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German Pages 272 Year 1994
ANNE EHRHARDT
Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe
Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Hans Joachim Hirsch, Günter Kohlmann Michael Walter, Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln
Band 13
Unternehmensdelinquenz und Unternehmensstrafe Sanktionen gegen juristische Personen nach deutschem und US-amerikanischem Recht
Von Anne Ehrhardt
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ehrhardt, Anne: Untemehmensdelinquenz und Untemehmensstrafe : Sanktionen gegen juristische Personen nach deutschem und US-amerikanischem Recht / von Anne Ehrhardt. - Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Kölner kriminal wissenschaftliche Schriften; Bd. 13) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-07928-0 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1994 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-07928-0
Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Abhandlung hat der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln im Sommersemester 1993 als Dissertation vorgelegen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr.Dr.h.c.mult. Hans Joachim Hirsch, der meine Arbeit betreut und ganz wesentlich gefördert hat. Wertvolle Anregungen habe ich daneben von Herrn Professor Dr. Thomas Weigend, Köln, sowie Frau Dr. Barbara Huber, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg i. Br., erhalten. Auch ihnen gilt mein Dank. Sehr dankbar bin ich ferner der Studienstiftung des Deutschen Volkes, die mein Promotionsvorhaben durch Gewährung eines Stipendiums in überaus großzügiger Weise unterstützt hat. Der Gesellschaft für Rechtsvergleichung schließlich danke ich sehr für die Übernahme der Druckkosten. Köln, im Dezember 1993
Anne Ehrhardt
Inhalt 1. Kapitel
Einführung
23
A. Problemstellung.....................................
23
B. Zur historischen Entwicklung kriminalstrafrechtlicher Sanktionen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . .
26
C. Möglichkeiten der Sanktionierung juristischer Personen und Personenvereinigungen de lege lata . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . .
31
1. Die Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) . . . . • . . • . . • • . . . • . . • . . . .
31
1. Die Entwicklung der Bußgeldvorschriften gegen Verbände . . . . . . . •
a)
31
Rechtslage bis 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
b) Rechtslage nach 1968 • . . . . . . . • . . . • . . . . . . • • . • • • .
32
aa)
Die Verbandsgeldbuße in der bis 1986 geltenden Gesetzesfassung . . . . . . • . • . . . • . • . . • . . . . . . • • • • • • • .
32
bb)
Die Änderungen aufgrund des 2. WiKG . . . • • • . . . . . . .
33
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen im einzelnen . . . . . • • . • • . . . . .
34
a)
Der Adressatenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . •
34
b) Der Täterkreis . . . . . . . • • • . . . . . . . . . . • • • . . . . . . •
34
c)
35
Die Anknüpfungstat . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
d) Bemessung der Verbandsgeldbuße . . . • . . • • . . . . . . • . . . .
37
11. Weitere strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände . . . . • • • . • • . . . .
37
1. Mehrerlösabschöpfung, §§ 8, 10 Abs. 2 WiStG 1954 . . . • . . • . . • .
37
2. V e r f a l l . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
§ 73 Abs.3 StGB . . . • • • • . . • • . • • . . . . . . • • • • • . • . .
37
b) § 29a OWiG . . . . . . . • • . . . . . . . . . . . • • • . • • . . . . •
a)
38
3. Einziehung, §§ 75 StGB, 29 OWiG • . . . . . . . . . • . . . . . . . . . •
39
4. Auflösung von Verbänden • • • . . . • . • • • . • • . . . • • • • • . . • .
39
5. Zur Unternehmensgeldbuße nach EG-Recht. • • • . • . . . . . . . • • • .
40
2. Kapitel
Der Meinungsstand zur Kriminalstrafbarkeit juristischer Personen
42
A. Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . • • • . . . • . • . . . . . . . . • • • • . . . . .
42
I. "Eigene" Handlungen der juristischen Person? • . . • • • . . . . . . . • • . .
42
11. Zurechnung der Handlungen von Verbandsorganen? • • . . . . • • • • • • . .
44
B. Schuldfähigkeit • . . • . . . . • • • . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . .
45
10
IIlhalt
I. Unanwendbarkeit des krirninalstrafrechtlichen Schuldbegriffs auf Verbände?
45
11. Ansätze zur Begründung einer Schuldfähigkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen • . . • • . . . • • . • • . . • . • • . . • • . • . . . . •
47
C. Straffähigkeit • . . • . . • . . . • . . . • . . . . . . • . . • . • . . . • . . . . . I. Strafunempfanglichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen? 11. Unvereinbarkeit einer Verbandsbestrafung mit dem Wesen der Kriminalstrafe? D. Gerechtigkeit der Bestrafung juristischer Personen • . . .
50 50 51 52
I. "Mitbestrafung " unschuldiger Verbandsmitglieder • .
53
11. Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung? ..
55
E. Zusammenfassung • . . . . • . • . . . • . . • . . .
57
3. Kapitel Die Festsetzung von Geldbußen gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen
58
A. Entwicklung und "Wesen" des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . .
59
I. Zur Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . • • . . .
59
11. Der Meinungsstand zur Rechtsnatur von Ordnungswidrigkeit und Geldbuße .
60
1. Das "Wesen" der Ordnungswidrigkeit ••••
60
a)
aliud-Theorie . . • . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
60
b)
Abgrenzung nach quantitativen Gesichtspunkten ••.•••
61
c)
Gemischt qualitativ-quantitative Betrachtungsweise ••••.
62 62
2. Die Rechtsnatur der Geldbuße . . . . . • • • • . . . . . . . . . . • • . . B. Der Meinungsstand zur Festsetzung von Geldbußen gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen • • • • • • • • • . . . • • • • •
64
Stellungnahme......................................
65
I. Zum Wesen von Ordnungsrecht und Geldbuße • • . . . • . . . . . . • • • • •
65
1. "Sozialethische Wertneutralität" des Ordnungsunrechts? • . • • • . . . . .
65
2. Sondematur der Ordnungswidrigkeit aufgrund der Eigenart der angedrohten Rechtsfolge? • • • • . • • • . . • . • • • • • . . . . . . . . . . • • . . .
69
3. Zur Rechtsnatur der Geldbuße im Vergleich zur Strafe ••.•••.
71
c.
4. Zusammenfassung . . • . . . . . . . . . . . • . . . • . • . . • • . .
73
11. Zur Bußgeldhaftung juristischer Personen und Personenvereinigungen .
74
1. Das dogmatische Konzept der Verbandsgeldbuße . . . . . . • . . •
75
a)
Die Gesetzeslage bis 1986 . . . . • . . . . . • • • • • • . . . .
75
b)
Die Änderungen durch das 2. WiKG • • . . . . . . . . . . . • • • • •
79
aa)
Die Beurteilung der Änderungen in der Literatur . . . • • • . •
80
bb)
Stellungnahme: Das dogmatische Konzept der neugefaßten Verbandsgeldbuße . . • . . . . . . . • • . • • . • • . • • . . . • . •
81
2. Folgerungen im Hinblick auf die Diskussion um die Verbandsstrafe •..•
83
a)
Die (angebliche) Handlungsunfähigkeit juristischer Personen . . . . .
83
b)
Die (angebliche) Schuldunfähigkeit juristischer Personen • • . . . . .
84
Inhalt
11
aa)
Die Notstandskonzeption Schünemanns . • • • • • • • • . . . •
84
bb)
Krirninalstrafrechtliche Schuldunfähigkeit versus ordnungswidrigkeitenrechtliche Schuldfähigkeit . . . . . • • • • • . . . . . • •
85
Die (angebliche) Ungerechtigkeit einer Verbandsstrafe • . . . . . . •
87
d) Weitere Bedenken gegen die Verbandsgeldbuße in ihrer derzeitigen Gesetzesfassung . . • . . . . • • . • . . . . . . . . . • • • . . • . . . . •
88
3. Zusammenfassung • • • . • . . • . • . . • . . . . . • • • . • . . . • . . •
89
c)
4. Kapitel
Die Rechtslage in den VereiDigten Staaten von Amerika
90
A. Allgemeines zum US-amerikanischen (Straf-)Recht . . . . . . . • • . . . . . . • . •
90
I. Besonderheiten des Common Law . . • • . . . . . . . . . • • • . . . . . . . •
90
11. Grundlagen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit . . . • • • • . . . . . . . .
91
1. Actus Reus - Mens Rea. • . . . . . . • • • . . • • • • . . . . . . . • • . .
91
2. Ausnahmen vom mens rea-Prinzip • • • • . • • • • • • . . . • . • . • • . . a)
Strict liability . . . . . • • • • • • • . • • • • • • . . • • • • • • . • . •
92 92
b) Vicarious liability •••••••.•••.••••••••.•••••..
94
B. Corporate Criminal Liability im US-amerikanischen Strafrecht • . . . . . . . • . .
95
I. Einführung . • . . • • . . . . . . • • . • • . . . . . . • • • • • • • . . . . . . •
95
11. Grundzüge der Entwicklung einer Corporate Criminal Liability . . . . . • . .
96
III. EinzelheitenzurCorporate Crimina1 Liability nach der US-amerikanischen Rechtsprechung • • . • • . • . . . . • • • . • . • . . . . . • • . • • • • • • • • • . .
100
1. Der dogmatische Hintergrund • • • . • • • • • • • . • • . • • • • • . • . •
100
2. Die Voraussetzungen einer Bestrafung der Körperschaft im einzelnen .•
102
a)
Begehung einer Straftat durch einen "corporate agent" •••....•
102
b) Begehung "within the scope of employment". • • • • • • • • • . • . •
104
c) Begehung "with the intent to benefit the corporation " • . . . . . . . .
105
3. Mögliche Anknüpfungstaten • • . . . • • • • • • • • • . . • • • • • • • . .
106
4. Bestrafung von "partnerships" und sonstigen nicht rechtsfähigen Personenzusammenschlüssen • . . . . • • • • • • . . . • • • . • • • • • • . • . . . •
108
5. Der Einfluß von Auflösung, Fusion oder Übernahme auf die Strafverfolgung einer juristischen Person • . . . • • • . • • • • • . . • • • • • . • . .
109
6. Die juristische Person im Prozeß. • • • • • • • • • • • . . . . . • • . • . .
110
IV. Corporate Criminal Liability nach dem Model Penal Code • • • • . . . • • • •
111
V. Zum Meinungsstar.d im Schrifttum. • . . • • • • • • • • • • • . • • • . • • . .
113
1. Kriminalpolitische Aspekte . . . • • . • • . . . . • • • • • • • . . . . • • •
113
2. Zur Dogmatik einer Corporate Crimina1 Liability. • • • . . • • . • • • . . a)
"Superior Agent" versus "Respondeat Superior" • . • • • • . . • • • .
115 116
b) Neuere Begriindungsansätze. • . • • • • • • • • • . • • • • • • • • • •
120
VI. Die Strafe und ihre Bemessung. • • . . . • • • • • • • • • . • . . • • • • • . .
122
1. Zur Strafpraxis ••• . . . . • • • • . • . . • • • • . • • • • • . • • • • • •
122
12
Inhalt a)
Cash fmes. . . . . . . . . . . . . . . . . . • • . • • • • • • . . . . . .
122
aa)
Allgemeines zur Verhängung von Unternehmensgeldstrafen • •
122
bb)
Zumessung der Geldstrafe unter Zugrundelegung der "Sentencing Guidelines for Organizational Offenders" . • • . . . . . . .
123
b) Corporate Probation . . . . . . . . . . . . • • • • • • • • • . . . . . .
126
aa)
Allgemeines............................
126
bb)
Coporate Probation aufgrund des "Sentencing Reform Act" und der "Sentencing Guidelines for Organizational Offenders" •••
127
"Imprisonment"..............................
131
c)
2. Die "optimale Unternehmenssanktion" im Schrifttum. • . • • • . . . . . . a)
132
Corporate Punishment nach dem sog. "Economic Model" . . . . . . •
132
b) Corporate Punishment nach dem sog. "Structural Reform Model" •.
133
aa)
Beurteilung des Instituts der Corporate Probation in der Literatur
133
bb)
Equity Fine. • . . . . . . . . . . • . . • . . • . . • • . . . . . •
135
cc)
Publicity Sanctions. • . . . . . . . . . . . . • . • . . . . . . . .
137
dd)
Weitere Vorschläge • . • . . . . . . . • • • • • • • • • . . . . .
138
VII. Zur praktischen Bedeutung der Corporate Criminal Liability im US-amerikanischen Rechtsleben . . • • . . . • • . . • • . . • . • . . . . . . . . . • . • . • •
138
5. Kapitel
Untemehmensdelinquenz und Kriminalpolitik A. Umfang und Wirkungen der Kriminalität aus dem Umfeld juristischer Personen
142 142
B. Zum Wesen einer spezifischen "Unternehmensdelinquenz" • • • • • • • . . . . . . .
143
I. Das Unternehmen als soziale Gemeinschaft und Organisation ••••.....
144
11. Die kriminogene Wirkung der Verbandszugehörigkeit . . . . . . . . • • . . •
146
1. Institutionelle Vorgaben. • • . • . . . . . . . . . • • • • • • • • . . . . . .
147
2. Der Einfluß der "corporate culture" • • • • • . . . . . . . . . . . • • • • • a)
150
Überbewertung der Verbandsinteressen . . . . • • • • • • . . . . • . .
150
b) Möglichkeiten der Rechtfertigung illegalen Handeins für den einzelnen
154
3. Zwischenergebnis...............................
155
III. Möglichkeiten der Gegensteuerung durch das Unternehmen. • . • . • . • . . •
156
1. Strukturelle Reformen. . • • . . • • • . . . . . . . . . . . . . . . . • • . .
156
2. Pflege einer "Unternehmensethik" • • . . • • . . . . . . . . . . • • . • • •
157
C. Das kriminalpolitische Bedürfnis nach einer Unternehmensstrafe . . • . . . . . . .
159
I. Die unzureichende PräventionseffIZienz der Individualsanktion . . • • • • . • •
159
1. Aufklärungs- und Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . • • . . •
159
2. Unzureichende Motivationskraft der Individualstrafandrohung • • . • . • •
161
3. Erhöhung der PräventionseffIZienz der Individualsanktion? ...•••.•
162
11. Die Vorteile einer gegen die juristische Person selbst gerichteten Sanktion ..
164
III. Strafrechtliche Maßnahmen als Alternative zu Verbandsgeldbuße und -strafe?
166
Inhalt
13
1. Lücken des bestehenden Katalogs strafrechtlicher Maßnahmen gegenüber Verbänden. . . . . . . . .•......
166
a)
Verfall . . . . . . . . • • . . . . • . • • • • • . . . . . . . • . • • . .
167
b) Einziehung von Verbandseigentum ••
168
c)
168
Auflösung von Verbänden . . . . . . .
2. Verbandsmaßregeln der Sicherung und Besserung als Ersatz für repressive Sanktionen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
168
IV. Das kriminalpolitische Bedürfnis nach einer über § 30 OWiG hinausgehenden, kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen. . . . . . . .
171
D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . • . . . • .
174
6. Kapitel
Unternebmensstrafe und Strafrechtsdogmatik Eigener Lösungsansatz zur Frage einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen A. Handlungsfähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . I. Zum Erfordernis strafrechtlicher Handlungsfähigkeit
11. Strafrechtliches Verhalten = einzelmenschliches Verhalten?
175 175 175 176
1. "Natürliche" Handlungsunfähigkeitjuristischer Personen . . . . . . . . .
176
2. Handlungsfähigkeit juristischer Personen kraft Zurechnung individueller Verhaltensweisen . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
177
Handlungszurechnung im Zivilrecht
178
b) Handlungszurechnung im Strafrecht
179
a)
111. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
B. Schuldfähigkeit juristischer Personen . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
185
I. Zum strafrechtlichen Schuldbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . .
185
11. "Natürliche" Schuldunfähigkeitjuristischer Personen . . . . . . . . . . . . . .
186
111. Zurechnung des Verschuldens der für die juristische Person handelnden Individuen . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • .
186
1. Juristische Personen als Adressaten strafrechtlicher Normen ..
187
2. Juristische Personen als Adressaten eines Vorwurfs . . . . • .
188
3. Juristische Personen als Adressaten des Vorwurfs eines sozialethischen Versagens • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . .
189
4. Die Legitimation der Schuldzurechnung: Die Verbandsstraftat als Produkt innerverbandlicher Versäumnisse und Fehlleistungen . . . . . .
192
5. Denkbare Einwände gegen das vorgestellte Modell . . . . • . . . . . . . .
196
IV. Zwischenergebnis . . • . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
198
C. Straffähigkeit juristischer Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
199
I. Zur Anwendbarkeit des bestehenden Strafensystems auf juristische Personen .
199
11. Unternehmensbestrafung und das "Wesen" der Strafe . . . . . . . . . . . . . .
200
1. Zum "Wesen" der Kriminalstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
200
2. Unvereinbarkeit der Unternehmensstrafe mit dem "Wesen" dieser Sanktion?
200
14
Inhalt III. Unternehmensstrafe und Strafzwecke • • . . • . . . • . . . . . . . . . • . • • •
203
1. Generalprävention . . . • . . . • • • . . • . . . • • . • • • • • • . . . • • .
203
2. Spezialprävention . . • • • . . . . . . . . . . . • • • • • • • . • . . . • . .
204
3. Vergeltung • . • . . . . • • . . • • • • • . • . . • • . . • . . • • . • . . • .
205
4. Sühne •••.•.•..•••.•••••••.••.••.•....•••••
207
IV. Zwischenergebnis • . . . . • • . . . . • • . . • . • . . . . . . . . • . • • • • .
208
D. Die Gerechtigkeit einer Unternehmensstrafe • • • • • . • . . . . . . . . . . • • . • .
208
I. Die Auswirkungen der Verbandsbestrafung auf Tatunbeteiligte •••...••.
208
1. Keine (Mit-)Bestrafung von Tatunbeteiligten • . . . . . . . . . . . • • • •
208
2. Faktische Wirkungen auf "Unbeteiligte" . . . . • • • . • • • • • . . . . . . a)
209
Wirkungen auf Gesellschafter • • • • • . • . . . . . . . . . . . . • • •
209
b) Wirkungen auf Mitangestellte . . . . . . . . . . • • . • • . . . . . . .
212
11. Kein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung • • • • • . • . . . . . .
214
E. Ergebnis.
215 7. Kapitel
Einzelfragen einer strafrechtlichen Untemehmensverantwort1ichkeit de lege ferenda
217
A. Der Kreis der für eine Bestrafung in Frage kommenden Verbände. . • • . • • • • •
217
I. Juristische Personen, Personenhandelsgesellschaften und nicht rechtsfähiger Verein . . • . . . . . • . . • • • . • • • • • • • • • . . . . . . . . . . • • • • .
217
11. Gesellschaft bürgerlichen Rechts und einzelkaufmännisches Unternehmen. • •
218
III. Fehlerhafte Gesellschaften. • • . . • . . • • • . . • • • . . . . . • • . • . • • .
219
IV. "Freiwillig" liquidierte, "umgegründete", verschmolzene oder übernommene Unternehmen ••.••.•••••.•••••••..••. , • • • • • . • • • • •
220
B. Die Anknüpfungstat . . . . • • . . . • • . . • • . • • • • . . . . . . . . . . . . . . .
221
I. Die handelnden Individuen • . . . . . . • . . . • . . . • • • . • • • . . . . . •
221
11. Zurechnungskriterien • • . • • • . • • • • • • • • • • • • • • • • • • . • • • • .
231
1. Nutznießerschaft des Unternehmens. • • . • • • • . . . . • . . . • . . • .
231
2. Verletzung einer verbandsbezogenen Pflicht • • . . . . . . • • . . • • • .
235
3. Weitere (abzulehnende) Eingrenzungskriterien . . . . . . . . . . • • • • . a)
238
Bereicherung der juristischen Person • . • . . . . . . . . . . . . • • •
238
b) Begehung der Tat im Rahmen des dem Täter zugewiesenen Aufgabenbereiches . . • • • . . . . . . . . . . . . • . . . . . • • . . . . . . • .
238
III. Formulierungsvorschlag . • • • . . • . • . . . . . • • • • • . . • • • . . . . . .
239
C. Bestrafung des Individualtäters als Voraussetzung der Bestrafung des Unternehmens?
240
I. Zugunsten des Täters eingreifende Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe. • . . • • • . . . . • . . . . . . . . . . . . . . • • • . • • . . . . . . .
240
11. Zugunsten des Täters eingreifende persönliche Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe • • • • . . • • . . • • • . • . . • . • • . . • . . • . • • • • .
241
III. Sonstige Gründe einer Nichtbestrafung des Individualtäters . . • • . . • . • • .
242
15
Inhalt
1. Unbekannte Identität des Delinquenten
243
2. VerfahrensrechtIiche Gründe einer Nichtverfolgung des Individualtäters . IV. Ergebnis. . • . . • . . . • . . . • • . • • .
. . ••. .
244 245
D. Vertretung des Unternehmens im Prozeß
246
E. Die Strafe und ihre Bemessung. . . . . .
247
I. Unternehmensgeldstrafe . • . . . . . . • • . . . . . . . . . . • • . . . . . . . .
247
11. Andeutende Bemerkungen zu möglichen weiteren unternehmensspezifischen Sanktionen . • . • • • • . • •. .•••...•••. . ••••. .
249
1. "Equity fme" •.....••••.•..•••••••••....•••••.
249
2. "Bewährungsstrafe" nach dem Vorbild der US-amerikanischen "Corporate Probation" • • • • • . • . • • • • • • • . . ••••••••. .
250
3. Unternehmens-"Freiheitsstrafe" . . . . . • •
252
Ergebnis
254
Literatur
257
Abkürzungen A.
Atlantic Reporter
a.A.
andere Ansicht
Abs.
Absatz
A.C.
Appeal Cases (House of Lords, The Law Reports)
a.F.
alte Fassung
AG
Aktiengesellschaft, Amtsgericht
AktG
Aktiengesetz
Ala.App.
Alabama Appelate Court
Alaska
Alaska Reports, Alaska Reporter
Alb.L.R.
Albany Law Review
Am.Cr.L.R.
American Criminal Law Review
Am.J.Cr.L.
American Journal of Criminal Law
Anm.
Anmerkung
AO
Abgabenordnung
Art.
Artikel
AT
Allgemeiner Teil
Aufl.
Auflage
AWG
Außenwirtschaftsgesetz
BayObLG
Bayerisches Oberstes Landesgericht
BB
Der Betriebsberater
Bearb.l bearb.
Bearbeiter! bearbeitet
Bd.
Band
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGB!.
Bundesgesetzblatt
BGH
Bundesgerichtshof
BGHSt
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen
BGHZ
Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen
BT-Drucks.
Bundestags-Drucksachen
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
bzw.
beziehungsweise
Ca!.App.
California Appellate Reports
Ca!.App.3d
Califomia Appellate Reports, Third Series
Abkürzungen Ca!.L.R.
California Law Review
Cal.Rptr
California Reporter
C.C.
Circuit Court
cert.den.
certiorari denied (Revisionsantrag vom Supreme Coun abgelehnt)
Cir.
Circuit
Co.
Company
Co!. L. R.
Columbia Law Review
Corp.
Corporation
Crim.L.Bull.
Criminal Law Bulletin
DB
Der Betrieb
D.C.
District of Columbia, District Court
DDevR
Deutsche Devisen-Rundschau
ders.
derselbe
d.h.
das heißt
dies.
dieselbe(n)
Diss.
Dissertation
DÖV
Die öffentliche Verwaltung
DRiZ
Deutsche Richterzeitung
EG
Europäische Gemeinschaften
Ein!.
Einleitung
Eng.Rep.
English Reports
EOWiG
Entwurf eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten
etc.
et cetera
e.V.
eingetragener Verein
EWG
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft
F.
Federal Reporter
f./ff.
folgend! folgende
F.2d
Federal Reporter, Second Series
F.Supp.
Federal Supplement
FN
Fußnote
GA
Goltdammer' s Archiv
GenG
Genossenschaftsgesetz
Geo.L.J.
The Georgetown Law Journal
GewArch
Gewerbearchiv
GewStG
Gewerbesteuergesetz
GG
Grundgesetz
2 Ehrhardt
17
18
Abkürzungen
GmbH
Gesellschaft mit beschränkter Haftung
GmbHG
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung
GmbHR
GmbH-Rundschau
GWB
Gesetz gegen Wenbewerbsbeschränkungen
H.L.R.
Harvard Law Review
h.M.
herrschende Meinung
HGB
Handelsgesetzbuch
Hrsg.l hrsg.
Herausgeber/ herausgegeben
i.d.F.
in der Fassung
Ill.
Illinois, Illinois Reports
Inc.
Incorporated
Ind.
Indiana, Indiana Reports
Iowa
Iowa Reports
i.S.v.
im Sinne von
i.V.m.
in Verbindung mit
J.Crim.L. & C.
The Journal of Criminal Law & Criminology
J.Crim.L.C. & P.S.
The Journal of Criminal Law, Criminology & Police Science
LPol.Econ.
Journal of Political Economy
Jr.
Junior
JR
Juristische Rundschau
JuS
Juristische Schulung
JZ
Juristenzeitung
Kap.
Kapitel
KG
Kommanditgesellschaft, Kammergericht
KGaA
Kommanditgesellschaft auf Aktien
KWG
Kreditwesengesetz
Ky.
Kentucky, Kentucky Reports
Ky.App.
Kentucky Appellate Reports
L.Ed.
Lawyers' s Edition Supreme Court Reports
L.Ed.2d
Lawyers' s Edition Supreme Court Reports, Second Series
LG
Landgericht
LK
Leipziger Kommentar
Ltd.
Limited
m.a.W.
mit anderen Worten
Abkürrungen MDR
Monatsschrift für Deutsches Recht
Melb.U.L.R.
Melbourne University Law Review
Mich.
Michigan, Michigan Reports
Mich.L.R.
Michigan Law Review
Mio.
Million(en)
Mo.
Missouri, Missouri Reports
M.P.C.
Model Penal Code
Mrd.
Milliarde(n)
m.w.N.
mit weiteren Nachweisen
N.C.
North Carolina, North Carolina Reports
N.E.
North Eastern Reporter
N.E.2d
North Eastern Reporter, Second Series
n.F.
neue Fassung
N.J.
New Jersey, New Jersey Supreme Court Reports
N.J.L.
New Jersey Law
NJW
Neue Juristische Wochenschrift
N.L.J.
The New Law Journal
N.M.
New Mexico, New Mexico Reports
No.
Number
Nr.! Nm.
Nummer! Nummern
NStZ
Neue Zeitschrift für Strafrecht
N.W.
North Western Reporter
N.W.2d
North Western Reporter, Second Series
N.W.U.L.R.
North Western University Law Review
N.Y.
New York, New York Court of Appeal Reports
N.Y.Cr.
New York Criminal Reports
N.Y.S.
New York Supplement
N.Y.S.2d
New York Supplement, Second Series
N.Y.U.L.R.
New York University Law Review
OHG
Offene Handelsgesellschaft
Ohio App.2d
Ohio Appellate Reports, Second Series
OLG
Oberlandesgericht
o.N.
ohne Namensnennung
OWiG
Gesetz über Ordnungswidrigkeiten
P.
Pacific Reporter
P.2d
Pacific Reporter, Second Series
Pa. Super.
Pennsylvania Superior Court Reports
19
20
Abkürzungen
Pub.L.
Public Law
Q.B.
Queen' s Bench Reports
RAO
Reichsabgabenordnung
Rdn.
Randnummer
resp.
respektive
RG
Reichsgericht
RGBI.
Reichsgesetzblan
RGSt
Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen
RGZ
Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen
Rspr.
Rechtsprechung
S.
Seite, Satz
SchwZStr
Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht
S.Ct.
Supreme Court, Supreme Court Reporter
S.Ct.Rev.
Supreme Court Review
Scts.
Sections
S.E.
South Eastern Reporter
SK
Systematischer Kommentar
So.
Southern Reporter
SO.Cal.L.R.
Southern Califomia Law Review
Stanford L.R
Stanford Law Review
Stat.
Statute, Statutes at Large
StGB
Strafgesetzbuch
StPO
Strafprozeßordnung
st.Rspr.
ständige Rechtsprechung
Supp.
Supplement
S.W.
South Western Reporter
S.W.2d
South Western Reporter, Second Series
SW.L.J.
South Western Law Journal
Tex.Civ.App.
Texas Civil Appeals Reports
Tulane L.R.
Tulane Law Review
u.a.
unter anderem, und andere
u.a.m.
und andere(s) mehr
U.C.L.A.L.R.
University of California Los Angeles Law Review
U.Chi.L.R.
University of Chicago Law Review
2. UKG
2. Gesetz zur Bekämpfung der Umweltkrirninalität
Abkürzungen UmwG
Umwandlungsgesetz
U.Pitt.L.R.
University of Pittsburgh Law Review
U.S.
United States 1 Amtliche Entscheidungssammlung des Supreme Court 0/ the United States
U.S.C.
United States Code
usw.
und so weiter
v.
versus, von
Va.
Virginia, Virginia Reports
Va.L.R.
Virginia Law Review
VDA Strafrechts
Vergleichende Darstellung des Deutschen und Ausländischen
VereinsG
Vereinsgesetz
VersR
Versicherungsrecht
VG
Verwaltungsgericht
vgl.
vergleiche
VO
Verordnung
Vol.
Volume
Vor
Vorbemerkungen
VwGO
Verwaltungsgerichtsordnung
Wash.
Washington, Washington Reports
Wheat.
Wheaton' s United States Supreme Court Reports
Wisc.L.R.
Wisconsin Law Review
WiStG 1949/1954
Wirtschaftsstrafgesetz 1949/1954
wistra
Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht
WM
Wertpapiermitteilungen
WuW
Wirtschaft und Wettbewerb
WuW/E
Wirtschaft und Wettbewerbl Entscheidungssammlung
Y.L.J.
The Yale Law Journal
z.B.
zum Beispiel
ZHR
Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht
zit.
zitiert
ZPO
Zivilprozeßordnung
ZRP
Zeitschrift für Rechtspolitik
ZStW
Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft
21
1. Kapitel
Einführung A. Problemstellung
Kriminalstrafen werden de lege lata nur gegen natürliche Personen verhängt. Auch für Delikte, die im Rahmen und im Interesse eines - in der Rechtsfonn einer juristischen Person oder handelsrechtlichen Personenvereinigung geführten - Unternehmens begangen werden, haben sich dementsprechend lediglich die handelnden Individuen kriminalstrafrechtlich zu verantworten. Häufig kann der Täter in derartigen Fällen allerdings damit rechnen, von seinem Arbeitgeber für eine "im Dienst der Finna" strafweise erlittene Einbuße im Innenverhältnis entschädigt zu werden - eine Praxis, die vom Bundesgerichtshof erst kürzlich de facto legalisiert worden ist 1. Der Angestellte geht bei seiner Tat folglich kein allzu großes Risiko ein. Da sich die Höhe der Strafe nach den Vennögensverhältnissen des Täters und damit der natürlichen Person richtet, schlägt die Freistellung aber auch für das Unternehmen nicht besonders nachteilig zu Buche. Gegen die juristische Person oder Personenvereinigung selbst kann als (repressive) Sanktion lediglich ein Bußgeld festgesetzt werden (§ 30 OWiG). Da dessen Verhängung zumeist im schriftlichen Verfahren erfolgt, entgeht das Unternehmen dabei in der Regel der stigmatisierenden Öffentlichkeitswirkung eines Strafprozesses. Societas delinquere non potest - dieser geradezu axiomatisch verwendete Satz hat die deutsche Strafrechtsdiskussion lange Zeit beherrscht, obwohl seine historische Richtigkeit nicht eindeutig geklärt ist2 • Die Ablehnung einer Kriminalstratbarkeit juristischer Personen wurde und wird vor allem damit begründet, eine Verbandsbestrafung3 sei mit verschiedenen Strafrechtsgrundsätzen, wie sie sich auf Grund einer jetzt gefestigten Tradition in unserem Kulturkreis herausgebildet hätten, nicht zu vereinbaren; insbesondere sei der sozialethisch geprägte Schuldbegriff auf Körperschaften unanwendbar4. EntNach BGH MDR 1991, S. 268 f. unterfällt ein solches Verhalten nicht dem Tatbestand der Strafvereitelung . 2 Vgl. Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen ]uristentages, Bd. I, S. 67. 3 Zur Tenninologie: Die Bezeichnung "Verband" hat sich eingebürgert als Oberbegriff für juristische Personen, die Personenvereinigungen des Handelsrechts und den nicht rechtsfähigen Verein. 4 Vgl. zum Meinungsstand näher Kap. 2.
24
1. Kapitel: Einführung
schärft werde das Problem - so die herrschende Meinung - im übrigen durch die Möglichkeit der Bußgeldfestsetzung gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen: Diese Sanktion erfülle dieselben kriminalpolitischen Zwecke wie eine Bestrafung. Es sei mit ihr aber kein sozialethischer Vorwurf verbunden, so daß die gegen eine kriminalstrafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen bestehenden Bedenken hier nicht eingriffen5 . Die eine Verbandsbestrafung ablehnende Haltung des deutschen Strafrechts steht in krassem Gegensatz zu der des anglo-amerikanischen Rechtskreises, wo eine corporate criminal liability etwa seit Beginn des Jahrhunderts zum juristischen Allgemeingut gehört und gerade auch in den letzten beiden Jahrzehnten stark an Bedeutung gewonnen hat6 . In Deutschland wird die amerikanische Lösung zumeist als Ausdruck eines reinen Pragmatismus abgetan: Die dortige Strafrechtspflege sei weniger von dogmatischen Überlegungen als von dem Zweck der öffentlichen Sicherheit, Ordnung und Wohlfahrt bestimmt7 . Die deutsche Grundsatzdiskussion um eine Straffähigkeit der juristischen Person war etwa zum Ende der fünfziger Jahre mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Im Bemühen um einen Abbau der erkannten Sanktionsdefizite im wirtschafts- und umweltstrafrechtlichen Bereich8 geht das Schrifttum in neuerer Zeit verstärkt dazu über, die Problematik speziell unter dem Blickwinkel einer Untemehmensstrafe wiederaufzugreifen9 • Hintergrund dessen dürfte nicht zuletzt der Umstand sein, daß das Phänomen der Kriminalität aus dem unternehmerischen Umfeld in den letzten Jahren in Deutschland verstärkt in das Interesse der Öffentlichkeit - und damit auch in den Blick der Rechtspolitik - gerückt ist, wozu das geschärfte Problembewußtsein der Bevölkerung für Umweltschutz und Umweltdelinquenz lO sicherlich ebenso beigetragen hat wie beispielsweise Embargoverstöße deutscher Unternehmen während des Golfkriegesli. 5
Vgl. statt aller Göhler, Vor § 29a Rdn. 13 sowie näher Kap. 3. Vgl. dazu näher Kap. 4. 7 Vgl. nur Jescheck, ZStW Bd. 65 (1953), S. 222. 8 Vgl. etwa die Amtliche Begründung zum Regierungsenwurf eines 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, S. 38; Achenbach, NJW 1986, S. 1840; Schünemann, wistra 1982, 42. 9 Vgl. etwa Achenbach, JuS 1990, S. 601 ff.; Ackermann, S. 186 ff; Müller, S. 16 ff.; Müller-Guggenberger-Schmid, § 19 Rdn. 53 ff.; Schroth, wistra 1986, S. 162; Stratenwenh, in: Festschrift für Rudolf Schrnitt, S. 295 ff.; Tiedemann, NJW 1988, S. 1169. Ferner Göhler, Vor § 29a Rdn. 7. 10 Achenbach, JuS 1990, S. 601, verweist als Beispiel auf den Brand bei der Sandoz AG (November 1986). Auch die durch die Exxon Corp. verursachte Ölkatastrophe in Alaska hat in Deutschland einige öffentliche Anteilnahme erfahren. Vgl. zu Fragen des Umweltschutzes durch Strafrecht etwa die Beiträge von Schall, NJW 1990, S. 1263 ff, und Seelmann, NJW 1990, S. 1257ff. 11 Vgl. Stratenwerth, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 295 f. 6
A. Problemstellung
25
Anlaß ZU einem kritischen Überdenken der traditionellen Freistellung juristischer Personen und Personenvereinigungen vom Kriminalstrafrecht gibt aber auch die Neufassung des § 30 OWiG durch das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (2. WiKG): Bis 1986 sah die Vorschrift die Verhängung der Verbandsgeldbuße als "Nebenfolge" der Tat des Organs vor. Dadurch sollten eine echte Verbandstäterschaft ausgeschlossen und "etwaige dogmatische Bedenken"12 gegen eine Bußgeldfestsetzung gegenüber den als handlungs- und schuldunfahig bezeichneten juristischen Personen ausgeräumt werden. Aufgrund der Novelle von 1986 ist diese Bezeichnung der Verbandssanktion als Nebenfolge nunmehr in Wegfall geraten. Im Schrifttum wird dies ganz überwiegend als erster Schritt in Richtung auf eine Verbandstäterschaft bewertet: Die Sanktion sei nunmehr gegen die Körperschaft als echte Hauptfolge der Tat ihres Organs zu verhängen 13 . Die vorliegende Arbeit bemüht sich um den Nachweis, daß die bislang gegen eine kriminalstrafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen vorgebrachten Argumente - auch mit Blick auf die gesetzgeberische Entwicklung, die das Institut der Verbandsgeldbuße nunmehr genommen hat - ihre Überzeugungskraft eingebüßt haben. Ausgehend von der Erkenntnis, daß ein kriminalpolitisches Bedürfnis nach einer nicht nur bußgeldrechtlichen, sondern kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen besteht, sowie aufbauend auf die Lösungen und Erfahrungen des amerikanischen Rechts soll im weiteren der Versuch gemacht werden zu zeigen, daß sich eine derartige Verbandsstrafe de lege ferenda durchaus dogmatisch begründen ließe. Das Hauptaugenmerk der Untersuchung gilt der Frage einer strafrechtlichen
Unternehmensverantwortlichkeit, letztlich also einem Ausschnitt aus der Ge-
samtproblematik einer Straffahigkeit der Korporation. Der Grund für diese thematische Eingrenzung liegt darin, daß eine praktische Relevanz des Problems bislang nur im Bereich wirtschaftlicher Betätigung juristischer Personen zu erkennen gewesen ist. Allerdings dürften sich die in systematischer Hinsicht gewonnenen Ergebnisse zumindest im Grundsatz auf Verbände mit nichtwirtschaftlichen Zielsetzungen übertragen lassen.
12 Amtliche Begründung zum Regierungsentwurf eines § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S.59. 13 Vgl. dazu näher Kap. 3, C 11 1 b) aa).
26
I. Kapitel: Einführung
B. Zur historischen Entwicklung kriminalstrafrechtlicher Sanktionen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen 14
Wiewohl der Satz "Societas delinquere non potest" dem römischen Recht zugeschrieben wird, ist ungeklärt, ob und in welchem Umfang er tatsächlich Geltung hatte. Wenn auch einiges dafür spricht, daß das römische Recht keine strafrechtliche Verantwortlichkeit von Verbänden kannte, so wird andererseits von zumindest strafähnlichen Maßnahmen berichtet, die in Einzelfällen gegen Gemeinden verhängt wurden 15 . Allerdings muß wohl davon ausgegangen werden, daß den Römern der Begriff der juristischen Person als eines gegenüber der Summe seiner Mitglieder verselbständigten Rechtssubjekts fremd war 16 und daß sie sich dementsprechend auch die Frage nach einer Straffähigkeit von Verbänden nie in grundsätzlicher Hinsicht gestellt haben 17 . Auch die germanische Frühzeit kannte den Begriff der juristischen Person nicht. Eine Art von Verband stellte jedoch die Sippe dar, die auch rechtliche Funktionen wahrnehmende, auf Blutsverwandtschaft beruhende Personengemeinschaft 18 . Wurde von einem Sippenangehörigen eine Straftat begangen, so führte die Sippe des Verletzten Fehde weniger gegen den Täter selbst als gegen dessen Sippe. Wurde stattdessen eine Sühneleistung verlangt, so war es wiederum Sache der Sippe des Täters, diese aufzubringen 19 . Die Sippe wurde damit letztlich für die Missetaten ihrer Mitglieder strafrechlich veranwortlich gemacht2o • Der eigentlichen Frage, ob gegen Verbände Strafklagen zulässig seien, wendete man sich erst zu Beginn des Mittelalters zu, als sich das Verständnis von Strafe als eines von der zentralen Staatsgewalt bewußt verwendeten Zwangsmittels zur Bekämpfung sozial schädlicher Handlungen durchzusetzen begann. Immer mehr gewannen zu dieser Zeit neben den personellen - auf Blutsverwandtschaft beruhenden - Gliederungen räumlich bestimmte Verbände an Bedeutung: Bauernschaften, Marktgenossenschaften, Land- und Stadtgemeinden entwickelten sich nach und nach zu Trägem der politischen und wirtschaftlichen Funktionen innerhalb des Staates. Im Zuge der wachsenden Bedeutung derartiger Verbände im gesellschaftlichen Leben ging man dazu über, auf sie zurückzuführende Störungen der sozialen Ordnung mittels 14 Auf Einzelheiten kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Vgl. die ausführlichen Darstellungen etwa bei Busch, S. 32 ff.; Hafter, S. 6 ff., R.Schmitt, S. 16 ff. 15 Vgl. etwa Hafter, S. 8 m.w.N. 16 17 18 19
Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
etwa Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen luristentages, Bd. I, S. 67. R.Schmitt, S. 18. R.Schmitt, S. 23 f. v.Schulte, S. 31.
20 Vgl. Busch, S. 32 ff.
B. Historische Entwicklung
27
der staatlichen Strafgewalt zu bekämpfen. So sind etwa Strafmaßnahmen gegen Städte - wie beispielsweise Reichsacht, Eroberung, Zerstörung - in großer Zahl bekannt. Auch enthielten die Stadtrechte vielfach Vorschriften über die Bestrafung von Bürgerverbänden, Gilden, Zünften und sonstigen Genossenschaften21 . Dieser Praxis folgte die Theorie: Die Glossatoren lehrten, daß es Verbände gebe, deren Mitgliedergesamtheiten unabhängig vom Wechsel ihrer Angehörigen Träger von Rechten seien22 . Für Handlungen, die von der Vollversammlung der Gemeinschafter einstimmig oder mehrheitlich beschlossen oder die von dem die Gemeinschaft repräsentierenden Kollegium begangen worden seien, sei der Verband zivil- und strafrechtlich verantwortlich23 . Die Vorstellung einer von der der Mitglieder zu unterscheidenden Rechtsfähigkeit der universitas, mithin der Begriff der juristischen Person, wurde allerdings erst von den Kanonisten entwickeltet, und zwar im Zusammenhang mit der Überlegung, daß Träger der Kirche nicht die Gesamtheit der Gläubigen, sondern Gott oder sein irdischer Stellvertreter sei. Anders als Innocenz IV., der auf dem Konzil von Lyon im Jahre 1245 die Auffassung vertrat, die unversitas beruhe auf einer Fiktion und sei handlungs- sowie deliktsunfähig und damit für weltliche und geistliche Strafen unempfanglich24 , hielten die Kanonisten wie im übrigen die Legisten - die universitas zwar ebenfalls für eine Fiktion, bej ahten jedoch deren grundSätzliche Deliktsfähigkeit25. Weiterentwickelt und modifiziert wurde diese Auffassung in der Folgezeit namentlich von Bartolus von Sassoferratus (1313 o. 1314 - 1357). Vor allem die auf ihn zurückgehende Unterscheidung zwischen eigentlichen und uneigentlichen Körperschaftsdelikten - im Hinblick auf delieta propria könne die universitas Täter, das Mitglied Mittäter oder Anstifter sein, bei delieta impropria umgekehrt hat nicht nur in Italien allgemeine Anerkennung gefunden. Seine Auffassung wurde auch in Deutschland rezipiert und nahm dort bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts maßgeblichen Einfluß auf die Entwicklung von Gesetzgebung, Rechtsprechung und Lehre26 . So enthielte neben zahlreichen Kodifikationen der deutschen Territorialgesetzgebung beipielsweise auch die Reichkammergerichtsordnung von 1555 Vorschriften über das Verfahren gegen Gemeinden wegen Landfriedensbruchs 27 . 21
Vgl. Busch, S. 35 ff.
