln vom 2.6.1989. 130 Vgl. uni-info, no. 10 (1983), S. 1; Gorny (1984), S. 223 f. 131 FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 297. Sitzung des Senats am 15.6.1983, Vorlage Nr. C 1773/83. Die Bedeutung, die der Informatik u. a. von der Hochschulleitung beigemessen wurde, und der Einfluss, den dies auf die inneruniversitäre Verteilung von Ressourcen hatte, zeigt sich daran, dass die FU Berlin, nachdem das Land Berlin den Studiengang wie auch andere Doppelangebote per Gesetz einstellen wollte, die Möglichkeit nutzte, diesen durch Umschichtungen aus der Mathematik zu erhalten, vgl. Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 10. 132 Mit Konkurrenz auf dem Feld der Biotechnologie beschäftigen sich mehrere Teilprojekte im Rahmen der DFG-Forschergruppe FOR 2553 „Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften“, s. online: https://www.kooperation-und-konkurrenz.geschichte.uni-muenchen.de/index.html. 133 Vgl. hierzu und zum Folgenden Wieland (2009), S. 201–231. 134 S. u. Kap. VI.3.
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beitsmethoden ausbilden lassen. Diese Vereinbarung erregte erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit und erzeugte aus Sicht des Forschungsministeriums in Bonn Handlungsdruck, da sie einen Rückstand der deutschen molekularbiologischen Forschung gegenüber den USA sichtbar werden ließen. In den folgenden Jahren finanzierte der Bund zusammen mit mehreren Wirtschaftsunternehmen den Aufbau von drei „Genzentren“ in Heidelberg, Köln und München, wo die meisten der von den konsultierten Unternehmen als förderungswürdig eingeschätzten Wissenschaftler tätig waren.135 In Berlin wurde mit finanzieller Beteiligung der Schering AG das Institut für Genbiologische Forschung gegründet.136 Die drei Genzentren wurden somit an den Orten errichtet, wo sich bereits früh mikrobiologische Forschung etabliert hatte. Die jeweiligen Regionen hatten schließlich auch Erfolg im Wettbewerb um die Fördergelder, die der Bund im Rahmen des „BioRegio“-Programms vergab.137 Dies zeigt, wie wichtig es war, neue wissenschaftliche Felder vor möglichen Konkurrenten zu besetzen. Angesichts des nunmehr hohen Interesses der Wissenschaftspolitik für die neue Technologie und der als vielversprechend erscheinenden wissenschaftlichen Entwicklung wollten es die Universitäten nicht versäumen, Forschungskapazitäten auf diesem sich rasch entwickelnden Feld zu etablieren.138 Angesichts der raschen Entwicklung kam es für die Universitäten entscheidend darauf an, rechtzeitig vor ihren Konkurrenten Pläne vorzulegen, welche die Wissenschaftsministerien und eventuell andere Mittelgeber von der Einrichtung entsprechender Schwerpunkte überzeugen könnten. Das Bielefelder Rektorat maß daher dem Faktor Zeit eine hohe Bedeutung zu: „Da sich ein Wettbewerb um die Einrichtung solcher Schwerpunkte zwischen mehreren Hochschulen des Landes abzeichnete, setzte das Rektorat alles dran, rechtzeitig die Ansprüche der Universität Bielefeld anzumelden“.139 Vor allem an den Technischen Universitäten bestünden ähnliche Überlegungen, weshalb die Planung möglichst rasch voranzutreiben sei.140 Welche Wechselwirkungen zwischen der Entwicklung von wissenschaftlichen Disziplinen und der interuniversitären Konkurrenz bestanden, lässt sich an der Etablierung der Gesundheitswissenschaften in Deutschland seit dem Ende der 1980er Jahre verfolgen. Dieser Verbund aus medizinischen und sozialwissenschaftlichen Fächern
135 Vgl. Wieland (2010), S. 235–238; die Finanzierung wurde dann sukzessive von den jeweiligen Ländern übernommen, vgl. Barben (2007), S. 122; BMBF (1993), S. 207. 136 Vgl. Wieland (2009), S. 230 f. 137 Vgl. Barben (2007), S. 123; Kaiser (2008), S. 120 f. 138 In Braunschweig, um ein anderes Beispiel zu nennen, entwarfen der Präsident der TU und der wissenschaftliche Direktor der Gesellschaft für biotechnologische Forschung im Jahr 1984 den Plan, ihren Standort zum nationalen Zentrum für Biotechnologie zu entwickeln, unter anderem durch ein Biozentrum und einen Studiengang Biotechnologie an der TU. Für die Universität war dies eine vielversprechende Möglichkeit, den bis dahin prekär ausgestatteten Bereich Biologie mit neuen Mittel zu versehen (vgl. Schramm (2003), S. 79 f.). 139 Universität Bielefeld (1985), S. 13. 140 UA Bielefeld, S 072, Planungsskizze zum Aufbau einer Technischen Fakultät an der Universität Bielefeld. Planungsstand vom 7.9.1984, S. 8.
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war in den USA zu dieser Zeit bereits unter der Bezeichnung „Public Health“ institutionalisiert. Die Entwicklung in Deutschland nahm ihren Ausgang mit der Verabschiedung der Charta der Weltgesundheitsorganisation zur Gesundheitsförderung 1986 in Ottawa. In den folgenden Jahren formierte sich in der Bundesrepublik eine Bewegung, die gesundheitswissenschaftliche Ansätze in Praxis, Politik und Wissenschaft umgesetzt sehen wollte. Zu den ersten Universitäten, an denen die Gesundheitswissenschaften Fuß fassten, zählte die TU Berlin, wo ein Unternehmensberater die Hochschulleitung überzeugt hatte, dass damit ein vielversprechendes Feld entstehe. 1989 kündigte das Bundesforschungsministerium ein Programm zur Förderung des Faches an.141 Die Universität Bielefeld klinkte sich schon früh in diese Entwicklung ein, indem sie 1988 ein Zentrum für Gesundheitswissenschaften in der Fakultät für Soziologie gründete, 1989 den ersten gesundheitswissenschaftlichen Studiengang einrichtete und 1991 einen Lehrstuhl für Gesundheitswissenschaften mit Bernhard Badura besetzte, der zuvor an der TU Berlin tätig gewesen war.142 In einer ersten Projektskizze von 1989 stellen die Initiatoren einen dringenden Handlungsbedarf fest, da der gesundheitswissenschaftliche Studiengang bereits das Interesse anderer nordrhein-westfälischer Hochschulen geweckt habe und man den bestehenden Vorsprung nicht aufgeben dürfe.143 Das Bielefelder Rektorat griff diese Pläne, die von einer Gruppe von Wissenschaftlern aus mehreren Fakultäten entwickelt worden waren, auf und stellte sich hinter das Vorhaben, eine gesundheitswissenschaftliche Fakultät zu gründen.144 Für diese Entscheidung sprach aus seiner Sicht, „daß es in der Bundesrepublik einen großen Bedarf an Forschung (Gesundheitssystemforschung und Evaluation), an Managementkompetenz und an Beratung im Bereich Gesundheitsplanung und Gesundheitspolitik gibt“, zugleich aber noch keine akademische Lehre auf diesem Feld etabliert sei.145 Es gebe, so der Rektor gegenüber dem Senat, fruchtbare Forschungsmöglichkeiten und einen hohen Bedarf an Personal, der Staat werde künftig in wachsendem Maß Mittel für das Fach bereitstellen.146 Wie im Fall der Biotechnologie machte die Aussicht auf wissenschaftliche Dynamik und eine politische Begünstigung des neuen Fachs (nicht zuletzt wegen der Finanzierungsprobleme des Gesundheitssystems), also ein Vorteil in künftigen Konkurrenzverhältnissen, einen Einstieg aus Sicht der beteiligten Wissenschaftler und der Hochschulleitung attraktiv. Auch Mediziner der Freien Universität Berlin verfolgten die Entwicklung der Gesundheitswissenschaften in Deutschland mit großem Interesse und sahen sich in Konkurrenz mit der TU Berlin um eine Etablierung des Fachs. Der für die Medizin zuständi141 Vgl. Räbiger (2011), S. 127–129. 142 Vgl. Schnabel/Wolters (2011), S. 107 f.; zu Baduras Tätigkeit an der TU Berlin vgl. Räbiger (2011), S. 127 f. 143 Vgl. UA Bielefeld, R 134, Projektskizze zur Errichtung eines Instituts für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld, 1989. 144 Ebd., R 014, Protokoll der 758. Sitzung des Rektorats am 27.3.1990. 145 Universität Bielefeld (1993), S. 14–16. 146 Vgl. UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 208. Sitzung des Senats am 22.1.1992.
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ge Vizepräsident warf 1991 der früheren Hochschulleitung vor, sie habe das Thema trotz Initiativen aus der Universität „völlig unter den Tisch gekehrt“. Während die Gesundheitswissenschaften an der TU Chefsache seien und stark unterstützt würden, habe sich die Leitung der FU durch die „Unbeweglichkeit eines Tankers“ ausgezeichnet.147 Damit habe man entscheidende Vorteile verspielt, denn die Anträge anderer Universitäten und insbesondere der TU Berlin für die Förderprogramme des Bundes seien erfolgreich gewesen, „obwohl dort das Fächerspektrum und die Zahl der interessierten Wissenschaftler wesentlich kleiner sind als an der FU Berlin“. In dieser „Konkurrenzsituation“ bedürfe es nun besonderer Anstrengungen, „um die organisatorische Schlagkraft der FU in diesem Problembereich zu stärken“.148 Der FU Berlin gelang die Beteiligung an dem Förderprogramm letztlich durch einen gemeinsamen Antrag mit der TU.149 Zu dieser Zeit waren die Gesundheitswissenschaften in Deutschland noch in der Formierung begriffen und konzeptuell im Fluss, sowohl was die zu beteiligenden Disziplinen als auch was ihre Erkenntnisgegenstände anging.150 Hier zeigt sich eine weitere Verbindung zwischen Disziplinentwicklung und institutioneller Konkurrenz: Für Bielefeld kam es nämlich insbesondere darauf an, ein wissenschaftlich tragfähiges Konzept zu entwickeln, das stark sozialwissenschaftlich und weniger medizinisch geprägt war. Denn die Universität verfügte über keine medizinische Fakultät, was sowohl innerhalb der Hochschule als auch im Wissenschaftsministerium zu Zweifeln an den Plänen führte. Die beteiligten Wissenschaftler und das Rektorat hoben daher die Vorteile eher sozialwissenschaftlich geprägter Gesundheitswissenschaften hervor und verwiesen darauf, dass die Präsenz einer medizinischen Fakultät für die neue Disziplin sogar eher nachteilig wirken würde. Ein Durchbruch gelang ihnen mit einer Anhörung internationaler Experten, denen zufolge eine Gründung unter den in Bielefeld gegebenen Voraussetzungen möglich sei. Diese Art von Konkurrenzverhalten, der gezielte Aufbau aussichtsreicher Fächer, war in den Universitäten durchaus umstritten. Andere Bereiche, vor allem die Sozial- und Geisteswissenschaften, die von den Kürzungsrunden der Länder am stärksten betroffen waren, befürchteten weitere Benachteiligungen. Dies war etwa bei den Bielefelder Plänen zur Errichtung einer Technischen Fakultät der Fall, da es sich vor allem bei der Biotechnologie wegen der hohen Anforderungen an die apparative Ausstattung um ein ‚teures‘ Fach handelte.151 Tatsächlich waren in Bielefeld die Initiativen zur Errichtung der Technischen Fakultät und später der Fakultät für Gesundheitswissen147 FU Berlin, UA, Präsidium, KR 13, Vermerk des 2. Vizepräsidenten für die Kleine Routine, 4.7.1991. 148 Ebd., KR 14, Vermerk des 2. Vizepräsidenten für die Kleine Routine. Public Health, [o. D., wahrscheinlich Oktober 1991]. 149 Vgl. Ebd., Zeittafel: Berliner Aktivitäten zum Thema Public Health (Gesundheitswissenschaften), [o. D. 1991]. 150 Hierzu und zum Folgenden vgl. Schnabel/Wolters (2011), S. 104–106; UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 208. Sitzung des Senats am 22.1.1992. 151 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985, S. 10. Ähnliche Diskussionen um die Frage der Ressourcenverteilungen gab es anlässlich der Pläne zum Ausbau der Gesundheitswissenschaften, vgl. ebd., S 122, Protokoll der 208. Sitzung des Senats am 22.1.1992. Auch an der TU Braunschweig
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schaften wie auch in Oldenburg der Ausbau der Informatik und die Gründung eines interdisziplinären naturwissenschaftlichen Instituts mit internen Stellenumwidmungen verbunden. Diese wurden teils von den Ministerien gefordert, teils von den Hochschulleitungen selbst eingeplant, um die Chancen auf Unterstützung zu verbessern.152 Die Vertreter anderer Fächer befürchteten darüber hinaus aber, dass die neuen, bevorzugten Bereiche zu Konkurrenten in der universitätsinternen Verteilung von Stellen und Mitteln werden und weitere Ressourcen an sich ziehen könnten.153 Ein Dekan an der Universität Bielefeld beklagte in der Diskussion über die Technische Fakultät 1985, die neue Politik der Umschichtungen erzeuge einen Verteilungskampf zwischen den Fächern und sorge damit für Unfrieden in der Universität.154 Auch der Oldenburger Präsident Horst Zilleßen befürchtete 1986, dass angesichts der einseitigen Forschungspolitik des Landes und der knapper werdenden Ressourcen „die Auseinandersetzung zwischen den Geisteswissenschaften und den Naturwissenschaften immer härtere Formen“ annehmen werde.155 An beiden Universitäten reagierten die Hochschulleitungen auf Kritik an ihren Umschichtungsplänen mit dem Argument, „auch eine Verweigerung gegenüber neuen Entwicklungsvorhaben der Universität und damit notwendigen Stellenumwidmungen [biete] keine Gewähr dafür, daß der Stellenbestand der betreffenden Einrichtung oder Fakultät gesichert“ sei.156 Die Umwidmungen seien, so der Bielefelder Rektor, aufgrund des Konkurrenzkampfs zwischen den Universitäten notwendig.157 Letztendlich setzten sich die Befürworter der Projekte mit derartigen Argumenten in den Senaten durch, was nötig war, da diese die Umwidmung von Stellen und die Gründung neuer Einrichtungen zu dieser Zeit noch beschließen mussten. Trotzdem kann von einer signifikanten Gewichtsverlagerung und Machtverschiebung innerhalb der Universitäten gesprochen werden, da sich mit diesem schwer zurückzuweisenden Argument interne Umschichtungen von Ressourcen durchsetzen ließen, die vor allem einem Teil der an der Universität arbeitenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zugute kamen. Es profitierten die Vertreter der nunmehr politisch bevorzugten Fächer und der benachbarten Disziplinen, da sich auch neue Kooperationsmöglichkeiten in Forgab es Befürchtungen, der forcierte Aufbau der Biotechnologie werde zu internen Umschichtungen führen, vgl. Schramm (2003), S. 80. 152 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985; Krauß (1994), S. 50; UAOL 20002 ZW, Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Senat und Haushalts- und Planungskommission am 24.6.1987, S. 3. 153 Vgl. Ebd., Stellungnahme der Geistes- und sozialwissenschaftlichen Planungskommission zur Einrichtung eines ingenieurwissenschaftlichen Studiums an der Universität Oldenburg, 8.7.1992, Anlage zum Protokoll der 14. Sitzung des 10. Senats am 8.7.1992; UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985, S. 10. Ähnliche Befürchtungen gab es auch anlässlich der Pläne des Rektorats der Universität Freiburg, eine „Fakultät für Angewandte Wissenschaften“ zu gründen, vgl. Rüchardt (2007), S. 745. 154 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung am 6.2.1985, S. 15. 155 Der Präsident der Universität Oldenburg (1986), S. 5. 156 UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985, S. 12 f.; vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der gemeinsamen Sitzung von Senat und Haushalts- und Planungskommission am 24.6.1987, S. 3. 157 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985, S. 18.
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schung und Lehre ergaben.158 Interuniversitäre Konkurrenz führte zu inneruniversitärer Konkurrenz, indem sie Umschichtungen innerhalb der einzelnen Einrichtungen tendenziell prämierte und als unausweichlich erscheinen ließ. Zudem argumentierten die Verteidiger der konkurrenzorientierten Ausbaupläne, wenn sie die Erhaltung des Stellenbestandes der Universität in den Mittelpunkt rückten, nicht mit Partikularinteressen, sondern mit solchen, die ihrer Hochschule als Organisation zugeschrieben wurden. Der Bielefelder Rektor Karl Peter Grotemeyer, der in besonderem Maße an Konsens und Verständigung innerhalb der Universität orientiert war, machte die Differenz der Perspektiven explizit, indem er vor dem Senat ausführte: Gewiß ist einzuräumen, daß es hier einen Widerspruch zwischen der Leitung einer Hochschule und einzelnen Fakultäten geben mag: Während dieser eine Stellenumwidmung per saldo als Ressourcensicherung gilt, erscheint sie jenen als Verlust. […] Das Rektorat muß daran interessiert sein, die weitere Entwicklung der Universität insgesamt zu sichern. Daher ist es seine Aufgabe, diese selbst zu steuern.159
Interuniversitäre Konkurrenz trug somit auch zur diskursiven Konstruktion der Universität als Organisation mit eigenen Interessen bei und damit auch zur Etablierung einer Argumentationsfigur, mit der sich Entscheidungen begründen ließen, die zur Ungleichbehandlung von verschiedenen Fächern führten. So stimmte etwa ein Vertreter der Bielefelder Fakultät für Geschichtswissenschaft in der Diskussion um die Gesundheitswissenschaften dem Argument zu, dass Initiativen wie diese nötig seien, um den Bestand der Universität zu sichern, auch wenn seine Fakultät derzeit stark von Kürzungen bedroht sei.160 Die Gründung der Technischen Fakultät diente Mitgliedern des Senats in späteren Debatten wiederholt als Exempel für die Überwindung von Partikularinteressen zugunsten der Gesamtuniversität.161 An der Personalentwicklung der Hochschulen lässt sich ablesen, wie sich die neue Bevorzugung einiger Fächer und die verstärkte Orientierung der Wissenschaftsfinanzierung an Forschung und wirtschaftlichem Bedarf auf das deutsche Hochschulsystem auswirkten. In den Sprach- und Kulturwissenschaften stieg die Zahl der Professoren 158 Darauf bezog sich z. B. die Forderung eines Senators aus der Bielefelder Fakultät für Soziologie, wonach die Stellen für die Technische Fakultät aus den fachlich nahestehenden Naturwissenschaften herangezogen werden sollten, da vor allem diese von der Erweiterung profitierten, vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6.2.1985, S. 17. Offenbar standen auch Vorwürfe im Raum, die Fakultät für Biologie habe bei der Technische Fakultät vor allem die eigenen Interessen im Blick, vgl. ebd., S. 19. Der Strukturplan, den das Präsidium der FU Berlin 1982 als Konsequenz von Haushaltskürzungen aufstellte, sah eine stärkere Belastung der Geistes- gegenüber den Naturwissenschaften vor, was im Zusammenhang mit dem Drängen des Wissenschaftssenators auf eine stärkere Orientierung am gesellschaftlichen Bedarf stand, vgl. FU Berlin, UA, FBR Philosophie und Sozialwissenschaften I, Schreiben des geschäftsführenden Direktor des Instituts für Soziologie an den Präsidenten vom 12.1.1983; ebd. Schreiben des Direktors des Psychologischen Instituts an den Präsidenten vom 25.1.1983. 159 UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 148. Sitzung des Senats am 6. Gebruar 1985, S. 12 f. 160 Vgl. ebd., S 122, Protokoll der 212. Sitzung des Senats am 24.6.1992. 161 Vgl. ebd., Protokoll der 227. Sitzung des Senats am 19.1.1994.
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bis 1984 auf 5 741, um dann auf 5 370 im Jahr 1990 zurückzugehen. Der Abwärtstrend setzte sich nach der Integration des ostdeutschen Wissenschaftssystems fort: Die Zahl der Professuren sank von 6 125 im Jahr 1993 auf 5 583 Mitte der 2000er Jahre. Betrachtet man das gesamte hauptberufliche wissenschaftliche Personal in diesen Fächern, so ist zwar kein deutlicher Rückgang, wohl aber eine Stagnation festzustellen. Angesichts dessen, dass allein schon in den 1980er Jahren die Zahl der Studierenden in diesen Fächern von 236 000 auf 303 000 zunahm, bedeutete dies eine Entkoppelung des Personalausbaus von der Nachfrage nach Studienplätzen. Während in den 1970er Jahren das Verhältnis zwischen Studierenden und hauptberuflichem wissenschaftlichem Personal in den Sprach- und Kulturwissenschaften weitgehend konstant bei etwa 16 : 1 gelegen hatte, stieg dieser Wert bis 1990 auf 21,3 : 1. Solche Betreuungsverhältnisse blieben auch in den folgenden Jahren Normalität.162 10000
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Ingenieurwissenschaften Sprach- und Kulturwissenschaften Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Mathematik und Naturwissenschaften
Abb. 2: Zahl der Professuren ausgewählter Fächergruppen an Hochschulen in der Bundesrepublik (1980–2006) Zahlen: Lundgreen (2009).
162 Zahlen aus Lundgreen (2009), Tab 2.12, 2.31 und 2.129. Die Zahlen beziehen sich auf alle Hochschulen, nicht nur auf Universitäten. Dass der Rückgang der Professorenstellen erst nach 1984 begann, liegt wohl haupt-
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Ganz anders entwickelte sich der Stellenbestand in der Mathematik und den Naturwissenschaften. Hier setzte sich der Ausbau, wenngleich etwas langsamer, auch in den 1980er Jahren fort mit einem Anstieg der Zahl der Professuren von 4 921 1980 auf 6 223 1990. Eine entsprechende Entwicklung gab es auch beim gesamten hauptberuflichen wissenschaftlichen Personal. Dies bedeutete wegen der ebenfalls stark ansteigenden Studierendenzahlen zwar keine Verbesserung der Betreuungsrelationen, hielt diese aber auf ähnlichem Niveau wie in den 1970er Jahren, nämlich bei 8,6 : 1 bis 9,6 : 1. Mitte der 2000er lagen die Personalzahlen ebenfalls deutlich höher als nach der Eingliederung der ostdeutschen Hochschulen in das bundesdeutsche System.163 Auch in den Ingenieurwissenschaften setzte sich der Aufwärtstrend der 1970er in den folgenden eineinhalb Jahrzehnten fort, wenngleich insgesamt deutlich weniger ausgeprägt als in den Naturwissenschaften. Wegen der wachsenden Studierendenzahlen stieg die Betreuungsrelation hier allerdings während der 1980er Jahre deutlich an von 12,4 : 1 auf 18,8 : 1, um sich im folgenden Jahrzehnt wegen zurückgehender Nachfrage wieder zu verringern.164 Die Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften konnten für die Zeit von 1980 bis Mitte der 2000er Jahre ebenfalls einen stetigen Zuwachs an Personalstellen verzeichnen, der aber, wie in den Ingenieurwissenschaften, nicht mit der Entwicklung der Studierendenzahlen mithielt. Die statistische Zusammenfassung der Sozialwissenschaften mit der stark expandierenden BWL in einer Fächergruppe täuscht hier allerdings über einen in den Statistiken einzelner Universitäten klar abzulesenden Rückgang des Stellenbestandes in Soziologie, Politikwissenschaft und Pädagogik hinweg.165 In Oldenburg zum Beispiel verloren in den 1980er und 1990er Jahren die Pädagogik und die Soziologie jeweils mehr als ein Drittel ihres Personalbestandes, während die Wirtschaftswissenschaften ausgebaut wurden.166 Diese Zahlen zeigen, wie eine veränderte wissenschaftspolitische Prioritätensetzung der Landesregierungen in Verbindung mit der Verschlechterung der Staatsfinanzen dazu führte, dass manche Fächer zu Lasten anderer finanziell bevorzugt wurden und sich die Studienbedingungen und die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen in den als weniger wichtig erachteten Disziplinen im Vergleich verschlechterten. Diese Verschiebung der Ressourcenströme führte zwar zu interuniversitärer Konkurrenz und war durch diese zumindest insofern geprägt, als die Expansion der Natur- und Ingenieurwissenschaften auch auf Ausbauprojekte der Universitäten selbst, also auf ihr Konkurrenzverhalten, zurückging. Jedoch hätte dasselbe Ergebnis auch zustande kommen können, ohne dass Universitäten um die knappen Zuwächse in den Hochschulhaushalten konkurrierten. Die Wissenschaftsministerien sächlich darin begründet, dass Kürzungsrunden, die wie erwähnt bereits früher einsetzten, sich erst nach mehreren Jahren mit dem altersbedingten Ausscheiden oder der Wegberufung der Stelleninhaber voll auswirken. 163 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 2.14, 2.33 und 2.130. 164 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 2.21 und 2.134. 165 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 2.17 und 2.132. 166 Vgl. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (1981); Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (1999); zur Universität Bielefeld vgl. Universität Bielefeld (1983); Universität Bielefeld (2000).
4. Kon urrenn um die Besetnung neuer hissenschaflicher elder
wären in der Lage gewesen, diese Veränderungen auch ohne das Konkurrenzverhalten der Universitäten durchzusetzen, wie etwa im Fall Bremens, wo zu Beginn der 1980er Jahre der sozialdemokratische Wissenschaftssenator Horst Werner Franke einen Umbau der einzigen Universität des Landes von einer stark auf die Lehrerausbildung ausgerichteten Einrichtung zu einer mehr natur- und ingenieurwissenschaftlich geprägten Forschungsuniversität in Angriff nahm.167 Das Konkurrenzverhalten der Universitäten beeinflusste daher zwar die Verteilung der Ressourcen innerhalb des Hochschulsystems eines Bundeslandes, nicht aber in entscheidender Weise die Verschiebungen zwischen den Fächergruppen, den die angeführten Zahlen auf aggregierter Ebene ausweisen. Nur in dem Maße, in dem die Entscheidung über die Verteilung der Ressourcen für wissenschaftliches Personal auf die Fächer von den Ministerien auf die Universitäten selbst überging – ein Prozess, der erst ab dem Ende der 1990er Jahre begann, – konnten die Entscheidungen einzelner Universitäten in der Summe zu derartigen Veränderungen führen.168 Nicht an allen Universitäten löste die neue Situation allerdings so deutliche Reaktionen aus wie in Bielefeld und Oldenburg. Die Ursachen dafür sind vielfältig und anhand weniger Fallbeispiele nicht erschöpfend auszuleuchten. Karl Peter Grotemeyer jedenfalls sah deutliche Unterschiede im Verhalten der nordrhein-westfälischen Universitäten und führte gegenüber dem Konvent mehrere Gründe dafür an, dass sein Rektorat keinen defensiven, auf die Verteidigung von Besitzständen beschränkten Kurs eingeschlagen habe: „Erstens wird die Universität Bielefeld wegen ihres Fächerspektrums und wegen ihrer geographischen Lage aller Voraussicht nach von zurückgehenden Studentenzahlen stärker als andere Hochschulen betroffen werden, und zweitens verfügt sie – anders als große alte Universitäten wie Köln und Münster – nicht über eine solche ‚schiere Masse‘ an Ressourcen, daß Veränderungen ohne deutlich spürbare Konsequenzen hingenommen werden könnten.“169 Tatsächlich standen sowohl Bielefeld als auch Oldenburg wegen ihrer niedrigen Auslastung infolge ihrer mangelnden überregionalen Attraktivität – und Oldenburg zudem wegen der Konzentration des Studienangebots auf die Lehrerausbildung – unter einem besonderen Kürzungsdruck. Universitäten wie die FU Berlin, die TU München und Köln hingegen waren viel stärker ausgelastet, in den meisten Fächern nach den Maßstäben der Kapazitätsberechnung sogar überlastet.170 Wegen dieser Überlastung erscheint es allerdings fragwürdig zu behaupten, Kürzungen wären für diese Universitäten leichter zu verschmerzen gewesen. Wichtiger dürften andere Faktoren gewesen sein, wie das Fächerspektrum der Universitäten zu Beginn der 1980er Jahre. Für die TU München stellte der Wandel der wissenschaftspolitischen Prioritätensetzung hin zu den Natur- und Ingenieurwissen167 Vgl. Meier-Hüsing (2011), S. 89. 168 S. u. Kap. III.4. 169 Universität Bielefeld (1987), S. 5. 170 Vgl. Der Präsident der FU Berlin (1999), S. 17; UA Köln, Zugang 694, Nr. 133b, Schreiben des Rektorats der Universität zu Köln an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7.3.1991.
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schaften, der zum Beispiel an der Universität Oldenburg als Problem wahrgenommen wurde,171 keine Bedrohung dar, sondern war vielmehr von ihren Vertretern gefordert worden. Sie verfügte als einzige Technische Universität in Bayern zudem in einigen Feldern über einen Sonderstatus: Die technischen Fächer an der Universität Erlangen-Nürnberg waren deutlich kleiner, manche Fächer wie Bauingenieurwesen, Architektur, Landwirtschaft und Radiochemie in Bayern ansonsten gar nicht vertreten. Deshalb war die TU von der Konkurrenz um die Grundfinanzierung kaum negativ betroffen.172 Die Universität zu Köln wiederum verfügte zwar nicht über Ingenieur-, aber über ein breites Fächerspektrum in den Naturwissenschaften, so dass ein Aufbau völlig neuer Felder nicht nötig war, um an den knapper gewordenen Zuwächsen partizipieren zu können. In der Genetik, einem der Fächer mit vielversprechenden Entwicklungsaussichten, hatte Köln durch die frühe Etablierung dieses Forschungsbereichs sogar lange einen deutlichen Vorteil gegenüber vielen anderen Universitäten.173 Hinzu kam, dass insbesondere in Köln die Rektorate bis in die 1990er Jahre hinein, verglichen mit den Hochschulleitungen in Bielefeld und Oldenburg, eine schwache Rolle spielten.174 Sie überließen die Entwicklungsplanung überwiegend den Fakultäten und vermieden Umverteilungen zwischen den Fächergruppen.175 Der Kölner Rektor protestierte wie auch der Senat gegen die vom nordrhein-westfälischen Wissenschaftsministerium 1988 beschlossenen Kürzungen und Umschichtungen: Das Verfahren, durch ministerielle Stellenfonds Umverteilungen herbeizuführen sei mit der Autonomie der Wissenschaft nicht vereinbar.176 Da den zentralen Instanzen der Universität somit keine eigenständige Handlungsmacht zugeschrieben und die Kürzungen des Ministeriums in erster Linie als hierarchische Eingriffe interpretiert wurden, musste ein Konkurrenzverhalten, wie es die Universitäten Bielefeld und Oldenburg an den Tag legten, unwahrscheinlich werden.
171 UAOL 20002–250, Protokoll der 15. Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 31.10.1984, S. 5. 172 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 173 Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016. 174 Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017. Bereits der Vergleich der Amtszeiten der Rektoren und Präsidenten ist aufschlussreich: An der Universität zu Köln übten die Rektoren ihr Amt bis 1986, als per Gesetz eine vierjährige Amtszeit vorgeschrieben wurde, in der Regel für lediglich zwei Jahre aus. Karl Peter Grotemeyer hingegen war für 22 Jahre Rektor der Universität Bielefeld, Michael Daxner amtierte für zwölf Jahre als Präsident der Universität Oldenburg. 175 Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016. Auch der Präsident der TU München von 1987 bis 1995, Otto Meitinger, hielt die Entwicklungsplanung für eine Angelegenheit der Fakultäten (Gespräch mit Prof. Dr. Otto Meitinger am 21.4.2016). Umwidmungen von Professuren waren zu seiner Amtszeit, anders als unter seinem Nachfolger, noch nicht üblich (Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016). 176 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 64b, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 7.6.1988; ebd., Entschließung des Senats der Universität zu Köln, Perspektiven der Hochschulentwicklung, 13.7.1988.
5. Drittmittel als Leistungsnachheis
5. Drittmittel als Leistungsnachweis Die Verknappung der staatlichen Finanzen und die verstärkte Orientierung der Wissenschaftsministerien an Forschung und Schwerpunktbildung führten nicht nur dazu, dass Universitäten seit den 1980er Jahren in verstärktem Maße um ihre Grundfinanzierung konkurrierten, sondern ließ sie auch zu Konkurrenten um Drittmittel werden. Unter dem Begriff „Drittmittel“ wurden alle Gelder zusammengefasst, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Hochschulen von „Dritten“, das heißt nicht von den Ländern im Rahmen des Hochschulhaushalts, zugewiesen wurden. Drittmittel standen in der Regel zweckgebunden für einzelne Forschungsprojekte zur Verfügung. Sie konnten aus verschiedenen Quellen stammen, wie von der öffentlich finanzierten DFG, von Bundes- und Länderministerien, Stiftungen oder Wirtschaftsunternehmen. Entsprechend unterschiedlich waren auch die Formen der Einwerbung, die sowohl wettbewerbliche Antragsverfahren als auch die Vergabe von Forschungsaufträgen einschlossen. Die Adressaten dieser Mittel waren einzelne Wissenschaftler oder Forschergruppen, wenngleich in manchen Fällen, so vor allem bei den SFBs der DFG, die Universitäten als Antragsteller firmierten. Um Drittmittel als Prämie, die von diesen verschiedenen „Dritten“ vergeben wurde, konkurrierten also in erster Linie die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die für ihre Forschungsvorhaben auf zusätzliche Mittel angewiesen waren und sich um deren Einwerbung bemühten. Zu Konkurrenten um Drittmittel wurden Universitäten als Organisationen erst dadurch, dass die Wissenschaftsministerien der Länder, die seit den frühen 1980er Jahren zunehmend Wert auf die Forschungstätigkeit in Universitäten und auf die Bildung von Forschungsschwerpunkten legten, Drittmitteleinwerbungen zu einem Kriterium für die Zuweisung von Stellen und Mitteln machten. Dahinter stand auch das Interesse der einzelnen Bundesländer, sich einen möglichst großen Anteil aus dem gemeinsam von Bund und Ländern finanzierten Haushalt der DFG zu sichern. So mussten nordrhein-westfälische Universitäten im Rahmen der Kürzungsrunde von 1982 ihren Stellenbestand in Fächern, die in der Lehre vergleichsweise niedrig ausgelastet waren, über Forschungsschwerpunkte rechtfertigen, also zum Beispiel durch SFBs.177 Das niedersächsische Wissenschaftsministerium stellte in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre Vergleiche der Drittmitteleinwerbungen der Universitäten des Landes an und machte ihr Fehlen zu einem Kriterium für Kürzungen.178 Die Zuweisung von Stellen aus den neugeschaffenen zentralen Fonds der Ministerien hing ebenfalls stark vom Erfolg der Universitäten bei der Drittmitteleinwerbung ab. Neben der Förderung der politisch favorisierten Fächer wurden Drittmittel zum zweiten ausschlaggebenden Kriterium in 177 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 887, Niederschrift über die Sitzung des Senats am 19.5.1982, S. 3. Die besonders niedrig ausgelastete Physik an der Universität Bielefeld blieb vor allem wegen eines Sonderforschungsbereichs von den Kürzungen verschont, vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 49. 178 Vgl. UAOL 20002 ZW, Der Präsident der Universität Oldenburg, Vorlage an den Senat und an das Konzil. Ausbauperspektiven der Universität Oldenburg, 17.5.1988; ebd., Protokoll der 13. Sitzung des 8. Senats am 1.6.1988.
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diesen Verfahren.179 In den Ministerien machten vor allem „sozusagen objektivierbare Attestate wie Drittmittelzuweisungen oder externe Begutachtungen“ Eindruck, wie der Bielefelder Rektor Grotemeyer feststellte.180 „Die Höhe eingeworbener Drittmittel wird immer häufiger zur Leistungs- und Qualitätsbewertung eines Faches oder einer ganzen Universität herangezogen.“ Auch wenn die Summe solcher Gelder nicht aussagekräftig für die Qualität der Forschung sei, bleibe „kaum eine andere Wahl, [als] sich selbst auch mit Daten zur Drittmitteleinwerbung darzustellen und ins rechte Licht zu rücken“, denn „Drittmittelquoten sind inzwischen zu einem wesentlichen Kriterium für die Zuweisung von Personalstellen aus den landesweiten Umverteilungstöpfen durch den MWF [Minister für Wissenschaft und Forschung; A. M.] und den Landtag geworden“.181 Auch auf der Ebene der Fakultäten war der Druck zu verstärkter Drittmitteleinwerbung spürbar, wie das Beispiel der Bielefelder Historiker zeigt, die zu Beginn der 1990er Jahre versuchten, sich durch Anträge auf einen Sonderforschungsbereich und ein Graduiertenkolleg gegen drohende Kürzungen wegen niedriger Studierendenzahlen abzusichern.182 Universitäten verwiesen daher gegenüber den Landesregierungen auf Drittmittelzahlen, um sich im Vergleich mit ihren Konkurrenten in ein günstigeres Licht zu rücken, so zum Beispiel die Universität Osnabrück gegenüber Oldenburg nach der Veröffentlichung eines Drittmittel-Rankings durch die DFG 1997.183 In der Darstellung von Universitäten nach außen wie auch gegenüber den eigenen Mitgliedern nahm der Verweis auf Drittmittel und insbesondere auf SFBs als Leistungsausweis in der Forschung eine zentrale Rolle ein. So betonte etwa der damalige Präsident der TU München, Otto Meitinger, in seiner Rede zum „Dies Academicus“, zu dem sowohl Mitglieder der Universität als auch auswärtige Gäste, vor allem aus der Landespolitik, eingeladen waren, dass seine Universität bei der Zahl der Sonderforschungsbereiche in Deutschland an der Spitze stehe. Die Einwerbung von Drittmitteln sei als „Kriterium für Bedeutung und Rang der Forschung an einer Universität“ zu werten.184 Die Nennung von Drittmitteleinwerbungen und insbesondere von Verbundprojekten wie den Sonderforschungsbereichen avancierte seit den 1980er Jahren zum omnipräsenten Topos.185
179 Vgl. z. B. UA Köln, Zugang 694, Nr. 117a, Schreiben des nordrhein-westfälischen Ministers für Wissenschaft und Forschung an die wissenschaftlichen Hochschulen vom 8.12.1983. 180 UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 163. Sitzung des Senats am 29.10.1985, S. 9. 181 Universität Bielefeld (1990), S. 52 f. 182 Vgl. UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 212. Sitzung des Senats am 24.6.1992. 183 Vgl. UAOL 20002 ZW, Anlage zum Protokoll der 8. Sitzung des 13. Senats am 28.1.1998, Bericht des Präsidenten an den Senat, 27.1.1998, S. 2. Zum Drittmittelranking der DFG s. u. Kap. V.1. 184 Vgl. TUM Mitteilungen, no. 2 (1988/1989), S. 3–11. 185 Vgl. z. B. die Rede Gernot Gutmanns zur Übernahme des Rektoramts an der Universität zu Köln (Staak/Gutmann (1985), S. 30 f.) oder die Äußerung des Präsidenten der FU Berlin von 1986, Drittmittel seien „auch als Indiz für besonders herausragende Leistungen im Bereich der Forschung“ zu sehen und Sonderforschungsbereiche stellten „mehr als alle anderen Förderungsformen auch überregional ein Zeichen für extrem hochqualifizierte Forschungsleistungen“ dar (FU Berlin (1987), S. 9).
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Dass sich Drittmittel zum wichtigsten Leistungskriterium interuniversitärer Konkurrenzverhältnisse entwickelten, hing auch mit der Finanzverfassung des deutschen Bundesstaates zusammen. Grundsätzlich fielen die Hochschulen in den Kompetenzbereich der Länder, doch konnte sich der Bund seit 1969 im Rahmen des „kooperativen Föderalismus“ finanziell am Hochschulbau und der Forschungsförderung beteiligen.186 Letzteres geschah nicht zuletzt über die DFG, deren Mittel zu mehr als der Hälfte aus dem Bundeshaushalt stammten. Da der Bund tendenziell zahlungskräftiger war als die Länder, wuchs der Etat der DFG deutlich stärker als die Grundfinanzierung der Universitäten. So stiegen die Grundmittel der Universitäten (ohne medizinische Einrichtungen) zwischen 1980 und 2012 nominell von umgerechnet 4,901 auf 19,176 Milliarden Euro, also auf knapp das Vierfache. Der Haushalt der DFG hingegen wuchs auf mehr als das Sechsfache an, nämlich von 0,417 auf 2,544 Milliarden Euro.187 Drittmittel waren zunehmend nötig, um überhaupt Forschung betreiben zu können. Zugleich mussten die Länder ein Interesse daran haben, durch Drittmitteleinwerbungen möglichst viele Bundesmittel an ihre Hochschulen zu ziehen. Sowohl für die Wissenschaftsministerien als auch für die Universitäten hatten die SFBs eine herausragende Bedeutung. Dieses Förderprogramm der DFG entstand im Kontext einer Diskussion über die Schwerpunktbildung an Universitäten in den 1960er Jahren. Der Wissenschaftsrat verband damit das Ziel, Ressourcen durch eine Konzentration an einzelnen Standorten und durch überregionale Abstimmung der Forschungsgebiete effizienter einsetzen zu können. Zudem sollten durch die Etablierung von koordinierter Forschung innerhalb der Universitäten diese gegenüber den außeruniversitären Forschungseinrichtungen gestärkt und die Abwanderung besonders qualifizierter Wissenschaftler aus den Hochschulen verhindert werden.188 Die DFG, die zu dieser Zeit nach dem common sense der Ordinarien funktionierte und mit einem starken Fokus auf die fachinterne Reputation und auf Lehrer-Schüler-Verhältnisse vor allem einzelne Wissenschaftler förderte, nahm die SFBs eher widerwillig unter politischem Druck unter ihre Förderprogramme auf.189 Ab 1968 wurden die ersten siebzehn SFBs gefördert, in den 1970er Jahren lag ihre Zahl bei etwa 110.190 Sie entwickelten sich somit neben der Einzelförderung („Normalverfahren“) rasch zum wichtigsten Förderformat der DFG. Diese gab 1980 253,4 Millionen D-Mark und damit fast
186 Verfassungswidrig hatte sich der Bund – die finanzielle Überforderung der Länder ausnutzend – schon zuvor in die Hochschulpolitik ‚eingekauft‘, vgl. hierzu und zum Folgenden Schimank (2014), S. 20–29, 57; Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 22; DFG (1997), S. 87. 187 Die Zahlen für das Jahr 2012 beziehen sich auf das gesamte Bundesgebiet. Vgl. Statistisches Bundesamt (2004a), S. 13; Statistisches Bundesamt (2015), S. 24; DFG (1980), S. 17; DFG (o. J. c), S. 201. Im Haushalt der DFG von 2012 sind Ausgaben in Höhe von 413 Millionen Euro für die Exzellenzinitiative enthalten, vgl. DFG (o. J. c), S. 201, 215. 188 Vgl. Waßer (2016), S. 237 f.; Fraunholz/Schramm (2005a), S. 34; Meier (2017). 189 Vgl. Vom Bruch (2008), S. 55 f.; Waßer (2016), S. 238 f. 190 Vgl. DFG (1995), S. 204.
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ein Drittel ihrer gesamten Mittel für SFBs aus.191 In diesem Jahr belief sich die Fördersumme pro SFB im Schnitt auf 2,2 Millionen D-Mark,192 konnte aber auch über drei Millionen D-Mark betragen,193 was die Bedeutung solcher Einwerbungen in Zeiten knapper werdender Grundfinanzierung deutlich macht.194 Ein SFB brachte nicht nur erhebliche zusätzliche Mittel für die Anstellung von Forschungspersonal, insbesondere von Doktoranden, sondern auch für Investitionen in die apparative Ausstattung. Für den biowissenschaftlichen SFB 220 „Funktionsgerichtete Anpassung und Differenzierung neuronaler Systeme“ zum Beispiel, an dem sich seit 1984 die LMU München, die TU München und das MPI für Psychiatrie mit 33 Wissenschaftlern beteiligten, wurden in den ersten Jahren Mittel für zusätzliche 38 Stellen bewilligt, davon 22 für Doktoranden, während die LMU in der gleichen Zeit sogar einen leichten Abbau von regulär angestelltem wissenschaftlichen Personal zu verzeichnen hatte.195 In den ersten beiden Jahren erhielt der SFB 954 000 D-Mark für Investitionen, eine nicht zu vernachlässigende Summe angesichts dessen, dass für die gesamte LMU in dieser Zeit aus dem Haushalt des Freistaats Bayern etwa 27 Millionen D-Mark für Investitionen zur Verfügung standen.196 Bei den Wissenschaftsministerien der Länder war die Einwerbung von Sonderforschungsbereichen zudem besonders gerne gesehen, weil sie Erfolge bei der gewünschten Schwerpunktbildung in der Hochschulforschung dokumentierten.197 Die Universitäten konnten daher in der Regel damit rechnen, bei ihren Initiativen Unterstützung durch zusätzliche Mittel und Stellen aus den zentralen Fonds der Ministerien zu erhalten.198 Die Länder forcierten also nicht nur die Konkurrenz um SFBs, sondern unterstützten ihre Universitäten in diesem Wettbewerb auch. Für die Universitäten wiederum bestand nicht nur Erfolgsdruck von Seiten der Landesregierungen, sondern sie konnten erfolgversprechende Initiativen auch zur Verbesserung ihrer Ausstattung nutzen. Anders als im Fall der von einzelnen Wissenschaftlern oder Forschergruppen einzuwerbenden Drittmittel wurde die interuniversitäre Konkurrenz um SFBs nicht erst durch die Verteilungspolitik der Wissenschaftsministerien geschaffen, sondern 191 Vgl. DFG (1980), S. 24. 192 Die Zahl der geförderten SFB im Jahr 1980 betrug 117, vgl. DFG (1995), S. 204. 193 Vgl. die Aufstellung der Förderbeträge in DFG (1980), S. 137 f. 194 Vgl. hierzu auch die Aussage des Bielefelder Rektors: „Die erheblichen zusätzlichen Mittel, die der Universität über die Sonderforschungsbereiche zufließen, werden in Zeiten restriktiver Haushaltspolitik umso dringender benötigt, um den wissenschaftlichen Nachwuchs durch entsprechende Stellen fördern, wissenschaftliches Gerät beschaffen oder Kolloquien organisieren zu können“, Universität Bielefeld (1987), S. 52. 195 Vgl. Sonderforschungsbereich 220 (1986), S. 30; Das Präsidialkollegium der LMU München (1983), S. 12. 196 Vgl. Das Präsidialkollegium der LMU München (1983), S. 14. In nicht experimentell arbeitenden Feldern spielten Investitionsmittel keine besondere Rolle, doch auch hier waren die Zugewinne beim Personal und bei Sachmitteln, z. B. für Reisekosten, erheblich. Der sozial- und wirtschaftswissenschaftliche SFB 333 an der LMU München z. B. erhielt 1991 Mittel für 48 zusätzliche Mitarbeiter, vgl. Sonderforschungsbereich 333 (1991), Tab. 2.2. 197 Vgl. z. B. Der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst (1985), S. 91. 198 Vgl. z. B. für Köln: Staak/Gutmann (1985), S. 32; allgemein vgl. Streiter/DFG (1989), S. 25 f.
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war bereits im Konzept dieses Förderinstruments angelegt.199 Die Universitäten, nicht die beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen waren formell die Antragsteller und mussten sich auf diese Weise zum Aufbau von Forschungsschwerpunkten und zu deren Unterstützung durch eigene Mittel verpflichten. Die Hochschulleitungen waren zudem bei den Begutachtungen vor Ort beteiligt, während derer die Fachgutachter der DFG über die Förderungswürdigkeit des Antrags entschieden.200 Das Förderformat war daher tendenziell darauf angelegt, Universitäten zu Akteuren der Forschungsplanung und zu potenziellen Konkurrenten zu machen. In den 1970er Jahren dämpfte die DFG die Konkurrenz um SFBs allerdings dadurch ab, dass sie trotz knapper Mittel alle in den Begutachtungsverfahren positiv bewertete Vorhaben dem Wissenschaftsrat, der für die Genehmigung der Mittel zuständig war, zur Förderung empfahl. Dies führte zu Wartelisten, so dass teils mehrere Jahre zwischen Begutachtung und Förderbeginn liegen konnten. Erst gegen Ende der 1970er Jahre erhielt das Verfahren einen kompetitiven Charakter.201 Im Laufe der 1970er Jahre sanken zudem die Möglichkeiten der DFG, zusätzliche SFBs zu finanzieren, so dass sie 1982 eine maximale Förderdauer von 15 Jahren festlegte, um eine kontinuierliche Erneuerung der geförderten Forschungsschwerpunkte zu ermöglichen.202 In den folgenden Jahren konnten daher mit dem Auslaufen der SFBs der ersten Generation viele neue eingerichtet werden, weshalb zum Beispiel das Rektorat der Universität Bielefeld darauf drängte, Planungen möglichst schnell voranzutreiben, um dieses Zeitfenster nicht zu verpassen.203 Da das Interesse der Universitäten an der Einwerbung von SFBs gestiegen war, bestand trotz der erweiterten finanziellen Spielräume ein intensiver Wettbewerb.204 Die DFG versuchte zwar weiterhin durch Abstriche bei der Höhe der Fördermittel möglichst alle als förderungswürdig eingestuften Vorhaben zu finanzieren, ging aber zunehmend auch zu einer vergleichenden Bewertung der Anträge über, wodurch diese in Konkurrenz zueinander traten.205 Der Anteil der abgelehnten Anträge lag in den Jahren 1985 und 1986 bei etwa einem Viertel, was allerdings noch nicht die
199 Vgl. Streiter/DFG (1989), S. 35 f. Zu Beginn bestanden aber bei einigen Akteuren, vor allem in der DFG, Bedenken gegen diese neue Form der Konkurrenz, die durch dieses Förderprogramm entstehen könnte, vgl. Waßer (2016), S. 237 f. 200 Vgl. Stackmann et al. (1985), S. 5. 201 Vgl. Stackmann et al. (1985), S. 7; Waßer (2016), S. 238 f. 202 Vgl. Streiter/DFG (1989), S. 5 f. 203 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 138. Sitzung des Senats am 13.7.1983, S. 6; ebd., Protokoll der 144. Sitzung des Senats am 11.4.1984, S. 3. Die DFG teilte den Universitäten mit, wie sich die Chancen auf Einrichtung von SFBs voraussichtlich entwickeln würden, vgl. dazu auch Bibliothek der HRK, Protokoll des 150. Plenums der WRK am 3./4.11.1986, S. 10. In den Jahren von 1984 bis 1986 wurden zusammen 81 neue SFBs eingerichtet, in den folgenden Jahren gingen die Zahlen deutlich zurück, nämlich 1987 auf 16, 1988 auf 7, vgl. Streiter/DFG (1989), S. 6. 204 Vgl. Streiter/DFG (1989), S. 6. 205 Vgl. Waßer (2016), S. 239; Streiter/DFG (1989), S. 7, 18. Das individuelle Begutachtungsverfahren wurde zwar beibehalten, nun trat aber mit der vergleichenden Beurteilung ein weiterer Schritt hinzu, bevor die Förderung feststand.
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Initiativen einschließt, die nach informellen Vorgesprächen wegen zu geringer Erfolgsaussichten fallen gelassen wurden.206 Mit ihrer Entwicklung zum Reputationsfaktor und Leistungsnachweis stellten Drittmittel nicht mehr nur für die unmittelbaren Empfänger ein begehrtes knappes Gut dar, sondern zunehmend auch für die Universitäten, die von den Wissenschaftsministerien nach dem Umfang ihrer Drittmitteleinwerbungen beurteilt wurden und sich daher von höheren Drittmittelzahlen Vorteile auch in der Konkurrenz um die Grundfinanzierung versprechen konnten. Die Prämie, um die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Universitäten bei Drittmittelgebern konkurrierten, wurde zugleich zur Ressource in der Konkurrenz der Universitäten um ihre Grundfinanzierung; es kam zu einer Verschränkung zweier Konkurrenzverhältnisse. Zu Akteuren auf dem Feld der Konkurrenz um Drittmittel wurden Universitäten zum einen dadurch, dass die Hochschulleitungen als ihre Vertreter mit den Forderungen der Wissenschaftspolitik nach Schwerpunktbildung und Drittmitteleinwerbung konfrontiert waren, zum anderen dadurch, dass Rektoren und Präsidenten, ob sie diese Tendenz befürworteten oder nicht, sich selbst als mitverantwortlich für die Drittmittelbilanz ihrer Einrichtungen definierten und Maßnahmen ergriffen, die der Steigerung der Drittmitteleinwerbung dienen sollten. Da die Universitätsleitungen wie auch andere Instanzen innerhalb und außerhalb der Hochschulen wegen der grundgesetzlich geschützten Freiheit von Forschung und Lehre keine Weisungsbefugnis gegenüber der Professorenschaft hatten, was die Inhalte und Formen ihrer Forschungstätigkeit anbelangte, mussten sie sich, wenn sie die Drittmitteleinwerbungen ihrer Universität verbessern wollten, auf nachdrückliche Appelle und indirekte Maßnahmen beschränken. Eine besonders deutliche und frühe Reaktion zeigte auch auf diesem Feld die Universität Bielefeld. Deren Rektor sicherte 1983 dem Wissenschaftsminister zu, die Drittmittelzahlen zu erhöhen und mehr SFBs einzuwerben. Er richtete ein Schreiben an alle Fakultäten mit der Aufforderung, entsprechende Initiativen zu entwickeln.207 Michael Daxner, der Präsident der Universität Oldenburg, kritisierte in den 1990er Jahren im Senat wiederholt die niedrige Zahl von Anträgen aus Oldenburg bei der DFG und der Europäischen Gemeinschaft.208 Zu den ersten Schritten zählten an den meisten Universitäten Maßnahmen, um die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen bei der Einwerbung von Drittmitteln besser durch die Verwaltung zu unterstützen. Schon weil angesichts der knapper werdenden Grundfinanzierung der Bedarf an zusätzlichen Mitteln stieg, erstellten in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre mit Gießen und Konstanz die ersten Universitäten für ihre Mitglieder Verzeichnisse der Förderungsmöglichkeiten.209 Auf diese Möglichkeit, die 206 Vgl. Streiter/DFG (1989), S. 36 f. 207 Vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 13; UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 138. Sitzung des Senats am 13.7.1983, S. 6; ebd., Protokoll der 144. Sitzung des Senats am 11.4.1984, S. 3. 208 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 3. Sitzung des 11. Senats am 8.9.1993, S. 4; ebd., Protokoll der 5. Sitzung des 13. Senats am 29.10.1997, S. 4. 209 Vgl. DUZ, no. 18 (1983), S. 15; DUZ, no. 8 (1985), S. 17–19.
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Erfolgsaussichten der eigenen Mitglieder zu steigern, griff auch die FU Berlin zurück, deren Verwaltung ab 1980 eine Loseblattsammlung mit Informationen zur Forschungsförderung erstellte.210 Manche Hochschulen bauten zudem Stellen auf, die sich der Beratung bei der Antragstellung widmeten.211 An den meisten Universitäten entstanden um die Mitte der 1980er Jahre zudem Stellen für Forschungstransfer, deren Aufgabe es vor allem war, Kontakte zwischen Wirtschaftsunternehmen mit Forschungsbedarf und Wissenschaftlern herzustellen und diese Projekte administrativ zu begleiten.212 Oft organisierten diese Stellen auch Auftritte auf Messen wie der Hannover-Messe, die ebenfalls der Kontaktanbahnung mit Unternehmen dienten.213 Die Steigerung von Drittmitteleinwerbungen war allerdings nur ein Movens hinter dem Ausbau des Forschungstransfers. Ausschlaggebend war die Absicht der Landesregierungen, auf diesem Weg kleineren und mittleren Unternehmen, die anders als Großunternehmen bis dahin kaum mit Hochschulforschern zusammengearbeitet hatten und auch nicht über die Kapazitäten für eigene Forschung verfügten, einen Zugang zu universitärer Forschung zu verschaffen.214 Um Kontakte zwischen den Professoren über die Fachbereichsgrenzen hinweg zu stiften und auf diese Weise Ideen für SFBs und andere Verbundforschungsprojekte anzustoßen, veranstalteten manche Universitätsleitungen interdisziplinäre Gesprächsrunden. So führte das Kölner Rektorat Mitte der 1990er Jahre mehrere Kolloquien durch, eines mit der RWTH Aachen zum Thema „Verkehrsforschung und Umweltwirkungen“, aus dem sich anschließend eine SFB-Initiative entwickelte.215 Daneben erweiterten die Universitäten ihre Möglichkeiten zur internen Forschungsförderung und nutzten diese verstärkt dazu, Drittmittelprojekte anzuschieben. An der FU Berlin vergab die ständige Senatskommission für Forschung und Nachwuchsförderung (FNK) bereits zu Beginn der 1980er Jahre entsprechende Mittel. Diese Gelder, so der Präsident, seien als Initial-Förderung zur Vorbereitung von Drittmittelprojekten, nicht als Alternative dazu zu verstehen,216 ein Grundsatz, der schließlich auch in die Richtlinien der FNK aufgenommen wurde.217 1981 setzten sich die Mitglieder der FNK dafür 210 Vgl. FU Berlin (1981), S. 9; Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 28; ähnlich auch die Universität zu Köln seit 1990, vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 7, Schreiben des Kanzlers der Universität zu Köln an den Ersten Prorektor, o. D. [April 1996]; Rektorat der Universität zu Köln (1996), S. 44. 211 Die FU Berlin z. B. richtete 1984 eine Stabsstelle für Forschungsförderung und Forschungsvermittlung ein und baute 1988 die Forschungsförderung aus, vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Vorlage C 2241/87, Tätigkeitsbericht der Stabsstelle Forschungsförderung und Forschungsvermittlung; Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016. 212 Vgl. Allesch et al. (1988), S. 17 f. Ein erstes Pilotprojekt gab es 1976 in Bochum, 1988 verfügten bereits alle Universitäten in Nordrhein-Westfalen über Stellen für Forschungstransfer, vgl. Krücken (2001), S. 340 f. 213 Vgl. Allesch et al. (1988), S. 36–42; vgl. z. B. für Köln: Universität zu Köln (1986), S. 26. 214 Vgl. Trischler (2004), S. 169 f.; Stracke (1990), S. 199. Die Erwartungen, die in die Forschungstransferstellen gesetzt wurden, haben sich aber größtenteils nicht erfüllt. Es herrschten weiterhin direkte Kontakte zwischen Industrie und einzelnen Hochschullehrern vor. Vgl. Krücken/Meier (2005), S. 164 f. 215 Vgl. Rektorat der Universität zu Köln (1996), S. 12. 216 Vgl. Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 47 f. 217 Vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 339. Sitzung des Senats am 12.2.1986, S. 5.
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ein, in diesen „Zeiten prekärer Finanzlage und stagnierender Universitätshaushalte“ verstärkt Forschungsschwerpunkte und die Vorbereitung von Drittmittelanträgen durch befristete Mittelvergabe zu fördern, da einerseits „die Drittmitteleinwerbung sehr viel schwieriger geworden“ sei, andererseits aber „der Legitimationsdruck für einen ‚Verwendungsnachweis‘ der Haushaltsmittel immer stärker“ werde.218 Bereits Mitte der 1980er unterstützte die Universität gezielt die Einwerbung von SFBs. Der Präsident beantragte im Senat den Einsatz freier Haushaltsmittel für die Bereitstellung zusätzlicher Grundausstattung zur Vorbereitung neuer und zur Unterstützung bestehender SFBs, mit der Begründung: „Die Existenz von Sonderforschungsbereichen an einer Universität ist in der Wissenschaft und gegenüber der Öffentlichkeit ein Ausweis für überregional anerkannte größere Forschungsschwerpunkte. Gemessen an der Zahl ihrer Wissenschaftler ist die Freie Universität bisher unterproportional an den von der DFG geförderten Sonderforschungsbereichen beteiligt.“219 Besondere Aufmerksamkeit widmete die Universitätsleitung zudem der Etablierung von Drittmittelforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Diese hätten zwar in den 1980er Jahren schon aufgeholt, müssten sich aber immer noch „im vermehrten Maße um zusätzliche Ressourcen für die Forschungsfinanzierung bemühen“.220 Die Mittel für die universitätsinterne Forschungsförderung wurden meistens von Senatskommissionen oder von den Hochschulleitungen auf Empfehlung dieser Kommissionen vergeben. Sie stammten aus Abzügen von den laufenden Mitteln für Forschung und Lehre, die ansonsten bis Mitte der 1990er Jahre in der Regel nach Personalstellen und Lehrbelastung auf die Fachbereiche und dort intern nach ähnlichen Kriterien verteilt wurden.221 Die Universität Bielefeld erhöhte ihre Sachmittelreserve in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre deutlich von 200 000 D-Mark auf 425 000 D-Mark, um so die Drittmitteleinwerbung stärker fördern zu können. Aus demselben Grund wurde 1994 ein neuer „Forschungs- und Innovationsfonds“ eingerichtet.222 An der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg setzte sich hingegen eine auf Drittmitteleinwerbung ausgerichtete Forschungsförderung erst ab Mitte der 1990er Jahre durch. Hier bestanden im Senat lange Mehrheiten, die Umverteilungen, insbesondere an den Gremien vorbei, ablehnten.223 Der 1996 vom Senat beschlossene Hochschulentwicklungsplan sah zwar eine Förderung von SFBs und DFG-Forschergruppen durch einen zentralen Fonds vor, aus dem die Antragsvorbereitung und Grundausstattung finanziert werden sollten. Zugleich beharrte der Plan aber darauf, dass Instru-
218 Ebd., Anlage zum Protokoll der 4. Sitzung des Ausschusses des Akademischen Senats „Hochschulentwicklungsplanung“ am 22.6.1981, Beschluss der FNK 3/19/1981. 219 Ebd., Der Präsident der Freien Universität Berlin, Vorlage C 1842/84, 26.1.1984, S. 4. 220 FU Berlin (1987), S. 9 f.; vgl. auch Der Präsident der FU Berlin (1985), S. 60; FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 339. Sitzung des Senats am 12.2.1986, S. 5. 221 Vgl. Universität Bielefeld (1990), S. 62. Zur inneruniversitären Mittelverteilung s. u. Kap. IV.3. 222 Universität Bielefeld (1996), S. 56; UA Bielefeld, R 176, Protokoll der 883. Sitzung des Rektorats am 7.12.1993; ebd., S 114, Protokoll der 229. Sitzung des Senats am 27.4.1994. 223 Vgl. z. B. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 9. Sitzung des 9. Senats am 31.1.1990.
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mente zur Forschungsförderung geschaffen werden sollten, mit denen auch Bereiche, die nicht über die Möglichkeit zur Einwerbung von Drittmitteln verfügten, unterstützt werden könnten.224 Um eine Einrichtung oder Verlängerung von SFBs zu erreichen, mussten die beteiligten Fachbereiche und die zentralen Gremien der Universitäten des Öfteren nun auch die Denomination von Professuren und die Auswahl im Berufungsverfahren auf die Forschungsthemen des Projektverbundes zuschneiden.225 In den Jahren 1988 bis 1994 wurden jährlich etwa 60 bis 70 Berufungen auf C 3- und C 4-Professuren an SFBs ausgerichtet.226 So etablierten sich Drittmittel als ein wichtiger Faktor in der universitätsinternen Entscheidungsfindung, sowohl bei der Zuweisung von Ressourcen als auch bei der fachlichen Ausrichtung. Im ersten Fall wurde Erfolg bei der Einwerbung von Drittmitteln oder die Entwicklung aussichtsreicher Drittmittelinitiativen zum Leistungskriterium in einer inneruniversitären Konkurrenz um den disponiblen Teil der Grundfinanzierung. In beiden Fällen aber blieb dieser Einfluss der Konkurrenz um Drittmittel auf die universitätsinterne Entscheidungsfindung jedoch in den 1980er und frühen 1990er Jahren noch beschränkt, da die Universitäten nur über einen geringen Teil ihres Personals und ihrer Mittel selbstständig verfügen konnten und die Ausrichtung von Professuren an möglichen Drittmittelprojekten auf jene Fächer beschränkt war, die SFBs einrichten oder erhalten wollten. Auch ein wachsender Bedarf an zusätzlichen Mitteln für die Forschung sorgte dafür, dass die Universitäten auf diesem Feld in Konkurrenz zueinander traten. Der Präsident der FU Berlin konstatierte 1981, dass in vielen Bereichen seiner Universität wegen der guten Grundausstattung lange keine Bemühungen um Drittmittel nötig gewesen waren und sich deshalb in manchen Fächern Einstellungen erhalten [haben], die außeruniversitär finanzierte Forschung als ‚unüblich‘ und entbehrlich erscheinen ließen. Mit der Realität der derzeitigen Forschungsfinanzierung ist eine solche Grundhaltung nicht mehr vereinbar. In zunehmendem Maße wird die Universität die Drittmittelfinanzierung von Forschung in ihren Haushaltsansätzen einplanen und voraussetzen müssen.227
Acht Jahre später urteile der Bielefelder Rektor, externe Förderung sei „in zahlreichen Forschungsgebieten geradezu unentbehrlich; so würde z. B. in vielen experimentellen wissenschaftlichen Bereichen ohne Drittmittel die Forschung weitgehend eingestellt werden müssen“. Denn wegen mangelnder Mittel für Reinvestitionen müssten Projekt-
224 Vgl. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (1996), S. 30. 225 Vgl. Streiter/DFG (1989), S. 44; Wissenschaftsrat (2002), S. 24. 226 Vgl. DFG (1997), S. 39. 227 Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 84. Größere Forschungsvorhaben, vor allem in der Medizin und den Naturwissenschaften seien aus der Grundausstattung alleine nicht mehr zu finanzieren, vgl. ebd., S. 27.
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mittel eingesetzt werden, um „neuere und leistungsfähigere Geräte zu beschaffen“.228 Drittmittel waren schließlich nicht mehr nur für die jeweils finanzierten Forschungsvorhaben notwendig, sondern auch um Geräte und Verbrauchsmaterialien für andere Zwecke sowie die Ausstattung von experimentellen Arbeitsplätzen zu finanzieren.229 Ebenso war es in einigen Fächern üblich, Personal aus Forschungsprojekten für die Lehre heranzuziehen, um Professoren und Assistenten zu entlasten.230 Dass die Forschung an Universitäten in wachsendem Maße auf zusätzliche Finanzierung angewiesen war, zeigt sich auch an einem deutlichen Anstieg der bei der DFG im Rahmen des sogenannten Normalverfahrens beantragten Mittel von 250 Millionen D-Mark 1974 auf 616 Millionen D-Mark 1980 und 1 020 Millionen D-Mark 1989.231 Die jährliche Zahl der Anträge im Normalverfahren stieg vor allem in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre stark an, nämlich von 4 413 1973 auf 6 227 1980, im folgenden Jahrzehnt langsamer zuerst auf 6 406 1985, schließlich auf 6 541 1989.232 Dies deutet darauf hin, dass die Hauptursache für die Ausbreitung der Drittmittelforschung während der 1970er und 1980er Jahre in der Verknappung der Ressourcen lag, die bereits mit den staatlichen Finanzengpässen Mitte der 1970er Jahre einsetzte, weniger in der neuen Bedeutung der Drittmittel als Leistungsnachweis im interuniversitären Wettbewerb, die erst ab den frühen 1980er Jahren wirksam geworden sein dürfte.233 Erst die 1990er Jahre brachten einen beschleunigten Anstieg auch der Antragszahlen.234 Da der von Bund und Ländern finanzierte Etat der DFG mit dieser Entwicklung nicht mithielt, entstand eine wachsende Diskrepanz zwischen beantragten und bewilligten Mitteln. 1989 wurden nur mehr 49 Prozent der beantragten Mittel statt 61 Prozent wie noch im Jahr 1980 oder gar 77 Prozent wie 1974 bewilligt.235 Die Chancen, mit 228 Universität Bielefeld (1987), S. 52. Auch an der Universität zu Köln war 1992 ein Prorektor der Auffassung, Forschung sei praktisch nur mehr durch Drittmittel und Stipendien möglich, vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 15, Niederschrift über die Sitzung des Konvents der Universität zu Köln vom 18.5.1992, S. 10. 229 Vgl. UAOL 20002–080, Schreiben des Dekans des Fachbereichs 9 an die Dekane der übrigen Fachbereiche und an den Präsidenten, 10.9.1993. 230 Vgl. die dokumentierte Diskussion in Letzelter/Reinermann (1981), S. 86 f.; Eberhard (2003), S. 181; Rosenbusch (2013), S. 120. 231 Vgl. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67. Nimmt man an, dass sich die Kosten für die Durchführung von Forschungsprojekten ähnlich wie die durch den Index der Einzelhandelspreise des Statistischen Bundesamtes abgebildeten Preise entwickelten, so wäre dies auch inflationsbereinigt noch eine Steigerung um das zweieinhalbfache. (Ein Preisindex für Forschungsausgaben wurde im Untersuchungszeitraum nicht erhoben, vgl. z. B. Wissenschaftsrat (1993a), S. 16.) 232 Vgl. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67. 1990 lag die Zahl der Anträge zwar wieder bei 6 300, doch handelte es sich dabei um eine Abweichung von einem längerfristigen Trend, vgl. DFG (1991), S. 142; Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67. 233 Diese Bedeutung von Drittmitteln wurde nämlich, wie oben dargestellt, in den 1980ern an den Universitäten als etwas Neues wahrgenommen. Vgl. außerdem Waßer (2016), S. 239 f. 234 S. u. Kap. IV.4. 235 Vgl. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67.
5. Drittmittel als Leistungsnachheis
einem Antrag auf Förderung im Normalverfahren Erfolg zu haben sank im selben Zeitraum ebenfalls von 85 auf 70 Prozent, bewegte sich damit aber immer noch auf einem Niveau, auf dem von intensiver Konkurrenz nicht die Rede sein kann, verglichen mit Förderquoten von unter 50 Prozent, wie sie in den 2000er Jahren erreicht wurden.236 Dass der Anteil bewilligter Mittel an der Antragssumme stärker sank als die Erfolgsquote bezogen auf Anträge, deutet darauf hin, dass die DFG hier (wie bei den SFBs) versuchte, ein stärkeres Absinken der Erfolgschancen – und damit eine Verschärfung der Konkurrenz – durch eine restriktivere Finanzierung zu verhindern.237 Gleichwohl ging auch die Zahl der bewilligten Anträge in den 1980er Jahren leicht zurück.238 Da trotz der sinkenden Erfolgschancen in der Konkurrenz um diese Mittel die Ausgaben der DFG insgesamt anstiegen, wie auch die Einwerbungen aus anderen Quellen wuchsen, verschob sich das Verhältnis zwischen Drittmitteln und Grundfinanzierung. Die in der amtlichen Statistik verzeichneten hohen Zuwächse bei der Drittmitteleinwerbung – für die Jahre von 1980 bis 1990 eine Steigerung um 139 Prozent – müssen allerdings, zumindest für die 1970er und 1980er Jahre mit Vorsicht interpretiert werden, da extern finanzierte Projekte zu dieser Zeit teilweise nicht über die Hochschulhaushalte, sondern über private „Sonderkonten“ abgewickelt und die Angestellten über Privatverträge beschäftigt wurden.239 Viele Professoren bevorzugten dieses Verfahren, da so keine Ausschreibungspflicht bestand und die Befristung der Anstellung leichter möglich war.240 Erst seit Ende der 1970er Jahre legten die Länder nach und nach fest, dass Drittmittel grundsätzlich in die Hochschulhaushalte eingestellt und Mitarbeiter als Hochschulpersonal angestellt werden sollten.241 Aber noch 1993 warnte der Wissenschaftsrat, dass trotz Verbesserungen eine „annähernd vollständige Erfassung“ nicht gewährleistet sei.242 Die für die 1970er und 1980er Jahre in den amtlichen Statistiken verzeichneten Zuwächse bei den Drittmitteleinwerbungen sind daher zumindest teilweise auf eine bessere statistische Erfassung zurückzuführen. Gleichwohl ist auch für diese Zeit von einer realen Expansion der extern finanzierten Forschung an Universitäten auszugehen, wie zum Beispiel die Ausgabensteigerungen des wichtigsten Drittmittelgebers, der DFG, zeigen. Die Summe der Fördermittel der DFG, die an die Hochschulen gingen, erhöhte sich in den 1970er Jahren von 289 auf 723 Millionen 236 Vgl. DFG (o. J. b), S. 114. 237 Zu den Zahlen vgl. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67. 238 Vgl. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67. 239 Die Überweisung von Drittmitteln auf private Sonderkonten außerhalb der Hochschulhaushalte war sowohl bei der DFG als auch bei Mitteln aus der Privatwirtschaft möglich; vgl. Wissenschaftsrat (1982), S. 51 f. 240 Vgl. Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 45 f.; Hornbostel (1997), S. 215. 241 Vgl. uni-info, no. 11 (1982), S. 3; UAOL 20002–119, Runderlass des niedersächsischen Ministers für Wissenschaft und Kunst vom 10.12.1979; UA Köln, Zugang 694, Nr. 172, Schreiben des Ministers für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an die Hochschulen des Landes vom 15.12.1981; Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 44. 242 Wissenschaftsrat (1993a), S. 7.
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D-Mark, bis 1990 auf 1 087 Millionen D-Mark. In realen Preisen bedeutete dies einen Zuwachs um 26 Prozent von 1970 bis 1980 und um 14 Prozent von 1980 bis 1990.243 Die Bundesministerien, vor allem das Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) als zweitgrößter Drittmittelgeber, steigerten ihre Ausgaben für Forschungsprojekte an Hochschulen von 354 Millionen D-Mark 1980 auf 847 Millionen D-Mark 1990, und damit, preisbereinigt, um 82 Prozent.244 In den 1980er Jahren stiegen also die Ausgaben von Bund und Ländern für die Drittmittelforschung deutlich stärker an als die Grundfinanzierung der Universitäten, was sich auf die neue Präferenz für eine gezielte Förderung der Forschung an Hochschulen und die positive Einschätzung der Drittmittelforschung durch die Bundesregierung zurückführen lässt.245 Auch die Drittmittel aus der Privatwirtschaft stiegen nach Schätzungen des Wissenschaftsrates in den Jahren 1980 bis 1990 deutlich an, von etwa 140 auf 350 Millionen D-Mark.246 Im Wachsen begriffen waren insgesamt auch die Zuwendungen von Stiftungen an die Hochschulen, die sich 1990 auf 283 Millionen D-Mark beliefen, doch hatte es hier in den 1970er Jahren reale Rückgänge gegeben.247 Da die Summe der verfügbaren Drittmittel in den 1980er deutlich schneller anwuchs als die Grundfinanzierung der Universitäten, nämlich inflationsbereinigt um 44 Prozent gegenüber lediglich 4 Prozent, verschob sich das Verhältnis zwischen beiden Formen der Finanzierung. Machte die Höhe der Drittmittel zu Beginn des Jahrzehnts erst 16 Prozent der laufenden Mittel aus der Grundfinanzierung aus, so stieg dieser Wert bis 1990 auf 22 Prozent.248 Nicht nur wurde also in den 1980er Jahren die Grundfinanzierung der Universitäten zunehmend zu einer Prämie im interuniversitären Wettbewerb, sondern auch ein wachsender Teil der Mittel für die Forschung musste von den Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen für befristete Zeiträume und oft kompetitiv eingeworben werden.
243 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 18; für die Berechnung der realen Preise verwendete der Wissenschaftsrat in Ermangelung eines Preisindex für Forschungsausgaben den Preisindex für den Staatsverbrauch. Die Angaben zu realen Ausgabensteigerungen sind daher als Näherungen zu verstehen. 244 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 24. 245 Vgl. Bundesregierung (1983), insbesondere S. 3 f. 246 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 48. 247 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 38–43, 55. 248 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 63. Der Wissenschaftsrat setzte die Drittmittel der Hochschulen ins Verhältnis zur Grundfinanzierung der wissenschaftlichen Hochschulen abzüglich der investiven Mittel, mit der Begründung, auch in den Drittmitteln machten Investitionsmittel nur einen kleinen Teil aus. Dass die Grundfinanzierung der Fachhochschulen nicht einbezogen wird, ist nicht eigens begründet, aber angesichts dessen, dass dort nur ein kleiner Teil der Drittmittelforschung stattfand, nachvollziehbar. Selbst 2009, nach einer Annäherung des Status der Fachhochschulen an den der wissenschaftlichen Hochschulen, entfielen nur knapp 6 % der Drittmittel der Hochschulen auf die Fachhochschulen, vgl. Hachmeister et al. (2015), S. 5.
6. olgearobleme der exaandierenden Drittmittelforschung
6. Folgeprobleme der expandierenden Drittmittelforschung Die geschilderte Ausweitung der Drittmittelforschung vollzog sich nicht ohne grundsätzliche Kritik aus den Hochschulen an den damit einhergehenden Effekten für die Wissenschaftsentwicklung. Sie verursachte zudem aus Perspektive vieler Akteure eine Reihe von Folgeproblemen, die teilweise bis heute nicht hinreichend gelöst worden sind, sich zum Teil vielmehr weiter zuspitzten – nämlich einerseits einen Widerspruch zwischen den mit Drittmittelprojekten einhergehenden befristeten Beschäftigungsformen und den Erwartungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an planbare Karrieren, andererseits Schwierigkeiten der Universitäten, die Infrastruktur für Drittmittelforschung bereitzustellen. Der raschen Entwicklung der Drittmittelforschung zum Reputationsfaktor und zum begehrten knappen Gut stand in den 1980er Jahren mancherorts eine kritische Haltung gegenüber. Der Soziologe Prodosh Aich, der in Oldenburg an einem universitätseigenen, interdisziplinären Projekt zum Thema „Umweltentwicklung und -planung im küstennahen Bereich“ mitarbeitete, beklagte 1980, dass die beteiligten Naturwissenschaftler aus diesem Verbund ausgestiegen waren und ihre Arbeit in ein Drittmittelprojekt überführt hatten.249 Aich konstatierte einen Widerspruch zwischen Drittmittelforschung und dem Projektstudium, wie es auch in den auseinandergebrochenen Verbund integriert gewesen war. Bei dieser Lehrform handelte es sich um ein zentrales Element der von der Assistentenbewegung geprägten Studienreformbemühungen der 1970er Jahre, deren Umsetzung an neugegründeten Universitäten wie Oldenburg und Bremen versucht worden war, mit dem Ziel, die Einheit von Forschung und Lehre wiederherzustellen.250 Diese Einheit, so Aich, gehe durch die Drittmittelforschung verloren, und die Lösung eines disziplinär definierten „Puzzle“251 trete an die Stelle der Bearbeitung gesellschaftlicher Probleme. Es drohe zudem eine Konzentration auf „Verwertungsinteresse[n]“ statt auf „Aufklärung“. Die Antragsteller könnten frei über die Mittel verfügen, die Studierenden hingegen dürften ihre Forschungsthemen nicht mehr selbst wählen. In dieser Kritik bündeln sich mehrere Vorbehalte gegen die Drittmittelforschung, die teils spezifisch für politisch links stehende Anhänger einer Universitätsreform waren, so etwa die Forderung nach „demokratischen“ Entscheidungen über Forschungsthemen und Ressourceneinsatz innerhalb von Universitäten sowie die Idee des Projektstudiums. Der Verdacht und die Ablehnung einer (Außen-)Steue-
249 Vgl. uni-info, no. 11 (1980), S. 2; zum Folgenden vgl. ebd. 250 Vgl. Rudloff (2011). 251 Diesen Begriff scheint Aich der Beschreibung der im Rahmen fachspezifischer Paradigmen verlaufender Normalforschung in Thomas Kuhns bekanntem Buch „The Structure of Scientific Revolutions“ entnommen zu haben. Die Konzeption des Projektstudiums sah hingegen die interdisziplinäre Bearbeitung von „Problemen“ vor, also von Fragen, die sich aus außerwissenschaftlichen, praktischen Zusammenhängen und nicht notwendigerweise aus dem jeweiligen Forschungsstand einzelner Fächer ableiten lassen (vgl. Rudloff (2011)), und nahm insofern Aspekte dessen voraus, was Michael Gibbons et al. (1994) als neue Form der Wissensproduktion zu beobachten meinten.
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rung der Wissenschaft durch Drittmittelgeber insbesondere aus der Wirtschaft waren jedoch weiter verbreitet.252 Neben den Anhängern einer demokratisierten Universität unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die eine zunehmende Drittmittelforschung im Widerspruch zu ihrem Wissenschaftsverständnis sahen, hielten sich ähnliche Haltungen vor allem unter politisch links stehenden Studierendengruppen. Bielefelder Studierendenvertreter im Senat stimmten zum Beispiel 1985 einer Stellungnahme zur Hochschulrahmengesetz-Novelle hauptsächlich deshalb nicht zu, weil sie gegen eine Erleichterung der Drittmittelforschung waren.253 Sie äußerten zudem die Befürchtung, dass mit steigenden Drittmitteln aus der Industrie die ursprünglich „kritische“ Ausrichtung der Universität verloren gehe und die Forschung sich einer Kontrolle nach ethischen Gesichtspunkten entziehe.254 In den Natur- und Ingenieurwissenschaften scheint allerdings bereits zu Beginn der 1980er Jahre eine hohe Akzeptanz der Drittmittelfinanzierung die Regel gewesen zu sein, da die Forschung in diesen Fächern wegen des finanziellen Aufwands in stärkerem Maße und bereits deutlich früher als in den Geistes- und Sozialwissenschaften von zusätzlichen Mitteln abhängig war.255 Der kontroverse Status der Drittmittelforschung in Oldenburg war daher auch disziplinär kodiert. So kam scharfe Kritik an der vom Senat beschlossenen Drittmittelordnung als „Drittmittelverhinderungsordnung“ vor allem aus den Naturwissenschaften.256 Diese Ordnung zeichnete allerdings vor allem die Bestimmungen des Niedersächsischen Hochschulgesetzes nach und sah lediglich bei der Einstellung von Drittmittelpersonal ein aufwändigeres Verfahren unter Beteiligung der Gremien vor. Dies war als Ausdruck der Bestrebungen nach Demokratisierung der universitären Strukturen und Abbau der professoralen Machtpositionen zu verstehen. In Oldenburg waren es zudem nicht nur Studierendenvertreter, die einen Abbau der Regulierung von Drittmittelforschung durch die Hochschulrahmengesetz-Novelle von 1985 ablehnten, sondern eine Mehrheit in einer außerordentlichen Konventssitzung, die darin einen Verlust gesellschaftlicher Kontrolle über die Forschung an die Interessen der Industrie sah.257 Rechtlich war die Kontrolle der Drittmittelforschung durch die zentralen Universitätsgremien jedoch, vor der Gesetzesnovelle wie danach, darauf beschränkt zu überprüfen, ob durch die Drittmittelprojekte andere Aufgaben der Hochschule nicht beeinträchtigt und entstehende Folgelasten „angemessen berücksichtigt“ würden. Wenn dies nicht der Fall war, konnte nach der Änderung des HRG zwar noch die Inanspruchnahme universitärer Ressourcen, aber nicht mehr das Drittmittelvorhaben selbst untersagt
252 253 254 255 256 257
Vgl. TUM Mitteilungen, no. 2 (1988/1989), S. 3–11. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 150. Sitzung des Senats am 5.6.1985. Ebd., Protokoll der 146. Sitzung des Senats am 24.10.1994, S. 13. Vgl. Universität Bielefeld (1987), S. 52; Gespräch mit Tassilo Küpper am 5.4.2016. UAOL 20002–110, Protokoll der 6. Sitzung des Senats am 11.11.1981, S. 13. Vgl. uni-info, no. 7 (1982), S. 2.
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werden.258 In der Praxis dürfte diese Gesetzesänderung aber kaum Auswirkungen auf das Ausmaß der Drittmittelforschung gehabt haben, da eine Einschränkung durch Hochschulleitungen und Senate bereits zuvor äußerst selten war.259 Die mancherorts in eindringlichem Ton vorgetragene Kritik an einer befürchteten Unterordnung der Wissenschaft unter die „Verwertungsinteressen“ privater Wirtschaftsunternehmen auf dem Weg der Drittmittelforschung darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den 1980er Jahren die Mittel aus der Industrie nur einen kleinen Teil des Drittmittelaufkommens der Hochschulen ausmachten. Der Wissenschaftsrat schätzte, dass 1980 etwa 184 Millionen D-Mark aus der Wirtschaft für Forschung an Hochschulen ausgegeben wurden, was einem Anteil von 12 Prozent an allen Drittmitteln entspreche. Bis 1985 nahm er eine Steigerung auf 313 Millionen D-Mark oder 15 Prozent an. Über diesen Anteil kamen die privatwirtschaftlichen Drittmittel allerdings bis Anfang der 1990er Jahre nicht hinaus.260 Für eine relativ geringe Bedeutung von Drittmittel aus der Industrie spricht auch der Umstand, dass diese in der amtlichen Statistik in den 1980er Jahren nicht eigens ausgewiesen oder mit anderen Mitteln aus privater Hand vermengt wurden. An der FU Berlin machten laut offizieller Statistik die Mittel „sonstiger privater Zuwender“ 1980 nur 6 Prozent und 1983 lediglich 5 Prozent des gesamten Drittmittelaufkommens aus.261 Selbst an der TU München, die mit den Ingenieurwissenschaften und der Medizin über die Fächer verfügte, in denen die meiste privatwirtschaftliche Auftragsforschung stattfand,262 stammte in der ersten Hälfte der 1980er Jahre höchstens ein Viertel der Drittmittel aus der Industrie.263 Erst in den 1990er Jahren nahmen die Drittmitteleinnahmen aus der Wirtschaft deutlich zu, so dass sie 1999 mit 1,4 Milliarden D-Mark (0,7 Milliarden EUR) bereits 30 Prozent der gesamten externen Forschungsgelder ausmachten.264
258 Hochschulrahmengesetz vom 26.1.1976, in: BGBl. I, S. 185–205, hier § 25; sowie Drittes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 14.11.1985, in: BGBl. I, 2090–2098. Mit der Novelle von 1985 wurde eine Berechtigung der Hochschulangehörigen zur Drittmittelforschung festgeschrieben, anstelle der vorherigen Kann-Bestimmung. Damit folgte die Gesetzgebung den Empfehlungen einer zur Begutachtung der Auswirkung des Hochschulrahmengesetzes eingesetzten Kommission, vgl. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1984), S. 119. 259 Der Präsident der FU Berlin z. B. machte von der Möglichkeit, Drittmittelprojekte zu unterbinden, mindestens von 1977 bis 1983 keinen Gebrauch, vgl. Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 44; sowie Der Präsident der FU Berlin (1985), S. 31. Auch für die Universität Bielefeld, wo das Rektorat alle Drittmittelanträge prüfte, ergab eine Durchsicht der Rektoratsprotokolle keinen einzigen Fall, in dem ein Projekt untersagt worden wäre. 260 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 55. 261 Vgl. Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 30; Der Präsident der FU Berlin (1985), S. 278. 262 Vgl. hierzu z. B. die Aufschlüsselung der Drittmitteleinnahmen der TU München nach Fächern und Mittelgebern, TU München (1997a), S. 66. 263 Vgl. TU München (1997a), S. 65. Mittel aus der Wirtschaft wurden zu dieser Zeit im bayerischen Hochschulhaushalt unter der Titelgruppe 71 verbucht, die allerdings alle Zuwendungen Dritter einschloss, die nicht von der DFG, vom Bund oder aus staatlichen Forschungsaufträgen stammten. 264 Zahlen des Statistischen Bundesamtes für Universitäten einschließlich Hochschulklinika aus Fachserie 11 Reihe 4.5 (Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen). Zur weiteren Entwicklung s. u. Kap. III.6.
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Der größte Drittmittelgeber deutscher Universitäten blieb aber im gesamten Untersuchungszeitraum die DFG.265 Für die weitgehende Akzeptanz der Drittmittelforschung unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dürfte daher die Ausgestaltung des Fördersystems der DFG ausschlaggebend gewesen sein. Die Entscheidungsverfahren der DFG waren (und sind weiterhin) so aufgebaut, dass die Verteilung von Ressourcen – die wissenschaftspolitische Funktion der DFG – als Ergebnis rein wissenschaftlicher Entscheidungen über die Qualität von Anträgen legitimiert wurde. Die Bewilligung von Anträgen hing von der Beurteilung durch Fachgutachter ab, die regelmäßig auf Vorschlag der jeweiligen Fachverbände von allen seit mindestens drei Jahren promovierten und in Mitgliedsinstitutionen der DFG tätigen Wissenschaftler gewählt wurden.266 Die Forschungsförderung durch die DFG legitimierte sich als Verfahren der „Selbststeuerung“ der Wissenschaft267 folglich dadurch, dass es sich bei den Entscheidungsträgern um Personen handelte, die, so die Unterstellung, aufgrund ihrer wissenschaftlichen Reputation gewählt worden waren. Das hohe Maß an Plausibilität, das dieser Konstruktion innewohnte, zeigt sich unter anderem daran, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Mitteln der DFG als Ausweis fachlicher Reputation den Vorzug vor Geldern der Bundesministerien und der Wirtschaft gaben.268 Wenngleich sich die Kritik der 1980er Jahre an einer Einflussnahme von Drittmittelgebern in der Regel auf mögliche Wirtschaftsinteressen fokussierte, scheint doch die Frage angebracht, inwiefern auch die Konkurrenzverhältnisse um andere Drittmittel, die nicht aus der Privatwirtschaft stammten, die Wissenschaftsentwicklung beeinflussten. Als Dritte, die mit Mitteln für die Forschungsförderung über eine von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie von Universitäten begehrte Prämie verfügten, konnten die Drittmittelgeber Kriterien für förderungswürdige Projekte setzen und auf diesem Weg Einfluss auf die Entscheidung über die Inhalte der Forschung nehmen. Je mehr die Forschung an Universitäten von zusätzlichen externen Mitteln abhängig war, desto mehr wuchs das Potenzial dieser Dritten zur Steuerung der Wissenschaftsentwicklung, also ihre Fähigkeit, darüber zu entscheiden, welche Forschungsgebiete gefördert, welche Forschungsfragen untersucht und welche Methoden dabei angewandt werden sollten. Auffällig ist zunächst ein deutliches Ungleichgewicht der Drittmitteleinwerbungen zwischen den Sozial- und Geisteswissenschaften einerseits, der Medizin sowie den 265 Im Jahr 1985 stammten 965 Millionen DM und damit fast die Hälfte der von Hochschulen eingeworbenen Drittmittel von der DFG (vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 18, 55). In den Jahren von 2000 bis 2012 bewegte sich der Anteil der DFG-Mittel an den Drittmitteln der Universitäten (inklusive medizinischer Einrichtungen) zwischen 30 und 37 % (eigene Berechnungen basierend auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes aus Fachserie 11, Reihe 4.5, Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen), wobei die DFG der größte einzelne Mittelgeber blieb und mehr Fördergelder an Universitäten vergab als die Bundesministerien und die gesamte Privatwirtschaft. 266 Vgl. Neidhardt (1988), S. 50 f. 267 Vgl. Neidhardt (1988). 268 Vgl. Meier/Müller (2006), S. 108 f.
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Natur- und Ingenieurwissenschaften andererseits. An der FU Berlin zum Beispiel entfielen 43 Prozent der Drittmitteleinnahmen des Jahres 1985 auf Naturwissenschaften und Mathematik, weitere 33 Prozent auf die Human- und Veterinärmedizin,269 während die naturwissenschaftlichen Fächer nur über 187, die medizinischen Fachbereiche nur über 105 der 581 C 3- und C 4-Professuren an der Universität verfügten.270 Ein Blick auf die Drittmittelgeber und ihre Präferenzen legt nahe, dass diese Diskrepanz nicht alleine auf die höheren Kosten experimenteller Forschungsprojekte zurückzuführen ist, sondern auch mit der Verfügbarkeit von Möglichkeiten externer Finanzierung zusammenhing. So flossen Mittel aus der Privatwirtschaft bevorzugt in anwendungsnahe Bereiche, weshalb zum Beispiel die Medizin der FU Berlin 1985 etwa die Hälfte aller privaten Drittmittel der Universität einnahm.271 Das BMFT als zweitwichtigster Drittmittelgeber nach der DFG272 verfolgte mit seiner Forschungsförderung ähnliche Ziele wie die Wissenschaftsministerien der Länder, nämlich die Erschließung möglicherweise wirtschaftlich relevanter Forschungsfelder.273 In den 1980er Jahren waren dies unter anderem Energieforschung, Informationstechnologie, Biotechnologie, Lasertechnik und die Erforschung neuer Werkstoffe.274 Zwar hatte die sozialliberale Regierung unter dem Programmschwerpunkt „Humanisierung des Arbeitslebens“ auch die Sozialwissenschaften in die Forschungsförderung des Bundes aufgenommen,275 doch handelte es sich dabei um einen sehr begrenzten Ausschnitt der Fächergruppe. Zudem verlor dieses Forschungsfeld bald wieder an Bedeutung, nachdem das BMFT bereits 1975 die „Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft“ als wichtigstes Ziel benannte und die Forschungsförderung zunehmend als Mittel der Strukturpolitik verstanden wurde, die eine Anpassung der deutschen Wirtschaft an die Bedingungen der Weltmärkte unterstützen sollte.276 Fächer, denen im wissenschaftspolitischen Diskurs wirtschaftliche Relevanz zugeschrieben wurde, waren daher nicht nur in der Konkurrenz um die knapper gewordene Grundfinanzierung durch die Bundesländer im Vorteil, sondern auch bei der Einwerbung von Drittmitteln, da Bund und Länder angesichts der wahrgenommenen wirtschaftlichen Probleme in der Forschungspolitik ähnliche Prioritäten setzten. Geistes- und Sozialwissenschaften hingegen stand kein Angebot an Drittmitteln in vergleichbarer Höhe offen. Die von Stiftungen vergebenen Mittel, die auch in diese Fächer flossen, waren deutlich geringer als die aus den 269 Vgl. Der Senator für Wissenschaft und Forschung (1987), S. 119. 270 Vgl. FU Berlin (1985), S. 81–89. 271 Vgl. Der Senator für Wissenschaft und Forschung (1987), S. 120. 272 Vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 18, 24, 55; 1985 vergab das BMFT 375 Millionen DM an Projektmitteln an Hochschulen, die DFG 965 Millionen DM. 273 Vgl. Der Bundesminister für Forschung und Technologie (1984). 274 Vgl. Weingart et al. (1990), S. 34; Der Bundesminister für Forschung und Technologie (1984), S. 58 f.; Der Bundesminister für Forschung und Technologie (1988), S. 70 f.; zu beachten ist allerdings, dass in den Zahlen der Bundesforschungsberichte auch die Mittel enthalten sind, die an Unternehmen und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen gingen. 275 Vgl. Weingart et al. (1990), S. 33; Seibring (2011). 276 Vgl. Szöllösi-Janze (1990), 209 f.; für das Zitat s. ebd. S. 209.
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Händen der Privatunternehmen oder der Forschungsförderung des Bundes.277 Die Struktur der Drittmittelquellen, die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an deutschen Universitäten zur Verfügung standen, und die Präferenzen der Mittelgeber führten folglich dazu, dass zusätzliche Stellen an Hochschulen tendenziell eher in Fachgebieten geschaffen wurden, von denen kurz- oder längerfristig (je nachdem ob es sich um Auftragsforschung oder staatliche Forschungsförderung handelte) wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse erwartet wurden. Begrenzt wurden diese Effekte allerdings durch die DFG, deren Fördermöglichkeiten grundsätzlich allen an Hochschulen vertretenen Fächer offenstanden. Da die DFG im sogenannten „Normalverfahren“ keine Quoten für Fächer oder Fächergruppen vorgab,278 hing der Anteil der Wissenschaftsgebiete an den Fördermitteln der DFG davon ab, wie viele Anträge von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eines Faches jeweils eingereicht und von den Fachgutachtern und -gutachterinnen als förderungswürdig eingestuft wurden.279 Die Geistes- und Sozialwissenschaften waren jedoch auch im Normalverfahren der DFG deutlich unterproportional vertreten. Auf diese Fächergruppe entfielen zum Beispiel 1985 27 Prozent der geförderten Projekte und 20 Prozent der Fördermittel, während sie zugleich 36 Prozent der Professoren an deutschen Hochschulen stellte.280 In der Diskrepanz zwischen dem Anteil an den Fördermitteln und dem Anteil an den durchgeführten Forschungsvorhaben kommen vor allem die niedrigeren Kosten geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung gegenüber experimentellen Fächern zum Ausdruck. Die unterproportionale Beteiligung an den geförderten Projekten hingegen lässt darauf schließen, dass Drittmittelforschung in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu dieser Zeit noch nicht wie in anderen Fächern allgemein üblich war und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein geringeres Interesse oder einen geringeren Bedarf an zusätzlichen Mitteln, zumindest in Gestalt von Projektförderung, hatten. Das Förderverfahren der DFG wirkte nicht nur der starken Bevorzugung wirtschaftlich relevanter Forschung durch andere Drittmittelgeber entgegen, sondern verhinderte auch – da die DFG ihrem Anspruch nach bevorzugt „Grundlagenforschung“ förderte – eine stärkere Verschiebung zu anwendungsnaher Forschung, wie sie durch Aufträge aus der Privatwirtschaft und durch einen Teil der Bundesförderung finan-
277 Im Jahr 1985 betrugen die Drittmittel von Stiftungen und Fördergesellschaften nach Schätzungen des Wissenschaftsrates 196 Millionen DM (wovon etwa die Hälfte auf die Volkswagen-Stiftung entfiel), die von Unternehmen und Verbänden hingegen 313 Millionen, die des BMFT 375 Millionen; vgl. Wissenschaftsrat (1993a), S. 55. 278 Vgl. Neidhardt (1988), S. 16. 279 Als jedoch infolge eines Anstiegs der Antragszahlen und der beantragten Mittel zu Beginn der 1990er Jahre die finanziellen Möglichkeiten der DFG nicht mehr ausreichten, kam eine fachübergreifende vergleichende Begutachtung der von den Fachgutachtern als förderungswürdig bewerteten Anträge durch den Hauptausschuss als weiterer Faktor hinzu, s. u. Kap. IV.4. 280 Zahlen in DFG (o. J. d), S. 127, und Lundgreen (2009), Tab. 1.1, 2.1 und 2.4. Der Anteil der Geistes- und Sozialwissenschaften an den Konkurrenten um Drittmittel dürfte damit noch unterschätzt sein, da die Gesamtzahl der Professoren auch die eher technisch ausgerichteten Fachhochschulen sowie die Kunst- und Musikhochschulen einschließt, an denen kaum Drittmittelforschung stattfand.
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ziert wurde.281 Der Einfluss der Drittmittelgeber darauf, welche Forschungsthemen an den Universitäten bearbeitet wurden, dürfte also insgesamt dadurch begrenzt worden sein, dass die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auswählen konnten, in welches Konkurrenzverhältnis sie sich begaben und an welchen Kriterien sie folglich ihre Anträge auszurichten hatten. Dass Forschungsgelder als knappes Gut nicht nur von einem einzigen Dritten vergeben wurden und dass einer der Dritten, nämlich die DFG, Anwendungsnähe und Thematik nicht zum Kriterium machte, schirmte somit die Entscheidungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern über ihre Forschungstätigkeit gegenüber einer stärkeren Außensteuerung ab.282 Eine anders geartete Steuerungswirkung, scheint aber auch die Forschungsförderung der DFG entfaltet zu haben, nämlich durch das SFB-Programm. Da dieses Verfahren mit dem Ziel geschaffen worden war, an den Universitäten Forschungskooperationen in größeren Verbünden zu fördern, war eine Einflussnahme auf die Forschungspraxis durchaus beabsichtigt. Es bestand eine auffällige Diskrepanz zwischen der Beteiligung der Geistes- und Sozialwissenschaften an der Einzelförderung im Rahmen des Normalverfahrens (1985: 27 Prozent der geförderten Projekte, 1990: 25 Prozent) und ihrem Anteil an den SFBs (1985: 10 Prozent, 1990: 12 Prozent).283 Wenn man den Anteil am Normalverfahren als Indikator für das Interesse und den Bedarf an Drittmitteln in den Geistes- und Sozialwissenschaften interpretiert, dann deutet diese Diskrepanz darauf hin, dass die für die Einwerbung von SFBs nötige Kooperation der Forschungspraxis dieser Fächer weniger entsprach als der anderer Disziplinen.284 Auch in den folgenden Jahrzehnten erhöhte sich der Anteil der Geistes- und Sozialwissenschaften an den laufenden SFBs nicht (2000: 12 Prozent, 2012: 11 Prozent).285 Dieses Programm hat daher zwar eine Umlenkung von Ressourcen in die Fächer, in denen Verbundforschung üblicher war, und innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften auf Forschungsthemen, die sich in großen Verbünden bearbeiten ließen, bewirkt. Es scheint aber keine größere Veränderung der geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungspraxis ausgelöst zu haben, da sich eine solche wahrscheinlich in einem höheren Anteil dieser Fächer an der Zahl der SFBs niedergeschlagen hätte.286 281 Diese Rolle der DFG betont z. B. Laudel (2006). 282 Dass eine Mehrzahl potenzieller Drittmittelgeber in Deutschland Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Möglichkeit eröffnete, sich die zu ihren Forschungsvorhaben ‚passenden‘ Drittmittelquellen zu suchen, stellt Grit Laudel in einer vergleichenden Untersuchung des Umgangs von australischen und deutschen Physikern mit den Erfordernissen der Drittmitteleinwerbung fest, vgl. Laudel (2006), S. 500 f. 283 Vgl. DFG (o. J. d), S. 127, 164; DFG (1991), S. 143, 153. 284 Ob diese Unterschiede der Forschungspraxis auf die Eigenarten der Gegenstandsbereiche der jeweiligen Wissenschaften oder aber auf die Gewohnheiten und Normen der verschiedenen wissenschaftlichen Gemeinschaften zurückzuführen sind, wäre eine epistemologische Frage, die hier zwar nicht beantwortet werden kann, für die Beurteilung von Steuerungseffekten auf die Forschungspraxis einzelner Disziplinen aber nicht unwichtig ist. 285 Vgl. DFG (o. J. a), S. 105; DFG (o. J. c), S. 176. 286 Auch die Zahl der Geistes- und Sozialwissenschaftler an deutschen Hochschulen nahm in dieser Zeit nicht so stark ab, dass die gleichbleibenden Anteile am SFB-Programm auf eine stärkere Orientierung an Verbundforschung hinweisen würden.
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Diese Beobachtungen führen zu der Frage, ob nicht vielleicht auch die Form der Drittmittelforschung, nämlich der Zwang Forschungsideen – um eine Finanzierung zu erhalten – als Projekte darzustellen und durchzuführen, einen Einfluss auf die Wissenschaftsentwicklung ausgeübt haben könnte. Vor allem über die Drittmittelforschung und über die Ausrichtung der universitätsinternen Forschungsförderung auf die Drittmitteleinwerbung setzte sich nämlich das Projekt „[q]uer zu allen Disziplinen, Forschungsgegenstanden und Forschungsarten“ als „gemeinsames Normalmodell der Forschung“ durch.287 Diese Form ist allerdings nicht neutral gegenüber den Inhalten der Forschung. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich manche Forschungsansätze und -methoden eher für Projekte eignen als andere und somit die institutionalisierte und als Deutungsmuster etablierte288 Projektform einen Einfluss auf die Selektion der bearbeiteten Forschungsthemen ausübte.289 Für die Geldgeber erfüllt die Projektform die Funktion, das mit Forschung stets verbundene Risiko des Scheiterns berechenbar zu machen und so begründete Förderentscheidungen zu ermöglichen. Zu diesem Zweck müssen vorab Entscheidungen über Ziele und Methoden getroffen werden. Dies bedeutet, dass eine gewisse Erwartbarkeit der Ergebnisse des Forschungsprozesses hergestellt und der „Nicht-Abschließbarkeit“ der Forschung durch Einschränkungen begegnet werden muss.290 Die Anforderungen der Projektform wirken allerdings nicht nur bei der Formulierung von Anträgen, also bei der Wahl von Forschungsthemen und -methoden, sondern auch nach der Bewilligung eines Projekts in Entscheidungssituationen während der Forschungsarbeit, wie Marc Torka an Beispielen aus den Technik- und Erziehungswissenschaften zeigen konnte. Die mit dem Antrag festgelegten Entscheidungen blieben für die Forschungstätigkeit verbindlich und konnten zum Beispiel dazu führen, dass „Umstellungen während des Forschungsprozesses“ blockiert wurden.291 Darauf, dass mit dem Vordringen der Projektform im Gefolge der partiellen Umstellung der Forschungsfinanzierung auf Drittmittel eine Veränderung der Wissensproduktion einherging, deuten auch zeitgenössische Wahrnehmungen. Der Rektor der Universität Bielefeld zum Beispiel problematisierte 1989 die Zunahme der projektförmigen Drittmittelforschung als „nicht immer mit längerfristig angelegter Grundlagenforschung vereinbar“.292 Auch der Soziologe Joachim Matthes beobachtete in seinem Fach eine auffällige Verbreitung des Projekts als Rahmen des Forschungsprozesses wie auch als Deutungsmuster bei seinen Fachkollegen.293 Er sah allerdings nicht in der Projektform an sich das Problem, da er deren Funktion, Wissenschaft planbar zu machen, anerkannte, sondern darin, dass Forschungsideen stets und bereits zu einem frühen Zeitpunkt als Projekte konzipiert werden müssten. Man solle „nicht die Fernwirkun287 288 289 290 291 292 293
Torka (2006), S. 63. Vgl. Torka (2006), S. 65 f. Vgl. Besio (2009), S. 300 f. Vgl. Torka (2006), S. 71–73. Vgl. Torka (2009), S. 280. Universität Bielefeld (1987), S. 13. Vgl. Matthes (1988).
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gen jener Deformation des Denkens unterschätzen, die sich im Projektschema mit der Verlagerung der Konsistenzerwartung in die Frühphase einer Forschungsabsicht verknüpfen“.294 Matthes kritisierte zudem, dass die universitätsintern zur Forschungsförderung zur Verfügung stehenden Mittel abnahmen und dass die Universitäten die Zuweisung solcher Gelder zunehmend von Projektanträgen abhängig machten, anstatt über offenere Förderungsformen ein Gegengewicht zu etablieren.295 Ob sich aus dem Zwang, dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausgesetzt sahen, ihre Forschung in der Form von Projekten durchzuführen, aggregierte Effekte ergaben, diese Art der Forschungsfinanzierung also bestimmte Arten von Forschung systematisch verdrängte, lässt sich allerdings auf dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaftsforschung noch nicht klären.296 Der Wandel in der Hochschulfinanzierung hatte nicht nur Folgen für die Entwicklung der Wissenschaft, sondern auch für die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Der Anteil des drittmittelfinanzierten Personals an den akademischen Mitarbeitern stieg im Lauf der 1980er Jahre von 18 auf 28 Prozent.297 An der Universität Bielefeld stellte der Rektor 1986 fest, dass sich die Zahl des Drittmittelpersonals innerhalb von zwei Jahren auf 315 verdoppelt habe, so dass bereits 22 Prozent aller Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an der Universität im Rahmen von Forschungsprojekten angestellt seien.298 Der Rektor bewertete diese Entwicklung durchaus als problematisch für die „Beschäftigungsperspektive“ des wissenschaftlichen Nachwuchses.299 Da Drittmittel nämlich stets für begrenzte Zeiträume und für bestimmte Forschungsprojekte zugewiesen wurden, bedeutete diese Entwicklung zugleich einen Anstieg der Zahl befristeter Arbeitsverhältnisse. Während die Zahl der 294 Matthes (1988), S. 470. Auch Torka verweist darauf, dass die Projektform unter Umständen funktional für die Forschung sein kann, weil aufgrund der Unabschließbarkeit von Forschungsprozessen „ohne künstliche Unterbrechungen keine Ergebnisse zustande“ kommen könnten, und verweist auf das Beispiel eines theoretisch arbeitenden Einzelwissenschaftlers, der, obwohl er sich ausschließlich auf seine Grundfinanzierung stützte, dennoch der Projektform ähnliche Schemata anwandte und sich z. B. feste Zeitrahmen für Arbeitsschritte setzte (Torka (2009), S. 283). 295 Vgl. Matthes (1988), S. 467 f., 471. 296 Die Arbeit von Torka, der sich auf Feldstudien und Mitschnitte von Arbeitsgruppentreffen stützt, scheint der bisher methodisch avancierteste Ansatz zu sein, beschränkt sich allerdings auf nur drei Fallbeispiele. Andere Studien zum Einfluss der Drittmittelforschung verlassen sich auf Interviews mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, vernachlässigen dabei aber zum Teil, dass es dem Selbstverständnis der Forscher entsprechen kann, wenn sie behaupten ihre Themenwahl nicht an externe Anforderungen anzupassen (vgl. z. B. Leisyte et al. (2010)). Eine weitere Herausforderung scheint darin zu bestehen, Kategorien zu entwickeln, mit denen sich solche aggregierten Effekte der Forschungsförderung auf die Wissenschaftsentwicklung überhaupt fassen lassen, Kategorien also, die sowohl auf möglichst alle Forschungsprojekte trennscharf anwendbar wären, aber auch nicht zu abstrakt sind. 297 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 5.25; diese Zahlen beziehen sich auf alle Hochschulen, weshalb der Anteil an Universitäten noch einmal deutlich höher gewesen sein dürfte. Wegen Eingliederung des ostdeutschen Hochschulsystems sackte der Wert 1992 auf 18 % ab, stieg dann aber bis zum Ende des Jahrzehnts auch bundesweit wieder auf 28 %. 298 Vgl. Universität Bielefeld (1987), S. 13. 299 Universität Bielefeld (1987), S. 13.
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dauerbeschäftigten nicht-professoralen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an wissenschaftlichen Hochschulen von 1982 bis 1991 nur leicht von 10 632 auf 11 702 zunahm, stieg die Zahl befristet Angestellter von 28 793 auf 43 273.300 Die befristete Anstellung war im Hochschulbereich nicht neu, denn schon der Hochschulausbau hatte zu einer Vermehrung der befristeten Stellen geführt. Da aber damals zugleich in großem Umfang neue Dauerstellen geschaffen wurden und ein Ende der Expansion nicht absehbar war, wurde die Befristung von Arbeitsverhältnissen in der hochschulpolitischen Debatte bis Mitte der 1970er Jahre kaum problematisiert. Die Situation veränderte sich allerdings durch den Abbruch des Hochschulausbaus und die starke Expansion der Drittmittelforschung. Zusätzlich verschärfte sich die Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses dadurch, dass in der Ausbauphase Professuren und andere Dauerstellen oft mit relativ jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzt worden waren, so dass bis Ende der 1980er Jahre nur ein beschränkter personeller Erneuerungsbedarf bestand.301 In den frühen 1980er Jahren versuchte eine wachsende Zahl befristet Beschäftigter, angesichts der schlechten Karriereperspektiven vor den Arbeitsgerichten eine Entfristung ihrer Anstellung einzuklagen, und hatte damit auch teilweise Erfolg. Viele der befristeten Kräfte waren nicht als Beamte auf Widerruf, sondern als Angestellte nach dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) beschäftigt und fielen somit unter das Arbeitsrecht.302 Die Arbeitsgerichte erkannten zwar die Begründung einer Befristung durch die Funktion einer Stelle für die Weiterqualifikation an, in der Regel aber nicht die Verknüpfung der Befristungsdauer mit den Bewilligungszeiträumen der Drittmittel, die oft kürzer waren als die Projektlaufzeit. Außerdem war die Befristungsdauer nach dem BAT auf fünf Jahre beschränkt. Unter Umständen konnten die Universitäten somit gezwungen sein, Drittmittelpersonal dauerhaft anzustellen und nach dem Auslaufen von Projekten in anderen Positionen weiter zu beschäftigen.303 Insbesondere das Auslaufen von SFBs mit ihrer im Vergleich zu anderen Drittmittelprojekten langen Förderungsdauer konnte die betroffenen Universitäten daher vor Probleme stellen.304 Der Wissenschaftsrat beurteilte diese Entwicklung im Jahr 1982 als besorgniserregend, da durch die erzwungene Daueranstellung „die für die Qualifikation des wissenschaftlichen Nachwuchses vorgesehenen Stellen dauerhaft blockiert“ würden und
300 Vgl. Enders (1996), S. 108, Zahlen für Universitäten (ohne Medizin) und Kunsthochschulen, ohne Lehrkräfte für besondere Aufgaben. Man muss allerdings davon ausgehen, dass die Zahlen der amtlichen Statistik, auf die sich Enders bezieht, den Anstieg der befristeten Beschäftigung von Wissenschaftlern etwas größer erscheinen lassen als er tatsächlich war, wenn man berücksichtigt, dass im Laufe der 1980er Jahre ein wachsender Teil des Drittmittelpersonals nicht mehr über private Dienstverträge, sondern als Personal der Hochschulen angestellt wurde. 301 Vgl. Enders (1996), S. 107–109. 302 Vgl. Lohfeld (1991), S. 24. 303 Vgl. Wissenschaftsrat (1982), S. 23 f.; Der Präsident der FU Berlin (1981), S. 45 f. 304 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 172, Schreiben des Abteilungsleiters IV im Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an den Abteilungsleiter III vom 11.8.1983.
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empfahl daher eine Ausweitung der Befristungsmöglichkeiten.305 Diese Auffassung teilten auch die WRK und die Wissenschaftsminister. Nachdem der Bund aber von den Tarifpartnern keine Änderung des BAT in diesem Sinne erreichen konnte, hebelte er dessen Geltung durch ein neues Gesetz aus.306 Das „Gesetz über befristete Arbeitsverträge mit wissenschaftlichem Personal an Hochschulen und Forschungseinrichtungen“ vom 14. Juni 1985307 (kurz: Zeitvertragsgesetz) schuf eine Reihe von Gründen, die eine Befristung von wissenschaftlichen Beschäftigungsverhältnissen rechtfertigten.308 In der Praxis diente das Gesetz vor allem dazu, die bestehende Befristungspraxis abzusichern. Durch die Aneinanderreihung von Verträgen mit unterschiedlichen Befristungsgründen war zudem eine Beschäftigungsdauer von acht bis zwölf Jahren möglich. Der weitere Anstieg des Anteils befristet Beschäftigter im Hochschulbereich lag vor allem in der Expansion der Drittmittelforschung begründet, war vom Zeitvertragsgesetz folglich zwar nicht verursacht, aber doch rechtlich abgesichert.309 Damit waren zwar die administrativen Schwierigkeiten der Hochschulen weitgehend beseitigt, nicht aber für die wachsende Zahl von befristet angestellten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen das strukturelle Problem der Beschäftigungsperspektiven gelöst, das sich aus dem Ausbau der Drittmittelfinanzierung bei gleichzeitiger Stagnation oder doch nur relativ niedrigem Wachstum der Dauerstellen ergab. Da Drittmittel als wettbewerbliche Prämie für die überzeugendsten Projektideen vergeben und zu großen Teilen für Projektpersonal bestimmt waren, stand diese Form der Hochschulfinanzierung in einem Spannungsverhältnis zu Erwartungen der angestellten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Zukunftssicherheit und längerfristig planbare Karrieren im Hochschulsystem. Ein weiteres Folgeproblem der Ausweitung der Drittmittelforschung bestand aus der Perspektive der Hochschulen darin, dass die DFG die Förderung von SFBs von der Bereitstellung einer „Grundausstattung“ durch die Hochschule abhängig machte. Die Universität zu Köln sah sich zum Beispiel 1987 mit der Forderung konfrontiert, ein spezielles Labor einzurichten, was Investitionen und längerfristige Ausgaben für das technische Personal bedeutete.310 Obwohl die Hochschulleitung Schwierigkeiten bei der Bereitstellung dieser Mittel sah, entschied sie sich, da sie den SFB für wichtig erachtete, zu einer Zusage und bemühte sich um Unterstützung aus den Zentralmitteln des Wissenschaftsministeriums – trat also als Konkurrent auf einem anderen Feld
305 Vgl. Wissenschaftsrat (1982), 27 f., Zitat auf S. 27 306 Vgl. Lohfeld (1991), 27, 77–79; Enders (1996), S. 110; Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (1985), S. 243 f. 307 BGBl. 1985 I, S. 1065–1067. 308 Vgl. Lohfeld (1991), S. 94. 309 Vgl. Enders (1996), S. 122–126. 310 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 172, Schreiben der DFG an den Kanzler der Universität zu Köln vom 9.10.1987. Für weitere Beispiele vgl. ebd., Zugang 694, Nr. 43, Schreiben der DFG an den Rektor der Universität zu Köln vom 1.6.1994; ebd., Zugang 694, Nr. 21a, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19.12.1995.
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auf.311 Nicht selten sahen sich die Universitäten bei der Bereitstellung der geforderten Grundausstattung mit Schwierigkeiten konfrontiert, so dass in einer Diskussion des Plenums der WRK mit dem Präsidenten der DFG im Jahr 1986 angemerkt wurde, die Forderungen der Fachgutachter überschritten immer wieder „die Schmerzgrenze zumutbarer Verteilungsentscheidungen“.312 Die Probleme hingen nicht allein an der Höhe der geforderten Grundausstattung, sondern auch an der verbreiteten Ablehnung universitätsinterner Umverteilungen durch die Professorenschaft. Um SFBs einwerben zu können, mussten die Universitäten also bisweilen die Intensivierung interner Konkurrenz in Kauf nehmen. Handlungsdruck ergab sich allerdings auch, wenn SFBs nach einigen Jahren wieder ausliefen und die beteiligten Fächer mit der Frage konfrontiert waren, wie sie ihre Forschungsaktivitäten auf dem bestehenden Niveau halten und langjährige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiter beschäftigen könnten. Oft entwickelten die Beteiligten schon vor dem Auslaufen eines SFBs einen thematisch anschließenden Antrag, um den alten SFB zumindest teilweise zu ersetzen.313 Durch ein hohes Aufkommen an Drittmittel konnte allerdings auch eine gewisse Abhängigkeit entstehen, wie sich am Beispiel der Universität Bielefeld zeigt, die angesichts ihrer Größe in den 1980er und 1990er Jahren über eine hohe Zahl an SFBs verfügte.314 Der Bielefelder Rektor befürchtete 1998 angesichts des bevorstehenden Auslaufens mehrerer SFBs den Verlust der Spitzenstellung in Nordrhein-Westfalen mit Auswirkungen auf die Zuweisung der Grundfinanzierung und größere Finanzprobleme.315 Erfolg im Wettbewerb um Drittmittel entlastete somit nicht notwendigerweise von Konkurrenz, sondern erzeugte auch Anschlusszwänge zu erneutem Konkurrenzverhalten.
311 312 313 314 315
Vgl. ebd., Schreiben des Kanzlers der Universität zu Köln an die DFG vom 19.11.1987. Bibliothek der HRK, Protokoll des 150. Plenums der WRK am 3./4.11.1986, S. 11. So z. B. 1982 an der LMU München, vgl. um-bits aktuell, no. 2 (1982). Im Jahr 1993 waren es sechs SFB, vgl. Universität Bielefeld (1993), S. 10. UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 266. Sitzung des Senats am 1.7.1998.
II. Konkurrenz und Kooperation im Umbruch: Die Transformation des ostdeutschen Hochschulsystems
In den Jahrzehnten der Teilung hatten sich die Wissenschaftssysteme der beiden deutschen Staaten unterschiedlich entwickelt. Nach dem Vorbild der Sowjetunion war die Forschung in der DDR stärker als in der Bundesrepublik außerhalb der Universitäten, nämlich an den Instituten der Akademie der Wissenschaften, angesiedelt.1 Während im Westen die Zahl der Studierenden auch nach dem Abbruch des Hochschulausbaus weiter anstieg, was zu schlechten Betreuungsrelationen und langen Studienzeiten beitrug, war die Expansion des Hochschulsystems in Ostdeutschland bereits 1971 beendet und die Zahl der Studierenden in der Folgezeit auf etwa 10 Prozent eines Jahrgangs beschränkt worden. Die Ausbildungskapazitäten unterlagen dabei einer zentralistischen Bedarfsplanung.2 Auch die Strukturen des Hochschulsystems unterschieden sich deutlich: Hatte sich in der Bundesrepublik eine Zweiteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen ergeben, so existierte in der DDR neben den Universitäten eine Vielzahl an Spezialhochschulen.3 Im Westen setzte die Hochschulgesetzgebung in den 1970er Jahren eine Entwicklung in Richtung Gruppenuniversität durch, während in der DDR SED-Instanzen neben die hergebrachten Leitungsämter traten und der Einfluss der Gremien im Zuge der sogenannten „III. Hochschulreform“ gegen Ende der 1960er Jahre fast völlig beseitigt wurde.4 Der Einfluss des SED-Staates auf die Hochschulen drückte sich auch in der inhaltlichen Festlegung der Geistes- und Sozialwissenschaften auf die offizielle Doktrin und in der Gestaltung des Studiums aus. Seit den frühen 1950er Jahren war ein „gesellschaftswissenschaftliches“ Grundstudium
1 Vgl. Schluchter (1996), S. 68. Im Jahr 1989 ware in der DDR etwa 36 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen tätig und ungefähr 16 600 an den Hochschulen, während in der Bundesrepublik die Zahl der wissenschaftlichen Beschäftigten an den Hochschulen etwas höher lag als an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen, vgl. Brocke/Förtsch (1991), S. 48. Die Universitäten der DDR waren aber nicht, wie manche Akteure annahmen, weitgehend auf die Lehre reduziert, s. Kap. II.1. 2 Vgl. Jessen (2010), S. 267; Schluchter (1994), S. 112. 3 Vgl. Buck-Bechler (1994), S. 18. 4 Vgl. Schluchter (1996), S. 69; Kaiser (2010a), S. 140.
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II. Kon urrenn und Kooaeration im Umbruch
verpflichtend. Bei der Vergabe von Studienplätzen spielten politische Gesichtspunkte eine wichtige Rolle.5 Während des politischen Umbruchs im Herbst 1989 taten sich weder die ostdeutschen Universitäten als Institution noch die an ihnen vertretenen sozialen Gruppen als treibende Kraft hervor.6 Allerdings bildeten sich innerhalb der Universitäten reformorientierte Gruppen, die auf eine demokratische „Erneuerung“ und die Ablösung der alten Eliten drängten, während diese sich zu Konzessionen bereit fanden, um ihre Machtposition zu erhalten.7 In den letzten Monaten der DDR gelang es den Verfechtern einer Demokratisierung an manchen Universitäten, eine Neuwahl der Leitungsämter und strukturelle Veränderungen durchzusetzen; andernorts kam es erst durch externen politischen Druck dazu. Ansätze zu einem eigenständigen Wandel wurden allerdings durch „Reformen von oben und außen“ überlagert.8 Die weiteren Veränderungen waren vor allem durch die neugegründeten Landesregierungen gesteuert und richteten sich nicht zuletzt nach den Notwendigkeiten, die sich aus dem Einigungsvertrag ergaben. Wie auch für andere Gesellschaftsbereiche bedeutete die Wiedervereinigung für die Wissenschaft in erster Linie einen Institutionentransfer von West nach Ost.9 Die Akademie der Wissenschaften wurde aufgelöst, ihre Institute nach einer Evaluation durch den Wissenschaftsrat teils in veränderter Gestalt weitergeführt, teils geschlossen.10 Für die Hochschulen waren fortan die neugegründeten Bundesländer verantwortlich, ihre Organisationsstrukturen mussten mit den Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes zur Deckung gebracht werden. Die Länder integrierten die große Zahl von Spezialhochschulen in die bestehenden und neu gegründeten Universitäten oder schlossen sie zu Fachhochschulen zusammen.11 Als „ideologiebelastet“ geltende Fächer – vor allem die Rechtswissenschaft sowie Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und Teile der Geisteswissenschaften – wurden „abgewickelt“. An ihrer Stelle entstanden Fachbereiche, die sich am westdeutschen Modell der jeweiligen Disziplin orientierten. Mit dem institutionellen Wandel ging ein tiefgreifender personeller Umbruch einher. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den ostdeutschen Hochschulen hatten sich einer fachlichen und persönlichen Überprüfung zu unterziehen.
5 Vgl. Pommerin (2003), S. 324. 6 Vgl. Kaiser (2010b), S. 249 f.; Pommerin (2003), S. 423 f. 7 Vgl. hierzu und zum Folgenden Mayntz (1994c), S. 284–286; Pasternack (1999); zur HU Berlin vgl. Vollrath (2008); Jarausch (2012c); zur Universität Jena vgl. Rosenbaum (1994); Meinhold (2010); Ploenus (2007); Meinhold (2014); zur Universität Rostock vgl. Maeß (1994); zur Universität Leipzig vgl. Schluchter (1994); König (2010); zur TU Chemnitz vgl. Hermes et al. (2005), S. 189–198; zur TU Dresden vgl. Pommerin (2003), S. 321–339; zur Universität Halle-Wittenberg vgl. Hartwich (1994). 8 Kocka (1994). 9 Zur Frage, wieso das Wissenschaftssystem der DDR den westdeutschen Strukturen weitgehend angeglichen wurde, obwohl diese selbst in der Kritik standen, vgl. Schluchter (1996), S. 61–64; Mayntz (1994c), S. 293 f.; Kocka (1994). 10 Vgl. Mayntz (1994b). 11 Vgl. Buck-Bechler et al. (1997a), S. 101 f.; Lewin/Pasternack (2007), S. 31–34; Fuchs (1997), S. 237–239.
1. Die ostdeutschen Hochschulen: „ on urrennfähign?
Ein großer Teil der Stellen wurde neu ausgeschrieben. Vor allem in den „abgewickelten“ Fächern bedeutete dies einen fast vollständigen Personalwechsel, bei dem vor allem westdeutsche Bewerber und Bewerberinnen zum Zuge kamen. In der Umbruchsituation entstanden auf verschiedenen Ebenen Konkurrenzverhältnisse, die im Folgenden näher betrachtet werden sollen. In den ersten Monaten nach dem Mauerfall war das Verhältnis zwischen ost- und westdeutschen Hochschulen vor allem von Kooperation geprägt. Früh verbreitete sich allerdings unter den wissenschaftspolitischen Akteuren die Auffassung, die ostdeutschen Universitäten müssten konkurrenzfähig gemacht werden, eine Zielsetzung, die zur Angleichung des DDR-Wissenschaftssystems an die Strukturen der alten Bundesrepublik beitrug (Abschnitt 1). Die Vorstellung der Wettbewerbsfähigkeit konnte auch innerhalb der Hochschulen der DDR zu Veränderungsprozessen beitragen, wie am Beispiel der FSU Jena erläutert werden soll. Der Personalwechsel, insbesondere in den als ideologiebelastet geltenden Fächern, ließ wiederum die Universitäten um Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen konkurrieren (2). Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaft im Zeichen des bundesrepublikanischen Föderalismus führte sowohl in den Ländern, in denen insgesamt Hochschulkapazitäten abgebaut wurden, als auch dort, wo die Landesregierungen neue Universitäten gründeten, zu Konkurrenz um Ressourcen (3). In besonderem Maße war dies in Berlin der Fall, wo sich seit der Wiedervereinigung drei Universitäten Auseinandersetzungen um die schwindenden finanziellen Spielräume lieferten. Diese Situation wirkte als Katalysator für universitätsinterne Veränderungen, die in den folgenden beiden Jahrzehnten das deutsche Hochschulsystem prägen sollten (4). 1. Die ostdeutschen Hochschulen: „konkurrenzfähig“? In den ersten Monaten nach dem Fall der Mauer waren die Beziehungen zwischen Akteuren der beiden deutschen Wissenschaftssysteme in erster Linie von Kooperationsbemühungen geprägt. Von beiden Seiten sondierten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sowie die Leitungen von Wissenschaftseinrichtungen Möglichkeiten der deutsch-deutschen Zusammenarbeit. So besuchte schon am Tag nach dem Mauerfall der Präsident der FU Berlin den Rektor der Humboldt-Universität und lud diesen zu einem Treffen am 22. November ein, auf dem über eine Kooperation in Lehre und Forschung beraten wurde.12 Im Januar 1990 kamen die Präsidenten und Rektoren der Berliner Hochschulen zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen.13 Auch auf unteren Ebenen entstanden rasch Kontakte.14 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen 12 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, KR 3, Vermerk, 23.11.1989; Kubicki/Lönnendonker (2008), S. 135. 13 Ebd., KR 4, Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 4.1.1990, S. 4. 14 So z. B. in der Berliner Medizin, vgl. Ebd., Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 22.2.1990, S. 1.
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II. Kon urrenn und Kooaeration im Umbruch
nutzten in größerer Zahl die neue Reisefreiheit.15 Die DFG beschloss im Januar 1990 ein „Sofort-Programm“, um ost-westdeutsche Forschungskooperationen zu fördern.16 Ebenfalls seit Januar 1990 nahmen Rektoren ostdeutscher Hochschulen an Sitzungen der WRK teil. Die Akademie der Wissenschaften und die Max-Planck-Gesellschaft bemühten sich um eine Kooperation, und im westdeutschen Wissenschaftsrat wurde eine Arbeitsgruppe eingerichtet, an der ostdeutsche Vertreter beteiligt waren.17 Als Ziele standen den Protagonisten dieser Phase eine intensivierte deutsch-deutsche Zusammenarbeit und ein verstärkter Austausch von Studierenden und Wissenschaftlern vor Augen.18 Die ostdeutschen Hochschulen, an denen erste Schritte zu einer demokratischen „Erneuerung“ stattfanden, wurden im Westen – sofern ihnen nicht jegliches wissenschaftliches Gewicht abgesprochen wurde19 – in erster Linie als Kooperationspartner und nicht als Konkurrenten wahrgenommen. Vielmehr sahen Vertreter bundesrepublikanischer Universitäten angesichts der Grenzöffnung die Notwenigkeit, die ostdeutschen Hochschulen konkurrenzfähig zu machen, um eine Abwanderung von Studierenden von Ost nach West (und damit eine steigende „Überlast“ im Westen) zu verhindern.20 Dieses Thema wurde bereits auf dem ersten Treffen ostdeutscher Rektoren und Präsidenten mit der WRK angesprochen. „Beide Seiten“, hieß es in der folgenden Presseerklärung, seien sich einig gewesen, „daß versucht werden müsse, einen massiven brain-drain in Ost-West-Richtung zu verhindern“.21 Die WRK konstatierte im Februar 1990: Vorrangiges Ziel aller Bemühungen muß es sein, die materielle Infrastruktur der Hochschulen in der DDR so zu verbessern, daß das Studium und die Forschung dort konkurrenzfähig attraktiv werden und so die Abwanderungstendenz von Studenten und Professoren gestoppt werden kann; das schließt eine deutliche Erhöhung der Aufnahmekapazität der Hochschulen in der DDR mit ein, um den Abdrängungseffekt des noch bestehenden numerus clausus zu beenden. Dies setzt […] Unterstützung seitens der Bundesrepublik voraus […].22
Dass die Erwartung, Bürgerinnen und Bürger der DDR könnten in größerer Zahl an die Hochschulen der Bundesrepublik drängen, nicht unbegründet war, zeigte sich früh in Berlin. Dort stiegen die Einschreibezahlen an den Universitäten im Westteil 15 Die DFG förderte z. B. 1800 Reisen von Ostdeutschen in die BRD und von 1400 Westdeutschen in die DDR bzw. in die neuen Länder, vgl. Strohschneider (2015), S. 3. 16 Vgl. Strohschneider (2015), S. 1. 17 Vgl. Bartz (2007), S. 159. 18 Vgl. WRK (1991a); Bartz (2007), S. 159 f. 19 Vgl. Pasternack (2010), S. 322; Ursprung (1990), S. 100, zitiert in Vollrath (2008), S. 48. 20 Vgl. z. B. Universität Konstanz (1990), S. 1. Aus demselben Grund forderten Vertreter westdeutscher Universitäten auch eine Aufhebung des strengen Numerus Clausus in der DDR, vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, KR 4, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Senatorin für Wissenschaft und Forschung vom 13.3.1990. 21 Vgl. WRK (1991a), S. 23. 22 WRK (1991b), S. 41.
1. Die ostdeutschen Hochschulen: „ on urrennfähign?
der Stadt bereits zum Sommersemester 1990 an. In dieser Situation erschien es den Akteuren in Westberlin geboten, den strengen Numerus Clausus der ostdeutschen Hochschulen aufzuheben und deren Attraktivität zu erhöhen. Die Unterstützung der Humboldt-Universität seitens der FU, etwa in Gestalt von PCs, geschah vor diesem Hintergrund „nicht aus Selbstlosigkeit“.23 Auch im Osten wirkte die Vorstellung der Konkurrenzfähigkeit handlungsleitend. So begründete der letzte Minister für Bildung und Wissenschaft der DDR, Hans Joachim Meyer, im Sommer 1990 Maßnahmen zur Angleichung der Studiengänge an das westdeutsche Vorbild damit, es gehe „darum, den Studenten eine Perspektive zu eröffnen, sie zu motivieren und zu verhindern, daß sie in größerer Zahl an Universitäten und Hochschulen der BRD abwandern“.24 An der FSU Jena wiederum bewegte die Überzeugung, es gelte die eigene Universität „wettbewerbsfähig“ zu machen, die Vertreter eines Reformkurses dazu, die personelle Erneuerung rasch voranzutreiben.25 Seit sich im Frühjahr 1990 abzeichnete, dass es in absehbarer Zeit zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten kommen würde, verschob sich auch die Zielvorstellung der Akteure im Wissenschaftssystem. Statt einer verstärkten deutsch-deutschen Kooperation stand von da an die Vorbereitung des Zusammenschlusses im Fokus.26 Das beschriebene Deutungsmuster wirkte sowohl in dieser Phase als auch nach der Vereinigung fort. Dies schlug sich insbesondere in den Sonderprogrammen nieder, die 1990 und 1991 für die ostdeutschen Hochschulen aufgelegt wurden. So finanzierte der DAAD im Rahmen der „Hochschulförderung Ostdeutschland“ aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft (BMBW) Gastaufenthalte westdeutscher Professoren und Professorinnen in den neuen Ländern während des akademischen Jahres 1990/1991. Auf diese Weise sollte das Lehrangebot an ostdeutschen Hochschulen erweitert und somit deren Attraktivität erhöht werden, um die dortigen Studierenden zum Bleiben zu bewegen.27 Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK), wie sich die WRK seit dem Beitritt der ostdeutschen Hochschulen nannte, entwickelte seit dem Herbst 1990 Vorschläge für Unterstützungsmaßnahmen.28 Diese sollten dazu dienen, die Forschung an den Universitäten der neuen Länder „international konkurrenzfähig zu machen“ und angesichts der „zu erwartenden steigenden Nachfrage“ ausreichend Ausbildungskapazitäten zu schaffen, die mit westdeutschen Studiengängen „vergleichbar“ seien.29 Basierend auf 23 FU Berlin, UA, Präsidium, KR 4, Schreiben des Direktors der Universitätsbibliothek an den Präsidenten vom 24.1.1990; vgl. außerdem ebd., Beratungsergebnisse der Kleinen Routine am 8.3.1990; ebd., Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Senatorin für Wissenschaft und Forschung vom 13.3.1990; Kubicki/ Lönnendonker (2008), S. 135. 24 Aus einem Schreiben an den Rektor der FSU Jena, zitiert in Meinhold (2014), S. 116. 25 S. u. Abschnitt 2. 26 Vgl. Bartz (2007), S. 160. 27 Vgl. Osterhaus (1993), S. 63, 71. 28 Vgl hierzu und zum Folgenden Erichsen (1992), S. 11; Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1991); Bartz (2007), S. 178 f. 29 HRK (1991), S. 105.