22 Vgl. R.Schmitt, S. 19 m.w.N. 23 Vgl. Busch, S. 39. 24 Es ging dabei insbesondere um die Frage der Exkommunikationsfähigkeit einer Körperschaft. 25 Vgl. Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 68 f. 26 Vgl. Busch, S. 41 ff. 27 Vgl. Hafter, S. 19, der die Vermutung äußert, kaum je wieder sei eine in sich widerspruchsvolle Lehre kritiklos mehrere Jahrhunderte lang beigehalten worden.
28
1. Kapitel: Einführung
Den Auslöser für einen radikalen Meinungsumschwung, der schließlich zu einer allgemeinen Ablehnung und Abschaffung der Verbandsstrafe führte, bildete eine ("anspruchslose kleine "28) Schrift des Erlanger Professors Malblanc ("Observationes quaedam ad delietas universitatum spectantes", 1793). Der Autor bestritt die Zulässigkeit einer Verbandsbestrafung keineswegs mit neuen, sondern mit den seit Innocenz IV. erörterten Argumenten, vor allem der Unzulässigkeit einer Schuldzurechnung und der mangelnden Strafempfanglichkeit der universitas. Die eigentliche Ursache für die Wendung wird dementsprechend in einem anderen, außerrechtlichen Aspekt gesehen. Die Opposition Malblancs dürfte wohl deshalb auf so fruchtbaren Boden gefallen sein, weil man seinerzeit ein politisches Bedürfnis nach einer Verbandsstrafe nicht mehr erkennen wollte: Als Folge des Absolutismus, der bestrebt war, jede mit ihm konkurrierende Macht im Staat auszuschalten, aber auch im Zuge der Aufklärung mit ihrer Hinwendung zur individuellen Freiheit, zu der das Eingebundensein in eine Gemeinschaft nicht zu passen schien, hatten die Verbände im Laufe der Zeit ihre Macht und Bedeutung fast völlig verloren29 . Die Auffassung Malblancs fand schnell Verbreitung. Bald schlossen sich ihr die angesehensten Strafrechtswissenschaftler - etwa auch Anselm von Feuerbach30 - an. Mit seiner Theorie zur juristischen Person lieferte der Romanist Friedrich earl v.Savigny (1779-1861) dann der bereits von den Kanonisten und Postglossatoren - unter rein praktischen Gesichtspunkten - entwikkelten Fiktionstheorie die rechtsphilosophische Vertiefung. Nach seiner Auffassung wird die "natürliche" Rechtsfahigkeit jedem einzelnen Menschen, aber auch nur diesem zuteil31 • Allerdings dehne das Recht die Rechtsfahigkeit zu "juristischen Zwecken" auf "künstliche, durch bloße Fiction angenommene Subjecte" aus32 . Juristische Personen seien somit bloß "fingierte Personen". Für die Frage nach einer Straffahigkeit von Verbänden folgerte v.Savigny daraus: "Das Kriminalrecht hat zu tun mit dem natürlichen Menschen, als einem denkenden, wollenden, fühlenden Wesen. Die juristische Person aber ist kein solches, sondern nur ein Vermögen habendes Wesen .... Ihr reales Dasein beruht auf dem vertretenden Willen bestimmter einzelner Menschen, der ihr infolge einer Fiktion als ihr eigener Wille angerechnet wird. Eine solche Vertretung aber, ohne eigenes Wollen, kann überall im Zivilrecht, nie im Kriminalrecht beachtet werden. "33.
28 Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 71. 29 Vgl. R.Schmitt, S. 27 f. 30 Lehrbuch, § 36, S. 29. 31 System, Bd. 2, § 60, S. 1 ff. 32 System, Bd. 2, § 85, S. 236. 33 System, Bd. 2, § 94, S. 312 f.
B. Historische Entwicklung
29
Der sich wandelnden Auffassung in der Literatur folgt schließlich auch die Gesetzgebung. In zahlreichen Territorialstrafgesetzen34 wurde eine Verbandsstrafe zunächst noch ausdrücklich ausgeschlossen. Bei der Schaffung des Preußischen Strafgesetzbuches von 1851 und des Reichsstrafgesetzbuches von 1871 erschien der Gedanke einer kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen bereits derart indiskutabel, daß man darauf verzichtete, sie überhaupt zu erwähnen35 . Bestimmungen, die eine Bestrafung von Verbänden vorsahen, hat es seither im deutschen Kemstrafrecht nicht mehr gegeben. Dennoch sind die Gegenstimmen zu dieser ablehnenden Haltung - wohl auch wegen der im Zuge der Industrialisierung wieder wachsenden Bedeutung von Verbänden36 - nie ganz verstummt. Neu belebt wurde das Problem der Kriminalstratbarkeit juristischer Personen etwa auch durch den Germanisten OUo von Gierke (1841-1921). Nach der von ihm - in Opposition zu v.Savignys "Fiktionstheorie" - entwickelten "Theorie der realen Verbandspersönlichkeit"37 ist die juristische Person eine wirkliche, nicht bloß erdichtete Person: Das Recht finde die Verbandsperson als soziale Wirklichkeit bereits vor. Es habe lediglich die Macht, diesem Gebilde Rechtssubjektivität zu verleihen, nicht hingegen, es selbst zu erschaffen38 . Auf dieser Grundlage bestanden für v.Gierke keine Bedenken gegen eine Willens-, Handlungs- und Straffähigkeit juristischer Personen39 . 40. 34 Beispiele sind das Bayerische Strafgesetzbuch von 1813, das Hannoversche Strafgesetzbuch von 1840 und das Hessische Strafgesetzbuch von 1841. 35 Vgl. Busch, S. 49 f.
36 Vgl. Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 50. 37 Genossenschaftstheorie, S. 22 f. 38 Vgl. zu dem vor allem im 19. Jahrhundert heftig geführten Meinungsstreit um das Wesen
der juristischen Person näher K.Schmidt, Gesellschaftsrecht, § 8 11 2, S. 159 ff. Unter den Gegenpositionen zu den beiden zuvor genannten Auffassungen ist vor allem die "Theorie des Zweckvermögens" zu erwähnen. Danach erschöpft sich die Rechtsnatur der juristischen Person in der rechtlichen Verselbständigung eines bestimmten Zwecken gewidmeten Sondervermögens, vgl. etwa Wiedemann, WM 1975, Sonderbeilage 4, S. 8 m.w.N. 39 Vgl. Genossenschaftstheorie. S. 743 ff., 771 ff. 40 Bereits Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 486 f., hat dargelegt, daß sich die Frage nach der - in seiner Terminologie - "Verbrechensfähigkeit" juristischer Personen nicht allein unter Rekurs auf den Streit um das Wesen der juristischen Person lösen läßt. Die "Fiktionstheorie" und die "Genossenschaftstheorie " beschäftigen sich mit der Frage der Rechtsfähigkeit juristischer Personen, also mit der Frage, ob es sich bei Verbänden um Rechtssubjekte handelt. Damit ist noch keine Entscheidung in bezug auf deren Handlungs-, Schuld- oder Straffähigkeit getroffen, was etwa auch die Ausführungen Hafters, S. 60 ff., zeigen, der (umgekehrt) die Rechtsfähigkeit auch nicht als Voraussetzung der Straffähigkeit eines Personenverbandes ansieht. Allerdings ist davon auszugehen, daß vor allem die älteren Stellungnahmen zur Kriminalstrafbarkeit von Verbänden in vielfältiger Weise durch die Fiktions- oder Genossenschaftstheorie geprägt sind. Den Einflüssen des Theorienstreits auf die zu untersuchende Frage geht insbesondere Sch.vander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 603 ff., nach.
30
1. Kapitel: Einführung
Lediglich im Nebenstrafrecht fanden derartige Bemühungen um eine Verbands(kriminal)strafe ihren Niederschlag: § 357 (später § 393) Reichsabgabenordnung sah die Verhängung einer Geldstrafe gegen juristische Personen und Personenvereinigungen in Anknüpfung an bestimmte Steuervergehen vor, bei denen ein individuelles Verschulden nicht festgestellt werden mußte41 . Die sich aufdrängende Frage, ob damit die traditionelle Doktrin zur Verbandsbestrafung durchbrochen werden sollte, wurde von der Gesetzesbegründung übergangen. Ebensowenig wurde in den Kommentierungen der Versuch unternommen, die Norm dogmatisch einzuordnen42 . Allerdings hat die Vorschrift des § 357 (§ 393) RAO auch nie praktische Bedeutung erlangt43 . Dazu trug zum einen sicherlich die Rechtsprechung des Reichsgerichts bei, wonach die Bestrafung des Organs die Sanktionierung der juristischen Person ausschlösse44 . Zum anderen wurde die Vorschrift - wiewohl erst 1967 formell aufgehoben - bereits 1939 gegenstandslos, als die Vermutungstatbestände, an welche sie anknüpfte, abgeschafft wurden45 . In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg brachten besatzungsrechtliche Vorschriften des Devisen- und Kartellrechts, welche - entsprechend der angelsächsichen Rechtstradition - Kriminalstrafen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen zuließen46 , die Diskussion um die Verbands strafe erneut in Gang. Es trat die Streitfrage auf, ob die deutschen Gerichte an die alliierten Vorschriften gebunden wären und aufgrund dessen Kriminalstrafen auch gegen juristische Personen verhängen dürften oder sogar müßten. Während die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum die besatzungsrechtlichen Vorschriften als dem deutschen Rechtsdenken widersprechend ablehnte47 , bejahte der Bundesgerichtshof im sog. "Berliner Stahlhändlerurteil "48
41 Darüber hinaus kannte das Abgabenstrafrecht in §§ 416, 417 (früher §§ 381, 382) RAO eine Subsidiärhaftung von Verbänden für diejenigen aufgrund von Steuervergehen verwirkten Strafen ihrer Vertreter, die bei diesen nicht eingetrieben werden konnten. Vgl. dazu R.Schmitt, S. 50 ff. sowie Brender, S. 36 ff. 42 Vgl. zur Frage, welches Haftungskonzept dieser Regelung zugrunde liegt, Brender, S. 32 ff. Der Autor sieht in § 357 (später § 393) RAO - soweit die Vorschrift an Schuldvennutungstatbestände anknüpft - den Fall einer Haftung des Verbandes für ein Organisationsverschulden. 43 Vgl. Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 44. 44 Vgl. RGSt 61, 92, 95. Diese Entscheidung ist allerdings nicht ganz eindeutig, vgl. auch R.Schmitt, S. 53. 45 Vgl. R.Schmitt, S. 51 ff. 46 Vgl. dazu näher R.Schmitt, S. 57 ff., 70 ff. 47 Vgl. etwa Jescheck, ZStW Bd. 65 (1953), S. 225; Lange, JZ 1953, S. 261 ff.; Siegert, NJW 1953, S. 527 ff; Wilmanns/Urbach, BB 1953, S. 102 ff. 48 BGHSt 5, 28 ff. Vgl. dazu auch Willferodt, in: DDevR 1954, S. 21 ff sowie R.G.Schmidt, BB 1952, S. 875 f. Der Entscheidung zustimmend v.Weber, GA 1954, S. 237 ff. Kritisch etwa Blau, MDR 1954, S. 466 f.; Bruns, JZ 1954, S. 251; Heinitz, JR 1954, S. 67.
C. Sanktionsmöglichkeiten de lege lata
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deren Verbindlichkeit auch für deutsche Gerichte. In der Entscheidung wurde unter anderem auf die vergleichbare Vorschrift des § 31 BGB hingewiesen sowie auf das Bedürfnis danach, einer juristischen Person oder Personenvereinigung den Gewinn zu entziehen, der ihr durch eine strafbare Handlung ihres Vertreters zugeflossen sei. Nicht nur auf dem 40. Deutschen Juristentag 1953 49 , sondern auch in der Großen Strafrechtskommission5o und im Sonderausschuß für die Strafrechtsreform51 wurde die Frage nach der Einführung einer Verbandsstrafe heftig diskutiert - um in allen Fällen allerdings letztlich mehrheitlich zu einem ablehnenden Ergebnis zu kommen. Seitdem hat das Problem der Verbandsstrafe - wenn auch vereinzelt im Schrifttum behandelt - die Ebene praktischer Rechtspolitik nicht mehr erreicht. C. Möglichkeiten der Sanktionierung juristischer Personen und Personenvereinigungen de lege lata I. Die Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG)
1. Die Entwicklung der Bußgeldvorschriften gegen Verbände
In auffälligem Kontrast zu der etwa mit Beginn des 19. Jahrunderts in Deutschland einsetzenden Ablehnung einer kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen steht das rasche Vordringen des Instituts der Verbandsgeldbuße. a) Rechtslage bis 1968 Ausgelöst wurde diese Entwicklung in den zwanziger Jahren, als die Gerichte dazu übergingen, die Ordnungsstrafvorschrift des § 17 der Verordnung gegen den Mißbrauch wirtschaftlicher Machtstellungen vom 2.11.1923 52 Vgl. zur Judikatur im alliierten Devisen- und Kartellrecht auch BGH DDevR 1954, S. 10. sowie die Nachweise bei Müller, S. 30 FN 8. 49 Vgl. die Beschlüsse des 40 Deutschen Juristentages, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 88. 50 Vgl. die Beschlüsse der Großen Strafrechtskommission, in: Niederschriften Bd. IV, S. 333,574. 51 Vgl. Protokolle Sonderausschuß Strafrechtsreform, 4. Wahlperiode, 23. und 24. Sitzung, S. 397 ff., 419 ff., 5. Wahlperiode, 57. Sitzung, S. 1079 ff. 52 Vgl. RGBI. I S. 1067.
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1. Kapitel: Einführung
auch gegenüber juristischen Personen für anwendbar zu erklären. Später drohten § 39 der Verordnung über Devisenbewirtschaftung vom 23.5.193253 , § 8 Abs. 2 Preisstrafre~htsverordnung vom 3.6.193954 , § 4 Abs.2 Verbrauchsregelungs-Strafverordnung Ld.F. vom 25.11.1941 55 Ordnungsstrafen ausdrücklich auch gegenüber juristischen Personen an. In der Nachkriegszeit sahen zunächst §§ 23, 24 des Gesetzes zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts von 1949 (WiStG 1949)56 - resp. § 5 WiStG 1954 - die Möglichkeit vor, gegen eine juristische Person oder Handelsgesellschaft ein Bußgeld zu verhängen57 . Es folgten, in Bundes- und Landesrecht verstreut, zahlreiche weitere, inhaltlich und gesetzessystematisch stark differierende Sondervorschriften, die die Festsetzung von Verbandsgeldbußen zuließen58 . b) Rechtslage nach 1968 aa) Die Verbands geldbuße in der bis 1986 geltenden Gesetzesfassung Um der Gefahr einer Aufsplitterung zu begegnen, wurde 1968 die Regelung des § 26 OWiG (ab 1975: § 30 OWiG) in Kraft gesetzt. Unter Aufhebung der bestehenden Sondervorschriften regelte diese Vorschrift die Frage einer Bußgeldverantwortlichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen erstmals einheitlich und abschließend59 . In der bis 1986 geltenden Fassung sah § 30 OWiG die Festsetzung eines Bußgeldes gegen die juristische Person "als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit" des Organs vor60, wobei die Verbandssanktion grundsätzlich in dem gegen die natürliche Person gerichteten Verfahren verhängt werden sollte. Ein "selbständiges" Bußgeldverfahren gegen die juristische Person oder Personenvereinigung kam dagegen nur in Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn einem Verfahren gegen den Täter tatsächliche 53 Vgl. RGBI I, S. 237. 54 Vgl. RGBI I S. 999. 55 Vgl. RGBI I S. 734.
56 Vgl. Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, S. 193. 57 TatbestandIich setzten die genannten Vorschriften eine Aufsichtspflichtverletzung durch
den Inhaber oder Leiter eines Betriebs voraus, aufgrund deren es zu einem Verstoß gegen Bestimmungen des Wirtschaftsstrafgesetzes gekommen war. In den Fällen, in denen eine juristische Person oder Personengesellschaft Inhaberin war, konnte die Geldbuße auch ihr gegenüber verhängt werden. 58 Vgl. etwa die Übersicht bei Müller, S. 31 f. 59 Vgl. die Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 58. 60 Vgl. dazu noch näher unten Kap. 3, C 11 I a).
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Hindernisse entgegenstanden, das Gericht von Strafe abgesehen hatte oder das Verfahren aus Ermessensgründen eingestellt worden war (§ 30 Abs. 4 a.F.). bb) Die Änderungen aufgrund des 2. WiKG Das am 1. August 1986 in Kraft getretene 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität61 brachte unter anderem eine Änderung der gesetzlichen Regelung über die Verbandsgeldbuße (§ 30 OWiG) mit sich. Durch die Neufassung sollte - so die Amtliche Begründung - der Zusammenhang von Verbandsgeldbuße und Individualtat "gelockert" werden62 : Zum einen wurden in § 30 Abs. 1 OWiG die Worte "als Nebenfolge der Straftat oder Ordnungswidrigkeit" gestrichen, zum anderen erfuhr das Institut des selbständigen Verfahrens (§ 30 Abs. 4 OWiG) eine erhebliche Aufwertung. Eine Verbandsgeldbuße kann nunmehr isoliert festgesetzt werden, wenn ein Straf- oder Bußgeldverfahren gegen die natürliche Person nicht eingeleitet wird. Dabei ist es - im Gegensatz zur früheren Rechtslage - unerheblich, ob die Verfolgung des Täters aus Ermessensgründen oder aufgrund tatsächlicher Hindernisse unterbleibt63 . Der Gesetzgeber legalisierte mit dieser Erweiterung des § 30 Abs. 4 OWiG die bisherige Praxis der Gerichte, im Individualverfahren auf eine kurzfristige Einstellung hinzuwirken, um dann möglichst bald gegen die juristische Person oder Personenvereinigung vorgehen zu können64 . Nach wie vor muß allerdings die Feststellung getroffen werden, daß eine dem Täterkreis des § 30 OWiG angehörende natürliche Person eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit vorwerfbar begangen hat. Die Identität des Täters braucht dagegen nicht festzustehen. Bleibt etwa unklar, auf weIches von mehreren Organen das Delikt zurückgeht, so kann gegen die juristische Person ein Bußgeld festgesetzt werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß jedenfalls einer von ihnen die Tat begangen hat und jeder von ihnen - wäre er Täter - auch vorwerfbar gehandelt hätte65 . Das 2. WiKG brachte ferner eine Erhöhung des Bußgeldrahmens für die Verbandsgeldbuße bei Straftaten (DM 1 Mio. bei vorsätzlichen, DM 500.000 bei fahrlässigen Delikten). Damit sollte nicht nur die repressive Wirkung der 61 Gesetz v. 15. Mai 1986, BGBI I S. 721. 62 Vgl. BT-Drucks. 10/318, S. 41. 63 Stehen ihr allerdings rechtliche Gründe entgegen, so bewirken diese auch die Unzulässigkeit des selbständigen Bußgeldverfahrens (§ 30 Abs. 4 S. 2 OWiG). 64 Vgl. die Amtliche Begründung zum Regierungsentwurf eines 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, S. 41. 65 OLG Hamm NJW 1979, 1312; OLG Köln GewArch 1974, 141, 143; BayObLG NJW 1972, 1771 f.; Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 170; Müller, S. 89 f.; RebmannRothlFörster, § 30 Rdn. 52; 3 Ehrbardt
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1. Kapitel: Einführung
Verbandsgeldbuße gesteigert, sondern auch das bislang bestehende Mißverhältnis bei der Sanktionierung von Straftaten einerseits und von Ordnungswidrigkeiten andererseits ausgeglichen werden: Da sich das Höchstmaß der an eine Ordnungswidrigkeit anknüpfenden Verbandsgeldbuße nach der im jeweiligen Bußgeldtatbestand angedrohten Sanktion richtet, konnte eine juristische Person beispielsweise für eine Kartellordnungswidrigkeit66 mit einer Geldbuße in Millionenhöhe belegt werden, für eine Straftat ihres Organs dagegen nur mit einem Bußgeld von bis zu DM 100.000 rsp. DM 50.000.
2. Die Tatbestandsvoraussetzungen im einzelnen a) Der Adressatenkreis Zum Kreis der für eine Bußgeldfestsetzung in Frage kommenden Verbände gehören zunächst die juristischen Personen, also AG, KGaA, GmbH, Genossenschaft, e. V., selbständige Stiftung und Bergrechtliche Gewerkschaft. Auch juristische Personen des öffentlichen Rechts sollen - so jedenfalls die überwiegende Auffassung - nach § 30 OWiG mit einer Geldbuße belegt werden können67 . Den juristischen Personen gleichgestellt sind der nicht rechtsfähige Verein und die handelsrechtlichen Personengesellschaften (OHG und KG). Die Festsetzung einer Geldbuße gegen eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist hingegen unzulässig68 . b) Der Täterkreis Voraussetzung für die Festsetzung einer Geldbuße gegen den Verband ist die rechtswidrige und schuldhafte Begehung einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit durch ein vertretungsberechtigtes Organ (oder Organmitglied) einer juristischen Person, den Vorstand (oder ein Vorstandsmitglied) eines nicht rechtsfähigen Vereins oder einen vertretungsberechtigten Gesellschafter einer Personenhandelsgesellschaft. Wenn das Gesetz hier an die Vertretungsberechtigung des Handelnden anknüpft, so bedeutet das allerdings nicht, daß das Organ (allein) dazu befugt gewesen sein müßte, den Verband rechtsgeschäft66 § 38 Abs.4 GWB. 67 Bejahend OLG Frankfurt NJW 1976, S. 1276; OLG Ramm NJW 1979, S. 1312; Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 45; Göhler, § 30 Rdn. 2; Müller, S. 51 ff.; RebmannRothlFörster, § 30 Rdn. 3; a.A. mit ausführlicher Begründung Pohl-Sichtermann, S. 66 ff. 68 Vgl. Göhler, § 30 Rdn. 6; für eine Einbeziehung de lege ferenda Müller, S. 55 ff. Problematisch ist in diesem Zusammenhang auch die Behandlung sog. faktischer Gesellschaften (vgl. dazu Pohl-Sichtermann, S. 84 ff) sowie juristischer Personen im Gründungsstadium (Vorgesellschaften); vgl. Pohl-Sichtermann, S. 79 ff.
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Sanktionsmöglichkeiten de lege lata
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lieh zu vertreten. Weil es hier nicht auf ein rechtsgeschäftliches, sondern auf tatsächliches Handeln ankommt, ist entscheidend vielmehr, ob der Person nach innen und außen die Geschäftsführung obliegt69 . Dementsprechend kommt es auch nicht auf die Wirksamkeit der Bestellung zum Organ an70 . Die Beschränkung des Täterkreises auf organschaftliche Vertreter ist vielfach kritisiert worden7!, führt sie doch in der Praxis zu einer erheblichen Minderung der Effizienz der Vorschrift des § 30 OWiG. Gerade in Großunternehmen sind die Entscheidungsbefugnisse in der Regel auf Ebenen unterhalb der gesetzlichen Vertreter delegiert, also etwa auf Prokuristen, angestellte Direktoren und Abteilungsleiter. Deren stratbare Handlungen oder Ordnungswidrigkeiten vermögen eine Geldbuße gegenüber dem Verband allenfalls unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der Aufsichtspflicht (§ 130 OWiG) durch das übergeordnete Organ zu begründen. Reformüberlegungen etwa des Inhalts, die Festsetzung einer Geldbuße an die Zuwiderhandlungen einer Person "im Leitungsbereich" des Verbandes anzuknüpfen72, haben im 2. WiKG allerdings keinen Niederschlag gefunden73. c) Die Anknüpfungstat Durch die Organstraftat oder -ordnungswidrigkeit muß entweder (Nr.l) eine den Verband treffende (d.h. "betriebsbezogene"74) Pflicht verletzt oder (Nr.2) der Verband bereichert oder diese Bereicherung zumindest erstrebt worden sein. Das Merkmal der Betriebsbezogenheit bedeutet, daß sich die verletzte Pflicht aus dem besonderen Wirkungskreis des Verbandes ergeben muß75. In erster Linie ist daher an Pflichten aus verwaltungsrechtlichen Gesetzen zu denken, die sich ihrem Wesen nach (auch) an Verbände richten - ihnen z.B. als Betreiber einer Anlage, Arbeitgeber, Halter eines Kraftfahrzeuges, Gewerbetreibender obliegen. Aber auch die Verletzung jedermann treffender Pflichten - z.B. auch solcher, die sich aus Straftatbeständen ergeben, wie die 69 Vgl. Göhler, § 30 Rdn. 13.
70 Vgl. BGHSt21, 101, 103 f. 7! Vgl. dazu etwa Göhler, Vor § 29a Rdn. 17; Müller, S. 66 ff.; R.Schmitt, in: Festschrift für Richard Lange, S. 877; Schünemann, S. 162 ff. 72 In diesem Sinne etwa auch der Regierungsentwurf zum 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, s. 38 ff 73 Vgl. die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses zum Regierungsentwurf eines 2. WiKG, BT-Drucks. 10/5058, S. 36 f. 74 Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 60. 75 Kritisch dazu Müller, S. 73 f.
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1. Kapitel: Einführung
Pflicht zum Schutz von Arbeitnehmern vor Gefahren am Arbeitsplatz - stellt im Einzelfall einen Anknüpfungspunkt für eine Verbandsgeldbuße dar76 . Zweck der zweiten Tatbestandsalternative (eingetretene oder erstrebte Bereicherung) ist es, aufgrund einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit erzielte Gewinne abzuschöpfen und den Beteiligten den Anreiz zu nehmen, solche zu erzielen77 . Der in § 30 OWiG verwendete Begriff der Bereicherung wird allgemein mit dem des Vermögensvorteils in § 263 StGB gleichgesetzt78 . Demzufolge reicht jede günstigere Gestaltung der Vermögenslage aus79 . Erforderlich ist ein Kausalzusammenhang zwischen der Anknüpfungstat und der Bereicherung80 . Aus der Zuwiderhandlung erwachsende Ersatzansprüche Dritter schließen den Eintritt der Bereicherung und damit die Bußgeldhaftung des Verbandes nicht aus 81 . Der Täter muß überdies "als Organ" des Verbandes gehandelt haben, was einen inneren Zusammenhang zwischen Organstellung und Tat voraussetzt. Die Handlung muß - so die überwiegende Auffassung - ihrer Art nach noch als solche in Wahrnehmung der Angelegenheiten der juristischen Person oder Personenvereinigung angesehen werden können82 . In der Regel entfällt eine Bußgeldhaftung des Verbandes daher, wenn der Täter lediglich im eigenen Interesse gehandelt hat. Andererseits soll eine Handlung "als Organ" nicht voraussetzen, daß sich der Deliquent im Rahmen des ihm intern übertragenen Aufgabenkreises gehalten habe 83 . 76 Die Pflichtverletzung kann in einem positiven Tun oder auch einer Unterlassung bestehen. Vgl. die Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 60 f. 77 Vgl. Müller, S. 74. 78 Vgl. Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 100; Pohl-Sichtermann, S. 153; Rotberg, § 30 Rdn.8; 79 Vgl. Schönke-Schröder-Cramer, § 263 Rdn. 167. 80 Pohl-Sichtermann, S. 155 f., und Rotberg, § 30 Rdn. 9, halten darüber hinaus einen inneren Zusammenhang zwischen Bereicherung und Bezugstat dergestalt für erforderlich, daß eine mögliche Bereicherung in den Schutzzweck der verletzten Norm fällt. Als Bespiel wird der Vertreter angeführt, der gegen eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Straßenverkehr verstößt, um einen wichtigen Geschäftsabschluß nicht zu verpassen. 81 Vgl. Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 102; Göhler, § 30 Rdn. 23. Umstritten ist allerdings zum einen, ob auch eine mittelbare Erhöhung des wirtschaftlichen Wertes des Vermögens ausreicht (so Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 101; a.A.: Rebmann-RothIFörster, § 30 Rdn. 31), zum anderen, ob die Bereicherung rechtswidrig sein muß (bejahend Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 101; Rebmann-RothIFörster, § 30 Rdn. 31; anders Pohl-Sichtermann, S. 153; Rotberg, § 30 Rdn. 8). Nicht erforderlich ist jedenfalls, daß sie aus der Verletzung einer betriebsbezogenen Pflicht LS. von § 30 Abs. 1 Nr.l resultiert; vgl. etwa Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 97; Göhler, § 30 Rdn. 22; RebmannRothlFörster, § 30 Rdn. 31. 82 Vgl. Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 109 ff.; Göhler, § 30 Rdn. 25, jeweils m.w.N. 83 Vgl. Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 115.
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d) Bemessung der Verbandsgeldbuße Die Festsetzung der Geldbuße erfolgt nach pflichtgemäßem Ermessen84 . Ihre Höhe richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, wobei eine Orientierung vor allem an der Bewertung der Anknüpfungstat stattfindet85 . Einzubeziehende Kriterien sind etwa Schuld des Täters, die Bedeutung der verletzten Pflicht, die Höhe des Schadens, die Häufigkeit derartiger Verstöße im Betrieb, andererseits aber auch getroffene Vorsichts maßnahmen zur Verhinderung künftiger Taten. Grundsätzlich hat ferner eine Abwägung zu erfolgen zwischen der Verbands geldbuße und der gegenüber dem Täter verhängten Sanktion86 . 11. Weitere strafrechtliche Maßnahmen gegen Verbände
Abgesehen von der Regelung der Verbandsgeldbuße in § 30 OWiG finden sich in verschiedenen weiteren Gesetzen Regelungen, wonach nicht nur den Mitgliedern, sondern dem Verband selbst gegenüber Zwangsmaßnahmen angeordnet werden können. 1. Mehrerlösabschöpfung, §§ 8, JOAbs. 2 WiStG 1954
Ist einer juristischen Person aufgrund eines Verstoßes gegen Vorschriften des Wirtschaftsstrafgesetzes \1954 ein Mehrerlös zugeflossen, so kann nach § 10 Abs. 2 WiStG 1954 dessen Abführung angeordnet werden. Die Anknüpfungstat muß dabei nicht schuldhaft begangen worden sein (§ 8 Abs.l S. 2 WiStG 1954). Wegen ihres engen Anwendungsbereichs ist die praktische Bedeutung der Vorschrift gering. 2. Verfall
a) § 73 Abs.3 StGB Das StGB sieht die Möglichkeit vor, den Verfall von Vermögensvorteilen auch gegenüber einem tatunbeteiligten Dritten anzuordnen, falls der Täter
84 Vgl. Göhler, § 30 Rdn. 35. 85 Vgl. die Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 62. 86 Vgl. Rebmann-Roth/Förster, § 30 Rdn. 43.
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1. Kapitel: Einführung
oder Teilnehmer für diesen gehandelt und ihm den Vorteil verschafft hat. Dritter kann in diesem Sinne auch eine juristische Person sein87 . Bei dem Institut des Verfalls handelt es sich nicht um eine Strafe, sondern um eine Maßnahme (§ 11 Abs. 1 Nr.8 StGB) eigener Art 88 . Sinn der gesetzlichen Regelung ist die Abschöpfung unrechtmäßig erlangter Vermögensvorteile 89 , sofern zivilrechtliche Ersatzansprüche fehlen (vgl. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB). Ihr Ziel ist die Wiederherstellung der verletzten Rechtsordnung 90 • Der Verfall wird demgemäß auch als "quasikondiktionelle Ausgleichsmaßnahme"91 bezeichnet. Die praktische Bedeutung der Vorschrift des § 73 Abs. 3 StGB ist gering 92 . Ihre Anwendung scheitert in den meisten Fällen an der Klausel des § 73 Abs.l S.2 StGB, wonach eine Verfallsanordnung nicht in Betracht kommt, wenn dem Verletzten aus der Tat zivilrechtliehe Ansprüche auf den Vorteil erwachsen sind. Auch durch die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße (§ 30 Abs. 5 OWiG) oder die Anordnung einer Mehrerlösabschöpfung (§ 8 WiStG Abs. 4 WiStG 1954) wird die Möglichkeit einer Verfallserklärung gegenüber der juristischen Person verdrängt. b) § 29a OWiG Durch das 2. WiKG wurde auch in das Ordnungswidrigkeitengesetz eine Verfallsvorschrift eingefügt, deren Abs. 2 ebenfalls auf juristische Personen und Personenvereinigungen Anwendung findet 93 . Anders als bei § 73 StGB unterliegt die Verfallserklärung nach § 29a OWiG allerdings dem Opportunitätsprinzip. Sie wird ausgeschlossen durch die Festsetzung einer 87 Vgl. Lackner, § 73 Rdn. 9; LK-Schäfer, § 73 Rdn. 44. 88 Vgl. BGH NJW 1982, 774; Dreherffröndle, § 73 Rdn. 1; LK-Schäfer, § 73 Rdn. 4; SK-
Horn, § 73 Rdn. 3. Einige Autoren differenzieren demgegenüber bei der Beurteilung der Rechtsnatur des Verfalls nach Anknüpfungstat und Person des Bereicherten und sprechen dem Institut in manchen Fällen Strafcharakter zu; vgl. Blei, Bd. I, § 103 11 5, S. 385; Maurach/Gössell7ipf, AT 2, § 61 11 B 1 a), S. 528; ähnlich Schönke/Schröder-Eser, Vor § 73 Rdn 19. Zu bedenken ist jedoch, daß die Verfallsanordnung nicht voraussetzt, daß die Anknüpfungstat schuldhaft begangen wurde, sondern nur deren Rechtswidrigkeit. Insofern könnte der Verfallsanordnung wegen des Prinzips "nulla poena sine culpa" allenfalls in den Fällen Strafcharakter zukommen, in denen die Anknüpfungstat schuldhaft begangen wurde. Eine derartige Differenzierung trifft das Gesetz jedoch nicht. Kritisch auch LK-Schäfer, § 73 Rdn. 6. 89 Vgl. BGHSt 28,369; 30,46,51; 31, 145, 146. 90 Vgl. Lackner, § 73 Rdn. 1; LK-Schäfer, § 73 Rdn. 4. 91 Vgl. Schönke/Schröder-Eser, Vor § 73 Rdn. 18. 92 Vgl. Günten, S. 90.
93 Vgl. Göhler, § 29a Rdn. 7.
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Geldbuße gegen die juristische Person und die Anordnung einer Mehrerlösabschöpfung (§§ 30 Abs. 5 OWiG, § 8 Abs. 4 WiStG 1954). 3. Einziehung, §§ 75 StGB, 29 OWiG Um eine Begünstigung juristischer Personen gegenüber einem Einzelunternehmer zu verhindern94 , werden juristische Personen im Einziehungsrecht den natürlichen Personen gleichgestellt. Zu diesem Zwecke werden ihnen die Handlungen ihrer vertretungsberechtigten Organe zugerechnet (§§ 75 StGB, 290WiG). Die Einziehung wird - wie der Verfall - vom Gesetzgeber als Maßnahme bezeichnet (§ 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB). Da sie nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung jedoch verschiedenen Zwecken dient, spricht man ihr im Schrifttum eine einheitliche Rechtsnatur ab: Erfolge ihre Anordung gegenüber dem Täter oder Teilnehmer, dem die Gegenstände zur Zeit der Entscheidung gehören, so habe sie strafähnlichen Charakter, anderenfalls - insbesondere in den Fällen des § 74 Abs. 2 Nr. 2 StGB - stelle sie eine Sicherungsmaßnahme dar95 . Der Anwendungsbereich der §§ 75 StGB, 29 OWiG ist vor allem aus zwei Gründen eingeschränkt: Zum einen wird - wie bei § 30 OWiG - vorausgesetzt, daß der Handelnde vertretungsberechtigtes Organ (oder Mitglied eines solchen Organs, Vorstand oder Vorstandsmitglied eines nicht rechtsfähigen Vereins, vertretungsberechtigter Gesellschafter einer Persorienhandelsgesellschaft) ist; nicht ausreichend ist eine Stellung als gewillkürter Vertreter, Z.B. als Prokurist. Zum anderen verlangen auch §§ 75 StGB, 29 OWiG ein Handeln "als Organ", also einen inneren Zusammenhang zwischen der Tat und der Funktion des Täters im Verband96 • 4. Auflösung von Verbänden Die Vorschriften der §§ 396 AktG, 62 GmbHG, 81 GenG und § 43 BGB ermöglichen die Auflösung einer juristischen Person durch eine Verwaltungsbehörde resp. aufgrund Gerichtsurteils . Voraussetzung ist jeweils ein gesetzwidriges Verhalten97 von Organen resp. Gesellschaftern des Verbandes, wel94 Vgl. LK-Schäfer, § 75 Rdn. 3. 95 Vgl. Lackner, § 74 Rdn. 1; LK-Schäfer, § 74 Rdn. 6. 96 Vgl. LK-Schäfer, § 75 Rdn. 13. 97 Damit sind alle Verstöße gegen Rechtsnormen, nicht nur die des Strafrechts, gemeint. Vgl. für alle nur Scholz-K.Schmidt, § 62 Rdn. 2 zur GmbH.
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1. Kapitel: Einführung
ches ZU einer Gefährdung des Gemeinwohls führt. Bereits an diesem Tatbestandsmerkmalist zu erkennen, daß es sich bei der Auflösung einer juristischen Person um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr und nicht um eine Strafe handelt 98 . Es sollen zukünftige Verstöße verhindert, nicht aber bereits begangene geahndet werden99 - weshalb im übrigen ein schuldhaftes Verhalten nicht vorausgesetzt wird 1oo • Die praktische Bedeutung der genannten Vorschriften ist äußerst gering. Namentlich im Aktienrecht ist kein Auflösungsverfahren nach § 396 AktG bekannt 101 • Dies erklärt sich vor allem daraus, daß derartige Maßnahmen der Eingriffsverwaltung dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliegen. Bereits an der Geeignetheit einer Auflösung dürfte es zumeist fehlen, da das Gesetz keine flankierenden Befugnisse der Behörde vorsieht, um die Gesellschaft auch tatsächlich "aus der Welt zu schaffen": Es erfolgt weder eine Auflösung des Managements, noch bestehen wirksame Sanktionsmöglichkeiten, um eine zügige Abwicklung der juristischen Person zu gewährleisten. Darüber hinaus wären stets auch die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Konsequenzen einer solchen Maßnahme zu bedenken 102. 5. Zur Unternehmensgeldbuße nach EG-Recht
Auch das supranationale Recht der Europäischen Gemeinschaften kennt die Möglichkeit, gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Geldbußen festzusetzen 103, wobei mit dem Begriff des Unternehmens natürliche wie juristische Personen gemeint sind 104 • Was den Kreis der Individuen angeht, deren Verhalten zugerechnet wird, so ist er nicht auf die gesetzlichen
98 Statt aller Hachenburg-Ulmer, § 62 Rdn. 2. 99 Vgl. Scholz-K.Schmidt, § 62 Rdn.5. 100 Vgl. zur GmbH: Scholz-K.Schmidt, § 62 Rdn.4; für das Aktienrecht: GroßkommentarKlug, § 396 Anm. 8; a.A. Kölner Kommentar-Zöllner, § 396 Rdn. 2. 101 Vgl. Kölner Kommentar-Zöllner, § 396 Rdn. 2. 102 Hingewiesen sei darüber hinaus auf die Vorschriften der §§ 3, 17 VereinsG sowie auf Art. 21 Abs. 2 GG. Vgl. dazu v. Weber, JZ 1953, S. 293 ff., der diese Sanktion als echte Verbandsstrafe ansieht. 103 Vgl. hierzu etwa Art. 17 - 19 der VO Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gern. Art. 79 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung der EWG vom 27.6.1960 (BGBI 1960 11, S. 2209 ff.); Art. 15 der VO Nr. 17 des Rates der EWG vom 6.2.1962, abgedruckt bei von der GroebenJThiesing/Ehlermann, Anhang zu Art. 87. Weitere Nachweise bei Müller, S. 32; von der Groeben/Thiesing/Ehlermann-SchröterlJakob-Sieben, Art. 87 - 2. Teil, Rdn. 7 ff. 104 Vgl. etwa Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 8. Die Sanktion knüpft damit letztlich an die untemehmenstragende Rechtspersönlichkeit an; vgl. Müller-Guggenberger-Richter, § 4 Rdn. 12.
C. Sanktionsmöglichkeiten de lege lata
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Vertreter beschränkt, sondern umfaßt alle befugterweise für das Unternehmen handelnden Bediensteten I 05 • Ihrer Rechtsnatur und Funktion nach wird diese EG-rechtliche Sanktion überwiegend der Geldbuße des deutschen Ordnungswidrigkeitenrechts gleichgestellt; der Charakter einer Kriminalstrafe komme ihr nicht zu106. Im Unterschied zu der bis 1986 in Deutschland bestehenden Rechtslage war die EG-Geldbuße jedoch nie als Nebenfolge konzipiert gewesen. Das europäische Recht hat das Unternehmen - resp. dessen Träger - vielmehr stets für selbständig sanktionsfähig gehalten l07 . Das Hauptanwendungsgebiet der EG-Unternehmensgeldbuße ist das Wettbewerbs- und Kartellrecht lO8 . Hier können Unternehmen Bußgelder in Höhe von bis zu 10 % ihres Jahresumsatzes auferlegt werden lO9 •
105 Vgl. von der Groeben/Thiesing/Ehlermann-SchröterIJakob-Sieben, Art. 87 - 2. Teil, Rdn. 8; Tiedemann, in: Festschrift für Hans-Heinrich Jescheck, S. 1419 f.; ders., in: NJW 1986, S. 1842. I.E. ebenso im Hinblick auf die ordnungsstrafrechtlichen Vorschriften des Schumanplans Jescheck, in: ZStW 65 (1953), S. 509 106 Vgl. zum Meinungsstand eingehend Winkler, S. 50 ff., 63 Cf. m.w.N.; ferner Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 8; Müller, S. 32. 107 Vgl. Müller-Guggenberger, § 19 Rdn. 52. 108 Vgl. Müller-Guggenberger-Richter, § 4 Rdn. 13 ff. 109 Vgl. Müller-Guggenberger-Richter, § 4 Rdn. 12 m.w.N.
2. Kapitel
Der Meinungsstand zur Kriminalstratbarkeit juristischer Personen Die dogmatische Diskussion um die Zulässigkeit einer Verbandsbestrafung kreist um vier Fragen: Ist eine juristische Person im strafrechtlichen Sinne handlungsfähig? Kann sie schuldhaft handeln? Ist sie straffähig? Ist ihre Bestrafung gerecht? A. Handlungsfähigkeit Im Zusammenhang mit der Frage, ob juristische Personen fähig sind, im strafrechtlichem Sinne zu handeln, werden zwei unterschiedliche Ansätze diskutiert: Zum einen ist denkbar, daß der Verband selbst handelt, und zum anderen, daß ihm Handlungen seiner Repräsentanten als eigene zugerechnet werden. I. "Eigene" Handlungen der juristischen Person?