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II. Kon urrenn und Kooaeration im Umbruch
den Vorschlägen der HRK und auf Empfehlungen des Wissenschaftsrates, beschlossen der Bund und die neuen Länder im Mai 1991 das sogenannte „Hochschulerneuerungsprogramm“. Dieses war zunächst mit 1,76 Milliarden D-Mark ausgestattet und wurde im Jahr 1992 auf 2,43 Milliarden D-Mark aufgestockt.30 Aus diesen Mitteln konnten unter anderem „Gründungsprofessuren“ in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern finanziert werden, von denen der Neuaufbau dieser Disziplinen ausgehen sollte.31 Dies hatte der Wissenschaftsrat empfohlen, „damit die Hochschulen sich rasch zu konkurrenzfähigen Einrichtungen entwickeln“ könnten.32 Vorgesehen waren unter anderem auch Mittel für die Verbesserung der Ausstattung sowie für Bleibeverhandlungen, um eine „Abwanderung von Wissenschaftlern aus den neuen Ländern zu verhindern“.33 Aus dem Förderpaket stammten außerdem die Gelder für die erste Phase des sogenannten Wissenschaftler-Integrations-Programm (WIP), das zunächst etwa 1 700 qualifizierten Beschäftigten abgewickelter Akademie-Institute eine Anstellung an einer Hochschule verschaffen sollte.34 Dem WIP lag die Annahme zugrunde, dass die Grundlagenforschung in der DDR weitgehend von den Hochschulen an die Akademie der Wissenschaften ausgelagert worden sei. Um die ostdeutschen Hochschulen zum primären Ort der Forschung zu machen, sollte ein Teil des Akademie-Personals dort eingesetzt werden.35 Zur Überraschung vieler westlicher Akteure stellte sich allerdings heraus, dass an den Universitäten der ehemaligen DDR keineswegs ein generelles Defizit an Forschung herrschte. Eine Studie des Wissenschaftsrates auf Basis von Publikationszahlen ergab, dass teilweise an den Hochschulen sogar intensiver geforscht worden war als an der Akademie der Wissenschaften.36 Das WIP bot den Universitäten zwar in manchen Fällen die Möglichkeit, fachlich geschätzte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen vor Ort zu halten;37 oftmals waren die Hochschulen allerdings nicht sonderlich erpicht darauf, weiteres Personal aufzunehmen. Das WIP sah nämlich für die ehemaligen Akademie-Beschäftigten nur befristete Stellen vor. An den Hochschulen hingegen bestand lediglich in den geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern ein größerer Bedarf an neuem Personal, der aus den entsprechenden Instituten der Akademie der Wissenschaften nicht gedeckt werden konnte, weil diese als ebenso ideologiebelastet galten. Somit erschienen die ehemaligen Akademie-Beschäftigten aus Sicht des Hochschulpersonals nicht selten als Konkurrenten um die insgesamt rückläufigen Stellen.38 30 Vgl. Buck-Bechler (1997), S. 41 f. 31 Vgl. hierzu und zum Folgenden Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1991). 32 Wissenschaftsrat (1991a), S. 10. 33 Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1991), S. 3. 34 Vgl. Bartz (2007), S. 178. 35 Vgl. Bartz (2007), S. 178. 36 Vgl. Bartz (2007), S. 173 f.; Pasternack (2010), S. 314; Simon (1998), S. 390. 37 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 38 Vgl. Schimank (1994a), S. 279; Block (2002), S. 15. Das WIP wurde mehrmals verlängert, doch gelang es aus den angeführten Gründen nur wenigen Betroffenen, eine Dauerstelle an einer Hochschule zu erhalten, vgl. Bartz (2007), S. 178 f.
2. Der aersonelle Umbruch an den ostdeutschen Universitäten
Die Förderprogramme, die den Umbau des ostdeutschen Wissenschaftssystems begleiteten, zielten somit weniger auf eine zeitweilige Begrenzung des Wettbewerbs als darauf, die ostdeutschen Hochschulen möglichst rasch konkurrenzfähig zu machen. Die involvierten Akteure verstanden darunter meist eine Angleichung an die westdeutschen Strukturen, zum Beispiel bei den Studienangeboten oder hinsichtlich der dominanten Rolle der Grundlagenforschung. Insbesondere Vertreter der DFG betonten, es habe keine „Schonfrist“ für ostdeutsche Wissenschaftler gegeben, diese hätten sich sogleich einer Konkurrenz stellen müssen, in der allein nach wissenschaftlicher Qualität entschieden worden sei.39 Anders verhielt es sich allerdings – was öffentlich so gut wie nie erwähnt wurde – auf dem wichtigen Feld des Berufungsgeschehens. Aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Bundesländern durften westdeutsche Universitäten keine Bleibeverhandlungen mit Professoren und Professorinnen führen, die einen Ruf aus den neuen Ländern erhielten.40 2. Der personelle Umbruch an den ostdeutschen Universitäten Die Wiedervereinigung bedeutete für das ostdeutsche Wissenschaftssystem einen tiefgreifenden personellen Umbruch. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den Hochschulen mussten sich einer persönlichen und fachlichen Überprüfung unterziehen, von der ihre weitere Beschäftigung abhing. Viele Einrichtungen wurden wegen „Ideologiebelastung“ „abgewickelt“ und anschließend neu aufgebaut. Konkurrenz spielte bei diesen Geschehnissen in dreierlei Hinsicht eine Rolle: Erstens konnte, wie am Beispiel der FSU Jena gezeigt wird, das Ziel der Wettbewerbsfähigkeit als Motivation und Begründung für die personelle Erneuerung dienen. Zweitens schufen die Überprüfung des ostdeutschen Personals und die Neuausschreibung von Professuren und Mitarbeiterposten einen verschärften Wettbewerb um Stellen. Drittens konkurrierten die ostdeutschen Universitäten, die alle innerhalb eines begrenzten Zeitfensters einen guten Teil ihrer Professuren neu zu besetzten hatten, um qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Die Universität Jena, die hier als Fallbeispiel betrachtet wird, kann bei der personellen Erneuerung als Sonderfall gelten.41 An manchen ostdeutschen Universitäten gelang es zwar im Gefolge des politischen Umbruchs Gruppen von Reformern, eine freie Wahl neuer Hochschulleitungen und Gremien durchzusetzen. Die eigenständigen Ansätze zur Erneuerung richteten sich danach aber vor allem auf die Veränderung der Entscheidungs- und Mitbestimmungsstrukturen, die demokratisiert werden sollten.
39 Der von 1992 bis 1997 amtierende DFG-Präsident Wolfgang Frühwald während eines Symposiums, zitiert in Köhler (1994), S. 177; vgl. außerdem DFG (1991), S. 13. 40 Vgl. FAZ, 15.6.1991, S. 4; FAZ, 24.8.1991, S. 41; Universität Bielefeld (1996), S. 59; Detmer (2001), S. 49; Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017. 41 Hierzu und zum Folgenden s. die Literaturhinweise in Fußnote 7.
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Die fachliche und persönliche Überprüfung des Personals erfolgte in der Regel erst auf Initiative der neu konstituierten Landesregierungen, die mit Hochschulerneuerungsgesetzen und Evaluationsordnungen die rechtliche Grundlage hierfür schufen. An der FSU Jena jedoch beschloss der Senat im September 1990, die fachliche Qualifikation wie auch die persönliche Integrität aller Hochschullehrer zu überprüfen. Die Initiative hierzu war von dem Mathematiker Hans Triebel und anderen Mitgliedern der Aktionsgemeinschaft Demokratische Erneuerung der Hochschule, der dominierenden Gruppe von Reformern in Jena, ausgegangen.42 Auf diese Weise sollte einer externen Evaluierung, die der Wissenschaftsrat empfahl, zuvorgekommen und die Fähigkeit zur eigenständigen Erneuerung demonstriert werden.43 „[D]urch diesen Selbstreinigungsprozeß“ wollten die Befürworter „die Wettbewerbsfähigkeit und de[n] Ruf der FSU als Thüringische Landesuniversität“ stärken.44 In einem Schreiben, mit dem die Hochschullehrer zur Beteiligung am Evaluationsverfahren aufgefordert wurden, hieß es, die Folgen der Berufungspraxis der DDR-Zeit „schädigen die zügige Entwicklung der Wissenschaft an unserer Universität, und damit sind ihr Ruf und ihre Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigt“.45 Ein wichtiger Grund für die personelle Überprüfung lag aus Perspektive ihrer Befürworter darin, dass in der DDR „[b]ekanntlich […] nicht bei allen Berufungsverfahren international übliche Kriterien berücksichtigt“ worden seien. In einer „Reihe von Fällen“ hätten „politische Gründe den Vorrang vor den fachlichen gehabt“.46 Daher stehe nun der Verdacht im Raum, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an den ostdeutschen Hochschulen ihre Stellung möglicherweise ebenso sehr politischer Wohlgefälligkeit wie fachlicher Qualifikation verdanken könnten. Einerseits sollte die Überprüfung den Hochschullehrern und -lehrerinnen die Möglichkeit geben, sich solcher Vermutungen zu entledigen47 – ein Argument, das auch zur Legitimation des Verfahrens diente. Andererseits ging es den Verfechtern der Evaluation darum, die Ergebnisse einer nicht allein auf wissenschaftlichen Kriterien beruhenden Konkurrenz um Stellen in der DDR nachträglich zu korrigieren.48 Der Fokus auf wissenschaftliche Gesichtspunkte zeigte sich in der Durchführung des Verfahrens. Alle Hochschullehrer und -lehrerinnen wurden aufgefordert, Unterla42 Vgl. Rosenbaum (1994), S. 68. Auch an der Universität Rostock beschloss der neu gewählte Senat eine personelle Überprüfung auf der Basis von Fragebögen. Zu einer Auswertung kam es allerdings nicht mehr, da das Land bereits ein einheitliches Verfahren vorgeschrieben hatte, vgl. Maeß (1994), S. 150. 43 Vgl. Meinhold (2010), S. 192 f. 44 Gottwald/Ploenus (2002), Dokument Nr. 170–2.10.1990. Auszug aus dem Protokoll der Senatssitzung zur Evaluierung und Staatssicherheitsproblematik, S. 255. Vgl. auch Meinhold (2010), S. 192 f.; Meinhold war zu dieser Zeit Prorektor der FSU Jena; vgl. zudem Kübel (2012), S. 11; Kübel wurde im Rahmen der Verwaltungshilfe des Landes Hessen für Thüringen 1990 als Kanzler an die FSU Jena abgeordnet. 45 Gottwald/Ploenus (2002), Dokument Nr. 171–4.10.1990. Schreiben von Prorektor Gerd Wechsung an alle Hochschullehrer, S. 256 f.; ebenfalls zitiert in Meinhold (2010), S. 231 f.; Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 46 Gottwald/Ploenus (2002), Dokument Nr. 171–4.10.1990. Schreiben von Prorektor Gerd Wechsung an alle Hochschullehrer, S. 256 f., Zitat auf S. 256. 47 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 48 Vgl. Wechsung (2008), S. 18 f.
2. Der aersonelle Umbruch an den ostdeutschen Universitäten
gen zu ihrer Person einzureichen, die Publikationslisten und Angaben unter anderem zu Auslandsaufenthalten, Forschungsprojekten, Vorträgen auf internationalen Konferenzen, betreuten Promotionen, Herausgebertätigkeiten, gehaltenen Vorlesungen und wissenschaftlichen Ehrungen enthalten sollten.49 Das Bemühen, „so schnell wie möglich […] den Anschluß an das internationale wissenschaftliche Niveau“ zu erreichen,50 kam auch darin zum Ausdruck, dass die Hochschulleitung sich um die Beteiligung westdeutscher Wissenschaftler als Gutachter oder als Mitglieder der Evaluationskommissionen bemühte.51 Die Überprüfung befasste sich auch mit der Frage, ob Beschäftigte ihre Machtstellung zum Schaden anderer ausgenutzt hatten.52 Kritik an dem Verfahren wurde dadurch erschwert, dass sich die Evaluation weitgehend an Gesichtspunkten orientierte, die üblicherweise auch in Berufungsverfahren eine Rolle spielten. Obwohl jede rechtliche Grundlage fehlte, weigerten sich nur zwei Professoren aus der Rechtswissenschaft, die geforderten Unterlagen vorzulegen. Sie begründeten dies damit, dass dem Verfahren ein unangemessener Generalverdacht zugrunde liege.53 Manche Wissenschaftler sahen allerdings die „‚Naivität und de[n] Akademismus‘“ der Evaluation kritisch, wie ein Professor ausführte: „z. B. nimmt man an, daß für Prof. P. das Vierteljahr USA-Aufenthalt positiv zu Buche schlage (was rein fachlich ja auch stimmt, nur waren mit diesem Einwand die partei- und universitätspolitischen Voraussetzungen gemeint […])“.54 Die von der FSU Jena durchgeführte Überprüfung der Hochschullehrer und -lehrerinnen war im Frühjahr 1991 abgeschlossen. Allerdings musste nach Erlass einer Evaluationsordnung des Landes Thüringen im Sommer 1991 ein zweites Verfahren durchgeführt werden.55 Die von den neuen Landesregierungen veranlassten Personalevaluationen liefen in der Regel ähnlich ab. Eigens eingerichtete Kommissionen sollten das wissenschaftliche Hochschulpersonal auf fachliche Kompetenz und persönliche Integrität überprüfen.56 Eine positive Begutachtung war für die Betroffenen allerdings keine Garantie dafür, dass sie auf ihren Stellen bleiben konnten. Vielmehr mussten sie sich erneut bewerben, wobei in manchen Fällen verkürzte Berufungsverfahren durchgeführt wur49 Vgl. Gottwald/Ploenus (2002), Dokument Nr. 171–4.10.1990. Schreiben von Prorektor Gerd Wechsung an alle Hochschullehrer, S. 256 f. 50 Gottwald/Ploenus (2002), Dokument Nr 257–1995. Ernst Schmutzers Position zur Abwicklung, S. 366 f. 51 Vgl. Wechsung (2010), S. 267. So hatte auch die Gruppe von Professoren, die im August 1990, wie erwähnt, eine Überprüfung des Personals forderte, vorgeschlagen, Gutachten aus den westdeutschen Partneruniversitäten sowie über die DFG anzufordern, vgl. Gottwald/Ploenus (2002), Brief von Prof. Dr. Hans Triebel an den Rektor Prof. Dr. E. Schmutzer, 1.8.1990, S. 228 f. 52 Vgl. Wechsung (2010), S. 267 f. 53 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 54 Gottwald/Ploenus (2002), Brief von H. R. Böttcher an die Profs. Jorke, Meinhold, Wechsung, vom 05.11.1990, S. 249–251, Zitat auf S. 250. 55 Vgl. Meinhold (2010), S. 192 f.; Rosenbaum (1994), S. 68 f.; Ploenus (2009), S. 869. 56 Vgl. Webler (1992); Mayntz (1994c), S. 298. Die Kommissionen, die mit der fachlichen Evaluation betraut waren, setzten sich mehrheitlich aus westdeutschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, während in den Gremien zur Beurteilung der persönlichen Integrität, vorwiegend Ostdeutsche vertreten waren.
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den.57 Hierbei schrieben die zuständigen Kommissionen die betreffenden Stellen nur intern aus, womit die Konkurrenz stark begrenzt bzw. faktisch ausgeschaltet war. Wie oft dieses Vorgehen gewählt wurde, unterschied sich je nach Hochschule und Bundesland. In Berlin etwa bestimmte der Wissenschaftssenator, der die Humboldt-Universität zu einer der führenden deutschen Universitäten machen wollte, dass alle Professuren bundesweit ausgeschrieben werden mussten. Die früheren Beschäftigten erhielten allerdings in der Konkurrenz mit Westdeutschen einen Bonus. Wenn bei ostdeutschen Bewerbern fachliche Defizite festgestellt wurden, die systembedingt waren, also zum Beispiel aus mangelndem Zugang zur internationalen Wissenschaftskommunikation oder unzureichender Ausstattung resultierten, und wenn diese nach Einschätzung der Berufungskommissionen in wenigen Jahren ausgeglichen werden könnten, dann sollte dies nicht als mangelnde Qualifikation angerechnet werden.58 Anders verfuhren die Regierungen der neuen Länder bei einer Reihe von Fächern, die als ideologiebelastet galten, wie den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie manchen geisteswissenschaftlichen Fächern, etwa der Geschichte.59 Der Einigungsvertrag erlaubte nämlich binnen dreier Monate nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik die „Abwicklung“ öffentlicher Einrichtungen einschließlich der Hochschulen. Dies nutzten die Landesregierungen auch dazu, Teilbereiche von Universitäten abzuwickeln. In der Regel wurden diese nicht endgültig geschlossen, sondern sogleich wieder neu gegründet,60 um die dort angesiedelten Fächer in ihrer westlichen Ausprägung etablieren zu können, also zum Beispiel eine marktwirtschaftlichen anstelle der staatssozialistischen BWL. Die Abwicklung ganzer Organisationseinheiten erlaubte dabei einen raschen und umfangreichen Austausch des Personals, ohne dass Kündigungen begründet werden mussten. Die Beschäftigten wurden mit der Abwicklung für die Dauer von sechs Monaten in eine „Warteschleife“ versetzt, alle Stellen konnten neu ausgeschrieben werden. Diejenigen, die sich nicht erfolgreich auf eine der Stellen bewarben, waren nach Ende der Frist faktisch entlassen.61 Auch im Fall der Abwicklungen verfolgten die Protagonisten der Erneuerung an der FSU Jena einen Kurs, der auf einen einschneidenden Wandel abzielte.62 Der Senat beschloss am 6. Dezember 1990 eine Liste universitärer Einrichtungen, die er dem 57 Vgl. Mayntz (1994c), S. 298. 58 Vgl. Neidhardt (1994), S. 49; Erhardt (2002), S. 71 f.; Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. 32. Auch in Sachsen legte die Landesregierung fest, dass grundsätzlich alle Professuren regulär ausgeschrieben werden sollten. Allerdings erhielten Bewerber aus Sachsen einen Bonus. Zudem konnte der Wissenschaftsminister verkürzte Berufungsverfahren einsetzen, wovon bei etwa 20 % der Professuren Gebrauch gemacht wurde. Vgl. Meyer (2015), S. 249 f.; Burkhardt/Scherer (1997), S. 340, Fußnote 14. 59 Die Wissenschaftsminister der Länder hatten sich geeinigt auf ähnliche Weise vorzugehen und die Regelungen des Einigungsvertrags in umfassendem Maße auszunutzen. Die KMK verabschiedete im November 1990 eine Liste mit abzuwickelnden Fächern. Vgl. Vollrath (2008), S. 71 f. 60 Gegen dieses rechtlich fragwürdige Verfahren erhob die HU Berlin erfolgreich Klage. Andere Hochschulen gingen nicht gerichtlich dagegen vor, vgl. Mayntz (1994c), S. 297. 61 Bei Beschäftigten über 50 Jahren betrug die Frist neun Monate. Vgl. Fuchs (1997), S. 249. 62 Vgl. zum Folgenden Rosenbaum (1994), S. 69–71; Meinhold (2010), S. 196–199; Gottwald/Ploenus (2002), Dokument Nr. 224–6.12.1990. Entschließungsentwurf des Senats zur Abwicklung, S. 314–316; ebd.,
2. Der aersonelle Umbruch an den ostdeutschen Universitäten
Thüringer Wissenschaftsministerium zur Abwicklung vorschlug. Während die Landesregierung lediglich die als ideologiebelastet geltenden Fächer abwickeln wollte, sah dieser Beschluss vor, auch einzelne Einrichtungen in der Medizin, die Sprachwissenschaft, die Altertumswissenschaft, die Agrarwissenschaft und den Bereich Labortechnik zu schließen. Wie im Fall der eigenständigen Personalevaluation sollte dadurch der Wille zu einer umfassenden Erneuerung demonstriert und Spielraum für einen raschen Neuaufbau geschaffen werden. Heftige öffentliche Proteste gegen die Abwicklungen, geschürt von Gegnern der Erneuerung, der Widerstand des Personalrats sowie die Klage des Rektors der Humboldt-Universität gegen die dortigen Abwicklungen bewegten den Rektor der FSU Jena allerdings dazu, sich von dem Senatsbeschluss zu distanzieren. Letztlich war auch die vom Wissenschaftsministerium festgelegte Liste von abzuwickelnden Einrichtungen weniger umfangreich, als es sich die beiden Prorektoren und eine Mehrheit der Senatsmitglieder gewünscht hatten. Durch den politisch forcierten Personalwechsel entstand eine doppelte Konkurrenzsituation. Auf der einen Seite musste sich ein großer Teil der an den DDR-Hochschulen beschäftigten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf neu ausgeschriebene Stellen bewerben (die sie zuvor oftmals selbst innegehabt hatten). Sofern es sich nicht um verkürzte Berufungsverfahren handelte, konkurrierten sie dabei mit Westdeutschen.63 Auf der anderen Seite standen die ostdeutschen Hochschulen miteinander und mit ihren westdeutschen Pendants im Wettbewerb um qualifiziertes Personal. Diese Konkurrenz wurde noch dadurch angeheizt, dass die ostdeutschen Universitäten eine große Zahl an Stellen insbesondere in den abgewickelten Fächern in einem knappen Zeitfenster ausschrieben. Zwar existierte in den westlichen Bundesländern ein erhebliches Potenzial an zumindest formal ausreichend qualifizierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, da diese nach dem Abbruch des Hochschulausbaus aufgrund der Altersstruktur der Professorenschaft mit schlechten Karriereperspektiven konfrontiert waren. Dennoch verbreitete sich zunächst der Eindruck, in manchen Fächern sei der „Markt“ sei „wie leergefegt“.64 Davon waren in erster Linie die Rechtswissenschaft, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften betroffen, aber auch Fächer wie die klassischen Philologien und die Mediävistik, die zuvor in der DDR
Dokument Nr. 239–17.12.1990. Positivliste des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kunst bezüglich der Universität Jena, S. 341 f. ; Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 63 Die Berufungslisten erstellten dabei Berufungskommissionen, die sich aus bereits auf neue Stellen übernommenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammensetzten. Im Fall der neu aufzubauenden Bereiche lag diese Aufgabe zunächst bei extern besetzten Kommissionen, die von den Wissenschaftsministerien, den „Gründungsdekanen“ oder den Landeshochschulstrukturkommissionen eingesetzt worden waren; für Thüringen vgl. Meinhold (2014), S. 188 f.; für Sachsen vgl. Pommerin (2003), S. 346; für Berlin vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. 32. 64 UA Köln Zugang 694, Nr. 20a, Schreiben des Kanzlers der Universität zu Köln an den Generalsekretär des Wissenschaftsrats vom 25.1.1994, S. 2. Vgl. auch die Erinnerungen eines Politikwissenschaftlers in Machowecz (2016); Meinhold (2014), S. 189; Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016.
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II. Kon urrenn und Kooaeration im Umbruch
kaum vertreten waren und nun neu aufgebaut werden mussten.65 Da besonders qualifizierte Kandidatinnen und Kandidaten in zunehmendem Maße zu einem knappen ‚Gut‘ wurden, mussten die verantwortlichen Akteure in den Universitäten ihre Strukturplanungen, die Ausschreibung der Stellen sowie die Berufungsverfahren rasch vorantreiben, um in diesem Wettbewerb erfolgreich zu sein. In Antizipation einer solchen Situation bemühten sich zum Beispiel die Gremienvertreter der FSU Jena, die Professuren der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften möglichst zeitig auszuschreiben.66 Anders als die teilweise ungünstige Bewerberlage stellten mangelnde finanzielle Möglichkeiten in den frühen 1990er Jahren nicht das dominierende Problem der ostdeutschen Universitäten dar. Vielmehr konnten diese teilweise sogar eine attraktivere Ausstattung als in den alten Ländern anbieten, wie der Rektor der Universität Bielefeld bemerkte.67 Ressourcen wurden aber auch dadurch gewonnen, dass die ostdeutschen Universitäten Mittel und Stellen vor allem für die Professuren einsetzten, auf die Westdeutsche berufen werden sollten. Ostdeutsche Bewerber und Bewerberinnen waren dagegen in einer deutlich schlechteren Verhandlungsposition.68 Sie mussten zudem, sofern sie nicht von der hausinternen Stellenbesetzung profitierten, mit Westdeutschen konkurrieren und hatten dabei oftmals das Nachsehen. Vor allem in den politisch durchdrungenen Fächern war ihre bisherige Karriere entwertet, doch auch in anderen Disziplinen setzten sich in vielen Fällen Westdeutsche durch.69 Im Jahr 1995 war nur etwas mehr als die Hälfte der Professuren an ostdeutschen Hochschulen mit Kandidaten aus den neuen Ländern besetzt. Diese hatten zudem häufiger C 3- als C 4-Stellen inne.70 Die Chancen der Ostdeutschen hingen dabei stark von der jeweiligen Disziplin ab und waren am höchsten in den Ingenieurwissenschaften, etwas niedriger in den Naturwissenschaften sowie der Medizin und am geringsten in den Geistes- und Sozialwissenschaften.71 Die Karriereperspektiven des ostdeutschen Mittelbaus blieben auch deshalb beschränkt, da in dieser Personalkategorie die meisten Stellen gestrichen wurden. Im Vergleich zu den Hochschulen im Westen waren an ostdeutschen Universitäten nämlich überproportional viele Stellen im Mittelbau angesiedelt gewesen.72 Auch der Verlust persönlicher Netzwerke und ein von westdeutschen Erwartungen abweichender Habitus dürften sich in Berufungsverfahren nachteilig ausgewirkt haben.73 Aus der Perspektive der Betroffenen konnte der personelle Umbruch daher als 65 Vgl. UA Köln Zugang 694, Nr. 20a, Schreiben des Kanzlers der Universität zu Köln an den Generalsekretär des Wissenschaftsrats vom 25.1.1994, S. 2. 66 Vgl. Meinhold (2014), S. 189; Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. Zum Problem des engen Zeitfensters vgl. auch Ritter (1993), S. 232 f. 67 Vgl. Universität Bielefeld (1996), S. 59. 68 Vgl. Bloch/Pasternack (2004), S. 17; Laudel/Valerius (2001), S. 33. 69 Vgl. Pasternack (2010), S. 313. 70 Vgl. Burckhardt (1997), S. 7, 28 f. 71 Vgl. Pasternack (2010), S. 319; konkret zur Geschichtswissenschaft an der HU Berlin mit Zahlen zur regionalen Verteilung der Bewerber und Listenplatzierten vgl. Ritter (1993). 72 Vgl. Schluchter (1996), S. 80 f. 73 Vgl. Pasternack (2010), S. 319.
3. Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaf
„Verdrängungsprozeß“74 Ostdeutscher durch Westdeutsche erscheinen, was sich nahtlos in die Deutung der Wiedervereinigung als „Kolonialisierung“ fügte.75 Von anderer Warte aus kritisierte zum Beispiel der Vorsitzende des Wissenschaftsrats Dieter Simon den Personalwechsel an den Universitäten der neuen Länder: Dadurch dass schlagartig eine große Zahl an Professuren besetzt werden musste, sei im Westen „noch die drittklassigste Begabung aus dem Wartestand erlöst worden“.76 Die Ansicht, dass die knappe Bewerberlage vielen westdeutschen Wissenschaftlern zu Karrieremöglichkeiten verhalf, die ihnen unter ‚normalen‘ Bedingungen nicht offen gestanden hätten, etablierte sich als zweites, persistentes Deutungsmuster.77 Wissenschaftler, die an Berufungsverfahren beteiligt waren, betonten allerdings eher die Heterogenität der Bewerber und ihrer Motive. Für einen Teil sei eine Berufung an eine ostdeutsche Universität tatsächlich in erster Linie eine willkommene Gelegenheit gewesen, die eigene Karriere voranzubringen. Bei anderen hätten hingegen die Gestaltungsmöglichkeiten beim Neuaufbau von Einrichtungen und die Neugier auf die allgemeinen Veränderungsprozesse in Ostdeutschland eine wichtige Rolle gespielt.78 Insbesondere die HU Berlin profitierte von ihrem (erwarteten) Status als Hauptstadt-Universität und der Tradition, die sich mit ihrem Namen verband.79 3. Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaft Die Übertragung des westdeutschen Föderalismus und des Prinzips der Kulturhoheit der Bundesländer auf das Gebiet der vormaligen DDR hatte für das ostdeutsche Hochschulsystem einschneidende Folgen. Da die wissenschaftlichen Einrichtungen der DDR sehr ungleich auf die Territorien der neu gegründeten Länder verteilt waren, entschlossen sich in den 1990er Jahren manche Landesregierungen zum Aufbau neuer Kapazitäten, während andernorts unter finanzpolitischem Druck in großer Zahl Stellen abgebaut wurden. In beiden Fällen war Konkurrenz zwischen den Universitäten das Resultat. Das Hochschulsystem der DDR war geprägt von einer Vielzahl spezialisierter Hochschulen.80 Es zählte im Jahr 1989 54 tertiäre Bildungseinrichtungen (70, wenn man auch die Hochschulen für die Ausbildung militärischer und politischer Führungskräfte einbezieht), darunter neun Universitäten. Die wissenschaftlichen Einrichtungen kon-
74 Bollinger/van der Heyden, Ulrich (2002), S. 7. 75 Vgl. Ploenus (2009), S. 843. 76 Zitiert in Bartz (2007), S. 181. 77 Vgl. Bartz (2007), S. 181; Meyer (2015), S. 282; Pasternack (2010), S. 320; FAZ, 28.10.1991, S. 35; Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016. 78 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016. 79 Vgl. die Einschätzungen des ehemaligen Präsidenten der HU: Meyer (2002), S. 79. 80 Vgl. hierzu und zum Folgenden Buck-Bechler (1994), S. 18 f.
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zentrierten sich auf Berlin und das Gebiet des späteren Bundeslandes Sachsen, wo sich mit den Universitäten Berlin, Leipzig und Dresden die einzigen Hochschulen mit mehr als 10 000 Studierenden befanden. Ein weiterer Unterschied zum föderalen System der Bundesrepublik lag in der fachlichen Differenzierung der Hochschulen, die sich darin ausdrückte, dass 54 Prozent der Fachrichtungen nur an einem Standort vertreten waren und lediglich ein Sechstel an mehr als drei Einrichtungen angeboten wurde. Diese Verhältnisse standen quer zur Logik des bundesrepublikanischen Föderalismus, die mit der Vereinigung auch in Ostdeutschland Einzug hielt. Die Regierungen der neuen Länder betrieben jeweils ihre eigene Hochschulpolitik, eine länderübergreifende Abstimmung fand kaum statt. Das Ziel war jeweils ein möglichst vollständiges Hochschulsystem mit allen Fächergruppen, in dem weder anwendungsorientierte Fachhochschulen noch Universitäten fehlen durften. Zudem gewann die Neuordnung dadurch an Dynamik, dass die Länder auf Empfehlung des Wissenschaftsrates die meisten Spezialhochschulen auflösten und diese, wie auch die Pädagogischen Hochschulen, in Universitäten oder Fachhochschulen integrierten. Im Ergebnis sank die Zahl der Hochschulen insgesamt deutlich, während sechs neue Universitäten hinzukamen.81 Völlig neu aufgebaut wurden die Universitäten in Erfurt und Frankfurt an der Oder, vier weitere entstanden auf Basis bereits bestehender Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen in Potsdam, Cottbus, Ilmenau und Weimar. Die Technischen Universitäten in Magdeburg und Dresden erfuhren zudem eine deutliche Ausweitung ihres Fächerspektrums und wandelten sich zu Volluniversitäten.82 Drei der neu gegründeten Universitäten befanden sich in Brandenburg, wo vor der Vereinigung keine einzige Hochschule mit universitärem Status existiert hatte. Hinter der Entscheidung für einen Ausbau des Hochschulsystems standen laut Hinrich Enderlein, der von 1990 bis 1994 als Brandenburger Wissenschaftsminister amtierte, die „mangelnden Ausbildungs- und Innovationskapazitäten einerseits und die Strukturschwäche der Region andererseits“.83 Die erheblichen Investitionen schienen durch die Erwartung gerechtfertigt, die neuen Institutionen würden sich „zum Standortfaktor für Industrie, Gewerbe- und Dienstleistungsansiedlungen“ entwickeln. Gewisse Ähnlichkeiten zu den Regionalisierungskonzepten aus der Zeit des westdeutschen Hochschulausbaus lagen darin, dass die Landesregierung durch möglichst „wohnortnah“ gelegene Hochschulen die „Bildungsbeteiligung“ erhöhen wollte.84 Zumindest eine Universität war zudem nötig, um die Lehrerausbildung zu sichern. Auch das thüringische Wissenschaftsministerium strebte eine mit den alten Bundesländern vergleichbare Relation zwischen Studienplätzen und Bevölkerungszahl an. Das Land müsse, so der erste Hochschulplan, „im Interesse des Bedarfs an hochqualifiziertem Nachwuchs alles daran setzen, durch ein ausreichendes Angebot an Studienplätzen 81 82 83 84
Vgl. Buck-Bechler et al. (1997a), S. 101 f.; Lewin/Pasternack (2007), S. 31–34; Bartz (2007), S. 175. Vgl. Lewin/Pasternack (2007), S. 31. Enderlein (1994), S. 6. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg (1994), S. 18 f.
3. Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaf
nicht nur die Abwanderung mobiler kreativer Jugendlicher aus Thüringen zu verhindern, sondern auch qualifizierten Nachwuchs aus anderen Regionen zu gewinnen“.85 Fraglich war allerdings die Finanzierbarkeit dieser Vorhaben. Der Wissenschaftsrat empfahl zu Beginn der 1990er Jahre, nicht mehr als zehn Universitäten in den neuen Bundesländern zu etablieren.86 Die Mehrheit der Wissenschaftlichen Kommission war gegenüber Neugründungen und dem Aufbau von Parallelangeboten skeptisch, weil man bezweifelte, dass die Länder sich dies auf längere Sicht leisten könnten.87 Dieser vorherrschenden Haltung kam erhebliches Gewicht zu, da der Wissenschaftsrat über die Aufnahme von Hochschulen in die Liste für die Hochschulbauförderung des Bundes entschied. Ohne diese Mittel wären die Projekte kaum finanzierbar gewesen.88 Letztlich setzten sich die Länder jedoch mit ihren Vorhaben durch, wobei die Solidarität zwischen den Landesregierungen in der Verwaltungskommission des Wissenschaftsrats eine wichtige Rolle spielte.89 Aber auch innerhalb der Länder war die Errichtung neuer Universitäten umstritten und führte zu Konkurrenz zwischen den Hochschulen, wie das Beispiel des Freistaats Thüringen zeigt. Das Land verfügte zunächst mit der FSU Jena nur über eine einzige Universität. Bereits im Jahr 1992 kam Ilmenau als zweiter Standort hinzu, als die dortige Technische Hochschule in den Status einer Technischen Universität erhoben wurde. Interessenkonflikte ergaben sich daraus, dass die Landesregierung plante, in Ilmenau die Fächer Elektrotechnik, Maschinenbau und Informatik aus- bzw. aufzubauen, denn auch in Jena bestand eine Technikwissenschaftliche Fakultät, deren Erhalt sich viele Akteure vor Ort wünschten.90 Die Strukturkommission der Universität plante zudem mittelfristig Studiengänge in mehreren ingenieurwissenschaftlichen Fächern.91 Außerdem setzte sich die Hochschulleitung dafür ein, die Informatik in Jena auf die „an deutschen Universitäten übliche Größe“ auszubauen.92 Die Landesregierung sah allerdings Parallelangebote als zu kostspielig an, so dass die beiden Hochschulen in eine Konkurrenzsituation um die Mittel für die gewünschten Fächer gerieten.93 Zur Debatte stand auch die Frage, ob die Medizinische Akademie in Erfurt oder aber die Fakultät für Medizin der FSU Jena fortgeführt werden sollte bzw. ob einzelne Teilbereiche von Jena nach Erfurt verlagert würden.94
85 Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (1996), S. 6. 86 Vgl. Lewin/Pasternack (2007), S. 31. 87 Vgl. Bartz (2007), S. 176 f. 88 Vgl. Krull (1994), S. 218. 89 Vgl. Bartz (2007), S. 176 f. 90 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016; vgl. auch Meinhold (2014), S. 180–182. 91 Vgl. Wissenschaftsrat (1992a), S. 214. 92 Wechsung (2008), S. 15; Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 93 Eine Konkurrenzsituation entstand auch unter den Spezialhochschulen, nachdem das Land entschieden hatte, diese zu einigen wenigen Fachhochschulen zusammenzulegen, vgl. UA Jena, Presseübersichten 1991/4, Margit Kasper, Andersartig, aber gleichwertig! Zügiger Aufbau von Fachhochschulen in Thüringen, auch Potentiale östlich von Jena erhalten, in: Ostthüringer Zeitung, 23.10.1991. 94 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016; vgl. Meinhold (2014), S. 142 f.
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Im Fall der Informatik legten die Universitätsleitungen ihren Interessengegensatz bei, indem sie sich darauf einigten, dass sich die TU Ilmenau auf die technische Informatik konzentrieren, während Jena die theoretischen und mathematischen Teildisziplinen erhalten sollte.95 In der Frage der Ingenieurwissenschaften fiel die Entscheidung der Landesregierung zugunsten Ilmenaus. Den Ausschlag dafür gab eine Stellungnahme des Wissenschaftsrates, der zufolge es in Jena an einer ausreichend „breiten wissenschaftlichen Basis“ für eine Technische Fakultät fehle und somit größere Investitionen nötig seien.96 Auch in den Verhandlungen über die Zukunft der Thüringer Hochschulmedizin, die mit der Schließung der Medizinischen Akademie in Erfurt endeten, spielte ein solches Gutachten eine Rolle.97 Über derartige Einzelempfehlungen übte der Wissenschaftsrat einen beträchtlichen Einfluss auf die Neugestaltung der Hochschullandschaft in Ostdeutschland aus. Zwar fungierte er nicht offiziell selbst als Dritter dieser Konkurrenzsituation,98 doch ließen sich die Landesregierungen bei der Verteilung der knappen Finanzen oft von seinen Empfehlungen leiten. Eine ähnliche Rolle nahmen auch die Hochschulstrukturkommissionen ein, die auf Anraten des Wissenschaftsrates in allen neuen Ländern eingerichtet wurden und Empfehlungen unter anderem zur Fächerstruktur an den jeweiligen Hochschulen abgaben.99 Auch in den Fällen, in denen die neuen Landesregierungen bereit waren, Parallelangebote zu finanzieren, war Konkurrenz nicht ausgeschlossen. Dies zeigte sich an den Auseinandersetzungen um die Gründung einer Universität in Erfurt. Initiativen hierzu kamen bereits vor der Wiedervereinigung aus dem städtischen Bürgertum. Im Sommer 1990 nahm sich auch die Stadtverwaltung der Sache an und setzte einen international besetzten „Gründungsausschuss“ ein.100 Die Landesregierung verhielt sich zunächst zögerlich, stand aber angesichts der öffentlichen Unterstützung für das Vorhaben, unter anderem in Person Bundespräsident Richard von Weizsäckers, unter Druck, nachdem sie bereits gegen die Proteste Erfurter Bürger die Medizinische Akademie geschlossen hatte.101 Der Wissenschaftsrat zeigte sich in einer ersten Stellungnahme skeptisch, ob das Land eine weitere Universität würde finanzieren können, und empfahl, zunächst die finanziellen Mittel auf die Konsolidierung und den Ausbau der vorhandenen Hochschulen zu konzentrieren. Andernfalls bestehe die Gefahr, „daß der Aufbau einer Neugründung in Erfurt zu Lasten der Sanierung der bestehenden Hochschulen geht und damit verhindert, daß diese sich rasch zu überre95 Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 96 Wissenschaftsrat (1992a), S. 215; vgl. Meinhold (2014), S. 182. 97 Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016; vgl. Wissenschaftsrat (1992b), S. 116–118; Meinhold (2014), S. 142 f. 98 Ausgenommen das Verfahren zur Hochschulbauförderung, bei dem allerdings nicht die Hochschulen, sondern die Bundesländer um Mittel für geplante Bauvorhaben konkurrierten, vgl. Bartz (2007), S. 193–203. 99 Vgl. Teichler (1994), S. 231; für Thüringen vgl. Wechsung (2008), S. 28 f. Die Zusammensetzung der Hochschulstrukturkommissionen war, wie der Philosoph Dieter Henrich formulierte, „weitgehend dem Zuruf von persönlichen Bekannten und einzelnen Ämterträgern überlassen“ (FAZ, 28.10.1991, S. 35). 100 Vgl. Schattenmann (2011), S. 62 f. 101 Vgl. Schattenmann (2011), S. 113.
3. Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaf
gional konkurrenzfähigen Einrichtungen entwickeln können, die im Wettbewerb um Wissenschaftler, Studenten und von Dritten finanzierte Forschungsprojekte bestehen können“. Gegen Ende der 1990er Jahre sei dann womöglich „ausreichend Raum für eine vergleichsweise kleine Universitätsgründung in Erfurt“.102 Hochschulleitung und Senat der FSU sahen in einer Universität Erfurt von Anfang an eine potenzielle Konkurrentin um die knappen Mittel des Landes. Sie befürchteten, dass sich der Freistaat Thüringen mit der Neugründung finanziell überheben könnte und dies zu Lasten der Entwicklung Jenas gehen würde, nicht zuletzt, weil hier wie an anderen Hochschulstandorten erhebliche Investitionen in die oftmals marode Infrastruktur nötig waren. Der Jenaer Senat kritisierte im Dezember 1990 „mit aller Schärfe“, „daß trotz der großen finanziellen Schwierigkeiten des Landes in der Landesregierung Pläne bestehen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt […] eine Universität Erfurt zu errichten“, denn dies bedeute „eine Verzettelung der finanziellen Mittel zu Lasten des thüringischen Hochschulwesens“.103 Entgegen den wiederholten Bedenken aus Jena beschloss jedoch die neu gewählte Landesregierung unter Ministerpräsident Bernhard Vogel im Jahr 1992 die Gründung einer Erfurter Universität.104 Der Erfolg der Befürworter einer Neugründung hing nicht zuletzt damit zusammen, dass sie es verstanden, für die Universität Erfurt ein besonderes Konzept zu entwerfen, um diese gegenüber der Volluniversität Jena zu profilieren. In diese Richtung zielte offenbar bereits die „Denkschrift für die Gründung einer Europäischen Universität Erfurt“ des ersten Gründungsausschusses von 1991.105 Der letztlich umgesetzte Entwurf orientierte sich kaum noch an dieser Denkschrift,106 doch blieb die Bemühung um ein eigenständiges Profil zentral. Die vom Thüringer Wissenschaftsministerium eingesetzte Gründungskommission empfahl eine Konzentration auf geisteswissenschaftliche Fächer sowie die Errichtung eines „Max Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien“, das – ausgestattet mit mehreren Gastprofessuren – eine Struktur für kooperative und interdisziplinäre Forschungsprojekte bereitstellen sollte.107 Eine solche Profilierung war auch nötig, um das Placet des Wissenschaftsrats zu erhalten, der 1992 gefordert hatte, „daß die Chance der Neugründung genutzt wird, für die Universität Erfurt ein inhaltlich wie organisatorisch eigenständiges Profil einer forschungsorientierten Universität mit den Kulturwissenschaften und den Staats102 Wissenschaftsrat (1992d), S. 167. 103 Gottwald/Ploenus (2002), Dokument 228–11.12.1990. Auszug aus dem Protokoll einer außerordentlichen Sitzung des Senats zur Abwicklung, S. 322–324, hier S. 324. 104 Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016; vgl. FAZ, 23.3.1996, S. 5; Alma Mater Jenensis, no. 15 (1997), S. 3; Schattenmann (2011), S. 63, 119. Im Jahr 1993 plante die Universitätsleitung, die Vorsitzenden der Landtagsfraktionen von CDU, SPD und FDP einzuladen, „um auf dringende Probleme der Universität hinzuweisen“. Ihnen sollte deutlich gemacht werden, „daß mit dem vorhandenen Personal bzw. mit wenigen personellen Ergänzungen deutliche Erweiterungen im Lehrangebot der FSU möglich“ seien (UA Jena, Bestand Senat 1993, Protokoll der Sitzung des Senats am 21.9.1993, S. 4 f.). 105 Vgl. Schattenmann (2011), S. 63, 186 f. 106 Vgl. Schattenmann (2011), S. 111 f. 107 Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (1994), S. 15.
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und Verwaltungswissenschaften anzustreben“.108 Besonders energisch vertrat der zum Gründungsrektor bestimmte prominente SPD-Bildungspolitiker Peter Glotz den besonderen Charakter der Universität. Sie sollte seiner Ansicht nach „ein Laboratorium für neue Entwicklungen im Hochschulwesen werden“.109 Sowohl in der Organisation der Lehre, mit einer frühen Umstellung auf Bachelor-/Master-Studiengänge und studienbegleitende Prüfungen, als auch in der Forschung, unter anderem durch das Max-Weber-Kolleg, versuchte das erste Rektorat eine Sonderstellung innerhalb der deutschen Hochschullandschaft zu erlangen.110 Ähnlich wie in Erfurt verlief in mancherlei Hinsicht die Gründung der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder. Auch dort gaben Initiativen aus der Stadtgesellschaft den Anstoß. Die Landesregierung stimmte dem Projekt unter der Bedingung zu, dass die neue Universität einen „Beitrag zur kulturellen Zusammenarbeit zwischen West- und Osteuropa“ leiste und ihr Fächerspektrum zunächst auf Wirtschaftswissenschaften, Recht, Kulturwissenschaften und Sprachvermittlung mit jeweils spezifischen Schwerpunkten beschränkt bliebe.111 Der Gründungsrektor Knut Ipsen resümierte rückblickend, bei der Errichtung der Viadrina sei zu berücksichtigen gewesen, dass eine kleine ‚normale‘ Universität mit dem unvergleichlichen Hochschulangebot einer Metropole wie Berlin nicht konkurrieren könnte. Allenfalls dann, wenn die Viadrina ein Profil und eine Eigenart würde entwickeln können, wie sie die Berliner Hochschulen nicht aufweisen, wäre sie dauerhaft in der Lage, ihre Daseinsberechtigung nachzuweisen.112
Sowohl mit Blick auf künftige Konkurrenzverhältnisse als auch, um die gewünschten Neugründungen überhaupt gegen die konkurrierenden Interessen bestehender Hochschulen zu rechtfertigen, versuchten ihre Befürworter, innovative und profilierte Konzepte zu entwickeln.113 In Erfurt, Potsdam und Magdeburg, wo die Landesregierung die bestehende Technische Universität zur Volluniversität erweiterte, obwohl eine solche bereits in Halle bestand, dürfte der Ausbau zudem auch dadurch motiviert gewesen sein, die Landeshauptstädte kulturell aufzuwerten.114 Schon um das Jahr 2000 zeigte sich allerdings, dass sich die neuen Länder mit ihren Vorhaben finanziell übernommen hatten, was auch daran lag, dass ein größerer wirt108 Wissenschaftsrat (1992d), S. 170. 109 Glotz (1998), S. 140; vgl. zu Glotz als Rektor auch Schattenmann (2011), S. 122 f. 110 Vgl. Glotz (1998). 111 Vgl. Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder) (1993), S. 15 f., Zitat auf S. 15. Vgl. zur Gründungsgeschichte außerdem Ipsen (2009). 112 Ipsen (2009), S. 50. 113 Im Fall der Viadrina stimmte der Wissenschaftsrat hauptsächlich deshalb zu, weil auch auf polnischer Seite bereits Vorbereitungen getroffen worden waren und ein Affront vermieden werden sollte, vgl. Krull (1994), S. 218. 114 Für Sachsen-Anhalt vgl. Hartwich (2000), S. 157; zu Thüringen: Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016.
3. Die Neuordnung der ostdeutschen Hochschullandschaf
schaftlicher Aufschwung bis dahin ausgeblieben war. Mit Ausnahme Brandenburgs sahen sich alle ostdeutschen Länder zu Sparmaßnahmen veranlasst, teils wurden die Pläne auch an die prognostizierte rückläufige Bevölkerungsentwicklung angepasst.115 In Sachsen-Anhalt zum Beispiel, wo die Landesregierung sowohl die Universität Halle als auch die vormalige Technische Universität Magdeburg ausgebaut hatte, mussten nun beide Hochschulen Kürzungen hinnehmen.116 In Mecklenburg-Vorpommern, wo an beiden Universitätsstandorten Rostock und Greifswald nach der Vereinigung mehrere Fakultäten mit gleicher Ausrichtung eingerichtet bzw. erhalten worden waren,117 mussten schließlich 18 Prozent aller Stellen im Hochschulbereich abgebaut werden.118 Bald nachdem in Thüringen der Aufbau der Universität Erfurt begonnen hatte, kürzte das Land die laufenden Mittel der FSU Jena um knapp 20 Prozent. Weitergehende Einschnitte blieben der Universität zwar erspart, doch dürfte die Neugründung dazu beigetragen haben, dass die Ergänzung der baulichen Infrastruktur in Jena langsamer voranschritt, als es die Akteure vor Ort für notwendig hielten.119 Der kultur- und wirtschaftspolitisch durchaus begründete Hochschulausbau der meisten neuen Länder ließ daher innerhalb eines Jahrzehnts in Ostdeutschland ähnliche Verhältnisse entstehen, wie sie das westdeutsche Hochschulsystem seit den frühen 1980er Jahren prägten. Die ostdeutschen Universitäten sahen sich mit einer wachsenden Konkurrenz um die knappe Grundfinanzierung konfrontiert. In Sachsen und Berlin setzten ein drastischer Abbau der Hochschulkapazitäten und die damit verschärfte Konkurrenzsituation zwischen den Einrichtungen bereits deutlich früher ein.120 Denn dort hatte sich ein erheblicher Anteil der Wissenschaftseinrichtungen der DDR konzentriert, so dass sowohl das Land Sachsen als auch das vereinigte Berlin im Bundesvergleich überdurchschnittlich viele Stellen im Hochschulbereich aufwiesen. Während in den übrigen ostdeutschen Ländern in den frühen 1990er Jahren die Zahl der Stellen nur geringfügig sank oder sogar aufgestockt wurde, beliefen sich die Kürzungen in Berlin und Sachsen auf 54 bzw. 49 Prozent in den Jahren 1990 bis 1994.121 Auf die Situation in Berlin, wo sich nach der Wiedervereinigung drei breit ausgebaute Universitäten die knapper werdenden Landesmittel teilen mussten, soll im folgenden Abschnitt genauer eingegangen werden.
115 Vgl. Lewin/Pasternack (2007), S. 40–42; König/Quaißer (2007), S. 98 f. Für Sachsen vgl. Elsenhans/ Lange (2004), S. 169. Zur Kürzung der Ausbauziele in Thüringen vgl. Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2001), S. 10. 116 Vgl. Hartwich (2000), S. 157. 117 Vgl. Bartz (2007), S. 176. 118 König/Quaißer (2007), S. 129. 119 Vgl. UA Jena, Bestand Senat 1996, Protokoll der Sitzung des Senats am 5.11.1996, S. 3; Gespräch mit Prof. Dr. Gerd Wechsung am 14.10.2016. 120 Zu Sachsen vgl. Meyer (2015), 258 f., 450–458; Pommerin (2003), S. 343. 121 Ash (1999), S. 122.
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4. Konkurrenz im wiedervereinten Berlin Die starke Konzentration von Wissenschaftseinrichtungen in Berlin war im Ostteil der Stadt durch die zentralistische Politik und den Status der Hauptstadt bedingt, im Westen ermöglichten Bundeszuschüsse einen erheblichen Ausbau der Hochschulen, der die „Attraktivität und Lebensfähigkeit“ der Stadt sichern sollte.122 Sowohl die HU als auch die FU Berlin, gegründet im Jahr 1948 als Reaktion auf die politische Vereinnahmung der im sowjetischen Sektor gelegenen Humboldt-Universität, verfügten 1990 über ein breites Spektrum an Fächern. An beiden Hochschulen waren die Geistes- und Sozialwissenschaften ebenso vertreten wie die naturwissenschaftlichen Disziplinen und die Medizin. Daneben bestanden im Westen die TU Berlin, die ebenfalls fachlich breit ausgebaut war, die Hochschule der Künste sowie vier Fachhochschulen. Im Ostteil der Stadt existierten im Oktober 1990 neben der Humboldt-Universität noch vier weitere Hochschulen.123 Als die Weichen für eine Vereinigung der beiden deutschen Staaten gestellt wurden, stand daher bald die Frage zur Diskussion, wie die Hochschulstruktur des künftigen Bundeslandes Berlin ausgestaltet werden sollte. In der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung wie auch in der öffentlichen Debatte forderten manche, die Humboldt-Universität zu schließen.124 Präsidium und Senat der FU setzten sich in dieser Debatte für einen Erhalt zweier eigenständiger Universitäten ein, wohl vor allem um einer Zusammenlegung der beiden Universitäten entgegenzutreten.125 Allerdings verwarfen die politischen Akteure bereits früh sowohl eine Verschmelzung als auch eine Schließung „aus organisatorischen und politischen Gründen“, wie die bis zum Januar 1991 amtierende Wissenschaftssenatorin Barbara Riedmüller rückblickend festhielt.126 Während eine Schließung der FU angesichts der Umbruchsituation an der HU, wo mehrere Fachbereiche abgewickelt wurden, kaum eine realistische Option gewesen sein dürfte, war eine Schließung der HU politisch schwer vermittelbar.127 Auch der neu gebildete Berliner Senat aus CDU und SPD legte sich daher im Februar 1991 auf den Fortbestand der bestehenden Universitäten fest.128 Bereits im Sommer 1990 sah das Präsidium der FU Berlin die Notwendigkeit, eigene Vorstellungen in die Debatten über die Neuordnung des Berliner Hochschulsystems einzubringen, und forderte die Fachbereiche auf, Überlegungen zu ihrer künftigen Ausrichtung anzustellen und diese insbesondere gegenüber der HU zu profilieren.129 Im Januar 1991 musste einer der Vizepräsidenten allerdings feststellen, dass in den 122 123 124 125 126 127 128 129
Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. 35. Vgl. Kubicki/Lönnendonker (2008), S. 137. Vgl. Jarausch (2012c), S. 608; Neidhardt (1994), S. 35. Vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 396. Sitzung des Senats am 9.5.1990, S. 17. Riedmüller (1999), S. 717; Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017. Vgl. Kubicki/Lönnendonker (2002), S. 259. Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. ix. Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, KR 6, Beratungsergebnisse der Kleinen Routine vom 28.6.1990, S. 2.
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Fachbereichen nur ein „geringe[s] Interesse“ an der „Auseinandersetzung mit diesem Problem“ vorhanden war. Dies lag neben mangelnden Informationen über das Profil der HU auch daran, dass vor allem Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaftler das Fächerangebot der HU nicht als „ernstzunehmende Konkurrenten“ ansahen.130 Vielmehr herrschte zu dieser Zeit auch im Präsidium noch die Hoffnung vor, ein Ausbau konkurrenzfähiger Studienangebote an der HU könne das Überlast-Problem der FU lösen, das sich durch die zahlreichen Einschreibungen ostdeutscher Studierender noch verschärft hatte.131 Derartige Vorstellungen gehörten allerdings bald der Vergangenheit an, da sich die Berliner Regierung aus finanziellen Gründen dazu gezwungen sah, die Personalstellen im Hochschulbereich drastisch zu reduzieren. Die Entscheidung, drei Universitäten in Berlin zu erhalten, führte letztlich dazu, dass die Konkurrenzsituation, die sich bereits im Sommer 1990 abgezeichnet hatte, auf Dauer gestellt wurde. Denn die anhaltend schlechte Finanzlage der Stadt gab in den folgenden Jahren immer wieder Anlass zu Einschnitten im Wissenschaftshaushalt. Bereits der Koalitionsvertrag von CDU und SPD aus dem Januar 1991 sah vor, bis zum Jahr 2003 die Zahl der Studienplätze von 115 000 auf 100 000 zu reduzieren, obwohl zu dieser Zeit 136 800 Studierende an den Berliner Hochschulen eingeschrieben waren.132 Der Landeshochschulstrukturplan von 1993, in dem diese Kürzungen festgeschrieben wurden, war wegen der prekären Finanzlage des Stadtstaates jedoch bald überholt. Mit dem Wegfall der Bundeszuschüsse, die zeitweise die Hälfte des West-Berliner Landeshaushalts getragen hatten, und angesichts der schwierigen Wirtschaftslage – im Westteil der Stadt waren seit den 1960er Jahren trotz aller Subventionen überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze in der Industrie verloren gegangen – musste der Berliner Senat immer wieder zu Sparmaßnahmen greifen.133 Schon 1994 reduzierte das Land die Grundfinanzierung der Hochschulen stärker als vorgesehen, und im Jahr darauf war das im Landeshochschulstrukturplan vorgesehene Endziel unterschritten. Das „Haushaltsstrukturgesetz“ aus dem Jahr 1996 sah für 2003 nur mehr 85 000 Studienplätze in Berlin vor.134 Verfügte die FU im Jahr 1992 noch über 880 Professuren (ohne Klinika), so ging der 1998 verabschiedete Strukturplan für das Jahr 2003 von nur mehr 368 Professuren aus. Die Zahl der Professorenstellen an der TU schrumpfte von 629 im Jahr 1992 auf 327 im Jahr 2000. Die HU war im selben Zeitraum mit einer Kürzung von 505 auf 383 Professuren (ohne Klinikum) konfrontiert.135 Im Jahr 2003 beschloss der Berliner Senat weitere Kürzungen, die bis zum Jahr 2009 einen Abbau 130 Ebd., AS 2, Vizepräsident 3, Planungsüberlegungen zur Hochschullandschaft Berlin. Fachbereiche der Fächergruppe II, 28.1.1991. 131 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, KR 7, Beratungsergebnisse der Sonder-Routine vom 12.7.1990; ebd., KR 9, Erster Vizepräsident, Vermerk. Wissenschaftslandschaft, 23.11.1990. 132 Vgl. Baldauf et al. (2008), S. 100; Landeshochschulstrukturkommission Berlin (1992), S. 16. 133 Vgl. Ahrens (2015), S. 285, 298. 134 Vgl. Kubicki/Lönnendonker (2008), S. 141. 135 Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. 166–168; Wissenschaftsrat (2000b), S. 8, 169 f. Es handelt sich bei den Kürzungszielen um Soll-Angaben. Die tatsächlichen Zahlen konnten in den jeweiligen Jahren nach oben abweichen, da Professuren erst entfielen, wenn sie frei wurden. Auch die
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von weiteren 82 Professuren an den Universitäten bedeuteten.136 Im Ergebnis kamen die sukzessiven Einschnitte der Schließung einer ganzen Universität gleich. Da der Berliner Senat zugleich an der institutionellen Kontinuität der einzelnen Universitäten festhielten, gerieten diese in eine scharfe Konkurrenz zueinander. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, um welche Prämien sich der Wettbewerb der Berliner Universitäten drehte (1.) und nach welchen Mechanismen er ablief (2.), bevor abschließend auf die Konsequenzen für das innere Gefüge der Universitäten eingegangen wird (3.). 1. Die Auseinandersetzungen in der Phase der Neuordnung von 1991 bis 1993 drehten sich vor allem um die Frage, wie die Fächerstruktur der Ost- und Westberliner Hochschulen aufeinander abgestimmt werden sollte. Bei Disziplinen, die an zwei oder gar an allen drei Universitäten vorhanden waren, stand die Schließung einzelner Einrichtungen oder ihre Zusammenlegung zur Debatte. Unter der Prämisse, dass in den kommenden Jahren 15 000 Studienplätze abgebaut werden mussten, wandelte sich die personelle Substanz der Universitäten zum knappen Gut. Über die Verteilung entschied die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung. Als wichtiges Beratungsgremium fungierte allerdings die Landeshochschulstrukturkommission unter dem Vorsitz des Konstanzer Philosophen Jürgen Mittelstraß, die im Mai 1991 ihre Tätigkeit aufnahm und eine Reihe von Empfehlungen formulierte. Diese basierten auf einer Bestandsaufnahme, der Bewertung der Forschungs- und Lehrtätigkeit an den einzelnen Hochschulen und auf den Planungen der Fachvertreter.137 Im universitären Bereich votierte die Kommission nur in wenigen Fällen für die Schließung einzelner Fächer, so etwa der Elektrotechnik an der HU. In den meisten Disziplinen sah sie die Fortführung von Forschung und Lehre an zwei oder sogar an allen drei Universitäten für sinnvoll an und begründete dies in der Regel mit einem wünschenswerten Wettbewerb zwischen den Hochschulen und einer nun möglichen abgestimmten Schwerpunktbildung.138 Auch der ab 1991 amtierende Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) trat aus diesen Gründen dafür ein, Doppelstrukturen zu erhalten.139 Umstritten war insbesondere die künftige Zuordnung einer Reihe von „Kleinen Fächern“ im Bereich der Kulturwissenschaften. Während die Leitung der FU dafür argumentierte, Disziplinen, die an beiden Universitäten vertreten waren, an der FU zu konzentrieren, strebte die Leitung der Humboldt-Universität eine ausgewogene Verteilung an.140 Die Landeshochschulstrukturkommission empfahl eine neue Verteilung dieser Fächer auf die beiden Universitäten einschließlich ZusammenleAngaben für die HU von 1992 spiegeln nicht die tatsächliche Zahl der Professorinnen und Professoren wieder, da der personelle Umbau zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war. 136 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2007), S. 75. 137 Vgl. Landeshochschulstrukturkommission Berlin (1992), S. 5–7; Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016. 138 Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016. Für eine Kurzfassung der Empfehlungen der Landeshochschulstrukturkommission zu den einzelnen Fächern vgl. Landeshochschulstrukturkommission Berlin (1992), S. 375–387. 139 Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017. 140 Vgl. Landeshochschulstrukturkommission Berlin (1992), S. 217; FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 421. Sitzung des Senats am 11.12.1991, S. 15 f.
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gungen.141 Dieser Vorschlag wurden allerdings wegen des Widerstands aus den Universitäten nur in Teilen umgesetzt.142 Die Kürzungen in dieser ersten Phase betrafen alle drei Universitäten, am stärksten allerdings die FU, an der bis zum Jahr 2003 10 000 Studienplätze wegfallen sollten. Denn die Universität mit ihren 61 000 Studierenden (im Wintersemester 1991/1992) galt in der Landesregierung als zu groß.143 Zudem beabsichtigte der von 1992 bis 1996 amtierende Senator für Wissenschaft und Forschung, Manfred Erhardt, die HU auf ein hohes wissenschaftliches Niveau zu bringen und auf diese Weise „eine Konkurrenzsituation entstehen zu lassen“, in der sich alle Berliner Universitäten zu Spitzenuniversitäten entwickelten.144 Eine erneuerte Humboldt-Universität sollte, wie Erhardt mehrfach öffentlich betonte, den „schweren Tanker“ FU in Bewegung versetzen.145 Der damit verbundene Erhalt und Aufbau von „Mehrfachangeboten“ löste an der FU allerdings Bedenken aus. Ihr Präsident Johann W. Gerlach wandte sich im Oktober 1991 an den Wissenschaftssenator und bekundete, er habe den „Eindruck, daß Sie das Konzept einer glänzenden Erneuerung der Humboldt-Universität über alles stellen“. Er argumentierte: „Wenn das Geld beim besten Willen nicht ausreicht, um gleichzeitig die vorhandenen Einrichtungen in Berlin-West funktionsfähig zu erhalten und die entsprechenden Einrichtungen in Berlin-Ost sachlich wie personell angemessen zu erneuern, dann müssen Prioritäten gesetzt werde, weil sonst insgesamt nur noch unzureichend finanzierte und funktional schwache bzw. geschwächte Einrichtungen bleiben“. Der Neuaufbau an der HU müsse daher, so Gerlach, über eine längere Zeit gestreckt werden.146 Die Kritik von Präsidium und Senat der FU richtete sich nicht zuletzt gegen die Planungen zum Standort Adlershof.147 Auf einem großflächigen Areal, das zu DDR-Zeiten unter anderem 16 Institute der Akademie der Wissenschaften mit etwa 5 000 Mitarbeitern beheimatet hatte, beabsichtigte die Landesregierung einen „Wissenschafts- und Technologiepark“ zu errichten. Durch die konzentrierte Ansiedlung von Wissenschaftsinstitutionen sollten forschungsorientierte Wirtschaftsunternehmen angezogen und der „Technologietransfer“ gefördert werden. Neben mehreren Einrichtungen, die aus den Akademie-Instituten hervorgegangen waren, wurde an diesem Ort der Teilchenbeschleuniger BESSY II errichtet. Für dieses Großgerät hatte Berlin 1992 den Zuschlag des BMFT erhalten und steuerte die Hälfte der Bau- und 141 Vgl. Landeshochschulstrukturkommission Berlin (1992), S. 218–225. 142 Vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. 56 f. 143 Vgl. Jarausch (2012a), S. 658. 144 DUZ, no. 15–16 (1996), S. 14–15; vgl. auch Thies (2002), S. 69; Thies (2009), S. 20. 145 Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017. 146 FU Berlin, UA, Präsidium, KR 14, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an den Senator für Wissenschaft und Forschung vom 4.10.1991. Ähnlich argumentierte der Präsident auch gegenüber dem Vorsitzenden der Landeshochschulstrukturkommission, vgl. ebd., Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an den Vorsitzenden der Landeshochschulstrukturkommission vom 2.9.1991. 147 Vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 421. Sitzung des Senats am 11.12.1991, S. 14. Zum Folgenden vgl. Jarausch (2012a), S. 666; Wissenschaftsrat (1997), S. 51–56; Die Präsidentin der HU Berlin (1996), S. 10; FAZ, 26.9.1995, S. B10; SZ, 11.1.1993; FAZ, 17.9.1992, S. 4; SZ, 16.7.1992.
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Betriebskosten bei. Auch die bis dahin in Berlin-Mitte untergebrachten naturwissenschaftlichen Institute der HU wollte die Landesregierung nach Adlershof verlegen. Trotz finanzieller Probleme ab Mitte der 1990er Jahre verfolgte das Land diese Pläne mit höchster Priorität. Ab Ende 1993 veränderte sich die Situation insofern, als von den nun verhängten Kürzungen auch die HU in größerem Ausmaß betroffen war. Zwar konnten sich die Universitäten auf der Basis geteilter Interessen in Ansätzen auf ein gemeinsames Vorgehen einigen. Sie protestierten zusammen gegen die Sparpolitik des Berliner Senats und verhandelten über Einsparpotenziale bei Mehrfachangeboten, um Eingriffe seitens der Senatsverwaltung zu verhindern.148 Zugleich entwickelte sich allerdings angesichts der verschärften Konkurrenz um die Grundfinanzierung ein Konflikt zwischen den Leitungen der FU und der HU. Der Präsident der FU beklagte bereits im Herbst 1993 bei einer Anhörung im Abgeordnetenhaus, dass lediglich bei der Freien Universität Kürzungen vorgenommen würden, die über die Festlegungen des Hochschulstrukturplans hinausgingen. Die Präsidentin der HU wies die angestellten Vergleichsrechnungen als falsch zurück.149 Die Humboldt-Universität protestierte ihrerseits dagegen, dass auch sie Einschnitte zu tragen hatte, die eine Erneuerung und den geplanten Ausbau gefährdeten.150 In der Auseinandersetzung um die Verteilung zusätzlicher Kürzungen, welche die folgenden Jahre prägte, verwies die Präsidentin der HU auch auf die Anstrengungen ihrer Hochschule für eine Erneuerung und die damit verbundenen Entlassungen. Sie konfrontierte Gerlach mit der rhetorischen Frage „[W]arum sollte eine gerade überprüfte und aufgebaute Universität überproportional Lasten tragen und verkrustete Strukturen anderer Einrichtungen unbehelligt bleiben?“151 Gerlach hob hervor, dass die Freie Universität bisher in besonderem Maße von Kürzungen betroffen gewesen sei, und stellte den „großzügig ausgestattete[n] und bisher weitgehend geschützte[n] Sollstellenplan“ der Humboldt-Universität in Frage.152 Umstritten war auch die Zukunft der Berliner Universitätsmedizin. Die FU verfügte 1990 über zwei Krankenhäuser, die Universitätsklinika Steglitz und Rudolf Virchow, die jeweils einem medizinischen Fachbereich zugeordnet waren. Daneben bestanden zwei weitere Fachbereiche für Grundlagenmedizin und Zahnmedizin.153 Zur HU
148 Vgl. Jarausch (2012a), S. 659 f. 149 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 23, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an den Vorsitzenden des Hauptausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses vom 25.10.1993. Auch in einem Brief an den Wissenschaftssenator argumentierte der Präsident der FU gegen eine proportionale Verteilung der zusätzlichen Kürzungen, da die FU bisher die Hauptlast getragen habe, vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Mitglieder des Akademischen Senats vom 6.2.1994. 150 Vgl. Jarausch (2012a), S. 659. 151 FU Berlin, UA, Präsidium, VP 1, 186, Schreiben der Präsidentin der HU Berlin an den Präsidenten der FU Berlin vom 31.5.1995. 152 Ebd., Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Präsidentin der HU Berlin vom 2.6.1995. Dieser Stellenplan hatte für die HU jedoch bereits Kürzungen gegenüber ihrem vorherigen Bestand bedeutet (vgl. Jarausch (2012b), S. 632 f.; Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017). 153 Vgl. Wissenschaftsrat (1990a), S. 26.
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gehörte die traditionsreiche und breit ausgebaute Charité, deren Infrastruktur allerdings einer umfassenden Sanierung bedurfte. „[G]roße Investitionen“ in eine bauliche Erweiterung waren auch am Klinikum Steglitz nötig, wie der Wissenschaftsrat in einem Gutachten aus dem Jahr 1990 befand.154 Insgesamt sei allerdings eine „positive Entwicklung insbesondere in der Forschung“ zu verzeichnen.155 Der regionale Bedarf an Ausbildungskapazitäten und in der Krankenversorgung rechtfertigte es nach Ansicht des Wissenschaftsrates, alle drei Klinika fortzuführen.156 1991 begann allerdings eine Debatte über mögliche Schließungen oder Zusammenlegungen, in der auch der Berliner Senat geteilter Meinung war. Die Senatsverwaltung für Finanzen forderte aus Kostengründen, eines der Universitätskrankenhäuser zu schließen. Wegen der voraussichtlich hohen Investitionskosten stand dabei vor allem das Schicksal der Charité auf der Kippe. Denn für das Virchow-Klinikum entstand zu dieser Zeit bereits ein kompletter Neubau. Auch die Gesundheitsverwaltung sowie die Krankenkassen plädierten aufgrund finanzieller Erwägungen dafür, ein Klinikum zu schließen. Wissenschaftssenator Erhardt hingegen wollte alle drei Klinika erhalten und an der Charité möglichst bald eine Erneuerung in Gang setzen.157 Eine vom Berliner Senat beauftragte Expertenkommission empfahl im Januar 1993, das Universitätsklinikum Rudolf Virchow und die Charité unter dem Dach der HU zusammenzuführen.158 Dies erweckte allerdings bei den dortigen Medizinern die Befürchtung, auf diese Weise die Ressourcenkonkurrenz in das neue Klinikum hineinzuverlagern, was Nachteile für die Charité und ihre bisherigen Beschäftigen nach sich ziehen würde.159 Dessen ungeachtet wurden die beiden Universitätskrankenhäuser 1995 zusammengelegt.160 Mit der Fusion fanden allerdings die Auseinandersetzungen um die Berliner Hochschulmedizin nur ein vorläufiges Ende. Im Jahr 2001 beschlossen nämlich SPD und PDS in ihrem Koalitionsvertrag, das verbleibende Klinikum der FU in Steglitz in ein städtisches Krankenhaus umzuwandeln und den zugehörigen Fachbereich zu schließen, um so Kosten einzusparen. Nach Protesten, die durch eine Pressekampagne des Präsidiums der FU befeuert worden waren,161 setzte der Berliner Senat eine Expertenkommission ein, die einen Zusammenschluss der Berliner Hochschulmedizin zu ei154 Wissenschaftsrat (1990b), S. 26. 155 Wissenschaftsrat (1990b), S. 24. 156 Vgl. Wissenschaftsrat (1990b), S. 26. 157 Vgl. Vollrath (2008), 87 f.; Bräutigam (1994). 158 Vgl. Vollrath (2008), S. 88. 159 Vgl. Bräutigam (1994); Vollrath (2008), S. 88; HU Berlin, Beschlußprotokoll der 16. Sitzung des Akademischen Senates vom 18.10.1994, S. 3 f. 160 Vgl. Gesetz über die Neuordnung der Hochschulmedizin in Berlin vom 3.1.1995, in: GVBl. Berlin 1995, Nr. 1, S. 1. Zuvor hatte die FU bereits Teile der Zahnmedizin verloren. Hier standen sich Ausbaubestrebungen der Charité und das Interesse der Hochschulleitung der FU am vollständigen Erhalt der Zahnmedizin gegenüber, vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 21, Vizepräsident 2, Vermerk für die kleine Routine, 3.3.1993; ebd., P/Rou 23, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an den Senator für Wissenschaft und Forschung vom 6.9.1993; Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 22. 161 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 20.12.2001.
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nem Klinikum und einer gemeinsamen Fakultät von FU und HU empfahl. Der Senat der HU forderte zwar zunächst, die fusionierte medizinische Fakultät solle „der Universität mit dem größten Forschungspotenzial – der Humboldt-Universität – zugeordnet“ werden.162 Doch nachdem auch der Wissenschaftsrat für eine gemeinsame Fakultät votiert hatte, einigten sich die beiden Universitätspräsidenten auf dieses Modell.163 2. Bei den Auseinandersetzungen über die Struktur des Berliner Hochschulsystems, die sich von 1990 bis in die 2000er Jahre hinzogen, handelte es sich in erster Linie um politische Aushandlungsprozesse. Konkurrenz zwischen den Universitäten spielte dabei insofern eine Rolle, als es um die Verteilung knapper Güter ging, seien es die schrumpfenden Mittel des Wissenschaftshaushaltes oder die Zuordnung einzelner Einrichtungen wie etwa der veterinärmedizinischen Fakultät. Wenngleich die Hochschulen, vertreten durch ihre Leitungen und Senate, oftmals nur unwesentlich an den Entscheidungen beteiligt waren, so versuchten sie doch stets, ihre Interessen zu artikulieren und Einfluss zu nehmen. Die Auseinandersetzungen vollzogen sich somit im Modus politischer Konkurrenz, der bereits die Situation der Universitäten in den alten Ländern seit den frühen 1980er Jahren bestimmt hatte. Eine wichtigere Rolle spielten bei den Auseinandersetzungen im vereinigten Berlin allerdings die Bewertungen und Empfehlungen beratender Gremien wie etwa der Landeshochschulstrukturkommission und des Wissenschaftsrates. Es zeichnete sich hier ein Trend in Richtung einer verstärkten „Evaluation“ der Hochschulen von außen ab, auf den in Kapitel IV genauer eingegangen wird. Um Entscheidungen über die Zuordnung einzelner Fächer und Einrichtungen bzw. über die Verteilung von Kürzungen in ihrem Sinne zu beeinflussen, lancierten die Hochschulleitungen öffentliche Stellungnahmen und intervenierten bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung sowie bei den Mitgliedern des Abgeordnetenhauses.164 Ihr Einfluss war dabei zwar begrenzt, doch konnte es den Universitäten in manchen Fällen durchaus gelingen, ihre Interessen durchzusetzen, die in der Regel in einer Wahrung des jeweiligen Fächerspektrums bestanden.165 Die beschriebene Konkurrenzsituation schloss nicht aus, dass Vertreter der Universitäten Ansätze zur Kooperation unternahmen. Eine Zusammenarbeit auf der Ebene der Hochschulleitungen und der gesamtuniversitären Gremien konnte durch gemeinsame Interessen entstehen. Insbesondere, wenn es aus der Perspektive der Hochschul-Vertreter galt, „politische Struktureingriffe“ abzuwehren, kam es zu koordinierten Protesten und Verhandlungen über gemeinsame 162 FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Stellungnahme des Akademischen Senats der Humboldt-Universität zur Entwicklung der Hochschulmedizin in Berlin, 19.11.2002. Anlage zu den Beratungsergebnissen der Sitzung der Kleinen Routine am 21.11.2002. 163 Vgl. Ebd., Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 15.1.2003, S. 1; Baldauf et al. (2008), S. 104. 164 Vgl. neben den bereits zitierten Belegen auch FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 411. Sitzung des Senats am 8.5.1991, S. 5 f.; Jarausch (2012a), S. 663; DUZ, no. 15–16 (1995), S. 19–20. 165 So z. B. im Streit zwischen HU und FU um die Fusion der beiden veterinärmedizinischen Fakultäten, in dem sich letztere durchsetzte; vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 426. Sitzung des Senats am 13.5.1992, S. 1; Baldauf et al. (2008), S. 103; Vollrath (2008), S. 90. Für ein weiteres Beispiel vgl. Thies (2009), S. 25 f.
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Gegenvorschläge.166 So formulierten zum Beispiel die Leitungen der HU und der FU 1993 einen Plan zur Neuaufteilung der medizinischen Einrichtungen, um eine Fusion des Universitätsklinikums Steglitz mit der Charité zu verhindern, die beide Seiten ablehnten.167 Seit 1992 trafen sich zudem in einem informellen Arbeitskreis die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden der Entwicklungs- und Planungskommissionen der drei Universitäten, da sie eine Abstimmung der jeweiligen Strukturplanungen miteinander für vorteilhaft hielten. Diese Gruppe verhandelte auch über den möglichen Abbau von „Mehrfachangeboten“, um Eingriffe seitens der Senatsverwaltung zu verhindern.168 Angesichts des ständig präsenten Konkurrenzverhältnisses waren solche Formen der Kooperation allerdings prekär, wie der Präsident der FU feststellte, als er 1994 dem Akademischen Senat berichtete, dass die Universitäten „zwar geschlossen gegen die pauschalen Minderausgaben Position beziehen, aber bei einer zwangsweisen Umsetzung auch gegensätzliche Interessenlagen und Betroffenheiten“ hätten.169 Nicht selten war Kooperation zwischen den Hochschulen zudem politisch gewünscht. Der Berliner Senat und die Senatsverwaltung für Wissenschaft übten immer wieder Druck auf die Universitäten aus, um diese zu einer Abstimmung ihres Fächerspektrums und ihrer Schwerpunkte zu bewegen. So sahen etwa die im Jahr 1997 geschlossenen „Verträge“ zwischen dem Land Berlin und den Universitäten vor, dass diese zur Umsetzung der Kürzungsvorgaben aufeinander abgestimmte Strukturpläne vorlegen sollten.170 Die Mitglieder einer Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrates, die diese Strukturpläne begutachten sollte, äußerten sich allerdings äußerst kritisch über das in ihren Augen zu geringe Maß an Kooperation und Abstimmung zwischen den Universitäten.171 Auch die Senatsverwaltung für Wissenschaft monierte, die drei Hochschulen seien nicht in der Lage, koordinierte Schwerpunkte festzulegen, sie hätten insbesondere bei den „Kleinen Fächern“ die „Möglichkeiten eines sinnvollen Fächerverbundes […] nicht genutzt“.172 Die vom Berliner Senat gewünschte Abstimmung fand 166 Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 15. Vgl. auch Jarausch (2012a), S. 660 f.; Kubicki/Lönnendonker (2008), S. 139 f. 167 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 21, Vorschläge von FUB und HUB zur Neustrukturierung der Hochschulmedizin, 25.2.1993. 168 Vgl. FU Berlin, UA, EPK-Protokolle, Studie zu Möglichkeiten von Strukturverbesserungen durch eine gemeinsame Entwicklungsplanung von FUB, H-U zu Berlin, TU Berlin, 31.1.1995; AS 2, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Mitglieder des Akademischen Senats vom 6.2.1994; Jarausch (2012a), S. 660. 169 FU Berlin, UA, AS 2, Schreiben des Präsidenten an die Mitglieder des Akademischen Senats vom 6.2.1994, S. 1. 170 Vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Vertrag gemäß Artikel II des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 zwischen dem Land Berlin, vertreten durch den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur und der Freien Universität Berlin, vertreten durch den Präsidenten, § 9. Anlage zum Protokoll der 510. Sitzung des Senats am 23.4.1997, S. 3. 171 Vgl. Landesarchiv Berlin, D Rep. 800 Nr. 3, Wissenschaftsrat, Vermerk über die wesentlichen Ergebnisse der ersten Sitzung der Arbeitsgruppe „Strukturplanung Berlin“ des Wissenschaftsrates am 22.12.1998 in Köln, vor allem S. 6 f.; Wissenschaftsrat (2000b), S. 164. 172 Vgl. Landesarchiv Berlin, D Rep. 800 Nr. 2, SenWissKult II E 2, Vermerk, Betr.: „Kleine Fächer an HU und FU“, 15.5.1998, Zitat auf S. 2; vgl. auch ebd., D Rep. 800 Nr. 3, Schreiben des Senators für Wissenschaft, Forschung und Kultur an den Vorsitzenden des Wissenschaftsrates vom 9.12.1998, S. 17.
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an den Interessensgegensätzen der konkurrierenden Universitäten ihre Grenzen.173 Vor allem lehnten die Hochschulleitungen institutionalisierte Kooperation, zum Beispiel in Gestalt übergreifender Zentren oder gemeinsamer Studiengänge, ab, insofern diese von oben verordnet wurden.174 Sie waren in erster Linie darauf bedacht, „Herr im eigenen Haus zu sein und Veränderungen nur als Veränderungen im eigenen Haus anzustreben“, wie es ein Mitglied der Arbeitsgruppe des Wissenschaftsrats formulierte.175 Trotz dieser Differenzen auf institutioneller Ebene arbeiteten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der verschiedenen Hochschulen zusammen, woraus sich in einzelnen Fällen auch institutionalisierte Formen der Kooperation ergeben konnten, wie zum Beispiel 1996 das gemeinsame Zentrum für Staatswissenschaften und Staatspraxis aller drei Berliner Universitäten.176 Als die Professuren der HU neu ausgeschrieben wurden, entstand in manchen Fällen auch ein Konkurrenzverhältnis um Professoren mit der FU, da sich einige Wissenschaftler der Freien Universität auf diese Stellen bewarben. Deren Präsident versuchte beim Wissenschaftssenator gegen Abberufungen innerhalb der wiedervereinten Stadt zu intervenieren, doch beharrte Erhardt darauf, dass diese Form des Wettbewerbs möglich sein müsse. Dies führte dazu, dass die FU einige Professoren an die Humboldt-Universität verlor, darunter auch mehrere „Spitzenberufungen“ aus den 1980er Jahren, wie der vormalige FU-Präsident Dieter Heckelmann im Rückblick beklagte.177 3. Die drastischen Stellenkürzungen im Kontext anhaltender Konkurrenz blieben nicht ohne Folgen für die inneren Verhältnisse an den Universitäten. Diese waren wiederholt gezwungen, ihre Stellenstruktur an den schrumpfenden finanziellen Rahmen anzupassen.178 Bis in die 1990er Jahre waren Mittelkürzungen an (west-)deutschen Universitäten in der Regel proportional auf die einzelnen Fachbereiche und dort gegebe-
173 Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017. S. z. B. zur Frage der Verteilung der kulturwissenschaftlichen „Kleinen Fächer“ FU Berlin, UA, EPK-Schriftwechsel, Hans Merkens, Planungsgrundlagen EPK, [1998], S. 2: „In den Verhandlungen mit den anderen Berliner Universitäten, hier vor allem der HUB, hat sich gezeigt, daß ein Abkommen über den Verbleib der kleinen Fächer mit dem Ziel, sie nur einmal in Berlin zu erhalten, kaum zu erreichen ist, weil die wissenschaftlichen Traditionen an den beiden Universitäten zu unterschiedlich sind und auch die Interessenlagen nur schwer in Übereinstimmung zu bringen waren.“ 174 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 24, Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 18.11.1993; ebd., AS 2, Protokoll der 620. Sitzung des Senats am 16.3.2005, S. 4; Landesarchiv Berlin, D Rep. 800 Nr. 3, Wissenschaftsrat, Vermerk über die wesentlichen Ergebnisse der zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe „Strukturplanung Berlin“ des Wissenschaftsrates am 22./23.2.1999 in Berlin, S. 27. 175 Landesarchiv Berlin, D Rep. 800 Nr. 3, Wissenschaftsrat, Vermerk über die wesentlichen Ergebnisse der zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe „Strukturplanung Berlin“ des Wissenschaftsrates am 22./23.2.1999 in Berlin, S. 28. 176 Vgl. o. A. (1996); Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 9 f. 177 Dieter Heckelmann, zitiert in Kubicki/Lönnendonker (2002), S. 258; vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Kurt Hammer und Bernd Rabehl, ebd., S. 257; Gespräch mit Prof. Dr. Manfred Erhardt am 31.5.2017. 178 Während die Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung für die ab 1993 umzusetzenden Kürzungen zumindest noch eine Aufteilung auf die Fächergruppen vorgab (vgl. Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung (1993), S. 42–51), mussten spätere Einschnitte von den Universitäten selbst intern umgesetzt werden.
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nenfalls auf die Institute aufgeteilt worden. Denn auf diese Weise war am ehesten ein Konsens innerhalb der Gremien zu erreichen, in denen die potenziell Betroffenen über die Verteilung von Ressourcen entschieden.179 Angesichts der drastischen Stellenreduktionen in Berlin stieß dieser Modus des Interessenausgleichs jedoch rasch an seine Grenzen. Die Kürzungen anteilsmäßig an die einzelnen Fächer weiterzureichen, hätte bedeutet, in manchen kleineren Bereichen nicht mehr tragfähige Strukturen entstehen zu lassen.180 Zudem erwarteten die Entscheidungsträger in der Landespolitik von den Universitäten eine verstärkte Schwerpunktsetzung und Profilbildung.181 Vor diesem Hintergrund konstatierte FU-Vizepräsident Werner Väth bereits im Januar 1991, es bedürfe intern einer „offensiven Diskussion über Entwicklungsprioritäten und Schwerpunktsetzungen“. Denn „[w]enn es der FU nicht gelingt, sich auf eigene Vorstellungen zu einigen, werden wir der Außensteuerung durch die Politiker unterworfen sein“.182 Auch im Senat der Universität setzte sich die Haltung durch, dass „eine differenzierte Gesamtplanung mit neuer Gewichtung und Profilbestimmung“ nötig sei. Um Schwerpunkte in allen Fächergruppen erhalten zu können, sollten vor allem in den großen geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereichen Stellen gestrichen werden.183 Die Entscheidung für eine differenzierte Behandlung der Fächer schuf eine Konkurrenzsituation zwischen diesen und warf zugleich die Frage nach den Verteilungskriterien auf. In verschärftem Maße galt dies für die Kürzungen ab Ende 1993, bei denen die Landesregierung den Universitäten einen großen Planungsspielraum ließ. Bereits 1992 ließ die Hochschulleitung der FU ein Modell der „leistungsorientierten Mittelzuweisung“ entwickeln, das auf „Indikatoren“ wie Drittmitteln und Absolventenzahlen beruhte.184 Auch bei der Festlegung der Stellenstruktur wurde in den 1990er Jahren zunehmend nach quantifizierbaren Kriterien entschieden. Die Entwicklungsund Planungskommission (EPK) der FU entschied 1995, eine „Stärken- und Schwächenanalyse“ der Fächer durchzuführen, um auf dieser Grundlage einen Vorschlag für die künftige Verteilung von Professuren und Mitarbeiterstellen auf die Fachbereiche
179 S. u. Kap. IV.3. 180 Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016. 181 Vgl. z. B. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 415. Sitzung des Senats am 3.7.1991, S. 4; Ebd., Vertrag gemäß Artikel II des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 zwischen dem Land Berlin, vertreten durch den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur und der Freien Universität Berlin, vertreten durch den Präsidenten, § 9. Anlage zum Protokoll der 510. Sitzung des Senats am 23.4.1997; Landesarchiv Berlin, D Rep. 800 Nr. 3, SenWissKult III A 4, Vermerk, Betr.: Kritik der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen an der Stellungnahme des Senators zu den Hochschulstrukturplänen, 17.12.1998, S. 2. 182 FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 408. Sitzung des Senats am 30.1.1991, S. 5. 183 Ebd., Protokoll der 437. Sitzung des Senats am 11.11.1992, S. 9. 184 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, KR 16, Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 16.1.1992 und der Fortsetzungs-Sitzung am 20.1.1992; ebd., AS 2, Protokoll der 429. Sitzung des Senats am 10.6.1992, S. 16; Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 23 f. Zur Entwicklung sogenannter „Indikatoren“ zur „Leistungsmessung“ in der Wissenschaft s. Kap. IV.
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zu entwerfen.185 In die Bewertung ging eine Reihe von Kennzahlen ein, zum Beispiel Publikationen, Herausgeberschaften, Gutachtertätigkeiten und Studienzeiten. Die Zahl der Professuren eines Fachs machte die EPK in ihrem Vorschlag sowohl von der Studiennachfrage als auch von den Ergebnissen der Stärken- und Schwächenanalyse abhängig. So sollten zum Beispiel Disziplinen, die „keine Kernfächer des zukünftigen Profils der FU sind, weil sie sich bei dieser Evaluation nicht als besonders leistungsstark erwiesen haben“, eine im Vergleich mit den Verhältnissen an Universitäten in anderen Bundesländern immer noch hohe Zahl von fünf bis neun Professuren erhalten. Nur Fächer, die als „leistungsstark“ eingestuft wurden und zugleich hohe Studierendenzahlen aufweisen konnten, hatten Anspruch auf zehn oder mehr Professuren.186 Auch Vertreter einzelner Fächer argumentierten mit den Leistungen ihrer Disziplin und deren Bedeutung für das Profil der Universität – und trugen somit zur Entstehung inneruniversitärer Konkurrenz bei.187 Die Kürzungen führten somit zu einer Situation, in der auch universitätsintern Konkurrenzverhältnisse entstanden. Angesichts des interuniversitären Wettbewerbs entschieden sich die Gremien der FU, mit der bis dahin üblichen Gleichverteilung zu brechen. Stattdessen gewann die Frage an Bedeutung, wie sich in Zukunft der Bestand der Universität in Konkurrenz mit den anderen Berliner Hochschulen absichern ließe. Leistungsstärke in Forschung und Lehre sowie Attraktivität für Studierende erschienen hierbei als Erfolgsfaktoren. Zugleich konnten solche quasi-objektiven Kriterien dazu dienen, Entscheidungen zu legitimieren und Mehrheiten im FU-Senat zu formieren. Ähnliche Entwicklungen lassen sich etwa zur gleichen Zeit an der TU Berlin feststellen.188 Und auch an der HU entstanden, nachdem die Hochschule seit 1997 ebenfalls gravierende Kürzungen umzusetzen hatte, inneruniversitäre Konkurrenz und scharfe Auseinandersetzungen über die Verteilungskriterien.189 In der finanzschwachen neuen Hauptstadt vollzogen sich dabei im Zeitraffer Prozesse die mittelfristig auch das übrige deutsche Hochschulsystem prägen sollten. Wettbewerbsorientierte Profilbildung und inneruniversitäre Umverteilung von Ressourcen nach Leistungskriterien entwickelten sich nämlich seit der zweiten Hälfte der 1990er und vor allem in den 2000er Jahren zur Normalität an deutschen Universitäten.
185 Vgl. ebd., EPK-Schriftwechsel, Struktur 2003. Vorschlag der Ständigen Kommission für Entwicklungsplanung der FU Berlin für die Geistes- und Sozialwissenschaften und die Naturwissenschaften, Mai 1997, S. 2. Die EPK wurde vom Senat der Universität gewählt und arbeitete unter Vorsitz eines Vizepräsidenten. Vorschläge zur Stellenstruktur mussten vom Akademischen Senat beschlossen und vom Land Berlin bestätigt werden. 186 Vgl. Ebd.; vgl. auch FU Berlin, UA, EPK-Protokolle, Abwägung zwischen Nachfrage nach Studienplätzen und Mindestlehrangebot bei verschiedenen Studiengängen, Anlage zum Protokoll der 90. Sitzung der EPK am 19.11.1996. 187 Vgl. z. B. ebd., EPK-Schriftwechsel, Schreiben des Dekans des Fachbereichs Chemie an den Präsidenten, 5.6.1997. 188 Vgl. Der Präsident der TU Berlin (1996). 189 Vgl. Jarausch (2012a), S. 674–676.
III. Das Wettbewerbsparadigma
In den 1990er Jahren bahnte sich ein tiefgreifender Einschnitt in der Geschichte der deutschen Universitäten an, als die Wissenschaftspolitik damit begann, das Hochschulsystem umzubauen, um Konkurrenz zwischen den einzelnen Einrichtungen zu stimulieren. Die Universitäten sollten zu handlungsfähigen Organisationen werden und sich im Wettbewerb mit einem eigenständigen Profil positionieren. Die Ursprünge dieses politischen Programms lassen sich in die frühen 1980er Jahre zurückverfolgen, als konservative Kritik an der sozialliberalen Hochschulpolitik und neoliberale Plädoyers für Marktprinzipien in einer Debatte über die Notwendigkeit von Wettbewerb im Hochschulsystem konvergierten. Seit sich in den 1970er Jahren die finanzielle Lage des Staates verschlechtert hatte und der Hochschulausbau ins Stocken geraten war, stand zudem die Frage nach dem effizienten Einsatz der knappen Mittel im Raum. In diesem Kontext formierte sich ein Ensemble von Annahmen und Begriffen, das hier als „Wettbewerbsparadigma“ gefasst werden soll. Es bildete den Rahmen, innerhalb dessen die wissenschaftspolitischen Akteure das Hochschulsystem analysierten, Probleme neu bzw. anders definierten und mögliche Lösungen entwarfen (Abschnitt 1). Erst in den 1990er Jahren avancierte das Wettbewerbsparadigma jedoch von einer Minderheitenposition zum hochschulpolitischen common sense. Die seit etwa 1992 intensiv geführte Debatte über die Zukunftsfähigkeit des deutschen Wirtschafts- und Sozialmodells in den Zeiten der Globalisierung bestärkte die Forderungen nach Deregulierung und Wettbewerb im Hochschulsystem, so dass diese nun auch auf der politischen Linken verfingen. Die betriebswirtschaftliche Ausformulierung des Wettbewerbsparadigmas durch das CHE, ein von HRK und Bertelsmann-Stiftung gegründetes Institut, und dessen Lobby-Arbeit trugen ebenfalls dazu bei, dass Bund und Länder seit den 1990er Jahren ihre Hochschulgesetze nach dem Leitbild der „autonomisierten Wettbewerbshochschule“1 umgestalteten und insbesondere die Kompetenzen der Hochschulleitungen stärkten (2). Eine wachsende Zahl an Rektoren und Präsidenten legte ab Mitte der 1990er Jahre ihr Amt im Sinne des Wettbewerbsparadigmas aus und sah sich eher
1 Bartz (2005), S. 111.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
in der Rolle eines Hochschulmanagers als in der traditionellen Position des primus inter pares (3). Diese Hochschulleitungen betrieben eine kompetitive Profilbildung (4). Ihre Amtsführung provozierte allerdings Konflikte mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie mit Studierenden, die auf einem „kollegialen“ oder „demokratischen“ Modell der Entscheidungsfindung beharrten (5). Neben der Profilierung ihrer Hochschulen machten sich die wettbewerbsorientierten Rektoren und Präsidenten insbesondere die Erschließung zusätzlicher finanzieller Ressourcen aus privater Hand zur Aufgabe (6). 1. Eine hochschulpolitische „Wende“? Mangelnde Effizienz, inadäquate Entscheidungsstrukturen, die Unfähigkeit, wissenschaftliche Eliten und Spitzenforschung hervorzubringen – dies waren Vorwürfe an die Universitäten, die seit dem Ende der 1970er Jahre die öffentliche Debatte über das Hochschulsystem bestimmten.2 In dieser Zeit bildete sich ein Konglomerat von Problemdiagnosen heraus, das dazu diente, einen hochschulpolitischen Richtungswechsel zu begründen. Um den angeblichen Mängeln zu begegnen, plädierten verschiedene Akteure für mehr Wettbewerb und eine stärkere qualitative Differenzierung im bundesrepublikanischen Hochschulsystem. Sie bereiteten damit diskursiv einen Wandel vor, der sich ab Mitte der 1990er Jahre Bahn brach und zu einer verstärkten interuniversitären Konkurrenz führte. Bereits Mitte der 1970er Jahre, als sich im Gefolge der ersten Ölpreiskrise die Finanzlage des Staates verschlechterte, begannen wissenschaftspolitische Akteure darüber zu beraten, wie unter den Vorzeichen einer neuen Ressourcenknappheit die Funktionen des Hochschulsystems für die Forschung und für die Ausbildung immer breiterer Gesellschaftsgruppen aufrecht erhalten werden könnten.3 Diese Debatten drehten sich um die Frage der „Effizienz“ bzw. der „Wirtschaftlichkeit“.4 Der Wissenschaftsrat veröffentlichte im Jahr 1979 eine Empfehlung zu „Verteilung, Verwendung und Kontrolle des Mitteleinsatzes an Hochschulen“, in der er zu mehr Haushaltsflexibilität, einer verstärkten Verteilung der Mittel nach Leistung und Lehrbelastung innerhalb der Hochschulen sowie zu einer verbesserten Rechnungslegung riet.5 2 Diese Datierung legen sowohl eine elektronische Volltextsuche in den Archiven der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, des SPIEGEL und der ZEIT als auch eine Durchsicht des umfangreichen Pressespiegels der LMU München nahe. 3 Diese Situation trat ähnlich auch in anderen westlichen Ländern auf, da sowohl die Expansion des Hochschulwesens als auch die Verengung der finanziellen Spielräume des Staates nationenübergreifende Phänomene darstellten, vgl. Goedegebuure et al. (1990), S. 20–24. 4 Vgl. Bartz (2007), S. 133 f.; FAZ, 6.10.1979, S. 10. 5 Vgl. Wissenschaftsrat (1979). Im Anschluss an die Empfehlung des Wissenschaftsrates bildete sich ein „Arbeitskreis der Kanzler und Leitenden Verwaltungsangestellten der wissenschaftlichen Hochschulen“, der die Debatte über eine Steigerung der Wirtschaftlichkeit fortführte; vgl. Arbeitskreis der Kanzler und Leitenden Verwaltungsbeamten der deutschen Hochschulen (1984); Behrens (1996), S. 85 f.
1. Eine hochschulaolitische „Wenden?
Der Vorwurf mangelnder Effizienz, den Journalisten und einzelne Wissenschaftler öffentlich äußerten, verband sich häufig mit einer Kritik der universitären Entscheidungsstrukturen, wie sie durch die Hochschulgesetzgebung der frühen 1970er Jahre geschaffen worden waren.6 Die Gruppenuniversität, die Studierenden und nicht-professoralen Mitarbeitern Mitspracherechte in den akademischen Gremien einräumte, wurde als Ursache für ineffiziente Entscheidungen und zeitraubende Beratungsprozesse dargestellt. Sie gewähre Personen Einflussmöglichkeiten, denen die nötige Sachkompetenz fehle, und fördere eine Tendenz zum „kleinsten gemeinsamen Nenner“.7 In den Augen konservativer Kritiker führten sowohl die Gruppenuniversität als auch die wachsende Bildungspartizipation der vergangenen beiden Jahrzehnte zu einem übersteigerten Egalitarismus. In Reaktion auf die sozialliberale Politik, die auf eine Ausweitung von Teilhabechancen abgezielt hatte, entzündete sich in den späten 1970er Jahren eine Debatte über die Notwendigkeit von Eliten. „Leistungseliten“, so die häufig artikulierte Meinung, seien für die internationale Konkurrenzfähigkeit der westdeutschen Wirtschaft und für die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft unverzichtbar.8 An den Hochschulen allerdings werde vor allem das „Mittelmaß“ gepflegt.9 So konstatierte zum Beispiel der renommierte Physiker und Präsident der DFG, Heinz Maier-Leibnitz, die deutsche Forschung drohe, trotz guter Ausstattung und respektabler Ergebnisse im internationalen Vergleich zurückzufallen, was die „sehr gute Forschung“ angehe.10 Als Beleg für diese verbreitete Einschätzung wurden die gesunkene Zahl an deutschen Nobelpreisträgern, der niedrige deutsche Anteil an besonders häufig zitierten wissenschaftlichen Publikationen wie auch Expertisen herangezogen, welche die DFG in den USA eingeholt hatte.11 In die Diskussionen über Eliten schaltete sich auch der Wissenschaftsrat ein, indem er Maßnahmen zur „Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses“ und zur „Förderung besonders Befähigter“ unter den Studierenden empfahl.12 Besondere Aufmerksamkeit richtete sich in der öffentlichen Debatte allerdings auf einen Vorschlag, den der FDP-Vorsitzende Hans-Dietrich Genscher im Dezember 1983 präsentierte (nicht
6 Vgl. Wehrs (2014). 7 Rüegg (1985), S. 145; vgl. außerdem FAZ, 6.5.1977, S. 9. Auch der Deutsche Hochschulverband präsentierte 1982 ein Papier, das die Gruppenuniversität als ineffizient darstellte, vgl. FAZ, 28.6.1982, S. 10. Diese Kritik teilte z. B. auch der Rektor der Universität zu Köln, Herbert Wiedemann, vgl. Der Rektor der Universität zu Köln (1981), S. 3–6. Das Argument mangelnder Sachkompetenz war bereits in den 1960er Jahren von Gegnern einer gleichberechtigten Mitbestimmung der nicht-professoralen Hochschulmitglieder angeführt worden, vgl. Bocks (2012), S. 64, 187 f., 194–196. 8 Vgl. Reitmayer (2013); Hahn (1995), S. 197–201. 9 Vgl. FAZ, 29.11.1984, S. 1; Wild (1982), passim; Lobkowicz (1981), S. 26. 10 FAZ, 1.8.1979, S. 21; vgl. auch Maier-Leibnitz (1979). Zum Topos des Zurückfallens im internationalen Vergleich vgl. Bartz (2007), S. 139. 11 Vgl. Wapnewski (1981); Wild (1982), S. 11. 12 Vgl. Wissenschaftsrat (1980); Wissenschaftsrat (1981); Bartz (2007), S. 134; Reitmayer (2013), S. 442 f.; Szöllösi-Janze (2014), S. 331–333.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
zuletzt, um seine Partei nach dem Seitenwechsel in Bonn neu zu profilieren).13 Genscher forderte, das Bildungssystem verstärkt auf Eliten auszurichten, um zu verhindern, dass die deutsche Wirtschaft gegenüber internationalen Konkurrenten auf dem Gebiet neuer Technologien weiter an Boden verliere. Zu diesem Zweck sollten zwei private Technische Universitäten als „Elite-Institutionen“ gegründet werden, die sich der Mikroelektronik und der Biotechnologie widmeten. Der FDP-Vorsitzende musste seine Vorschläge zwar modifizieren, da diese wegen der einseitigen Aufwertung von privaten Bildungseinrichtungen sowohl bei Politikern der Unionsparteien als auch unter Liberalen auf Kritik stießen. Sie waren allerdings in mehreren Punkten repräsentativ für eine neue Position innerhalb der hochschulpolitischen Debatte. Die Antworten aus dem konservativen und liberalen Spektrum auf die beschriebene Problemdiagnose konvergierten in der Forderung nach mehr Differenzierung und Wettbewerb im Hochschulsystem. Die gängige Ansicht war, dass „[i]n den letzten Jahrzehnten […] der Wettbewerb unter den deutschen Hochschulen mehr und mehr zum Erliegen gekommen“ sei.14 Während Genscher Differenzierung zunächst durch die Gründung von „Elite-Institutionen“ erreichen wollte, denen er außerdem die Funktion zusprach, „in unsere Universitätslandschaft den Geist des Wettbewerbs hineinzutragen“,15 plädierten die meisten Akteure für eine Schwerpunktbildung innerhalb der Universitäten. So forderte zum Beispiel der damalige Vizepräsident der DFG, Hubert Markl, die Fakultäten bzw. Fachbereiche sollten jeweils fachbezogen um die Auszeichnung als Schwerpunktgebiete konkurrieren. Diese Schwerpunkte sollten dann ein Recht zur Auswahl ihrer Studierenden erhalten. Der Vorschlag lief also unter anderem darauf hinaus, eine neue Konkurrenz um die besten Studierenden als Prämie zu entfachen. Der Wettbewerb um Forschungsmittel und Studierende, so Markl, führe zu einer „Konzentration der knappen Ressourcen und zur öffentlichen Profilierung der Hochschulen durch ihr differenziertes Leistungsangebot“.16 Die Ministerin für Bildung und Wissenschaft der neuen christlich-liberalen Bundesregierung, Dorothee Wilms (CDU), präsentierte Ende 1983 sechzehn „Thesen zu einer Hochschulpolitik für die 90er Jahre“, in denen sie ebenfalls Wettbewerb und Differenzierung betonte: Der in den letzten Jahren kaum mehr mögliche Wettbewerb zwischen Hochschulen oder einzelnen Hochschuleinrichtungen um wissenschaftliche Anerkennung, Qualität in Forschung und Lehre sowie Forschungsmittel ist wieder zu beleben. Die Hochschulen müssen sich mittelfristig auch auf einen Wettbewerb um Studenten vorbereiten.
13 Vgl. hierzu und zum Folgenden FAZ, 30.12.1983, S. 1 f.; FAZ, 16.1.1984, S. 4; FAZ, 23.2.1984, S. 4; Dahrendorf (1984); Der Spiegel, 4.6.1984, S. 46–61; FAZ, S. 9. 14 Morkel (1983), S. 68; für weitere Beispiele vgl. Lobkowicz (1981); FAZ, 17.11.1983, S. 12. 15 FAZ, 30.12.1983, S. 1 f. 16 FAZ, 27.4.1984, S. 25; in diese Richtung entwickelte sich auch das Konzept der FDP, vgl. FAZ, 9.3.1984, S. 12; FAZ, 11.4.1984, S. 12.
1. Eine hochschulaolitische „Wenden?
„Nicht zu jeder Zeit“, so die Ministerin, „müssen Lehraufgaben und Forschungsaufgaben in allen Fachbereichen mit gleicher Intensität erfüllt werden.“17 Damit deutete sie die Möglichkeit an, dass sich die Professorenschaft an manchen, im Wettbewerb erfolgreichen Universitäten oder Fakultäten verstärkt der Forschung widmen könnte, während andernorts die Ausbildungsfunktion an Gewicht gewinnen sollte, was tendenziell eine Entkoppelung von Forschung und Lehre bedeutet hätte. Überlegungen in diese Richtung hatte der Hofgeismarer Kreis, ein hochschulpolitischer Gesprächskreis, bereits in den 1950er Jahren entwickelt. Bislang waren derartige Ideen aber allenfalls durch das SFB-Programm der DFG wirksam geworden, während die Pläne, in Bielefeld und Konstanz forschungsorientierte Universitäten mit begrenzten Studierendenzahlen zu etablieren, heftige Widerstände hervorgerufen hatten und letztlich aus finanziellen Gründen revidiert worden waren.18 Auch der Wissenschaftsrat beschäftigte sich seit den frühen 1980er Jahren verstärkt mit der Frage des Wettbewerbs.19 In seinen Reihen fanden sich zunehmend Vertreter eines neoliberalen Kurses, die marktwirtschaftliche Prinzipien auf den Wissenschaftssektor übertragen wollten. Vor allem der Politologe Peter Graf Kielmansegg, bald bekannt als „Graf Wettbewerb“, trieb die Diskussion voran.20 So veranstaltete er 1983 eine Tagung, zu der er bekannte Befürworter des Wettbewerbs im Hochschulsystem aus dem In- und Ausland einlud, unter anderem den Ökonomen Christian Watrin, Mitglied und späterer Präsident (2000–2002) der Mont-Pèlerin-Gesellschaft, einer internationalen, durch Friedrich A. von Hayek gegründeten Vereinigung von Neoliberalen.21 Die „Empfehlungen zum Wettbewerb“, die der Wissenschaftsrat 1985 verabschiedete, trugen zwar in einigen Bereichen Züge eines Kompromisses – so konnten sich zum Beispiel Forderungen nach einem „Ranking“ deutscher Hochschulen und einer Finanzierung der Hochschulen über Studiengutscheine nicht durchsetzen. Erreicht hatten die Wettbewerbsbefürworter aber, so die Einschätzung Kielmannseggs, eine Synthese von „Adam Smith und Wilhelm von Humboldt“.22 Das Papier präsentierte den Wettbewerb als ordnungspolitisches Instrument, mittels dessen sich Leistungssteigerung und Differenzierung im Hochschulsystem erreichen ließen. In den Beiträgen zur hochschulpolitischen Debatte bildeten sich bis zur Mitte der 1980er Jahre die Grundlagen eines Ensembles von Begriffen und Annahmen heraus, das sich als Wettbewerbsparadigma fassen lässt.23 Es wurde in den 1990er Jahren von verschiedenen Akteuren weiter ausgearbeitet und konkretisiert. Es entwickelte sich 17 Wilms (1983). 18 Vgl. Szöllösi-Janze (2011), S. 60–62; Waßer (2016), S. 247–254; Mälzer (2016). 19 Vgl. zum Folgenden Bartz (2007), S. 221, 140–144; Szöllösi-Janze (2011), S. 65–67. 20 Vgl. Waßer (2016), S. 267; Szöllösi-Janze (2014), S. 333. 21 Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 333. Zur Geschichte der Mont-Pèlerin-Gesellschaft als „neoliberalem Denkkollektiv“ vgl. Mirowski/Plehwe (2009); außerdem Plickert (2008). 22 Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 333. 23 Diesen Terminus verwendet an einer Stelle bereits Olaf Bartz, ohne ihn allerdings zu analytischen Zwecken einzusetzen, vgl. Bartz (2007) S. 221. An anderer Stelle operiert Bartz mit dem Begriff des „Universitätsleitbildes“ und diagnostiziert für die 1960er den Zerfall des „Humboldtianismus“ als vorherrschenden
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allmählich zur Grundlage eines breiten hochschulpolitischen Konsenses und prägte auf diese Weise sowohl die Gesetzgebung als auch das Handeln von Entscheidungsträgern innerhalb der Universitäten. An dieser Stelle sollen daher die zentralen Begriffe und Annahmen herausgearbeitet werden, die dieses Paradigma ausmachten. Wettbewerb sollte dazu dienen, die proklamierten Ziele, nämlich mehr Effizienz, Elitebildung in der Lehre und Spitzenleistungen in der Forschung zu erreichen. Dabei stand vor allem eine verstärkte Konkurrenz der Hochschulen bzw. der Fachbereiche und Fakultäten untereinander im Fokus, denn ein Wettbewerb der einzelnen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen um Stellen und Forschungsgelder war auch nach Ansicht der Kritiker in der Bundesrepublik durchaus vorhanden.24 Die Wettbewerbsbefürworter wollten eine Konkurrenz der Universitäten um Studierende bzw. um die besten Studierenden als neue Prämie entfachen. Den Studieninteressierten wäre in einem solchen Wettbewerb zugleich die Rolle des umworbenen Dritten zugekommen, während die Hochschulen sich dieser Vorstellung nach durch qualitativ hochwertige und ausdifferenzierte Ausbildungsangebote profilieren müssten. Dass die Studieninteressierten ihrerseits um die Studienplätze an den angesehensten Fakultäten und Fachbereichen konkurrieren würden, die sich als Dritte die besten Studierenden aussuchen könnten, galt dabei als wünschenswerte Konsequenz.25 Stärker als bisher sollten die Hochschulen mit ihren Leistungen auch um finanzielle Ressourcen und Reputation konkurrieren müssen.26 In einem solchen Wettbewerb sollten sie „auf Feldern, auf denen sie ihre Chancen besonders hoch einschätzen, Leistungszentren mit einem spezifischen Profil und von hervorragendem Rang aufbauen“.27 Profilbildung im Sinne einer Konzentration der Hochschulen auf ihre jeweiligen Stärken wurde daher als das erwünschte Konkurrenzverhalten begriffen.28 Auf diese Weise sollte eine „Konzentration von Ressourcen“ in besonders „leistungsstarken Bereichen“ zustande kommen.29 Attraktivität gewann dieses Konzept wohl vor allem dadurch, dass es versprach, die angeblich nivellierende Gleichverteilung von Mitteln zu beenden und zu einem effizienteren Einsatz der knapp gewordenen Finanzen beizutragen. Damit die Universitäten im Wettbewerb untereinander Schwerpunkte in Forschung und Lehre ausbilden könnten, mussten allerdings aus Perspektive der Befürworter zuerst mehrere Bedingungen gegeben sein. Erstens bedürfe es eines Abbaus staatlicher Regelungen. So konstatierte zum Beispiel Dorothee Wilms, „Voraussetzung für Profilbildung und Wettbewerb zwischen den Hochschulen“ sei „eine größere Selbständigkeit der
Leitbildes. Er verweist an dieser Stelle auf „die autonomisierte Wettbewerbshochschule“ als mögliches „neues Leitbild“ der bundesdeutschen Hochschulpolitik. Vgl. Bartz (2005), Zitate auf S. 111. 24 Vgl. Kielmansegg (1984), S. 51 f. 25 Vgl. Kielmansegg (1984), S. 57; Wissenschaftsrat (1985), S. 34. 26 Vgl. Wilms (1983); Pfeifer (1984), S. 18; Morkel (1983), S. 71 f.; Lobkowicz (1981), S. 27. 27 Wissenschaftsrat (1985), S. 31. 28 Der Begriff „Profilbildung“ findet sich z. B. bei Wilms (1983), 29 Wissenschaftsrat (1985), S. 31.
1. Eine hochschulaolitische „Wenden?
Hochschulen“.30 Gefordert wurden mehr Flexibilität bei der Verwendung der Mittel aus dem Staatshaushalt und größere Freiheiten in der Personalpolitik sowie bei der Ausgestaltung von Studiengängen.31 Zu Beginn der 1980er Jahre verfügten die Entscheidungsorgane der Hochschulen auf diesen Feldern in der Tat nur über geringe Spielräume. Haushaltsmittel waren zu großen Teilen durch Berufungszusagen gebunden oder staatlicherseits mit Zweckbindungen versehen. Über Professorengehälter konnten nur in bestimmten Grenzen verhandelt werden. Studienordnungen wiederum mussten von den Wissenschaftsministerien genehmigt werden und unterlagen einem Angleichungsdruck an Rahmenprüfungsordnungen, die eine bundesweite Vergleichbarkeit der Studienabschlüsse sicherstellen sollten. In anderen Begründungskontexten konnten diese Regulierungen durchaus folgerichtig erscheinen; für die Wettbewerbsbefürworter stellten sie in erster Linie Hemmnisse dar, die es zu beseitigen gelte. Zweitens mussten die Universitäten auch ihrer inneren Struktur nach in die Lage versetzt werden, Entscheidungen über Schwerpunkte zu treffen.32 Dies war, so die verbreitete Meinung, bei der gegenwärtigen Dominanz der gewählten Gremien nicht möglich, da diese stets zur Gleichverteilung tendierten und nicht notwendigerweise über hinreichende Sachkompetenz verfügten. Somit sei kein „Binnenwettbewerb“ möglich, bei dem innerhalb der Universitäten Ressourcen nach Leistung verteilt würden.33 Daraus leitete sich die Forderung ab, die Kompetenzen der Hochschulleitungen zu stärken.34 An diesem Punkt setzten ab den frühen 1990er Jahren betriebswirtschaftlich geprägte Überlegungen an.35 Drittens betonten die Befürworter einer stärkeren Wettbewerbsorientierung die Bedeutung einer größeren „Leistungstransparenz“. Diese bringe „den Wettbewerb um Reputation in Gang“, der andere Formen der Konkurrenz nach sich ziehe.36 Die Hochschulen sollten daher wichtige Kennzahlen offenlegen und sich um die Darstellung ihres jeweiligen Profils in der Öffentlichkeit bemühen.37 Ein Wettbewerb um Studierende werde zum Beispiel erst dann entstehen, wenn diese sich über die unterschiedlichen Angebote der Hochschulen ein Bild machen könnten.38 Manche Wettbewerbsbefürworter plädierten in diesem Zusammenhang für den Einsatz von „Indikatoren“ zur Messung wissenschaftlicher Leistungen, die seit den 1970er Jahren in der Wissenschaftssoziologie diskutiert wurden, sowie für die Übertragung des Ranking von Hochschuleinrichtungen aus den USA.39
30 Wilms (1983). 31 Vgl. Morkel (1983), S. 69 f.; Pfeifer (1984), S. 18 f.; Wilms (1983). 32 Vgl. Kielmansegg (1984), S. 53. 33 Kielmansegg (1984), S. 53. 34 Vgl. Morkel (1983), S. 68. Diese Forderung machte sich schließlich auch die WRK zu eigen, vgl. WRK (1989a), S. 679. 35 Vgl. z. B. die Arbeit des vormaligen WRK-Vizepräsidenten und Betriebswirtschaftlers Karl Alewell: Alewell (1993); ferner s. u. Kap. III.2. 36 Wissenschaftsrat (1985), S. 24; Kielmansegg (1984), S. 54. 37 Vgl. Wissenschaftsrat (1985), S. 25 f. 38 Vgl. Wissenschaftsrat (1985), S. 35. 39 Die Empfehlung des Wissenschaftsrates nannte dies zumindest als mögliche Maßnahme, vgl. Wissenschaftsrat (1985), S. 27.
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Auch wenn einzelne Universitätspräsidenten und Rektoren wie zum Beispiel Wolfgang Wild von der TU München und Nikolaus Lobkowicz von der LMU München zu den Befürwortern von mehr Wettbewerb zählten,40 zeigte sich ein großer Teil ihrer Amtskollegen wie auch der Professorenschaft in den 1980er Jahren noch skeptisch gegenüber der Wende im hochschulpolitischen Diskurs.41 Zudem brachte die verbreitete Kritik an den Hochschulen die WRK in die Defensive. Dem bis 1983 amtierenden Präsidenten der Rektorenkonferenz George Turner wie auch seinem Nachfolger Theodor Berchem gelang es allerdings, ihre Kollegen dazu zu bewegen, sich mit dem Thema Wettbewerb öffentlich auseinanderzusetzen. Beide argumentierten, dass eine verstärkte Konkurrenz der Hochschulen angesichts der anhaltenden Mittelknappheit und voraussichtlich sinkender Studierendenzahlen unvermeidlich sei. Es gelte daher in erster Linie, Einfluss auf die Ausgestaltung des Wettbewerbs zu nehmen.42 Turner stellte die WRK-Jahresversammlung von 1984 unter das Thema „Differenzierung und Wettbewerb“.43 Als Referent war dazu Peter Graf Kielmansegg eingeladen, der in seinem Vortrag bereits einige zentrale Punkte der im folgenden Jahr veröffentlichten Empfehlung des Wissenschaftsrats berührte.44 Unter den Rektoren und Präsidenten behielt jedoch eine skeptische bis ablehnende Haltung gegenüber den Forderungen nach mehr Wettbewerb die Oberhand. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats kritisierten manche WRK-Mitglieder wegen der „für die Wissenschaft nicht hinreichend erwiesenen Prämisse, daß mehr Wettbewerb zu höherer qualitativer Leistung des Gesamtsystems führe“.45 Die Rektoren und Präsidenten sahen als Hauptproblem des Hochschulsystems vielmehr eine mangelnde Finanzierung.46 Die niedrige Grundausstattung, so wurde Kielmansegg im Jahr 1985 entgegengehalten, lasse überhaupt keine Umverteilungen zu.47 Die 1986 verabschiedete Stellungnahme der WRK „Zum Wettbewerb im Hochschulbereich“ fiel daher zurückhaltend aus. Betont wurden zuerst die „Grenzen des Wettbewerbs“, die unter anderem darin lägen, dass die Leistungen der Hochschulen sich nur langfristig beurteilen ließen sowie für Studienanfänger und andere Außenstehende nicht leicht einzuschätzen seien. Studieninteressierte richteten sich zudem 40 Vgl. Wild (1982); Lobkowicz (1981). 41 In einer Umfrage des MPI für Bildungsforschung in den Jahren 1984 und 1985 äußerte sich die Mehrheit der befragten Soziologen, Politikwissenschaftler und Physiker ablehnend gegenüber den Forderungen nach Differenzierung und Wettbewerb. Lediglich bei den Wirtschaftswissenschaftlern sprach sich eine knappe Mehrheit dafür aus. Die Befürworter waren politisch eher rechts, die Gegner eher links zu verorten. Vgl. Baumert/Max-Planck-Institut für Bildungsforschung (1994), S. 680. 42 Vgl. Berchem (o. J. b), S. 55; Berchem (o. J. a), S. 17 f. 43 Vgl. Berchem (o. J. b), S. 55; WRK (1984). 44 Vgl. Kielmansegg (1984). 45 WRK-Vizepräsident Karl Alewell in einem Bericht über die Beratungen der Kommission für Planungs-, Kapazitäts- und Organisationsfragen an das Plenum, s. Bibliothek der HRK, Protokoll des 147. Plenums der WRK am 4./5.11.1985, S. 16. Dort finden sich auch kritische Rückfragen an Kielmansegg, der auf dieser Versammlung ein zweites Mal seine Positionen vortrug. 46 Vgl. Turner (2001), S. 189. 47 Vgl. Bibliothek der HRK, Protokoll des 147. Plenums der WRK am 4./5.11.1985, S. 17.
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nicht alleine nach der Qualität der Hochschule, weshalb Wettbewerb in diesem Bereich nur eine eingeschränkte Funktion haben könne. Zu beachten sei gegenüber einer zu starken Orientierung an Konkurrenz auch die regionalpolitische Bedeutung von Hochschulen. Die Stellungnahme gestand zu, dass ein „[v]ernünftig dosierter Wettbewerb […] einem möglichen Immobilismus“ entgegenwirken könne, hob im Anschluss daran aber vor allem die bereits wirksamen Konkurrenzmechanismen hervor, zum Beispiel um Drittmittel und namhafte Wissenschaftler. Veränderungsbedarf bestehe in erster Linie bei der zu stark eingeschränkten Hochschulautonomie und der unzureichenden Finanzierung.48 Insbesondere die Frage eines Leistungsvergleichs zwischen Hochschulen oder Fachbereichen und Fakultäten, wie er von Anhängern des Wettbewerbsparadigmas gefordert wurde, löste unter den Rektoren und Präsidenten empfindliche Reaktionen aus. Innerhalb der WRK beschäftigte sich eine Kommission unter der Leitung von WRK-Vizepräsident Karl Alewell seit 1985 verstärkt mit diesem Thema.49 Die Rektorenkonferenz beteiligte sich an einem Projekt des Programms „Institutional Management in Higher Education“ der OECD zur Entwicklung von Kennzahlen für den Hochschulbereich.50 Bei den Beratungen über eine Stellungnahme zur Leistungsbewertung von Universitäten sprachen sich manche Rektoren dagegen aus, diese Thematik überhaupt weiterzuverfolgen oder die Entwicklung von Kennzahlen gar zu fördern. Sie fürchteten nämlich eine „nicht gerechtfertigte[.] Mittel-Umverteilung“ auf Basis von Fehleinschätzungen.51 Das letztlich verabschiedete Papier trug dieser Haltung Rechnung und hielt fest, eine Quantifizierung von Leistungen sei nur „ausnahmsweise möglich und sinnvoll“. Kennzahlen sollten lediglich verwendet werden, wenn sie in eine qualitative Bewertung eingebettet seien.52 Einer Umverteilung von Mitteln zwischen Hochschulen auf der Basis von angeblichen Leistungsunterschieden, mithin einem kennzahlengesteuerten Wettbewerb, war damit eine Absage erteilt. Obwohl sich also bis zur Mitte der 1980er Jahre die Grundlagen eines neuen hochschulpolitischen Paradigmas herausgebildet hatten, kam es in der Praxis erst einmal zu keinem einschneidenden Wandel. Die Änderung des Hochschulrahmengesetzes von 1985 sollte die Drittmitteleinwerbung und -verwaltung erleichtern, ermöglichte eigene Veranstaltungen für „besonders Befähigte“ und sah in manchen Fällen ergänzende Aufnahmegespräche der Hochschulen mit Studienanfängern vor. Eine nennenswerte Steigerung der Wettbewerbsintensität ging von diesen Änderungen allerdings nicht 48 WRK (o. J. a). Diese Stellungnahme wurde vom Plenum ohne kontroverse Diskussion und mit nur zwei Enthaltungen beschlossen, was wohl vor allem an den zurückhaltenden Formulierungen und der Forderung nach „größere[n] Entscheidungsspielräume[n]“ für die Hochschulen, wie Vizepräsident Karl Alewell betonte, gelegen haben dürfte; vgl. Bibliothek der HRK, Protokoll des 148. Plenums der WRK am 3./4.2.1986, S. 6. 49 Vgl. ebd., Protokoll des 147. Plenums der WRK am 4./5.11.1985, S. 16. 50 Vgl. ebd., Protokoll des 145. Plenums der WRK am 4./5.2.1985, S. 3. 51 Ebd., Protokoll des 149. Plenums der WRK am 1.7.1986, S. 6. 52 Vgl. WRK (o. J. b); besonders kritisch standen viele Rektoren allen Ansätzen zu einem Hochschul-Ranking gegenüber, vgl. hierzu auch Bibliothek der HRK, Protokoll des 46. Senats der WRK am 14.1.1986, S. 12.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
aus. Größeren Einfluss hatte die bereits beschriebene Tendenz der Wissenschaftsministerien der Länder, verstärkt Schwerpunkte zu fördern. Seinen Durchbruch erlebte das Wettbewerbsparadigma erst in den 1990er Jahren, als es sowohl unter den Wissenschaftspolitikern der wichtigsten Parteien als auch unter den Hochschulrektoren und -präsidenten immer mehr Anhänger fand. 2. Das Wettbewerbsparadigma auf dem Weg zum hochschulpolitischen common sense In einer Situation, in der dem Hochschulsystem von Journalisten, Wissenschaftspolitikern wie auch von Mitgliedern des Wissenschaftssystems selbst gravierende Funktionsstörungen bescheinigt wurden, versprach das Wettbewerbsparadigma wirksame Lösungen. Die diagnostizierten Probleme konnten auf einen Mangel an Konkurrenz zurückgeführt und folglich durch Maßnahmen behoben werden, welche die Voraussetzungen für einen leistungssteigernden Wettbewerb schufen. Vor allem zwei Ursachen verzögerten jedoch eine Umsetzung in die hochschulpolitische Praxis. Zum einen ließen die Repräsentanten der Hochschulen zunächst nur wenig Kooperationsbereitschaft für die Einführung neuer Konkurrenzmechanismen erkennen.53 Zum anderen blockierte die Wiedervereinigung die dafür erforderlichen Kapazitäten, da Wissenschaftspolitiker und Wissenschaftsorganisationen über mehrere Jahre hinweg vorrangig mit der Zusammenführung der beiden Wissenschaftssysteme beschäftigt waren.54 Ab 1992 kehrte aber die Frage einer grundlegenden Umgestaltung des deutschen Hochschulsektors allerdings wieder auf die Tagesordnung zurück. Zu dieser Zeit zeichnete sich ab, dass die Studierendenzahlen nicht in dem Maße zurückgehen würden, wie seit der zweiten Hälfte der 1970er Jahre prognostiziert worden war. Das Problem der „Überlast“ an den Hochschulen erledigte sich nicht von selbst, sondern drohte zur dauerhaften Normalität zu werden.55 Um die öffentlichen Finanzen war es allerdings nicht besser bestellt als ein Jahrzehnt zuvor. Nach einem wirtschaftlichen Aufwärtstrend in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre trat ab 1992 eine gegenläufige Entwicklung ein, während zugleich die Kosten der deutschen Einheit spürbar wurden.56 Die meisten Länder verhängten daher in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erneut Mittelkürzungen im Hochschulbereich. Zugleich wuchs die Kritik an der steigenden durchschnittlichen Studiendauer und den als zu hoch geltenden Abbrecherquoten. Ein Schlagwort für den erneut anschwellenden Krisendiskurs lieferte 1992 der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Dieter Simon mit seinem Urteil, 53 Symptomatisch hierfür war auch die breit angelegte, programmatische Stellungnahme der WRK zur „Zukunft der Hochschulen“ von 1988, in der das Thema Wettbewerb nur sehr knapp und als letzter Punkt erwähnt wurde, vgl. WRK (1989a). 54 Vgl. Bartz (2007), S. 184. 55 Vgl. Bartz (2007), S. 184; HRK (1992b). 56 Vgl. Wirsching (2006), S. 225 f.
2. Das Wettbewerbsparadigma auf dem Weg zum hochschulpolitischen common sense
die deutsche Universität sei „im Kern verrottet“.57 Da sich seit Jahren wenig an den problematisierten Zuständen geändert hatte, sahen die Universitäten sich dem Vorwurf ausgesetzt, aus eigener Kraft nicht zu Reformen in der Lage zu sein.58 Ab Mitte der 1990er Jahre verbreitete sich zudem die Auffassung, die deutschen Universitäten verlören im internationalen Vergleich für Studierende und wissenschaftlichen Nachwuchs an Attraktivität.59 Die Rufe nach einer grundlegenden Reform des Hochschulsystems gewannen dadurch an Dringlichkeit, dass sie sich nun, anders als in den 1980er Jahren, mit einer breiten öffentlichen Debatte verbanden, die sich um die Zukunftsfähigkeit des bundesrepublikanischen Wirtschafts- und Sozialmodells in Zeiten der Globalisierung drehte.60 Seit etwa 1992 beherrschten nämlich Warnungen, der „Standort Deutschland“ drohe seine internationale Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren, den politischen Diskurs der Bundesrepublik. Allenthalben beklagten Wirtschaftsexperten, Journalisten und Politiker den „Reformstau“ in der Bundesrepublik und die mangelnde „Flexibilität“ der vorherrschenden Strukturen. Die Forderung, den Universitäten mehr Autonomie zuzugestehen und den Wettbewerb an die Stelle staatlicher Steuerung treten zu lassen, harmonierte mit den neoliberalen Plädoyers für Deregulierung, Rückzug des Staates und Eigeninitiative in allen Gesellschaftsbereichen, die nun auch in der SPD Anklang fanden. Diese programmatische Neuorientierung kam in dem sogenannten „Schröder-Blair-Papier“ vom Juni 1999 zum Ausdruck, in dem der Bundeskanzler und SPD-Vorsitzende Gerhard Schröder zusammen mit seinem britischen Amtskollegen und Vorsitzenden der Labour-Partei Tony Blair für eine marktorientierte Modernisierungspolitik und eine Aktivierung des Individuums plädierte.61 Im Zuge der Globalisierungsdebatte fand auch das Wettbewerbsparadigma mehr und mehr Anhänger unter Wissenschaftspolitikern und -politikerinnen auf der Linken. So forderte etwa der bekannte SPD-Politiker Peter Glotz in seinem 1996 erschienen Buch „Im Kern verrottet?“: Wir brauchen autonome Hochschulen, die ihr eigenes Profil entwickeln können, die aufgrund dieses Profils miteinander in Wettbewerb treten und deren Leistungen so weit überprüfbar gemacht werden müssen, daß sie ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber der Gesellschaft nachkommen können.62
57 Der Spiegel, 9.12.1991, S. 52 f. 58 Vgl. z. B. Mittelstraß (1993); diesen Vorwurf formulierte auch der sächsische Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer, vgl. Der Spiegel, 31.3.1997, S. 70–73. 59 S. u. Kap. VI.1. 60 Vgl. hierzu und zum Folgenden Szöllösi-Janze (2011), S. 53; Meteling (2014); Meteling (2016); Lessenich (2003), S. 292 f.; Herbert (2014), S. 1207–1219. 61 Vgl. Schröder/Blair (1999). 62 Glotz (1996), S. 106. Für ein weiteres Beispiel vgl. Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1997).
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
Bei den Grünen wiederum setzte sich im Jahr 1997 Matthias Berninger als hochschulpolitischer Sprecher auf Bundesebene durch, der für eine „autonome, universelle, wettbewerbsfähige Massenhochschule“ eintrat.63 Die Wissenschaftspolitik der Partei war nicht zuletzt durch den Präsidenten der Universität Oldenburg, Michael Daxner, geprägt, der zwar in vielen Fragen eigenständige Positionen bezog, in einigen zentralen Punkten aber mit dem Wettbewerbsparadigma übereinstimmte, so in der Forderung nach größeren Handlungsspielräumen für die Universität, damit diese „als selbstbestimmter Akteur gegenüber Auftraggebern, Klienten, dem Staat, der Öffentlichkeit und anderen Partnern im Wettbewerb auftreten“ könne.64 Auch die Rektorenkonferenz vollzog in diesen Jahren einen deutlichen Richtungswechsel und vertrat in ihren offiziellen Stellungnahmen seit Mitte der 1990er Jahre Positionen, die auf der Begrifflichkeit des Wettbewerbsparadigmas beruhten.65 Da der Haltung der Rektoren und Präsidenten, wie im nächsten Abschnitt argumentiert werden soll, eine erhebliche Bedeutung für die Entstehung von Konkurrenz zukam, soll an dieser Stelle näher untersucht werden, wie das neue hochschulpolitische Paradigma in der HRK Fuß fassen konnte. Von entscheidender Bedeutung für die Kursänderung der HRK war das Agieren ihres Präsidenten Hans-Uwe Erichsen, der von 1990 bis 1997 amtierte. Erichsen vertrat die Auffassung, „Wettbewerb unter den Hochschulen und innerhalb der Hochschulen“ würde zu einer „Leistungssteigerung“ und einer effektiveren Nutzung von Ressourcen führen. Dazu sei „eine Erweiterung der Hochschulautonomie und die Einführung von Elementen des Marktes in das Qualifikationssystem“ nötig. Die Hochschulen sollten in die Lage versetzt werden, „ihre Schwerpunkte in der Forschung, ihre Angebote in der Lehre selbst zu bestimmen“.66 In der ersten Hälfte der 1990er Jahre setzte die Spitze der HRK das Thema Wettbewerb erneut auf die Tagesordnung, indem sie unter anderem ein umfangreiches Projekt zu Profilbildung und Leistungsdarstellung anstieß und die Jahresversammlung von 1994 unter das Motto „Hochschulen im Wettbewerb“ stellte.67 Für eine erhöhte Anschlussfähigkeit des Wettbewerbsparadigmas dürfte ferner gesorgt haben, dass Erichsen vor allem den Aspekt der „Hochschulautonomie“ hervorhob, der in den Beschlusstexten der HRK besonders betont wurde.68 Denn bereits seit längerem klagten viele Rektoren über Bürokratie, Regulierung und Eingriffe der Ministerien in Bereiche, die als Kerngebiete der akademischen Selbstverwaltung galten, etwa die Gestaltung der Prüfungsordnungen,
63 DUZ, no. 15–16 (1998), S. 14–15. 64 Daxner (1999), S. 154 Ähnliche Positionen vertrat der Präsident der Universität Oldenburg bereits 1993 auf einer Tagung zur Hochschulreform vgl. o. A. (1993a), S. 23. Zu Daxners hochschulpolitischen Positionen vgl. auch Daxner (1996); Daxner (1991). Er entwarf im Jahr 1997 für die Grünen Vorschläge zur Novellierung des Hochschulrahmengesetzes, vgl. DUZ, no. 15–16 (1998), S. 14–15. 65 Vgl. HRK (o. J. b), hier v. a. S. 99 f. und 107 f.; HRK (1997b); HRK (o. J. a). 66 Erichsen (1994); vgl. auch DUZ, no. 6 (1991), S. 19–21. 67 Vgl. HRK (1993); HRK (1994b); HRK (1994a). 68 Vgl. hierzu auch die Dokumentation einer von der Rektorenkonferenz veranstalteten Tagung: HRK (1992a).
2. Das Wettbewerbsparadigma auf dem Weg zum hochschulpolitischen common sense
die Umwidmung von Professuren oder Berufungsangelegenheiten.69 Zudem planten manche Länder in den 1990er Jahren, dem Problem der langen Studiendauer mit weiteren Vorgaben zur Gestaltung von Studiengängen und zur Organisation der Lehre zu begegnen.70 Das Wettbewerbsparadigma konnte daher an Attraktivität gewinnen, weil es geeignet war, Forderungen nach breiteren Entscheidungskompetenzen für die Hochschulleitungen zu begründen. Es konnte sich auch deshalb als handlungsleitende Überzeugung sowohl innerhalb der Hochschulen als auch bei Politikern verschiedener Parteien etablieren, weil es im Lauf der 1990er Jahre wissenschaftsförmig ausgearbeitet und zu umsetzbaren Rezepten konkretisiert wurde. Dies war im Wesentlichen ein Ergebnis der Arbeit des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), das die HRK im Jahr 1994 zusammen mit der Bertelsmann Stiftung gründete. Die Initiative ging dabei von dem Unternehmer und Vorstandsvorsitzenden der Bertelsmann Stiftung Reinhard Mohn aus, der sich bereits seit Mitte der 1980er Jahre mit Hochschulpolitik befasste, als er die Privatuniversität Witten finanziell unterstützte. Mohn musste allerdings seine Hoffnung enttäuscht sehen, Witten würde sich zu einem Modell für das staatliche Hochschulsystem entwickeln, das er als reformbedürftig betrachtete.71 Seit den frühen 1990er Jahren schaltete sich Mohn daher mit der Bertelsmann-Stiftung in die hochschulpolitischen Debatten ein.72 Mohn, der selbst nie eine Hochschule besucht hatte, bezeichnete es als sein Ziel, Erfahrungen aus der Wirtschaft in den Hochschulbereich einzubringen. Er war überzeugt, dass sich Organisationsformen und Grundsätze der Unternehmensführung auf andere gesellschaftliche Bereiche übertragen ließen und dort zu positiven Effekten führen würden. Als Ziel hatte er dabei stets die Erhöhung der Leistungsfähigkeit und Funktionalität von Institutionen im Blick, die er nach dem Modell der Bewährung von Unternehmen auf Märkten begriff. Der Wettbewerb als Zwang zur Erhöhung der Leistungsfähigkeit von Organisationen, zu ihrer „Evolution“, nahm in Mohns Denken eine zentrale Stelle ein: „Die entscheidenden Anstöße für Weiterentwicklungen kommen in der Wirtschaft aus der Notwendigkeit zu überleben, die Leistungsfähigkeit und Flexibilität zu erhöhen […].“ Wegen der „Führungsschwäche“ der Politik und in der Wissenschaft sei es, wie Mohn in einem Interview 1993 bekundete, „[j]etzt […] an der Zeit, Persönlichkeiten aus der Wirtschaft, die leistungsorientiertes Führen gelernt haben, in die Leitungsgremien von Universitäten einzubinden“. Die Entscheidungskompetenzen der Hochschulen sollten erhöht werden, um „unternehmerische Initiative 69 Vgl. z. B. Grotemeyer (1979), S. 10; TUM-Mitteilungen, no. 7 (1980), S. 2; Universität Oldenburg (1982), S. 46; Das Präsidialkollegium der Ludwig-Maximilians-Universität München (1985), S. 5; uni-info, no. 4 (1990), S. 6; Matz (1996). 70 Vgl. o. A. (1993b). 71 Vgl. Schuler (2010), S. 139–142; Thielen (o. J.). 72 Die Stiftung vergab einen Preis zum Thema „Evolution im Hochschulbereich“, veröffentlichte die Studie „Hochschulpolitik im internationalen Vergleich“ und veranstaltete 1993 gemeinsam mit dem BDI eine Tagung unter dem Titel „Hochschule am Scheideweg – Zukunftsweisender Strukturwandel statt Krisenmanagement!“, die sich nicht zuletzt um die Forderung nach mehr Wettbewerb im Hochschulbereich drehte. Vgl. Schuler (2010), S. 146; Thielen (o. J.); Bertelsmann Stiftung (1990); Necker (1993); DUZ, no. 21 (1992), S. 21.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
auch in das Bildungssystem zu bekommen“. Intern sollte den Hochschulen eine Führungsstruktur ähnlich der von Aktiengesellschaften gegeben werden. Dadurch, dass Mohn Leistung abstrakt und inhaltlich unbestimmt als Anpassung an Nachfrage auf Märkten konzipierte, konnte er sein Modell auf jeden Bereich gesellschaftlicher Praxis übertragen. Seine Vorstellungen, die die hochschulpolitische Arbeit der Bertelsmann Stiftung und auch die Ausrichtung des CHE bestimmten, kamen insofern, wenn sie sich auch aus anderen Quellen speisten, dem Wettbewerbsparadigma sehr nahe.73 Nachdem Mohn seine Pläne mit der Privatuniversität Witten nicht verwirklichen konnte, trug er sich mit dem Gedanken, ein Institut zur Entwicklung von hochschulpolitischen Konzepten zu gründen, und besprach dieses Vorhaben unter anderem mit dem HRK-Präsidenten Erichsen.74 Zum Leiter dieser Einrichtung bestimmte er den damaligen Rektor der Universität Dortmund, Detlev Müller-Böling.75 Die Ansichten Mohns und des Betriebswirtschaftlers Müller-Böling stimmten vor allem in zwei Punkten überein, nämlich in der Notwendigkeit von Leistungsvergleichen im Hochschulbereich und dem, was Mohn als das „Delegieren“ von Aufgaben, Müller-Böling als Hochschulautonomie fasste.76 Das Institut, das 1994 seine Arbeit aufnahm, sollte laut Mohn und Erichsen „politisch unabhängig Ziele definieren, Konzepte entwickeln und in Pilotprojekten mit ausgewählten Hochschulen in die Praxis umsetzen.“ Es müssten auch „bildungspolitische Tabus wie öffentliches Dienstrecht, Studienstrukturen, Abbau staatlicher Reglementierung, Privatisierung, Organisation der Hochschulleitungen und Studienstrukturen aufgegriffen und diskutiert werden.“ Als wichtige Themen wurden unter anderem der „Wettbewerb durch Leistungsmessung“ und die Entwicklung „moderne[r] Managementkonzepte“ für die hochschulinterne Steuerung benannt.77 Das Präsidium der HRK beteiligte sich damit an der Gründung eines Instituts, das für Positionen stand, die von vielen HRK-Mitgliedern nicht geteilt wurden. Dies zeigte sich besonders deutlich an der Frage der Studiengebühren, die vom CHE bereits seit 1995 propagiert wurden, im Plenum der HRK jedoch bis 2003 keine Mehrheit fanden.78 Dass die Ausrichtung des CHE bei der Gründung bereits weitgehend feststand, dürfte den Beteiligten angesichts der hochschulpolitischen Initiativen Reinhard Mohns bewusst gewesen sein. Wenn also Erichsen, der manche der Ziele Mohns teilte, die HRK an der Gründung des CHE beteiligte und diesem damit eine höhere Legitimation verschaffte,79 handelte es sich dabei auch um eine Strategie, um die Haltung der Rektoren zu beeinflussen.
73 DUZ (1993), S. 32–33. 74 Vgl. Landwehr-Konrad (o. J.). 75 Vgl. Schuler (2010), S. 152–154; Landwehr-Konrad (o. J.); Müller-Böling (o. J.). 76 Mohn (1993); vgl. Schuler (2010), S. 152 f. 77 HRK/Bertelsmann Stiftung (o. J.). 78 Vgl. Alidusti (2007), S. 201; Müller-Böling (1995); Bibliothek der HRK, Protokoll der 78. Sitzung des Senats der HRK am 11.6.1995 in Passau, S. 7–10; ebd., Protokoll der 179. Plenarversammlung der HRK am 8./9.7.1996 in Berlin, S. 11 f. 79 Alidusti (2007), S. 200 f.
2. Das Wettbewerbsparadigma auf dem Weg zum hochschulpolitischen common sense
Durch die Beteiligung der HRK konnte sich das CHE von Beginn an einer großen Aufmerksamkeit im Hochschulbereich sicher sein. Zudem verstanden es die Mitarbeiter des CHE, Verbindungen zu einer größeren Zahl von Universitäten aufzubauen und die eigene Arbeit publik zu machen, indem sie bald nach der Gründung alle deutschen Hochschulen anschrieben und sich nach bereits laufenden oder geplanten Reformen und Kooperationsinteressen erkundigten und auf dieser Basis die ersten Arbeitsfelder entwarfen.80 Zur Verbreitung der eigenen hochschulpolitischen Konzeptionen griff das CHE auf breit gestreute Publikationen, Projekte in Zusammenarbeit mit einzelnen Hochschulen und die Veranstaltung von Tagungen zurück. Deutlich zu erkennen ist, dass sich die Aktivitäten einerseits an politische Entscheidungsträger, andererseits an Mitglieder der Hochschulleitungen und der Hochschulverwaltung richteten. Durch Tagungen und begleitende Veröffentlichungen zielte das CHE darauf ab, bestimmte Themen wie Studiengebühren, eine Neugestaltung des Hochschulzugangs oder Wettbewerbsmechanismen in der Hochschulfinanzierung auf die politische Tagesordnung zu setzen.81 Zugleich propagierte es aber auch Konzepte für die Umgestaltung der inneren Strukturen der Hochschulen. Beides griff insofern ineinander, als – im Sinne des Wettbewerbsparadigmas – eine Umgestaltung der Hochschulen zu entscheidungs- und handlungsfähigen Organisationen Voraussetzung dafür war, dass diese in Konkurrenz zueinander treten könnten. Die Projekte, die das CHE in Zusammenarbeit mit einzelnen Hochschulleitungen durchführte, waren nach den thematischen Schwerpunkten des Instituts ausgewählt und hatten Modellcharakter. Die Ergebnisse wurden in Publikationen verallgemeinernd dargestellt und manchmal auch auf Konferenzen präsentiert. In seinen ersten Jahren unterstützte das CHE beispielsweise die Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg dabei, ein „Leitbild“ zu entwickeln, und entwarf ein neues Mittelverteilungsmodell für die Universität Hamburg.82 An der Universität Bremen sollten die „Strategiebildung“ verbessert und die Identifikation der Professoren, Mitarbeiter und Studierenden mit ihrer Hochschule gefördert werden.83 Workshops zu Themen wie Mittelverteilung, Controlling, Software für Hochschulen und Kostenrechnung richteten sich an Personen aus den Hochschulleitungen und der Verwaltung. Auch Veranstaltungen speziell für Dekane wurden angeboten.84 Der Erfolg, den das CHE bei der Verbreitung des Wettbewerbsparadigmas erzielte, beruhte nicht zuletzt darauf, dass es dieses mithilfe sozialwissenschaftlicher und betriebswirtschaftlicher Ansätze konkretisierte und begründete. Die Arbeiten des Instituts waren in hohem Maße anwendungsorientiert und boten vermeintliche Rezepte, die sowohl von politischer Seite als auch von den Hochschulleitungen umgesetzt 80 Vgl. Landwehr-Konrad (o. J.). 81 Vgl. Internetquelle 3; Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft/CHE (1998); Meyer/Müller-Böling (1996a); CHE/HIS GmbH (1997a). 82 Vgl. Internetquelle 4. 83 Vgl. Internetquelle 5. 84 Internetquelle 6.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
werden konnten. Es präsentierte konkrete Lösungen in einer Situation, in der ein starkes Problemempfinden vorherrschte, während keine anderen Ansätze zur Diskussion standen, die ähnlich breit angelegt und zugleich im Detail ausgearbeitet gewesen wären. Seit den frühen 1990er Jahren wurde in mehreren Bundesländern, in der Kultusministerkonferenz sowie in Arbeitsgruppen von Bund und Ländern über Reformmaßnahmen beraten.85 Zur Debatte standen unter anderem die Einführung von verbindlichen Studienzeiten, die durch Langzeitstudiengebühren oder Zwangsexmatrikulation durchgesetzt werden sollten, sowie die Möglichkeit, Studiengänge „inhaltlich zu entfrachten“.86 Größere Spielräume der Universitäten bei der Mittelverwendung sollten für mehr Effizienz sorgen. Diskutiert wurden außerdem Wettbewerbsmechanismen bei der Zuweisung der Grundfinanzierung. Hier unternahm das sozialdemokratisch regierte Nordrhein-Westfalen ab 1993 die ersten Schritte zur Umsetzung.87 Seit 1996 berieten zudem die Wissenschaftsressorts von Bund und Ländern über eine Reform des Hochschulrahmengesetzes.88 Die SPD-geführten Länder stellten sich zwar letztendlich gegen das Gesetz, weil sie sich mit ihrer Forderung nach einem bundesweiten Verbot von Studiengebühren nicht hatten durchsetzen können, so dass es 1998 ohne Zustimmung des Bundesrates in Kraft trat. In anderen zentralen Punkten herrschte jedoch Einigkeit über die Parteigrenzen hinweg. Mit der Gesetzesnovelle entfielen die Regelungen zur Organisationsstruktur der Hochschulen, wovon sich viele Wissenschaftspolitiker und Beobachter einen stärkeren Wettbewerb erwarteten. Die Länder konnten auf dieser Basis die Leitungsämter in den Hochschulen stärken, was als Voraussetzung für eine wettbewerbliche Profilbildung galt. Auf den Ausbau von Konkurrenzmechanismen verwies auch die Vorgabe, dass sich die Finanzierung der Hochschulen „an den in Forschung und Lehre sowie bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses erbrachten Leistungen“ orientieren sollte.89 Unionspolitiker hatten sich zudem mit der Forderung durchgesetzt, in zulassungsbeschränkten Studiengängen die Universitäten an der Auswahl der Studierenden zu beteiligen. Die Durchsetzung des Wettbewerbsparadigmas in der deutschen Hochschulpolitik entsprach einer international zu beobachtenden Entwicklung. Auch in anderen Ländern etablierte sich seit den 1990er Jahren eine autonome und als Organisation handlungsfähige, über Wettbewerbssysteme und Leistungsmessung gesteuerte Universität als Leitbild der Hochschulpolitik. Zu den Vorreitern zählten Großbritannien, die Niederlande und Australien, die daher in Deutschland neben den US-amerikani85 Vgl. hierzu und zum Folgenden o. A. (1993b). 86 O. A. (1993b), S. 167. 87 Vgl. o. A. (1993b), S. 170; s. u. Kap. IV.2. 88 Vgl. hierzu und zum Folgenden: Forschung & Lehre, no. 10 (1996), S. 514–515; DUZ, no. 23 (1996), S. 4; FAZ, 21.8.1997, S. 2; Der Spiegel, 1.12.1997, S. 32–35; DUZ, no. 17 (1997), S. 8–9; 1997); FAZ, 16.6.1998, S. 64; FAZ, 22.8.1998, S. 10. 89 Viertes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 20.8.1998, in: BGBl. I 1998, S. 2190– 2198, § 5.
2. Das Wettbewerbsparadigma auf dem Weg zum hochschulpolitischen common sense
schen „Spitzenuniversitäten“ als Vorbilder dienten.90 Die Regierungen der westlichen Industriestaaten sahen sich oftmals mit ähnlichen Problemen konfrontiert, vor allem mit steigenden Studierendenzahlen bei gleichzeitig verschlechterten Staatsfinanzen, und griffen auf international diskutierte Lösungsvorschläge zurück.91 Der Wandel der hochschulpolitischen Konzepte wurde von wissenschaftlichen Beobachtern wie Protagonisten als Durchsetzung eines sogenannten New Public Management bzw. eines Neuen Steuerungsmodells beschrieben, das auch in anderen Bereichen, wie etwa der Kommunalverwaltung, Fuß fasste.92 Befürworter des New Public Management stützten ihre Überlegungen auf wirtschafts- bzw. sozialwissenschaftliche Denkfiguren wie etwa das Principal-Agent-Modell der Neuen Institutionenökonomik sowie auf Ansätze aus der Privatwirtschaft.93 Vor allem bei der Ausgestaltung der universitären Entscheidungsstrukturen orientierte sich die Wissenschaftspolitik am Vorbild privatwirtschaftlicher Unternehmen, was in Baden-Württemberg dazu führte, dass die Hochschulleitungen seit 2005 als „Vorstände“ firmierten, die „Aufsichtsräten“ rechenschaftspflichtig waren.94 Einflussreich war zudem das Konzept der „entrepreneurial university“, das der renommierte US-amerikanische Hochschulforscher Burton R. Clark entwarf. Universitäten sollten danach, mit stärkerer Steuerungsfähigkeit ausgestattet, in Lehre und Forschung unternehmerisch auf die Bedürfnisse von Gesellschaft und Wirtschaft reagieren und neue Einnahmequellen erschließen.95 Die Konzepte des New Public Management lassen sich als neoliberal charakterisieren, insofern sie dem als ineffizient und unflexibel dargestellten bürokratischen Staat den Markt als überlegenen Steuerungsmechanismus gegenüberstellten. Universitäten sollten nicht mehr wie eine staatliche Behörde sondern wie ein Unternehmen, das heißt als nutzenmaximierende Marktteilnehmer, geführt werden. Zugleich wird deutlich, dass neoliberale Staatskritik und Marktvertrauen nicht notwendigerweise zu einer Privatisierung hoheitlicher Aufgaben führen mussten, sondern auch in eine „Modernisierung“ des Staats nach ökonomischen Leitvorstellungen münden konnten.96
90 Vgl. z. B. Goedegebuure/Bertelsmann-Stiftung (1993); DUZ (1993), S. 32–33; HRK (1994b); Wahlers (2004); HRK (1997b), S. 112; CHE/HIS GmbH (1997b). Die Vorbildfunktion der Niederlande betont Skowronek (2000), S. 13 f. 91 Lange/Schimank (2007), S. 522. 92 Vgl. Bogumil et al. (2013); Pollitt/Bouckaert (2011); Bogumil (2009); Schimank/Lange (2009), sowie die anderen Beiträge in diesem Band; Brunsson/Sahlin-Andersson (2000); Hood (1998); Brinckmann (1998), S. 98–100. 93 Vgl. Bogumil et al. (2013), S. 20–22; Münch (2009), S. 116–118. Pollitt und Bouckaert betonen, dass die konzeptuellen Grundlagen nicht immer völlig konsistent waren, vgl. Pollitt/Bouckaert (2011), S. 10. 94 Vgl. Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg (2004). 95 Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 334 f.; Clark (1998); Clark (2004). 96 Vgl. Biebricher (2012), S. 160–163.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
3. Präsidenten und Rektoren als Hochschulmanager Nachdem die Vorgaben des Hochschulrahmengesetzes zur Organisationsstruktur im Zuge der Novellierung von 1998 gestrichen worden waren, begannen die Landesregierungen damit, ihre jeweiligen Hochschulgesetze zu überarbeiten. Überall wurden dabei die Kompetenzen der Universitätsleitungen gegenüber den Gremien, aber auch gegenüber den Wissenschaftsministerien gestärkt, weil dies als zentrale Voraussetzung für eine wettbewerbliche Profilbildung galt. Gesetzesänderungen allein entfachten allerdings noch keine Konkurrenz zwischen den Universitäten. Entscheidend dafür war auch die Handlungsorientierung der Rektoren und Präsidenten, das heißt ihr Amtsverständnis und ihre Vorstellung von der Universität als Institution und deren Rolle in der Gesellschaft. Im Folgenden soll daher zunächst die rechtliche Stärkung der Hochschulleitungen dargestellt werden, anschließend der Wandel in der Handlungsorientierung vieler Rektoren und Präsidenten. Die neuen Hochschulgesetze der Bundesländer, die zwischen 1998 und der Mitte der 2000er Jahre verabschiedet wurden, waren stark von der nunmehr seit über zwei Jahrzehnten anhaltenden Kritik an der Gruppenuniversität und von den Grundannahmen des Wettbewerbsparadigmas geprägt. In Problembeschreibung und Lösungsansätzen unterschieden sich die Wissenschaftspolitiker der SPD und der Unionsparteien kaum noch voneinander, nachdem auch Sozialdemokraten Elemente der konservativen Kritik an der Gruppenuniversität übernommen und sich im Zuge der Globalisierungsdebatte für neoliberale Konzepte geöffnet hatten. So bekundete etwa der niedersächsische Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (SPD), ein Vertreter dieser programmatischen Neuorientierung, seine Absicht, die „Kultur des Minimalkonsenses“ an den Hochschulen zu überwinden, und bezeichnete den universitären Senat als „Gremium der Besitzstandswahrung“, während der CSU-Politiker und bayerische Wissenschaftsminister Hans Zehetmair von der „lähmenden Kollegialhochschule mit ewig handelnden oder nicht handelnden Gremien“ sprach. Nach Oppermanns Auffassung sollte die Reform der universitären Entscheidungsstrukturen dem Umstand Rechnung tragen, dass die Hochschulen „stärker als bisher unternehmerisch denken und unternehmerisch handeln“ müssten, wenn sie sich im „harten internationalen Wettbewerb“ behaupten wollten.97 Oppermanns bayerischer Amtskollege beschrieb seine Ziele mit den Worten „mehr Autonomie und Freiheit für Hochschulen, die Förderung der Leistung und des Wettbewerbs zwischen den und innerhalb der Hochschulen“.98 Die Wissenschaftspolitiker sowohl der SPD als auch der Unionsparteien zielten darauf ab, die Hochschulen zu Akteuren in Konkurrenzverhältnissen zu machen. Da die starke Stellung der Gremien innerhalb der Hochschulen einer Schwerpunkt- und Profilbildung tendenziell entgegenstand, diese zugleich aber als das notwendige und 97 Niedersächsischer Landtag, Plenarprotokoll 14/109, 12.6.2002, S. 10838 f. 98 Bayerischer Landtag, Plenarprotokoll 13/111, 8.7.1998, S. 7941 f., 7944.
3. Präsidenten und Re toren als Hochschulmanager
wünschenswerte Konkurrenzverhalten begriffen wurde, verloren vor allem die Senate und Fakultäts- bzw. Fachbereichsräte durch die neuen Hochschulgesetze an Kompetenzen. Diese Entscheidungsrechte gingen zum Teil auf die Hochschulleitungen, zum Teil auf die neu geschaffenen Hochschulräte über.99 Letztere waren teilweise oder gänzlich mit Personen besetzt, die nicht der jeweiligen Universität angehörten. Dadurch sollten sie einerseits unabhängig von Einzelinteressen im Sinne der Gesamtorganisation entscheiden können. Andererseits begründeten manche Wissenschaftspolitiker die Einführung von Hochschulräten damit, dass auf diese Weise „gesellschaftliche“ – das hieß vor allem: wirtschaftliche – Interessen in den Universitäten zur Geltung gebracht und zusätzliche Expertise einbezogen werden könnten. Zudem wurde ihnen, nach dem Modell von Aktiengesellschaften, die Funktion eines Aufsichtsrates zugeschrieben.100 Hatten die Senate vor den Gesetzesänderungen in den meisten Bundesländern über die Anmeldungen der Universität zum staatlichen Haushalt sowie über die Verteilung der zugewiesenen Mittel entschieden (soweit diese nicht durch Berufungszusagen gebunden waren), so kam dies nun in der Regel den Hochschulleitungen zu.101 Entwicklungs- und Strukturpläne beschloss in der Mehrheit der Länder ebenfalls nicht mehr der Senat, sondern entweder die Hochschulleitung oder der Hochschulrat. Auch die Kompetenz zur Einrichtung, Änderung und Schließung von Fakultäten, Fachbereichen und anderen Einheiten der Universitäten ging teilweise von den Senaten auf die Hochschulleitungen oder die Hochschulräte über. In den meisten Bundesländern konnte der Senat zwar noch über die Einrichtung und Aufhebung von Studiengängen entscheiden, doch auch dort war teilweise die Bestätigung durch die Leitung oder den Hochschulrat nötig. In der Mehrzahl der Länder gaben die Wissenschaftsministerien das Berufungsrecht an die Hochschulleitungen ab und damit auch die Möglichkeit der Politik, von der Reihenfolge der Berufungslisten abzuweichen oder diese an die Fakultäten zurückzugeben. Die Zustimmung der Senate hingegen war meist nicht mehr nötig.102 Gemeinsam war den Reformen somit eine Entmachtung der Senate (und teilweise analog der Fakultäts- und Fachbereichsräte), doch fiel diese nicht überall gleich drastisch aus. Während in manchen Ländern, wie etwa in Nordrhein-Westfalen oder Thüringen, die Kompetenzen des Senats – abgesehen von der Mitwirkung bei der Wahl der Hochschulleitung – weitgehend auf die Verabschiedung von Stellungnahmen reduziert
99 Mitte der 2000er Jahre war nur in Bremen kein Hochschulrat gesetzlich vorgesehen; Brandenburg hatte einen Landeshochschulrat geschaffen. Vgl. Kehm/Lanzendorf (2006), S. 157; Bogumil et al. (2013), S. 87 f. 100 Wissenschaftlicher Beirat zur Begleitung des Modellvorhabens für eine Erprobung der globalen Steuerung von Hochschulhaushalten im Land Niedersachsen (1997), S. 7; vgl. Bogumil et al. (2013), S. 47 f. 2007/2008 saßen in den Hochschulräten etwa gleich viele Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen wie Wirtschaftsvertreter. Danach folgten Personen aus der Politik, der öffentlichen Verwaltung und dem Rechtswesen; vgl. Nienhüser (2012), S. 101. 101 Vgl. hierzu und zum Folgenden Hüther (2010), S. 199–336 102 Vgl. Rogge et al. (2013), S. 71; Detmer (2012), S. 120 f.
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wurden,103 erhielt er sich zum Beispiel in Berlin einen gewissen Einfluss.104 Auch die Machtverteilung zwischen den Universitätsleitungen und den Hochschulräten unterschied sich von Land zu Land deutlich. Über besonders umfangreiche Kompetenzen verfügten die mehrheitlich mit Externen besetzten „Aufsichtsräte“ in Baden-Württemberg, die nicht nur die Hochschulleitung wählten, sondern unter anderem auch über die Finanzplanung, über Struktur- und Entwicklungspläne sowie über die Einrichtung, Änderung und Schließung von Studiengängen entschieden.105 Generell ist allerdings fraglich, inwiefern Hochschulräte mit Entscheidungskompetenzen die faktische Gestaltungsmacht der Hochschulleitungen in nennenswertem Maße einschränkten. Denn die Entscheidungen wurden von den Rektoraten bzw. Präsidien und ihren Stäben vorbereitet, während die Mitglieder der Hochschulräte, sofern sie Externe waren, größtenteils nicht über eigene Informationskanäle in die Universitäten verfügten.106 Die Kompetenzen der Universitätsleitungen wuchsen somit durch die Neugestaltung des Hochschulrechts in den Jahren ab 1998 deutlich an. Allein daraus folgte aber noch keineswegs, dass die Amtsträger ihre neuen Vollmachten auch im Sinne des Wettbewerbsparadigmas ausnutzten und ihre Universitäten einer an Konkurrenzverhältnissen orientierten Profilbildung unterzogen. Es war nicht ausgeschlossen, dass das neue gesetzlich verankerte Modell einer starken Hochschulspitze wegen der Handlungsorientierung der Rektoren und Präsidenten nicht voll zum Tragen kam. Diese stammten nämlich weiterhin zum überwiegenden Teil aus der Professorenschaft der jeweiligen Hochschule und hatten zuvor oft Ämter in den universitären Gremien besetzt.107 Neben ihrer Prägung durch eine auf Konsens ausgerichtete Gremienkultur waren auch normativer Druck und die Erwartungshaltung seitens der Hochschulmitglieder Faktoren, die trotz aller formalen Kompetenzen auf eine konsensorientierte Amtsführung der Rektoren und Präsidenten hinwirkten. Tatsächlich nutzten die Hochschulleitungen vor allem in den ersten Jahren ihre neuen Kompetenzen nicht vollständig aus.108 103 Vgl. Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14.3.2000, in: GV. 2000, S. 189– 220, § 22; Thüringer Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften vom 21.12.2006, in: GVBl. 2006, S. 601–683, Art. 1, Thüringer Hochschulgesetz, § 33. 104 Vgl. Hüther (2010), S. 333; Bekanntmachung der Neufassung des Berliner Hochschulgesetzes (BerlHG) vom 13.2.2003, GVBl. S. 82–115, § 61. 105 Vgl. Zweites Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften vom 1.1.2005, in: GBl. 2005, S. 1–75, Art. I, Gesetz über die Hochschulen und Berufsakademien in Baden-Württemberg, § 20. Bereits Ende der 1990er Jahre waren in Baden-Württemberg Hochschulräte mit umfassenden Kompetenzen eingerichtet worden, vgl. Bekanntmachung der Neufassung des Gesetzes über die Universitäten im Lande Baden-Württemberg vom 1.2.2000, in: GBl. 2000, S. 208–265, § 18. 106 Vgl. Rosenbusch (2013), S. 152 f. 107 Zu dieser Überlegung vgl. Bogumil et al. (2013), S. 52. Ähnlich argumentieren auch Tim Flink und Dagmar Simon, die ausgehend von Interviews konstatieren, dass sich Mitglieder von Hochschulleitungen in unterschiedlichem Maße mit der Aufgabe einer wettbewerblichen Profilbildung identifizierten, vgl. Flink/ Simon (2015b). 108 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. An der Universität zu Köln bot der Rektor den Mitgliedern des Senats im Jahr 2007 an, Berufungslisten weiterhin im Senat zu besprechen, obwohl dafür keine rechtliche Grundlage mehr bestand, vgl. Universität zu Köln, Niederschrift über die nichtöffentliche Sitzung des Senats am 16.5.2007, S. 2.
3. Präsidenten und Re toren als Hochschulmanager
Sie wurden jedoch zunehmen von Personen geprägt, deren Handlungsorientierung sich aus dem Wettbewerbsparadigma speiste. Seit etwa Mitte der 1990er Jahre etablierte sich der neue Typus wettbewerbsorientierter Hochschulleitungen. Diese Rektoren und Präsidenten unterschieden sich in Amtsverständnis und Amtsführung deutlich von ihren Vorgängern in den vorangegangenen Jahrzehnten: 1. Die Personen an der Hochschulspitze, die ihr Amtsverständnis im Rahmen des Wettbewerbsparadigmas definierten, sahen sich für den Erfolg ihrer Einrichtungen im interuniversitären Wettbewerb verantwortlich. Sie legten den Fokus weniger auf Kontinuität als auf Veränderungen zum Zweck der Leistungssteigerung. Bereits in den Antrittsreden und anderen (hochschul)öffentlichen Erklärungen dieser neuen Rektoren und Präsidenten kam eine neuartige Auffassung der eigenen Rolle zum Ausdruck. Anders als ihre Vorgänger präsentierten sie für ihre Amtszeit oftmals ein Programm. Sie skizzierten Reformen, mithilfe derer die Leistungsfähigkeit ihrer Universitäten und deren Erfolgsaussichten im Wettbewerb verbessert werden sollten. Der Psychologe Siegfried Grubitzsch etwa bekundete bei seinem Amtsantritt als Präsident der Universität Oldenburg im Jahr 1998, dass sich die Hochschule unter anderem durch eine Veränderung ihrer Organisationsstrukturen, Profilbildung sowie die „Forcierung der Öffentlichkeitsarbeit und des Marketings“ auf die Konkurrenz mit anderen Universitäten vorbereiten müsse.109 Der Politikwissenschaftler Klaus Dicke, seit 2004 Rektor der FSU Jena, stellte sich vor der Wahl mit einem programmatischen Text vor, in dem er argumentierte: Neue Herausforderungen verlangen dynamischen, kreativen Innovationswillen: Modernisierung im Innern, eine konsequente Politik der Schwerpunktbildung, erhöhte Sichtbarkeit nach Außen, zielstrebige Internationalisierung sind Voraussetzungen, um im Elitewettbewerb zu bestehen.110
In früheren Jahren waren derartige Ankündigungen unüblich gewesen. Die Rektoren und Präsidenten betonten bei ihren hochschulöffentlichen Reden eher Kontinuität sowie die Sicherung der grundlegenden Funktionen der Institution in Forschung und Lehre.111 An der Universität zu Köln hatte sich überdies die Tradition gehalten, dass die neuen Rektoren bei der feierlichen Amtsübergabe einen Fachvortrag aus ihrem Forschungsgebiet hielten.112 Damit brach 2005 der Physiker Axel Freimuth, der bei seinem Amtsantritt als Rektor eine hochschulpolitische Rede hielt, in der er einige zentrale 109 Vgl. Grubitzsch (1999), Zitat auf S. 27; vgl. auch die Antrittsrede seines Nachfolgers: Schneidewind (2004). 110 Vgl. Dicke (2004). 111 Vgl. z. B. Burger et al. (1986); Staak/Gutmann (1985); o. A. (1992). 112 Zur Tradition der Rektoratsrede vgl. Langewiesche (2016); vgl. auch die von der Abteilung „Forschungen zur deutschen Sozialgeschichte“ der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unter Leitung von Dieter Langewiesche erstellte Datenbank zu Rektoratsreden im 19. und 20. Jahrhundert, online unter http://www.historische-kommission-muenchen-editionen.de/rektoratsreden/.
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Punkte des Wettbewerbsparadigmas bekräftigte und verkündete, Ziel der Universität müsse es sein, „besser zu werden“ und „sich in allen Bereichen weiter in Richtung auf eine internationale Spitzenhochschule zu entwickeln“.113 Indem die neuen Rektoren und Präsidenten die Notwendigkeit von Veränderungen für die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Universitäten betonten, brachten sie auch eine deutlich erweiterte Aufgabendefinition der Hochschulleitung zum Ausdruck. Sie sahen sich in ihrem Amt nicht mehr nur verantwortlich dafür, gute Arbeitsbedingungen für die Professorenschaft zu sichern und deren gemeinsame Interessen nach außen zu vertreten, sondern in erster Linie darin, die Leistungsfähigkeit ihrer Institution zu stärken. Darin befanden sie sich in Übereinstimmung mit dem Wettbewerbsparadigma, das Universitäten als handlungsfähige Organisationen voraussetzte, die über ihre Leistungen miteinander konkurrierten. Während Rektoren und Präsidenten, die nicht dem Wettbewerbsparadigma anhingen, die Verantwortung für die inhaltliche Ausrichtung von Forschung und Lehre bei den Fakultäten verorteten,114 sahen es die wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen als ihre Aufgabe an, zum Zweck der „Profilbildung“ bestimmte Fachrichtungen gezielt zu fördern und Einfluss zum Beispiel auf die Besetzung von Professuren zu nehmen.115 Veränderte Organisationsstrukturen galten als Mittel, um Schwerpunkte entstehen zu lassen und Forschungskooperationen zu fördern, die für die Einwerbung größerer Drittmittelprojekte von Bedeutung waren. So trieb der Präsident der Universität Oldenburg das Vorhaben voran, die Zahl der Fachbereiche deutlich zu verringern und zeitlich befristete „Forschungszentren“ einzuführen, um geeignete Strukturen für die Drittmitteleinwerbung zu schaffen und die „Wettbewerbsfähigkeit der Universität“ herzustellen.116 Das Präsidium der FU Berlin unter Dieter Lenzen plante 2004, „Zukunftsthemen zu Schwerpunkten (Clusters of Excellence)“ auszuformen, die als Forschungszentren neben den Fakultäten etabliert werden sollten.117
113 Kölner Universitäts-Journal, no. 2 (2005), S. 2–4 Bereits der Politikwissenschaftler Ulrich Matz hatte 1993 statt eines Fachvortrags eine hochschulpolitische Rede gehalten, diese jedoch dazu genutzt, das Humboldtsche Leitbild der Universität gegen die Politik der Landesregierung zu verteidigen, vgl. Matz (1993). 114 Vgl. Meincke (2003); Gespräch mit Prof. Dr. Otto Meitinger am 21.4.2016. 115 Vgl. z. B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Anlage zum Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 17.3.2008, Schreiben des Rektors an den Dekan der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät vom 15.3.2008; Zeuner (2008), S. 45; Kirchgessner (2007); o. A. (2007). Das Präsidium der FU Berlin betonte 2001, bei Entscheidungen über Berufungslisten seien „neben dem Kriterium der Exzellenz der Bewerber/innen in Forschung und Lehre die strategischen Interessen der Freien Universität (Internationalität, wissenschaftliche Schwerpunktfelder Altersspektrum, Berufungen von Frauen) besonders zu berücksichtigen“ (FU Berlin, UA, AS 2, Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie, S. 2). 116 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 21. Sitzung des 14. Senats am 28.2.2001, S. 8. 117 FU Berlin, UA, AS 2, Struktur- und Entwicklungsplan für die Freie Universität Berlin, April 2004; vgl. auch ebd., Auszug aus dem noch nicht genehmigten Protokoll über die 20. Sitzung des Kuratoriums der FU Berlin am 5.4.2004.
3. Präsidenten und Re toren als Hochschulmanager
2. Mit dieser neuen Definition der Verantwortung der Hochschulleitung ging auch ein verändertes Verhältnis zur Professorenschaft der jeweiligen Universität einher. Nahmen vor der Verbreitung des Wettbewerbsparadigmas die Rektoren und Präsidenten in der Regel die Rolle eines primus inter pares ein,118 so zeichnete sich unter den wettbewerbsorientierten Universitätsleitungen ein stärker hierarchisches Verhältnis ab. Sie sahen sich legitimiert, im Interesse der Universität als Organisation und vor allem mit Blick auf deren Erfolg in Konkurrenz mit anderen Einrichtungen Entscheidungen auch gegen die Interessen von Teilen der Professorenschaft zu treffen. So entwickelte zum Beispiel die Hochschulleitung der TU München in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre ein Konzept, nach dem sich die Sportwissenschaftler der Universität stärker in der Forschung engagieren und ein auf die Natur- und Ingenieurwissenschaften ausgerichtetes Profil entwickeln sollten. Als sich diese Erwartungen nach mehreren Jahren nicht erfüllten und die Fakultät bei einem universitätsinternen Wettbewerb schlecht abschnitt, kommentierte der Präsident Wolfgang A. Herrmann dies mit den Worten: „Es kann nicht sein, dass ein einmal erteilter Auftrag mit ordentlicher Finanzausstattung nicht im Sinne der Universitätsphilosophie umgesetzt wird.“ Die Sportwissenschaften mussten daraufhin einige Personalstellen an andere Fächer abtreten.119 Die neuen Rektoren und Präsidenten stellten sich außerdem gegen Berufungsvorschläge aus den Fakultäten, wenn diese nicht „ins Konzept“ passten.120 Stärker als bisher übten wettbewerbsorientierte Universitätsleitungen zudem Druck auf die Fakultäten aus, um diese zu Veränderungen zu bewegen. So setzte zum Beispiel das Präsidium der FU Berlin seit 1999 Zielvereinbarungen mit den Fachbereichen ein, um Kennzahlen wie etwa die Drittmittelbilanz oder die Zahl der Absolventen zu verbessern, die das Land Berlin in der interuniversitären Konkurrenz als Leistungskriterien anlegte.121 Die Fächer wurden dabei auf Ziele verpflichtet, die weitgehend von der Hochschulleitung festgelegt waren.122 Über die Inhalte der Zielvereinbarungen, so ein Dekan gegenüber den Mitgliedern des Fachbereichsrates, verhandle das Präsidium „wenig flexibel“: „Was wir vorfinden, ist ein Oktroi, der uns die Arbeit nicht erleichtert“.123 Ein Professor aus einem anderen Fachbereich kritisierte das Vorgehen ebenfalls: „In den Zielvereinbarungen zwischen dem Präsidenten und
118 Zu dieser in der Hochschulforschung gängigen Charakterisierung vgl. z. B. Krücken (2011); Musselin (2007). Als Illustration mag die Aussage von Peter Hanau, Rektor der Universität zu Köln von 1986 bis 1989, dienen: „Der Rektor ist nicht Führer und auch nicht Verwaltungschef – das ist der Kanzler – der Universität, sondern nach außen wie nach innen Repräsentant, Anreger, Vermittler“ (König (1989), S. 52). 119 Herrmann (2005), S. 80; vgl. auch TU München (1997b). 120 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016; vgl. auch Zeuner (2008), S. 45. 121 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 45, Beratungsergebnisse der Sitzung des Präsidiums am 9.3.1999; ebd., Der wissenschaftliche Leiter des VW-Projekts, Vermerk für die Leitung der FU Berlin, o. D.; ebd., Beratungsergebnisse der Sitzung des Präsidiums am 25.2.1999. 122 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Beratungsergebnisse der Sitzung des Präsidiums am 11.4.2001, S. 2. 123 FU Berlin, UA, Protokolle des Fachbereichsrats des Fachbereichs für Geschichts- und Kulturwissenschaften, Erklärung des Dekanats am 16.4.2003, S. 1.
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den Dekane der Fachbereiche wird entsprechend den Ideen der Zentrale festgelegt, was die Fachbereiche tun sollen – wenn nicht, erhalten sie weniger Haushaltsmittel“.124 3. Die neuen Hochschulleitungen zeigten sich außerdem äußerst konkurrenzaffin. Sie gaben sich überzeugt von der produktiven Kraft des Wettbewerbs, sowohl zwischen den Universitäten als auch hochschulintern. Wolfgang A. Herrmann etwa verlieh anlässlich seiner Wiederwahl als Präsident der TU München im Jahr 2005 der Überzeugung Ausdruck, der Staat müsse angesichts der internationalen Standortkonkurrenz „lernen, Ungleiches ungleich zu behandeln, um den Wettbewerb als elementaren Hebel des modernen Staatswesens zur Wirkung zu bringen“.125 Herrmann und andere wettbewerbsorientierte Rektoren forcierten die inneruniversitäre Konkurrenz um Ressourcen, zum Beispiel indem sie Mittel nach quantitativen Leistungskriterien oder in Antragsverfahren verteilten.126 So beschloss die Erweiterte Hochschulleitung der TU München im Jahr 2003, 420 Stellen aus den Fakultäten einzuziehen und in einem Wettbewerb zu vergeben, bei dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität ihre Forschungsvorhaben präsentieren konnten.127 4. Wettbewerbsorientierte Rektoren und Präsidenten waren zudem aufgeschlossen für Managementmethoden und bedienten sich nicht selten der Begrifflichkeit der BWL. Zwar hatten Wirtschaftswissenschaftler bereits in den 1970er Jahren, zunächst im Kontext der Debatte über die Effizienz des Hochschulsystems, Versuche unternommen, ihr konzeptionelles Instrumentarium auf Universitäten zu übertragen.128 Bis in die frühen 1990er Jahre zirkulierten diese Ansätze allerdings fast ausschließlich im fachinternen Diskurs. Erst im Zuge der erneuten Diskussion über die Reformbedürftigkeit der deutschen Hochschulen um die Mitte der 1990er Jahre fanden betriebswirtschaftliche Konzepte größere Verbreitung, wozu nicht zuletzt das CHE beitrug. Zudem erschienen seit dieser Zeit vermehrt Publikationen zum Thema „Hochschulmanagement“, die sich an Praktiker in den Hochschulen und Forschungseinrichtungen wandten, wie zum Beispiel die Zeitschriften „Wissenschaftsmanagement“ (seit 1995) und „Hochschulmanagement“ (seit 2006).129 In diesem Diskurs bildeten sich neue Erwartungen an die Amtsführung von Hochschulleitungen heraus.130 In einer breiten Palette von Veröffentlichungen wurden be124 Zeuner (2008), S. 46. 125 Zitiert in: TUM-Mitteilungen, no. 3 (2005), S. 4. 126 S. u. Kap. IV.3. 127 Vgl. TU München (2007), S. 13–16; Pabst (2006), S. 710; Berger (2008) 128 Vgl. Bolsenkötter (1976); Alewell (1977); Waßer (2016), S. 301 f. 129 Vgl. außerdem beispielhaft Ermert (1998); Hanft (2000a); Cordes et al. (2001); Albach/Mertens (2003). An solchen Publikationen beteiligten sich nicht selten auch Mitglieder von Hochschulleitungen und Angehörige der Hochschulverwaltung, vgl. z. B. Grubitzsch (2001); Schneidewind/Dettleff (2007); Kronthaler (2000). 130 In der Begrifflichkeit des soziologischen Neoinstitutionalismus lässt sich von einem „Rationalitätsmythos“ sprechen, vgl. Meyer/Rowan (1977). Christof Schiene und Uwe Schimank fassen z. B. Profilbildung als Rationalitätsmythos, vgl. Schiene/Schimank (2007), S. 182 f.
3. Präsidenten und Re toren als Hochschulmanager
triebswirtschaftliche Ansätze und privatwirtschaftliche Leitungsmodelle als rational und modern präsentiert.131 Diesem normativen Druck mussten Rektoren und Präsidenten, wenn sie gegenüber den Wissenschaftsministerien und anderen relevanten Dritten nicht in die Defensive geraten wollten, zumindest auf symbolischer Ebene Rechnung tragen. Dies führte dazu, dass eine Reihe von Begriffen aus dem privatwirtschaftlichen Management und der Betriebswirtschaft in die Universitäten einsickerten und zum Beispiel „Qualitätsmanagement“-Systeme eingeführt wurden.132 Besonders das Adjektiv „strategisch“ erfreute sich großer Beliebtheit, konnte es doch als weitgehend bedeutungsleer fast jedem universitätsinternen Prozess angeheftet werden, während es zugleich das planvolle und verantwortungsbewusste Agieren evozierte, das die neuen Hochschulleitungen als ihre Aufgabe sahen.133 Die Vorbildfunktion der Privatwirtschaft drückte sich darin aus, dass zum Beispiel Michael Daxner forderte, „um wirklich autonom zu sein, müssen Universitäten Unternehmen werden“.134 Wie Wolfgang A. Herrmann, der die TU München mit dem Beinamen „Die unternehmerische Universität“ schmückte, betonte Daxner, dass es bei diesem Vergleich nicht um die Gewinnorientierung gehe.135 Beide Präsidenten bezogen sich dabei auf das Leitbild einer „unternehmerischen Universität“, das der US-amerikanischen Hochschulforscher Burton R. Clark in seinem Buch Creating Enrepreneurial Universities aus dem Jahr 1998 entworfen hatte: Universitäten sollten veränderungsbereit auf die Bedürfnisse von Wirtschaft und Gesellschaft reagieren und sich auf diese Weise erfolgreich im globalen Wettbewerb positionieren.136 Die Anpassung an wahrgenommene Erwartungen fand allerdings nicht ausschließlich auf symbolischer Ebene statt. Vielmehr übernahmen wettbewerbsorientierte Rektoren und Präsidenten Methoden der Leitung und Entscheidungsfindung 131 Vgl. z. B. die Studie des Betriebswirtschaftlers und vormaligen WRK-Vizepräsidenten Karl Alewell, auf deren Grundlage die VW-Stiftung in den 1990er Jahren Projekte zur Reform der Hochschulsteuerung, unter anderem an der FU Berlin, finanzierte: Alewell (1993). Alewell zählte zu den ersten Wissenschaftlern, die betriebswirtschaftliche Ansätze auf Hochschulen übertrugen, vgl. Alewell (1977). 132 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung am 25.4.2005. 133 Hier nur einige wenige Beispiele: „strategische Partnerschaften“ (TU München (2007), S. 9; vgl. auch FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 607. Sitzung des Senats am 18.2.2004), „strategische Berufungspolitik“ (Dicke/Burchardt (2004)), „Lehrstrategien“ (Dicke (2012b), S. 28), „strategische Allokation von Ressourcen“ (Präsidium der FU Berlin (2007), S. 79), „strategic research profiles“ (Sagerer (2013), S. 66), „strategische[.] Ziele“ (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung am 26.4.2004), „Strategieprozeß“ (UAOL 20002 ZW, Ordner Strategieprozess, Strategieprozeß Universität Oldenburg, [ca. November 2004]), „[s]trategisches Headhunting“ (Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 2.9.2009, S. 2). 134 Daxner (1999), S. 154. 135 Vgl. TUM-Mitteilungen, no. 3 (2005), S. 4; Herrmann (2006), S. 8. Auch der Präsident der FSU Jena, Klaus Dicke, rief die Mitglieder seiner Hochschule dazu auf, „daran [zu] arbeiten, eine […] entscheidungsfähige ‚unternehmerische‘ Universität zu werden“ (Dicke (2007)). 136 Vgl. Clark (1998); Mautner (2005). Daxner zitierte Clark ebenso wie der Antrag der TU München zur Exzellenzinitiative, vgl. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006. Zur Vorbildfunktion von Wirtschaftsunternehmen für deutsche Hochschulleitungen vgl. auch Flink/Simon (2015a), S. 46 f.
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aus der betriebswirtschaftlich geprägten Diskussion und wandten sie auf die eigenen Universitäten an. Auf diese Weise fanden unter anderem „Marketing“,137 „Leitbilder“138 und „Zielvereinbarungen“139 Eingang in die Hochschulen. Nicht selten stießen kompetitive Hochschulleitungen zudem „Stärken-Schwächen-Analysen“ bzw. „SWOT“-Analysen (Strenghts, Weaknesses, Opportunities, Threats) an, um eine Entscheidungsbasis für die Verteilung von Ressourcen zu gewinnen.140 Die Annahme, dass die Universitäten künftig aufgrund der wettbewerblichen Umgestaltung des Hochschulsystems, aber auch wegen der fortschreitenden Globalisierung einem erhöhten Konkurrenzdruck ausgesetzt sein würden, begünstigte die Übernahme derartiger Management-Instrumente. Umgekehrt trug der Import dieser Konzepte dazu bei, Universitäten stärker als bisher zu Organisationen zu formen, die in Konkurrenz zueinander standen.141 Die Hochschulleitungen definierten „Stärken“ und „Schwächen“ nicht zuletzt im Vergleich mit anderen Universitäten und mit Blick auf Konkurrenzverhältnisse, zum Beispiel um größere Drittmittelprojekte. Über „Zielvereinbarungen“ und „leistungsorientierte Mittelvergaben“ wiederum versuchten sie, die Fachbereiche und Fakultäten auf einen Beitrag zum Erfolg ihrer Universität zu verpflichten. Trotz aller symbolischen und substanziellen Anleihen beim Unternehmensmanagement rekrutierten sich jedoch die Mitglieder der Hochschulleitungen weiterhin fast ausschließlich aus der Professorenschaft.142 Auch an Universitäten mit präsidialer Leitung stammten sie zum überwiegenden Teil aus der jeweiligen Hochschule.143 Auffällig ist jedoch, dass der Anteil der Wirtschaftswissenschaftler unter den Rektoren und Präsidenten von 9,5 Prozent im Jahr 1976 auf 17,5 Prozent im Jahr 2005 anstieg.144 Dies dürfte unter anderem daran liegen, dass Betriebswirtschaftler durch den Hochschulreformdiskurs dazu motiviert wurden, Ansätze aus dem eigenen Fach in die Praxis ein137 S. u. Kap. V.4. 138 Vgl. FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 18.5.2010 (Internetquelle 94), S. 2; FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 53, Beratungsergebnisse der Sitzung des Präsidiums am 7.4.2000; UOL Altregistratur, Der Präsident, Fortführung der Leitbilddiskussion für den Strategieprozess (Stand: 01.02.05). Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 01.02.05, 28.1.2005. 139 Vgl. Weichselbaumer/Ziegele (2001); UOL Altregistratur, Zielvereinbarungsarchitektur. Leitlinien des Zielvereinbarungsprozesses an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 6.10.2005; Universität Bielefeld (o. J. [2011]), S. 1; Bogumil et al. (2013), S. 77. 140 Vgl. z. B. FSU Jena ([ca. 2011]), S. 2; Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; FU Berlin, International network university. Strategy to promote top-level research, second call. Funding period 1.11.2007–31.10.2012, Berlin 2007; Präsidium der FU Berlin (2007); FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 509. Sitzung des Senats am 2.4.1997; UAM, M I 400, LMU München, Hochschulentwicklungsplan 2000– 2004, [o. D.], S. 11. 141 Vgl. Meier (2009). 142 Ausnahme sind oft die Kanzler und Kanzlerinnen (sofern diese der Hochschulleitung angehören). Dem Verfasser ist kein Fall bekannt, in dem eine Person aus der Privatwirtschaft an die Spitze einer staatlichen deutschen Universität gewählt worden wäre. 143 Vgl. Röbken (2006), S. 11. 144 Dieser Anstieg kann allein aus dem Wachstum des Faches nicht erklärt werden, vgl. Röbken (2006), S. 15 f.
3. Präsidenten und Re toren als Hochschulmanager
zubringen.145 Auch unter den Kanzlern, in früheren Jahren eine Domäne der Juristen, stieg vor allem in den 2000er Jahren der Anteil der Wirtschaftswissenschaftler.146 Die erweiterten Aufgaben und Kompetenzen der Hochschulleitungen spiegelten sich auch darin wider, dass seit den späten 1990er Jahren die Zahl der Vizepräsidenten bzw. der Prorektoren deutlich anstieg.147 Zu den üblichen Ressorts wie Finanzen und Planung, Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs sowie Studium und Lehre kamen neue Posten wie etwa für „Internationales und Kommunikation“ oder „Qualitätsentwicklung“ hinzu.148 Die Hochschulleitung der TU München zum Beispiel bestand bis in die späten 1990er Jahre nur aus dem Präsidenten und zwei Vizepräsidenten. Nach einer „Organisationsreform“, angestoßen durch das wettbewerbsorientierte Präsidium, kamen zwei weitere Vizepräsidenten hinzu, im Laufe der 2000er Jahre noch ein weiterer. Zugleich war auch eine steigende Zahl von Personen mit der Unterstützung der Rektorate und Präsidien beschäftigt.149 Die Hochschulleitungen bauten Stäbe auf und stellten persönliche Referenten ein, was bis in die 1990er Jahre nicht üblich gewesen war. An der TU München entschied sich erstmals 1987 Präsident Otto Meitinger, einen persönlichen Referenten zu beschäftigen.150 Unter seinem Nachfolger Wolfgang A. Herrmann (seit 1995) kamen bis 2001 drei weitere Referenten bzw. Referentinnen, zwei Beauftragte mit besonderen Tätigkeitsfeldern und ein Leiter für das Präsidialbüro hinzu.151 Ähnliche Entwicklungen stießen die Hochschulreformen der Bundesländer auch auf der Ebene der Fachbereiche und Fakultäten an. In der Diskussion über die Mängel des deutschen Hochschulsystems hatten manche Akteure eine Stärkung der Dekane und eine Professionalisierung des ‚Managements‘ auf der mittleren Organisationsebene gefordert.152 In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel verlängerte das Land die Amts-
145 Als Beispiele können hier der Präsident der Universität Oldenburg (2004–2008) Uwe Schneidewind und der Prorektor der FSU Jena (2000–2002) Reinhard Haupt dienen. Vgl. zu letzterem Alma Mater Jenensis, no. 7 (2000), S. 7. 146 Vgl. Blümel et al. (2011), S. 121 f. 147 Nach Kleimann (2016), S. 357, zählten in den 2010er Jahren die Hochschulleitungen an mehr als der Hälfte der deutschen Universitäten fünf oder mehr Mitglieder. An fünf der sechs Universitäten, die hier als Fallbeispiele dienen, wurden in den späten 1990er und den 2000er Jahren die Rektorate bzw. Präsidien vergrößert. Ausnahme war die FU Berlin, die bereits Mitte der 1990er Jahre über vier Vizepräsidenten/ Vizepräsidentinnen verfügte und in der Folgezeit radikal verkleinert wurde. 148 Vgl. H1, no. 1 (2010), S. 9; Universität zu Köln (2005), S. 10; uni-info, no. 7 (2010), S. 1. 149 Vgl. eine Umfrage unter den Kanzlern und Kanzlerinnen der deutschen Hochschulen aus dem Jahr 2008: Blümel et al. (2011), S. 113. Seit den 2000er Jahren wird in der sozialwissenschaftlichen Hochschulforschung über die Entstehung neuer Berufsfelder an den Hochschulen diskutiert, die zwischen der klassischen Verwaltung und den wissenschaftlichen Tätigkeiten in Forschung und Lehre anzusiedeln sind, und mit dem Überbegriff „Hochschulprofessionen“ erfasst werden sollen; vgl. Klumpp/Teichler (2006). 150 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 151 Vgl. Internetquelle 7. Zur Universität Bielefeld vgl. Internetquelle 8; Internetquelle 9. Zur Universität zu Köln vgl. Internetquelle 10; Internetquelle 11. Zur FSU Jena vgl. Internetquelle 12; Internetquelle 13. Zur Universität Oldenburg vgl. Internetquelle 14; Internetquelle 15. 152 Vgl. z. B. die Beiträge in Müller-Böling (1998); Glotz (1996), S. 111 f.; Alewell (1993), S. 117–126; kritisch hingegen Forschung & Lehre, no. 9 (1996), S. 466–467.
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zeit des Dekans auf vier Jahre und wies ihm die Verantwortung für die Vollständigkeit des Lehrangebotes sowie für die Studien- und Prüfungsorganisation zu. Es wurde ferner die Möglichkeit geschaffen, ein mehrköpfiges Dekanat einzurichten.153 Zudem wiesen die Hochschulleitungen und Senate mancher Universitäten den Fachbereichen zusätzliche Aufgaben zu, unter anderem bei der Verwaltung von Mitteln und Stellen. Daher etablierten sich auch auf dieser Ebene neue Verwaltungs- und Koordinationsstellen, etwa die einer Geschäftsführung.154 Die Bemühungen um eine „Professionalisierung“ des „Fakultätsmanagements“ fanden jedoch ihre Grenzen darin, dass das Amt des Dekans in erster Linie als lästige Pflicht wahrgenommen wurde, die der eigenen Forschungstätigkeit hinderlich war. Zwischen der Professorenschaft, die sie als Vertretung professoraler Interessen ansah, und dem wachsenden Steuerungswillen der Hochschulspitze standen die Dekane und Dekaninnen zudem auf schwierigem Posten. Folglich blieb es vielerorts üblich, dass das Amt des Dekans rotierte und die Inhaber nach einer kürzeren als der gesetzlich vorgesehenen Dauer zurücktraten.155 Zudem fanden sich unter ihnen deutlich weniger Befürworter der wettbewerbsorientierten Reformen als in den Hochschulleitungen.156 4. Kompetitive Profilbildung Profilbildung galt den Vertretern des Wettbewerbsparadigmas seit Mitte der 1980er Jahre als wünschenswerter Effekt verstärkter interuniversitärer Konkurrenz. Die Hochschulen sollten sich in Forschung und Lehre jeweils auf ihre Stärken konzentrieren, was – so die Erwartung seitens der Wissenschaftspolitik – zu einer effizienteren Nutzung von Ressourcen und zu einer Leistungssteigerung des Gesamtsystems führen würde. Bereits in den 1980er Jahren versuchten die Wissenschaftsministerien der Länder, die Universitäten zu einer verstärkten Schwerpunktbildung zu drängen, indem sie Mittel und Stellen gezielt dafür einsetzten und bei Berufungszusagen nur dann Unterstützung gewährten, wenn es sich um profilbildende Bereiche handelte. Wenngleich Hochschulleitungen und Gremien an einzelnen Universitäten bereits ab Mitte der 1980er Jahre erste Schritte zur besonderen Förderung einzelner Bereiche unternahmen, setzte sich die Profilbildung auf breiter Basis erst seit den 1990er Jahren durch, als das Wettbewerbsparadigma an den Universitäten Fuß fasste. 153 Vgl. Universität Bielefeld (1996), S. 53, 78; Gesetz über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen vom 14.3.2000, GV. NRW., S. 189–220, § 27. Zur Verlängerung der Amtszeit der Dekane, gegen die mehrere Hochschulen und 501 Professoren erfolglos Verfassungsbeschwerde einlegten, vgl. auch Löwer (2018), S. 419–421. 154 Vgl. FU Berlin, UA, AS, Protokoll der 527. Sitzung des Senats am 11.3.1998, S. 3; Leichsenring (2007). 155 Vgl. UA Köln, Z. 694, Nr. 29b, Prof. Dr. Grotemeyer: Stärkung der Autonomie der Hochschule durch ein verbessertes Management – insbesondere durch eine Professionalisierung des Managements, [ca. 1993]; ebd., Dr. Neyses, Dr. Wiebel, Universitäre Leitungsstrukturen, Arbeitspapier, 7.7.1993; Kaufmann (2012), S. 119 f.; Löwer (2018), S. 421. 156 Vgl. Kaufmann (2012), S. 132.
4. Komaetitive Proflbildung
Kompetitiv orientierte Rektoren und Präsidenten benannten Profilbildung als eines ihrer vordringlichsten Ziele.157 Dahinter stand die Überzeugung, dass eine Universität schon aus finanziellen Gründen „nicht in 150 Fächern zur Weltspitze gehören“ könne.158 In den experimentellen Fächern entschied nach der Erfahrung von Rektoren und Präsidenten nicht selten die Ausstattung mit teuren Geräten und ausreichenden Rechnerkapazitäten darüber, ob eine Arbeitsgruppe auf einem bestimmten Forschungsgebiet anerkannte Ergebnisse hervorbringen und in der Konkurrenz um die zeitliche Priorität von Erkenntnissen bestehen konnte.159 So stieß der Präsident der FU Berlin, Peter Gaehtgens, im Jahr 2001 Planungen zur fachübergreifenden Profilbildung in den Naturwissenschaften und der Medizin an, weil die Universität mit finanziellen Engpässen konfrontiert war und angesichts einer anstehenden Welle von Neuberufungen Entscheidungen über den Einsatz der knappen Mittel getroffen werden mussten.160 In diesen Fächern konnten einzelne Berufungen von besonders begehrten Kandidaten erhebliche Investitionsausgaben nötig machen, was zu Abwägungen zwang.161 Bisweilen sahen sich die Hochschulleitungen auch zu regelmäßigen Investitionen in die Ausstattung mit Geräten gezwungen. Denn der Mangel an wettbewerbsfähiger Infrastruktur konnte nicht nur dazu führen, dass einzelne Forscher oder Forscherinnen die Universität verließen, sondern hatte unter Umständen das Auseinanderbrechen ganzer Arbeitsgruppen zur Folge.162 Für die Bildung von Schwerpunkten sprach aus Sicht der Hochschulleitungen auch, dass auf diese Weise teure Geräte von einer größeren Zahl an Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen genutzt werden konnten.163 Zugleich drängten die Wissenschaftsministerien der Länder die Hochschulen verstärkt dazu, Schwerpunkte zu benennen.164 So waren zum Beispiel die nordrhein-westfälischen Universitäten seit Ende der 1990er Jahre dazu angehalten, profilbildende Bereiche festzulegen. Die besondere Förderung dieser Schwerpunkte wurde in Zielvereinbarungen festgeschrieben, die das Land mit den Hochschulen abschloss.165 Universitäten, die sich nicht dazu bereitfanden, einzelne Bereiche als 157 Vgl. z. B. Kölner Universitäts-Journal, no. 1 (2005), S. 2–4; Dicke (2004); Grubitzsch (1999); vgl. zudem Dorenkamp et al. (2012), S. 8; Scherm (2013), S. 89–99. 158 Ein Mitglied einer Universitätsleitung, zitiert in Rosenbusch (2013), S. 124. Vgl. auch Das Rektorat der Universität Bielefeld, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008. Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S. 3; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016. 159 Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016. 160 FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Der Präsident, Vorlage für die Sitzung des Präsidiums am 1.11.2001. 161 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. 162 Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016. 163 Vgl. Witte/Burchardt (2011); FU Berlin, UA, AS 2, Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie, S. 3. 164 Vgl. Meincke (2003), S. 117. 165 Vgl. z. B.: Zielvereinbarung zwischen der Landesregierung Nordrhein – Westfalen, vertreten durch das Ministerium für Schule, Wissenschaft und Forschung, und der Universität Bielefeld, 10.5.2002 (Internetquelle 95), S. 3–8; Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. Nicht immer waren jedoch die Vorstellungen von „Profilbildung“, die bei Wissenschaftspolitikern und in den Wissenschaftsministerien vorherrschten, mit der Praxis an den Universitäten in Deckung zu bringen. So verfügte die Universität Bie-
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
Stärken auszuzeichnen, mussten mit Kritik rechnen und hatten Nachteile in der Konkurrenz um Landesmittel zu erwarten.166 So konstatierte etwa das Präsidium der FU Berlin: Die FU muss die Chance nutzen, im Interesse ihrer Chancen im regionalen Wettbewerb ihr fachliches Profil in allen Fächergruppen zu verdeutlichen: Wenn die FU schon den Anspruch nicht aufgeben will, eine Volluniversität zu sein, so wird die Definition von prioritären – und von posterioren – Wissenschaftsfeldern dennoch unumgänglich sein.167
Profilbildung bedeutete aus der Sicht von Hochschulleitungen in erster Linie, „Stärken [zu] stärken“, das heißt, Bereiche besonders zu fördern, die als erfolgreich eingeschätzt wurden.168 Was als Stärke einer Universität gelten sollte, wurde dabei vorranging mit Blick auf verschiedene Konkurrenzverhältnisse bestimmt. Teilweise setzten die Hochschulleitungen Schwerpunkte ausgehend von bestehenden Drittmittelprojekten (vor allem SFBs und andere Formen der Verbundforschung) fest.169 An der FSU Jena zum Beispiel führte das neu gewählte Rektorat in den Jahren 2004 und 2005 eine „SWOT-Analyse“ durch und kam zu dem Schluss, die Universität verfüge trotz eines hohen Drittmittelaufkommens über zu wenig größere Verbundprojekte wie SFBs, DFG-Forschergruppen und Graduiertenkollegs. Ausgehend von sogenannten forschungsstarken Bereichen und in Verhandlung mit den Fakultäten bestimmte die Hochschulleitung daraufhin fünf „Forschungsschwerpunkte“ und drei interdisziplinäre „Querschnittsbereiche“.170 Die Konzentration auf Drittmittel und insbesondere auf Verbundforschungsprojekte konnte jedoch wie im Fall der Universität Oldenburg dazu führen, dass eine Schieflage zwischen den Naturwissenschaften auf der einen und den Geistes- und Sozialwissenschaften auf der anderen Seite entstand.171 Wurden in manchen Fällen gezielt neue Fächer aufgebaut, ging Profilbildung in der Regel von bestehenden, in der Drittmitteleinwerbung erfolgreichen Forschungskooperationen aus. Solche Schwerpunkte hatten sich oft auch ohne gezielte Einflusslefeld nach Auffassung der Hochschulleitung in den 2000er Jahren über neun Forschungsschwerpunkte, erhielt aber seitens des Ministeriums die Vorgabe, höchstens vier Bereiche zu nennen. Das Rektorat löste dieses Problem unter anderem dadurch, dass es mehrere Forschungsfelder unter gemeinsamen Überbegriffen zusammenfasste (Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016). 166 Vgl. Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 392. 167 FU Berlin, UA, AS 2, Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie, S. 3. 168 Dicke (2010). Das Oldenburger Universitätsjournal zitierte den Präsidenten Siegfried Grubitzsch 2003 mit den Worten: „Wir müssen Umschichtungen im Haushalt vornehmen, um die Universität besser zu positionieren. Wir werden unsere starken Bereiche fördern und die schwachen durch grundlegende Umstrukturierung entweder verändern oder ganz infrage stellen“ (o. A. (2003a)). Vgl. außerdem Freimuth (2009), S. 106. 169 Vgl. UAOL 20002 ZW, Das Präsidium, Vorlage an den Senat zur 15. Sitzung am 12.7.2000, Strukturentwicklungskonzept zum Haushalt 2001; Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. 170 Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 46; Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; Schriftliche Auskunft von Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte, Oktober 2016. 171 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 15. Sitzung des 14. Senats am 12.7.2000, S. 12 f.
4. Komaetitive Proflbildung
nahme der Hochschulleitungen herausgebildet, weil sich durch die Selbstrekrutierung der Fakultäten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit verwandten Forschungsansätzen zusammengefunden hatten oder weil an einem Standort besondere Großgeräte vorhanden waren.172 Forschungsschwerpunkte waren in diesem Sinne kein radikal neues Phänomen. Während jedoch früher Profile in erster Linie aus der „Summe individueller Wahlentscheidungen der Hochschullehrer“ entstanden waren, gewann seit den 1990er Jahren die Universität als Organisation und insbesondere die wettbewerbsorientierte Planung der Hochschulleitungen an Bedeutung.173 Diese förderten die als profilbildend definierten Forschungsbereiche durch zusätzliche Mittel, um in Konkurrenz mit anderen Hochschulen und Forschungseinrichtungen besonders begehrte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zu gewinnen und damit die eigenen Chancen im Wettbewerb um Drittmittel zu erhöhen. An der FSU Jena zum Beispiel erhielten die „Forschungsschwerpunkte“ und „Querschnittsbereiche“ jeweils eigene Organisationsstrukturen, die mit Koordinationsstellen versehen waren und bei Baumaßnahmen, Anschaffung von Geräten und bei Berufungszusagen bevorzugt wurden.174 Standen hingegen Kürzungen an, so wurden die Schwerpunkte in der Regel geschont, wie zum Beispiel an der Universität Bielefeld, wo im Jahr 2007 die Mittel aus dem Globalhaushalt nicht ausreichten, um alle Stellen zu finanzieren. Das Rektorat entschied daraufhin, die Einschnitte nach „Stärken und Entwicklungspotenzialen“ zu verteilen, und orientierte sich dabei an den „Profilschwerpunkten“, die in einer Zielvereinbarung mit dem Land festgeschrieben worden waren.175 Bei den Bemühungen um Profilbildung ging es den Hochschulleitungen nicht alleine darum, einzelne Fächer schwerpunktmäßig mit Mitteln und Stellen auszustatten. Sie zielten auch darauf ab, Forschungskooperationen zu stimulieren und zu fördern. Die Professuren eines Faches sollten aufeinander abgestimmt sein und eine Schwerpunktsetzung erkennen lassen, aus der sich gemeinsame Drittmittelprojekte ergeben konnten. Die Hochschulleitungen drängten die Fachbereiche dazu, Strukturkonzepte zu entwickeln. Anträge auf die Wiederzuweisung von Professuren nach Ausscheiden des Inhabers mussten unter anderem damit begründet werden, wie sich
172 Als Beispiele können die Bielefelder Sozialgeschichte, die Umweltforschung in Oldenburg sowie die physikalische Forschung an dem 1957 in Betrieb genommenen Reaktor in Garching dienen. Vgl. Der Niedersächsische Minister für Wissenschaft und Kunst (1985), S. 277; uni-info, no. 9 (1994), S. 1; Wengenroth (1993), S. 269–271; Trischler (2004), S. 165 f. 173 Meier (2012), S. 176. 174 Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016. Das Präsidium der Universität Oldenburg verteilte im Jahr 2001 neu zugewiesene Juniorprofessuren bevorzugt an die Schwerpunkte, vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der Sondersitzung des 15. Senats am 4.10.2001, S. 3 f. 175 Universität Bielefeld, Das Rektorat, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008. Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S. 1. Auch die Leitung der Universität Oldenburg ging in den frühen 2000er Jahren ähnlich vor, vgl. UAOL 20002 ZW, Das Präsidium, Senatsvorlage zur Sondersitzung am 8.1.2003. Mittelfristige Ressourcenplanung, 18.12.2002; ebd., Protokoll der konstituierenden Sitzung des 16. Senats am 2.4.2003, S. 8 f.; ebd., Protokoll der 3. Sitzung des 16. Senats am 4.6.2003, S. 3; ebd., Protokoll der Sondersitzung des 16. Senats am 1.10.2003, S. 3–5.
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die jeweiligen Stellen in die eigene Schwerpunktsetzung einfügten.176 An der FU Berlin versuchte das Präsidium zudem, „Blockberufungen“ von mehreren Kandidaten oder Kandidatinnen zu fördern, die in ihrer fachlichen Ausrichtung zueinander passten.177 In Zielvereinbarungen verpflichteten sich die Fachbereiche nicht selten dazu, Forschungsschwerpunkte herauszubilden und Anträge auf koordinierte Drittmittelprojekte zu stellen.178 Darüber hinaus richteten manche Hochschulleitungen ihr Augenmerk darauf, fächerübergreifende Kooperationen zu fördern. Dahinter stand die verbreitete Auffassung, dass die wissenschaftliche Entwicklung vor allem an den Grenzen zwischen den etablierten Disziplinen stattfinde, wo rasch neue, auch wirtschaftlich relevante Felder entstünden, die es zu besetzen gelte.179 Zu diesem Zweck beschloss zum Beispiel im Jahr 2000 der Senat der FU Berlin auf Wunsch des Präsidiums, befristet finanzierte „interdisziplinäre Zentren“ einzurichten, die der Einwerbung von Drittmitteln dienen sollten.180 Das Präsidium um Peter Gaehtgens richtete zur selben Zeit eine „fachbereichsübergreifende Planungsgruppe“ mit Mitgliedern aus der Biologie, Chemie, Veterinär- und Humanmedizin ein, um eine „inhaltliche Entwicklungsplanung für die biowissenschaftlichen Disziplinen zu erstellen“.181 Dadurch sollten aus Sicht des Präsidenten „Kooperationen verstärkt und Synergien ermöglicht werden, um das Leistungsniveau der FU in diesem wettbewerbsintensiven Wissenschaftsbereich zu sichern bzw. zu steigern und eine eindeutige Profilentwicklung der FU innerhalb der Berliner Wissenschaftslandschaft zu unterstützen“.182 In besonders energischer Weise wirkte der Präsident der TU München, Wolfgang A. Herrmann, auf eine abgestimmte Profilierung der Fächer an seiner Universität hin. In Kooperation mit einem Teil der Mathematiker setzte er in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre eine Neuausrichtung dieses Fachs durch, das sich künftig stärker an den Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften orientieren und in Zusammenarbeit mit diesen Disziplinen neue Studiengän-
176 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 53, Der Präsident, Vermerk, Berufungsplanung, 11.4.2000; ebd., AS 2, Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie, S. 3; Gespräch mit Prof. Dr. Otto Meitinger am 21.4.2016; Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 177 FU Berlin, UA, AS, Eckpunkte für die Zielvereinbarungsgespräche mit den Fachbereichen und Zentralinstituten im Herbst 2001; vgl. ebd., Präsidium, P/Rou 44, Beratungsergebnisse der Klausurtagung des Präsidiums am 06.1.1999 mit Fortsetzung am 7.1.1999, S. 2. 178 Vgl. FU Berlin, UA, AS, Eckpunkte für die Zielvereinbarungsgespräche mit den Fachbereichen und Zentralinstituten im Herbst 2001; ebd., Projekt Hochschulinterne Steuerungsmodelle, Zielvereinbarungen zwischen Präsidium und Fachbereichen für das Jahr 2002, 10.5.2002; o. A. (2006); UOL Altregistratur, Dezernat 5, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 4.2.2003. Zielvereinbarung zwischen dem Fach Chemie und dem Präsidium im Rahmen der Forschungsevaluation, 31.1.2003; ebd., Zielvereinbarung zwischen der Fakultät II – Informatik, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften und dem Präsidium, 11.7.2007. 179 Vgl. Herrmann (2001), S. 131; Strukturplan der Technischen Universität München, 1.9.2005, S. 3 f. 180 FU Berlin, UA, AS, Protokoll der 555. Sitzung des Senats am 2.2.2000; vgl. außerdem ebd., Vorlage C 3578/00; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 42, 141–142. 181 Ebd., AS 2, Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie, S. 2. 182 Ebd., Präsidium, Kleine Routine, Der Präsident, Vorlage für die Sitzung des Präsidiums am 1.11.2001, S. 1.
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ge anbieten sollte.183 Zur selben Zeit drängte er auf Veränderungen in der Sportwissenschaft mit dem Ziel „einer TUM-spezifischen Profilierung“.184 Auch in der Informatik schuf die Hochschulleitung neue Professuren, die als Brücken zu den Wirtschaftswissenschaften („TUM-BWL“), der Biologie und der ebenfalls im Aufbau befindlichen Medizintechnik gedacht waren.185 Dem Leitbild einer fachübergreifenden Profilierung folgte auch die Initiative des TU-Präsidiums zu einer Neuordnung des Standorts Weihenstephan mit den Fakultäten für Landwirtschaft und Gartenbau sowie für Brauwesen, Lebensmitteltechnologie und Milchwissenschaft, die zusammen über 59 Professuren verfügten.186 Am selben Ort befanden sich zudem eine landwirtschaftlich ausgerichtete Fachhochschule, mehrere außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie die Fakultät für Forstwissenschaft der LMU mit 23 Professuren. 1997 legte das Präsidium der TU München dem bayerischen Wissenschaftsministerium einen Plan vor, die drei universitären Fakultäten in Weihenstephan unter dem Dach der TU zusammenzulegen. Das Konzept sah ferner eine verstärkte Ausrichtung der vorhandenen Fächer auf Biologie und Biotechnologie vor. Zu diesem Zweck wurde auch die Biologie der TU an den Standort Weihenstephan verlegt. Mit der Zusammenlegung sollten außerdem Doppelstrukturen abgebaut werden, – zum Beispiel verfügten mehrere Fächer über ihre eigene Betriebswirtschaft –, die dann „für den Aufbau hochkompetitiver Wissenschaftsgebiete“ eingesetzt werden könnten.187 Die Initiative der TU-Leitung führte schnell zur Konkurrenz mit der LMU, die nicht bereit war, diese „feindliche Übernahme“ ihrer forstwissenschaftlichen Fakultät zu akzeptieren. Sie präsentierte ein eigenes Konzept für eine stärkere Vernetzung der in Weihenstephan angesiedelten Fächer.188 Letztendlich entschied der Wissenschaftsminister allerdings, gestützt auf die Empfehlungen einer Gutachterkommission, für das Vorhaben der TU. Mit dem Begriff der Profilbildung verband sich im wissenschaftspolitischen Diskurs die Vorstellung, „Alleinstellungsmerkmale“ herauszubilden, die wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen als wichtige Ressource in verschiedenen Konkurrenzverhältnissen galten.189 Bei ihren Anläufen zu einer stärkeren Profilierung hatten die entscheidenden Akteure an den Universitäten daher nicht selten andere Hochschulen im Blick, von denen sie sich abzugrenzen versuchten. So begründete der Präsident der 183 Vgl. Herrmann (2005), S. 79; Pabst (2006), S. 747 f. 184 TU München (1997b), S. 6. 185 Vgl. TU München (1999b), S. 21–23; Pabst (2006), S. 751; zur Medizintechnik vgl. ebd. S. 794. 186 Vgl. zum Folgenden TU München (1997c); TU München (2000b); TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl. Num.176, Der Präsident, Bericht der Hochschulleitung für den Hochschulrat/Senat. Sitzung am 19.5.1999, S. 4; Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2001), S. 92 f.; Gespräch mit Kuch am 14.3.2016; Pabst (2006), S. 784. 187 TU München (1997c), S. 4. 188 Eine Resolution des Senats der LMU, zitiert in: AKTUELL aus den Gremien, no. 8 (1997). 189 Zum Begriff s. z. B. Schneidewind (2011), S. 162; TU München (2000b), S. 3; FU Berlin, UA, AS 2, Struktur- und Entwicklungsplan für die Freie Universität Berlin, April 2004, S. 58. Allgemein vgl. Meier (2012), S. 171.
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FU Berlin die Absicht, die naturwissenschaftlichen Fächer auf lebenswissenschaftliche Fragestellungen hin auszurichten, damit, dass sich entsprechende Disziplinen an der Humboldt-Universität in Richtung Technologie und Materialwissenschaften profilierten.190 Gegenüber den Wissenschaftsministerien und Landesregierungen griffen Hochschulleitungen nicht selten auf das Argument der „Alleinstellung“ zurück, da der Nachweis von Profilbildung und Wettbewerbsfähigkeit Vorteile in der Konkurrenz um staatliche Mittel versprach.191 Profilbildung in Abgrenzung zu anderen Universitäten konnte außerdem als Strategie gegen finanzielle Einschnitte dienen.192 Bisweilen kooperierten Vertreter verschiedener Hochschulen miteinander, um eine Abstimmung der jeweiligen Profile zu erreichen. In der Regel war dies von der Landespolitik gewünscht, wie etwa im Fall der LMU und der TU München, die im Jahr 2005 vom Wissenschaftsministerium verpflichtet wurden, gemeinsame Strukturkommissionen in den Wirtschaftswissenschaften, der Mathematik sowie für Physik, Chemie und Biologie einzurichten. Die beiden Universitäten sollten in diesen Bereichen ihre Profile, Lehrstuhlbesetzungen und Studienangebote aufeinander abstimmen.193 Auch steigende Kosten der Ausstattung auf manchen naturwissenschaftlichen und medizinischen Forschungsfeldern erzeugten einen Druck zu Kooperation. So versuchten die Leitungen der Universitäten Aachen, Bonn und Köln („ABC“), sich beim Ausbau der Biowissenschaften abzustimmen. Dabei kam es allerdings zu Differenzen, da Köln und Bonn einzelne Bereiche nur für sich beanspruchten.194 Die Leitungen und Senate der Universitäten Oldenburg und Bremen wiederum entschieden sich Ende der 1990er Jahre verstärkt zu kooperieren, um eine kompetitive Profilbildung zu erreichen.195 Nach Abschluss eines Kooperationsvertrages konnten Studierende Lehrveranstaltungen an der jeweils anderen Universität belegen und Nebenfächer aus deren Angebot wählen. Auf Fachebene entwickelten Vertreter beider Universitäten gemeinsame Forschungsschwerpunkte bzw. Drittmittelprojekte und stimmten die Denomination von Professuren miteinander ab.196 In anderen Fällen stieß eine interuniversitäre Kooperation in der Lehre allerdings an Grenzen. So erwiesen sich die Verkehrswege zwischen der FSU Jena und ihren beiden Partneruniversitäten in Halle
190 Vgl. Ebd., Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie, S. 3. 191 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 7, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24.1.1996; TU München (2000b), S. 3. 192 Vgl. Philosophische Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 29.5.1991, S. 3; ebd., Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 26.6.1991, S. 3 f. 193 Vgl. LMU München et al. (2005). 194 Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.2.2016; zur ABC-Kooperation vgl. auch Löwer (2018), S. 444 f. 195 Vgl. UAOL 20002 ZW, Vorlage des Präsidiums an den Senat zur 12. Sitzung am 29.3.2000, Anlage: Gemeinsamer Beschluss der Akademischen Senate der Universitäten Oldenburg und Bremen vom 21.10.1998 und 11.11.1998, S. 1. 196 Vgl. Ebd., Vorlage des Präsidiums an den Senat zur 12. Sitzung am 29.3.2000, Anlage: Kooperationsvertrag zwischen der Universität Bremen und der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 16.3.2000; ebd., Sachstandsbericht zur Kooperation der Universitäten Bremen und Oldenburg. Entwurf, März 2003.
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und Wittenberg als zu lang, um den Austausch von Lehrangeboten im angestrebten Umfang realisieren zu können.197 Profilbildung bedeutete nicht allein Strukturveränderungen, sondern mindestens ebenso sehr Außendarstellung. Schwerpunkte müssen nicht nur aufgebaut, sondern auch „sichtbar“ gemacht werden, um Vorteile in Konkurrenzverhältnissen zu sichern.198 Der Rektor der FSU Jena, Klaus Dicke, zum Beispiel äußerte im Jahr 2012 die Meinung, „dass eine in hartem Wettbewerb stehende Universität nicht umhin kommt, ihr Profil in einer griffigen, positive Assoziationen freisetzenden und auf die Universität ziehenden und dergestalt Sympathie erzeugenden Weise ‚brüllend sinnlich‘ […] nach außen dar[zu]stellen“.199 Bisweilen erschöpften sich profilbildende Maßnahmen sogar darin, bestehende Forschungsaktivitäten als Schwerpunktbereiche zu deklarieren und koordinierte Tätigkeiten zu suggerieren, wo tatsächlich allenfalls lose Zusammenhänge bestanden. So entschieden sich Vertreter der juristischen Fakultät der Universität Bielefeld gegen Ende der 1980er Jahre, mehrere Institute zu gründen, „um im Wettbewerb mit anderen Jura-Fakultäten in Forschung und Lehre attraktiver zu werden“. Dadurch, so die Begründung gegenüber dem Senat, sollten Schwerpunktsetzungen nach außen deutlich gemacht werden. Außerdem komme man damit der Praxis vieler möglicher Kooperationspartner entgegen, die Drittmittel in der Regel weder an Einzelpersonen noch an Fakultäten vergäben.200 Der Universitätsrat der FSU Jena sah derartige Effekte unter dem Begriff „Reputationsfunktion“ als einen von drei Zwecken, die mit Forschungszentren erreicht werden sollten.201 Bei der Einführung supplementärer Organisationseinheiten spielte der Aspekt der Außendarstellung nicht selten eine Rolle. Universitäten konnten auf diese Weise signalisieren, dass einzelne ihrer Forschungsbereiche den Kriterien von Drittmittelgebern entsprachen, die in zunehmendem Maße Wert auf Verbundforschung und die Förderung von Schwerpunktbereichen legten.202 Ausgehend von der neoinstitutionalistischen Organisationssoziologie lässt sich die Frage stellen, inwiefern sich durch Profilbildung tatsächlich die „Aktivitätsstruktur“ der Universitäten, das heißt die konkreten Abläufe in Forschung und Lehre, veränderte oder ob es sich dabei nicht vielmehr um eine Arbeit an der institutionellen Fassade, der „Formalstruktur“, handelte, die in erster Linie darauf zielte, dem normativen Druck von außen zu begegnen.203 Besonders deutlich wird die Ambivalenz von Profilbildung an den Bemühungen vieler Universitäten, „Leitbilder“ zu entwickeln, wie sie in der betriebswirtschaftlich geprägten Literatur zur Hochschulreform und insbesondere vom CHE als Instrument der Profilbildung propagiert wurden. Ähnlich wie 197 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016. 198 Vgl. Meier (2012), S. 171; Rogge et al. (2013), S. 68. 199 Dicke (2012a). 200 Vgl. UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 176. Sitzung des Senats am 8.6.1988, S. 3–14, Zitat auf S. 3. 201 Universitätsrat der FSU Jena (2011). 202 Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; vgl. außerdem Witte/Burchardt (2011). 203 Vgl. Meyer/Rowan (1977); Meier (2012), S. 184.
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in den mission statements anglo-amerikanischer Universitäten sollten darin allgemeine Ziele der Hochschule festgehalten werden, die dann in konkretisierter Form zur Begründung von Prioritätensetzungen und Strukturentscheidungen dienen konnten.204 Bereits in den 1980er Jahren hatten Wirtschaftshochschulen – so auch die Wirtschaftsuniversität Wien 1987 – Leitbilder aus dem privatwirtschaftlichen Kontext übernommen.205 Als erste deutsche Universitäten entwickelten im Jahr 1996 die RWTH Aachen und in Kooperation mit dem CHE die Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg Leitbilder.206 Während diese Texte in manchen Fällen ausschließlich als Mittel des Marketing und der Außendarstellung gedacht waren,207 versuchten beispielsweise Präsident Uwe Schneidewind in Oldenburg und Dieter Lenzen als Vizepräsident der FU Berlin, sie im Sinne der betriebswirtschaftlichen Konzeption als Entscheidungsgrundlage zu benutzen.208 Lenzen beabsichtigte, in Abstimmung mit dem Senat der FU ein Leitbild zu entwickeln. Anschließend sollte das Präsidium „vor den jeweiligen Zielvereinbarungen die aktuellen, aber auch längerfristigen Konkretisierungen fest[legen], in denen es die Leitbildvorstellungen der Freien Universität schwerpunktmäßig erfüllt sehen möchte“.209 In der Regel beschränkte sich die Wirkung der von den Hochschulleitungen und Senaten verabschiedeten Texte allerdings rein auf die Außendarstellung, auch dort, wo sich damit zunächst weiterreichende Absichten verbanden. Ein Grund hierfür dürfte darin gelegen haben, dass die Leitbilder zu abstrakt waren, um Entscheidungen zu begründen, und statt Besonderheiten der jeweiligen Einrichtung hauptsächlich allgemeine Funktionen der Institution Universität beschrieben. Auch Bekenntnisse zu Internationalität und Interdisziplinarität fehlten in kaum einem Leitbild.210 Welche Folgen hatten nun diese profilbildenden Maßnahmen? Insofern Profilbildung mit einer Konzentration von Ressourcen innerhalb der Universitäten einherging, 204 Vgl. z. B. Zechlin (1998); Escher (2001), S. 207; Hanft (2000b), S. 133. 205 Vgl. Kosmützky (2011), S. 248. 206 Vgl. Escher (2001), S. 206. 207 Vgl. z. B. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 8. Sitzung des 14. Senats am 10.11.1999, S. 9. 208 Vgl. UAOL 20002 ZW, Der Präsident, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 1.2.2005, Fortführung der Leitbilddiskussion für den Strategieprozess, 28.1.2005; vgl. ebd., Das Präsidium, Senatsvorlage zur außerordentlichen 4. Sitzung am 13.7.2005, Leitbild für die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 5.7.2005; FU Berlin, UA, AS, Protokoll der 549. Sitzung am 21.7.1999, S. 3; ebd., Protokoll der 550. Sitzung des Senats am 8.9.1999. An der Universität Bielefeld gaben Diskussionen im Senat über die Verteilung von Kürzungsauflagen den Anstoß dazu, ein Leitbild zu entwickeln, da einzelne Senatsmitglieder argumentierten, man benötige eine Grundlage für die anstehenden Entscheidungen, vgl. UA Bielefeld, S 130, Protokoll der 273. Sitzung des Senats am 19.5.1999. Anna Kosmützky kommt in einer diskursanalytischen Untersuchung zu dem Schluss, dass Leitbilder in den 1990er Jahren zunächst vorrangig als Element der Hochschulsteuerung betrachtet wurden, der Fokus sich dann aber nach enttäuschten Erwartungen auf ihre Funktion für die Selbstdarstellung verschob (Kosmützky (2011), S. 252 f.). 209 FU Berlin, UA, Präsidium, VP 1, 56, Vizepräsident 1, Vorlage für die Sitzung des Präsidiums Nr. 11/00. Leitbild der Freien Universität Berlin, [o. D.], S. 9. 210 Meyer-Guckel/Mägdefessel (2010); o. A. (2010); UAOL 20002 ZW, Das Präsidium, Vorlage zur außerordentlichen Sitzung des Senats am 13.7.2005. Leitbild für die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 5.7.2005.
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erzeugte oder förderte dies eine interne Konkurrenz. Die Universitätsleitungen machten einen Teil der verfügbaren Finanzmittel zur Prämie für koordinierte Forschungsaktivitäten, die sich als Profilelement der Universität darstellen ließen. Der Status als profilprägender Schwerpunkt versprach besondere Förderung bzw. Schonung bei anstehenden Kürzungen und wurde so selbst zum begehrten knappen Gut. In den 2000er Jahren traten allerdings Bedenken in den Vordergrund, ob in der universitätsinternen Konkurrenz um Ressourcen, die durch profilbildende Maßnahmen befeuert wurde, zwangsweise die sogenannten „Kleinen Fächer“ das Nachsehen haben würden.211 Zu diesen wurden in der Regel Forschungsrichtungen gezählt, die nur an sehr wenigen Hochschulen und mit einer geringen Anzahl an Professuren vorhanden waren, wozu vorwiegend sprach- und kulturwissenschaftliche Fächer zählten, aber auch einzelne Naturwissenschaften wie zum Beispiel Meteorologie und Astrophysik.212 In manchen Fällen trafen die Bedenken durchaus zu. So verloren in den Jahren von 1997 bis 2011 beispielsweise die Fächer im Bereich der Alten Sprachen und Kulturen etwa 20 Prozent ihrer Professuren, teils sogar bis zu 50 Prozent. Andere Gebiete, denen die wissenschaftspolitischen Entscheidungsträger eine größere gesellschaftliche Relevanz zuschrieben, wie etwa Gender Studies, Bioinformatik und die außereuropäische Geschichte, konnten dagegen einen deutlichen Zuwachs verbuchen.213 Bemühungen um eine innovative Profilierung und die Konkurrenz der Universitäten um staatliche Finanzierung wirkten dabei als wichtige Triebkraft. Die Sorge um einen Schwund der Kleinen Fächer müssen auch insofern relativiert werden, als manche wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen, zum Beispiel an der FU Berlin, gerade in diesen Fächern ein wichtiges „Alleinstellungsmerkmal“ sahen.214 Zugleich änderte sich die Lage dieser Wissenschaftsbereiche jedoch insofern, als ihre Vertreterinnen und Vertreter zunehmend mit Forderungen der Rektorate und Präsidien konfrontiert waren, sich in interdisziplinäre Kooperationen einzubringen und so einen Beitrag zum Profil der jeweiligen Universität und ihrer Chancen auf größere Drittmittelprojekte zu leisten.215 Die Diskussion über die Lage der Kleinen Fächer führte aber auch dazu, dass diese Disziplinen stärker in das Blickfeld der Wissenschaftspolitik rückten. Dazu 211 Vgl. HRK (2012c), S. 20. 212 Bis in die 2000er Jahre gab es keine allgemein anerkannte Definition der „Kleinen Fächer“. Seither haben sich die Kriterien der Potsdamer Arbeitsstelle Kleine Fächer durchgesetzt, die 2007 von der HRK mit einer Bestandsaufnahme der Kleinen Fächer beauftragt worden war. Erfasst wurden diejenigen Fächer, die an höchstens zehn Prozent der deutschen Universitäten vertreten waren und an maximal zwei Standorten mehr als drei Professuren besaßen. Vgl. HRK (2012c), S. 20 f. 213 Vgl. HRK (2012b), S. 30–33. 214 FU Berlin, UA, AS 2, Struktur- und Entwicklungsplan für die Freie Universität Berlin, April 2004; ähnlich argumentierten auch Vertreter der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, vgl. Philosophische Fakultät der Universität zu Köln, Strukturkommission der Philosophischen Fakultät, Antrag des Orientalischen Seminars auf Wiederzuweisung der C 3-Professur Orientalische Philologie, 29.1.1996. 215 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Campusplanung der Freien Universität Berlin, 28.8.2002; Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; HRK (2012a), S. 53; Dicke/Burchardt (2004). Der Aufbau eines China-Schwerpunktes an der Universität zu Köln z. B. diente auch der Verteidigung einer Reihe von
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trug nicht zuletzt eine Bestandsaufnahme und „Kartierung“ dieser Fächer bei, die von der HRK im Jahr 2007 veranlasst wurde. Der Wissenschaftsrat betonte wiederholt die Bedeutung insbesondere der kulturwissenschaftlichen Kleinen Fächer, und sprach sich für deren Erhalt aus, der durch eine verstärkte fächerübergreifende Integration in Forschung und Lehre gesichert werden sollte.216 5. Alte Ansichten und neue Konflikte Das selbstbewusste Agieren wettbewerbsorientierter Hochschulleitungen beförderte nicht nur die Konkurrenz innerhalb der Universitäten, sondern entfachte auch neue Konflikte zwischen den Rektoren und anderen Mitgliedern der Hochschulen.217 Dabei stießen nicht selten grundsätzlich verschiedene Vorstellungen der Institution Universität aufeinander, die sich aus unterschiedlichen Paradigmen speisten. Schon bevor manche Rektoren und Präsidenten sich als Hochschulmanager verstanden und über erweiterte Kompetenzen verfügten, reagierten die Mitglieder universitärer Gremien sensibel auf Entscheidungen, die sie als Einmischung der Hochschulleitung in ihre Belange betrachteten. So konstatierten Angehörige der Engeren Fakultät der Kölner Philosophischen Fakultät im Jahr 1992 eine „um sich greifende Verdrossenheit unter den Fakultätsmitgliedern“ angesichts einer neuen „rektorale[n] […] Verfügungsgewalt“. Sie zogen den Schluss, die beobachtete „Zusammenballung von Befugnissen in dem durch die akademischen Gremien kaum zu kontrollierbaren [sic], aber Einflüssen von außen ausgesetzten Rektorat“ müsse gestoppt werden.218 Michael Daxner, der sich selbst als „ ‚starken‘ Präsidenten“ der Universität Oldenburg sah, unterstellten mehrere Professoren im Jahr 1996 „autoritär[es]“ Auftreten.219 Dass Entscheidungen nicht ausreichend innerhalb der Gremien sowie mit den Betroffenen diskutiert worden seien, warfen Wissenschaftler und Studierende den Hochschulleitungen immer wieder vor.220 Das kompetitive Auftreten von Rektoren und Präsidensprach- und kulturwissenschaftlichen Fächer, vgl. Philosophische Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung am 2.12.1987, S. 2 f., 6. 216 Vgl. HRK (2012e); Wissenschaftsrat (2006c) S. 70–70; Wissenschaftsrat (2010d); Wissenschaftsrat (2010e); BMBF (2016). 217 Auf ein mögliches Konfliktpotential deutet bereits die unterschiedliche Akzeptanz von Elementen des New Public Management in Professorenschaft und Hochschulleitungen hin. Christian Johann Schmid und Uwe Wilkesmann kommen durch Auswertung von Umfrageergebnissen zu dem Schluss, dass Professoren und Professorinnen im Schnitt „leicht kritisch, Dekanate schon weniger kritisch und Rektorate eindeutig befürwortend gestimmt“ seien (Schmid/Wilkesmann (2015), S. 65). 218 Philosophische Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakltätssitzung am 3.6.1992, S. 5. 219 Daxner (1997), S. 78; UAOL 2200–080, Schreiben des Kanzlers an den Dekan des Fachbereichs 3 vom 6.9.1996; vgl. außerdem Daxner (2011), S. 98. Ein als hierarchisch wahrgenommener „Stil“ trug an der Universität Bielefeld dazu bei, dass die in den 1990er Jahren vom Rektorat eingeleiteten „Strategiegespräche“ mit den Fakultäten letztlich im Sande verliefen (Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann, 5.2.2016). 220 Vgl. z. B. UAOL 20002 ZW, Anlage 2 zum Protokoll der 14. Sitzung des 10. Senats am 8.7.1992, Erklärung der Linken Liste zur Wahl der beiden Vizepräsidenten aus Anlaß der öffentlichen Kommentierung des
5. Alte Ansichten und neue Konfi te
ten, die auf grundlegende Reformen abzielten und sich dabei auch zu Entscheidungen gegen die Interessen von Teilen der Professorenschaft legitimiert sahen, erregte daher nicht selten Anstoß. So kritisierten mehrere Professoren der TU München Entscheidungen ihres Präsidenten zur Umwidmung von Stellen für neue Bereiche.221 Der Dekan der Fakultät für Bauingenieurwesen trat aus Protest zurück, da diese zwei Professuren abgeben musste, und kritisierte gegenüber der Presse, dass die Entscheidung von oben herab und ohne Anhörung der Betroffenen gefallen sei.222 Ein anderer Professor äußerte seinen Unmut über das Agieren der Hochschulleitung sowie das „ganz erhebliche Selbstwertgefühl“ ihrer Referenten und mahnte mehr „Gelassenheit und mehr Zeit für Gespräche mit der Professorenschaft“ an.223 An der Universität Oldenburg erklärte Präsident Uwe Schneidewind im Jahr 2008 seinen Rücktritt, nachdem er im Senat zunehmend an Unterstützung verloren hatte. Ein Teil der Hochschulmitglieder stieß sich an der managementorientierten Strategieplanung des Betriebswirtschaftlers und der starken Rolle, die er der Hochschulleitung beimaß.224 Die Gegner der präsidialen Hochschulmanager gingen von der Vorstellung aus, Entscheidungen mit Konsequenzen für Forschung und Lehre sowie für die Verteilung materieller Ressourcen dürften nur im Einvernehmen mit den betroffenen Kollegen und den gewählten Gremien getroffen werden. Obwohl alle Kritiker in der Opposition zu den wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen übereinstimmten, lassen sich ihre Äußerungen auf zwei unterschiedliche, ältere Vorstellungen von der Universität als Institution zurückführen. Eine dieser beiden Auffassungen fußte auf dem Bild der Universität als Korporation prinzipiell gleichberechtigter Mitglieder, nämlich der Professoren und Professorinnen, die ihre gemeinsamen Angelegenheiten im Konsens oder doch zumindest über einen Interessenausgleich regelten.225 Die individuelle Autonomie war für diese Auffassung von zentraler Bedeutung und sollte sich daher in der Organisationsstruktur der Universität widerspiegeln.226 Mit der Beteiligung der wissenschaftlichen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie der Studierenden, wie sie in den 1970er Jahren eingeführt worden war, konnten sich die Vertreter dieses Paradigmas arrangieren, sofern der Professorenschaft bei Entscheidungen über Forschung und Lehre das entscheidende Gewicht zukam, was durch ein Urteil des Bundesver-
Wahlausgangs durch den Präsidenten, 6.7.1992; UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Senats am 15.12.2011, S. 3 f. 221 Vgl. SZ, 30.7.2004, Ausgabe München-Land-Süd S. R2; SZ, 30.7.2004, Ausgabe München-Land-Süd S. R2; SZ, 10.1.2004, Ausgabe Dachau S. R2; SZ, 8.1.2004, Ausgabe Freising S. R2. 222 Vgl. SZ, 13.1.2000, S. L3. 223 Zitiert in DUZ, no. 3 (2001), S. 12–13. 224 Vgl. Schneidewind (2011), S. 161–168. 225 Vgl. z. B. Schimank (2005), S. 363 f. Ein Beschluss der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln lehnte beispielsweise die in Nordrhein-Westfalen geplante Stärkung der Fakultätsleitungen als „Diktatur des Dekans“ ab, der „zu eine[r] Art Dienstvorgesetzten der Kollegen“ werde (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Anlage zum Protokoll der Sitzung der Fakultät am 6.1.1992. Anmerkungen zur Novellierung des WissHG, S. 8). 226 Vgl. für diese Ansicht z. B. Matz (1996), S. 9.
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fassungsgerichts aus dem Jahr 1973 sichergestellt war.227 Diese Vorstellung kam nicht nur in der Kritik vieler Professoren an der Amtsführung des neuen Typus von Universitätspräsidenten zum Vorschein, sondern bestimmte auch weiterhin das Handeln mancher Amtsträger.228 An der Universität zu Köln beschloss das Rektorat von Jens Peter Meincke nach Amtsantritt im Jahr 1997 „Grundsätze“ für die künftige Arbeit. Im ersten Absatz dieses Papiers hieß es: Die Universität forscht, lehrt und studiert nicht selbst, sondern es forschen, lehren und studieren ihre Mitglieder und Angehörigen. Die Leitungsaufgabe des Rektorats besteht daher vornehmlich darin, anzuregen, zu koordinieren oder zu moderieren und auf diesem Wege den Rahmen für das Wirken der Mitglieder und Angehörigen der Universität in Forschung, Lehre und Studium zu sichern.229
Der erste, auf faktischer Ebene triviale Satz ist als Absage an das Wettbewerbsparadigma zu verstehen, das der Universität als Organisation die Funktion zuschrieb, Leistungen zu erbringen. Die Hochschulleitungen als Spitze dieser Organisation wurden für Erfolge und Misserfolge verantwortlich gemacht. Das Rektorat Meincke wies dieses Amtsverständnis hingegen zurück und beharrte auf den Entscheidungsspielräumen der Professoren, Mitarbeiter und Studierenden.230 Inneruniversitärem Konkurrenzverhalten erteilte der Rektor auf einer hochschulöffentlichen Rede eine Absage, indem er kritisierte, manche Fakultäten hielten sich „expressis verbis für besser als andere und mein[t]en daher ganz ungeschminkt, daß sie eine bevorzugte Behandlung verdienen müßten“.231 Dem Konzept der Profilbildung hielt er die „Idee der Universität als einer auf umfassende Erkenntnis ausgerichteten Bildungsinstitution“ entgegen.232 Mit seiner Verteidigung der Universität als Korporation avancierte der Jurist Meincke zu einem exponierten Gegner der HRK-Spitze, die sich in den 1990er Jahren um die Durchsetzung des Wettbewerbsparadigmas bemühte. Er kritisierte, diese habe sich zu sehr von der Basis entfernt und Forderungen der Politik übernommen. Im Jahr 2000 trat er als Gegenkandidat zu Klaus Landfried an, der eine zweite Amtszeit anstrebte. Zwar hatte er die Unterstützung einiger Rektoren aus großen Volluniver-
227 Vgl. BVerfGE 35, S. 79–170; zum Kontext dieser Entscheidung vgl. Wehrs (2014), S. 211–214. 228 Anders als die Rektoren und Kanzler der nordrhein-westfälischen Fachhochschulen plädierte die Landesrektorenkonferenz der Universitäten in NRW anlässlich der sogenannten „Funktionalreform“ nicht für eine Stärkung der Leitungsämter, vgl. Landesrektorenkonferenz des Landes Nordrhein-Westfalen (1997); Landesrektorenkonferenz Fachhochschulen und Arbeitsgemeinschaft der Kanzler der Fachhochschulen (1997). 229 Rektorat der Universität zu Köln (1998), S. 1; vgl. auch Meincke (2003), S. 107–112. Als das „exakte Gegenteil des modernen Wissenschaftsmanagers“ wurde auch Andreas Heldrich, der Rektor der LMU München von 1994 bis 2002, in der Süddeutschen Zeitung portraitiert, s. SZ, 20.3.1999, S. 59. 230 Indem das Rektorat den Anteil der Studierenden an den Ergebnissen des Studiums betonte, wies es auch die alleinige Verantwortung der Universität für Studienabbrüche und lange Studienzeiten zurück. 231 Meincke (1999a), S. 3. 232 Meincke (1999b); vgl. auch Mathias (1998).
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sitäten, konnte sich letztlich aber nicht durchsetzen.233 Angesichts der zunehmenden Dominanz des Wettbewerbsparadigmas in der Wissenschaftspolitik isolierte sich die Leitung der Universität zu Köln mit ihrer ablehnenden Haltung. Der sogenannte „Expertenrat“, den die Regierung Nordrhein-Westfalens 1999 zur Beurteilung der Entwicklungsplanung der Hochschulen des Landes einsetzte, kritisierte zum Beispiel, das Kölner Rektorat agiere gegenüber den starken Fakultäten sehr „zurückhaltend“ und sollte „aktiver als bisher die Innovations- und Profilierungsprozesse der Hochschule beeinflussen“.234 Rektoren wie Meincke gerieten in Konflikte mit den jeweiligen Landesregierungen oder erschienen zumindest als Modernisierungsverweigerer.235 Der Reform ihrer Strukturen konnten sich die Hochschulen kaum verweigern, wie das Beispiel der Universität Gießen zeigt, deren Senat die Experimentierklausel im neuen Hessischen Hochschulgesetz ausnutzen wollte, um eine starke Stellung der Gremien gegenüber der Hochschulleitung zu erhalten. Das hessische Wissenschaftsministerium verweigerte der beschlossenen Grundordnung die Genehmigung.236 Die Verfechter der Universtität als Korporation mussten sich als Traditionalisten abkanzeln lassen. Ihre Proteste erschienen den Anhängern des Wettbewerbsparadigmas als „Widerstände“, die es zu überwinden oder durch „change management“ zu beseitigen gelte.237 Die Kritik an managerhaft auftretenden Hochschulleitungen und an der Umgestaltung der Entscheidungsstrukturen kam allerdings nicht allein aus dieser Richtung. Auch Anhänger einer demokratischen Hochschule protestierten gegen eine Entmachtung der akademischen Gremien. Diese Auffassung hatte sich in den 1960er und 1970er Jahren herausgebildet, als linke Wissenschaftler und Studierende ein Ende der „Ordinarienherrschaft“ und Mitspracherechte für alle an Forschung und Lehre beteiligten Hochschulmitglieder gefordert hatten. Dahinter stand einerseits der Ruf nach einer „Demokratisierung“ aller Gesellschaftsbereiche, zum anderen die wissenschaftstheoretische Überzeugung, dass Wissenschaft immer Gegenstand gesellschaftlicher Interessen sei und von diesen geprägt werde.238 Demokratische Strukturen sollten daher dafür sorgen, dass sie nicht einseitig von der Wirtschaft in Dienst genommen werde. Anhänger dieser Vorstellung verstanden die Universität somit vorrangig als Arena verschiedener gesellschaftlicher Interessen. Diese Gegensätze sollten in den Gremien, in 233 Vgl. SZ, 15.2.2000, S. V2/16; FAZ, 18.2.2000, S. 12; FAZ, 23.2.2000, S. 4; DUZ, no. 4 (2000), S. 15. 234 Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 391. 235 Vgl. z. B. FAZ, 17.7.1999, S. 12, zur Auseinandersetzung des baden-württembergischen Wissenschaftsministers mit dem Rektor der Universität Heidelberg. 236 Vgl. Sağırlı (2014), S. 180 f. 237 Beitrag von Wolfgang A. Herrmann auf einer Podiumsdiskussion, dokumentiert in HRK (2001b), S. 89. Vgl. auch UOL Altregistratur, CHE Consult, Finanzmanagement für die Universität Oldenburg. Kick-Off am 25.06.07. 238 Vgl. Bocks (2012); Wehrs (2014), S. 196–203; Habermas (1969a), S. 46; Habermas (1969b), S. 122–124. Peer Pasternack und Carsten von Wissel subsummieren die hier beschriebenen Auffassungen unter die „programmatischen Konzepte“ „Gruppenuniversität“ und „Kritische Wissenschaft“ (Pasternack/Wissel (2012), S. 29, 35).
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denen alle Hochschulmitglieder repräsentiert seien, auf demokratische Weise ausgetragen werden.239 In den 1990er Jahren artikulierten an den Hochschulen fast nur mehr politisch links orientierte Studierende derartige Auffassungen. Sie protestierten gegen die „Entdemokratisierung“ der Hochschulen und ihre Unterwerfung unter „Wettbewerb bzw. marktwirtschaftliche[.] Kriterien“.240 Als hochschulpolitischer Interessensverband stand der Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für das Demokratie-Paradigma ein, spielte allerdings in den öffentlichen Debatten nur eine marginale Rolle.241 Unter den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hing lediglich eine Minderheit diesem Verständnis von Universität an, vorrangig in den sozialwissenschaftlichen Fächern, zum Beispiel an der FU Berlin. Ein Professor des dortigen Otto-Suhr-Institutes für Politikwissenschaften kritisierte im Jahr 2007 den FU-Präsidenten Lenzen als „führende[n] Protagonist[en] und Promotor der Markt-Ökonomisierung von Wissenschaft“. Die angestrebte „unternehmerische Universität“ baue auf „Hierarchie und Konkurrenz“, während „Demokratie und Mitbestimmung“ ausgeschaltet würden.242 In der wettbewerbsorientierten Universität hatten die Verfechter einer demokratischen Hochschule allerdings einen schweren Stand. So mutmaßte ein Vertreter der FU-Soziologie, Präsidium und Senat der Universität hätten das Fach in den 2000er Jahren nicht zuletzt deshalb besonders drastischen Kürzungen ausgesetzt, weil es als „Nest der Widerborstigkeit“ aufgetreten sei, gegen „restaurative Tendenzen (z. B. die Wiederentdeckung von Eliten und Ritualen) […] und mit modischem verbalem Schnickschnak verbrämte Anpassungen der Universität (von Exzellenzinitiativen bis zu unternehmerischem Gründergeist und Stiftungsprofessuren) an wissenschaftsfremde politische oder wirtschaftliche Interessen“.243
239 S. z. B. Bultmann (1993), S. 111: „Einer zeitgemäßen Interpretation der Gruppenuniversität entsprechend sind die akademischen Gremien Organe rationalisierter und reflektierter Interessenvertretung: alle Gruppen der Hochschule verbinden mit dem wissenschaftlichen Entscheidungsprozeß bestimmte außer-wissenschaftliche Motive und gruppenspezifische Interessen. Das ist keineswegs problematisch sondern völlig normal“. 240 BIS Oldenburg, Flugblätter, 1998, 1, GriSUdel. Wahlkampfzeitung der Liste GRiSU, Januar 1998; UA Jena, Flyer-Sammlung 1997, Diskussionspapier zum Thema: „Hochschulen für das 21. Jahrhundert“. Für weitere Beispiele vgl. ebd., Aktion Solidarität. Eine Aktion des AK notweHR; BIS Oldenburg, Flugblätter, 1998, 1, al dente. bissig und parteiisch. zeitung der alternativen liste [Mitte Dez. 1997]; ebd., GrüLiLi: Grüne Linke Liste; ebd., ABRAXAS (Die Fachschaftenliste). 241 S. hierzu z. B. die Verbandszeitschrift „Forum Wissenschaft“. Zur Geschichte des Verbandes bis in die frühen 1980er Jahre vgl. Theißen (1984). 242 Zeuner (2008), S. 30, 35. 243 Ganßmann (2013), S. 277 f. Die Sozialwissenschaften waren an der FU Berlin Mitte der 1990er Jahre in zwei Fachbereichen vertreten, die zusammen über 63 Professuren verfügten. Daneben existierte ein politikwissenschaftlicher Fachbereich. Im Jahr 2012 zählte der fusionierte Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften nur mehr 28 Professuren (vgl. FU Berlin (1995), S. 67–74; FU Berlin (2012), S. 119). Vgl. auch die Vorwürfe von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, das Präsidium Lenzen habe sich bei der Entscheidung über Berufungslisten von politischen Gesichtspunkten leiten lassen: Zeuner (2008), S. 45; o. A. (2007).
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Besonders lange hielt sich das Demokratie-Paradigma an der Universität Oldenburg, die in den 1970er und 1980er Jahren von vielen ihrer Mitglieder als Reform-Universität verstanden worden war und daher Personen angezogen hatte, die sich mit diesem Projekt identifizierten. Bereits seit dieser Zeit hatte es allerdings Konflikte zwischen jenen gegeben, die für starke Gremien eintraten und zum Beispiel auch die Einstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern und die Durchführung von Forschungsprojekten unter ‚demokratischer‘ Kontrolle halten wollten, und denjenigen – vorwiegend in den Naturwissenschaften, – die für die Gründung von Instituten und eine damit einhergehende Stärkung der Professorenschaft eintraten.244 Die Forderung nach „wissenschaftsadäquaten Strukturen“ stand dem Beharren auf einer „Kontrolle von Wissenschaft durch die Betroffenen“ gegenüber.245 An der Universität Oldenburg orientierte sich der Protest gegen das wettbewerbsorientierte Hochschulmanagement seit den späten 1990er Jahren daher stärker als anderswo am Leitbild der demokratischen Hochschule. Als 1997 Studierendenvertreter im Senat eine Erklärung gegen die Verteilung von Mitteln „nach sogenannten ‚Leistungskriterien‘ “ und gegen „undemokratische[.], autoritäre[.] Leitungsstrukturen“ verlasen, solidarisierte sich der Dekan des Fachbereichs für Wirtschafts- und Rechtswissenschaften damit und „appelliert[e] an alle Anwesenden, sich in der weiteren Diskussion um Nutzen und Verpflichtung der Universität gegenüber der Gesellschaft bewußt zu werden“. Eine „Unterordnung der Universität unter einseitige gesellschaftliche Interessen“ sei abzulehnen.246 Vertreter des Demokratie-Paradigmas trugen schließlich maßgeblich zum Rücktritt von Präsident Uwe Schneidewind bei. Dieser hatte sich zum einen dadurch Gegner gemacht, dass er anlässlich mehrerer Berufungen in der Soziologie auf eine Neuausrichtung des Fachs hinwirkte, mit einem Ergebnis, das die Kritiker als „Kniefall vor formaler Exzellenz“ und als Bruch mit dem „kritischen Oldenburger Profil“ sahen.247 Zum anderen widersprach die betriebswirtschaftlich orientierte Amtsführung des Präsidenten der Auffassung, alle wichtigen Fragen in Forschung und Lehre müssten in den Gremien verhandelt und entschieden werden.248 Wenngleich die in den 1970er Jahren entstandene Gruppenuniversität für viele Verfechter einer demokratischen Hochschule noch keineswegs ausreichende Mitbe-
244 Vgl. UAOL 20002–088, Anlagen 11 bis 13, sowie 17 und 18 zum Protokoll der 21. Sitzung des Senats am 16.4.1980. Die Gremien der Universität entschieden zu dieser Zeit über die Einstellung von wissenschaftlichen Mitarbeitern und die Genehmigung von Forschungsprojekten. 245 Uni-info, no. 5 (1983), S. 3; uni-info, no. 6 (1983), S. 2. Vgl. auch uni-info, no. 3/4 (1985), S. 3. Zur hochschulpolitischen Gemengelage an der Universität Oldenburg vgl. außerdem Krüger (1984). 246 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 7. Sitzung des 13. Senats am 3.12.1997, S. 7, sowie Anlage 2. 247 So Schneidwinds eigene Formulierungen, s. Schneidewind (2011), S. 161. 248 Vgl. Schneidewind (2011), S. 162 f.; vgl. auch UOL, Altregistratur, Persönliche Erklärung zu Beginn der Senatssitzung am 17.7.2008. Anlage zum Protokoll der Sondersitzung des 18. Senats am 17.7.2008; ebd., Protokoll der 15. Sitzung des 18. Senats am 22.10.2008, S. 9. S. hierzu auch die Bemerkungen eines Mitglieds der Oldenburger Soziologie: „Gegenwärtig erleben wir eine offensive Aushöhlung demokratisch gewählter Gremien durch das Zusammenspiel externer Evaluations- und Akkreditierungsagenturen mit den Planungsphantasien eines Präsidiums mit gesetzlich festgelegten starken Kompetenzen“ (Fabian (2007)).
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stimmungsrechte für alle relevanten Gruppen garantierte, stimmten die Anhänger dieses Leitbildes mit den Vertretern der Universität als Korporation doch darin überein, dass sie die bestehenden Entscheidungsstrukturen gegen eine Umgestaltung im Sinne des Wettbewerbsparadigmas verteidigten. Manche „Modernisierer“ sahen sich daher in einer doppelten Frontstellung. So behauptete etwa Dieter Lenzen, die Kritiker einer betriebswirtschaftlichen Hochschulsteuerung kämen „entweder aus extrem konservativen oder extrem linken Milieus“.249 Der vormalige Präsident der HRK, Klaus Landfried, wiederum rief 2008 in einer Festschrift für Detlef Müller-Böling, den scheidenden Direktor des CHE, dazu auf, dessen Freunde „sollten […] den verantwortungslosen Nostalgieorgien der traditionalistischen Zaunkönige ebenso entschieden entgegentreten wie den substanzarmen Verdächtigungspolemiken neomarxistischer Pfründen-Verteidiger“.250 Die Gegner des Wettbewerbsparadigmas konnten dessen Vordringen zwar nicht aufhalten, zumindest in den ersten Jahren dürfte ihr Widerstand allerdings teilweise zu einer Mäßigung geführt haben. Die Rektoren und Präsidenten, die für wettbewerbsorientierte Reformen eintraten, stellten fest, dass es nicht opportun war, ihre Kompetenzen voll auszureizen, da sie auf diese Weise heftige Konflikte riskiert hätten. Wenn sie nicht die Kooperationsbereitschaft der Professorenschaft aufs Spiel setzen wollten, mussten sie sich darum bemühen, bei wichtigen Entscheidungen Konsens herzustellen.251 Ob die Senate dauerhaft als Gegengewicht zu den gestärkten Hochschulleitungen würden wirken können, war allerdings fraglich, da die Kompetenzen dieses Gremiums Einfluss darauf hatten, welche Personen sich zur Wahl aufstellen ließen.252 6. Die Erschließung neuer Ressourcen: Fundraising und Wirtschaftskontakte Als sich in den 1990er Jahren die Hoffnungen in den Universitäten zerschlugen, die nunmehr seit über einem Jahrzehnt anhaltende Mittelknappheit und „Überlast“ könnte durch einen Rückgang der Studierendenzahlen oder eine Aufbesserung der staatlichen Zuschüsse behoben werden, wuchs die Aufgeschlossenheit für neue Wege der Hochschulfinanzierung. Hierzu trugen auch die Beschwörung der Hochschulautonomie und das neue unternehmerische Selbstbild mancher Hochschulleitungen bei. Seit Mitte der 1990er Jahre erschienen in der Bundesrepublik vermehrt Berichte über die Aktivitäten US-amerikanischer und britischer Universitäten zur Akquise von Spendengeldern.253 Die Leitungen deutscher Universitäten nahmen sich dies zum Vorbild
249 Lenzen/Horváth (2009), S. 486. 250 Landfried (2008). 251 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; vgl. auch Marettek (2016), S. 24. 252 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. 253 Becker/HRK (1995). DUZ, no. 19 (1996), S. 20–21; DUZ, no. 19 (1996), S. 22–23
6. Die Erschließung neuer Ressourcen: undraising und Wirtschafs onta te
und versuchten, über Fundraising-Initiativen und Alumni-Netzwerke zusätzliche Mittel einzuwerben. Seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gründeten die Universitäten vermehrt Alumni-Vereine, mit denen alle Absolventen einer Hochschule angesprochen werden sollten.254 Bis dahin existierten Absolventenvereine nur vereinzelt auf Ebene der Fächer und Fakultäten. Eine systematische Erfassung von Daten der Absolventen und die Organisation auf Universitätsebene waren nicht üblich gewesen. Daneben bestanden Fördergesellschaften aus vermögenden Spendern und örtlichen Unternehmen. Solche Vereine waren seit dem Ende des Ersten Weltkriegs an den meisten deutschen Universitäten gegründet worden, um einen Ausgleich für ausbleibende staatliche Mittel zu schaffen.255 Gegen Ende des 20. Jahrhunderts konnten sie der jeweiligen Hochschule in der Regel jährlich fünfstellige Beträge zur Forschungsförderung, für Stipendien und Preise zur Verfügung stellen.256 Wenngleich das Werben um Spenden also nicht neu war, setzten doch in den 1990er Jahren forcierte Bemühungen der Hochschulleitungen ein. Hinter der Gründung von Alumni-Vereinen stand die Hoffnung, die ehemaligen Studierenden auf diese Weise längerfristig an die Universität zu binden und in Zukunft zu finanziellen Zuwendungen zu bewegen. Die Mitglieder der Alumni-Vereinigungen erhielten meist regelmäßige Informationen über die Universität, zum Beispiel in Gestalt der Hochschulzeitungen oder eigener Alumni-Magazine. Sie wurden außerdem zu Treffen, Vorträgen und anderen Aktivitäten eingeladen.257 Die Leitung der TU München vereinbarte darüber hinaus im Jahr 1999 ein Projekt zur Bindung von „Top-Alumni“. Absolventen, die über einen „überdurchschnittlichen wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Einfluss“ verfügten, sollten mit dem Ziel besonders angesprochen werden, „durch gezieltes Friendraising mittelfristig die Grundlage für eine ideelle und gegebenenfalls auch finanzielle Unterstützung der TU München durch diesen besonders attraktiven Kreis von Absolventen zu schaffen“.258 Die Alumni-Organisation der Universität zielte nicht nur darauf ab, Spender zu gewinnen, sondern versuchte auch, diese zum Beispiel als Mentoren oder Gastreferenten in Zusatzangebote einzubinden, um das Studium attraktiver zu gestalten.259 Nicht immer waren solche Aktivitäten allerdings von Erfolg begleitet. So gab die FU Berlin in den 254 Vgl. UA Bielefeld, R 177, Protokoll der 975. Sitzung des Rektorats am 25.6.1996; TUM-Mitteilungen, no. 5 (1996/1997), S. 17–18; FU Berlin, UA, P/Rou 50, Konzept zur Entwicklung eines Alumni-Programms an der Freien Universität Berlin, o. D. [ca. Ende 1999 / Anfang 2000]; Der Rektor der Universität zu Köln (2004), S. 72; Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 4.12.2002, S. 4; DUZ, no. 19 (1996), S. 22–23; DUZ, no. 8 (2001), S. 406–407 255 Vgl. Albrecht (1991), S. 626 f.; Herrmann (1990), S. 87–93, 122–128. 256 Vgl. Wissenschaftsrat (1993b), S. 44; Giebisch/Langer (2005), S. 8; Bielefelder Universitätszeitung, no. 222 (2006), S. 8; Bielefelder Universitätszeitung, no. 137 (1984), S. 16. 257 Vgl. Bielefelder Universitätszeitung, no. 216 (2004), S. 40; UA Bielefeld, R 177, Protokoll der 1001. Sitzung des Rektorats am 8.4.1998; DUZ, no. 8 (2001), S. 406–407. Die TU München produzierte seit 2010 das Magazin „KontakTUM“, vgl. Internetquelle 17. Die FU Berlin veröffentlichte im selben Jahr die erste Ausgabe von „wir. Magazin für die Ehemaligen der Freien Universität Berlin“, vgl. Internetquelle 18. 258 Tutt (2002), S. 3. 259 TUM-Mitteilungen, no. 1 (2002/2003), S. 24.
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2000er Jahren für ihren US-amerikanischen Alumni-Verein „Friends of Freie Universität Berlin“, der jedes Jahr in New York eine Spendengala veranstaltete, über eine Million Euro mehr aus, als dessen Aktivitäten an Spenden einbrachten.260 Um Studierende zu einer stärkeren Identifikation mit ihrer Universität zu bewegen, förderten die Hochschulleitungen Maßnahmen zum Aufbau einer „Corporate Identity“ – so der aus dem Marketing entlehnte Begriff.261 Immatrikulations- und Abschlussfeiern wurde dabei ein großes Gewicht beigelegt. So führte zum Beispiel der Entwicklungsplan der TU München aus dem Jahr 2000 aus: „Identitätsstiftende Maßnahmen – von der ‚großen Immatrikulationsfeier‘ über Absolventenfeiern in den Fakultäten bis zu Ehemaligentreffen – dienen der Wahrnehmung von familiärer Zugehörigkeit.“262 In diesem Sinne hieß Präsident Herrmann die neuimmatrikulierten Studierenden in der „Hochschulfamilie“ willkommen und versicherte ihnen, „an einer der besten Universitäten Europas zu studieren“.263 Neben dem Aufbau von Alumni-Vereinen, der sich mittel- bis längerfristig durch finanzielle Zuwendungen auszahlen sollte, versuchten manche Hochschulleitungen, Unternehmen und andere mögliche Spender direkt anzusprechen. Als eine der ersten deutschen Universitäten führte die TU München ab 1999 eine Fundraising-Kampagne durch. Die Hochschulleitung ließ zunächst von einem britischen Beratungsunternehmen eine Machbarkeitsstudie anfertigen. Eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Fakultäten stellte mögliche Projekte zusammen, mit denen potenzielle Spender überzeugt werden sollten. Verbindungen zu diesen wurden oftmals von Mitgliedern des Hochschulrates hergestellt, zu denen unter anderem der vormalige Bundespräsident Roman Herzog, der Unternehmensberater Roland Berger und der Manager Bernd Pischetsrieder zählten. Waren die eingeworbenen Mittel zunächst für besondere Projekte bestimmt, so gelang es der TU München einige Jahre später, eine Reihe von Personen und Unternehmen zu Spenden in Höhe von 16 Millionen Euro für eine Universitätsstiftung zu bewegen, die nach dem Vorbild US-amerikanischer Privatuniversitäten für dauerhafte Kapitalgewinne sorgen sollte.264 Der Erfolg der TU München, den die Beteiligten als Beitrag zum Image der „unternehmerischen Universität“ in die Öffentlichkeit trugen, erregte eine gewisse Aufmerksamkeit und diente anderen Hochschulen als Vorbild.265 Die FU Berlin begann 1999 ebenfalls nach Projekten zu suchen, die für Fundraising-Aktivitäten geeignet schienen. Mit der Umsetzung betraute 260 Vgl. Kühne/Warnecke (2010); Keilani (2010). Allgemein zu den „Friends of Freie Universität Berlin vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 620. Sitzung des Senats am 16.3.2005, S. 2; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 160. 261 Die Notwendigkeit einer „Corporate Identity“ betonte auch ein Beschluss der HRK aus dem Jahr 1997, vgl. HRK (1997c). Vgl. außerdem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft/CHE (2001). 262 TU München (2000a), S. 39. 263 TUM campus, no. 4 (2010), S. 3; vgl. auch TUM-Mitteilungen, no. 4 (2006), S. 3; TUM campus, no. 4 (2011), S. 6–7. 264 Vgl. TUM campus, no. 1 (2011), S. 16–18; Schulze (2011). 265 Vgl. Melzer (2002); Melzer (2008); Herrmann (2010); UOL Altregistratur, Der Präsident, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 24.5.2005. Einsetzung eines Fundraising-Projekts, 19.5.2005, S. 1.
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die Hochschulleitung eine PR-Agentur, löste diese Zusammenarbeit aber nach einem Jahr auf, als die Ergebnisse hinter den Erwartungen zurückblieben.266 Um auf diesem Feld erfolgreich zu sein, so die Erfahrung der Akteure, waren gewisse Investitionen und ein erheblicher Zeitaufwand seitens der Universitätsspitze nötig, wovor manche Hochschulleitungen zurückschreckten.267 An der TU München bestand zum Beispiel in den 2000er Jahren eine Fundraising-Abteilung mit sechs Mitarbeitern, und auch die Universität zu Köln richtete im Jahr 2009 eine Fundraising-Stelle ein.268 Erfahrenes Personal für derartige Aufgaben war allerdings zu dieser Zeit nicht leicht zu bekommen, wie das Präsidium der Universität Oldenburg feststellen musste.269 Bis Mitte der 2000er Jahre gelang es jedoch einigen wenigen Universitäten wie Mannheim, Heidelberg oder der TU München, Spenden in Millionenhöhe einzuwerben.270 Als symbolische Gegenleistung und Mittel, um sich die Gunst der Geldgeber dauerhaft zu erhalten, benannten die Hochschulen Gebäude, Institute und Professuren nach diesen.271 Die TU München verewigte die Namen von Stiftern in einem Portal am Eingang des Hauptgebäudes. Auf diese Weise trugen Universitäten allerdings auch zur Reproduktion sozialer Ungleichheiten bei. Sie umwarben vermögende und mächtige Personen und verwandelten deren Einfluss und Reichtum in soziale Anerkennung, indem sie die Spender und Unterstützer öffentlich ehrten.272 Seltener als Spenden – und meist heftig kritisiert – waren Sponsoring-Verträge, bei denen sich Unternehmen eine solche Namensnennung zu Werbezwecken erkauften.273
266 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 44, Ausschreibung zur Konzeption und Implementierung eines Sponsoringmodells. Entwurf, 19.1.1999; ebd., P/Rou 46, Sponsoring. Präsidiumssitzung 29.04.99, 20.4.1999; ebd., P/Rou, Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 1.7.1999; ebd., P/Rou 53, Sponsoring. Vorlage für die Präsidiumssitzung am 30.3.2000, 27.3.2000; ebd., P/Rou 57, Beratungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 26.10.2000. 267 Vgl. Melzer (2008), S. 58 f. Der Jahresbericht des Kölner Rektorats von 2005 stellte fest, dass die Voraussetzungen für „großangelegte Fundraisingkampagne“ wären gegeben, dies aber „sehr viel Arbeitskraft in Anspruch nehmen“ würde (Universität zu Köln (2005), S. 146). Das Präsidium der Universität Oldenburg stellte im Jahr 2005 aus demselben Grund Fundraising-Aktivitäten vorerst zurück, vgl. UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Präsidiums am 24.5.2005. 268 Vgl. Melzer (2008), S. 59; Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 22.7.2009, S. 2; Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 24.11.2010, S. 2; Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 25.5.2011, S. 6. 269 Vgl. UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Senats am 23.2.2011, S. 3. 270 Vgl. Giebisch/Langer (2005), S. 7–9. 271 Vgl. z. B. Bielefelder Universitätszeitung, no. 204 (2000), S. 4–5; TUM-Mitteilungen, no. 2 (2002/2003), S. 6–7; TUM-Mitteilungen, no. 4 (2006), S. 3. Der für Fundraising zuständige Vizepräsident der TU München, Arnulf Melzer, äußerte sich auf einer Tagung zu Gegenleistungen für Spenden: „Es gibt Ehrungen. Es gibt die Möglichkeit, Gebäude, Hörsäle, Straßen, Sportplätze nach dem Spender zu benennen. Natürlich werden die Stiftungslehrstühle nach dem Partner genannt. Und dann hat jede Fakultät die Möglichkeit sich was zu überlegen – Medaillen, Ehrenmitgliedschaften, das sind alles ideelle Ehrungen“ (zitiert in Bensel (2002), S. 138). 272 Zu den Wirkungen öffentlicher Ehrungen vgl. Vogt (1997). 273 Vgl. TUM campus, no. 4 (2011), S. 6–7;}; UOL Altregistratur, Der Präsident, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 24.5.2005. Einsetzung eines Fundraising-Projekts, 19.5.2005, S. 1 f.; Giebisch/Langer (2005), S. 13.