Seit langem umstritten ist die Frage, welche Anforderungen an den Handlungsbegriff des Strafrechts zu stellen sind. Allen Auffassungen liegt allerdings das Verständnis zugrunde, eine strafrechtliche Handlung bestehe jedenfalls aus zwei Komponenten: einem Willen und einem - irgendwie gearteten Verhalten!. Eine Mindermeinung im Schrifttum bejaht die Fähigkeit einer juristischen Person, "selbst" strafrechtlich zu handeln, also einen spezifischen "Verbandswillen" bilden und diesen umsetzen zu können. Diese Auffassung beruht auf Uneinigkeit besteht insbesondere dalÜber, ob die strafrechtliche Handlung lediglich "ein vom Willen getragenes Verhalten" darstellt (kausale Handlungslehre, vgl. etwa Mezger, S. 91 ff.), ob ihr Wesen in einer "Ausübung der Zwecktätigkeit" (fmale Handlungslehre, vgl. etwa Welzel, S. 33 ff.) oder aber in der "Sozialerheblichkeit" des Verhaltens (soziale Handlungslehren, vgl. etwa Jescheck, § 23 IV, S. 199 ff.) gesehen werden soll. Vgl. zum Ganzen etwa Hirsch, ZStW Bd. 93 (1981), S. 831 ff. und ZStW Bd. 94 (1982), S. 239 ff., jeweils m.w.N.
A. Handlungsfähigkeit
43
einer Gleichsetzung der Körperschaft mit der Gesamtheit ihrer Mitglieder2 : Die Bildung eines sich von den Einzelwillen der beteiligten Individuen abhebenden Sonderwillens der juristischen Person sei zunächst in einer einstimmigen Beschlußfassung der Gesellschafter zu sehen3 . Ein Verbandswille manifestiere sich aber auch in einer bloßen Mehrheitsentscheidung: Indem sich das einzelne Mitglied bei seinem Verbandsbeitritt der Satzung und damit auch den dort geregelten Modalitäten einer Beschlußfassung unterwerfe, erkläre es zugleich, in bestimmten Fällen die Mehrheitsentscheidung auch bei einer im Einzelfall abweichenden eigenen Auffassung als Willen des Kollektivs anzuerkennen4 . Das "Verbandsverhalten" liege dann - so die Argumentation - in der Umsetzung des gebildeten Entschlusses durch ein Organ5 oder jede beliebige Einzelperson6 . Diesem Ansatz wird überwiegend entgegengehalten, bei einer juristischen Person sei weder ein "Wille" noch ein "Verhalten" denkbar7 • Das Strafrecht gehe von der Handlung als "natürliches, dem Recht schon irgendwie vorgegebenes Gebilde"8 aus. In diesem Sinne handeln könne nur das Individuum9 • Bedenken erwecke insbesondere die Begründung eines sich durch bloßen Mehrheitsbeschluß bildenden "Verbandswillens"lO: Zum einen akzeptiere das beitretende Mitglied die Satzung in der Regel nur unter der Voraussetzung, daß sich die Organe an Recht und Gesetz hielten; eine vorweggenommene Billigung aller ihrer Handlungen, also auch eines delinquenten Verhaltens beinhalte ein solches Einverständnis hingegen nicht. Zum anderen könne von einer freiwilligen Unterwerfung des Mitglieds unter die Satzung jedenfalls bei 2 So vor allem Hafter, S. 76; ferner Busch, S. 27 f., der eine Handlungsfähigkeit juristischer Personen allerdings letztlich mit Hilfe der Zurechnungslösung (dazu vgl. unten Kap. 2, A 11.) begriindet.
3 Vgl. Busch, S. 164; wohl auch Jescheck, ZStW Bd.65 (1953), S. 213; ähnlich Jakobs, Kap. 6 Rdn. 45, S. 149 sowie Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 611.
Vgl. Hafter, S. 80 f.; ähnlich Busch, S. 28. Vgl. Busch, S. 164. 6 Vgl. Hafter, S. 84 f. 7 Vgl. R.Schmitt, S. 181. 8 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 24. 9 Die Handlungsfähigkeit von Verbänden verneinen RGSt 16, 123; 28, 105; 33, 264; Bruns, JZ 1954, S. 12; Schönke/Schröder-Cramer, Vor § 25 Rdn. 113; Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 43; Jescheck, § 23 V I, S. 204 (v gl. aber auch ders., ZStW Bd. 65 (1953), S. 212); Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 53 FN 21; MaurachfZipj, AT I, § 1511 A, S. 181 f.; Niese, JZ 1954, S. 463; Rebmann-RothlFörster, Vor § 30 Rdn. 5; Roxin, AT, Bd. I, § 8 Rdn. 55, S. 154; Schmidhäuser, AT, Kap 8/15, S. 195 f.; Seiler, S. 50 ff.; Wesseis, AT, § 3 11 3, S. 25; WilmannslUrbach, BB 1953, S. 102; weitergehend R.Schmitt, S. 181 ff., der die Handlungsfähigkeit von Verbänden auch für das Zivil- und Verwaltungsrecht ablehnt (S. 186). 10 Vgl. R.Schmitt, S. 184 f.; Seiler, S. 59; ferner Ackermann,S. 209; Goetzeler, S. 223 ff.; V.Kaiser, S. 22. 4 5
44
2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
Zwangskörperschaften nicht die Rede sein. Hinzu komme, daß die Organe juristischer Personen vielfach auf eigenen Entschluß handelten. Auch in diesen Fällen versage die Konstruktion eines Verbandswillens aufgrund antizipierten Einverständnisses mit den Statuten I I. Darüber hinaus wird gegen die Begründung eines Verbandsverhaltens eingewendet, die Mindenneinung stelle in Wahrheit auf die Körperbewegung des den "Verbandswillen" ausführenden Individuums ab. Dieser Einzelmensch könne mit der Körperschaft jedoch nicht gleichgesetzt werden l2 . 11. Zurechnung der Handlungen von Verbandsorganen? Einige Autoren 13 sprechen sich dafür aus, der juristischen Person de lege ferenda das delinquente Verhalten ihrer Organe als eigenes zuzurechnen und ihr so zu einer, wenn auch nicht natürlichen, so doch "juristischen Handlungsfähigkeit" zu verhelfen. Eine derartige Lösung wird auch vom Bundesverfassungsgericht l4 und vom Bundesgerichtshof1 5 für möglich gehalten. Die Befürworter dieser Konzeption verweisen insbesondere auf das Zivilrecht: Als notwendiges Korrelat ihrer Teilnahme am Rechtsverkehr rechne schließlich auch § 31 BGB den juristischen Personen und Personenvereinigungen nicht nur die rechtsgeschäftlichen, sondern auch die deliktischen Handlungen ihrer Organe als eigene zu16: "Wer Verträge schließen kann, der kann auch betrügerische und wucherische Verträge schließen"(Franz von liszt I7 ).
Dieser Argumentation wird zum einen entgegengehalten, die Möglichkeit, Verträge zu verletzen oder unerlaubte Handlungen zu begehen, besage aber noch nichts für die Frage, ob eine juristische Person auch im strafrechtlichen II Vgl. Seiler, S. 56 f. 12 Vgl. R.Schmitt, S. 182 f.; Seiler, S. 56 f. 13 Vgl. Baumann/Weber, AT, § 1611 3 a), S. 196; Brender, S. 55 ff.; Busch, S. 69 f.; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 84 f.; Jakobs, Kap. 6 Rdn. 44 f., S. 149; Jescheck , ZStW Bd. 65 (1953), S. 212 - vgl. aber auch ders. § 23 V 1, S. 204; v.liszt, § 28 I 2, S. 127; Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 489. M.E.Mayer, Kap. 3, A I 3, S. 96; Mezger, S. 93; Müller, S. 19; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 197 f.; ImmengaJMestmäcker-Ttedemann, Vor § 38 Rdn. 50. 14 Vgl. BVerfGE 20, 323, 336. 15 Vgl. das - allerdings auf besatzungsrechtlicher Grundlage ergangene - "Berliner Stahlhändlerurteil" BGHSt 5,28,31; zustimmend etwa Blau, MDR 1954, S. 467. 16 Vgl. Baumann/Weber, AT, § 16 11 3 a), S. 196; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 84 f.; Rotberg , in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 197 f. 17 Lehrbuch, § 28 12, S. 128 FN 3.
B. Schuldfähigkeit
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Sinne handeln könne l8 . Zwingend sei der Schluß von der zivilrechtlichen auf die strafrechtliche Handlungsfähigkeit jedenfalls nicht l9 . Zum anderen wird eingewandt, die Zurechnung einer Handlung sei etwas anderes als die Handlung selbst2o . Sie stelle eine Fiktion, eine "juristische Notlüge"21 dar. Dieser Argumentation halten die Befürworter einer Handlungsfähigkeit juristischer Personen die Vorschrift des § 30 OWiG entgegen: Die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße knüpfe ebenfalls an eine individuelle Handlung, die des Organs, an, die der juristischen Person als eigene zugerechnet werde22 . Das Prinzip der Handlungszurechnung sei aber auch dem Kriminalstrafrecht nicht fremd. Dies zeige ein Blick auf die Teilnahmelehre, wo beispielsweise der mittelbare Täter so behandelt werde, als habe er die vom Tatmittler begangene Tat eigenhändig verwirklicht23 , 24 B. Schuldfähigkeit Besonders problematisch ist die Frage, ob juristische Personen in der Lage sind, sich im kriminalstrafrechtlichen Sinne schuldig zu machen. I. Unanwendbarkeit des kriminalstrafrechtIichen Schuldbegriffs auf Verbände
Die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum hält juristische Personen für schuldunfähig 25 ; der Satz "societas delinquere non potest" sei letztlich Ausdruck des Prinzips "nulla poena sine culpa"26. Man argumentiert, der sozialethisch geprägte Schuldbegriff des Strafrechts lasse sich nicht auf Ver18 Vgl. MaurachfZipf, AT I, § 1511 2 A, S. 181; ferner Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 491 f.; 7ieschang, S. 384 f. 19 Vgl. Kohler, GA Bd. 64 (1917), S. 502. 20 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 24. Ähnlich Roxin, AT, Bd. I, § 8 Rdn. 55, S. 154. 21 Seiler, S. 60. 22 Vgl. Müller, S. 19.
23 Vgl. Tiedemann, NJW 1988, S. 1172; ferner Ackermann, S. 215 ff. 24 Eine Stellungnahme zu diesen Argumenten erfolgt in Kap. 6. 25 Vgl. Brender, S. 59 ff.; Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages,
Bd. 11, S. E 24 f.; Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 43; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 85; Huss, ZStW Bd. 90 (1978), S. 238 f.; Jescheck, ZStW 65 (1953), S. 213; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 53; Lange, JZ 1952, S. 262 ff.; Rebrnann-Roth/Förster, Vor § 30 Rdn. 5; Wilmanns/Urbach, BB 1953, S. 102; 26 Vgl. Hafter, Lehrbuch, S. 72; Lange, JZ 1952, S. 263.
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2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
bände übertragen. Eine freie, verantwortliche, sittliche Selbstbestimmung nach Auffassung des Bundesgerichtshofs27 der innere Grund des Schuldvorwurfs - sei nur beim Menschen, nicht aber bei juristischen Personen denkbar. Allein einem Individuum könne sinnvollerweise vorgeworfen werden, sich von den Anforderungen der Rechtsordnung nicht motiviert haben zu lassen28 . Dieser Argumentation ist von einigen Autoren entgegengehalten worden, sie verwische die Grenzen zwischen ethischer und rechtlicher Betrachtungsweise. Auch Kollektiven würden von der Rechtsordnung Pflichten auferlegt, für deren Erfüllung sie einzustehen hätten. Im Fall der Vernachlässigung derartiger Obliegenheiten könne einem Verband ebenso wie einem Individuum ein diesbezüglicher Vorwurf gemacht, über ihn ein rechtliches Werturteil gefällt werden. In gleicher Weise müsse sich ein Tadel aber auch darauf stützen lassen, eine juristische Person habe eine Rechtspflicht nicht erfüllt, deren Vernachlässigung strafbewehrt sei29 . Ähnlich argumentiert Rotberg30 . Ausgehend von der Möglichkeit, Verbände für unerlaubte Handlungen zur Verantwortung zu ziehen, untersucht der Autor die Unterschiede zwischen zivilrechtlichem und strafrechtlichem Verschulden. Er kommt zu dem Ergebnis, der Gesichtspunkt der sozialethischen Vorwerfbarkeit, an dem eine strafrechtliche Schuldfähigkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen nach überwiegender Auffassung scheitern soll, eigne sich nicht als Unterscheidungskriterium: Auch im Recht der unerlaubten Handlungen - insbesondere beim Tatbestand des § 826 BGB - sowie im Vertragsrecht und im Bereich des § 1 UWG würden sittliche Unwerturteile über juristische Personen gefällt, werde ihnen gegenüber ein sozialethischer Vorwurf erhoben. Umgekehrt nehme der Schuldvorwurf auch im Strafrecht nicht immer sittliche Färbung an, nämlich vor allem im Bereich der Fahrlässigkeit31 . Gegen eine Schuldunfähigkeit juristischer Personen wird zuweilen32 auch deren Beleidigungsfähigkeit33 angeführt: Aus der Anerkennung einer selb27
BGHSt 2, 194 ff.
28 Vgl. Brender, S. 60 f.; Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd.
11, S. E 24 f.; Jescheck, ZStW Bd. 65 (1953), S. 213; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 85; Welzel, S. 139; Zieschang, S. 385 f.; ähnlich Huss, ZStW Bd. 90 (1978), S. 238 f., der auf die Urunöglichkeit der Bildung eines Vorsatzes abstellt. 29 Vgl. v. Weber, GA 1954, S. 240, zustimmend Pohl-Sichtermann, S. 7. 30 In: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 199 ff. 31 Dagegen etwa Niese, JZ 1954, S. 464. 32 Vgl. Bockelmann, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 329; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 201 f. Zustimmend Ackermann, S. 227. Ferner - unter Bezugnahme auf das Ordnungswidrigkeitenrecht - Karlsruher KommentarGramer, § 30 Rdn. 12. 33 Vgl. dazu etwa BGHSt 6, 186; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 91 ff. m.w.N.
B. Schuldfahigkeit
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ständigen Kollektivehre ergebe sich umgekehrt die Möglichkeit, einer juristischen Person im Fall eines Mißbrauchs ihrer Rechtsstellung diesen sittlichen Wert abzusprechen, also einen entsprechenden sozialethischen Vorwurf gegen den Verband zu erheben. Die Gegenauffassung argumentiert, Schuld und Ehre seien unterschiedliche Begriffe. Die Bejahung der passiven Beleidigungsfähigkeit juristischer Personen bedeute nicht zugleich auch die Zuerkennung ihrer aktiven Verbrechensfähigkeit34 . 11. Ansätze zur Begründung einer Schuldfähigkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen
Auf der Grundlage seiner Überzeugung, daß es einen vom Individualwillen der einzelnen Mitglieder verschiedenen Sonderwillen des Kollektivs ("Verbandswillen") gebe 35 , hatte Hafter - jedenfalls in seiner frühen Monographie36 - keine Bedenken gegen die Annahme eines schuldhaften Verbandswillens und damit gegen eine Schuldfähigkeit juristischer Personen37 . Auch Busch hält eine Verbandsbestrafung grundSätzlich für möglich. Den Ausgangspunkt seiner Argumentation bildet die Überlegung, im Fall der Delinquenz eines Organs beziehe sich das gesellschaftliche Unwerturteil nicht nur auf diese individuelle Tat, sondern darauf, daß das Delikt für die Körperschaft begangen worden sei, dieser einen Vorteil bringen sollte38 . Für die Bevölkerung stelle sich das kriminelle Handeln des Täters als Äußerung eines normativen Verbandsgeistes dar, als einer in der Gemeinschaft herrschenden geistigen Atmosphäre, die die Begehung von Straftaten ermögliche und verursache 39 . Dieser innerhalb der juristischen Person herrschende Geist könne allerdings nicht allein zum Gegenstand eines Schuldurteils gemacht, sondern es müsse darüber hinaus eine Schuldbeziehung des einzelnen Mitglieds zum Verbandsdelikt festgestellt werden40 . Diese begründet Busch wie folgt: Jeder Tätigkeit, die im Zusammenwirken der Mitglieder eines Verbandes erfolge, werde durch den Zusammenschluß der Individuen zur Körperschaft zu erhöhter Wirksamkeit verholfen. Aus demselben Grunde bringe ein pflichtwidriges Verhalten allerdings auch eine größere sozialschädliche Wirkung mit sich. 34 Vgl. V.Kaiser, S. 26; Seiler, S. 88 f. Kritisch auch Brender, S. 59; Rothenpieler, S. 287 f. 35 Vgl. dazu bereits oben Kap. 2, A I. 36 In seinem 13 Jahre später erschienenen Lehrbuch, S. 64, vertritt Hafter die Gegenauffassung - ohne auf seine frühere Veröffentlichung einzugehen. 37 Vgl. S. 93 ff. Kritisch etwa R.Schmitt, S. 194. 38 Vgl. S. 113. 39 Vgl. S. 165, 185. 40 Vgl. S. 158.
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2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
Daraus ergebe sich für das einzelne Verbandsmitglied eine gesteigerte Sorgfaltspflicht gerichtet auf die Verhinderung derartiger Normwidrigkeiten. Die schuldhafte Verletzung einer solchen Verbandspflicht durch alle Angehörigen der juristischen Person rechtfertige eine kollektive Bestrafung und begründe einen Schuldvorwurf gegenüber der Körperschaft41 .
Busch wird entgegengehalten, er befürworte eine "Verurteilung aller Einzelnen unter einer Kollektivbezeichnung"42. Abgesehen davon, daß es dazu des Umwegs über eine Verbandsbestrafung gar nicht erst bedürfe43 , verstoße ein solcher Ansatz auch gegen den Grundsatz, daß jeder nur nach dem Maß seiner eigenen Schuld zu bestrafen sei (§ 29 StGB)44. Einige Autoren45 sowie das Bundesverfassungsgericht46 halten es für möglich, einer juristischen Person nicht nur die Handlungen, sondern auch das Verschulden ihrer Organe als eigenes zuzurechnen. Man argumentiert, das Recht sei frei in der Bestimmung, wer letztlich die Verantwortung für eine Verfehlung zu tragen habe, wem also ein Rechtsverstoß zuzurechnen sei47 . Die Vorschrift des § 31 BGB, die dem Verband ein schuldhaftes48 Verhalten seiner verfassungsmäßig berufenen Vertreter als eigenes Handeln zurechne, sei dafür ein Beispiel. Auch auf das Ordnungswidrigkeitenrecht wird hingewiesen: Dort, wo das Schuldprinzip ebenso wie im Kriminalstrafrecht Geltung beanspruche, sehe die Vorschrift des § 30 OWiG ebenfalls eine Schuldzurechnung vor4 9 . 41 Vgl. S. 177. Busch räumt allerdings ein, daß sich die schuldhafte Verletzung der eIWähnten Hinderungspflichten in der Regel nicht bei allen Verbandsgenossen feststellen lasse. Der Autor will in diesen Fällen als Ausweg zu einer Schuldvermutung greifen, vgl. S. 178 ff. Dennoch hält er eine Verbandsstrafe nicht für ungerecht. Er rechtfertigt sie mit dem Gedanken der Schicksalgemeinschaft (S. 187 ff.); vgl. dazu näher unten Kap. 2, D I. 42 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. E. 25, im Anschluß an Lange, JZ 1952, S. 262. 43 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. E 26. 44 Vgl. Lange, JZ 1952, S. 262; Wilmanns/Urbach, BB 1953, S. 102. 45 Vgl. Ackermann, S. 231; Baumann/Weber, AT, § 23 III 1 b), S. 263 f.; Möhrenschlager, wistra 1983, S. 52; Münn, S. 54 f.; Seiler, S. 81; ImmengaJMestmäcker-Tiedemann (1. Aufl.), Vor § 38 Rdn. 49; Weber, ZStW Bd. 96 (1984), S. 411; wohl auch Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 85 und R.Schmitt, S. 194. Ähnlich Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 617 f. 46 E 20, 323, 336. 47 Vgl. Baumann/Weber, AT, § 23 111 1 b), S. 363 f; ebenso Ackermann, S. 231; ImmengaJMestmäcker-Tiedemann (1. Aufl.), Vor § 38 Rdn. 49; v. Weber, DRiZ 1951, S. 155 f.; U. Weber, ZStW Bd. 96 (1984), S. 411 f. 48 Die Zurechnung greift auch bei schuldlosem Verhalten ein, vgl. Palandt-Heinrichs, § 31 Rdn.2. 49 Vgl. den Diskussionsbeitrag von Münn, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 71. Zur Geltung des Schuldprinzips im Ordnungswidrigkeitenrecht auch BVerfGE 20, 323, 333.
B. Schuldfähigkeit
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Gegen diese Argumentation wird vor allem eingewendet, der Schuldbegriff sei untrennbar mit der personalen Qualität des Menschen verbunden. Eine Lösung vom Individuum hin zum Verband beraube ihn seiner spezifischen Bedeutung50 . Eine Zurechnung sei im übrigen vielfach nicht sachgerecht, vor allem dann, wenn die Schuld des Handelnden gering zu veranschlagen sei, während innerhalb der Verbandsleitung der Unrechtsgehalt der Tat voll erkannt werde51 . Einen weiteren Ansatz zur Begründung einer Schuldfähigkeit juristischer Personen vertritt Müller52 • Der Autor befürwortet eine "Entmythologisierung" des Schuldbegriffs: Schuld sei in erster Linie rational zu begründen, also nicht als sittlich-moralisches, sondern als soziales Phänomen, als Zurückbleiben hinter den Anforderungen der Sozietät53 . Als Folge ihrer im Vergleich zu Privatleuten gesteigerten Verantwortung im sozialen Leben komme Verbänden die Aufgabe zu, deliktischem Verhalten ihrer Angehörigen durch entsprechende Kontrollmechanismen entgegenzuwirken. Die Rechtfertigung einer Verbands strafe sieht Müller dementsprechend in einer "Mitwirkung" des Verbandes an der konkreten Tat des Organs: Die Bildung einer "kriminellen Verbandsattitüde" , die entweder beim Handelnden einen Tatvorsatz hervorgerufen oder ihn bei der Deliktsbegehung unterstützt habe, sei stets die Folge eines Versagens der verbandsinternen Kontrolle. Der juristischen Person würde insofern nicht bloß ein fremdes Verschulden zugerechnet, sondern sie hafte für eine eigene Pflichtverletzung, nämlich für die pflichtwidrige Vernachlässigung der Mechanismen zur Verhinderung eines "kriminellen Verbandsgeistes" als eigentlicher Ursache der konkreten Tat. Diese Begründung einer Verbandsstrafe verstoße - so ihr Verfechter - nicht gegen den Satz "nulla poena sine culpa". Jenes Pinzip ziele lediglich darauf ab, eine auf bloßem Zufall beruhende Strafbarkeit zu verhindern - also eine solche, bei der unter keinem erdenkbaren Gesichtspunkt von Schuld gesprochen werden könne. Eine inhaltliche Festlegung auf einen bestimmten Begriff von Schuld werde dagegen nicht getroffen. Da die Verantwortlichkeit juristischer Personen an eine Pflichtverletzung des Verbandes anknüpfe, stelle sie gerade keine Haftung aufgrund Zufalls dar.
50 Vgl. Brender, S. 59 f.; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 85; V.Kaiser, S. 27; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 53 FN 21; Zieschang, S. 386. 51 Vgl. Müller, S. 20 ff. 52
Vgl. S. 22 ff.
53 Ähnlich sieht Ackermann, S. 232 die Schuld der einzelnen juristischen Person in einem "Zurückbleiben hinter dem Maß an Rechtsgesinnung, Sorgfalt und Willenskraft, das die Rechtsordnung von der durchschittlichen juristischen Person elWartet" . 4 Ehrhardt
50
2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
An diesen Ansatz ist vor allem sein Ausgangspunkt, die Abwendung von einem sittlich-moralischen und die Befürwortung eines "sozialen" Schuldbegriffs, kritisiert worden: Im Kriminalstrafrecht gehe der gegen den Täter gerichtete Vorwurf über einen rein sozialen Pflichtenappell hinaus. Er stelle in erster Linie einen ethischen Tadel dar, der sich an das Rechtsgewissen des Delinquenten wende und demzufolge eine - nur dem Menschen zukommende rechtliche Einsichtsfähigkeit voraussetze54. C. StratTäbigkeit Ein weiterer Diskussionspunkt bei der Frage nach einer kriminalstrafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen ist deren Straffähigkeit. Zahlreiche Autoren55 verneinen die Möglichkeit, Verbände mit einer Kriminalstrafe zu treffen. I. Strafunempfänglichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen?
Teilweise56 wird als Argument gegen eine Bestrafung von Verbänden angeführt, das bestehende Strafensystem sei auf sie unanwendbar, juristischen Personen fehle die "Strafempfanglichkeit". Selbst die Geldstrafe als einzige unter den gesetzlich vorgesehenen Strafsanktionen, die überhaupt in Betracht komme, ließe sich nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung nicht gegen Verbände verhängen: Eine bei Uneinbringlichkeit an ihre Stelle tretende Ersatzfreiheitsstrafe57 sei in diesem Fall nicht durchzusetzen58 .
54 Vgl. Brender, S. 60 f. 55 Vgl. Bockelmann, in: Deutsche Beiträge, S. 65; Brender, S. 63; Engisch, in: Verhand-
lungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 14 ff.; Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 43; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 86; Huss, ZStW Bd. 90 (1978), S. 239; Jescheck, ZStW Bd. 65 (1953), S. 213; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 54 FN 21; R.Schmitt, S. 196; Seiler, S. 87 ff. 56 Vgl. Goetzeler, S. 229; Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 496; ähnlich Huss, ZStW Bd. 90 (1978), S. 239 ff. 57 Heute § 43 StGB. 58 Vgl. Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 496.
C. Straffähigkeit
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11. Unvereinbarkeit einer Verbandsbestrafung mit dem Wesen der Kriminalstrafe?
Im Vordergrund der Diskussion um eine Straffähigkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen steht das Argument, die Verhängung einer Kriminalstrafe gegen einen Verband sei unvereinbar mit dem Wesen dieser Sanktion. So wird zum Teil die Auffassung vertreten, zum Begriff der Strafe gehöre notwendig, daß die intendierte Übelzufügung vom Sanktionierten auch als solche empfunden werde - worin sich diese Sanktion von sonstigen rechtsgüterbeeinträchtigenden Maßnahmen unterscheide. Das durch die Bestrafung hervorgerufene Schmerzgefühl diene als Sühne und Genugtuung. Die Verhängung von Kriminalstrafen gegenüber juristischen Personen scheitere daran, daß diese zu den geschilderten seelischen Vorgängen nicht in der Lage seien59 . Dem wird von anderer Seite entgegengehalten, eine Strafe werde im Fall ihrer Verhängung gegen einen Verband "mittelbar" empfunden, nämlich indem sie auf dessen Mitglieder wirke60 . Im übrigen stelle das "Leiden" des Betroffenen kein Wesensmerkmal der Strafe d~l: Setzte ihre Verhängung voraus, daß der Bestrafte sie als solche empfände, so müsse dies in letzter Konsequenz dazu führen, daß unverbesserliche und skrupellose Verbrecher straffrei zu bleiben hätten62 . Im übrigen habe die fehlende Fähigkeit juristischer Personen, das zugefügte Übel als solches zu fühlen, im Hinblick auf die Strafbemessung sogar Vorteile: Besser als bei den unterschiedlich empfindsamen Individuen könne die Höhe der Sanktion in eine gerechte Relation zur Tat gesetzt werden63 . Der Haupteinwand gegen eine Straffähigkeit juristischer Personen lautet, die Verhängung einer Kriminalstrafe bedeute, daß ein öffentliches sozialethisches Unwerturteil über den Täter wegen der von ihm begangenen Rechtsverletzung gefällt werde64 • Strafe stelle die sozialethisch richtige, zur Resozialisierung des Täters geeignete Behandlung d~5. Adressat des der 59 Vgl. Kohler, GA Bd. 64 (1917), S. 503; ebenso Hafter, Lehrbuch, S. 64 (anders noch in seiner Monographie, S. 126 f.); wohl auch Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 46 und Eb.Schmidt, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 326. 60 Vgl. Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 615 f. 61 Vgl. R.Schmitt, S. 196; Seiler, S. 84. 62 Vgl. Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 615 f. 63 Vgl. Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 615. 64 Vgl. dazu etwa Jescheck, § 8 12 b), S. 58. 65 Vgl. Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 86.
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2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
Strafverhängung immanenten Vorwurfs könne nur sein, wer in einer bestimmten Weise gehandelt hat, obwohl er hätte anders handeln können, also nur ein Wesen, das die Fähigkeit zur Entscheidung habe - ein Mensch. Aus demselben Grund, aus dem gegen einen Verband kein Schuldvorwurf erhoben werden könne66 , sei es auch undenkbar, gegen ihn eine Strafe auszusprechen67 . Dieser Argumentation tritt vor allem Rotberg68 entgegen. Auch ein Verband sei durchaus ansprechbar für ein in der Strafe zum Ausdruck kommendes mißbilligendes Unwerturteil. Ebenso wie sich beipielsweise hohe Verluste einer Gesellschaft - etwa auch aufgrund einer Schadensersatzverpflichtung - auf die Willens bildung und -betätigung der Gesellschafter auswirkten, könne der Ausspruch einer Strafe mit ihrer diskriminierenden Wirkung die Mitglieder des Verbandes zur künftigen Rechtstreue motivieren. Auf diese Weise werde einerseits auf den oder die eigentlichen Leiter der juristischen Person eingewirkt, andererseits gebe man einer möglichen internen Opposition ein zusätzliches Druckmittel gegen die Verbandspolitik der "Machthaber" in die Hände. Dem Einwand, nur bei einem Einzelmenschen könne durch eine Strafe Erziehung und Besserung erreicht werden, wird entgegengehalten, daß eine solche "Besserung" etwa durch die Ersetzung der nicht rechtstreuen Organe oder im Wege der Einsetzung eines Sachwalters zu erzielen sei. Da bei juristischen Personen seltener als bei Individuen mit einem Rückfall zu rechnen sei, wirke die Strafe hier sogar noch nachhaltiger69 . D. Gerechtigkeit der Bestrafung juristischer Personen
Vielfach wird eine Bestrafung juristischer Personen auch als ungerecht bezeichnet. Zum einen treffe eine Verbands strafe auch oder vor allem Unschuldige. Zum anderen seien die schuldigen Individuen gleich zweifach bestraft.
66 Vgl. dazu bereits oben Kap. 2, BI. 67 Vgl. Bockelmann, in: Deutsche Beiträge, S. 65; Brender, S. 63; Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 25; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 86; Jescheck, § 23 V 1, S. 204; ders., SchwZStr Bd. 70 (1955), S. 259; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 54 FN 21; HaertellJoel-Eb.Schmidt, S. 31 f.; R.Schmitt, S. 196; Seiler, S. 87 ff. 68 In: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 203 f. Zustimmend Ackermann, S. 198; Müller, 25. 69 Vgl. Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 614 f.
D. Gerechtigkeit
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I. "Mitbestrafung" unschuldiger Verbandsmitglieder
Gegen eine kriminalstrafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen wird in der Literatur zuweilen angeführt, ein Gebot der Gerechtigkeit sei die Identität von Täter und Bestraftem. Die gegen den Verband verhängte Strafe treffe jedoch praktisch ihre Mitglieder und darunter befänden sich in der Regel auch solche, die an der Tat völlig unschuldig seien7o • In dem Fall, in dem das handelnde Organ gar nicht oder nicht mehr Mitglied des Verbandes sei, werde die Strafe überhaupt ausschließlich von Unschuldigen getragen71 . Diese Erwägungen seien von der Art der Sanktion im übrigen unabhängig: So werde etwa auch eine gegen den Verband verhängte Ehrenstrafe von dem einzelnen Mitglied als Minderung der eigenen Ehre empfunden - ebenso wie er andererseits eine dem Verband zuteil werdende Ehrenbezeugung als eigene erlebe72 . Ungerecht sei im übrigen, daß sich das Ausmaß der "Betroffenheit" des Mitglieds von der Verbandsstrafe nicht nach dem Grad des persönlichen "Dafür-Könnens", sondern nach dem Maß der (in der Regel finanziellen) Beteiligung richte73 • Gegen diese Argumentation wird eingewandt, es müsse unterschieden werden zwischen der Frage, wer sanktioniert werde, und der, wen die Folgen einer Sanktion träfen74 . Die Strafe richte sich unmittelbar gegen den Verband als solchen, ihm und nicht den Mitgliedern gegenüber werde ein Vorwurf erhoben. Letztere würden weder zu Angeklagten noch müßten sie bei Gericht erscheinen75. Ebensowenig würden sie durch die Verbandsstrafe zu Vorbestraften76 - allerdings müsse dem durch die Einführung eines eigenen Verbandsstrafregisters de lege ferenda äußerlich Rechnung getragen werden77 .
70 Vgl. Baldus, in: Niederschriften, Bd. I, S. 319; Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 26 ff.; Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 43; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages. Bd. I, S. 89; Jescheck, SchwZStr Bd. 70 (1955), S. 259; ders., in: Niederschriften, Bd. IV, S. 331; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 53 FN 21; v.Lilienthal, VDA Bd. V, S. 99; R.Schmitt, S. 197 ff; Schäfer, in: Niederschriften, Bd. I, S. 318 f. Seiler, S. 92 ff. 71
Vgl. Hartung. in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 43. 72 Vgl. v.Lilienthal, VDA Bd. V, S. 99. 73 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 28.
Vgl. Hafter, S. 133; Huss, ZStW Bd. 90 (1978), S. 239. Vgl. V.Kaiser, S. 33; v. Weber, GA 1954, S. 240. 76 Vgl. v. Weber, JZ 1953, S. 294. 77 Vgl. Rotberg , in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 204. 74
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2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
Die Ungerechtigkeit des "Mitbetroffenseins " der nicht beteiligten Gesellschafter wird zuweilen noch unter einem anderen Gesichtspunkt bezweifelt. Besonders pointiert spricht Busch78 in diesem Zusammenhang von einer Schicksalsgemeinschaft der Verbandsmitglieder: Indem er sich mit anderen in einem Kollektiv zusammenfinde, um gemeinschaftlich ein bestimmtes Ziel zu verfolgen, verbinde sich der einzelne mit dem Schicksal der Gemeinschaft. Von diesem könne er sich nicht je nach Belieben loslösen; auch seine Teilhabe an der Strafhaftung des Verbandes sei insofern die Folge dieser Schicksalsverbundenheit - was sich nicht zuletzt daran zeige, daß er nicht mit seinen privaten Rechtsgütern, sondern nur mit den kollektiven Gütern hafte, und zwar nach Maß gabe seiner Beteiligung79. Die Argumentation Buschs ist in der Literatur teilweise auf Widerstand gestoßen. So wird geltend gemacht, jeder einzelne habe schon genug damit zu tun, für sein eigenes Verhalten einzustehen, so daß es ihm nicht zuzumuten sei, auch noch die Folgen dessen zu tragen, was sich andere, mit denen man möglicherweise nur aus bloßem Zufall, Unwissenheit, Leichtsinnigkeit in einem Verband vereinigt sei, zuschulden kommen ließen80 . Wenn überhaupt, dann sei der Begriff der "Schicksalsgemeinschaft" geeignet, eine Tatsache zu umschreiben, nicht aber, sie zu rechtfertigen81 . Buschs Argumentation lehne sich an das Sprichwort "mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen" an, dem sich allerdings kein strafrechtliches Prinzip entnehmen lasse, demzufolge das "Mitgehen" unbedingt das "Mithängen" rechtfertige82 . In der neueren Literatur ist - dem Ansatz Buschs nicht unähnlich - teilweise von einer Risikogemeinschaft die Rede. Das "Betroffensein" des Mitglieds von einer Verbandsbestrafung sei letztlich als Korrelat zu den Vorteilen anzusehen, die sich für den einzelnen aus seinem Beitritt zur Gemeinschaft ergäben: Durch den Zusammenschluß habe jedes Mitglied seine eigene Wirkungskraft erhöht, womit allerdings gleichzeitig auch die Gefahr eines Miß-
78 Vgl. S. 187 ff. 79 Busch, S. 188, vergleicht diese Situation mit der "Haftung" für Völkerrechtsverletzungen durch einen Staat. Auch hier werde die Gesamtheit der Angehörigen eines Staates in ihrer Schicksalsverbundenheit zur Verantwortung gezogen, auch wenn der einzelne zuvor keine oder nur geringe Möglichkeiten hatte, auf die Träger der Herrschaftsgewalt einzuwirken. Vgl. Art. 231 des Versailler Friedensvertrages vorn 28.6.1919, wo die Siegerrnächte ihre Forderungen nach Reparationen mit der "Kriegsschuld " Deutschlands begründeten; vgl. dazu näher Rothenpieler, S. 49 m.w.N. 80 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 28; LangHinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 54 FN 2l. 81 Vgl. Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 89. 82
Vgl. R.Schmitt, S. 197; Seiler, S. 94.
D. Gerechtigkeit
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brauchs derselben gestiegen sei83 . Realisiere sich die auf diese Weise geschaffene Gefahr in einem Delikt, so sei es nicht ungerecht, jeden Verbandsangehörigen an dessen Folgen teilhaben zu lassen - dieses Risiko sei er bewußt eingegangen84 . Die Gegner einer Verbands strafe halten dieser Argumentation entgegen, allein die Herbeiführung einer strafrechtlichen Gefahr rechtfertige niemals die Verhängung einer Strafe85 . Im übrigen schaffe allein der Beitritt eines Individuums zu einem Verband noch keinen gefährlichen Zustand; insbesondere würde ein deliktisches Verhalten der Organe dadurch weder gehemmt noch gefördert86 • Das einzelne Mitglied habe ohnehin in der Regel keine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Verbandsrepräsentanten87 • Sein "Betroffensein" könne ebensowenig unter Hinweis darauf legitimiert werden, es habe das Risiko von Einbußen aufgrund einer strafrechlichen Inanspruchnahme des Verbandes bei seinem Beitritt bewußt übemommen88 , denn dafür müsse es eine Verbandsstrafe erst einmal geben89 ! 11. Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung?
Einige Autoren sehen in der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einer juristischen Person auch einen Verstoß gegen den Grundsatz "ne bis in idem" (Art. 103 Abs. 3 GG). Dieser Aspekt ergibt sich daraus, daß eine Bestrafung des Verbandes es unstreitig nicht ausschließen würde, den erwiesenermaßen schuldigen Täter selbst strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. Er, der "Auslöser" des 83 Vgl. Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 205. 84 Besonders anschaulich lI.Weber, DRiZ 1951, S. 156: "Wer sich im Rahmen eines Verbandes wirtschaftlich oder politisch betätigt, muß es sich gefallen lassen, daß ihm diese Möglichkeit genommen oder beschnitten wird, wenn der Verband seine Machtstellung mißbraucht". Vgl. im übrigen Ackermann, S. 205; Bockelmann, in: Niederschriften, Bd. I, S. 307; ders., in: Deutsche Beiträge, S. 65; Bottke, wistra 1991, S. 90; Brender, S. 66; V.Kaiser, S. 33, anders allerdings S. 31; Müller, S. 27; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 205; Pohl-Sichtermann, S. 11; Schäfer, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 336; Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 617. Ebenso im Zusammenhang mit der Verbandsgeldbuße KojJka, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 323. Bereits Busch, S. 186 f., hat den Risikogedanken erwähnt, ihn jedoch nicht für allein tragfiliig zur Rechtfertigung der Verbandsstrafe gehalten. 85 Vgl. R.Schmitt, S. 198; Seiler, S. 95. 86 Vgl. Seiler, S. 95. 87 Vgl. V.Kaiser, S. 31, aber auch S. 33. 88 Vgl. etwa Busch, S. 187. 89 Vgl. R.Schmitt, S. 198; Seiler, S. 95.
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2. Kapitel: Der Meinungsstand zur Verbandsstrafe
Verbandsdelikts, dürfe keinesfalls straffrei bleiben90 - allerdings müsse - so HaftefJl - seine altruistische Motivation im Rahmen der Strafzumessung mildernd Berücksichtigung finden. Würden aber Individuum und Verband kumulativ zur Verantwortung gezogen92 , so bedeute dies nach Auffassung einiger Autoren, daß der Handelnde gleich zweifach bestraft werde, nämlich zum einen als der schuldige Täter, zum anderen dadurch, daß er als Mitglied an der Verbandstrafe Anteil habe. Dies verstoße gegen das Verbot der Doppelbestrafung93 • Im übrigen bestehe in einem solchen Fall das strafprozessuale Problem möglicherweise einander widersprechender Entscheidungen in nebeneinander laufenden Verfahren94 • Die Gegenauffassung führt an, das Verbot der Doppelbestrafung greife von vorneherein nicht ein, da es sich bei dem Verband und dem Täter rechtlich gesehen um zwei verschiedene Beschuldigte handele95 . Selbst in den Fällen vollständiger Identität von juristischer Person und Einzeltäter - bei einer sog. Einmanngesellschaft - stehe der Grundsatz "ne bis in idem" einer Bestrafung der Körperschaft nicht notwendig entgegen: Dieses Prinzip verbiete lediglich die erneute Aburteilung einer bereits rechtskräftig abgeurteilten Tat, nicht aber die Belegung eines Täters mit mehreren Sanktionen für eine Tat. Die "doppelte Betroffenheit" des Täters und gleichzeitigen Trägers der juristischen Person könne in einem solchen Fall im übrigen im Rahmen der Straf-
90 Vgl. Busch, S. 112, 123; Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. H, S. E 37 f.; Hanung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. H, S. E 44; v.Lilienthal, VDA Bd. V, S. 98; R.Schmitt, S. 213; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages Bd. H, S. 206. 91 Vgl. S. 103 ff. 92 Teilweise wird daruber hinaus vertreten, der Verband solle auch in den Fällen verantwortlich zu machen sein, in denen der einzelne Täter nicht feststellbar oder nicht zu bestrafen sei; vgl. etwa Rotberg , in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. H, S: 208. Dagegen sind vor allem rechtsstaatliche Bedenken geäußert worden, vgl. etwa Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. H, S. E 37 und Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 88, der diesen Fall mit der wahldeutigen Verurteilung einer Person vergleicht (Vgl. zu seiner Kritik am Institut der Wahlfeststellung, JZ 1952, S. 102.) Vgl. zu dieser Frage einer "anonymen" Verbandsstrafe unten Kap. 7, C III. 93 Vgl. Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. H, S. E 38; Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. H, S. E 44; Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 90; v.Lilienthal, VDA Bd. V, S. 100; ebenso Huss, ZStW Bd. 90 (1978), S. 246 f., der allerdings die Ansicht vertritt, der Gesetzgeber könne die Zu lässigkeit einer solchen Doppelbestrafung anordnen. 94 Vgl. Hanung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. H, S. E 44. Die von ihm als Beleg herangezogene Entscheidung RGSt 61, 97 ist allerdings insoweit nicht eindeutig, worauf auch R.Schmitt, S. 53, hinweist. Vgl. zur prozessualen Seite auch Heinitz, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. 90. 95 Vgl. Ackermann, S. 206; Brender, S. 66; V.Kaiser, S. 34 f.; Müller, S. 28; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. H, S. 207.
E. Zusammenfassung
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zumessung Berücksichtigung finden 96 • Das Problem einer möglichen Doppelbestrafung stelle sich abgesehen davon ohnehin nur dann, wenn das handelnde Organ auch gleichzeitig Gesellschafter sei97 . E. Zusammenfassung
Die bislang überwiegende Meinung im Schrifttum lehnt eine kriminalstrafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen ab: Verbände seien handlungs-, schuld- und strafunfähig. Überdies sei ihre Bestrafung auch ungerecht und im Hinblick auf den Grundsatz "ne bis in idem" unzulässig. Diese Argumente werden gerade in der neueren Literatur98 - nicht zuletzt mit Blick auf die erkannte kriminalpolitische Notwendigkeit einer effizienteren Bekämpfung der Untemehmensdelinquenz99 - zunehmend kritisch hinterfragt!oo.
96 Vgl. v. Weber, GA 1954, S. 239; zustimmend Pohl-Sichtermann, S. 11.
97 Vgl. v. Weber, GA 1954, S. 239. 98 Beispiele dafür bilden etwa die Ausführungen Ackermanns, S. 186 ff. und Müllers, S. 17 ff. Vgl. auch Bottke, wistra 1991, S. 55 f. und S. 89 f. sowie Stratenwenh, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 296 ff. 99 Vgl. dazu näher Kap. 5. !OO Darauf weist auch Göhler, Vor § 29a Rdn. 7 hin.
3. Kapitel
Die Festsetzung von Geldbußen gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen Angesichts der vehement geführten Diskussion um die Zulässigkeit einer Verbandsstrafe muß es auf den ersten Blick erstaunen, daß das deutsche Recht bereits auf eine mehr als fünfzigjährige "Tradition" einer Bußgeldhaftung juristischer Personen und Personenvereinigungen zurückblicken kann 1. Die grundsätzliche Frage nach der Zulässigkeit der Festsetzung von Geldbußen gegenüber Verbänden ist vor allem im Vorfeld der Einführung der Vorschrift des § 26 a.F. OWiG2 Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen gewesen. Die Diskussion - wie auch die letzten Endes getroffene gesetzgeberische Entscheidung - zeigen sich in der Rückschau allerdings in erster Linie geprägt von einem Gesichtspunkt, über den seit jeher weitgehende Einigkeit bestanden hatte: das praktische Bedürfnis nach einer derartigen Sanktionsmöglichkeit. Die juristische Person dürfe - so die Argumentation nicht bessergestellt werden als eine natürliche, was aber der Fall wäre, wenn ihr zwar die Vorteile der Betätigung ihrer Organe zuflössen, sie aber - mangels entsprechender gesetzlicher Möglichkeiten - nicht den Nachteilen ausgesetzt wäre, die als Folge einer Nichtbeachtung der Rechtsordnung eintreten könnten3 • Die herrschende Meinung rechtfertigt die unterschiedliche Behandlung juristischer Personen und Personenvereinigungen im Kemstrafrecht einerseits und im Ordnungswidrigkeitenrecht andererseits mit einem wesensmäßigen Unterschied zwischen der Festsetzung einer Geldbuße und der Verhängung einer Kriminalstrafe. Bevor auf das Institut der Verbandsgeldbuße und insbesondere auf das hinter der Vorschrift des § 30 OWiG stehende Haftungskonzept eingegangen werden kann, muß daher zunächst die Rechtsnatur von Ordnungswidrigkeit und Geldbuße im Vergleich zu Straftat und Strafe näher beleuchtet werden.
Vgl. zur Entwicklung der Bußgeldvorschriften gegen Verbände bereits oben Kap. 1, C I 1 m.w.N. 2 Vgl. etwa die Niederschriften der Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd. I, S. 295 ff., Bd. IV, S. 321 ff. 3 Vgl. etwa die Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 59.
A. Entwicklung und "Wesen" des Ordnungswidrigkeitenrechts
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A. Entwicklung und "Wesen" des Ordnungswidrigkeitenrechts I. Zur Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts4
Auch wenn sich der eigenständige Rechtszweig des Ordnungswidrigkeitenrechts in Deutschland erst in der Nachkriegszeit entwickelt hat, so war man doch bereits seit Jahrhunderten bemüht, als nicht strafwürdig angesehene Normverstöße, die ihrer Natur nach teilweise dem sog. Verwaltungs- oder Polizeiunrecht zugeordnet wurden, aus dem Anwendungsbereich des Strafrechts herauszulösen. Diese Bestrebungen scheiterten allerdings letztlich stets an der praktischen Unmöglichkeit einer sachgerechten Abgrenzung. Im Zuge der Entwicklung zum sozialen Verwaltungsstaat wurden jedoch immer zahlreichere Gebote und Verbote zur Regelung der sozialen Daseinsvorsorge geschaffen und unabhängig von ihrem materiellen Gehalt als Straftaten eingestuft. Nicht zuletzt wegen der Unüberschaubarkeit der Materie und aus der Sorge um eine Entwertung der Kriminalstrafe wurde der Ruf nach Reformen im Hinblick auf eine Ausgrenzung als nicht strafwürdig angesehener Normverstöße zu Beginn dieses Jahrhunderts immer lauter. Gesetzlichen Niederschlag haben diese Bemühungen allerdings erst im Wirtschaftsstrafgesetz von 19495 gefunden: Die strengen Bewirtschaftungvorschriften der Nachkriegsjahre hatten nach und nach jeden Staatsbürger der Gefahr ausgesetzt, wegen relativ harmloser Zuwiderhandlungen mit einer Kriminalstrafe belegt zu werden. Aus Gründen der Prävention wollte man allerdings nicht völlig auf eine Ahndung derartiger Verstöße verzichten, so daß es sich anbot, hier erstmals zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu unterscheiden. Hinzu kam, daß es zweckmäßig erschien, der großen Zahl solcher leichten Delikte mit Hilfe einer einfacheren Verfahrensregelung Herr zu werden und die Befugnis zur Festsetzung von Geldbußen auf die Verwaltungsbehörden zu übertragen. Im Jahre 1952 kam es dann mit dem Erlaß des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten6 erstmals zu einer materiell- und verfahrensrechtlichen Rahmenkodifikation für Ordnungswidrigkeiten auf allen Sachgebieten.
4 Ausführlich dazu Mattes, Halbband I, S. 5 ff. 5 Gesetz vom 26.73.1949, Gesetzblatt der Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, S. 193. 6 Gesetz vom 25.3.1952, BGBI I S. 189.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
11. Der Meinungsstand zur Rechtsnatur von Ordnungswidrigkeit und Geldbuße
1. Das "Wesen" der Ordnungswidrigkeit
Die Frage nach der Rechtsnatur der Ordnungswidrigkeit im Vergleich zur Straftat beantwortet das geltende Recht nicht; § 1 OWiG geht vielmehr von einer rein formalen Unterscheidung aus: Eine Ordnungswidrigkeit ist das, was der Gesetzgeber als solche bezeichnet, indem er an einen bestimmten Tatbestand die Festsetzung einer Geldbuße knüpft. Damit bleibt jedoch ungeklärt, wann der Gesetzgeber ein Verhalten als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit einzustufen hat, was also Ordnungsunrecht und Kriminalunrecht materiell voneinander unterscheidet. Es lassen sich hier drei Auffassungen unterscheiden: ein qualitativer Ansatz - die sog. "aliud-Theorie" -, eine quantitative und eine gemischt qualitativquantitative Betrachtungsweise. a) aliud-Theorie Nach der sog. "aliud-Theorie" besteht zwischen beiden Kategorien ein wesensmäßiger Unterschied: Straftaten stellten ethisch vorwerfbare Rechtsgutsbeeinträchtigungen dar, Ordnungswidrigkeiten lediglich ethisch wertneutralen Verwaltungsungehorsam7 . Zurückzuführen ist die aliud-Theorie insbesondere auf die Arbeiten J. Goldschmidts8 , E. Wolfs9 und Eb.Schmidts lO • Sie lag (wohl) dem Wirtschaftsstraf7 Vgl. etwa RGSt 64, 193, 195; RGSt 75, 234, 235 f.; BGHSt 11, 263, 266; OLG Köln NJW 1954, S. 245; OLG Karlsruhe NJW 1955, S. 1200; Amdt, NJW 1959, S. 1230; Baumann, JZ 1961, S. 565 (anders aber ders., JZ 1972, S. 3 FN 28); v.Heyden, S. 33 ff.; KojJka, in: Niederschriften, Bd. I, S. 300; Lange, GA 1953, S. 3; ders. JZ 1956, S. 79 und 521; Rotberg (4. Aufl.), Einführung, S. 44 ff; ähnlich Wimmer, NJW 1957, S. 1170 ff. 8 In seiner wegweisenden Monographie "Das Verwaltungsstrafrecht"(1902) geht Goldschmidt von einem Gegensatz zwischen Recht und Verwaltung, zwischen Rechtsgut und Verwaltungsgut aus (S. 539 ff.) Aufgabe des Rechts sei der Schutz individueller Rechtsgüter. Die Verwaltung sei demgegenüber vom Wohlfahrtszweck bestimmt; ihr obliege die Sicherung überindividueller, sozialer (Verwaltungs-)Güter (S. 548). Ein Verstoß gegen Verwaltungsnormen stelle in diesem Sinne keine Rechtsgutsverletzung dar, sondern eine bloße "Unterlassung der Wohlfahrtsförderung" (S. 576). Der Täter begehe in diesem Sinne kein Unrecht, sondern behindere lediglich die Erfüllung der Zwecke der Verwaltung. Strafbewehrte Verwaltungsnormen dienten mithin lediglich dazu, sich gegen den Widerstand des gegen sie Verstoßenden durchzusetzen (S. 560). 9 Anknüpfend an Goldschmidt nimmt Erik Wolf (in: Festgabe für Reinhard von Frank, Bd. 2, S. 518 ff.) eine transzendentale Sinn- (Wert-)Verschiedenheit von Justiz- und Verwaltungsstrafrecht an. Ersteres sei inhaltlich gekennzeichnet durch einen Rechts- oder Gerechtig-
A. Entwicklung und "Wesen" des Ordnungswidrigkeitenrechts
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gesetz 1949 ii sowie dem Ordnungswidrigkeitengesetz 1952 i2 zugrunde 13 und fand seinerzeit in Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend Zustimmung i4 . b) Abgrenzung nach quantitativen Gesichtspunkten Bereits unter Geltung des WiStG 1949 wurde die aliud-Theorie aber auch kritisiert und ihr eine quantitative Abgrenzung zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit gegenübergestellt. Danach unterscheidet sich das Ordnungskeitswert, während sich letzteres an dem Verwaltungszweck ausrichte (Wohlfahrtswert). In dem Verstoß gegen eine Norm des Kriminalstrafrechts liege eine Überschreitung des ethischen Minimums der Rechtsschranken, das Handeln sei illegal und unrecht. Demgegenüber zeige die Zuwiderhandlung gegen Verwaltungsnormen, die Verletzung oder Gefährdung von Wohlfahrtsgütern lediglich einen Mangel an sozialem Eifer und sozialkaritativem Verhalten (S. 525). Es werde auf diese Weise kein Individual-, sondern ein spezifisch sozialer (staatlicher) Schaden verursacht (S. 565). iO Vgl. Wirtschaftsstrafrecht, S. 20 ff.; ders., JZ 1951, S. 102; ders., JZ 1969, S. 402. Eb.Schmidt unterscheidet für das Wirtschaftsstrafrecht i.w.S. zwischen zwei verschiedenen "Interessenräumen": dem der "materiellen wirtschaftlichen Lebensinteressen" und dem der "verwaltungsmäßigen Interessen". Ersterer diene der Erhaltung der staatlichen Leistungsfähigkeit, der Wirtschaftsordnung sowie dem privaten Interesse an einer Teilhabe an Gütern und an freier wirtschaftlicher Betätigung. Aufgrund der rechtlichen Anerkennung dieses Raumes durch das Wirtschaftsrecht würden diese "materiellen wirtschaftlichen Lebensinteressen " zu Rechtsgütern, deren Schutz dem Wirtschaftsstrafrecht obliege (vgl. Wirtschaftsstrafrecht, S. 20). Eine Beeinträchtigung des Rechtsgutes "staatliches Interesse am Bestand einer bestimmten (Wirtschafts-)Ordnung" könne zum einen durch eine Tat bewirkt werden, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Staates als solche herabsetze. Aber auch eine Handlung, die die Mißachtung dieser Ordnung vor den anderen ihr Unterworfenen zum Ausdruck bringe, stelle eine Verletzung des Rechtsguts "Bestand der Ordnung" dar. Es ergebe sich die sozialethische Pflicht jedes einzelnen zur Mitwirkung an der Vermeidung von Schäden an der Wirtschaftsordnung, die letztlich die Allgemeinheit träfe. Eine sich dem widersetzende Handlung gewinne ihren Unrechtsgehalt aus der Rechtsfeindlichkeit des Täters (vgl. Wirtschaftsstrafrecht, S. 26 f.). Der Raum der "verwaltungsmäßigen Interessen" berühre demgegenüber lediglich die Beziehungen zwischen den im Bereich der Wirtschaft tätigen Verwaltungsbehörden und dem einzelnen Staatsbürger. Durch das Wirtschaftsstrafrecht (i.w.S.) geschützt würden in diesem Fall bloße "Verwaltungsgüter" (vgl. Wirtschaftsstrafrecht, S. 20). Die Zuwiderhandlung gegen Verwaltungsnormen stelle eine bloße "Lässigkeit" dar, der Täter lasse es hier an der eigentlich erforderlichen Mitwirkung am reibungslosen Verwaltungsablauf fehlen. Auf diese Weise werde lediglich ein "Verwaltungsschaden" verursacht (vgl. Wirtschaftsstrafrecht, S. 27 f.). ii Vgl. § 6 Abs. 2. Entsprechende Regelungen fanden sich in § 6 Abs. 2 WiStG 1952 und § 3 Abs. 1 WiStG 1954. Dazu auch Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 36 ff. Der Autor hat auf die Ausgestaltung dieses Gesetzes maßgeblichen Einfluß genommen. i2 Vgl. Amtliche Begründung des Entwurfs eines Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten, BTDrucks. 1/2100, S. 14 f. 13 Vgl. aber auch Jescheck, DÖV 1953, S. 543; ders., JZ 1959, S. 450; R.Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 13. i4 Die aliud-Theorie findet sich im Schrifttum in verschiedenen Spielarten, auf die hier nicht im einzelnen eingegangen werden kann; vgl. dazu die umfassende Darstellung bei Mattes, Halbband 2, S. 8 ff. m.w.N.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
unrecht vom Kriminalunrecht nur durch seinen geringeren Unrechtsgehalt. Eine darüber hinausgehende qualitative Differenz zwischen beiden bestehe nicht. Insbesondere könne nicht davon ausgegangen werden, Ordnungswidrigkeiten stellten per se sozialethisch wertneutrale Normverstöße dar l5 • c) Gemischt qualitativ-quantitative Betrachtungsweise Das Bundesverfassungsgericht hatte sich bislang mehrfach l6 mit der Frage zu befassen, ob der Gesetzgeber einen Normverstoß als Straftat oder als Ordnungswidrigkeit einzuordnen habe. Dazu entwikkelte das Gericht eine vermittelnde Ansicht ("gemischt qualitativ-quantitative Betrachtungsweise"). Strafrecht und Ordnungswidrigkeit unterscheiden sich danach in ihren "Kembereichen" qualitativ, nämlich am Merkmal der "sozialethischen Vorwerfbarkeit"; zwischen diesen "Kembereichen " liege allerdings ein Grenzbereich undeutlicher Zugewiesenheit. Hier ließen sich Ordnungsunrecht und Kriminalunrecht nur quantiativ - also nach der Schwere des Unrechtsgehaltes der Tat - unterscheiden. Dieser Auffassung haben sich auch Teile des Schrifttums angeschlossen 17. 2. Die Rechtsnatur der Geldbuße
Mit der Frage nach dem "Wesen" des Ordnungsunrechts eng verknüpft ist die nach der Rechtsnatur der Geldbuße. Nach Auffassung der Vertreter der aliud-Theorie besteht nicht nur ein qualitativer Unterschied zwischen Ordnungsunrecht und Kriminalunrecht, 15 Vgl. Baumann, JZ 1972, S. 3 FN 28; ders., ZRP 1972, S. 273 ( ders. anders noch in: JZ 1961, S. 565); Bocke/mann, in: Niederschriften, Bd. I, S. 307; Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. II, S. E 45; Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 279 FN 40; ders., Ehre und Beleidigung, S. 76 f.; ders., in: Festschrift für Karl Engisch, S. 318 f. FN 55; ders. in: LK (9. Aufl.), Vor § 51 Rdn. 11; ders., ZStW Bd. 92 (1980), S. 242 f.; Jescheck, DÖV 1953, S. 543; ders., in: Niederschriften, Bd. I, S. 298; ders., JZ 1959, S. 460 f.; V. Kaiser, S. 86; Krümpe/mann, S. 176; Lang-Hinrichsen, JZ 1970, S. 769 f.; ders., in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 57 ff.; H.Mayer, AT, § 8 III 4 a) bb), S. 47; Mattes, ZStW Bd. 82 (1970), S. 27 ff.; Schoreit, GA 1967, S. 227 ff.; R.Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 14 f.; LK-Trönd/e, § 12 Rdn. 31; U. Weber, ZStWBd. 92 (1980), S. 316; Wetzet, JZ 1956, S. 240 f. 16 Vgl. BVerfGE 8, 197,207 = NJW 1958, S. 1963, 1964; 9, 167, 171 = NJW 1959, S. 619; 22, 49, 80 = NJW 1967, S. 1219,1221; 27,18,29 = NJW 1969, S. 1619, 1621; 27, 36, 42 = NJW 1969, S. 1623, 1624; 45, 272, 289 = NJW 1977, S. 1629; 51, 60, 74 = NJW 1979, 1981, 1982. 17 Vgl. Göh/er, Vor § 1 Rdn. 8; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 57 ff., 61 (vgl. aber auch a.a.O., S. 66); MaurachfZipj AT 1, § 1 III B 2, S. 18; Rosenkötter, § 1 Anm. 2.2., S. 15; Rotberg, Einführung B, S. 47; Rebmann-Roth/Förster, Vor § 1 Rdn. 8 ff.; Tiedemann, ZStW Bd. 83 (1971), S. 799; Vogler, ZStW Bd. 90 (1978), S. 155.
A. Entwicklung und "Wesen" des Ordnungswidrigkeitenrechts
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sondern auch zwischen den jeweils verhängten Sanktionen18 . Dies Geldbuße stelle eine bloße "Pflichtenmahnung" (E. Wolf'9) dar. Thr fehle das "sittliche Pathos" einer Strafe20 , deren "ethischer Gehalt"21. Thre Verhängung ziele allein darauf ab, die Gehorsamspflicht zu verdeutlichen und eine Verletzung derselben zu bekämpfen22 . Auch das Bundesverfassungsgericht23 und ein Teil der Literatur24 vertreten die Auffassung, die Geldbuße sei von der Kriminalstrafe wesensmäßig verschieden. Der Sanktion des Ordnungswidrigkeitenrechts gehe "der Ernst der staatlichen Strafe" ab; sie berühre den "Bereich der sittlichen Persönlichkeit des Menschen" nicht25 . Die Festsetzung einer Geldbuße stelle lediglich einen Appell an den Betroffenen dar, die staatlichen Verbote und Gebote zu beachten, ohne daß dadurch sein Ansehen oder Leumund beeinträchtigt werde26 . Sie verfolge zwar dieselben general- und spezialpräventiven Zwecke wie eine Kriminalstrafe, es fehle ihr allerdings der Bezug zur Sühne27 . Ordnungswidrigkeit und Straftat unterschieden sich letztlich also nach der Art der angedrohten Rechtsfolge: Diese präge zugleich das Unwerturteil, welches in ihrer Verhängung liege. Erst durch die gesetzgeberische Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit werde einem Normverstoß der Charakter des nichtsozialethisch Bedeutsamen verliehen. Auf dessen gleichsam vor-rechtliche Einordnung komme es in diesem Zusammenhang nicht an28 . Diejenigen Autoren dagegen, die eine rein quantitative Unterscheidung zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit befürworten, sehen auch zwischen Geldbuße und Strafe keine wesensmäßige Differenz29 . 18 Vgl. Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 21; 40 f. 19 In: Festgabe für Reinhard von Frank, Bd. 2, S. 585. 20 Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 45 f. Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 48. Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 48. Vgl. BVerfGE 9, 167, 171; 22, 49, 79; 27, 18,33. Vgl. Göhler, Vor § 1 Rdn. 6; Jagusch/Hentschel, Einl. Rdn. 69; Müller, S. 41; ImmengaJMestmäcker-Tiedemann, Vor § 38 Rdn. 8; ders., Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 149. 25 BVerfGE 9, 167, 171. 26 Vgl. BVerfGE 27, 18,33.
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27 Vgl. Müller, S. 41; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 149; ferner Göhler, Vor § 1 Rdn. 9. 28 Vgl. Immenga/Mestmäcker-Tiedemann, Vor § 38 Rdn. 8; ähnlich v.Heyden, S. 29. 29 Vgl. etwa Bockelmann, in: Niederschriften, Bd. I, S. 307; Hartung, Verhandlungen des
40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 44 f.; Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 279 FN 40; ders., Ehre und Beleidigung, S. 76 f.; ders., in: Festschrift für Kar! Engisch, S. 318 f. FN 55; ders. in: LK (9. Aufl.), Vor § 51 Rdn. 11; ders., ZStW Bd. 92 (1980), S. 242 f.; V.Kaiser, S. 88 ff.; H.Mayer, AT, § 8 III 4 a) bb), S. 47; Mattes, Halbband 2, S. 288 ff., 299; R.Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 14; ferner OLG Hamburg MDR 1964, S. 73 f.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
B. Der Meinungsstand zur Festsetzung von Geldbußen gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen
Was die dogmatische Bewertung des Instituts der Verbandsgeldbuße angeht, so steht die Haltung der einzelnen Autoren in engem Zusammenhang mit der jeweils vertretenen Auffassung zum Wesen von Ordnungsunrecht und Geldbuße. Dementsprechend haben die Vertreter der aliud-Theorie3o und der gemischt qualitativ-quantitativen Abgrenzung 31 keine Bedenken gegen eine Bußgeldverantwortlichkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen. Die gegen eine Kriminalstrafbarkeit von Körperschaften bestehenden Einwände griffen hier nicht ein. Eine Geldbuße biete sich insbesondere deshalb als Verbandssanktion an, da sie nicht an ein Verschulden im Sinne eines sozialethischen Vorwurfs anknüpfe, ihre Festsetzung also kein sittliches Unwerturteil zum Ausdruck bringe. Kritik an einer Bußgeldverantwortlichkeit juristischer Personen äußern demgegenüber diejenigen Autoren, die einerseits eine Kriminalstrafbarkeit von Verbänden, andererseits aber auch die Annahme eines wesensmäßigen Unterschieds zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit ablehnen: Da weder Ordnungswidrigkeit noch Geldbuße als ethisch wertneutral zu bezeichnen seien, sehe sich die Festsetzung von Bußgeldern gegenüber juristischen Personen denselben Einwänden ausgesetzt wie deren Bestrafung32 . Die entsprechenden Gesetzesnormen stellten daher einen "Etikettenschwindel "33 dar.
30 Vgl. Haertel-Joel-Eb.Schmidt, S. 32; ferner KojJka, in: Niederschriften, Bd. I, S. 300; dies., in: Niederschriften, Bd. IV, ·S. 568; Lange, JZ 1952, S. 264; ders., in: Niederschriften Bd. I, S. 319. I.E. ebenso bereits Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 499. Ebisch (1959), § 5 Rdn. 2 und Rotberg (4.Aufl.), Einruhrung, S. 45, sehen die Möglichkeit, gegen Verbände Bußgelder festzusetzen, sogar als Bestätigung der aliud-Theorie an. 31 Vgl. Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 16 f.; Göhler, Vor § 29a Rdn. 13; Müller, S. 42; Rebmann-Roth/Förster, Vor § 30 Rdn. 7. 32 Vgl. Bockelmann, in: Niederschriften Bd. I, S. 307; Großrau, in: Niederschriften Bd. I, S. 304; Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 96 FN 10; Jescheck,in: Niederschriften, Bd. I, S. 298 sowie Bd. IV, S. 324; ders., SchwZStr Bd. 70 (1955), S. 261; ders., JZ 1959, S. 462; V.Kaiser, S. 93, 97; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift rur Hellmuth Mayer, S. 66; ders., JZ 1970, S. 797; Mezger, in: Niederschriften Bd. I, S. 318; Pohl-Sichtermann, S. 38 f. I.E. ebenso R.Schmitt, S. 216. 33 Hartung, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 44.; ebenso Hirsch, Negative Tatbestandsmerkmale, S. 279 FN 40; ders., Ehre und Beleidigung, S. 76 f.; ders., in: Festschrift rur Karl Engisch, S. 318 f. FN 55; ders. in: LK (9. Aufl.), Vor § 51 Rdn. 11; ders., ZStW Bd. 92 (1980), S. 242 f.; Jescheck, § 23 V 3, S. 205; Schmidhäuser, Kap. 8/15, S. 196 FN 2; Stratenwerth, in: Festschrift rur Rudolf Schmitt, S. 296. Ähnlich Siegert, NJW 1953, S. 529: "Fremdkörper".
C. Stellungnahme
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C. Stellungnahme I. Zum Wesen von Ordnungsrecht und Geldbuße
1. "Sozialethische Wertneutralität " des Ordnungsunrechts ? Die in § 1 OWiG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Entscheidung zugunsten einer rein formalen Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat hilft in bezug auf die hier interessierende Frage nach dem Grund für die unterschiedliche Behandlung von Verbänden im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht weiter: Sie knüpft an das Ergebnis eines Zuordnungsprozesses durch den Gesetzgeber an, trifft aber keine Aussage dazu, anhand welchen Kriteriums die Einordnung eines Normverstoßes in die Kategorie "Straftat" und eines anderen in die Kategorie "Ordnungswidrigkeit" vorzunehmen ist. Es bleibt also die Frage bestehen, ob sich beide Gattungen tatsächlich qualitativ voneinander unterscheiden34 . Muß die Ordnungswidrigkeit insbesondere ihrem Wesen nach als "sozialethisch wertneutral " bezeichnet werden35 ? Gegen eine Differenzierung nach den Kategorien "sozialethisch unwertbehafteter" und "ethisch farbloser" Normzuwiderhandlungen bestehen zunächst grundSätzliche Bedenken. Der Bereich der Sozialethik (Sozialmoral) als Teil der allgemeinen Ethik wird verstanden als "Inbegriff der sittlichen Verhaltensanforderungen, die von der Sozietät an ihre Mitglieder gestellt werden"36. In diesem Sinne sozial34 Hier außer Betrachtung bleiben die wenigen noch übrig gebliebenen sog. Mischtatbestände, vgl. dazu etwa Göhler, Vor § 1, Rdn. 33 ff. 35 Dieser Gesichtspunkt steht im Mittelpunkt der Diskussion. Eine Differenzierung von kriminellem Unrecht und Ordnungsunrecht anhand der Dichotomie Rechtsgut und Verwaltungsgut - Kernpunkt der Lehre Goldschmidts (vgl. Verwaltungsstrafrecht, S. 539 ff.) - wird heute zu Recht allgemein als überholt bezeichnet (vgl. nur Karlsruher Kommentar-Bohnert, Einl. Rdn. 94; Göhler, Beiheft ZStW 1978, S. 102; v. Heyden, S. 16 ff.; V.Kaiser, S. 57; Müller, S. 36; R.Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 14; ferner Jescheck, JZ 1959, S. 460): In einem staatlichen System, von dessen Daseinsvorsorge jeder Bürger mehr oder weniger abhängig sei, komme auch dem reibungslosen Funktionieren der Verwaltung Rechtsgutscharakter zu; vgl. Göhler, Vor § 1 Rdn. 5; Jescheck, JZ 1959, S. 461; Krümpelmann, S. 168; Mattes, 2. Halbband, S. 148; Rebmann-RothIFörster, Vor § 1 Rdn. 9. Vgl. in diesem Zusammenhang insbesondere auch Welzel, JZ 1956, S. 238 ff. und JZ 1957, S. 130 ff. gegen Lange, JZ 1956, S. 73 ff., 519 ff. Abgesehen davon sind heutzutage - nicht zuletzt infolge der sog. "Entkriminalisierung des Verkehrsstrafrechts " und der Abschaffung der Deliktskategorie der Übertretungen vom Ordnungswidrigkeitenrecht in großem Umfang Verhaltensweisen erfaßt, durch die individuelle Rechtsgüter gefährdet oder beeinträchtigt werden; vgl. dazu Gramse, BB 1984, S. 372; Krümpelmann, S. 169; Lang-Hinrichsen, JZ 1970, S. 796; Müller, S. 37; Rebmann-Rothl Förster, Vor § 1 Rdn. 8; R.Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 14. 36 H.Henkel, S. 71. S Ehrlwdl
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
ethisch unwertig sind Verhaltensweisen, die - gemessen an den Maßstäben der Ethik - dem gedeihlichen Zusammenleben der menschlichen Gemeinschaft abträglich sind. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob man eine strafrechtliche Systemfrage überhaupt mit Hilfe eines aus der Ethik entliehenen Maßstabes beantworten kann37 , impliziert obiger Ansatzpunkt, daß es überhaupt ethisch indifferente Gesetzeszuwiderhandlungen gibt. Kann eine Norm, die für sich in Anspruch nimmt, juristisch verbindlich zu sein - was insbesondere die Voraussetzung dafür ist, daß ein Verstoß gegen sie überhaupt sanktioniert zu werden vermag -, sittlich nicht verpflichtend sein? Recht und Ethik stellen Wert-und Ordnungssysteme dar, die nicht immer die gleichen Maßstäbe bei der Beurteilung menschlichen Verhaltens anlegen38 : Nicht alles, was gerecht ist, ist auch sittlich gut - und umgekehrt. So sind beispielsweise Umstände denkbar, unter denen eine Tötung auf Verlangen - wiewohl Gegenstand eines strafrechtlichen Verbotes - ethisch gestattet oder sogar geboten ist. Trotz der inhaltlichen Abweichungen beider Systeme in ihren Einzelsätzen besteht zwischen ihnen jedoch insoweit ein grundsätzlicher Zusammenhang, als einer Rechtsordnung stets ein Grundbestand sittlicher Anschauungf;n der ihr Unterworfenen zugrunde liegt39 . Wäre dies nicht der Fall, so stellte sie lediglich eine Ansammlung technischer Regeln und Anweisungen und damit ein bloßes Mittel staatlichen Zwangs dar; den gesetzten Normen fehlte die innere Legitimation4o • Ist aber die Rechtsordnung als Ganzes und damit jede rechtliche Beurteilung sittlich fundiert, so gilt dies gleichermaßen für die Entscheidung eines Gesetzgebers, bestimmte Sachverhalte anders zu regeln, als es (allein) unter Zugrundelegung ethischer Gesichtspunkte denkbar wäre. Eine daraus entspringende Norm kann jedoch trotz ihrer inhaltlichen Abweichung von den Regeln der Ethik - nicht als ethisch indifferent bezeichnet werden41 . Hinzu tritt ein weiterer Aspekt: Aufgabe der Rechtsordnung ist die Verwirklichung und Durchsetzung größtmöglicher Gerechtigkeit und die Schaffung einer sozialen Ordnung, die dem einzelnen die Möglichkeit zur Entfal-
37 In diesem Sinne kritisch Karlsruher Kommentar-Bohnert, Ein!. Rdn 100 f., 105 f. 38 Vgl. Radbruch, S. 138. 39 Vgl. etwa H.Henkel, S. 76 f.; Welzel, Naturrecht und materiale Gerechtigkeit, S. 164 f. Dies erkennen im übrigen auch die Befürworter einer Abgrenzung anband des Kriteriums der sozialethisehen Unwenigkeit an, vgl. etwa Lange, JZ 1956, S. 79; ferner Bolenius, S. 40. 40 Vgl. Welzel, in: Festschrift für Karl Gottfried Hugelmann, Bd. 11, S. 838; ders., in: Festschrift für Hans Niedermeyer, S. 293. 41 Vgl. Mattes, 2. Halbband, S. 221.
C. Stellungnahme
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tung seines Lebens gibt42 . Dieser Bestimmung kann eine rechtliche Ordnung jedoch nur aufgrund ihrer allgemeinen Anerkennung und Verbindlichkeit gerecht werden. Nicht nur wegen ihres materiellen Gehalts, sondern auch aus der ihr zukommenden Kraft zur Gestaltung einer das Individuum schützenden Ordnung ergibt sich die Pflicht jedes ihr Unterworfenen, sein Verhalten an ihr auszurichten. Auch wenn der einzelne einen Rechtssatz möglicherweise persönlich ablehnt, hat er zumindest die Autorität des Gesetzgebers oder die Notwendigkeit des Bestehens einer rechtlichen Ordnung als die Rechtsgemeinschaft tragend anzuerkennen43 . Diese Pflicht zur Unterwerfung unter die gesetzte Ordnung - wie auch unter die sie konstituierenden Einzelrechtssätze - ist aber, ebenso wie die Ordnung selbst, um deren Erhaltung und Funktionsfähigkeit willen Gehorsam gefordert wird, sittlich begründet. Jede Rechtspflicht verpflichtet m.a.W. auch deshalb sittlich, weil sie Rechtspflicht ist44 . Auch wenn sich Rechtspflicht und sittliche Pflicht im Einzelfall inhaltlich voneinander unterscheiden, so ist~rstere in bezug auf ihren Charakter als Pflicht niemals ethisch indifferent45 , 46 Diejenigen Autoren, die das Kriterium zur Unterscheidung zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat in der sozialethischen Vorwertbarkeit eines Normverstoßes sehen, setzen bei der Frage an, ob es zu einer Rechtsnorm eine gleichlautende ethische Norm gibt - verneinendenfalls wird das der gesetzlichen Regelung zugrunde liegende Verhalten als sittlich wertneutral bezeichnet. Bereits dieser Ausgangspunkt erweckt nach dem soeben Ausgeführten jedoch Zweifel47 . Er mißachtet, daß jede Rechtsnorm als Teil der Rechtsordnung sittlich begründet, ihre Befolgung eine (auch) sittliche Pflicht ist. Auch Verstöße gegen diejenigen Rechtsnormen, zu denen sich (angeblich) keine inhaltlich gleichlautenden ethischen Normen finden lassen, sind dementsprechend nicht apriori sozialethisch belanglos. Im übrigen kann sich
42 Vgl. Mattes, 2. Halbband, S. 231 f. 43 Vgl. Binder, Rechtsnorm, S. 47 f. Dies gilt insbesondere dann, wenn die fragliche rechtliche Ordnung eine demokratisch-rechtsstaatlich Begründete ist. 44 Vgl. näher Mattes, 2. Halbband, S. 230 ff., 236; ferner etwa Arthur Kaufmann, Recht und Sittlichkeit, S. 28; Welzel, in: Festschrift für Hans Niedermeyer, S. 293; Wieacker, JZ 1961, S. 340. Vgl. auch Kant, Metaphysik der Sitten, S. 22: "... alle Pflichten (gehören), bloß darum, weil sie Pflichten sind, mit zur Ethik". Ähnlich Binder, Philosophie des Rechts, S. 746. 45 Vgl. Radbruch S. 138: "Die Beziehung beider Normengebiete (Moral und Recht) ... besteht vielmehr darin, daß die Moral einerseits der Zweck des Rechts und, eben deshalb, andererseits Grund seiner verpflichtenden Geltung ist". 46 Dieser äußerst komplexe Problemkreis kann hier allerdings nur in Andeutungen angesprochen werden. Vgl. zu Einzelheiten etwa die Ausführungen von Mattes, 2. Halbband, S. 199 ff. 47 Vgl. auch Mattes, 2. Halbband, S. 227.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
ein staatliches Ahndungsrecht stets nur aus einer Norm ergeben, die zur Sicherung des gerechten und geordneten Zusammenlebens der Menschen erforderlich ist und damit zurückgeführt werden kann auf die in der Rechtsgerneinschaft geltenden sittlichen Grundüberzeugungen; anderenfalls wäre es Ausdruck von Despotie und Unrecht. Wäre die Begehung einer Ordnungswidrigkeit tatsächlich - wie behauptet - sozialethisch wertneutral, so würde der Staat hier repressiven Zwang nur zu dem Zweck auszuüben, der Verwaltung ihre Tätigkeit zu erleichtern, also letztendlich beliebige Anordnungen treffen. Ein solches Verständnis von der Ausübung von Staatsgewalt gleichsam als Selbstzweck paßt nicht zu einer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung, wie sie das Grundgesetz konstituiert48 , 49. Von diesen grundsätzlichen Erwägungen abgesehen, zeigt auch ein Blick auf die Vielzahl der heute als Ordnungswidrigkeiten gefaßten Tatbestände, daß nicht ohne weiteres pauschal von einer Wertneutralität solcher Verhaltensweis~n ausgegangen werden kann. Dies läßt sich beispielsweise anband von Vorschriften des Kartellgesetzes aufzeigen50 : Bußgeldbewehrte Verstöße gegen das GWB - etwa Kartellabsprachen - stellen alles andere als bloße "Lässigkeiten"51, sondern Angriffe auf die überindividuelle Institution des
48 Vgl. leseheck, JZ 1959, S. 461; Mattes, 2. Halbband, S.228 f., 238 ff.; Welzel, JZ 1956, S. 240; ders., JZ 1957, S. 132. I.E. ebenso V.Kaiser, S. 59 ff.; Pohl-Sichtermann, S. 34; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 148. 49 Ein qualitativer Unterschied zwischen Straftat und Ordnungswidrigkeit wird in der Literatur vereinzelt noch in einem anderen Gesichtspunkt gesehen: Während Kriminaldelikte aufgrund einer dem Gesetz vorgegebenen Wertung - also gleichsam von Natur aus ("natürlich", "naturrechtlich" , "transpositiv") - sozialethisch unwertig seien, sei das vom Ordnungswidrigkeitenrecht erfaßte Verhalten als solches "vorpositiv wertfrei". Erst dadurch, daß es unter Verbot und Sanktion (Geldbuße) gestellt werde, werde einem Tun oder Unterlassen ein Unwert gleichsam "äußerlich angeheftet", es trage ihn aber nicht von vornherein in sich. Das Unrecht derartiger Verstöße liege demgemäß allein in dem Verstoß gegen die errichtete Ordnung; vgl. Lange, JZ 1956, S. 78 sowie v.Heyden, S. 26 ff., 29: "Weil es verboten ist, darum ist es antisozial, und nicht umgekehrt, wie ... beim Kriminalunrecht" . Angesichts obiger Überlegungen ist jedoch fraglich, ob es überhaupt "vorpositiv wertfreie" Verhaltensweisen, die im Sinne dieser Auffassung dann durch Kodifizierung zu Ordnungswidrigkeiten werden sollen, geben kann. Darüber hinaus erheben sich auch im Hinblick auf die Annahme von "natürlichen" oder "naturrechtlichen" Deliktstatbeständen Bedenken. Präexistente Naturrechtssätze rechtfertigten nämlich - ihr Vorhandensein unterstellt - noch keine Sanktionierung eines Verstoßes gegen sie, also die Verhängung von Kriminalstrafen. Dazu bedarf es nach heutigem Verständndis jedenfalls des positiven Rechts; vgl. Mattes, 2. Halbband, S. 247 f.; Tiedemann, Wirtschaftstrafrecht, Bd. 1, S. 149. Im übrigen mißachtet ein solcher Ausgangspunkt, daß eine Rechtsordnung stets geschichtlich bedingt ist; vgl. Welzel, JZ 1956, S. 240; ders., JZ 1957, S. 132. Sie ist deshalb Wandlungen unterworfen und kann nicht von vomeherein und für alle Zeit als natürlich vorgegeben angesehen werden. Vgl. auch Mattes, ZStW Bd. 82 (1970), S. 27. 50 Vgl. auch ImmengaJMestmäcker-Tiedemann, Vor § 38 Rdn. 8 f.
51 Vgl. Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 27.
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Wettbewerbs dar. Sie sind dementsprechend - so das Bundesverfassungsgericht - "sozialschädlich" und zwar in einem Maße, das im Einzelfall das einer Straftat sogar noch überschreiten kann52 . Hinzu kommt, daß zahlreiche Bußgeldtatbestände ihrer Natur nach abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen53 . Eine Norm, die ein Verhalten sanktioniert, dem typischerweise die Herbeiführung einer Gefahr für ein Rechtsgut eigen ist, dient jedoch - wenn auch in einem Vorfeld - dem individuellen Rechtsgüterschutz54 und ist bereits aus diesem Grunde nicht ethisch belanglos55 . Festzuhalten ist nach alledem, daß Ordnungswidrigkeiten nicht per definitionem als ethisch neutral zu bezeichnen sind. Abgesehen davon, daß die Existenz sittlich wertfreier Normverstöße grundSätzlich bezweifelt werden muß, hat sich das Ordnungswidrigkeitenrecht auch rein tatsächlich anders entwickelt: Es sind vom ihm heutzutage in goßem Umfang Verhaltensweisen erfaßt, denen ein sozialethischer Unwert nicht abgesprochen werden kann56 . 2. Sondematur der Ordnungswidrigkeit aujgrund der Eigenart der angedrohten Rechtsjolge?