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Um Mittel aus privater Hand in Gestalt von Spenden konkurrierten die Universitäten in der Regel nicht miteinander. Bei Alumni-Aktivitäten ging es lediglich darum, ob es gelang, den früheren Absolventinnen und Absolventen eine dauerhafte Verbundenheit zu ihrer Hochschule einzuflößen. Zu anderen Privatpersonen oder Unternehmen, die als Spender auftraten, bestanden nicht selten bereits zuvor Verbindungen. Wenn die Universitäten jedoch außerhalb dieses Kreises mögliche Spender ansprachen, standen sie durchaus in einem potenziellen Konkurrenzverhältnis zueinander, was den beteiligten Akteuren auch bewusst war.274 Unabhängig davon ist Fundraising selbst als Strategie in Konkurrenzsituationen zu verstehen. Die zusätzlichen Einnahmen konnten von den Hochschulleitungen für Projekte eingesetzt werden, die Vorteile im Wettbewerb mit anderen Universitäten versprachen, aber anderweitig nicht finanzierbar waren.275 So begründete der Präsident der TU München die Notwendigkeit der Spendenakquise mit der internationalen Konkurrenz und einem Vergleich mit der finanziellen Ausstattung der ETH Zürich.276 Als besondere Form finanzieller Zuwendungen wurden Stiftungsprofessuren von wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen gerne zur Profilbildung genutzt. Solche von dritter Seite finanzierten Professuren waren bereits in den frühen 1980er Jahren im Kontext der Wettbewerbsdebatte als Möglichkeit diskutiert worden, neue Forschungsbereiche an den Universitäten aufzubauen und die Schwerpunktbildung zu unterstützen. Letztlich verhalf der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft der Idee zum Durchbruch. Er beschloss Ende 1984, als erst dreizehn Professuren an deutschen Hochschulen aus privater Hand finanziert wurden, ein mit zehn Millionen D-Mark ausgestattetes und später aufgestocktes Förderprogramm, für das sich die Universitäten mit Vorschlägen zur Ausrichtung der Stellen bewerben konnten. Auch die VW-Stiftung rief im Jahr 1988 ein ähnliches Förderprogramm ins Leben. Die Zahl der Stiftungsprofessuren stieg bis Ende der 1980er Jahre auf 90.277 Zugleich zeigten seit dieser Zeit auch Wirtschaftsunternehmen ein wachsendes Interesse daran, derartige Stellen zu finanzieren, so dass die Zahl der Stiftungsprofessuren bis 2010 auf 900 stieg. Die Mittel stammten zu 40 Prozent von Unternehmen und zu jeweils 30 Prozent von Stiftungen oder von Verbänden und anderen privaten Geldgebern.278 Solche von Dritten finanzierte Professuren waren für die Universitäten attraktiv, da sie für profilbildende Maßnahmen genutzt werden konnten, wie zum Beispiel an 274 Vgl. die Diskussionen in Bensel (2002), S. 139–141. 275 Vgl. Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 3.3.2012, S. 2. 276 Vgl. TUM-Mitteilungen, no. 1 (2006), S. 3–12. 277 Vgl. FAZ, 22.2.1984, S. 1; TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.5479, Wolfgang Wild, Hochschulforschung auf dem Weg aus dem Elfenbeinturm. Referat bei dem Seminar „F + E Management“ in Rüschlikon/ Zürich, 27.10.1986, S. 10; DUZ, no. 1–2 (1985), S. 9; DUZ, no. 9 (1985), S. 14; Schulze (1995), S. 287–290. Für die Universität zu Köln war das Angebot der Bayer AG aus dem Jahr 1984, einen Stiftungslehrstuhl zu finanzieren, ein Novum, vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 868, Hr. Hackspiel, Vermerk für Herrn Eisenbarth, 31.10.1984; ebd., Hr. Eisenbarth, Vermerk, 16.11.1984; ebd., Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an den Präsidenten der Johannes Gutenberg Universität Mainz vom 12.12.1984; VolkswagenStiftung (1989), S. 122 f. 278 Vgl. Meyer-Guckel (2011), S. 146.
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der TU München, die im Jahr 2002 eine eigene Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät mit technikorientierter Ausrichtung gründete, um einen Abbau dieses Fachs zugunsten der LMU München zu verhindern. Die zusätzlichen Mittel dazu stammten neben internen Umwidmungen auch von privaten Spendern, die für zwei Professuren aufkamen.279 Stiftungsprofessuren erlaubten es den Hochschulleitungen bzw. den Fakultäten, neue Forschungsfelder zu besetzen.280 Fast immer kamen die Geldgeber aber nur über einen begrenzten Zeitraum für die Kosten auf, so dass sich die Hochschulen mit der Entscheidung für eine Stiftungsprofessur auch auf die Folgekosten festlegten, die oftmals durch spätere Umschichtungen zu bestreiten waren. Kritiker sahen daher in dieser Form der Hochschulfinanzierung die Gefahr, dass Externe in die Lage versetzt würden, die fachliche Ausrichtung der universitären Forschung und Lehre zu beeinflussen. Vor allem wenn die Mittel von Unternehmen stammten, standen dahinter konkrete Interessen. Die Initiativen kamen hierbei nicht selten von der privaten Seite.281 Der Vorstand der Bayer AG zum Beispiel machte der Universität zu Köln 1985 das Angebot, einen Lehrstuhl für Technische Chemie zu finanzieren, betonte allerdings, ein „Grundgedanke dieser Stiftung sollte auch die Bereitschaft des Landes und der Universität sein, den Lehrstuhl später einmal voll zu tragen“. Der Lehrstuhlinhaber „müsste eine Persönlichkeit mit Industrieerfahrung sein“. Man habe der Fakultät bereits eine Person aus der Bayer-Forschung „angeboten“.282 Aus Sicht der Unternehmen versprachen Stiftungsprofessuren eine Reihe von Vorteilen. Sie konnten auf diese Weise dafür sorgen, dass die Ausbildung der Studierenden stärker ihren eigenen Anforderungen an künftige Arbeitskräfte entsprach. Durch engere Beziehungen mit den Universitäten, zum Beispiel über Praktika und die Vermittlung von Abschlussarbeiten, verbesserten sie ihre Möglichkeiten, qualifiziertes Personal zu rekrutieren. Zudem konnten die Firmen auf einen privilegierten Zugang zu Forschungsergebnissen hoffen, die zum Teil durch die Nutzung der universitären Infrastruktur entstanden. Bisweilen brachten die Unternehmen auf den Professuren sogar eigene Mitarbeiter unter.283 Die „Gefahr“ einer Einflussnahme sahen jedoch teilweise auch die Hochschulen, die daher gegenüber den Unternehmen auf Bedingungen wie zum Beispiel die Auswahl des
279 Vgl. TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num. 176, Protokoll der Sitzung des Senats am 19.5.1999, S. 4; TU München (1999a); TUM-Mitteilungen, no. 2 (2002/2003), S. 6–7; SZ, 8.1.2003, S. 43. 280 So sah das Konzept der Universität zu Köln für den Aufbau eines Instituts für Gesundheitsökonomie vor, dass eine der nötigen Professuren zunächst aus den Mitteln einer Stiftung finanziert werden sollte, vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 7, Schreiben des Rektors an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung vom 24.1.1996, S. 1. Vgl. auch TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.5479, Wolfgang Wild, Hochschulforschung auf dem Weg aus dem Elfenbeinturm, Referat bei dem Seminar „F + E Management“ in Rüschlikon/ Zürich, 27.10.1986, S. 10. 281 Vgl. z. B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung am 19.10.1987, S. 8. 282 UA Köln, Zugang 543, Nr. 868, Schreiben des Vorstands der Bayer AG an den Rektor vom 2.10.1985. 283 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 868, Bayer Presse-Information, Wechsel im Forschungsmanagement bei Bayer, Juni 1986.
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Stelleninhabers in einem regulären Berufungsverfahren beharrten und sich gegen die Pflicht zur Übernahme der Professuren nach Ablauf der Finanzierung aussprachen.284 In den 1990er Jahren stieg auch die Summe der Drittmittel aus der Wirtschaft insgesamt. Hatten diese 1989 noch 404 Millionen D-Mark betragen, was etwa 15 Prozent der Drittmitteleinnahmen der Hochschulen entsprach, so stiegen sie bis 1999 auf 1,4 Milliarden D-Mark (0,7 Milliarden Euro) und einen Anteil von 30 Prozent. Im Jahr 2012 beliefen sich die Forschungsgelder aus der Wirtschaft schließlich auf 1,2 Milliarden Euro.285 In welchem Maße eine Universität an diesem Trend teilhatte, hing allerdings stark von ihrem Fächerspektrum ab. Die Ausgaben der TU München (ohne Klinikum) zum Beispiel stammten im Jahr 2005 bereits zu 15 Prozent aus der Wirtschaft, die damit mehr als die Hälfte der Drittmittel stellte. Der Anteil privater Mittel an den Ausgaben hatte sich damit innerhalb eines Jahrzehnts mehr als verdoppelt, denn 1996 hatte er noch bei sechs Prozent gelegen.286 An der Universität Bielefeld machten die Gelder aus der Industrie in den Jahren 2010 bis 2012 immerhin ein Fünftel bis ein Viertel der gesamten Drittmitteleinnahmen aus.287 Seit den 1950er Jahren und besonders deutlich in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wuchsen in der Bundesrepublik die privaten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung.288 In manchen Wirtschaftszweigen stieg die Abhängigkeit von wissenschaftlicher Forschung, während sich die Unternehmen selbst die nötigen Kapazitäten nicht mehr leisten konnten und daher auf Aufträge an externe Forschungseinrichtungen zurückgriffen.289 Zugleich sah die Wissenschaftspolitik zunehmend ein wichtiges Ziel darin, die Zusammenarbeit von Unternehmen und Hochschulen zu fördern, da wissenschaftliche Innovationen seit den 1970er Jahren verstärkt als Triebkraft der wirtschaftlichen Entwicklung wahrgenommen wurden. Als Vorbild konnten die USA dienen, wo die Universitäten seit dieser Zeit, angestoßen durch die Politik, neue Formen der Kooperation mit der Privatwirtschaft entwickelten und selbst die ökonomische Verwertung von Forschungsergebnissen in die Hand nahmen.290 Vor allem im Zuge der Globalisierungsdebatte der 1990er Jahre rückten „der stetige Fluß neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und deren rasche Umsetzung 284 UA Köln, Zugang 543, Nr. 868, Prof. Dr. D. Woermann, Institut für Physikalische Chemie an den Rektor, Bayer-Stiftungsprofessur für Technische Chemie, 24.3.1988. Vgl. ebd., Schreiben des Dekans der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät an den Rektor vom 3.2.1986. Vgl. auch die Äußerungen des vormaligen Kölner Rektors Gernot Gutmann in Burger et al. (1986), S. 33. Der Kanzler der Universität zu Köln empfahl dem Rektor 1985, in Zukunft auf reguläre Berufungsverfahren zu beharren, um Vorwürfen vorzubauen, vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 868, Schreiben des Kanzlers an den Rektor vom 25.11.1985. 285 Zahlen des Statistischen Bundesamtes für Universitäten einschließlich Hochschulklinika aus Fachserie 11 Reihe 4.5 (Bildung und Kultur, Finanzen der Hochschulen) sowie aus Wissenschaftsrat (1993a), S. 55. Der Anteil privater Mittel am gesamten Drittmittelaufkommen ging allerdings in den 2000er Jahren, vor allem wegen der zusätzlichen Mittel aus der Exzellenzinitiative, wieder zurück. 286 Vgl. Pabst (2006), S. 678, Freistaat Bayern (o. J.), S. 169. 287 Vgl. Universität Bielefeld (2013), S. 56. 288 Vgl. Schmoch (2003), S. 192. Lediglich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre war aufgrund der wirtschaftlichen Lage ein zeitweiliger Rückgang des aufgewendeten Finanzvolumens zu verzeichnen, vgl. ebd. 289 Vgl. Weingart (2008), S. 188 f. 290 Vgl. Weitkamp (1992), S. 334 f.; Berman (2012).
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in innovative Verfahren und Produkte“ als Voraussetzung für die Konkurrenzfähigkeit des „Wirtschaftsstandortes“ in den Fokus.291 Für die Hochschulen stellten Drittmittel aus der Wirtschaft eine zusätzliche Finanzierungsmöglichkeit dar, deren Erschließung sich Rektoren und Präsidenten seit den 1980er Jahren verstärkt zur Aufgabe machten. Die Zusammenarbeit von Unternehmen mit Wissenschaftlern an den Hochschulen war zwar seit dem Ende des 19. Jahrhunderts üblich. Sie spielte sich aber in der Regel auf der Ebene einzelner Professoren ab, die über Verbindungen in die Wirtschaft verfügten.292 Nun bemühten sich jedoch die Hochschulleitungen zunehmend darum, durch institutionelle Vorkehrungen die Kontakte zur Privatwirtschaft zu stärken. Zudem gewannen andere Formen der Kooperation an Bedeutung, bei denen Unternehmen nicht nur einzelne Forschungsaufträge an bestimmte Wissenschaftler vergaben, sondern mit den Hochschulen umfassendere Abkommen schlossen und sich an der Finanzierung von Instituten beteiligten.293 Seit den 1970er Jahren gingen zunächst in den USA Großunternehmen, vor allem im Bereich der Mikroelektronik und der Biotechnologie, dazu über, Forschungslabors an Universitäten einzurichten. Die Konzerne suchten sich durch ausgewählte Partnerschaften unmittelbaren Zugang zu neuen wissenschaftlichen Entwicklungen zu verschaffen und qualifiziertes Personal zu gewinnen. Die Siemens AG zum Beispiel gründete ein Labor in Princeton und baute „strategische Partnerschaften“ mit einer ganzen Reihe von Hochschulen auf. In den 2000er Jahren richtete das Unternehmen weltweit sogenannte „Centers for Knowledge Interchange“ an Universitäten ein.294 An der TU München, wo bis in die 1980er Jahre hinein das Muster individueller Kontakte vorgeherrscht hatte, bemühte sich erstmals der Präsident Wolfgang Wild darum, stärkere Verbindungen zur Wirtschaft auszubauen, und kritisierte zum Beispiel, dass die Denominationen von Lehrstühlen im Maschinenbau teilweise nicht auf den Bedarf der regionalen Industrie ausgerichtet waren.295 Unter seiner Leitung gründete die Universität mit Mitteln aus der Wirtschaft ein „Zentrum für Fertigungsautomatisierung und Robotertechnologie“ und schloss ein Kooperationsabkommen mit der Siemens AG, die jährlich zwei Millionen D-Mark für „anwendungsträchtige Gebiete der Grundlagenforschung“ zusagte.296 Um ihre Kooperation mit der Wirtschaft zu stärken, richteten die meisten Universitäten seit den 1980er Jahren zudem Stellen für Forschungs- bzw. Technologietransfer ein.297 Gefördert wurde dies von den jeweili291 Bundesregierung (1993), S. 11; vgl. Meteling (2014); Meteling (2016); zur Globalisierungsdebatte s. auch Kap. III.2 und Kap. VI. 292 Vgl. Fraunholz/Schramm (2005b), S. 30; Albrecht (1991). 293 Vgl. Koschatzky/Stahlecker (2015), S. 3 294 Vgl. Weingart (2008), S. 197, 199–209; Pabst (2006), S. 718. 295 Pabst (2006), S. 640. 296 TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.5479, Wolfgang Wild, Hochschulforschung auf dem Weg aus dem Elfenbeinturm, Referat bei dem Seminar „F + E Management“ in Rüschlikon/Zürich, 27.10.1986, S. 4; vgl. auch Pabst (2006), S. 641. 297 Vgl. hierzu und zum Folgenden Meier/Krücken (2011); Allesch et al. (1988); Herrmann (1995), S. 9; Universität zu Köln, Niederschrift über die Sitzung des Senats am 12.6.1985, S. 2 f.; Der Minister für Wissen-
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gen Landesregierungen, die sich davon eine verstärkte Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen versprachen. Die Transferstellen vermittelten auf Anfrage von Unternehmen Kontakte zu Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und hielten innerhalb der Universität nach wirtschaftlich relevanten Forschungsergebnissen Ausschau. Sie begleiteten zudem die Vergabe von Forschungsaufträgen. Auf diese Weise entwickelte sich die Förderung privatwirtschaftlicher Drittmittelforschung verstärkt zur Aufgabe der Universität als Organisation, auch wenn die Kontakte einzelner Professoren und Professorinnen weiterhin eine wichtige Rolle spielten. Es entwickelte sich somit ein potenzielles Konkurrenzverhältnis um Drittmittel aus der Wirtschaft. Dies galt zwar nicht, insofern sich Unternehmen bei der Auswahl ihrer Kooperationspartner am Angebot vor Ort orientierten, doch überwogen die überregional vergebenen Forschungsaufträge in der Regel deutlich. Selbst an einer in besonderem Maße regional orientierten Hochschule wie der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, stammte weniger als die Hälfte der privatwirtschaftlichen Drittmittel von regional ansässigen Unternehmen.298 Die Wirtschaftsstruktur einer Region war für die Hochschulen trotzdem von großer Bedeutung. So profitierte die TU München von der Konzentration verschiedener Industriezweige vor Ort, wie etwa des Automobilbaus, der Luft- und Raumfahrtindustrie sowie der Elektrotechnik.299 In den 1990er Jahren übernahm BMW die Bauherrenfunktion für einen Gebäudekomplex der Fakultät für Maschinenwesen und trug einen Teil der Baukosten, um eine rasche Fertigstellung zu ermöglichen.300 Der Pressesprecher des Unternehmens begründete dies mit den Worten: Das tun wir nicht, weil wir edel, hilfreich und gut, sondern weil wir daran interessiert sind, dass es in München eine der besten Fakultäten für Maschinenwesen gibt. Dort sollen die Studenten ihr Studium absolvieren, die sich demnächst bei einer Firma bewerben, die in München sitzt, nämlich bei uns, bevor sie sich in Stuttgart oder gar in Wolfsburg umschauen.301
Hochschulen in Ostdeutschland hatten hingegen in den 1990er Jahren, wie das Thüringer Wissenschaftsministerium formulierte, unter dem „fast vollständige Fehlen eines funktionierenden industriellen Drittmittel-Umfeldes“ zu leiden.302 schaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1986), S. 6; Günther-Arndt (2000), S. 56; Fraunholz/Schramm (2005b), S. 28–30. 298 Zu diesem Ergebnis führte eine Umfrage unter Professoren, die Mitte der 1980er Jahre durchgeführt wurde, vgl. Allesch et al. (1988), S. 76–79. Es besteht kein Grund anzunehmen, dass sich dieses Verhältnis in Zeiten verbesserter Informationsmöglichkeiten zugunsten regionaler Kooperationen umgekehrt haben könnte. 299 Vgl. Sternberg (1995), S. 231–233; Trischler (2004), S. 142–147. 300 Vgl. Pabst (2006), S. 663; Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 301 Gaul (2002). 302 Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur (1996), S. 29; Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016.
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Während also die Universitäten von der Präsenz wissenschaftsbasierter Industriezweige profitierten, zogen umgekehrt Forschungseinrichtungen auch technologieorientierte Unternehmen an. Eine sichtbare Profilierung einer Universität in bestimmten Forschungsbereichen konnte daher in der Konkurrenz um derartige Kooperationsmöglichkeiten von Vorteil sein. Dies galt insbesondere für die „strategischen Partnerschaften“, die international agierende Großunternehmen wie Siemens mit ausgewählten Universitäten abschlossen. So entschied zum Beispiel der Konzern General Electric im Jahr 2002, sein viertes (und erstes europäisches) Forschungszentrum am Campus der TU München in Garching anzusiedeln. Gründe für die Standortwahl waren dabei unter anderem die Nähe zu den Bio- und Materialwissenschaften der Universität und zu dem in Planung befindlichen neuen Forschungsreaktor.303 Die Universität Bielefeld wiederum konnte im Jahr 2007 in einem ihrer Schwerpunktbereiche, der Forschung zur künstlichen Intelligenz, ein Kooperationsabkommen mit dem japanischen Konzern Honda abschließen, der eine Graduiertenschule finanzierte und Roboter zu Forschungszwecken bereitstellte.304 Neben der Kooperation mit der Wirtschaft begannen Hochschulleitungen seit dem Ende der 1990er Jahre, eigene unternehmerische Aktivitäten zu entfalten, um zusätzliche Einnahmen zu erzielen. Sie orientierten sich dabei am Vorbild der US-amerikanischen Universitäten, die bereits seit den 1970er Jahren – gefördert durch die Politik – verstärkt auf die ökonomische Verwertung wissenschaftlicher Erkenntnisse zielten.305 Ein Feld, auf das deutsche Hochschulleitungen nun ihre Aufmerksamkeit richteten, war die wissenschaftliche Weiterbildung. Diese war zwar bereits mit dem Hochschulrahmengesetz von 1976 als Aufgabe der Hochschulen gesetzlich festgeschrieben und vonseiten der Wissenschaftspolitik im Kontext der Debatte über die Notwendigkeit lebenslangen Lernens immer wieder angemahnt worden.306 Das Engagement der Universitäten in diesem Bereich hielt sich allerdings in engen Grenzen, was auch daran lag, dass es mangels Nachfrage oder wegen der Konkurrenz mit privaten Anbietern schwierig war, kostendeckende Angebote zu etablieren.307 In den Fällen, in denen es den Hochschulen möglich gewesen wäre, Gewinne zu erzielen, sahen sie sich mit rechtlichen Schwierigkeiten konfrontiert.308 Deshalb setzte an manchen Universitäten in den 1990er Jahren die Suche nach geeigneten Organisationsformen 303 Vgl. SZ, 24.10.2002, Ausgabe München-Land-Nord S. R1; SZ, 2.12.2002, S. 42; SZ, 29.6.2004, Ausgabe München-Land-Nord, S. R1; Pabst (2006), S. 718. 304 Vgl. Universität Bielefeld, Das Rektorat, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008. Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S. 5. 305 Vgl. Slaughter/Leslie (1997), Bok (2003), Berman (2012). 306 Vgl. Hochschulrahmengesetz vom 26.1.1976, BGBl. I 1997, S. 185–296, § 2, Abs. 3; Thielen (2009). Mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes wurde die Weiterbildung zur Kernaufgabe der Hochschulen aufgewertet, vgl. Faulstich et al. (2007), S. 92. 307 Rektorat der Universität zu Köln (1996), S. 13; UA Köln, Zugang 694, Nr. 172, Schreiben von Joachim Zielinski, Abteilung 62 Drittmittel und Forschungstransfer, an den Kanzler vom 04.7.1996; FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 51, Vizepräsidentin 3, Präsidiumsvorlage. Weiterbildung, 22.2.2000. 308 Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 39.
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III. Das Wettbeherbsaaradigma
für die Weiterbildung ein.309 Die zuständige Verwaltungsabteilung der Universität zu Köln schlug vor, ein „sich selbst tragende[s] Profitcenter“ aufzubauen, mit dem Ziel auf längere Sicht „nennenswerte Einnahmen zu erzielen“.310 Im Jahr 2001 gründete die Universität ein „Center for Continuous Education“ als gemeinnützige GmbH, die als Muttergesellschaft für weitere GmbHs diente. Gewinne sollten für den Ausbau des Angebotes, aber auch für wissenschaftliche Zwecke der Universität eingesetzt werden können.311 Die Leitung der FU Berlin wiederum entschied sich für die Zusammenarbeit mit einem privaten Unternehmen und gründete im Jahr 2008 zusammen mit der Klett-Gruppe die „Deutsche Universität für Weiterbildung“. Die Hoffnung, auf diese Weise künftig zusätzliche Einnahmen erzielen zu können, erfüllte sich allerdings nicht. Da sich bei weitem nicht genügend Studierende einschrieben, wurden ab 2012 vorerst keine neuen Anmeldungen angenommen und die Einrichtung verkauft.312 Die Weiterbildung entwickelte sich in den 2000er Jahren trotz einzelner Vorstöße nicht zu einem Feld, das für die Hochschulen größere Einnahmen abwarf. In den meisten Fällen lautete das Ziel in erster Linie, alle entstehenden Kosten zu decken.313 Ein weiterer Anstoß zu wirtschaftlicher Tätigkeit der Universitäten entstand dadurch, dass der Bundestag eine Novelle des Arbeitnehmererfindungsgesetzes beschloss, die 2002 in Kraft trat und mit der das sogenannte Hochschullehrerprivileg entfiel.314 Bis dahin hatten Erfindungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an Universitäten nicht als „Diensterfindungen“ gegolten. Das bedeutete, dass es den Erfindern überlassen blieb, ob sie ihre Entdeckungen patentieren ließen, so wie nur ihnen die daraus entstehenden Gewinne zustanden. Da sich mit der Patentierung ein erheblicher finanzieller und zeitlicher Aufwand verband, die Aussichten auf wirtschaftlichen Nutzen aber nicht immer sicher waren, verzichteten Professoren und Professorinnen oft darauf.315 Nach der Gesetzesänderung waren sie jedoch verpflichtet, ihre Erfindungen nach wenigen Monaten, in jedem Fall aber vor Veröffentlichung an ihre Hochschule zu melden. Wenn diese sich zur Verwertung der Entdeckung entschied, gingen alle Rechte auf sie über, die Wissenschaftler erhielten 30 Prozent der Erträge.316 Das Ziel dieser Maßnahme war es, wie in den USA, wo im Jahr 1980 eine ähnliche Regelung erlassen worden war, die Zahl der Patente zu steigern und die Um-
309 Vgl. Faulstich et al. (2007), S. 109. 310 UA Köln, Zugang 694, Nr. 172, Schreiben von Joachim Zielinski, Abteilung 62 Drittmittel und Forschungstransfer, an den Kanzler vom 04.7.1996. 311 Vgl. Rektorat der Universität zu Köln (2002), S. 34 f. 312 FU Berlin, UA, Präsidium, P/Rou 58, Besprechungsergebnisse der Sitzung der Kleinen Routine am 11.1.2001; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 90; o. A. (2013); Byfield/Pellert (2010) 313 Vgl. Faulstich et al. (2007), S. 120, 127. Das Präsidium der HRK beurteilte im Jahr 2008 die Annahme, mit Weiterbildungsangeboten könnten Überschüsse erwirtschaftet werden, als „unrealistisch“ (HRK (2008), S. 5). 314 Vgl. Herrmann (2010). 315 Vgl. Mentges (2004), S. 18. 316 Vgl. Mentges (2004), S. 19, Hülsbeck (2011), S. 23.
6. Die Erschließung neuer Ressourcen: undraising und Wirtschafs onta te
setzung wissenschaftlicher Erkenntnisse in marktfähige Produkte zu stimulieren.317 Die Aufgabe, über die Patentierung von Erfindungen zu entscheiden und diese ökonomisch zu verwerten, kam nun den Hochschulen als ökonomischen Akteuren zu. Manche Bundesländer gründeten daher hochschulübergreifende Patentagenturen, da dies effizienter schien, als die neuen Aufgaben an den Hochschulen selbst anzusiedeln.318 Daneben wurden aber auch an einigen Universitäten entsprechende Verwaltungsstellen geschaffen. Einzelne Hochschulen, wie etwa die TU München und die TU Dresden, hatten schon in den 1990er Jahren Stellen eingerichtet, die dafür zuständig waren, die Anmeldung von Patenten zu fördern.319 Die FU Berlin führte im Jahr 2001 einen internen „Patent- und Lizenzservice“ ein, der nach möglicherweise patentierbaren Erkenntnissen Ausschau halten und die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für die Verwertbarkeit von Forschungsergebnissen sensibilisieren sollte. Zu diesem Zweck wurden Informationsveranstaltungen angeboten und Forschungsmittel als Belohnung für Patentmeldungen verteilt.320 In den ersten zehn Jahren nach dem Ende des Hochschullehrerprivilegs stieg die Zahl der Patentanmeldungen aus den Hochschulen allerdings nur geringfügig, was zudem einem längerfristigen Trend entsprach.321 Die Einnahmen hielten sich ebenfalls in Grenzen. So musste die Berliner Ipal GmbH 2013 ihre Arbeit einstellen, da sie das Startkapital von zehn Millionen Euro aufgebraucht hatte und nach zehn Jahren immer noch keine Gewinne zu verzeichnen waren.322 Auch wenn Wirtschaftskontakte für die Universitäten seit den 1980er Jahren an Bedeutung gewonnen haben und die Hochschulen sich – teils in Konkurrenz zueinander – um zusätzliche Mittel aus der Privatwirtschaft bemühten, kann in Deutschland also von einem „academic capitalism“323 mit unternehmerisch auf Märkten agierenden Universitäten kaum die Rede sein.
317 Vgl. Hülsbeck (2011), S. 23, Ähnliche Regelungen erließen in den 1990er und 2000er Jahren auch eine Reihe anderer Länder, vgl. Meißner/Braun (2004), S. 33. 318 Vgl. FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Beratungsergebnisse der Kleinen Routine am 23.5.2001; Warnecke (2013); Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie NRW (2001). 319 Vgl. TUM-Mitteilungen, no. 5 (1995/1996), S. 17–19; DUZ, no. 18 (1994), S. 28–29. 320 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2007), S. 143 f. 321 Vgl. Roessler (2012); Hülsbeck (2011), S. 47 f. An den Nordrhein-Westfälischen Hochschulen kam es hingegen zu einer deutlichen Steigerung der Patentanmeldungen, ausgehend von einem niedrigen Niveau, vgl. Slopek et al. (2011), S. 58 f. 322 Vgl. Warnecke (2013). 323 Vgl. Slaughter/Leslie (1997).
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IV. „Leistungsindikatoren“: Formalisierung der Konkurrenz
Die Verknappung der staatlichen Grundfinanzierung seit Mitte der 1970er Jahre hatte zusammen mit den neuen Präferenzen der Wissenschaftsministerien für Schwerpunktbildung und wirtschaftlich relevante Wissenschaftszweige zu einer neuen Konkurrenz der Universitäten um ihre Grundfinanzierung geführt. Die Auseinandersetzungen um die knappen Zuwächse der Wissenschaftshaushalte und um Verschonung bei den wiederkehrenden Kürzungsrunden wurden im Modus der politischen Konkurrenz ausgetragen. Die Konkurrenten waren daher nicht gezwungen, sich den Kriterien der Dritten, das heißt der Wissenschaftsministerien, anzupassen. Da die Maßstäbe der Verteilung zu einem gewissen Grad diffus und Gegenstand diskursiver Auseinandersetzungen waren, konnten die Universitäten auch versuchen, diese Verteilungskriterien in ihrem Sinne zu beeinflussen, um sich einen Teil der Prämie zu sichern. Zu internen Umstrukturierungen, die sich als Anpassung an extern gesetzte Leistungskriterien verstehen lassen, kam es nur, wenn sich Hochschulleitungen und Gremien unter besonderem Konkurrenzdruck entschlossen, mit der eingespielten Gleichbehandlung aller Fächer zu brechen und zum Beispiel politisch favorisierte Bereiche der Naturund Ingenieurwissenschaften zu stärken. Dieses Muster der Konkurrenz zwischen Hochschulen war mit der Wiedervereinigung auf Ostdeutschland übertragen worden, wo die Finanzschwäche der Neuen Bundesländer ebenfalls für eine Verknappung der Grundfinanzierung sorgte. In den 1990er Jahren änderte sich grundsätzlich nichts an den knappen Finanzen der Länder, die sich immer wieder zu Kürzungen im Hochschulbereich veranlasst sahen und neue Ausgaben oft durch Einschnitte in den Bestand gegenfinanzierten. Die Zahl der Professuren an Universitäten und anderen promotionsberechtigten Hochschulen stieg zwischen 1992 und 1995 zwar von 23 941 auf 24 955 an, ging dann aber bis zum Jahr 2005 auf 23 475 zurück.1 Der Modus der politischen Konkurrenz wurde nun allerdings teilweise durch einen anderen verdrängt, der darauf angelegt war, die Universitäten zur
1 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 1.2.
1. Die Quantifnierung hissenschaflicher „Leistungenn
Anpassung an die politisch gesetzten Leistungskriterien zu zwingen. Indem die Wissenschaftsministerien der Bundesländer die Leistungskriterien längerfristig festlegten und vor allem quantifizierten, formalisierten sie die interuniversitäre Konkurrenz. Der Diskurs über die Spielregeln des Wettbewerbs wurde damit stillgelegt. Voraussetzung dafür war, dass wissenschaftliche Erfolge und die Funktionen von Hochschulen für die Gesellschaft als messbare Leistungen begriffen und praktisch umsetzbare Methoden zur Ermittlung dieser Leistungen entwickelt wurden (Abschnitt 1). Seit 1993 führten die Regierungen der Bundesländer Verfahren der „leistungsorientierten Mittelverteilung“ („LOM“) ein, bei denen ein Teil der Grundfinanzierung als Prämie nach quantitativen Systemen vergeben wurde. Es zeigt sich dabei allerdings, dass die Messung von Leistungen eine Fiktion darstellte. Vielmehr verlagerte sich die politische Konkurrenz nur auf eine andere Ebene in Form von Debatten über die Ausgestaltung der Verteilungsmodelle (2). Parallel dazu, aber nur teilweise als Reaktion auf diese Verfahren, entstand auch innerhalb der Universitäten eine formalisierte Konkurrenz um finanzielle Ressourcen. Diese Veränderungen konnten sich in den akademischen Gremien auch deshalb durchsetzen, weil sie von einem Teil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler als Möglichkeit gesehen wurden, mehr Transparenz und Objektivität in die Mittelverteilung zu bringen und zeitaufwändige Verhandlungen zu beseitigen (3). Quantitative Indikatoren überformten zudem wissenschaftsinterne Prozesse der Leistungsbewertung. Zusammen mit den erwähnten Verteilungsmodellen führte dies zu einer Intensivierung der Konkurrenz um Drittmittel und Publikationsmöglichkeiten (4). Die Evaluation wissenschaftlicher Einrichtungen durch Fachkollegen in der Rolle externer Experten, die sich in den 1990er Jahren auf breiter Ebene durchsetzte, trug ebenfalls zur Verschärfung von Konkurrenz bei und schuf neue Machtverhältnisse innerhalb der scientific community. Sie kann kaum als Gegentendenz zur Formalisierung von Konkurrenzverhältnissen gewertet werden, da auch hier quantitative Gesichtspunkte eine wichtige Rolle spielten (5). 1. Die Quantifizierung wissenschaftlicher „Leistungen“ Quantitative Steuerungsverfahren stellten weder im Verhältnis zwischen Staat und Hochschulen noch innerhalb der einzelnen Einrichtungen eine Neuheit dar. Bereits der Hochschulausbau der 1960er und 1970er Jahre wäre ohne die entsprechenden planerischen Verfahren kaum denkbar gewesen. Wissenschaftsministerien und Wissenschaftsrat stellten, basierend auf einer begrenzten Anzahl an quantifizierten Faktoren, Prognosen über die künftige Entwicklung der Studierendenzahlen an. Als Mittel zur Verwaltung der „Überlast“ seit dem Abbruch der Hochschulexpansion wiederum diente die Kapazitätsrechnung. Fächerspezifische „Curricularnormwerte“, also Angaben zum Ausbildungsaufwand, erlaubten es, ausgehend von vorhandenen Personalstellen die Zahl der Studienplätze in einem Fach zu berechnen. Neu war an der Verwendung von Indikatoren also nicht die quantitative Erfassung des Hochschulsystems, sondern
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IV. „Leistungsindi atorenn: ormalisierung der Kon urrenn
das mit ihnen verbundene Ziel, „Leistungen“, „Qualität“ oder „Effizienz“ messbar und damit vermeintlich vergleichbar zu machen. Ein gesteigertes Interesse an dieser Art von Quantifizierung und eine breitere Diskussion über mögliche Verfahren setzte erst in den 1970er Jahren ein. Ansätze zur quantifizierenden Beschreibung der Wissenschaft waren in der Nachkriegszeit zunächst im Kontext der Wissenschaftssoziologie entwickelt worden. Einflussreich war dabei vor allem Derek J. de Solla Price, der versuchte, die Expansion des Wissenschaftssystems seit der Frühen Neuzeit statistisch zu erfassen.2 Die Wissenschaftssoziologie griff für ihre Forschungszwecke auch auf die Methode der Zitationsanalyse zurück. Diese war in den 1950er Jahren maßgeblich von Eugene Garfield entwickelt worden, zunächst allerdings mit dem Ziel, die Kategorisierung von Fachliteratur und damit die Literaturrecherche zu verbessern. Die Analyse von Zitationszusammenhängen sollte dazu dienen, einzelne Publikationen bestimmten Fachgebieten zuzuordnen. Dies war mit geringerem Aufwand verbunden als das bis dahin übliche Verfahren, das die Expertise von fachwissenschaftlichem Personal erforderte. Ansätze in diese Richtung hatte es zwar bereits früher gegeben, doch erleichterte nun der Einsatz von Computern die massenweise Erfassung von Veröffentlichungen.3 Bald nutzten Wissenschaftssoziologie und STS (Science and Technology Studies) dieses Verfahren auch dazu, die Reichweite von einzelnen Publikationen, Wissenschaftlern und Arbeitsgruppen abzuschätzen und die Entwicklung von Forschungsfeldern nachzuvollziehen.4 Daneben unternahm die OECD seit den 1960er Jahren Anläufe dazu, die statistische Erfassung der Wissenschaft zu verbessern und geeignete Kennzahlen – „science indicators“ – zu entwickeln, um politische Entscheidungen mit Informationen zu unterfüttern.5 Dabei ging es allerdings noch nicht um ein Instrumentarium zur Begrenzung der staatlichen Ausgaben. Denn das Ende der Hochschulexpansion war in den OECD-Staaten zu dieser Zeit noch nicht in Sicht.6 Auf nationaler Ebene vollzog sich in den USA eine ähnliche Entwicklung: Präsident Nixon forderte im Jahr 1970 die National Science Foundation auf, einen Bericht zum Entwicklungsstand des Wissenschaftssystems vorzulegen. Das Resultat waren die ab 1973 im Zweijahresrhythmus erscheinenden statistischen Berichte mit dem Titel „Science Indicators“, die der Diskussion über Kennzahlen im Wissenschaftsbereich einen Aufmerksamkeitsschub verschaffte.7 Der Kontext der Debatte über Indikatoren veränderte sich allerdings im Lauf der 1970er und 1980er Jahre, als eine Reihe von Ländern den Ausbau des Wissenschaftssystems zurückzufuhr und nach Möglichkeiten suchte, dessen Effizienz zu erhöhen. 2 3 4 5 6 7
Vgl. Price (1963). Vgl. Cameron (2005), S. 105–107. Vgl. Taubert (2013), S. 4 f. Vgl. hierzu und zum Folgenden Godin (2001). Vgl. Godin (2000), S. 15–18. Vgl. z. B. die Beiträge zu einer 1974 aus diesem Anlass veranstalteten Tagung in Elkana et al. (1978).
1. Die Quantifnierung hissenschaflicher „Leistungenn
Mit Indikatoren verband sich nun die Erwartung, die Leistungen bzw. die Effizienz des Mitteleinsatzes wissenschaftlicher Einrichtungen messen und auf diese Weise in die staatliche Finanzierung einbeziehen zu können.8 Besonders energisch verfolgte die Thatcher-Regierung in Großbritannien mit ihrem Slogan „value for money“ diesen Ansatz.9 Das gesteigerte politische Interesse verhalf wiederum der sozialwissenschaftlichen Forschung auf diesem Feld zu einem Aufschwung. Diese Entwicklung lässt sich an den Veröffentlichungen zur Messung wissenschaftlicher „Leistungen“ nachvollziehen: Während bis in die frühe Nachkriegszeit kaum Publikationen erschienen, die sich mit dieser Thematik befassten, sahen die 1950er und 1960er vor dem Hintergrund der sich entwickelnden quantitativen Wissenschaftssoziologie ein aufkeimendes Interesse. In den 1970er Jahren stieg die Zahl der Arbeiten zu „Leistungsindikatoren“ dann sprunghaft an, eine Entwicklung, die sich auch im folgenden Jahrzehnt fortsetzte.10 Das private Institute for Scientific Information (ISI), gegründet 1960 von Eugene Garfield, das als einzige Einrichtung die für breit angelegte Zitationsanalysen notwendigen Datenbanken erstellte, reagierte auf das wachsende wissenschaftspolitische Interesse. Es begann, seine Zitationsindizes als Instrumente für die Wissenschaftsevaluation zu vermarkten, dies besonders offensiv seit der Übernahme durch die Thomson-Verlagsgruppe im Jahr 1992. Das ISI entwickelte speziell auf solche Interessen zugeschnittene Angebote wie „ISI Highly Cited Com“, das die Identifikation besonders häufig zitierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ermöglichen sollte.11 Auch am Inhalt der Veröffentlichungen zu Wissenschaftsindikatoren lässt sich der Wandel hin zu einem Interesse an quantifizierbaren Informationen für Steuerungszwecke feststellen. So erschien zum Beispiel 1976 eine Pionierarbeit von Francis Narin mit dem Titel „Evaluative Bibliometrics“, in der er den Versuch unternahm, die Bibliometrie, also die statistische Erfassung von Publikationen und Zitaten, zur Leistungsmessung weiterzuentwickeln.12 Das Programm „Institutional Management in Higher Education“ (IMHE) der OECD, eine wichtige Plattform für die internationale Diskussion über Kennzahlen in der Wissenschaft, veränderte in Reaktion auf das neue Interesse mancher Länder ebenfalls seinen Fokus, weg vom hochschulinternen Management hin zur externen Rechenschaftslegung.13 8 Vgl. Hornbostel (1997), S. 182. 9 Vgl. Cave et al. (1991), S. 18, 40. 10 Vgl. Daniel/Fisch (1986), S. XIV. Die Autoren zählten für die 1950er und 1960er Jahre 129 einschlägige Publikationen, für die 1970er 318, für die Zeit von 1980 bis 1985 204; vgl. auch Hornbostel (2008), S. 72; Kells (1993), S. 6. 11 Vgl. Cameron (2005), S. 113–115; Taubert (2013), S. 5 f.; Weingart (2005), S. 119 f.; Gläser/Laudel (2007), S. 105 f. Diese Autoren verweisen auf die problematischen Konsequenzen dieser Entwicklung: Das ISI legte durch seine Vermarktungsstrategien nahe, dass solche Methoden auch von ‚Laien‘ zur Bewertung wissenschaftlicher „Leistungen“ eingesetzt werden könnten und keiner weiteren Interpretation bedürften. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich mit Zitationsanalysen beschäftigten und Verzerrungen durch die Erhebungsverfahren sowie Unzulänglichkeiten der Datensätze hätten erkennen können, wurden dadurch an den Rand gedrängt. 12 Vgl. Van Raan (2005), S. 23. 13 Vgl. Goedegebuure et al. (1990), S. 21.
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Eine der ersten Studien in der Bundesrepublik, die sich mit der Messung wissenschaftlicher „Leistungen“ auseinandersetzte, gab das BMBW Mitte der 1970er Jahre in Auftrag.14 Ihre Autoren beschäftigten sich mit der Tauglichkeit von Publikations- und Zitationszahlen zur Messung der „Forschungsleistungen“ sowohl von einzelnen Wissenschaftlern und Forschergruppen als auch von ganzen Universitäten und kamen zu dem Schluss, diese Indikatoren seien geeignet, um „Unterschiede in den Forschungsleistungen zu erfassen und abzubilden“.15 Diese Arbeit hatte allerdings noch keine unmittelbaren politischen Folgen.16 Erst unter der christlich-liberalen Regierung förderte das BMFT eine Reihe weiterer Arbeiten in diese Richtung. Der Bundesforschungsbericht von 1988 zeigte, worauf sich das Interesse der Bundesregierung richtete: Im Vergleich mit den „in der Vergangenheit“ vor allem genutzten „Aufwandsindikatoren“ sei „die Datenlage bei den Ergebnisindikatoren für Forschung und Entwicklung noch sehr viel weniger entwickelt“.17 In den frühen 1990er Jahren finanzierte das BMBW ein Forschungsprojekt mit dem Titel „Vergleichende Bewertung von Leistungen der Hochschulen“, das sich mit der Entwicklung von Indikatoren für die Hochschullehre und mit der Tauglichkeit von Drittmittelzahlen zur Leistungsmessung befasste. In seinem Vorwort zur Veröffentlichung zog Minister Rainer Ortleb den Schluss, dass der Vergleich von Leistungen der Fachbereiche „auf rationaler Grundlage möglich ist“, und folgerte: „Diese Transparenz von Leistungsprofilen auf der Grundlage objektiver Kriterien bleibt aus meiner Sicht eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß Hochschulen in einen fruchtbaren Wettbewerb untereinander treten können.“18 Die Debatte um Leistungsindikatoren entwickelte sich also in der Bundesrepublik wie in anderen Ländern vor dem Hintergrund politischer Bemühungen um eine Haushaltskonsolidierung über Ausgabenbegrenzung, mithin in einem Kontext, in der die Wissenschaftseinrichtungen verstärkt einer potenziellen Konkurrenzsituation ausgesetzt waren. Das Wettbewerbsparadigma bot sich in dieser Lage als Lösung an, da es eine erhöhte Effizienz der staatlichen Mittel versprach. Leistungsindikatoren erschienen in dieser Perspektive als probates Instrument, um die Konkurrenz zwischen den Universitäten zu forcieren.19 Denn die quantitative Erfassung erlaubte es, die vielfältige Praxis in Forschung und Lehre über alle Fächer hinweg durch Abstraktion gewissermaßen auf einen Nenner zu bringen und so vergleichbar zu machen. Dies wiederum war die Voraussetzung dafür, Wissenschaftler aus verschiedenen Disziplinen und ganze Hochschulen in Konkurrenz zueinander zu versetzen.20 14 Vgl. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1975). 15 Spiegel-Rösing et al. (1975), S. iii. 16 Vgl. Weingart (1995), S. 73. 17 Der Bundesminister für Forschung und Technologie (1988), S. 47. 18 Block et al. (1992), S. 1. 19 So schlug z. B. die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft Dorothee Wilms 1983 vor, die Finanzierung der Hochschulen an Leistungskriterien zu binden und auf diese Weise einen Wettbewerb zu erzeugen, vgl. Wilms (1983). 20 Zum Zusammenhang von Quantifizierung, Vergleich und Konkurrenz vgl. Heintz (2010); Mau (2017), S. 49–69.
1. Die Quantifnierung hissenschaflicher „Leistungenn
Diese Verknüpfung von Leistungsmessung und Konkurrenz erklärt, warum ein guter Teil der Hochschulrektoren und -präsidenten der Indikatoren-Diskussion gegenüber zunächst wenig aufgeschlossen war. Die WRK beteiligte sich zwar Mitte der 1980er Jahre an einem Projekt des IMHE-Programms der OECD zur Entwicklung von Kennzahlen, und eine ihrer Kommissionen beschäftigte sich unter Leitung des Betriebswirtschaftlers Karl Alewell intensiv mit Möglichkeiten der Leistungsmessung. Im Plenum der Rektorenkonferenz konnte sich allerdings nur eine sehr zurückhaltende Empfehlung durchsetzen.21 Eine stärkere Außendarstellung der Leistungen durch die Hochschulen sei zwar wünschenswert, so der beschlossene Text, eine Quantifizierung aber nur „ausnahmsweise möglich und sinnvoll“. Kennzahlen sollten nur eingebettet in eine qualitative Bewertung, die sogenannte „Evaluation“, Verwendung finden.22 Die Zusammenfassung von Einzelindikatoren zu einem Gesamturteil und die Bewertung ganzer Hochschulen, wie sie manche Veröffentlichungen zur Leistungsmessung im Sinne eines Hochschul-Rankings vornahmen,23 stellte die WRK-Empfehlung als problematisch da. Sie bevorzugte eine Bewertung nach einer Mehrzahl von Faktoren. Der Umverteilung von Mitteln zwischen Hochschulen auf der Basis angeblicher Leistungsunterschiede war damit erst einmal eine Absage erteilt.24 Diese Haltung verhinderte aber nicht, dass die Debatte über Leistungsindikatoren in der Bundesrepublik weiter voranschritt und schließlich zu genau der Anwendung führte, die viele Hochschulvertreter befürchtet hatten. Seit den 1970er Jahren bildete sich in enger Anlehnung an die internationalen Debatten eine Reihe von möglichen Kennzahlen heraus, aus der sich die Wissenschaftspolitik und „Hochschulmanager“ ab den 1990er Jahren – wenn auch in selektiver Weise – bedienten. Die Autoren der bereits erwähnten Arbeit „Beiträge zur Messung von Forschungsleistungen“ erprobten Publikationszahlen und Zitationen (basierend auf den Daten des ISI) als Indikatoren.25 Eine andere, 1979 ebenfalls vom BMBW in Auftrag gegebene Studie schlug vor, „Vollzeitstudienäquivalente in der Regelstudienzeit als Indikator zu verwenden und daran Mittel und Personal der Hochschulen zu bemessen.26 Eine Arbeit, die im 21 Ein Teil der Rektoren war offensichtlich nicht von der Möglichkeit einer „Leistungsmessung“ überzeugt und warnte vor einer „ungerechtfertigten“ Umverteilung von Ressourcen auf Basis von Fehlurteilen. Möglicherweise spielte auch die Furcht vor einer solchen Form von Konkurrenz eine Rolle. Manche Rektoren schlossen sich allerdings der Einschätzung des ebenfalls anwesenden Vorsitzenden des Wissenschaftsrates Heinz Heckhausen an, der die Empfehlung als zu „defensiv-kritisch“ bezeichnete. Vgl. Bibliothek der HRK, Protokoll des 149. Plenums der WRK am 1.7.1986 in Bonn/Bad Godesberg, S. 12. 22 Vgl. hierzu und zum Folgenden WRK (o. J. b), 42 f., Zitat auf S. 42. Das Projekt „Profilbildung“, das die Rektorenkonferenz unter Beteiligung mehrerer Universitäten und Fachhochschulen Anfang der 1990er Jahre durchführte zielte auf eine Erstellung von Selbstberichten der Hochschulen ab, die quantitative mit qualitativen Aspekten verbanden, vgl. HRK (1993). 23 S. u. Kap. V.1. 24 Auch als der Senat der HRK im Januar 1995 in Vorbereitung einer Empfehlung über Leistungsindikatoren beriet, zeigte sich bei manchen Mitglieder eine deutliche Skepsis gegenüber einer auf Kennzahlen basierten Mittelverteilung. Vgl. Protokoll des 74. Senats der HRK am 24.1.1995 in Bonn, S. 10 f. 25 Vgl. Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1975). 26 Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft (1980), S. 133.
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Rahmen des Forschungsschwerpunkts „Ökonomische Theorie der Hochschule“ an der FU Berlin entstanden war, zählte 1984 im Anschluss an die internationale Debatte eine Reihe von möglichen Indikatoren auf, darunter Publikationen, Zitationsanalysen, Studierendenzahlen, Absolventen, wissenschaftliches Personal, Studienanfänger, ausländische Studierende, Stipendiaten, Promotionen, Habilitationen und Drittmittel.27 Damit waren bereits alle Indikatoren genannt, die seit den 1990er Jahren im Rahmen der „leistungsorientierten Mittelverteilung“ breite Anwendung fanden. Die Aufzählung der Berliner Wirtschaftswissenschaftler erschöpfte sich zwar nicht darin, doch wurden die übrigen Indikatoren entweder von der anwendungsorientierten Forschung nicht weiterverfolgt oder zumindest von der Wissenschaftspolitik nicht aufgegriffen. Die weitere Debatte drehte sich vor allem um die Tauglichkeit und genaue Festlegung der Messgrößen, die bereits zu Beginn der 1980er erwogen worden waren.28 Der Kanon an Indikatoren, der sich im Lauf der 1980er Jahre formierte, zeigte eine auffällige Schieflage, insofern Kennzahlen fehlten, die auf die Qualität der Lehre zielten und nicht nur, wie zum Beispiel die Studierendenzahlen, den Ausbildungsaufwand abbildeten. Dies lag wohl vor allem daran, dass in der Bundesrepublik bis in die 1990er Jahre in der Lehre keine Evaluationen stattfanden, die als Basis für eine quantitative Auswertung hätten dienen können. Auch der Umstand, dass die Indikatordiskussion aus der Wissenschaftssoziologie stammte, die sich in erster Linie mit der Forschung beschäftigte, mag zu diesem Ungleichgewicht beigetragen haben. Für die Erfassung von Forschungsleistungen wiederum sprachen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich an der Debatte beteiligten, den Indikatoren die größte Plausibilität zu, die auf Publikationen oder Drittmitteln beruhten. Sie begründeten dies damit, dass diese Kennzahlen an wissenschaftsinterne Bewertungsprozesse anknüpften. Diese Indikatoren basierten auf den Urteilen von Fachkollegen, die sich in der Aufnahme von Aufsätzen in Zeitschriften und Sammelbände, in der Zitation von Arbeiten und in der Bewilligung von Forschungsanträgen ausdrückten. Doch vor allem gegen den Indikator Drittmittel wurden Einwände laut. Die Soziologen, die für das vom Bundeswissenschaftsministerium finanzierte Forschungsprojekt „Vergleichende Bewertungen der Leistungen von Hochschulen“ verantwortlich zeichneten, mahnten zur Vorsicht: In den Naturwissenschaften führe die Anwendung des Indikators zu Ergebnissen, die von „Sachverständigen“ als „weitgehend vollständig und aussagekräftig“ bewertet würden, bei den Ingenieurwissenschaften müssten zusätzlich Drittmittel aus verschiedenen Quellen berücksichtigt werden. In den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften komme Drittmitteln als Indikator hingegen „eine geringere Aussagekraft“ zu, da Forschung in diesen Fächern auch ohne zusätzliche Mittel möglich sei. Die Geistes- und Kulturwissenschaften, in denen Drittmittelforschung am wenigsten verbreitet war, wurden in der Studie nicht einmal behandelt. Verzerrungen entstünden zudem dadurch, dass bei guter Grundfinanzierung 27 Vgl. Hüfner et al. (1984). 28 Vgl. z. B. Block et al. (1992).
2. „Leistungsorientierte Mittelverteilungn
ein geringerer Bedarf an Drittmitteln bestehe, sowie dadurch, dass es unterschiedlich teure Spezialgebiete gebe. Daher müssten die Ergebnisse stets von Sachverständigen interpretiert werden.29 Die Ausführungen der Soziologen verweisen darauf, dass die Quantifizierung sozialer Sachverhalte zu weitgehenden Abstraktionen zwingt, die jedoch hinter der vermeintlichen Objektivität der produzierten Zahlen verschwindet.30 An dieser Stelle trennten sich allerdings die Wege von Wissenschaftspolitik und akademischer Wissenschaftsforschung. Drittmittelzahlen etablierten sich, wie im Folgenden zu sehen sein wird, in den 1990er und frühen 2000er Jahren als dominanter, bisweilen sogar einziger Indikator, der die „Forschungsleistungen“ der Universitäten in den Mittelverteilungsmodellen der deutschen Bundesländer abbilden sollte – über alle Fächer hinweg, gewichtet lediglich nach zwei oder drei Fächergruppen und ohne Einschätzung ihrer Aussagekraft durch Experten. Die Entschlossenheit der wissenschaftspolitischen Entscheidungsträger, schnell einen Leistungswettbewerb zwischen den Universitäten auszulösen, überwog die begründeten Bedenken. 2. „Leistungsorientierte Mittelverteilung“ Nachdem in der Wissenschaftspolitik bereits seit den späten 1970er Jahren über die leistungsbezogene Verteilung von Ressourcen auf die Universitäten diskutiert worden war, begannen in den 1990er Jahren die ersten Bundesländer damit, derartige Verfahren anzuwenden. Durch die längerfristige Festlegung und Quantifizierung der Leistungskriterien formalisierte sich der Wettbewerb um die Grundfinanzierung. Dabei blieben allerdings Momente der politischen Konkurrenz in Kraft, unter anderem weil Vertreter der einzelnen Universitäten versuchten, die Ausgestaltung der Verteilungsmodelle in ihrem Sinne zu beeinflussen. Als erstes deutsches Bundesland setzte das SPD-regierte Nordrhein-Westfalen seit 1992 Indikatoren zur Bemessung der universitären Grundfinanzierung ein.31 Andere Ländern stellten seit Mitte der 1990er Jahre Überlegungen an, einen Teil der Mittel nur noch leistungsbezogen an die Hochschulen zu vergeben.32 Bisweilen standen diese Pläne im Zusammenhang mit der Flexibilisierung der Hochschulhaushalte.33 Weil sich durch die Reduktion der Haushaltstitel die herkömmlichen Haushaltsverhandlungen, bei denen über einzelne Ausgabenposten verhandelt wurde, zum Teil erübrigten, gab 29 Vgl. Block et al. (1992), S. 9–11 30 Vgl. Heintz (2010); Mau (2017), S. 60 f. 31 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 21b, Protokoll der Dienstbesprechung mit den Rektoren und Kanzlern der wissenschaftlichen Hochschulen im Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen am 27.11.1992, S. 3; Universität Bielefeld (1996), S. 44, 140 f. 32 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 16, 36. In Niedersachsen entwickelte das Wissenschaftsministerium zusammen mit dem Beirat zur Begleitung des Modellversuchs Globalhaushalte ein Verteilungsmodell, vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 12. Sitzung des 13. Senats am 8.7.1998, S. 6. Für Baden-Württemberg vgl. Hödl/Zegelin (1999), S. 176–178. 33 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 4; Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017.
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die Haushaltsflexibilisierung Anlass, neue Verfahren der Mittelverteilung zu erwägen. Nachdem die detaillierte Zweckbindung der staatlichen Mittel weggefallen war, konnten die Länder nun den Hochschulen die Aufgabe überlassen, Kürzungen umzusetzen, die sich aus leistungsbezogenen Verteilungsmodellen ergaben. Die Haushaltsflexibilisierung war allerdings keine Voraussetzung für den Einstieg in eine indikatorbasierte Mittelverteilung, denn diese setzte oft zuerst bei den laufenden Mitteln für Forschung und Lehre an, also bei einer Titelgruppe, die Ausgaben für verschiedenste Zwecke umfasste und über deren Verteilung auf Fakultäten, Institute und Professuren innerhalb der Hochschulen entschieden wurde.34 Die meisten Länder führten spätestens in den frühen 2000er Jahren indikatorbasierte Verteilungsmodelle ein.35 In der Regel wurde ein prozentual festgelegter Anteil der Hochschulhaushalte oder einzelner Ausgabetitel nach einer komplexen Formel, in die eine Reihe von „Leistungsparametern“ einging, auf die Hochschulen verteilt. Da die Höhe der Hochschulhaushalte vorab festgelegt war, ergab sich aus diesem Verfahren ein Nullsummenspiel: Um einen größeren Anteil an der Verteilungsmasse zu erhalten als im Vorjahr, musste eine Universität ihre Leistungen stärker steigern als ihre Konkurrentinnen. Die Gewinne der einen waren dabei zugleich die Verluste der anderen. Durch die indikatorbasierten Verteilungsmodelle schufen die Länder somit neue interuniversitäre Konkurrenzverhältnisse. Anders als bei der Entstehung der politischen Konkurrenz um die Grundfinanzierung nach dem Abbruch des Hochschulausbaus war es nun erklärtes Ziel der Länder, einen Wettbewerb zwischen den Hochschulen zu entfachen, um auf diese Weise eine durch Konkurrenzdruck getriebene Leistungsspirale in Gang zu setzen.36 Dies mag erklären, wieso kaum ein Land – 2003 waren es nur Rheinland-Pfalz und Hessen – als Alternative zu derartigen konkurrenzbasierten „Verteilungsmodellen“ ein „Preismodell“ einsetzte, das heißt ein Finanzierungsverfahren, das bestimmte Leistungen, etwa einen erfolgreichen Studienabschluss, mit einem festgelegten Betrag vergütete.37 Verteilungsmodelle hatten den zusätzlichen Vorteil, dass sie dem Land keine finanziellen Verpflichtungen auferlegten, da der zu verteilende Betrag unabhängig von den Leistungssteigerungen bei den Hochschulen festgelegt werden konnte und sich nicht wie bei einem Preismodell nach der Summe der erbrachten Leistungen richtete. Mit der Wahl von Verteilungsmodellen offenbarten
34 Vgl. z. B. für Bayern Leszczensky/Orr (2004), S. 16; Schöck (2009), S. 511. Auch in Nordrhein-Westfalen wurde zunächst nur ein Teil der Mittel für Forschung und Lehre nach Indikatoren verteilt. 35 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 45. 36 Vgl. z. B. Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen vertreten durch den Ministerpräsidenten, den Minister für Wissenschaft und Kultur und den Finanzminister und den niedersächsischen Hochschulen vertreten durch die Präsidentinnen und Präsidenten, Hannover, 11.10.2005, S. 2.; Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2002), S. 4. In NRW, so der Kanzler der Universität zu Köln, habe das Ministerium die Einführung einer indikatorbasierten Mittelverteilung mit Bezug auf Schlagworte wie „Wettbewerb“ und „Leistungsanreize“ begründet; UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Der Kanzler, Neue Parameter zur Verteilung der Mittel für Lehre und Forschung, 8.11.1993, S. 1. 37 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 9, 73.
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die Länder somit aber auch, dass es ihnen vor allem um eine Anreizwirkung und nicht in erster Linie um eine kostendeckende Aufgabenfinanzierung ging.38 Obwohl sich die eingesetzten Modelle in den Details der komplexen Berechnungsmethoden unterschieden, griffen sie doch alle auf die überschaubare Gruppe an Indikatoren zurück, die sich in der Diskussion über die Messung wissenschaftlicher Leistungen in den vorherigen Jahrzehnten herausgebildet hatte. Der größere Teil der Mittel wurde meistens nach der Zahl der Studierenden in der Regelstudienzeit und der Zahl der erfolgreichen Abschlüsse vergeben, die als Indikatoren für die Leistungen in der Lehre galten. Wenn Studierendenzahlen in die Modelle eingingen, war des Öfteren auch von „leistungs- und belastungsorientierter“ Mittelverteilung die Rede, um deutlich zu machen, dass die zu bewältigende ‚Lehrbelastung‘ berücksichtigt werde.39 Als wichtigster Indikator für Forschungsleistungen diente in fast allen Bundesländern die Summe der Drittmittel, wobei manchmal nur die Drittmittel gezählt wurden, die Antragsverfahren mit fachlicher Begutachtung durchlaufen hatten. Um starken Umverteilungswirkungen durch das deutlich höhere Drittmittelaufkommen in manchen Fächern entgegenzuwirken, waren in die Formeln meistens unterschiedliche Gewichtungsfaktoren für die in zwei oder drei Fächergruppen zusammengefassten Disziplinen eingebaut. Daneben diente auch die Zahl der Promotionen und Habilitationen der Erfassung der Forschungsleistungen. Manche Länder nutzten die indikatorbasierten Verteilungsmodelle zudem, um die Hochschulen zur Umsetzung weiterer hochschulpolitischer Ziele zu bewegen, die im Diskurs über die Messung wissenschaftlicher Leistungen keine oder allenfalls eine periphere Rolle gespielt hatten. Durch die Erfassung des Frauenanteils bei Stellenbesetzungen, Habilitationen, Promotionen und Studienabschlüssen sollten Anreize zur Verbesserung der Chancengleichheit gesetzt werden. Die Internationalisierung der Universitäten, seit dem Ende der 1990er ein vieldiskutiertes Thema der Hochschulpolitik,40 wurde über den Anteil ausländischer Studierender und die Zahl von Stipendiaten und Preisträgern der Alexander von Humboldt-Stiftung einbezogen. Diese beiden Dimensionen hatten aber nur eine geringe Auswirkung auf die Mittelverteilung. Obwohl die Kennzahlen, die zur Erfassung der Leistungen in Forschung und Lehre genutzt wurden, größtenteils bereits seit den 1970er Jahren als mögliche Indikatoren und Bemessungsgrößen für die staatliche Hochschulfinanzierung diskutiert worden waren, zeigen sich auffällige Diskrepanzen zwischen der wissenschaftlichen Debatte über Leistungsmessung und der politischen Umsetzung in den Verteilungsmodellen. So nutzte kaum ein Bundesland Publikations- oder Zitationszahlen als Kriterium, ob38 Für die Priorität der Anreizwirkung vgl. z. B.: Vertrag gemäß Artikel II des Haushaltsstrukturgesetzes 1997 in der Fassung des Art. III § 2 des Haushaltsentlastungsgesetzes 2002 zwischen dem Land Berlin, vertreten durch den Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur und der Freien Universität Berlin, vertreten durch den Präsidenten, Berlin 16.3.2005, § 3 Abs. 1. 39 Vgl. z. B. Bayerisches Hochschulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.10.1998, in: Bay. GVBl. 1998, S. 740–795, Art. 7 Abs. 1; TU München (2000a), S. 91. 40 S. u. Kap. VI. und Kap. VII.1.
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wohl diese zu den meistdiskutierten Indikatoren gehörten. Ausschlaggebend dürfte der vergleichsweise hohe Aufwand gewesen sein, den dies erfordert hätte. Die Erhebung von Drittmittelzahlen war relativ einfach, da diese Gelder zu der Zeit, als die meisten Länder ihre indikatorbasierten Mittelverteilungsmodelle einführten, in aller Regel über die Hochschulverwaltung abgewickelt und in die Hochschulhaushalte eingestellt wurden. Publikationszahlen hingegen hätten durch neue Verfahren erfasst werden müssen. Zitationsanalysen wiederum, mit denen der Anspruch einer qualitativen Bewertung von Veröffentlichungen verknüpft wurde, hätten sich auf die Daten des ISI stützen müssen.41 Diese wiesen allerdings große Lücken in einigen Fächergruppen und bei der Erfassung nicht-englischsprachiger Literatur auf.42 Nur eines der bis 2003 eingeführten Finanzierungsmodelle bezog daher Publikationszahlen ein, Zitationsanalysen spielten nirgendwo eine Rolle.43 Dagegen war die Erhebung anderer benutzter Indikatoren wie der Studierenden- und Absolventenzahlen sowie der Promotionen und Habilitationen leicht zu bewerkstelligen, da ihnen Vorgänge in der Verwaltung entsprachen. Besonders die Indikatoren für die Lehre ließen aber kaum Rückschlüsse auf die Qualität der Ausbildung zu, anders als vielleicht der Arbeitsmarkterfolg der Absolventen, der allerdings schwer zu erfassen war und den die Universitäten nur selten in Verbleibstudien dokumentierten.44 Der Gesichtspunkt praktischer Umsetzbarkeit bestimmte daher in hohem Maße, welche Leistungskriterien in dieser neuen Konkurrenz um die Grundfinanzierung angelegt wurden. Die Kennzahlen mussten ohne großen zusätzlichen Aufwand messbar und auf alle Fächer gleichermaßen anwendbar sein, da nur so ein Vergleich zwischen Hochschulen möglich war.45 Dass gerade Drittmittelsummen in allen Verteilungsmodellen als wichtigster Indikator für die Forschungsleistung fungierten, zeigt, wie sehr die Praktikabilität über den Anspruch einer Erfassung wissenschaftlicher Leistungen dominierte und wie sich die Praxis der Hochschulfinanzierung von einschlägigen wissenschaftlichen Diskursen entkoppelte. Die Form der Konkurrenz, die durch indikatorbasierte Verteilungsmodelle geschaffen wurde, unterschied sich in markanter Weise von der Konkurrenz um die Grundfinanzierung, wie sie sich seit den späten 1970er Jahren herausgebildet hatte. Jene Auseinandersetzungen um die knappen Mittel waren im Modus politischer Kon-
41 In Großbritannien wurde mit dem „Research Assessment Excercise“-Verfahren eine Alternative entwickelt. Hierbei übernahmen Kommissionen aus Fachkollegen die Bewertung von Publikationen (vgl. Kogan/Hanney (2000)). 42 Vgl. Gläser/Laudel (2007), S. 107 f. 43 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 2. 44 Keines der Modelle bezog daher den Arbeitsmarkterfolg der Absolventen ein, vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 2. 45 Eine Finanzierung einzelner Fächer oder Fachbereiche wurde in keinem Bundesland erprobt. Dies hätte größere Umstellungen in der Haushaltsaufstellung und -bewirtschaftung nötig gemacht. Wahrscheinlich wäre es auch nicht praktikabel gewesen, da je nach Hochschule unterschiedliche Fächer zu Fachbereichen oder Fakultäten zusammengefasst waren und diese Zuordnung in den Bereich der Hochschulautonomie zählte. Die Zuweisung von Mitteln an die Hochschule zur internen Verteilung war zudem im Rahmen des Wettbewerbsparadigmas gewünscht, da sie die Steuerungsfähigkeit der Gesamtorganisation stärkte.
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kurrenz ausgetragen worden. Das heißt, die konkurrierenden Universitäten konnten über Interventionen bei den Ministerien als Dritten oder in einer breiteren Öffentlichkeit Einfluss auf die Kriterien nehmen, nach denen die Prämie verteilt wurde. Wenn nun allerdings die Wissenschaftsministerien für einen Teil der Grundfinanzierung indikatorbasierte Verteilungsmodelle einführten und damit die Leistungskriterien für die Zukunft eindeutig festlegten, verlor diese Form des Konkurrenzverhaltens ihre Grundlage. Wollte eine Universität nun ihren Anteil an der Prämie erhöhen, musste sie sich den Leistungsmaßstäben anpassen, die in die Berechnungsformeln eingeschrieben waren, und in diesen Dimensionen ihre Konkurrenten zu übertreffen suchen. Die Wissenschaftsministerien als Dritte schirmten ihre Entscheidungskriterien auf diese Weise von externer Einflussnahme ab, beschnitten sich zugleich aber auch selbst der Möglichkeit, die Kriterien ad hoc anzupassen. Eine solche längerfristige, das heißt über einzelne Verteilungsentscheidungen hinausgehende, explizite Festlegung der Kriterien, nach denen die Prämie in einer Konkurrenzsituation vergeben wird, lässt sich als formalisierte Konkurrenz bezeichnen. Mit der indikatorbasierten Mittelverteilung führten die verantwortlichen Wissenschaftspolitiker in den Ländern einen Steuerungsmechanismus ein, der Elemente des Marktes mit staatlicher Lenkung verband. Eine verstärkte Konkurrenz zwischen den Universitäten sollte Anreize für erhöhte Leistungen schaffen. Die Kriterien, nach denen sich die Verteilung der Prämie in diesem Wettbewerb richtete, wurden allerdings weiterhin von staatlicher Seite festgelegt und nicht der Interaktion zwischen Hochschulen und ihren ‚Kunden‘ überlassen. Die Landesregierungen reservierten sich die Position des Dritten in diesem Konkurrenzverhältnis, anstatt diese Rolle zum Beispiel an die Studierenden als Abnehmer von Leistungen der Universitäten abzugeben. Derartige Steuerungsmodelle lassen sich nicht nur im deutschen Hochschulsystem beobachten, sondern befanden sich in den Industrieländern seit den 1980er Jahren in verschiedenen staatlich dominierten Sektoren auf dem Vormarsch. Die Thatcher-Regierung in Großbritannien zum Beispiel setzte im Schul- und Gesundheitswesen auf ähnliche Mechanismen. Die Sozialwissenschaft beschreibt diese Entwicklungen als einen Trend hin zu „quasi-Märkten“. Die Staaten, so die These, stellten manche Leistungen wie Bildung nicht mehr direkt über bürokratisch organisierte, monopolistische Anbieter zur Verfügung, sondern überließen dies einer Mehrzahl von (teil)autonomen Einrichtungen, die miteinander konkurrierten. Dabei blieb allerdings die Rolle des Finanziers – des „Dritten“ in der hier verwendeten Terminologie – beim Staat.46 Derartige Arrangements lassen sich als neoliberale Form des Regierens verstehen, die Wettbewerb an die Stelle einer angeblich ineffizienten hierarchisch-bürokratischen Steuerung setzt, ohne jedoch die jeweiligen Sektoren vollständig zu privatisieren47. Die indikatorbasierten Verteilungsmodelle formalisierten zwar teilweise die Konkurrenz der Universitäten. Aber dies bedeutete keineswegs das Ende politischer Kon46 Vgl. Le Grand (1991); Mau (2017), S. 191–197; aus kritischer Perspektive Binswanger (2010). 47 Vgl. Biebricher (2012), S. 160–163.
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kurrenz um die Grundfinanzierung. Denn in allen Ländern blieb der Anteil der Mittel, die über diese Formeln vergeben wurden, an den gesamten Hochschulhaushalten zunächst eher gering. Im Jahr 2004 wurden in keinem Bundesland mehr als neun Prozent des Hochschulbudgets nach Leistungsindikatoren verteilt.48 Ein erheblicher Teil der Grundfinanzierung hing weiterhin an Einzelentscheidungen der Ministerien und an den Haushaltsverhandlungen, selbst wenn in manchen Ländern an deren Stelle seit den späten 1990er Jahren vertragsförmige Vereinbarungen traten. Diese legten zwar die Grundfinanzierung der Universitäten über mehrere Jahre fest und knüpften sie teilweise an bestimmte Leistungen, doch griffen weiterhin die Mechanismen der politischen Konkurrenz. Außerdem schalteten die Mittelverteilungsmodelle politische Konkurrenz nicht völlig aus, sondern verschoben die diskursive Auseinandersetzung nur auf eine andere Ebene. Anstatt über Einzelentscheidungen und die Höhe einzelner Haushaltsposten wurde nun um die Ausgestaltung der Verteilungsformeln gestritten. Die Wissenschaftsministerien der meisten Länder beteiligten nämlich die Hochschulen an der Ausarbeitung der Modelle, sei es in gemeinsamen Arbeitsgruppen, über die jeweiligen Landesrektorenkonferenzen oder zumindest indem sie Stellungnahmen einholten.49 Da für die Universitäten absehbar war, dass die indikatorgestützte Verteilung für längere Zeit Bestand haben und in Zukunft eher noch an Bedeutung gewinnen würde50 entwickelte sich um die konkrete Ausgestaltung des Modells eine intensive Auseinandersetzung, die in einigen Zügen der älteren politischen Konkurrenz um die Grundfinanzierung ähnelte. Dies äußerte sich bereits darin, dass manche Universitätsleitungen sich für die Einführung einer „leistungsorientierten Mittelverteilung“ bzw. ihre Anwendung auf einen möglichst großen Anteil des Haushalts einsetzten, weil sie sich davon Zugewinne versprachen.51 Die Hochschulleitungen versuchten zudem, die Leistungskriterien, die über Indikatoren und Gewichtungsfaktoren in die Modelle eingeschrieben waren, so zu beeinflussen, dass die Ergebnisse für sie möglichst günstig ausfielen. Vertreter der Universität zu Köln zum Beispiel sahen sich von dem 48 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 65. 49 Vgl. Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2001), S. 22; Freie Universität Berlin, UA, Präsidium, Beratungsergebnisse der Kleinen Routine am 30.11.2000, S. 2; Kronthaler (2002a), S. 12 f.; UA Köln, Zugang 694, Nr. 21b, Protokoll der Dienstbesprechung mit den Rektoren und Kanzlern der wissenschaftlichen Hochschulen im Ministerium für Wissenschaft und Forschung am 27.11.1992, S. 3. 50 Die Verteilung von zunächst nur 10 % der Mittel für Forschung und Lehre im Jahr 1993 bezeichnete z. B. der Bielefelder Rektor als „gravierende Neuerung“, aus der die Universität Konsequenzen zu ziehen habe, vgl. Universität Bielefeld (1993), S. 7. Der Kanzler der Universität zu Köln resümierte 1993, angesichts der Umverteilungen durch die erste Anwendung von Leistungsindikatoren: „Rechnet man diesen Trend auf kommende Zeiträume hoch, so wird die bedrohliche Dimension dieses neuartigen Kalküls sichtbar!“, UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Der Kanzler, Neue Parameter zur Verteilung der Mittel für Lehre und Forschung, 8.11.1993, S. 3. 51 So der Präsident der Universität Osnabrück gegen Ende der 1990er Jahre, da er sich Zugewinne gegenüber den älteren Universitäten im Osten Niedersachsens versprach, an denen mehr Geld pro Student/in ausgegeben wurde; vgl. Zimmer (1999), S. 120. Für ein anderes Beispiel vgl. TUM.Archiv.Einrichtungen. Fortl.Num. 176, Protokoll der Sitzung des Senats am 16.12.1998, S. 6.
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Modell, das die Landesrektorenkonferenz mit großer Mehrheit, aber gegen die Stimmen der Universitäten Köln und Münster beschlossen hatte, massiv benachteiligt.52 Der Kanzler kam nach einer Berechnung der voraussichtlichen Konsequenzen zu dem Schluss, Verluste bei den laufenden Mitteln „in dieser Größenordnung wären von der Universität nicht zu verkraften und könnten nach meiner Einschätzung weder von den Fakultäten, dem Rektorat oder von mir als Haushaltsbeauftragten in diesem Ausmaß umgesetzt werden“.53 In ihren Versuchen, ein Verteilungsmodell, das derart drastische Folgen für die Universität haben würde, zu verhindern, griff die Hochschulleitung auf Formen des Konkurrenzverhaltens zurück, die bereits in der politischen Konkurrenz um die Grundfinanzierung üblich waren. Einerseits wandte sich die Universitätsleitung mit einer Pressemeldung an die Öffentlichkeit und kritisierte den Beschluss der Landesrektorenkonferenz, um das Verteilungsmodell zu delegitimieren: „Die mehrjährigen Bemühungen der Landesuniversitäten um ein sachlich begründetes Verteilungsmodell sind gescheitert. In einer so existenziellen Frage sind keine fairen Lösungen durch die unmittelbar Betroffenen zu erwarten.“ Das Ziel der Pressemeldung war es, die Orientierung des Modells an Leistungskriterien infrage zu stellen und es stattdessen als Produkt einer Interessenskoalition zu präsentieren: „Es gibt ja auch unter den 15 Universitäten nur zwei Verlierer“, nämlich Köln und Münster, „und die werden gewaltig gerupft“.54 Andererseits wandte sich der Rektor auch direkt an die Wissenschaftsministerin, um diese davon zu überzeugen, dass das Modell die Universität auf ungerechtfertigte Weise benachteilige. Man glaube in Köln, so der Rektor, „Lösungen vorschlagen zu können, mit deren Hilfe sachlich unbegründete Benachteiligungen größeren Ausmaßes für alle Universitäten des Landes vermieden werden können“.55 Auch Koalitionen zwischen potenziellen Konkurrenten, die aber ähnliche Interessen bei der Veränderung der Verteilungskriterien hatten, bildeten sich in dieser Auseinandersetzung um die Ausgestaltung der indikatorbasierten Mittelverteilung heraus. Die Rektoren der Universitäten Köln und Münster, also der beiden Hauptverlierer des LRK-Modells, das Universitäten mit großen geistes- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten tendenziell benachteiligte, stimmten ihr Vorgehen gegenüber dem Ministerium miteinander ab.56 Beide versuchten die Diskussion zu lenken, indem
52 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 15, Rechenschaftsbericht 1994 des Rektorats der Universität zu Köln, 17.1.1995, S. 5. 53 UA Köln, Zugang 543, Nr. 548a, Der Kanzler, Vermerk [vertraulich], 16.12.1994. Da es sich um einen internen Vermerk handelte, ist davon auszugehen, dass dies nicht nur ein vorgeschützter Einwand gegen das Verteilungsmodell war. 54 UA Köln, Zugang 543, Nr. 1019, Presse-Information 80/95. 55 Ebd., Zugang 694, Nr. 174b, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 23.12.1994, S. 2. 56 Darauf lässt die Überlieferung eines Schreibens des Münsteraner Rektors in den Akten der Kölner Hochschulleitung schließen, das sich zudem in Teilen ähnlicher Argumente wie die Kölner Interventionen bediente, vgl. UA Köln, Schreiben des Rektors der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.1995.
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sie Alternativmodelle vorlegten, die sie auch untereinander austauschten.57 Dass die beiden Hochschulleitungen mit ihrer Einschätzung der Situation als politisches Konkurrenzverhältnis nicht falsch lagen, zeigen die Reaktionen des Wissenschaftsministeriums. Manche Argumente aus Köln und Münster fanden dort Zustimmung, und die Ministerin beauftragte schließlich die Landesrektorenkonferenz damit, das Modell erneut zu beraten. Daraus ergaben sich allerdings nur geringfügige Modifikationen.58 Da das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium mit der indikatorbasierten Mittelverteilung die Vorstellung einer an Leistungen orientierten Hochschulfinanzierung verband, sahen sich die Universitäten veranlasst, die von ihnen gewünschten Veränderungen des Verteilungsmodells bevorzugt in das Argument zu kleiden, dass so die Leistungen der Hochschulen besser abgebildet würden. Der Kölner Rektor kritisierte das LRK-Modell daher, weil es die Zahl an Wissenschaftlerstellen zu hoch gewichte, und plädierte für eine stärkere Berücksichtigung „leistungsorientierter Kriterien“. Die hohe Zahl an Studierenden in Köln stellte er wiederum als Leistung dar, die nicht genügend gewürdigt werde, indem er behauptete, „Effizienz“ in der Ausbildung werde nicht berücksichtigt.59 Letztlich wiederholte er damit die ältere Forderung der Universität nach einer stärkeren Berücksichtigung der Studierendenzahlen bei der Finanzierung, in der Konsequenz also eine Umverteilung innerhalb des Landes weg von den weniger ausgelasteten Universitäten. Auch wenn die Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der formalisierten Konkurrenz in vielem an die ältere politische Konkurrenz erinnern, folgten sie doch einer eigenen Logik. So schränkte die Vorgabe seitens der Wissenschaftsministerien, die in letzter Instanz als Dritte über die Verteilung der Grundfinanzierung entschieden, die Diskussion stark ein. Der von den Ministerien beabsichtigten Quantifizierung von Leistungen konnten die Universitäten sich nicht widersetzen. So argumentierte 1994 einer der Kölner Prorektoren intern dagegen, sich grundsätzlich gegen eine indikatorbasierte, leistungsorientierte Mittelverteilung auszusprechen, da dies „angesichts der Forderungen der LRK und der HRK wenig Sinn“ habe. Eine solche Strategie dränge „die Universität Köln ins Abseits, ist politisch unklug und zum Scheitern verurteilt“. Den einzigen 57 Vgl. ebd., Zugang 543, Nr. 797, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für Planung und Finanzen am 12.6.1995; ebd., Zugang 694, Nr. 174b, Schreiben des Rektors der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.1995; ebd., Schreiben des Dezernats 2.1 der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an den Prorektor für Planung und Finanzen der Universität zu Köln vom 16.3.1995. 58 Vgl. ebd., Zugang 694, Nr. 174b, Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an den Rektor der Universität zu Köln vom 13.4.1995; ebd., Zugang 543, Nr. 797, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für Planung und Finanzen am 12.6.1995. 59 UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 3.5.1995, S. 1. Der Kölner Rektor bezog sich damit auf einen in den hochschulpolitischen Debatten der späten 1970er und frühen 1980er häufig gebrauchten Begriff, s. o. Kap. III.1. Auch der Rektor der Universität Münster bediente sich dieses Arguments: „Ausbildungseffiziente Standorte werden benachteiligt“, s. ebd., Schreiben des Rektors der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15.3.1995, S. 1.
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gangbaren Weg sah er darin, Einfluss auf die Ausgestaltung des Modells zu nehmen und eine Ausweitung auf einen größeren Anteil der Mittel zu verhindern.60 Wahrscheinlich war es dieses Argument, das den Kölner Rektor dazu bewog, gegenüber der Wissenschaftsministerin lediglich Kritik an der konkreten Ausgestaltung des Modells zu äußern, das Verfahren an sich aber nicht in Frage zu stellen – anders als in einem ersten Briefentwurf, in dem er anmerkte, mit der leistungsorientierten Mittelverteilung entstehe „ein sich selbst verstärkender Prozeß: weil keine ausreichenden Grundmittel, deshalb weniger Drittmittel, deshalb weniger Landesmittel, also noch weniger Grundausstattung“.61 Aus Furcht vor einem Einflussverlust gegenüber dem Dritten und den damit verbundenen Nachteilen in künftigen Konkurrenzsituationen verzichtete die Universität zu Köln darauf, den neuen Modus der Konkurrenz grundsätzlich in Frage zu stellen. Durch die Vorgabe, dass die zu prämierenden Leistungen über Indikatoren zu erfassen und zu quantifizieren sein müssten, da sie andernfalls nicht in eine Verteilungsformel integriert werden konnten, waren die Debatten von vorneherein eingeschränkt. Die Universitäten mussten, wenn sie mit ihren Forderungen nach einer Modifikation der Verteilungsmodelle Erfolg haben wollten, praktisch umsetzbare Gegenvorschläge machen. Auch deshalb gingen in die Modelle fast ausschließlich solche Indikatoren ein, die in den Diskussionen über Leistungsmessung in der Wissenschaft bereits ausführlich diskutiert worden und zudem leicht zu erheben waren. Diese Fixierung auf praktikable Indikatoren konnte zu Dilemmata wie der zwischen den Hochschulen und dem Ministerium in Nordrhein-Westfalen umstrittenen Frage führen, ob die Lehrleistungen über die Zahl der Absolventen oder über die Zahl der abgelegten Abschlussprüfungen zu erfassen sei. Die eine Möglichkeit barg die Gefahr einer Absenkung der Prüfungsanforderungen, die andere berücksichtigte nicht den Erfolg der Lehre.62 Da kein handhabbarer Indikator für die Qualität universitärer Lehre zur Verfügung stand, Lehrleistungen aber in das Modell einbezogen werden sollten, musste die Wahl eines jeden Indikators Verzerrungen verursachen. Auch Gesichtspunkte wie die regionalpolitische Bedeutung von Hochschulen, die in der politischen Konkurrenz um die Grundfinanzierung bisweilen den Ausschlag geben konnten, wurden durch die Festlegung auf exakt messbare Parameter ausgeschlossen. Aus diesem Grund weitete zum
60 UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Der Prorektor der Universität zu Köln für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs, Verteilung der Mittel TG 94, 20.6.1994, S. 8. 61 UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Entwurf eines Schreibens des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen vom 31.5.1994. Für das tatsächlich abgesandte Schreiben vgl. ebd., Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung vom 11.7.1994. Der Entwurf des Schreibens datiert vor dem Papier des Prorektors und wurde von diesem laut Handzeichen zur Kenntnis genommen. Das Schreiben an die Ministerin wiederum datiert nach dem Papier des Prorektors. 62 Vgl. ebd., Schreiben der Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an die Rektoren der wissenschaftlichen Hochschulen des Landes vom 21.5.1993; ebd., Schreiben des Rektors der Universität zu Köln an die Ministerin für Wissenschaft und Forschung vom 11.7.1994; ebd., Der Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität zu Köln, Verteilung der Mittel TG 94, 20.6.1994, S. 7 f.
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Beispiel Niedersachsen sein indikatorbasiertes Verteilungsmodell bei den Fachhochschulen nicht wie ursprünglich beabsichtigt auf die gesamte Grundfinanzierung aus, sondern beließ den Anteil der formelgebunden vergebenen Mittel bei 35 Prozent.63 An den Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der einzelnen Hochschulen darüber, wie die Mittelverteilungsmodelle ausgestaltet werden sollten, zeigte sich, dass der Anspruch eines objektiven Vergleichs von Leistungen eine Fiktion darstellte. Mit dem Rekurs auf Leistungen war aber eine semantische Weichenstellung vollzogen, welche diese Diskussionen prägte. Im alltagssprachlichen Verständnis dieses Begriffs lassen sich zwei Komponenten ausmachen: Zum einen muss einer Leistung ein zielgerichtetes und mit einer gewissen Anstrengung verbundenes Handeln entsprechen, das einem Akteur individuell zugerechnet werden kann. Zum anderen wird gemeinhin nur das als Leistung bezeichnet, was einem sozial akzeptierten Zweck dient.64 Damit enthält der Begriff eine normative Komponente und bezeichnet nicht einfach nur einen objektiv feststellbaren Sachverhalt. Sowohl in der Diskussion über Leistungsindikatoren als auch in den Auseinandersetzungen über die indikatorbasierte Mittelverteilung wurde dieser Aspekt aber nur selten thematisiert.65 Diese Problematik spitzte sich insbesondere in der Frage zu, ob Drittmittelsummen, Absolventenzahlen und andere Parameter nach Fächergruppen gewichtet werden sollten. Denn offensichtlich unterschieden sich die Fächer unter anderem im Personalaufwand, der für die Ausbildung einer gewissen Zahl an Absolventen nötig war, oder in 63 Vgl. Jaeger (2008), S. 47. 64 Vgl. Neckel et al. (2008), S. 46; die Autoren konnten diese semantische These durch die Analyse von experimentell durchgeführten Gruppendiskussionen bestätigen. Vgl. übereinstimmend auch Voswinkel/ Kocyba (2008), S. 23 f. Nina Verheyen zeichnet die Genealogie des Begriffs seit dem 19. Jahrhundert nach und kommt zu dem Schluss, dass „Leistung“ im 20. Jahrhundert als „eine universal gültige Größe verstanden [wurde], deren Umfang sich empirisch exakt messen ließ“ (Verheyen (2014), S. 77). Dies täusche aber darüber hinweg, dass Leistung stets sozial konstruiert sei. 65 Zumindest soweit diese Auseinandersetzungen schriftlichen Niederschlag gefunden haben. Ein Grund hierfür könnte sein, dass das Eingeständnis einer normativen Dimension das Ziel konterkariert hätte, zu einem „objektiv“ fundierten und mit weniger Kontroversen verbundenen Verteilungsmodus zu gelangen. In der Literatur zur Messung wissenschaftlicher „Leistungen“ waren solche Ausführungen selten. Auch Äußerungen in den Debatten um die „leistungsorientierte Mittelverteilung“ lassen darauf schließen, dass ein Teil der Akteure den Glauben an eine „objektive“ Leistungsmessung teilte. So schrieb z. B. der Kanzler der Universität zu Köln an den Vorsitzenden der bereits erwähnten LRK-Arbeitsgruppe zur indikatorbasierten Mittelverteilung in Nordrhein-Westfalen: „Ich bin der Auffassung, daß die theoretische Diskussion des Umverteilungsmodells noch gar nicht zu den Ergebnissen gelangt, die als Grundlage so einschneidender Haushaltsmaßnahmen dienen können“; er habe Zweifel an der „Richtigkeit“ des Verteilungsmodells (UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Der Kanzler der Universität zu Köln an den Vorsitzenden der LRK-Arbeitsgruppe „Leistungskennziffern zur Binnensteuerung“, [Entwurf o. D., 1994/1995]). Ein Interviewpartner, Mitglied einer Hochschulleitung, sprach von der „leistungsorientierten Mittelverteilung“ als „objektiv[em]“ Verfahren. Von einer „objektive[n] Leistungsmessung“ war bisweilen auch in den Gremien der Universitäten die Rede (UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 257. Sitzung des Senats am 20.10.1997, S. 5) Eine Ausnahme stellte ein Papier dar, das eine Arbeitsgruppe an der Universität Oldenburg zur Neugestaltung der internen Mittelverteilung verfasst hatte: „Bei aller scheinbaren ‚Objektivität‘ von mathematischen Formeln soll damit nicht verdeckt werden, daß das Modell selbst wie auch die verwendeten Indikatoren aus politischen Zielsetzungen der Universität abgeleitet werden“ (UOL Altregistratur, Vizepräsident 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999, S. 5).
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der Höhe der Drittmittelsummen, die üblicherweise eingeworben wurden. Dies konnte bei der Ausgestaltung der Mittelverteilungsmodelle dadurch berücksichtigt werden, dass man diese Werte je nach Fächergruppe mit unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren multiplizierte. Damit war allerdings implizit das Urteil verbunden, dass die Wissenschaftler über die Fächergruppen hinweg in der jüngeren Vergangenheit gleiche Anstrengungen bei der Einwerbung von Forschungsgeldern unternommen hatten. Die Differenz in der Höhe der Drittmittel wurde damit nicht auf ein unterschiedliches Leistungsniveau in den Fächern, sondern auf externe Umstände zurückgeführt, zum Beispiel den niedrigeren Ressourcenbedarf geisteswissenschaftlicher Forschung. Genauso plausibel war es allerdings zu behaupten, die Geistes- und Sozialwissenschaften hätten gegenüber den Natur- und Ingenieurwissenschaften einen Nachholbedarf bei der Bemühung um Drittmittel, weshalb die Gewichtungsfaktoren die bestehenden Unterschiede nicht vollständig ausgleichen sollten. Beide Annahmen waren ohne einen gemeinsamen Maßstab für Leistungen weder zu belegen noch zurückzuweisen. Ein solcher Maßstab sollte aber durch die indikatorbasierten Modelle erst hergestellt werden. Die Frage nach der richtigen Gewichtung war deshalb nicht auf der Basis objektiv feststellbarer Tatsachen zu lösen, sondern erforderte eine normative Festlegung. Eine Arbeitsgruppe der nordrhein-westfälischen Landesrektorenkonferenz erarbeitete zwei alternative Vorschläge für die Gewichtung der Drittmittel im landesweiten Verteilungsmodell, die auf jeweils einer der beiden genannten Positionen beruhten.66 Da weder die eine noch die andere Auffassung zu widerlegen war, lief die Frage auf einen reinen Interessenskonflikt hinaus. In einer Abstimmung über die beiden Alternativen entschied eine große Mehrheit der Universitäten für das Modell, das die Geistes- und Sozialwissenschaften tendenziell schlechter stellte. Die zwei einzigen Gegenstimmen kamen aus Köln und Münster, beides Universitäten mit einem großen Anteil an Geistes- und Sozialwissenschaften, die folglich die größten Verlierer bei einer Anwendung dieses Verteilungsmodells gewesen wären.67 Auch in anderen Bundesländern lieferten sich die Vertreter der Hochschulen intensive Auseinandersetzungen um die exakten Regeln der formalisierten Konkurrenz.68 Angesichts der begrenzten Zahl an praktikablen Indikatoren drehten sich die Dis66 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 548a, LRK Nordrhein-Westfalen, Vorlage der Arbeitsgruppe „Titelgruppe 94 landesweit“ zur Sitzung der LRK NW am 5.12.1994, 17.11.1994. 67 Vgl. ebd., Zugang 694, Nr. 15, Rechenschaftsbericht 1994 des Rektorats der Universität zu Köln, 17.1.1995, S. 15. 68 So berichtete z. B. ein Universitätskanzler, der an der Erarbeitung eines Verteilungsmodells für Baden-Württemberg beteiligt war: „Es gibt praktisch keinen Punkt, der nicht hochstreitig ist und mit aller Emotionalität diskutiert würde. Die Nervenenden liegen offen, selbst langjährig erprobte kollegiale Solidaritäten beginnen zu brechen.“ (Heß (2004), S. 34) Nachdem das Wissenschaftsministerium in Thüringen den Entwurf einer Verteilungsformel vorgelegt hatte, beabsichtigte die Leitung der Universität Jena, „die Wichtungen in diesem Mittelverteilungsmodell zu verschieben“, vgl. UAJ, Bestand Senat 2000, Protokoll der Sitzung des Senats am 21.11.2000, S. 5. Als im Jahr 2006 eine Überarbeitung des Thüringer Finanzierungssystems anstand, gab es, so der Kanzler der FSU Jena, eine „kontroverse Diskussion […] insbesondere zur Gewichtung der Drittmittel und zur Anrechnung der Studierenden“; vgl. FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 4.10.2006 (Internetquelle 85), S. 1.
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kussionen insbesondere um Gewichtungsfaktoren.69 Da es unmöglich war, Leistungen „objektiv“ zu erfassen, überrascht es nicht, dass die Gewichtungen innerhalb der Modelle von Land zu Land unterschiedlich ausfielen. Während zum Beispiel Nordrhein-Westfalen in den frühen 2000er Jahren die Drittmittel im geistes- und sozialwissenschaftlichen Bereich sechsmal so stark wie in den Ingenieurwissenschaften und dreimal so stark wie in den Naturwissenschaften gewichtete, rechneten andere Länder wie Baden-Württemberg oder Hessen alle Drittmittel gleich ein.70 Insofern Vertreter der Hochschulen an der Festlegung der Leistungskriterien beteiligt waren, wird man diese vor allem als Resultat der jeweiligen Verhandlungssituationen werten müssen – mit den Worten eines Universitätskanzlers aus Baden-Württemberg: „In manchen Fällen drängt sich der Verdacht auf, daß die Parameter nicht eine empirisch gewonnene Erkenntnis widerspiegeln, sondern daß man so lange an den Stellschrauben eines Mechanismusses [sic] gedreht hat, bis das gewünschte Ergebnis erzielt wurde.“71 Die Umverteilungswirkung dieser Modelle war in den ersten Jahren noch begrenzt, da die meisten Bundesländer den Anteil der einbezogenen Mittel nur allmählich steigerten und zu Beginn „Kappungsgrenzen“ für Verluste und Gewinne festsetzten, um zu verhindern, dass die Einschnitte für einzelne Universitäten allzu drastisch ausfielen. In der Regel verloren oder gewannen die Hochschulen in den 2000er Jahren nicht mehr als ein Prozent ihres Haushaltsvolumens.72 Dass die Effekte der Mittelverteilungsmodelle nicht größer waren, dürfte auch ihrer Aushandlung unter Beteiligung der Universitätsleitungen geschuldet gewesen sein. Dieser Umstand sollte aber nicht dazu verleiten, die Auswirkungen dieser neuen Form der Konkurrenz zu unterschätzen. Es ist zu berücksichtigen, dass ein großer Anteil der universitären Finanzen dauerhaft gebunden war, vor allem in Form von Ausgaben für unbefristet angestelltes Personal. Die potentiellen Einbußen und Gewinne hatten daher, bezieht man sie auf den flexibel verwendbaren Anteil des Budgets, größeres Gewicht, als es zunächst scheinen könnte. Dies legen auch die Reaktionen der Universitätsleitungen nahe, die im nächsten Abschnitt dargestellt werden. Für Rektoren und Präsidenten zählten nämlich nicht alleine die tatsächlichen finanziellen Auswirkungen, sondern auch die möglichen Chancen und Risiken. Die Konkurrenz entfaltete ihre mobilisierende Wirkung in erster Linie dadurch, dass Besitzstände zur Disposition gestellt wurden. Man kann den Einfluss der indikatorbasierten Mittelverteilung zudem nicht isoliert betrachten, da quantitative Kennzahlen, vor allem Drittmittelsummen, auch für die Ver-
69 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. In Bayern, wo 1999 die Landesrektorenkonferenz über ein Verteilungsmodell verhandelte, erreichte die Leitung der TU München, dass „die Gewichtungsverhältnisse zur leistungs- und belastungsbezogenen Mittelverteilung in Einzelpunkten noch einmal korrigiert“ wurden, so dass die Universität 5,5 Millionen DM mehr pro Jahr erwarten konnte (TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num. 176, Protokoll der Sitzung des Senats 24.2.1999, S. 2). 70 Vgl. Leszczensky/Orr (2004), S. 68. 71 Heß (2004), S. 34. 72 Vgl. Jaeger (2008), S. 40. Für Beispiele vgl. Universität Bielefeld (2000), S. 42, 44; Universität Bielefeld (2012), S. 50; Jaeger/In der Smitten (2009), S. 78–81.
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handlungen über das restliche Budget an Bedeutung gewannen.73 Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Akteure in den Wissenschaftsministerien dem „Förder-Ranking“ der DFG, das 1997 erstmals erschien.74 Die Konkurrenz um die Grundfinanzierung formalisierte sich nicht nur durch die Einführung von Verteilungsformeln, sondern auch dadurch, dass die Hochschulen mit Forderungen nach einem quantitativen Beleg ihrer Leistungen rechnen mussten. Das nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerium konfrontierte zum Beispiel im Jahr 2003 die Universitäten mit einem Vergleich nach den Kriterien Auslastung der Ausbildungskapazitäten und Drittmitteleinwerbungen pro Wissenschaftlerstelle.75 Die entscheidenden Akteure im Ministerium beabsichtigten offensichtlich, mithilfe einer solchen partiellen Formalisierung der Konkurrenz durch die Reduktion auf nur zwei Aspekte, den argumentativen Spielraum der Universitätsleitungen zu begrenzen und Handlungsdruck zu erzeugen.76 3. Universitätsinterne Konkurrenz Die Wissenschaftsministerien verfolgten mit der indikatorbasierten Mittelverteilung erklärtermaßen das Ziel, einen Leistungswettbewerb zwischen den Hochschulen zu erzeugen, der über Anreize und Sanktionen zu einer Leistungssteigerung in Forschung und Lehre führen sollte. Die Universitäten wurden als Organisationen für die über Indikatoren erfassten Ergebnisse verantwortlich gemacht, doch erbrachte nicht die Hochschule als solche die geforderten Leistungen. Vielmehr waren es in den meisten Fällen individuelle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Arbeitsgruppen oder, im Fall von Verbundforschung und Studiengängen, Teilgruppen des wissenschaftlichen Personals, die faktisch zu großen Teilen die Resultate der Universitäten im Leistungsvergleich bestimmten. Wie teilweise schon in der politischen Konkurrenz der 1980er Jahre waren zudem verschiedene Konkurrenzverhältnisse miteinander verschränkt. Der Erfolg einer Universität im Wettbewerb um die Grundfinanzierung hing davon ab, wie viele Drittmittel ihre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in kompetitiven Verfahren einwarben und wie viele Studierende gewonnen werden konnten. Durch die indikatorbasierte Mittelverteilung wurden nun die Hochschulen als Organisation für diese Ergebnisse belohnt oder sanktioniert – und damit selbst zu Akteuren in diesen Konkurrenzverhältnissen gemacht. 73 So richtete der Rektor der FSU Jena z. B. im Jahr 2005, als Gespräche zwischen dem Wissenschaftsministerium und den Hochschulen über einen „Hochschulpakt“ stattfanden, „die herzliche Bitte an alle Fakultäten, in diesem Jahr in besonderer Weise Drittmittel einzuwerben sowie die Zahlen für Absolventen, Promotionen und Habilitationen zu steigern, damit die Verhandlungen auf einem hohen Niveau geführt werden können“; vgl. FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 15.2.2005 (Internetquelle 86), S. 1. 74 S. u. Kap. V.1. 75 Vgl. Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen an die Rektorin und Rektoren, Kanzlerinnen und Kanzler der Universitäten des Landes Nordrhein-Westfalen vom 29.7.2003 (Internetquelle 16). 76 Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016.
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Die Lücke zwischen der Verantwortung, die der Organisation Universität zugeschrieben wurde, und der tatsächlichen Leistungserbringung konnte aus verfassungsrechtlichen Gründen und wegen der Komplexität der Lehr- und Forschungspraxis kaum über hierarchische Weisungsbefugnisse überbrückt werden. Die betriebswirtschaftliche Reformliteratur sah vor, als Ersatz bzw. als überlegenes Steuerungsinstrument Anreize für das gewünschte Verhalten zu setzen. Das Handeln der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollte dadurch auf die Ziele der Universitäten abgestimmt werden, dass hochschulintern Mittel nach den Kriterien verteilt würden, die auch den interuniversitären Wettbewerb bestimmten.77 Aus betriebswirtschaftlicher Sicht war es für die Universitäten rational, ihre interne Mittelverteilung an den Indikatormodellen der Länder auszurichten, um ihre Leistungen und damit ihre Chancen in diesem Konkurrenzverhältnis zu steigern. Tatsächlich verbreitete sich die hochschulinterne leistungsorientierte Mittelverteilung in den 1990er und frühen 2000er Jahren sehr rasch, als die Länder die Hochschulfinanzierung partiell umstellten.78 Im Jahr 2010 verteilten fast alle Universitäten ihre Mittel intern zumindest teilweise nach Indikatoren, in den meisten Fällen auch innerhalb der Fachbereiche.79 Das geschilderte betriebswirtschaftliche Kalkül bestimmte zwar in manchen Fällen die Entscheidungen von Senaten und Hochschulleitungen, doch bietet es keine hinreichende Erklärung dafür, wieso und auf welche Weise Indikatoren in inneruniversitären Entscheidungsprozessen Fuß fassen konnten. Denn nicht wenige Hochschulen nutzten quantitative Verteilungskriterien bereits vor der Einführung der leistungsorientierten Mittelverteilung auf Landesebene, die RWTH Aachen zum Beispiel bereits seit 1988.80 Außerdem bildeten die internen Modelle häufig die Kriterien des Landes nicht eins zu eins ab. Nicht erst die Einführung indikatorbasierter Wettbewerbsmodelle auf Landesebene veranlasste manche Universitäten zur Veränderung ihrer internen Mittelverteilung, sondern bereits die Verknappung der Mittel in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Da zentrale Gremien, nämlich Senate und Hochschulleitungen, den Teil der Haushaltsmittel verteilten, der nicht durch Personalausgaben im Rahmen der Stellenpläne, durch Berufungszusagen und für andere in den Landesetats fixierte Zwecke gebunden war, bestand stets eine potenzielle Konkurrenzsituation der Fachbereiche und Fakultäten bzw. in letzter Instanz der Professorinnen und Professoren. Doch ließen die Gremien in der Regel nicht zu, dass sich daraus tatsächlich Konkurrenz entwickelte. Die Verteilung der disponiblen Mittel handelten nämlich Senatskommissionen oder informelle Arbeitskreise aus, in denen die wichtigsten Interessensgruppen, also die Fach77 Vgl. z. B. Müller-Böling (2000), S. 192 f.; manche Autoren waren allerdings skeptisch, was die Möglichkeit einer universitätsinternen Steuerung über Anreize anging, vgl. Frese/Hödl (1996). 78 Für Nordrhein-Westfalen vgl. Minssen/Wilkesmann (2003), S. 131. 79 Vgl. Bogumil et al. (2013), S. 77; Jaeger/Leszczensky (2007), S. 13. 80 Vgl. UA Köln, Zugang 694, Nr. 174b, Schreiben des Rektors der RWTH Aachen an den Rektor der Universität Wuppertal vom 20.10.1992. Vgl. auch UAJ, Bestand Senat, Protokoll der Sitzung des Senats am 30.1.1996, S. 3; FU Berlin, UA, Protokoll der 429. Sitzung des Senats am 10.6.1992, S. 16; Der Präsident der FU Berlin (1997), S. 24.
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bereiche bzw. Fakultäten oder zumindest Vertreter unterschiedlicher Fächergruppen, vertreten waren.81 Auch die Mitglieder der Senate verstanden sich oft vorrangig als Interessensvertreter ihrer Fächer, so zum Beispiel an der TU München, wo es vorkam, dass manche von ihnen die Zustimmung zu Investitionen in anderen Fakultäten davon abhängig machten, dass auch ihre Fächer zusätzliche Mittel bekamen.82 Die Ausschusssitzungen oder die informellen Runden bereiteten die Entscheidungen der Gremien vor, die für die Verteilung der Mittel zuständig waren und in aller Regel einstimmig oder doch mit großen Mehrheiten die zuvor ausgehandelten Vorlagen beschlossen. Diese Vorkehrungen verwandelten die potenzielle Konkurrenzsituation in eine Verhandlungskonstellation, im Rahmen derer Interessensvertreter der Betroffenen weitgehend konsensual über die Verteilung der Mittel entschieden. Hinzu kam, dass sich die Argumentation in diesen Verhandlungen kaum auf Leistungen, sondern in erster Linie auf „Bedarf “ und „Belastung“ stützte.83 Dies bedeutete allerdings keineswegs, dass die Verteilung von Geldern auf diese Weise harmonischer oder konfliktfreier verlaufen wäre als in Konkurrenzverhältnissen.84 Vielmehr legte es die Verhandlungskonstellation nahe, Verteilungsvorschläge mit Verweis auf Bedarfs- und Gerechtigkeitsargumente anzufechten, und erforderte so einen nicht geringen Zeitaufwand. Häufig diente eine Ausrichtung an der Verteilung der Vorjahre dazu, den Diskussionsaufwand einzudämmen und Kompromisse zu ermöglichen.85 Auch Zuwächse oder Kürzungen konnten auf diese Weise anteilsmäßig auf die Fachbereiche verteilt werden. Stellenkürzungen wurden in den 1980er Jahren üblicherweise proportional zur jeweiligen Stellenzahl an die Fachbereiche weitergegeben.86 Ein solches Verfah81 Vgl. UAOL 20002–251, Protokoll der 4. Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 27.11.1985, S. 6 f.; UAOL 20002–225, Protokoll der 18. Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 27.4.1983, S. 6 f. Der Oldenburger Kanzler legte dabei großen Wert darauf, dass alle betroffenen Fachbereiche in diesen „Clinch-Runden“ vertreten seien, auch wenn dies zu Lasten der Arbeitsfähigkeit ginge; vgl. ebd., Protokoll der konstituierenden Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 25.5.1983, S. 6. 82 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 83 Vgl. z. B. UAOL 20002–252, Protokoll der 18. Sitzung der Haushalts- und Planungskommission am 14.2.1985, S. 7. Auch an der Universität Bielefeld war zu Beginn der 1980er Jahre in den Debatten über die interne Mittelverteilung vor allem von Bedarf die Rede (vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 15). Es wurde hier sogar der Versuch unternommen, über einen Vergleich der Verteilungsrelationen zwischen den Fächern an mehreren Universitäten zu einer Vergabe „auf der Grundlage empirisch ermittelter Werte“ zu kommen, UA Bielefeld, R 010, Protokoll der 359. Sitzung des Rektorats am 22.1.1980; vgl. auch ebd., R 011, Protokoll der 437. Sitzung des Rektorats am 20.10.1981. 84 So entspann sich z. B. 1986 im Senat der Universität Oldenburg eine längere und kontroverse Diskussion über die Verteilung der Mittel für wissenschaftliche Hilfskräfte. Dennoch votierte der Senat am Ende einstimmig für einen Verteilungsvorschlag, den eine ad hoc gebildete Arbeitsgruppe ausgearbeitet hatte; vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 8. Sitzung des 7. Senats am 22.1.1986. 85 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 21. Sitzung des 6. Senats am 27.2.1985; UA Köln, Zugang 694, Nr. 15, Niederschrift über die Sitzung des Konvents der Universität zu Köln vom 18.5.1992, S. 7 f.; UA Bielefeld, UKFI 8, Ergebnisprotokoll der gemeinsame Sitzung der Universitätskommission für Finanzen mit dem Rektorat am 13., 14. und 19.12.1990. 86 Vgl. z. B. TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num. 174, Niederschrift über die 55. Sitzung des Senats am 26.5.1982; Der Präsident der FU Berlin gab gegenüber den Mitgliedern des universitären Kuratoriums an, bis in die frühen 1990er Jahre seien Zuwächse und Kürzungen anteilsmäßig an die Fachbereiche weiterge-
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ren entsprach den in der Professorenschaft verbreiteten Gerechtigkeitsvorstellungen, die eine jede Ungleichverteilung als fragwürdig erscheinen ließen.87 Dies hatte außerdem den Effekt, dass keine Diskussion über einen fächerübergreifenden Vergleich von Leistung oder Relevanz geführt werden musste, die wohl kaum zu einem Konsens geführt hätte. Eine verstärkte Förderung der wissenschaftspolitisch favorisierten Fächer, wie sie manche Universitäten schon in den 1980er und frühen 1990er Jahren als Konkurrenzstrategie anwandten, wurde dann auch nicht mit dem Argument größerer Leistungen oder einer herausgehobenen gesellschaftlichen Bedeutung dieser Fächer durchgesetzt, sondern mit dem Verweis auf eine unausweichliche Wettbewerbssituation und den bedrohten Bestand der jeweiligen Universität als Ganzer.88 Trotzdem kam es hier zu einem ersten Bruch mit der Norm der Gleichheit. Die Orientierung an Gerechtigkeitsvorstellungen und Bedarfsargumenten schloss dabei aber nicht die Verwendung quantitativer Verteilungskriterien aus. Vielmehr war es nicht unüblich, zumindest als Diskussionsgrundlage Modellrechnungen durchzuführen. Diese stützten sich dann allerdings nicht auf Kennzahlen, die Leistungen abbilden sollten, sondern in erster Linie auf Personal- und Studierendenzahlen, oft gewichtet nach Fächergruppen.89 Auch solche Verteilungsmodelle konnten den Diskussionsaufwand reduzieren, weshalb der Senat der Universität Oldenburg 1988 nach kontroversen Debatten über die Mittelverteilung das Präsidium bat, für das nächste Haushaltsjahr ein Verteilungsmodell mit Belastungsindikatoren zu entwickeln.90 Die Gremien banden sich allerdings in der Regel nicht strikt an solche Berechnungsformeln, so dass weitere Verhandlungen nicht ausgeschlossen waren.91 Die wiederholten Kürzungsrunden der 1980er und 1990er Jahre brachten allerdings die üblichen Verfahren der Mittelverteilung an ihre Grenze und erhöhten den Rechtfertigungsbedarf. Sie ließen die „historisch gewachsene“ Verteilung, die das Ergebnis vergangener Kompromisse und Verhandlungskonstellationen war, zunehmend fragwürdig erscheinen und gaben somit den Anstoß zur Einführung quantitativer Ver-
geben worden, da dies „technisch am einfachsten und […] am ehesten allseits akzeptiert“ war (FU Berlin, UA, EPK-Schriftwechsel, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Mitglieder des Kuratoriums, 12.12.1996); auch an der Universität München wurden Stellenkürzungen bis Mitte der 1990er Jahre proportional aufgeteilt, vgl. AKTUELL aus den Gremien, no. 6 (1996). 87 Vgl. z. B. UAOL 20002 ZW, Protokoll der Sondersitzung des 12. Senats am 24.5.1995, S. 3. 88 S. o. Kap. I.4. 89 UAOL 20002–088, Protokoll der 20. Sitzung des Senats am 19.3.1980; ebd., 1/Sena/1941, Protokoll der 2. Sitzung des Senats am 15.7.1981; UAJ, Bestand Senat 1994, Vorlage für die Senatssitzung vom 18.1.1994. Verteilung von Mitteln ATG 71; Universität Bielefeld (1985), S. 14. Auch innerhalb der Fachbereiche wurden Mittel bisweilen nach derartigen Kriterien verteilt, vgl. FU Berlin, UA, WiWi, FBR, Protokoll der 271. Fachbereichsratssitzung am 9.5.1984, S. 8. 90 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 10. Sitzung des 8. Senats am 24.2.1988, S. 13 f.; zuvor war bereits ein Teil der Mittel nach der Zahl wissenschaftlicher Stellen und „Studienäquivalenten“ verteilt worden, vgl. UAOL 20002–186, Dezernat 5, Mittelverteilung TGr. 71. Vorlage an die HPK zur Sitzung am 21.4.1982, 24.3.1982. 91 Vgl. UAOL 2200–080, Schreiben des Dekans des Fachbereichs 3 an die Mitglieder des Senats vom 18.1.1989.
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teilungsmodelle.92 Obwohl eine Ungleichverteilung der laufenden Mittel, wie sie als Konsequenz der indikatorbasierten Verteilung angestrebt wurde, einen Bruch mit früher dominierenden Gerechtigkeitsvorstellungen darstellte, argumentierten also auch ihre Verfechter in den Hochschulleitungen und Senaten normativ. Das neue Verfahren, so der Bericht einer Arbeitsgruppe zur Mittelverteilung an der Universität Oldenburg, sollte „möglichst gerecht sein und durch nachvollziehbare und transparente Verteilungskriterien die Mittelvergabe legitimieren“. Die erhöhte „Transparenz“, die mit einem quantitativen Modell einhergehe, werde es ermöglichen, „Gerechtigkeitslücken leichter aufzuspüren“.93 Andererseits beriefen sich die Befürworter von Indikatoren auf das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit.94 Dass die Einführung von Konkurrenzmechanismen in die universitätsinterne Mittelverteilung durchaus an verbreitete Gerechtigkeitsvorstellungen anschließen konnte, zeigen Umfragen, die Ende der 1990er bis Anfang der 2000er Jahre durchgeführt wurden. Jeweils die Hälfte der Befragten an der Universität Hannover und an den Technischen Universitäten in Aachen, Berlin, Dresden und München glaubte, dass eine leistungsorientierte Mittelverteilung geeignet sei, „Transparenz“ sowie „Anreiz- und Leistungsgerechtigkeit“ zu fördern,95 wobei allerdings davon auszugehen ist, dass Natur- und Ingenieurwissenschaftler dem Einsatz von Leistungsindikatoren aufgeschlossener gegenüberstanden als Geisteswissenschaftler.96 Heiner Minssen und Uwe Wilkesmann kamen nach einer Umfrage an Universitäten in Nordrhein-Westfahlen zu dem Schluss, immerhin ein Drittel der Professorenschaft lasse sich als „Ökonomisten“ bezeichnen, da sie sich vor allem an Leistungsgerechtigkeit und Transparenz orientierten, während die übrigen zwei Drittel als „Traditionalisten“ Werte wie die Freiheit von Forschung und Lehre sowie die akademische Selbstverwaltung gegen die neuen Steuerungsinstrumente in Stellung brachten.97 Weder Gleichverteilung noch Leistungsorientierung genossen daher allgemeine Akzeptanz, so dass der Wandel der Verteilungsprinzipien als konflikthafter Prozess begriffen werden muss. Auf einen weiteren Faktor verweist die Argumentation eines Kölner Prorektors für die Einführung einer formelbasierten Mittelverteilung. Er war der Ansicht, „Elemente eines Indikatormodells können Konflikte regulieren“, die daraus entstünden, 92 UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 190. Sitzung des Senats am 19.1.1990, S. 4; ebenso Wülbern (2007), S. 61. Vgl. auch UA Köln, Zugang 543, Nr. 548b, [Der Prorektor für Planung und Finanzen], Stichworte für die Einleitung zur Diskussion über die TG 94, 14.2.1996. Eine Unzufriedenheit mit „historisch gewachsenen“ Verteilungsstrukturen angesichts knapper werdender Ressourcen stand schon hinter der Einführung früher Verteilungsformeln, die noch kaum „leistungsorientiert“ waren (vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Schreiben des Kanzlers der FU Berlin an die Mitglieder des Akademischen Senats vom 17.9.1982; Universität Bielefeld (1985), S. 7). 93 UOL Altregistratur, Vizepräsident 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999, S. 4. 94 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 797, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für Planung und Finanzen am 15.1.1996, S. 2. 95 Schröder (2003), S. 246. 96 Vgl. die Ergebnisse einer Umfrage an der FU-Berlin: Hübner et al. (2000), S. 42 f. 97 Minssen/Wilkesmann (2003), S. 133–135.
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dass man „zu Beginn eines jeden Jahres mit der internen Weitergabe von Kürzungen und Zuwächsen beschäftigt“ sein werde. Eine Entkoppelung der internen Verteilung von den Zuweisungskriterien rufe Akzeptanzprobleme hervor.98 Neben der Frage der Gerechtigkeit klingt hier eine weitere Funktion von formelbasierten Verfahren der Mittelverteilung an, nämlich die Beseitigung des bis dahin jährlich anfallenden, erheblichen Beratungsaufwandes. So berichtet der langjährige Planungsreferent der Universität Bielefeld, dass die Gremien dazu tendierten, zu verteilende Mittel entgegen seiner Empfehlung nicht nur teilweise, sondern gänzlich nach Indikatoren zu verteilen, weil sich auf diese Weise langwierige Diskussionen vermeiden ließen.99 Ein Teil der Professorenschaft hatte zudem der Orientierung an quantifizierbaren Erfolgen diskursiv den Boden bereitet. Angesichts wiederkehrender Kürzungen, die universitätsintern verteilt werden mussten, konnte der Verweis auf „Leistungen“ als nützliche Strategie erscheinen, um Eingriffe vom eigenen Fach abzuwenden. Im Zuge der Strukturplanungen an der FU Berlin 1988 verwies etwa der Fachbereich Physik auf seine hohen Drittmittelsummen und stellte einen Vergleich mit anderen Fachbereichen an: „Damit nimmt der FB Physik im Drittmittelaufkommen nach den FB Geowissenschaften den 2. Rang der nichtmedizinischen Fachbereiche ein!“100 Die Geowissenschaften betonten ebenfalls, die eingeworbenen Mittel seien ein „objektiver Maßstab für die Forschungsaktivitäten des Fachbereichs“.101 Auf diese Weise trugen Wissenschaftler, indem sie mit den Normen der Gleichverteilung und dem Vorrang von Bedarfskriterien brachen, selbst zur Entstehung inneruniversitärer Konkurrenz und zur Durchsetzung eines fächerübergreifenden Vergleichs nach Gesichtspunkten wie Drittmittelzahlen bei. Die genannten Aspekte sollten zur Vorsicht gegenüber einer nachträglichen Rationalisierung im Sinne betriebswirtschaftlicher Modellannahmen mahnen und die Aufmerksamkeit darauf lenken, dass auch die normative Einbettung von Konkurrenzmechanismen und ihre Wahrnehmung durch die potenziellen Konkurrenten zu ihrer Durchsetzung beitrug. Gleichwohl spielte die Absicht der Hochschulleitungen, über interne Anreizstrukturen die Wettbewerbsposition der Universität zu verbessern, in einigen Fällen eine wichtige Rolle. Der Sinn der leistungs- und belastungsbezogenen Mittelverteilung, so der Kanzler der TU München, sei auch gewesen, ein System zu schaffen, das „ökonomische Anreize zu grundsätzlich erwünschtem Leistungsverhalten enthält“.102 Insbesondere die Einführung indikatorbasierter Mittelverteilungsmo98 UA Köln, Zugang 543, Nr. 548b, Der Prorektor für Planung und Finanzen, Sitzung des Senats am 14.2.1996. Unterlagen zum TOP „Verteilung der Stellen und Mittel des Haushalts 1996“, o. D., S. 5. 99 Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016. Auch einige der von Thomas Schröder befragten Wissenschaftler bewerteten die Vermeidung zeitraubender Auseinandersetzungen über die Mittelverteilung, die mit den quantitativen Verfahren einherging, als positiv, vgl. Schröder (2003), S. 252 f. 100 FU Berlin, UA, AS 2, Unterlagen zur Strukturplanung Fachbereich Physik, 9.6.1988, S. 7. 101 Ebd., Unterlagen zur Strukturplanung Fachbereich Geowissenschaften, 9.6.1988, S. 13. 102 Kronthaler (2002b), S. 20; vgl. auch Weichselbaumer (2001), S. 87. Vgl. außerdem FU Berlin, UA, AS 2, Schreiben des Kanzlers der FU Berlin an die Mitglieder des Akademischen Senats vom 17.9.1982, ebd., Schreiben des Kanzlers an den Sprecher des Fachbereichs Rechtswissenschaft vom 24.8.1982; Der Präsident der FU Berlin (1985), S. 51.
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delle auf Landesebene setzte die Universitäten unter Druck. Der Kölner Prorektor für Planung und Finanzen zum Beispiel plädierte angesichts von Verlusten aus der landesweiten Mittelverteilung 1996 für ein internes Indikatormodell, da sonst „nicht die richtigen internen Lenkungsimpulse“ gesetzt würden, „die angesichts des vom Land inszenierten Wettbewerbs zwischen den Universitäten notwendig“ seien.103 Die Universitäten, die bereits vor den jeweiligen Bundesländern zu einer indikatorbasierten Mittelverteilung übergegangen waren, passten ihre Indikatoren zudem teilweise an die landesweiten Modelle an.104 Nicht immer setzten aber die Universitäten die Vorgaben der Länder unverändert in interne Anreizstrukturen um. In Köln entspann sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, nachdem die Universität durch die „leistungsorientierte Mittelverteilung“ des Landes empfindliche Verluste erlitten hatte, eine intensive Debatte über den Umgang mit diesen Einschnitten. Da das Rektorat nicht davon überzeugt war, dass das auf Landesebene angewandte Modell die Leistungen der Universität angemessen widerspiegele, entschied es sich zunächst dafür, die entstandenen Verluste nicht über ein Anreizsystem an die Fakultäten weiterzugeben, sondern sie durch disponible Mittel auszugleichen.105 Wegen der Höhe der Einschnitte konnte dies allerdings keine dauerhafte Lösung sein, so dass bald darauf zwischen der Finanzkommission und dem Rektorat diskutiert wurde, in welcher Weise die Auswirkungen der LOM an die Fakultäten weitergegeben werden sollten. Zur Option standen eine proportionale Verteilung oder der Einsatz von Indikatoren.106 Der Prorektor für Planung und Finanzen setzte sich für ein Indikatormodell ein, um die Anreize des Landes weiterzugeben und interne Verteilungskonflikte zu begrenzen, aber auch, um zu vermeiden, dass die Universität „in eine Außenseiterrolle mit allen problematischen Konsequenzen gedrängt“ würde. Um mit der nach außen vertretenen Position, nach der die Universität zwar eine leistungsorientierte Mittelverteilung befürworte, das Landesmodell aber als unangemessen ablehne, konsistent zu bleiben, sollten sich Rektorat und Senat für ein selbst entwickeltes Indikatorensystem entscheiden.107 Doch auch gegen diesen Vorschlag gab es Vorbehalte. Der Rektor kritisierte, dass das präsentierte Modell sich an den Indikatoren des Ministeriums ausrichte und lediglich eine andere Gewichtung vornehme. Angesichts 103 UA Köln, Zugang 543, Nr. 548b, Der Prorektor für Planung und Finanzen, Sitzung des Senats am 14.2.1996. Unterlagen zum TOP „Verteilung der Stellen und Mittel des Haushalts 1996“, o. D., S. 4. Vgl. auch UA Bielefeld, R 166, Protokoll der 911. Sitzung des Rektorats am 25.10.1994; ebd., S 113, Protokoll der 227. Sitzung des Senats am 19.1.1994; ebd., Protokoll der 235. Sitzung des Senats am 18.1.1995. 104 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 14. Sitzung des 16. Senats am 8.9.2004, S. 2; ebd., Die Vizepräsidentin für Verwaltung, Warum braucht die Universität ein neues Budgetierungsmodell und warum sollten die vorhandenen Finanzen anders verteilt werden?, 6.10.2004. Vgl auch FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 20.2.2007 (Internetquelle 87), S. 2; Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 118. 105 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 548b, Schreiben des Inhabers des Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Steuerrecht, Prof. Dr. Jens Meincke, an das Rektorat vom 7.2.1996, S. 1. 106 Vgl. ebd., Zugang 543, Nr. 797, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für Planung und Finanzen am 15.1.1996, S. 2. 107 Ebd., Zugang 543, Nr. 548b, Der Prorektor für Planung und Finanzen, Sitzung des Senats am 14.2.1996. Unterlagen zum TOP „Verteilung der Stellen und Mittel des Haushalts 1996“, o. D., S. 4.
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der oft beklagten Überlastung der Universität fragte er, „ob man z. B. […] noch mehr Studenten will, um mehr Geld zu kriegen“.108 Das Dilemma bestand darin, dass der Rektor und andere Mitglieder der Universität zu Köln nicht von den Leistungskriterien der interuniversitären Konkurrenz überzeugt waren, zugleich aber auf das knappe Gut, das in diesem Konkurrenzverhältnis verteilt wurde, nicht verzichten konnten. Besonders deutlich trat dieser Gegensatz in der Kritik eines Professors der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, des späteren Rektors Jens Meincke, zu Tage, der sich gegen das vom Prorektor für Planung und Finanzen vorgeschlagene Modell wandte: Was will die Universitätsspitze den Fakultäten konkret sagen? Soll z. B. die Rechtswissenschaftliche Fakultät angeregt werden, noch mehr Erstsemester aufzunehmen und das Verhältnis von Professoren zu Studenten (ca. 1 zu 200) noch stärker zu verschlechtern? Soll die Fakultät ihre Aktivitäten wirklich auf das Einwerben von Drittmitteln konzentrieren? Soll die Fakultät mit Macht darauf hinwirken, ihre Hilfskräfte durch Mitarbeiter zu ersetzen und damit im Mittelverteilungskampf eine wesentlich günstigere Ausgangsposition zu erlangen? Soll die Fakultät darauf hinwirken, daß mehr Studenten das Referendarexamen bestehen, damit die Absolventenzahl höher wird?109
Meincke warf damit einerseits die Frage auf, ob ein Mittelverteilungsmodell, das auf solchen Indikatoren basierte, Anreize zu wirklich wünschenswerten Leistungen setzte, andererseits wies er auf die Möglichkeit zur Manipulation der relevanten Kennzahlen hin. Zwar beschlossen die Finanzkommission und das Rektorat ein Verteilungsmodell, das zumindest teilweise auf Indikatoren fußte, doch bereits im folgenden Jahr wurde es wieder ausgesetzt, weil das Rektorat die Verluste für zu groß hielt, um sie den Fakultäten aufzubürden.110 Auch in der Amtszeit Meinckes als Rektor etablierte die Universität kein Indikatormodell zur Mittelverteilung an die Fakultäten. Anders als es die Annahmen des Wettbewerbsparadigmas vorsahen, schirmte die zentrale Entscheidungsebene der Universität zu Köln folglich die Fakultäten gegenüber dem Wettbewerbsdruck ab, anstatt diesen intern weiterzugeben. Meinckes Kritik ging allerdings noch über die Infragestellung der ausgewählten Indikatoren hinaus. Man müsse den Wettbewerb zwischen Universitäten, der sinnvoll 108 Ebd., Der Rektor der Universität zu Köln, [Vermerk], 12.2.1996. 109 Ebd., Schreiben des Inhabers des Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Steuerrecht, Prof. Dr. Jens Meincke, an das Rektorat vom 7.2.1996, S. 2. Bemerkenswert ist die Ambivalenz der letzten Frage: Meincke spielte offensichtlich auf die Möglichkeit an, das Anforderungsniveau in Prüfungen zu senken, nicht auf die Möglichkeit, die Lehre zu verbessern. Dies lässt darauf schließen, dass er den Studienerfolg vor allem als Resultat der Anstrengung und/oder Begabung der Studierenden und nicht in erster Linie als „Leistung“ der Universität begriff. 110 Vgl. Rektorat der Universität zu Köln (1996), S. 33; UA Köln, Zugang 543, Nr. 797, Niederschrift über die Sitzung der Kommission für Planung und Finanzen am 15.1.1996, S. 2; ebd., Niederschrift über die Sitzung der Kommission für Planung und Finanzen am 22.10.1996, S. 2. Die Verluste wurden dann wieder durch zentrale Mittel ausgeglichen, die unter anderem aus den Zuweisungen des Landes für unbesetzte Stellen an der Universität bestanden.
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sei, solange diese ein ähnliches Fächerprofil hätten, von einem Wettbewerb zwischen Fakultäten innerhalb einer Hochschule unterscheiden. Dort finde kein Wettbewerb statt, und man solle auch keinen herbeiführen, da es an sinnvollen Kriterien mangele.111 Zweifel an der Sinnhaftigkeit eines universitätsinternen Leistungswettbewerbs gab es auch in Bielefeld. Bei der Vorstellung eines neuen Mittelverteilungsmodells im Senat sagte der Planungsreferent der Universität, man spreche bewusst nicht von „Leistungen“, sondern von „quantifizierbaren Kriterien“, weil gar nicht klar sei, was dabei gemessen werde – wofür er Beifall erntete.112 An der FU Berlin stieß die Anwendung von Indikatoren ebenfalls bei einem Teil der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen auf Ablehnung.113 In einer Umfrage, die das Präsidium Ende der 1990er Jahre durchführen ließ, äußerten 63 Prozent die Meinung, eine sachgerechte Beurteilung der Leistungen eines Fachs könnten nur Fachkollegen abgeben, und 73 Prozent waren der Auffassung, ein fachübergreifendes Bewertungssystem sei nicht möglich. Lediglich 33 Prozent der Befragten äußerten eine starke oder sehr starke Zustimmung zur leistungsorientierten Mittelverteilung, in den Geisteswissenschaften sogar nur 15 Prozent.114 Angesichts dieser Einstellungen erscheint die Durchsetzung der indikatorbasierten Mittelverteilung in den Universitäten nicht selbstverständlich, vor allem dort, wo nach den Hochschulgesetzen die Senate über die Grundsätze der Mittelverteilung zu entscheiden hatten.115 Die Zustimmung der Gremien, die in einem gewissen Kontrast zur Einstellung vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stand, lässt sich mit einer Kombination der bereits angeführten Faktoren erklären. Das Wettbewerbsparadigma hatte zwar vor allem Anhänger in den Hochschulleitungen, doch auch manche Senatoren befürworteten „Anreiz“-Systeme.116 Vor dem Hintergrund landesweiter indikatorbasierter Mittelverteilungssysteme und des Drucks in Richtung einer verstärkten „Leistungsorientierung“, den die Wissenschaftsministerien ausübten, konnten außerdem „Sachzwang“-Argumente in den Gremien überzeugen. Man muss sich überdies vor Augen führen, dass der indikatorbasierten Mittelverteilung das herkömmliche, komplizierte Verfahren gegenüberstand, gegen das nicht wenige Mitglieder von Senaten und Hochschulleitungen ebenfalls Vorbehalte hegten, etwa wegen eines wahrgenommenen Mangels an Transparenz und aufgrund des hohen Zeitaufwands. 111 Vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 548b, Schreiben des Inhabers des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Römisches Recht und Steuerrecht, Prof. Dr. Jens Meincke, an das Rektorat vom 7.2.1996, S. 2 f. 112 UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 257. Sitzung des Senats am 22.10.1997, S. 6. 113 Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016. 114 Vgl. Hübner et al. (2000), S. 35 f., 42 f. 115 An der TU München und an der Universität Oldenburg stimmten die Senate für die Einführung der indikatorbasierten Mittelverteilung, vgl. TUM-Mitteilungen, no. 1 (2003/2004), S. 15 f.; UAOL 20002 ZW, Protokoll der 3. Sitzung des 14. Senats am 19.5.1999, S. 7–9. An der Universität Bielefeld waren der Senat und insbesondere die Finanzkommission an der Erarbeitung des Modells beteiligt, vgl. UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 257. Sitzung des Senats am 22.10.1997, S. 5 f.; ebd., Protokoll der 258. Sitzung des Senats am 19.11.1997, S. 4–7. An der FU Berlin sprachen 1998 in einem Meinungsbild 18 von 21 Senatsmitgliedern einem neuen Mittelverteilungsmodell ihre Unterstützung aus, eine Mehrheit war dagegen, den Umfang der danach verteilten Gelder zu reduzieren, vgl. FU Berlin, UA, Protokoll der 529. Sitzung des Senats am 22.4.1998, S. 14. 116 UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 258. Sitzung des Senats am 19.11.1997, S. 5.