Da sich Ordnungswidrigkeit und Straftat also nicht anband der Qualität des zugrunde liegenden Unrechts voneinander abgrenzen lassen, könnte sich ein wesensmäßiger Unterschied zwischen beiden Kategorien allenfalls daraus ergeben, daß in beiden Fällen verschiedenartige Rechtsjolgen verhängt
52 Vgl. BVerfG WuW/E VG 235, 236. Baumann, ZRP 1972, S. 275, führt plastisch das Beispiel der Wegnahme eines Pfennigs in Zueignungsabsicht (Straftat) im Vergleich zur Kartellordnungswidrigkeit nach §§ 38, 39 GWB mit Schädigung in Millionenhöhe an. Allgemein dazu auch Welzel, JZ 1956, S. 241. 53 Beispiele dafür sind etwa die Überschreitung der O,8 0/00-Grenze i.S.v. § 24 a StVG und die Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben (§ 130 OWiG). 54 Vgl. Göhler, Vor § 1 Rdn. 4. 55 Vgl. Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 59 FN 43. 56 Damit erheben sich nicht nur gegen die aliud-Theorie, sondern auch gegen die sog. gemischt qualitativ-quantitative Betrachtungsweise Bedenken, bestimmt diese doch die beiden "Kernbereiche" ebenfalls mit Hilfe des Kriteriums der sozialethischen Unwertigkeit (Kritisch zur diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Karlsruher KommentarBohnen, Einl. Rdn. 100 ff.). Die Entscheidung des Gesetzgebers, eine Verhaltensweise im Einzelfall als Straftat oder Ordnungswidrigkeit einzuordnen, wird sich vielmehr in erster Linie an rechtspolitischen Kriterien, wie denen der Strafwürdigkeit oder Strafbedürftigkeit, zu orientieren haben, vgl. dazu näher Jescheck, JZ 1959, S. 461; V.Kaiser, S. 92; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 61; ders., JZ 1970, S. 797; ähnlich Jagusch/Hentschel, Einl. Rdn. 69 sowie Baumann, ZRP 1972, S. 273, der nach dem Grad der Sozialschädlichkeit abgrenzen will.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
werden57 - zunächst unterstellt, die Geldbuße unterschiede sich tatsächlich qualitativ von der Strafe58 . Für diese These spricht auf den ersten Blick die in § 1 OWiG getroffene Regelung. Der Rechtsanwender muß in der Tat von der Art der angedrohten Sanktion auf die des zugrunde liegenden Unrechts schließen59 ; sieht das Gesetz eine Geldbuße vor, so gilt der Verstoß als Ordnungswidrigkeit. Damit wird allerdings rein formal an das Ergebnis eines gesetzgeberischen Zuordnungsprozesses angeknüpft. Eine Aussage über den materiellen Gehalt der als Ordnungswidrigkeit bezeichneten Normzuwiderhandlung wird damit nicht getroffen60 . Ginge man davon aus, daß ein Normverstoß - unabhängig von seiner vorrechtlichen Einordnung - durch seine gesetzliche Ausgestaltung als Ordnungswidrigkeit das Wesen einer sittlich neutralen "Lässigkeit" annehme, so bedeutete dies, daß der Gesetzgeber, indem er als Sanktion eine Geldbuße androht, die Qualität des relevanten Unrechts prägte, also einer Handlung ebendiesen Charakter des sozialethisch Belanglosen verliehe6 l . Gegen eine solche Sichtweise erheben sich Bedenken: In den letzten Jahrzehnten sind im Zusammenhang mit dem Wegfall der Deliktskategorie der Übertretungen und der sog. "Entkriminalisierung des Verkehrs strafrechts " vielfach Bagatelldelikte zu Ordnungswidrigkeiten umgestaltet worden. Durch die Umbenennung der Rechtsfolge müßte sich obiger These zufolge auch die sittliche Beurteilung der entsprechenden Delikte geändert haben, müßte den zu Ordnungswidrigkeiten herabgestuften Normverstößen ihr sozialethischer Unwert gleichsam genommen worden sein. Es dürfte jedoch nicht in der Macht eines Gesetzgebers stehen, sittlich unwertige Verhaltensweisen für wertfrei zu erklären62 . Nicht die Art der verhängten Rechtsfolge prägt den Charakter einer Tat und bestimmt ihre sozialethische Bewertung, sondern ihr Unrechtsgehalt63 . Besteht zwischen dem Unrecht einer Ordnungswidrigkeit und dem einer Straftat kein wesensmäßiger Unterschied, so kann sich ein sol-
57 In diesem Sinne Göhler, Beiheft ZStW 1978, S. 102; ders., Vor § 1 Rdn. 6, 8; Jagusch/Hentschel, Ein!. Rdn. 70; Müller, S. 38; Müller-Guggenberger-Richter, § 2 Rdn. 9 ff.; ImmengaJMestmäcker-Tiedemann, Vor § 38 Rdn. 8. 58 Auf die Frage der Rechtsnatur der Geldbuße soll unten Kap. 3, C 13 näher eingegangen werden. 59 Vgl. Tiedemann, JZ 1968, S. 667. 60 Vgl. Göhler, Vor § 1 Rdn. 8. 61 So namentlich Immenga/Mestmäcker-Tiedemann, Vor § 38 Rdn. 8. 62 Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 61, spricht in diesem Zusammenhang von einem nicht anzuerkennenden Moralpositivismus. 63 So auch Cordier, NJW 1967, S. 2143.
C. Stellungnahme
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cher auch nicht dadurch ergeben, daß das Gesetz für beide Kategorien ihrer Art nach (angeblich) unterschiedliche Rechtsfolgen vorsieht64 .
3. Zur Rechtsnatur der Geldbuße im Vergleich zur Strafe Noch nicht geklärt ist bislang das "Wesen" der Geldbuße. Stellt sie tatsächlich gegenüber der Kriminalsstrafe ein "aliud" dar? Wenn die Geldbuße vor allem im älteren Schrifttum als "bloße Ptlichtenmahnung" bezeichnet wird, so deutet dies auf eine lediglich (spezial- und general-)präventive Wirkung hin. Heutzutage wird ihr zu Recht ganz überwiegend auch eine repressive Funktion zugesprochen65 . Diese ergibt sich nicht nur aus dem Wort "Buße"66, sondern vor allem daraus, daß ihre Verhängung gern. § 1 Abs. 1 OWiG an eine vorwerfbare, rechtswidrige Handlung anknüpft. Es werden demnach nicht nur künftige Verstöße zu verhindern gesucht, sondern die Rechtsgemeinschaft richtet ihren Blick in die Vergangenheit; dem Täter wird der von ihm begangene Gesetzesverstoß
vorgeworfen.
Welchen Inhalt aber hat dieser Vorwurf? Wenn es heißt, die Geldbuße sei als solche ethisch neutral, ihr fehle das "sittliche Pathos der Strafe"67, so verbirgt sich dahinter die Auffassung, der Staat enthalte sich bei Ordnungswidrigkeiten der Erhebung des Vorwurfs eines sittlichen Versagens 68 • Vor dem Hintergrund eines nur quantitativen Unterschieds zwischen Kriminalunrecht und Ordnungsunrecht vermag dies jedoch nicht zu überzeugen. Die staatliche Antwort auf ein (wenn auch in geringerem Maße) sittlich mißbilligtes Verhalten kann als solche nicht "ethisch neutral" sein69 ; Unrecht und 64 Ebenso Mattes, 2. Halbband, S. 251. Vgl. auch Karlsnlher Kommentar-Bohnert, Einl. Rdn. 112: "Die Differenz der Voraussetzung ist aus der Differenz der Folge indiziert, nicht aber begründet" . 65 Vgl. die Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 58; ferner Brender, S. 94; Cordier, NJW 1967, S. 2144; Göhler, Vor § 1 Rdn. 9; V.Kaiser, S. 88; LangHinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 61 f.; Müller-Guggenberger-Richter, § 2 Rdn. 13; Rebmann-RothlFörster, Vor § 1 Rdn. 13; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. 1, S. 149. A.A. KojJka, in: Niederschriften, Bd. I, S. 300; Schünemann, S. 233; Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 41 f., der allerdings an anderer Stelle (S. 68) vom Erlaß des Bußgeldbescheides als "repulsiver Übelzufügung" spricht. 66 Darauf weist R.Schmitt, S. 153, hin. 67 BVerfGE 22,49,79. 68 So etwa Brender, S. 83, 93; Müller, S. 41; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 216. 69 In diesem Sinne auch Y.Kaiser, S. 37, 92; Mattes, 2. Halbband, S. 289; Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 61. Ähnlich Krümpelmann, S. 143 sowie Eb.Schmidt, JZ 1969, S. 401.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
(repressive) Sanktion sind vielmehr unmittelbar aufeinander bezogen: Der Betroffene wird von der Rechtsordnung wegen seines Vers agens bei der verantwortlichen Einhaltung der rechtlichen Normen getadelt. Da einer Ordnungswidrigkeit - schon deshalb, weil es sich um einen Verstoß gegen die gesetzte Ordnung handelt - ein (auch) sittlicher Unwert zukommt70 , muß der den Täter daraufhin treffende Vorwurf gleichfalls ethisch fundiert sein. Auch die Geldbuße enthält in diesem Sinne ein "ehrenrühriges autoritatives Urteil" über den Täter, ihm wird sehr wohl - ebenso wie bei der Strafe - der (sittliche) Vorwurf einer Auflehnung gegen die Rechtsordnung gemacht71 . Der Geldbuße fehlt auch nicht "der Ernst der staatlichen Strafe"72 - darf ein freiheitlicher Staat überhaupt "nicht ernste", aber dennoch repressive Maßnahmen ergreifen?73 Vielfach wird der Geldbuße im Vergleich zur Kriminalstrafe auch der Sühnecharakter abgesprochen74. Sühne stellt eine eigene sittliche Leistung des Verurteilten dar, die ihn die Notwendigkeit der Strafe bejahen und dadurch die eigene sittliche Freiheit wiedergewinnen läßt. Die Gesellschaft wird auf diese Weise verpflichtet, sich mit dem Täter zu versöhnen, das durch die Tat gestörte Verhältnis zur Gemeinschaft wird wiederhergestellt. Sühne kann durch Strafe allerdings nicht erzwungen werden, der Staat hat lediglich die Aufgabe, sie dem Delinquenten möglich zu machen75 . Diejenigen Autoren, die die Begehung einer Ordnungswidrigkeit nicht für sozialethisch relevantes Unrecht halten, sehen in einem derartigen Normverstoß konsequenterweise keine Störung des Verhältnisses zwischen Individuum und Gemeinschaft (Staat, Rechtsordnung). Folgerichtig müssen sie auch die Notwendigkeit einer Sühne, also einer entsprechenden Aussöhnung, leugnen76 : Wo keine sozialethische Verpflichtung besteht, dort kann eine solche auch nicht verletzt werden - es gibt in diesem Fall nichts zu sühnen und nichts zu vergelten. Nach der hier vertretenen Auffassung kann ein Gesetzesverstoß niemals "sozialethisch wertneutral" sein. Auch jede Ordnungswidrigkeit bewirkt unter diesem Gesichtspunkt eine Störung im 70 Vgl. dazu näher oben Kap.
3, eIL Anders BVerfG NJW 1969, S. 1622; demgegenüber kritisch auch Karlsruher Kommentar-Bohnert, Eint. Rdn. lOO. 72 So aber BVerfGE 9, 167, 171. 73 In diesem Sinne kritisch auch Mattes, 2. Halbband, S. 277 FN 83. 74 In diesem Sinne etwa v.Heyden, S. 49; Müller, S. 41; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht, Bd. I, S. 149; Eb.Schmitt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 45. 75 Vgl. Jescheck, § 8112, S. 59. 71
76 Vgl.
Mattes, 2. Halbband, S. 273.
C. Stellungnahme
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Verhältnis des Einzelnen zur Rechtsordnung, so daß auch hier eine Sühne in Betracht kommt, zu der eine Geldbuße grundsätzlich ebenso die Möglichkeit bietet wie eine Kriminalstrafe. In ihrer Ausgestaltung durch das Ordnungswidrigkeitengesetz unterscheidet sich die Geldbuße allerdings nicht unerheblich von der Geldstrafe, nämlich vor allem im Hinblick auf Verfahren, die fehlende Eintragung in das Bundeszentralregister77 und die fehlende Möglichkeit der Umwandlung in eine Ersatzfreiheitsstrafe. Es muß jedoch bezweifelt werden, daß diese Gesichtspunkte eine Sondernatur der Geldbuße im Vergleich zur Strafe begründen. Nicht die Art und Weise, wie sie verhängt und vollstreckt wird, prägt das Wesen einer Rechtsfolge, sondern umgekehrt bestimmt die Rechtsnatur der Sanktion deren positiv-rechtliche Ausgestaltung78 . Ebensowenig wie die genannten Besonderheiten die Folge einer Wesenseigentümlichkeit des zugrunde liegenden Unrechts sind, vermögen sie eine solche der Sanktion zu begründen. Sie akzentuieren vielmehr gerade den Charakter der Geldbuße als Minus zur Strafe. Was insbesondere die fehlende Eintragung in ein Register angeht, so soll damit lediglich dem allgemeinen kriminalpolitischen Anliegen Rechnung getragen werden, im Falle eines nur geringfügigen Normverstoßes die mit seiner Ahndung als "Nebenwirkung" stets verbundene Diffamierung und Diskriminierung des Betroffenen möglichst gering zu halten79 .
4. Zusammenfassung Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sich Kriminalunrecht und Ordnungsunrecht nicht qualitativ, sondern lediglich quantitativ voneinander unterscheiden: "Vom kriminellen Kernbereich aus läuft eine kontinuierliche Linie eines zwar schwächer werdenden, aber niemals ganz verschwindenden materialen Unrechts hin bis zu den entferntesten Bagatelldelikten, und sogar die Ordnungswidrigkeiten sind .... mit ihr verbunden" (WelzeI 80 ).
Was die Geldbuße angeht, so stellt sie ihrer Rechtsnatur nach eine echte Strafe dar81 ; aufgrund ihrer positiv-rechtlichen Ausgestaltung unterscheidet 77 Vgl. § 3 Bundeszentralregistergesetz. 78 Entsprechend ist eine Kriminalstrafe auch nicht deswegen Strafe, weil sie durch ein Gericht in einem besonderen Verfahren verhängt wird (sonst könnte man im übrigen auch eine Maßregel als Strafe bezeichnen), sondern es bedarf aufgrund ihrer Natur als repressive, schuldvergeltende Sanktion aus rechtsstaatlichen Gründen spezieller Förmlichkeiten. 79 In diesem Sinne auch Mattes, 2. Halbband, S. 298, sowie Krümpelmann, S. 177. 80 JZ 1956, S. 240. 81 Angesichts dessen erheben sich allerdings Bedenken im Hinblick auf die Kompetenz der Verwaltungsbehörden zur Festsetzung von Geldbußen: Streng genommen handelt es sich bei dieser Tätigkeit um Bestrafung, also um die Ausübung richterlicher Gewalt, was im Hinblick auf
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
sie sich von der Kriminalstrafe lediglich in der Intensität ihrer Wirkung, nicht aber wesensmäßig82 . Beiden Sanktionen kommen im wesentlichen dieselben Aufgaben zu: sie wirken präventiv, repressiv, enthalten einen sozialethischen Vorwurf und bieten dem Täter die Möglichkeit der Sühne. 11. Zur Bußgeldhaftung juristischer Personen und Personenvereinigungen
Angesichts des soeben gewonnenen Ergebnisses drängen sich auf den ersten Blick Zweifel an der dogmatischen Stimmigkeit der in § 30 OWiG vorgesehene Bußverantwortlichkeit juristischer Personen auf, wenn man zugleich die bislang erhobenen Einwände gegen eine Kriminalstratbarkeit von Körperschaften in Rechnung stellt. Wie ist es insbesondere miteinander zu vereinbaren, einerseits Verbände für handlungs- und schuldunfähig zu halten, ihnen andererseits aber eine Sanktion aufzuerlegen, die eine vorwerfbare - also schuldhafte - Handlung voraussetzt (vgl. § 1 OWiG)? Auch wenn die langjährige Entwicklung das Gegenteil nahelegen könnte, hat man es bei der Verbandsgeldbuße mit einem alles andere als dogmatisch gesicherten Rechtsinstitut zu tun. Ihre systematische Einordnung liegt weitgehend im Dunkeln - es umgibt sie geradezu ein "dogmatisches Vakuum"83. Trotz ihres raschen Vordringens in der Nachkriegszeit - zunächst in verschiedenen Vorschriften des Nebenstrafrechts, dann 1968 vereinheitlicht in § 26 OWiG - ist es nämlich bemerkenswerterweise kaum jemals zu einer dieser Entwicklung entsprechenden vertieften theoretischen Auseinandersetzung mit jenem Rechtsinstitut gekommen84 . Nicht unwesentlich dürfte dazu die bis 1986 geltende Ausgestaltung der Sanktion als Nebenfolge beigetragen haben, durch die - so die Amtliche Begründung zum EOWiG von 196885 - "etwaige dogmatische Bedenken gegen die Festsetzung von Geldbußen gegen juristische Personen und Personenvereinigungen .... ganz beseitigt" werden sol1-
Art. 92 GG problematisch erscheint. Auf dieses Problem kann hier allerdings nicht eingegangen werden. Vgl. dazu etwa Mattes, 2. Halbband, S. 300 ff., vor allem S. 456 ff.; ferner Karlsruher Kommentar-Bohnen, Einl. Rdn. 96, 98; Cordier, NJW 1967, S. 2141 ff.; Jescheck, JZ 1959, S. 461; Krümpelrrumn, S. 177; Eb.Schmidt, JZ 1969, S. 402; R.Schmitt, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 15. Das zuweilen angeführte Argument, weil die Verwaltung nicht strafen dürfe, stelle die Geldbuße keine Strafe dar, so daß ein qualitativer Unterschied zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat bestehen müsse (vgl. etwa Karlsruher Kommentar-Bohnert, Ein!. Rdn. 98, PohlSichtermann, S. 38), überzeugt angesichts obiger Erörterungen jedenfalls nicht. 82 Ebenso Krümpelmann, S. 177; Mattes, 2. Halbband, S. 29l. 83 Schroth, wistra 1986, S. 163. Ähnlich Stratenwenh, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 296; Tiedemann, NJW 1986, S. 1174. Kritisch auch Pohl-Sichtermann, S. 43 f. 84 Darauf weist etwa auch Brender, S. 76 f., hin. 85 BT-Drucks. V/1269, S. 59.
C. Stellungnahme
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ten. Um so mehr muß erstaunen, daß diese Bezeichung durch das 2. WiKG gestrichen wurde - und zwar, ohne daß die Entwurfsbegründung auf die dogmatischen Konsequenzen näher eingegangen wäre.
1. Das dogmLltische Konzept der Verbandsgeldbuße a) Die Gesetzeslage bis 1986: Die Verbandsgeldbuße als "Nebenfolge" Die Ausgestaltung der Verbandsgeldbuße als "Nebenfolge" stellte bei der Einführung des OWiG im Jahre 1968 ein Novum dar. Die Vorgängerbestimmungen hatten weder eine Ahndung der Individualtat noch auch nur die Einleitung oder Durchführung eines Verfahrens gegen das Organ vorausgesetzt; die Verbandsssanktion war selbständig zu verhängen gewesen86 • In der Literatur hatte dies teilweise zu Kritik geführt; man rügte insbesondere eine Durchbrechung des Schuldprinzips87. Ersichtlich um diesem Einwand zu entgehen, sah die Neuregelung 1968 eine "Verklammerung" der Verbandssanktion mit der Zuwiderhandlung des Organs vor. Die Frage, welcher Art diese Anbindung sei, welche Rechtsnatur also eine als Nebenfolge vorgesehene Verbandsgeldbuße habe, wurde allerdings von der Amtlichen Begründung zum EOWiG 1968 offengelassen. Auch aus dem Begriff der "Nebenfolge" lassen sich diesbezüglich keine Schlüsse ziehen, denn dieser ist wenig substanzie1l 88 . Die Festsetzung eines Bußgeldes knüpft an eine vorwerfbare Handlung an89 . An diesem ihr zukommenden repressiven Charakter ändert sich auch dann nichts, wenn sie gegenüber einer juristischen Person festgesetzt wird. Nach ihrer Ausgestaltung durch das Ordungswidrigkeitengesetz kann nicht davon ausgegangen werden, die Geldbuße mutiere in diesem Fall zur bloßen
86 Vgl. etwa zu § 23 WiStG 1949 DrostlErbs § 23 Anm.
87 So DrostlErbs,
m.
§ 23 Anm. 11; vorsichtiger Ebisch (1963), § 5 Rdn. 2 ("mindestens scheinbar ... durchbrochen"). Ähnlich Gemer/Winckhler, § 5 Anm. 9. Nach Brender, S. 71 ff., hatte der Vorschrift des § 23 WiStG 1949 das dogmatische Konzept einer Haftung für fremde Schuld zugrunde gelegen.
88 Vgl. Müller, S. 46. Der Tenninus "Nebenfolge" wird in verschiedenen Sinnzusammenhängen gebraucht: Im Strafgesetzbuch - vgl. §§ 45 StGB - taucht die Bezeichnung auf als Oberbegriff für Sanktionen eigener Art, die weder (schuldabhängige) Kriminalstrafen noch (gefährlichkeitsabhängige) Maßregeln darstellen, aber dennoch als "strafähnlich" eingestuft werden (Vgl. Schönke/Schröder-Stree, Vor § 38 Rdn. 30. Kritisch zur Einordnung der Statusfolgen des § 45 StGB als "strafähnliche Sanktionen" Nelles, JZ 1991, S. 18 ff.). Darüber hinaus kommt dem Begriff "Nebenfolge" insoweit verfahrensrechtliche Bedeutung zu, als damit Sanktionen bezeichnet werden, die nicht selbständig, sondern als Annex einer Strafe oder Geldbuße verhängt werden; vgl. Maurach, AT, 4. Aufl., § 57 12, S. 795. 89 Vgl. nur § 1 OWiG.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
Gewinnabschöpfungs- oder Präventivmaßnahme9O • Stellt demnach auch die Verbands geldbuße eine einen Vorwurf enthaltende staatliche Reaktion auf einen begangenen Normverstoß dar, so erhebt sich allerdings die Frage, an welche resp. wessen vorwerfbare Handlung in diesem Fall angeknüpft wird. Die Amtliche Begründung zum EOWiG betonte seinerzeit die Handlungsund Schuldunfähigkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen. Als Ahndung einer - wie auch immer gearteten - "eigenen" schuldhaften Tat der Körperschaft kann die nach altem Recht als "Nebenfolge" verhängte Verbandsgeldbuße deshalb jedenfalls nicht verstanden werden. Es bleibt die Möglichkeit, § 30 OWiG a.F. als Zurechnungsvorschrift aufzufassen. In der Tat wurde eine Zurechnung der Handlung des Organs von der Entwurfsbegründung ausdrücklich für möglich gehalten91 . § 1 OWiG verlangt jedoch für eine Bußgeldfestsetzung nicht nur eine rechtswidrige Handlung, sondern außerdem deren Vorwerjbarkeit, also ein Verschulden. Weder dem Gesetzeswortlaut noch der Amtlichen Begründung zum EOWiG ist allerdings zu entnehmen, daß dem Verband nach der seinerzeitigen gesetzgeberischen Konzeption auch die Schuld des Individualtäters als eigene zugerechnet werden sollte92 , wie es im Schrifttum93 teilweise angenommen worden sind. Die zur Begründung der Nebenfolgekonstruktion angeführten dogmatischen Bedenken im Hinblick auf die Verhängung einer schuldabhängigen Sanktion gegenüber einer als schuldunfähig angesehenen Rechtspersönlichkeit hätten sich schließlich nicht ergeben, wenn der Gesetzgeber die Vorschrift des § 30 OWiG a.F. gleichzeitig als Zurechnungsnorm auch hinsichtlich des Verschuldens hätte verstanden wissen wollen94 : In diesem Fall wäre Körperschaft eine ("juristische") Schuldfähigkeit "verliehen" worden. Sollte mit der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge folglich nicht eine - aufgrund von Zurechnung - "eigene" schuldhafte Tat der Körperschaft geahndet werden, so läßt sich die Vorschrift des § 30 OWiG in der bis 1986 geltenden
90 Ausführlich dazu Pohl-Sichtermann, S. 46 ff.; ferner Brender, S. 87; Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 39; V.Kaiser, S. 99; Müller, S. 45 f.; Rebmann-Roth/Förster , Vor § 30 Rdn.8; Schroth, wistra 1986, S. 162. Auch die Amtliche Begründung zu § 19 EoWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 58, bezeichnet die Verbandsgeldbuße als repressive Sanktion. 91 Vgl. BT-Drucks. V/1269, S. 59. A.A.: Göhler, JZ 1968, S. 591: Der Verband werde nicht als Handelnder angesehen, sondern lediglich strafähnlichen Maßnahmen unterworfen. Ebenso Wiesener, S. 34. 92 In diesem Sinne auch Brender, S. 87. 93 Vgl. Demuth/Schneider, BB 1970, S. 650; Göhler, Beiheift ZStW 1978, S. 109; V.Kaiser, S. 103; Müller, S. 47 f., der allerdings anerkennt, daß die Fassung als Nebenfolge die Auffassung nahelege, es handele sich hier um eine Haftung für fremde Schuld. 94 Ähnlich Pohl-Sichtermann, S. 53 f.
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Fassung nur als Anordnung einer "Neben- (oder: Mit-)Haftung"95 des Verbandes für das vorwerfbare Handeln eines Dritten, seines Organs, erklären96 . Eine derartige Haftung für eine fremde Schuld stellt allerdings einen Fremdkörper im deutschen Strafrecht dar97 . Sie widerspricht dem Grundsatz, daß eine Sanktion den Urheber der sie begründenden Handlung zu treffen hat98 , ein Prinzip, welches sich nicht zuletzt in §§ 1, 17 OWiG wiederfindet. Diese Vorschriften verlangen die Täterschaft des zu Sanktionierenden - welche durch die Ausgestaltung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge gerade ausgeschlossen werden sollte99 . Der Verband wurde nach § 30 OWiG a.F. also mit einer schuldabhängigen Sanktion belegt, ihm gegenüber wurde ein Vorwurf erhoben, obwohl er zugleich als - im natürlichen und juristischen Sinne schuldunfähig galt lOO • Hinzu kommt, daß § 30 OWiG die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße auch bei Straftaten des Organs vorsieht; die juristische Person oder Personenvereinigung haftete demzufolge bis 1986 nicht nur für fremde Ordnungswidrigkeiten, sondern ebenso für fremde Schuld im kriminalstrafrechtlichen Sinne 10 I . Der Zweck der Ausgestaltung als Nebenfolge, nämlich dogmatische Bedenken gegen die Verbandsgeldbuße auszuräumen, ist nach alledem als verfehlt zu bezeichnen102. Für die Nebenfolgekonstruktion wurden in der Amtlichen Begründung zum EOWiG allerdings neben den systematischen auch noch weitere Gründe angeführt. So hieß es, der Grundsatz "ne bis in idem" (Art. 103 Abs. 3 GG) lasse es angezeigt erscheinen, die Entscheidung über die Verbandsgeldbuße mit der über die Individualtat zu verbinden. Vor allem in den Fällen, in denen der Täter an der juristischen Person kapital mäßig beteiligt sei, komme die Sanktionierung sowohl des Verbandes als auch des Organs einer Doppel95 Vgl. Dreher, in: Protokolle Sonderausschuß Strafrechtsrefonn, 5. Wahlperiode, 57. Sitzung, S. 1084. In diesem Sinne auch etwa BayObLG NJW 1972, S. 1171, 1172. 96 Ebenso Brender, S. 86 ff.; Pohl-Sichtermann, S. 54; Schroth, wistra 1986, S. 162; Tiedemann, NJW 1988, S. 1171; Wiesener, S. 34. Ähnlich KofJka, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 568: Der Verband werde letztlich verantwortlich gemacht für einen "gefahrbringenden Zustand"; vgl. dazu auch Jescheck, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 324. 97 Vgl. Jescheck, SchwZStr Bd. 70 (1955), S. 261; Pohl-Sichtermann, S. 54; ferner Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 28. 98 Vgl. Seiler, S. 69. 99 So auch Brender, S. 86.
100 Vgl. leseheck, (3. Aufl.), § 23 V 2, S. 182; Schroth, wistra 1986, S. 162. In diesem Sinne wohl auch Immenga/Mestmäcker-Tiedemann (1. Aufl.), Vor § 38 Rdn. 49. 101 Darauf weisen auch Brender, S. 89, leseheck, SchwZStr Bd. 70 (1955), S. 261, und Pohl-Sichtermann, S. 54, hin. 102 Dies gilt um so mehr, als nicht davon ausgegangen werden kann, der Gesetzgeber habe in § 26 a.F. OWiG mit den herkömmlichen strafrechtlichen Haftungsprinzipien brechen wollen; vgl. Pohl-Sichtermann, S. 54.
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bestrafung mindestens nahe 103 . Es ist jedoch bereits zweifelhaft, ob der Grundsatz "ne bis in idem" hier überhaupt eingreift. Dieses Prinzip zielt darauf ab, die mehrfache Bestrafung ein und desselben Täters wegen ein und derselben Tat zu verhindem lO4 ; bei der juristischen Person und dem Organ handelt es sich rechtlich gesehen jedoch um zwei verschiedene Personen l05 . Selbst bei extensiver Auslegung des Art. 103 Abs. 3 GG als Verbot der Sanktionierung zweier Personen wegen derselben Tat hätte der Grundsatz "ne bis in idem" eher gegen als für die Nebenfolgekonstruktion gesprochen: Nach diesem Verständnis dürften entweder nur der Verband oder nur der Individualtäter sanktioniert werden, nicht aber die juristische Person oder Personenvereinigung neben dem Organ l06 . Im übrigen hätte der Gesetzgeber statt der Nebenfolgekonstruktion etwa auch die Möglichkeit einer Anrechnung der Verbandsstrafe auf die Individualstrafe des (angeblich) "doppelt bestraften" Organs vorsehen können l07 . Weiter wurden in der Amtlichen Begründung zum EOWiG von 1968 prozeßwirtschaftliche Gründe für die Ausgestaltung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge angeführt. Die Durchführung getrennter Verfahren bedeute einen unangemessenen Aufwand und berge die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen 108. Abgesehen davon, daß die Nachteile einer solchen Akzessorietät die angeführten Vorteile überwiegen dürften lO9 - beispielsweise wirken sich Verzögerungen und Schwierigkeiten bei den Ermittlungen wechselseitig auf alle Beteiligten aus llO - hätte der Gesetzgeber das angestrebte Ziel auch auf einfacherem Weg erreichen können, nämlich durch Schaffung einer§ 2 StPO entsprechenden - Vorschrift, wonach beide Verfahren grundsätzlich zu verbinden seien, aus besonderen Zweckmäßigkeitsgründen aber auch getrennt werden können 111 . 103 Vgl. BT-Drucks. V/1269, S. 61. 104 Vgl. dazu auch BVerfGE 23, 191,202 f. 105 Selbst im Fall einer kapitalmäßigen Beteiligung kann nicht ohne weiteres von einer verbotenen Doppelbestrafung ausgegangen werden. Das Organ, welches zugleich Mitglied der juristischen Person oder Personenvereinigung ist, wird durch die Verbandssanktion lediglich mittelbar betroffen, nicht aber - zum zweiten Male - bestraft, vgl. Pohl-Sichtermann, S. 56 f.; R.Schmitt, in: Festschrift für Richard Lange, S. 882. Abgesehen geschieht die doppelte Betroffenheit nicht "auf Grund der allgemeinen Strafgesetze" (Art. 103 Abs. 3 GG), sondern ist Konsequenz der gesellschafts rechtlichen Beteiligungsverhältnisse, vgl. Müller, S. 49. Auf das Problem der Doppelbestrafung, welches sich im Fall der Verbandsbestrafung gleichfalls stellt, wird an anderer Stelle noch näher eingegangen, vgl. unten Kap. 6, D 11. 106 Vgl. R.Schmitt, in: Festschrift für Richard Lange, S. 882. 107 Vgl. V.Kaiser, S. 107; Müller, S. 48 f.; Tiedemann, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. C 58. 108 Vgl. BT-Drucks. V/1269, S. 61. 109 Dazu ausführlich Pohl-Sichtermann, S. 59 ff.; ferner Müller, S. 49. 110 Vgl. V.Kaiser, S. 109. 111 Vgl. Pohl-Sichtermann, S. 61.
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Die bei ihrer Einführung zugunsten der Nebenfolgelösung angeführten Argumente sind mithin alles andere als überzeugend. Treffender als als "terminologisches Feigenblatt" (U. Weber 112 ) läßt sich die Nebenfolgekonstruktion kaum bezeichnen: Sie hat eher dazu beigetragen, dogmatische Bedenken gegen jede Art von strafrechtlicher Verantwortlichkeit juristischer Personen zu kaschieren, als sie auszuräumen. b) Die Änderungen durch das 2. WiKG Aufgrund 2. WiKG wurden die Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als "Nebenfolge" 1986 gestrichen und die Möglichkeiten zur Durchführung eines selbständigen Bußgeldverfahrens gegen die juristische Person erweitert 113 . Die Amtliche Begründung zum Gesetzentwurf führt dazu aus, durch die Neuregelung werde der Zusammenhang von Individualtat und Verbandssanktion "gelockert": Die bisherige Fassung des § 30 Abs. 4 OWiG, die ein selbständiges Verfahren gegen den Verband nur unter sehr eingeschränkten Bedingungen l14 zuließ, habe in der Praxis zu Schwierigkeiten geführt: Gerade in den Fällen, in denen der juristischen Person aufgrund bedeutsamer Zuwiderhandlungen ein erheblicher Gewinn zugeflossen sei, erscheine es nicht sachgerecht, die Behörde erst im Umweg über die Einleitung eines Verfahrens gegen den Täter in die Lage zu versetzen, eine Verbandsgeldbuße zu verhängen. Dem trage die Neuregelung insoweit Rechnung, als die selbständige Festsetzung eines Bußgeldes gegen die juristische Person bereits dann zulässig sei, wenn wegen der Anknüpfungstat ein Verfahren gegen den Täter nicht durchgeführt oder eingestellt werde. Aus diesem Grunde sehe - so heißt es weiter - die Neufassung von der Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge ab; eine vollständige Abkoppelung der Verbandssanktion von der Organtat sei allerdings nicht gewollt. Aus Gründen der Prozeßökonomie bleibe es vielmehr dabei, daß die Verbandsgeldbuße im Fall eines schwebenden Verfahrens gegen das Organ nur innerhalb desselben festgesetzt werden könne. Auch die Tatsache, daß das selbständige Verfahren ausgeschlossen sei, wenn die Straftat oder Ordnungswidrigkeit aus rechtlichen Gründen nicht verfolgt werden könne, zeige, daß nach wie vor von einern "inneren Zusammenhang" zwischen Organtat und Verbandssanktion auszugehen sei 115. 112 ZStW Bd. 96 (1984), S. 413. 113 Vgl. dazu bereits oben Kap. 1, eIl b) bb). 114 Insbesondere für den Fall der Nichtverfolgung oder Nichtverurteilung des Organs aus tatsächlichen Gründen und der Einstellung des Verfahrens gegen ihn nach einer Ermessensvorschrift. 115 Vgl. die Amtliche Begründung zum Regierungsentwurf eines 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, S. 41.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
Neben diesen eher vordergründig anmutenden, pragmatischen Erwägungen läßt die Amtliche Begründung die entscheidende Frage allerdings offen, nämlich die nach dem dogmatischen Verständnis der neugefaßten Verbandsgeldbuße. Dies muß um so mehr erstaunen, als es gerade auch dogmatische Erwägungen waren, die zu der Fassung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge geführt hatten; man hätte dementsprechend eine Auseinandersetzung mit den zu ihrer Rechtfertigung angeführten Argumenten erwarten dürfen 116 . aa) Die Beurteilung der Änderungen in der Literatur Die Stellungnahmen zur Neuregelung des § 30 OWiG sind uneinheitlich. Einige Autoren 117 vertreten die Ansicht, es habe sich trotz der Streichung der Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als "Nebenfolge" der Sache nach nichts geändert. Das zeige sich vor allem daran, daß dem selbständigen Verfahrens nach Abs. 4 nach wie vor Ausnahmecharakter zukomme. Zwar seien die Voraussetzungen für die Durchführung eines selbständigen Verfahrens erweitert worden, das Prinzip sei aber nach wie vor die Festsetzung der Verbandsgeldbuße neben der Sanktionierung des Organs. Die wohl überwiegende Meinung sieht in der Gesetzesänderung durch das 2. WiKG dagegen eine Aufwertung der Verbandsgeldbuße zur Hauptfolge l18 . Die Streichung der Bezeichnung der Sanktion als Nebenfolge (§ 30 Abs. 1 OWiG) sowie die Erweiterung der Möglichkeiten zur Durchführung eines selbständigen Verfahrens (§ 30 Abs. 4 OWiG) hätten zur Konsequenz, daß die Geldbuße gegenüber der juristischen Person nicht mehr länger als "Annex" der Individualsanktion angesehen werden könne 11 9. Wie es vor allem im Kartellrecht l20 faktisch bereits vor Erlaß des 2. WiKG der Fall ge116 In diesem Sinne auch Achenbach, JuS 1990, S. 605, Brender, S. 92; Schroth, wistra 1986, S. 163; Tiedemann, NJW 1988, S. 1171. 117 Vgl. Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 146; Rebmann-Roth/Förster, Vor § 30 Rdn. 10 sowie § 30 Rdn. 37. 118 Vgl. Bauer, WuW 1989, S. 305; Deruyck, ZStW Bd. 103 (1991), S. 716; Franzheim, wistra 1986, S. 255; Göhler, Vor § 29a Rdn. 14; Jescheck, § 23 V 2, S. 205; Möhrenschlager, wistra 1983, S. 52; Müller-Guggenberger, § 19 Rdn. 46; Schlüchter, S. 181; Schroth, wistra 1986, S. 162; Schwacke, S. 59, 65; Tiedemann, NJW 1988, S. 1171. 119 Die Tatsache, daß das 2. WiKG die Bezeichnung als "Nebenfolge" wohl in § 30 Abs. 1 OWiG, nicht aber in der Überschrift vor §§ 87,88 sowie in § 33 Abs. 1 S. 2 OWiG getilgt hat, wird zutreffend als Redaktionsversehen angesehen; vgl. Achenbach, JuS 1990, S. 605 FN 50; wohl auch Tiedemann, NJW 1988, S. 1171. Zumindest der Fall des § 33 Abs. 1 S. 2 OWiG hat im Koalitionsentwurf und Regierungsentwurf eines 2. UKG BelÜcksichtigung gefunden, vgl. BT-Drucks. 1116453, S. 6, 32; BR-Drucks. 126/90, S. 15, 94 f. 120 Vgl. die unterschiedlichen Größenordnungen, in denen sich Verbandsgeldbuße und Sanktionierung des schuldigen Organs immer schon bewegt haben, beipielsweise KG WuW/E OLG 3387, 3393 f ("Altölpreise"): DM 100 000 gegen die GmbH, DM 6000 gegen den
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wesen sei, trete die Sanktionierung des Organs gegenüber der Verbandsgeldbuße nunmehr auch rechtlich in den Hintergrund l21 . bb) Stellungnahme: Das dogmatische Konzept der neugefaßten Verbandsgeldbuße Die im Schrifttum teilweise vertretene Auffassung, trotz der Streichung der Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge habe sich materiell nichts geändert, da die Durchführung eines selbständigen Verfahrens gegen die juristische Person nach wie vor die Ausnahme darstelle, reduziert die Bedeutung der bisherigen Gesetzesfassung zu einseitig auf den prozessualen Aspekt. Wie nicht zuletzt ihre dogmatische "Verteidigung" durch die Amtliche Begründung zum EOWiG zeigt, hatte die Bezeichnung der Verbandsgeldbuße als Nebenfolge nicht allein die Funktion, klarzustellen, daß diese Sanktion verfahrensmäßig neben und nicht anstelle der gegen das handelnde Organ zu verhängenden Strafe oder Geldbuße festzusetzen war 122 . Du kam vielmehr insofern materielle Bedeutung zu, als eine Neben- (oder Mit-)Haftung der juristischen Person für die schuldhafte Tatbegehung ihres Organs angeordnet worden war 123 • Den Schlüssel zum dogmatischen Verständnis des neugefaßten § 30 OWiG bilden dementsprechend auch weniger die verfahrensrechtlichen Änderungen der Vorschrift, als vielmehr ein materieller Gesichtspunkt, der von der Amtlichen Begründung zum 2. WiKG ebenfalls - wenn auch eher beiläufig angesprochen wird, die Normadressatenschajt juristischer Personen l24 : Als Korrelat ihrer Fähigkeit zur Teilnahme am Rechtsleben werden Verbänden ebenso wie natürlichen Personen von der Rechtsordnung Pflichten auferlegt,
Geschäftsführer; KG WuW/E OLG 3827: DM 90 000 gegen die Gesellschaft, DM 20 000 gegen den Geschäftsführer. 121 Vgl. Müller-Guggenberger, § 19 Rdn. 46. 122 In diesem Sinne aber Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 146. 123 Rebmann-Roth/Förster, Vor § 30 Rdn. 11 sowie § 30 Rdn. 37, berufen sich zur Begtiindung ihrer Auffassung, durch die Neufassung habe sich sachlich nichts geändert, darauf, die Amtliche Begtiindung zum Regierungsentwurf eines 2. WiKG sehe ausdtiicklich nur eine "Lockerung" des Zusammenhangs zwischen Verbandssanktion und Organtat vor, nicht aber dessen Beseitigung. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Amtliche Begtiindung eben gerade nicht auf die Frage eingeht, welche Bedeutung die Streichung der Bezeichnung der Verbandsgeldbuße für das dogmatische Konzept der Vorschrift hat. 124 "Die juristische Person ist als solche Adressat von Rechtspflichten auf Grund von Geboten und Verboten, die sie verletzen kann", Amtliche Begtiindung zum Regierungsentwurf eines 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, S. 40. Vgl. zu diesem Aspekt auch Brender, S. 117; Tiedemann, NJW 1988, S. 1171 f. 6 Ehrhardt
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
für deren Erfüllung sie einzustehen haben l25 . Verstößt ein Verband (durch seine Organe) gegen eine Vorschrift, die derartige, auch ihn als Kollektiv treffende Obliegenheiten zum Gegenstand hat, und wird diese Zuwiderhandlung mit einer Verbandssanktion geahndet, so kann - insbesondere mangels gegenteiliger gesetzlicher Anordnung - nicht davon ausgegangen werden, die juristische Person hafte nur in zweiter Linie neben oder mit dem Organ. Die Rechtsfolge richtet sich in diesem Fall vielmehr unmittelbar gegen den Verband als solchen; er wird mit der Sanktion als "Hauptfolge" belegt. Die Auferlegung einer schuldabhängigen, an die Verletzung eigener Pflichten anknüpfenden Sanktion setzt allerdings die Handlungs- und Schuldfähigkeit des von ihr Betroffenen voraus. Die Vorschrift des § 30 OWiG n.F. läßt sich dementsprechend "systemkonform"126 nur als Norm erklären, vermittels derer dem Verband das Handeln und Verschulden seiner Organe als eigenes zugerechnet wird. Der Gesetzgeber hat insofern durch die Neuregelung eine - jedenfalls auf den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts bezogene - Handlungs- und Schuldfähigkeit von Verbänden "im juristischen Sinne" anerkannt 127. Ein solches Verständnis des § 30 OWiG n.F. als Zurechnungsvorschrift läßt im übrigen auch die Amtliche Begründung zum 2. WiKG zumindest ansatzweise erkennen. So wird - unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 128 - ausgeführt: Da die juristische Person selbst nicht handlungsfähig sei, könne nur die Schuld der für sie verantwortlich handeln-
125 Ein Beispiel dafür bildet das Kartellverbot des § 1 GWB, durch welches gerade (auch) juristische Personen verpflichtet werden, bestimmte Verhaltensweisen, insbesondere den Abschluß von Kartellverträgen, zu unterlassen. Vgl. K.Schmidt, wistra 1990, S. 133. Ferner BGHSt 20, 333, 337 ("Saba"). 126 Einen grundsätzlich anderen Lösungsansatz schlägt Schünemann, S. S. 234 ff; ders., wistra 1982, S. 49 f., vor. Auf ihn soll in anderem Zusammenhang eingegangen werden; vgl. Kap. 3, C II 2 b) aa). 127 In diesem Sinne auch Brender, S. 121 ff.; Tiedemann, NJW 1988, S. 1172. Ebenso bereits zum Rechtszustand vor 1986: Demuth/Schneider, BB 1970, S. 650; Göhler, Beiheft ZStW 1978, S. 109; V.Kaiser, S. 103; Müller, S. 47 f. Selbst erklärte Gegner der Verbandsgeldbuße sprechen dem Gesetzgeber teilweise die Befugnis zu, de lege ferenda eine Zurechnung der Organtat als eigene des Verbandes vorzusehen; vgl. etwa R.Schmitt, S. 187 ff.; Seiler, S. 64 ff. 128 BVerfGE 20, 323, 333 = NJW 1967, S. 195, 197; Das Gericht hat in dieser (noch vor Einführung des § 26 OWiG ergangenen) Entscheidung eine Zurechnung auch des Organverschuldens für nicht ausgeschlossen gehalten. Es liege dann kein Verstoß gegen den auch auf strafähnliche Sanktionen Anwendung findenden - Verfassungsgrundsatz "nulla poena sine culpa" vor, da die Festsetzung der Geldbuße an ein schuldhaftes Verhalten, nämlich das des Organs, anknüpfe.