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Die Aushandlung der Indikatoren und Gewichtungen war allerdings kompliziert und konfrontierte die Beteiligten mit ähnlichen Schwierigkeiten, wie sie auch bei den Verhandlungen über die Landesmodelle auftraten. Insofern die Betroffenen an der Diskussion beteiligt waren stellte sich auch hier eine Situation politischer Konkurrenz ein, in der sie um die Regeln des künftigen formalisierten Wettbewerbs stritten. Insbesondere das Problem, Leistungen über die Fächergrenzen hinweg kommensurabel zu machen, stellte sich für die hochschulinterne Mittelzuweisung in verschärftem Maße, da hier nicht Universitäten mit zumindest teilweise ähnlichen Fächerprofilen verglichen wurden, sondern unmittelbar unterschiedliche Fächer. Dies führte dazu, wie der Referent für Controlling, Organisation und Planung der TU München festhielt, „dass sich die an den Hochschulen herangezogenen Leistungsindikatoren in hohem Maße ähneln und auf wenige beschränken, was dem Individualanspruch der wettbewerbsstrategischen Ausrichtung im Grunde widerspricht“. Denn „[d]ie Definition geeigneter Leistungsparameter wird umso schwieriger, je heterogener sich die Fachkulturen darstellen“. Kriterien, die nur für manche Fächer eine Rolle spielten, wie zum Beispiel Patente, fielen für den fachübergreifenden Vergleich aus.117 Dass die Indikatoren und ihre Gewichtungen einzelne Fächer benachteiligten, war folglich auch Inhalt von kritischen Einwänden. Der Dekan des juristischen Fachbereichs an der FU Berlin forderte 1999 beispielsweise Korrekturen der leistungsorientierten Mittelverteilung, da diese die Rechtswissenschaften strukturell benachteilige. Die im Fach üblichen Forschungsprojekte würden von der DFG kaum gefördert und Monographien hätten, verglichen mit Aufsätzen, eine größere Bedeutung, als dies in den Gewichtungen des Modells zum Ausdruck komme.118 Auch auf der Hochschulebene zeigte sich, dass eine objektive Erfassung von Leistungen Fiktion blieb. Vielmehr wurden die Modelle in der Regel mit Blick auf die erwünschten Verteilungsergebnisse und Anreizwirkungen gestaltet. So entwarf eine Arbeitsgruppe an der Universität Bielefeld mehrere Modellvarianten und rechnete sie durch, um ein Verfahren zu finden, das kurzfristig keine größeren Veränderungen für einzelne Fakultäten bewirken würde.119 Die Finanzkommission, die das Mittelverteilungsmodell im Wesentlichen entwickelt hatte, schlug vor, anders als auf Landesebene den Indikator Drittmittelsumme nicht nach Fächergruppen zu gewichten, um „eine Universität mit funktionsfähigen Naturwissenschaften zu erhalten“. Dieses Vorgehen zog allerdings die Kritik mehrerer Mitglieder des Senats auf sich, deren Argumente darauf abzielten, nicht von gewünschten Verteilungsergebnissen, sondern von Leistungen auszugehen. Ein Senator wandte ein, er sei nicht der Meinung, „daß Drittmittel von allen Fächern mit etwa gleichem Aufwand eingeworben werden könnten“, da in den Naturwissenschaften „die bewilligten Summen im Schnitt pro Antrag höher“ 117 Weichselbaumer (2007), S. 28. Für die Probleme, die sich aus den Unterschieden der Fächer ergaben, vgl. auch UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 257. Sitzung des Senats am 22.10.1997, S. 5 f. 118 Vgl. FU Berlin, P/Rou 47, Schreiben des Dekans des FB Rechtswissenschaft an den Kanler vom 6.7.1999. 119 Vgl. UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 257. Sitzung des Senats am 22.10.1997, S. 5 f.
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ausfielen. Ein anderer brachte an, dass bei einer Gleichgewichtung der Drittmittelsummen auch die Absolventen der Naturwissenschaften nicht um das Fünffache höher bewertet werden dürften. Diese Fächer dürften nicht, wie ein weiterer Gremienmitglied anschloss, dafür „belohnt“ werden, dass ihre Studierendenzahlen zurückgingen. Sobald die Debatte allerdings auf die Frage der Vergleichbarkeit von Leistungen einschwenkte, zeigte sich, dass die Basis für eine Einigung fehlte. So entgegnete der Vorsitzende der Finanzkommission, an der Universität gebe es „[b]ei der Einwerbung von Drittmitteln […] ähnliche Größenordnungen bei den Geistes- und Sozialwissenschaften auf der einen und den Naturwissenschaften auf der anderen Seite“. Er habe „Probleme, einem Naturwissenschaftler zu erklären, warum dessen Geld weniger wert sein sollte als das von Geistes- und Sozialwissenschaftlern“. Die Unabschließbarkeit dieser Debatten lag daran, dass mit der Festsetzung von Gewichtungsfaktoren ebenso wie mit der Wahl der Indikatoren (implizite) Werturteile einhergingen.120 Angesichts derartiger Probleme überrascht es nicht, dass sich die Mittelverteilungsmodelle der Universitäten in der Regel daran orientierten, die bestehenden Verhältnisse weitgehend abzubilden und in gemäßigtem Umfang Anreize für gewünschte Entwicklungen zu setzen, so vor allem die Steigerung der Drittmittelzahlen und die Verkürzung der Studienzeiten. Sie liefen, wie ein Mitglied der Bielefelder Finanzkommission einräumte, auf „eine Mischung von Subventions- und Anreizelementen“ hinaus.121 Dazu trug ebenfalls bei, dass manche Beteiligte nicht von der Möglichkeit einer objektiven Leistungsmessung überzeugt waren.122 Die Vermeidung scharfer Umverteilungseffekte dürfte zudem nötig gewesen sein, um den Modellen die Zustimmung der Gremien bzw. die Akzeptanz durch die Betroffenen zu verschaffen. Die Verteilungsmodelle der Universitäten fußten in der Regel auf ähnlichen Kriterien wie die der Länder und unterschieden sich auch untereinander vor allem darin, wie sie die verschiedenen Kennzahlen gewichteten.123 Manche Universitäten wie Oldenburg oder die FU Berlin bezogen, im Unterschied zu den Ländern, auch Publikationszahlen ein.124 Hier stellte sich allerdings das Problem, dass die Gewohnheiten in den Fächern stark voneinander abwichen, vor allem was die relative Bedeutung von Monographien, Sammelbandaufsätzen und Zeitschriftenartikeln anging. Es mussten
120 UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 258. Sitzung des Senats am 19.11.1997, S. 5 f. 121 Ebd., S. 7. 122 Vgl. UOL Altregistratur, Vizepräsidentin 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999, S. 5. Vgl. dazu auch die oben angeführte Äußerung des Planungsreferenten der Universität Bielefeld. 123 Vgl. Leistungsorientierte Mittelverteilung an der Freien Universität Berlin. Kriterien, November 1996, in: Der Präsident der FU Berlin (1997), Anlage 4; Kronthaler (2002b), S. 22; UOL Altregistratur, Vizepräsidentin 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999; Universität Bielefeld (1998), S. 48; Bogumil et al. (2013), S. 82. 124 Vgl. UOL Altregistratur, Vizepräsidentin 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999, S. 14; Merkblatt. Leistungsorientierte Mittelverteilung an der Freien Universität Berlin. Kriterien, November 1996, in: Der Präsident der FU Berlin (1997), Anlage 4.
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daher Formeln entwickelt werden, die es erlaubten, solche unterschiedlichen Publikationsformen miteinander zu verrechnen. An der Universität Oldenburg geschah dies mit einem Punktesystem, das Veröffentlichungen je nach Erscheinungsform und Seitenzahl unterschiedlich gewichtete.125 Ein Teil der Universitäten bezog auch die Frauenförderung, zu der die Hochschulen seit 1985 gesetzlich verpflichtet waren,126 in die indikatorbasierte Mittelverteilung ein. Zu den ersten gehörte hier die FU Berlin seit Mitte der 1990er Jahre. Die Einführung der leistungsorientierten Mittelverteilung war aus Sicht der Frauenbeauftragten der FU eine Gelegenheit, ein mit Sanktionen versehenes Instrument der Gleichstellung einzuführen, nachdem andere Versuche in diese Richtung gescheitert waren und andere Maßnahmen kaum wirkten.127 Die Etablierung eines neuen Konkurrenzverhältnisses ermöglichte es aus Perspektive der universitären Gleichstellungspolitik, ihre Ziele in die Leistungskriterien einzuschreiben und die Konkurrenten so zu Veränderungen zu bewegen, die sie aus eigenem Antrieb oder allein durch normativen Druck nicht vollzogen. Die Fachbereiche und Fakultäten wurden auf diese Weise in die Pflicht genommen, für die Gleichstellung der Geschlechter zu sorgen. Die Indikatoren, mit denen dies umgesetzt werden sollte, maßen nach dem sogenannten „Kaskadenmodell“ den Frauenanteil auf einer Qualifikationsstufe in Relation zum Anteil der Frauen auf der jeweils niedrigeren Stufe. Lediglich bei Berufungen wurde die Zahl der Professorinnen zur Gesamtzahl der Berufungen in Beziehung gesetzt.128 Wirksame Anreize für das wissenschaftliche Personal waren aus Perspektive der Vertreter und Vertreterinnen des Wettbewerbsparadigmas nicht alleine durch eine leistungsorientierte Mittelverteilung auf die Fakultäten oder Fachbereiche zu erreichen, sondern nur dann, so die Entwicklungs- und Planungskommission der FU Berlin, „wenn diese [Mittel] auch innerhalb der Fachbereiche nach entsprechenden Kriterien weitergegeben werden.“129 Nicht immer zogen nämlich die Fachbereiche und Fakultäten aus der Einführung der universitätsinternen Mittelverteilungssysteme die Konsequenz, auch intern ähnliche Anreizstrukturen zu etablieren. Teilweise geschah dies erst auf erheblichen Druck der Hochschulleitungen. So verpflichtete das Präsidium der FU Berlin in den 2000er Jahren alle Fakultäten zur Einführung einer leistungsorientierten Mittelverteilung sowie zur Angleichung der Kriterien an die des hoch125 UOL Altregistratur, Vizepräsidentin 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999, S. 14. Auch an der FU Berlin wurde ein Punktesystem eingesetzt, vgl. Leistungsorientierte Mittelverteilung an der Freien Universität Berlin. Kriterien, November 1996, in: Der Präsident der FU Berlin (1997), Anlage 4. 126 Drittes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 14.11.1985, in: BGBl. 1985 I, 2090– 2098, Art. 1 Nr. 1a. 127 Vgl. Färber (2000), S. 59 f. 128 Vgl. Färber (2000), S. 62 f.; für weitere Beispiele vgl. UOL Altregistratur, Vizepräsidentin 1, Modell der Mittelverteilung von der Universität auf die Fachbereiche. Vorlage der Arbeitsgruppe des Präsidiums, 10.5.1999, S. 11 f.; sowie TUM-Mitteilungen, no. 1 (2003/2004), S. 15 f. 129 FU Berlin, UA, EPK-Schriftwechsel, Entwurf einer Empfehlung der Entwicklungsplanungskommission, Leistungsbezogene Mittelverteilung an der FU Berlin, [o. D., ca. 1997].
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schulweiten Modells.130 Meistens waren die Verteilungsmodelle der Fachbereiche allerdings in der Wahl der Kriterien differenzierter.131 Die Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TU München zog beispielsweise auch die Zahl an Patenten heran.132 Der Fachbereich für Wirtschaftswissenschaften der FU Berlin führte als zusätzliche Parameter die Beteiligung an der universitären Selbstverwaltung, abgehaltene Prüfungen, Gutachten, die Betreuung von Abschlussarbeiten, Vorträge und die Organisation von Tagungen ein133. Diese größere Vielfalt der fakultätsinternen Kriterien lässt darauf schließen, dass die universitätsweiten Verteilungsmodelle, die auf alle Fächer anwendbar sein mussten, das jeweils fachspezifisch ausgeprägte Verständnis wissenschaftlicher Leistungen nur unzureichend abbildeten.134 Da die universitären Mittelverteilungssysteme nur eine begrenzte Zahl an Gesichtspunkten berücksichtigten und den besonderen Aufgaben und Strukturen einzelner Einrichtungen daher nicht Rechnung tragen konnten, diese teilweise sogar vor erhebliche finanzielle Probleme gestellt hätten, sahen sich die Hochschulleitungen gezwungen, einen Teil der Mittel auf andere Weise zu vergeben. An den meisten Universitäten griffen sie in den 2000er Jahren einen Vorschlag der betriebswirtschaftlichen Reformliteratur135 auf und führten interne Zielvereinbarungen als zweites Verfahren der Mittelverteilung neben den Indikatorsystemen ein. Ein (kleinerer) Teil der finanziellen Ressourcen wurde in diesem Rahmen für einzelne Projekte und besondere Zielsetzungen vergeben, die sich nicht auf alle Fakultäten verallgemeinern ließen.136 Nicht selten nutzten wettbewerbsorientierte Hochschulleitungen aber auch dieses Steuerungsinstrument dazu, die Fachbereiche auf eine Verbesserung ihrer Werte bei den einschlägigen Indikatoren wie Drittmitteleinwerbungen, Absolventenzahlen und Anteil ausländischer Studierender zu verpflichten.137 Anreize auf individueller Ebene sollte auch die Neugestaltung der Professorenbesoldung mit der Einführung von „Leistungszulagen“ in den 2000er Jahren schaffen. Zuvor waren in den 1960er und 1970er Jahren Wettbewerbselemente in der Bezahlung von Professoren aus politischen Gründen abgebaut worden. Im Jahr 1964 wurden die 130 Vgl. ebd., AS 2, Projekt Hochschulinterne Steuerungsmodelle, Zielvereinbarungen zwischen Präsidium und Fachbereichen für das Jahr 2000. Erste Zwischenergebnisse des Zielvereinbarungsprozesses, 31.1.2000; vgl. ebd., Projekt Hochschulinterne Steuerungsmodelle, Zielvereinbarungen zwischen Präsidium und Fachbereichen für das Jahr 2002, 10.5.2002, S. 9; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 66 f. 131 Vgl. hierzu auch Jaeger et al. (2007). Die Autoren stützen sich mit der TU München und der FU Berlin aber teilweise auf dieselben Fallbeispiele. 132 Vgl. Wülbern (2007), S. 61. 133 Vgl. FU Berlin, UA, FBR, Protokoll der 461. Sitz des Fachbereichsrates des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft am 16.6.1999. 134 Zum Teil lagen Abweichungen von den universitätsweiten Modellen auch daran, dass sich Kriterien wie die Zahl der Absolventen oder der Studierenden nicht sinnvoll auf einzelne Professuren oder Institute anwenden ließen. 135 Vgl. z. B. Fedrowitz et al. (1999). 136 Vgl. Jaeger (2006); Bogumil et al. (2013), S. 77; Kronthaler (2002b), S. 24 f. 137 Vgl. z. B. FU Berlin, UA, Präsidium, Beratungsergebnisse der Kleinen Routine am 11.4.2001, S. 2; TU München (2000a), S. 91.
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Kolleggelder, die Studierende für den Besuch von Lehrveranstaltungen entrichteten und die an die Professoren ausgezahlt wurden, zu einer Pauschale zusammengefasst. Mit dem Übergang zur neuen „Besoldungsordnung C“ in den 1970er Jahren entfielen sie schließlich ganz. Diese Reform schränkte aber auch die Möglichkeiten ein, Professorengehälter individuell aufzustocken.138 In den 1990er Jahren geriet diese Form der Besoldung, in der die individuellen Bezüge zu großen Teilen vom Dienstalter abhingen, in die Kritik.139 In den Massenmedien kursierte das Bild des „faulen Professors“, ein Klischee, das auch HRK-Präsident Klaus Landfried bediente. Es fehlten individuelle Leistungsanreize, so die in den Medien, unter Wissenschaftspolitikern und auch bei einem Teil der Rektoren und Präsidenten verbreitete Auffassung.140 Letztere beschlossen auf einer Plenarversammlung der HRK im Jahr 1998 mit überwiegender Mehrheit, die Dienstaltersstufen durch Leistungsbezüge zu ersetzen. Auch das CHE propagierte eine solche Umgestaltung des Entlohnungssystems.141 Die rot-grüne Bundesregierung, die neoliberalen, auf Wettbewerb und Leistungsanreize setzenden Konzepten gegenüber aufgeschlossen war und sich zugleich um die internationale Konkurrenzfähigkeit des deutschen Hochschulsystems sorgte, griff diese Initiativen auf.142 Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) brachte einen Gesetzentwurf zur Flexibilisierung der Professorenbesoldung in den Bundestag ein, der im Jahr 2002 beschlossen wurde.143 Die neue „Besoldungsordnung W“ sah vor, dass Professorinnen und Professoren der Besoldungsgruppen W 2 und W 3 zusätzlich zu einem festen Grundgehalt variable Leistungsbezüge erhalten konnten. Jene lagen zwar etwas über den Eingangsgehältern der Besoldungsgruppen C 3 und C 4, aber deutlich unter dem Niveau der höchsten (15.) Dienstaltersstufe.144 Statt automatischer Erhöhungen sah das neue Gesetz die Möglichkeit vor, „aus Anlass von Berufungs- und Bleibeverhandlungen“, „für besondere Leistungen in Forschung, Lehre, Kunst, Weiterbildung und Nachwuchsförderung“ oder für die Ausübung von Funktionen in der akademischen Selbstverwaltung Zulagen zu gewähren.145 Die Flexibilisierung der Gehälter sollte es den Universitäten zugleich ermöglichen, für einzelne Berufungen besonders renommierter Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mehr Mittel einzusetzen und somit international konkurrenzfähiger zu werden.146 In den folgenden Jahren gaben zudem fast alle
138 Vgl. DUZ, no. 11 (1984), S. 18–19. 139 Vgl. hierzu und zum Folgenden Forschung & Lehre, no. 3 (2012), S. 190–193. 140 Vgl. z. B. DUZ, no. 7 (1993), S. 16–18. 141 Vgl. Müller-Böling/Sager (1999). 142 S. Kap. III.2 und Kap. VI. 143 Vgl. Gesetz zur Reform der Professorenbesoldung vom 16.2.2002, in: BGBl. 2002 I, S. 686–692, § 34, Abs. 1. 144 Vgl. Bekanntmachung der Neufassung des Bundesbesoldungsgesetzes vom 3.12.1998, in: BGBl. 1998 I, S. 3434–3491, Anlage IV. 145 Bundesbesoldungsgesetz, in der Fassung vom 6.8.2002, in: BGBl. 2002 I, S. 3020–3079, § 33, Abs. 1. 146 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Reform der Professorenbesoldung, Deutscher Bundestag Drs. 14/6852, S. 1; Schüller (2002).
3. Universitätsinterne Kon urrenn
Bundesländer die Gehaltsverhandlungen an die Hochschulleitungen ab.147 Diese waren dabei aber durch sogenannte „Vergaberahmen“ gebunden, konnten also nur eine begrenzte finanzielle Summe verteilen.148 Den Universitätsleitungen kam somit die Rolle eines Dritten zu, der über die Verteilung einer neu zugeschnittenen Prämie ‚Gehalt‘ bestimmte. Die akademischen Senate hatten einen gewissen Einfluss auf die Regeln dieses Konkurrenzverhältnisses, insofern sie im Rahmen von Satzungen festlegen konnten, was als „besondere Leistung“ zu gelten habe.149 In der Forschung zählten wissenschaftliche Preise, die Einwerbung von Drittmitteln sowie Publikationen, insbesondere Aufsätze in internationalen Zeitschriften mit peer review, zu den wichtigsten Kriterien.150 In der Lehre wurden insbesondere gute Evaluationsergebnisse, Engagement über gesetzliche Verpflichtungen hinaus und besondere Belastungen durch Zulagen belohnt, darüber hinaus die Promotionsbetreuung.151 Es dominierten also teilweise ähnliche Leistungskriterien wie in der indikatorbasierten Mittelverteilung. Da die Zulagen aber nicht über eine mathematische Formel vergeben wurden, die auf alle Fächer anwendbar sein musste, konnte eine größere Zahl von Gesichtspunkten, zum Beispiel auch Patente und Aktivitäten in der wissenschaftlichen Weiterbildung, einbezogen werden. Die W-Besoldung sorgte dafür, dass Professorinnen und Professoren ihre Leistungen in stärkerem Maße rechtfertigen mussten. War ihnen bis dahin ein mit dem Dienstalter steigendes Gehalt garantiert, das gegebenenfalls durch die Annahme eines Rufes oder durch Bleibeverhandlungen aufgebessert werden konnte, mussten sie nun Nachweise erfolgreicher Arbeit liefern, wenn sie sich nicht mit dem deutlich niedrigeren Grundgehalt begnügen wollten. Denn die Leistungsbezüge waren an einigen Universitäten an Zielvereinbarungen mit den Hochschulleitungen geknüpft und wurden zum Teil nur zeitlich befristet vergeben. Um zusätzliche Bezüge für „besondere Leistungen“ zu erhalten, mussten die Professorinnen und Professoren in der Regel einen Antrag an die Hochschulleitung stellen und ihr Anliegen begründen, oder sie wurden von den Dekanen vorgeschlagen.152 In Zielvereinbarungen verpflichteten sie 147 Vgl. Detmer/Preißler (2006), S. 53. 148 Nach der Einführung der W-Besoldung wurde ein faktischer „Besoldungsdurchschnitt“ des Jahres 2001 getrennt nach Universitäten und Fachhochschulen und für jedes einzelne Bundesland berechnet. Ausgehend von diesen Werten mussten die Bundesländer einen „Vergaberahmen“ festlegen, der bestimmte, wie viel Geld für die Professorenbesoldung zur Verfügung stand. Anpassungen nach oben waren (abgesehen von der regelmäßigen Besoldungsanpassung, an der die W-Besoldung teilnahm) nur bis auf das höchste in Bund und Ländern geltende Niveau möglich. Vgl. Gesetz zur Reform der Professorenbesoldung vom 16.2.2002, in: BGBl. 2002 I, S. 686–692, § 34, Abs. 1. 149 Vgl. Detmer/Preißler (2006), S. 63; Biester (2013), S. 121. 150 Vgl. Biester (2013), S. 131; Bogumil et al. (2013), S. 87; Rosenbusch (2013), S. 149; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016. 151 Vgl. Biester (2013), 137, 141. 152 Vgl. z. B. Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, Richtlinie über das Verfahren und die Vergabe von Leistungsbezügen vom 1.7.2007, in: Amtliche Mittelungen 26 (2003), Nr. 3, S. 80–82, hier § 5; Grundsätze der Technischen Universität München über die Vergabe von Leistungsbezügen und Forschungs- und Lehrzulagen vom 2.12.2011, § 3; Satzung der Friedrich-Schiller-Universität Jena über die Vergabe von Leistungsbezügen sowie von Forschungs- und Lehrzulagen vom 19.12.2008, in: Verkündungsblatt 2009, Nr. 1, S. 1–6, § 6.
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sich unter anderem zu Drittmittelanträgen und einer gewissen Anzahl an jährlichen Publikationen.153 Es entstand zudem ein stärker hierarchisches Verhältnis nicht nur zu den Hochschulleitungen, sondern auch zu den Dekanen, die in den meisten Fällen vor der Vergabe von Bezügen für „besondere Leistungen“ Stellung nehmen mussten.154 Die Möglichkeiten der Hochschulleitungen, auf diesem Wege die von ihnen definierten Organisationsziele durchzusetzen – wie es das Wettbewerbsparadigma vorsah155 –, waren allerdings begrenzt. Schließlich waren sie auch selbst Konkurrenten im Wettbewerb um „die besten Köpfe“. Sie konnten daher über die Gehaltszulagen nicht allein nach Gutdünken verfügen, sondern mussten sich den Forderungen sogenannter „Leuchttürme“ und der jeweiligen Marktlage anpassen.156 Zudem verhinderten die Gerechtigkeitsvorstellungen mancher Rektorats- oder Präsidiumsmitglieder, dass diese ihre Rolle als Dritte uneingeschränkt im Sinne des Wettbewerbsparadigmas spielten.157 Derartige Einschränkungen zeigen sich unter anderem daran, dass auch weiterhin ein guter Teil der Gehaltszulagen unbefristet vergeben wurde,158 die Hochschulleitungen also auf die Möglichkeit der Leistungskontrolle verzichteten oder verzichten mussten. Jedenfalls bewirkte die neue Besoldung eine deutliche Spreizung der Gehälter,159 deren Höhe sich nun stärker durch marktförmige Konkurrenzverhältnisse bestimmte.160 Während es für Erstberufene schwierig war, Zulagen zum Grundgehalt zu bekommen, konnten begehrte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Leistungsbezüge von 1 500 Euro und mehr heraushandeln.161 Davon profitierten insbesondere die Naturund Ingenieurwissenschaftler, um die deutsche Universitäten mit Wirtschaftsunternehmen und ausländischen Hochschulen konkurrierten, während die Geistes- und Kulturwissenschaftler strukturell am kürzeren Hebel saßen.162
153 Weitere Punkte konnten sein: die Organisation von Tagungen, die Beteiligung an der Umsetzung der neuen Studienstruktur, das Abhalten bestimmter Lehrveranstaltungen und die Anbahnung internationale Kooperationsprojekte. Dies ergab eine Auswertung der Vereinbarungen an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Vgl. außerdem Detmer (2012); Biester (2013), S. 144, 181–188. 154 Vgl. Biester (2013), S. 144. 155 An der FSU Jena war ein solcher Organisationsbezug sogar in die Satzung zur Vergabe von Leistungsbezügen eingeschrieben. Die höchsten Zulagen, bis zu 1500 EUR, konnten für „herausragende Leistungen“ vergeben werden, „die in besonderer Weise zur nationalen und internationalen Reputation der Universität beitragen“ (Satzung der Friedrich-Schiller-Universität Jena über die Vergabe von Leistungsbezügen sowie von Forschungs- und Lehrzulagen vom 19.12.2008, in: Verkündungsblatt 2009, Nr. 1, S. 1–6, § 5 Abs. 2). 156 Zum Begriff „Leuchtturmberufung“ vgl. z. B. Forschung & Lehre, no. 9 (2011), S. 666–667. 157 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; Bogumil et al. (2013), S. 179. 158 Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; dies zeigte auch eine Auswertung der Vergabe von Leistungsbezügen an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. 159 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 102. 160 Vgl. Jochheim (2015), S. 172, 177. 161 Auswertung der Vergabe von Leistungsbezügen an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Vgl. Detmer/Preißler (2006), S. 63; die schlechtere Verhandlungsposition der Erstberufenen führte auch dazu, dass sie öfter Zielvereinbarungen abschließen mussten, um Zulagen zu bekommen, vgl. ebd., S. 56. 162 Vgl. Jochheim (2015), S. 172; Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016.
4. Die olgen der „Tonnenideologien
4. Die Folgen der „Tonnenideologie“ Veränderten die beschriebenen neuen Konkurrenzverhältnisse und das Vordringen von Leistungsindikatoren die Praxis in Forschung und Lehre? Auch wenn es schwierig ist, direkte kausale Verknüpfungen herzustellen, gibt es Hinweise auf eine Reihe von Auswirkungen. Bemerkenswert sind insbesondere die weitere Intensivierung der Konkurrenz um Drittmittel seit den 1990er Jahren und ein mit Folgeproblemen verbundenes Ansteigen der Publikationszahlen. Diese Entwicklungen sollten zwar nicht allein als Effekte der leistungsorientierten Mittelverteilung interpretiert werden, hatten aber doch mit dem Vordringen von quantitativen Leistungskriterien und der Überformung wissenschaftsinterner Prozesse der Reputationszuweisung zu tun. Bisweilen wandte die sozialwissenschaftliche Forschung, die die Einführung der leistungsorientierten Mittelverteilung begleitete, ein, das Umverteilungsvolumen sowohl auf der Landesebene als auch hochschulintern sei zu gering, um die betroffenen Akteure zum gewünschten Handeln zu veranlassen. Die Verluste und Gewinne würden zudem durch allgemeine Haushaltskürzungen sowie durch das üblicherweise stark fluktuierende Drittmitteleinkommen konterkariert.163 Dieses Argument trifft zu,164 hat allerdings nur eine eingeschränkte Reichweite, denn einerseits konnten die Betroffenen mit guten Gründen davon ausgehen, dass die mit den Indikatoren festgelegten Leistungskriterien in absehbarer Zeit eine immer größere Bedeutung erlangen würden, so dass es durchaus lohnenswert erschien, sich rechtzeitig auf diese Konkurrenzverhältnisse einzustellen.165 Andererseits erhöhte sich der Anteil der Haushaltsmittel, die in die Verteilungsmodelle eingespeist wurden, im Laufe der Jahre deutlich, vor allem, wenn die Universitäten die Haushaltsflexibilisierung dazu nutzten, auch Gelder für wissenschaftliches Personal im Wettbewerb an die Fachbereiche zu vergeben. An der FU Berlin wurden zum Beispiel im Jahr 2010 30 Prozent der Sach- und Personalmittel nach einem Indikatormodell verteilt.166 Von besonderer Bedeutung war zudem, dass 163 Vgl. z. B. Jaeger (2008), S. 42 f., 45. 164 Für Belege vgl. Lange (2007). Lange zitiert z. B. einen Politikwissenschaftler, der angab, er könne Geld leichter durch Vorträge bei Unternehmen und Stiftungen bekommen als durch Anpassung seines Publikationsverhaltens an das Mittelverteilungssystem seiner Fakultät, das besonders die Publikation in hochrangigen internationalen Zeitschriften förderte, vgl. ebd. S. 163. Zum selben Schluss kommt auf Basis von Interviews an fünf Universitäten Schröder (2003), S. 252: „Nach Ansicht vieler Gesprächspartner geht von den leistungsorientierten Mittelverteilungsverfahren eine geringe bzw. keine Steuerungswirkung aus, da die Höhe der darüber verteilten finanziellen Mittel, die durch Mehrleistung zu erhalten sind, zu gering sind. Insbesondere jene Gesprächspartner, die alternative Möglichkeiten zur Einwerbung von Drittmitteln haben, betonen, dass die Beschaffung zusätzlicher finanzieller Ressourcen durch Drittmittelprojekte schneller und unkomplizierter möglich sei, als die Erhöhung des Budgets über Mittelverteilungsverfahren.“ 165 Solche Erwartungen und entsprechendes Verhalten lassen sich zumindest auf der Ebene der Hochschulleitungen mit Blick auf die Mittelverteilung durch die Bundesländer feststellen, vgl. FU Berlin, UA, FBR, Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, Schreiben des Präsidenten der FU Berlin an die Dekaninnen und Dekane, Prodekaninnen und Prodekane und die Vorsitzenden der Institutsräte der Zentralinstitute vom 20.3.2001; UAOL 20002–080, Protokoll der Dekanebesprechung vom 12.11.1996. 166 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2011), S. 110. Einbezogen wurden ab 2006 Stellen für den wissenschaftlichen Mittelbau sowie Juniorprofessuren. Vgl. Präsidium der FU Berlin (2007), S. 38. Auch die Leitung der
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Ausstattungszusagen im Rahmen von Berufungs- und Bleibeverhandlungen nach der Novellierung der Landeshochschulgesetze seit Ende der 1990er Jahre nur noch befristet galten.167 Dies erhöhte den Umfang an Mitteln und Personalstellen, die innerhalb der Universitäten jährlich neu in Wettbewerbsverfahren verteilt werden konnten, erheblich. Konkurrenzverhalten einzelner Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen infolge der beschriebenen Entwicklungen ist quellenbedingt nur schwer festzustellen. In den Akten der universitären Gremien finden sich vor allem Hinweise darauf, dass eine verstärkte Formalisierung der Konkurrenz in manchen Fällen zu Bemühungen um mehr Studienanfänger und kürzere Studienzeiten führte.168 Zeitgenössische sozialwissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass zumindest ein Teil der Wissenschaftler sich angesichts des gewachsenen Drucks zur Drittmitteleinwerbung dazu genötigt sahen, ihre Anstrengungen zur Einwerbung von Forschungsgeldern zu verstärken, die Wahl ihrer Forschungsthemen anzupassen und vor allem Projekte zu verfolgen, bei denen die Gefahr zu scheitern vergleichsweise gering war.169 Die Folgen der leistungsorientierten Mittelverteilung wurden allerdings nicht systematisch erforscht. Zwar ließen manche Länder Evaluationen ihrer Finanzierungssysteme durchführen, doch arbeiteten die beauftragten Gutachter hauptsächlich mit einer beschränkten Auswahl an statistischen Daten und Auskünften der Hochschulleitungen.170 Letztendlich operierten sie mit denselben, nicht empirisch belegten Wirkungsannahmen, die auch die Einführung der indikatorbasierten Modelle angeleitet hatten. Aggregierte Daten können zumindest Hinweise auf mögliche Effekte des Einsatzes von Indikatoren geben. Für Australien konnte Linda Butler zeigen, dass die Einführung eines indikatorbasierten Finanzierungsmodells zu einer Steigerung der Publikationszahlen führte, dieses Wachstum aber vor allem auf Artikel in weniger einflussreichen Zeitschriften (mit mutmaßlich niedrigeren Standards) entfiel.171 Auch wenn eine solche Auswertung für Deutschland nicht vorliegt, lässt sich anhand dieser und ähnliUniversität Oldenburg arbeitete gegen Ende des Untersuchungszeitraums daran, die Personalkosten in ein Finanzierungsmodell zu integrieren, vgl. UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Senats am 7.10.2009. 167 Dies hatte die Kultusministerkonferenz 1998 vereinbart (vgl. Detmer (2001), S. 50). Vgl. z. B. Bayerisches Hochschulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.10.1998, in: Bay. GVBl. 1998, S. 740–795, Art. 57 Nr. 5, Art. 128a Nr. 9; Niedersächsisches Hochschulgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 24.3.1998, in: Nds. GVBl. 1998, S. 300, § 54 Abs. 5; vgl. auch Detmer (2012), S. 136. 168 Vgl. z. B. FU Berlin, UA, FBR, Protokoll der 201. erweiterten ordentlichen Sitzung des Fachbereichsrates des Fachbereichs Geschichts- und Kulturwissenschaften am 15.12.2010, S. 7. Für weitere Ausführungen zum Wettbewerb um Studierende s. u. Kap. V.2. 169 Vgl. Jansen et al. (2015), S. 132 f. Der Erkenntniswert mancher sozialwissenschaftlicher Arbeiten zu diesem Thema ist allerdings aus methodischen Gründen zweifelhaft. Wenn etwa Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragt wurden, ob die neuen „Steuerungsinstrumente“ ihre Arbeit beeinflussten, ist wohl davon auszugehen, dass ihre Antworten stark von hochschulpolitischen Einstellungen und ihrem Selbstbild als selbstbestimmte Forscherinnen und Forscher beeinflusst war. Nur wenige Studien operierten mit aufwändigeren Methoden, die geeignet waren, dieses Problem zu umgehen, so z. B. Gläser et al. (2008). Auch die Frage, wie Einflüsse institutioneller Arrangements auf die Inhalte der Forschung theoretisch gefasst werden können, ist noch nicht hinreichend beantwortet. Für einen avancierten Entwurf vgl. Whitley (2014). 170 Vgl. Ebcinoglu et al. (2008); Jaeger/In der Smitten (2009); Jaeger/In der Smitten (2010). 171 Vgl. Butler (2003).
4. Die olgen der „Tonnenideologien
cher Studien172 doch vermuten, dass eine auf Anreize abzielende Hochschulfinanzierung durchaus Einfluss auf die Praxis in Forschung und Lehre haben kann, wenngleich nicht zwingend auf die beabsichtigte Weise. In der Bundesrepublik, wo der Drittmittel-Indikator eine besonders herausgehobene Rolle spielte, lässt sich vor allem bei der Antragsaktivität eine auffällige Entwicklung beobachten. In den 1980er Jahren wuchs die Zahl der Anträge im DFG-Normalverfahren nur leicht an. Nachdem sie infolge der Eingliederung des ostdeutschen Wissenschaftssystems einen Sprung von 6 300 im Jahr 1990 auf 8 034 1992 gemacht hatte, war in den 1990er Jahren insgesamt eine deutliche Zunahme zu verzeichnen.173 1998 gingen bereits 11 525 Anträge bei der DFG ein. Noch stärker als die Zahl der Anträge expandierte das Volumen der beantragten Mittel, was die Erfolgsquote der Anträge trotz eines vorübergehenden Rückgangs der Antragszahlen in der Mitte der 2000er Jahre kontinuierlich sinken ließ: von 68,9 Prozent im Jahr 1995 auf 42,5 Prozent 2010 und 2012 sogar auf nur 32,5 Prozent. 1980 hatten die Chancen auf eine Förderung noch bei 81,9 Prozent gelegen.174 Auch bei den SFBs stieg gegen Ende der 1990er Jahre die Zahl der Initiativen. Die Erfolgsaussichten verschlechterten sich hier ebenfalls deutlich und lagen sowohl Mitte der 1990er Jahre als auch um das Jahr 2010 auf einem ähnlichen Niveau wie im Normalverfahren.175 Der Anstieg der Antragszahlen kann nicht durch eine Ausweitung der Gruppe potenzieller Konkurrenten um Drittmittel erklärt werden. Die Zahl der Professuren an wissenschaftlichen Hochschulen, die dafür einen guten Anhaltspunkt bietet, stieg zwar in der ersten Hälfte der 1990er Jahre um 16 Prozent, was aber deutlich unter der Zunahme der Antragszahlen (39 Prozent) lag. Ab 1997 ging sie sogar leicht zurück und stagnierte ab der Jahrtausendwende.176 Auch eine Verschlechterung der Grundfinanzierung kommt als alleinige Erklärung für die beschriebene Entwicklung wahrscheinlich nicht in Frage, da die laufenden Mittel und die Investitionsausgaben an wissenschaftlichen Hochschulen in diesem Zeitraum ebenfalls leicht anstiegen.177 Es steht daher zu vermuten, dass der Druck zu Drittmitteleinwerbungen zu einer Intensivierung des Wettbewerbs um solche Gelder geführt hat. In einer Umfrage, die gegen Ende 172 Vgl. Hammarfelt/Rijcke (2015); Jiménez-Contreras et al. (2003). 173 Vgl. hierzu und zum Folgenden Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 67; DFG (2010a), S. 169; DFG (2012), S. 167; Dinkel/Wagner (2015). 174 Der Wissenschaftsrat kommentierte diese Entwicklung in den frühen 1990er Jahren kritisch: „Nachdem in den alten Ländern bereits in den 80er Jahren die Forschungsförderung durch stetige Zunahme der Förderungsanträge bei gleichzeitig immer spürbarer werdender Verknappung der verfügbaren Mittel gekennzeichnet war, hält der Wissenschaftsrat es nicht für vertretbar, daß z. B. die Bewilligungsquote […] der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die in den 60er und 70er Jahren stets über 60 % lag und angesichts der Qualität der Anträge auch weiterhin um 60 % liegen müßte, unter 50 % absinkt“ (Wissenschaftsrat (1992c), S. 73). 175 Vgl. Wissenschaftsrat (2002), S. 14; DFG (2014), S. 21. 176 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 1.16. 177 Vgl. Statistisches Bundesamt (2004a), Tab. 1.1; Statistisches Bundesamt (2007), Tab. 1.1. Auf Basis dieser Statistiken ist allerdings ein Einfluss von Preissteigerungen auf den Bedarf an Drittmitteln nicht auszuschließen.
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des Untersuchungszeitraums durchgeführt wurde, gaben zudem fast zwei Drittel der Universitätsprofessorinnen und -professoren an, ihre Ausstattung hänge von Drittmitteleinwerbungen ab. Ein weiteres wichtiges Kriterium stellten die Veröffentlichungen dar, die von 40 Prozent der Befragten zur Bemessung der Grundfinanzierung herangezogen wurden,178 weshalb ein Blick auf das Publikationswesen lohnt, wo sich ebenfalls auffällige Entwicklungen abzeichneten. Einen verlässlichen statistischen Überblick über die Entwicklung der Publikationszahlen, sei es national oder global, zu gewinnen, ist kaum möglich.179 Dies liegt zum einen daran, dass sich die Erfassungsmethoden, die den verfügbaren Datenbanken zugrunde liegen, über die Zeit veränderten. Zum anderen sind die Datenbanken, auf die sich solche Untersuchungen stützten müssen, dieselben, die auch den eingesetzten Indikatoren zugrunde lagen. Sie erfassten die wissenschaftliche Literatur in vielen Fächern und Arbeiten, die nicht in englischer Sprache erschienen, nur sehr unzureichend. Hinter einer Steigerung der erfassten Titel könnte sich auch die Tendenz verbergen, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre Ergebnisse zunehmend in Formen veröffentlichten, die durch die indikatorbasierte Leistungsmessung erfasst wurden. Gerade dafür sprechen die Beobachtungen von Mitgliedern unterschiedlicher Fachgemeinschaften. Für die Technische Mechanik zum Beispiel führte Peter Wriggers im Jahr 2009 aus: Da bei Antragstellungen von Forschungsvorhaben und den damit verbundenen Begutachtungen sowie bei Berufungsverfahren zunehmend die Publikationsleistung eine entscheidende Rolle spielt, wird seitens der Wissenschaftler großer Wert auf das Verfassen von Arbeiten in Journalen mit peer review und auch auf die Auswahl der Zeitschrift gelegt. Je höher der impact factor und das Ansehen der Zeitschrift, desto besser werden die dort erscheinenden Aufsätze bewertet.180
Dies führte Wriggers zufolge zu einem Wandel des Publikationsverhaltens, denn war es „früher eine Ehre, einen auf der Jahrestagung der GAMM [Gesellschaft für Angewandte Mathematik und Mechanik] gehaltenen Hauptvortag in der bekannten deut-
178 Vgl. Böhmer et al. (2011), S. 90. 179 Zum Folgenden vgl. z. B. Larsen/Ins (2010). Lutz Bornmann und Rüdiger Mutz kamen bei einer Zählung der im Web of Science erfassten Artikel und der darin zitierten Veröffentlichungen auf ein jährliches Wachstum der Publikationszahlen von 3 % in den Jahren von 1980 bis 2012 (vgl. Bornmann/Mutz (2015)). Carolin Michels und Ulrich Schmoch stellten für die Jahre von 2000 bis 2008 einen Zuwachs der jährlich erscheinenden und im Web of Science erfassten Artikel um 34 % fest, wovon nur etwa die Hälfte durch Erweiterungen der Datenbank erklärt werden könne (vgl. Michels/Schmoch (2012)). Damit ist allerdings noch nicht geklärt, inwieweit dieser Anstieg auf einen weltweiten Ausbau der Hochschul- und Forschungseinrichtungen zurückgeführt werden könnte. 180 Wriggers (2009), S. 115, Hervorhebungen im Original. Der Sammelband, in dem dieser Artikel erschienen ist, wurde von der Alexander von Humboldt-Stiftung veröffentlicht, die aus einer Reihe von Fächern Expertisen zum jeweiligen Publikationsverhalten und zu gängigen Bewertungskriterien einholte, um ihre Förderentscheidungen daran auszurichten.
4. Die olgen der „Tonnenideologien
schen Zeitschrift ZAMM zu veröffentlichen, so wird dies heute nur noch selten wahrgenommen, da der impact factor dieser Zeitschrift relativ gering ist“.181 Auch Vertreter anderer Fächer wie der Psychologie, der Physik und der Chemie waren gegen Ende der 2000er Jahre der Auffassung, dass sich ihre Fachkollegen zunehmend daran orientierten, welche Zeitschriften in den relevanten Datenbanken erfasst würden bzw. wie hoch deren impact factor sei.182 Die ob ihres hohen „impact“ gefragten Zeitschriften wurden „mit Einreichungen überschwemmt“183 und erhöhten teilweise in Reaktion darauf ihren Umfang, ihre Erscheinungsfrequenz und ihre Abonnementpreise.184 Um Auskunft über mögliche Veränderungen der Zahl an Veröffentlichungen zu gewinnen, muss man sich ebenfalls auf die Berichte von Fachvertretern stützen, die Hinweise auf ein gewandeltes Publikationsverhalten geben. Wriggers war der Auffassung, „dass die Anzahl der Publikationen“ in seinem Fach „im Laufe der letzten Jahre angestiegen“ sei, und führte dies auf die „zunehmende[.] Bedeutung der Anzahl von wissenschaftlichen Arbeiten bei der Beurteilung der Forschungsleistung“ zurück.185 Derartige Entwicklungen waren in den 2000er Jahren nicht neu, schon zu Beginn der 1980er Jahre war die Rede von der „least publishable unit“, also davon, dass Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen ihre Ergebnisse in möglichst kleine Einheiten portionierten, um so die Zahl ihrer Veröffentlichungen zu steigern.186 Zumindest in der Wahrnehmung verstärkte sich dieser Trend in den folgenden Jahrzehnten.187 Die DFG sprach im Jahr 2010 angesichts dieser Entwicklung von einer „Publikationsflut“ und versuchte, dieser entgegenzuwirken, indem sie die Regeln für Anträge und Abschlussberichte dahingehend veränderte, dass nur noch eine begrenzte Anzahl an Veröffentlichungen genannt werden durfte. So sollte „die immer größere Bedeutung von Publikationsverzeichnissen und numerischen Indikatoren verringert werden“. Damit folgte die DFG dem Vorbild der US-amerikanischen Forschungsfördereinrichtung National Science Foundation.188 Den Anstoß hierzu hatte ein Skandal an der Universität Göttingen gegeben, wo 16 Wissenschaftler in einem SFB-Förderantrag falsche Angaben zu ihren Publikationen gemacht und Veröffentlichungen erfunden hatten.189 Es wäre gewagt, die beschriebenen Entwicklungen alleine auf die indikatorbasierte Mittelverteilung in Hochschulen zurückzuführen, doch haben sie offensichtlich mit dem Vordringen quantitativer Leistungskriterien zu tun, das sich nicht auf die Forschungsfinanzierung beschränkte. Indikatoren, die auf Publikationen, Zitationen und Drittmittelzahlen basierten, etablierten sich auf immer mehr Feldern als Mittel 181 Wriggers (2009), S. 115, Hervorhebungen im Original. 182 Vgl. Fiedler (2009); Schleich (2009); Haug (2009); Hahn (2009). 183 Schleich (2009), S. 89. 184 Vgl. Hahn (2009), S. 104. 185 Wriggers (2009), S. 115. 186 Broad (1981). 187 In einer Empfehlung des Wissenschaftsrats aus dem Jahr 2015 war von „unrezipierbare[n] Mengen von Publikationen“ die Rede (Wissenschaftsrat (2015), S. 32). 188 DFG (2010b). 189 Vgl. Der Spiegel, 4.5.2009, S. 49.
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zur Einschätzung wissenschaftlicher Leistungen und überformten innerwissenschaftliche Prozesse der Reputationszuweisung. Das heißt, selbst Fachkollegen orientierten sich bei der Beurteilung von Personen, Anträgen und Publikationen nicht mehr alleine an ihrem eigenen fachlichen Urteil und den Ansichten von ihnen geschätzter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, sondern zogen Indikatoren heran, die ursprünglich dazu entwickelt worden waren, die Reputationszuweisungen innerhalb eines Fachgebietes für Außenstehende abzubilden. Dieses Verhalten wird verständlich, wenn man sich vor Augen führt, dass die genannten Kennzahlen in aggregierter Form auf die Urteile von Fachkollegen zurückgriffen, die einen Antrag oder eine Publikation begutachtet bzw. eine Veröffentlichung zitiert hatten. In Betracht zu ziehen ist auch die Zeitersparnis, die mit der Verwendung von Indikatoren einhergehen konnte. Ein weiterer Faktor dürfte die zunehmende Spezialisierung gewesen sein, die es selbst Angehörigen desselben Faches schwer machte, die wissenschaftlichen Erträge von Kollegen einzuschätzen. In Berufungsverfahren zum Beispiel spielte die Erfahrung bei der Beantragung von Forschungsgeldern eine immer größere Rolle. War die Forderung nach Drittmitteleinwerbungen im Jahr 1995 noch in kaum einer Ausschreibung explizit gefordert, so 2003 bereits bei einem Zehntel, 2012 bei etwa 30 Prozent.190 Auch Zitationsmaße wurden in manchen Fächern zur Bewertung eingesetzt. Im Senat der FSU Jena begründeten beispielsweise Vertreter der Fakultät für Mathematik und Informatik im Jahr 2005 einen Berufungsvorschlag vor allem mit einer bibliometrischen Analyse, „in der alle im Webof-Science gelisteten Originalpublikationen und alle wissenschaftlichen Beiträge aus dem MathSciNet einbezogen wurden“. Der Berufungsausschuss hatte einen Vergleich der „kumulierten Impact-Faktoren“ der Bewerber angestellt. Auch bei der Anzahl der Zitationen liege der Erstplatzierte der Berufungsliste „deutlich an erster Stelle“, außerdem sei er „international sichtbarer“ als die anderen Kandidaten.191 Durch den Einsatz von Indikatoren veränderte sich das Konkurrenzverhältnis zwischen den Bewerberinnen und Bewerbern, ihre wissenschaftliche Eignung wurde nun nicht mehr nur auf Basis von persönlichen Begegnungen, Gutachten und der Lektüre ihrer Veröffentlichungen beurteilt, sondern auch mithilfe formalisierter, quantitativer Verfahren. Die Überformung der wissenschaftlichen Urteilsbildung durch Indikatoren zeigt sich auch daran, dass ein guter Teil der DFG-Fachkollegiaten, die über die Förderwürdigkeit von Projekten zu entscheiden hatten, bei einer Umfrage 2007 angab, sie würden es für die Beurteilung der Anträge hilfreich finden, wenn Zitationsanalysen 190 Vgl. Forschung & Lehre, no. 8 (2015), S. 644 f. In einer Anlage zur Berufungsordnung der FSU Jena von 2007 mit dem Titel „Qualitätssicherung und -steigerung bei Berufungsverfahren“ wurden Drittmittel ebenfalls als Kriterium genannt und ergänzt: „bei jüngeren Bewerbern in Fächern mit weniger entwickelten Drittmittelstandards sind zumindest überzeugende Konzepte für die künftige Einwerbung von Drittmitteln ein wichtiger Gesichtspunkt für die Beurteilung der Bewerber“ (Berufungsordnung der Friedrich-Schiller-Universität Jena vom 7.5.2007, in: Verkündungsblatt der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Nr. 2/2007, S. 12–21, hier S. 18). 191 Vgl. FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 18.10.2005 (Internetquelle 88).
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zu den Arbeiten der Antragsteller bereitgestellt würden. Bei den Medizinern war der Anteil derer, die bibliometrische Angaben für „hilfreich“ oder „sehr hilfreich“ hielten, mit etwa drei Vierteln am größten, bei den Ingenieurwissenschaftlern überwog die ablehnende Haltung nur leicht die Zustimmung, während in den Geisteswissenschaften nur etwa ein Viertel der Fachkollegiaten Zitationsanalysen für hilfreich hielten.192 Angesichts dieser Zahlen ist es nicht unwahrscheinlich, dass zumindest in manchen Fächern bibliometrische Maße tatsächlich zur Entscheidung über Forschungsanträge herangezogen wurden.193 Dies bedeutete zwar eine Veränderung der Leistungskriterien, nicht unbedingt aber eine Akzentverschiebung weg von der Beurteilung der Anträge hin zur Bewertung der Antragsteller, denn auch unabhängig davon spielte bei der Entscheidung über die Förderwürdigkeit die Frage eine Rolle, ob man dem Antragsteller die erfolgreiche Durchführung des Projekts zutraute.194 Quantitative Kriterien gewannen zudem Einfluss auf die Zuschreibung von wissenschaftlicher Reputation außerhalb institutionalisierter Bewertungsprozesse.195 Die Jenaer Universitätsmedizin nutzte in den 2000er Jahren sogar den aufsummierten impact factor aller an der Fakultät entstandenen Publikationen zur Außendarstellung.196 Insbesondere in der Medizin setzten sich Indikatoren früh als breit akzeptierter Maßstab wissenschaftlicher Leistungen durch. So führte die Medizinische Fakultät der FSU Jena bereits Mitte der 1990er auf eigene Veranlassung eine Evaluierung ihrer Forschung anhand von Zitationsanalysen durch.197 In den Geisteswissenschaften scheinen sich publikationsbezogene Indikatoren gar nicht und Drittmittelzahlen nur teilweise als Leistungskriterien etabliert zu haben.198 Um diese Unterschiede zu erklären, sind mindestens zwei Faktoren heranzuziehen. Zum einen spielte wahrscheinlich die Nähe der jeweiligen Forschungsmethoden zu solchen quantitativen Verfahren eine Rolle – die Medizin beispielsweise war stark durch statistische Auswertungen geprägt.199 Zum anderen ließen eine homogene Publikationskultur und die allgemeine Verbreitung der Drittmittelforschung innerhalb eines Faches die Anwendung von Indikatoren plausibler erscheinen, weil Unterschiede zwischen Wissenschaftlern dann 192 Vgl. Hornbostel (2011b). 193 Darauf weist auch die Begründung des DFG-Präsidenten für die Initiative gegen die „Publikationsflut“ hin: „Ob bei der leistungsorientierten Mittelvergabe, bei Habilitationen und Berufungen und auch bei den Bewertungen von Förderanträgen – überall haben numerische Indikatoren wie der Hirsch-Faktor oder der Impact-Faktor immer mehr Gewicht bekommen. Oft lautet die erste Frage eben nicht mehr, was jemand erforscht hat, sondern wo und wie viel er publiziert hat.“ (DFG (2010b); Hervorhebungen durch den Verfasser). 194 Aussagen von DFG-Fachkollegiaten auf einer Podiumsveranstaltung im Rahmen des Deutschen Historikertags in Hamburg am 23.9.2016. 195 Zur wachsenden Bedeutung von Drittmittelzahlen für die Selbstdarstellung der Universitäten s. o. Kap. I.5. 196 Vgl. Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 76. 197 UAJ, Broschüren 1/3, Jahresbericht des Rektors 1995/96, S. 18. 198 Für Unterschiede bei der Bewertung von Publikationen vgl. die Beiträge in Alexander von Humboldt-Stiftung (2009). 199 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016.
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weniger offensichtlich mit verschiedenen Arbeits- und Veröffentlichungsformen zusammenhingen.200 Dies erklärt auch, wieso Subdisziplinen, die in diesen Bereichen Besonderheiten aufwiesen, wie zum Beispiel die Astronomie, für eine quantitative Leistungsmessung weniger aufgeschlossen sein konnten als benachbarte Fächer.201 Die Intensivierung der Drittmittelkonkurrenz und der Wandel des Publikationsverhaltens, ausgelöst durch eine Formalisierung von Konkurrenzverhältnissen auf der Ebene der Hochschulfinanzierung und durch ein Eindringen von Indikatoren in wissenschaftsinterne Prozesse der Leistungsbeurteilung, führten – ähnlich wie die Ausweitung der Drittmittelforschung in den 1980er Jahren – zu einer Reihe von Entwicklungen, die vielfach als problematisch wahrgenommen wurden. Kritikern erschienen sie als Auswüchse einer zunehmend auf quantifizierbare Ergebnisse fixierten Steuerung des Wissenschaftssystems, die bisweilen mit dem Ausdruck „Tonnenideologie“ belegt wurde.202 1. Für die Zeit von den 1980er bis in die 2010er Jahre kann von einer „Kostenexplosion“ bei den wissenschaftlichen Zeitschriften gesprochen werden.203 Die US-amerikanische Association of Research Libraries errechnete für den Zeitraum von 1986 bis 2007 einen Anstieg der Ausgaben für wissenschaftliche Journale von 340 Prozent während der Verbraucherpreisindex Preissteigerungen von lediglich 89 Prozent auswies und sich Monographien nur um 87 Prozent verteuerten. Da die Zahl der gekauften Zeitschriften jedoch nur um die Hälfte angestiegen war, hingen diese Ausgabensteigerungen zum größten Teil mit der Preispolitik der Verlage zusammen.204 Diese Entwicklung ist zunächst einmal auf Veränderungen im Publikationswesen zurückzuführen. Seit den 1980er Jahren entstanden im Zuge eines Konzentrationsprozesses einige wenige Großverlage wie Reed Elsevier, Springer205 und John Wiley & Sons, die schließlich von Finanzinvestoren gehandelt wurden und sich daher stark an ökonomischen Kriterien orientierten. Diese Verlage kauften auch Zeitschriften auf, die zuvor von nicht-gewinnorientierten Institutionen herausgegeben worden waren, was insofern zur Preissteigerung beitrug, als die Zeitschriften kommerzieller Anbieter deutlich teurer waren.206 Die großen Unternehmen nutzten ihre Stellung zudem, um den Bibliotheken den Kauf von Zeitschriften aufzunötigen, indem sie in sogenannten „bundle deals“ das Abonnement eines Bündels von Journalen anboten und darauf starke Preisnachlässe gewährten. Dies schränkte allerdings die Flexibilität der Bibliotheken ein, die sich genötigt sahen, eher die Zeitschriften kleinerer Verlage abzubestellen oder bei
200 Gespräch mit Prof. Dr. Herbert Witte am 14.10.2016. 201 Vgl. Boer (2009). 202 Präsidium der FU Berlin (2011), S. 13. 203 Taubert/Weingart (2016), S. 18. 204 Vgl. Internetquelle 20; für andere Schätzungen, die sich in einer ähnlichen Größenordnung bewegen vgl. Taubert/Weingart (2016), S. 18. 205 Die Rede ist hier von dem 1842 als Springer-Verlag gegründeten Unternehmen, das ab 1999 als Bertelsmann Springer und schließlich seit einer Fusion im Jahr 2004 als Springer Science+Business Media auftrat. 206 Vgl. Hyland (2015), S. 156; Internetquelle 20.
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anderen Publikationsformen zu sparen, als auf die Rabatte zu verzichten.207 Da die Hochschulbibliotheken auf das Abonnement wichtiger Zeitschriften nicht verzichten konnten, ohne die Arbeitsfähigkeit der Institution zu gefährden, und da den Verlagen weder für die Artikel noch für deren Begutachtung nennenswerte Kosten entstanden, entwickelte sich das wissenschaftliche Publikationswesen zum lukrativen Geschäftsfeld. Die Gewinnmarge von Reed Elsevier lag gegen Ende des Untersuchungszeitraums bei 39 Prozent, die von John Wiley & Sons bei 42 Prozent, die von Springer Science+Business Media bei 32 Prozent; 80 bis 90 Prozent ihrer Einnahmen erzielten sie über Subskriptionen seitens von Bibliotheken.208 Voraussetzung für diese Entwicklung war allerdings das Publikationsverhalten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Dieses wurde wiederum in wachsendem Maße durch Indikatoren bestimmt, die in verschiedenen Konkurrenzverhältnissen als Kriterium angelegt wurden und zudem in das Leistungsverständnis der Forscher selbst eingesickert waren. Die Verlage verfügten über das knappe Gut der Publikationsmöglichkeit, um das die Autoren konkurrierten. Die enorme Nachfrage nach dieser Prämie erlaubte es ihnen, immer neue Publikationsmöglichkeiten anzubieten, ohne dass sich dadurch an der prinzipiellen Knappheit des Guts etwas änderte. Sie konnten neue spezialisierte Journale auf den Markt bringen oder mit den Aufsätzen, die in hochrangigen Zeitschriften abgelehnt worden waren, die Seiten weniger prominenter Veröffentlichungen füllen. Nicht nur auf dem Feld der Zeitschriftenliteratur wirkte sich dieser Mechanismus aus, wie Niels Taubert und Peter Weingart festhalten: Der durch Evaluierung und Leistungsmessungen hervorgerufene Druck auf Wissenschaftler, möglichst viel zu publizieren, hat im Zusammenspiel mit der zum Teil anzutreffenden opportunistischen Haltung von Verlagen, sichere Einkünfte aus Druckkostenzuschüssen mitzunehmen, zu einem Boom von Sammelbänden geführt.209
So wie die Verlage aus dem Publikationsverhalten Profit ziehen konnten, trugen sie mit ihren Geschäftsmodellen selbst zur Expansion wissenschaftlicher Veröffentlichungen bei.210 Der inflationäre „Boom von Sammelbänden“ führte allerdings dazu, dass Aufsätze in diesem Format gegenüber Zeitschriftenbeiträgen an Wert verloren. Die Universitätsbibliotheken sahen sich angesichts dieser Entwicklungen vor finanzielle Probleme gestellt. An der Universität Jena fielen die Kostensteigerungen Ende der 1990er Jahre mit der knappen Haushaltslage des Freistaats Thüringen zusammen. Die Universitätsbibliothek sah sich gezwungen, Zeitschriften abzubestellen, und insbesondere bei den Naturwissenschaften kam es zu Problemen bei der Literaturver-
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Vgl. Taubert/Weingart (2016), S. 19. Vgl. Hyland (2015), S. 151. Taubert/Weingart (2016), S. 27. Vgl. Taubert/Weingart (2016), S. 28.
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sorgung.211 Gegen Ende des Untersuchungszeitraums schlossen sich daher auf internationaler Ebene mehrere Tausend Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einem Boykottaufruf gegen Elsevier an.212 Darüber hinaus beförderten die Kostensteigerungen das Anliegen der open-access-Bewegung, die sich für eine allgemein zugängliche Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse im Internet und veränderte Finanzierungssysteme einsetzte.213 2. Zunehmend in die Kritik geriet in den 2000er Jahren auch die Drittmittelforschung. Die Argumente waren nun allerdings andere als in den frühen 1980er Jahren, als Wissenschaftler wie Studierende angesichts der Ausweitung der externen Forschungsfinanzierung einen zu großen Einfluss der Mittelgeber auf die wissenschaftlichen Inhalte befürchteten. Während diese Art von Kritik nur mehr selten und meistens von politisch links stehenden Anhängern eines „kritischen“ Wissenschaftsverständnisses vorgebracht wurde, äußerten Professoren vermehrt Unbehagen gegenüber einem wahrgenommenen Zwang zur Drittmitteleinwerbung und dem damit verbundenen Zeitaufwand.214 Die Exzellenzinitiative mit dem extrem hohen Arbeitsaufwand, der für den Entwurf eines großen Verbundforschungsprojekts nötig war, beförderte vermutlich diese Wahrnehmung. Mit der Intensivierung der Konkurrenz um die Drittmittel der DFG, die sich in sinkenden Erfolgsquoten ausdrückte, scheint auch das Vertrauen in die Mechanismen dieses Wettbewerbs nachgelassen zu haben. Während in Umfragen in den Jahren 1976/1977 und 1983/1984 weniger als zehn Prozent der befragten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Aussage „Es ist ja doch immer der gleiche Kreis von Leuten, der das Geld für seine Forschung bekommt“ zustimmten, waren es 2010 20 Prozent. Der Anteil derer, die diesem Satz zumindest teilweise beistimmten, stieg von unter 30 auf 45 Prozent.215 Offenbar hatte also im Jahr 2010 mehr als die Hälfte der Befragten Zweifel daran, dass die Erfolgschancen unter den Konkurrenten um die Drittmittel der DFG gleich verteilt seien. Dass der Glaube an die Legitimität der Vergabeverfahren zu wanken begann, zeigt sich auch an öffentlich vorgetragener Kritik an der DFG. Diese kristallisierte sich besonders um den Versuch eines Professors der Chemie, auf gerichtlichem Weg die Offenlegung von Gutachten zu erzwingen, die zur Ablehnung seiner Förderanträge geführt hatten.216 Kritiker beriefen sich darauf, dass die Anonymität, auf der die DFG beharrte, die „Gefahr des Ideenklaus“ erzeuge und Gutach-
211 Vgl. UAJ, Bestand Senat 1999, Protokoll der Senatssitzung am 16.2.1999, S. 4; ebd., Protokoll der Senatssitzung am 20.4.1999, S. 5; ebd., Protokoll der Senatssitzung am 1.6.1999, [o. S.]. 212 Vgl. Taubert/Weingart (2016), S. 22. 213 Vgl. o. A. (2003b); Taubert/Weingart (2016), S. 19–22; Suber (2012), vor allem S. 39–43. 214 Vgl. z. B. Detering (2009); Böhmer et al. (2011), S. 108. 215 Vgl. Hornbostel (2011a), S. 13. 216 Vgl. Lübbert (2006), S. 16–19. Die Geschäftsstelle der DFG teilte stets nur Auszüge aus den Bewilligungsempfehlungen mit, nach eigenen Angaben, um die Anonymität der Gutachter zu schützen. Die Klage scheiterte schließlich daran, dass die DFG als privatrechtlicher Verein nicht unter dem Informationsfreiheitsgesetz stand. Vgl. auch Horstkotte (2006).
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tern die Möglichkeit gebe, Konkurrenten aus dem Feld zu schlagen.217 Der Germanist Roland Reuß und der Jurist Volker Rieble bemängelten neben der Intransparenz des Verfahrens den Umstand, dass die Fachreferenten in der Geschäftsstelle der DFG die Gutachter für die einzelnen Förderanträge auswählten und damit potenziell eine Vorentscheidung träfen. Die beiden Professoren warnten, das intransparente Begutachtungsverfahren ermögliche die „Selbstbedienung“ durch Funktionsträger in der DFG. Von einer Selbstverwaltung der Wissenschaft könne nicht die Rede sein, solange Universitäten und Forschungseinrichtungen als Mitglieder der DFG sowie in letzter Instanz deren Gremien über die Zusammensetzung der Wahllisten für Ämter in der Forschungsgemeinschaft entschieden. Darüber hinaus gebe es Einflussnahmen seitens der Wissenschaftsministerien.218 Bezweifelt wurde also, dass in der Konkurrenz um die Drittmittel der DFG ausschließlich die wissenschaftliche Qualität der Anträge prämiert wurde. Die geschilderten Zweifel dürften ihre Ursache in einer wachsenden Diskrepanz zwischen den Bewilligungsempfehlungen der Fachgutachter und den verfügbaren Mitteln gehabt haben. Diese Schere öffnete sich seit Mitte der 1980er Jahre und stellte das System der DFG vor Entscheidungsprobleme. Den einzelnen Fachreferaten wurde von da an ein Bewilligungsrahmen vorgegeben, der sich am Antrags- und Bewilligungsaufkommen des Faches in den beiden vorhergehenden Jahren orientierte. Drohte dieser überschritten zu werden, nahmen teilweise die Vorsitzenden der Fachausschüsse219 vergleichende Bewertungen der als förderwürdig eingestuften Anträge vor.220 Auch der Hauptausschuss der DFG, der formal auf Basis der Empfehlungen aus den Fachausschüssen über die Finanzierung der Anträge entschied, sah sich angesichts der geschilderten Diskrepanz zwischen den grundsätzlich als förderwürdig eingestuften Anträgen und den finanziellen Möglichkeiten vor Probleme gestellt. Er laufe Gefahr, so ein Bericht des Präsidiums der DFG von 1997, „entweder die Rolle eines Obergutachters zu übernehmen oder auf sachfremde Argumente zurückzugreifen“. Dies könne „negative Rückwirkung auf die Objektivität der Begutachtungen haben: Wenn jede nur entfernt als abwertend interpretierbare Formulierung in einem Gutachten einem Antrag zum Verhängnis werden kann, könnten Gutachter versucht sein, dem durch ‚wasserdichte‘ Gutachten gegenzusteuern“.221 Eine solche Entwicklung trat schließlich tatsächlich ein. So schraubten im SFB-Programm Gutachter und Gutachterinnen häufig ihre Bewertungen nach oben, um die Chancen eines von ihnen befürworteten Antrags zu erhöhen. Sie fanden es zudem schwierig, kritische Anmerkungen anzubringen, ohne das Projekt zu gefährden.222 Die Einführung sogenannter „Fachkollegien“, die ab 2004 für die abschließende Bewertung der Anträge im „Nor217 218 219 220 221 222
Horstkotte (2006); vgl. auch FAZ, 19.10.2011, S. 5. FAZ, 19.10.2011, S. 5. Die Fachgutachter waren Fachausschüssen zugeordnet und wählten dort jeweils Vorsitzende. Vgl. DFG (1997), S. 25 f. DFG (1997), S. 27. Vgl. Klein et al. (2012).
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malverfahren“ zuständig waren, war unter anderem eine Reaktion auf die Notwendigkeit einer vergleichenden Beurteilung. Diese sollte nunmehr nach einheitlichen Kriterien vollzogen werden.223 Das grundlegende Problem war damit aber nicht gelöst. So kritisierte die DFG gegen Ende des Untersuchungszeitraums, dass sie immer mehr „in die Rolle eines Grundfinanziers von Forschung gedrängt“ werde. Dies äußere sich in einem Sinken der Erfolgsquoten, so dass „[i]mmer öfter […] selbst wissenschaftlich sehr überzeugende Anträge abgelehnt werden“ müssten.224 Mit der Intensivierung der Drittmittelkonkurrenz fand daher bei der DFG ein „Übergang von einer Negativ- zu einer Positivselektion“ statt, insofern ihre Gremien zunehmend gezwungen waren, nicht nur über die Einhaltung von weithin akzeptierten Standards zu entscheiden, sondern aus vielen ‚sehr guten‘ die ‚exzellenten‘ Anträge auswählen zu müssen.225 Damit stieg die Wahrscheinlichkeit, Entscheidungen zu produzieren, die von den betroffenen Konkurrenten nicht nachvollzogen werden konnten. DFG-Präsident Matthias Kleiner registrierte im Jahr 2011 im deutschen Wissenschaftssystem eine gewachsene Unzufriedenheit mit der Rolle der Drittmittelforschung. Dadurch dass immer mehr Mittel im Wettbewerb vergeben würden und Forschung oft nur noch über Drittmittel möglich sei, so seine Auffassung, werde „der Wettbewerbsgedanke zunehmend zum Wettbewerbsdruck, und die Drittmitteloption zum Drittmittelzwang“. Weil Drittmittel zunehmend die Funktion der Grundausstattung erfüllen mussten, veränderte sich die Rolle der DFG, deren Entscheidungen als „Dritter“ in der Konkurrenz um eine essentielle Prämie das deutsche Wissenschaftssystem in wachsendem Maße prägten.226 Kleiner verwahrte sich zwar gegen grundsätzliche Kritik am System der DFG – diese schade letztlich der „Selbstverwaltung der Wissenschaft als Ganze[r]“. Er mahnte aber eine Erhöhung der Grundfinanzierung an.227 Ähnliche Äußerungen, die zwar nicht das Prinzip der Drittmittelkonkurrenz in Frage stellten, aber auf das Ungleichgewicht zwischen Grundfinanzierung und Drittmitteln hinwiesen, waren in dieser Zeit nicht selten, politische Konsequenzen blieben aber bis heute aus.228 3. Es steht zu vermuten, dass die indikatorbasierte Mittelverteilung und andere Evaluationsverfahren in vielen Fällen ihr Ziel, zur Steigerung wissenschaftlicher Leistungen beizutragen, verfehlten, weil sie der Motivation von Professorinnen und Professoren nicht zuträglich waren. So beobachtete der Soziologe Stefan Lange in verschiedenen Fächern eine Haltung, die einer „inneren Emigration“ gleichkam. Die Resignierten verzichteten auf Positionen in der Selbstverwaltung und gaben es auf, gegen die hochschulpolitischen Reformen anzukämpfen. Sie lehnten es ab, sich an die Verfahren der Leistungsbewertung anzupassen, und waren der Auffassung, dass diese 223 224 225 226 227 228
Vgl. Koch (2006), S. 37 f. Internetquelle 22. Koch (2006), S. 35. Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 340–342. Kleiner (2011), Zitat auf S. 3. Vgl. auch König (2012).
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vor allem ihre jüngeren Kollegen treffen würden.229 An einer Universität, die Tim Flink und Dagmar Simon untersuchten, fühlten sich zwei Drittel der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch die leistungsorientierte Mittelverteilung von der Hochschulleitung beobachtet, mehr als die Hälfte sogar „kontrolliert“.230 Bei denjenigen, die eine externe Leistungsbewertung als unvereinbar mit der Freiheit der Wissenschaft ansahen, ist anzunehmen, dass sie sich in geringerem Maße an die Kriterien dieser neuen Konkurrenzverhältnisse anpassten und möglicherweise sogar ihr wissenschaftliches Engagement zurückfuhren.231 Derartige Überlegungen und Befunde sollten aber nicht verallgemeinert werden. Vielmehr ist offen, ob nicht ein wissenschaftliches Selbstverständnis Fuß fassen könnte, das mit einer fortwährenden Leistungsüberwachung kompatibel wäre – wofür es durchaus Anzeichen gibt.232 So zitiert zum Beispiel der Soziologe Christoph Rosenbusch zur Frage der indikatorbasierten Mittelverteilung den Leiter eines ingenieurwissenschaftlichen Instituts mit der Bemerkung: „Es ist ja Sport, man will ja gut dastehen, dann bedient man das. Davon leben, würde ich sagen, bei uns die Professoren, sonst würden sie es überhaupt nicht machen. Das ist ja eine Frage des Ehrgeizes, dass man gute Zahlen hat und die Zahlen werden ja veröffentlicht“. Diese kompetitive Einstellung und nicht „[d]ie paar Euro, die sie über die Formel bekommen“, sei entscheidend für das Verhalten der Professoren.233 Solche Entwicklungen gaben allerdings wiederum Anlass zur Kritik. So beklagten zum Beispiel vier US-amerikanische Professoren aus verschiedenen Disziplinen in einem 2010 erschienen Aufsatz, dass das Vordringen der quantifizierenden Leistungsbewertung einen „entrepreneurial careerism“ in der Wissenschaft befördere.234 Um den deskriptiven Kern solcher Äußerungen über einen Wandel der dominanten Handlungsorientierungen unter Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen bestätigen zu können, reicht der gegenwärtige Stand der Forschung nicht aus. Sie zeigen jedoch, wie Konkurrenzverhältnisse und die Orientierung an ihnen aus normativer Perspektive fragwürdig wurden, wenn diese augenscheinlich nicht mehr den Zielen dienten, die den jeweiligen Organisationen und gesellschaftlichen Subsystemen gemeinhin zugeschrieben wurden. 4. Die Intensivierung der Konkurrenz um Drittmittel und Publikationsmöglichkeiten führte zu einer steigenden Nachfrage nach Gutachtern für Förderungsanträge und Manuskripte. Bei der DFG wuchs die Zahl der schriftlichen Gutachten alleine zwischen 2006 und 2014 von 17 000 auf 22 000. Zwar weitete die DFG auch die Zahl der 229 Vgl. Lange (2007), S. 167. 230 Flink/Simon (2014), S. 133. 231 Vgl. Hübner et al. (2000), S. 133–135. 232 Vgl. Uwe Schimanks Überlegungen zu einer drohenden „Zielverschiebung von Wahrheitssuche zu Reputationsstreben“ (Schimank (2010), S. 236). 233 Rosenbusch (2013), S. 147; vgl. auch Flink/Simon (2014), S. 136–139, die eine Deutung der neuen universitätsinternen Konkurrenz als „sportlicher Wettkampf “ und eine damit verbundene Motivationswirkung beobachten. Wie weit verbreitet ein solches ‚sportlich‘-kompetitives Selbstverständnis war und ist, und ob es hier Unterschiede zwischen den Fächern gibt, wäre noch zu untersuchen. 234 Trimble et al. (2010), S. 280.
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Gutachter und Gutachterinnen aus und bat den größeren Teil von ihnen nur einmal im Jahr um eine Stellungnahme, doch bestanden in ihren Gremien durchaus Bedenken, dass das Gutachtersystem an seine Grenzen gelangt sei. Dies äußerte sich unter anderem in einem großen Teil an Ablehnungen seitens der als Gutachter angefragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Eine ähnliche Entwicklung konstatierte in den 2010er Jahren auch die Alexander von Humboldt-Stiftung.235 Nicht nur hatten die Dritten in den angeführten Konkurrenzverhältnissen also zunehmend Schwierigkeiten, geeignete Gutachter zu finden, sondern es kamen auch Zweifel daran auf, ob sich die wachsende zeitliche Belastung durch solche Tätigkeiten nicht in einer mangelnden Sorgfalt bei der Bewertung niederschlage.236 In einer Umfrage aus dem Jahr 2010 gab die Hälfte der befragten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, selbst nachlässig begutachtet, Befangenheiten verschwiegen oder ein solches Verhalten im Kollegenkreis beobachtet zu haben.237 Eine wissenschaftspolitische Reaktion auf diese Entwicklung blieb (auch im weiteren Verlauf der 2010er Jahre) aus. 5. Evaluation: „Experten“ als neue Dritte Zeitgleich mit der zunehmenden Quantifizierung der Leistungskriterien entwickelte sich mit der Evaluation von Fakultäten und Studiengängen eine weitere Form der Leistungsbewertung, die den Wettbewerb zwischen Universitäten veränderte. Betroffen waren zunächst allerdings außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Erstmals wurde 1979 der Wissenschaftsrat von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) damit beauftragt, mehrere geisteswissenschaftliche Institute der sogenannten „Blauen Liste“ zu begutachten und zu entscheiden, ob sie weiterhin die Kriterien für eine Finanzierung durch Bund und Länder erfüllten. Bei diesen Instituten handelte es sich um „schwache wissenschaftspolitische Akteure“, an denen sich ein neuartiges Verfahren erproben ließ, das in den folgenden Jahren auf weitere Einrichtungen ausgeweitet wurde.238 Der Wissenschaftsrat, der seit 1979 immer wieder von der BLK den Auftrag zu Begutachtungen erhielt, konnte sich sukzessive als wichtige Evaluationsinstanz etablieren.239 Häufig wurde die Begutachtung aller Einrichtungen der Akademie der Wissenschaften der DDR durch den Wissenschaftsrat in den Jahren 1990 bis 1992240, von wel-
235 Vgl. Forschung & Lehre, no. 8 (2015), S. 622 f. Der Wissenschaftsrat kam 2015 zur selben Einschätzung: „Die Menge der im Peer-Review-Verfahren zu begutachtenden Publikationen steigt […] stärker als die Zahl in Frage kommender Gutachterinnen und Gutachter. Dadurch wird es schwieriger, geeignete Sachverständige für eine sorgfältige Qualitätssicherung zu finden“ (Wissenschaftsrat (2015), S. 23). 236 Vgl. Neidhardt (2006), S. 9. 237 Vgl. Forschung & Lehre, no. 8 (2015), S. 618–622. 238 Vgl. Bartz (2007), S. 135 f., Zitat auf S. 136; Szöllösi-Janze (2014), S. 337 f. 239 Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 337. Für ein Beispiel vgl. Zimmer (1999), S. 151. 240 Vgl. hierzu Bartz (2007), 158–171.
5. Evaluation: „Exaertenn als neue Dritte
cher deren Fortbestand abhing, als Dammbruch bezeichnet, der dazu geführt habe, dass danach auch in den alten Bundesländern wissenschaftliche Einrichtungen einer externen Begutachtung unterzogen wurden. Das Argument, dass vor dem Hintergrund dieser flächendeckenden Evaluation in den neuen Ländern die westdeutschen Hochschulen sich einer solchen Bewertung kaum entziehen konnten,241 mag zutreffend sein – so diente der Verweis auf die Evaluationen in Ostdeutschland zum Beispiel im Senat der Universität Bielefeld dazu, externe Begutachtungen der zentralen wissenschaftlichen Einrichtungen zu begründen.242 Allerdings lässt sich ein längerfristiger Trend hin zur externen Begutachtung von Wissenschaftseinrichtungen feststellen, der seine Ursachen in den finanziellen Engpässen des Staates und der daraus resultierenden Aufmerksamkeit für einen möglichst effizienten Einsatz der knappen Ressourcen hatte. Die Erprobung solcher Verfahren an der gewissermaßen ‚wehrlosen‘ Wissenschaft der vormaligen DDR beschleunigte diese Entwicklung möglicherweise, doch ist es unwahrscheinlich, dass sich die Wissenschaftler der alten Bundesrepublik einer vergleichenden Bewertung ihrer „Leistungen“ auf Dauer hätten widersetzen können. Dagegen spricht, dass das Land Baden-Württemberg bereits im Jahr 1987 die sogenannte „Kommission Forschung Baden-Württemberg 2000“ eingesetzt hatte, um „die Universitätsstruktur des Landes Baden-Württemberg […] zu überprüfen und Vorschläge für deren Weiterentwicklung zu erarbeiten“.243 Im Jahr darauf berief auch die niedersächsische Landesregierung eine „Hochschulstrukturkommission“, die das Wissenschaftsministerium bei der Verteilung von Kürzungen auf die Hochschulen und bei der Konzentration von Fächern beraten sollte.244 Auch andere europäische Länder führten in den 1980er und 1990er Jahren verschiedene Verfahren zur externen Begutachtung von Hochschuleinrichtungen ein,245 was darauf hindeutet, dass die Wissenschaftspolitik überall mit demselben Problem konfrontiert war, nämlich unter der Bedingung verschlechterter Staatsfinanzen Ressourcenentscheidungen treffen zu müssen. Die britischen und niederländischen Evaluationen dienten zudem in Deutschland als Vorbild. Der Transfer lief dabei auch über die europäische Ebene, denn die Europäische Kommission rief 1994, veranlasst vom Europäischen Rat, ein Pilotprojekt ins Leben, um Evaluationsverfahren zu entwickeln. Auf deutscher Seite beteiligte sich die HRK daran und empfahl 1995 mit Verweis auf internationale Vorbilder ein Vorgehen, das Selbstberichte der zu begutachtenden Einrichtungen mit einer externen Begutachtung durch Sachverständige kombinierte.246 Dieses Verfahren, das sich rasch zum Standard entwickelte, wurde zur selben Zeit bereits durch den „Nordverbund“, einen Zusammenschluss norddeutscher Uni241 Vgl. Krull (2011), S. 20 f. 242 Vgl. UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 196. Sitzung des Senats am 12.12.1990, S. 7. 243 Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg (1989), S. 9. 244 UAOL 20002 ZW, Der Präsident der Universität Oldenburg, Unterrichtung des Senats über die Sitzung der Landeshochschulkonferenz am 2.5.1988 in Lüneburg. 245 Vgl. Tight (2009), S. 76 f.; Maassen (1987); Maassen (1997), S. 117–119. 246 Vgl. Serrano-Velarde (2008), S. 63 f.; Schlussfolgerungen des Rates und der im Rat vereinigten Minister
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versitäten, zur Evaluierung von Studiengängen angewandt. Der Transfer aus den Niederlanden lief hier über eine enge Kooperation mit der Universität Groningen, die den Nordverbund bei der Durchführung der Begutachtungen unterstützte.247 Im Lauf der 1990er Jahre griffen mehrere deutsche Bundesländer auf Beratung durch ausgesuchte Gruppen von Wissenschaftlern zurück, um Strukturentscheidungen vorzubereiten. In Nordrhein-Westfalen zum Beispiel forderte die Landesregierung im Jahr 1999 von den Universitäten, auf der Basis von Kürzungsvorgaben Strukturpläne zu entwickeln, die anschließend einem vom Wissenschaftsministerium berufenen „Expertenrat“ zur Beurteilung vorgelegt wurden.248 Dieser sollte unter anderem „die Stärken und Schwächen der Studien- und Forschungsbereiche an den nordrhein-westfälischen Hochschulen […] analysieren und […] bewerten“.249 Das Land Niedersachsen gründete 1997 die Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (WKN) als ständige Einrichtung zur Beratung der Landespolitik. Im Auftrag des Wissenschaftsministeriums begutachtete sie die Forschung an niedersächsischen Universitäten.250 Für die Evaluation der Studiengänge in Niedersachsen war seit 1995 die von der niedersächsischen Landeshochschulkonferenz eingerichtete Zentrale Evaluations- und Akkreditierungsagentur (ZEvA) zuständig.251 In beiden Verfahren stellten diese zentralen Einrichtungen jeweils Gutachtergruppen aus Wissenschaftlern zusammen, die alle Einrichtungen eines Faches an den Hochschulen des Landes in einer Runde bewerteten.252 Das Verfahren bei diesen Begutachtungen folgte in der Regel, gleich ob es sich um eine Evaluation des gesamten Hochschulsystems eines Landes oder lediglich der Einrichtungen eines Faches handelte, dem bekannten Muster aus Selbstberichten, Vor-Ort-Begehungen und Abschlussberichten. Die Kommissionen, deren Auftrag sich auf ein gesamtes Hochschulsystem bezog, behandelten in ihren Empfehlungen neben den einzelnen Universitäten meistens auch die Hochschulgesetzgebung des jeweiligen Landes. Die meisten dieser Begutachtungsverfahren, die von den Wissenschaftsministerien der Länder veranlasst wurden, dienten nicht in erster Linie der Beratung der begutachteten Fächer an den Hochschulen, sondern der Vorbereitung von Ressourcenentscheidungen. Des Öfteren waren anstehende Kürzungsrunden der Anlass, Kommissionen
für das Bildungswesen vom 25.11.1991 in bezug auf die Qualitätsbewertung im Bereich der Hochschulbildung, Nr. 91/C 321/02. 247 Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016. 248 Vgl. Vertrag über den Qualitätspakt zwischen der Landesregierung und den Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 4.6.1999. Für Bayern vgl. Fries (2003); Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2001), S. 87 f.; Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020 (2005). 249 Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 7. 250 Vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2007), 7, 10. 251 Vgl. Serrano-Velarde (2008), S. 116 f. Die ZEvA führte auch Akkreditierungen durch, ein Begutachtungsverfahren, das seit der Einführung der Bachelor- und Masterabschlüsse Voraussetzung dafür war, dass Hochschulen einen neuen Studiengang einführen konnten (s. u. Kap. V.2). 2008 wurde sie in eine private Stiftung umgewandelt (Internetquelle 93). 252 Vgl. die Evaluationsberichte von WKN (Internetquelle 23) und ZEvA (Internetquelle 24).
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einzuberufen, die „Stärken und Schwächen“253 ermitteln sollten, wobei schlecht bewerteten Einrichtungen finanzielle Einschnitte oder Schließungen drohten.254 Auch dort, wo Evaluationen nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit Kürzungsrunden durchgeführt wurden, wie etwa im Fall der Begutachtungen durch die WKN, dienten sie den Wissenschaftsministerien doch als Entscheidungsgrundlage für spätere Streichungen oder andere Verteilungsfragen wie die Vergabe von Forschungsgeldern und zusätzlichen Berufungsmitteln.255 Dass die Wissenschaftspolitik sich seit den 1980er Jahren auf Evaluationen stützte, hing daher mit der Verwandlung der Grundfinanzierung in eine Prämie eng zusammen und trieb diesen Prozess weiter voran. Auch wenn Evaluationsergebnisse insbesondere ab dem Ende der 1990er Jahre eine wichtige Rolle für die Grundfinanzierung spielten, gaben die Ministerien ihre Position als Dritte in diesem Konkurrenzverhältnis nicht auf. Vielmehr konnten sie auch weiterhin andere Kriterien einfließen lassen und die Empfehlungen und Bewertungen der Gutachter nur selektiv berücksichtigen. Die verschiedenen Evaluationskommissionen lassen sich daher, mit Tobias Werron,256 als intermediäre Dritte fassen, die zwar nicht selbst über die Verteilung der Prämie entschieden, aber an der Festlegung der Leistungskriterien und der Beurteilung der Leistungen der Konkurrenten beteiligt waren und somit einen erheblichen Einfluss auf die Entscheidungen des Dritten ausübten. Die Urteile und Empfehlungen der Gutachterkommissionen wurden als Bewertung der Qualität von Forschung und Lehre an den evaluierten Hochschulen nach rein wissenschaftlichen Kriterien dargestellt. Wie im Fall des Gutachtersystems der DFG diente hier die Zusammensetzung der Kommissionen aus renommierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen der Konstruktion einer Entscheidungssphäre, in der ausschließlich wissenschaftliche Gesichtspunkte angewandt werden sollten. Diese Deutung von Evaluationen diente nicht nur den Wissenschaftsministerien als Legitimation, sondern auch die Gutachter und Gutachterinnen selbst legten großen Wert darauf, ihre Ergebnisse als rein wissenschaftliche Qualitätsurteile darzustellen und gegenüber der Wissenschaftspolitik abzugrenzen. Selbst dort, wo Gesichtspunkte den Ausschlag gaben, die nicht als wissenschaftlich gelten konnten, formulierten die Evaluatoren ihre Berichte so, dass sie den Anschein ausschließlich wissenschaftlicher Urteile gewannen.257 Indem sie mögliche Entscheidungen der Ministerien antizipier253 Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 7. 254 Vgl. z. B. Pressemitteilung des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 21.10.2003 (Internetquelle 25). Betroffen von den Kürzungen im Rahmen des Hochschuloptimierungskonzepts, das auf Evaluationsergebnissen basierte, waren unter anderem mehrere Fächer in Oldenburg, vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 7. Sitzung des 16. Senats am 12.11.2003, S. 3. 255 Vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2003), S. 9; UAOL 20002 ZW, Protokoll der 3. Sitzung des 15. Senats am 27.6.2001, S. 3; ebd., Protokoll der 4. Sitzung des 16. Senats am 9.7.2003, S. 2 f. Ähnlich verhielt es sich auch mit der Evaluationen einzelner Fächer in Bayern gegen Ende der 1990er Jahre, vgl. Fries (2003), S. 10, 25. 256 Vgl. Werron (2015), S. 200. 257 Dies beobachtete Eva Barlösius, die selbst an Evaluationsverfahen beteiligt war, vgl. Barlösius (2008a).
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ten und Argumente für oder gegen solche Entscheidungen produzierten, agierten sie sogar selbst politisch, während zugleich ihre Legitimation davon abhing, dies nicht explizit werden zu lassen. Um die wissenschaftliche Kompetenz der Gutachterkommissionen sicherzustellen, wurden diese in der Regel aus Personen zusammengesetzt, die fachintern eine hohe Reputation genossen. Teils trafen die Wissenschaftsministerien (in Abstimmung mit den Landesrektorenkonferenzen) diese Auswahl, so im Fall der „Kommission Wissenschaftsland Bayern 2020“ oder des nordrhein-westfälischen „Expertenrates“, teils stellten auf Dauer eingerichtete intermediäre Institutionen wie die WKN für einzelne Evaluationsrunden Gutachtergruppen zusammen.258 Für die Berufung in eine Evaluationskommission waren allerdings nicht nur das fachinterne Ansehen ausschlaggebend, sondern auch Erfahrung und Bekanntheit im Feld der Wissenschaftspolitik. Hier scheinen Mechanismen eines kumulativen Prestigeerwerbs gegriffen zu haben, wie sich an einigen Experten-Karrieren der 1990er und 2000er Jahre ablesen lässt. Der Philosoph Jürgen Mittelstraß, wohl das prominenteste Beispiel, war an einer ganzen Reihe von Evaluationskommissionen beteiligt, so an der Hochschulstrukturkommission in Niedersachsen (1988–1990), den Hochschulstrukturkommissionen Sachsens und Berlins nach der Wiedervereinigung, der „Sachverständigenkommission Hochschulentwicklung Saarland-Trier-Westpfalz“ (1997), der „Strukturkommission Hochschullandschaft Hamburg“ (2002), der „Expertenkommission Wissenschaftslandschaft Thüringen“ (2002–2003) und der „Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020“ (2004–2005).259 Wie andere Wissenschaftler mit ähnlichen Karrieren hatte Mittelstraß zunächst verschiedene Ämter in der DFG ausgeübt und war Mitglied des Wissenschaftsrates gewesen. Die Theaterwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, um ein zweites Beispiel zu nennen, war nach ihrer Tätigkeit bei der DFG und im Wissenschaftsrat Mitglied der Sächsischen „Hochschulentwicklungskommission“ (2001–2002), in der WKN und in der „Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020“.260 In den letzten beiden Kommissionen war auch der Mediziner und Biologe Horst-Franz Kern tätig, der überdies, wie Mittelstraß, in der „Sachverständigenkommission Hochschulentwicklung Saarland-Trier-Westpfalz“ saß.261 Häufig übten dieselben Personen weitere Funktionen in der Politikberatung für Landes- und Bun258 Vgl. Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020 (2005), S. 7; Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 7–9; Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2003), S. 9; zur Rekrutierung des Wissenschaftsrates vgl. Bartz (2007), S. 250–261. 259 Vgl. hierzu und zum Folgenden Internetquelle 26. 260 Vgl. Internetquelle 27, Internetquelle 28; Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020 (2005), S. 9; Internetquelle 29. 261 Vgl. Internetquelle 29; Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020 (2005), S. 9; Internetquelle 30. Die Liste der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die mehrere Funktionen im Wissenschaftsrat, in „Expertenkommissionen“ und anderen Beratungsgremien innehatten, ließe sich weiter fortsetzen, vgl. etwa die Lebensläufe von Ernst-Ludwig Winnacker (Internetquelle 31); Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020 (2005), S. 9), Wolfgang Frühwald (Internetquelle 32) oder Karin Lochte (Internetquelle 33).
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desministerien aus und waren begehrte Mitglieder in den seit Ende der 1990er Jahre eingerichteten Hochschulräten.262 Über die Beteiligung an Expertenkommissionen, auf deren Bewertungen die Wissenschaftsministerien ihre Verteilungsentscheidungen stützten, gewann somit ein kleiner Teil der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des Hochschulsystems. Während sich die Mehrheit der Wissenschaftlergemeinde immer häufiger einer Überprüfung ihrer Leistungsfähigkeit unterziehen musste, setzte die Politik in Kompetenz dieser „Experten“ ein nahezu unbegrenztes Vertrauen. Durch diese Machtverlagerung auf wenige kam es zu einer Homogenisierung der Qualitätskriterien, wie Christof Schiene und Uwe Schimank an den Empfehlungen der WKN-Evaluationen feststellten.263 Über die Fächergrenzen hinweg legten die Gutachter hohen Wert auf die Orientierung an innerwissenschaftlichen Standards (gegenüber gesellschaftlicher Relevanz), auf ausreichend Zeit für Forschung und auf ein klar definiertes Profil der Institute oder Fachbereiche. Diese vor allem im letzten Punkt (angesichts der stark differierenden Forschungspraxis) überraschende Übereinstimmung erklären Schiene und Schimank unter anderem mit wechselseitigen Beobachtungen und Anpassungen in „Elitenetzwerken“ und mit dem Umstand, dass es sich bei den „[h]ochrangige[n] Gutachtern“ um „gefragte Politikberater“ handelte, „mit einem guten Gespür für Empfehlungen, die im politischen Kontext eine Chance auf Umsetzung haben“.264 Evaluationen trugen daher zur Stabilisierung, Legitimation und Verbreitung des Wettbewerbsparadigmas bei, insbesondere dort, wo der Auftrag an die Gutachter auch die Bewertung der Organisationsstrukturen einschloss.265 Die Begutachtung von Hochschulen, Fachbereichen und Instituten durch renommierte Wissenschaftler stand nicht in striktem Gegensatz zu der beschriebenen Formalisierung und Quantifizierung der Ressourcenkonkurrenz. Auch die Gutachter stützten sich nämlich auf Indikatoren, ein Verfahren, das in der Literatur zur wissenschaftlichen Leistungsmessung bisweilen unter dem Titel eines „informed peer-review“ eingefordert wurde – mit dem Argument, dass Indikatoren ohne ihre Rekontextualisierung durch Experten zu falschen Schlüssen und Fehlsteuerungen verleiten könnten.266 So mussten etwa die Selbstberichte, die in der Regel als Grundlage für die Begutachtungsverfahren von den Hochschulen angefordert wurden, meistens quantitative Angaben zu Forschung und Lehre enthalten.267 Dass die Gutachter ihre Einschätzungen nicht zuletzt auf die verfügbaren Zahlen stützten, ist angesichts ihrer mangelnden Detailkenntnis auf 262 Vgl. hierzu die bereits zitierten Lebensläufe der genannten Wissenschaftler. 263 Vgl. Schiene/Schimank (2006), S. 55–58, zum Folgenden vgl. ebd. 264 Schiene/Schimank (2006), S. 57. 265 Die „Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020“ empfahl z. B. die „Schärfung bestehender Universitätsprofile“, die „leistungsabhängige“ Vergabe zusätzlicher Mittel, eine „Schwerpunktbildung“ auf Universitäts- und Landesebene sowie die „Stärkung der Autonomie der Universitäten bei gleichzeitiger Einrichtung und Professionalisierung neuartiger universitärer Leitungs- und Entscheidungsstrukturen“ (Expertenkommission Wissenschaftsland Bayern 2020 (2005), S. 63). 266 Vgl. Wissenschaftsrat (2008), S. 7; Wissenschaftsrat (2011), S. 17 f. 267 Zur WKN vgl. Schiene/Schimank (2006), S. 51.
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der einen Seite und der oft überbordenden, bisweilen auch bewusst erzeugten Komplexität268 der Selbstberichte auf der anderen Seite nicht unwahrscheinlich. Quantitative Angaben boten hier den Vorzug, dass sie die komplexe Fülle an Informationen auf wenige Gesichtspunkte reduzierten und zugleich einen scheinbar präzisen Vergleich unterschiedlicher Einrichtungen ermöglichten.269 Eine solche Komplexitätsreduktion war nötig, wenn die Kommissionen zu umsetzbaren Empfehlungen kommen wollten. Ein weiterer, nicht zu unterschätzender Faktor dürfte der Zeitmangel gewesen sein, unter dem die meisten Gutachter arbeiteten, die neben ihrer Tätigkeit in Forschung und Lehre nicht selten eine ganze Reihe weiterer Ämter in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung und Politikberatung ausübten.270 Selbst wenn sich zum Beispiel die Berichte der 27 nordrhein-westfälischen Hochschulen an den Expertenrat im Schnitt nur auf hundert Seiten belaufen hätten (derjenige der Universität Bielefeld war deutlich länger),271 hätte dies für die Gutachter eine Lektüre von 2 700 Seiten bedeutet. Mit quantitativen Indikatoren als Beschreibungskategorien ließen sich hingegen Informationen erzeugen, die deutlich leichter und schneller zu erfassen waren. Da die Evaluation von Hochschulen durch Expertenkommissionen zumindest in Teilbereichen dazu führte, dass sich fachübergreifende Leistungskriterien entwickelten, und da die Gutachterinnen und Gutachter quantitative Indikatoren anwandten, lässt sich auch der Trend zur Außenbegutachtung als ein Schritt in Richtung einer stärker formalisierten Konkurrenz interpretieren. Zwar hatten die Evaluatoren gewisse Freiräume für ihre Urteile und konnten ihre Beurteilungskriterien flexibel handhaben, doch wurden die Universitäten stärker, als es in der politischen Konkurrenz der 1980er Jahre der Fall gewesen war, auf eine Reihe von Leistungsmaßstäben festgelegt. Dies drückte sich schon darin aus, dass die eingeforderten Selbstberichte in der Regel stark vorstrukturiert waren, womit von vorneherein über mögliche Gesichtspunkte der Bewertung entschieden war.272 Zu den üblicherweise abgefragten Angaben zählten Drittmitteleinwerbungen und Forschungsschwerpunkte. Auf dieser Basis kritisierte zum Beispiel der nordrhein-westfälische Expertenrat, dass die Universität zu Köln mit Verweis auf ihre dezentralen Strukturen keine Forschungsschwerpunkte benannt hatte, und bewertete dies als ein Defizit an Profilbildung.273 Ihre Grenzen fand die For-
268 Der Planungsreferent der Universität Bielefeld ermunterte die Fachbereiche, ihre Teilberichte möglichst umfangreich zu gestalten, um eine für die Gutachter kaum noch durchdringbare Komplexität herzustellen (Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016). 269 Vgl. Münch (2011a), S. 220. 270 Auf diesen Zeitmangel, der dazu führen konnte, dass Gutachter Berichte beschlossen, die sie nicht einmal gelesen hatten, verwies mich Hartmut Krauß (Gespräch am 5.2.2016). Vgl. zu Zeitmangel als Ursache für den Einsatz von Indikatoren durch Gutachter auch Power (2008), S. 20. 271 Universität Bielefeld, Bericht der Universität Bielefeld an den Expertenrat im Rahmen des Qualitätspaktes des Ministeriums für Schule und Weiterbildung, Wissenschaft und Forschung NRW mit den Hochschulen, 31.10.1999. 272 Vgl. Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 14; Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2003), S. 9 f. 273 Vgl. Expertenrat im Rahmen des Qualitätspakts (2001), S. 14, 392.
5. Evaluation: „Exaertenn als neue Dritte
malisierung der Konkurrenz allerdings darin, dass die Wissenschaftsministerien sich durch die Einberufung von Expertenkommissionen nicht so strikt banden wie durch den Einsatz indikatorbasierter Mittelverteilungsmodelle. Da sie sich vorbehielten, von den Empfehlungen abzuweichen, wirkte hier grundsätzlich der Modus politischer Konkurrenz weiter. Die Universitäten konnten immer noch versuchen, die Ergebnisse der Begutachtung in ihrer Aussagekraft anzuzweifeln, andere Gesichtspunkte einzubringen274 oder aber mit Verweis auf die Gutachten Konsequenzen einfordern, die das Wissenschaftsministerium nicht gezogen hatte.275 Die Ergebnisse externer Begutachtungen figurierten in der fortbestehenden politischen Konkurrenz der Universitäten um ihre Grundfinanzierung als wichtige Argumentationsgrundlage und als Beleg für Leistungen in Forschung und Lehre. Ferner maßen die Bundesländer der externen Begutachtung von Universitäten und Studiengängen auch eine wichtige Rolle für die Profilbildung bei. Die Hochschulleitungen sollten diese Informationen über Stärken und Schwächen nutzen, um intern Prioritäten zu setzen und Veränderungen anzustoßen.276 Da die Gutachten das häufig bestehende Informationsdefizit bzw. die mangelnde Kompetenz der Universitätsleitungen in den jeweiligen Fachgebieten ausglichen, trugen sie zu einer Machtverschiebung zwischen der Hochschulspitze und den Fakultäten bei. Es überrascht daher nicht, dass wettbewerbsorientierte Hochschulleitungen Evaluationsberichte als Planungsgrundlage aufgriffen und zum Beispiel dazu nutzten, Kürzungsauflagen zu verteilen.277 Manchmal ließen sie auch selbst Teile ihrer Universitäten evaluieren, wie etwa das Präsidium der TU München, das in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, unzufrieden mit der fachlichen Ausrichtung der sportwissenschaftlichen Fakultät, eine externe Begutachtung durchsetzte und auf dieser Basis einen Umbau betrieb.278 Zudem konnten die Hochschulleitungen gegenüber den Fächern auf den Druck des Wissenschaftsministeriums und drohende Kürzungen verweisen, um Entscheidungen durchzusetzen, die festgestellte Schwächen beheben oder Gutachterempfehlungen 274 Vgl. z. B. Bielefelder Universitätszeitung, no. 205 (2001), S. 6–10. Die Hochschulleitung der TU München argumentierte nach der landesweiten Begutachtung der Geographie, in deren Folge das Wissenschaftsministerium eine Konzentration der Münchner Geographie an der LMU favorisierte, für einen Verbleib des Faches an der TU, da es sonst zu einem „Defizit sozialwissenschaftlicher Kompetenz“ käme, was der wachsenden Bedeutung sozialwissenschaftlichen Wissens für „natur- und ingenieurwissenschaftliche Berufsbilder“ widerspreche; vgl. TU München (2002), S. 6. 275 Das Rektorat der Universität zu Köln kritisierte z. B., dass nach dem Bericht des Expertenrates, den es im Ergebnis als erfreulich wertete, der Umfang der Stellenkürzungen in Köln nicht reduziert worden war, vgl. Rektorat der Universität zu Köln (2002), S. 9. 276 Vgl. Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2001), S. 88; Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2003), S. 9. 277 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der Sondersitzung des 16. Senats am 1.10.2003, S. 4; Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2003), S. 36. Die Entwicklungsplanungskommission der FU Berlin empfahl im Jahr 1996 zu planerischen Zwecken eine generelle Evaluation der geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächer nach dem Vorbild einer bereits durchgeführten Begutachtung der naturwissenschaftlichen Fakultäten in Berlin, die zu „nützlichen Diskussionen, mehr Transparenz und neuen Planungsgedanken geführt“ habe, vgl. FU Berlin, UA, EPK 92, Protokoll der Sitzung der EPK am 17.12.1996, S. 3. 278 Vgl. TU München (1997b); Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017.
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umsetzen sollten.279 Oft wurden die Fachbereiche über interne Zielvereinbarungen zur Reaktion auf Evaluationsergebnisse verpflichtet.280 Da die Rektorate auch zusätzliche Mittel zur Umsetzung von Maßnahmen bereitstellten, musste dies für die Fächer nicht von Nachteil sein; sie konnten manchmal Evaluationen dazu nutzen, mit neuer finanzieller Unterstützung Vorhaben umzusetzen, die ihnen bereits zuvor als wünschenswert erschienen waren.281 Wie im Wettbewerb der Universitäten um ihre Grundfinanzierung etablierten sich auch in der universitätsinternen Konkurrenz die Ergebnisse externer Begutachtung als Argumentationsgrundlage. So berief sich zum Beispiel der Fachbereich Physik der FU Berlin auf eine Evaluation aller naturwissenschaftlichen Fächer in Berlin, um geforderte Änderungen am „Strukturkonzept 2003“ zu begründen, mit dem weitreichende Kürzungen umgesetzt werden sollten.282 Nicht immer dienten externe Begutachtungen allerdings der Leistungskontrolle. In manchen Kontexten fanden sie innerhalb der Universitäten durchaus eine breite Akzeptanz und galten als bestes Mittel zur Regelung von Ressourcenkonkurrenz. Der Senat der Universität Bielefeld zum Beispiel beschloss 1991 angesichts einer zugespitzten inneruniversitären Konkurrenz um knappe Finanzmittel, dass zentrale wissenschaftliche Einrichtungen künftig nur mehr befristet eingerichtet werden sollten und sich in regelmäßigen Abständen einer Bewertung durch Gutachtergruppen zu unterziehen hatten.283 Als die FU Berlin und die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zu Beginn der 2000er Jahre „Interdisziplinäre Zentren“ bzw. „Forschungszentren“ als neue Organisationseinheiten einführten, beschlossen die Senate ebenfalls, diese nur befristet einzurichten, und machten ihre Fortführung von positiven Evaluationen abhängig.284 Die Autorität externer Gutachterkommissionen konnte, wenn deren Zusammensetzung und Kompetenz von den Betroffenen anerkannt wurde, als Legitimationsgrundlage für Entscheidungen dienen. So auch im Fall der Bielefelder Linguistik, wo in den 2000er Jahren Uneinigkeit über die zukünftige Ausrichtung des Faches herrschte. Das Rektorat ließ die beiden konkurrierenden Gruppen, eine eher traditionell ausgerichtet, die andere an einer Kooperation mit den Neurowissenschaften orientiert, Konzepte entwerfen. Diese wurden acht von Fakultätsseite vorgeschlagenen DFG-Gutachtern vorgelegt. Deren wissenschaftliches Renommee sowie das 279 Vgl. Meier/Schimank (2010), S. 226. 280 Vgl. UOL Altregistratur, Stabsstelle Forschung, Berufungsverfahren: Leitfaden/zeitliche und organisatorische Strukturierung. Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 20.12.2005, S. 1 (mit Aussagen zur Strukturplanung im Rahmen von Zielvereinbarungen); ebd., Dezernat 5, Zielvereinbarung zwischen dem Fach Chemie und dem Präsidium im Rahmen der Forschungsevaluation, 31.1.2003. Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 4.2.2003. 281 Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016. 282 FU Berlin, UA, FBR Physik, Vorläufiges Protokoll der Sitzung des Fachbereichsrats am 25.6.1997, Anlage 1: Der Dekan des Fachbereichs Physik, Stellungnahme zu den EPK-Empfehlungen zum „Strukturkonzept 2003“, 23.6.1997. 283 Vgl. UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 198. Sitzung des Senats am 23.1.1991; zur rückblickenden Bewertung der Situation als Ressourcenkonkurrenz vgl. ebd., S 129, Protokoll der 257. Sitzung des Senats am 22.10.1997. 284 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2007), S. 41 f., 142; Hener (2004), S. 152 f.
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einstimmige Votum sorgten dafür, dass die Betroffenen die Richtungsentscheidung zugunsten des neurowissenschaftlichen Ansatzes akzeptierten.285 Um die Folgen der von den Ländern veranlassten externen Begutachtungen von Hochschuleinrichtungen zu verstehen, ist das Beispiel des „Nordverbundes“, an dem unter anderem die Universität Oldenburg beteiligt war, instruktiv. Nicht nur lässt sich dieser Fall einer von den Universitäten selbst durchgeführten und weitgehend auf dem Prinzip der Freiwilligkeit basierenden Evaluation mit den von staatlicher Seite verordneten Verfahren in ihren Auswirkungen vergleichen. Die Ausgestaltung der Begutachtung, die darauf abzielte, eine möglichst große Akzeptanz sicherzustellen, macht auch deutlich, auf welche Einstellungen Evaluationen bei den Betroffenen stießen. Der Nordverbund wurde 1994 von den Universitäten Bremen, Hamburg, Kiel, Oldenburg und Rostock als gemeinsame Plattform zur Evaluation von Studiengängen gegründet.286 Die beteiligten Rektoren und Präsidenten reagierten damit auf den seit den frühen 1990er Jahren wachsenden politischen Druck zur Überprüfung und Verbesserung der Lehrqualität und insbesondere der Studienzeiten. Konkreter Anlass war die Ankündigung der Länder Hamburg und Schleswig-Holstein, die Studiengänge Germanistik und Biologie an den Universitäten Hamburg und Kiel evaluieren zu lassen.287 Dahinter standen die zu dieser Zeit intensiv geführte Debatte um die Bewertung von Lehrveranstaltung durch die Studierenden und schlechte Ergebnisse bei solchen Evaluationen an beiden Universitäten.288 Der Nordverbund ist daher als Abwehrreaktion gegen staatlich veranlasste Evaluationen zu verstehen, die sehr wahrscheinlich finanzielle Folgen nach sich gezogen hätten. Die selbstständige Organisation der Verfahren sollte den Universitäten erlauben, die Durchführung und die Konsequenzen insbesondere für die interuniversitäre Konkurrenz in den eigenen Händen zu behalten.289 Dass an den Universitäten Befürchtungen bestanden, Evaluationen könnten zu einem Qualitätsvergleich zwischen den begutachteten Einrichtungen genutzt werden und so Auswirkungen auf Konkurrenzverhältnisse haben, zeigt sich daran, dass die Organisatoren tunlichst versuchten, eine solche Interpretation der Verfahren zu vermeiden.290 Es sollten, wie auch gegenüber den Fakultäten betont wurde, keine Rangfolgen oder Rankings erstellt werden. Auch wenn die Studiengänge eines Faches an allen beteiligten Universitäten in einem Verfahrensgang evaluiert wurden, standen am Ende Einzelberichte zu jedem Studiengang. Den Fächern stand es zudem offen, eine 285 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. 286 Vgl. DUZ, no. 3 (1995), S. 16–17. Der Nordverbund war das erste Evaluations-Netzwerk dieser Art, dem in der zweiten Hälfte der 1990er weitere folgten, vgl. Serrano-Velarde (2008), S. 120 f. 287 Vgl. DUZ, no. 3 (1995), S. 16–17, uni hh 25, no. 3 (1994), S. 32. 288 Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016. 289 So hob Michael Daxner, 1994 Präsident der Universität Oldenburg, hervor, dass sich der Nordverbundes „sehr bewußt gegen staatliche Intervention und Vereinnahmung“ wandte, und grenzte diesen gegen die wenig später beginnenden niedersächsischen Evaluationsverfahren ab, die vom Wissenschaftsministerium „streng kontrolliert“ gewesen seien (Daxner (1996), S. 67–69). 290 Gespräch mit Dr. Karin Fischer-Bluhm am 31.5.2016.
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Veröffentlichung der Berichte abzulehnen.291 Um die Evaluation nicht mit Konkurrenzverhältnissen zu belasten, nahm der Nordverbund in den ersten Jahren aus jedem Bundesland nur eine Universität auf.292 Außerdem wurde den Fächern in der Regel zugesichert, dass sie nicht mit negativen finanziellen Konsequenzen zu rechnen hätten.293 Darauf bestand der Nordverbund auch gegenüber den Wissenschaftsministerien und wandte sich vehement gegen die Versuche eines Wissenschaftssenators, Evaluationsergebnisse zur Begründung von Kürzungen heranzuziehen.294 Diese Vorkehrungen waren nötig, um das Prinzip der Freiwilligkeit aufrecht zu erhalten, das der Evaluation zugrunde liegen sollte. Nur wenn ein Leistungsvergleich und mögliche Auswirkungen auf die Ressourcenkonkurrenz ausgeschlossen waren, konnten die Fächer offensichtlich zur Teilnahme bewegt und strategisches Verhalten wie die Zurückhaltung von Informationen und eine geschönte Selbstdarstellung verhindert werden. Wenngleich bisweilen ein gewisser Druck seitens der Hochschulleitungen auch hier im Spiel war,295 unterschied sich der Nordverbund in diesem Punkt doch markant von den staatlich verordneten Evaluationsverfahren, in denen eine strategische Selbstdarstellung der begutachteten Fachbereiche üblich war.296 Diesen Effekt der Konkurrenz auszuschalten, entsprach daher dem Ziel des Nordverbunds, Evaluation vorrangig als Mittel der Selbstreflexion und der gegenseitigen Beratung zu etablieren.297 Dies verhinderte allerdings nicht, dass der Nordverbund selbst infolge einer intensivierten Konkurrenz zwischen den Universitäten an Bedeutung verlor. Die Studiengangevaluation wurde bereits durch die verpflichtende Akkreditierung verdrängt, die mit der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge Einzug hielt. Der Nordverbund als Kooperationsplattform litt zusätzlich darunter, dass manche Hochschulleitungen und -verwaltungen nicht mehr bereit waren, Informationen mit anderen Universitäten zu teilen. So lehnte es zum Beispiel die neue Präsidentin der Universität Hamburg im Vorfeld der Exzellenzinitiative ab, anderen Hochschulleitungen Einblicke in die eigene Universität zu gewähren, da sie jene vorrangig als Kon-
291 Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016.; Fischer-Bluhm (1998), S. 40. 292 Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016. Dies änderte sich allerdings mit der Aufnahme von Greifswald und Lübeck, vor allem zwischen den beiden Universitäten in Mecklenburg-Vorpommern bestand eine intensive Konkurrenz. 293 Der Präsident der Universität Hamburg betonte, es solle „kein quantitativer Ausstattungs- und Ergebnisvergleich erarbeitet werden, aus dem allzu wachsame Haushälter unmittelbare Schlüsse ziehen“ könnten (Lüthje (1995), S. 150 f.). „Die Hochschulleitungen haben mündlich und schriftlich versichert, die Evaluation von Studium und Lehre nicht mit der Debatte über die Vergabe von Mitteln zu verknüpfen“ (Ebd., S. 156). Eine Ausnahme war die Universität Kiel, wo Evaluationsergebnisse zur internen Verteilung von Kürzungsauflagen benutzt wurden, vgl. Fischer-Bluhm (1998), S. 38. 294 Gespräch mit Dr. Karin Fischer-Bluhm am 31.5.2016. 295 Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016. 296 So waren bei einer Umfrage der WKN unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus evaluierten Fachbereichen nur 37 % der Befragten der Meinung, in den Selbstberichten seien auch Schwächen angemessen dargestellt worden, vgl. Wissenschaftliche Kommission Niedersachsen (2006), S. 12. 297 Vgl. Lüthje (1995), S. 158; hierzu und zum Folgenden: Gespräch mit Dr. Karin Fischer-Bluhm am 31.5.2016.
5. Evaluation: „Exaertenn als neue Dritte
kurrenten begriff. Auch die scharfe Konkurrenz der beiden Universitäten in Mecklenburg-Vorpommern belastete die nötige Vertrauensbasis.298 Der forcierte Wettbewerb und die kompetitive Einstellung, die er beförderte, untergruben daher die Möglichkeiten der Kooperation zu wechselseitigem Nutzen.
298 Hinzu kamen Personalwechsel an den Spitzen der Universitäten, was zu einer veränderten personellen Konstellation und einer geringeren Identifikation mit dem Projekt der Vorgänger führte (Gespräch mit Susanne Zemene und Prof. Dr. Holger Fischer am 22.5.2016).
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V. Rankings
War die Konkurrenz der Universitäten um ihre Grundfinanzierung ursprünglich als Konsequenz des finanzpolitisch motivierten Abbruchs des Hochschulausbaus entstanden, so versuchten die wissenschaftspolitischen Akteure seit den 1980er Jahren vermehrt, Wettbewerb als Instrument zur Leistungssteigerung einzusetzen. Quantitative Indikatoren erlaubten es scheinbar, Leistungen vergleichbar zu machen, und etablierten sich daher auf Landesebene wie auch innerhalb der Universitäten als Mittel zur Verteilung von knappen Geldern. Daneben entwickelte sich eine andere Form des Leistungsvergleichs, die nicht in erster Linie auf die Vergabe von Finanzmitteln abzielte, sondern eine Konkurrenz der Universitäten um Reputation und die Gunst der Studierenden in Gang setzen sollte: Hochschulrankings. Diese entstanden im frühen 20. Jahrhundert in den USA und hielten im Kontext der Debatte um die Messung wissenschaftlicher Leistungen seit den 1970er Jahren auch in der Bundesrepublik Einzug. Aber erst eine Rangliste des Magazins Der Spiegel aus dem Jahr 1989 verhalf ihnen in Deutschland zum Durchbruch. In den folgenden eineinhalb Jahrzehnten versuchte eine wachsende Zahl an Akteuren, sich als bewertende Dritte in Stellung zu bringen1 (Abschnitt 1). Anhänger des Wettbewerbsparadigmas hofften, dass ein öffentlicher Qualitätsvergleich die Konkurrenz der Universitäten um Studierende stimulieren würde. Einem solchen Wettbewerb standen in den 1980er Jahren noch einige Hindernisse im Weg, die in der Folge teilweise abgebaut wurden, woran auch Rankings beteiligt waren (2). Die über Massenmedien verbreiteten Ranglisten lösten an den Universitäten unterschiedliche Reaktionen aus. Vor allem trugen sie zur Entstehung einer neuen Form von Konkurrenz um Prestige bei, in der Reputation vorrangig nach dem Modell einer Rangordnung begriffen wurde und sich damit zum knappen Gut entwickelte (3). Als Antwort auf diesen neuartigen Wettbewerb bauten viele Universitäten ihre PR-Abteilungen aus. Zugleich setzte sich ein verändertes Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit durch, das Elemente des betriebswirtschaftlichen Marketing aufnahm (4). Für die Außendarstellung der Universitäten boten gute Ranking-Ergebnisse eine wertvolle
1 Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 338 f.
1. Neue Dritte
Ressource. Lediglich die Verlierer hatten einen Anreiz, die zugrundeliegende Methodik zu kritisieren. Sich an Rankings nicht zu beteiligen, konnte allerdings Nachteile in der interuniversitären Konkurrenz bedeuten (5). 1. Neue Dritte „Rankings“ bildeten sich im Lauf des 20. Jahrhunderts als eine Form der vergleichenden Bewertung von Hochschulen oder Fakultäten heraus, die vor allem auf eine publikumswirksame Hierarchisierung abzielt. Dazu werden die Qualitätsurteile in Zahlenwerten ausgedrückt, was wiederum die Zuweisung von Rangplätzen ermöglicht. Charakteristisch ist die Darstellung in Form von Tabellen, in denen die bewerteten Hochschulen oder Fakultäten in der Reihenfolge ihrer Rangplätze aufgeführt werden. Als wesentliches Merkmal von Rankings kann zudem ihre Veröffentlichung gelten. Die Urheber der Ranglisten richten sich an (künftige) Studierende, die scientific community, die Wissenschaftspolitik und andere Personen, die an einem Vergleich von Hochschuleinrichtungen interessiert sind. Sie nehmen damit die Rolle eines Dritten in einer potenziellen Konkurrenzsituation ein, denn Rangplätze sorgen für eine klare Differenzierung zwischen den beurteilten Hochschulen. Die oberen Positionen können zu einem knappen Gut werden, da keine Universität aufsteigen kann, ohne dass eine andere sich verschlechtert.2 In den USA hatte es angesichts der stark ausdifferenzierte Hochschullandschaft mit zahlreichen privaten Institutionen bereits seit dem späten 19. Jahrhundert vielfältige Versuche gegeben, Colleges und Universitäten nach qualitativen Gesichtspunkten zu klassifizieren.3 Die erste Hochschulrangliste erstellte 1910 der Psychologe James McKeen Cattell auf Grundlage der Zahl an „hervorragenden“ Wissenschaftlern, die an einer Einrichtung tätig waren. In den darauf folgenden Jahrzehnten entstanden dutzende ähnliche Rankings, die Hochschulen nach den Persönlichkeiten beurteilt, die dort lehrten oder ihre Ausbildung absolviert hatten.4 Einen anderen Ansatz begründete im Jahr 1925 der Chemiker Raymond M. Hughes, der für eine Akkreditierungseinrichtung verschiedene Graduiertenprogramme bewertete und diese in eine Rangtabelle einordnete.5 Dabei stützte er sich auf eine Umfrage bei Wissenschaftlern zur Reputation der bewerteten Institutionen, ein Ansatz, der sich um die Mitte der 1960er gegen die von Cattell begründete Methode durchsetzte. Zugleich stützten sich Rankings seit dieser Zeit vermehrt auf Indikatoren, die Wissenschaftssoziologen zur Messung wissenschaftlicher Leistungen entwickelten.6 Im Kontext dieser international geführten
2 3 4 5 6
Vgl. Ringel/Werron (2016); Brankovic et al. (2018). Vgl. Webster (1986), S. 29–106. Vgl. Webster (1986), S. 115 f. Vgl. Dill (2009), S. 18, 98, 135. Vgl. Webster (1986), S. 118 f., s. außerdem Kap. IV.1.
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V. Ran ings
Debatte hielten Rankings auch in der Bundesrepublik Einzug. So ermittelte die Soziologin Ina Spiegel-Rösing in einer vom BMBW in Auftrag gegebenen Studie 1975 die „wissenschaftliche Produktivität“ westdeutscher Universitäten und stellte diese in Form einer Rangtabelle dar.7 Drei Ökonomen an der FU Berlin wiederum verglichen in den frühen 1980er Jahren die Publikationstätigkeit wirtschaftswissenschaftlicher Fachbereiche in Westdeutschland, um die Anwendung dieses Leistungsindikators zu verdeutlichen.8 Auch die Alexander von Humboldt-Stiftung beteiligte sich an dieser neuen Form des Leistungsvergleichs, als sie im Jahr 1981 eine Beliebtheitsskala deutscher Hochschulen bei ausländischen Stipendiaten veröffentlichte.9 Aufmerksamkeit erregte eine Arbeit des Kieler Betriebswirtschaftlers Reinhart Schmidt, die 1978 unter dem Titel „Schlechte Noten für rote Unis“ im manager magazin erschien. Schmidt hatte unter anderem Personalchefs größerer Unternehmen danach befragt, wie sie die Einstellungschancen von Absolventen einschätzten. Die Ergebnisse präsentierte er in Form einer Rangtabelle, auf der vor allem „stark politisierte[.] Universitäten wie FU Berlin oder Bremen“ im unteren Bereich zu finden waren.10 Im Rahmen des Wettbewerbsparadigmas konnten Rankings als probates Mittel erscheinen, um mehr Transparenz über die Leistungen von Hochschulen herzustellen. Die Empfehlungen des Wissenschaftsrates von 1985 machten einen Mangel an öffentlich verfügbaren Informationen als Ursache dafür aus, dass sich in der Bundesrepublik kein „Prestigewettbewerb“ zwischen den Universitäten entwickelt habe. In diesem Sinne plädierte Peter Graf Kielmansegg dafür, auch in Deutschland Rankings wie in den USA einzuführen.11 Das BMBW war diesen Vorschlägen gegenüber aufgeschlossen und förderte die Weiterentwicklung der „Leistungsmessung“. Innerhalb der Rektorenkonferenz überwog allerdings in den 1980er Jahren, wie bereits erwähnt, noch eine ablehnende Haltung. Viele Hochschulleitungen befürchteten, dass derartige Vergleiche zur Umverteilung von Ressourcen nach fragwürdigen Kriterien führen würden.12 Angesichts dieser ablehnenden Haltung und einer wachsenden Kritik an der Methodik von Rankings forcierte das BMBW das Thema ab 1987 nicht weiter. Vielmehr setzte sich der Vorschlag der WRK durch, über ein neues Berichtssystem der Hochschulen mehr Transparenz herzustellen. Die Versuche der Rektorenkonferenz, den Forderungen nach mehr Informationen über ihre Leistungen Genüge zu tun, ohne einen unmittelbaren Vergleich und die Gefahr von finanziellen Umverteilungen zu befördern, schien somit Erfolg zu haben.13 7 Vgl. Spiegel-Rösing (1975). 8 Vgl. Hüfner et al. (1984). 9 Vgl. Wissenschaftsrat (2004a), S. 19. 10 Vgl. Schmidt (1978), Zitat auf S. 146. 11 Vgl. hierzu und zum Folgenden Waßer (2016), S. 306–324. 12 Vgl. Bibliothek der HRK, Protokoll des 46. Senats der WRK am 14.1.1986 in Bonn/Bad Godesberg, S. 12; ebd., Protokoll des 149. Plenums der WRK am 1.7.1986 in Bonn/Bad Godesberg. 13 Diese Haltung wurde bereits 1986 im Senat der WRK geäußert, vgl. Bibliothek der HRK, Protokoll des 46. Senats der WRK am 14.1.1986 in Bonn/Bad Godesberg, S. 12. In diese Richtung ging dann auch das 1991 begonnene „Projekt Profilbildung“, vgl. HRK (1993).
1. Neue Dritte
Während also gegen Ende der 1980er Jahre ein vom Staat durchgeführter Leistungsvergleich vorerst nicht mehr zu erwarten war, verhalf die Zeitschrift Der Spiegel Rankings in Deutschland zum Durchbruch.14 Im Dezember 1989 präsentierte das Magazin eine Rangliste deutscher Universitäten, die auf einer Umfrage unter Studierenden basierte.15 Als Vorbild diente dabei wahrscheinlich das Ranking, das die US-amerikanischen Zeitschrift U. S. News and World Report erstmals 1983 und schließlich in jährlichem Abstand veröffentlichte.16 Die Spiegel-Umfrage unterschied sich von den bis dahin durchgeführten deutschen Rankings insofern, als sie in einem Magazin für ein breites Publikum mit hoher Auflage veröffentlicht wurde und sich in erster Linie an Studieninteressierte wandte.17 Zudem fanden sich in den folgenden Jahren eine ganze Reihe von Nachahmern. Im Jahr 1993 warteten neben dem Spiegel auch Focus, Stern und Forbes mit einem Hochschulranking auf. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre schlossen sich auch die Wirtschaftszeitschriften Capital, Wirtschaftswoche und manager magazin an.18 Offenbar versprachen sich die Verantwortlichen in den Medien damit eine gesteigerte Aufmerksamkeit und höhere Absatzzahlen für ihre Zeitschriften. Es lag nahe, Rankings einen erheblichen Nachrichtenwert zuzuschreiben, denn zum einen war der Kreis potenzieller Leser groß, zum anderen versprachen die Vergleiche brisante Neuigkeiten, indem sie angeblich bisher verborgene Qualitätsunterschiede aufdeckten.19 Dass zum Beispiel die Ergebnisse des ersten Spiegel-Rankings den im Wissenschaftsbereich verbreiteten Reputationszuschreibungen widersprachen – auf den ersten Plätzen landeten nämlich nicht die renommierten Traditionsuniversitäten, sondern jüngere Hochschulen wie die GH Siegen, – war dabei alles andere als hinderlich. Die meisten dieser Ranglisten basierten auf Umfragen bei Studierenden, Professoren oder Wirtschaftsunternehmen, was sie anfällig für methodische Einwände machte. Kritiker hoben unter anderem hervor, dass Rankings nicht aussagekräftig seien, „wenn die entsprechenden Schätzurteile von heterogenen lokalen Personenstichproben stammen, die nicht in allen allgemeinen Einflußfaktoren des Urteilsverhaltens exakt parallelisiert sind“. Wenn Faktoren wie die „Leistungsmotivation“ oder die „Erwartungshaltung“ an das Studium beeinflussten, wie Studierende ihre Universität beurteilten, könnten die Rangunterschiede genauso gut auf die Auswahl der Befragten zurückzuführen sein. Vollständige Repräsentativität herzustellen sei allerdings kaum möglich, vor allem wenn man davon ausgehe, dass sich die Zusammensetzung der Studierenden je nach Universitätsstandort unterscheide.20 Bisweilen stellten Gegner von
14 Vgl. zum Folgenden Szöllösi-Janze (2014), S. 338 f. 15 Vgl. Der Spiegel, 11.12.1989, S. 70–87. 16 Zum Ranking des U. S. News and World Report vgl. Pechar (1997), S. 161. 17 Das bereits erwähnte Ranking im manager magazin und zwei Ranglisten in Capital und Technologie & Management aus den Jahren 1985 und 1987 hatten anders als das Spiegel-Ranking nur wenig Aufmerksamkeit erregt, vgl. Hornbostel (1999), S. 189. 18 Für einen Überblick vgl. Ott (1999), S. 310–312. 19 Vgl. hierzu und zum Folgenden Neidhardt (1991), S. 290; Hornbostel (1999). 20 Forschung & Lehre, no. 11 (1997), S. 578–579, Zitate auf S. 578.
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Rankings auch die Kompetenz der Studierenden in Frage, die Qualität des Lehrangebotes zu bewerten. Kritisiert wurde außerdem die letztlich willkürliche Auswahl der Vergleichskriterien. Allein die Frage nach der „besten“ Universität sei „unsinnig, weil der einheitliche Maßstab für das Urteil fehl[e]“.21 In dieser Situation entwickelte das von der HRK und der Bertelsmann Stiftung gegründete CHE einen „Studienführer“, der manche der Kritikpunkte, die gegen Rankings ins Feld geführt wurden, berücksichtigen sollte, zugleich aber nicht auf eine vergleichende Bewertung der Fachbereiche verzichtete. Der Studienführer wurde zuerst 1998 zusammen mit der Stiftung Warentest veröffentlicht, ab 1999 in Kooperation mit dem Magazin stern und schließlich ab 2005 mit der Wochenzeitung Die Zeit. Seit 2001 verwendete auch das CHE den Begriff „Ranking“.22 Die Bewertung stützte sich sowohl auf Meinungsumfragen bei Studierenden und der Professorenschaft als auch auf statistische Daten.23 Die Initiative des CHE konnte damit gerechtfertigt werden, dass bereits seit einigen Jahren verschiedene Rankings veröffentlicht worden waren. „Auf dem Weg zu mehr Transparenz, zum ‚Sich-Messen‘ an den Leistungen anderer, gibt es für die Hochschulen kein Zurück“, wie HRK-Präsident Klaus Landfried bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem CHE formulierte.24 Die Publikationen der Nachrichtenmagazine hatten somit die Möglichkeit eröffnet, ein zentrales Element des Wettbewerbsparadigmas umzusetzen. Zugleich konnte das CHE sein Ranking durch die Unterstützung des HRK-Präsidiums legitimieren. Es erhob zudem den Anspruch, die wichtigsten methodische Einwände berücksichtigt und ein wissenschaftlich fundiertes Verfahren entwickelt zu haben.25 Statt Ranglisten, in denen selbst statistisch nicht signifikante Unterschiede in Rangordnungen überführt wurden, bildete das CHE nur Ranggruppen. Dem Argument, dass nicht für jeden Leser die gleichen Bewertungskriterien relevant seien, versuchten die Autoren damit zu begegnen, dass sie die Ergebnisse in den einzelnen Bewertungsdimensionen nicht zu einem Gesamturteil verrechneten.26 Während sich das CHE-Ranking und die in Zeitschriften veröffentlichten Ranglisten auf die Lehre konzentrierten, geriet seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch die Forschung in den Blick bewertender Dritter. So beteiligte sich die DFG seit dieser Zeit am öffentlichen Vergleich zwischen den Universitäten. Zunächst hatte sie auf Anfrage einer Gruppe von Rektoren und Präsidenten 1996 auf ihrer Jahresversammlung Angaben über die zehn Hochschulen mit den meisten DFG-Mitteln in den vorangegangenen fünf Jahren veröffentlicht.27 Seit 1997 publizierte sie alle drei Jahre Zahlenmaterial zur Verteilung der Einwerbungen auf die Universitäten. Der erste Bericht enthielt unter anderem Ranglisten nach der absoluten Höhe der DFG-Mittel und nach 21 22 23 24 25 26 27
Jens-Peter Meincke in Forschung & Lehre, no. 7 (1999), S. 358–359. Vgl. Internetquelle 34. Vgl. Berghoff et al. (2002b). HRK (1999). Vgl. z. B. Forschung & Lehre, no. 2 (2000), S. 81–82. Vgl. Die Zeit, 12.10.2000, S. 70. Vgl. DFG (1997), S. 5.
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den Einwerbungen pro Professur.28 Von 2003 bis 2009 trug die Veröffentlichung den Titel „Förder-Ranking“. Sie bezog seit dieser Zeit auch andere Daten ein wie etwa die Zahl der Alexander von Humboldt-Stipendiaten, Antragserfolge bei der EU und Publikationszahlen und präsentierte diese teilweise ebenfalls in Form von Rangtabellen.29 In den Wissenschaftsministerien wurden diese Berichte mit Interesse aufgenommen.30 Die Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung forderte zum Beispiel 2009 das Präsidium der FU Berlin zu einer Stellungnahme auf, da sie gegenüber dem letzten Ranking bei den Bewilligungen pro Professur um sieben Plätze abgesunken sei, während die Humboldt-Universität sich um zwanzig Plätze verbessert habe.31 In Niedersachsen versuchte unter anderem die Leitung der Universität Osnabrück, die Ergebnisse des DFG-Rankings von 1997 in Konkurrenzverhältnissen auf Landesebene auszunutzen.32 An der Universität Oldenburg wiederum wurden die Zahlen der DFG detailliert ausgewertet und dem Vergleich mit der benachbarten Universität Osnabrück besonderes Augenmerk gewidmet. Der Präsident sah sich außerdem zu einem Aufruf im Senat veranlasst, der Drittmittelakquise größere Bedeutung beizumessen.33 Ein höherer Rangplatz in einem späteren Förderranking verschaffte der Universität Vorteile bei einer Kürzungsrunde des Landes.34 Das Ranking der DFG trug somit dazu bei, Drittmittelzahlen ein größeres Gewicht in der Konkurrenz der Universitäten um ihre Grundfinanzierung zu verschaffen. Bereits der quantitative Vergleich rief Konkurrenzverhalten hervor.35 Vermutlich war es die Aussicht, mit einem solchen Drittmittel-Vergleich eine Ressource in der politischen Konkurrenz um die Grundfinanzierung in der Hand zu haben, die einzelne Präsidenten und Rektoren zu ihrer Anfrage an die DFG veranlasste. Daneben konnten die Vergleichszahlen wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen dazu dienen, interne Entscheidungen im Rahmen der Profilbildung zu begründen. Denn die DFG schlüsselte die Angaben auch nach Fächergruppen auf, so dass sich feststellen ließ, welche Fakultäten oder Fachbereiche einer Universität im nationalen Vergleich besonders erfolgreich waren. Auch das CHE versuchte seine Bewertungskompetenz auszudehnen und veröffentlichte seit 2002 ein „Forschungsranking“, das Hochschulen jeweils in einzelnen
28 Vgl. Szöllösi-Janze (2014), S. 338; DFG (1997), S. 21, 29; DFG (2000). 29 Vgl. DFG (2003); DFG (2006a); DFG (2009). 30 Vgl. KMK (2011), S. 13 f. 31 Vgl. FU Berlin, UA, P/Rou 57, Schreiben des Staatssekretärs in der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung an die Präsidenten der FU Berlin, der TU Berlin und der HU Berlin vom 19.9.2000. 32 Vgl. UAOL 20002 ZW, Anlage zum Protokoll der 8. Sitzung des 13. Senats am 28.1.1988. Bericht des Präsidenten an den Senat, 27.1.1998. 33 Ebd., Protokoll der 7. Sitzung des 13. Senats am 3.12.1997, S. 5; ebd., Anlage 1 zum Protokoll der 7. Sitzung des 13. Senats am 3.12.1997. Im folgenden DFG-Ranking lag Osnabrück hinter der Universität Oldenburg, was deren Vizepräsident für Forschung im Senat ausdrücklich hervorhob, vgl. ebd., Protokoll der 4. Sitzung des 16. Senats am 9.7.2003, S. 3. 34 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der Sondersitzung des Senats am 24.9.2003. 35 Für die Universität zu Köln: Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016.