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den Personen maßgeblich sein, wenn gegen sie wegen schuldhaften Handeins strafrechtlich vorgegangen werde l29 .
2. Folgerungen im Hinblick auf die Diskussion um die Verbandsstrafe Im Schrifttum wird die Neufassung des § 30 OWiG zum Teil als erster Schritt in Richtung auf eine "Unternehmenstäterschaft" bewertet 130. Gleichzeitig weist man darauf hin, daß damit die Aporie einer Unterscheidung zwischen der angeblichen Unzulässigkeit einer Bestrafung juristischer Personen und der Zulässigkeit ihrer Belegung mit Bußgeldern um so deutlicher in Erscheinung trete131 . Vergleicht man die Argumente gegen eine Verbandsstrafe mit denen für eine Verbandsgeldbuße, so lassen sich in der Tat auffallige Diskrepanzen ausmachen. Diese werden noch verschärft, wenn man die gewonnenen Erkenntnisse im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat sowie zwischen Geldbuße und Strafe l32 in die Betrachtung einbezieht 133. a) Die (angebliche) Handlungsunfahigkeit juristischer Personen Die herrschende Auffassung im Schrifttum geht - wie erwähnt - von der Unfahigkeit juristischer Personen aus, selbst strafrechtlich zu handeln. Auch eine Zurechnung der Handlungen des Organs wird im Kriminalstrafrecht vielfach als "Kunstfigur" abgelehnt l34 . Im Gegensatz dazu werden gegen die Konzeption des § 30 OWiG, wonach dem Verband das Verhalten seiner Organe als eigenes zuzurechnen ist, kaum Einwände erhoben l35 . Da sich beide Rechtsbereiche nicht wesensmäßig unterscheiden und insbesondere dem Begriff der "Handlung" im Ordnungswidrigkeitenrecht keine andere Qualität zukommt als im Kernstrafrecht, ist nicht einzusehen, wieso eine solche Handlungsfahigkeit juristischer Personen kraft Zurechnung im einen Falle
129 Vgl. die Amtliche Begriindung zum Regierungsentwurf eines 2. WiKG, BT-Drucks. 10/318, S. 39. 130 Vgl. Müller-Guggenberger, § 19 Rdn. 47; TIedemann, NJW 1988, S. 1173; ähnlich Möhrenschlager, wistra 1983, S. 52; Göhler, Vor § 29 a Rdn. 7 a.E.; Rütsch, S. 14. 131 Vgl. Achenbach, JuS 1990, S. 605; Müller-Guggenberger, § 19 Rdn. 47. 132 Vgl. oben Kap. 3, C I. 133 Ähnlich 7ieschang, S. 386.
134 Vgl. dazu nur Engisch, in: Verhandlungen des 40. Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. E 24. Näher oben Kap. 2, A. 135 Ein Ausnahme bilden etwa die Ausführungen Wieseners, S. 34, und Göhlers, JZ 1968, S. 591, beide zum Rechtszustand vor 1986; vgl. nunmehr Göhler, Vor § 29 a Rdn. 14.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
möglich, im anderem unmöglich sein soll136. Dies gilt um so mehr in Anbetracht der Tatsache, daß die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße auch als Reaktion auf kriminelles Verhalten des Organs möglich ist; der juristischen Person wird in diesem Fall nicht ein nur ordnungswidriges, sondern strafbares Handeln als eigenes zugerechnet - anders ausgedrückt: der Verband vermag in diesem Sinne zwar kriminalstrafrechtlich zu handeln, kann dafür aber nur ordnungswidrigkeitenrechtlich belangt werden. b) Die (angebliche) Schuldunfähigkeit juristischer Personen Eine weitere Diskrepanz ergibt sich im Hinblick auf das Schulderfordernis: Inwieweit ist die Anerkennung einer auf das Ordnungswidrigkeitenrecht bezogenen "juristischen" Schuldfähigkeit von Verbänden mit der Argumentation zu vereinbaren, Körperschaften gegenüber könne kein Schuldvorwurf erhoben werden? aa) Die Notstandskonzeption Schünemanns Eine Möglichkeit der Auflösung dieser Antinomie böte der Vorschlag
Schünemanns 137 , im Hinblick auf die Verbandsgeldbuße den Schuldgrundsatz
als Legitimationsprinzip aufzugeben. Handlungs- und Schuldfähigkeit seien so Schünemann - nur dann unerläßliche Voraussetzungen einer staatlichen Maßnahme, wenn diese ihre Rechtfertigung im Schuldprinzip habe. Während Sanktionen gegenüber natürlichen Personen unter Zugrundelegung des Schuldgrundsatzes legitimiert werden könnten, sei dies in bezug auf Ahndungsmaßnahmen gegenüber juristischen Personen oder Personenvereinigungen jedoch nicht möglich, weil letzteren die Handlungs- und Schuldfähigkeit eben fehle. Der Autor will das Schuldprinzip für den Bereich der Verbands geldbuße deshalb durch ein Legitimationsprinzip des "Rechtsgüternotstandes" analog § 34 StGB ersetzt wissen 138 : Als Folge der unzulänglichen Sanktions- und Präventionseffizienz im Bereich der Untemehmenskriminalität 139 sei der erforderliche Rechtsgüterschutz - jedenfalls in den Fällen, in denen ein individueller Täter nicht haftbar gemacht werden könne - auf andere Weise als durch eine Sanktionierung der juristischen Person nicht gewährleistet. Eine in diesem Sinne "anonyme Verbandsgeldbuße" sei nicht nur geeignet und erforderlich, diesen Schutz zu bieten, sondern auch angemessen; 136 Ähnlich Pohl-Sichtermann, S. 38. 137 S. 234 ff; ders., wistra 1982, S. 49 f. 138 Näher S. 236 ff.
139 Vgl. zu diesem Problem noch näher Kap. 5, C I.
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insbesondere wiege in diesem Falle die dem Verband zugefügte Einbuße geringer als die Erhaltung der bedrohten Rechtsgüter . Die Konzeption Schünemanns vermag zwar möglicherweise eine tragfahige Begründung für eine (anonyme) Verbandsgeldbuße de lege ferenda zu liefern; sie dem geltenden Recht als Legitimationsprinzip zugrunde legen zu wollen, erweckt jedoch Bedenken l40 . Zu berücksichtigen ist nämlich der vor allem in den Vorschriften der §§ 1, 17 OWiG angelegte repressive Charakter der Geldbuße. Als nicht bloß präventive Sanktion ist sie - wie die Strafe - staatliche Reaktion auf ein schuldhaft-rechtswidriges Verhalten, so daß ihre Verhängung eine - zumindest "juristische" - Schuldfahigkeit des zu Sanktionierenden voraussetzt. Wenn Schünemann das Argument, die Gelbuße ziele auf Repression ab, lediglich als "eine andere Formulierung der trivialen Erkenntnis, daß jede Vergeltung von Schuld die Existenz von Schuld voraussetzt" 141 , bezeichnet, so ist dem entgegenzusetzen, daß der Schuldgrundsatz als Ausfluß des Rechtsstaatsprinzips nicht zuletzt auch verfassungsrechtliche Bedeutung hat: Der Täter soll gegen jedes Übermaß an staatlicher Einwirkung als Reaktion auf ein normwidriges Verhalten geschützt und eine bloße Erfolgshaftung ausgeschlossen werden l42 . bb) Kriminalstrafrechtliche Schuldunfahigkeit vs. ordnungswidrigkeitenrechtliche Schuldfahigkeit Nach herrschender Meinung im Schrifttum sind juristische Personen mangels Fähigkeit zur sittlichen Selbstbestimmung im kriminalstrafrechtlichen Sinne schuldunfahig l43 . Der Umstand, daß ihnen dennoch eine - ebenso schuldabhängige - Geldbuße auferlegt werden kann, wird damit gerechtfertigt, diese Sanktion knüpfe, da sie kein sozialethisches Unwerturteil ausdrücke, auch nicht an ein Verschulden im Sinne eines sittlichen Vorwurfs an l44 . Der Begriff der Vorwerfbarkeit im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts sei daher rein formal, als Verwaltungsungehorsam zu verstehen; sanktioniert werde die nicht ausreichende "Anspannung", die "Lässigkeit des Willens"145. Mit diesem könne das Organ den Verband wie im Zivilrecht "vertreten", so 140 141 142 143 144
Ebenso Brender, S. 96 f. S.234. Vgl. dazu näher Jescheck, § 4 I, S. 18 f. Vgl. oben Kap. 2, B I.
Vgl. die Amtliche Begründung zu § 6 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 46; Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 16 f.; Göhler, Vor § 29a Rdn. 13; Müller, S. 42; RebmannRothlFörster, Vor § 30 Rdn. 7; SchneiderIPeren!Zee-Heraeus, § 23 Anm. 1; Immenga/Mestmäcker-Tiedemann, Vor § 38 Rdn. 50. 145 Vgl. Haertel-Joel-Eb.Schmidt, S. 33.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
daß es möglich sei, eine Geldbuße auch gegen Verbände zu verhängen l46 . Ihre Festsetzung ziele lediglich darauf ab, bei den Verantwortlichen den Willen zur Gesetzestreue zu bestärken; darüber hinausgehende Zwecke würden mit ihr nicht verfolgt l47 . An dieser Argumentation ist bereits der Ausgangspunkt zu bezweifeln, nämlich die Annahme, Ordnungswidrigkeiten stellten sozialethisch wertneutrale Verhaltensweisen dar 148 . Es kann unter diesem Aspekt auch nicht davon ausgegangen werden, der Schuldvorwurf im Sinne des Ordnungswidrigkeitenrechts erschöpfe sich in dem Tadel einer nicht ausreichenden Willensanspannung: Da sich das Unrecht einer Ordnungswidrigkeit von dem einer Straftat nur quantitativ unterscheidet, beinhaltet der den Täter deswegen treffende Vorwurf ebenfalls ein Element sozialethischer Mißbilligung - wenngleich in geringerer Intensität: Unrecht, Schuldvorwurf und Sanktion stehen zueinander in Beziehung l49 . Selbst wenn man unterstellte, dem Ordnungswidrigkeitenrecht läge tatsächlich ein qualitativ anderer, "wertneutraler" Schuldbegriff zugrunde, so ist wenig einsichtig, weshalb eine "Willens-Vertretung" des Verbandes durch seine Organe auf bloßen Verwaltungsungehorsam beschränkt sein soll. Die Möglichkeit einer Repräsentation durch das Individuum, mithin der Bewertung dessen Willens und HandeIns als Willen und Handeln der Kollektivperson, dürfte unabhängig davon sein, ob es sich um einen lediglich "formal" fehlerhaften oder um einen sozialethisch unwertigen Willen handelt. Nur schwer miteinander in Einklang zu bringen ist auch, Verbände - als gleichsam seelenlose Gebilde für nicht ansprechbar für einen kriminalstrafrechtlichen Schuldvorwurf zu halten, im Hinblick auf die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße hingegen auf die hinter der Körperschaft stehenden Individuen zu rekurrieren: Diese seien - so die Argumentation - als Vertreter des Verbandes für eine Pflichtenmahnung empfänglich. Wieso soll nur ein "wertfreier" , nicht aber ein sozialethischer Vorwurf die den Verband verkörpernden Organe treffen können? Folgerichtig wäre es, Kollektive entweder für nicht ansprechbar für jedweden Vorwurf, sei er "wertfrei" oder sozialethisch unwertbehaftet, zu halteniSO - oder aber die eine Schuldfähigkeit juristischer Personen ablehnende Argumentation neu zu überdenken. 146 Vgl. Eb.Schmidt, Wirtschaftsstrafrecht, S. 52; ders., in: Niederschriften, Bd. I, S. 317 sowie Karlsruher Kornmentar-Cramer, § 30 Rdn. 16; Göhler, Vor § 29a Rdn. 13; Müller, S. 42. 147 Vgl. Haertel-Joi;I-Eb.Schmidt, S. 33. 148 Vgl. dazu bereits oben Kap. 3, C I. 149 Vgl. Lang-Hinrichsen, in: Festschrift für Hellmuth Mayer, S. 61; ders, JZ 1970, S. 796. ISO In diesem Sinne R.Schmitt, S. 216; ders., in: Festschrift für Richard Lange, S. 878. Ferner V.Kaiser, S. 93 ff.; Pohl-Sichtermann, S. 39.
C. Stellungnahme
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Die Begründung der herrschenden Meinung büßt ihre Überzeugungskraft um so mehr ein, wenn man berücksichtigt, daß die Festsetzung einer Verbandsgeldbuße auch an kriminelle Verhaltensweisen eines Organs anknüpft. Obiger Auffassung zufolge kann der dem Individualtäter gegenüber erhobene Vorwurf, der in diesem Fall nicht eine bloße "Lässigkeit" zum Gegenstand hat, sondern sozialethisch begründet ist, den Verband nämlich gerade nicht treffen I51 . Es fehlt insoweit an einer (dem zu Sanktionierenden) vorwertbaren Tat als Voraussetzung der Bußgeldverhängung: Die einerseits als im kriminalstrafrechtlichen Sinne schuldunfähig bezeichnete Körperschaft wird andererseits wegen echten Kriminalunrechts mit einer Schuld erfordernden Sanktion belegt. Unter dem Eindruck dieser Ungereimtheiten verdienen Anregungen im neueren Schrifttum Beachtung, wonach der Inhalt des Schuldvorwurfs für den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts und speziell für die Verbandsgeldbuße anders bestimmt werden solle als im individualistisch geprägten Strafrecht l52 . So sprechen sich insbesondere Tiedemann l53 und Brenderl54 dafür aus, den "klassischen" Schuldbegriff mit seiner Bezugnahme auf eine persönliche sittliche Fehlleistung insoweit durch einen "an sozialen und rechtlichen Kategorien ausgerichteten Schuldbegriff im weiteren Sinne"155 zu ersetzen. Den tragenden Grund für eine Bußgeldverantwortlichkeit juristischer Personen sehen die Autoren in einem "Organisationsverschulden": Grundlage der Verantwortlichkeit des Verbandes sei der Umstand, daß er es - durch seine Organe und Vertreter - unterlassen habe, organisatorische Vorkehrungen zu treffen, um Delikte im Geschäftsbetrieb zu verhindern I56 . c) Die (angebliche) Ungerechtigkeit einer Verbandsstrafe Vergleicht man die Argumentation gegen die Verbandsstrafe einerseits und für eine Verbandsgeldbuße andererseits, so erweckt ein weiterer Aspekt Erstaunen: Vom überwiegenden Teil des Schrifttums wird immer wieder vorgebracht, eine Verbandsstrafe sei ungerecht, da sie letztlich die zum Großteil 151 Darauf weist auch Müller, S. 48, hin. Ähnlich Zieschang, S. 386 FN 405. 152 In diesem Sinne auch Göhler, Vor § 29a Rdn. 14. 153 NJW 1988, S. 1172. 154 S. 101 ff.
155 TIedemann, NJW 1986, S. 1172. 156 Wie noch zu zeigen sein wird, kommt ein derartiges "Vorverschulden" des Unternehmens - welches allerdings nicht auf den organisatorischen Aspekt zu beschränken ist, sondern sich ebenfalls auf normative Gesichtspunkte beziehen kann - auch als dogmatische Basis einer kriminalstrafrechtIichen Schuldfähigkeit juristischer Personen in Betracht. Vgl. dazu unten Kap. 6, B III 4.
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3. Kapitel: Die Verbandsgeldbuße
unbeteiligten, unschuldigen Mitglieder treffe l57 . Nimmt man diesen Einwand ernst, so muß er in gleicher Weise im Hinblick auf die Festsetzung von Verbandsgeldbußen Berücksichtigung fmden l58 : Auch diese schlägt sich im Vermögen der Körperschaft nieder und wirkt sich auf alle an ihr Beteiligten nachteilig aus. Entsprechendes gilt für den gegen die Verhängung von Unternehmensstrafen erhobenen Einwand einer (angeblichen) Doppelbestrafung l59 : In der Festsetzung einer Verbandsgeldbuße wird eine solche allgemein nicht gesehen l60 . Insbesondere nachdem die Nebenfolgekonstruktion, die 1968 gerade auch unter Hinweis auf den Grundsatz "ne bis in idem" eingeführt worden war 161 , nunmehr in Wegfall geraten ist, müßte sich das Problem im Bereich des § 30 OWiG streng genommen in gleicher Weise stellen wie im Kriminalstrafrecht . d) Weitere Bedenken gegen die Verbandsgeldbuße in ihrer derzeitigen Gesetzesfassung Bei ihrer Einführung im Jahr 1968 war die Vorschrift des § 26 (§ 30) OWiG auch unter Hinweis darauf gerechtfertigt worden, sie diene dazu, die Gleichbehandlung von natürlichen Personen und Personenverbänden zu gewährleisten. Ebenso wie ein Einzelunternehmer für eine Normzuwiderhandlung zur Rechenschaft gezogen werde, müsse eine Körperschaft die Folgen einer Nichtbeachtung der Rechtsordnung durch ihren Repräsentanten tragen, da ihr andererseits auch die Vorteile aus dessen Betätigung zuflössen l62 . Diesem Ziel der Gleichbehandlung wird die derzeitige Ausgestaltung der Vorschrift des § 30 OWiG allerdings nur sehr begrenzt gerecht. Nach dem jetzigen Rechtszustand wird der Einzelkaufmann, der im (vermeintlichen) "Geschäftsinteresse" eine strafbare Handlung begeht, dafür mit einer Kriminalstrafe belegt - mit allen damit für ihn selbst verbundenen negativen Konsequenzen (Eintragung in das Bundeszentralregister , Rufschädigung aufgrund der Öffentlichkeit des Strafverfahrens etc.) und - im Fall seiner Inhaftierung - auch für sein Unternehmen. Begeht eine juristische Person dagegen dasselbe Delikt durch sein Organ, so kommt sie nach geltendem 157 Vgl. oben Kap. 2, D I. 158 In diesem Sinne kritisch auch R.Schmitt, in: Festschrift für Richard Lange, S. 882 f. 159 Vgl. oben Kap. 2, D 11. 160 Vgl. OLG Hamm NJW 1973, S. 1853; OLG Celle NdsRpfi 1975, S. 129; Göhler, § 30 Rdn. 29; Karlsruher Kommentar-Cramer, § 30 Rdn. 159. 161 Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 59, 61. Vgl. dazu auch oben Kap 3, C 11 1 a). 162 Vgl. die Amtliche Begründung zu § 19 EOWiG, BT-Drucks. V/1269, S. 59.
C. Stellungnahme
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Recht mit einem Bußgeld davon; der Verband ist weder der stigmatisierenden Wirkung einer Registereintragung noch (notwendigerweise) der Öffentlichkeitswirkung eines Strafverfahrens ausgesetzt. Er kann in der Regel weiter wie bisher seinen Geschäften nachgehen 163. Bedenken ergeben sich auch noch im Hinblick auf einen weiteren Gesichtspunkt: § 1 OWiG schreibt für die Festsetzung einer Geldbuße die Verletzung eines Bußgeldtatbestandes vor. Dieses Erfordernis ist unproblematisch, soweit das Verbandsorgan eine Ordnungswidrigkeit begeht, denn diese wird dem Verband als eigene zugerechnet. Stellt die Anknüpfungstat hingegen ein Kriminaldelikt dar, so fehlt es an der Voraussetzung der Verletzung eines Bußgeldtatbestandes l64 - es sei denn, man sieht die Begehung einer Ordnungswidrigkeit als Minus zur Verwirklichung eines Straftatbestandes an.
3. Zusammenfassung Die Verbandsgeldbuße ist aufgrund des 2. WiKG auf eine neue dogmatische Basis gestellt worden. Das Ordnungswidrigkeitenrecht behandelt juristische Personen und Personenvereinigungen nunmehr insoweit als taugliche Täter, als ihnen Handlung und Schuld ihrer Organe als eigene zugerechnet werden. Mit der Anerkennung einer auf den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts bezogenen Guristischen) Handlungs- und Schuldfähigkeit von Verbänden ist die bisherige Argumentation, Verbände seien strafrechtlich nicht verantwortlich zu machen, nur schwer in Einklang zu bringen. Dies gilt um so mehr, als die unterschiedliche Behandlung juristischer Personen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht mit Hilfe eines sachlichen Unterschiedes zwischen Ordnungsunrecht und Kriminalunrecht oder zwischen Geldbuße und Strafe zu begründen ist. Unter der Prämisse, daß eine Kriminalstratbarkeit juristischer Personen und Personenvereinigungen aus dogmatischen Gründen nicht in Betracht kommt, ist streng genommen auch eine Verbandsgeldbuße als "Etikettenschwindel "165 abzulehnen. Ein kritisches Überdenken der bisherigen Haltung des Schrifttums zur Frage einer Verbandsstrafe erscheint auch aus diesem Grunde vonnöten l66 .
163 S.47. 164 165 166
Ähnlich V.Kaiser, S. 34; KojJka, in: Niederschriften, Bd. IV, S. 323; Pohl-Sichtermann, So auch Pohl-Sichtermann, S. 47. Jescheck, § 23 V 3, S. 205. Vgl. dazu unten Kap. 6.
4. Kapitel
Die Rechtslage in den Vereinigten Staaten von Amerika A. Allgemeines zum US-amerikanischen (Straf-)Recht I. Besonderheiten des Common Law
Das Recht der USA gehört seiner Struktur nach zur Rechtsfamilie des Common Law, wird also traditionell in erster Linie von der Rechtsprechung bestimmt: Entscheidungen höherer Gerichte (precedents) stellen selbständige Rechtsquellen dar, indem sie - jedenfalls soweit es um die ratio decidendi geht - eine Bindungswirkung für die Untergerichte entfalten (stare decisisDoktrin)'. Dem Fallrecht (case law) steht das gesetzte Recht (statutory law) gegenüber. Dessen Verständnis ist in den USA - wie auch in England - jedoch ein völlig anderes als in den Ländern der römisch-rechtlichen Rechtsfamilie, wo Gesetze die Grundlage für die Ausarbeitung und Entwicklung des Rechts bilden: Der Legislative kommt nach amerikanischem - wie auch englischem Verständis lediglich die Aufgabe zu, einzelne Rechtsprobleme zu regeln, nicht aber eine fundamentale Änderung des Common Law herbeizuführen2 • In den Codes, wie es sie in den USA für viele Bereiche gibt, sieht der amerikanische Jurist eine mehr oder minder gelungene Zusammenstellung bereits bestehender Rechtsregeln3 . Gesetze gelten auch erst dann als in das amerikanische Rechtssystem eingegliedert, wenn sie von Gerichten ausgelegt und angewendet worden sind und man sich nicht mehr auf die Norm selbst berufen muß, sondern auf die auf ihrer Grundlage ergangenen Entscheidungen4 . Aus alledem ergibt sich, daß sich das US-amerikanische Recht im Grundsatz weniger aus allgemeinen Prinzipien deduzieren, als vielmehr induktivanhand der in Entscheidungssammlungen aufgenommenen höchstrichterlichen Urteile erfassen läßt5 . Was das materielle Strafrecht angeht, so übernahmen die englischen Niederlassungen im Nordosten der heutigen USA zunächst das englische common
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Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.
dazu näher Hay, S. 7 ff. David/Grasmann-Will, S. 508 f. David/Grasmann-Will, S. 540. David/Grasmann-Will, S. 508 f. Honig, S. 15.
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law des 17. Jahrhunderts, welches sie den veränderten Gegebenheiten anpaßten. Mit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 kam auch der Gedanke der Selbständigkeit des amerikanischen Rechts auf und fand zahlreiche Anhänger6. So wurde unter Führung des Staates New York begonnen, das überkommene, dem englischen common law entsprechende Strafrecht in Gesetzen zusammenzufassen und festzuschreiben7 . Auf der Ebene der Einzelstaaten und des Bundes entstand ein stetig umfassenderes Gesetzesrecht (state law resp. jederal law). Der Grad der formellen Verdrängung des common law durch statutes war und ist dabei unterschiedlich: Während einige Bundesstaaten umfassende Kodifikationen einführten und damit die früheren Regeln des common law implizit außer Kraft setzten, hoben andere - wie auch der Bundesgesetzgeber - letztere ausdrücklich auf und erließen statt dessen entsprechende statutes. Wieder andere Einzelstaaten behielten die Straftaten des common law entweder ausdrücklich oder durch Gerichtsgebrauch bei und ersetzten sie lediglich im Einzelfall durch gesetztes Recht 8 . Der praktische Unterschied zwischen diesen Regelungsvarianten ist indes gering. Zunächst ist zu berücksichtigen, daß das amerikanische Recht trotz einzelner Unterschiede zwischen den verschiedenen Bundesstaaten fundamental als Einheit begriffen wird9 . Hinzu kommt das besondere Verständnis vom Verhältnis von gesetztem Recht und Fallrecht zueinander: Abgesehen von dem allgemeinen Grundsatz, daß das statutory law im Zweifel so auszulegen ist, daß es mit dem common law im Einklang steht, werden die Regeln des Fallrechts auch zur inhaltlichen Ausfüllung der - oft begrifflich ungenau gefaßten - gesetzlichen Straftatbestände herangezogen. Überdies kommt ihnen - da den meisten strafrechtlichen Kodifikationen1o ein dem deutschen StGB entsprechender "Allgemeiner Teil" fehlt - Bedeutung zu im Hinblick auf die grundsätzlichen Fragen einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit 11. 11. Grundlagen der strafrechtlichen VerantwortUchkeit
1. Actus Reus - Mens Rea
Die grundsätzlichen Voraussetzungen einer strafrechtlichen Veranwortlichkeit nach anglo-amerikanischen Rechtsverständnis lassen sich durch die 6 7 8 9
Vgl. zur Entwicklung näher David/Grassmann-Will, S. 502 Cf. Vgl. Grünhut, S. 171 f. Vgl. zum Ganzen näher Honig, S. 41 FN 54.
Vgl. dazu David/Grasmann-Will, S. 515 Cf. 10 Eine Ausnahme bildet der 1962 vom American Law Institute verfaßte Model Penal Code. Vgl. dazu näher unten Kap. 4, B IV. 11 Vgl. Bähr, S. 31 f.; Honig, S. 41 ff., jeweils m.w.N.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
common law-Maxime "Actus non facit reum, nisi mens si! rea" umschreiben. Erforderlich ist generell zweierlei, nämlich einerseits ein bewußtes, als verbotswidrig zu wertendes Handeln oder Unterlassen (Actus Reus, voluntary act) sowie andererseits ein subjektives - in etwa dem deutschen Schulderfordernis entsprechendes - Element, Mens Rea (guilty mind)12.
Unter den Begriff der mens rea fallen neben dem Vorsatz (intent) auch je nach Delikt verschiedene sonstige subjektive Voraussetzungen (etwa specijic intent, malice, scienter) sowie die Kategorie der recklessness (Erfolgsverursachung unter bewußter Herbeiführung des Erfolgsrisikos 13 )14. Das Erfordernis eines guilty mind bedeutet allerdings nicht, daß der Täter sich bewußt gewesen sein müßte, eine rechtswidrige Handlung zu begehen; es bezieht sich vielmehr allein auf die einzelnen Merkmale des Lebenssachverhaltes, der objektiv eine Rechtsverletzung darstellt: Vorausgesetzt wird beim Delinquenten lediglich ein auf die Begehung einer bestimmten Handlung gerichteter Wille 15 • 2. Ausnahmen vom mens rea-Prinzip
Im Zusammenhang mit dem Vordringen des gesetzten Rechtes begannen sich etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zwei Ausnahmen von dem common law-Erfordernis eines Zusammentreffens von actus reus und mens rea (principle of concurrence) herauszubilden: strict liability (Strafbarkeit ohne Verschulden) und vicarious liability (stellvertretende strafrechtliche Verantwortlichkeit) 16 . a) Strict liability Als man im Zusammenhang mit der fortschreitenden Industrialisierung neue Regelungsbedürfnisse vor allem im Hinblick auf den Schutz der öffentlichen Wohlfahrt, Gesundheit und Sicherheit erkannte, wurden im Zuge der immer weitergehenden Kodifizierung vielfach auch dem common law unbekannte Delikte in das Strafrecht eingeführt l7 . In manchen Fällen unterließ es der Gesetzgeber dabei, ein mens rea-Erfordernis ausdrücklich in die Gesetzesformulierung aufzunehmen. Das führte zunächst dazu, daß die Gerichte - ent12 Vgl. Honig, S. 35. 13 14 15 16
Vgl. dazu näher Weigend, ZStW Bd. 93 (1981), S. 673 ff. Vgl. Bähr, S. 25 m.w.N. Vgl. etwa State \I. Downs, 116 N.C. 1064,21 S.E. 869 (1895); Bishop, S. 412. Ausführlich zur Entwicklung dieser Institute Bähr, S. 46 ff., 62 ff.
17 Vgl. Ackermann, S. 80 f.
A. Allgemeines zum US-amerikanischen (Straf-)Recht
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sprechend dem Grundsatz, daß das gesetzte Recht im Sinne des common law auszulegen sei - auch in derartige statutes als (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal das Erfordernis einer mens rea hineinlasen l8 . Erst nach und nach ging die Rechtsprechung dazu über, die neuen statutes wörtlich auszulegen und damit in bestimmten Bereichen auf das bisher für unabdingbar gehaltene Erfordernis eines guilty mind zu verzichten. Dieser Umschwung läßt sich nicht allein mit praktischen Überlegungen wie der wachsenden Zahl zur Entscheidung stehender Fälle - erklären. Ihm liegen vielmehr auch dogmatische Erwägungen zugrunde, nämlich die Unterscheidung zwischen strafbaren Handlungen mala in se und solchen mala prohibita l9 : Aufbauend auf dem Verständnis des common law als aus dem Rechtsbewußtsein des Volkes erwachsen, wurden alle gegen dieses Bewußtsein verstoßenden Verhaltensweisen als schon ihrer Natur nach moralisch verwerflich (mala in se) begriffen. Das gesetzte Recht sah man demgegenüber als Ausdruck verantwortungsbewußter Staatsgewalt an: der Gesetzgeber stelle bestimmte Verhaltensweisen, die schädliche Folgen für das Gemeinwesen haben könnten, unter Strafe. Derartige regulatory offences (oder auch public welfare offenees) seien nicht im eigentlichen Sinne kriminell, sondern moralisch wertneutral; sie stellten nur insofern Unrecht dar, als das Verhalten eben gegen im öffentlichen Interesse erlassene Verbote oder Gebote verstoße. Wurden also regulatory offences - im Unterschied zu den traditionellen common law-Delikten - als "bloßes" Unrecht mala prohibita angesehen, so bot es sich an, auf sie die im Zusammenhang mit den common law-Delikten entwickelte mens rea-Doktrin für nicht anwendbar zu erklären: Der Rechtsbrecher werde in diesem Bereich nicht wegen einer bewußten Auflehnung gegen die Rechtsordnung zur Verantwortung gezogen, sondern seine Bestrafung erfolge - ohne Rücksicht auf seine Absichten und Fähigkeiten - allein aus Gründen des Gesellschaftsschutzes. Der Gesetzgeber habe - so die ganz überwiegende Auffassung - das Recht, zugunsten der öffentlichen Wohlfahrt vorn Schulderfordernis abzusehen. Das Individuum werde in diesem Fall "dem Allgemeinwohl geopfert"20,21.
18 Vgl. etwa State v. Shedoudy, 45 N.M. 516, 118 P.2d 280,285 (1941). 19 Vgl. etwa Morisette v. U.S, 342 U.S. 246, 253 ff. (1952); Perkins, S. 788; kritisch Hall, S. 337 ff. 20 Vgl. Holmes, S. 41: "Public policy sacrijices the indiviudal to the general good" .
21 Vgl. Shevlin-Carpenter Co. v. Minnesota, 218 V.S. 57, 30 S.Ct. 663, 666 (1910); U.S. v. Balint, 258 V.S. 250, 42 S.Ct. 301 (1922); U.S. v. Behrmann, 258 V.S. 280, 42 S.Ct. 303 (1922). Das Rechtsinstitut der strict liability ist - wenn auch zuweilen kritisiert (vgl. statt aller Packer, in: 1962 S.Ct.Rev. 107 ff. sowie - aus deutscher Sicht - Bähr, S. 98 ff.) - zum festen Bestandteil der US-amerikanischen Gerichtspraxis geworden. Näher zum Ganzen auch Bähr, S. 46 ff.; Honig, S. 35 ff., 45 f. jeweils m.w.N.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
b) Vicarious liability Eng verwandt mit der strict liability ist das Institut der vicarious liability, der stellvertretenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit22 . Danach kann insbesondere ein Geschäftsherr für ein im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses (within the scope 0/ employment) begangenes statutory offence seines Gehilfen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, und zwar selbst dann, wenn letzterer ausdrücklich gegen Anweisungen seines Dienstherren verstoßen hat23 und diesen weder bei der Auswahl noch bei der Beaufsichtigung ein Verschulden trifft24 . Der vicarious liability-Doktrin wurde rechtsdogmatisch der Weg geebnet durch die Ausdehnung der dem zivilrechtlichen Deliktsrecht (law 0/ tons) entstammenden respondeat superior-rule25 auf das strafrechtliche statutory law, und zwar entweder durch ausdrückliche Anordnung des Gesetzgebers oder im Wege der Gesetzesauslegung durch die Gerichte26 . Man rechtfertigt diese Haftung für fremde Straftaten mit ähnlichen Erwägungen, wie sie zur Begründung einer strict liability für bestimmte Verhaltensweisen herangezogen worden sind. In dem leading case V.S. v. Dotterweich27 - wo es um den Handel eines Pharmagroßhandelsunternehmens mit Artikeln ging, deren Zusammensetzung entgegen dem Federal Food, Drugs and Cosmetic Act28 auf den Etiketten nicht richtig angegeben worden war - ist die Verurteilung des Präsidenten der Gesellschaft, der von der Fehlbezeichnung selbst nichts gewußt hatte, von der Mehrheit des Supreme Court wie folgt begründet worden: Der Gesetzgeber habe bei der fraglichen Vorschrift auf das konventionelle Erfordernis persönlicher Schuld verzichtet. Das Haftungsrisiko werde damit zwar einer Person aufgebürdet, die ansonsten unschuldig sei. Da sie jedoch in verantwortlicher Beziehung zu einer öffentlichen Gefahrenquelle stehe und wenigstens die Möglichkeit habe, sich über die zum Schutz der Konsumenten bestehenden Vorschriften zu informieren, sei es besser, das Risiko ihr aufzuerlegen als der unschuldigen und vollkommen hilflosen
22 Näher Bähr, S.62 ff. m.w.N. 23 Vgl. Groffv. State, 171 Ind. 547, 85 N.E. 769 (1908). 24 Vgl. Bähr, S. 141. 25 Danach haftet ein Arbeitgeber (master) resp. Auftraggeber (principaf) für die vom Angestellten (servant) bez. Beauftragten (agent) in Ausübung der übertragenen Verpflichtungen begangenen schädigenden Handlungen. Vgl. Shell Petroleum Corporation v. Magnolia Pipe Line Co., Tex.Civ.App., 85 S.W.2d 829,832. 26 Vgl. Bähr, S. 141 f. m.w.N. 27 320 U.S. 277, 64 S.ct. 134 (1943). 28 21 U.S.C. §§ 301-392 (1940).
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
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Öffentlichkeit29 . Im übrigen ist geltend gemacht worden, eine vicarious liability sei erforderlich, um ansonsten unüberwindliche Beweisschwierigkeiten zu
umgehen30 , eine ausreichende Präventivwirkung zu erzielen3 ! und den Schutz der öffentlichen Wohlfahrt zu gewährleisten32 • Trotz vergleichbarer Begründungansätze sollte nicht verkannt werden, daß
strict liability und vicarious liability durchaus systematische Unterschiede aufweisen: Während im ersten Fall auf das Erfordernis einer mens rea verzichtet
wird, verlangt die stellvertretende Verantwortlichkeit des Geschäftsherrn nicht einmal eine rechtswidrige Handlung desselben; ihm wird auch der actus reus eines Dritten zugerechnet, ohne daß die Voraussetzungen einer Mittäterschaft oder Teilnahme vorliegen müßten33 .
B. Corporate Criminal Liability im US-amerikanischen Strafrecht I. Einführung
Daß juristische Personen (corporations 34 ) für Delikte der für sie handelnden Individuen bestraft werden können, ist in der US-amerikanischen Judikatur inzwischen allgemein anerkannt. Ganz überwiegend wird eine derartige corporate criminal liability mit der dem Zivilrecht entstammenden respondeat superior-doctrine begründet: Die juristische Person sei für solche Straftaten ihrer Angestellten verantwortlich, die diese im Rahmen ihres Beschäftigungs29 320 U.S. 277, 281, 285. In ihrer dissenting opinion kritisierten vier der Richter das Konzept einer vicarious liability unter Hinweis darauf, daß das Erfordernis persönlicher Schuld zu den fundamentalen Grundsätzen des anglo-amerikanischen Rechts gehöre, von dem allein der Gesetzgeber abweichen könne, und zwar durch eine ausdrückliche und unzweideutige Regelung; vgJ. 320 U.S. 286 ff. (1943). 30 VgJ. Groffv. State, 85 N.E. 769 (1908); U.S. v. Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943). 3! VgJ. Sayre, in: 43 H.L.R. 722 (1930). 32 VgJ. Sayre, in: 43 H.L.R. 723 (1930). 33 VgJ. dazu näher Bähr, S. 142 ff. 34 Der (amerikanische) Begriff der "corporation" entspricht in etwa dem der juristischen Person. Er wird definiert als ".. .anijicial person or legal entity created by or under the authority of the laws of astate or nation, ... ordinarily consisting of an association of numerous individuals. Such entity subsists as a body politic under a special denomination, which is regarded in law as having a personality und existence distinct from that of its several members, and which is, by the same authority, vested with the capacity of continuous succession, irrespective of changes in its membership, either in perpetuity or for a limited term ofyears, and of acting as a unit or a single individual in matters relating to the comman purpose of the association, within the scope of the powers and authorities conferred upon such bodies by law" (Danmauth College v. Woodward, 17 U.S. (4 Wheat.) 518, 636, 657, 4 L.Ed. 629). In den USA ist die corporation nicht nur die Organisationsform von großen, sondern auch von mittleren und kleineren Unternehmen.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
verhältnisses (within the scope of employment) und in der Absicht begingen, der Körperschaft zu nützen (with intent to benefit the corporation). Auf die Stellung des Handelnden in der Hierarchie des Unternehmens kommt es dabei nicht an35 . 11. Grundzüge der Entwicklung einer Corporate Criminal Liability36
Die Haltung des frühen common law zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit juristischer Personen läßt sich kaum treffender zusammenfassen als durch die dem englischen Lord Chancellor Edward, First Baron Thurlow (1731 -1806) zugeschriebene Äußerung "Did you ever expect a co~oration to have a conscience, when it has no soul to be darnned, and no body to be kicked?" 7.
Tatsächlich war eine Bestrafung von Körperschaften auch im anglo-amerikanischen Rechtskreis lange Zeit bestritten. Die damals erhobenen Einwände entsprechen im wesentlichen denen, die im deutschen Recht noch heute die Diskussion beherrschen: Einer Körperschaft fehle - so das Hauptargument das Gehirn zur Bildung eines Vorsatzes und die Glieder, um ihn in die Tat umzusetzen. Dahinter stand die der Fiktionstheorie v.Savignys entsprechende und die US-amerikanische Rechtsauffassung vor allem unter dem Einfluß des Chief lustiGe lohn Marshall (1755-1835) beherrschende Vorstellung, Körperschaften seien allein dem juristischen Denken entspringende Gebilde38 . Ein weiteres dogmatisches Hindernis stellte die doctrine of ultra vires dar: Aus dieser Lehre, wonach die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person begrenzt ist durch ihren satzungsmäßigen Geschäftszweck, folgerte man in strafrechtlicher Hinsicht, Körperschaften seien - mangels Deckung durch die Statuten - zu deliktischen Handlungen von vorneherein nicht in der Lage39 .
35 Grundlegend New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. U.S., 212 U.S. 481 (1909). Vgl. zu den Einzelheiten unten Kap. 4, B III. Eine davon abweichende Konzeption liegt dem Model Penal Code zugrunde; vgl. La Fave/Scott, S. 261 sowie unten Kap 4, B IV. 36 Ausführlich dazu etwa Brickey, Vol. I, S. 63 ff. 37 Zitiert nach Coffee, in: 79 Mich.L.R. 386 (1981). Angeblich soll der Lordkanzler noch halblaut - hinzugefügt haben: "... (a)nd, by God, it ought to have both" (vgl. Coffee, a.a.O., FN 2)! Ebenfalls überliefert ist sein Ausspruch "Coporations have neither bodies to be punished, nor souls to be condemned; they therefore do as they like" (vgl. Clinard, Corporate Corruption, S. 171) 38 Vgl. dazu Clark/Marshall, S. 453; Honig, S. 103; Lee, in: 28 Col.L.R. 6 (1928); Leigh, S. 3 ff. m.w.N. 39 Vgl. dazu näher Leigh, S. 8 ff.