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Fächern miteinander verglich.36 In die Bewertung gingen Meinungsumfragen unter Professorinnen und Professoren sowie die Indikatoren Drittmittelsumme, Publikationen und Promotionszahlen ein.37 Ausgehend von den Ergebnissen in den einzelnen Fächern stellte das CHE eine Rangliste der Universitäten nach dem jeweiligen Anteil „forschungsstarker“ Fakultäten zusammen und behauptete, eine kleine Zahl an „Forschungsuniversitäten“ identifizieren zu können.38 Auch der Wissenschaftsrat unternahm zu dieser Zeit Anläufe zu einer vergleichenden Bewertung von Hochschulen, nachdem er im Jahr 2003 von Bund und Ländern damit beauftragt worden war, ein „Konzept für ein Ranking“ zu entwickeln.39 Eine erste Stellungnahme hob die Bedeutung „[v]ergleichende[r] Leistungsbewertungen“ für „Leistungstransparenz“, für die Entscheidungsfindung innerhalb der Hochschulen sowie für einen „effektiven und effizienten Wettbewerb“ hervor. Allerdings wollte der Wissenschaftsrat keine Rangliste, sondern ein „Rating“ erstellen, bei dem die bewerteten Einrichtungen anhand einer Notenskala in Ranggruppen einstuft würden.40 Bis zum Jahr 2012 führte der Wissenschaftsrat „Pilotstudien“ in vier Fächern durch und empfahl anschließend „trotz des damit verbundenen Aufwands“ eine „Fortführung und breitere[.] Anwendung des Forschungsratings“.41 In den 2000er Jahren wuchs die Reihe selbsternannter Dritter zudem um die Auftraggeber mehrerer internationaler Universitätsrankings an. Die erste breit rezipierte Rangliste mit dem Anspruch, einen Vergleich auf globaler Ebene anzustellen, veröffentlichte im Jahr 2003 die Shanghai Jiaotong University.42 Das „Academic Ranking of World Universities“, oft als „Shanghai-Ranking“ bezeichnet, wurde ursprünglich im Zusammenhang mit dem Vorhaben der chinesischen Regierung entwickelt, Universitäten aus der Volksrepublik international mehr Gewicht zu verschaffen. Es sollte die Position chinesischer Hochschulen im Vergleich zu den weltweit führenden Universitäten darstellen. Bald darauf entdeckte die Zeitschrift Times Higher Education Supplement das neue Geschäftsfeld und publizierte 2004 ein eigenes internationales
36 Vgl. Berghoff et al. (2002a). 37 Vgl. z. B. Berghoff et al. (2003). Bei manchen Fächern wurden in späteren Rankings auch „Erfindungen“ berücksichtigt (Berghoff et al. (2009), Abschnitt B, S. 6). 38 Berghoff et al. (2003), S. 167–171. Gegen Ende des Untersuchungszeitraums vollzog das CHE allerdings eine programmatische Wende, mit der es offensichtlich der wissenschaftspolitischen Forderung nach einer stärkeren „Differenzierung“ der Hochschulen Rechnung tragen wollte, und bezog zusätzlich zu Forschungsindikatoren auch die Gesichtspunkte „Anwendungsbezug“, „Internationalität“ und „Studierendenorientierung“ mit ein (Berghoff et al. (2011)). Es knüpfte damit an eine Debatte über eine „Differenzierung der Exzellenzkriterien“ an, die sich nach der ersten Exzellenzinitiative entwickelte (s. u. Kap. VII.5). 39 Vgl. Wissenschaftsrat (2004a), S. ii. 40 Wissenschaftsrat (2004a), S. iii. 41 Wissenschaftsrat (2013a), S. 7. 42 Vgl. hierzu und zum Folgenden Hazelkorn (2011), S. 31; Usher (2017). Bereits 1993 erstellte zwar das Pekinger Institute of Scientific and Technical Information ein Ranking der 200 „produktivsten“ Universitäten der Welt auf Basis von Publikationszahlen, vgl. DUZ, no. 24 (1993), S. 21. Diese Rangliste scheint allerdings, der Literatur und den hier ausgewerteten Quellen nach zu urteilen, keine große Aufmerksamkeit gefunden zu haben.
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Universitätsranking. Weitere Akteure mit jeweils eigenen Interessen schlossen sich in den folgenden Jahren an, so dass gegen Ende des Untersuchungszeitraums bereits neun Ranglisten globalen Zuschnitts herausgegeben wurden. Befürworter von Rankings beriefen sich bisweilen auf einen angeblichen wissenschaftlichen Konsens darüber, wie ein aussagekräftiger Hochschulvergleich konstruiert sein müsse.43 Selbsternannte Experten proklamierten Standards, die offenbar den doppelten Zweck erfüllen sollten, einerseits die methodisch besonders heftig kritisierten internationalen Rankings zu delegitimieren, andererseits den Ansatz einer vergleichenden Bewertung von Hochschulen im Grundsatz zu retten. So gründeten im Jahr 2004 das UNESCO European Centre for Higher Education in Bukarest und das Institute for Higher Education Policy in Washington eine „International Ranking Expert Group“, die 2006 zusammen mit dem CHE die „Berlin Principles on Ranking of Higher Education Institutions“ veröffentlichten.44 Mit diesem und anderen Initiativen versuchte das CHE, sich auch auf internationaler Ebene in der Rolle eines Dritten zu etablieren.45 Dem angeblichen Konsens über methodische Standards standen allerdings weiterhin fundamentale Einwände entgegen. Vor allem seit der Veröffentlichung internationaler Rankings entwickelte sich eine umfangreiche sozialwissenschaftliche Literatur, die sich kritisch mit der Validität von Rankings auseinandersetzte. Eingewandt wurde unter anderem, dass einige der verwendeten Indikatoren wenig geeignet seien, Qualitätsunterschiede abzubilden. Insbesondere die Verwendung von Publikations- und Zitationszahlen stand in der Kritik, weil sie zu Verzerrungen zugunsten englischsprachiger und vorwiegend naturwissenschaftlich und medizinisch orientierter Universitäten führte. Hinzu kamen Einwände gegen die Auswahl an Indikatoren, die sich oftmals daran orientierte, welche Daten verfügbar waren, jedoch nicht notwendigerweise den Interessen der angeblichen Zielgruppen entsprach. Auch die Gewichtungsfaktoren, nach denen die Einzelbewertungen einer Einrichtung zu einem Gesamturteil verrechnet wurden, waren letztlich willkürlich festgelegt.46 Derartige Einwände verhinderten aber nicht, dass sich Rankings seit den 1990er Jahren in den Massenmedien etablierten. Im Folgenden soll daher der Frage nachgegangen werden, welche Wirkungen diese Form der öffentlichen Leistungsbewertung entfaltete. Da mit Rankings oftmals ein verstärkter Wettbewerb der Universitäten um Studierende verbunden wurde, soll dieses Thema zunächst im Fokus stehen.
43 Vgl. Forschung & Lehre, no. 7 (1999), S. 358–359. Ähnlich Forschung & Lehre, no. 2 (2000), S. 81–82. 44 Vgl. Marginson/van der Wende (2007), S. 322; CHE et al. (2006). 45 So war das CHE an der Entwicklung des Rankings „U-Multirank“ im Auftrag der EU-Kommission beteiligt, vgl. van Vught/Ziegele (2011). 46 Für einen Überblick zur Kritik an Rankings vgl. Rauhvargers (2011), S. 64 f.; Kehm (2014), S. 102–104.
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2. Konkurrenz um Studierende? Eine Konkurrenz der Universitäten um Studierende oder um die besten Studierenden, wie von den Anhängern des Wettbewerbsparadigmas erhofft, fand während des Untersuchungszeitraums in der Bundesrepublik Deutschland nur auf niedrigem Intensitätsniveau statt. Dafür lassen sich mehrere Ursachen angeben, die im Laufe der 1990er und 2000er Jahre nur teilweise wegfielen. 1. Seit der frühen Nachkriegszeit stiegen die Studierendenzahlen beständig an. Lediglich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gingen sie leicht zurück, nur um dann nach einer kurzen Stagnation ab dem Jahr 2008 wieder anzuwachsen.47 Da diesem Trend, vor allem seit den 1980er Jahren, kein entsprechender Ausbau des wissenschaftlichen Personals gegenüberstand, waren Immatrikulationen für viele Universitäten in der Bundesrepublik kein knappes Gut, um das sie hätten konkurrieren müssen. In den meisten Fächern sanken die Betreuungsrelationen gegen Ende der 1990er Jahre nur kurzfristig ab, um sich dann wieder den Verhältnissen der 1980er Jahre anzunähern.48 Daher bemühten sich viele Universitätsleitungen vielmehr darum, die jeweiligen Wissenschaftsministerien dazu zu bewegen, örtliche Zulassungsbeschränkungen zu verhängen und so Studieninteressierte auf andere Hochschulen umzuleiten.49 Vor allem Großstadt-Universitäten wie Köln oder die FU Berlin sahen sich in den 1980er Jahren mit stetig wachsenden Studierendenzahlen und immer schlechteren Betreuungsverhältnissen konfrontiert. Allerdings traf dies nicht für alle Universitäten und Disziplinen zu.50 Während ein Teil der geisteswissenschaftlichen Fächer, die Soziologie und die BWL zu den am stärksten nachgefragten Fächern zählten, standen manche Naturwissenschaften wegen ihrer niedrigen Auslastung an einzelnen Orten unter Druck.51 Vor allem die Universitäten, die in den 1960er und 1970er Jahren in „hochschulleeren Räumen“ gegründet worden waren, verzeichneten eine vergleichsweise geringe Auslastungsquote.52 So urteilte der Rektor der Universität Bielefeld 1986, man müsse angesichts drohender Kürzungen die eigene „Auslastung“ verbessern, unter anderem durch eine stärkere „Differenzierung“ des Studienangebotes.53
47 Vgl. die Zahlen des Statistischen Bundesamtes in den fortlaufenden Veröffentlichungen der Fachserie 11, Reihe 4.1. 48 Vgl. Lundgreen (2009), Tab. 2.129 bis 2.134. 49 Vgl. z. B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung vom 25.5.1981, S. 1; ebd., Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 4.2.1991, S. 2 f. 50 An der Universität zu Köln kamen z. B. 1998 in den zulassungsbeschränkten Studiengängen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät zwischen drei und zwölf Bewerbungen auf einen Studienplatz, vgl. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Anlage zur Sitzung der Engeren Fakultät am 23.11.1998. Bewerber, Aufnahmekapazität, Studienanfänger, 20.11.1998. 51 Selbst an der stark „ausgelasteten“ FU Berlin verzeichneten in den 1980ern manche Fächer wie Physik oder Mathematik relativ geringe Studierendenzahlen, vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Antwort des Präsidenten auf eine Anfrage in der 354. Sitzung des Akademischen Senats, 23.1.1987. 52 Vgl. Framhein (1983), S. 122. 53 UA Bielefeld, S 006, Protokoll der 161. Sitzung des Senats am 11.6.1986, S. 3.
2. Kon urrenn um „tudierende?
Zwar prognostizierte die KMK für die 1990er Jahre einen deutlichen Rückgang der Studierendenzahlen, weshalb manche Beobachter des Bildungssystems für diese Zeit einen zunehmenden Wettbewerb um Studierende erwarteten, der sogar den Bestand mancher Hochschulstandorte bedrohen werde.54 Seit dem Ende der 1980er Jahre zeichnete sich jedoch ab, dass die Prognosen von falschen Voraussetzungen ausgegangen waren und der Rückgang der Studierendenzahlen deutlich geringer als erwartet ausfallen und von einem neuerlichen Anstieg gefolgt sein würde.55 Gegen Ende des Untersuchungszeitraums kursierten erneut Prognosen, die Studiennachfrage werde aus demographischen Gründen schrumpfen. Da die Bevölkerungsentwicklung in Ost und West allerdings unterschiedlich verlief und in manchen alten Bundesländern die Umstellung auf das achtstufige Gymnasium die Studienanfängerzahlen zusätzlich erhöhte, bekamen um das Jahr 2010 lediglich die ostdeutschen Hochschulen diesen (vorhergesagten) Trend zu spüren.56 2. Ein großer Teil der Studierenden in der Bundesrepublik orientierte sich bei der Wahl der Hochschule lange Zeit vor allem an der Nähe zum Heimatort. In einer Umfrage zu Beginn der 1980er Jahre gaben 76 Prozent an, dies sei für sie ein wichtiges oder sehr wichtiges Kriterium gewesen. Die geographische Nähe war damit das dominierende Motiv für die Wahl des Studienortes, auf den mit 74 Prozent bzw. 66 Prozent persönliche Gründe und der Charakter der jeweiligen Stadt folgten. Nur bei 59 Prozent der Befragten waren fachliche Gründe wichtig gewesen.57 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine Umfrage unter Erstsemestern an der Universität Hannover im Wintersemester 1987/1988. Dort hatten nur 30 Prozent ihre Wahl mit Blick auf den Ruf der Universität und die Vielfalt des Lehrangebots getroffen.58 Lediglich ein Viertel der Abiturientinnen und Abiturienten zogen in den 1980er Jahren in ein anderes Bundesland, um dort ihr Studium aufzunehmen.59 Die Studierenden der meisten Universitäten stammten daher, solange sie nicht durch die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) zugewiesen worden waren, aus den umliegenden Regionen. Dies galt vor allem für Neugründungen wie die Universität Oldenburg, deren Studenten 54 Vgl. z. B. Wilms (1983). Besonders drastisch Morkel (1983), S. 68: „mit dem sicher erfolgenden Rückgang der Studentenzahlen in den neunziger Jahren wird es unter den Universitäten zwangsläufig genau dazu kommen, daß sie um jeden Studenten, aber auch um das eigene Überleben und vielleicht um Rang und Qualität in Konkurrenz treten werden“. 55 Die Prognosen der KMK aus den 1980er Jahren gingen, wie sich gegen Ende des Jahrzehnts andeutete, von einer zu niedrigen „Übergangsquote“ von der Schule zur Hochschule aus, vgl. Peisert/Framhein (1990), S. 33 f. 56 Vgl. Winter (2012b), S. 21; Sekretariat der KMK (18.5.2009). In Westdeutschland verlief die demographische Entwicklung anders. Zudem trug die Umstellung auf das achtjährige Gymnasium in mehreren Bundesländern zu steigenden Studienanfängerzahlen bei, vgl. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2012), S. 6. 57 Vgl. Framhein (1983), S. 97. 58 Vgl. Henke (1989), S. 293. 59 Vgl. Sekretariat der KMK (2014), S. 31. Dieser Wert gibt nur eine groben Anhaltspunkt, denn einerseits konnte z. B. für niedersächsische Abiturienten die Universität Bremen durchaus die nächste Hochschule sein, an der ihr Wunschfach angeboten wurde, während andererseits Mobilität innerhalb der großen Flächenländer nicht erfasst wird.
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und Studentinnen im Jahr 1990 zu 82 Prozent aus Niedersachsen und zu 70 Prozent aus der Nordwest-Region stammten.60 Aber auch die Studentenschaft der TU München stammte in den 1980er Jahren vor allem aus Oberbayern und dort wiederum in erster Linie aus München.61 Diese hohe „Bildungssesshaftigkeit“ stellte insofern ein Hindernis für eine Konkurrenz der Universitäten um Studierende dar, als deren Entscheidungen für einen Hochschulort nur schwer zu beeinflussen waren. Wenn die Nähe einer Universität zum Heimatort, persönliche Bindungen und die Attraktivität der jeweiligen Stadt für die Mehrheit der Studienanfänger wichtiger waren als die Reputation der Lehrenden und die Ausrichtung des Studienangebotes, dann begrenzte dies die Wirksamkeit von Konkurrenzverhalten seitens der Universitäten und Fakultäten. Die Verteilung des – zumindest mancherorts – begehrten ‚Gutes‘ bestimmte sich vor allem über Faktoren, die nicht in der Hand der Akteure an den Universitäten lagen. Dies stellte sowohl für die Großstadtuniversitäten als auch für die Neugründungen in der Provinz ein Problem dar. Für jene hatte der Aufbau zusätzlicher Kapazitäten an neuen Standorten nicht die versprochene „Entlastung“ gebracht. Die jüngeren Universitäten standen wiederum seit den Kürzungsrunden der frühen 1980er Jahre unter Druck, weil sie unterdurchschnittlich ausgelastet waren, konnten daran jedoch nicht viel ändern, weil viele junge Menschen offenbar die Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung und zur Erwerbstätigkeit in den Großstädten den besseren Betreuungsrelationen an der Peripherie vorzogen. Im Lauf des Untersuchungszeitraums erhöhte sich allerdings die Mobilität der Studienanfänger und -anfängerinnen. Hatten sich im Jahr 1980 nur 23 Prozent an einer Hochschule in einem anderen Bundesland eingeschrieben als in dem, wo sie ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben hatten, so steigerte sich dieser Anteil auf 26 Prozent im Jahr 1990, 29 Prozent 2000 und schließlich auf 33 Prozent 2009.62 Dieser Trend dürfte zumindest teilweise auf das wachsende Informationsangebot, auf das die Studieninteressierten zurückgreifen konnten, sowie auf veränderte Prioritäten bei der Wahl des Studienortes zurückzuführen sein. Angesichts der gesteigerten Notwendigkeit, eine ausreichende Zahl von Studierenden anzuziehen, verstärkten nämlich die Universitäten, wie noch darzustellen sein wird, ihre Öffentlichkeitsarbeit. Die Verbreitung des Internets seit dem Ende der 1990er Jahre machte die Informationsangebote der Hochschulen leichter und für einen größeren Kreis an Interessenten zugänglich. Auch Rankings, die in der Regel fast alle Studiengänge eines Faches in Deutschland auflisteten, mögen dazu beigetragen haben, dass Abiturienten und Abiturientinnen eine größere Zahl an Optionen in Erwägung zogen. Eine Umfrage an der Universität Gießen ergab zum Beispiel, dass Ende der 1990er Jahre bereits knapp 20 Prozent der 60 Vgl. Universität Oldenburg (1990), S. 20. Ähnliche verhielt es sich an der Universität Bielefeld, vgl. Universität Bielefeld (1985), S. 41; Universität Bielefeld (1990), S. 40; Universität Bielefeld (1996), S. 113. 61 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 62 Vgl. Sekretariat der KMK (2014), Tab. C.1.1. In den 2000er Jahren trug auch die Einführung von Studiengebühren in manchen Bundesländern dazu bei, dass Studienanfänger sich in einem anderen Land immatrikulierten.
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Studienanfänger Informationen aus dem Internet für ihre Entscheidung herangezogen hatten. Die Bedeutung für die überregionale Bildungsmobilität drückt sich darin aus, dass der Anteil bei den Studierenden, die nicht aus Hessen stammte, bei 27 Prozent lag.63 Bereits in den 1990er Jahren zeigte sich, dass ein Teil der Studieninteressierten bereit war, sich an Rankings zu orientieren. So urteilte der Wissenschaftssoziologe Peter Weingart, der zu dieser Zeit in Bielefeld lehrte, infolge der Veröffentlichung dieser Hochschulvergleiche hätten „[v]ermeintliche Provinzuniversitäten wie Siegen und Bielefeld […] tausende zusätzlicher Studenten gewinnen können“.64 Auswertungen von Daten der ZVS ergaben, dass das Abschneiden eines Fachs im Spiegel-Ranking deutliche Auswirkungen auf die Bewerberzahlen haben konnte.65 Der Anteil der Erstsemester, die sich bei ihrer Entscheidung für eine Hochschule auch von Rankings hatten leiten lassen, stieg in den 2000er Jahren deutlich an. In den Umfragen der HIS GmbH gaben im Wintersemester 1998/1999 13 Prozent an, Rankingergebnisse seien für ihre Entscheidung wichtig oder sehr wichtig gewesen. Im Wintersemester 2003/2004 waren es bereits 30, 2011/2012 sogar 37 Prozent.66 Zugleich stieg der Anteil derer, die einen guten Ruf der Hochschule für wichtig hielten, zu denselben Zeitpunkten von 26 auf 56 und schließlich 65 Prozent.67 Auch dafür waren wahrscheinlich Rankings mit verantwortlich, da sie suggerierten, es gebe zwischen deutschen Universitäten signifikante Qualitätsunterschiede. Dieser Eindruck konnte dadurch verstärkt werden, dass die Zuordnung von Rangplätzen statistisch bedeutungslose Differenzen überbewertete.68 Insgesamt lässt sich feststellen, dass für die Studieninteressierten Kriterien an Bedeutung gewannen, die mit den Verhältnisse an den Hochschulen zu tun hatten, während Gesichtspunkte, die sich auf den Hochschulort bezogen, an Gewicht verloren.69 Damit stiegen die Chancen für Universitäten, durch effektives Konkurrenzverhalten zusätzliche Studierende anzuziehen. 3. Ein weiterer Faktor, der den Wettbewerb limitierte, lag in der rechtlichen Regelung des Hochschulzugangs. Da bereits in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre der Hochschulausbau mit den steigenden Studierendenzahlen nicht mehr Schritt hielt, verhängten zunächst die Universitäten, dann die Bundesländer in wachsender Zahl 63 Vgl. Moßig (2000), S. 370, 374. Vor dem Internet rangierten allerdings eine ganze Reihe anderer Informationsquellen, zuallererst die von Universitäten und Fachbereichen produzierten Materialien, außerdem Hochschulinformationstage und Gespräche mit Freunden und Bekannten, vgl. ebd., S. 368 f. 64 Vgl. Weingart (1995), S. 74. 65 Vgl. Balke et al. (1991), S. 309; Daniel (2001), S. 121. Daniel stellte nach dem Spiegel-Ranking von 1999 bei den bewerteten Studiengängen Veränderungen der Bewerberzahlen von bis zu 20 % nach oben wie nach unten fest. 66 Vgl. Lewin et al. (1999), S. 85, Scheller et al. (2013), S. 116. Vgl. außerdem Hachmeister et al. (2007), S. 84 f. 67 Vgl. Lewin et al. (1999), S. 85, Scheller et al. (2013), S. 116. In der ersten Umfrage wurde nach dem Ruf der Hochschule und der Lehrenden gefragt, während in diese beiden Punkte in den späteren Studien separat abgefragt wurden. 68 Vgl. Espeland/Sauder (2007), S. 12. Letzteres trifft allerdings bei Rankings wie das des CHE, die statt Rangplätzen nur ein paar wenige Ranggruppen zuweisen, in geringerem Maße zu. 69 Vgl. Scheller et al. (2013), S. 122.
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Zulassungsbegrenzungen für einzelne Studiengänge. Im Jahr 1972 urteilte das Bundesverfassungsgericht, dass eine flächendeckende Zulassungsbeschränkung in einem Studienfach nur unter bestimmten Bedingungen mit dem Grundrecht auf freie Berufswahl vereinbar sei.70 Einerseits müsse eine „erschöpfende[.] Nutzung der vorhandenen Ausbildungskapazitäten“ vorliegen, andererseits dürfe die „Auswahl und Verteilung der Bewerber“ nur „nach sachgerechten Kriterien mit einer Chance für jeden an sich hochschulreifen Bewerber und unter möglichster Berücksichtigung der individuellen Wahl des Ausbildungsortes erfolgen“.71 Daraufhin beschlossen die Bundesländer ein einheitliches Verfahren zu Bestimmung von Ausbildungskapazitäten und gründeten die ZVS, die mit der Zulassung von Bewerberinnen und Bewerbern in Fächern mit bundesweitem Numerus clausus und deren Verteilung auf die Hochschulen betraut war. Zugleich entstand ein kompliziertes Regelwerk, das festlegte, wie Ausbildungskapazitäten zu berechnen waren.72 Seit dem Ende der 1970er Jahre wurden im Rahmen des ZVS-Systems drei verschiedene Verfahren angewandt.73 Im „Verteilungsverfahren“, das greifen sollte, wenn an einigen Hochschulen die Kapazitäten nicht ausreichten, bundesweit aber voraussichtlich genügend Studienplätze vorhanden waren, bestand eine Garantie auf ein Studium. Die Bewerber wurden allerdings, wenn einzelne Universitäten voll ausgelastet waren, auf andere Hochschulen verteilt. Dabei gaben soziale Kriterien, vor allem familiäre und wirtschaftliche Gründe, den Ausschlag, was die Bildungsmobilität weiter einschränkte. Für Fächer, in denen es bundesweit an Kapazitäten mangelte, war das „Auswahlverfahren“ vorgesehen. Hier entschieden teils die Abiturnote, teils die Wartezeit darüber, wem das Anrecht auf einen Studienplatz zugesprochen wurde. War der Überhang an Bewerberinnen und Bewerbern so groß, dass daraus unvertretbar hohe Anforderungen entstanden, konnte ein „besonderes Auswahlverfahren“ angewandt werden, was lediglich bei den medizinischen Studiengängen der Fall war. Hier entschieden neben Abiturnote und Wartezeit auch das Ergebnis eines fachspezifischen Tests und (seit dem Wintersemester 1986/1987) Auswahlgespräche an den Hochschulen darüber, wer ein Studium aufnehmen durfte. In den 1980er Jahren waren meist 14 bis 16 Studiengänge vom ZVS-Verteilungsverfahren betroffen, etwa der Hälfte der Erstsemester wurde eine Universität zugewiesen.74 Während in diesen Fächern zwar Bewerber und Bewerberinnen miteinander um Studienplätze oder zumindest um ein Studium am Wunschort konkurrierten, schränkte das Verfahren den Wettbewerb zwischen den Universitäten stark ein. Denn die Verteilung der Studierenden sorgte dafür, dass die Kapazitäten in den betroffenen 70 Zur Entstehung des Hochschulzulassungsrechts vgl. Peisert/Framhein (1990), S. 38 f.; Bahro/Berlin (2003), S. 4–7. 71 BVerfGE 33, Nr. 22, S. 303–358, hier S. 302. 72 Vgl. Peisert/Framhein (1990), S. 38 f.; Bode/Weber (1996), S. 682–689. 73 Vgl. zum Folgenden Bode/Weber (1996), S. 694–706. Dort finden sich auch Details, die hier zugunsten einer übersichtlichen Darstellung vernachlässigt werden. 74 Vgl. Peisert/Framhein (1990), S. 41; DUZ, no. 5 (1987), S. 16–19.
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Fächern überall vollständig ausgenutzt wurden. Obwohl sich das Verhältnis von Bewerbungen zur Zahl vorhandener Studienplätze von Fach zu Fach teils deutlich unterschied, entstand so kaum ein Wettbewerbsdruck für die weniger favorisierten Hochschulen.75 Eine überdurchschnittliche Attraktivität konnte sich allenfalls dadurch auszahlen, dass sie die besseren Studierenden bekamen, was für die Lehrenden durchaus ein begehrtes Gut darstellte.76 Das große Gewicht sozialer Kriterien im Verteilungsverfahren begrenzte jedoch auch diesen Effekt. Anhänger des Wettbewerbsparadigmas stießen sich daher an diesem System und forderten vor allem seit Mitte der 1990er Jahre eine stärkere Beteiligung der Hochschulen an der Zulassung zum Studium. Dafür wurden meistens zwei Argumente vorgebracht. Zum einen sollte ein Auswahlrecht der Hochschulen dafür sorgen, dass vor allem jene Bewerberinnen und Bewerber ein Studium aufnahmen, die dafür am besten geeignet waren. Dies würde wiederum die Zahl der Studienabbrüche senken.77 Zum anderen galt das Auswahlrecht als Voraussetzung für Profilbildung und Wettbewerb. Die erstrebenswerte Differenzierung des Hochschulsystems, so der Leiter des CHE Detlev Müller-Böling, werde „nur in einem wettbewerblichen System erfolgreich sein, in dem jede einzelne Hochschule die Handlungsfreiheit für die Einrichtung von Studiengängen habe und über die Attraktivität des Studiengangs einerseits Studierende anlocke, andererseits über die Auswahl der Studierenden aber auch die Struktur und das spezielle Profil des Studiengangs definiere“.78 Erstmals wurde mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes von 1998 ein Auswahlrecht der Hochschulen im Rahmen des allgemeinen „Auswahlverfahrens“ der ZVS eingeführt.79 Die Auswirkungen hielten sich jedoch in Grenzen, da die Universitäten, wie Rektoren und Präsidenten bemängelten, nur unter jenen auswählen durften, die nicht schon aufgrund ihrer guten Abiturnoten oder hohen Wartezeiten zugewiesen worden waren.80 „Im Hinblick auf den zu vernachlässig[enden] Effekt der Hochschulquote für die Gewinnung bester Bewerber […] und de[n] in Vergleich dazu unvertretbaren hohen Aufwand“ entschied sich zum Beispiel die FSU Jena dage75 Mitte der 1980er Jahre bewegte sich das Verhältnis von Bewerber/innen und Studienplätzen je nach Universität zwischen 0,4 (Bielefeld und Trier) und 2,0 (Tübingen, dicht gefolgt von der Universität München). Diese Unterschiede hingen allerdings „in erster Linie mit der Größe des regionalen Potenzials an Studienbewerbern“ zusammen (DUZ, no. 5 (1987), S. 16–19). 76 Vgl. hierzu z. B. die Ausführungen eines Jenaer Physikers zur Bedeutung der Attraktivität einer Universität für die Zusammensetzung der Studentenschaft und die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Szameit (2011). Vgl. auch Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 22.10.2007, S. 1 f. 77 Aus diesem Grund, so der Rektor der TU München, Wolfgang A. Herrmann, habe er gegenüber der Landespolitik zu einem Auswahlrecht der Hochschulen gedrängt, vgl. Herrmann (2005), S. 77 f.; vgl. auch Meyer/Müller-Böling (1996b); Rektorat der Universität zu Köln (2002), S. 30; Universität zu Köln (2005), S. 8; HRK (2004). 78 Müller-Böling (1996), S. 32 f. Vgl. auch Meyer/Müller-Böling (1996b); Wissenschaftsrat (2004b), S. 30– 32; HRK (2004); KMK (2003b), S. 3. 79 Vgl. Haug (2006), S. 96. 80 Vgl. z. B. Rektorat der Universität zu Köln (2002), S. 30.
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gen, eigene Auswahlverfahren durchzuführen.81 Mit der Novelle des Hochschulrahmengesetzes wurde das Auswahlrecht jedoch ausgeweitet, so dass die Universitäten ab dem Wintersemester 2006/2007 über 60 Prozent der Studienplätze entscheiden konnten, die im Rahmen des ZVS-Auswahlverfahrens vergeben wurden.82 Zugleich erhielten sie in den meisten Ländern mehr Mitsprache bei der Auswahl von Bewerberinnen und Bewerbern in örtlich zulassungsbeschränkten Studiengängen.83 Schließlich wurde die ZVS im Jahr 2010 in die Stiftung für Hochschulzulassung umgewandelt, die nur noch die Studienplätze in der Pharmazeutik und in den medizinischen Fächern zentral verwaltete.84 Damit waren gegen Ende des Untersuchungszeitraums die Rahmenbedingungen für eine verstärkte Konkurrenz der Universitäten um Studierende geschaffen. 4. In den Augen von Befürwortern des Wettbewerbsparadigmas sollten auch Studiengebühren dazu beitragen, die Konkurrenz der Universitäten um Studierende zu forcieren.85 Die Debatte über eine Beteiligung der Studierenden an der Hochschulfinanzierung begann in den frühen 1990er Jahren, als der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Dieter Simon versuchte, eine entsprechende Empfehlung in einem programmatischen Papier unterzubringen, was jedoch an den Stimmen mehrerer Bundesländer scheiterte.86 Die SPD positionierte sich zu dieser Zeit gegen Studiengebühren, die ihrer Ansicht nach die Chancengleichheit gefährdeten, und forderte ein Verbot von Gebühren über das HRG – eine Forderung, die schließlich von der rot-grünen Bundesregierung umgesetzt, aber im Jahr 2005 vom Bundesverfassungsgericht als Kompetenzüberschreitung seitens des Bundes gekippt wurde.87 Anders als ihr Präsident Hans-Uwe Erichsen sprach sich auch das Plenum der Rektorenkonferenz in den 1990er Jahren gegen Studiengebühren aus. Trotzdem setzte sich das von der HRK mitfinanzierte CHE in der hochschulpolitischen Debatte für ein „Studienbeitragsmodell“ ein und wurde dabei vom Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft unterstützt.88 Mit einem „sozialverträglich“ ausgestalteten Konzept, so ein gemeinsames Papier von CHE und Stifterverband, sollten die „Unterfinanzierung“ des Hochschulsektors behoben und „Anreize zu wirtschaftlichem Handeln für alle Beteiligten“ gesetzt werden. Indem sich das System so weit wie möglich auf „Marktmechanismen“ stütze, würden für die Hochschulen „Anreize zu einem nachfragege81 UA Jena, Bestand Senat 1999, Protokoll der Sitzung des Senats am 19.1.1999, S. 4. Diese Entscheidung war kein ein Einzelfall, vgl. Weidner (2002), S. 4. 82 Vgl. Klomfaß (2011), S. 245. 83 Vgl. Haug (2006); Bogumil et al. (2013), S. 42. 84 Vgl. Winter (2012b), S. 23. 85 Vgl. z. B. Alewell (1993), S. 176. 86 Vgl. Bartz (2007), S. 186 f.; Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017. Das Papier wurde schließlich ohne eine Empfehlung zugunsten von Studiengebühren unter dem Titel „10 Thesen zur Hochschulpolitik“ veröffentlicht. 87 Vgl. Krause (2008), S. 28–35. Zu divergierenden Positionen in der SPD vgl. auch FAZ, 14.10.1999, S. 5. 88 Vgl. Krause (2008), S. 25–28; zur Rolle des CHE in der Debatte über Studiengebühren vgl. Alidusti (2007), S. 207–209.
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rechten und qualitativ hochwertigen Lehrangebot entstehen“.89 Der Präsident der TU München, Wolfgang A. Herrmann, plädierte auch deshalb für Studiengebühren, weil er sich davon eine stärkere Differenzierung des Hochschulsystems erwartete: Wenn es künftig Preislisten für Studienangebote gibt, dann werden sich darin unterschiedliche Leistungshöhen widerspiegeln. […] Wohin wir mit einer platten Gleichheitsvermutung gekommen sind, das wissen wir doch. Der Durchschnitt mag stimmen, er ist besser als in Amerika. Aber es fehlt der Stimulus für den Aufbruch zur Spitze – und das in einem Wettbewerb, in dem es eben auf die Spitzen ankommt.90
Eine solche wettbewerbliche Differenzierung auf Basis eines Marktsystems hätte allerdings vorausgesetzt, dass die Hochschulen ihre Gebühren frei bemessen können. Tatsächlich waren die Studienbeiträge, die mehrere Bundesländer in den 2000er Jahren einführten, aber auf 500 Euro je Semester festgelegt oder, so in Bayern und Nordrhein-Westfalen, auf maximal 500 Euro begrenzt.91 Höhere Beträge wären politisch kaum zu legitimieren gewesen, da die Einführung von Studiengebühren bereits in dieser Form Proteste auslöste und bei breiten Wählerkreisen auf Ablehnung stieß.92 Da diese Summen keinen gewichtigen Teil der Ausbildungskosten deckten93 und sich zwischen den Universitäten kaum unterschieden, war eine qualitative Differenzierung des Studienangebotes auf dieser Basis nicht zu erwarten. Bisweilen plädierten zwar Hochschulleitungen gegenüber den akademischen Gremien und den jeweiligen Landesregierungen für die Einführung von Studiengebühren an ihren Universitäten bzw. Bundesländern und verwiesen dabei auf mögliche Nachteile in der Konkurrenz um Studierende.94 Tatsächlich stellten Studiengebühren jedoch einen Wettbewerbsnachteil dar, zumindest wenn man lediglich auf die Immatrikulationszahlen blickt. So verzeichneten Universitäten mit kostenpflichtigem Studium einen durchschnittlichen Rückgang der Studienanfängerzahlen von 8 Prozent. Je nachdem, wie weit die nächste gebührenfreie Universität entfernt war, fiel dieser Effekt größer oder kleiner aus.95 89 Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft/CHE (1998), S. 4. 90 Herrmann (2001), S. 133. 91 Vgl. Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (2009), S. 4–8; Hübner (2012); Ebcinoglu (2006). 92 Für einen Überblick über die Einführung und Abschaffung der Studiengebühren in sieben Bundesländern vgl. Bruckmeier et al. (2015). Dass Studiengebühren in Deutschland nie flächendeckend eingeführt wurden, lag vor allem daran, dass dies eines der wenigen Elemente des Wettbewerbsdiskurses war, zu dem SPD und CDU entgegengesetzte Positionen vertraten, vgl. Keller/Dobbins (2015), S. 48. 93 Laut einer Studie der HIS GmbH an einer Reihe von deutschen Universitäten die Kosten eines Bachelor-Studienplatzes für das Jahr 2008 in den Geistes- und Sozialwissenschaften im Schnitt rund 3 100 Euro pro Jahr, in der Mathematik und den Naturwissenschaften 5 700 Euro, in den Ingenieur- und Agrarwissenschaften 5 600 Euro, vgl. Dörre et al. (2010). 94 Vgl. FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 15.2.2005 (Internetquelle 86), S. 2; Der Rektor der FSU Jena (2009), S. 34; Universität zu Köln (2005), S. 9; Bielefelder Universitätszeitung, no. 222 (2006), S. 3–4. 95 Vgl. Bruckmeier et al. (2015), S. 295.
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Auch wenn also über weite Strecken des Untersuchungszeitraums die genannten Faktoren eine Konkurrenz um Studierende eindämmten, konnten sich einzelne Hochschulen durchaus unter dem Druck sehen, ihre Attraktivität zu steigern. Da im Wettbewerb der Universitäten um ihre Grundfinanzierung, der aus den Kürzungsrunden seit den 1980er Jahren und der indikatorbasierten Mittelverteilung seit den 1990er Jahren hervorgegangen war, in der Regel eine hohe Auslastung der Ausbildungskapazitäten prämiert wurde, bestand über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg eine potenzielle Konkurrenzsituation um Studierende. Es waren aber vor allem Universitäten in randständiger geographischer Lage wie Bielefeld und Oldenburg, die sich tatsächlich gezwungen sahen, mehr Studierende anzuziehen. Besonders betroffen waren zudem einzelne Fächer, vor allem in den Naturwissenschaften, die generell keinen massenhaften Zulauf verzeichnen konnten und phasenweise, vor allem in den 1990er Jahren, mit niedrigen Anfängerzahlen zu kämpfen hatten. Das Konkurrenzverhalten der betroffenen Fachbereiche bestand bisweilen darin, neue attraktivere Studiengänge einzuführen. So reagierte die Fakultät für Chemie der TU München auf den bundesweiten Rückgang der Studierendenzahlen in den 1990ern mit neuen Ausbildungsangeboten in Chemieingenieurwesen, Biochemie und „Industrial Chemistry“.96 Auch wenn andere Faktoren wie das fachliche Interesse sowie die Forschungsschwerpunkte der beteiligten Professoren und Professorinnen oft ausschlaggebend für die Einführung neuer Studiengänge gewesen sein dürften, spielte das Argument der künftigen Attraktivität für Studieninteressierte nicht selten eine Rolle.97 Die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen seit den späten 1990er Jahren, von der man sich internationale Wettbewerbsfähigkeit und finanzielle Einsparungen versprach, modifizierte und verstärkte auch diesen bereits in Ansätzen bestehenden Wettbewerb der Universitäten um Studierende innerhalb der Bundesrepublik.98 Mit der Umstellung der Studienstrukturen wurde zugleich ein marktähnliches System etabliert. An die Stelle bundeseinheitlicher Rahmenstudien- und Rahmenprüfungsordnungen trat die Akkreditierung von Studiengängen, die eine Gleichwertigkeit der Abschlüsse sicherstellen, zugleich aber eine Ausdifferenzierung der Ausbildungsangebote ermöglichen sollte. Die Zuständigkeit für dieses Verfahren und damit die Kontrolle über den Zugang zum Wettbewerb übertrugen die Bundesländer an Akkreditierungsagenturen, die oft privat, als Stiftung oder Verein, organisiert waren.99 Dieses Modell entsprach neoliberalen Präferenzen für Marktordnungen und die Ver-
96 Vgl. Pabst (2006), S. 731; auch an der Universität Bielefeld wurde in den frühen 1990er Jahren die Einführung eines Studiengangs Biochemie beschlossen, unter anderem, weil Biochemikern bessere Berufsaussichten als reinen Chemikern bescheinigt wurden, vgl. UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 215. Sitzung des Senats am 2.9.1992. 97 Vgl. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Lehrbericht der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät für den Zeitraum Sommersemester 1995 bis Wintersemester 1996/97, S. 57; UA Bielefeld, S 129, Protokoll der 262. Sitzung des Senats am 2.11.1998. 98 Zu den Motiven hinter der Umstellung s. u. Kap. VI.2. 99 Vgl. Serrano-Velarde (2008); Kaufmann (2012).
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lagerung von staatlichen Aufgaben auf private Akteure.100 Infolge des Systemwechsels stieg in den 2000er Jahren die Vielfalt der angebotenen Studiengänge deutlich an, da die Fachbereiche in vielen Fällen die Gelegenheit nutzten, um ihr Angebot zu überarbeiten.101 Hatten sich die Studiengänge gegen Ende der 1990er Jahre vorwiegend an den etablierten Fächern orientiert, so boten die Universitäten in den 2000er Jahren zunehmend interdisziplinär angelegte oder auf bestimmte Tätigkeitsfelder ausgerichtete Programme an. Studierende an der FU Berlin konnten zum Beispiel einen Master in „European Studies“ oder „International Business Consulting“ erwerben. Daneben entstanden auf der Master-Ebene zunehmend spezialisierte Studiengänge, die nur mehr einen Teilbereich der jeweiligen Disziplin umfassten. An der Fakultät für Biologie der Universität Bielefeld standen beispielsweise Master-Programme in „Ecology and Diversity“, „Genome Based Systems Biology“, „Molecular Cell Biology“, „Systems Biology of Brain and Behaviour“ und „Molekularer Biotechnologie“ zur Auswahl.102 Solche Studiengänge bedeuteten zwar nicht notwendigerweise, dass die Studierenden eine enger zugeschnittene Qualifikation erwarben, da auch im alten System Spezialisierungen im Hauptstudium üblich waren. Die Universitäten versuchten auf diese Weise allerdings, mögliche Schwerpunktsetzungen besser sichtbar zu machen und ihr Studienangebot von dem anderer Hochschulen abzuheben.103 Die Ausdifferenzierung des Angebotes – zumindest in der Außendarstellung – dürfte dazu beigetragen haben, dass sich die Konkurrenz um Studierende verstärkte. Denn die neu entstandene Vielfalt der Studiengangsbezeichnungen ließ die Wahl des Hochschulortes vermehrt als Wahl einer speziellen Studienrichtung erscheinen. Damit, so steht zu vermuten, gewann das Studienangebot einer Universität bei der Entscheidung für einen Studienort größeres Gewicht als in einem System, in dem sich die Studiengänge der Hochschulen auf den ersten Blick kaum voneinander unterschieden.104 Darüber hinaus gab die Zweiteilung des Studiums den Studierenden, die einen Master-Abschluss erwerben wollten, einen Anlass, die Universität zu wechseln, was ein neues Konkurrenzverhält100 Vgl. Engartner (2017); Biebricher (2012), S. 156 f. 101 Dass die Umstellung auf die gestuften Studiengänge zu einem „verstärkte[n] Wettbewerb zwischen den Hochschulen“ führen würde, hoffte z. B. der Wissenschaftsrat, der die Hochschulen dazu aufforderte, „auf der Grundlage des jeweiligen Hochschulprofils neue und innovative Studienangebote zu entwickeln, die der Entwicklung sowohl der Wissenschaft als auch der beruflichen Anwendungsfelder und den Wünschen und Interessen der Studierenden Rechnung tragen“ (Wissenschaftsrat (2000a), S. 21). 102 Vgl. FU Berlin (1998); FU Berlin (2005); Der Rektor der FSU Jena (2011), S. 40 f.; Der Rektor der FSU Jena (1998), S. 42–45; Internetquelle 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52; Hachmeister et al. (2016). Marco Schröder kommt zu dem Schluss, dass die Zahl der grundständigen Studiengänge an deutschen Hochschulen, die dem Namen nach unterscheidbar waren, zwischen 1999 und 2009 um über 1 400 % von 180 auf 2 712 gestiegen war, während sich der Zuwachs in den Jahren von 1970 bis 1999 nur auf 160 % belief, vgl. Schröder (2015), S. 95–100. 103 Vgl. kritisch Forschung & Lehre, no. 1 (2014), S. 32 f. 104 Für diese These sprechen Ergebnisse der jährlich durchgeführten Studienanfängerbefragungen. Diesen Umfragen zufolge stieg der Anteil der neuimmatrikulierten Studierenden, für die das besondere Studienangebot ihrer Universität einen wichtigen oder einen sehr wichtigen Grund der Hochschulwahl abgegeben hatte, von 28 % im Wintersemester 2003/2004 auf 33 % im Wintersemester 2009/2010 (vgl. Scheller et al. (2013), S. 117).
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nis der Hochschulen um Bachelor-Absolventen entstehen ließ, wie in manchen Fällen auch einen Wettbewerb der Studieninteressierten um Master-Studienplätze. Neben Neuerungen im Studienangebot setzten die Universitäten auch auf eine Verstärkung der Öffentlichkeitsarbeit. Diese entwickelte sich nicht zuletzt als Antwort auf eine neuartige Konkurrenz um Prestige, die durch Rankings erzeugt wurde. 3. Konkurrenz um Prestige Wie reagierten die Universitäten nun auf die mediale Herausforderung der Hochschulrankings? Passten sie sich den Kriterien der ungebetenen Dritten an und konkurrierten sie um die obersten Plätze in den Ranglisten?105 In den Universitäten gingen die Ansichten über die Aussagekraft von Rankings auseinander. Manche hielten sie, wie der Rektor der FSU Jena (1993–2000) Georg Machnik, unter bestimmten methodischen Voraussetzungen für sinnvoll und glaubten, dass sie hilfreiche Informationen für Studienanfänger bereitstellten.106 Auch im Senat der FU Berlin überwog in einer Diskussion im Jahr 1997 die Haltung, dass trotz methodischer Einwände „Anlaß bestehe, die Focus-Untersuchung ernst zu nehmen und sich mit den dabei entstandenen Ergebnissen bzw. Einstufungen gründlich auseinanderzusetzen“.107 Insbesondere Mitglieder einer universitätsinternen Arbeitsgruppe zur Verbesserung der Lehre plädierten für einen differenzierten Umgang mit dem Focus-Ranking und begrüßten es, dass nun Daten zur Verfügung standen, die auf Probleme aufmerksam machten.108 An der Universität zu Köln hingegen, die in den frühen Rankings meist schlecht abschnitt, herrschte zunächst die Auffassung vor, dass die Ergebnisse vor allem Unterschiede in der Ausstattung widerspiegelten, die Universität folglich kaum etwas daran ändern könne.109 Professoren, die ihre Universität oder ihr Fach gegen schlechte Rankingergebnisse verteidigten, beriefen sich in der Regel auf dieses Argument, oder sie kritisierten, dass die Rankings vor allem auf den „Befindlichkeiten der Studierenden“ beruhten, denen, so die implizite Unterstellung, kein Urteil über die wissenschaftliche Qualität der Lehre zugetraut werden könne.110 Doch auch dort, wo Mitglieder von Hochschulleitungen und Gremien die Rankings der 1990er Jahre für wenig aussagekräftig hielten, setzte sich schnell die Einsicht durch, 105 Brankovic et al. (2018) argumentieren, dass Rankings zunächst eine imaginierte Konkurrenz erzeugen, aus der noch nicht notwendigerweise tatsächliches Konkurrenzverhalten folgt. 106 Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016. 107 FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 515. Sitzung des Senats am 18.6.1997, S. 2. 108 FU Berlin, UA, AS 2, Projekt pro Lehre, Die FU im Spiegel des FOCUS-Rankings 1997. Anlage 2 zum Protokoll der 515. Sitzung des Senats am 18.6.1997. 109 Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016; vgl. Kölner Universitäts-Journal, no. 2 (1999), S. 5–6. 110 FU Berlin, UA, FBR, Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften, Anlage 6 zum Protokoll der 3. Sitzung des Fachbereichsrats am 21.4.1999. Anmerkungen zum Spiegel-Test vom 12.4.1999 „Wo was studieren?“, o. D.
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dass diese eine gewisse Wirkung entfalteten und deshalb nicht ignoriert werden könnten. So konstatierte der Rektor der Universität Bielefeld im Senat, „[der] Aussagewert solcher Hitlisten könne durchaus in Zweifel gezogen werden, deren Wirkung in der breiten Öffentlichkeit dürfe aber nicht unterschätzt werden“.111 Unabhängig davon, wie die Mitglieder von Hochschulleitungen und Gremien zur Aussagekraft der Rankings standen, wurden deren Ergebnisse in den meisten Fällen zumindest diskutiert.112 Mitglieder der Hochschulleitungen, Verwaltungs- und Stabsstellen beschäftigten sich mit einer Auswertung und versuchten, die Ursachen für das Abschneiden der eigenen Institution zu eruieren.113 Nach anfänglicher vehementer Ablehnung von Rankings vollzog sich auch an der Universität zu Köln ein Meinungswandel, und Rektoratsmitglieder setzten gezielt an einzelnen Punkten an, um Verbesserungen zu erreichen. Das Rektorat drängte zum Beispiel die Fakultäten, Maßnahmen zur Verkürzung der Studienzeiten zu ergreifen, und schuf in Zielvereinbarungen Anreize dazu, Berufungsverfahren zu verkürzen und auf diese Weise Vakanzen zu reduzieren.114 Dies war eine durchaus typische Reaktion, insofern die meisten Rektorate im Lauf der 1990er und 2000er Jahre dazu übergingen, Rankings als Informationsmedium zu nutzen, das auf mögliche Missstände in der Lehre aufmerksam machen konnte.115 In einer Umfrage aus den 2000er Jahren
111 UA Bielefeld, S 122, Protokoll der 189. Sitzung des Senats am 13.12.1989, S. 2. Zu diesem Effekt vgl. Mau (2017), S. 85. Vgl. auch Universität Bielefeld (1993), S. 7. An der Universität Oldenburg diskutierten die Dekane im Jahr 1990 darüber, ob die um 14 % gestiegenen Immatrikulationszahlen auf das Abschneiden im Spiegel-Ranking zurückzuführen seine, vgl. UAOL 20002–097, Kurzprotokoll der Dekanebesprechung vom 20.11.1990, S. 4. S. auch Dicke (2012b), S. 25: „ob man es wahrhaben will oder nicht, und wie immer man ihre in aller Regel lausige Valenz beurteilt: Rankings wirken“. An der TU München löste es z. B. Befremden aus, dass die eigene Elektrotechnik in einem Ranking hinter dem kleinen Ilmenauer Fachbereich für Elektrotechnik rangierte, von dessen Existenz man bis dahin nicht einmal gewusst hatte. Für die Außenwirkung der Universität wurden Rankings unter Präsident Wolfgang A. Herrmann jedoch sehr ernst genommen. (Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016). 112 Vgl. z. B. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 4. Sitzung des 14. Senats am 23.6.1999, S. 4 f.; Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 14.5.1990, S. 2. 113 Vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 687. Sitzung des Senats am 14.9.2011, S. 2; Gespräch mit Dr. Reinhard Ost am 13.4.2016; Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016; Hazelkorn (2011), S. 100 f. Der Lehrbericht der Kölner Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät von 2006 beinhaltete ebenfalls einen Abschnitt zur „Ursachenanalyse der Positionierung der Studiengänge der Fakultät in wichtigen Rankings“ (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Lehrbericht der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät für den Zeitraum Sommersemester 2005 bis 2006, S. 61). 114 Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016. Vgl. auch Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 16.5.2007, S. 2: Der Rektor appellierte nach Erscheinen eines CHE-Rankings „an alle Mitglieder der Hochschule, Ursachen für die zum Teil sehr schlechten Ergebnisse aufzudecken, um gezielt gegenzusteuern“. 115 Gespräch mit Prof. Dr. Georg Machnik am 17.11.2016; Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016; FU Berlin, UA, P/Rou 45, Beratungsergebnisse der Sitzung des Präsidiums am 15.4.1999 mit Fortsetzung am 16.4.1999, S. 3. An der Universität zu Bremen setzte sich nach schlechten Ergebnissen im Spiegel-Ranking von 1993 die Haltung durch, dass dies ernst genommen werden müsse, und der Senat beschloss ein Programm zur Verbesserung der Lehre, vgl. Meier-Hüsing (2011), S. 121.
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gaben fast zwei Drittel der befragten Rektoren und Präsidenten in Deutschland an, sie hätten durch Maßnahmen im organisatorischen oder akademischen Bereich auf Ranking-Ergebnisse reagiert.116 Teilweise sorgten die Hochschulleitungen überhaupt erst dafür, dass die Fachbereiche trotz ablehnender Haltung die notwendigen Daten für Rankings bereitstellten.117 Auch auf Fachbereichsebene finden sich Reaktionen auf Rankings. So sah das Mittelverteilungsmodell der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät in Köln vor, dass „Einzelmaßnahmen“ honoriert werden sollten, die „relativ unmittelbar […] zu einer besseren Positionierung der WiSo-Fakultät in den wichtigsten Rankings beitragen“.118 In den Jahren 2005 und 2006 ließ die Fakultät eine Diplomarbeit zur Studierendenzufriedenheit erstellen und beriet ein Maßnahmenbündel, „das eine bessere Positionierung der Studiengänge in zukünftigen Rankings“ bewirken sollte.119 Es finden sich also Hinweise auf Maßnahmen seitens der Universitäten, die sich als Konkurrenzverhalten interpretieren lassen. Nicht immer ist allerdings klar, ob es den Akteuren dabei tatsächlich in erster Linie darum ging, die Position ihrer Universität oder ihres Fachs in den Rankings zu verbessern, oder ob sie die Ergebnisse nicht vielmehr selektiv als zusätzliche Informationsquelle auswerteten und nur dort handelten, wo es ihrer Ansicht nach Missstände zu beseitigen gab, anstatt sich voll und ganz den Kriterien dieser potenziellen Dritten anzupassen. Zudem lassen sich die Auswirkung von Rankings nicht von anderen Faktoren wie dem Vordringen quantitativer Leistungsindikatoren trennen. Oftmals griffen nämlich Rankings auf dieselben Kennzahlen zurück, die auch von anderen Instanzen zur Beurteilung von Forschung und Lehre herangezogen wurden. Die Situation deutscher Universitäten unterschied sich jedenfalls deutlich vom Fall US-amerikanischer Law Schools, den die Soziologen Wandy Nelson Espeland und Michael Sauder im Jahr 2007 analysierten und der daraufhin immer wieder als Beispiel für die Effekte von Hochschulrankings angeführt wurde.120 Diese Law Schools konkurrierten in erheblichem Maße miteinander um gute Rangplätze und passten sich dazu an die Kriterien der Hochschulvergleiche an, zum Beispiel indem sie finanzielle Mittel verstärkt für Stipendien einsetzten, um so möglichst viele Studienanfänger mit guten Noten in den standardisierten Zulassungsprüfungen (Law School Admission Test, LSAT) anzuziehen und damit ihre Position zu verbessern. Ein Vergleich mit dem deutschen Fall kann erhellen, welche Bedingungen für eine intensive Konkurrenz um Rangplätze in der Bundesrepublik fehlten. So hatten es die Law Schools anders als deutsche Hochschulen nur mit einem einzigen Ranking zu tun, nicht mit einer ganzen 116 Vgl. Hazelkorn (2011), S. 96. 117 Vgl. Gläser/Stuckrad (2013), S. 77; Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016. 118 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Anlage zum Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 6.12.2004. Anreizkompatible Mittelverteilung 2005, 24.11.2004, S. 5. 119 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Lehrbericht der Wirtschaftsund Sozialwissenschaftlichen Fakultät für den Zeitraum Sommersemester 2005 bis 2006, S. 61. 120 Vgl. zum Folgenden Espeland/Sauder (2007).
3. Kon urrenn um Prestige
Reihe von Ranglisten aus verschiedenen Quellen und mit unterschiedlichen Bewertungskriterien. Dieses Ranking hatte zudem deutlich stärkere Auswirkungen auf die finanzielle Ausstattung der Schools und darauf, wie viele und welche Studieninteressierten sich dort bewarben. Da Ablehnungsquoten und die LSAT-Noten der Studierenden als Bewertungskriterien firmierten, konnten sich zudem Abwärtsspiralen ergeben. Auch dies war in Deutschland nicht der Fall, wo viele Universitäten auf ihr regionales Einzugsgebiet bauen konnten.121 Zudem hing ihre Finanzierung anders als die der US-amerikanischen Schools in geringerem Maße von den Entscheidungen privater Geldgeber ab, die sich an Rankings orientierten. Die entscheidenden Akteure an deutschen Universitäten dürften daher keinem allzu großen Druck ausgesetzt gewesen sein, sich an die Kriterien der Hochschulvergleiche anzupassen, wenn sie diese nicht für sinnvoll hielten. Ungeachtet der Frage, in welchem Maß die gerankten Hochschulen um die besten Rangplätze konkurrierten, lässt sich konstatieren, dass Rankings andere Konkurrenzverhältnisse beförderten und veränderten, insbesondere den Wettbewerb um Studierende. Hierzu ist es aufschlussreich, die Urheber von Rankings nicht nur als Dritte, die selbst das knappe Gut der besten Rangplätze verteilten, sondern auch (ähnlich wie Evaluationseinrichtungen) als intermediäre Dritte zu fassen.122 Als solche schalteten sie sich in Konkurrenzsituationen ein, indem sie die Leistungen der Konkurrenten bewerteten und verglichen. Sie nahmen auf diese Weise eine Position zwischen den Konkurrenten und den eigentlichen Dritten ein, die über die Verteilung der Prämie entschieden, sich dabei aber von den Urteilen der intermediären Dritten beeinflussen ließen. Auf diese Weise konnten Rankings die Handlungsorientierung sowohl der Dritten als auch der Konkurrenten verändern und damit Konkurrenzverhältnisse formen. So ist es, wie bereits erwähnt, nicht unwahrscheinlich, dass die Veröffentlichung von Hochschulranglisten dazu beitrug, den in der Bundesrepublik der 1980er Jahre nur schwach ausgeprägten Wettbewerb um Studierende zu verstärken. Rankings suggerierten, dass es einen signifikanten Unterschied für die Qualität und die Ergebnisse eines Studiums machte, für welche Universität sich Studieninteressierte entschieden. Dieser Eindruck konnte dadurch entstehen, dass Rankings die Noten einer Universität in den einzelnen Bewertungsdimensionen miteinander verrechneten und die Unterschiede zwischen den Hochschulen, egal wie klein und unbedeutend sie waren, in Rangdifferenzen abbildeten.123 In geringerem Maße traf dies auch auf solche Veröffentlichungen zu, die auf Gesamtnoten verzichteten oder nur Ranggruppen bildeten, doch auch hier waren die Implikationen der Qualitätsbewertung für die ‚richtige‘ Wahl des Studienorts klar. Rankings zerstörten die „Vorstellung einer prinzipiellen Gleichheit aller Hochschulen“, die in den Augen der Anhänger des Wettbewerbsparadigmas das deutsche 121 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. 122 Zum Begriff vgl. Werron (2015), S. 200; Brankovic et al. (2018), s. auch Kap. IV.5. 123 Vgl. Espeland/Sauder (2007), S. 20.
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System seit der Zeit des Hochschulausbaus bestimmt hatte.124 Solche Einschätzungen waren zwar insofern übertrieben, als Wissenschaftler und Arbeitgeber sehr wohl Unterschiede in der Reputation verschiedener Einrichtungen sahen, wie Umfragen aus den 1970er und 1980er Jahren zeigen.125 Rankings schufen jedoch eine neue Konkurrenz um Prestige, da sie dieses Wissen um das Renommee von Fakultäten und Universitäten öffentlich zugänglich machten und somit einen Diskurs über Qualitätsunterschiede anstießen. Indem sie sie bewerteten und verglichen, machten sie diese zu potenziellen Konkurrenten um das höhere Ansehen. Entscheidend für die Entstehung einer Konkurrenz um Prestige war, dass Rankings ein bestimmtes Verständnis von Reputation transportierten, das vor allem auf den Vergleich zu anderen Einrichtungen abstellte. Die Ranglisten lenkten den Blick auf die jeweiligen Spitzengruppen. Renommiert war eine Universität in diesem Sinne, wenn sie sich aus der Masse heraushob, Prestige wurde zu einem knappen Gut.126 Zugleich erzeugte die regelmäßige Wiederholung von Rankings das Bild eines dynamischen Wettbewerbsfeldes anstelle einer stabilen Statushierarchie.127 Verstärkt wurde der Wandel von Reputation zum knappen Gut durch die Exzellenzinitiative, die das medientaugliche Prädikat der „Exzellenzuniversität“ hervorbrachte und den Eindruck großer qualitativer Unterschiede in der deutschen Hochschullandschaft beförderte.128 Diese Entwicklung fand ihren Niederschlag zum Beispiel darin, dass Universitätspräsidenten den Ehrgeiz ihrer Institutionen bekundeten, „mit den besten 25 Universitäten der Welt konkurrieren zu können“,129 oder auf bestimmte Rangplätze in internationalen Rankings abzielten.130 Insofern beeinflussten Rankings möglicherweise auch, welche Universitäten vor allem auf internationaler Ebene als nachahmenswerte Beispiele wahrgenommen wurden.131 Ob sie die Methoden und Kriterien, auf denen diese Hochschulranglisten beruhten, für richtig hielten oder nicht, die entscheidenden Akteure in den Universitäten standen unter dem Druck, auf diese neue Form öffentlicher Bewertung in irgendeiner Weise zu reagieren. Denn schließlich beeinflussten Rankings den Ruf der Universität und ihrer Mitglieder bei möglichen Dritten wie Politikern, Studieninteressierten und ihren Eltern sowie privaten Mittelgebern.132 In erster Linie reagierten die Hochschulen auf diese Herausforderung, indem sie ihre Öffentlichkeitsarbeit ausbauten und professionalisierten. 124 Müller-Böling (2000), S. 123, ähnliche Äußerungen waren im Reform-Diskurs der 1990er und 2000er Jahre Legion, vgl. z. B. auch die Äußerungen Wolfgang A. Herrmanns in Melzer/Casper (2001), S. 130. 125 Vgl. Klausa (1978); Schmidt (1978); DUZ, no. 4 (1985), S. 5. 126 Vgl. Brankovic et al. (2018), S. 274, 279. 127 Vgl. Brankovic et al. (2018), S. 281 f. 128 S. u. Kap. VII.2. 129 LMU München (2005); vgl. auch LMU München (2004). 130 Vgl. Hazelkorn (2011), S. 97–99. 131 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016; Forschung & Lehre, no. 5 (2005), S. 234–239. 132 So bekundete z. B. Boeing öffentlich, sich bei der Wahl seiner wissenschaftlichen Kooperationspartner an Rankings zu orientieren. Bei der Vergabe von Stiftungslehrstühlen durch die Telekom wurde ähnliches vermutet. Vgl. Hazelkorn (2011), S. 117.
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4. Öffentlichkeitsarbeit und Marketing Zu Beginn des Untersuchungszeitraums waren die Pressestellen der Universitäten personell schwach aufgestellt. Dies änderte sich erst seit den späten 1990er Jahren mit dem Vordringen des Wettbewerbsparadigmas. Zugleich wandelte sich im Lauf des hier betrachteten Zeitraums auch die Konzeption und Praxis der universitären Öffentlichkeitsarbeit, die zunehmend als Marketing-Instrument verstanden wurde. Nachdem in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten der Kontakt der Universitäten zu den Medien in der Regel Aufgabe der persönlichen Referenten des Rektors oder nebenamtlicher Pressereferenten gewesen war, gaben die Studentenproteste in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre einen ersten Anstoß zur Einrichtung von Pressestellen, die ein Gegengewicht zur studentischen Medienpräsenz herstellen sollten.133 Begründet wurde die Öffentlichkeitsarbeit seitens der WRK aber mit der „gesellschaftlichen Verantwortung“ der Hochschulen und einer „Informationspflicht“ gegenüber den Bürgern.134 Auch das Hochschulrahmengesetz hielt die Universitäten dazu an, „die Öffentlichkeit über die Erfüllung ihrer Aufgaben“ zu unterrichten.135 Im Kontext der Gruppenuniversität sollten die Pressestellen außerdem zur inneruniversitären Meinungsbildung beitragen.136 Dass diese Konzeption zumindest auf der Legitimationsebene einem normativ gehaltvollen Verständnis des öffentlichen Diskurses verhaftet war, zeigt die Beteuerung der WRK, „[z]ur Meinungsbildung innerhalb der Hochschule beizutragen und den Dialog mit der Öffentlichkeit zu führen“ heiße nicht „‚Public Relations‘ oder Propaganda zu betreiben“.137 Dies änderte sich jedoch in den 1980er und 1990er Jahren, als neue Begründungsmuster auftraten, die eine stärker an den Interessen der Hochschule als Organisation orientierte Öffentlichkeitsarbeit nahelegten. Angesichts der „Legitimationskrise“ der Wissenschaft und des schlechten Rufs der Universitäten als „wenig effektive Institutionen“, so der Pressesprecher der Universität Erlangen-Nürnberg im Jahr 1981, sollte Öffentlichkeitsarbeit nicht als Verpflichtung, sondern als Instrument verstanden werden, mittels dessen eine Organisation ihre Umwelt nach den eigenen Interessen beeinflusse: „Alle Kommunikationen bzw. Handlungen im Rahmen der universitären Öffentlichkeitsarbeit haben ausschließlich den Interessen der Universität, ihrer Leitung, ihrer Mitglieder und Einrichtungen zu dienen“.138 Daneben entwickelte sich in der BWL eine Forschungsrichtung, die sich mit der Übertragung von Marketing-Konzepten auf Hochschulen beschäftigte. Die Autoren einschlägiger Arbeiten bezogen sich dabei auf den Ansatz von Philip Kotler und Sidney J. Levy, die das begriffliche Instrumentarium des Marketing auch für öffentliche Einrichtungen nutzbar 133 134 135 136 137 138
Vgl. Escher (2001), S. 13–15; Paulus (2010), S. 441. WRK (1989b), S. 279. Hochschulrahmengesetz § 2, Absatz 8. Vgl. WRK (1989b), S. 279. WRK (1989b), S. 279. Knorr (1981), S. 83 f., 95.
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machen wollten.139 Für deutsche Hochschulen unternahm diesen Transfer erstmals Karl Alewell in einem Aufsatz aus dem Jahr 1977, in dem allerdings von Wettbewerb zwischen Universitäten bezeichnenderweise noch nicht die Rede war.140 Erst mit dem Aufkommen der Wettbewerbsdebatte und den Prognosen sinkender Studierendenzahlen konzipierten Betriebswirtschaftler Marketing als Strategie für Hochschulen, die sich in Konkurrenz zueinander behaupten mussten. Universitäten müssten sich sowohl über ihre Ziele als auch über relevante „Zielgruppen“ klar werden.141 Um sich im Wettbewerb zu behaupten, komme es darauf an, „der Austauschbarkeit untereinander vorzubeugen und sich zu profilieren“.142 Dazu sei es notwendig, eine „Corporate Identity“ zu entwickeln und die eigene Kommunikation darauf auszurichten, ein entsprechendes „Image“ bei den jeweiligen Zielgruppen zu verankern.143 Stets diente der Verweis auf einen künftigen Wettbewerb um Studierende dazu, die Relevanz von Marketing für Universitäten zu begründen.144 Bis in die späten 1980er Jahre spielte sich diese Diskussion allerdings weitgehend innerhalb der BWL ab, was darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die meisten dieser Arbeiten praxisfern argumentierten und der in ihnen konstatierte oder prognostizierte Wettbewerb in der Realität kaum eine Rolle spielte. Seit dem Ende des Jahrzehnts wuchs allerdings das Interesse für Marketing auch außerhalb des Faches, vor allem bei den Hochschulleitungen.145 Das veränderte Verständnis von Öffentlichkeitsarbeit kam in einer Empfehlung der HRK aus dem Jahr 1995 zum Ausdruck. Zwar war noch immer von einer „Informationspflicht“ die Rede sowie von der Vermittlung wissenschaftlicher Ergebnisse. Größeres Gewicht legte das Papier jedoch auf die Interessenvertretung „in einem zunehmend schärfer werdenden Wettbewerb mit anderen Politikbereichen um die Verteilung staatlicher Mittel“. Auch die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit für die Profilbildung und die Darstellung von Leistungen in einem zunehmend differenzierten Hochschulsystem wurden hervorgehoben. Zudem griff die Empfehlung mit der Rede von „Corporate Identity“ und „Zielgruppen“ einzelne Konzepte des Marketing-Diskurses auf.146 Für die Hochschulpressesprecher, deren Berufsverband den Anstoß zu dieser HRK-Empfehlung gegeben hatte,147 boten die Debatten über Wettbewerb im Hochschulsystem seit den 1980er Jahren eine willkommene Gelegenheit, die eigene
139 Vgl. Kotler/Levy (1969). 140 Vgl. Alewell (1977); ein Projekt an der Universität Gießen, wo Alewell lehrte, wandte einen solchen Ansatz auf den dortigen agrarwissenschaftlichen Studiengang an, vgl. Burger/Müller (1976). 141 Topf (1986), S. 279. 142 Wangen-Goss (1983), S. 249. 143 Vgl. Zentes (1987), S. 38–40; Frackmann (1988), S. 122; Hermeier (1992), S. 162; Engelhardt (1993). 144 Vgl. als erste einschlägige Monographie in Deutschland Wangen-Goss (1983), Vorwort, o. S.; außerdem Topf (1986), S. 2; Frackmann (1989), S. 105; Hermeier (1992), S. 1 f. 145 Erste Anzeichen dafür waren z. B. ein Seminar des Sprecherkreises der Hochschulkanzler mit dem Thema „Marketing für Hochschulen“ im Jahr 1987 und ein Workshop an der Universität Bochum 1992; vgl. Sprecherkreis der Hochschulkanzler / Arbeitsgruppe Fortbildung (1987); Engelhardt et al. (1993). 146 HRK (1995). 147 Vgl. DUZ, no. 20 (1995), S. 13.
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Tätigkeit aufzuwerten. Indem sie die Funktion der Öffentlichkeitsarbeit für den Erfolg im „Konkurrenzkampf um Studenten und Forschungsmittel“ hervorhoben, also für eine Ausrichtung der Kommunikationspolitik an den Interessen der Universität eintraten, konnten sie die eigene Bedeutung unterstreichen und eine bessere Ausstattung der Pressestellen legitimieren.148 Dass viele Hochschulleitungen der Öffentlichkeitsarbeit ein größeres Gewicht beimaßen, zeigt sich daran, dass die Pressestellen an den Universitäten seit den 1990er Jahren und vor allem nach 2000 personell ausgebaut wurden.149 An der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zum Beispiel, wo der Pressesprecher in den 1970er Jahren lediglich über drei Stellen für studentische Hilfskräfte verfügt hatte, arbeiteten im Jahr 2009 zwölf Personen in der Pressestelle (wenn auch nicht alle auf vollen Stellen). Der Großteil dieses Zuwachses entfiel auf die 2000er Jahre.150 An der TU München waren im Jahr 2000 sechs Personen in der Öffentlichkeitsarbeit angestellt, 2012 zählte die Abteilung 19 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter „PR-Referenten“ für jeden der drei Standorte sowie einen Referenten für „Internationale PR“. Drei Angestellte waren alleine für die Auftritte der Universität im Internet inklusive sozialer Medien zuständig.151 Verschiedene Faktoren mögen diesen Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit erklären, so die Entstehung der Konkurrenz um Prestige, das Vordringen des Wettbewerbsparadigmas, mancherorts eine Intensivierung der Konkurrenz um Studierende und schließlich die politische Förderung des Hochschulmarketings. Aber auch die Entwicklung des Internets und der sozialen Medien machte, wollten die Universitäten dort präsent sein, einen zusätzlichen Aufwand nötig. Das Rektorat der Universität Bielefeld, die als Neugründung in einer peripheren Region einem besonderen Konkurrenzdruck ausgesetzt war, reagierte früh mit Ansätzen einer neuen Ausrichtung und Aufwertung der Öffentlichkeitsarbeit. So konstatierte der Rektor Karl Peter Grotemeyer im Jahr 1989, Universitäten kämen „um eine gezielte Imagepflege, um Marketing und Studentenwerbung nicht länger herum“.152 Auf Vorschlag des Pressereferenten beschloss die Hochschulleitung, die Forschungs148 Der Präsident der Universität Oldenburg (1986), S. 67; vgl. auch UA Bielefeld, R 121, Der Pressesprecher der Universität Bielefeld, Konzept für Forschungsberichterstattung und Wissenschaftsdarstellung der Universität Bielefeld, [ca. Juli 1987]. 149 Verschiedene Umfragen ergaben, dass die durchschnittliche Zahl an Personalstellen in den Pressestellen von 2,5 im Jahr 1987 auf 2,7 1994 und 2,8 2005/2006 anstieg; vgl. Schalkowski/Seel (1987), S. 10; Ströle-Bühler (2007), S. 69 f. Keine der Umfragen erreichte allerdings einen auch nur annähernd vollständigen Rücklauf, die erfassten Universitäten waren außerdem nicht immer dieselben. Zudem lassen andere Quellen einen deutlich stärkeren Ausbau vermuten, insbesondere gegen Ende des Untersuchungszeitraums. So gaben 2010/2011 in einer anderen Umfrage 62 % der befragten Pressesprecher an, ihre Abteilung sei in den letzten fünf Jahren ausgebaut worden, vgl. Marcinkowski et al. (2013), S. 259. Dasselbe sagten 60 % der Kanzler im Jahr 2008, vgl. Blümel et al. (2011), S. 113. An allen sechs hier betrachteten Fallbeispielen wurden in den 1990er und 2000er Jahren zusätzliche Stellen in der Öffentlichkeitsarbeit geschaffen. 150 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2015; im Jahr 1996 verfügte die Pressestelle über 2,5 Stellen, vgl. UAOL 20002–080, Protokoll der Dekanebesprechung vom 17.12.1996, S. 2. 151 Vgl. Internetquelle 38; Internetquelle 39. 152 Universität Bielefeld (1987), S. 74.
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berichterstattung in den Medien zu verstärken und Informationsangebote für Studieninteressierte auszuweiten.153 Angestrebt wurde eine „eigenständige Profilierung der Universität“. Elemente des Marketing-Diskurses aufgreifend, konstatierte der Pressereferent: „Zu den Grundlagen einer erfolgreichen Image-Strategie gehört daher die Konzeption und Implementation eines einfachen, jederzeit wiedererkennbaren, widerspruchsfreien und leitbildfähigen Zeichen- und Symbolsystems (‚Corporate-Design‘)“.154 An den meisten Universitäten griffen Rektoren und Präsidenten ab Ende der 1990er Jahre Marketing-Ansätze auf. An der FU Berlin beispielsweise setzte das Präsidium im Jahr 2006 Klaus Siebenhaar, Professor für Kulturmanagement, als „Beauftragten für Hochschulmarketing“ ein,155 der zusammen mit einer privaten PR-Agentur ein Marketingkonzept für die Universität entwickelte.156 Auch andere Hochschulen etablierten in den 2000er Jahren Abteilungen, die explizit mit „Marketing“ betraut waren.157 Zur Verbreitung und Etablierung des betriebswirtschaftlichen Ansatzes dürften auch Tagungen wie die des „Forum Hochschulmarketing“ an der FU Berlin in den Jahren 2007 und 2008 oder der 2002 gegründete „Marketing Club“ des CHE, in dem unter anderem die TU München Mitglied war, beigetragen haben.158 Gegen Ende des Untersuchungszeitraums verfügte eine Mehrheit der Universitäten über Abteilungen oder zumindest einzelne Mitarbeiterstellen, die mit „Marketing“ betraut waren.159 Neben den Pressereferenten und Mitgliedern der Hochschulleitungen waren auch Betriebswirtschaftler daran beteiligt, zumindest einzelne Aspekte des Marketing-Ansatzes an ihren Universitäten zu verankern. In Bielefeld führte Ende der 1990er Jahre ein Professor der BWL mit Schwerpunkt Marketing, finanziert durch das Rektorat, eine auf Umfragen gestützte Imageanalyse der Universität durch. Eine von ihm einberufene Arbeitsgruppe entwickelte ein Rahmenkonzept zur Etablierung von Marketing an der Hochschule.160 Auch in Oldenburg existierte in den frühen 2000er Jahren eine „AG Hochschulmarketing“, die vom dortigen Pressereferenten initiiert wurde und an der sich auch der Inhaber des Lehrstuhls für Absatz und Marketing beteiligte.161 Trotz der Präsenz des Marketing-Begriffs spätestens seit den 2000er Jahren dürften die wenigsten Universitäten tatsächlich ein Marketing im umfassenden Sinne etabliert
153 Vgl. UA Bielefeld, R 013, Protokoll der 685. Sitzung des Rektorats am 12.10.1987; ebd., Protokoll der 689. Sitzung des Rektorats am 10.11.1987. 154 UA Bielefeld, R 013, Protokoll der 714. Sitzung des Rektorats am 11.10.1988. 155 Vgl. Internetquelle 40; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 216. 156 Vgl. Siebenhaar (2007), S. 11; Internetquelle 41. 157 So die Universität zu Köln und die Universität Bielefeld, vgl. Internetquelle 42; Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; Bielefelder Universitätszeitung, no. 220 (2005), S. 50. 158 Vgl. Internetquelle 43; Brüser (2006), S. 86; Internetquelle 44. 159 Vgl. Winter/Falkenhagen (2013), S. 10 f. 160 Vgl. UA Bielefeld, R 177, Protokoll der 1052. Sitzung des Rektorats am 8.7.1998; ebd., Protokoll der 1069. Sitzung des Rektorats am 15.12.1998; ebd., Protokoll der 1097. Sitzung des Rektorats am 6.7.1999; ebd., Protokoll der 1120. Sitzung des Rektorats am 15.12.1999. 161 Vgl. Raabe (2004); Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2015.
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haben, also eine Ausrichtung des eigenen ‚Angebots‘ an den Wünschen potenzieller ‚Kunden‘.162 In der Regel handelte es sich vielmehr um eine an Marketing-Konzepten orientierte, der Imagepflege dienende Öffentlichkeitsarbeit.163 Zu den wichtigsten Aktivitäten der Pressestellen zählten folglich die Herstellung eines einheitlichen Erscheinungsbildes der Universität nach außen, die Konstruktion und Kommunikation eines möglichst individuellen Profils und die Werbung um Studieninteressierte. Um Abiturienten und Abiturientinnen für sich zu gewinnen, produzierten die Pressestellen, teils in Kooperation mit den Fächern Informations- und Werbematerialien. Waren Broschüren und Handzettel zu Beginn des Untersuchungszeitraums meist in nüchterner Sprache verfasst und im Design anspruchslos, so sind seit den 1990ern sowohl eine aufwändigere Gestaltung unter Einsatz von Farben und Bildern164 als auch eine stärker werbende Sprache zu verzeichnen, die sich wertender oder positiv besetzter Ausdrücke bediente. In zunehmendem Maße wurde zudem auf das besondere Profil der jeweiligen Studiengänge verwiesen, das sie von denen anderer Universitäten abgrenzte.165 Nicht nur veränderten sich ältere Formen der Außendarstellung, sondern es traten auch neue hinzu. Rasch breitete sich in den 2000er Jahren die Idee der „Kinderuni“ aus, die bereits im frühen Alter eine positive Bindung zur Hochschule herstellen sollte.166 Außerdem bauten die Universitäten ihre Beziehungen zu Schulen in der Region aus oder führten solche Kooperationen überhaupt erst ein.167 Sowohl die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg als auch die Universität Bielefeld produzierten in den 2000er Jahren Kino-Werbespots. Der Bielefelder Film, unterlegt mit 162 So führte Detlef Müller-Böling aus, dass die Anwendbarkeit des Marketing-Ansatzes hier an ihre Grenze komme, da die Inhalte des Studiums auch einem Bildungsauftrag und den Anforderungen anderer gesellschaftlicher Gruppen, wie etwa der Arbeitgeber, gerecht werden müsse, vgl. Müller-Böling (2007), S. 12. 163 Diese Einschätzung vertreten auch Winter/Falkenhagen (2013), S. 14 f. Für die Universität Oldenburg: Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2016. 164 Ein Beitrag im Bielefelder Universitätsjournal „H1“ kommentierte das neue „Corporate Design“ der Universität wie folgt: „Im Wettbewerb der Hochschulen präsentiert [die Universität Bielefeld] sich fortan modern, bunt und mit Menschen im Fokus […]. Bilder spielen eine wichtige Rolle bei der grafischen Umsetzung des Profils. ‚Menschen in der Universität Bielefeld‘ ist dabei das zentrale Element der neuen Bildsprache“ (H1, no. 4 (2008), S. 26). 165 Dies ergab eine Auswertung von Informationsmaterialien aus dem UA Bielefeld. Als Beispiel mögen zwei Zitate aus Broschüren zum Studienangebot in der Chemie dienen. 1989 stellte sich das Fach unter anderem mit folgender Formulierung vor: „Die Chemie analysiert die Materie und ihre reaktiv-fortschreienden Veränderungen, erforscht die Gesetzmäßigkeiten chemischer Strukturen und Vorgänge, synthetisiert Modellsubstanzen und bemüht sich um theoretische Deutungen der Meßergebnisse“. Zehn Jahre später, als die chemischen Fachbereiche mit zurückgehenden Studierendenzahlen zu kämpfen hatten, warb die Fakultät für die „Faszination Chemie“: „Schutz der Umwelt, weitere Bekämpfung von Krankheiten, Sicherung der Energieversorgung oder die Sorge um ausreichende Ernährung sind nur einige der aktuelle Probleme an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend, die weiterhin neue Herausforderungen für künftige Chemikergenerationen darstellen“. (UA Bielefeld, DS 95,1, Universität Bielefeld, Studienangebot, 1989; ebd., DS 95,2, [Studiengangsflyer der Fakultät für Chemie], [ca. 1999]. 166 Vgl. z. B. TUM Mitteilungen, no. 2 (2007), S. 33; Der Rektor der Universität zu Köln (2004), S. 67; Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2015. 167 Vgl. Universität Bielefeld (1990), S. 74; Cmiel (2007), S. 130 f.; UA Jena, Bestand Senat 1992, Protokoll der Sitzung des Senats am 1.12.1992, S. 1; ebd., Bestand Senat 1993, Protokoll der Sitzung des Senats am 7.12.1993, S. 3.
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Rockmusik, zeigte einen Studenten und eine Studentin, die mit den Sätzen „Unsere Uni? Viele Fächer, spannend kombinierbar“ und „Entdecke eine andere Welt des Studierens und finde deinen Raum zum Querdenken“ warben. Ein Standbild am Ende verwies auf eine Auszeichnung der Universität im „Wettbewerb Exzellente Lehre 2009“ und die Internetseite „www.RaumzumQuerdenken.de“.168 Mit „Querdenken“ war dabei ein positiv besetzter Begriff gewählt, der zugleich Besonderheit suggerierte. Der Werbespot der Universität Oldenburg, produziert wenige Jahre zuvor, warb mit „professioneller Hirnerweiterung“ und wurde einige Wochen vor den Immatrikulationsterminen in norddeutschen Kinos gezeigt.169 Daneben platzierte die Universität Anzeigen in bis zu 300 Abiturzeitungen an Gymnasien in den nördlichen Bundesländern.170 Es dürfte kein Zufall sein, dass gerade die PR-Angestellten der Universitäten Oldenburg und Bielefeld nach möglichst effektiven Wegen suchten, ihre Zielgruppen anzusprechen, da beide Hochschulen wegen ihrer geographischen Lage in einigen Fächern relativ niedrige Studierendenzahlen aufzuweisen hatten. Besonders umfangreiche Werbeaktivitäten unternahmen seit Mitte der 2000er Jahre auch ostdeutsche Hochschulen, da dort aus demographischen Gründen ein deutlicher Rückgang der Erstsemester aus den jeweiligen Regionen prognostiziert wurde.171 Zudem hatten sich die ostdeutschen Bundesländer im Hochschulpakt 2020 dazu verpflichtet, weiterhin so viele Studienplätze wie im Jahr 2005 bereit zu stellen.172 Dafür erhielten sie Bundesmittel, um die Studienbedingungen vor Ort verbessern und Werbemaßnahmen finanzieren zu können. Der Hochschulpakt war darauf ausgelegt, in den westdeutschen Ländern, wo anders als im Osten steigende Studienanfängerzahlen prognostiziert wurden, weniger zusätzliche Studienplätze als nötig zu finanzieren, dafür aber den ostdeutschen Hochschulen zusätzliche Ressourcen in der Konkurrenz um Studierende zu verschaffen. Die FSU Jena warb unter dem Motto „Studentenparadies Jena“ um Studierende, unter anderem mit einem „Uni-Mobil“, das an westdeutschen Schulen Station machte, bevorzugt in Städten mit 50 000 bis 100 000 Einwohnern ohne nahegelegene Hochschulen.173 Mehrere ostdeutsche Länder führten koordinierte Werbe168 Vgl. UA Bielefeld, FS 150. 169 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2015. 170 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2015. Als eine der ersten Hochschulen schaltete die TU Dresden in einer vielbeachteten Aktion im Mai 1996 Anzeigen in überregionalen Zeitungen, vgl. Westebbe et al. (1997), S. 95–97. 171 Angesichts dieser Prognosen, so der Rektor der FSU Jena im Senat, müsse sich die Universität „intensiv bemühen, Studierende nicht nur aus Thüringen, sondern bundesweit für Jena zu gewinnen“ (FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 20.2.2007 (Internetquelle 87), S. 1). Ähnlich bereits sein Amtsvorgänger im Jahr 2000: „Wir müssen uns jetzt vorbereiten auf einen zunehmenden Wettbewerb unter den Hochschulen, der sich in Ostdeutschland angesichts des absehbaren demographischen Einbruchs gegen Ende des Jahrzehnts dramatisch verschärfen wird“ (Alma Mater Jenensis, no. 6 (2000), S. 5). 172 Aus der Perspektive der ostdeutschen Landesregierungen dürfte dies vor allem deshalb sinnvoll gewesen sein, weil Studierende, die aus Westdeutschland kamen, künftig als zusätzliche, qualifizierte Arbeitskräfte für die regionale Wirtschaft zur Verfügung standen. 173 Vgl. Internetquelle 45; Der Rektor der FSU Jena (2012), S. 35; Der Rektor der FSU Jena (2009), S. 37.
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kampagnen durch, doch wurden diese von Hochschulleitungen der größeren, traditionsreichen Universitäten wie der FSU Jena, die lieber auf ihr eigenes Profil setzten, eher kritisch beurteilt.174 Darüber hinaus finanzierte das BMBF ab 2008 die Kampagne „Studieren in Fernost“.175 Derartige Marketing-Aktivitäten scheinen zusammen mit Faktoren wie den vergleichsweise niedrigen Lebenshaltungskosten in ostdeutschen Städten und den Studiengebühren in westdeutschen Ländern dazu beigetragen zu haben, dass ab dem Jahr 2010 mehr Studienanfängerinnen und Studienanfänger in die neuen Länder zogen als von dort abwanderten.176 Ein wichtiges Ziel der universitären Öffentlichkeitsarbeit war es in den Augen der wettbewerbsorientierten Hochschulleitungen und der Pressestellen, die sich Konzepte des Marketing-Diskurses zu eigen gemacht hatten, ein kohärentes und positiv besetztes Image ihrer Universität zu entwerfen und zu kommunizieren. Dies implizierte die Stiftung von Identität im Sinne von Einheit. Die jeweilige Hochschule wurde als ein Ganzes stilisiert, dem Eigenschaften wie „Exzellenz“ oder „Interdisziplinarität“ zugeschrieben werden konnten. Zugleich mit der Einheit wurde somit auch eine bestimmte Identität entworfen. Konkret schlug sich dies darin nieder, dass Hochschulleitungen beschlossen, ein Corporate Design einzuführen, also eine einheitliche graphische Gestaltung, die möglichst alle Medien der Außendarstellung prägen sollte, von Briefbögen über PowerPoint-Folien, Merchandising-Artikel bis hin zu Internetseiten.177 Dies trug insofern zur Konstruktion der Universität als Einheit bei, als auf diese Weise zum Beispiel einzelne Wissenschaftler in Briefwechseln oder bei auswärtigen Vorträgen sogleich als Mitglieder ihrer Institution erkennbar waren. Ihre Arbeit sollte zugleich der Universität zugerechnet werden. Besonders deutlich trat dieser Zug zutage, als in den späten 1990er und frühen 2000er Jahren Hochschulleitungen und Pressestellen darauf drängten, das Erscheinungsbild der zahlreichen, auf Instituts- und Lehrstuhlebene entstandenen Internetseiten zu vereinheitlichen und diese als solche der Universität kenntlich zu machen – ein Prozess, der nicht immer konfliktfrei verlief.178 174 Vgl. Winter (2008), S. 111 f.; Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. 175 Vgl. BMBF (2015). 176 Vgl. BMBF (2015); Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur (o. J. [2013]), S. 19. Der beschriebene Trend ging auf Kosten der westdeutschen Flächenländer, deren negatives Wanderungssaldo sich weiter verschlechterte, während zugleich mehr Studienanfänger und Studienanfängerinnen in die Stadtstaaten zogen, vgl. ebd. 177 Vgl. UA Jena, Bestand Senat 1997, Protokoll der Sitzung des Senats am 16.9.1997, S. 3; ebd., Bestand Senat 2000, Protokoll der Sitzung des Senats am 20.6.2000, S. 3; Hirsch (2000); Hirsch (2001); Gespräch mit Prof. Dr. Otto Meitinger am 21.4.2016; Universität Bielefeld (1990), S. 75; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 211. Das Präsidium der FU Berlin hielt außerdem in den 2000er Jahren die Fachbereiche und Zentralinstitute dazu an, „bei öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen darauf [zu] achten, dass die Freie Universität als Trägerin oder beteiligte Institution hinreichend zur Geltung kommt“ (Präsidium der FU Berlin (2007), S. 65). Das Rektorat der Universität zu Köln ließ im Jahr 2005 ein einheitliches Corporate Design entwickeln, vgl. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung der Engeren Fakultät am 21.11.2005, S. 2. Die TU München ließ ihr Logo sogar als Markenzeichen eintragen, vgl. TUM-Mitteilungen, no. 1 (2002/2003), S. 27. 178 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2016; vgl. UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Präsidiums am 10.12.2002; Bielefelder Universitätszeitung, no. 203 (2000), S. 63 f.; Bielefelder Universitätszeitung,
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Die Stiftung einer bestimmten Identität, gesteigert im Anspruch eines „unverwechselbaren“ Profils, stellte sich jedoch als schwierig heraus. Die „Leitbilder“, die viele Universitäten seit Mitte der 1990er Jahre in Nachahmung von mission statements US-amerikanischer Hochschulen und von „Unternehmensphilosophien“ entwarfen, waren keineswegs so individuell, wie sie es der Marketing-Logik nach hätten sein sollen.179 Der symbolischen Profilbildung standen nämlich zwei strukturelle Hindernisse entgegen: Zum einen musste die Charakterisierung weitgehend abstrakt bleiben, da sich Universitäten aus vielfältigen kleineren Einheiten zusammensetzten, die größtenteils nicht auf konkreter Basis zusammenarbeiteten. Zum anderen waren Universitäten als Organisation der Wissenschaft auf Universalität hin ausgelegt. Die Leitungen deutscher Universitäten gaben, allen Differenzierungsforderungen zum Trotz, den Anspruch nicht auf, eine Forschungsuniversität zu vertreten, die eine wissenschaftliche Ausbildung anbot. Wenn sich eine Organisation allerdings über eine (zumindest dem Anspruch nach) universalistische Praxis definierte, dann drohten ihre jeweiligen Besonderheiten nebensächlich zu wirken. In der Konsequenz waren die Charakteristika, auf die sich die Universitäten in ihrer Außendarstellung beriefen, zu erheblichen Teilen deckungsgleich. So nannten zum Beispiel 85 Prozent der deutschen Hochschulen, die über ein veröffentlichtes Leitbild verfügten, darin „Interdisziplinarität“ und 82 Prozent „Internationalität“, während individuelle Attribute in der Selbstbeschreibung weitgehend fehlten.180 Manchen Hochschulleitungen war insbesondere daran gelegen, ein vorhandenes Image ihrer Universitäten zu verändern, das sie als nachteilig ansahen. Die FU Berlin besaß nach Einschätzung ihres Präsidiums zu Beginn der 2000er Jahre den Ruf einer „einer politisierten, in den Entscheidungen ineffektiven und wirtschaftsfeindlichen Einrichtung“. Dieses „schlechte Image“ habe es „nach der Vereinigung des West- und des Ostteils Berlins allzu leicht gemacht, wissenschaftspolitische Entscheidungen durchgängig gegen die Freie Universität zu treffen“.181 Die Universität Bremen wiederum ließ sich 1995 von einer PR-Agentur beraten, wie sie den Ruf der „roten Kaderschmiede“ ablegen könnte, der ihr seit den 1970er Jahren anhaftete.182 Mit ähnlichen Akzeptanzproblemen hatte auch die Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zu kämpfen, vor allem im konservativen örtlichen Bürgertum, das sich statt der linken Reformhochschule eine traditionelle Universität gewünscht hatte.183 Die Öffentlichkeits-
no. 211 (2000), S. 35 f.; TUM Mitteilungen, no. 5 (1996/1997), S. 11 f. Noch 2004 konstatierte Utz Lederbogen, dass in der Gestaltung von Internetseiten auf Fakultäts-, Instituts- und Lehrstuhlebene teils „völlige Willkür“ herrsche und das Angebot „oft noch nicht einmal als Hochschulangebot identifizierbar“ sei (Lederbogen (2004), S. 250). 179 Vgl. Zechlin (1998), S. 123; Hanft (2000b), S. 121; Escher (2001), S. 206; UAOL 20002 ZW, Protokoll der 8. Sitzung des 14. Senats am 10.11.1999, S. 9. 180 Vgl. Meyer-Guckel/Mägdefessel (2010). 181 Präsidium der FU Berlin (2007), S. 28. 182 Vgl. Krüger (2000), S. 15; Meier-Hüsing (2011), S. 126 f. 183 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2015.
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arbeit der Universität sollte in den 1980er und 1990er Jahren unter anderem vermitteln, dass auch an der noch jungen Hochschule auf hohem Niveau geforscht werde.184 Wenn Universitäten ihre Außendarstellung darauf ausrichteten, ihre Chancen in Konkurrenzverhältnissen zu steigern, dann widersprach dies letzten Endes den Forderungen nach mehr Transparenz, die Anhänger des Wettbewerbsparadigmas immer wieder geäußert hatten.185 So rückten die Rechenschaftsberichte der Rektoren und Präsidenten zunehmend in die Funktion einer Leistungsschau der Universitäten, in denen nur noch auftauchte, was für die Außendarstellung günstig erscheinen konnte.186 Ähnliches lässt sich auch für die Universitätsjournale konstatieren.187 Einige Universitäten ersetzten die umfangreichen statistischen Jahresberichte durch schmale Broschüren mit Titeln wie „Zahlen & Fakten“, die hauptsächlich darauf angelegt waren, die Leistungen der Hochschule quantitativ zu belegen. Die in zunehmendem Maße der Imagepflege dienende Öffentlichkeitsarbeit blieb in den Universitäten allerdings nicht ohne Widerspruch. Insbesondere der Begriff „Marketing“ war bei vielen Wissenschaftlern verpönt.188 Die Kinowerbung der Universität Oldenburg zum Beispiel stieß intern auf heftige Kritik.189 Diese Art von Öffentlichkeitsarbeit setze, so ein Oldenburger Philosoph in der Universitätszeitung, auf „unterstellte Seh-, Hör- und Konsumgewohnheiten der jungen Generation“ und mache „zwischen der Werbung für ein Konsumprodukt und für ein akademisches Studium keinen Unterschied“.190 Der Konflikt, der in diesen Sätzen zum Ausdruck kam, bestand im Kern darin, dass die Hochschulleitungen für (vermeintliche) Interessen der Organisation Universität eintraten und sich dabei an Marketingkonzepten und den Mechanismen der Massenmedien orientierten, während die Kritiker darauf beharrten, dass sich die Universität als Institution der Wissenschaft nicht den Funktionslogiken anderer gesellschaftlicher Subsysteme anpassen dürfe. Dieser Widerspruch trat besonders deutlich zutage, wenn es um die Frage ging, wie Universitäten in der Öffentlichkeit auf Rankings reagieren sollten. 184 Klagen über eine mangelhafte Ausstattungssituation wurden deshalb aus dem ersten Forschungsbericht herausgestrichen, vgl. UAOL 20002–108, Protokoll der 4. Sitzung des Senats am 9.9.1981, S. 11–13; vgl. außerdem ebd., Protokoll der 16 Sitzung des 6. Senats am 5.9.1984, S. 13; ebd., UAOL 2200–080, Protokoll der Dekanebesprechung vom 17.12.1996, S. 2. 185 Die folgenden Ausführungen stellen, für sich genommen, keine Werturteile dar. Die beschriebenen Tendenzen erscheinen lediglich dann als kritikwürdig, wenn man an die Außendarstellung durch Pressestellen und Hochschulleitungen Normen anlegt, wie sie in wissenschaftlicher Kommunikation gelten. 186 So beschloss das Präsidium der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, nachdem das niedersächsische Wissenschaftsministerium keinen umfangreichen Tätigkeitsbericht mehr forderte, den Rechenschaftsbericht künftig „als Außendarstellung der Universität im Sinne einer umfassenden Marketingstrategie“ zu nutzen (UOL Altregistratur, Dezernat 5, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 19.11.2002. Lagebericht – Rechenschaftsbericht des Präsidenten, 15.11.2002; vgl. ebd., Protokoll der Sitzung des Präsidiums am 19.11.2002). 187 So ergab eine Umfrage unter den Lesern von 22 Hochschuljournalen, „dass ein Mehr an kritischer Distanz von einer teilweise überwältigenden Mehrheit der Leser begrüßt würde“ (Kohring/Matthes (2001), S. 47). 188 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2016; vgl. auch DUZ, no. 19 (1999), S. 8–10. 189 Gespräch mit Gerhard Harms am 21.8.2016. 190 Schulz (2004).
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5. Der öffentliche Umgang mit Rankings: Kritik und Opportunismus Der beschriebene Wandel der universitären Öffentlichkeitsarbeit lässt sich als Reaktion auf neue oder intensivierte Konkurrenzverhältnisse verstehen. Dabei wurde die Konkurrenz um Prestige wesentlich durch Rankings geformt. Die Hochschulen mussten also auf die veröffentlichten Ranglisten reagieren. Sie nutzten Rankings meist selektiv für ihre Öffentlichkeitsarbeit, während Kritik und Verweigerung stets mit der Gefahr von Wettbewerbsnachteilen einhergingen. Verschiedene Akteure unternahmen jedoch Versuche, den Auftraggebern der etablierten Rankings die Rolle des Dritten streitig zu machen und eigene Bewertungsverfahren an deren Stelle zu setzen. Der öffentliche Umgang der Universitäten mit Rankings lässt sich mit den Worten eines Präsidenten auf eine einfache Formel bringen: „Wenn man vorne steht, nutzt man sie, ansonsten schimpft man drauf “.191 Die Pressestellen der Hochschulen griffen gute Ergebnisse bereitwillig auf und verbreiteten sie selbst weiter.192 Schlechte Resultate hingegen wurden entweder nicht erwähnt oder (seltener) mit einer Kritik an der Methodik und den Bewertungskriterien beantwortet.193 So veranstaltete zum Beispiel das Rektorat der Universität zu Köln im Jahr 1999 eine Podiumsdiskussion mit dem Thema „Ist die Uni Köln oder der Spiegel mangelhaft?“.194 Einen solchen selektive Umgang mit Rankings pflegten allerdings nicht nur PR-Experten, sondern auch manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. So veranlasste ein kritischer Kommentar des Pressesprechers der FU-Berlin zum Focus-Ranking von 1993, in dem die Universität gut abgeschnitten hatte, ein Mitglied des akademischen Senats zu der Frage: „Worin besteht nach Auffassung des Präsidenten die Aufgabe des Pressesprechers: Soll er für oder gegen die FU Öffentlichkeitsarbeit betreiben?“195 Gute Ranking-Ergebnisse konnten dazu dienen, den Anspruch einer Universität auf eine führende Stellung in Forschung und Lehre durch die Urteile unabhängiger Dritter zu bestätigen. Voraussetzung dafür war es allerdings, die Sinnhaftigkeit des Ansatzes und die Validität der Resultate nicht zu hinterfragen.196 Diese Art des Umgangs mit Rankings stärkte daher als Nebeneffekt die Autorität dieser intermediären Dritten. Auf ähnliche Weise trug die Berichterstattung in einem Teil der Massenmedien dazu bei, den Schein der Objektivität zu befestigen, auf den Rankings bauten. Indem manche Beiträge die Methodik und Bewertungskriterien, die den Ranglisten zugrunde lagen, weitgehend verschwiegen und Kritik allenfalls am Rande erwähnten, lösten sie 191 Gespräch mit Prof. Dr. Karl Dicke am 11.10.2016. 192 Vgl. z. B. TU München (2004); TUM campus, no. 4 (2011), S. 28; TU München (2011); Universität Bielefeld (2012); Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (2007). 193 Vgl. z. B. Archut (2001). 194 Vgl. Rutzen (1999). 195 FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 453. Sitzung des Senats am 3.11.1993, S. 7. 196 Für eine Ausnahme vgl. Hirsch (1999); in dieser Pressemitteilung warnte der Rektor der FSU Jena davor, dem Spiegel-Ranking, bei dem seine Universität gut abgeschnitten hatte, zu großes Gewicht beizumessen und verwies darauf, dass Studierende die Qualität des Studienangebotes „nur schwer“ einschätzen könnten.
5. Der öfentliche Umgang mit Ran ings: Kriti und aaortunismus
die Ergebnisse aus dem jeweiligen Entstehungskontext und verliehen ihnen den Status von Tatsachen. So waren zum Beispiel nicht selten Schlagzeilen zu lesen wie „Nur vier deutsche Hochschulen in der globalen Uni-Elite“ oder „Elf deutsche Universitäten weltweit in den Top 200“.197 Sowohl die Öffentlichkeitsarbeit der Universitäten als auch manche Medien stabilisierten daher die oben beschriebene Form der Konkurrenz um Prestige, in der die Urheber von Rankings als intermediäre Dritte auftraten. Ein besonders prägnantes Beispiel für den vorrangig interessengeleiteten Umgang mit Rankings gibt Dieter Lenzen, der von 2003 bis 2010 als Präsident der FU Berlin amtierte und anschließend die Leitung der Universität Hamburg übernahm. In Lenzens Amtszeit veröffentlichte die Freie Universität ein „Meta-Ranking“, das die Ergebnisse der Rankings des CHE, der Times Higher Education, der DFG, des Focus und der Alexander von Humboldt-Stiftung zusammenstellte. Das Ergebnis sollte zeigen, dass die FU zu den besten zehn Universitäten in Deutschland zähle und zusammen mit der LMU München und Heidelberg die meisten Top-10-Platzierungen erzielt hatte.198 Nach Lenzens Wechsel zur Universität Hamburg änderte sich seine nach außen vertretene Position radikal. In einem Vortrag vor dem Wissenschaftsrat im Jahr 2012 referierte er zustimmend so gut wie alle gängigen methodischen Einwände gegen Rankings und konstatierte: „Veröffentlichte Ratings, besonders wenn sie mit Belohnungsversprechen wie Reputationsgewinn oder zusätzliche Mittelausschüttungen […] verbunden sind, produzieren mittelfristig eine Scheinwirklichkeit und eine Fokussierung auf einen Typus von Mainstreamwissenschaft, bei dem die Sicherheit am größten ist, erfolgreich zu sein“.199 Im selben Jahr verkündete die Universität Hamburg ihren Ausstieg aus allen Rankings und begründete dies mit einem zu hohen Verwaltungsaufwand, methodischen Mängeln und daraus resultierenden Verzerrungen bei der Studienortwahl und bei der Mittelvergabe.200 Dies sollte allerdings nicht die letzte Wandlung bleiben, denn 2016, gegen Ende seiner ersten Amtszeit als Präsident in Hamburg, präsentierte Lenzen ein „Meta-Ranking“, wiederum zusammengestellt aus mehreren veröffentlichten Ranglisten. Unter seiner Leitung sei die Universität von Platz 16 im deutschen Vergleich auf Platz 9 aufgestiegen.201 Die Entscheidung des Präsidiums der Universität Hamburg, Rankings grundsätzlich zu boykottieren, war keineswegs präzedenzlos. Vielmehr verweigerte seit 2009 eine ganze Reihe von Fachbereichen und Universitäten eine Teilnahme an den Erhebungen des CHE. So beschloss das Rektorat der Universität Bonn, keine Daten mehr an das CHE zu liefern, und begründete dies mit seiner Kritik an der Methode und an einzelnen Bewertungskriterien wie etwa dem Publikationsvolumen. Es forderte au197 O. A. (2009); o. A. (2008). Der Befund sollte allerdings nicht verallgemeinert werden, die Frankfurter Allgemeine Zeitung z. B. berichtete fast ausschließlich kritisch über Rankings, vgl. unter anderem FAZ, 21.8.2012. 198 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2007), S. 11 f.; o. A. (2004). 199 Lenzen (2016), S. 6. 200 Vgl. Karschnick (2012); Universität Hamburg (2012b); Universität Hamburg (2012a). 201 Vgl. Spiewak (2016); Hollenstein (2016).
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ßerdem, bei der Darstellung der Ergebnisse auf das Ampel-System zu verzichten, das die schlechteste Ranggruppe mit einer roten Markierung versah. Unterfüttert wurden die Einwände durch Argumente des universitätseigenen Zentrums für Evaluation und Methoden.202 Diesem Beispiel folgte unter anderem das Rektorat der Universität zu Köln mit ähnlichen Argumenten und im Einvernehmen mit dem Senat.203 Auch die wissenschaftlichen Fachverbände für Geschichtswissenschaft, Soziologie, Erziehungswissenschaft und Chemie verweigerten ihre Teilnahme und appellierten an andere, es ihnen gleich zu tun.204 Die Deutsche Gesellschaft für Soziologie berief sich dabei auf ihre „besondere Kompetenz“ und urteilte, dass das Vorgehen des CHE „grundlegenden Qualitätsanforderungen der empirischen Sozialforschung nicht entspricht“. Sie untermauerte dies durch eine ausführliche Methodenkritik, auf die sich auch die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft und die Gesellschaft Deutscher Chemiker beriefen.205 Der Verweis auf die eigene wissenschaftliche Autorität wurde durch die Beteuerung flankiert, man wehre sich nicht gegen Leistungsbewertungen per se, was nur zeigt, welche argumentativen Schwierigkeiten eine öffentliche Stellungnahme gegen Rankings mit sich brachte. Schnell konnte man sich dem Vorwurf ausgesetzt sehen, eine unabhängige Bewertung und den Vergleich mit anderen aus Furcht vor schlechten Ergebnissen zu scheuen. Dass sich zum Beispiel die Leitungen der Universitäten Bonn und Köln zu einem Boykott von Rankings entschlossen, dürfte auch mit ihrem schlechten Abschneiden in der Beurteilung der Lehrangebote zusammenhängen.206 Der Kölner Rektor äußerte gegenüber einer Zeitung, für die Beteiligten sei es „ein permanenter Frust, immer nur diesen Kübel voller roter Punkte zu kriegen“.207 Während die gut Platzierten Rankings in der Regel bereitwillig als wertvolle Ressource in der Konkurrenz um Prestige nutzten, sahen die Schlusslichter Anlass, Kritik zu artikulieren.208 Gegen die meisten Rankings konnten die Hochschulen schon deshalb nichts unternehmen, weil diese sich mit Daten aus der Hochschulstatistik und aus eigens durchgeführten Umfragen begnügten. Das CHE hingegen war mit seinem relativ elaborierten Ansatz auf die Kooperation der Universitäten angewiesen, um die nötigen
202 Vgl. Frankfurter Rundschau, 9.12.2009, S. 13; Rudinger (2010); Rudinger/Hilger (2011), S. 95. 203 Vgl. Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 2.6.2010, S. 4; Kölner Stadtanzeiger, 3.5.2011. 204 Vgl. Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (2009); Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (2012); Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2012); Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (2015); Gesellschaft Deutscher Chemiker (2012). 205 Vgl. Deutsche Gesellschaft für Soziologie (2012), Zitate auf S. 6. 206 Die Ergebnisse des CHE-Rankings von 2007 wurden in Köln als sehr schlecht wahrgenommen, vgl. Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 16.5.2007, S. 2. Für Bonn vgl. Frankfurter Rundschau, 9.12.2009, S. 13. 207 Kölner Stadtanzeiger, 3.5.2011. 208 Darauf, dass die Verlierer eines Wettbewerbs dazu tendieren, dessen Legitimität zu bezweifeln, verweist Hölkeskamp (2014), S. 44 f. Vgl. außerdem Mau (2017), S. 77.
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Zahlen zu erhalten. Dass sich deutlicher Widerstand trotzdem erst nach über zehn Jahren regte, dürfte vor allem damit zu erklären sein, dass ein Boykott mit erheblichen Risiken verbunden war. Neben dem bereits erwähnten Ansehensverlust drohten den sich verweigernden Hochschulen erhebliche Nachteile in der Konkurrenz um Studierende.209 Dies musste die TU Dresden erfahren, die sich an der Erhebung zum ersten CHE-Ranking von 1998 nicht beteiligte, um nicht „[a]nderen bei der Produktion, Publikation und Vermarktung von Platitüden zuzuarbeiten und ihnen ihr Geschäft zu erleichtern“. Der veröffentlichte Studienführer erwähnte dies allerdings nicht explizit, so dass der Eindruck entstehen konnte, die bewerteten Studiengänge existierten in Dresden nicht.210 Auch der später übliche Vermerk, dass die betroffenen Fachbereiche die Lieferung von Daten verweigert hätten, dürfte als erhebliches Risiko wahrgenommen worden sein. Erst wenn eine ganze Reihe von Fakultäten dem Konkurrenzdruck trotzte und die Beteiligung verweigerte, wie es in den Jahren ab 2009 der Fall war, konnte dies die individuelle Entscheidung zum Boykott erleichtern. Die Boykott-Aufrufe der Fachgesellschaften führten dazu, dass sich in den folgenden Jahren eine größere Zahl an Fakultäten dem Ranking verweigerte.211 Das CHE hatte daher mit einer löchrigen Datengrundlage zu kämpfen und musste seine Rolle als legitimer Dritter im interuniversitären Wettbewerb unterminiert sehen.
209 Derartige Bedenken wurden z. B. im Senat der Universität zu Köln diskutiert, vgl. Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 2.6.2010, S. 4. 210 DUZ, no. 15–16 (1998), S. 22. 211 Für eine detaillierte Zusammenstellung der boykottierenden Universitäten und Fakultäten vgl. Iost (2018).
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VI. Der globale „Kampf um die klügsten Köpfe“
Kaum ein Thema bestimmte die politischen Debatten der 1990er Jahre so sehr wie die Globalisierung.1 Mit dem Ende der Systemkonfrontation und dem Fortschritt in den Kommunikationstechnologien verdichtete sich die internationale wirtschaftliche Verflechtung. Der Aufstieg neuer Konkurrenten, vor allem in Ost- und Südostasien, schürte in der Bundesrepublik Ängste vor einem Verlust der führenden Stellung auf den Weltmärkten. Als im Jahr 1992 die Kosten der Wiedervereinigung immer deutlicher wurden und eine wirtschaftliche Rezession eintrat, entspann sich eine anhaltende Diskussion über die Bedrohung des „Wirtschaftsstandorts“ Deutschland, an der sich Politiker, Ökonomen und Interessenvertreter beteiligten. Im Zuge dieser Debatte wurde der Standortbegriff auf ganze Volkswirtschaften übertragen, die nun als Konkurrenten in einem globalen Wettbewerb nationaler Wirtschaftsstandorte erschienen. Als Aufgabe der Politik galt es, günstige Rahmenbedingungen für Investitionen und international agierende Unternehmen zu schaffen. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Ländern bildete sich ein breiter Konsens unter den Ökonomen heraus, dass das im Vergleich zu den USA niedrige Wirtschaftswachstum seine Ursachen einerseits in hoher Steuerlast und inflexiblen Arbeitsmärkten, andererseits in einem Rückstand in Forschung und Technologie habe. Der Wissenschafts- und Bildungssektor rückte daher als Schrittmacher wirtschaftlicher „Innovationen“ und entscheidender Faktor in der „wissensbasierten Wirtschaft“ in den Fokus der politischen Debatten. Im Kontext der Standortdebatte registrierten Wissenschaftspolitiker und Journalisten gegen Mitte der 1990er Jahre Anzeichen für einen drohenden „brain drain“, da junge Wissenschaftler angeblich in zunehmendem Maße Karrieremöglichkeiten im Ausland suchten und so der deutschen Wirtschaft abhanden kämen. Zudem rangiere der „Studienstandort“ Deutschland in der Gunst internationaler Studierender deutlich hinter anderen Ländern wie den USA und Großbritannien. Als Antwort auf dieses Bedrohungsszenario suchten die Regierungen von Bund und Ländern, der DAAD sowie die HRK nach Wegen, die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hochschulsys-
1 Zum Folgenden vgl. Meteling (2014); Meteling (2016); Wirsching (2012), S. 234–237; Rodrigues (2003).
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tems zu steigern und die deutschen Hochschulen zu Akteuren in der globalen Konkurrenz um Studierende und Wissenschaftler zu machen (Abschnitt 1). Im internationalen „Kampf um die klügsten Köpfe“ orientierten sich die entscheidenden Akteure vor allem an den als führend wahrgenommenen angloamerikanischen Universitäten und versuchten, einzelne Strukturelemente wie die Bachelor- und Masterstudiengänge, ein strukturiertes Promotionsstudium und berechenbare Karrierewege für den wissenschaftlichen Nachwuchs zu übernehmen (2). Bereits seit den 1970er Jahren trieb die Sorge um einen technologischen Rückstand der heimischen Wirtschaft vor allem gegenüber den USA die Entwicklung einer europäischen Forschungspolitik voran, die mit der Lissabon-Strategie der EU einen neuen Schub erhielt. Das Ziel, Europa „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“2, ließ die Wissenschaft in den Fokus der EU rücken, die zunehmend die Rolle eines Dritten übernahm (3). 1. Sorgen um den „Wissenschaftsstandort“ Deutschland Im Februar 1996 berichtete Hans-Uwe Erichsen den HRK-Mitgliedern über die Aktivitäten des Verbands im vergangenen Jahr. Seinen Vortrag stellte er in Anlehnung an die öffentliche Debatte über die Konkurrenzfähigkeit des „Wirtschaftsstandorts Deutschland“3 unter den Titel „Hochschulstandort Deutschland“. Laut Erichsen deuteten Berichte der deutschen Auslandsvertretungen, der Austauschorganisationen und von Einzelpersonen darauf hin, dass die „Attraktivität Deutschlands als Ort des Studiums und der Forschung für Ausländer“ nachlasse. Die Spitze der HRK habe sich daher mit dem deutschen Außenminister Klaus Kinkel beraten und man sei zu dem Schluss gekommen, „daß Staat und Hochschulen gefordert sind, noch mehr als in der Vergangenheit zu tun, um die Wettbewerbsfähigkeit mit Hochschulen anderer Staaten im Hinblick auf die Anziehungskraft für Ausländer zu wahren, wiederzugewinnen und zu steigern“.4 Bereits im November 1995 hatte die BLK einen Arbeitskreis zum Thema „Steigerung der Attraktivität der deutschen Hochschulen für den ausländischen wissenschaftlichen Nachwuchs“ eingerichtet.5 Außenminister Kinkel und der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie Jürgen Rüttgers präsentierten im Mai 1996 ein Bündel von Maßnahmen, um die Anziehungskraft der deutschen Hochschulen zu steigern, was von den Landesregierungen allerdings als Kompetenzüberschreitung zurückgewiesen wurde.6 Handlungsbedarf sahen jedoch 2 Europäischer Rat, 23. und 24.3.2000, Lissabon, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Internetquelle 2). 3 Vgl. Meteling (2014); Meteling (2016); Jarausch (2008). 4 Erichsen (1996), S. 26. 5 Vgl. Erichsen (1996), S. 26; BLK (1996), S. 39 f. 6 Vgl. Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47; SZ, 25.5.1996, S. 6; Müller-Böling (2000), S. 212.
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auch die Regierungschefs der Länder, die sich Ende 1996 mit der Bundesregierung auf ein gemeinsames Vorgehen einigten.7 Dieser Einschätzung schlossen sich weitere wissenschaftspolitische Akteure an. Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft veranstaltete im Jahr 1996 eine Tagung unter dem Titel „Sind die deutschen Hochschulen international wettbewerbsfähig?“ und präsentierte dort ein Papier, demzufolge Deutschland „hinsichtlich des Austauschs von Nachwuchswissenschaftlern tendenziell von einem Import- zu einem Exportland geworden“ sei.8 Der Vorsitzende des DAAD Theodor Berchem stellte auf derselben Konferenz fest, die Bundesrepublik befinde sich lediglich im Mittelfeld vergleichbarer Länder, was den Anteil ausländischer Studierender angehe, und appellierte daher: „Unser Ehrgeiz aber muß es sein, wieder zur Spitzengruppe der Wissenschaftsadressen zu zählen, und lebensnotwendig für eine Exportnation ist das obendrein“. Wichtig sei insbesondere die „Qualität der Ausländer, die an unsere Hochschulen kommen“: Aus verschiedenen Gründen – wissenschaftlichen wie wirtschaftlichen – muß uns daran gelegen sein, die Spitzengruppe der weltweit Bestqualifizierten und derjenigen mit dem höchsten intellektuellen Potential an unsere Hochschulen zu ziehen.9
Um die mangelnde Attraktivität der deutschen Hochschulen zu belegen, verwiesen HRK und Auswärtiges Amt unter anderem darauf, dass Studierende aus „den Wachstumsregionen des asiatisch-pazifischen Raums“ bevorzugt in die USA gingen.10 Der Anteil der ausländischen Studierenden in Deutschland stagniere seit Jahren und betrage nur 4,1 Prozent, wenn man die sogenannten „Bildungsinländer“ abziehe, die bereits ihre Hochschulzugangsberechtigung in Deutschland erworben hatten.11 Was die Ursachen anging, waren sich HRK, Außenminister, Bundesbildungsminister sowie die Bundes- und Landesregierungen weitgehend einig.12 Deutschland biete „keine international konkurrenzfähigen Studienangebote“ für diejenigen, die nach einem 7 Vgl. Gemeinsame Erklärung der Regierungschefs von Bund und Ländern zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland, Bonn, den 18.12.1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 49 f.; S. 3. 8 Kaske (1997), S. 11. 9 Berchem (1997), S. 127 f. 10 HRK (1997a), S. 186; vgl. Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 42; vgl. außerdem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (1997), S. 5. 11 Vgl. Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 42; HRK (1997a), S. 185. Aus der amtlichen Hochschulstatistik ließ sich das angebliche Absinken der Attraktivität des „Studienstandorts“ allerdings nicht folgern. Die Zahl der ausländischen Studierenden und auch (soweit die amtliche Statistik Aussagen darüber zulässt) der Bildungsausländer stieg in den 1980er und frühen 1990er Jahren stetig an. S. u. Abschn. 3. 12 Vgl. zum Folgenden Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47; Gemeinsame Erklärung der Regierungschefs
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Bachelorabschluss im Heimatland einen zweiten Abschluss oder eine Promotion im Ausland anstrebten, da das deutsche Studiensystem vom „angelsächsischen Standard“ abweiche, an dem sich auch die asiatischen Länder orientierten.13 Die Anerkennung ausländischer Abschlüsse erfolge in Deutschland uneinheitlich, die Bewerber würden oft in zu niedrige Fachsemester eingestuft und hätten so mit langen Studienzeiten zu rechnen. Probleme ergäben sich zudem aus einer unzureichenden Strukturierung des Studiums, mangelnder Betreuung und den Schwierigkeiten des Spracherwerbs. Außerdem müsse mehr „Marketing und Information im Ausland“ für deutsche Studienangebote betrieben werden.14 Hindernisse entstünden zudem durch restriktive ausländerrechtliche Regelungen. Drehte sich die Debatte zunächst vor allem um die mangelnde Attraktivität Deutschlands für ausländische Studieninteressierte, so beschäftigte bald auch die angebliche Abwanderung von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen ins Ausland, der sog. „brain drain“, Politik und Medien.15 Der Ausdruck war bereits in den 1960er Jahren geläufig, als sich Wissenschaftspolitiker in der Bundesrepublik mit einem ähnlichen Problem konfrontiert sahen.16 Für die mangelnde Attraktivität des deutschen Hochschulsystems wurde nun – wie bereits vor vier Jahrzehnten – in erster Linie die Personalstruktur verantwortlich gemacht. Angesichts der langen Qualifikationsdauer und des hohen Erstberufungsalters seien die Karriereaussichten für den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Bundesrepublik vergleichsweise ungünstig. Erst sehr spät könnten die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen eigenständig forschen. Zudem seien die Regelungen zur Besoldung ungeeignet, um die „besten Köpfe“ zu gewinnen.17 US-amerikanische Universitäten könnten hingegen mit ihrem Renommee und einer besseren finanziellen Ausstattung aufwarten.18 Die Debatte wurde auch von Akteuren wie dem Stifterverband vorangetrieben, um für Reformen im Sinne des Wettbewerbsparadigmas zu werben.19 Die Initiative von Bund und Ländern zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland, Bonn, den 18.12.1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 49 f.; HRK (1997a), S. 187–189 13 Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 41. 14 Gemeinsame Erklärung der Regierungschefs von Bund und Ländern zur Steigerung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland, Bonn, den 18.12.1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 49 f., hier S. 50. 15 Vgl. z. B. Buechtemann (2001b), S. 3; FAZ, 27.2.2001; Spiewak (2001); SZ, 23.10.2001, S. 18; Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (2002); DUZ, no. 7 (2002), S. 24. 16 Vgl. Paulus (2010), S. 320–335; Rohstock (2010), S. 23–25; Waßer (2016), S. 207–210. Zur damaligen Diskussion vgl. exemplarisch Müller-Daehn (1967); Rose (1965); Mörser (1964). Bildungsökonomen nahmen diese Debatte zum Anlass, basierend auf dem Human-Capital-Ansatz die volkswirtschaftlichen Schäden und Gewinne durch die Migration von Fachkräften abzuschätzen. Diese Ansätze spielten allerdings nach dem Bedeutungsverlust der Bildungsökonomie keine große Rolle mehr. Vgl. Olver/Winkler (1989), S. 169 f. 17 Vgl. z. B. die Ausführungen des zuständigen Referatsleiters im BMBW: Schüller (2002). 18 Vgl. z. B. Winnacker (2003), S. 40. 19 Der Stifterverband gab z. B. eine Studie zum „brain drain“ in Auftrag, vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (2002).
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Neue Soziale Marktwirtschaft, eine vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete PR-Organisation, und die Frankfurter Allgemeine Zeitung ließen zum Beispiel ein Thesenpapier erarbeiten, das vor einer Bedrohung der „Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit“ durch die Abwanderung von Forschern warnte. Um diese Tendenz umzukehren, rieten die Unterzeichner, unter ihnen Vertreter von Wissenschaftsrat, Alexander von Humboldt-Stiftung, DAAD und Hochschulverband, zu mehr „Autonomie und Wettbewerb“ im Hochschulbereich. Deutschland müsse sich „zu Eliten bekennen“ und „[a]ttraktive Rahmenbedingungen für Spitzenkräfte“ schaffen.20 Politiker, aber auch die Spitzen von HRK und DAAD problematisierten die mangelnde Attraktivität des deutschen Hochschulsystems in erster Linie unter ökonomischen Gesichtspunkten. Seit sich im Jahr 1992 die wirtschaftliche Lage verschlechtert hatte, debattierte die deutsche Öffentlichkeit über die internationale Wettbewerbsfähigkeit des „Wirtschaftsstandortes“.21 Als Hauptgrund für die ausgemachten Probleme galt angebotsökonomisch orientierten Wirtschaftswissenschaftlern und marktliberalen Politikern zwar die Höhe der Lohnkosten im internationalen Vergleich, doch schrieben sie auch wissenschaftlichen Innovationen eine große Bedeutung für die ökonomische Entwicklung zu. Manfred Erhardt, vormaliger Berliner Wissenschaftssenator und seit 1996 Generalsekretär des Stifterverbandes, fasste die geläufige Ansicht in den Worten zusammen: Von der Güte der Forschung und der Qualität der Ausbildung hängt der Wirtschaftsstandort Deutschland ab. Nur mit innovativen Produkten und Dienstleistungen sind wir überlebensfähig, und dafür brauchen wir exzellente Forschung und engagierte Mitarbeiter.22
Zudem häuften sich angesichts des Rückgangs der Studierendenzahlen in manchen naturwissenschaftlichen und technischen Fächern die Klagen über einen drohenden Mangel an Fachkräften. Da der Personalbedarf der Wirtschaft vorerst nicht alleine durch die einheimischen Studierenden zu decken war, kam der internationalen Attraktivität der deutschen Hochschulen aus dieser Perspektive eine gewichtige Rolle zu.23 Außerdem, so zum Beispiel Kinkel und Rüttgers, bringe es Vorteile, wenn „ein Teil des Nachwuchses für Führungspositionen in wichtigen Partnerländern aufgrund persönlicher Studienerfahrungen im späteren Berufsleben mit Deutschland vertraut und gegenüber Deutschland aufgeschlossen“ sei.24
20 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.8.2004, S. 33. 21 Vgl. Meteling (2014); Meteling (2016); Jarausch (2008). 22 DUZ, no. 15–16 (1996), S. 14–15. 23 Vgl. z. B. Der Spiegel, 31.8.1998, S. 100–103; Hauch-Fleck/Niejahr (2000); SZ, 22.3.2001, S. 25. 24 Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 41. Vgl. auch Kaske (1997), S. 12. Dieses Argument für die Förderung des Ausländerstudiums kursierte bereits bevor die Attraktivitätsdebatte einsetzte, vgl. Wissenschaftsrat (1992c), S. 48; Probleme der Hochschulpolitik im Bereich der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere
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Die Debatte ging von einem globalen Wettbewerb zwischen nationalen „Wirtschaftsstandorten“ aus. Das wissenschaftliche Potenzial eines Landes galt als entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Indem sie das Modell eines Wettbewerbs zwischen nationalen Standorten auf den Wissenschaftsbereich übertrugen, konstruierten sie zudem eine Konkurrenz der „Wissenschaftsstandorte“ um Studierende und Forscher. Aus dieser Perspektive bestand die Aufgabe der Wissenschaftspolitik darin, günstige Rahmenbedingungen zu schaffen, um die eigenen Hochschulen als wettbewerbsfähige Akteure auf dem globalen „Bildungsmarkt“ zu positionieren.25 Diesen Markt dominierten, so die Auffassung der Regierungschefs von Bund und Länder wie auch der HRK, die USA, Großbritannien, Australien, die Niederlande sowie Japan, während Deutschland „als Konkurrent kaum eine Rolle“ spiele.26 Was die damaligen Akteure als Entstehung eines globalen „Marktes“ deuteten, war eine qualitative wie quantitative Veränderung in den Mustern internationaler Bildungsmigration seit den 1990er Jahren. Hatten 1975 weltweit etwa 0,6 Millionen Personen im Ausland studiert, so waren es im Jahr 1985 0,9 Millionen und im Jahr 1995 1,3 Millionen. In der Folgezeit beschleunigte sich diese Entwicklung, so dass im Jahr 2000 bereits 1,8 Millionen, im Jahr 2005 2,7 Millionen Studierende an ausländischen Hochschulen eingeschrieben waren.27 Als treibende Kraft wirkte dabei auch die EU, die seit ihrem „Aktionsprogramm im Bildungsbereich“ von 1976 den internationalen Austausch von Studierenden und die wechselseitige Anerkennung von Studienleistungen und Abschlüssen förderte. Im Rahmen des 1987 beschlossenen ERASMUS-Programms studierten 1994/1995 73 000 junge Europäer und Europäerinnen im Ausland, 2004/2005 waren es bereits 144 000. Ziel dieser Politik war es, einerseits die Entstehung einer europäischen Identität in der Bevölkerung zu fördern, andererseits ein Potenzial an Arbeitskräften mit Auslandserfahrung zu schaffen und so über den Weg der Kooperation die Wettbewerbsfähigkeit Europas auf den Weltmärkten zu stärken.28 Gegen Ende des 20. Jahrhunderts bildete sich ein neues, polarisiertes System globaler Bildungsmigration heraus. Zu den Regionen, die eine negative Wanderungsbilanz aufwiesen, zählten vor allem die ostasiader Förderung der Mobilität von Studierenden und Wissenschaftlern, Deutscher Bundestag Drs. 10/5819, S. 1 f. 25 Der Begriff „Bildungsmarkt“ tauchte z. B. auf in HRK (1997a), S. 188; Huber (1999), S. 5; Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 41. 26 Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 41; vgl. HRK (1997a), S. 188. 27 Vgl. OECD (2007), S. 303. In diesen Zahlen sind auch diejenigen Studierenden enthalten, die zwar nicht die Staatsbürgerschaft des Landes besitzen, in dem sie studieren, dort aber bereits ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben haben. Erst seit Mitte der 2000er Jahre bemühten sich die OECD und die UNESCO, in ihren Statistiken lediglich die Studierenden zu erfassen, die für ein Studium ins Ausland gegangen waren (vgl. Verbik/Lasanowski (2007), S. 4; OECD (2007), S. 298, 301; Teichler (2016), S. 412 f.). 28 Vgl. Corbett (2005), S. 118–148; Bartsch (2009), S. 113 f., 142–144; Barblan (2012), S. 490; Internetquelle 91.
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tischen Länder, in geringerem Maße Lateinamerika und Afrika. In Japan war das Verhältnis zwischen zuziehenden und abwandernden Studierenden in etwa ausgeglichen. Die USA, Großbritannien und Kanada wiederum zogen deutlich mehr junge Menschen an, als von dort in andere Staaten abwanderten. Zu den attraktivsten Ländern zählten neben den angloamerikanischen Staaten aber auch Deutschland und Frankreich.29 Ermöglicht wurde die steigende globale Mobilität durch die Zunahme wohlhabender Eliten in den sogenannten „Entwicklungsländern“, niedrigere Reisekosten sowie durch neue und günstigere Kommunikationstechniken. Ein Studium im Ausland, insbesondere an Universitäten mit hoher wissenschaftlicher Reputation, brachte – auch aufgrund der zunehmenden wirtschaftlichen Verflechtung – Vorteile auf den Arbeitsmärkten. Zudem blieb in einigen Ländern der Ausbau der Hochschulen hinter einer steigenden Nachfrage und dem Bedarf der Wirtschaft an Fachkräften zurück. Aus diesem Grund förderten manche Regierungen, zum Beispiel in China, das Studium ihrer Staatsangehörigen im Ausland. Die Empfängerländer und ihre Hochschulen versprachen sich von diesen Migrationsströmen wiederum qualifizierte Arbeitskräfte und Studiengebühren – sofern sie nicht wie Deutschland auf Gebühren verzichteten.30 Zur Migration von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gab es in den 1990er und 2000er Jahren nur wenige statistische Daten.31 In ihrer Erklärung aus dem Jahr 1996 werteten es die Minister Kinkel und Rüttgers allerdings als Zeichen für die nachlassende Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems, dass sich die Inhaber von EU-Forschungsstipendien häufiger für einen Aufenthalt in Frankreich und Großbritannien als in der Bundesrepublik entschieden. Die Alexander von Humboldt-Stiftung erhielt zudem in der ersten Hälfte der 1990er Jahre immer weniger Bewerbungen aus dem Ausland.32 Eine Studie, die das BMBF unter der Ministerin Edelgard Bulmahn in Auftrag gegeben hatte, kam im Jahr 2001 zu dem Schluss, dass Ende der 1990er Jahre etwa 5 000 Deutsche an amerikanischen Hochschulen, vor allem an den „führenden Forschungsuniversitäten“, und weitere 600 bis 800 an außeruniversitären Instituten tätig waren, was bezogen auf die Zahl promovierter Nachwuchswissenschaftler in Deutschland einer „‚Abwanderungsquote‘ in Höhe von 14 Prozent“ entsprach.33 Immer wieder wurde auf den hohen Anteil ausländischer Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an US-amerikanischen Universitäten verwiesen, um deren überlegene Anziehungskraft herauszustreichen.34 Zwar ließ sich der befürchtete „brain 29 Vgl. Marginson (2006), S. 18 f.; UNESCO Institute for Statistics (2006), S. 130 f. 30 Vgl. OECD (2007), S. 302 f.; Marginson (2006), S. 19 f.; Hahn (2005a), S. 23. 31 Vgl. Lanzendorf et al. (2012), S. 486–488. 32 Vgl. Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 43. 33 Buechtemann (2001a), S. 22 f. 34 Vgl. z. B. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.8.2004, S. 33; Winnacker (2003), S. 36. Der Bericht von Bund und Ländern über die Maßnahmen zur Steigerung der internationalen Attraktivität von 1999 verglich den Anteil von Ausländerinnen und Ausländern an den Promotionen zwischen Deutschland und den USA.
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drain“ quantitativ nicht hinreichend belegen, wie eine vom Stifterverband veranlasste Studie des CHE aus dem Jahr 2002 feststellte35, doch tat dieser Umstand der Debatte keinen Abbruch, was aber auch daran lag, dass die Sorgen nicht einem massenweisen Exodus des wissenschaftlichen Personals, sondern der „Elite“, den „kreativsten Forscher“ galten.36 Inwiefern die internationale Mobilität besonders ausgewiesener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gegenüber den vorangegangenen Jahrzehnten tatsächlich zugenommen hatte, ist kaum festzustellen. Dass es sich nicht um ein neues Phänomen handelte, zeigt allerdings die Diskussion der 1960er Jahre. Schon damals schienen die deutschen Forschungseinrichtungen und das deutsche Wissenschaftssystem im Ganzen in einem internationalen Wettbewerb um wissenschaftliches Spitzenpersonal zu stehen. In den Debatten der folgenden Jahrzehnte spielte das Thema jedoch keine bestimmende Rolle. Erst wieder ab Mitte der 1990er Jahre verstärkte sich in Deutschland die Wahrnehmung internationaler Konkurrenz im Zuge der Standortdebatte erheblich, wie auch die Maßnahmen, die sich als Konkurrenzverhalten begreifen lassen, eine neue Dimension erreichten. Dazu trug nicht zuletzt die wechselseitige Wahrnehmung der nationalen Akteure bei. So beobachtete der Vizepräsident des DAAD und „Bundesbeauftragte für das Hochschulmarketing im Ausland“, Max G. Huber, seitens anderer Länder eine „oftmals geradezu aggressive Wettbewerbspolitik“.37 Eine vom DAAD in Auftrag gegebene Studie des CHE verwies darauf, dass in Großbritannien und Australien infolge neu geregelter Studiengebühren und anderen Maßnahmen gezielt ein Anreiz zur Gewinnung ausländischer Studierender geschaffen worden sei.38 Auch legten neben Deutschland seit dem Ende der 1990er Jahre weitere Staaten, so etwa Großbritannien, Australien und Kanada, aus Furcht vor einem „brain drain“ Programme auf, um besonders erfolgreiche Wissenschaftler im Land zu halten bzw. zurückzugewinnen.39 Die in der Wissenschaftspolitik verbreitete Auffassung, dass sich auf verschiedenen Ebenen ein globaler Wettbewerb zwischen Universitäten verschärfe, in dem Deutschland ins Hintertreffen zu geraten drohe, erhielt in den 2000er Jahren eine scheinbare Bestätigung durch internationale Hochschulrankings. Derartige Ranglisten, die in den Jahren ab 2003 von verschiedenen Organisationen veröffentlicht wurden, erzeugten bei der Bundesministerin für Bildung und Forschung und anderen einflussreichen 35 Vgl. Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft (2002), S. 1 f. Noch im Jahr 2016 waren quantitative Aussagen zur internationalen Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern nur sehr eingeschränkt möglich, vgl. DAAD/Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (2016), S. 100–104. 36 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.8.2004, S. 33; SZ, 22./23./24.4.2000, S. V1/1; vgl. auch Buechtemann (2001b), S. 5; Laudel (2005), S. 377 f. Laudel versuchte in ihrer Studie solche Migrationsbewegungen am Beispiel zweier Fächer quantitativ nachzuweisen, gelangte allerdings zu einer sehr zurückhaltenden Bewertung, vgl. ebd., S. 386, 392. 37 Vgl. Huber (1999). 38 Vgl. CHE/DAAD (2001), S. 6, 38. 39 Vgl. Laudel (2005), S. 377 f.
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Akteuren den Eindruck, dass die Bundesrepublik „Eliteuniversitäten“ herausbilden müsse, um in dieser Konkurrenzsituation zu bestehen. Auf diese Entwicklungen wird in Kapitel VII näher einzugehen sein. Daneben unterfütterten diese Rankings sowohl den Trend zum Auslandsstudium als auch die Wahrnehmung einer internationalen Konkurrenz der Hochschulen, da sie das Bild kosmopolitischer Studierender transportierten, die weltweit nach den besten Ausbildungsmöglichkeiten suchten und sich dabei allein an dem universellen Kriterium der Exzellenz orientierten.40 Im Zuge der Debatte über den „Wissenschaftsstandort“ vollzog sich ein Wahrnehmungswandel in der Wissenschaftspolitik und an den Hochschulen. Ausländische Studierende und Wissenschaftler wurden nun als ‚knappes Gut‘ betrachtet, um das es in Konkurrenz mit den Universitäten anderer Länder zu werben gelte. Eine solche Auffassung war zuvor an den deutschen Hochschulen allenfalls punktuell vorhanden gewesen – vor allem in Bezug auf den Wettbewerb um Professoren in naturwissenschaftlichen Fächern.41 An keiner der hier betrachteten Universitäten hatten die Hochschulleitungen und Gremien der internationalen Attraktivität in den 1980er Jahren besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Die Maßnahmen der zuständigen Bundesministerien, der Landesregierungen sowie der Austauschorganisationen DAAD und Alexander von Humboldt-Stiftung seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zielten nicht zuletzt darauf, dass sich die Universitäten verstärkt bzw. überhaupt erst als Wettbewerber in internationalen Konkurrenzverhältnissen begriffen. Bund und Länder setzten finanzielle Anreize, indem sie entsprechende Förderprogramme aufstockten oder neu auflegten. Die meisten Länder nahmen zudem Indikatoren zur Internationalisierung in ihre „leistungsorientierten Mittelverteilung“ auf.42 Dadurch wurden zwei Konkurrenzverhältnisse miteinander verschränkt, da Erfolg im Wettbewerb um internationale Studierende und Wissenschaftler als zusätzliches Kriterium für die Verteilung der Grundfinanzierung diente. Internationalität wurde nun zunehmend als Ausweis wissenschaftlicher „Exzellenz“ gehandelt.43 In Reaktion auf den politischen Druck begriffen die Hochschulleitungen die „Internationalisierung“ ihrer Universitäten als wichtige Aufgabe.44 Die Bedeutung des Themas schlug sich auch darin nieder, 40 Vgl. Brankovic et al. (2018), S. 278. 41 Vgl. Waßer (2016), S. 207–210. 42 Der Präsident der Universität Oldenburg stieß z. B. im Jahr 2005 Überlegungen zu einer „neuen Partnerschaftspolitik“ an, die darauf abzielen sollte, mehr internationale Studierende und Humboldt-Stipendiaten zu gewinnen. Er verwies darauf, dass dies „indikatorwirksam“ sei. Vgl. UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Präsidiums am 5.6.2005. 43 Vgl. Bloch et al. (2016), S. 736–739. 44 So konstatierte z. B. die zuständige Vizepräsidentin der Universität Oldenburg im Jahr 2001 Handlungsbedarf, da die Internationalisierung eine „hohe politische Priorität“ erreicht habe, in Oldenburg allerdings „keine nennenswerten Erfolge“ vorgewiesen werden könnten, vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 20. Sitzung des 14. Senats am 31.1.2001, S. 4. Zu den Internationalisierungsbemühungen vgl. Pabst (2006), S. 675, 691–692; TU München, Strukturplan der Technischen Universität München, 1.9.1995, S. 5; Gespräch mit Prof. Dr. Otto Meitinger am 21.4.2016; TU München (1997a), S. 37 f.; FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 16.12.2008 (Internetquelle 89), S. 1; Universität zu Köln (2015), S. 8; Das Rektorat der Universität zu Köln, Leitlinien zur Internationalisierung der Universität zu Köln, [2008]; Universität Bielefeld, Das
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dass neue Prorektorate für internationale Angelegenheiten geschaffen wurden.45 Um den Kurs einer kompetitiven Internationalisierung innerhalb der Universitäten durchzusetzen, gaben die Hochschulleitungen die finanziellen Anreize intern weiter und verpflichteten die Fakultäten und Fachbereiche über Zielvereinbarungen zum Beispiel zu mehr englischsprachigen Publikationen oder zur Förderung des Studentenaustausches.46 Wettbewerbsorientierte Hochschulleitungen entwickelten die Ambition, ihren Universitäten durch gezielte Internationalisierungsbemühungen eine herausragende Reputation zu verschaffen. So konstatierte zum Beispiel der Präsident der FU Berlin im Jahr 2001, Auslandsreisen mehrerer Präsidiumsmitglieder hätten gezeigt, „dass die FU sich im Interesse von Profil und Wettbewerbsfähigkeit nachdrücklich um stärkere Internationalität bemühen muss, wenn sie auch weiterhin international eine ‚erste Geige‘ spielen soll“.47 2. Kompetitive „Internationalisierung“ Der globale Wettbewerb um die „klügsten Köpfe“ drehte sich um international mobile Wissenschaftler und Studierende als neue Prämie. Diese spielten zugleich aber auch die Rolle der Dritten, die selbst entschieden, welche Universitäten ihnen die besten Arbeits- bzw. Ausbildungsmöglichkeiten boten. Der neue Wettbewerb lässt sich mit Tobias Werron als Konkurrenz um ein Publikum verstehen, in der sich sowohl das Feld der Konkurrenten als auch das umworbene Publikum erst in der medialen Öffentlichkeit konstituierten.48 Da es nämlich für die Universitäten als Konkurrenten unmöglich war, über die Präferenzen aller Studieninteressierten und Wissenschaftler im Detail informiert zu sein, orientierten sie sich vor allem an den öffentlichen Diskussionen über den „brain drain“. Dabei lag es nahe, sich die erfolgreiche Wettbewerber, die als führend geltenden US-amerikanischen und britischen „Spitzenuniversitäten“, zum Vorbild zu nehmen. Zu dieser Tendenz trugen internationale Hochschulrankings bei, denen die Rolle intermediärer Dritter49 zukam, da sie die Leistungen der Konkurrenten vergleichend Rektorat, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008. Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S. 21; Prorektorin der Universität Bielefeld für Internationales und Kommunikation (2012); Prorektorin der Universität Bielefeld für Internationales und Kommunikation ([Ende 2011 / Anfang 2012]); Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; UOL Altregistratur, Protokoll der Sitzung des Präsidiums am 5.6.2005; ebd., Akademisches Auslandsamt, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 5.7.2005. Internationalisierung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 1.7.2005. 45 Vgl. z. B. Universität zu Köln (2015), S. 8; Sagerer (2013), S. 66. 46 Vgl. Herrmann (2005); Weichselbaumer/Ziegele (2001). Ähnlich ging auch das Präsidium der FU Berlin vor, vgl. Präsidium der FU Berlin (2011), S. 115–117. Zur leistungsorientierten Mittelverteilung s. auch Kap. IV.2. Zu den Reaktionen auf Fachbereichsebene vgl. FU Berlin, UA, FBR-Protokolle, Protokoll der 73. Sitzung des Institutsrats der WE 1 des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaft vom 14.11.2001, S. 3. 47 FU Berlin, UA, Präsidium, Kleine Routine, Vorlage des Präsidenten zur Sitzung der Kleinen Routine am 26.3.2001. 48 Vgl. Werron (2011). 49 Vgl. Werron (2015), S. 200; Brankovic et al. (2018), S. 272 f.
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bewerten und für die eigentlichen Dritten, die Wissenschaftler und Studierenden, darstellen. Rankings steckten auf diese Weise das Feld der Konkurrenten ab und hierarchisierten es zugleich. Sie lenkten den Blick nicht nur des Publikums, sondern auch der konkurrierenden Hochschulen auf die Spitzenplätze der Rangliste, die wiederum fast ausschließlich von US-amerikanischen und britischen Universitäten besetzt waren.50 Über die Hauptursachen dafür, dass deutsche Hochschulen nicht attraktiv genug für ausländische Studierende waren, konnte sich die deutsche Wissenschaftspolitik rasch einigen. Die HRK verabschiedete im Jahr 1996 eine Empfehlung mit dem Titel „Attraktivität durch internationale Kompatibilität“, in der darauf verwiesen wurde, dass internationale Studierende mit wachsender Tendenz zunächst einen ersten Studienabschluss im Heimatland erwarben, um dann für ein Aufbaustudium ins Ausland zu gehen. Gerade für diese Gruppe von Bachelor-Absolventen sei das deutsche Studiensystem aber wenig attraktiv.51 Auch Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers und Außenminister Klaus Kinkel sahen ein Problem darin, dass das deutsche Studiensystem vom international vorherrschenden „angelsächsischen Standard“ abwich, der zwei konsekutive Studienabschlüsse, den Bachelor und den Master, vorsehe. Die deutschen Hochschulen, so die beiden Minister, könnten „keine international konkurrenzfähigen Studienangebote für ein weiterführendes Studium mit der Möglichkeit zur Promotion oder einem dem Master vergleichbaren Abschluß“ anbieten.52 Auch Probleme mit der Anerkennung deutscher Studienabschlüsse im Ausland könnten von einem Studium in Deutschland abschrecken.53 Die HRK stellte daher fest: „Der Befund schwindender Attraktivität führt […] folgerichtig zu der Forderung größerer Kompatibilität des deutschen Studiums mit dem angloamerikanischen Studiensystem.“54 Die Diskussion über eine veränderte Studienstruktur war nicht neu. Bereits im Jahr 1960 hatte der Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates Ludwig Raiser ein Konzept entworfen, demzufolge die „normalen Hochschulen“ lediglich eine „Grundausbildung“ anbieten sollten. Einer stark begrenzten Zahl der besten Studierenden sollte ein zwei- bis viersemestriges forschungsorientiertes Studium auf einer „Studienhochschule“ vorbehalten sein. Dies lief tendenziell auf eine Entkoppelung von Forschung und Lehre hinaus und hätte einen Wettbewerb der Universitäten um die Prämie der besten Studierenden entfacht. Einzelne Elemente aus Raisers Vorschlag fanden sich in der 1966 veröffentlichten Empfehlung des Wissen50 Vgl. Mau (2017), S. 88 f. 51 Vgl. HRK (1997a), S. 187. 52 Studienstandort Deutschland attraktiver machen, vorgelegt durch den Bundesminister des Auswärtigen und den Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Mai 1996, in: Deutscher Bundestag, Drs. 13/9999, S. 41–47, hier S. 44. Der Wissenschaftsrat hatte bereits im Jahr 1992 festgehalten, dass Deutschland „von den Standards ab[weiche], die die englischen bzw. angloamerikanischen, aber auch die französischen Bildungssysteme etabliert haben und die in den mit ihnen historisch verbundenen Schwellen- und Entwicklungsländern gelten“ (Wissenschaftsrat (1992c), S. 50). Daraus folgten zu diesem Zeitpunkt allerdings weder eine breitere Debatte noch politische Konsequenzen. 53 Vgl. ebd., S. 41. 54 HRK (1997a), S. 189.
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schaftsrats wieder, ein „Grundstudium“ einzuführen, das in acht Semestern zu einem ersten berufsqualifizierenden Abschluss führen sollte. Nur besonders qualifizierten Absolventen sollte im Anschluss daran ein forschungsorientiertes „Aufbaustudium“ offenstehen.55 In den 1970er und 1980er Jahren drehte sich die Debatte vor allem um Kurzstudiengänge, die von manchen Wissenschaftspolitikern gefordert wurden und auch die Zustimmung des Wissenschaftsrates fanden. Hinter diesen Vorschlägen stand stets die Frage, wie sich die Studienstrukturen an die stark steigenden Studierendenzahlen anpassen ließen, denen kein proportionaler Ausbau des Lehrpersonals gegenüberstand.56 Seit den 1950er Jahren klagten Hochschulvertreter und Wissenschaftspolitiker zudem über eine kontinuierliche Verlängerung der Studiendauer. Forderungen wurden laut, das Studium stärker zu strukturieren, was sich zunächst allerdings nur in der Einführung von Zwischenprüfungen und Vordiplomen niederschlug.57 Initiativen zugunsten gestufter Studiengänge bzw. eines Kurzstudiums waren bis in die 1990er Jahre jedoch am Widerstand der Professorenschaft gescheitert. Viele Hochschullehrer wie auch Wissenschaftspolitiker der SPD und Studierendenvertreter warnten vor einer „Entwissenschaftlichung“, einem Qualitätsverfall der Ausbildung oder einem „Billigstudium“. Bezweifelt wurde zudem, ob Arbeitgeber und Studierende kürzere Studiengänge akzeptieren würden. So lehnte etwa die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände ein Kurzstudium zunächst ab, bevor sie in den 1990er Jahren eine Wende vollzog und sich für die Einführung gestufter Studiengänge aussprach.58 Die Aspekte der internationalen Kompatibilität von Studienabschlüssen und des Hochschulzugangs für ausländische Studierende thematisierte seit den 1970er Jahren die Europäische Kommission. Die Europäische Gemeinschaft förderte neben dem Studierendenaustausch auch die wechselseitige Anerkennung von Diplomen und Studienzeiten, die als Voraussetzung für die länderübergreifende Arbeitnehmerfreizügigkeit und die wirtschaftliche Integration galt. Zunehmend propagierte die Europäische Kommission die Mobilität von Studierenden und akademisch ausgebildeten Arbeitskräften als Mittel, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu steigern.59 In der Debatte um den „Studienstandort“ Deutschland setzten wissenschaftspolitische Akteure somit einen Vorschlag auf die Agenda, der in den vorangegangenen Jahrzehnten bereits in ähnlicher Form diskutiert worden war. Sie verbanden die Forderung nach gestuften Studiengängen jedoch mit einer neuen Begründung – dem globalen Wettbewerb um Studierende und Wissenschaftler –, die einen dringenden Handlungsbedarf suggerierte. Ein Teil der verantwortlichen Wissenschaftspolitiker und -politikerinnen in Bund und Ländern verfolgten mit einer Zweiteilung des Studiums daneben 55 Vgl. Szöllösi-Janze (2011), S. 60–62; Rudloff (2005a), S. 74–77; Turner (2001), S. 129 f. 56 Vgl. Turner (2001), S. 130 f. 57 Vgl. Turner (2001), S. 111 f. 58 Vgl. Turner (2001), S. 130–133; Rudloff (2005a), S. 74–77; Wissenschaftsrat (2000a), S. 6 f. 59 Vgl. Walter (2005), S. 82–120; Corbett (2005), S. 196; Europäische Kommission (1991); Europäische Kommission (1994), S. 143–149; Europäische Kommission (1997).
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aber weiterhin das Ziel, die Finanzprobleme des Hochschulsystems zu lösen, indem die Mehrheit der Studierenden in deutlich kürzerer Zeit zu einem berufsqualifizierenden Abschluss geführt werden sollte.60 Der angebliche Anpassungszwang in einem Konkurrenzverhältnis diente nun als zusätzliches Argument, um durchzusetzen, was bis dahin an der vorherrschenden Haltung in den Hochschulen gescheitert war. In der Kultusministerkonferenz wurde bereits im Jahr 1997 diskutiert, ob das deutsche Studiensystem vollständig auf ein zweistufiges Modell umgestellt werden sollte, worauf sich die Minister jedoch nicht einigen konnten. Zu den Verfechtern von Bachelor und Master zählte insbesondere der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Jürgen Rüttgers, der sich mit bildungspolitischen Vertretern der SPD darauf verständigte, mit der geplanten Novelle des Hochschulrahmengesetzes entsprechende gestufte Studiengänge zur Erprobung zuzulassen.61 Hatte die HRK 1996 zunächst noch dafür plädiert, die Mängel innerhalb des bestehenden Systems zu beheben und dieses „zum anglo-amerikanischen System kompatibler“ zu gestalten, so stellte sie sich bald darauf hinter die Einführung von Bachelor und Master.62 Die rasche Durchsetzung der gestuften Studiengänge wurde insbesondere durch das intergouvernementale Projekt vorangetrieben, das Rüttgers und die Bildungsminister von Frankreich, Italien und Großbritannien im Jahr 1998 anstießen und das in den sogenannten „Bologna-Prozess“ mündete.63 Auf Einladung des französischen Bildungsministers Claude Allègre fanden sich die Vertreter der vier Länder anlässlich der 800-Jahr-Feier der Pariser Sorbonne zusammen und unterzeichneten eine gemeinsame Absichtserklärung. Die Minister bekundeten darin, ihre jeweiligen nationalen Studiensysteme an einem gemeinsamen „Referenzrahmen“ ausrichten zu wollen, um so einen „europäischen Hochschulraum“ zu schaffen. Damit sollten sowohl die Attraktivität der eigenen Hochschulsysteme nach außen gesteigert als auch die Mobilität zwischen den Ländern gefördert werden. Die Erklärung verwies darauf, dass sich auf internationaler Ebene ein System herausbilde, das auf zwei „Studienzyklen“ aufbaue und zwischen „undergraduate“- und „graduate“-Bildung unterscheide.64 Da andere Mitgliedsländer der EU beklagten, dass sich die vier Unterzeichner der Sorbonne-Erklärung nicht mit ihnen abgesprochen hatten, lud der italienische Bildungsminister alle interessierten europäischen Staaten zu einer Konferenz im Juni 1999 nach Bologna ein. Dort bekannten sich 29 Länder zur „Einführung eines Systems leicht verständlicher und vergleichbarer Abschlüsse […] mit dem Ziel, die arbeitsmarktrelevanten
60 Vgl. Turner (2001), S. 140 f.; Wissenschaftsrat (2000a), S. 5; Klemperer et al. (2002), S. 13; Meyer (2015), S. 423; KMK (1997), S. 3 f. 61 Vgl. Bartz (2007), S. 214; Meyer (2015), S. 420–423; Viertes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 20. Agust 1998, in: BGBl. 1998 I, S. 2190–2198, Art. 1 Nr. 18. 62 Vgl. Bartz (2007), S. 214; HRK (2001a), S. 59. 63 Zum Folgenden vgl. Corbett (2005), S. 194–201. 64 Vgl. Joint declaration on harmonisation of the architecture of the European higher education system by the four Ministers in charge for France, Germany, Italy and the United Kingdom, Paris, the Sorbonne, May 25 1998.
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Qualifikationen der europäischen Bürger ebenso wie die internationale Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Hochschulsystems zu fördern“. Bis 2010 sollte ein Studiensystem umgesetzt werden, „das sich im wesentlichen auf zwei Hauptzyklen stützt“. Für einen ersten berufsqualifizierenden Abschluss war eine Studienzeit von möglichst drei Jahren vorgesehen. Ein „Leistungspunktesystem“ sollte die Mobilität der Studierenden innerhalb Europas unterstützen.65 Unter den Zielen, die in den beiden Erklärungen angeführt wurden, nahm die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Hochschulsysteme (neben der innereuropäischen Mobilität und der „employability“ der Absolventen in einer sich internationalisierenden Wirtschaft) eine zentrale Stelle ein. Das internationale Projekt diente drei Unterzeichnern der Sorbonne-Deklaration zudem als Mittel, ihre Reformpolitik gegen Opposition im eigenen Land durchzusetzen.66 So beabsichtigte der französischen Bildungsminister Claude Allègre, ein zweistufiges Studienmodell einzuführen, um die Attraktivität der französischen Hochschulen zu steigern und deren Abschlüsse international anschlussfähig zu machen. Da er allerdings mit starkem Widerstand der Hochschulen und der Studierenden rechnete, suchte er nach europäischen Partnern, um auf diese Weise zusätzlichen Druck zu erzeugen. In Italien wollte Bildungsminister Luigi Berlinguer gegen lange Studiendauern, hohe Abbrecherquoten und mangelnde Arbeitsmarktrelevanz der Studiengänge vorgehen, nachdem Reformversuche in den vorangegangenen Jahren immer wieder gescheitert waren. Großbritannien wiederum erwartete als Folge der Erklärung keinen Anpassungsbedarf der eigenen Strukturen, sondern vielmehr die Entfesselung eines europaweiten Wettbewerbs um Studierende, von dem es zu profitieren hoffte.67 In der Bundesrepublik hatte zwar die im Jahr 1995 begonnene Debatte über die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Hochschulsystems den Anlass dazu gegeben, Bachelor- und Masterstudiengänge einzuführen. Zunächst schien allerdings keineswegs sicher, in welchem Umfang diese sich durchsetzen und die herkömmlichen Abschlüsse ersetzen würden. So hielt ein Bericht der Bildungsressorts von Bund und Ländern im Jahr 1999 fest, dass „auf absehbare Zeit […] das Diplom und der Magister herkömmlicher Art sowie die Staatsexamina die Regelabschlüsse eines Hochschulstudiums in Deutschland bleiben“ würden.68 Ein Beschluss der KMK aus demselben Jahr konstatierte, erst „längerfristig“ werde sich herausstellen, ob die neuen Studiengänge flächendeckend eingeführt und das alte Modell ersetzen würden.69 65 Der Europäische Hochschulraum, Gemeinsame Erklärung der europäischen Bildungsminister, 19.6.1999, Bologna. 66 Vgl. Toens (2007), S. 51. 67 Die britische Bildungsministerin war erst relativ spät hinzugezogen worden, wohl hauptsächlich, um einen weiteren großen EU-Mitgliedsstaat zu beteiligen. Vgl. Racké (2006), S. 3–6; Schriewer (2007), S. 185– 187; Corbett (2005), S. 196. 68 Stärkung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Studienstandortes Deutschland, Gemeinsamer Bericht des Bundes und der Länder an die Regierungschefs, 21./22. bzw. 25.10.1999, S. 8. 69 Strukturvorgaben für die Einführung von Bachelor/Bakkalaureus- und Master/Magisterstudiengängen, Beschluss der KMK vom 5.3.1999, S. 2.
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Der Bologna-Prozess war somit von entscheidender Bedeutung dafür, dass Bachelor und Master innerhalb weniger Jahre an die Stelle der alten Abschlüsse Diplom und Magister traten. Denn im Jahr 2003 beschloss die KMK in Übereinstimmung mit den Zielen der Bologna-Erklärung, bis 2010 die gestufte Studienstruktur einzuführen.70 War es nach der Novelle des Hochschulrahmengesetzes von 1998 zunächst noch Sache der Hochschulen gewesen, über die Struktur ihrer Studiengänge zu entscheiden, so wurden sie nun von den jeweiligen Bundesländern zur Umstellung verpflichtet.71 Eine Maßnahme, die unter anderem der Konkurrenzfähigkeit der Hochschulen dienen sollte, wurde selbst nicht dem Wettbewerb überlassen. Die Einführung der neuen Studienstruktur nutzten die Universitäten seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gezielt dazu, Studiengänge einzurichten, die sich auch oder sogar in erster Linie an Interessenten aus anderen Ländern richteten.72 Zum Wintersemester 2001/2002 boten deutsche Hochschulen 71 Bachelor- und 234 Masterstudiengänge in englischer Sprache an.73 Die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln beschloss zum Beispiel im Jahr 2007, zur „Stärkung der Reputation und der Stellung […] im internationalen Wettbewerb“ einen Masterstudiengang in „Business Administration“ aufzubauen. Partnerschaften mit Hochschulen, die zu „den jeweils besten ihrer Länder in der Managementlehre gehören und die ihre Studierenden sorgfältig auswählen“, sollten der „Anwerbung hervorragender ausländischer Studierender“ dienen. Das Konzept legte besonderen Wert darauf, dass die Lehre in englischer Sprache erfolgte.74 Ob die Anpassung an die vermeintlichen Präferenzen internationaler Interessenten so weit gehen sollte, dass Lehrveranstaltungen auch in den Studiengängen, die nicht in erster Linie für internationale Studierende gedacht waren, bevorzugt auf Englisch abgehalten werden sollten, blieb in den Universitäten allerdings umstritten.75 Durch Strukturanpassungen an die angloamerikanischen Länder sollten auch mehr qualifizierte ausländische Absolventinnen und Absolventen für eine Promotion in Deutschland gewonnen werden. So attestierte die HRK dem deutschen Modell der Individualpromotion „mangelnde Kompatibilität“ mit dem „angelsächsischen System der ‚graduate education‘ und ‚graduate schools‘ “.76 Strukturierte Promotionsprogram70 Vgl. KMK (2003a), Sekretariat der KMK/BMBF (2006), S. 8. 71 Vgl. Klemperer et al. (2002), S. 14, Wuggenig (2008), S. 128–130. 72 Vgl. Internetquelle 59; FU Berlin (2005); Pabst (2006), S. 731; Weichselbaumer/Ziegele (2001), S. 48; Rektorat der Universität zu Köln (2002), S. 23; BMBF/KMK (2001), S. 11–13. 73 Vgl. BMBF/KMK (2001), S. 13. 74 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Positionierung des MSc Business Administration als Instrument zur Stärkung der Reputation und der Stellung der WiSo-Fakultät im internationalen Wettbewerb: Zusammenfassung des Konzepts und Bedeutung der Englischsprachigkeit, Januar 2007; vgl. dies., Protokoll der Fakultätssitzung am 29.1.2007. 75 Vgl. z. B. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung am 4.5.2004, S. 1. 76 HRK (1996), S. 17.
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me und Graduiertenkollegs sollten hier Abhilfe schaffen. Die DFG und die VW-Stiftung finanzierten auf Empfehlung des Wissenschaftsrats zwar bereits seit den späten 1980er Jahren Graduiertenkollegs an Universitäten. Dabei war es den wissenschaftspolitischen Entscheidungsträgern zunächst aber vorrangig darum gegangen, die Promotionsdauer zu verkürzen und eine allzu starke Spezialisierung der Promovierenden zu verhindern.77 Nachdem seit Mitte der 1990er Jahre der Aspekt der internationalen Wettbewerbsfähigkeit in den Fokus der Wissenschaftspolitik rückte, förderten Bund und Länder verstärkt Graduiertenkollegs und strukturierte Promotionsprogramme als Alternative zur Individualpromotion.78 Kompetitiv ausgerichtete Hochschulleitungen hofften darauf, durch internationale Graduiertenschulen besonders qualifizierte Promovierende aus dem Ausland anzuziehen.79 An der Kölner „International Graduate School in Genetics and Functional Genomics“ sollten auf Wunsch der beteiligten Biologen Lehrveranstaltungen grundsätzlich auf Englisch gehalten werden.80 Für den Promotionsstudiengang betrieb die Universität im Ausland gezielt Werbung.81 Ähnliche Ziele verfolgte die Max-Planck-Gesellschaft, die im Jahr 1999 beschloss, gemeinsam mit Universitäten sogenannte „International Max Planck Research Schools“ einzurichten, in denen möglichst die Hälfte der Mitglieder aus dem Ausland stammen sollte.82 Nicht selten wurden international ausgerichtete Master- und Promotionsprogramme in den Schwerpunktbereichen der jeweiligen Universitäten geschaffen, von denen sich die Beteiligten eine erhöhte Attraktivität erwarteten bzw. in denen sie es für besonders wichtig hielten, qualifizierten wissenschaftlichen Nachwuchs zu gewinnen. So richtete die FSU Jena im Jahr 2008 die Abbe School of Photonics ein, an der sowohl ein Masterstudiengang als auch ein Promotionsprogramm angeboten wurden. Die Graduiertenschule konnte aufgrund finanzieller Unterstützung durch die örtliche optische Industrie und öffentliche Mittelgeber 150 Stipendien für ausländische Studierende anbieten.83 Um eine wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland gegenüber den Karrieremöglichkeiten in der Wirtschaft und an ausländischen Universitäten attraktiver zu gestalten, entwickelte das BMBF unter Edelgard Bulmahn (SPD) seit dem Ende der 1990er Jahre ein Konzept zur Reform des Hochschuldienstrechts. Befristete „Assistenz-“ bzw. „Juniorprofessuren“ sollten die Qualifikationsdauer senken und dem wissenschaftlichen Nachwuchs früher eine selbstständige Arbeit in Forschung und Lehre ermöglichen.84 77 Vgl. Wissenschaftsrat (1986), S. 64–70; Wissenschaftsrat (1988a); Stiftung Volkswagenwerk (1988), S. 7 f., 177 f.; DFG (1991), S. 16. 78 Vgl. BMBF/KMK (2001), S. 13 f. 79 Vgl. z. B. Bielefelder Universitätszeitung, no. 221 (2005), S. 6. 80 Vgl. Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 14.2.2001, S. 3. 81 Vgl. Universität zu Köln (2005), S. 106. 82 Vgl. Delius/Hammerstein (2005), S. 170–172. 83 Vgl. Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 49; Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 135. 84 Vgl. Expertenkommission „Reform des Hochschuldienstrechts“ (2000); Schüller (2002); Hochschuldienstrecht für das 21. Jahrhundert. Das Konzept des BMBF, 21.9.2000, in: Deutscher Hochschulverband
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Der letzte Punkt war immer wieder als Ursache für den befürchteten „brain drain“ genannt worden, so in einer Umfrage unter deutschen Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen in den USA, die das BMBF in Auftrag gegeben hatte.85 Auch der Wissenschaftsrat schloss sich in einer Empfehlung aus dem Jahr 2001 der Auffassung an, dass „die Formen wissenschaftlicher Qualifizierung, wie sie derzeit in Deutschland praktiziert werden, dazu bei[tragen], daß die Attraktivität der Hochschullehrerlaufbahn in Deutschland abnimmt und die Universitäten am Wettbewerb um exzellente Nachwuchswissenschaftler mit immer geringerer Aussicht auf Erfolg teilnehmen können“. Die Habilitation stelle eine „Besonderheit des deutschsprachigen Raumes dar, die international nicht anschlußfähig“ sei. Stattdessen solle die Qualifikation für das Professorenamt im Rahmen einer „Nachwuchsprofessur“ erworben und in Berufungsverfahren überprüft werden.86 Wiederum dienten die als führend wahrgenommenen US-amerikanischen Universitäten als Vorbild. Dort konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nach der Promotion als „Assistant Professor“ berufen werden und über Begutachtungsverfahren an derselben Hochschule über die Position eines „Associate Professur“ zum „Full Professor“ aufsteigen.87 Der Wissenschaftsrat empfahl, Elemente des „tenure track“-Systems auch in Deutschland einzuführen, um berechenbare Karrierewege zu ermöglichen.88 Auch unabhängig von der Diskussion über die internationale Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Wissenschaftssystems war vor allem aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften die Stellung des wissenschaftlichen Nachwuchses und die Habilitation immer wieder kritisiert worden. Dagmar Schipanski und Gert Neuweiler hatten als Vorsitzende des Wissenschaftsrates in den 1990er Jahren Anläufe dazu unternommen, alternative Qualifikationswege zu entwickeln, waren damit allerdings nicht durchgedrungen. Erst die Debatte über den „brain drain“ verschaffte dem Anliegen die nötige Dringlichkeit.89 Im Jahr 2002 beschloss der Bundestag eine von der Bundesregierung eingebrachte Novelle des Hochschulrahmengesetzes und schuf damit die sogenannte Juniorprofessur als neue Personalkategorie. Juniorprofessorinnen und -professoren sollten ohne eine weitere öffentliche Ausschreibung auf Lebenszeitprofessuren berufen werden können. Das Habilitationsrecht hingegen wurde für abgeschafft erklärt.90 Dahinter stand die Befürchtung der rotgrünen Bundesregierung „dass in Berufungsverfahren in (2002), S. 70–82; Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses, Personalstruktur. Diskussionspapier der Kultusministerkonferenz vom 22.10.1999, in: Deutscher Hochschulverband (2002), S. 32–35; Diskussionspapier: Neugestaltung des Qualifikationsweges der Hochschullehrer, in: Deutscher Hochschulverband (2002), S. 25–30. 85 Vgl. BMBF (2001). 86 Wissenschaftsrat (2001a), S. 118 f.; zu den divergierenden Positionen innerhalb des Wissenschaftsrates vgl. Bartz (2007), S. 225. 87 Vgl. Wissenschaftsrat (2001a), S. 43–51; Paulus (2010), S. 542 f. 88 Vgl. Wissenschaftsrat (2001a), S. 71 f. 89 Vgl. Bartz (2007), S. 223. 90 Fünftes Gesetz zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes vom 16.2.2002, in: BGBl. 2002 I, S. 693–702.
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den traditionellen Habilitationsfächern nur habilitierte Bewerber auf Berufungslistenplätze gesetzt“ und die Reform folglich wirkungslos bleiben würde.91 Die unionsgeführten Landesregierungen von Thüringen, Bayern und Sachsen reichten dagegen Verfassungsklage ein, mit der sie letztlich Erfolg hatten. Der Bund hatte nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts mit dieser Regelung seine Kompetenzen überschritten, das Gesetz war damit nichtig.92 Um die übrigen Reformvorhaben zu sichern, verabschiedete daher die Bundestagsmehrheit die sogenannte „Reparaturnovelle“.93 In den meisten Landeshochschulgesetzen blieb die Habilitation in der Folgezeit als ein möglicher Qualifikationsweg zur Professur erhalten.94 Wenngleich die Juniorprofessur in allen Bundesländern rechtlich verankert wurde, blieb die Entwicklung hinter den anfänglichen Erwartungen zurück. Der Ausbau ging vor allem nach Auslaufen der Bundesförderung im Jahr 2004 nur schleppend voran, nicht zuletzt deshalb, weil die neue Stellenkategorie an den Hochschulen oftmals auf Ablehnung stieß. Statt der von Bulmahn angekündigten 6 000 Juniorprofessuren waren bis zum Jahr 2007 nur etwa 800 solcher Stellen eingerichtet worden (das entsprach vier Prozent der Universitätsprofessuren), fünf Jahre später 1 600.95 Nur ein kleiner Teil der eingerichteten Juniorprofessuren war zudem im Sinne des tenure track-Systems mit der Option auf eine Dauerstelle versehen.96 Dies lag unter anderem daran, dass viele Akteure nicht von der Habilitation als Qualifikationsvoraussetzung für eine Lebenszeitprofessur abrücken wollten.97 Hinzu kam die Scheu vor schwer revidierbaren Personalentscheidungen auf schmaler Basis. Da Juniorprofessuren üblicherweise als W 1-Stellen geschaffen wurden, hätte eine Entfristung zudem einen Wechsel der Stellenkategorie auf W 2 und damit eine Verteuerung bedeutet. Dagegen sprachen die zu dieser Zeit schrumpfenden finanziellen Spielräume der Universitäten, denn diese verloren in den Jahren von 1995 bis 2005 1 451 Professuren.98 Mit der tenure track-Option entfiel aber gerade das für international konkurrenzfähige Karrieremöglichkeiten als zentral erachtete Element. Letztlich war mit der Juniorprofessur nur eine weitere Form der befristeten Beschäftigung geschaffen worden, deren Anerkennung als Qualifikation für eine reguläre Professur neben der fortbestehenden Habilitation prekär blieb. Die internationale Konkurrenz um renommierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen stellte die Leitungen deutscher Universitäten vor eine Reihe weiterer 91 Hochschuldienstrecht für das 21. Jahrhundert. Das Konzept des BMBF, 21.9.2000, in Deutscher Hochschulverband (2002), S. 70–82, hier S. 13; vgl. auch Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Änderung des Hochschulrahmengesetzes und anderer Vorschriften (5. HRGÄndG), Deutscher Bundestag Drs. 14/6853, S. 19. 92 Vgl. BVerfGE 111, Urteil vom 27.7.2004, S. 226–286; Bartz (2007), S. 226. 93 Vgl. Gesetz zur Änderung dienst- und arbeitsrechtlicher Vorschriften im Hochschulbereich vom 27.12.2004, in: BGBl. 2004 I, S. 3835–3841; Federkeil/Buch (2007), S. 15. 94 Vgl. Federkeil/Buch (2007), S. 9. 95 Vgl. Federkeil/Buch (2007), S. 7; Burckhardt et al. (2016), S. 87; Bartz (2007), S. 226; Buechtemann (2001b). 96 Vgl. Federkeil/Buch (2007), S. 10; Burckhardt et al. (2016), S. 94. 97 Vgl. hierzu und zum Folgenden Kreckel (2016), S. 25 f.; Forschung & Lehre, no. 2 (2017), S. 106–109. 98 Vgl. Szöllösi-Janze (2011), S. 69 f.
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Probleme. So lagen zum Beispiel die Betreuungsrelationen in der Bundesrepublik deutlich über denen an führenden Universitäten in anderen Ländern, was dazu beitrug, dass Berufungen aus dem Ausland scheiterten oder zumindest Arrangements notwendig machten, die mit dem zuständigen Wissenschaftsministerium abgesprochen werden mussten.99 Ein gravierendes Hindernis stellte zudem das im internationalen Vergleich hohe Lehrdeputat deutscher Professoren dar, das überdies in den meisten Bundesländern im Laufe der 2000er Jahre von acht auf neun Stunden pro Woche erhöht wurde, um die Personalknappheit auszugleichen.100 Auch was die materielle Ausstattung von Professuren anging, konnten manche ausländische Universitäten deutlich bessere Bedingungen bieten.101 Der Leitung der FSU Jena gelang es in den 2000er Jahren zwar, einen Professor dazu zu bewegen, einen Ruf an die ETH Zürich abzulehnen. Die dadurch entstanden Kosten nahmen allerdings einen so großen Teil der verfügbaren Mittel in Beschlag, dass derartige Angebote nur in Einzelfällen möglich waren.102 Auch nach der Einführung der W-Besoldung konnte das Gehalt immer noch ein Hindernis für Berufungen aus dem Ausland darstellen. So klagte der Rektor der Universität zu Köln, Axel Freimuth, im Jahr 2005, dass die zur Verfügung stehenden Mittel zu gering seien, um qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus dem Ausland zu gewinnen, oder dass solche Berufungen damit erkauft werden müssten, dass anderen keine Zulagen gewährt werden könnten.103 Für deutsche Universitäten war es leichter, Deutsche zurückzugewinnen, die im Ausland arbeiteten, als Ausländer zu berufen.104 Auf diese Gruppe richtete daher auch die Wissenschaftspolitik ein besonderes Augenmerk. So gründeten im Jahr 2003 auf Initiative und mit Finanzierung des BMBF die Alexander von Humboldt-Stiftung, der DAAD und die DFG das German Academic International Network (GAIN), das dabei helfen sollte, in Nordamerika tätige deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zurückzugewinnen.105 Wie sich die Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems tatsächlich entwickelte, ist schwer zu beurteilen, da die amtliche Statistik die Staatsangehörigkeit des wissenschaftlichen Personals erst seit Mitte der 2000er Jahre erfasste. Von da an zeichnete sich jedoch eine eindeutige Entwicklung ab: Die Zahl der Professorinnen und Professoren an Universitäten, die keine deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, stieg von 1 207 im Jahr 2005 auf 1 894 im Jahr 2012, was einem Anteil von etwa acht Prozent der Universitätsprofessuren entsprach.106 Die ausländischen Professoren an deutschen
99 Vgl. Lenzen (2007), S. 34; Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016. 100 Vgl. Gerhards (2010), S. 124; Buchholz et al. (2009), S. 67; Forschung & Lehre, no. 6 (2012), S. 470 f. 101 Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016. 102 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. 103 Vgl. Universität zu Köln (2005), S. ix, 5; Forschung & Lehre, no. 10 (2005), S. 544 f. 104 Vgl. Lenzen (2007), S. 34; Pabst (2006), S. 704 f. 105 Vgl. DAAD (2004); Umfragezentrum Bonn – Prof. Rudinger GmbH (o. J.), S. 1. 106 Vgl. Internetquelle 62 und 63; jeweils basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes. Die prozentuale Angabe stammt aus eigener Berechnung auf Basis von Statistisches Bundesamt (2013), S. 40.
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Hochschulen stammten vor allem aus der EU (2012: 61 Prozent) bzw. aus dem europäischen Ausland (80 Prozent) und dort wiederum am häufigsten aus Österreich (20 Prozent) und der Schweiz (12 Prozent). Die größte Gruppe unter den Nicht-Europäern stellten US-amerikanische Wissenschaftler mit 9 Prozent.107 Die wachsende Internationalität dürfte nicht alleine durch eine gesteigerte Attraktivität des deutschen Hochschulsystems zu erklären sein, sondern könnte auch mit veränderten Rahmenbedingungen wie etwa der wachsenden internationalen Verflechtung der jeweiligen scientific community zusammenhängen. Außerdem verschlechterten Budgetkürzungen infolge der Weltfinanzkrise und der europäischen Schuldenkrise die Karriereperspektiven in anderen Ländern, während in Deutschland zu dieser Zeit neue Stellen geschaffen wurden, so dass sich vermehrt Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus dem Ausland auf Stellen in Deutschland bewarben.108 Der internationale Wettbewerb um Studierende und (Nachwuchs-)Wissenschaftler zeichnete sich dadurch aus, dass – im Unterschied etwa zum nationalen Wettbewerb um Studierende – der Kreis potenzieller Konkurrenten keineswegs klar definiert war. Deutsche Hochschulen konnten nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass sie ausländischen Studieninteressierten und Wissenschaftlern als respektable Forschungsuniversitäten und Stätten guter akademischer Ausbildung bekannt waren. Bekanntheit und Renommee waren essentiell, wenn Universitäten auf internationaler Ebene konkurrieren und im Wettbewerb um Studierende und Wissenschaftler reüssieren wollten. Den Medien und insbesondere den internationalen Rankings kam daher eine umso größere Bedeutung zu. Letztere setzten, da sie Reputation in Form von Ranglisten darstellten und damit in ein knappes Gut verwandelten, auch auf globaler Ebene eine Konkurrenz um Prestige in Gang. Um ihre Institutionen auf internationaler Ebene zu positionieren, versuchten deutsche Hochschulleitungen nun verstärkt, direkte Kontakte zu renommierten ausländischen Universitäten anzubahnen, wovon sie sich einen Schub für die eigene Reputation versprachen.109 Während zum Beispiel an der TU München zu Beginn der 1990er Jahre noch der Grundsatz galt, dass Kooperationsabkommen nur dann geschlossen würden, wenn bereits auf den unteren Ebenen Kontakte bestanden, sah das „Memorandum zur Internationalisierung“ von 1998 vor, dass „strategische Partnerschaften“ mit „Spitzenuniversitäten“ angestrebt werden sollten, die ein ähnliches Fächerprofil aufwiesen.110 Die Hochschulleitung wählte eine Reihe möglicher Partner in Ostasien
107 Eigene Berechnungen basierend auf Daten des Statistischen Bundesamts. 108 Vgl. z. B. Pfordte (2013); SZ, 6.3.2013, S. 6. 109 Vgl. Prorektorin der Universität Bielefeld für Internationales und Kommunikation (2012), S. 3; Sagerer (2013), S. 66; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; Meyn/Burchardt (2009). 110 Vgl. TUM-Mitteilungen, no. 4 (1991/1992), S. 8–10; Pabst (2006), S. 691 f. Für die Universität zu Köln vgl. UA Köln, Zugang 543, Nr. 887, Protokoll der Sitzung des Senats am 24.6.1981, S. 2; ebd., Zugang 694, Nr. 15, Niederschrift über die Sitzung des Konvents der Universität zu Köln vom 24.1.1994, S. 4. Auch an der
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aus und schloss Verträge unter anderem mit der National University of Singapore.111 Später folgten Verträge mit Stanford und dem Georgia Institute of Technology.112 Das Deutungsmuster des globalen Wettbewerbs um die „klügsten Köpfe“ führte dazu, dass die Hochschulleitungen internationale Kooperationen nicht mehr nur als Angelegenheit individueller Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen betrachteten, sondern selbst „strategische Partnerschaften“ zwischen Universitäten aufzubauen suchten.113 Nicht immer bewährte es sich allerdings, Kooperationen ohne bestehende Kontakte „top-down zu initiieren“.114 Um in der Wahrnehmung von ausländischen Studierenden und Nachwuchswissenschaftlern präsent zu sein, verstärkten die meisten Universitäten in den späten 1990er und in den 2000er Jahren ihre Werbemaßnahmen und bauten englischsprachige Internetangebote auf.115 Außerdem präsentierten sich deutsche Universitäten immer öfter auf internationalen Bildungsmessen, unter anderem in Ostasien und Südamerika. Auf solchen Veranstaltungen, die zum Beispiel in China staatlich gefördert wurden und sich dort großer Beliebtheit erfreuten, konnten einzelne Hochschulen oder ganze Regionen ihre Angebote präsentieren.116 Viele Universitäten nutzten zudem die neuen Werbemöglichkeiten von „GATE Germany“.117 Dieses „Konsortium für internationales Wissenschafts- und Hochschulmarketing“ wurde im Jahr 2001 auf Initiative des DAAD und der HRK gegründet.118 GATE Germany organisierte für seine Mitglieder Präsentationen auf Hochschulmessen und sogenannte „Road Shows“ oder „Promotion Tours“ mit Auftritten an verschiedenen Orten. Es unterstützte die beteiligten Hochschulen auch bei anderen Werbemaßnahmen, zum Beispiel in regionalen Printmedien oder über die sozialen Medien, und führte Aufnahmetests in den Herkunftsländern durch.119 Ähnliche Organisationen waren zuvor, wie eine Studie des CHE für den DAAD hervorhob, bereits in Australien und Großbritannien geschaffen worden.120 Die Gründung von GATE Germany war Teil der „Konzertierten AktiUniversität Bielefeld waren bis 1987 alle Partnerschaftsabkommen auf Ebene der Fakultäten abgeschlossen worden, vgl. Universität Bielefeld (1987), S. 34. 111 Vgl. Pabst (2006), S. 691 f. 112 Vgl. TU München (2007), S. 9. 113 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2011), S. 89 f.; Grieshop (2010), S. 132; Der Rektor der FSU Jena (2009), S. 9; Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; Meyn/Burchardt (2009). 114 UOL Altregistratur, Akademisches Auslandsamt, Vorlage an das Präsidium zur Sitzung am 5.7.2005. Internationalisierung der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 1.7.2005, S. 2; Meyn/Burchardt (2009). 115 Vgl. z. B. die fremdsprachlichen Informationsmaterialien aus dem Bestand DS 95 im UA Bielefeld. Die TU München bot seit spätestens 1998 englischsprachige Informationen für Studieninteressierte im Internet an, die FSU Jena seit 1999. Die FU Berlin sowie die Universitäten Köln, Bielefeld und Oldenburg folgten in den Jahren 2000 und 2001, vgl. Internetquelle 53, 54, 55, 56, 57, 58. 116 Vgl. Neumann/Hoffmann (2012), S. 122; GATE-Germany (2010), S. 10; Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 88; Der Rektor der FSU Jena (2009), S. 71. 117 Vgl. GATE-Germany (2010), S. 30; Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 11.7.2001, S. 3. 118 Vgl. Landfried (2001), S. 31 f. 119 Vgl. Haridi/Köndgen (2006), S. 92–94; Landfried (2001), S. 31 f.; Neumann/Hoffmann (2012), S. 130. 120 Vgl. CHE/DAAD (2001), S. 8.
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on Bildungsmarketing“, die von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung angestoßen worden war.121 Manche Universitätsleitungen richteten zudem eigene Verbindungsbüros in Ländern ein, in denen sie institutionelle Kontakte ausbauen und verstärkt Studierende und wissenschaftliches Personal anwerben wollten. Die FU Berlin beispielsweise unterhielt im Jahr 2010 Außenstellen in New York, Moskau, Beijing, New Delhi, Brüssel und Kairo.122 Inwieweit die beschriebenen Maßnahmen dazu beitrugen, dass deutsche Universitäten mit größeren Erfolgsaussichten auf internationaler Ebene um Studierende und Wissenschaftler konkurrierten, ist schwer zu belegen. Bereits seit den frühen 1970er Jahren schrieben sich immer mehr ausländische Studierende an deutschen Hochschulen ein. Nachdem deren Zahl in den 1960er Jahren bei knapp 24 000 gelegen hatte, waren es im Jahr 1980 bereits 58 000, 1989 92 000.123 Nicht alle kamen jedoch eigens für ein Hochschulstudium in die Bundesrepublik, ein Teil von ihnen war als Kinder von Immigranten in Deutschland aufgewachsen und hatte dort bereits das Abitur abgelegt. Die amtliche Hochschulstatistik unterschied allerdings erst seit 1980 zwischen sogenannten „Bildungsinländern“ und „Bildungsausländern“ bei der Erfassung der neuimmatrikulierten Studierenden und seit 1990 bei der Zählung aller eingeschriebenen Studierenden.124 Aus den vorhandenen Daten lässt sich zumindest schließen, dass der Anstieg der Zahl ausländischer Studierender in den 1980er Jahren zum größeren Teil dadurch begründet war, dass mehr Menschen aus anderen Ländern für ein Studium nach Deutschland kamen.125 Diese Entwicklung setzte sich in den folgenden Jahren fort: Hatten 1992 etwa 75 000 „Bildungsausländer“ in Deutschland studiert, so waren es 2006 bereits 188 000. In den folgenden Jahren kam es, vermutlich als Folge der internationalen Finanzkrise, zu einem zeitweiligen Rückgang, doch im Wintersemester 2012/2013 erreichte die Zahl ausländischer Studierender in Deutschland einen neuen Höchststand von 205 000.126 Es fällt auf, dass von 2001 bis 2004 ein besonders starker Anstieg von jährlich über zehn Prozent zu verzeichnen war. Ob sich darin allerdings allein das neue Konkurrenzverhalten deutscher Hochschulen widerspiegelte, ist ungewiss. Zu dieser Entwicklung trug nämlich auch die rapide wachsende Zahl junger Chinesinnen und Chinesen bei, die für ein Studium ins Ausland gingen. An den deutschen Universitäten machte sich dies als sprunghafter Anstieg von Bewerbungen aus 121 BLK (2000), S. 2 f.; vgl. auch Landfried (2001), S. 31 f. 122 Vgl. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 621. Sitzung des Senats am 20.4.2005; ebd., Protokoll der 672. Sitzung des Senats am 9.6.2010; Universität zu Köln (2015), S. 8; Der Rektor der FSU Jena (2008), S. 19; Hendrich (2012), S. 91; Grieshop (2010), S. 129 f.; Grieshop (2012), S. 77; TU München (2007), S. 9; Zhenshan (2012), S. 95; DUZ, no. 10 (2005), S. 24–25. 123 Vgl. Statistisches Bundesamt (1991), S. 9. Die Angaben beziehen sich hier wie im Folgenden auf das im angegebenen Jahr beginnende Wintersemester. 124 Auskunft des Statistischen Bundesamtes. 125 Der Anteil der „Bildungsausländer“ an den neuimmatrikulierten Studierenden ausländischer Staatsbürgerschaft betrug in den 1980er Jahren etwa 75 % (eigene Berechnungen basierend auf Zahlen des statistischen Bundesamtes). 126 Vgl. Internetquelle 61, basierend auf Daten des Statistischen Bundesamtes.
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China bemerkbar.127 Für eine gesteigerte Attraktivität deutscher Hochschulen scheint allerdings der Umstand zu sprechen, dass die Zahl ausländischer Studierender in der Bundesrepublik zwischen 1999 und 2005 mit 46 Prozent deutlich stärker anstieg als zum Beispiel in den USA (17 Prozent) und Großbritannien (29 Prozent).128 In den 2000er Jahren gingen manche Universitäten dazu über, nicht nur Studiengänge für ausländische Studierende in Deutschland, sondern auch Angebote in anderen Ländern aufzubauen. Angestoßen und finanziell unterstützt wurde dies durch das Förderprogramm „Export deutscher Studienangebote“ des DAAD ab dem Jahr 2001.129 Als Vorbild diente dabei unter anderem Australien, das zunächst kostendeckende Studiengebühren für Ausländer vorgeschrieben hatte, woraufhin manche Hochschulen eigenständig Studiengänge im Ausland aufbauten. Ende der 1990er Jahre entwickelte die Regierung daraus eine nationale Exportstrategie. Im Jahr 2003 waren bereits 45 000 Studierende in australischen Studienprogrammen im ost- und südostasiatischen Raum eingeschrieben. Auch britische Hochschulen bauten seit den 1990er Jahren ihre Präsenzangebote in anderen Ländern deutlich aus. Zum Teil beruhten derartige Studienprogramme auf einem Franchising-System, bei dem die ‚exportierenden‘ Hochschulen lediglich für die Curricula und die Evaluation der Studiengänge zuständig waren, dafür allerdings die Abschlusszeugnisse ausstellten. In anderen Fällen wurden die Lehrveranstaltungen der jeweiligen Universität in den Räumen von Partnereinrichtungen im Ausland oder – seltener – auf einem eigens eingerichteten Auslandscampus erbracht.130 Mit Unterstützung des DAAD baute die TU München in den frühen 2000er Jahren eine solche Dependance in Singapur auf, die den Namen „German Institute of Science and Technology“ (GIST) trug. Der Stadtstaat warb seit 1998 im Rahmen seines „World Class University Programme“ um Niederlassungen renommierter Universitäten, um zu einem Zentrum für Wissenschaft und Hochtechnologie zu werden. Das GIST nahm im Jahr 2002 mit einem Master-Studiengang in „Industrial Chemistry“ seine Tätigkeit auf. Bis 2010 folgten vier weitere Masterprogramme und ein Bachelorangebot in Fächern, in denen die TU München eine hohe Reputation genoss. Zunächst finanzierte sich das GIST durch Zuschüsse und Fördermittel aus Deutschland 127 Die Zahl chinesischer Studierender, die auf eigene Kosten im Ausland studierten, stieg von 32 000 im Jahr 2000 auf 117 000 im Jahr 2002, vgl. Li/Chen (2011), S. 242 f. Vgl. außerdem Hendrich (2012), S. 90; Universität zu Köln (2005), S. 105–107. 128 Zu den Zahlen vgl. Wildavsky (2010), S. 23. In den USA hing der niedrige Anstieg allerdings auch mit einer veränderten Visa-Praxis nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 zusammen, vgl. SZ, 22.12.2003, S. 9; Fiske (2003). Als weitere Ursache wurde allerdings die zunehmende Konkurrenz um Studierende gesehen, vgl. Hey-Kyung Koh Chin (2006). 129 Vgl. BLK (2000), S. 10; Hahn/Lanzendorf (2005), S. 7; CHE/DAAD (2001); Teichler/Lanzendorf (2007), S. 285. Bereits in den 1990er Jahren hatte es einzelne deutschsprachige Studiengänge im Ausland gegeben, die allerdings nicht von deutschen Hochschulen betrieben wurden und in der Regel nicht auf deren Initiative zurückgingen, vgl. z. B. DAAD (1991), S. 107. 130 Vgl. Hahn (2005a), S. 19–21; Lanzendorf (2009), S. 12–14; CHE/DAAD (2001).
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und Singapur, mittelfristig sollte es sich, so die Vorgabe des DAAD-Programms und die Pläne der TU-Leitung, selbst tragen. Für den ersten Masterstudiengang waren Gebühren in Höhe von insgesamt 22 500 Euro fällig. Die Studierenden erhielten allerdings Stipendien von in Singapur ansässigen deutschen Chemie-Unternehmen.131 In diesem Fall wie auch bei anderen Aktivitäten deutscher Universitäten im Ausland132 überschnitten sich die Konkurrenzstrategien verschiedener Akteure und ermöglichten ein internationales Kooperationsgeflecht zwischen Staaten, Hochschulen und Wirtschaft. Die Regierung von Singapur sah sich in einer ökonomischen Standortkonkurrenz und strebte – ähnlich wie Malaysia und China133 – danach, Forschungspotenzial und Studierende ins Land zu holen. Der Leitung der TU München ging es darum, das internationale Renommee der Universität auszubauen und ausländische Studierende und Promovierende zu gewinnen, während sich die deutschen Unternehmen einen privilegierten Zugang zu qualifizierten Arbeitskräften verschaffen konnten. Bei den deutschen Hochschulen stieß das DAAD-Programm zum „Export“ von Studienangeboten auf reges Interesse. Nach der ersten Ausschreibung gingen 123 Anträge von 107 Hochschulen ein.134 Im Jahr 2008 existierten bereits 134 Studiengänge deutscher Hochschulen im Ausland, die eine Anschubfinanzierung des DAAD erhielten. Eingeschrieben waren 10 000 Studierende, vor allem in Nordafrika und im Nahen Osten.135 3. „Europäisierung“ als Konkurrenzstrategie Die Vorstellung eines globalen Wettbewerbs zwischen Wirtschaftsräumen, in dem es in entscheidendem Maße auf Förderung und Nutzung wissenschaftlicher Potenziale ankomme, trieb auch die Entwicklung einer europäischen Forschungspolitik voran. Die Europäischen Gemeinschaften bzw. die EU bauten dabei auf eine Mischung aus europäischer Zusammenarbeit und Konkurrenz und wuchsen immer mehr in die Rolle eines wichtigen Dritten für die Universitäten hinein. Bereits seit den 1950er Jahren zählte die Forschungsförderung zu den Aufgaben der supranationalen europäischen Institutionen. In den ersten Jahrzehnten ihres Bestehens blieben diese Aktivitäten aber auf wenige Felder wie Atomenergie, Kohle und Stahl sowie Landwirtschaft beschränkt und waren zudem im Vergleich mit den nationalstaatlichen Ausgaben für Forschung nur mit einer geringen finanziellen Ausstattung 131 TUM-Mitteilungen, no. 4 (2002/2003), S. 6 f.; SZ, 18.2.2003, S. V2/12; Hahn (2005b), S. 173, 183; Krauß (2006), S. 113–117; TU München (2007), S. 11; Keidel (2010). Träger des GIST war zunächst die TUM Tech GmbH, als deren Gesellschafter der Förderverein der TU München fungierte und die der Universität dazu diente privatwirtschaftlich agieren zu können. 132 Vgl. Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (2009); Krauß (2006), S. 91–126. 133 Vgl. Healy (2008), S. 339 f.; Marginson (2006), S. 20. 134 Vgl. Teichler/Lanzendorf (2007), S. 285. 135 Vgl. Lanzendorf (2009), S. 14 f.
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versehen.136 Dies änderte sich allmählich seit den 1970er Jahren. Vor dem Hintergrund der Debatte über die „amerikanische Herausforderung“137 beschlossen die Staats- und Regierungschefs 1972, die Aktivitäten der Gemeinschaft im Bereich der Forschungsund Technologiepolitik auszudehnen.138 Einen weiteren Schub erhielt die europäische Forschungsförderung durch erneute Warnungen vor einer „technologischen Lücke“ zu den USA und nun auch zu Japan, die seit dem Ende der 1970er Jahre kursierten. Der Vorsprung dieser Länder in sogenannten Schlüsseltechnologien wie der Informationsund Kommunikationstechnik bedrohe die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. Um diese auf Weltmarktniveau zu heben, so die Europäische Kommission, seien nationale Initiativen nicht ausreichend. Sie entwickelte in der ersten Hälfte der 1980er Jahre neue Programme wie etwa ESPRIT für die Informationstechnologie und baute die Forschungsplanung aus, indem sie die verschiedenen Maßnahmen zu einem „Forschungsrahmenprogramm“ (FRP) zusammenschloss.139 Gegenüber dem Europäischen Rat, der allen Programmen zustimmen musste, argumentierte die Kommission mit Strukturkrisen der verschiedenen Wirtschaftsbereiche und dehnte so ihre Fördermaßnahmen auf zusätzliche Themenbereiche aus.140 Neben der Energieforschung, deren Anteil an den Fördermitteln zurückging, lagen die Schwerpunkte in den 1980er Jahren in der Informations- und Kommunikationstechnologie, der Biotechnologie und der Erforschung neuer Werkstoffe. In den 1990er Jahren wuchsen vor allem die Mittel für Biotechnologie und nichtnukleare Energieforschung. Hinzu kam außerdem ein neuer Förderschwerpunkt für die sogenannte „sozio-ökonomische“ Forschung. Die Finanzierung geistes-, sozial- und wirtschaftswissenschaftlicher Projekte beschränkte sich allerdings auf einige wenige Themenfelder mit Anwendungsbezug, wie etwa die Bildungsforschung oder Forschung zur Technologiepolitik.141 Die Mittel der europäischen Forschungsförderung wurden überwiegend in einem Wettbewerbsverfahren vergeben.142 In dieser Konkurrenz um Fördermittel kam der Europäischen Kommission eine entscheidende Rolle zu, denn diese entwarf einerseits 136 Vgl. Sturm (2008), S. 240; Gaul/David (2009), S. 21; Roßmayer (2003), S. 131. 137 Vgl. Ritter et al. (1999). 138 Vgl. Sturm (2008), S. 241; Chou Meng-Hsuan (2014), S. 37 f. 139 Vgl. Sturm (2008), S. 243 f.; Gaul/David (2009), S. 21; Flink (2016), S. 80–83; Grande (2001), S. 374. 140 Vgl. Guzzetti (1995), S. 83. 141 Vgl. Sturm (2008), S. 245 f.; Guzzetti (1995), S. 160 f.; Beschluss Nr. 1110/94/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.4.1994 über das Vierte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration (1994–1998), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 126, S. 1–33, hier S. 25 f.; Beschluss Nr. 182/1999/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22.12.1998 über das Fünfte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration (1998–2002), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 26, S. 1–31, hier S. 27; Beschluss Nr. 1513/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27.6.2002 über das Sechste Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration als Beitrag zur Verwirklichung des Europäischen Forschungsraums und zur Innovation (2002–2006), in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften L 232, S. 1–33, hier S. 16 f. 142 Zum Folgenden vgl. Reger/Kuhlmann (1995), S. 27 f.; Guzzetti (1995), S. 83 f.; Pilniok (2011), S. 77–89; Sturm (2008), S. 246.
3. „Euroaäisierungn als Kon urrennstrategie
die Forschungsrahmenprogramme, die vom Europäischen Rat, seit dem Vertrag von Maastricht zusätzlich auch vom Europäischen Parlament beschlossen wurden. Andererseits entschied die Kommission über die Vergabe der Mittel an Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen, ohne dabei an Gutachten aus der Wissenschaft gebunden zu sein. Sie nahm somit die Rolle eines Dritten ein und hatte zugleich maßgeblichen Einfluss auf die Regeln und Kriterien, nach denen die Prämie in diesem Konkurrenzverhältnis verteilt wurde. Als Konkurrenten waren ausschließlich Projektverbünde zugelassen, an denen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus mindestens drei Ländern beteiligt waren. Das Wettbewerbsverfahren diente somit auch dazu, Kooperation auf europäischer Ebene zu stimulieren und solche Verknüpfungen als Vorteil in der globalen Konkurrenz mit anderen Wirtschaftsräumen zu mobilisieren. Die europäische Forschungspolitik, wie sie sich seit den frühen 1980er Jahren herausbildete, war vor allem darauf ausgerichtet, die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen in bestimmten technologieintensiven Branchen zu stärken. Dieser Fokus erklärt sich daraus, dass die EG bzw. die EU auf Basis der Verträge nicht zu einer allgemeinen Forschungsförderung befugt war.143 Die Kommission musste neue Förderprogramme gegenüber dem Rat (und später auch dem Parlament) begründen, wobei sie sich vor allem auf den Diskurs über die „technologische Lücke“ stützte. Die Förderung war daher in erster Linie für anwendungsorientierte Forschung auf einigen als wirtschaftlich besonders relevant erachteten Feldern bestimmt. Aufgrund dieser Ausrichtung waren die Ausschreibungen der Kommission nur für einen Teil der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an Hochschulen interessant. Bis zum dritten FRP (1991–1994) warben Wirtschaftsunternehmen den Großteil der Mittel ein.144 Während der Laufzeit des zweiten FRP (1987–1991) stammte nur etwa ein Drittel der deutschen Kooperationspartner aus Universitäten und Fachhochschulen. Technische Universitäten wie die RWTH Aachen, die TU München und die TU Berlin sowie Universitäten mit ingenieur- und naturwissenschaftlichem Profil wie Stuttgart und Karlsruhe profitierten am meisten von den europäischen Drittmitteln.145 Im Lauf der 1990er Jahre beteiligten sich Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an Hochschulen aber in zunehmendem Maße an den europäischen Förderprogrammen. Waren im Jahr 1990 erst umgerechnet 60 Millionen D-Mark an deutsche Hochschulen geflossen, 143 Die rechtliche Grundlage für die Erweiterung der europäischen Forschungspolitik bildete seit 1972 eine Generalklausel in Art. 235 des EWG-Vertrags, nach der die Gemeinschaft auf einstimmigen Beschluss des Rates auch außerhalb der vertraglichen Bestimmungen tätig werden konnte, um eines ihrer Ziele im Rahmen des gemeinsamen Marktes zu verwirklichen (Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in: BGBl. 1957 II, S. 766–963, Art. 235; vgl. Sturm (2008), S. 241). Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde das „Ziel, die wissenschaftlichen und technischen Grundlagen der europäischen Industrie zu stärken und die Entwicklung ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit zu fördern“ in den EWG-Vertrag aufgenommen (Einheitliche Europäische Akte, in: Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften 1987 L 169, S. 1–28, Art. 24; vgl. Sturm (2008), S. 245; Flink (2016), S. 83). 144 Vgl. Flink (2016), S. 83. 145 Vgl. Reger (1995), S. 33–36.
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so waren es 1997 bereits 240 Millionen.146 In den 2000er Jahren wuchs die Bedeutung der EU-Forschungsförderung weiter an, so dass im Jahr 2010 mit 555 Millionen Euro bereits 9 Prozent der Drittmittel deutscher Hochschulen aus europäischen Programmen stammten.147 Diese Entwicklung erklärt sich unter anderem daraus, dass die EU im Anschluss an Debatten über die „wissensbasierte Wirtschaft“, aber auch beeinflusst durch gezielte Lobby-Arbeit aus der Wissenschaft ihre Forschungspolitik auf die Grundlagenforschung ausweitete und zumindest teilweise auf enge thematische Vorgaben verzichtete. Seit den 1990er Jahren stieß nämlich die europäische Förderpolitik zunehmend auf Kritik von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen an Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen.148 Diese störten sich daran, dass die Kommission bei der Ausschreibung thematische Vorgaben machte und dass die Förderverfahren stark auf anwendungsorientierte Forschung ausgerichtet waren. Wissenschaftsorganisationen wie die Royal Society forderten daher, die Grundlagenforschung in die Förderung mit einzubeziehen. Die Kritiker der EU-Forschungspolitik plädierten zudem dafür, eine von der Kommission unabhängige Einrichtung nach dem Vorbild der US-amerikanischen National Science Foundation mit der Vergabe der Mittel zu betrauen. Zur Debatte standen somit die Kriterien der Konkurrenz um Forschungsgelder wie auch die Rolle des Dritten in diesem Konkurrenzverhältnis. Vor allem aus den Biowissenschaften kam seit Mitte der 1990er Jahre Unterstützung für dieses Anliegen. Der Fachverband European Molecular Biology Organization betrieb ein intensives Lobbying, um die Kriterien in der europäischen Konkurrenz um Forschungsmittel zu verändern. Der Initiative schlossen sich schließlich auch weitere Fachverbände und politisch einflussreiche Wissenschaftler an. Ihnen gelang es, die schwedische und die dänische Regierung für ihr Anliegen zu gewinnen, die das Thema während ihrer jeweiligen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte der 2000er Jahre vorantrieben. Auch die Europäische Kommission ergriff zu dieser Zeit die Initiative. Um das Vorhaben zu legitimieren, verwiesen seine Befürworter auf den „Mehrwert“, der durch einen europaweiten Wettbewerb der Forscher entstehen würde. Sie betonten die wirtschaftliche Bedeutung der Grundlagenforschung und argumentierten, dass in diesem Bereich, nicht in der anwendungsorientierten Industrieforschung der technologische Vorsprung der USA begründet liege. Die Kommission machte sich dieses Argument zu eigen und schlug vor, eine Förderorganisation für „frontier research“ zu gründen. Mit der Wahl dieses Begriffs versuchte sie, das Vorhaben gegenüber nationalen Einrichtungen zur Förderung der Grundlagenforschung zu rechtfertigen sowie eine dis146 Vgl. Wissenschaftsrat (2000), Tab. 41. 147 Vgl. Statistisches Bundesamt (2012), S. 27. Ein direkter Vergleich dieser Zahlen mit früheren Werten aus der amtlichen Hochschulstatistik ist allerdings irreführend, da diese – wie die Erhebungen des Wissenschaftsrates zeigten – zumindest bis in die frühen 1990er Jahre deutlich zu niedrige Angaben über EG-Drittmittel machte, vgl. Wissenschaftsrat (2000), S. 59. 148 Zum Folgenden vgl. Flink (2016), S. 98–147; Gornitzka/Metz (2014a), S. 89–93; König (2016), S. 24– 59; André (2006), S. 145 f. Zur Kritik an der europäischen Forschungsförderung vgl. z. B. SZ, 22.9.1995, S. 11.
3. „Euroaäisierungn als Kon urrennstrategie
kursive Verknüpfung zu der im Jahr 2000 beschlossenen Lissabon-Strategie und der dort propagierten wissensbasierten Wirtschaft herzustellen, indem sie den innovativen Charakter der zu fördernden Forschung herausstrich. Auf einem Sondergipfel im März 2000 hatte sich der Europäische Rat nämlich das Ziel gesetzt, „die Union zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. In der Globalisierung, die als weltweiter Wettbewerb zwischen Wirtschaftsstandorten begriffen wurde, könne sich Europa nur behaupten, wenn der Übergang zu einer wissensbasierten Wirtschaft gelinge. Die europäische Politik übernahm dabei ein Konzept sozialwissenschaftlicher Gegenwartsdiagnosen, die eine wachsende Bedeutung wissenschaftlicher Innovationen für die Wirtschaftsentwicklung konstatierten.149 Zu den Kernelementen der Lissabon-Strategie zählte das Vorhaben, einen „europäischen Forschungsraum“ zu schaffen. Denn bislang, so die Europäische Kommission, fehle es an einem „europäische[n] Markt des Angebots und der Nachfrage nach Erkenntnissen und Technologien“. Zudem müsse die Forschungspolitik der Mitgliedstaaten besser koordiniert werden, um in einzelnen Bereichen die im weltweiten Wettbewerb nötige „‚kritische Masse‘“ an Ressourcen zu erreichen.150 Die neue Prioritätensetzung der EU schlug sich in einem deutlichen Ausbau der Forschungsförderung nieder. War die finanzielle Ausstattung der Forschungsrahmenprogramme bisher kontinuierlich gestiegen, von 3,3 Milliarden Euro für das erste FRP (1984–1987) auf 17,5 Milliarden Euro für das sechste FRP (2002–2006), so stellten die Staats- und Regierungschefs für das siebte FRP (2007–2013) 53,2 Milliarden Euro bereit.151 Zugleich sah das siebte FRP nun auch die Förderung der Grundlagenforschung vor. Zuständig dafür war der neugegründete Europäische Forschungsrat (European Research Council, ERC), der damit die Rolle des Dritten in dem neuen Konkurrenzverhältnis um Fördermittel übernahm. Als institutionelle Garantie für seine Unabhängigkeit von der Europäischen Kommission und dafür, dass die Förderentscheidungen ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien fielen, sollte der „Wissenschaftliche Rat“ dienen. Dieser setzt sich aus 22 Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammen, die von der Kommission bestellt werden. Er legt die Regeln der Förderung und Begutachtung fest und ernennt die Mitglieder der Fachausschüsse.152 Für den Zeitraum von 2007 bis 2013 waren für die Förderung von „frontier research“ 7,5 Milliarden Euro vorgesehen.153 Vergeben wurden diese Mittel als Forschungsbudgets in
149 Europäischer Rat, 23. und 24.3.2000, Lissabon, Schlussfolgerungen des Vorsitzes (Internetquelle 2); vgl. Wirsching (2012), S. 235 f.; Rodrigues (2003). 150 Europäische Kommission (2000), S. 8; zur Geschichte des Konzepts eines europäischen Forschungsraums vgl. André (2006). 151 Vgl. BMBF (2007), S. 6. 152 Vgl. Flink (2016), S. 32–34. 153 Vgl. Beschluss Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18.12.2006 über das Siebte Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007 bis 2013), in: Amtsblatt der Europäischen Union L 412, S. 1–41, Art. 4.
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VI. Der globale „Kamaf um die lügsten Köafen
Höhe von bis zu 3,5 Millionen Euro über fünf Jahre an einzelne Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen.154 Obwohl also Einzelpersonen um die Mittel des Europäischen Forschungsrates konkurrierten, hatte dieses neue Förderverfahren Rückwirkungen auf die europäischen Universitäten und den Wettbewerb unter ihnen. Die hohen Fördersummen verliehen den Empfängern und Empfängerinnen nämlich ein erhebliches Maß an Autonomie und stärkten deren Verhandlungsposition gegenüber den Hochschulen. Aufgrund der intensiven Konkurrenz155 um diese Gelder verschafften sie den erfolgreichen Antragstellern einen erheblichen Reputationsgewinn und machten sie so zu begehrten Kandidaten für die Besetzung von Stellen. Auch für die jeweiligen Institutionen hatte die ERC-Förderung einen hohen Wert, da sie sich rasch als Ausweis von Forschungsstärke etablierte.156 Vor dem Hintergrund der Lissabon-Agenda rückte in den 2000er Jahren auch die Universität als Institution und deren Rolle in der „wissensbasierten Wirtschaft und Gesellschaft“ in den Fokus der EU.157 In einer Mitteilung aus dem Jahr 2003 warnte die Europäische Kommission: „Die europäischen Universitäten ziehen weniger ausländische Studierende und vor allem auch weniger ausländische Forscher an als die amerikanischen“. Dies liege unter anderem daran, dass sie häufig nicht über die „notwendige ‚kritische Masse‘“ an finanziellen Mitteln verfügten. Die Universitäten sollten ihre Ressourcen daher auf die Bereiche konzentrieren, in denen sie „Exzellenz“ auf internationaler Ebene erreichen könnten.158 Mit dieser und anderen Forderungen159 propagierte die Kommission Elemente des New Public Management, musste sich dabei allerdings auf das Medium offizieller Mitteilungen beschränken, da sie nicht über die Kompetenzen verfügte, direkten Einfluss auf die nationalen Hochschulsysteme zu nehmen. Im Fall der Bundesrepublik waren die Grundsätze, die von der Kommission vertreten wurden, zu Beginn der 2000er Jahre bereits in den wissenschaftspolitischen common sense eingegangen und prägten die Hochschulgesetzgebung sowie das Handeln der entscheidenden Akteure im Wissenschaftssystem, so dass diese Verlautbarungen die wettbewerbsorientierte Transformation des deutschen Hochschulsystems zwar unterstützten, aber nicht ursprünglich in Gang setzten.160 Konkrete Wirkung entfaltete hingegen eine Initiative des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso, der den EU-Mitgliedstaaten im Februar 2005 als Teil eines „Neubeginn[s]“ der Lissabon-Strategie vorschlug, ein „European Institute of Technology“ nach dem Modell des US-amerikanischen MIT zu errichten. Dahinter stand der Gedanke, dem Problem der angeblich fehlenden Wettbewerbsfähigkeit europäischer 154 Vgl. European Research Council (2008). 155 Die Erfolgsquote, bezogen auf die Zahl der Anträge, betrug zwischen 2007 und 2014 nie mehr als 15 %; vgl. König (2016), S. 19. 156 Vgl. Edler et al. (2014). 157 Europäische Kommission (2003); vgl. Olsen/Maassen (2007). 158 Europäische Kommission (2003). 159 Vgl. auch Europäische Kommission (2005a). 160 S. o. Kap. III.2 und 3.
3. „Euroaäisierungn als Kon urrennstrategie
Universitäten durch eine Konzentration von Ressourcen zu begegnen. Das neue Institut sollte sich zu einem „Magneten für die besten Köpfe, Ideen und Unternehmen aus der ganzen Welt“ entwickeln.161 Bei den Regierungen der Mitgliedstaaten stieß dieses Projekt allerdings auf Kritik. Sie befürchteten, ihr bestes wissenschaftliches Personal an die neue Einrichtung zu verlieren, und verwiesen darauf, dass Bildung eine nationale Angelegenheit sei. Um eine Zustimmung der Nationalstaaten zu erhalten, überarbeitete die Kommission das Vorhaben daher, damit das Institut keine Konkurrenz zu nationalen Universitäten darstellte. Das Konzept sah schließlich keine konkrete Hochschule mehr vor. Vielmehr sollte das Institut Netzwerke zwischen bestehenden Einrichtungen herstellen. Die beteiligten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen sollten nicht von den nationalen Einrichtungen abgetreten werden müssen. Zudem sollte das Institut keine eigenen Studienabschlüsse vergeben. In dieser Form erhielt das „European Institute of Technology and Innovation“ den Segen des Europäischen Parlaments und des Europäischen Rats und nahm im Jahr 2009 mit der Einrichtung von drei „Knowledge and Innovation Communities“ zu den Forschungsfeldern Klima, Energie und Informationstechnologie seine Arbeit auf.162 Die Europäisierung der Wissenschaftspolitik lief somit einerseits darauf hinaus, Forschung zu vernetzen und die Mobilität von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu erleichtern und die Zirkulation wissenschaftlichen Wissens zu befördern, um europäischen Unternehmen, die auf globalen Märkten für technologieintensive Produkte agierten, eine breitere Ressourcenbasis zu verschaffen. Andererseits zielte die Forschungspolitik der EU, vor allem im Gefolge der Lissabon-Strategie, darauf ab, einen europaweiten Wettbewerb um Forschungsmittel zu entfachen. Diese europäische Konkurrenzstrategie trat aber keineswegs an die Stelle nationalstaatlicher Bemühungen um eine Schwerpunktbildung im Wissenschaftsbereich, sondern forcierte diese vielmehr, standen die Forschungsinstitutionen der Mitgliedsländer doch in einem Wettbewerb um EU-Gelder und die damit einhergehende internationale Reputation. Den Regierungen der Mitgliedstaaten musste daran gelegen sein, die eigenen Einrichtungen so zu profilieren, dass sie in einem zunehmend verflochtenen europäischen Hochschulraum nicht an die Peripherie gedrängt würden und an Anziehungskraft für Wissenschaftler und Studierende verlören.163
161 Europäische Kommission (2005b), S. 23; vgl. Gornitzka/Metz (2014b), S. 117. 162 Vgl. Gornitzka/Metz (2014b), S. 117–123; Verordnung (EG) Nr. 294/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.3.2008 zur Errichtung des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts, in: Amtsblatt der Europäischen Union L 97, S. 1–12. 163 Vgl. Wissenschaftsrat (2010a), S. 138–145.
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VII. Die Exzellenzinitiative
Seit Mitte der 1990er Jahre bestimmte die Furcht vor einem Verlust der internationalen Wettbewerbsfähigkeit die wissenschaftspolitische Diskussion in Deutschland. Denn von der Strahlkraft des deutschen Wissenschaftssystems, so die verbreitete Ansicht, hingen auch die Erfolgschancen deutscher Unternehmen in einer globalen Wirtschaft ab. Immer mehr rückte dabei die Diagnose in den Mittelpunkt, dass es der Bundesrepublik an „Spitzenuniversitäten“ fehle, die es an Attraktivität mit den führenden US-amerikanischen und britischen Hochschulen aufnehmen könnten. Diese Appelle stießen auch in der SPD auf Gehör, die sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre für neoliberale Konzepte geöffnet hatte und in der rot-grünen Regierung zunehmend einen Kurs verfolgte, der auf Anpassung an die Erfordernisse eines globalen Wettbewerbs der Wirtschaftsstandorte abzielte. Im März 2003 kündigte Bundeskanzler Gerhard Schröder angesichts der anhaltend hohen Arbeitslosigkeit und des niedrigen Wirtschaftswachstums unter dem Titel „Agenda 2010“ Reformen des Arbeitsmarktes und des Sozialsystems an.1 Neben diesen angebotsökonomischen Maßnahmen knüpfte die SPD-Spitze mit den im Januar 2004 beschlossenen „Weimarer Leitlinien Innovation“ aber auch an den Diskurs über eine wissensbasierte Ökonomie an, der bereits die Formulierung der Lissabon-Strategie der EU bestimmt hatte.2 Der „Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit und damit für Arbeitsplätze und Wohlstand in der Zukunft“, so das Papier, liege „in innovativen Lösungen für die Märkte von morgen“.3 Daher stellte der Parteivorstand eine Reihe von Maßnahmen im Bildungs- und Wissenschaftsbereich in Aussicht. Einer der zentralen Punkte lautete: Wir wollen die Struktur der Hochschullandschaft so verändern, dass sich Spitzenhochschulen und Forschungszentren etablieren, die auch weltweit in der ersten Liga mitspielen und mit internationalen Spitzenhochschulen wie Harvard und Stanford konkurrieren können.4 1 Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 15/32 vom 14.3.2003, S. 2479–2493. Zu Kontext und Konsequenzen der Exzellenzinitiative vgl. Szöllösi-Janze (2011), S. 52–54, 69–73. 2 S. o. Kap. VI.3. 3 SPD (2004), S. 8; vgl. auch SZ, 7.1.2004, S. 1; SZ, 5./6.1.2004, S. 5. 4 SPD (2004), S. 5. Der Anstoß zur Auszeichnung von Spitzenuniversitäten kam laut Peer Pasternack von SPD-Generalsekretär Olaf Scholz und Bundeskanzler Gerhard Schröder, vgl. Pasternack (2008), S. 14.
1. Die Aushandlung eines neuen Wettbeherbs
Diese „Spitzenuniversitäten“ sollten nach den Vorstellungen der Bundeswissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) in einem Wettbewerbsverfahren ermittelt werden und zusätzliche finanzielle Mittel vom Bund erhalten. Um die konkrete Ausgestaltung des Wettbewerbs und die Rolle des Dritten entspann sich allerdings eine Auseinandersetzung zwischen der Bundesregierung und den Bundesländern, die einem solchen Programm zustimmen mussten und deren Interessen davon in eminenter Weise betroffen waren. Letztlich lässt sich die im Jahr 2005 beschlossene Exzellenzinitiative nur aus einem Zusammenspiel föderaler Zwänge und Interessenlagen mit – teilweise Jahrzehnte zurückreichenden – wissenschaftspolitischen Diskursen und strukturellen Entwicklungen des deutschen Wissenschaftssystems erklären (Abschnitt 1). Die Exzellenzinitiative brachte nicht nur einen neuartigen Wettbewerb um Bundesmittel für die Forschung, sondern modifizierte und verschärfte auch die bestehenden Konkurrenzverhältnisse zwischen den Universitäten um Wissenschaftler, Prestige, freie Forschungszeit und Geld und ließ ein neues Konkurrenzsystem entstehen (2). Auch die Bundesländer sahen sich durch die Exzellenzinitiative in einen Wettbewerb versetzt, einen Wettbewerb allerdings, den sie mit ungleichen finanziellen Voraussetzungen zu bestreiten hatten. Die Reform des deutschen Föderalismus unter dem Leitbild eines „Wettbewerbsföderalismus“ drohte diese Diskrepanzen noch zu verschärfen (3). Das neue Konkurrenzsystem begünstigte im Verbund mit regionalen Disparitäten Entwicklungen in Richtung eines stratifizierten Hochschulsystems. Die Debatten über eine Fortsetzung des Verfahrens kreisten schließlich um die Frage, wie sich die politisch gewollte Differenzierung mit den mobilisierenden und legitimierenden Funktionen des Wettbewerbs vereinbaren ließe (4). 1. Die Aushandlung eines neuen Wettbewerbs Den Anstoß für die Forderung nach deutschen „Spitzenuniversitäten“ gab die seit Mitte der 1990er Jahre geführte Debatte um den Niedergang des Wissenschaftsstandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb und den drohenden „brain drain“. Im globalen „Kampf um die klügsten Köpfe“ stellten international mobile Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen und Studierende eine neue Prämie dar, waren aber zugleich die umworbenen Dritten. Um hier als aussichtsreiche Konkurrenten auftreten zu können, mussten Hochschulen und Forschungseinrichtungen einem internationalen Publikum präsent sein. Die Medien und insbesondere Hochschulrankings nahmen daher in dieser Konkurrenz eine zentrale Rolle ein, denn erst vermittelt über mediale Präsenz konstituierte sich die Arena der Konkurrenten. In den Augen der wissenschaftspolitischen Akteure in Deutschland bedeutete dies, dass die internationale „Sichtbarkeit“, das heißt die Bekanntheit bzw. der Ruf einzelner Einrichtungen, entscheidend für den Erfolg in diesem Wettbewerb sei.5 Wiederholt wurde das „Fehlen von Hochschulen mit weltweitem
5 Vgl. Markova (2013), S. 142.
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VII. Die Exnellenninitiative
Renommee“ als Grund für die mangelnde Attraktivität des deutschen Wissenschaftssystems im Vergleich mit den USA genannt.6 Internationale Hochschulrankings verstärkten diesen Eindruck.7 In der ersten Ausgabe des sogenannten Shanghai-Rankings aus dem Jahr 2003 rangierte die LMU München als ‚beste‘ deutsche Universität lediglich auf Platz 48. Nur vier weitere deutsche Hochschulen fanden sich unter den ersten Hundert.8 Der Präsident der DFG, Ernst-Ludwig Winnacker, griff dies in seinem Jahresbericht vom Juli 2004 auf. Er verwies zwar auf die fragwürdige Methodik, fügte jedoch hinzu: Lässt es sich also getrost zurücklehnen und abwarten, bis die Chinesen bessere Rankingmethoden verwenden? Ich denke, nicht. Um internationale Spitzenkräfte sowohl auf der Ebene der Studierenden als auch der Lehrenden und Forschenden anzuziehen, muss man international wahrgenommen werden. Es muss also die Frage erlaubt sein, ob unsere deutschen Forschungsstrukturen, auch in der außeruniversitären Forschung, dieser Forderung gerecht werden. Erlauben sie es dem einzelnen Wissenschaftler wirklich noch, international sichtbare Forschungsergebnisse zu erzielen?9
Die Bundeswissenschaftsministerin verwies im Zusammenhang mit ihrer Ankündigung, „Spitzenuniversitäten“ fördern zu wollen, explizit auf einen internationalen Vergleich der Publikationszahlen durch das schweizerische Zentrum für Wissenschaftsund Technologiestudien. Deutsche Hochschulen fänden sich darin nur in wenigen Fächern auf den ersten zehn Plätzen. Dass deutsche Universitäten in internationalen Rankings schlecht abschnitten, lag nicht zuletzt daran, dass international relevante Forschung hier oft an außeruniversitären Forschungseinrichtung angesiedelt war. Um die deutschen Hochschulen international attraktiver und wettbewerbsfähiger zu machen, sollten daher laut Bulmahn, gemeinsame „Forschungscluster“ von außeruniversitären Instituten und Universitäten gefördert werden.10 Bereits im Jahr 2003 hatte DFG-Präsident Winnacker festgestellt: „[V]iele Fachleute sind der Meinung, dass ein Forschungssystem der Bildung von sogenannten Forschungs-Clustern bedarf, mit interdisziplinären Forschungsmöglichkeiten über eine minimale kritische Masse hinaus“.11 Derartigen Überlegungen lag die Annahme zu Grunde, dass es im internationalen Wettbewerb nötig sei, „die vorhandenen Kompetenzen landesweit zusammenzuführen“ – so der Vorsitzende der wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrates Reinhard Hüttl auf einer Tagung im Jahr 2003.12 Angesichts des internationalen Wettbewerbs um „Sichtbarkeit“ wurde daher die institutionelle Trennung zwischen Universitäten und außeruniversitären Forschungs6 SZ, 22./23./24.4.2000, S. V1/1. 7 Vgl. Münch (2011a), S. 63; Gaehtgens (2010), S. 269; Hazelkorn/Ryan (2013), S. 94; Mau (2017), S. 88 f. 8 Vgl. Internetquelle 69; Internetquelle 70; Hazelkorn (2011), S. 11. 9 Winnacker (2004b), S. 10; vgl. auch Winnacker (2004a), S. vi. 10 Vgl. FAZ, 9.1.2004, S. 13. 11 Winnacker (2003), S. 43. 12 Hüttl (2005), S. 21.
1. Die Aushandlung eines neuen Wettbeherbs
einrichtungen problematisch.13 Dieses institutionelle Modell hatte sich in Deutschland seit dem späten 19. Jahrhundert herausgebildet, zunächst als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für die Wirtschaft und den expandierenden Interventionsstaat. Bereits hier spielte die wahrgenommene Konkurrenz der Nationalstaaten eine wichtige Rolle. Hinzu kam der wachsende Ressourcenbedarf der technisierten und arbeitsteiligen naturwissenschaftlichen Forschung, der sich in der Entwicklung zur sogenannten „Großforschung“ zuspitzte.14 Nach dem Zweiten Weltkrieg trieb der Bund die Ausweitung der außeruniversitären Forschung voran, indem er seit Mitte der 1950er Jahre eine eigene Forschungspolitik, zunächst vor allem auf dem Gebiet der Kernforschung, entwickelte.15 Da sich die Länder finanziell zunehmend überfordert sahen, konnte sich der Bund trotz fehlender Kompetenzen in die Forschungsförderung einschalten. Erst mit der Einführung der sogenannten „Gemeinschaftsaufgaben“ in Artikel 91a und b des Grundgesetzes im Jahr 1969 wurde diese Form des „kooperativen Föderalismus“ legalisiert. Auch weil sich der gegenüber den Ländern finanzstärkere Bund nur an der Forschungsförderung und am Hochschulbau, nicht aber an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligen durfte, wuchs der außeruniversitäre Sektor überproportional an. Denn die Max-Planck-Gesellschaft wurde schließlich jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern finanziert. Bei den Großforschungseinrichtungen und der Grundfinanzierung der Fraunhofer-Institute trug der Bund sogar 90 Prozent der Kosten.16 Seit den 1990er Jahren allerdings wurde die wechselseitige Abgrenzung zwischen den verschiedenen Wissenschaftsinstitutionen – die sogenannte „Versäulung“ des Wissenschaftssystems – mit dem Vorwurf mangelnder Flexibilität belegt.17 So konstatierte eine internationale Kommission, die von Bund und Ländern mit einer „Systemevaluation“ der DFG und der Max-Planck-Gesellschaft beauftragt worden war, eine „Tendenz zu Segmentierung des Systems“ und mahnte zu mehr „institutionenübergreifende Kooperation zwischen den einzelnen Bereichen des Forschungssystems“. Auch aus diesem Zusammenhang heraus entwickelte sich die Rede von „befristeten Schwerpunkten und […] Kompetenzzentren zur Bearbeitung ausgewählter Forschungsaufgaben über verschiedene Institutionen hinweg“.18 Dies bot sich insofern an, als eine „Rückführung“ der Forschung in die Universitäten angesichts des föderalen Finanzgefüges kaum realistisch war.19 Die Bundeswissenschaftsministerin hatte zunächst beabsichtigt, eine kleine Zahl von Universitäten – „bis zu fünf “ – über fünf Jahre pauschal mit jeweils 50 Millionen
13 Vgl. auch Winnacker (2003), S. 43. 14 Vgl. Ritter (1992). 15 Zur Geschichte der Großforschung in der BRD vgl. Szöllösi-Janze (1990); Szöllösi-Janze/Trischler (1992); Ritter (1992), S. 56–132. 16 Vgl. Münch (2007a), S. 321 f.; Hohn (2010), 459–464. 17 Vgl. Hohn (2010), S. 457 f., 465 f.; Winter/Kreckel (2010), S. 8 f. 18 Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 7, 9. 19 Vgl. Forschung & Lehre, no. 8 (1997), S. 394–395.
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VII. Die Exnellenninitiative
Euro jährlich zu fördern.20 Die Landesregierungen hingegen standen einem solchem Wettbewerb, bei dem die Mehrheit von ihnen leer ausgehen musste, skeptisch gegenüber, wenngleich sie nie die Verteilung zusätzlicher Forschungsmittel in Form eines Wettbewerbs in Frage stellten. Vielmehr zeigt die Entstehungsgeschichte der Exzellenzinitiative, in welchem Maße die Annahme, dass Konkurrenz im Wissenschaftssystem eine leistungssteigernde Wirkung habe, seit der Wettbewerbsdebatte der frühen 1980er Jahre zur Selbstverständlichkeit geworden war.21 Die Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern drehten sich allerdings um die Regeln dieses neuen Konkurrenzverhältnisses und die Rolle des Dritten. SPD- und unionsregierte Länder forderten nämlich, nicht Universitäten als Ganze zu fördern, sondern nach Wissenschaftsbereichen zu differenzieren. Dahinter stand offensichtlich die Erwartung, dass die Fördermittel breiter gestreut würden, wenn der Wettbewerb zwischen einzelnen Forschungsschwerpunkten stattfinde.22 Aus verfassungsrechtlichen Gründen mussten sich die Regierungen von Bund und Ländern auf einen Kompromiss einigen, denn die Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundes im Wissenschaftsbereich waren (neben dem Hochschulbau) auf die „Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung“ beschränkt, die ihrerseits nur auf Basis einer Vereinbarung mit den Ländern stattfinden konnte.23 Aus dieser Bestimmung erklärt sich auch, dass die universitäre Lehre in der Exzellenzinitiative völlig außen vor blieb. Die Vereinbarung von Bund und Ländern sah letztlich drei „Förderlinien“ vor: Prämiert werden sollten „Graduiertenschulen“, „Exzellenzcluster“ und „Zukunftskonzepte zum projektbezogenen Ausbau der universitären Spitzenforschung“. Nur die dritte Förderlinie galt den Universitäten als Institutionen und diente dazu, deren Fähigkeiten zum Aufbau international konkurrenzfähiger Forschungsschwerpunkte zu stärken. Über fünf Jahre sollten den Universitäten insgesamt 1,9 Milliarden Euro zufließen, wobei die Kosten zu 75 Prozent vom Bund und zu 25 Prozent von den Sitzländern der geförderten Einrichtungen zu tragen waren.24 Umstritten war, wer die Rolle des Dritten in diesem Konkurrenzverhältnis besetzen sollte. Hatte Bulmahn zunächst eine „Jury aus nationalen und internationalen Experten“ vorgesehen, so forderten die Wissenschaftsminister der Länder, die DFG mit der Durchführung des Programms zu betrauen.25 Der Wissenschaftsrat, der seit den 1980er Jahren und vor allem mit der Begutachtung der ostdeutschen Forschungseinrichtungen nach der Wiedervereinigung zunehmend in die Funktion einer Evalua20 Die Bundesministerin für Bildung und Forschung (2004), S. 9–11; Internetquelle 65; vgl. auch SZ, 26.1.2004, S. 1. 21 Vgl. z. B. KMK (2004), S. 1; vgl. außerdem Bartz (2007), S. 242. 22 Zu den Verhandlungen zwischen Bund und Ländern vgl. BLK (2005); SZ, 11.4.2005, S. 8; SZ, 16.4.2005, S. 6; FAZ, 16.4.2005, S. 4; FAZ, 19.4.2005; BLK (2006), S. 7; SZ, 11.6.2005, S. 5; 16.6.2005; FAZ, 18.6.2005, S. 2. 23 GG Art. 91b in der Fassung vom 12.5.1969. 24 Vgl. Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348. 25 Die Bundesministerin für Bildung und Forschung (2004), S. 10; vgl. KMK (2004), S. 1.
1. Die Aushandlung eines neuen Wettbeherbs
tionseinrichtung hineingewachsen war, brachte sich selbst als Dritten für das Exzellenz-Programm ins Gespräch, was von den Ländern aber zunächst abgelehnt wurde.26 Die Frage war insofern von Bedeutung, als die Auswahl der Entscheidungsträger wahrscheinlich auch den Ausgang des Wettbewerbs prägen würde. Die Länder versuchten dabei vor allem zu verhindern, dass das Bundeswissenschaftsministerium direkt Einfluss nehmen könnte, und stützten sich auf das Argument, es dürfe ausschließlich nach wissenschaftlichen Kriterien entschieden werden. So argumentierten auch die HRK, DFG-Präsident Winnacker und die Fachverbände für Physik und Chemie.27 Aus dieser Perspektive bot es sich insbesondere an, die DFG einzubinden, die sich durch den Bedeutungsgewinn der Drittmittelforschung in den vorangegangenen Jahrzehnten als einer der wichtigsten Dritten im deutschen Wissenschaftssystem etabliert hatte und ihre Legitimation daraus zog, dass sie als Institution der „Selbstverwaltung“ der Wissenschaft auftrat. Bund und Länder einigten sich schließlich auf ein kompliziertes Arrangement, das einerseits den Wettbewerb als wissenschaftsgeleitet legitimieren, andererseits der Politik gewisse Entscheidungsspielräume sichern sollte28: Der Senat der DFG ernannte die vierzehnköpfige „Fachkommission“, die sich mit den Exzellenzclustern und Graduiertenschulen befasste, die Wissenschaftliche Kommission des Wissenschaftsrates setzte die zwölf Mitglieder der „Strategiekommission“ ein, die über die Zukunftskonzepte beriet. Beide Kommissionen zusammen bildeten die „Gemeinsame Kommission“, die abschließende Förderempfehlungen aussprach. Die Mitglieder der Gemeinsamen Kommission waren überwiegend an Universitäten und außeruniversitären Forschungsinstituten tätig, lediglich zwei von ihnen stammten aus den Forschungsabteilungen der Unternehmen Henkel und Degussa. Wie von Bund und Ländern vorgesehen, brachte die Hälfte der Mitglieder Erfahrungen aus den Wissenschaftssystemen anderer Länder ein. Es handelte sich dabei teils um Deutsche, die im Ausland forschten, wie der Physiker und Nobelpreisträger Wolgang Ketterle, teils um Ausländer, die aber meistens persönlich mit dem deutschen Hochschulsystem vertraut waren. Letztere stammten vorwiegend aus den angloamerikanischen Ländern, der Schweiz und den Niederlanden, also aus den Staaten, deren Universitäten in Deutschland als vorbildhaft wahrgenommen wurden. Manche von ihnen hatten sich zudem in Wissenschaftspolitik und -management profiliert, wie der Wirtschaftswissenschaftler und Rektor der Universität Genf Luc Weber, der unter anderem Funktionen in der European University Association und der International Association of Universities ausgeübt und einige Arbeiten zur Hochschulpolitik veröffentlicht hatte.29 In letzter Instanz lag die Entscheidung über die Förderanträge – und damit die Rolle des Dritten in die-
26 S. o. Kap. IV.5; vgl. Bartz (2007), S. 242; FAZ, 9.6.2004, S. 1; FAZ, 15.3.2005, S. 2. 27 Vgl. HRK (2005); KMK (2004); SZ, 9.2.2004, S. 9; Deutsche Physikalische Gesellschaft (2005). 28 Zum Folgenden vgl. Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348, § 4; DFG/Wissenschaftsrat (2007). 29 Vgl. Internetquelle 92.
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VII. Die Exnellenninitiative
sem neuen Konkurrenzverhältnis – aber nicht bei der Gemeinsamen Kommission, sondern beim „Bewilligungsausschuss“, der sich aus der Gemeinsamen Kommission und den siebzehn Wissenschaftsministern und -ministerinnen von Bund und Ländern zusammensetzte. Eine Gewichtung der Voten sorgte dafür, dass die Wissenschaft in diesem Ausschuss über 39, die Politik über 32 Stimmen verfügten. Über die Stimmverteilung sollte somit verhindert werden, dass die Fördermittel nach politischen Kriterien verteilt würden.30 Die Auseinandersetzungen um die Rolle des Dritten zogen sich allerdings in das laufende Auswahlverfahren der Exzellenzinitiative hinein. In der ersten von zwei Auswahlrunden wandten die Wissenschaftler in der Gemeinsamen Kommission eine List an, um einer interessensgeleiteten Einflussnahme der Länder zum Beispiel im Sinne eines Regionalproporz zuvorzukommen. Statt die Anträge in ihrer Förderempfehlung wie geplant in drei Kategorien einzuteilen, bewertete die Gemeinsame Kommission diese entweder als förderwürdig oder als nicht förderwürdig und schränkte so den Spielraum des Bewilligungsausschusses ein.31 Nach vehementem Protest der politischen Seite wiederholte sich dies in der zweiten Runde nicht. Da sich nun die Mittel etwas gleichmäßiger auf die Bundesländer verteilten – in der ersten Runde waren vor allem bayerische und baden-württembergische Universitäten erfolgreich gewesen – und in der dritten Förderlinie sechs Universitäten prämiert wurden, artikulierten mehrere Medien den Verdacht, die Entscheidungen könnten durch föderale Rücksichtnahmen bedingt sein.32 Auch die Leistungskriterien des neuen Wettbewerbs waren Gegenstand von Aushandlungsprozessen auf politischer Ebene, da die Wissenschaftspolitik diese Entscheidung nicht allein den beteiligten Gutachtern und Gutachterinnen überließ, sondern eine Reihe von Gesichtspunkten festlegte, unter denen die Anträge bewertet werden sollten. Gefordert waren neben „Exzellenz“ in Forschung und Nachwuchsförderung auch Internationalität, Interdisziplinarität und „universitätsübergreifende bzw. außeruniversitäre Kooperation“.33 Dahinter standen Problemdiagnosen, die zum Teil eine längere Vorgeschichte besaßen. War die Forderung nach einer verstärkten Internationalisierung vor allem im Zuge der Attraktivitätsdebatte seit Mitte der 1990er Jahre aufgekommen, so reichte die Debatte über die Notwendigkeit von mehr Interdisziplinarität und Verbundforschung bis in die 1960er und 1970er Jahre zurück. Dass die Leistungskriterien des neuen Wettbewerbs weniger kontrovers waren als die Rolle des Dritten und der Zuschnitt der Förderlinien, erklärt sich daraus, dass hier Vorstellungen zum Tragen kamen, die sich in den vorangegangenen Jahrzehnten allmählich als Konsens unter den entscheidenden wissenschaftspolitischen Akteuren etabliert hatten.
30 Vgl. Bartz (2007), S. 243. 31 Vgl. Schavan (2006); Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 15.10.2006, S. 4; SZ, 16.10.2006, S. 16; FAZ, 10.11.2006, S. 12. 32 Vgl. SZ, 20./21.10.2007, S. 4; SZ, 20./21.10.2007, S. 1; Barlösius (2008b), S. 162. 33 Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348, § 3.
1. Die Aushandlung eines neuen Wettbeherbs
Interdisziplinarität zählte in allen drei Förderlinien zu den zentralen Leistungskriterien.34 Hinter dieser Forderung stand die verbreitete Annahme, dass „[w]issenschaftliche Innovationen“ in erster Linie „an den Rändern der Disziplinen“35 bzw. an den „Schnittstellen“36 zwischen den etablierten Fächern entstünden. Bereits in den 1960er und 1970er Jahren hatte das Konzept der Interdisziplinarität Konjunktur in der wissenschaftstheoretischen und wissenschaftspolitischen Debatte.37 Aus dieser Zeit stammte auch das Argument, dass nur durch interdisziplinäre Zusammenarbeit komplexe gesellschaftliche Probleme gelöst werden könnten, die sich dem Zugriff einzelner Fächer entzögen.38 Zunächst hatten diese Forderungen allerdings wenig konkrete Folgen für Organisation und Forschungspraxis an den Hochschulen – abgesehen von punktuellen Neuerungen wie dem Zentrum für interdisziplinäre Forschung an der Universität Bielefeld oder dem Projektstudium an einzelnen „Reformuniversitäten“.39 Seit den späten 1980er Jahren gewann das Thema Interdisziplinarität in den wissenschaftspolitischen Debatten der Bundesrepublik jedoch erneut an Aufmerksamkeit.40 Als einer der prominentesten Fürsprecher der Interdisziplinarität trat dabei der Wissenschaftsphilosoph Jürgen Mittelstraß auf, der in zahlreichen Evaluationskommissionen und Gremien der Wissenschaftsorganisationen vertreten war. Einflussreich war auch die Arbeit der Wissenschaftssoziologen Michael Gibbons, Camille Limoges, Helga Nowotny, Simon Schwartzmann, Peter Scott und Martin Trow mit dem Titel The new production of knowledge. Obwohl theoretisch kritisierbar und empirisch kaum belegt, machte die darin vertretene These einer neuen Form von Wissensproduktion („mode 2“ genannt) Karriere.41 Forschungsthemen würden sich in Zukunft, so die Autoren, weniger an disziplinären Fragestellungen denn an Problemen der Praxis orientieren und daher neue Formen der fächerübergreifenden Kooperation nach sich ziehen.42 Eine der Verfasserinnen, die österreichische Wissenschaftssoziologin Helga Nowotny, nutzte – ähnlich wie Mittelstraß – ihre Tätigkeit in der Politikberatung, um dieser Auffassung Geltung zu verschaffen.43 34 Vgl. Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348, § 3 Abs. 1; DFG/Wissenschaftsrat (2005b); DFG/Wissenschaftsrat (2005d); DFG/Wissenschaftsrat (2005c). 35 LMU München (2004). 36 Glotz (1998), S. 141; für ein weiteres Beispiel vgl. Herrmann (2001), S. 130. 37 So die einflussreiche Position von Erich Jantsch, vgl. Weingart (1987), S. 159; zur Geschichte des Konzepts vgl. außerdem Klein (1990), S. 19–54. 38 So die einflussreiche Position von Erich Jantsch, vgl. Weingart (1987), S. 159. Aus der jüngeren Diskussion vgl. z. B. Wissenschaftsrat (2000c), S. 13; Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 5; Weingart (2012). 39 Vgl. Rudloff (2011). 40 Bei den Anträgen für DFG-Graduiertenkollegs z. B. war Interdisziplinarität ausdrücklich gewünscht, vgl. DFG (1991), S. 184. 41 Vgl. Krücken (2001), S. 329–332; kritisch: Weingart (1997). 42 Vgl. Gibbons et al. (1994). 43 Nowotny war Mitglied der Kommission zur „Systemevaluation“ der DFG und der Max-Planck-Gesellschaft, in deren Bericht die Forderungen nach mehr Interdisziplinarität eine prominente Rolle einnahmen, vgl. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 2, 5. Mittelstraß forderte z. B. als Mitglied einer Arbeitsgruppe des Wis-
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VII. Die Exnellenninitiative
Dass sich die Forderung, interdisziplinäre Arbeitsformen gezielt zu fördern, seit den 1990er Jahren zunehmend durchsetzte, dürfte nicht zuletzt daran gelegen haben, dass Interdisziplinarität von ihren Verfechtern als Voraussetzung für Innovationen dargestellt wurde.44 Auf diese Weise verliehen sie ihrem Anliegen zusätzliches Gewicht, da wissenschaftlichen Innovationen in der politischen Debatte als Garant für die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft galten.45 Handlungsbedarf schien sich daraus zu ergeben, dass „neue, zukunftsträchtige Wissensbereiche“ „im eher strukturkonservativen deutschen Wissenschaftssystem nur wenig Entwicklungschancen“ hätten, wie eine vom BMBF in Auftrag gegebene Studie aus dem Jahr 2001 konstatierte.46 Neue, interdisziplinäre Forschungsansätze würden in Deutschland, so das Ergebnis der von Bund und Ländern in Auftrag gegebenen „Systemevaluation“ von DFG und Max-Planck-Gesellschaft, unter anderem durch das Begutachtungssystem der DFG blockiert, das mit seinem „bottom-up“-Prinzip „eher […] Fortentwicklungen aus bestehenden Forschungszusammenhängen“ begünstigte als „[ü]bergreifende Konzepte mit ‚großem Innovationspotential‘“.47 Im Jahr 2000 führte die DFG daraufhin mit den „Forschungszentren“ ein neues Förderprogramm ein, mit dem gezielt Schwerpunkte auf vielversprechenden, vorher festgelegten Forschungsfeldern aufgebaut werden sollten.48 Disziplinäre Beharrungskräfte resultierten aber auch daraus, dass in erster Linie die Fakultäten über die Denomination neuer Professuren entschieden. Diese Macht der Gremien wurde nun durch die Exzellenzinitiative teilweise ausgehebelt.49 Die Exzellenzinitiative war ferner darauf angelegt, Verbundforschung zu fördern. Für Exzellenzcluster, die sich laut Ausschreibung durch „thematische Kohärenz“ auszeichnen sollten, waren pro Jahr 6,5 Millionen Euro vorgesehen.50 Mit dieser Förderlinie war den Universitäten daher eine noch umfassendere Kooperation in der Forschung abverlangt als in SFBs, die im Jahr 2005 durchschnittlich 1,5 Millionen Euro
senschaftsrates zur Evaluation der Entwicklungspläne der Berliner Hochschulen wiederholt, Forschungszentren jenseits der Fakultätsgliederung einzurichten, in denen neue Forschungsthemen aufgegriffen werden könnten, vgl. Landesarchiv Berlin, D Rep. 800 Nr. 3, Wissenschaftsrat, Vermerk über die wesentlichen Ergebnisse der zweiten Sitzung der Arbeitsgruppe „Strukturplanung Berlin“ des Wissenschaftsrates am 22./23.2.1999 in Berlin, Geschäftsstelle P 2980/99, S. 31. 44 Vgl. z. B. Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 6. 45 Vgl. z. B. SPD (2004). Zum Innovationsdiskurs vgl. Godin (2015). 46 Buechtemann (2001b), S. 5. 47 Internationale Kommission zur Systemevaluation der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max-Planck-Gesellschaft (1999), S. 96. 48 Vgl. Wissenschaftsrat (2001b). Der Umfang des Programms blieb allerdings begrenzt, weil die Ausschreibung mit Beginn der Exzellenzinitiative zunächst ausgesetzt wurde: In vier Antragsrunden von 2001 bis 2012 wurden insgesamt sieben Forschungszentren ausgewählt (vgl. Internetquelle 71). Laut Wissenschaftsrat hatte das Programm „modellgebenden Charakter für die Förderlinie Exzellenzcluster im Rahmen der Exzellenzinitiative“ (Wissenschaftsrat (2009), S. 27). 49 S. u. Kap. VII.2. 50 DFG/Wissenschaftsrat (2005c).
1. Die Aushandlung eines neuen Wettbeherbs
erhielten.51 Die Graduiertenschulen wiederum setzten „ein wissenschaftliches Profil in Form übergeordneter Fragestellungen oder Leitbilder“ voraus.52 Und auch die dritte Förderlinie sollte die Universitäten dazu in die Lage versetzen, „besonders leistungsfähige Kerne“ zu „neuen, profilbildenden Schwerpunkten“ auszubauen.53 Die Konzentration von Ressourcen auf Bereiche, in denen auf hohem Niveau gemeinsame Forschungsthemen bearbeitet wurden, galt den Befürwortern der Exzellenzinitiative als wichtige Voraussetzung für den internationalen Wettbewerb.54 Mit anderen Argumenten hatten verschiedene wissenschaftspolitische Akteure allerdings bereits seit Jahrzehnten dafür plädiert, an den Hochschulen Forschungsschwerpunkte zu bilden und verstärkt zu fördern. Das SFB-Programm der DFG war eines der frühen Produkte dieser Forderung.55 In der Konkurrenz um Finanzmittel waren Universitäten vor allem seit den 1980er Jahren zunehmend gezwungen, Verbundforschung nachzuweisen, da Drittmittelgeber und Wissenschaftsministerien dies immer öfter zum Leistungskriterium machten.56 Auch in dieser Hinsicht verstärkte die Exzellenzinitiative somit Tendenzen, die sich bereits seit längerem abzeichneten. Bereits in der Wettbewerbsdebatte der 1980er Jahre hatte unter anderem der Wissenschaftsrat gefordert, die Universitäten sollten „auf Feldern, auf denen sie ihre Chancen besonders hoch einschätzen, Leistungszentren mit einem spezifischen Profil und von hervorragendem Rang aufbauen“ können. Der Präsident der TU München, Wolfgang Wild, sprach sich für „centers of excellency [sic]“ aus und versuchte als bayerischer Wissenschaftsminister, derartige Konzepte umzusetzen.57 Seit Mitte der 1990er Jahre tauchten in der wissenschaftspolitischen Diskussion vermehrt Rufe nach „centers of excellence“ auf.58 Auch darin, dass die Exzellenzinitiative ganze Universitäten zu Konkurrenten machte, schrieb das Programm einen vorhandenen Trend fort. Obwohl sich nämlich das Programm nicht, wie ursprünglich gedacht, um die Kür einiger weniger „Spitzenuniversitäten“ drehte, waren nicht Gruppen von einzelnen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, sondern ausschließlich die „Universitäten, jeweils vertreten durch ihre Leitung“ antragsberechtigt.59 Dadurch sollten die Universitäten zu einer „strategischen und thematischen Planung“, zu Profilbildung und „Prioritätensetzung“ gezwungen werden.60 Die dritte Förderlinie hob sogar ausschließlich auf die Steu-
51 Eigene Berechnungen basierend auf Zahlen aus DFG (o. J. b), S. 122. 52 DFG/Wissenschaftsrat (2005d). 53 DFG/Wissenschaftsrat (2005b). 54 Vgl. z. B. Hüttl (2005), S. 21; Winnacker (2003), S. 43. 55 S. o. Kap. I.5. 56 Zur Bewertung dieser Tendenz aus der Perspektive unterschiedlicher Disziplinen und individueller Erfahrungen vgl. die Beiträge in Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (2012). 57 TUM.Archiv.Einrichtungen.Fortl.Num.4169, dpa-dienst für kulturpolitik, 27.5.1985, S. 15; Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 58 Peter (2014), S. 97. 59 Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348, § 4 Abs. 5; wortgleich die Ausschreibung durch DFG und Wissenschaftsrat: DFG/Wissenschaftsrat (2005a). 60 DFG/Wissenschaftsrat (2005c), S. 1;
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VII. Die Exnellenninitiative
erungsfähigkeiten der Universitäten als Organisationen ab und stellte damit die gravierendste Neuerung dar. Der Gedanke, Hochschulen als Ganze in ein Konkurrenzverhältnis zu bringen und auf diese Weise zur Schwerpunktbildung zu animieren, war jedoch keineswegs neu. Diese Absicht hatte bereits hinter dem SFB-Programm gestanden, in dem – ebenso wie später bei den DFG-Graduiertenkollegs – die Universitäten als Antragsteller auftraten. Mit demselben Motiv hatten die Wissenschaftsministerien mancher Länder seit den 1980er Jahren die Vergabe zusätzlicher Mittel, zum Beispiel für Berufungen, daran gebunden, Schwerpunkte auszuweisen. Auch die Einführung der „leistungsorientierten Mittelverteilung“ auf Landesebene versetzte die Hochschulen als Ganze in Konkurrenz zueinander. Die Universität als Organisation mit einer starken Leitung, die für eine kompetitive Profilbildung zu sorgen hatte, bildete seit den 1980er Jahren ein zentrales Element des Wettbewerbsparadigmas. Die Exzellenzinitiative zielte somit nicht allein auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Universitäten. Vielmehr gab dieses neue Argument den Anstoß dazu, das deutsche Hochschulsystem durch ein Wettbewerbsverfahren mit politisch gesetzten Leistungskriterien grundlegend umzugestalten. Der Wettbewerb war darauf angelegt, den Modus kollegialer Entscheidungsfindung weiter auszuhebeln, da er nach verbreiteter Auffassung interdisziplinäre Vernetzung und wettbewerbliche Profilbildung an den Universitäten blockierte. 2. Ein neues Konkurrenzsystem Die Exzellenzinitiative schuf nicht nur ein zusätzliches Konkurrenzverhältnis, sondern veränderte den bestehenden Wettbewerb der Universitäten um Wissenschaftler, Geld und Prestige in so einschneidender Weise, dass von einem neuen Konkurrenzsystem gesprochen werden kann. Da bald absehbar war, dass der Exzellenzwettbewerb auch nach Ablauf der ersten Phase fortgesetzt würde,61 bereiteten sich die Universitäten auf künftige Runden vor, indem sie Professoren und Professorinnen mit hohen Erfolgsaussichten rekrutierten, die Internationalisierung vorantrieben und ihr Profil und ihr Renommee durch drittmittelfinanzierte Forschungsschwerpunkte stärkten. Dabei kam den Hochschulleitungen, durch die Regeln des Wettbewerbs konsequent befördert, eine entscheidende Rolle zu, was zu universitätsinternen Machtverlagerungen und neuen Konfliktpotenzialen führte. Die Exzellenzinitiative verschaffte den Gewinnern deutliche Vorteile in der Konkurrenz um Professoren und Professorinnen. Die Exzellenzcluster waren finanziell so gut ausgestattet, dass größere Investitionen möglich waren, um den zu Berufenden das
61 Vgl. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2009), S. 7; Exzellenzvereinbarung II vom 24.6.2009, in: BAnz. S. 2416–2419.
2. Ein neues Kon urrennsystem
gewünschte Arbeitsumfeld zu verschaffen.62 Auch die Gehälter lagen bei Berufungen auf W 2- und W 3-Stellen in Exzellenz-Einrichtungen deutlich über dem ansonsten Üblichen.63 In den meisten Clustern war außerdem die Lehrverpflichtung der Mitglieder reduziert, nicht selten auf weniger als die Hälfte der üblichen Stundenzahl.64 Im Rahmen der geförderten Zukunftskonzepte war es den erfolgreichen Universitäten zudem möglich, auch besonders ausgewiesenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, die nicht an Exzellenzclustern oder Graduiertenschulen beteiligt waren, mehr Freiräume für ihre Forschungstätigkeit zu verschaffen.65 Insbesondere verschiedene Formen eines „Institute for Advanced Studies“, wie sie von sechs Exzellenzuniversitäten nach Vorbild bekannter US-amerikanischer Institutionen66 eingerichtet wurden, boten auf befristete Dauer attraktive Stellen ohne Pflichten in Lehre und Verwaltung und ausgestattet mit einem eigenen Forschungsbudget.67 Die Universitäten, deren Anträge gescheitert waren, mussten hingegen befürchten, dass aus Enttäuschung über den vergeblichen Arbeitsaufwand die Projektverbünde wieder zerfielen und die Beteiligten sich an andere Universitäten berufen ließen.68 Mit ihren Anträgen hatten sich diese nämlich in der Hochschule stark exponiert und mussten nun mit einem Gesichtsverlust rechnen. Mit der ungleichen Verteilung von Forschungsressourcen beförderte die Exzellenzinitiative somit tendenziell eine Entkoppelung der Forschung von der Lehre und damit eine Spaltung in Forschungs- und Lehruniversitäten bzw. in forschungsund ausbildungsorientierte Bereiche auch innerhalb derselben Hochschule.69 Angesichts der Wettbewerbsvorteile auf Seiten der Gewinner konstatierte der Rektor der Universität Jena Klaus Dicke einen „Verdrängungswettbewerb“ zwischen den Exzellenz-Einrichtungen und anderen, finanziell weniger gut ausgestatteten Universitäten.70 Die sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange klagte:
62 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017. 63 Vgl. Bukow/Möller (2013), S. 17. 64 Vgl. Gerhards (2010), S. 124; Bukow/Möller (2013), S. 18. 65 DFG/Wissenschaftsrat (2008), Teil III, S. 7, 9–11. 66 Als Vorbild dienten vor allem das Institute for Advanced Studies in Princeton und das Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences in Palo Alto (Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017). Bereits das Zentrum für Interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld und das 1980 gegründete Wissenschaftskolleg zu Berlin hatten sich an diesen Vorbildern orientiert, vgl. Wittrock (o. J.); Mälzer (2016), S. 256–284, 447–451; Glotz (2006), S. 58; Glotz et al. (2006), S. 33–36; Marquardt/Wilhelmy (2014), S. 128; Wissenschaftsrat (1989). 67 Vgl. Schreiterer (2010), S. 96. Zum Institute for Advanced Studies der TU München vgl. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006, S. 3, 25–27, 30 f. Zu den anderen fünf verwirklichten Konzepten vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2008), Teil III, S. 6–8, 10 f. 68 Vgl. Hartmann (2010), S. 381. Zum Aspekt der Enttäuschung nach gescheiterten Anträgen: Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. 69 Vgl. Szöllösi-Janze (2011), S. 70 f. Zu früheren Ansätzen und Überlegungen, die auf eine Entkoppelung von Forschung und Lehre hinausliefen vgl. ebd., S. 60–62. 70 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016.
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VII. Die Exnellenninitiative
Gerade jene Universitäten, die schon an der Schwelle zur Exzellenz standen, erleben einen herben Rückschlag. Hier in Sachsen laufen den Universitäten reihenweise die guten Wissenschaftler davon, weil sie dem Ruf einer Elite-Uni folgen. Das ist ein völlig logischer Effekt, aber damit wird eine gut entwickelte Forschungslandschaft ausgehöhlt.71
Auch für die erfolgreichen Universitäten gestaltete sich die Suche nach geeignetem Personal allerdings nicht immer einfach. Sie mussten die offenen Stellen möglichst schnell besetzen, da die Mittel nur für begrenzte Zeit zur Verfügung standen und bis zu einer möglichen zweiten Runde des Wettbewerbs vorzeigbare Ergebnisse vorliegen mussten.72 Zudem intensivierte sich die Konkurrenz um die letztlich begrenzte Zahl qualifizierter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, nachdem nun gleichzeitig eine große Zahl neuer Stellen ausgeschrieben wurde und die Exzellenz-Einrichtungen auch miteinander konkurrierten, wenn etwa Cluster auf verwandten Forschungsfeldern eröffnet wurden.73 Als Nachteil im Wettbewerb um besonders gesuchte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erwies sich grundsätzlich die mögliche Befristung von Professuren. Um ihre Chancen zu erhöhen, sahen sich die Exzellenz-Einrichtungen daher genötigt, Professuren unbefristet zu vergeben und verschiedene Formen des tenure track für Juniorprofessoren und -professorinnen anzubieten. Dafür mussten allerdings die jeweiligen Fakultäten und Fachbereiche bzw. die Universitäten eine dauerhafte Finanzierung der Stellen sichern.74 Schließlich führte auch die erhöhte Aufmerksamkeit, die den Gewinnern zuteil wurde, dazu, dass deren Personal mehr Angebote von anderen Einrichtungen bekam. Die Leitungen der TU und der LMU München zum Beispiel mussten vermehrt Verhandlungen zur Abwehr von auswärtigen Rufen führen.75 Auch die Postdocs in den erfolgreichen Forschungsverbünden wurden verstärkt umworben.76 Mittelfristig bestand allerdings „die Gefahr, dass sich das Unterangebot an qualifiziertem Personal beim Anlaufen der Exzellenzinitiative in ein Überangebot an akademisch spezialisiertem Personal nach deren Ende“ verwandeln würde.77 Es waren nämlich deutlich mehr Qualifikationsstellen geschaffen worden als Professuren. Im Jahr 2011 waren deutschlandweit 437 Professoren und Professorinnen unmittelbar aus 71 SZ, 25.2.2008, S. 18. 72 Vgl. Sondermann et al. (2008), S. 62 f. 73 Vgl. Sondermann et al. (2008), S. 63 f.; Gerhards (2010), S. 122; DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 46. Im Exzellenzcluster Kognitive Interaktionstechnologie der Universität Bielefeld konnten z. B. von acht Professuren zwei W 3-Stellen nicht im ersten Anlauf besetzt werden, vgl. Das Rektorat der Universität Bielefeld, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008, Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S. 6. 74 Vgl. Sondermann et al. (2008), S. 65 f.; DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 60 f.; DFG/Wissenschaftsrat (2015), S. 67. 75 Vgl. DUZ, no. 11 (2007), S. 20–21. So erhielt z. B. der Sprecher des Exzellenzclusters der TU München einen Ruf der ETH Zürich zusammen mit einem außeruniversitären Forschungsinstitut (Internetquelle 84). 76 Vgl. Sondermann et al. (2008), S. 65. 77 Neidhardt (2010), S. 68; vgl. außerdem Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Exzellenzinitiative“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2010b), S. 30 f.; zum Folgenden vgl. auch Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016), S. 28.
2. Ein neues Kon urrennsystem
Mitteln der Exzellenzinitiative beschäftigt. Dem standen 1 310 Stellen für Postdocs und 3 746 für Promovierende gegenüber.78 Zudem fielen Professuren nach dem Auslaufen der Förderung oft entweder wieder weg oder mussten durch Umwidmungen weitergeführt werden. Die Konzentration der Qualifikationsstellen in Forschungsverbünden ließ überdies erwarten, dass in absehbarer Zeit eine erhebliche Zahl von hochqualifizierten Promovierten und Postdocs mit ähnlichem Qualifikationsprofil auf den wissenschaftlichen Stellenmarkt treten und miteinander um eine Fortsetzung ihrer Karriere an den Hochschulen und Forschungseinrichten konkurrieren würden (sofern sie nicht in die Privatwirtschaft wechseln konnten). Die Exzellenzinitiative erhöhte insgesamt den Anteil der befristeten Stellen an den Hochschulen deutlich und spitzte damit eine seit den 1980er Jahren anhaltende Entwicklung weiter zu.79 Die Exzellenzinitiative veränderte den interuniversitären Wettbewerb auch insofern, als die Universitätsleitungen nun wachsendes Augenmerk darauf legten, sogenannte „Leistungsträger“ zu gewinnen und zu halten, die in der Lage schienen, solche großformatigen Projektförderungen einzuwerben und zu stemmen.80 So konstatierte zum Beispiel ein Papier des Bielefelder Rektorats aus dem Jahr 2008, dass „der Wettbewerb um sehr gute/herausragende Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen an Schärfe zugenommen“ habe.81 Hochschulleitungen und Fakultäten bemühten sich zunehmend um sogenannte proaktive Berufungen, das heißt sie sprachen Wunschkandidaten für Professuren gezielt an, ohne dass diese ausgeschrieben und ein reguläre Bewerbungsverfahren durchgeführt worden wären. Diesen Weg wählten sie vor allem dann, wenn es um Professuren ging, die als besonders wichtig für das Profil der Universität galten oder wenn Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen mit Kompetenzen in stark spezialisierten Forschungsfeldern gesucht wurden.82 Dabei wurden auch informelle Vorverhandlungen geführt, um die Chancen abzuschätzen, jemanden gewinnen zu können.83 Seit Mitte der 2000er Jahre erlaubten einige Bundesländer ihren Hochschulen, auf die Ausschreibung vakanter Professuren gänzlich zu verzichten, wenn „eine in besonderer Weise qualifizierte Persönlichkeit zur Verfügung steht, deren Gewinnung im Hinblick auf die Stärkung der Qualität und Profilbildung im besonderen Interesse der Hochschule liegt“.84 Damit wurde die Pflicht zur Ausschreibung von Professuren außer Kraft gesetzt, 78 Eigene Berechnungen basierend auf Zahlen aus: Wissenschaftsrat (o. J.). 79 S. o. Kap. I.6. 80 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; vgl. auch Dicke (2016), S. 36; Sieweke (2010), S. 122 f. 81 Das Rektorat der Universität Bielefeld, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008, Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S. 9. 82 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016; vgl. Forschung & Lehre, no. 9 (2011), S. 666–667; Präsidium der FU Berlin (2007), S. 100. Das Rektorat der Universität zu Köln erwog im Jahr 2009, nachdem die gesetzlichen Möglichkeiten zum Verzicht auf Ausschreibungen ausgeweitet worden waren, die Option eines „Strategische[n] Headhunting“, vgl. Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 2.9.2009, S. 2. 83 Vgl. Bukow/Möller (2013), S. 11 f.; Internetquelle 83. 84 Bayerisches Hochschulpersonalgesetz vom 23.5.2006, in: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt, S. 230–284, Art. 18 Abs. 3; mit gleichem Wortlaut: Thüringer Hochschulgesetz in der Fassung nach dem Thü-
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die erst in den 1970er Jahren eingeführt worden war, um traditionelle Professorennetzwerke aufzubrechen, für einen transparenten Wettbewerb um Professuren zu sorgen und damit zu garantieren, dass nur die am besten Qualifizierten berufen würden.85 Die Aufweichung dieser Regelung nutzten nun manche Hochschulleitungen, um durch gezielte Abwerbungsversuche ihrerseits die Konkurrenz um führende Forscher und Forscherinnen zu forcieren. Zugleich verloren dadurch die regulären universitären Gremien, Senat und Fakultäten, ihren Einfluss auf die Besetzung von Professuren. Dies bedeutete einen weiteren Schritt von der durch kollegiale Entscheidungsfindung geprägten Universität zur „entrepreneurial university“ mit starker Spitze.86 Ansätze zu einer veränderten Berufungspolitik finden sich zwar bereits vor der Exzellenzinitiative. Der Präsident der FU Berlin betonte beispielsweise im Jahr 2001, Ziel müsse es sein, „den Ablauf von Berufungsverfahren im Sinne des Wettbewerbs der Universität um Kandidat/innen (statt des Wettbewerbs der Kandidat/innen um Stellen) umzugestalten“.87 Mit dem Exzellenzwettbewerb erhielt dieser Wandel aber einen erheblichen Schub: Die RWTH Aachen, die LMU sowie die TU München bekundeten in ihren Zukunftskonzepten, proaktive Berufungsverfahren künftig häufiger anwenden zu wollen.88 Bei der Besetzung von Professuren in Exzellenzcluster machten sich die Beteiligten teilweise ebenfalls aktiv auf die Suche nach möglichen Kandidaten und Kandidatinnen.89 Dass die Konkurrenz um besonders gesuchte Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zunahm, zeigte sich auch an anderen neuen Formen des Konkurrenzverhaltens wie der Einrichtung sogenannter „dual career“-Dienste. Das Konzept hierfür stammte aus den USA90 und sah vor, den Partnerinnen oder Partnern der zu Berufenden eine Stelle an der Hochschule oder in der jeweiligen Stadt zu verschaffen. Dies war in Einzelfällen schon früher praktiziert worden, da Berufungen durchaus an dieser Frage scheitern konnten.91 In den 2000er Jahren richteten die Hochschulleitungen nun aber, mitunter als Teil ihrer Zukunftskonzepte, eigene Stellen zu diesem Zweck ein und machten dies offensiv publik. Gab es im Jahr 2007 erst fünf „dual career“-Dienste an deutschen Hochschulen, so waren es 2010 schon 34.92 Teilweise leisteten die Uniringer Gesetz zur Änderung hochschulrechtlicher Vorschriften vom 21.12.2006, GVBl. 2006, S. 603–681, § 38 Abs. 1. Derartige Regelungen hatte der Wissenschaftsrat im Jahr 2005 empfohlen: „Um die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule in der Konkurrenz um die weltweit Besten eines Faches nachhaltig zu verbessern und der Hochschulleitung die Möglichkeit zur gezielten und schnellen aktiven Rekrutierung von international renommierten Hochschullehrern zu geben, sollte ein außerordentliches Berufungsverfahren etabliert werden“ (Wissenschaftsrat (2005), S. 5). 85 Vgl. Waßer (2016), S. 235 f. 86 S. o. Kap. III.2 und 3. 87 FU Berlin, UA, AS 2, Vorlage C 3684/01, Der Präsident, Berufungsperspektive und -strategie. 88 Vgl. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006, S. 40; DFG/Wissenschaftsrat (2008), Teil III, S. 4, 11 f. 89 Vgl. Sondermann et al. (2008), S. 56. 90 Vgl. z. B. Radlanski (2003). 91 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 14.3.2016. 92 Vgl. Forschung & Lehre, no. 2 (2010), S. 94–95; vgl. auch Hochfeld (2010), S. 130. Der Wissenschaftsrat mahnte im Jahr 2005, künftig würden sich „renommierte und dementsprechend umworbene Wissenschaft-
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versitäten auch Unterstützung bei der Suche nach Wohnungen, Kinderbetreuung und Schulen.93 In manchen Regionen wie zum Beispiel in Berlin, München und Südostniedersachsen schlossen sich Hochschulen, Forschungseinrichtungen und teils auch Unternehmen zu Netzwerken zusammen, um sich wechselseitig bei Stellenvermittlung behilflich zu sein.94 Solche Angebote steigerten wiederum die Erwartungshaltung der umworbenen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, wie der Rektor der FSU Jena in einem Vortrag aus dem Jahr 2014 feststellte: Die Inanspruchnahme eines Dual-Career-Service ist inzwischen fast zur selbstverständlichen Regel geworden, und bei manchen W 3-Berufungen sind die Erwartungen so hoch, dass eine mittlere Universität den Wettbewerb mit einer Exzellenz-Universität in einer Metropole nur in Ausnahmefällen bestehen kann.95
Indem einzelne Universitäten derartige Dienstleistungen anboten, setzten sie daher andere unter Druck. Als der Senat der Universität zu Köln im Jahr 2009 darüber diskutierte, ob den Partnern von Wunschkandidaten Stellen an der Universität angeboten werden sollten, äußerte der Rektor Axel Freimuth die Ansicht, dies sei notwendig, um konkurrenzfähig zu bleiben – Qualifikationsanforderungen und die Strukturplanung der Fakultäten müssten allerdings gewahrt bleiben.96 Die zunehmende Konkurrenz um vermutete wissenschaftliche „Leistungsträger“ führte auch dazu, wie der Präsident der Universität Oldenburg bereits im Jahr 2002 feststellte, dass diese „mehr denn je [wissen], was sie einer Hochschule wert sind bzw. sein können“.97 Gegen Ende der 2000er Jahre sahen sich manche Hochschulleitungen und Wissenschaftsministerien daher veranlasst, einem ruinösen Wettbewerb vorzubauen.98 So bestand die TU München in ihren Verträgen mit Neuberufenen darauf, ihre Investitionskosten erstattet zu bekommen, wenn jene frühzeitig einen Ruf an eine andere Universität annähmen.99 Mehrere Bundesländer planten, ähnliche Regelungen per Gesetz einzuführen.100 Hierbei handelte es sich um Versuche, die nun entfesselte Konkurrenz wieder einzuhegen, die dadurch entstanden war, dass die sogenannte „Drei-Jahres-Sperre“ in den 2000er Jahren immer seltener angewandt wurde. In einem verfassungswidrigen101 Beschluss aus dem Jahr 1955, der 1978 im Wesentlichen erneuert ler und Wissenschaftlerinnen kaum noch für eine Hochschule gewinnen lassen, wenn für dieses Problem keine befriedigenden Lösungen angeboten werden können“ (Wissenschaftsrat (2005), S. 60). 93 Vgl. z. B. Künnecke (2012), S. 135–137. 94 Vgl. TU München (2009); Internetquelle 80 und 73. 95 Dicke (2016), S. 36. 96 Universität zu Köln, Protokoll der Sitzung des Senats am 10.6.2009, S. 4. 97 UAOL 20002 ZW, Der Präsident, Zur Problematik kommender Berufungen und Bleibeverhandlungen, 20.5.2002, S. 3. 98 Vgl. duz MAGAZIN, no. 4 (2010), S. 9–11. 99 Vgl. Forschung & Lehre, no. 9 (2011), S. 666–667. 100 Vgl. duz MAGAZIN, no. 4 (2010), S. 9–11. 101 Vgl. Detmer (2001).