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
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Im Zuge der im Zusammenhang mit der Industrialisierung wachsenden Bedeutung juristischer Personen im Wirtschafts- und Sozialleben begann sich eine eher realistische Auffassung vom Wesen der Körperschaft als einer mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Einheit von Einzelpersonen durchzusetzen40 . Als die amerikanischen Gerichte dann etwa um die Mitte des 19. Jahrhundert dazu übergingen, im Hinblick auf bestimmte, zum Schutz der öffentlichen Wohlfahrt erlassene Strafvorschriften auf das mens rea-Erfordernis zu verzichten41 , war der Grundstein für eine corporate criminal liability gelegt. Zunächst wurden juristische Personen allerdings ausschließlich wegen strict liability-Unterlassungsdelikten (actsoj nonjeasance) strafrechtlich verfolgt was die Gerichte nicht nur des mens rea-Problems, sondern überhaupt der Schwierigkeiten einer Zurechnung einzelmenschlichen Verhaltens enthob. Man argumentierte, die im öffentlichen Interesse bestehenden Pflichten richteten sich an juristische Personen ebenso wie an Individuen. Dementsprechend könnten erstere im Fall der Nichterfüllung auch in gleicher Weise verantwortlich gemacht werden42 . Als sich herausstellte, daß eine derartige, auf Unterlassungsdelikte beschränkte strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen wenig sinnvoll und eine Abgrenzung der Nichterfüllung von Pflichten zu deren (aktiver) Schlechterfüllung (misjeasance) häufig nur eine Frage der Formulierung der entsprechenden Obliegenheit war, gingen die Gerichte mehr und mehr dazu über, Körperschaften auch für Begehungsdelikte zu bestrafen zunächst allerdings nur, sofern diese keinen Vorsatz oder sonstige subjektive Merkmale voraussetzten43 . Es sei - so eine englische Entscheidung - genauso einfach, eine Einzelperson oder auch eine Körperschaft zu beschuldigen, auf einer öffentlichen Straße ein Hindernis errichtet zu haben, wie ihr vorzuwerfen, diese nicht repariert zu haben. In gleicher Weise wie die juristische Person dazu gezwungen werden könne, eine Buße für die entsprechende Unterlassung zu entrichten, könne ihr eine solche auch für eine Handlung
40 Vgl. Canfield, in: 14 Col.R.R. 468 ff. (1914); Clark/Marshall, S. 453; Edgerton, in: 26 Y.L.J. 840 f. (1927); Laski, in: 29 H.L.R. 424 (1916). 41 Vgl. zur Entwicklung der strict liability-Delikte bereits oben Kap. 4, A 11 2 a). 42 Vgl. New York & G.L.R. Co. v. State, N.J.L. 303, 13 A. 1 (1888); People v. Clark, 8 N.Y.Cr. 169, 14 N.Y.S. 642 (1891); Leigh, S. 16; La Favel Scott, S. 257. In England waren es zunächst vor allem die neuen Eisenbahngesellschaften, die zum Gegenstand strafrechtlicher Verfolgung gemacht wurden; vgl. etwa Regina v. Birmingham & Gloucester Railway, 114 Eng.Rep. 492 (Q.B. 1842). 43 Vgl. zur Entwicklung Canfield, in: 14 Col.L.R. 474 f. (1914); Lee, in: 28 CoI.L.R. 7 ff. (1928); Leigh, S. 17 ff., jeweils m.w.N. 7 Ehrhardt
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
auferlegt werden44 . Die Verantwortlichkeit der juristischen Person wurde als ihrem Wesen nach zivilrechtliche begriffen; sie werde lediglich mit den Mitteln des Strafrechts durchgesetzt4 5 . Eine grundlegende Erweiterung der corporate criminal liability brachte das Jahr 1909, als dem U.S. Supreme Court der Fall New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. U.S.46 zur Entscheidung vorlag. Der traflic manager der Eisenbahngesellschaft und sein Vertreter hatten verschiedenen Firmen Rabatte gewährt und damit gegen den Elkins Act 0/ 190347 verstoßen. Dieses Bundesgesetz sah ausdrücklich vor, daß Zuwiderhandlungen eines (jeden) Angestellten, die dieser im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses (within the scope 0/ his employment) begehe, dem Unternehmen zugerechnet werde48 . Auf dieser Grundlage war die Eisenbahngesellschaft verurteilt worden, wobei die Besonderheit darin bestand, daß es hier nicht um ein strict liability-Delikt ging, sondern die fraglichen Vorschriften beim Täter specijic intent voraussetzten. Der Supreme Court, der über die Verfassungsmäßigkeit der Verurteilung der New York Central & Hudson River Rail Road Co. zu entscheiden hatte, sah sich also mit der klaren gesetzgeberischen Absicht konfrontiert, juristische Personen auch für solche Delikte strafrechtlich verantwortlich zu machen, die das mens rea-Erfordernis enthielten. Das Gericht bestätigte die Verfassungsmäßigkeit der Zurechnungsvorschrift des Elkins Act unter ausdrücklicher Heranziehung der zivilrechtlichen respondeat superior-doctrine49 • Es eröffnete damit die Möglichkeit einer corporate criminal liability auch in solchen Fällen, in denen der Gesetzgeber sie nicht - wie im Elkins Act - ausdrücklich vorgesehen hatte, und insbesondere auch im Hinblick auf sonstige Delikte, die mens rea erforderten50 . 44 It is "as easy to charge one person or a body corporate with erecting a bar across a public road as with the non-repair of it; and they may as weil be compelled to pay a fine for the act as for the ommission"; Regina v. Great Nonh ofEnglandRailway Company, (1846) 9 Q.B. 315, 319. 45 Vgl. etwa Baty, S. 204. 46 212 U.S. 481 (1909). 47 49 U.S.C. §§ 41 - 43 (1976 & Supp. III 1979).
48 "... the act, ommission, or failure of any ojJicer, agent or other person acting for or employed by any common carrier, acting within the scope of his employment, shall in every case, be also deemed to be the act, ommission or failure of such carrier, as weil as that of the person". 49 Vgl. dazu bereits oben Kap. 4, A II 2 b). 50 Vgl. Coffee, in: Crime and Justice, S. 254. Bereits vor der Entscheidung New York Central & Hudson River Rail Road Co. war von bundesstaatlichen Gerichten vereinzelt angenommen worden, einer juristischen Personen könne auch ein subjektives Verbrechensmerkmal z.B. eine verbrecherische Absicht - zugerechnet werden; vgl. etwa State v. Passaic County Agricultural Society, 54 N.J.L. 260, 23 A. 680 (1892); Telegram Newspaper Co. v. Commonwealth, 52 N.E. 445, 446 (1899) sowie Lee, in: 28 Col.L.R. 9 ff. (1928) m.w.N. Zur dogmatischen Bedeutung der Entscheidung New York Central & Hudson River Rail Road Co. näher unten Kap. 4, B III 1.
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
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In seiner Begründung hob der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten auch das kriminal politische Bedürfnis nach einer corporate criminal liability hervor: Die Rechtsordnung müsse zwar die Rechte aller beachten - die der Körperschaften nicht weniger als die der Individuen. Das Recht könne indes seine Augen nicht vor der Tatsache verschließen, daß der größte Teil der wirtschaftlichen Betätigung heutzutage in der Hand juristischer Personen liege. Stelle man diese - entsprechend der alten und überholten Lehre, wonach eine Körperschaft keine Straftat begehen könne - von jeglicher Bestrafung frei, so beraube man sich des praktisch einzigen Mittels, um diesen Bereich wirksam zu kontrollieren und Mißbräuchen entgegenzuwirken51 . Der Entscheidung New York Central & Hudson River RaU Road Co. v.
U.S. kommt auch insoweit besondere Bedeutung zu, als sich die US-ameri-
kanische Judikatur zur corporate criminal liability damit fundamental von der englischen zu entfernen begann. In Anwendung der respondeat superior-rule kommt es auf die Stellung des Handelnden in der Unternehmenshierarchie nicht an; auch untere Angestellte vermögen danach - sofern sie nur within the scope 0/ employment handeln - eine Verbandsstrafe auszulösen. Die englische Rechtsprechung vertritt demgegenüber die Auffassung, Körperschaften seien allein für die Taten solcher natürlicher Personen strafrechtlich verantwortlich zu machen, deren innerverbandliche Stellung so herausgehoben sei, daß sie mit der juristischen Person identifiziert, als deren alter ego bezeichnet werden könnten (doctrine 0/ identification and corporate representation, alter egotheory)52. Die in New York Central & Hudson River RaU Road Co. v. U.S. aufgestellten Prinzipien sind in den USA in der Folgezeit durch eine Vielzahl von Entscheidungen bestätigt worden53 . Auch im statutory law haben sie mittlerweise ihren Niederschlag gefunden. So sehen zahlreiche strafrechtliche Einzelgesetze inzwischen eine corporate criminal liability ausdrücklich vor54 .
51 29 S.Ct. 304, 307 (1909): "While the law should have regard to the rights ofall and to those of corporations no less than to those of individuals, it cannot shut his eyes to the fact that the great majority of business transactions in modem times are conducted through these bodies ... , and to give them immunity from all punishment because of the old and exploded doctrine that a corporation cannot commit a crime would virtually take away the only means of effectually controlling the subject-matter and correcting the abuses aimed at. " 52 Ausführlich und mit zahlreichen Nachweisen Leigh, S. 91 ff. Vgl. zum amerikanischen Model Penal Code, in welchem diese sehr viel engere Sichtweise - zumindest in Ansätzen ihren Niederschlag gefunden hat, unten Kap. 4, B IV. 53 Vgl. etwa U.S. v. Nearing, 252 F. 223 (S.D.N.Y. 1918); U.S. v. Carter, 311 F.2d 934 (6th Cir.), cert. den., 373 U.S. 915 (1963); U.S. v. Dye Construction Co., 510 F.2d 78 (10th Cir. 1975); Coffee, in: Crime and Justice, S. 254; La FavelScott, S. 257 sowie näher unten Kap. 4, BIll 2. 54 Vgl. dazu näher Brickey, Vol. III, S. 203 ff.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
Der Bund55 und ein Großteil der Einzelstaaten haben in ihre Penal Codes überdies entsprechende allgemeine Regelungen aufgenommen. Wo derartige Vorschriften fehlen, wird auf das case law zurückgegriffen56 . III. Einzelheiten zur Corporate Criminal Liability nach der US-amerikanischen Rechtsprechung
1. Der dogmatische Hintergrund Die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen wird in den USA überwiegend als Fall einer vicarious liability57 verstanden58 : Während die frühe US-amerikanische Rechtsprechung eine auf Unterlassungsdelikte (acts oj nonjeasance) beschränkte corporate criminal liability noch damit begründen konnte, die zu bestrafende juristische Person habe ihr obliegende Pflichten in rechtswidriger Weise nicht erfüllt, war eine darüber hinausgehende Verantwortlichkeit für ein positives Tun nur im Wege der Anknüpfung an das Verhalten der für die Körperschaft handelnden Individuen denkbar59 . Eine dogmatische Grundlage dafür bot die zivil rechtliche respondeat superior-rule6o , auf die der U.S. Supreme Court erstmals im Fall New York Central & Hudson River RaU Road Co. v. U.S. ausdrücklich Bezug nimmt: Es bedürfe gegenüber den Grundsätzen des Schadensersatzrechts lediglich eines weiteren Schrittes, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß die Handlungen des Vertreters einer juristischen Person, die dieser in Ausübung der ihm übertragenen Befugnisse begehe, im Interesse der Allgemeinheit seinem Arbeitgeber zuzurechnen seien und die Körperschaft, für die er handele, bestraft werden könne61 . 55 Für das Federal Law heißt es in Title 1, U.S.C., Section 1, daß sich die in Bundesgesetzen verwendeten Worte "person" resp. "whoever" nicht nur auf Indiviuden, sondern auch auf eorporations, eompanies, associations, jirms, pannerships, societies und joint stock eompanies bezögen. 56 Vgl. Cullen/Maakestad/Cavender, S. 324. 57 Vgl. zu diesem Institut bereits oben Kap. 4, All 2 b). 58 Vgl. etwa La Fave/Seott, S. 257; Leigh, S. 114 ff.; Note "Criminal Liability of Corporations" , in: 60 H.L.R. 283 (1946). 59 Vgl. Snyder, S. 733: "A eorporate person itself does nothing; the natural person jor whose aets it is liable does it all" . 60 Vgl. dazu bereits oben Kap. 4, All 2 B). 61 29 S.Ct. 304, 307 (1909): "Applying the principle goveming civilliability, we go only a step janher in holding that the aet oj the agent, while exercising the authority delegated 10 hirn ... , may be eontrolled, in the interest oj publie policy, by imputing his aet to his employer and imposing penalties upon the eorporation jor whieh he is aeting ... ".
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
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Während es zunächst bei der auf strict liability offences beschränkten Verantwortlichkeit juristischer Personen noch allein darum gegangen war, den actus reus des handelnden Inviduums als solchen der Körperschaft zu bewerten, bedarf es im Hinblick auf die mens rea voraussetzenden Delikte zusätzlich der Zurechnung des jeweils erforderlichen subjektiven Verbrechensmerkmals, also etwa des Vorsatzes oder einer besonderen Absicht des Täters. Die Rechtsprechung 62 hält dies ebenso für unproblematisch wie Teile des Schrifttums63 . Man argumentiert, eine juristische Person werde erst dadurch handlungsfahig, daß Individuen für sie agierten. Anders als im Fall der Stellvertretung einer natürlichen Person durch eine andere bestehe hier jedoch keine klare Trennung zwischen dem Verhalten des Vertreters und dem des Vertretenen: Das Tun und Denken des Individuums stelle gleichzeitig das Tun und Denken der juristischen Person dar. Es sei insbesondere auch nicht einzusehen, weshalb im Hinblick auf eine derartige Zuschreibung zwischen Körperbewegungen und Bewußtseinszuständen zu differenzieren sein solle: Wenn das, was die Hände der natürlichen Person tun, der Körperschaft angerechnet werde, müsse für das, was ihr Gehirn vollbringe, dasselbe gelten64 . Anders ausgedrückt: "If... the invisible, intangible essence which we tenn a corporation, can level mountains, fill up valleys, lay down iron tracks, and run railroad cars on them, - it can intend to do it, and can act therein as weil viciously as virtuously"65.
Zusätzlich wird darauf hingewiesen, daß Körperschaften im Schadensersatzrecht (law of torts) auch für solche Zuwiderhandlungen ihrer Repräsentanten verantwortlich gemacht würden, deren Begehung eine böswillige Absicht voraussetzten, wie etwa malicious prosecution (böswillige Rechtsverfolgung) oder libel (Beleidigung)66. Nicht einzusehen sei, weshalb juristische Personen beispielsweise für eine Ehrverletzung zwar zivilrechtlieh, nicht aber strafrechtlich haften sollten67 . Es bereite nicht weniger Schwierigkeiten, der 62 Vgl. etwa U.S. v. MacAndrews & Forbes Co., 149 F. 823 (C.C.S.D.N.Y.1906): "(It is) ... as easy to ascribe to a corporation an evil mind as it is to impute to it a sense of contractual obligation". Ferner U.S. v. Caner, 311 F.2d 934 (6th CiL), cert.den., 373 U .S. 915 (1963); U.S. v. Dye Construction Co., 510 F.2d 78 (10th Cir. 1975); State V. 1.& M. Amusements, Inc., 10 Ohio App.2d 153,223 N.E.2d 567 (1966). 63 Vgl. etwa Bishop, S. 305; Clark/Marshall, S. 455; Edgenon, in: 26 Y.L.J. 840 ff. (1927); Snyder, S. 733 f. 64 Vgl. Edgenon, in: 26 Y.L.J. 840 f. (1927). 65 U.S. V. Alaska Packers Association, 1 Alaska 217, 220 (1901): Wenn das unsichtbare und nicht greifbare, Körperschaft genannte Wesen dazu in der Lage sei, Berge abzutragen, Täler aufzufüllen, Schienen zu verlegen und darauf dann eine Eisenbahn zu betreiben, könne auch es einen darauf gerichteten Vorsatz haben, könne böswillig oder auch tugendhaft handeln. 66 Vgl. etwa aus der englischen Rechtsprechung Conford V. Carlton Bank (1900), 1 Q.B. 22; Citizens life Assurance Company limited V. Brown (1904), A.C. 423. 67 Vgl. State V. Passaic County Agricultural Society, 54 N.J.L. 260, 23 A. 680 (1892).
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Körperschaft in Strafsachen eine Absicht zuzuschreiben als im Zivilprozeß68. Insbesondere sei der Unterschied zwischen tort und crime kein wesensmäßiger; es würden in beiden Fällen lediglich verschiedene Methoden angewendet, um Unrecht wiedergutzumachen69 .
2. Die Voraussetzungen einer Bestrafung der Körperschaft im einzelnen Unter Anwendung der vom U.S. Supreme Court begründeten und von den Untergerichten fortentwickelten respondeat superior-Doktrin setzt die Bestrafung einer corporation grundSätzlich dreierlei voraus: Ein für die Körperschaft handelndes Individuum muß (1) eine Straftat (2) im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses (within the scope 0/ employment)7o begangen haben, und zwar (3) mit dem Vorsatz, der juristischen Person dadurch einen Vorteil zu verschaffen (with intent to benefit the corporation)7l. a) Begehung einer Straftat durch einen "corporate agent" Als auf dem Zurechnungsprinzip basierend setzt eine Bestrafung der Körperschaft im Grundsatz die volldeliktische Begehung der Anknüpfungstat voraus, d.h. der den objektiven Tatbestand verwirklichende Angestellte muß auch die jeweils erforderlichen subjektiven Verbrechenselemente aufweisen72 . Von diesem Prinzip sind allerdings inzwischen von der Rechtsprechung in mehrfacher Hinsicht Ausnahmen angenommen worden. So soll es nicht notwendig sein, daß actus reus und mens rea von derselben Person stammen: Erkenne etwa allein der Vorgesetzte des Handelnden die Bedeutung der Tat, so könne auch dessen Vorsatz der corporation zugerechnet werden73 .
68 Vgl. Telegram Newspaper Co. v. Commonwealth, 52 N.E. 445, 446 (1899). 69 Vgl. Edgerton, in: 26 Y.L.J. 836 (1927). Zur im Schrifttum zuweilen geäußerten Kritik an dieser Auffassung unten Kap.4, B V 2. 70 Vgl. U.S. v. Thompson-Powell Drilling Co., 196 F.Supp. 571 (N.D.Tex. 1961); La Fave/Seott, S. 256; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1249 (1979). 71 Vgl. Currier v. U.S., 166 F.2d 346, 348 (1st Cir. 1948); Standard Oil Co. v. U.S., 307 F.2d 120, 128 f. (5th Cir. 1962); USo v. Ridglea State Bank, 357 F.2d 495, 498 ff. (5th Cir. 1966); Briekey, Vol. I, S. 133 ff.; Kriesberg, in: 85 Y.L.J. 1095 (1976). 72 Vgl. etwa Boise Dodge, [ne. v. U.S., 406 F.2d 771 f. (9th Cir. 1969). 73 Vgl. Coffee, in: Crime and Justice, S. 255.
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Zunehmend gehend die Gerichte auch dazu über, eine corporate criminal liability für Delikte, die knowledge74 erfordern, zu bejahen, ohne daß dieses
subjektive Verbrechensmerkmal bei irgendeinem der Angestellten vorgelegen hätte. Die Verurteilung der juristischen Person erfolgt in diesen Fällen auf der Basis der collective knowledge-Doktrin75 : Man müsse - so die Argumentation - die corporation als Institution betrachten; als solche sei ihr Wissen die Summe des Wissens aller ihrer Angestellten76 . In diesem Sinne habe sich die juristische Person auch zu verantworten, wenn zwar keiner der Mitarbeiter im Besitz aller erforderlichen Informationen war, um die Strafbarkeit der Handlung erkennen zu können, die Mitglieder der Unternehmensorganisation jedoch zusammengenommen die notwendige Kenntnis gehabt hätten. Allgemein anerkannt ist im übrigen, daß eine Bestrafung der corporation die Identifizierung des individuellen Täters nicht voraussetzt. Feststehen müsse nur, daß irgendeiner der Angestellten die Tat begangen habe77 . Das bedeutet auf der anderen Seite allerdings nicht, daß, falls ein Täter zu identifizieren ist, dieser auch bestraft werden muß, damit es zu einer Verurteilung der juristischen Person kommen kann: Obwohl die Rechtsprechung zumindest im Grundsatz von einer Zurechnung von actus reus und mens rea des Individualtäters als Grundlage einer Verbandsbestrafung ausgeht, sind zahlreiche Fälle bekannt, in denen (Geschworenen-)Gerichte eine juristische Person aufgrund des Deliktes eines ihrer - als Täter feststehenden - Angestellten verurteilt, den Handelnden dagegen freigesprochen haben78 . Auf die Stellung des Täters in der Unternehmenshierarchie kommt es jedenfalls unter Anwendung der respondeat superior-doctrine - nicht an; auch 74 Dieses subjektive Merkmal entspricht in etwa dem deutschen dolus directus 2. Grades, vgl. zu den verschiedenen Vorsatzformen des anglo-amerikanischen Strafrechts Weigend, ZStW Bd. 93 (1981), S. 673. 75 Vgl. Inland Freight Lines v. U.S., 191 F.2d 313,315 (10th Cir. 1951); U.S. v. T.l.M.E.D.C., Ine., 381 F. Supp. 730 (W.D. Va. 1974); U.S. v. Bank of New England, 821 F.2d 844 (1st Cir.), cert.den., 484 U.S. 943 (1987); ferner Briekey, Vol. I, S. 140 ff.; Foersehler, in: 78 Cal.L.R. 1304 ff. (1990); Zarky, S. 37 ff. 76 Vgl. die jury instruetion (Rechtsbelehrung der Geschworenen durch den Richter) in U. S. v. Bank of New England, 821 F.2d 844, 855 f. (Ist Cir. 1987): "(Y)ou have to look at the bank as an institution. As sueh its knowledge is the sum ofthe knowledge of all the employees". 77 Vgl. etwa U.S. v. General Motors Co., 121 F.2d 376, 411 (7th Cir. 1941), cert. den. 314 U.S. 618 (1941); U.S. v. Ameriean Stevedores, Ine., 310 F.2d 47 f. (2nd Cir. 1962), cert. den., 371 U.S. 969 (1963). 78 Im allgemeinen sind derartige Urteile bislang durch die zuständigen Obergerichte bestätigt worden; vgl. etwa U.S. v. Nearing, 252 F. 223 (S.D. N.Y. 1918); U.S. v. General Motors Corp., 121 F.2d 376, 411 (7th Cir.), cert. den., 314 U.S. 613 (1941); Ameriean Medieal Association v. U.S., 130 F.2d 233, 253 (D.C. Cir. 1942), affirmed, 317 U.S. 519 (1943); zustimmend Briekey, Vol. I, S. 116. Kritisch Coffee, in: Crime and Justice, S. 256; Mueller, in: 19 U.Pitt.L.R. 28 (1957); Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1249 (1979) sowie Imperial Meat Co. v. U.S., 316 F.2d 435, 440 (10 th Cir.), cert. den., 375 U.S. 820 (1963).
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das Delikt eines untergeordneten Angestellten vermag eine Bestrafung der juristische Person auszulösen79 . b) Begehung "within the scope of employment" In seiner ursprünglich zivilrechtlichen Bedeutung war mit dem Erfordernis des "Handeins im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses" gemeint, daß allein solche Verhaltensweisen Rechtswirkungen gegenüber dem principal entfalten könnten, zu denen der agent ausdrücklich oder konkludent ermächtigt worden war oder die mit einer derart autorisierten Handlung verbunden oder zumindest vergleichbar waren80 . Im Hinblick auf eine corporate criminal liability wird das Merkmal eines Handeins within the scope 0/ employment allerdings von der Rechtsprechung wesentlich weiter ausgelegt. Eine Befugnis des Täters zu der fraglichen Handlung sei nicht erforderlich81 . Selbst in solchen Fällen, in denen dem Angestellten sein Verhalten ausdrücklich von einem Vorgesetzten verboten worden war oder die Gesellschaft sich auf sonstige Weise bemüht hatte, die Tat zu verhindern, sei das Unternehmen verantwortlich zu machen82 . De facto kommt dem Erfordernis des Handeln within the scope 0/ employment daher nur noch Bedeutung im Hinblick auf die Ausgrenzung solcher Verhaltensweisen zu, die in keinerlei Beziehung zu der Tätigkeit des Angestellten für das Unternehmen stehen: Begehe ein Mitarbeiter, der eine einigermaßen verantwortliche Position innehabe, eine Straftat, die einen direkten Zusammenhang mit den Aufgaben aufweise, zu deren Wahrnehmung er umfassend ermächtigt sei, so müsse die juristische Person so behandelt werden, als habe sie die Tat erlaubt und sei für sie verantwortlich zu machen83 . Ein Unternehmen könne sich ansonsten allzu leicht seiner
79 Vgl. New York Central & Hudson River Rail Road Co. v. U.S., 212 V.S. 481 (1909); U.S. v. Nearing, 252 F. 223 (S.D.N.Y. 1918); Egan v.U.S., 137 F.2d 369 (1943), cert.den., 320 V.S. 788; U.S. v. George F. Fish, [ne., 154 F.2d 798,801 (2nd Cir,), cert. den., 328 V.S. 869 (1946) Standard Dil Co. v. U.S., 307 F.2d 120 (5th Cir. 1962). Abweichend People v. Canadian Fur Trappers' Corporation, 248 N.Y. 159, 161 N.E. 455 (1928). Vgl. zur differenzierenden Regelung des Model Penal Code unten Kap. 4, B IV. 80 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1249 FN 31 (1979). 81 Vgl. Stewart v. Waterloo Turn Verein, 71 Iowa 226, 32 N.W. 275 (1887); Continental Baking Co. v. U.S., 281 F.2d 137 (6th Cir, 1960): U.S. v. Ameriean Radiator & Standard Sanitary Corp., 433 F.2d 174 (3d Cir. 1970), cert. den., 401 V.S. 94 (1971). 82 Vgl. U.S. v. Hilton Hotels Corp., 467 F.2d 1000, 1006 f. (9th Cir. 1972), cert. den., 409 V.S. 1125 (1973); U.S. v. Harry L. Young & Sons, 464 F.2d 1295 (10th Cir. 1972); anders Holland Fumaee Co. v. U.S., 158 F.2d 2, 8 (6th Cir. 1946); näher zu diesem Problem Briekey, Vol. 1., S. 107 ff.; Dolan/Rebeek, in: 50 Geo.L.J. 554 ff. (1962).
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Verantwortung entziehen, etwa indem es ein generelles Verbot strafbaren Handeins erlasse und dadurch jedes Delikt seiner Angestellten zu einer Tat "außerhalb des Beschäftigungsverhältnisses" mache84 . Umgekehrt wird allerdings die Ratifikation einer Tat outside the scope 0/ employment durch das Unternehmen für möglich gehalten: Billige ein Vorge-
setzter des Täters nachträglich dessen Verhalten, so reiche dies für eine Verantwortlichkeit der juristischen Person aus 85 . c) Begehung "with the intent to benefit the corporation" Soweit es sich bei der Anknüpfungstat nicht um ein strict liability-Delikt handelt 86 , setzt eine corporate criminal liability zudem die Absicht des Täters voraus, durch das Delikt dem Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen87 . Allerdings ist weder dessen tatsächlicher Eintritt88 erforderlich noch, daß es sich dabei um das einzige Motiv des Angestellten gehandelt hat89 . Eine Bestrafung des Unternehmens scheide nur in den Fällen aus, in denen der Täter ausschließlich seinen eigenen Vorteil im Sinn gehabt habe90 oder allein einer dritten Person habe nützen wollen91 .
83 Vgl. Continental Baking Co. v. V.S., 281 F.2d 137, 149 (6th Cir, 1960): " ... so long as the criminal act is directly related to the peljormance of the duties, which the officer or agent has the broad authority to peljom the corporate principal is !iable for the criminal act also, and must be deemed to have authorized the criminal act". Vgl. ferner Brickey, Vol. I, S. 105 ff.; Coffee, in: Crime and Justice, S. 256; La FaveiScott, S. 262; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1250 (1979). 84 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1250 (1979) 85 Vgl. Continental Baking Co. v. V.S., 281 F.2d 137, 149 (6th Cir, 1960); Parisi, in: Corporations as Criminals, S. 51 ff.; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1250 f. FN 37 (1979): Der Vorgesetzte müsse sich dabei allerdings selbst within (he scope of employment halten und einen Vorteil für das Unternehmen erstreben. 86 Vgl. V.S. v. Paljait Powder Puff Co., 163 F.2d 1008 (7th Cir. 1947), cert. den., 332 U.S. 851 (1948). 87 Leigh, S. 172, hält diese zusätzliche Voraussetzung einer Bestrafung der juristischen Person für verzichtbar; sie versage insbesondere bei Delikten, die auf bloßer Fahrlässigkeit beruhten. 88 Vgl. Old Monastery Co. v. V.S., 147 F.2d 905,908 (4th Cir.), cert. den., 326 U.S. 734 (1945); V.S. v. Caner, 311 F.2d 934, 942 (6th Cir.), cert. den., 373 U.S. 915 (1963). 89 Vgl. V.S. v. American Radiator & Standard Sanitary Corp., 433 F.2d 174, 204 (3d Cir. 1970), cert. den., 401 U.S. 94 (1971). 90 Vgl. V.S. v. Ridglea State Bank, 357 F.2d 495,498 ff. (5th Cir. 1966). 91 Vgl. Standard Oil Co. v. V.S., 307 F.2d 120, 128 f. (5th Cir. 1962). Auch im Hinblick auf dieses Merkmal der Vorteilsabsicht wird im übrigen eine nachträgliche Ratifikation durch das Unternehmen oder durch Vorgesetzte des Täters für möglich gehalten; vgl. Coffee, in: Crime and Justice, S. 256; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1250 f. (1979).
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
3. Mögliche Anknüpfungstaten
Die Bestrafung juristischer Personen hat gerade in den letzten beiden Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten erheblich an praktischer Bedeutung gewonnen92 • Unternehmen werden heutzutage unter den genannten Voraussetzungen für nahezu alle Arten von Delikten ihrer Angestellten verantwortlich gemacht. Es hat sich - entgegen mancher älteren Entscheidung - inzwischen auch die Auffassung durchgesetzt, daß selbst Tötungsdelikte als Anknüpfungstaten nicht grundSätzlich auszuscheiden haben93 ; bereits mehrfach wurden Unternehmen wegen des Tatbestandes des manslaughtefJ4 bestraft95 und selbst eine Verurteilung wegen Mordes wird nicht mehr für undenkbar gehalten96 . Nur bestimmte Taten - wie Doppelehe (bigamy) , Meineid (perjury) , Vergewaltigung (rape) - sollen nach Ansicht der Rechtsprechung ihrer Natur nach allein von Individuen begangen werden können97 . Auch diese Eingrenzung wird im Schrifttum teilweise angezweifelt: Bei der corporate criminal liability gehe es schließlich um die Anrechnung fremden 92 Vgl. etwa Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 878 ff. (1990); Briekey, Vol. I, S. 2 ff.; CullenlMaakestadlCavender, S. 312 ff.; Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 447 ff. (1982); Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 353 (1979). Näher dazu unten Kap. 4, B VII. 93 Anders etwa noch People v. Rochester Railway and Light Co., 195 N.Y. 102,88 N.E. 32 (1909). Das Gericht sah sich in diesem Fall allerdings mit der Besonderheit konfrontiert, daß das entsprechende statute das Delikt definierte als ".. .killing olone human being by another"; daraus wurde gefolgert, "another" beziehe sich nur auf ein Individuum. In der Urteilsbegründung wurde allerdings ausdrücklich nicht ausgeschlossen, daß eorporations bei einer anderen gesetzlichen Formulierung auch für manslaughter zu bestrafen sein könnten. Vgl. zu dieser Entscheidung auch Lee, in: 28 Col.L.R. 11 f. (1928). 94 Das Delikt des manslaughter stellt gegenüber dem Tatbestand des murder - der mit vorbedachter böser Absicht (malice alorethought) begangenen Tötung eines Menschen - die minder schwere Begehungsform dar: Der Totschlag ist hier entweder zwar vorsätzlich, aber unvorbedacht (z.B. aufgrund einer Provokation) oder fahrlässig erfolgt; homicide wird zumeist als Oberbegriff zu beiden Delikten gebraucht. Manche Bundesstaaten kennen indes auch die Delikte des reekless homicide oder negligent homicide. Vgl. dazu näher Laewy, S. 25 ff. 95 Vgl. etwa Commonwealth v. MeIlwain Sehool Bus Lines, Ine., 283 Pa. Super. I, 423 A.2d. 413 (1980): Ein Busfahrer des Unternehmens hatte ein Kind, welches er zuvor an einer Haltestelle abgesetzt hatte, überfahren. Das Unternehmen wurden wegen Totschlags verurteilt, weil es es unterlassen hatte, an seinen Schulbussen die gesetzlich vorgeschriebenen (zusätzlichen) Sicherheitsspiegel an Vorder- und Rückseite anzubringen. Vgl. ferner State v. Lehigh Valley Railway Co., 90 N.J.L. 372, 103 A. 685 (1917); 92 N.J.L. 261, 106 A. 23 (1918); 94 N.J.L. 171, 111 A. 257 (1920); Commonwealth v. Fonner L.P. Gas Co., 610 S.W.2d 941 (Ky.App. 1980); Granite Construetion Co. v. Superior Coun, 149 Cal.App.3d 465, 197 Cal.Rptr. 3 (1983). Vgl. zum Ganzen näher Miester, in: 64 Tulane L.R. 919 ff. (1990); Note "Corporate Homicide", in: 54 Notre Dame Law 911 ff. (1979) sowie speziell zu der aufsehenerregenden Anklage der Ford Motor Company wegen reekless homicide (leichtfertigen Totschlags) im sog. "Pinto-Prozeß" CullenlMaakestadlCavender, S. 265 ff. sowie Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 871 ff. (1990). 96 Vgl. Edgenon, in: 26 Y.L.J. 841 (1927); La FavelSeott, S. 258; Mueller, in: 19 U.Pitt.L.R. 23 (1957). 97 Vgl. U.S. v. lohn Kelso Co., 86 F. 304 (N.D.Cal. 1898); Stewan v. Waterloo Turn Verein, 71 Iowa 226,32 N.W. 275 (1887).
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Verhaltens. Es sei nicht einsichtig, was bestimmte Delikte an sich hätten, das einer derartigen Zuschreibung zur juristischen Person entgegenstünde98 . Nach bislang allgemeiner Auffassung hat eine Bestrafung der juristischen Person allerdings auszuscheiden, wenn das von ihrem Angestellten verletzte Gesetz nur eine Freiheitsstrafe und/oder die Todesstrafe vorsieht99 . Drohe die Strafnorm indes - alternativ oder kumulativ - Gefängnis und Geldstrafe an, so stehe die Unanwendbarkeit der Freiheitsstrafe der Verhängung einer Geldsanktion gegenüber der juristischen Person nicht entgegen 1OO . Die meisten neueren Kodifikationen sehen allerdings ausdrücklich die Möglichkeit der Verhängung einer Unternehmensgeldstrafe auch in den Fällen vor, in denen die entsprechende Strafnorm einem Individualtäter nur eine Gefängnisstrafe oder die Todesstrafe androht 101 . Der früher verbreitete Einwand gegen eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen, strafbare Handlungen überschritten die von der Rechtsordnung verliehene Rechtsfahigkeit einer juristischen Person, seien also per se Aktivitäten ultra vires und damit der Körperschaft nicht zuzurechnen 102 , wird heute allgemein als überholt angesehen: Niemand werde schließlich vom Staat zur Begehung von Straftaten ermächtigt 103. Vereinzelt wird allerdings noch angenommen, eine juristische Person könne allein für solche Delikte veranwortlich gemacht werden, die ihrem jeweiligen satzungsmäßigen Geschäftsfeld entstammten104 . Die ganz herrschende Meinung in den USAl05 lehnt eine solche Beschränkung auf Straftaten intra virus ab; ansonsten - so wird geltend gemacht - könne sich die juristische Person durch eine 98 Vgl. Edgenon, in: 26 Y.L.J. 842 (1927); Snyder, S. 731; Leigh, S. 62. Der letztgenannte Autor schlägt als Ausgrenzungskriterium die "relevance to corporate purposes" vor (a.a.O.), welche beispielsweise Sexualdelikten in aller Regel fehle. 99 Vgl. State v. Truax, 130 Wash 69, 226 P. 256 (1924); People v. Strong, 363 III. 602, 2 N.E.ed 942 (1936); Edgenon, in: 26 Y.L.J. 830 (1927); La Fave/Scott, S. 258; Snyder, S. 732. Differenzierend Lee, in: 28 CoI.L.R. 15 (1928): Das Unternehmen könne sich eines Deliktes, als dessen einzige Rechtsfolge eine Freiheitsstrafe angedroht werde, zwar schuldig machen, es könne jedoch deswegen nicht bestraft werden. 100 Vgl. U.S. v. Union Supply Co., 215 U.S. 50, 30 S.Ct. 15, 54 L.Ed. 87 (1909); State v. SaUsbury Ice & Fuel Co., 166 N.C. 366, 81 S.E. 737 (1914); Commonwealth v. Mcllwain School Bus Lines, Inc., 283 Pa. Super. 1,423 A.2d. 413 (1980). 101 Vgl. La Fave/Scott, S. 258; Snyder. S. 732; Aufgrund der Entscheidung U.S. v. Allegheny BottUng Co., 695 F.Supp. 856 (E.D.Va. 1988), wurde nunmehr auch ein Unternehmen zumindest erstinstanzlich zu einer "Freiheitsstrafe" verurteilt (vgl. dazu noch näher unten Kap. 4, B VI 1 cl. 102 Vgl. dazu bereits oben Kap. 4 B 11. 103 Vgl. Edgenon, in: 26 Y.L.J. 839 (1927). 104 U.S. v. Alaska Packers Association, 1 Alaska 217, 220 (1901); Bishop, S. 304; Edgenon, in: 26 Y.L.J. 839 (1927). Dazu auch Parisi, in: Corporations as Criminals, S. 45. 105 Vgl. zur Rechtslage in England Leigh, S. 46 ff.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
entsprechende Fassung ihrer Statuten allzu leicht ihrer Verantwortlichkeit entziehen106 .
4. Bestrafung von ''partnerships'' und sonstigen nicht rechtsfähigen Personenzusammenschlüssen Jedenfalls nach traditionellem US-amerikanischem Rechtsverständnis kommt der Gesellschaftsform der partnership - im Gegensatz zur corporation - keine gegenüber den Mitgliedern verselbständigte Rechtspersönlichkeit zu101, Dementsprechend wird sie auch ganz überwiegend für nicht deliktsfähig gehalten. Strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könnten grundsätzlich allein die einzelnen Partner lO8 . Deren Haftung für das Delikt eines anderen Mitgesellschafters oder eines Angestellten bestimme sich entweder - falls im Gesetz vorgesehen - nach vicarious liability-Grundsätzen 109 oder nach den allgemeinen Prinzipien von Täterschaft und Teilnahme 110 ,I11, Einige der Strafgesetzbücher sehen allerdings ausdrücklich eine Verantwortlichkeit von partnerships für die in ihrem Interesse begangenen Delikte vor 112 , Ferner wird angenommen, daß eine derartige an sich nicht verselbständigte Personengesellschaft auch für die Nichterfüllung solcher Pflichten
106 Vgl. Louisville R. Co. v. Commonwealth, 130 Ky. 738, 114 S.W. 343 (1908); Joplin Mereantile Co. v. V.S., 213 F. 296 (1914), affinned, 236 U.S. 532; Massa v. Wanamaker Aeademy 0/ Beauty Culture, [ne., 80 N.Y.S.2d 923 (1948); V.S. v. Mirror Lake Golf and Country Club, [ne., 232 F.Supp. 167 (W.D.Mo. 1964); La Fave/Seott, S. 262; Note "CriminaI Liability", in: 14 Col.L.R. 243 (1914). 101 Der Begriff partnership entspricht ansonten in etwa dem der offenen Handelsgesellschaft. Er wird definiert als "... voluntary eontraet between two or more eompetent persons to plaee their money, effeets, labor and skill, or sorne or all 0/ thern, in lawJull eommeree or business, with the understanding that there shall be a proportional sharing 0/ the profits and losses between thern"; Burr v. Greenland, Tex.Civ.App., 356 S.W.2d 370,376. 108 Vgl. People v. Sehomig, 74 Cal.App. 109, 239 P. 413 (1925); People v. Stills, 302 III.App. 302, 23 N.E.2d 822 (1939); XL Liquors v. Taylor, 17 N.J. 444,111 A.2d 753 (1955). Vgl. zur (entsprechenden) Rechtslage in England Leigh, S. 44 f. 109 Vgl. dazu bereits oben Kap. 4, All 2 b). 110 Vgl. La Fave/Seott, S. 262 f. 111 In neuerer Zeit wird allerdings zunehmend eine aggregate theory 0/ partnership vertreten, die diese Gesellschaftsfonn mehr der juristischen Person annähert. Danach kann eine als partnership organisierte Gesellschaft unter ihrem Namen klagen und verklagt werden; vgl. Soursos v. Mason City, 230 Iowa 157, 296 N.W. 807 (1941); Lobato v. Paulino, 304 Mich. 668,8 N.W.2d 873 (1943); ferner Canfield, in: 14 Col.L.R. 471 (1914); La Fave/Seott, S. 263. 112 Vgl. § 2.07 (3) (a) M.P.C. Ob ein Gesetz nicht nur auf eorporations, sondern auch auf andere Gesellschaftsfonnen Anwendung findet, wirft oft schwierige Auslegungsfragen auf, vgl. etwa V.S. v. A.& P. Trueking Co., 358 U.S. 121,79 S.Ct. 203, 3 L.Ed.2d 165 (1958).
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
109
strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden könne, die das Gesetz nicht nur den einzelnen Mitgliedern, sondern ihr als Einheit auferlege! 13 . Was zur Gesellschaftsform der partnership gesagt wurde, gilt im wesentlichen auch für sonstige nicht rechtsfahige Personenzusammenschlüsse (unincorporated associations): Soweit sich aus dem jeweiligen Gesetz nichts anderes ergibt, sind für im Interesse der Gemeinschaft begangene Straftaten nur die beteiligten Mitglieder, nicht aber die Gemeinschaft als solche strafrechtlich verantwortlich zu machen. Allerdings sehen sowohl Bundesgesetze wie auch einzel staatliche Penal Codes zunehmend die Möglichkeit einer Bestrafung auch nicht rechtsfahiger Personenzusammenschlüsse vor" 4 •
5. Der Einfluß von Auflösung, Fusion oder Übernahme auf die Strafverfolgung einer juristischen Person Die Frage, ob mit der Auflösung einer juristischen Person auch der strafrechtlichen Verfolgung zuvor begangener Delikte ein Ende gesetzt sei, wurde unter Zugrundelegung des common law stets bejaht: Die corporation sei dann als "tot" zu betrachten und könne ebensowenig strafrechtlich wie zivilrechtlich noch verantwortlich gemacht werden" 5 . Mit der Zeit gingen viele Einzelstaaten allerdings dazu über, gesetzliche Regelungen zur Liquidation juristischer Personen zu erlassen, die typischerweise auch vorsahen, daß die Gesellschaft für einen bestimmten Zeitraum nach ihrer Auflösung noch wegen Geschäften aus der Zeit davor vor Gericht klagen und verklagt werden könne. Ob sich derartige Regelungen des state law auch auf eine strafrechtliche Verfolgung beziehen, hängt von der jeweiligen Gesetzesformulierung und deren Auslegung durch die Gerichte ab" 6 . Der U.S. Supreme Court hat im Hinblick auf Verstöße gegen Bundesgesetze allerdings bestätigt, daß - falls die Liquidationsvorschriften Entsprechendes vorsehen - eine juristische Person auch nach ihrer Auflösung noch wegen zuvor begangener Taten strafrechtlich verfolgt werden könne!!7. Dem liegt nicht zuletzt die Erwägung zugrunde, ein Unternehmen habe ansonsten die Möglichkeit, sich durch ein freiwilliges "Ende" seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit zu entziehen -
113 Vgl. etwa Brown v. State, 22 Ala.App. 31,111 So. 760 (1927). 114 Vgl. La Fave/Scott, S. 264 f. 115 Vgl. etwa Oklahoma Natural Gas Co. v. Oklahoma, 273 U.S. 257, 259 (1927). 116 Vgl. Briekey, Vol. I, S. 118 m.w.N.
117 Vgl. Vgl. Melrose Distillers, [ne. v. V.S., 359 U.S. 271 (1959) sowie Bailey/Rothblatt,
S.417.
110
4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
um sich anschließend unter anderer Bezeichnung und an anderem Ort neu zu gründen 118. Ähnliche Grundsätze gelten im Hinblick auf die Wirkungen einer Fusion
(merger) oder Übernahme (acquisition): Um zu verhindern, daß derartige
Transaktionen von Unternehmen dazu benutzt werden, sich bestehenden Verpflichtungen zu entziehen, sehen die entsprechenden Vorschriften zumeist vor, daß die übernehmende Gesellschaft in die Haftung der verschmolzenen resp. übernommenen eintritt. Auch eine kriminalstrafrechtliche Veranwortlichkeit soll nach Auffassung verschiedener Gerichte in diesem Sinne übergehen l19 . Eine neuere Entscheidung geht sogar noch weiter: Hier war die juristische Person nicht formell aufgelöst worden, sondern sie hatte nur ihre Geschäftstätigkeit eingestellt; diese wurde dann von einer Nachfolgegesellschaft weitergeführt, wobei das Personal und die Betriebsstätte dieselben geblieben waren. Das Gericht hielt in diesem Fall die de facto-Übernehmerin auch im Hinblick auf Delikte aus der Zeit vor dem Betriebsübergang für strafrechtlich verantwortlich 120.