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wurde, hatten die Kultusminister der Länder vereinbart, keinen Ruf an Professoren auszusprechen, wenn ein anderes Land, bei dem die betreffende Person in einem Beamtenverhältnis stand, Bedenken formulierte und auf Gehaltserhöhungen und Ausstattungsverbesserungen im Zuge von Berufungs- oder Bleibeverhandlungen in den vorangegangenen drei Jahren verweisen konnte. Da mit der Einführung der W-Besoldung die Gehaltsverhandlungen in die Verantwortung der Hochschulen übergingen und ein Teil der Länder den Hochschulleitungen auch das Berufungsrecht übertrug, verlor dieser Beschluss seine Grundlage, zumal sich einzelne Wissenschaftsminister aus der Übereinkunft verabschiedeten.102 Die Exzellenzinitiative trug ferner dazu bei, den bestehenden Wettbewerb um Drittmittel weiter zu verschärfen, da diese zu den wichtigsten Leistungskriterien zählten. Die Exzellenz-Anträge sollten nämlich auf „belegbaren Erfolgen“ aufbauen, deren „Messbarkeit“ sicherzustellen sei.103 Aller Wahrscheinlichkeit nach beeinflussten quantitative Kennzahlen wie die Summe eingeworbener Drittmittel die Entscheidungen, denn die Mitglieder des internationalen Begutachtungsgremiums konnten sich allein schon aus zeitlichen Gründen nur schwerlich einen Überblick über die wissenschaftlichen „Leistungen“ einer ganzen Universität oder der bis zu 25 „principal investigators“104 eines Cluster-Antrags verschaffen, ohne auf derartige Hilfsmittel zurückzugreifen.105 Kennzahlen ermöglichten zudem Vergleiche zwischen ganzen Universitäten und zwischen den Clustern aus verschiedenen Forschungsbereichen.106 In der dritten Förderlinie der ersten Antragsrunde „dominierten“ nach Ansicht eines beteiligten Wissenschaftlers Leistungskennzahlen die Auswahl der Sieger deutlich.107 Der Ausgang des Wettbewerbs stand zudem in auffälliger Übereinstimmung mit der Verteilung der DFG-Mittel in den Jahren vor der Exzellenzinitiative. Acht der neun „Exzellenzuniversitäten“ zählten zu den zwölf Hochschulen mit den meisten eingeworbenen Mitteln im Zeitraum von 2002 bis 2004. Von diesen zwölf Universitäten kam wiederum nur Erlangen-Nürnberg nicht in die Endauswahl. Lediglich der Erfolg der Universität Konstanz fügte sich nicht in dieses Muster, da es sich um eine deutlich kleinere Hochschule handelte.108 Darüber hinaus waren der Großteil der geförderten Cluster und teilweise
102 Vgl. Detmer (2001); duz MAGAZIN, no. 4 (2010), S. 9–11; Detmer (2012), S. 137; Waßer (2016), S. 231– 233. 103 Wissenschaftsrat (2006a); vgl. auch DFG/Wissenschaftsrat (2005c), S. 2; DFG/Wissenschaftsrat (2005d), S. 2. Nicht immer waren sich die Gutachter allerdings einig, welches Gewicht den vergangenen Leistungen bei der Beurteilung der Anträge zukommen sollte, vgl. Zürn (2010), S. 224 f. 104 DFG (2006b). 105 Vgl. auch die Ausführungen zu anderen Evaluationsverfahren in Kap. IV.5. 106 Die sächsische Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange behauptete, es habe vor allem der „Status quo“, insbesondere das Kriterium Drittmitteleinwerbungen bei der Auswahl der Zukunftskonzepte gezählt (SZ, 25.2.2008, S. 18). Vgl. auch Münch (2007a), S. 58 f. 107 Zürn (2010), S. 225. 108 Vgl. Bloch et al. (2008), S. 104 f.; DFG (2006a), S. 45; „die Drittmitteleinwerbung im Verhältnis zu Budget und Größe der Universität“ wurde bei der Bewertung der Zukunftskonzepte neben Publikationen,
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auch die Graduiertenkollegs an der TU München, der FU Berlin und den Universitäten Köln, Bielefeld und Jena in Bereichen angesiedelt, die bereits zuvor großformatige Drittmittelprojekte, meistens in Form von SFBs, eingeworben hatten und die von den jeweiligen Hochschulen als profilbildend definiert worden waren.109 Da Forschung in größeren Projektverbünden, möglichst über die Grenzen der etablierten Disziplinen hinweg, nunmehr zu einem wichtigen Kriterium in der Konkurrenz um Finanzmittel geworden war und Universitäten, die auf diesem Feld keine Erfolge verzeichnen konnten, ein dauerhafter Abstieg zu drohen schien, sahen sich die Hochschulleitungen gedrängt, die Profilbildung ihrer Universitäten weiter zu forcieren oder überhaupt erst einzuleiten.110 An der FSU Jena begann ein neu gewähltes Rektorat im Jahr 2004, als sich die Exzellenzinitiative bereits ankündigte, mit der Bildung von Forschungsschwerpunkten, nachdem die Universität bis dahin – so die Auffassung der neuen Hochschulleitung – „die Zeit verschlafen“ hatte. Die verstärkte Förderung einiger weniger, möglichst interdisziplinärer Forschungsbereiche sollte die Chancen der Universität in der Konkurrenz um größere Drittmittelprojekte erhöhen.111 Durch die Zuspitzung des Drittmittel-Wettbewerbs auf großformatige Verbundforschung sahen sich kleinere Universitäten, an denen kein Fach die nötige Größe für einen Exzellenzcluster aufbrachte, unter geradezu destruktiven Druck gesetzt. Sie waren auf Kooperationen angewiesen, um überhaupt als aussichtsreiche Konkurrenten auftreten zu können. Dies betraf unter anderem die Universität Oldenburg, die in der ersten Phase der Exzellenzinitiative zwar zwei Cluster-Anträge stellte – einen davon zusammen mit der TU Braunschweig, – aber keinen Erfolg hatte.112 Die Leitungen der Universitäten Oldenburg und Bremen wie auch der niedersächsische Wissenschaftsminister und die Bremer Bildungssenatorin zogen daraus den Schluss, die bereits bestehende Zusammenarbeit zu verstärken und bei einer Fortsetzung der Exzellenzinitiative gemeinsame Anträge zu stellen.113 Darüber hinaus stellte der Oldenburger Präsident Uwe Schneidewind im Jahr 2007 Überlegungen an, wie „Forschungsprofilierung“ an einer kleineren Universität gelingen könne. Schwerpunktbildung müsse „in für die Universität Oldenburg darstellbaren Bereichen[/]Nischen passieren sowie in solchen Feldern, die durch die Bezüge zur regionalen Einbettung (z. B. Meeresforschung, regenerative Energien) sowie durch die Kooperation mit der Universität Bremen […] nachhaltig wettbewerbsfähig auszugestalten sind“. Dabei müssten insPatenten und wissenschaftlichen Preisen als Kriterium herangezogen, vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 21. 109 Vgl. z. B. TU München, Proposal for the establishment and funding of the cluster of excellence „Origin and structure of the universe“, München 2006, Anhang S. 5; Sonderforschungsbereich 375 Research in Particle Astrophysics (o. J.); Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017. 110 Vgl. Flink/Simon (2015a), S. 38 f. 111 Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016. 112 UAOL 20002 ZW, Protokoll der 10. Sitzung des 17. Senats am 1.3.2006, S. 6; ebd., Protokoll der 12. Sitzung des 17. Senats am 17.5.2006, S. 6; Internetquelle 75. 113 Vgl. Ahrens (2011), S. 177; Internetquelle 76 und 77.
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besondere die „internen Vernetzungspotenziale“ ausgenutzt werden, „da faktisch kein Fach der Universität Oldenburg allein über die kritische Masse für z. B. einen eigenen Sonderforschungsbereich verfügt“.114 Die Rektoren und Präsidenten der Universitäten, die sich durch die Regeln des neuen Konkurrenzverhältnisses benachteiligt sahen, versuchten zudem Einfluss auf die Ausgestaltung des Wettbewerbs zu nehmen, um ihre Chancen zu erhöhen. So fand sich auf eine Initiative der Universitäten Oldenburg und Kassel das Netzwerk Mittelgroße Universitäten zusammen, um gemeinsame hochschulpolitische Interessen zu artikulierten.115 Offensichtlich löste die Exzellenzinitiative mit ihrem Fokus auf große Forschungsverbünde an Universitäten, die sich in einer ähnlichen Lage wie Oldenburg befanden, die Befürchtung aus, zu zweitklassigen Lehranstalten degradiert zu werden. Das Netzwerk betonte daher, dass seine Mitglieder „einen expliziten Forschungsanspruch verfolg[t]en, der zu Forschungsexzellenz in definierten Profilbereichen“ führen solle.116 Da sich diese Universitäten durch die Regeln des Exzellenzwettbewerbs systematisch benachteiligt oder ausgeschlossen sahen und sich daher keine großen Hoffnungen auf künftige Erfolge machen konnten, lag es für sie nahe, die Legitimität des Wettbewerbs in seiner gegenwärtigen Form in Zweifel zu ziehen.117 Sie griffen zu Strategien der politischen Konkurrenz,118 um die Regeln und Leistungskriterien in ihrem Interesse zu verschieben. So plädierten sie dafür, in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative auch Anträge aus überregionalen Partnerschaften zuzulassen.119 Außerdem sollten „angemessen kleine Verbünde“ ermöglicht werden, um kleineren Fächern die Möglichkeit zu geben, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen120 – eine Forderung, die in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative berücksichtigt wurde.121 Da die Exzellenzinitiative aber auch darauf abzielte, die „Versäulung“ des deutschen Wissenschaftssystems aufzubrechen, kam es aus Perspektive der Universitäten darauf an, ihre Verbindungen zu außeruniversitären Forschungseinrichtungen zu stärken.122 In diesem Bereich setzte der Exzellenzwettbewerb starke Anreize zur Kooperation, da sich die Universitäten durch gemeinsame Anträge mit solchen Instituten Vorteile gegenüber ihren Konkurrenten verschaffen konnten. Den außeruniversitären Einrich114 UOL Altregistratur, Fakultätsrestrukturierung – Konkreter Präsidiumsvorschlag und Einbettung in die Gesamtstrategie der Universität. Vorlage zur Senatssitzung am 28.3.2007, S. 2. Vgl. auch Schneidewind (2007). 115 Vgl. Internetquelle 78 und 79. 116 Internetquelle 79. 117 Vgl. Hölkeskamp (2014), S. 44 f. 118 S. o. Kap. I.3. 119 In der ersten Phase hatte die DFG darauf beharrt, dass die kooperierenden Einrichtungen höchstens eine Stunde Fahrzeit auseinanderliegen sollten, vgl. Leibfried (2012), S. 32, Fußnote 3. 120 Netzwerk Mittelgroße Universitäten (2008). 121 Vgl. Exzellenzvereinbarung II vom 24.6.2009, in: BAnz. S. 2416–2419. 122 Gespräch mit Prof. Dr. Tassilo Küpper am 5.4.2016; Witte (2007). Als Anzeichen dafür, dass Wissenschaftler aus Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen im Gefolge der Exzellenzinitiative vermehrt miteinander zusammenarbeiteten, kann man den Anstieg des Anteils gemeinsamer Publikationen an der Gesamtzahl der Veröffentlichungen werten, vgl. Hornbostel/Möller (2015), S. 42–47.
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tungen wiederum war es nur über die Zusammenarbeit mit den Universitäten möglich, sich an dem Wettbewerb beteiligen. Jenseits der Förderanträge bildeten in der Regel gemeinsame Berufungen den Kern der Kooperation. Dabei übernahmen die Direktoren und Direktorinnen der außeruniversitären Institute zugleich Professuren an den Universitäten.123 Dies war bereits früher üblich gewesen,124 gewann mit der Exzellenzinitiative aber an Bedeutung.125 So schaltete sich zum Beispiel im Jahr 2008 der Rektor der Universität zu Köln Axel Freimuth in ein Berufungsverfahren ein, da der Besetzungsvorschlag der Fakultät eines der örtlichen Max-Planck-Institute veranlasst hatte, das Angebot einer gemeinsamen Berufung zurückzuziehen. „[H]insichtlich der zukünftigen Profilbildung und der Etablierung exzellenter Forschungsbereiche“, so Freimuth, müsse die Universität „alles daran setzen, mit den exzellent ausgewiesenen und forschungsstarken lokalen Max-Planck-Instituten zusammenzuarbeiten“.126 Für die Universitäten konnten gemeinsame Berufungen jedoch auch Probleme bergen, da die außeruniversitären Einrichtungen in der Regel auf einem reduzierten Lehrdeputat für ihre Mitglieder bestanden und in der Konkurrenz um den wissenschaftlichen Nachwuchs oft bessere Bedingungen bieten konnten.127 Dem Potenzial an möglichen außeruniversitären Kooperationspartnern vor Ort kam daher im Wettbewerb um die Exzellenzgelder großes Gewicht zu, was manche Universitäten vor Probleme stellte.128 Aus Sicht des Rektors der Universität Bielefeld erwies es sich als nachteilig, dass kein größeres Forschungsinstitut im Umfeld der Hochschule ansässig war. Er bemühte sich daher – allerdings vergeblich – um die Ansiedelung eines Max-Planck-Institutes.129 Die Konzentration von Forschungseinrichtungen an einem Standort wurde somit, wie der Soziologe Richard Münch betont, zu einer wichtigen Ressource im Wettbewerb um Drittmittel und mittelbar um wissenschaftliches Personal und Prestige.130 Diese Ressource war allerdings ungleich verteilt. So befanden sich von den 71 Instituten der Max-Planck-Gesellschaft im Jahr 2006 alleine zehn im Raum München sowie acht in Berlin und Potsdam.131 An beiden Orten hatten außerdem jeweils zwei der 31 Fraunhofer-Institute ihren Sitz.132 Hinzu kamen in Berlin zwei der insgesamt 14 Einrichtungen der Helmholtz-Gemeinschaft, 123 Zu den verschiedenen Formen solcher gemeinsamer Berufungen vgl. Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2008). Die TU München führte z. B. in ihrem Antrag in der dritten Förderlinie 21 gemeinsame Professuren mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen an, vgl. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006, S. 12. 124 Vgl. Wissenschaftsrat (1991b), S. 25 f. 125 Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017. 126 Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Schreiben des Rektors an den Dekan vom 15.3.2008, Anlage zum Protokoll der Fakultätssitzung am 17.3.2008. 127 Vgl. Gaehtgens (2015), S. 26 f.; Marettek (2016), S. 116. 128 Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (2001), S. 21. 129 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. 130 Vgl. Münch (2011a), S. 63 f. 131 Außenstellen und Teileinrichtungen nicht mitgezählt, vgl. Max-Planck-Gesellschaft (o. J.), S. 85–87. 132 Vgl. Internetquelle 74.
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eine in München.133 Von den 24 Einrichtungen der Leibniz-Gemeinschaft, die sich an der Exzellenzinitiative beteiligten, befanden sich ebenfalls fünf in Berlin.134 An Standorten wie Berlin und München bestanden somit besonders günstige Ausgangsbedingungen für gemeinsame Anträge mit außeruniversitären Partnern.135 Auch die Zusammenarbeit benachbarter Universitäten brachte Vorteile, wie die TU und die LMU München sowie die FU und die HU Berlin mit drei bzw. zwei gemeinsamen Exzellenzclustern zeigten.136 Trotz der institutionellen Konkurrenz zwischen den Universitäten konnten hier also Interessenskoalitionen entstehen, wenn die Kooperation größere Chancen gegenüber anderen Wettbewerbern versprach.137 Nicht zu unterschätzen ist schließlich die symbolische Dimension der Exzellenzinitiative. Diese markierte, wie der Vorsitzende des Wissenschaftsrates Karl Max Einhäupl Mitte 2005 formulierte, einen „Paradigmenwechsel von der behaupteten Gleichheit aller Universitäten zu einer wettbewerblichen Differenzierung“, eine Einschätzung, die auch ein Kritiker des Programms wie der Soziologe Michael Hartmann teilte.138 Es lag in der Intention des Programms, einzelne Universitäten und Forschungsbereiche nicht nur finanziell zu stärken, sondern auch öffentlich auszuzeichnen, war die Exzellenzinitiative doch als Reaktion auf einen internationalen Wettbewerb um mediale „Sichtbarkeit“ und die Aufmerksamkeit ausländischer Wissenschaftler und Studierender konzipiert. Bereits Rankings hatten die Vorstellung einer weitgehend homogenen Hochschullandschaft – soweit diese jenseits des Fachpublikums vorherrschte – aufgebrochen und signifikante Unterschiede behauptet, die sich in Form von Ranglisten darstellen ließen.139 Nun beglaubigte auch ein staatlich veranstalteter, von DFG und Wissenschaftsrat durchgeführter Wettbewerb eine vertikale Differenzierung des Hochschulsystems. Die Exzellenzinitiative schuf somit auf symbolischer Ebene eine neue Prämie und ließ zugleich den Wert bestehender Reputationssymbole, beispielsweise der DFG-Graduiertenkollegs und SFBs, sinken.140 Anders als Rankings schuf 133 DFG/Wissenschaftsrat (2005c), S. 3. In der dritten Förderlinie konnten nur einzelne Universitäten antreten, während dies im Programm „Graduiertenschulen“ nicht explizit geregelt war. Hier war aber zumindest ein gemeinsamer Antrag der Universitäten Köln und Bonn erfolgreich (vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2005b), S. 2; DFG/Wissenschaftsrat (2005b); DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 26. 134 Vgl. Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz e. V. (o. J.), S. 26–28. 135 Zu Konkurrenz- und Kooperationsdynamiken im Bereich der Biotechnologie am Standort München-Martinsried vgl. das Forschungsprojekt „Kooperation und Konkurrenz vor Ort. Die Herausbildung des Standorts München-Martinsried als Zentrum von Lebenswissenschaft und Biotechnologie“ im Rahmen der DFG-Forschergruppe „Kooperation und Konkurrenz in den Wissenschaften“, s. online: https:// www.kooperation-und-konkurrenz.geschichte.uni-muenchen.de/teilprojekte/tp-6/index.html. 136 Vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 26 f. 137 Auch die Universitäten Köln und Bonn stellten gemeinsame Anträge, vgl. Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln, Protokoll der Fakultätssitzung am 21.6.2004, S. 1; Ziel- und Leistungsvereinbarung III (ZLV 2007–2010) zwischen der Universität zu Köln und dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft, Forschung und Technologie des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 5 f. 138 DFG (29.7.2005); Hartmann (2006). 139 S. o. Kap. V.3. 140 Vgl. Simon et al. (2010), S. 162, 195; Szöllösi-Janze (2014), S. 341.
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der Wettbewerb dabei allerdings keine Rangordnung, sondern bewirkte in der öffentlichen Wahrnehmung vielmehr eine „Dichotomisierung“ zwischen exzellenten und nicht exzellenten Universitäten. Damit ging die Suggestion eindeutiger Unterschiede in der wissenschaftlichen Qualität einher, auch wenn die Entscheidungen möglicherweise nur knapp ausgefallen oder von anderen Faktoren beeinflusst waren.141 Die mediale Berichterstattung fokussierte zudem stark auf die wenigen Gewinner in der dritten Förderlinie, denen nicht selten der Titel einer „Elite-Universität“ oder „Exzellenzuniversität“ zugeschrieben wurde, und verknappte die symbolische Prämie damit noch zusätzlich.142 Die erfolgreichen Universitäten bemerkten einen „erheblichen Imagegewinn“143 und konnten nunmehr das Exzellenzprädikat in anderen Konkurrenzverhältnissen als weitere Ressource einsetzen. Die Aufmerksamkeit, die der Exzellenzinitiative im Ausland zuteil wurde, und das zusätzliche Prestige erleichterten es den geförderten Universitäten wie auch den einzelnen Clustern, internationale Kooperationspartner zu finden.144 Die Graduiertenschulen wiederum erwiesen sich als attraktiv für ausländische Promovierende.145 Zudem gab es Anzeichen dafür, dass sich auch deutsche Studienanfänger bei der Wahl der Hochschule an den Ergebnissen der Exzellenzinitiative orientierten.146 Vermutlich erleichterte der Prestigegewinn außerdem die Einwerbung von Spenden und Drittmitteln aus der Wirtschaft. All diese Entwicklungen hin zu einem neuen Konkurrenzsystem ließen die internen Strukturen der Universitäten nicht unverändert. Die Exzellenzinitiative verschob die inneruniversitären Machtverhältnisse zugunsten der Hochschulleitungen und ließ diese noch stärker in die Position eines Dritten rücken. Die Universitätsspitze entschied nämlich darüber, mit welchen Anträgen die Universität sich an dem Wettbewerb beteiligte.147 Die Details der Anträge wurden von informellen Arbeitsgruppen unter Beteiligung der Hochschulleitungen erarbeitet, während Senat und Fakultätsräte allenfalls am Rande beteiligt waren. Die gewählten Gremien wurden zwar in der Regel informiert, hatten aber keine formalen Kompetenzen mehr und verloren als
141 Vgl. Pasternack (2008), S. 25; Turner (2007), S. 442; zu den knappen Entscheidungen vgl. insbesondere Zürn (2010). 142 Vgl. Gaehtgens (2015), S. 23; Barlösius (2008b). 143 Rechenschaftsbericht des Rektors der Universität Bielefeld, Prof. Dr. Dieter Timmermann, für 2007 an den Senat, 30.1.2008, S. 2. 144 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016; SZ, 15.10.2007, S. 20; SZ, 24.1.2007, Ausgabe Bayern, S. 40; Bloch et al. (2008), S. 99; Kehm (2013), S. 23; Gaehtgens (2015), S. 23. 145 Vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 37 f. 146 Zumindest sofern diese besonders gute Schulleistungen vorzuweisen hatten und aus einem akademischen Elternhaus stammten, vgl. Döring et al. (2011), S. 2 f. Anders Bruckmeier et al. (2014); die Autoren konzentrieren sich allerdings auf die Einschreibungszahlen und vernachlässigen die mögliche Auswirkung von Zulassungsbeschränkungen. 147 Wie die Hochschulleitungen die Auswahl der Projekte organisierten unterschied sich allerdings von Universität zu Universität. Während z. B. das Rektorat der Universität zu Köln ein hochschulöffentliches „Plenum Exzellenzinitiative“ einrichtete, um eine möglichst breite Zustimmung zu erreichen, sprach das Präsidium der TU München gezielt einzelne Professoren in aussichtsreichen Forschungsbereichen an (Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016; Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017).
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VII. Die Exnellenninitiative
wissenschaftliche Entscheidungsträger an Gewicht.148 Mit der Entscheidung darüber, welche Anträge die Universität stellen sollte, konnten nämlich nachhaltige Konsequenzen für das künftige Profil und die Verteilung von Mitteln verbunden sein. Bereits während der Antragsphase der Exzellenzinitiative tauchte bei Hochschulmitgliedern, die nicht an den geplanten Clustern und Graduiertenschulen beteiligt waren, die Befürchtung auf, durch den Wettbewerb könne es zu Schwerpunktverlagerungen innerhalb der Universitäten kommen.149 Nicht ohne Grund befürchteten sie, dass sich die hochschulinterne Konkurrenz um Mittel und Stellen nun verstärken könnte und die Gewichte zu ihren Lasten verschieben würden. Denn nach Auslaufen der Förderung stellte sich die Frage, wie die Universitäten mit den entstandenen Strukturen umgehen würden und wie sie insbesondere die neu geschaffenen Professuren weiter finanzieren würden. Da die Exzellenzinitiative „Gewinnung“ und „Erhalt nachhaltiger Exzellenz“ zum Förderkriterium machte, hatten die Universitäten teilweise zugesagt, die Stellen zu verstetigen, um ihre Chancen zu erhöhen.150 Sollten die Universitäten zu diesem Zweck keine zusätzlichen Mittel von den Landesregierungen erhalten oder Drittmittel einwerben können, so mussten die Hochschulleitungen in anderen Bereichen kürzen.151 Eine Zielvereinbarung zwischen dem Freistaat Bayern und der TU München im Juli 2006 hielt zum Beispiel fest, dass „eine sich als notwendig erweisende Folgefinanzierung“ der Projekte aus der Exzellenzinitiative „hochschulintern zu Lasten bestehender Lehrund Forschungsgebiete bis hin zu deren Abschaffung geht, soweit nicht zusätzliche Mittel für die Folgefinanzierung bereit gestellt werden können“.152 Teilweise bestimmten die Hochschulleitungen bereits im Vorfeld eine Reihe von Professuren für künftige Umwidmungen, auch um in den Anträgen nachweisen zu können, dass sie zu einer nachhaltigen Profilbildung in der Lage wären.153 Hierdurch wurde der Stellenbestand zur (potenziellen) Prämie in der inneruniversitären Konkurrenz. Vertreter von Forschungsbereichen, die geringe Erfolgsaussichten im Wettbewerb großformatiger Forschungsprojekte hatten, gerieten in der inneruniversitären Konkurrenz daher zunehmend ins Hintertreffen. Dem Argument, dass bestimmte Maßnahmen für die Erfolgsaussichten der Universität in der Exzellenzinitiative nötig seien, war nämlich in den universitären Gremien kaum etwas entgegenzusetzen.154 Wie der
148 Vgl. z. B. FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 626. Sitzung des Senats am 15.9.2005; FU Berlin, UA, AS 2, Protokoll der 643. Sitzung des Senats am 30.5.2007. 149 Vgl. UAOL 20002 ZW, Protokoll der 10. Sitzung des 17. Senats am 1.3.2006, S. 6. Zu Vorbehalten wegen möglicher Ungleichgewichte zwischen den Fächergruppen vgl. auch FSU Jena, Protokoll der Sitzung des Senats am 4.7.2006 (Internetquelle 94), S. 2; Gespräch mit Hartmut Krauß am 5.2.2016. 150 Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348, § 3; vgl. Sondermann et al. (2008), S. 97. 151 Vgl. hierzu z. B. Neidhardt (2010), S. 63. Auf eine bevorstehende „Zerreißprobe“ verwiesen auch Mitglieder von Hochschulleitungen und Sprecher/Sprecherinnen von Exzellenzprojekten in Interviews für eine Evaluationsstudie, vgl. Joanneum Research/prognos AG (2015), S. 255. 152 Zielvereinbarung zwischen dem Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst und der Technischen Universität München vom 21.7.2006, S. 20. 153 Gespräch mit Prof. Dr. Dieter Timmermann am 5.2.2016. 154 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016.
2. Ein neues Kon urrennsystem
Bericht der Gemeinsamen Kommission von DFG und Wissenschaftsrat zur Exzellenzinitiative aus dem Jahr 2008 festhielt, konnte es durch die verstärkte Förderung einzelner ‚exzellenter‘ Schwerpunkte dazu kommen, „dass Ungleichgewichte zwischen den in der Exzellenzinitiative geförderten Bereichen und den nicht geförderten Bereichen entstehen, ohne dass dies durch Qualitätsunterschiede begründet sein muss“.155 Dies führte zu Unmut in den Fächern, die – teils aus strukturellen Gründen – weniger von dem Wettbewerb profitiert hatten.156 Andererseits betonten vor allem Mitglieder von Hochschulleitungen, die Exzellenzinitiative habe die „Diskussionskultur“ in ihren Universitäten gefördert, konstruktive Debatten über Prioritätensetzungen ermöglicht und den Austausch über die Fächergrenzen hinweg verbessert.157 Die Stellung der Hochschulleitungen wurde auch dadurch gestärkt, dass die dritte Förderlinie der Exzellenzinitiative Entscheidungsstrukturen prämierte, die strategisches Handeln seitens der Universitätsspitze ermöglichen sollten. Damit beförderte der Wettbewerb die Umsetzung einer zentralen Forderung des Wettbewerbsparadigmas. Wissenschaftspolitische Akteure wie der Wissenschaftsrat oder die Spitze der HRK hatten sich in den vorangegangenen Jahren immer wieder für handlungsfähige Hochschulleitungen ausgesprochen, die eine kompetitive Profilbildung durchsetzen könnten. Bei der Reform der Landeshochschulgesetze seit den späten 1990er Jahren war es der Politik vor allem um dieses Ziel gegangen.158 Das Zukunftskonzept der TU München hob nun hervor, die Universität habe mit ihrem Ende der 1990er Jahre eingeführten Organisationsmodell eine „resolute transition from an administrative institution (‚nachgeordnete Behörde‘) to an entrepreneurial university“ im Sinn des einflussreichen US-amerikanischen Hochschulforschers Burton R. Clark vollzogen.159 Dieser Umbau der Entscheidungsstrukturen habe es ermöglicht, konsequent Stärken zu stärken, wofür eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Profilbildung aus den vorangegangenen Jahren angeführt wurde.160 Der Antrag der FU Berlin wiederum betonte, die Universität führe „regelmäßig SWOT-Analysen […] aller ihrer Fächer und Bereiche durch“, was sich in Zielvereinbarungen und Ressourcenentscheidungen niederschlage. Als Antwort auf „strukturellen Schwächen“ würden bis zum Jahr 2009 zehn Studienfächer geschlossen und „dauerhaft forschungsschwache Fächer auf eher berufsorientierte Ausbildung“ umgestellt.161 Die Bereitschaft der Universitätsleitungen zu vorausschauendem Handeln sollte zudem durch die Einrichtung von Beiräten demonstriert werden, die sich aus renommierten Wissenschaftlerinnen und Wissen155 DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 51. 156 Gespräch mit Prof. Dr. Klaus Dicke am 11.10.2016; Gespräch mit Dr. Johannes Neyses am 6.4.2016. 157 Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte am 14.10.2016; Gespräch mit Dr. Rainer Kuch am 19.7.2017; Kleiner (2008), S. 98. 158 S. o. Kap. III.2. 159 Vgl. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006, S. 5. Zum Konzept der „entrepreneurial university“ s. o. Kap. III.2. 160 Vgl. ebd. S. 9–11: „to strenghten our strong points“ (S. 9). 161 DFG/Wissenschaftsrat (2008), Teil III, S. 7, 11; FU Berlin, International network university. Strategy to promote top-level research, second call. Funding period 1.11.2007–31.10.2012, Berlin 2007, S. 9, 20.
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schaftlern rekrutierten und Titel wie „Strategierat“, „Strategieausschuss“ oder „Exzellenzrat“ trugen.162 Die im Rahmen der Zukunftskonzepte geförderten Maßnahmen etablierten also neue inneruniversitäre Konkurrenzverhältnisse, in denen die Hochschulleitungen als Dritte auftraten. Sie verteilten die zusätzlichen Mittel zur internen Forschungsförderung und entschieden darüber, in welchen Bereichen neue „Zentren“ etabliert wurden.163 Mit den „Fellowships“ der Institutes for Advanced Studies und den Forschungsprofessuren entstand zudem ein neues knappes Gut, um das Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konkurrierten.164 Die Freistellung von Lehr- und Verwaltungsaufgaben und somit die Möglichkeit, die eigene Forschung voranzutreiben, wurden auf diese Weise zur Prämie, mit der sich außerdem Vorteile für die weitere wissenschaftliche Karriere verbanden. Zwar konnten sich Professorinnen und Professoren schon immer zu Forschungszwecken für eine begrenzte Zeit – in der Regel ein Semester – von anderen Aufgaben entbinden lassen. Um diese „Forschungsfreisemester“ bestand allerdings keine Konkurrenz, da sie nach Ablauf einer bestimmten, gesetzlich geregelten Frist (in den meisten Bundesländern waren es absolvierte acht Semester) und mit Zustimmung der Fakultät ohne wettbewerbliches Verfahren beantragt werden konnten.165 Zugleich entstanden mit der Exzellenzinitiative aber auch Strukturen, die einer verstärkten Handlungsfähigkeit der Hochschulspitze entgegenliefen, deren Einfluss auf die Profilbildung der Universität durch die Exzellenzcluster teilweise ausgehöhlt wurde.166 Denn diese verfügten nun über ein eigenes Budget und separate Entscheidungsstrukturen, außerdem meistens auch über Mitspracherechte bei Berufungen.167 Damit entschieden weder die traditionellen universitären Gremien noch die Universitätsleitung über die Verteilung von Mitteln und die Ausrichtung der Forschung in den Exzellenzbereichen, sondern vielmehr deren eigene Leitungsorgane. 162 Vgl. Präsidium der FU Berlin (2011), S. 29. 163 Vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2008), Teil III, S. 19 f.; FU Berlin, International network university. Strategy to promote top-level research, second call. Funding period 1.11.2007–31.10.2012, Berlin 2007, S. 30. 164 Als Dritte in diesem neuen Konkurrenzverhältnis fungierten teils die Hochschulleitungen, teils die Direktoren und Direktorinnen der neu geschaffenen Einrichtungen. Meistens waren auch Beiräte beteiligt, die sich aus renommierten Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen zusammensetzen sollten. Vgl. TUM Institute for Advanced Study, Ordnung (Statut) vom 1.10.2009; Ordnung des Lichtenbergkollegs, in: Amtliche Mitteilungen der Georg-August-Universität Göttingen vom 18.12.2008, S. 4700–4704; Satzung des Marsilius-Kollegs, in: Mitteilungsblatt des Rektors der Universität Heidelberg vom 30.11.2007, S. 2891–2895; Ordnung des Zukunftskollegs der Universität Konstanz vom 15.6.2009, in: Amtliche Bekanntmachungen der Universität Konstanz, Nr. 31/2009; Satzung des Freiburg Institute for Advanced Studies (FRIAS) der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, in: Amtliche Bekanntmachungen der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau vom 14.4.2008, S. 90–97. Eine Ausnahme stellte das Center for Advanced Studies der LMU München dar, da dieses keine Bewerbungen auf die Fellowships vorsah, vgl. Ordnung des Center for Advanced Studies der Ludwig-Maximilians-Universität München in der Fassung vom 23.6.2010. 165 Vgl. Detmer (2004), S. 98–100; Forschung & Lehre, no. 7 (2009), S. 512. 166 Zum Folgenden vgl. Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016), S. 22; Gaehtgens (2010), S. 273–275. 167 Vgl. Bukow/Möller (2013), S. 12.
3. „Wettbeherbsföderalismusn
Als Konsequenz dieser Verschiebungen resultierten fachliche Universitätsprofile somit zunehmend aus zwei miteinander verschränkten Konkurrenzverhältnissen. Sie wurden zum Ergebnis erstens eines hochschulinternen Wettbewerbs, in dem die Rektorate oder Präsidien als Dritte fungierten und konkurrenzfähige Bereiche weiter stärkten sowie zweitens eines interuniversitären Wettbewerbs im Rahmen der Exzellenzinitiative. Erfolg und Erfolgsaussichten in diesem letzteren Konkurrenzverhältnis verhalfen einzelnen Gruppen zu einer besseren Positionierung innerhalb ihrer Universität, hingen ihrerseits aber wieder von der Unterstützung durch die Hochschulleitungen ab. Die in den 1980er und 1990er Jahren vorherrschenden Verhandlungskonstellationen verloren hingegen an Bedeutung. 3. „Wettbewerbsföderalismus“ Die Exzellenzinitiative eröffnete nicht nur den Universitäten, sondern auch den Bundesländern eine neue kompetitive Arena. Dass die Länder um Mittel des Bundes konkurrierten, war keineswegs neu. Dies zeigte sich schon früher an den Auseinandersetzungen über die Standorte von Forschungseinrichtungen und daran, dass die Wissenschaftsministerien der Länder die Hochschulen zur Einwerbung von Drittmitteln drängten, die teilweise oder gänzlich vom Bund gestellt wurden. Mit der Exzellenzinitiative kamen nun aber erhebliche Summen an Bundesmitteln168 hinzu, die in einem Wettbewerbsverfahren verteilt wurden, in dem nach offizieller Lesart regionalpolitische Gesichtspunkte keine Rolle spielen sollten. Nicht nebensächlich war zudem der Exzellenzstatus, um den die Universitäten und Forschungsverbünde ebenfalls konkurrierten, und der Sichtbarkeit und Prestige, mithin Vorteile in künftigen Konkurrenzverhältnissen versprach. Insbesondere in der dritten Förderlinie wurde die Prämie derart knapp gehalten, dass manche Länder zwangsläufig leer ausgehen mussten. Da die Exzellenzinitiative auf eine stärkere vertikale Differenzierung169 des Hochschulsystems abzielte, musste den Ländern daran gelegen sein, dass sich zumindest einzelne ihrer Universitäten auf nationaler Ebene behaupteten. Wenn die Bundesländer von den zusätzlichen Bundesmitteln profitieren und ihre Universitäten in der Konkurrenz mit anderen Hochschulen nicht benachteiligen wollten, mussten sie sich den Regeln des neuen Konkurrenzverhältnisses fügen und Profilbildung, Vernetzung und Ressourcenkonzentration vorantreiben, was letztlich bedeutete, jene Universitäten und Forschungsschwerpunkte zu stärken, die in der Exzellenzinitiative die größten Erfolgsaussichten hatten. Elf Länder legten in den Jahren
168 Der Landesanteil an der Finanzierung musste vom Sitzland der erfolgreichen Universitäten aufgebracht werden, vgl. Exzellenzvereinbarung vom 18.7.2005, in: BAnz S. 13347–13348, § 2 Abs. 1. 169 Im hochschulpolitischen Diskurs wird üblicherweise zwischen einer vertikalen Differenzierung nach Qualitätskriterien und einer horizontalen bzw. funktionalen Differenzierung nach Leistungs- oder Aufgabenprofilen unterschieden, vgl. Teichler (2005), S. 259.
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VII. Die Exnellenninitiative
ab 2007 Programme auf, die auf verschiedene Weise an die Exzellenzinitiative anschlossen und auf die Förderung von „exzellenter“ Forschung ausgerichtet waren.170 Damit sollten einerseits Projekte finanziert werden, die in der vorangegangenen Exzellenzinitiative nur knapp gescheitert waren und leistungsstarke Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu halten.171 Andererseits dienten die meisten Landesprogramme dazu, aussichtsreiche Bewerbungen auf DFG-Programme oder eine künftige Runde der Exzellenzinitiative vorzubereiten.172 Die Prämien in diesen neuen Wettbewerben wurde daher meist nach ähnlichen Kriterien vergeben wie in der Exzellenzinitiative.173 Der Wettbewerb der Länder, der von der Exzellenzinitiative angestoßen worden war, verstärkte daher deren Effekte noch zusätzlich und führte zu einer Homogenisierung der Leistungskriterien in interuniversitären Konkurrenzverhältnissen zugunsten großformatiger, international „sichtbarer“ Verbundforschung. Insofern die Länder sich dazu genötigt sahen, verstärkt Mittel in die Förderung ‚exzellenzfähiger‘ Bereiche zu lenken, beförderte die Exzellenzinitiative zudem die zunehmende Verwandlung der Grundfinanzierung in eine Prämie. Indem die Länder sich bei der Verteilung der Grundfinanzierung an den Erfordernissen des Exzellenzwettbewerbs orientierten, traten sie allerdings faktisch einen Teil ihrer Entscheidungsbefugnisse und Macht als Dritte an die neuen Dritten, DFG und Wissenschaftsrat, ab, deren Entscheidungen nun das deutsche Hochschulsystem in noch stärkerem Maße prägten. Schon der Ausgang der ersten beiden Antragsrunden in den Jahren 2005 bis 2007 machte allerdings deutlich, dass die finanziellen Voraussetzungen und somit auch die Erfolgsaussichten zwischen den Ländern ungleich verteilt waren. Die Universitäten der ostdeutschen Flächenländer konnten nur drei Graduiertenschulen und ein Exzellenzcluster einwerben. Auch in Rheinland-Pfalz war nur eine Graduiertenschule bewilligt worden. Die neun Gewinner in der dritten Förderlinie wiederum verteilten sich auf lediglich fünf Länder. Alleine vier baden-württembergische Universitäten durften sich mit dem Exzellenz-Prädikat schmücken.174 Nach Baden-Württemberg flossen 26 Prozent der Exzellenzmittel, obwohl an den dortigen Universitäten nur elf Prozent aller deutschen Universitätsprofessoren tätig waren. Nach Bayern, das bei den Professoren auf einen Anteil von 14 Prozent kam, gingen 21 Prozent der Fördergelder. Ansonsten verzeichnete nur noch Berlin eine deutlich positive Bilanz. Während in den ostdeutschen Flächenländern 16 Prozent der deutschen Universitätsprofessoren forschten, erhielten die dortigen Hochschulen nur ein Prozent der Fördersumme.175
170 Für einen Überblick vgl. Simon et al. (2010), S. 180 f. 171 Vgl. SZ, 5.2.2008, S. 38; SZ, 5.12.2007, S. 51; Schöck (2009), S. 480; Internetquelle 67; Simon et al. (2010), S. 184. 172 Vgl. Internetquelle 35, 36, 37 und 67; Simon et al. (2010), S. 184; SZ, 5.2.2008, S. 38; SZ, 5.12.2007, S. 51; Schöck (2009), S. 480; SZ, 25.2.2008, S. 18; Thüringer Landesrektorenkonferenz (2007). 173 Vgl. z. B. Internetquelle 21 und 35; Hessisches Ministerium für Wissenschaft und Kunst (2011), S. 11–13. 174 Vgl. Internetquelle 72. 175 Eigene Berechnungen basierend auf Statistisches Bundesamt (2006); Bundesregierung (2015), S. 4. Die Angaben zu den Professoren beziehen sich auf das Jahr 2005.
3. „Wettbeherbsföderalismusn
Wie die disparate regionale Verteilung der Exzellenzmittel zeigt, fanden sich die Universitäten verschiedener Bundesländer keineswegs in einer vergleichbaren Ausgangslage. Der Präsident der DFG, Ernst-Ludwig Winnacker, führte im Jahr 2006 den großen Erfolg Baden-Württembergs und Bayerns in der ersten Antragsrunde auf die unterschiedliche Finanzkraft der Länder zurück und urteilte, „dass zwischen den gegenwärtigen Bundesländern aufgrund der so grundsätzlich verschiedenen finanziellen Ausgangslage kein wirklicher Wettbewerb um Ressourcen aller Art, auch nicht um Ressourcen für die Forschung, stattfinden kann“.176 Schon in den 1980er Jahren war in Politik und Öffentlichkeit über ein wirtschaftliches „Süd-Nord-Gefälle“ diskutiert worden. Die beiden großen süddeutschen Länder entwickelten sich günstiger und hatten daher auch größere finanzielle Spielräume als etwa Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, die eine Strukturkrise der älteren Wirtschaftszweige bewältigen mussten.177 Diese Diskrepanz schlug sich auch in der Ausstattung der Hochschulen nieder. So stellte die DFG bei der Begutachtung von Anträgen auf SFBs in den 1980er Jahren „generell deutliche regionale Unterschiede in der Geräteversorgung“ fest.178 In der Exzellenzinitiative dürfte es sich auch als vorteilhaft erwiesen haben, dass in Bayern und Baden-Württemberg die Ressourcen deutlich stärker auf wenige Standorte konzentriert waren als etwa in Nordrhein-Westfalen, das in den 1970er Jahren zahlreiche neue Hochschulen gegründet hatte.179 Die Finanzkraft der Länder schlug sich in den Anträgen der Universitäten zur Exzellenzinitiative nieder und war nicht unwesentlich für die Erfolgsaussichten. So beschloss der Berliner Senat im Juni 2007 eilig den „Masterplan“ „Wissen schafft Berlins Zukunft“, der den Hochschulen zusätzliche Mittel zusicherte, nachdem in der ersten Antragsrunde mehrere Projekte der Berliner Universitäten dem Vernehmen nach unter anderem daran gescheitert waren, dass die Mitglieder der Gemeinsamen Kommission von DFG und Wissenschaftsrat an der finanziellen Absicherung gezweifelt hatten.180 Während die TU München in ihrem Zukunftskonzept auf umfangreiche Vorleistungen und Eigenbeteiligungen durch
176 Winnacker (2006), S. 4. Die unterschiedliche finanzielle Ausgangslage, auf die auch andere Aussagen hindeuten, lässt sich allerdings nicht genau beziffern. Weder die Hochschulausgaben pro Einwohner noch ihr Anteil am Budget eines Landes sind geeignete Indikatoren, da finanzschwache Länder teils an anderen Stellen zuerst sparen, um den Betrieb ihrer Hochschulen aufrecht zu erhalten (vgl. Baumgarth et al. (2016), S. 45 f., 109 f.). Die Ausgaben pro Hochschulpersonalstelle wiederum könnten zu sehr von unterschiedlichen Anteilen ‚teurer‘ und ‚günstiger‘ Fächer beeinflusst sein, um Schlüsse auf die Ressourcenbasis eines Landeshochschulsystems zuzulassen. Die investiven Ausgaben sind ebenfalls ein trügerischer Indikator, da die ostdeutschen Länder bis in die 2000er Jahre damit zu tun hatten, den Investitionsstau der späten DDR aufzuarbeiten, diese Ausgaben (die in Relation zu den Personalstellen höher lagen als im Westen) also wahrscheinlich nicht in gleichem Maße wie anderswo zu verbesserten Wettbewerbschancen der Forschung beitrugen. 177 Petzina (1994); Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017; vgl. auch Sternberg (1995). 178 Streiter/DFG (1989), S. 27. 179 Gespräch mit Anke Brunn, Staatsministerin a. D., am 11.9.2017; vgl. Münch (2007a), S. 70. 180 Vgl. Baldauf et al. (2008), S. 199; Internetquelle 82.
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VII. Die Exnellenninitiative
den Freistaat Bayern und aus dem Universitätshaushalt verweisen konnte,181 ließ der Antrag der FSU Jena Lücken in der Grundfinanzierung erkennen. Die Antragsteller führten aus, dass es der Universität nach der Wende zwar gelungen sei, gute bis sehr gute Berufungen zu verwirklichen, dass aber Spitzenberufungen fehlten. Um dies zu ändern und die anstehende Neuberufungswelle bewältigen zu können, seien zusätzliche Mittel für Investitionen nötig. Den größten Einzelposten der beantragten 67,6 Millionen Euro machte daher ein Berufungsfonds mit 20 Millionen Euro aus. Zudem veranschlagte die Universität 5,8 Millionen Euro für Neubauten und Sanierungsmaßnahmen.182 Der ungleiche Wettbewerb zwischen den Bundesländern erhielt mit der Reform des deutschen Föderalismus durch zwei Grundgesetzänderungen aus den Jahren 2006 und 2009 einen weiteren Schub. Das föderale Regelwerk der Bundesrepublik war seit den 1990er Jahren zunehmend in die Kritik geraten und galt vielen als Reformhindernis und „System organisierter Unverantwortlichkeit“.183 Im Wissenschaftsbereich strebten insbesondere die finanzstarken Länder, die von den Unionsparteien regiert wurden, danach, die Kompetenzen des Bundes zu beschneiden. Im Zuge der Hochschulexpansion und der Entwicklung einer Bundesforschungspolitik hatte sich der Bund zunehmend Einfluss auch auf die Hochschulpolitik verschafft, indem er sich finanziell am Ausbau der Universitäten beteiligte, der die Länder überforderte. Eine rechtliche Grundlage hierfür war nachträglich im Jahr 1969 mit der im Grundgesetz (Artikel 91a und b) verankerten sogenannten „Gemeinschaftsaufgabe“ Hochschulbau geschaffen worden. Diese wollten die finanzstarken Länder nun abschaffen, um die eigenen Handlungsspielräume auszuweiten.184 In der Debatte über die Zukunft des deutschen Föderalismus führte unter anderem der bayrische Ministerpräsident Edmund Stoiber das Konzept des „Wettbewerbsföderalismus“ im Kontrast zum bislang praktizierten „kooperativen Föderalismus“ ins Feld. Die Zuständigkeiten von Bund und Ländern sollten zugunsten der letzteren entflochten, die Umverteilung im Rahmen des Länderfinanzausgleichs zurückgefahren werden.185 Mit der ersten Föderalismusreform von 2006 wurde die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau und Großgeräteförderung abgeschafft. Die Länder erhielten allerdings bis 2019 Ausgleichszahlungen vom Bund in Höhe von 70 Prozent der Bundesmittel für Hochschulbau in den vorangegangenen Jahren, was insgesamt knapp 700 Millionen Euro pro Jahr entsprach.186 Der Bund konnte sich von nun an nur mehr bei „For181 Vgl. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006, S. 26–28, 50 f., 57 f. 182 Vgl. FSU Jena (2006), S. 2, 14 f., 18. 183 Vgl. Seckelmann (2010), S. 68 f. 184 Vgl. Seckelmann (2010), S. 68 f.; Bartz (2007), S. 231 f.; Pasternack (2011), S. 36 f.; Münch (2011b), S. 40. Die Verfahren zur Hochschulbaufinanzierung waren zudem in den 1990er Jahren zunehmend dysfunktional geworden, da der Bund wegen der Kosten der deutschen Einheit zu finanziellen Restriktionen gezwungen war, vgl. Wiesner (2010). 185 Vgl. Bartz (2007), S. 231 f.; Szöllösi-Janze (2014), 339 f. Zur Geschichte des Begriffs „Wettbewerbsföderalismus“ vgl. Schatz et al. (2000), S. 15–22. 186 Vgl. Pasternack (2011), S. 41.
3. „Wettbeherbsföderalismusn
schungsbauten an Hochschulen“ und „Großgeräten“ von überregionaler Bedeutung beteiligen.187 Zu diesem Zweck wurden die übrigen 30 Prozent der Gelder eingesetzt, um die alle Länder konkurrierten. Zwar standen die Landesregierungen schon zuvor im Wettbewerb um Bundesmittel für ihre Bauvorhaben an Hochschulen, doch änderten sich mit der neuen Gemeinschaftsaufgabe die Kriterien, nach denen diese Mittel vergeben wurden. Gefördert wurde nicht mehr nach „Bedarf “, sondern nach wissenschaftlicher Bedeutsamkeit, die vom Wissenschaftsrat zu beurteilen war. Auch dieses Konkurrenzverhältnis nahm nun den Charakter eines Exzellenzwettbewerbs an, was darin zum Ausdruck kam, dass von den 37 bewilligten Forschungsbauten in den Jahren 2007 bis 2009 17 in Zusammenhang mit der Exzellenzinitiative standen.188 Von noch größerer Bedeutung war allerdings, wie die Länder mit der Aufgabe des allgemeinen Hochschulbaus umgehen würden, der nun alleine in ihrer Verantwortung lag. Bis zum Jahr 2013 waren die Kompensationsmittel zweckgebunden zu verwenden, danach aber bestand die Möglichkeit, dass die Regierungen und Parlamente in den finanzschwachen Bundesländern diese Gelder zur Haushaltssanierung einsetzten, anstatt sie den Universitäten zukommen zu lassen. Zudem waren sie ab sofort nicht mehr verpflichtet, wie bisher einen eigenen Finanzierungsanteil zu leisten.189 Derartige Befürchtungen formulierte DFG-Präsident Winnacker im Jahr 2006 folgendermaßen: Ob gerade die ärmeren Bundesländer ihre Prioritäten in der Bildung und Forschung sehen und nicht doch stattdessen der Versuchung erliegen, diese Gelder anderweitig zu vergeben? Diese Gefahr ist nicht gering.190
Die sogenannte „Schuldenbremse“, eine Regelung, die mit der zweiten Föderalismusreform von 2009 eingeführt wurde und 2020 in Kraft trat, machte diese „Gefahr“ nicht geringer. Da die Bundesländer ab diesem Zeitpunkt nur noch in Ausnahmefällen neue Schulden aufnehmen durften, drohten den Hochschulen insbesondere in den Ländern, die von diesem Ziel noch weit entfernt waren, finanzielle Einschnitte. Spürbar wurde dies bereits Mitte der 2010er Jahre. Manche Länder waren seither in der Lage, ihre Hochschulen weiter auszubauen, während andernorts die Etats stagnierten oder wie im Saarland gar schrumpften.191 Spätestens mit der Exzellenzinitiative hatte der „Wettbewerbsföderalismus“ jedenfalls im Wissenschaftsbereich Einzug gehalten.
187 Zitiert in Pasternack (2011), S. 41; vgl. außerdem Haug (2010), S. 180 f.; Sandberger (2008), S. 167. 188 Vgl. Wiesner (2010), S. 208–210; Sandberger (2008), S. 167; Wiederanders (2012), S. 191. 189 Vgl. Wiederanders (2012), S. 192 f.; Wiesner (2010), S. 209 190 Winnacker (2006), S. 4 191 Vgl. Konegen-Grenier (2014), S. 10 f.; Hildebrandt (2008), S. 116; Koch (2014); Statistisches Bundesamt (2017), S. 128.
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VII. Die Exnellenninitiative
4. Wettbewerb ohne Ende oder das Ende des Wettbewerbs? Der Präsident der DFG, Matthias Kleiner, stellte im Jahr 2008 zufrieden fest, mit der Exzellenzinitiative habe die Hochschulpolitik „Abschied von der verhängnisvollen Fiktion der Gleichheit genommen, die […] am Ende nur dazu geführt hatte, dass ein Großteil der Universitäten hierzulande gleich mittelmäßig war“. Die Förderentscheidungen hätten die vorhandenen Unterschiede nun „sichtbar“ werden lassen.192 Darin erschöpfte sich der Anspruch des Programms allerdings nicht, wie der Bericht der Gemeinsamen Kommission von DFG und Wissenschaftsrat festhielt: Mit der Exzellenzinitiative werden nicht nur bestehende Unterschiede zwischen den Universitäten sichtbar gemacht, sondern diese Unterschiede durch die zusätzliche Förderung von Spitzenforschung ausdrücklich angestrebt.193
Kleiners Amtsvorgänger Ernst-Ludwig Winnacker hatte daher im Jahr 2006 prognostiziert, dass der Wettbewerb zu einer erheblichen Ausdifferenzierung der deutschen Hochschullandschaft führen werde: Die Qualitätsunterschiede zwischen den Universitäten sind jetzt schon groß. Sie werden durch die Exzellenzinitiative weiter wachsen. […] Das System wird sich weiter ausdifferenzieren. Neben reinen Forschungsuniversitäten, die sich auch in der Ausbildung an den Anforderungen moderner wissenschaftlicher Forschung ausrichten, wird es solche geben, die dies nur ansatzweise und in einzelnen Fächern versuchen, solche, die diesen Anspruch erst gar nicht anstreben und solche, die ihre Stärke eher in der Praxisorientierung suchen. Dementsprechend werden sie internationale, nationale oder auch nur regionale Bedeutung haben.194
Auf eine derartige Differenzierung stellten sich auch die Universitäten ein.195 Kritiker der Exzellenzinitiative teilten diese Auffassung, fürchteten allerdings, dass damit einer großen Zahl von Universitäten eine Abwertung drohe.196 192 Kleiner (2008), S. 98; ähnlich Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016), S. 19; Meyer (2010), S. 301; für weitere Nachweise vgl. Barlösius (2008b), S. 155. 193 DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 60. 194 Winnacker (2006), S. 10. 195 Vgl. z. B. SZ, 24.1.2007, Ausgabe Bayern S. 40; UOL Altregistratur, Fakultätsrestrukturierung – Konkreter Präsidiumsvorschlag und Einbettung in die Gesamtstrategie der Universität. Vorlage zur Senatssitzung am 28.3.2007, 19.3.2007, S. 1 f. 196 Vgl. Hartmann (2011), S. 166; Münch (2011a). Manche Kritiker warfen der Exzellenzinitiative zudem vor, sie habe „jene vertikale Differenzierung der deutschen Hochschullandschaft erst produziert, welche die Förderlogik dieses Wettbewerbs bereits als gegeben unterstellte“ (Bröckling/Peter (2017), S. 283, vgl. auch Hartmann (2006), S. 453). Präziser ist es wohl zu sagen, die Exzellenzinitiative operierte mit Kriterien, von denen fraglich war, ob sie in einem notwendigen Zusammenhang mit hervorragender Forschung standen (z. B. Interdisziplinarität, Verbundforschung, interne und externe Vernetzungspotenziale), und schuf auf dieser Basis sowie in einem intransparenten Entscheidungsverfahren ungleiche Voraussetzungen für künftige wissenschaftliche Arbeit.
4. Wettbeherb ohne Ende oder das Ende des Wettbeherbs?
Die Exzellenzinitiative befeuerte solche Erwartungen, weil es sich bei ihr offensichtlich um einen Wettbewerb handelte, in dem mit der Prämie zugleich die Ausgangschancen in künftigen Konkurrenzverhältnissen verteilt wurden. Das knappe Gut, um das sich dieser Wettbewerb drehte, fungierte zugleich als Ressource auf diesem und anderen Feldern. Die Exzellenzinitiative erlaubte es den Gewinnern daher, symbolisches und materielles Kapital zu akkumulieren.197 Die zusätzlichen Mittel und die Möglichkeit, Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen von Lehraufgaben zu befreien, erleichterten es den erfolgreichen Universitäten, gefragte Professoren und Professorinnen zu gewinnen, womit sie sich zugleich höhere Chancen im Wettbewerb um Drittmittelverbünde erkauften. Die Länder hatten ein Interesse daran, erfolgreiche und aussichtsreiche Forschungsschwerpunkte zu fördern, was diesen wiederum zusätzliche Ressourcen in der Konkurrenz um Drittmittel verschaffte. Mediale Aufmerksamkeit, wie sie mit dem Exzellenzprädikat verbunden war, fungierte in verschiedenen Konkurrenzverhältnissen als Ressource. Auch die Aussichten auf eine Verlängerung in der folgenden Phase der Exzellenzinitiative standen gut, da sich die politischen Akteure ansonsten dem Vorwurf ausgesetzt hätten, erhebliche Fördersummen in den Sand gesetzt zu haben. In der zweiten Phase ab 2012 erhielten schließlich nur sechs von 37 Clustern keine Verlängerung. 33 der 39 Graduiertenkollegs und sechs von neuen Zukunftskonzepten wurden weiter finanziert.198 Außerdem führte die Exzellenzinitiative zu einer stärkeren Konzentration von Forschungsmitteln bei einigen wenigen Universitäten. Hatten etwa im Zeitraum von 2002 bis 2004 die erfolgreichsten zehn Universitäten 33 Prozent der Gelder eingeworben, die insgesamt von der DFG an die Hochschulen flossen, so vereinigten die zehn größten Profiteure im Exzellenz-Wettbewerb 63 Prozent der Finanzsumme auf sich.199 Derartige Mechanismen der Kapitalakkumulation wirkten tendenziell auf ein stratifiziertes Hochschulsystem hin, in dem ein Teil der Universitäten sich derart massive Wettbewerbsvorteile erwirbt, dass die übrigen Hochschulen kaum noch in diesen Kreis vorstoßen können. Umso wahrscheinlicher war dies, als sich die Chancen angesichts der divergierenden Finanzkraft der Länder und der Konzentration von Wissenschaftseinrichtungen an Standorten wie München und Berlin von vorneherein ungleich verteilten. Der Dominanz der großen Universitäten versuchte die Wissenschaftspolitik allerdings in der Exzellenzstrategie gegenzusteuern, die ab dem Jahr 2019 an die Exzellenzinitiative anschloss. In diesem Wettbewerb sollten sich nämlich auch Verbünde von Universitäten auf den Status als „Exzellenzuniversität“ bewerben können.200 Auf eine allmähliche Stratifikation des Hochschulsystems versuchten aber auch die Leitungen der erfolgreichen Universitäten hinzuwirken, indem sie sich in
197 Vgl. Kühl (2016); Münch (2007a), S. 338 f. 198 Vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2015b), 13, 22; s. auch unten Tab. 1. 199 Vgl. Hartmann (2012), S. 32, basierend auf Daten der DFG. 200 Vgl. Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 91b Absatz 1 des Grundgesetzes zur Förderung von Spitzenforschung an Universitäten (Exzellenzstrategie) vom 19.10.2016.
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VII. Die Exnellenninitiative
Verbünden zusammenschlossen. So gründeten die neun „führenden“ Technischen Universitäten im Jahr 2006 den Verein TU 9. Fünfzehn drittmittelstarke Volluniversitäten nahmen sich 2012 daran ein Beispiel und taten sich als „German U 15“ zusammen, um ihre gemeinsamen Interessen, nicht zuletzt in den Diskussionen über die Zukunft der Exzellenzinitiative, wirksam zur Geltung zu bringen.201 Die Universitäten Heidelberg, Freiburg sowie die LMU München waren außerdem Mitglieder in der League of European Research Universities, in der unter anderem Forschungsstärke, gemessen an quantitativen Publikationsindikatoren, Aufnahmekriterium war.202 Die beteiligten Universitäten machten sich damit einerseits die mediale Dimension des neuen Konkurrenzsystems zunutze, indem sie versuchten, sich die durch Rankings und Exzellenzinitiative geschaffene symbolische Prämie anzueignen. Zum anderen dienten diese „Kartelle“, wie sie von Kritikern genannt wurden,203 dem Zweck, den Wettbewerb um Forschungsmittel im Sinne ihrer Mitglieder umzugestalten und mögliche Konkurrenten zu verdrängen. Da der Kern des neuen Konkurrenzsystems, die Exzellenzinitiative, Gegenstand von Aushandlungsprozessen blieb, konnten also weiterhin Mechanismen der politischen Konkurrenz greifen. Zugleich gerieten die weniger erfolgreichen Universitäten auch aus anderer Richtung unter Druck. Denn die forschungsorientierten Fachhochschulen drängten auf eine Status-Aufwertung, indem sie mehr Unterstützung für ihre Forschung sowie das Promotionsrecht oder zumindest mehr Kooperation seitens der Universitäten für gemeinsame Promotionen forderten.204 Manche Akteure im Wissenschaftssystem gingen davon aus, dass die Grenze zwischen Universitäten und Fachhochschulen, die sich in den 2000er Jahren immer öfter „Hochschulen“ oder „Hochschulen der angewandten Wissenschaft“ nennen durften, „in manchen Aspekten von der Realität mittlerweile überholt“ sei.205 Bereits die Umstellung des Studiensystems hatte dazu geführt, dass sich die Ausbildungsangebote der Fachhochschulen und der Universitäten in formaler Hinsicht annäherten. Zudem gewann die Forschung an den Fachhochschulen an Bedeutung.206 Während die Fachhochschulen darauf aus waren, in Forschung und Lehre als gleichwertige Konkurrenten auftreten zu können, verteidigten Vertreter der Universitäten die klare Abgrenzung mit dem Verweis auf unterschiedliche Aufgaben.207 Wie die Tendenzen zur Differenzierung, die von der Exzellenzinitiative vorangetrieben wurden, und das Drängen der Fachhochschulen nach einer Aufwertung zusammenspielten, zeigte sich in besonders zugespitzter Form an der Diskussion über 201 Vgl. Friedrich (2013); SZ, 26.11.2012, S. 34; Szöllösi-Janze (2014), S. 318 f. 202 Vgl. DUZ, no. 3 (2003), S. 12; Internetquelle 19. 203 Radtke (2013); vgl. auch Szöllösi-Janze (2014), S. 317 f. 204 Vgl. FAZ, 25.10.2001, S. 69; SZ, 2.2.2015, S. 34; SZ, 2.12.2013, S. 13; SZ, 18.11.2013, S. 2; FAZ, 11.10.2016, S. 32; Hochschule München (2009); Hochschule Karlsruhe (2014). 205 Wissenschaftsrat (2010c), S. 5; vgl. außerdem SZ, 8.1.2009. 206 Vgl. Wissenschaftsrat (2010b), S. 22 f.; Wissenschaftsrat (2010c), S. 121–125; Wissenschaftsrat (2006b), S. 28 f.; Hachmeister et al. (2015). 207 Vgl. z. B. Bibliothek der HRK, Protokoll des 99. Senats der HRK am 5.10.2004 in Frankfurt am Main, S. 6; FAZ, 19.10.2005, S. 56; 8.4.2003, S. V2/12.
4. Wettbeherb ohne Ende oder das Ende des Wettbeherbs?
Äußerungen des neugewählten HRK-Präsidenten Horst Hippler im Jahr 2012. Hippler, der zuvor Präsident des KIT gewesen war und als Wunschkandidat der Exzellenzuniversitäten galt, schlug vor, forschungsschwache Universitäten zu Fachhochschulen zu degradieren und im Gegenzug einzelnen Fachhochschulen zu ermöglichen, zu Universitäten aufzusteigen.208 Dies alles ließ neue Gräben innerhalb der HRK aufbrechen, da vor dem Hintergrund einer politisch gewollten Differenzierung, der die erfolgreichen Universitäten noch Vorschub leisteten, die Interessen der Hochschulen immer weiter divergierten.209 Angesichts der einsetzenden Entwicklung in Richtung eines stratifizierten Hochschulsystems drehten sich die Debatten über die Fortsetzung der Exzellenzinitiative um ein unausgesprochenes Dilemma. Einerseits waren die einflussreichsten wissenschaftspolitischen Akteure davon überzeugt, dass es im internationalen Wettbewerb nötig war, einzelne Universitäten besonders zu fördern, um ‚kritische Massen‘ entstehen zu lassen. Andererseits wollte kaum jemand auf ein wettbewerbliches Verfahren verzichten, da die leistungsfördernde Kraft der Konkurrenz zu den fundamentalen Glaubenssätzen des hochschulpolitischen common sense zählte. Zudem ließ sich eine ungleiche Verteilung von Mitteln kaum anders gegenüber den Universitäten und Bundesländern rechtfertigen, die nicht zu den Gewinnern zählten. Die Befürworter und Befürworterinnen der Exzellenzinitiative hoben vor allem die mobilisierende Wirkung des Wettbewerbs hervor. In fast allen positiven Stellungnahmen war von der „Dynamik“ die Rede, die sich an den Hochschulen entfaltet habe.210 Der Präsident der DFG, Matthias Kleiner, war der Auffassung, mit der Exzellenzinitiative sei ein „Ruck durch die Hochschulen“ gegangen, denn sie habe die Universitäten „angespornt, ihre jeweilige Qualität sichtbar zu machen, Schwerpunkte zu setzen, ihr Profil zu schärfen und sich strategisch zu positionieren“.211 Während eine Mehrheit in der Professorenschaft der Exzellenzinitiative skeptisch bis ablehnend gegenüberstand – Befürworter fanden sich überproportional häufig unter denen, die von dem Wettbewerb profitiert hatten212 – sprach sich die Rektorenkonferenz 2009 für eine Fortsetzung aus und stützte sich dabei auf dasselbe Argument. Die „besondere Effizienz der Exzellenzinitiative“ beruhe darauf, „dass durch die Teilnahme am 208 Vgl. SZ, 30.8.2012, S. 6; SZ, 21.8.2012, S. 6. Auch wenn die Fachhochschulen in wissenschaftspolitischen Verlautbarungen gemeinhin als „gleichwertig, aber nicht gleichartig“ zu gelten hatten, zeigen solche Diskussionen, dass viele Akteure die Unterscheidung zwischen Fachhochschulen und Universitäten bzw. zwischen Anwendungsorientierung und Grundlagenorientierung als qualitative Differenz betrachteten. 209 Vgl. außerdem Bibliothek der HRK, Protokoll des 99. Senats der HRK am 5.10.2004 in Frankfurt am Main, S. 6 f.; SZ, 26.11.2012, S. 34. 210 Schavan (2006); DFG/Wissenschaftsrat (2008), 49, 70; Borgwardt/John-Ohnesorg (2009), S. 5; Strohschneider (2010), S. 8; Wissenschaftsrat (2010b); Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Exzellenzinitiative“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2010a), S. 36; Meyer (2010), S. 301; Marquardt (2012); DFG/Wissenschaftsrat (2015b), S. 123 f., 131; Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, zitiert in: Schreiterer/Leibfried (2015), S. 15; Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016), 2, 35; Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (2014). 211 Kleiner (2008). 212 Vgl. Böhmer et al. (2011), S. 125–128.
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VII. Die Exnellenninitiative
Wettbewerb die wissenschaftliche Leistung auch jener Teilnehmer zunimmt, die am Ende nicht erfolgreich sind“.213 Da sich die Wirkung der Exzellenzinitiative auf die Forschung nur schwer und schon gar nicht nach wenigen Jahren festmachen ließ, – eine Studie anhand von Publikationszahlen und Zitationsanalysen führte zu keinem eindeutigen Ergebnis214 – kam dieses Interpretament denen zupass, die für eine Fortsetzung des Wettbewerbs plädierten. Denn auf diese Weise ließ sich bereits die rege Betriebsamkeit, die sich angesichts des Geldsegens für die Forschung entfaltet hatte, als positive Wirkung deuten. So hielt etwa der 2016 erschienene Bericht der Expertenkommission, die mit der Evaluation der Exzellenzinitiative betraut worden war, fest: Auch wenn ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen beobachteten Veränderungen an deutschen Universitäten und der Exzellenzinitiative aufgrund der heute zur Verfügung stehenden Daten schwierig nachzuweisen ist, lässt sich dennoch feststellen, dass die Exzellenzinitiative eine neue Dynamik in das Universitätssystem gebracht hat und zu einem Symbol geworden ist für den Willen, die deutschen Universitäten weltweit an der Spitze zu positionieren.215
Um diesen dynamisierenden Effekt der Exzellenzinitiative zu erhalten, der überdies den eingesetzten finanziellen Mitteln eine „Hebelwirkung“216 verschaffe, plädierten HRK, Wissenschaftsrat und DFG dafür, weiterhin einen „offenen Wettbewerb“ auszutragen. Auch bei einer Verlängerung der Exzellenzinitiative sollte für diejenigen, die bisher nicht zu den Gewinnern gezählt hatten, die Möglichkeit zum Aufstieg bestehen.217 Um dies sicherzustellen, erhöhten Bund und Länder in der zweiten Phase der Exzellenzinitiative von 2012 bis 2017 die Mittel von 1,9 auf 2,7 Milliarden Euro.218 Tatsächlich hatten die Neuanträge in den ersten beiden Förderlinien ähnliche Erfolgsquoten wie die Anträge in den ersten beiden Ausschreibungsrunden 2006 und 2007 (s. Tab. 1). Dies lässt vermuten, dass die Entscheidungsgremien der Exzellenzinitiative das Problem, wie bereits laufende und neu beantragte Projekte miteinander zu vergleichen wären, dadurch lösten, dass sie genügend bestehende Cluster und Graduiertenschulen auslaufen ließen, um den neuen Projekten ähnliche Chancen zu sichern. Da die zweite Phase der Exzellenzinitiative wieder auf fünf Jahre begrenzt war, stellte sich bald erneut die Frage, in welcher Form die Förderung der „Spitzenforschung“ weitergeführt werden sollte und was mit den bisher geförderten Universitäten und Einrichtungen geschehen sollte. Auch die dauerhafte Finanzierung einzelner Einrichtungen durch den Bund war nach einer Grundgesetzänderung aus dem Jahr 2014 möglich 213 HRK (2010), S. 100. 214 Vgl. Hornbostel/Möller (2015). 215 Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016), S. 35. 216 Strohschneider (2006). 217 Vgl. DFG/Wissenschaftsrat (2008), S. 70 f.; vgl. auch Internationale Expertenkommission zur Evaluation der Exzellenzinitiative (2016), S. 46 f.; HRK (2009). 218 Exzellenzvereinbarung II vom 24.6.2009, in: BAnz S. 2416–2423, § 2 Abs. 1.
4. Wettbeherb ohne Ende oder das Ende des Wettbeherbs?
Tab. 1: Zahl der Anträge und Erfolgsquoten in der Exzellenzinitiative Basierend auf Zahlen aus DFG/Wissenschaftsrat (2015a), S. 13, 22. Graduiertenschulen
Exzellenzcluster
2005–2007
2010/2011
2005–2007
2010/2011
262
98
291
107
Vollanträge
83
25
79
27
Bewilligte Anträge
39
12
37
12
Quote Aufforderung zu Vollanträgen
32 %
26 %
27 %
25 %
Erfolgsquote bezogen auf Antragskizzen
15 %
12 %
13 %
11 %
Erfolgsquote bezogen auf Vollanträge
47 %
48 %
47 %
44 %
Antragskizzen
geworden, bedurfte allerdings der Zustimmung aller Länder.219 Die „Exzellenzstrategie“, auf die sich Bund und Länder 2016 einigten, schuf die Voraussetzung für eine dauerhafte Stratifizierung des deutschen Hochschulsystems.220 Der Wettbewerb um Cluster-Förderung sollte mit zwei Antragsrunden für weitere vierzehn Jahre fortgesetzt werden. Universitäten mit zwei Clustern bzw. Verbünde von Universitäten mit drei Clustern sollten sich außerdem zur Förderung als „Exzellenzuniversitäten“ bewerben können. In einem wettbewerblichen Verfahren würden elf Hochschulen auf Basis „strategische[r], institutionenbezogene[r] Gesamtkonzept[e]“ und quantifizierbarer vergangener Leistungen ausgewählt werden. In einer zweiten Antragsrunde nach sieben Jahren sollen vier weitere Hochschulen zu Exzellenzuniversitäten aufsteigen können. Die Finanzierung war aber nicht auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt, sondern „dauerhaft“. Der Kreis der Exzellenzuniversitäten würde sich in eine geschlossene Gesellschaft verwandeln, in die weitere Hochschulen nur aufgenommen werden können, wenn eine der Exzellenzuniversitäten ihren Status verliert. Inwiefern dies die Konkurrenz um den Exzellenz-Status beendet, hängt davon ab, wie die Evaluationen gehandhabt werden, die alle sieben Jahre durchgeführt werden müssen. Der Wissenschaftsrat, der für die Durchführung dieser Begutachtungen zuständig ist, konnte damit jedenfalls seine Rolle als einer der wichtigsten Dritten im deutschen Hochschulsystem zementieren, die er mit der Exzellenzinitiative gewonnen hatte. Parallel zu den Diskussionen über eine Fortsetzung der Exzellenzinitiative begann die Suche nach Perspektiven für die Universitäten, die in der fortgesetzten Konkurrenz um Forschungs-Exzellenz keine großen Chancen mehr hatten. So plädierte eine der ersten Studien zur Exzellenzinitiative, die von einer Arbeitsgruppe der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften angestellt wurde, für eine „Differenzierung 219 Vgl. Schreiterer/Leibfried (2015), S. 46. 220 Zum Folgenden vgl. Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern gemäß Artikel 91b Absatz 1 des Grundgesetzes zur Förderung von Spitzenforschung an Universitäten (Exzellenzstrategie) vom 19.10.2016.
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VII. Die Exnellenninitiative
der Exzellenzkriterien“.221 Diese Forderung machte sich auch der Wissenschaftsrat zu eigen. Er empfahl zwar „angesichts der internationalen Wettbewerbssituation die Ausdifferenzierung einer Gruppe von Universitäten fortzusetzen, die aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit in diesen Wettbewerben bestehen können“. Dies dürfe allerdings weder zu einer „Entwissenschaftlichung“ der übrigen Universitäten führen, noch sollten alle Hochschulen allein an diesem Maßstab gemessen werden. Vielmehr sei eine „horizontale“ bzw. „funktionalen Differenzierung nach vielfältigen Parametern“ zu fördern.222 Die Hochschulen, für die internationale Forschungsexzellenz kein sinnvolles Ziel war, sollten sich in anderen „Leistungsdimensionen“ wie Lehre, Innovationstransfer und „Infrastruktur“ (zum Beispiel Bibliotheken und Museen) profilieren.223 Einer horizontalen Differenzierung des Hochschulsystems, wie sie unter anderem den Autoren und Autorinnen der Wissenschaftsrat-Empfehlungen vorschwebte, standen allerdings einige Hindernisse entgegen. Nicht nur wurden Spezialisierungen zum Beispiel auf die Lehre in den meisten interuniversitären Konkurrenzverhältnissen kaum honoriert. Den Akteuren an den Universitäten erschien jede Form der Differenzierung als vertikal. Denn wissenschaftliche Reputation und Karrieren hingen weiterhin in hohem Maße von Leistungen in der Forschung ab. Den Anspruch auf „Spitzenforschung“ und die Teilnahme an den entsprechenden Wettbewerben aufzugeben, hätte für die Universitäten daher bedeutet, einen Bedeutungsverlust in Kauf zu nehmen. So enthielt zum Beispiel ein Planungspapier der Bielefelder Hochschulleitung aus dem Jahr 2008 Überlegungen zur Frage, ob die Universität sich dem verschärften Wettbewerb entziehen könnte: Zu erwartende Folgen wären: mittelfristig gravierende finanzielle Einbußen (Drittmittel und in der Folge Reduzierung des vom Staat zur Verfügung gestellten Budgets), Zerfall bestehender Forschungsstrukturen in bestimmten Feldern, Reputationsverluste, Imageveränderung, entsprechende Folgen für den wissenschaftlichen Nachwuchs; mittelfristig Imageeinbußen für Studienbewerber; langfristig Veränderung des Fächerspektrums als Folge des Zerfalls von Forschungsstrukturen in bestimmten Feldern, veränderte Flächenbedarfe.224
Mit anderen Worten: Der Ausstieg aus Konkurrenzverhältnissen, die in erster Linie Profilierung in der Forschung prämierten, war keine Option, die eine Hochschulleitung bereitwillig treffen würde oder für die sie breite Unterstützung in der Universität erwarten konnte. In der Universität Oldenburg plädierte zwar ein Teil der Geistes- und Sozialwissenschaften dafür, im Sinne der Tradition als Reformuniversität der Lehre größeres Gewicht zu verleihen. Letztlich setzte sich aber auch hier eine andere, vor221 Vgl. Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Exzellenzinitiative“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (2010a), S. 49. 222 Wissenschaftsrat (2010b), S. 58–76. 223 Wissenschaftsrat (2013b), S. 48 f. 224 Universität Bielefeld, das Rektorat, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14.11.2008, Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21.10.2008, S.2.
4. Wettbeherb ohne Ende oder das Ende des Wettbeherbs?
wiegend in den Naturwissenschaften beheimatete Fraktion durch, die für eine verstärkte Profilbildung eintrat, um als Forschungsuniversität konkurrenzfähig zu sein.225 Und auch die Bundesländer wollten aus wirtschaftspolitischen Gründen nicht auf Forschungsuniversitäten verzichten und sich mit Regional-Hochschulen zufriedengeben.226 Vorerst gibt es für die Universitäten daher kaum eine Alternativen zum Wettbewerb.
225 Vgl. Schneidewind (2011), S. 155. Aus entgegengesetzter Perspektive: Fabian (2007). 226 Vgl. z. B. SZ, 25.2.2008, S. 18.
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Resümee
Konkurrenz, das zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland“, ist aus dem Wissenschaftssystem nicht wegzudenken.1 Sie stellt sich jedoch nicht quasi naturwüchsig ein, sondern ist vielmehr „gemacht“, Ergebnis politischer Entscheidungen ebenso wie Resultat des Handelns von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Versuche, Konkurrenzmechanismen zu etablieren, waren immer wieder mit Konflikten verbunden. Insbesondere um die Rolle des „Dritten“, der über die Verteilung der umstrittenen Prämie entscheidet, entstanden Auseinandersetzungen. Und auch die Leistungskriterien, nach denen der Wettbewerb entschieden wird, sind stets kontingent, der Gegenstand von Interessenkonflikten. Diese Studie zielte darauf ab, die gegenwärtige Konkurrenz zwischen Universitäten in diesem Sinne als Produkt historischer Prozesse zu beleuchten. Die wichtigsten Entwicklungen seit den 1980er Jahren sollen im Folgenden kurz rekapituliert werden. Die Grundfinanzierung als Prämie Das Ende des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms gegen Mitte der 1970er Jahre markierte auch für das bundesrepublikanische Hochschulwesen eine Zäsur. Bund und Länder brachen aus finanzpolitischen Gründen den seit Ende der 1950er Jahre betriebenen Hochschulausbau ab, erteilten aber zugleich Zulassungsbeschränkungen mit ihrem „Öffnungsbeschluss“ aufgrund politischer Erwägungen eine Absage. Da weiterhin ein wachsender Anteil der jungen Generationen ein Studium anstrebte, entwickelte sich die Grundfinanzierung der Universitäten zum knappen Gut. Neue Studiengänge und Forschungsbereiche waren nun aus Perspektive der Wissenschaftsministerien kaum mehr anders als durch Kürzungen und Umschichtungen zu finanzieren. Zugleich setzten die Landesregierungen angesichts der schwierigen Wirtschaftslage einen neuen Schwerpunkt auf ökonomisch relevante „Spitzenforschung“. Vor allem Universitäten wie Oldenburg und Bielefeld, die noch nicht voll ausgebaut waren, über ein einge-
1 Vgl. auch Szöllösi-Janze (2014); Waßer (2016).
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schränktes Fächerspektrum verfügten und wegen ihrer peripheren Lage wenig Studierende anzogen, sahen sich dadurch einem erheblichen Konkurrenzdruck ausgesetzt. Künftig kam es für die Hochschulen darauf an, Forschungsschwerpunkte, möglichst in den politisch favorisierten, weil als Schlüsseltechnologien eingeschätzten Bereichen wie Informationstechnik und Biotechnologie, aufzubauen und für eine ausreichende Auslastung ihrer Studienplätze zu sorgen, wenn sie Kürzungen entgehen wollten. Mit der Wiedervereinigung und der Übertragung des föderalen Systems auf die vormalige DDR hielt dieses Muster interuniversitärer Konkurrenz auch in Ostdeutschland Einzug. Die Länder Berlin und Sachsen, in denen während der DDR-Zeit ein Großteil der ostdeutschen Wissenschaftseinrichtungen konzentriert war, sahen sich angesichts knapper Haushalte zu Kürzungen veranlasst. Vor allem die Berliner Universitäten gerieten in scharfe Konkurrenz zueinander. Die übrigen neuen Länder nahmen zunächst einen ambitionierten Ausbau ihrer Hochschulen in Angriff, gerieten aber bald an ihre finanziellen Grenzen, so dass auch hier eine ähnliche Situation entstand wie zuvor in der alten Bundesrepublik. Zunehmend schürten die Bundesländer gezielt die Konkurrenz der Universitäten um ihre Grundfinanzierung, um diese zum Beispiel zur Verkürzung der Studiendauer oder der Einwerbung von Drittmitteln aus Händen des Bundes und der Privatwirtschaft anzuhalten. Sie verkoppelten mehrere Konkurrenzverhältnisse miteinander, indem sie zum Beispiel zusätzlich Erfolge im Wettbewerb um ausländische Studierende zum Leistungskriterium bei der Verteilung der Grundfinanzierung machten, und trieben damit die Konkurrenz auf jenen Feldern voran. Die Exzellenzinitiative forcierte diesen Wettbewerb noch weiter, da es nun im obersten Interesse der Länder lag, einzelne Universitäten bzw. Forschungsbereiche, die Aussicht auf den Exzellenzstatus hatten, bevorzugt zu fördern. Konkurrenz um Drittmittel Stellten wettbewerblich eingeworbene Drittmittel zu Beginn der 1970er Jahre noch eine quantité negligeable dar, so entwickelten sie sich seit der Verknappung der Grundfinanzierung rasch zur unverzichtbaren Voraussetzung für Forschung an den Hochschulen und zum wichtigsten Leistungskriterium in interuniversitären Konkurrenzverhältnissen. Diese Entwicklung lag einerseits in der politischen Priorisierung der Forschung seit den 1980er Jahren, andererseits in der föderalen Kompetenzverteilung begründet. Denn die Forschungsförderung war bis zur Föderalismusreform von 2006 neben dem Hochschulbau die einzige Möglichkeit für den Bund, sich an der Finanzierung der Universitäten zu beteiligen. Vor allem seit den 1990er Jahren stieg auch der Anteil von Drittmitteln aus der Privatwirtschaft an den Etats der Universitäten stark an. Institutionalisierte Kooperationsformen, zum Beispiel in Gestalt gemeinsamer Forschungszentren, traten dabei an die Seite der bis dahin vorherrschenden Zusammenarbeit einzelner Professoren mit Unternehmen.
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Die in den frühen 1980er Jahren noch mancherorts gängigen Vorbehalte gegen Drittmittelforschung als Einfallstor für wissenschaftsfremde oder demokratisch nicht legitimierte Interessen wichen rasch einer immer schärferen Konkurrenz um Forschungsgelder. Als Folge sanken zum Beispiel die Chancen, mit einem Antrag im „Normalverfahren“ der DFG Erfolg zu haben, von 81,9 Prozent im Jahr 1980 auf 32,5 Prozent im Jahr 2012. Für Förderentscheidungen reichte es daher immer weniger aus, wie anfangs zu ‚Boomzeiten‘ durchaus üblich, in erster Linie die Einhaltung wissenschaftlicher Standards zu überprüfen. Zunehmend geht es stattdessen darum, die Relevanz von Forschungsfragen gegeneinander abzuwägen, wobei ökonomische Kriterien an Gewicht gewinnen. Hochschulexternen Akteuren wie der DFG und Wirtschaftsunternehmen wuchs als „Dritten“ in diesem wichtigen Konkurrenzverhältnis die Rolle wissenschaftspolitischer Entscheidungsträger zu, eine Entwicklung, die allenfalls dadurch abgefedert wurde, dass Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen verschiedene Wege zur Einwerbung von Drittmitteln offenstanden. Auf der Ebene der Personalstrukturen ließ der Trend zur Drittmittelfinanzierung die Zahl befristeter Qualifikationsstellen in Relation zu den unbefristeten Stellen stark ansteigen und verschärfte dadurch auch auf dieser Ebene die Konkurrenz. Die Quantifizierung der Leistungskriterien Spielten sich die Auseinandersetzungen um die Grundfinanzierung zunächst noch im Modus politischer Konkurrenz ab, in dem die Leitungen der Universitäten durch Interventionen bei den Wissenschaftsressorts der Bundesländer oder in der Öffentlichkeit Einfluss auf die Verteilung der Mittel zu nehmen suchten, so setzte bald eine partielle Formalisierung des Wettbewerbs ein. Sowohl die Ministerien als auch die Universitäten selbst gingen dazu über, die Verteilungskriterien festzuschreiben und durch Rückgriff auf „Leistungsindikatoren“ wie Drittmittelsummen und Absolventenzahlen zu quantifizieren. In den Verhandlungen über die Ausgestaltung der Verteilungsformeln auf Landes- und Hochschulebene zeigte sich allerdings, dass von einer objektiven „Leistungsmessung“ nicht die Rede sein konnte, da die Auswahl von Indikatoren und Gewichtungsfaktoren politische Wertmaßstäbe implizierte. Weil der Leistungsvergleich einer objektiven Grundlage entbehrte, prägten letztlich Verhandlungskonstellationen sowie der Blick auf gewünschte Verteilungs- und Anreizwirkungen die Verteilungsmodelle. Obwohl die Argumente gegen die Validität der gebräuchlichen Indikatoren von Anfang an bekannt waren und die Warnungen vor falschen Anreizen durch eine auf Quantitäten fixierte „Tonnenideologie“ nicht auf sich warten ließen, trieben Wissenschaftler selbst die Etablierung „leistungsorientierter“ Verteilungsverfahren in den Universitäten voran. Mit Drittmittelsummen zu argumentieren, schien Vorteile in der Konkurrenz um knappe Mittel zu verschaffen. Die Orientierung an Zahlen entlastete zudem von langwierigen und kontroversen Verhandlungen und versprach, „Leistungs-
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gerechtigkeit“ an die Stelle „historisch gewachsener“ Ungleichheiten zu setzen. Der betriebswirtschaftliche Gedanke der „Anreizkompatibilität“ mit politischen Vorgaben und den Erfordernissen des interuniversitären Wettbewerbs war dabei nur ein Argument unter mehreren. Zunehmend überformte die quantitative Erfassung wissenschaftlicher „Leistung“ zudem das Qualitätsverständnis der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Impact-Faktoren und Zitationszahlen traten in manchen Fächern in Berufungsverfahren an die Seite, wenn nicht sogar an die Stelle inhaltlicher Auseinandersetzung mit den Publikationen der Kandidaten und Kandidatinnen. Wettbewerb als politisches Steuerungsinstrument Zunehmend wurde Konkurrenz zwischen Universitäten von wissenschaftspolitischen Entscheidungsträgern bewusst als Steuerungsinstrument eingesetzt. Bereits in den frühen 1980er Jahren entspann sich eine Debatte über die Notwendigkeit von mehr Wettbewerb im Hochschulsystem. Konservative und wirtschaftsliberale Kritiker warfen der sozialliberalen Hochschulpolitik vor, mit der Gruppenuniversität ineffiziente Entscheidungsstrukturen geschaffen zu haben. Das deutsche Hochschulsystem tendiere zur Nivellierung und versage dabei, Eliten und Spitzenforschung hervorzubringen, auf die es im internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb ankomme. Diese Problemdiagnose verband sich mit neoliberalen Plädoyers für Marktprinzipien und brachte ein neues hochschulpolitisches Paradigma hervor. Anhänger dieses Wettbewerbsparadigmas forderten autonome Universitäten mit starken Leitungen, die im Wettbewerb miteinander eigenständige Profile ausbilden und ihre jeweiligen „Stärken stärken“ sollten. Allerdings setzten sich diese Ansichten erst in den 1990er Jahren – vor dem Hintergrund der Globalisierungsdebatte und anhaltender Kritik an den Hochschulen – auch auf der linken Seite des politischen Spektrums und bei einer Mehrheit der Hochschulrektoren durch. Die betriebswirtschaftliche Konkretisierung des Wettbewerbsparadigmas und das gezielte Lobbying des von HRK und Bertelsmann-Stiftung gegründeten Centrums für Hochschulentwicklung trugen dazu bei, dass diese Auffassungen sich als hochschulpolitischer common sense etablieren konnten, an dem sich sowohl die hochschulpolitischen Reformen als auch das Handeln von Hochschulleitungen seither ausrichten. „Unternehmerische Universitäten“ Seit Mitte der 1990er Jahre prägt das Wettbewerbsparadigma das Amtsverständnis einer wachsenden Zahl von Hochschulleitungen und deren Umgang mit ihren erweiterten Kompetenzen. Wettbewerbsorientierte Präsidenten wie Wolfgang A. Herrmann an der TU München oder Dieter Lenzen an der FU Berlin und der Universität Hamburg verstehen sich nicht mehr als primus inter pares, der die Hochschule nach au-
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ßen repräsentieren und intern zwischen divergierenden Interessen moderieren solle, sondern als Hochschulmanager, der mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit der Universität auch Entscheidungen gegen die Interessen eines Teils der Professorenschaft zu treffen habe. Ihre vordringlichste Aufgabe sahen diese Rektoren und Präsidenten in der Profilbildung, also darin, wettbewerbsfähige Bereiche auch auf Kosten anderer Fächer zu fördern. Dies schürte Konflikte mit Hochschulmitgliedern, die ein anderes Verständnis von der Universität als Institution pflegten und diese entweder als Korporation der prinzipiell gleichberechtigten Professoren oder als Arena demokratisch zu vermittelnder Interessen begriffen. Beide Gruppen beschränkten sich allerdings weitgehend darauf, den seit Jahrzehnten kritisierten status quo der Gruppenuniversität zu verteidigen und konnten dem Wettbewerbsparadigma keine gleichermaßen konkret ausformulierte und politisch anschlussfähige Alternative entgegensetzen. Verantwortungszuschreibungen seitens der Politik, institutionalisierte Konkurrenzverhältnisse und das neue Amtsverständnis wettbewerbsorientierter Hochschulleitungen trugen dazu bei, dass sich die Universitäten zu eigenständigen Akteuren entwickelten.2 Die Hochschulen selbst sind nun verantwortlich für Leistungen in Forschung und Ausbildung und sollen sich in Konkurrenz zueinander behaupten. Das Interesse der Gesamtinstitution avancierte zum überragenden Kriterium in hochschulinternen Entscheidungsprozessen. Die Politik der Profilbildung forcierte zudem eine Ressourcenkonkurrenz innerhalb der Universitäten, von der vor allem die Vertreter wissenschaftspolitisch favorisierter Fächer und exzellenzfähiger Schwerpunkte profitieren, konnten bzw. können diese doch mit den Zwängen des Wettbewerbs argumentieren und quantifizierbare Leistungen in Gestalt von Drittmitteln ins Feld führen. Insbesondere sogenannte „kleine Fächer“, vor allem in den Sprach- und Kulturwissenschaften, gerieten in eine prekäre Lage und konnten Kürzungen oft nur dann entgehen, wenn sie sich in interdisziplinäre Schwerpunkte einbrachten oder von den Hochschulleitungen als „Alleinstellungsmerkmal“ anerkannt wurden. Konkurrenz um Prestige und der Wettbewerb um Studierende Obwohl viele Universitäten in den 1980er Jahren mit wachsender „Überlast“ zu kämpfen hatten – so der bürokratische Ausdruck für die Folgen des abgebrochenen Hochschulausbaus, – verschwand die Konkurrenz um Studierende nie vollständig. Denn geographisch randständige oder an wenig attraktiven Orten gelegene Hochschulen konnten im Wettbewerb um die Grundfinanzierung wegen ihrer vergleichsweise niedrigen Studierendenzahlen durchaus unter Druck geraten. Hinzu kam, dass manche Fächer während der 1990er Jahre ein sinkendes Interesse seitens der Studienanfänger und -anfängerinnen zu verzeichnen hatten. Einem Wettbewerb um Studierende standen aller-
2 Vgl. Meier (2009).
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dings mehrere Faktoren entgegen. Die Großstadtuniversitäten hatten in der Regel kein Interesse an höheren Immatrikulationszahlen und auch die weniger attraktiven Hochschulen konnten darauf rechnen, dass ihnen in zulassungsbeschränkten Fächern von der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen Studierende zugewiesen wurden. Die Universitäten hatten außerdem nur ein mäßiges Interesse an höherer Attraktivität, weil sie sich kaum aussuchen konnten, welche Bewerber und Bewerberinnen sie zum Studium zuließen. Letztere wiederum orientierten sich bei der Wahl der Hochschule hauptsächlich an der Nähe zum Heimatort – ein Faktor, den die Universitäten nicht beeinflussen konnten. Im Lauf der 1990er und 2000er Jahre fielen diese Hindernisse allerdings teilweise weg. Das ZVS-System wurde aufgelöst und die Universitäten erhielten mehr Mitsprache bei der Auswahl ihrer Studierenden. Seit der Einführung der Bachelor- und Masterstudiengänge warben die Universitäten mit Studienangeboten, die sich (zumindest nach außen) stärker voneinander unterschieden. In den Augen der Studieninteressierten gewann außerdem das Prestige der Hochschulen an Bedeutung. Zu dieser Entwicklung führten vor allem Rankings, die seit 1989 von verschiedenen Printmedien, dem CHE und schließlich – auf Anstoß mehrerer Universitätsrektoren – sogar von der DFG verbreitet wurden. Diese Listen suggerierten nämlich, dass zwischen den Hochschulen signifikante Qualitätsunterschiede bestünden, die sich in einer Rangfolge darstellen ließen. Sie trugen dazu bei, dass sich zwischen den Universitäten eine Konkurrenz um Prestige formierte, in der die Massenmedien als bewertende Dritte eine entscheidende Rolle spielten. Wie sie auch zu Sinn und Unsinn von Rankings standen, die entscheidenden Akteure an den Universitäten mussten die Wirkung der Ranglisten nicht nur bei Studierenden und ihren Eltern, sondern auch bei potenziellen privaten Mittelgebern und der Politik zur Kenntnis nehmen. Im öffentlichen Umgang der Hochschulen mit Rankings dominierte ein strategischer Opportunismus. Sie bauten ihre Öffentlichkeitsarbeit aus und stellten diese unter den Primat der „Image“-Förderung. Solange Rankings günstige Ergebnisse produzierten, wurden sie für PR-Zwecke genutzt, und nur die Verlierer kritisierten sie, was der Glaubwürdigkeit der Kritik nicht gerade zuträglich war. Boykott-Versuche blieben prekär, da den Universitäten, die in den Vergleichen nicht auftauchten, Nachteile im Wettbewerb drohten. Der Wettbewerb um „Leistungsträger“ Dass Universitäten um Wissenschaftler, diese wiederum um Stellen konkurrieren ist keineswegs neu. Neu sind allerdings die Kriterien, die Hochschulleitungen, deren Kompetenzen in Berufungsverfahren gestärkt wurden, und teilweise auch die Fakultäten und Fachbereiche dabei anlegen. Neben Erfahrungen bei der Drittmittelakquise gewinnen quantitative Faktoren in Gestalt von Zitationsanalysen an Gewicht. Vor allem seit der Exzellenzinitiative gehen Hochschulleitungen außerdem dazu über, im Rahmen sogenannter „proaktiver“ Verfahren gezielt potenzielle „Leistungsträger“ an-
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zusprechen und anderen Einrichtungen abzuwerben, wozu sie seit der Erweiterung ihrer Kompetenzen und der Einführung der W-Besoldung in der Lage waren. Der Exzellenzwettbewerb veränderte die Konkurrenz der Universitäten um Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch insofern, als die Gewinner erhebliche zusätzliche Mittel für Ausstattung und Investitionen in die Waagschale werfen und den Umworbenen die Freistellung von Lehr- und Verwaltungsaufgaben anbieten können, was aus Perspektive finanzschwächerer Universitäten auf einen „Verdrängungswettbewerb“ hinausläuft. Zugleich wurde damit freie Zeit für Forschung zu einer Prämie, um welche die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen konkurrieren. Dabei trug gerade die Vermehrung von Wettbewerben aller Art dazu bei, dass Zeit für die immer häufiger als Antragsteller und Gutachter auftretenden Wissenschaftler zum knappen Gut wurde. Auf eine stärkere Differenzierung in der Professorenschaft lief auch die Einführung der W-Besoldung hinaus, die es den Hochschulleitungen ermöglichte, einerseits Professoren und Professorinnen zu Publikationen und Drittmitteleinwerbungen anzuhalten, und andererseits Mittel auf „Spitzenberufungen“ zu konzentrieren. Die Reform der Besoldungsordnung führte dazu, dass stärker als zuvor Marktprinzipien die Höhe der Professorengehälter bestimmen, wovon vor allem Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie die Medizin profitieren, um die deutsche Universitäten mit Wirtschaftsunternehmen und ausländischen Hochschulen konkurrieren müssen. Die Internationalisierung der Konkurrenz Die Vorstellung eines internationalen wirtschaftlichen Wettbewerbs, in dem es vor allem auf technologische Innovationen und deren rasche Umsetzung in marktfähige Produkte ankomme, prägte schon in den 1980er Jahren die wissenschaftspolitischen Diskussionen über Wettbewerb und Schwerpunktbildung. Effizienz- und wettbewerbsorientierte Reformen in Großbritannien und den Niederlanden sowie die internationale Diskussion über Leistungsmessung in der Wissenschaft beeinflussten bereits zu dieser Zeit die deutschen Debatten. Die Furcht vor einer „technologischen Lücke“ gegenüber den USA und Japan lieferte auch die Begründung für die Ausweitung der Forschungsförderung auf europäischer Ebene. Mit der „Lissabon-Strategie“, in der sich Diskurse über Globalisierung und „wissensbasierte Ökonomie“ niederschlugen, trat die Forschungsförderung in den Fokus der europäischen Wirtschaftspolitik. Mit dem Ziel, Europa „zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“, förderte die EU sowohl die Vernetzung von Forschungseinrichtungen als auch einen europaweiten Wettbewerb um Drittmittel und wurde auf diese Weise immer mehr zu einem wichtigen „Dritten“ im Wettbewerb der Universitäten und ihrer Wissenschaftler. Seit Mitte der 1990er Jahre häuften sich zudem die Warnungen vor einem „brain drain“, der Abwanderung von Forschern und wissenschaftlich ausgebildeten Fach-
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kräften, vor allem in die USA. Aus dieser Perspektive mussten sich Universitäten als Akteure in einem globalen Wettbewerb um Wissenschaftler und Studierende behaupten. Eine gestärkte Wettbewerbsfähigkeit versprachen sich Wissenschaftspolitiker und Hochschulleitungen davon, Strukturelemente aus den als führend wahrgenommenen US-amerikanischen und britischen Hochschulsystemen zu übernehmen, unter anderem das Bachelor- und Masterstudium. Mit dem Argument der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und einer Abstimmung auf europäischer Ebene im Rahmen des Bologna-Prozesses ließ sich nun ein Vorhaben umsetzen, das in ähnlicher Form bereits seit Jahrzehnten diskutiert worden war und von dem sich führende Wissenschaftspolitiker zugleich finanzielle Einsparungen erhofften. Die neuen internationalen Hochschulrankings nährten die Annahme der entscheidenden wissenschaftspolitischen Akteure, im globalen Wettbewerb um Wissenschaftler und Studierende komme es vor allem auf die „Sichtbarkeit“ einzelner, renommierter Universitäten an. Das eher homogene deutsche Hochschulsystem mit seiner Aufteilung der Grundlagenforschung auf Universitäten und außeruniversitären Forschungseinrichtungen stellte aus dieser Perspektive einen Nachteil im globalen „Kampf um die klügsten Köpfe“ dar. Die SPD-geführte Bundesregierung, die im Gefolge der Standortdebatte auf Flexibilisierung, Anpassung an die Erfordernisse der internationalen Märkte und die Mobilisierung von „Innovationen“ setzte, stieß mit der Exzellenzinitiative schließlich einen Wettbewerb an, der einige wenige international konkurrenzfähige „Spitzenuniversitäten“ hervorbringen sollte. Fazit: ein neues Konkurrenzsystem Angetrieben durch finanzielle Engpässe des Staates „nach dem Boom“, durch Diskurse über Globalisierung und Wissensökonomie und gelenkt durch betriebswirtschaftliche Effizienzversprechungen im Sinne des New Public Management entstand im deutschen Hochschulwesen seit den 1980er Jahren ein neues Konkurrenzsystem, in dessen Zentrum der Wettbewerb der Universitäten als Institutionen um ihre Grundfinanzierung, Forschungsgelder, Prestige, freie Zeit für Forschung, Wissenschaftler und Studierende steht. Seit der Exzellenzinitiative hängen die Chancen der Universitäten auf all diesen Feldern davon ab, wie erfolgreich sie in einem einzigen Wettbewerb um „Exzellenz“ in der Forschung abschneiden. Konkurrenz trat in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an die Stelle politischer Steuerung und inneruniversitärer Verhandlungskonstellationen. Politiker und Politikerinnen beider großer Parteien wie auch der FDP und der Grünen verzichteten zugunsten von Wettbewerbsmechanismen auf direkte Einflussmöglichkeiten. Das Ergebnis war allerdings kein Marktsystem nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage, denn der Staat behielt es sich grundsätzlich vor, die Leistungskriterien in diesen Konkurrenzverhältnissen zu definieren. Er übernahm entweder selbst die Rolle des „Dritten“ oder delegierte diese an Instanzen wie den Wissenschaftsrat und die
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DFG. Dadurch verschoben sich auch innerhalb der scientific communities die Gewichte, denn über die Entwicklung des Wissenschaftssystems entscheiden immer weniger individuelle Forscher und Arbeitsgruppen sondern immer mehr, auf indirektem Weg, eine begrenzte Zahl von Wissenschaftlern, die ihre fachliche Reputation in wissenschaftspolitischen Einfluss umzumünzen verstehen. Sie treten zum Beispiel in Evaluationskommissionen aller Art als Dritte auf. Diese Entwicklung birgt die Gefahr einer Homogenisierung der Leistungskriterien. Konkurrenzverhältnisse im Wissenschaftssystem favorisieren zunehmend großformatige, drittmittelfinanzierte Forschungsverbünde sowie interdisziplinäre und international anschlussfähige Forschungsansätze und geraten damit in ein Spannungsverhältnis zur Forschungspraxis in manchen wissenschaftlichen Disziplinen. Insbesondere mit der Exzellenzinitiative wurden die Größe einer Universität, die Konzentration von Wissenschaftseinrichtungen am Standort und die Finanzkraft des jeweiligen Bundeslandes zu entscheidenden Faktoren im Wettbewerb um Forschungsgelder. Universitäten, die nicht die „kritische Masse“ für SFBs und Exzellenzcluster aufbringen und nicht auf Kooperationen mit außeruniversitären Forschungsinstituten vor Ort bauen können, drohen in diesem neuen Konkurrenzsystem auf der Strecke zu bleiben. Die ungleiche Finanzkraft der Bundesländer, die durch die Föderalismusreform verstärkt zum Tragen kommt, und die Konzentration von Wissenschaftseinrichtungen an Standorten wie München und Berlin begünstigen den politisch gewollten Trend zu einer vertikalen Differenzierung des Hochschulsystems. Die Universitäten, die von einer Stratifizierung zu profitieren hoffen, treiben diesen Prozess durch Lobbying und symbolische Abgrenzung gegenüber dem Rest der Hochschulen gezielt voran. Der Wettbewerb droht sich damit selbst aufzuheben und zur bloßen Legitimation der Förderung einiger weniger international „sichtbarer“ Spitzenstandorte zu werden. Zugleich ist aber keine für die große Zahl der Universitäten erstrebenswerte Profilierungsmöglichkeit jenseits der Forschungsexzellenz in Sicht, so dass der Wettbewerb für sie vorerst ohne Alternative bleibt.
Danksagung
Diese Arbeit basiert auf meiner Dissertation, die von der Fakultät für Geschichts- und Kunstwissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen wurde. Die Disputation fand am 14. Februar 2018 statt. Wenn auch das Phänomen der Konkurrenz im Zentrum dieses Buches steht, so ist zumindest an dieser Stelle Platz, um an einen erfreulicheren Aspekt wissenschaftlicher Arbeit zu erinnern: die Kooperation. Mein herzlicher Dank gilt Frau Prof. Dr. Margit Szöllösi-Janze, der Erstbetreuerin meiner Dissertation, die mich zu jeder Zeit und mit unerschöpflicher Tatkraft unterstützte. Danken möchte ich auch Frau Prof. Dr. Kärin Nickelsen, die diese Arbeit als Zweibetreuerin mit hilfreichen Hinweisen begleitete. Herrn Prof. Dr. Michael Hochgeschwender danke ich für sein Interesse und die Bereitschaft, sich als Drittprüfer an der Disputation zu beteiligen. Ohne Quellenmaterial aus den Universitäten wäre diese Studie nicht möglich gewesen. Daher gilt mein Dank den Hochschulleitungen der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, der Universität Bielefeld, der Universität zu Köln und der Friedrich-Schiller-Universität Jena dafür, dass sie einer Aufhebung der archivalischen Sperrfristen zustimmten und im Falle Kölns und Oldenburgs darüber hinaus den Zugang zu noch nicht archivierten Akten gestatteten. Danken möchte ich auch der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät und der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln, die mir einen Einblick in ihre Akten erlaubten, sowie Herrn Prof. Dr. Hans-Peter Ullmann, der sich bei beiden Fakultäten für das Projekt eingesetzt hat. Auch die kompetente Beratung und Hilfe durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Archive und Bibliotheken, in denen ich für diese Arbeit recherchiert habe, soll nicht verschwiegen werden. Undenkbar wäre diese Arbeit auch ohne die Interviewpartnerinnen und -partner gewesen, die sich die Zeit genommen haben, meine Fragen zu beantworten, und die mir oftmals neue Zusammenhänge erschlossen haben. Mein Dank gilt daher Frau Anke Brunn, Staatsministerin a. D., Herrn Prof. Dr. Klaus Dicke, Herrn Prof. Dr. Holger Fischer, Frau Dr. Karin Fischer-Bluhm, Herrn Prof. Dr. Manfred Erhardt, Herrn Gerhard Harms, Herrn Hartmut Krauß, Herrn Dr. Rainer Kuch, Herrn Prof. Dr. Tassilo Küpper, Herrn Prof. Dr. Georg Machnik, Herrn Prof. Dr. Otto Meitinger †, Herrn Dr. Johannes Neyses, Herrn Prof. Dr. Dieter Timmermann, Herrn Dr. Reinhard Ost, Herrn Prof. Dr. Gerd Wechsung, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte, Frau Susanne
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Dan sagung
Zemene und einem weiteren Interviewpartner, der aus beruflichen Gründen in diesem Buch nicht namentlich genannt wird. Ich danke den Kolleginnen und Kollegen an der Ludwig-Maximilians-Universität München für den Austausch und die angenehme Arbeitsatmosphäre. Besonders profitiert habe ich von den Diskussionen im Promotionsprogramm ProMoHist des Historischen Seminars der LMU München, das mit großem Engagement von Dr. Martin Schmidt geleitet wurde. Für die kollegiale Zusammenarbeit im Forschungsprojekt „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland“ danke ich Dr. Fabian Waßer. Für die hilfreiche Diskussion dieses Forschungsprojektes danke ich den Mitgliedern des Projektverbundes „Konkurrenzkulturen. Soziale Praxis, Wahrnehmung und Institutionalisierung von Wettbewerb in historischer Perspektive“ an der Universität zu Köln und an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Herr Prof. Dr. Ralph Jessen unterstützte mich zudem bei der Auswahl eines geeigneten ostdeutschen Fallbeispiels. Profitieren durfte ich bei der Arbeit an dieser Studie auch vom interdisziplinären Austausch mit Soziologen und Soziologinnen. Ich danke daher Prof. Dr. Tobias Werron und Dr. Leopold Ringel für die Einladung zum Workshop „Rankings – a sociological perspective“ im Februar 2015 am Forum Internationale Wissenschaft der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn sowie Prof. Dr. David Kaldewey und Dr. Julian Hamann für die Einladung zum Workshop „Wissenschafts- und Hochschulforschung: Ansatzpunkte für eine interdisziplinäre Forschungsagenda“ im Mai 2017 im Tagungszentrum der VW-Stiftung in Hannover. Im Rahmen des Nachwuchsworkshops der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte (GUW) im März 2017 in Essen, organisiert von Frau Prof. Dr. Ute Schneider und Dr. Timo Celebi, und beim GUW-Nachwuchsworshop im Juli 2015 in München, organisiert von Dr. Christoph Ellßel, Dr. Charlotte Lerg und Dr. Fabian Waßer, hatte ich ebenfalls die Möglichkeit, dieses Projekt vorzustellen. Besonders danken möchte ich Dr. Yves Vincent Grossmann, Dr. Sebastian Rojek und Florian Fahrenbach, die Teile des Manuskripts gelesen haben und mir mit wertvollen Anregungen zur Seite standen. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei für die Finanzierung des Projekts „Wettbewerb zwischen Universitäten im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland“ und der Publikation dieser Arbeit gedankt. Dem Herausgebergremium der Reihe „Wissenschaftskulturen: Pallas Athene. Geschichte der institutionalisierten Wissenschaft“ gilt mein Dank für die Aufnahme dieser Arbeit. Dem Franz Steiner Verlag und insbesondere Frau Katharina Stüdemann danke ich für die freundliche und reibungslose Begleitung der Veröffentlichung.
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Abkürzungsverzeichnis AStA BAnz. BAT BESSY BMBF BMBW BMFT BLK BWL BVerfGE CHE DAAD DDR DFG ECU EPK ETH FBR FNK FRP FSU FU GAIN GmbH GVBl. HRK HU HPK KIT KMK LMU OECD RWTH SächsAbl. SED
Allgemeiner Studentenausschuss Bundesanzeiger Bundes-Angestelltentarifvertrag Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung m. b. H. Bundesministerium für Bildung und Forschung Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Bundesministerium für Forschung und Technologie Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung Betriebswirtschaftslehre Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Centrum für Hochschulentwicklung Deutscher Akademischer Austauschdienst Deutsche Demokratische Republik Deutsche Forschungsgemeinschaft European Currency Unit Entwicklungs- und Planungskommission Eidgenössische Technische Hochschule Fachbereichsrat Senatskommission für Forschung und Nachwuchsförderung Forschungsrahmenprogramm Friedrich-Schiller-Universität Freie Universität German Academic International Network Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz- und Verordnungsblatt Hochschulrektorenkonferenz Humboldt-Universität Hochschulplanungskommission Karlsruher Institut für Technologie Kultusministerkonferenz Ludwig-Maximilians-Universität Organisation for Economic Co-operation and Development Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Sächsisches Amtsblatt Sozialistische Einheitspartei Deutschlands
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SFB TU UA UAOL UOL WIP WRK ZVS
Sonderforschungsbereich Technische Universität Universitätsarchiv Universitätsarchiv Oldenburg Universität Oldenburg Wissenschaftler-Integrations-Programm Westdeutsche Rektorenkonferenz Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen
Quellenverzeichnis1 Archivquellen Bibliothek der HRK, Bonn Protokolle des Plenums der WRK (1980–1990) Protokolle des Senats der WRK (1980–1990) Protokolle der Plenarversammlungen der HRK (1991–2010) Protokolle des Senats der HRK (1991–2010) Landesarchiv Berlin Senatsverwaltung für Wissenschaft und Forschung D Rep. 800 (1998–1999) Universität zu Köln 1. Universitätsarchiv: Zugang 543, Rektorat (1980–1997) Zugang 694, Kanzler der Universität (1980–1996) 2. Universitätsverwaltung: Protokolle des Senats (1980–2012) Protokolle der Fakultätssitzungen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät (1980–2012) Protokolle der Fakultätssitzungen der Philosophischen Fakultät (1980–1999) Universitätsarchiv Bielefeld Rektorat (1980–1999) Senat (1980–1999) Drucksachen (DS 95) Universitätskommission für Finanz- und Personalangelegenheiten (UKFI 8) (1990) Universitätsarchiv der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Akten des Präsidiums und des Senats im Zwischenarchiv (20002 ZW) (1980–2006) Akten des Präsidiums und des Senats im Zwischenarchiv (Bestand 2200) (1980–2002) Akten des Präsidiums und des Senats in der Altregistratur (2002–2011) Flugblattsammlung (1998) Universitätsarchiv der FU Berlin Akademischer Senat (AS und AS 2) (1980–2005) Protokolle der Entwicklungs- und Planungskommission (1991–1999) Schriftwechsel der Entwicklungs- und Planungskommission (1996–2003)
1 Internet-Dokumente wurden zuletzt aufgerufen am 30.6.2018.
Quellenverneichnis
Fachbereich Wirtschaftswissenschaften (1984)2 Fachbereichsrat Philosophie und Sozialwissenschaften I (1983) Fachbereichsrat Philosophie und Geisteswissenschaften (1999, 2001) Fachbereichsratsprotokolle (2001) Präsidium (1980–2005) Protokolle des Fachbereichsrats des Fachbereichs für Geschichts- und Kulturwissenschaften (2003, 2010) Universitätsarchiv der FSU Jena Senat (1993–2000) Broschüren (1996) Flyer-Sammlung (1997) Presseübersichten (1991) Universitätsarchiv der LMU München Drucksachen M I 400 (1989, 2000) TU München 1. Universitätsarchiv Einrichtungen.Fortl.Num. 174, 176, 4169, 4206, 5479 (1980–1999) 2. Universitätsbibliothek: Strukturplan der Technischen Universität München, 1. September 2005
Unveröffentlichte Schriftquellen aus Privatbesitz Das Rektorat der Universität Bielefeld, Unterlage für die Beratung des Hochschulrates am 14. November 2008. Eckpunkte einer Planungsstrategie und Entscheidungsbedarfe, 21. Oktober 2008. FU Berlin, International network university. Strategy to promote top-level research, second call. Funding period 1.11.2007–31.10.2012, Berlin 2007. TU München, Strukturplan der Technischen Universität München, 1. September 1995. TU München, TUM. The entrepreneurial university, Institutional strategy to promote top-level research, München 2006. TU München, Proposal for the establishment and funding of the cluster of excellence „Origin and structure of the universe“, München 2006.
Periodika AKTUELL aus den Gremien (LMU München) Alma Mater Jenensis Bielefelder Universitätszeitung Der Spiegel Deutsche Universitätszeitung Die Zeit Forschung & Lehre 2 Die archivierten Bestände aus den Fachbereichen der FU Berlin sind teils lückenhaft, weshalb hier und im Folgenden nur die zitierten Jahrgänge angegeben werden.
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Anhang
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung H1 (Universität Bielefeld) Kölner Universitäts-Journal Süddeutsche Zeitung Tagesspiegel TUM campus TUM-Mitteilungen um-bits (LMU München) uni-info (Carl von Ossietzky Universität Oldenburg)
Interviewpartner und -partnerinnen Anke Brunn, Ministerin für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen (1985– 1998), Gespräch am 11. September 2017 Prof. Dr. Klaus Dicke, Rektor der FSU Jena (2004–2014), Gespräch am 11. Oktober 2016 Prof. Dr. Holger Fischer, Vizepräsident der Universität Hamburg (2003–2014), Gespräch am 22. Mai 2016 Dr. Karin Fischer-Bluhm, Geschäftsführerin im Verbund Norddeutscher Universitäten (1994– 2009), Gespräch am 31. Mai 2016 Prof. Dr. Manfred Erhardt, Senator für Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin (1991– 1996), Gespräch am 31. Mai 2017 Gerhard Harms, Pressesprecher der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg (1974–2009), Gespräch am 21. August 2015 Hartmut Krauß, Mitarbeiter im Planungsdezernat der Universität Bielefeld (ab 1973), persönlicher Referent des Rektors (1978–1985), Planungsdezernent (1985–2009), Gespräch am 5. Februar 2016 Dr. Rainer Kuch, persönlicher Referent (1997–1995) und Beauftragter des Präsidenten der TU München (1995–2009), Gespräche am 14. März 2016 und am 19. Juli 2017 Prof. Dr. Tassilo Küpper, Erster Prorektor für Planung und Finanzen (1997–2001) und Rektor (2001–2005) der Universität zu Köln, Gespräch am 5. April 2016 Prof. Dr. Georg Machnik, Rektor der FSU Jena (1993–2000), Gespräch am 17. November 2016 Prof. Dr. Otto Meitinger †, Präsident der TU München (1987–1995), Gespräch am 21. April 2016 Dr. Johannes Neyses, Kanzler der Universität zu Köln (1986–2012), Gespräch am 6. April 2016 Dr. Reinhard Ost, ehem. Geschäftsführer der Landeshochschulstrukturkommission Berlin, Mitarbeiter in der Stabsstelle für Forschungsförderung der FU Berlin, Referent des Präsidenten der FU Berlin, Gespräch am 13. April 2016 Prof. Dr. Dieter Timmermann, Prorektor für Lehre, studentische Angelegenheiten und Weiterbildung (1996–2001) und Rektor (2001–2009) der Universität Bielefeld, Gespräch am 5. Februar 2016 Prof. Dr. Gerd Wechsung, Prorektor für Mathematik, Naturwissenschaft und Technik der FSU Jena (1990–1993), Gespräch am 14. Oktober 2016 Prof. Dr. Dr. h. c. Herbert Witte, Prorektor für Forschung der FSU Jena (2004–2011), Gespräch am 14. Oktober 2016 Susanne Zemene, Mitarbeiterin in der Geschäftsstelle des Verbundes Norddeutscher Universitäten, Stabsstelle Evaluation des Präsidenten der Universität Hamburg (2000–2006), Gespräch am 22. Mai 2016
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Anhang
Namensregister Aich, Prodosh 67 Albrecht, Ernst 24 Alewell, Karl 116 Anm. 45, 117, 169, 248 Allègre, Claude 272 Badura, Bernhard 47 Barroso, José Manuel 288 Berchem, Theodor 262 Berger, Roland 154 Berlinguer, Luigi 272 Berninger, Matthias 120 Blair, Tony 119 Bulmahn, Edelgard 196, 266–267, 275, 277, 291, 293–294 Butler, Linda 200 Cattell, James McKeen 225 Clark, Burton R. 125, 133, 313 Dahrendorf, Ralf 30 Daxner, Michael 34, 37, 60, 120, 133, 146, 229 Dicke, Klaus 129, 133 Anm. 135, 143, 301, 305 Dülffer, Jost 9 Einhäupl, Karl Max 309 Enderlein, Hinrich 92 Erhardt, Manfred 88, 100–101, 103, 106, 264 Erichsen, Hans-Uwe 120, 122, 238, 261 Espeland, Wandy Nelson 244 Fischer-Lichte, Erika 21 Flink, Tim 211 Franke, Werner 53 Freimuth, Axel 129, 258, 278, 305, 309 Frühwald, Wolfgang 85 Anm. 39, 216 Anm. 261 Gaehtgens, Peter 137, 140–142, 269, 304 Garfield, Eugene 166–167 Gerlach, Johann W. 101–102 Geißler, Clemens 32 Genscher, Hans-Dieter 111–112 Gibbons, Michael 297 Glotz, Peter 92, 119 Grotemeyer, Karl Peter 20, 24, 26, 33, 42–43, 47, 49–50, 53, 56, 60, 63, 75, 78, 90, 225, 249 Grubitzsch, Siegfried 129, 138 Anm. 168, 305 Gutmann, Gernot 158 Anm. 284 Hanau, Peter 37–38, 54 Hartmann, Michael 309 Haupt, Reinhard 135 Anm. 145 Hayek, Friedrich August von 113 Heckelmann, Dieter 33, 62, 81, 98, 106 Heckhausen, Heinz 169 Anm. 21
Herrmann, Wolfgang A. 131–133, 135, 140, 154, 237 Anm. 77, 239, 243 Anm. 111, 331 Herzog, Roman 154 Hippler, Horst 323 Hölkeskamp, Karl-Joachim 9 Huber, Bernd 7 Huber, Max G. 267 Hughes, Raymond M. 225 Humboldt, Wilhelm von 113 Hüttl, Reinhard 292 Ipsen, Knut 96 Jantsch, Erich 297 Anm. 37 Jessen, Ralph 9 Kern, Horst-Franz 216 Ketterle, Wolfgang 295 Kielmansegg, Peter Graf 113, 116, 226 Kinkel, Klaus 261, 264, 266, 270 Kleiner, Matthias 210, 320, 323 Kotler, Philip 247 Krücken, Georg 11, 15 Lämmert, Eberhard 61, 63 Landfried, Klaus 148, 152, 196, 228 Lange, Stefan 210 Lenzen, Dieter 130, 144, 150, 152, 257, 331 Levy, Sidney J. 247 Limoges, Camille 297 Lobkowicz, Nikolaus 116 Lochte, Karin 216 Anm. 261 Machnik, Georg 242 Maier-Leibnitz, Heinz 111 Markl, Hubert 112 Matthes, Joachim 74–75 Matz, Ulrich 130 Anm. 113, 178, 189–190 Meier, Frank 11 Meincke, Jens Peter 148–149, 190–191 Meitinger, Otto 56, 135 Meyer, Hans Joachim 83, 119 Anm. 58 Minssen, Heiner 187 Mittelstraß, Jürgen 100, 216, 297 Mohn, Reinhard 121–122 Müller-Böling, Detlev 122, 152, 237, 251 Anm. 162 Münch, Richard 12, 309 Narin, Francis 167 Neuweiler, Gert 276 Nixon, Richard 166 Nowotny, Helga 297
Namensregister
Oppermann, Thomas 126 Ortleb, Rainer 168 Pischetsrieder, Bernd 154 Price, Derek J. de Solla 166 Riedmüller, Barbara 98 Rosenbusch, Christoph 211 Rüttgers, Jürgen 261, 264, 266, 270, 272 Sauder, Michael 244 Schelsky, Helmut 24 Schiene, Christof 217 Schimank, Uwe 217 Schipanski, Dagmar 276 Schmidt, Reinhart226 Schmutzer, Ernst 89 Schneidewind, Uwe 135 Anm. 145, 144, 147, 151, 268 Anm. 42, 307 Schröder, Gerhard 119, 290 Schwartzmann, Simon 297 Schwier, Hans 28 Scott, Peter 297 Siebenhaar, Klaus 250 Simmel, Georg 13–15 Simon, Dagmar 211 Simon, Dieter 91, 118–119 Smith, Adam 113 Spiegel-Rösing, Ina 226 Stange, Eva-Maria 301, 306 Anm. 106
Stoiber, Edmund 318 Szöllösi-Janze, Margit 9 Taubert, Niels 207 Thatcher, Margaret 167, 175 Torka, Marc 74 Triebel, Hans 86 Trow, Martin 297 Turner, George 116 Ullmann, Hans-Peter 9 Väth, Werner 107 Verheyen, Nina 9 Vogel, Bernhard 95 Waßer, Fabian 8, 10 Watrin, Christian 113 Weber, Luc 295 Weingart, Peter 207, 235 Weizsäcker, Richard von 94 Werron, Tobias 15, 215, 269 Wiedemann, Herbert 112 Anm. 7 Wild, Wolfgang 35, 116, 159, 299 Wilkesmann, Uwe 187 Wilms, Dorothee 112–114 Winnacker, Ernst-Ludwig 216 Anm. 261, 292, 295, 317, 319–320 Wriggers, Peter 202 Zehetmair, Hans 126 Zilleßen, Horst 7, 34, 37, 49
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Anne Freese
Gewalt – Deutung – Selbstoptimierung Eine Geschichte der posttraumatischen Belastungsstörung seit dem Vietnam-Syndrom WIssenschAftskulturen | reIhe II: WIssensforschung – BAnd 1 2018. 420 Seiten 978-3-515-12073-9 geBunden 978-3-515-12075-3 e-Book
Das Trauma ist eines der wichtigsten, wenn nicht sogar das zentrale hermeneutische Konzept, mittels dessen in Nordamerika und Westeuropa das Verhältnis zwischen Gewalterfahrungen, ihrer Verarbeitung in der Psyche und ihren psychischen und somatischen Folgeerscheinungen gedacht wird. Anne Freese untersucht den Wandel des psychischen Traumakonzeptes seit den 1960er Jahren von einer nebensächlichen zu einer gewichtigen Existenz im Spannungsfeld von Wissen, Praxen und Subjekten. Sie fragt, wie die Diagnose der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem amerikanischen in den deutschen Fachdiskurs übersetzt und hierzulande zu einer „wissenschaftlichen Tatsache“ (Ludwik Fleck) wurde, die schlussendlich in ein neues, interdisziplinäres Forschungsfeld mündete. Welche spezifischen Identifikationsweisen legte der
psychotraumatologische Fachdiskurs den Betroffenen nahe und wie gingen diese mit dem Traumawissen um? Inwieweit lässt sich die posttraumatische Belastungsstörung auch als Gesellschaftsdiagnose des beginnenden 21. Jahrhunderts verstehen? Mit den Antworten auf diese Fragen liefert Freese zugleich einen medizin-, wissens- und kulturhistorischen Beitrag zur unmittelbaren Zeitgeschichte. Aus dem InhAlt Einleitung | 1958–1977: Inkubationszeit. Historische Traumasemantik | 1974–1998: Diagnosefindung. Das Trauma sehen lernen | 1995–2015: Therapeutisierung. Das Trauma fühlen lernen | 2000–2015: Stabilisierung. Das Trauma flexibel halten | Retrospektive. Opfer, Gewalt und Geschichte im Traumadiskurs | Schluss. Das Trauma als Gesellschaftsdiagnose
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Roman Göbel / Gerhard Müller / Claudia Taszus (Hg.)
Familienkorrespondenz August 1854 bis März 1857 ernst haeckel: ausgewählte briefwechsel - band 2 2019. LVI, 686 Seiten mit 12 s/w-Abbildungen sowie 40 Farbabbildungen auf 29 Tafeln 978-3-515-11655-8 gebunden 978-3-515-11657-2 e-book
Der Jenaer Zoologe Ernst Haeckel zählt zu den bedeutendsten, aber auch umstrittensten Naturwissenschaftlern des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Als begeisterter Anhänger Darwins arbeitete er an der Weiterführung und Popularisierung der Evolutionstheorie und wurde damit zu einer Symbolfigur in den Weltanschauungskämpfen der Zeit. Der zweite Band der auf insgesamt 25 Bände angelegten historisch-kritischen Ausgabe dokumentiert mit der Familienkorrespondenz aus dem Zeitraum von August 1854 bis März 1857 die zweite Hälfte der Studienzeit Haeckels bis zu seiner Promotion in Berlin sowie die ersten größeren Reisen nach Helgoland (1854), in die Alpen (1855) und nach Nizza (1856). Während dieser Zeit wurde aus dem ungeliebten Studium der Medizin unter dem Einfluss von Johannes Müller, Albert von Kölliker und Rudolf Virchow ein mit größter Hingabe verfolgter Weg zur wissenschaftlichen Erkenntnis des organischen Lebens. Auf
Helgoland entschied er sich endgültig für die Zoologie als Profession. Seine im Anschluss an die Würzburger Assistenzzeit bei Virchow ausgearbeitete Dissertation widmete er, angeregt von Kölliker, der mikroskopischen Anatomie. die ausgabe Die historisch-kritische Ausgabe „Ernst Haeckel: Ausgewählte Briefwechsel“ (in 25 Bänden) wird im Auftrag der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Thomas Bach. die herausgeber Roman Göbel (Studium der Wissenschaftsgeschichte und Philosophie), Gerhard Müller (Studium der Geschichte und Germanistik) und Claudia Taszus (Studium der Germanistik und Anglistik) sind seit 2013 wissenschaftliche Mitarbeiter im Akademienprojekt „Ernst Haeckel (1834-1919): Briefedition“.
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Norbert Kuhn / Eberhard Schweda
Die Geschichte des Fachs Chemie an der EberhardKarls-Universität Tübingen ContubernIum – bAnd 87 2018. 242 Seiten mit 54 s/w-Fotos und 8 s/w-Abbildungen 978-3-515-12049-4 gebunden 978-3-515-12053-1 e-book
Die Geschichte des Fachs Chemie an der Universität Tübingen, zuletzt vor mehr als einhundert Jahren von Lothar Meyer beschrieben, beginnt mit der Einrichtung eines Lehrstuhls für Botanik und Chemie im Jahre 1749, der mit Johann Georg Gmelin besetzt wurde. Auf ihn folgten in den anschließenden rund 250 Jahren mehr als 160 Hochschullehrer, die das Ansehen des Fachs und der Hochschule nachhaltig geprägt haben. Norbert Kuhn und Eberhard Schweda zeichnen in diesem Band die Entwicklung von den Anfängen bis ins 21. Jahrhundert nach – einschließlich einer umfassenden Schilderung der zu Forschung und Lehre bereitgestellten Laboratorien. Zusammen mit Aufstellungen der Hochschullehrer und ihrer Tätigkeit in Forschung und Lehre, aber auch in der Akademischen Selbstverwaltung, entsteht so ein vollständiges Bild der Fachgeschichte. Im Anhang ergänzt ein kurzer Überblick zur
Chemiegeschichte den breiteren historischen Kontext. Mit dieser Darstellung der Geschichte eines großen naturwissenschaftlichen Faches an einer Traditionsuniversität leisten die Autoren einen Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte, der in seinem repräsentativen Charakter weit über die Universität Tübingen hinausreicht. Aus dem InhAlt Einleitung | Die Geschichte des Fachs Chemie an der Universität Tübingen im Überblick | Gebäude der Chemischen Laboratorien und Institute | Tübinger Hochschullehrer des Fachs Chemie | Mitwirkung der Hochschullehrer des Fachs Chemie an der akademischen Selbstverwaltung | Anhänge: Universitäten in Deutschland, Geschichte der Chemie, Entwicklung der Ämter- und Besoldungsstruktur an der Universität Tübingen
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Mit der Exzellenzinitiative richtete die deutsche Wissenschaftspolitik das Hochschulsystem neu aus. Das Ziel: international konkurrenzfähige Spitzenuniversitäten durch einen verschärften Wettbewerb. So einschneidend diese Zäsur auch war, hat das Exzellenzprogramm doch eine längere Vorgeschichte. Denn bereits seit dem Abbruch des Hochschulausbaus in den 1970er Jahren entwickelten sich – teils politisch forciert, teils infolge schwindender finanzieller Spielräume des Staates – neue Formen des Wettbewerbs zwischen Universitäten um Geld, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende und Prestige, die zunehmend internationale Dimensionen gewannen. Alexander Mayer untersucht die Entstehung interuniversitärer Konkurrenzverhältnisse seit den frühen 1980er Jahren anhand von sechs Fallbeispielen: der FU Berlin, der Universität Bielefeld, der TU München, der FSU Jena, der Universität zu Köln und der Carl von Ossietzy Universität Oldenburg. Auf dieser Grundlage kann Mayer die Folgen des Wettbewerbs zeigen – sowohl für die Machtverhältnisse an den Universitäten als auch für Forschung und Lehre.
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ISBN 978-3-515-12337-2