6. Die juristische Person im Prozeß Die Unfähigkeit einer Körperschaft, "persönlich" im Gerichtssaal zu erscheinen, gehörte in früheren Zeiten zu den verbreiteten Einwänden gegen eine corporate criminal liability: niemandem dürfe schließlich - so die Argumentation - in seiner Abwesenheit das Verfahren gemacht werden l21 . Heutzutage wird allgemein davon ausgegangen, daß sich das Strafverfahren gegen juristische Personen jedenfalls im Hinblick auf Mitteilungen, die Zustellung von Schriftstücken, Anwesenheit, rechtliches Gehör und anderes nach den entsprechenden zivilprozessualen Vorschriften richtet l22 . Die juristische Person wird danach in der mündlichen Verhandlung - wie überhaupt im Prozeß - durch ihre Anwälte vertreten 123 .
118 Vgl. auch Brickey, Vol. I, S. 123. 119 Vgl. etwa U.S. v. Alamo Bank, 880 F.2d 828 (5th Cir. 1989), cert. den., 493 U.S. 1071 (1990); Brickey, Vol. I, S. 125 120 Vgl. Commonwealth v. Lavelle, 382 Pa. Super 356, 555 A.2d 218 (Pa.Super 1989). 121 Vgl. dazu Leigh, S. 9 f. 122 Vgl. Acme Poultry Corp. v. U.S., 146 F 2d. 738, cert. den., 324 U.S. 86, 89 L.Ed. 1417,65 S.Ct. 865; Miller, S. 149. 123 Vgl. BaileylRothblatt, S. 417 f.; Torcia, S. 330 FN 12. Vgl. zu den möglichen Interessenskonflikten in den Fällen, in denen der Anwalt der corporation gleichzeitig den individuellen Angeklagten vertritt, Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1293 ff. (1979).
B. Corporate CrirninaJ Liability im Recht der USA
111
IV. Corporate Criminal Liability nach dem Model Penal Code
Der Model Penal Code wurde 1962 nach zehnjährigen Vorarbeiten durch das American Law Institute - einer Vereinigung der namhaftesten amerikanischen Rechtswissenschaftier - als Musterstrafgesetzbuch für die Bundesstaaten vorgelegt. Er hat seitdem die gesetzgeberische Entwicklung in einigen Einzelstaaten nicht unmaßgeblich beeinflußt l24 . Auch der Model Penal Code sieht eine Strafbarkeit juristischer Personen und, in gewissen Grenzen, ebenfalls sonstiger unincorporated associations 125 - vor l26 . Dabei wählten seine Verfasser allerdings einen differenzierten Ansatz. Das Mustergesetz unterscheidet drei verschiedene Arten von Delikten, für die jeweils unterschiedliche Haftungssysteme eingreifen: Eine erste Gruppe bilden die traditionellen, mens rea erfordernden common law-Straftaten, also die typischen Individualdelikte wie z.B. Totschlag oder Betrug - der Model Penal Code bezeichnet sie als Straf-
taten, bei denen eine gesetzgeberische Absicht, auch Körperschaften zu bestrafen, nicht klar erkennbar sei 127 . Im Hinblick auf solche Zuwiderhandlungen sieht das Mustergesetz eine Bestrafung der juristischen Person nur für den Fall vor, daß die Anknüpfungstat von einem Mitglied der obersten Führungsriege des Unternehmens (des board 0/ directors l28 ) oder eines high managerial agent im Rahmen seines Beschäftigungsverhältnisses und im Interesse der juristischen Person begangen oder zumindest erlaubt, angeordnet oder grob fahrlässig geduldet worden ist l29 . Unter einem high managerial agent versteht der Model Penal Code einen leitenden Angestellten oder sonstigen Repräsentanten, dem so verantwortungsvolle Aufgaben übertragen sind, daß sein Verhalten als mehr oder weniger die Geschäftspolitik des Unternehmens repräsentierend angesehen werden kann 130 • 124 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1247 FN 15 (1979). 125 Vgl. dazu bereits oben Kap. 4, B III 4. 126 Vgl. § 2.07 M.P.C. 127 Model Penal Code § 2.07 (1) (a): " ... (no) legislative purpose to impose liabilitiy on corporations plainly appears" 128 Bei der anglo-amerikanischen Aktiengesellschaft kommt dem board 01 directors eine Doppelfunktion zu: es ist zugleich höchste Aufsichts- und (originäre) Verwaltungsinstanz. Seine Mitglieder werden von den Aktionären gewählt. 129 "... the commission 01 the ojjense was authorized, commanded, peiformed or recklessly tolerated by the board 01 directors or by a high manangerial agent acting in behalf 01 the corporation within the scope 01 his office or employment"; Model Penal Code § 2.07 (1) (c). 130 " .. .having duties 01 such responsibility that his conduct may lairly be assumed to represent the policy olthe corporation"; Model Penal Code § 2.07 (4) (c). Die nach dem grundsätzlichen Vorbild des Model Penal Code geschaffenen Strafgesetzbücher einiger Bundesstaaten
4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
112
Eine zweite Kategorie stellen diejenigen mens rea erfordernden Delikte dar, die nach der erkennbaren Absicht des Gesetzgebers auch von juristischen Personen begangen werden können, wie z.B. verbotene Preisabsprachen. Hier soll nach den Vorstellungen der Verfasser des Model Penal Code die respondeat superior-doctrine eingreifen, d.h. die juristische Person wird für derartige Delikte unabhängig davon bestraft, welche hierarchische Stellung der Täter innehatte, sofern er within the scope oj employment und with the intent to benefit the corporation 131 gehandelt habe 132 . Im Gegensatz zur Rechtsprechung sieht das Musterstrafgesetz allerdings zugunsten der juristischen Person ein Verteidigungsmittel (affirmative dejense) vor: Gelingt ihr der Beweis, daß der dem Täter vorgesetzte und den Bereich, in dem die Tat begangen wurde, überwachende high managerial agent seinerseits die gebührende Sorgfalt angewandt hat, um das Delikt zu verhindern, so hat eine Bestrafung der juristischen Person auszuscheiden 133 - es sei denn, dieses Ergebnis widerspräche dem gesetzgeberischen Zweck des jeweiligen Gesetzes l34 . Im Hinblick auf die strict liability-Straftaten schließlich, die die dritte Deliktskategorie bilden, geht der Model Penal Code von der Vermutung aus, der jeweilige Gesetzgeber habe diesbezüglich grundsätzlich eine Verantwortlichkeit juristischer Personen vorsehen wollen. Corporations seien dementsprechend - soweit sich aus dem einzelnen statute nichts anderes ergebe - unter Zugrundelegung der respondeat superior-rule verantwortlich zu machen 13 5, ohne daß es bei dem Täter des Nachweises eines Vorsatzes oder sonstiger subjektiver Erfordernisse, insbesondere einer Absicht, dem Unternehmen einen Vorteil zu verschaffen, bedürfe I 36 . Im Gegensatz zur zweiten Deliktsgruppe soll sich das Unter-
sehen teilweise eine demgegenüber erweiterte Definition des high managerial agent vor, die sowohl diejenigen Personen miteinschließt, welche maßgelblich die Geschäftspolitik bestimmen, als auch sonstige aufsichtsbefugte Angestellte in leitender Position; vgl. dazu La FaveiScott, S.
261.
Vgl. zu den Hintergründen dieser Regelung des Model Penal Code unten Kap. 4, B V 2 a). 131 Vgl. dazu bereits oben Kap. 4, B 111 2. 132 Vgl. Model Penal Code § 2.07 (1) (a). 133 Model Penal Code § 2.07 (5): ".. .it shall be a defense i! the defendant proves by a preponderance of evidence that the high managerial agent having supervisory responsibility over the subject matter of the ojfense employed due diligence to prevent its commission". 134 i! it is plainly inconsistent with the legislative purpose in dejining the particular ojfense", Model Penal Code § 2.07 (5). 135 Model Penal Code § 2.07 (2): " When absolute liability is imposedfor the commission of an ojfense, a legislative purpose to impose liability on a corporation shall be assumed, unless the contrary plainly appears". 136 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1252 (1979). H •••
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
113
nehmen hier auch nicht darauf berufen können, der jeweilige Vorgesetzte des Täters habe sich um die Verhinderung der Tat bemüht 137 • Obwohl der Model Penal Code im Grundsatz zum Vorbild einiger einzelstaatlicher Strafrechtskodifikationen geworden ist - im Hinblick auf das Institut der corporate criminal liability kommt ihm diese Funktion gleichwohl nur sehr eingeschränkt zu. Die meisten jener Bundesstaaten haben nämlich statt des im Musterstrafgesetzbuch vorgesehenen differenzierenden Ansatzes in mehr oder weniger großem Umfang die weitergehende respondeat superior-rule festgeschrieben 138 • V. Zum Meinungsstand im Schrifttum In der US-amerikanischen Literatur wird das Rechtsinstitut der corporate criminal liability kaum mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Diskutiert werden im wesentlichen Folgefragen, wie die, welche Anforderungen an die hierarchische Position des Täters zu stellen sind. Daneben bemüht sich gerade das neuere Schrifttum aber auch um Reformvorschläge im Hinblick auf das als unzureichend angesehene System von Untemehmenssanktionen 139 . 1. Kriminalpolitische Aspekte Weitestgehende Einigkeit besteht in den USA darüber, daß eine strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen notwendig und unter Präventionsgesichtspunkten 140 sinnvoll ist 141. 137 Vgl. Model Penal Code § 2.07 (5). 138 Vgl. dazu Brickey, Corporate and White Collar Crime, S. 34; Tigar, in: 17 Am.J.Cr.L. 227 (1990), jeweils m.w.N. 139 Vgl. dazu näher unten Kap. 4, B VI 2. 140 Unter den verschieden Möglichkeiten der Sinngebung einer Strafe - Abschreckung (deterrence), Besserung (reformation), Sicherung (restraint) und Vergeltung (retribution), vgl. dazu etwa Packer, S. 35 ff. - räumt man in den USA dem Präventionszweck gerade im Bereich der Wirtschaftskriminalität einen besonderen Rang ein; vgl. Miester, in: 64 Tulane L.R. 932 (1990); Note "Corporate Criminal Liability", in: 20 SW.L.J. 919 ff. (1974); Note "Community Control", in: 71 Y.L.J. 302 FN 68 (1961). Vgl. Cullen/Maakestad/Cavender, S. 344 sowie Kadish, in: 30 U.Chi.L.R. 435, (1963): Der rational handelnde untemehmerische Entscheidungsträger, der gewöhnt sei, seine Aktivitäten an Kosten-Nutzen-Aspekten zu orientieren, sei durch strafrechtliche Sanktionen eher abzuschrecken als der gewöhnliche Kriminelle. 141 Vgl. etwa Coffee, in: Crime and Justice, S. 257; Edgerton, in: 26 Y.LJ. 835 (1927);Elzinga/ Breit, S. 132 ff.; Miester, in: 64 Tulane L.R. 931 (1990); Miller, S. 150; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1371 f.(1979); Note "Community Control", in: 71 Y.L.J. 294 ff., 298 ff. (1961). Nur wenige amerikanische Autoren vertreten die Auffassung, eine auf das Individuum beschränkte Verantwortlichkeit für Straftaten aus dem Umfeld juristischer Personen erfülle den 8 Ehrhardt
114
4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
Viele zum Schutz der Öffentlichkeit erlassene Gesetze würden - wie es heißt - ihrer Wirksamkeit beraubt, hielte man nur Individuen, nicht aber juristische Personen für eine Verletzung verantwortlich l42 : Die komplexe Organisationsstruktur gerade größerer Unternehmen biete den Beteiligten zahlreiche Möglichkeiten der Verschleierung eines gesetzwidrigen Tuns 143 . Häufig sei der individuelle Verursacher einer Straftat nicht festzustellen, so daß mangels einer Möglichkeit zur Bestrafung des Unternehmens viele Taten unbestraft blieben l44 . In vielen Fällen erscheine das Herausgreifen eines individuellen Täters überdies mehr oder weniger zufällig und dessen alleinige Sanktionierung - zumal, wenn er als untergeordneter Angestellter die strafrechtliche Bedeutung seiner Tat nicht genau zu überblicken vermochte - weder gerecht noch sinnvoll 145 . Als wahre Täterin und Nutznießerin müsse vielmehr die juristische Person bestraft werden 146. Eine Verbandsstrafe wirke - so wird weiterhin argumentiert - insofern abschreckend, als die mit ihr für jeden Angestellten verbundenen negativen Folgen - im schlimmsten Fall die Gefährdung des eigenen Arbeitsplatzes - den einzelnen dagegen dazu anspornten, Recht und Gesetz zu beachten und die ihm untergebenen Angestellten ebenfalls in diesem Sinne zu motivieren. Das Unternehmen werde auf diese Weise dazu bewogen, verstärkt Kontrollmechanismen zu implementieren und den Angestellten für den Fall von Gesetzesverstößen auch innerbetriebliche Sanktionen anzudrohen 147. Eine juristische Person, die selbst nicht mit einer Bestrafung zu rechnen habe, könne durch eine in ihrem Interesse begangene Straftat dagegen immer nur gewinnen; sie sei demgemäß auch nicht daran interessiert, ihre Mitarbeiter Abschreckungszweck besser als eine corporate criminal liability; so etwa Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 883 (1990); Note "Crirninal Responsibility", in: 37 Alb.L.R. 63 (1972). Einige Autoren setzen sich allerdings auch für eine verstärkte Anwendung von - allein abschreckend, nicht aber vergeltend wirkenden - sog. civil penalties (zivilrechtIichen Strafen) gegenüber juristischen Personen ein; vgl. etwa Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1369 ff. (1979); dazu kritisch Coffee, in: 79 Mich.L.R. 447 f. (1981). 142 Vgl. State v. Salisbury Ice and Fuel Co., 166 N.C. 366, 81 S.E. 737 (1914); ClarklMarshall, S. 455 sowie Model Penal Code, Tentative Draft No. 4 (1955), S. 147. 143 Vgl. Edgenon, in: 26 Y.L.J. 834 (1927) sowie Model Penal Code, Tentative Draft No. 4 (1955), S. 155. 144 Vgl. DolanlRebeck, in: 50 Geo.L.R. 554 (1962); Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 457 (1982); Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1368 (1979). 145 Vgl. Leigh, S. 149. Dieses Unbehagen spiegelt sich in der Praxis vieler amerikanischer Geschworenengerichte wieder, die juristische Person zu verurteilen, den individuellen Täter hingegen freizusprechen. Vgl. dazu etwa Leigh, S. 143 sowie bereits oben Kap. 4, B III 2 a). 146 In diesem Sinne bereits die englische Entscheidung Queen v. Great Nonh 01 England Railway (1849),9 Q.B. 315: "There can be no effectual meanslor deterring from an oppressive exercise 01 power lor the purpose 01 gain. except the remedy by an indictment against those who truly commit it. that iso the corporation ... ". 147 Vgl. CullenlMaakestadlCavender, S. 345.
B. Corporate Crirninal Liability im Recht der USA
115
zur Einhaltung der Gesetze zu motiveren. In der Hoffnung, durch eine seinem Unternehmen nützliche Tat die eigene Position zu verbessern, sei der einzelne Angestellte unter solchen Voraussetzungen auch eher geneigt, das Risiko einer persönlichen Bestrafung einzugehen I 48 . Den Anteilseignern biete eine drohende Bestrafung der juristischen Person den Anreiz, von ihren Aufsichts- und Mitwirkungsrechten Gebrauch zu machen und auf eine gesetzmäßige Unternehmensführung hinzuwirken l49 . Umgekehrt entwickele ein Aktionär, dem aus einem kriminellen Handeln der juristischen Person keine wesentlichen Nachteile erwüchsen, ein Interesse daran, möglichst skrupellose Manager einzusetzen, also solche, die auch bereit seien, zugunsten des Unternehmens Straftaten zu begehen I50 .
2. Zur Dogmatik einer Corporate Criminal Liability Obwohl general- und spezialpräventiven Gesichtspunkten in der amerikanischen Diskussion besondere Bedeutung beigemessen werden, nimmt man gleichwohl allgemein an, eine Unternehmensstrafe sei - jedenfalls soweit es nicht um reine strict liability-Delikte l51 gehe - ebensowenig wie die Bestrafung eines Individuums allein aus präventiven Gründen zu rechtfertigen. Eine corporate criminal responsiblity setze vielmehr stets das Vorliegen eines Schuldelementes bei der zu sanktionierenden Körperschaft voraus, habe demgemäß zumindest auch vergeltenden Charakter l52 . Nicht einvernehmlich 148 Vgl. Edgerton, in: 26 Y.LJ. 833 (1927); Leigh, S. 150. 149 Vgl. Coffee, in: Crime and Justice, S. 257; Edgerton, in: 26 Y.LJ. 835 (1927); Leigh, S. 139. In diesem Sinne bereits Commonwealth v. Pulaski Co. Agr. & Mech. Association, 92 Ky. 197, 17 S.W. 442 (1891). 150 Vgl. Posner, S. 398. 151 In neuerer Zeit sind die Gerichte bei der Auslegung von Gesetzen im Hinblick auf die Frage, ob in ihnen ein subjektives Erfordernis enthalten ist oder nicht, eher zurückhaltend: Strict liability offences stellten - so die neuere Rechtsprechung - eher die Ausnahme als die Regel dar; vgl. etwa U.S. v. U.S. Gypsum Co., 98 S.Ct. 2864, 2873 (1978). 152 Vgl. Fisse, in: 56 So.Cal.L.R. 1167 ff. (1983); Kadish, in: 30 U.Chi.L.R. 442 (1963); Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1238 ff. (1979) sowie U.S. v. U.S. Gypsum Co., 98 S.Ct. 2864, 2876 (1978). Zuweilen wird argumentiert, im Bereich der Wirtschaftskriminalität könne es insofern erst in zweiter Linie um Vergeltung gehen, als den auf ökonomischen Gebiet unter Strafe gestellten Verhaltensweisen die moralische Verwerflichkeit vielfach fehle. Oft seien sie von dem, was als gute unternehmerische Praxis in einer Wettbewerbswirtschaft gelte, nur schwer abzugrenzen; vgl. etwa Ball/Friedmann, in: 17 Stanford L.R. 213 (1965). Dem halten andere Autoren entgegen, selbst wenn das vom Gesetz verbotene Verhalten als solches nicht moralisch verwerflich sei, so liege ein sittlicher Unwert gleichwohl in dem willentlichen Verstoß gegen die Norm: Da Gesetze das gesellschaftliche Zusammenleben regelten und gestalteten, bestehe für den einzelnen die moralische Pflicht, sie zu befolgen; vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1237 f. (1979) ähnlich Schlegel, S. 68 ff.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
beantwortet wird indes die Frage, worin die "Schuld" der juristischen Person zu sehen sein soll, welche dogmatische Basis also ihrer strafrechtlichen Verantwortlichkeit zugrunde liege. Dazu in engem Zusammenhang steht das Problem, welche Anforderungen an die hierarchische Stellung des Täters im Unternehmen zu stellen seien. a) "Superior Agent" versus "Respondeat Superior" Während nach der Rechtsprechung grundsätzlich die Tat jedes Angestellten der juristischen Person zugerechnet werden kann, besteht im Schrifttum teilweise die Tendenz, eine corporate criminal liability nur in Anknüpfung an Delikte der Unternehmensleitung zulassen zu wollen (superior agent-rule). Die Ursprünge dieser abweichenden Auffassung sind im englischen Recht zu finden. Etwa zu derselben Zeit, als der U.S. Supreme Court dazu überging, die zivil rechtliche respondeat superior-rule in das Strafrecht zu übernehmen 153 , begann die englische Rechtsprechung, eine davon verschiedene Konzeption einer corporate criminalliability zu entwickeln. Nach dieser sog. doctrine 0/ identification and corporate representation (oder auch alter ego-Theorie 154) soll eine juristische Person nur für die Delikte solcher natürlicher Personen bestraft werden, die aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung in der Unternehmenshierarchie angesehen werden können als "the very ego and centre of the personality of the corporation"
- wie es Viscount Haldane L.C. in der berühmt gewordenen Entscheidung Lennard 's Carrying Company Ltd. v. Asiatic Petroleum Company Ltd. 155 formuliert hat. Die Bestrafung der Körperschaft für die Delikte derartiger Personen wird nicht als stellvertretende (Geschäftsherren-)Haftung (vicarious liability) , sondern als persönliche Verantwortlichkeit der corporation begriffen I56 : Der die oben genannten Voraussetzungen erfüllende Täter verkörpere die juristische Person, deren Gehirn und Willen I57 .
153 Vgl. oben Kap. 4, B H. 154 Vgl. dazu näher Leigh, S. 91 ff. 155 (1915) A.C. 705, 713. Vgl. zur Entwicklung dieser Doktrin ausführlich Leigh, S. 91 ff. 156 Vgl. zu dieser Unterscheidung sowie allgemein zum Verhältnis von vicarious liability und
corporate criminalliability unter Zugrundelegung der alter ego-Theorie ausführlich Leigh, S. 74 ff. 157 Die unteren Angestellten stellten demgegenüber nichts als die "Hände" der juristischen Person dar: " .. .nothing more than hands to do the work and cannot be said to represent the mind or will (o! the corporation)", H.L.Bolton (Engineering) Co. Ltd. v. T.J.Graham & Sons Ltd., (1957) 1 Q.B. 159, 172.
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
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Diesen Grundgedanken der englischen alter ego-theory machen sich die genannten amerikanischen Autoren und - jedenfalls im Hinblick auf die traditionellen common law-Delikte - auch der Model Penal Code zu eigen: Nur wenn eine in der Unternehmenshierarchie besonders hochstehende natürliche Person, ein high managerial (oder: superior) agent, eine Straftat begehe, sei die Annahme berechtigt, daß die Tat in beträchtlichem Umfang die Geschäftspolitik des Unternehmens wiederspiegele; allein in diesem Fall könne der entsprechende Vorsatz des Handelnden der corporation als eigener zugerechnet werden I 58. Die ohne Billigung, Aufforderung oder Ermächtigung durch ein Mitglied der Führungsebene ("inner drcle") begangene Straftat eines niederen Bediensteten entspreche dagegen einer ohne Steuerung durch das Gehirn erfolgenden körperlichen Bewegung - für die niemand verantwortlich gemacht werden könne. Eine Bestrafung geschehe in diesem Fall de facto unter Verzicht auf das Schulderfordernis l59 . Der Rückgriff auf alter ego-Grundsätze wird noch mit einer weiteren Erwägung begründet: Auch in der anglo-amerikanischen Diskussion taucht immer wieder das Argument auf, eine corporate criminalliability stelle in Wahrheit eine Bestrafung der Anteilseigner der juristischen Person dar l6O . Mit der Anknüpfung an eine Mitgliedschaft des Täters im "inner drcle" werde dem Gerechtigkeitsgebot, niemanden für etwas zu sanktionieren, das er nicht zu verhindern vermochte, Rechnung getragen: Möglichkeiten der Einflußnahme auf das Wirken der juristischen Person und damit auch der Verhinderung von Unternehmensstraftaten hätten die Anteilseigner nur im Hinblick auf die oberste Führungsriege des Unternehmens, dessen Mitglieder sie wählten und überwachen könnten, nicht aber in bezug auf untergeordnete Angestellte l61 . Diesem Argument wird von anderer Seite entgegengehalten, gerade in größeren Gesellschaften habe der einzelne Aktionär selbst auf die Entscheidungen der Führungsebene so gut wie keinen Einflußl62; hielte man im 158 Vgl. Model Penal Code, Tenlative Draft No. 4 (1955), S. 151: Vgl. zur Kritik an den Formulierungen des Model Penal Code Leigh, S. 123 ff. 159 Vgl. Mueller, in: 19 U.Pitt.L.R. 41 ff. (1957); zustimmend La Fave/Scott, S. 260 f. Mueller (a.a.G.) hält eine Veranwortlichkeit des Unternehmens für Delikte untergeordneter Angestellten allenfalls nach dem Vorbild des zweiten Haftungssystems des Model Penal Code für begründbar, nämlich unter der Voraussetzung, daß der juristischen Person ermöglicht wird, zu ihrer Verteidigung den Nachweis zu erbringen, daß der zuständige high managerial agent die gebührende Sorgfalt im Hinblick auf die Verhütung der Tat angwendet habe (due diligencedefense). 160 Vgl. etwa Lee, in: 28 Col.L.R. 3 ff., 13 (1928). 161 Vgl. Model Penal Code, Tenlative Draft No. 4 (1955), S. 148, 151; in diesem Sinne auch Mueller, in: 19 U.Pin.L.R. 41 ff. (1957), der die Bestrafung der juristischen Person für die Tat eines solcher Person als "vicarious liabi/ity twice remaved" (stellvertretende Verantwortlichkeit zweiten Grades) kritisiert. 162 Vgl. Edgerton, in: 26 Y.L.J. 836 (1927).
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
Hinblick auf eine corporate criminalliability für erforderlich, daß die betroffenen Gesellschafter das Delikt tatsächlich hätten verhindern können, so führte dies in der Praxis zu einer de facto-Irmnunität juristischer Personen l63 . Zu berücksichtigen sei überdies, daß ein Investor irmner ein finanzielles Risiko eingehe, wenn er Anteile eines Unternehmens erwerbe; trete dann tatsächlich ein Verlust ein, so mache es unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten keinen Unterschied, ob der daraus für den Anteilseigner entstehende Nachteil die Folge eines illegalen Verhaltens oder etwa die einer betriebswirtschaftlichen Fehlentscheidung des Management gewesen sei l64 • Die negativen Folgen, die eine Verurteilung für den einzelen Aktionär - ohnedies nur in finanzieller Hinsicht 165 - mit sich bringe, fänden ihre Entsprechung in den Vorteilen, die ihm im Fall des Gelingens aus der Tat erwachsen wären l66 . Die unter Anlegern übliche Risikostreuung miminiere den den einzelnen Gesellschafter treffenden Verlust überdies zumeist auf eine geringfügige Größe l67 . Gegen die superior agent-rule wird ferner eingewandt, die Anknüpfung an eine Position des Täters als high managerial agent berge die Gefahr der Rechtsunsicherheit: Vielfach sei nicht genau abzugrenzen, welche natürlichen Personen zum "inner circle" des Unternehmens gehörten und welche nicht l68 . Eine Beschränkung der corporate criminal liability auf Taten der Unternehmensleitung sei zudem in kriminalpolitischer Hinsicht bedenklich: Sie biete den Mitgliedern der Führungsebene die Möglichkeit, durch Übertragung kriminalitätsanfälliger Aufgaben auf untere Angestellte - verbunden mit der Anweisung, über zu begehende Delikte grundsätzlich nicht informiert zu werden 169 -, sich selbst vor einer Mitwisserschaft und die juristische Person vor Bestrafung zu schützen l70 . Demjenigen high managerial agent, der tatsächlich an der Tat beteiligt gewesen sei, stünden aufgrund der komplexen Organisationsstruktur vieler Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten der Verschleierung seines Tuns zu Gebote, so daß ein entsprechender Nachweis die Strafverfolgungsorgane in aller Regel vor unüberwindliche Schwierigkeiten stelle l71 . Unter diesem Gesichtspunkt begünstige das superior agent-Konzept überdies die größeren Unternehmen, die zu haftungsbefreienden Delegationen und zur 163 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1242 (1979). 164 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1242 f. (1979). Ähnlich Coffee, in: Crime and Justice, S. 258. 165 Den Anteilseigner treffe das mit der Bestrafung üblicherweise verbundene Stigma nicht; vgl. Leigh, S. 149. 166 In diesem Sinne vgl. Edgerton, in: 26 Y.L.J. 837 (1927). 167 Vgl. Coffee, in: Crime and Justice, S. 258. 168 Vgl. Leigh, S. 123 f.; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1255 (1979). 169 Vgl. zu dieser Praxis Stone, S. 45, 61 f. 170 Vgl. Dolan/Rebeck, in: 50 Geo.L.R. 552 (1962). 171 Vgl. dazu auch Edgerton, in: 26 Y.L.J. 838 (1927).
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Verdeckung strafbarer Vorgänge eher in der Lage seien als kleinere mit nur wenigen Hierarchiestufen l72 . Als vermittelnde Lösung wird im Schrifttum teilweise vorgeschlagen, die juristische Person zwar grundsätzlich für die Straftaten aller ihrer Mitarbeiter verantwortlich zu machen, ihr jedoch in den Fällen delinquenten Verhaltens unterer Angestellter die Möglichkeit zu geben, sich durch den Nachweis sorgfältigen Verhaltens des jeweils zuständigen high managerial agent zu entlasten (defense of due diligence)173 - wie es die Verfasser des Model Penal Code für die zweite der genannten Deliktskategorien befürworten 174 • Zur Begründung dieses Ansatzes heißt es, er bezwecke, den Unternehmensverantwortlichen einen Anreiz zu bieten, durch sorgfältigere Aufsicht Gesetzesverletzungen aus dem geschäftlichen Umfeld zu unterbinden l75 . Ziehe nämlich jede festgestellte Gesetzesverletzung automatisch eine Bestrafung der juristischen Person nach sich, so würde sich unter den leitenden Angestellten allzu leicht die Erkenntnis durchsetzen, daß es einfacher sei, den Dingen ihren Lauf zu lassen, als bei der Aufsicht der Untergebenen die gebührende Sorgfalt walten zu lassen l76 . Systematisch bedeutet die Einräumung einer derartigen Einrede eine Beweislastumkehr im Hinblick auf die subjektive Tatseite: Um einer Bestrafung zu entgehen, hat die corporation zu beweisen, daß sie, repräsentiert durch den für den jeweiligen Bereich verantwortlichen high managerial agent, das mens rea-Erfordernis nicht erfüllt 177 • Auch wenn diese Konzeption ihren Wirkungen nach einen Mittelweg zwischen respondeat superior-Doktrin und superior agent-rule bildet, sollte nicht verkannt werden, daß auch ihr letztlich die Vorstellung zugrunde liegt, nur die Mitglieder des "inner circle" einer juristischen Person verkörperten deren Gehirn und nur die Schuld eines dieser Führungspersönlichkeiten könne auch als "Schuld" der Körperschaft angesehen werden 178.
172 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1254 f. (1979); ähnlich Leigh, S. 139. 173 Vgl. etwa Dolan/Rebeck, in: 50 Geo.LJ, 564 f. (1962); Mueller, in: 19 U.Pitt.L.R. 41 ff. (1957); in diesem Sinne auch Holland Fumace Co. v. U.S., 158 F.2d 2,8 (6th Cir. 1946). 174 Vgl. oben Kap. 4, B IV. 175 Vgl. Model Penal Code § 2.07, Tentative Draft No. 4 (1955), S. 154. 176 Vgl. Mueller, in: 19 U.Pitt.L.R. 43 (1957). 177 Vgl. La Fave/Scott, S. 261. 178 Darauf weist insbesondere Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 478 f. (1982), hin.
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b) Neuere Begründungsansätze Etwa seit Beginn der achtziger Jahre geht das amerikanische Schrifttum mehr und mehr dazu über, sich von der superior agent-rule wieder zu lösen. Eine Theorie der corporate criminal liability müsse - anders als die überkommenen Ansätze, die die juristische Person letztlich als "black bOX"179 behandelten - die Strukturen und Abläufe sowie die Art und Weise in Rechnung stellen, wie in einem derart komplexen System Entscheidungen de facto zustande kämen. Das inner circle-Modell werde den tatsächlichen Gegebenheiten eines Unternehmens nur unzureichend gerecht. Insbesondere vernachlässige es den fundamentalen Unterschied zwischen einzelmenschlichem Verhalten und Gruppenverhalten. Nur in Ausnahmefällen sei eine Unternehmensstraftat nämlich das Ergebnis einer klar umrissenen Entscheidung eines Mitglieds der Führungsebene und damit des "Gehirns" der juristischen Person, wie es die Verfechter der superior agent-Doktrin glauben machen wollten. Zumeist stelle sich die Deliktsbegehung vielmehr als Endpunkt einer Verkettung verschiedener Umstände und Einflüsse dar, denen sich der einzelne als Teil einer solchen Organisation ausgesetzt sehe - der "wahre" Urheber einer Straftat sei daher häufig gar nicht zu identifizieren, vielfach gebe es ihn auch gar nicht 180 . Eine corporate criminal liability habe unter diesem Gesichtspunkt an die Anstrengungen anzuknüpfen, die das Unternehmen als Organisation unternommen habe, um deliktische Verhaltensweisen seiner Angestellten abzuwenden. Auf diese Weise gelange man zu einem spezifisch körperschaftlichen Schuldverständnis: Die für ihre Bestrafung zu verlangende "Schuld" der juristischen Person sei weniger - wie nach bisheriger Auffassung - in der zuzurechnenden mens rea des Angestellten zu sehen, als vielmehr in der Unangemessenheit der zur Verhinderung von Gesetzeszuwiderhandlungen geschaffenen innerbetrieblichen Praktiken und Verfahren l81 . Zur Grundlage 179 Vgl. Coffee, in: 63 Va.L.R. 1110 (1977). 180 Vgl. etwa Clarke, S. 7 f.; Coffee, in: 63 Va.L.R. 1109 ff. (1977); Fisse, in: 56 SO.Cal.L.R. 1187 f. (1983); Foerschler, in: 78 Cal.L.R. 1299 (1990); Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 483 ff. (1982); Schlegel, S. 89; Note "Developments" , in: 92 H.L.R., 1243, 1257 f. (1979). Vgl. auch Geis, in: Corrigible Corporations, S. 78 ff. Zur kriminogenen Wirkung der Eingliederung in einen Verband näher unten Kap. 5, B. 181 Vgl. dazu insbesondere Foerschler, in: 78 Cal.L.R. 1306 ff. (1990), die vorschlägt, die Verantwortlichkeit der juristischen Person an die positive Beantwortung einer der drei folgenden Fragen zu knüpfen: "(1) Did a corporate practice or policy violate the law? or (2) Was it reasonably foreseeable that a corporate practice or policy would result in a corporate agent's violation of the law? or (3) Did the corporation adopt a corporate agent's violation of law?" Ähnlich Schlegel, S. 120; Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1243 (1979). Vgl. auch Fisse, in: 56 SO.Cal.L.R. 1149, 1183 ff. (1983), der allerdings in erster Linie darauf abstellt, welche Maßnahmen die juristische Person als Reaktion auf die Begehung einer Tat in ihrem Umfeld ergriffen hat, um künftige weitere Delikte zu verhindern ("readive corporate fault", vgl. a.a.O., S. 1195 ff.)
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einer corporate criminalliability mache man damit die fahrlässige Verletzung einer Art Garantenpflicht des Unternehmens 182 . Uneinigkeit besteht allerdings darüber, wie diesen Aspekten in systematischer Hinsicht Rechnung getragen werden soll. Ein Vorschlag lautet, die juristische Person zwar im Grundsatz für alle in ihrem Umfeld begangenen Taten verantwortlich zu machen, ihr jedoch eine due diligence-Einrede einzuräumen. Anders als nach dem Model Penal Code sei dabei nicht auf die Sorgfalt des zuständigen high managerial agent abzustellen: Das Unternehmen entgehe vielmehr nur dann einer Bestrafung, wenn es beweise, als Organisation die gebührende Sorgfalt bei der Verhinderung von Straftaten aus seinem Umfeld angewendet zu haben. Ein solcher Nachweis sei im Hinblick auf Delikte einer Führungskraft schwerer zu erbringen als im Fall der Zuwiderhandlung eines untergeordneten Angestellten. Um in den Genuß der Einrede zu kommen, müsse die juristische Person vor allem dartun, das illegale Verhalten innerbetrieblich klar und deutlich verboten und organisatorische Vorkehrungen zur rechtzeitigen Aufdeckung von Zuwiderhandlungen und zur Disziplinierung potentieller Delinquenten getroffen zu haben 183. Der Einräumung einer derartigen Sorgfaltseinrede wird von anderer Seite entgegengehalten, sie böte der juristischen Person lediglich den Anreiz, einen "Mindeststandard" an Vorkehrungen zu treffen, um sich bereits im Vorfeld potentieller Delikte gegen eine Bestrafung zu immunisieren. Darüber hinausgehende Maßnahmen lohnten sich für das Unternehmen dann allerdings nicht - auch wenn sie möglicherweise dazubeitragen könnten, weitere Straftaten zu verhindern. Ohne eine derartige due diligence-Einrede investierte ein Unternehmen dagegen solange in die Verbrechensverhütung, bis die Aufwendungen dafür die zu erwartende Strafe erreichten. Nicht die Einräumung eines derartigen Verteidigungsmittels, sondern dessen Fehlen sporne die juristische
182 Vgl. CojJee, in: Crime and Justice, S. 258 f., 260 f. Dem englischen Schrifttum entstammt eine ähnliche Anregung: Die strafrechtliche Verantwortlichkeit juristischer Personen sei an die Übereinstimmung der Tat mit der Geschäftspolitik des Unternehmens zu knüpfen. Nicht eine herausgehobene Stellung des Täters in der Hierarchie der Körperschaft sei das entscheidende Zurechnungskriterium, sondern der Umstand, daß sein Delikt eine geschäftspolitische Entscheidung derjenigen Personen wiederspiegele, die einen beherrschenden Einfluß auf das Unternehmen ausübten. Bestimmte, im Einzelfall zu erforschende Faktoren legten diesen Schluß nahe; so sei etwa von Bedeutung, in welcher Form sich die leitenden Angestellten um die Verhinderung von Delikten bemühten, ob es in der juristischen Person bereits zuvor zu Straftaten gekommen sei und ob oerartige Vorfälle zu entsprechenden innerbetrieblichen Disziplinarmaßnahmen geführt hätten. Nicht nur die Geschäftspolitik des Unternehmens, sondern zugleich die Effizienz der zu ihrer praktischen Umsetzung angewendeten Mittel werde damit zum Gegenstand öffentlicher Beurteilung gemacht. Vgl. Leigh, S. 126 f. 183 Vgl. Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1257 f. (1979). Ähnlich Dolan/Rebeck, in: 50 Geo.L.J. 561 ff. (1962), die eine derartige Einrede des Unternehmens allerdings nur im Hinblick auf die traditionellen common law-Straftaten befürworten.
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Person folglich zu entsprechenden Anstrengungen an 184 . Die Bemühungen der Körperschaft, etwa durch strukturelle Reformen oder Maßnahmen zur Disziplinierung der Mitarbeiter künftige Taten zu verhindern, sollten allerdings so der Gegenvorschlag - im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Damit sei auch die Möglichkeit eröffnet, das Verhalten des Unternehmens im Anschluß an die Tat in die Betrachtung einzubeziehen - man biete der juristischen Person auf diese Weise nicht zuletzt den Anreiz, alsbald nach einem Delikt Maßnahmen zur Verhinderung weiterer derartiger Vorkommnisse zu ergreifen, um dann zum Zeitpunkt eines Strafverfahrens bereits entsprechende Erfolge vorweisen zu können I 85 . VI. Die Strafe und ihre Bemessung
1. Zur Strafpraxis
a) Cash fines aa) Allgemeines zur Verhängung von Unternehmensgeldstrafen Trotz zahlreicher Alternativvorschläge im Schrifttuml86 stellte die Geldstrafe lange Zeit die praktisch einzige gegen juristische Personen verhängte Sanktion dar 187 . Was ihre Bemessung anging, so waren Gesetzgeber wie auch Gerichte bis in die jüngere Vergangenheit äußerst zurückhaltend: Selbst wenn die gesetzlich vorgegebene Höchststrafe l88 verhängt wurde - was nur seIten der Fall war -, hatte die Sanktion im Vergleich zu dem Vermögen des bestraften Unternehmens und den aus der Tat erwarteten Nutzen oft eher symbolischen Charakter l89 . Beispielsweise berichtet de Frenes l90 von einer im Jahr 1964 erfolgten Verurteilung der acht größten Stahlproduzenten der USA: Das Gericht verhängte gegen die beteiligten Unternehmen wegen verbotener 184 Vgl. Coffee, in: Crime and Iustice, S. 261 f. 185 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 445 f. (1981); ders., in: Crime and Iustice, S. 262; Schlegel, S. 138 ff. Vgl. auch Fisse, in: 56 SO.Cal.L.R. 1195 ff. (1983). 186 Vgl. etwa Coffee, in: 79 Mich.L.R. 411 ff. (1981); Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.I. 353 ff. (1979) sowie näher unten Kap. 4, B VI 2. 187 Vgl. V.S. v. A.& P. Trucking Co., 358 U.S. 121, 127 (1958): "As in the case of corporations, the conviction ofthe entity can lead only to ajine levied on thejirm's assets." 188 Vgl. dazu die Übersicht bei Davids, in: 58 I.Crim.L.C. & P.S. 528 (1967). 189 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 405 (1981); ClinardlYeager, S. 316; Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.I. 362 (1979) 190 S. 111.
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Preisabsprachen, die einen Jahresumsatz in Höhe von $ 3,6 Milliarden betrafen, die damaligen Höchstsstrafen, jeweils $ 50.000!1 91 Erst mit Erlaß des Sentencing Reform Aet of 1984192 sowie des Criminal Fine Enforeement Aet of 1984193 ging der (Bundes-)Gesetzgeber dazu über, die gesetzlichen Vorgaben drastisch zu erhöhen. So können juristischen Personen heute etwa für Insidergeschäfte Strafen bis zu $ 2,5 Mio. 194 und für bestimmte, gegen den Crime Control Aet of 1990195 verstoßende betrügerische Handlungen im Bereich der Finanzwirtschaft bis zu $ 20 Mio. pro Zuwiderhandlung auferlegt werden l96 . Bei mehrfachen Delikten erhöhen sich diese Summen entsprechend. So wurde die Investmentfirma E.F.Hutton & Co., [ne. beispielsweise im Jahr 1988 wegen eines großangelegten Scheckbetruges zu einer Gesamtstrafe von $ 215 Mio. verurteilt - allerdings schätzt man, daß es bei den fraglichen Vorgängen für das Unternehmen um $ 4-10 Milliarden ging l97 . Auch im Umweltbereich, im Rahmen der strafrechtlichen Produkthaftung und im Fall der Verletzung von Arbeitsschutzbestimmungen sind Verurteilungen zur strafweisen Zahlung von mehrern Hundert Millionen Dollar heute keine Seltenheit mehr l98 . bb) Zumessung der Geldstrafe unter Zugrundelegung der "Sentencing Guidelines for Organizational Offenders" Im Jahr 1991 veröffentlichte die V.S. Sentencing Commission, ein aufgrund des Sentencing Reform Aet vom amerikanischen Kongreß eingesetzter unabhängiger Ausschußl99, nach mehrjährigen Vorarbeiten Richtlinien zur Bestrafung von Unternehmen (Sentencing Guidelines for Organizational Offenders)2oo. Diese finden Anwendung auf alle strafrechtlichen Verstöße 191 Vgl. auch das Beispiel einer in den 50er Jahren erfolgten Verurteilung der General Electric Co. (ebenfalls wegen verbotener Preisabsprachen) bei Coffee, in: 79 Mich.L.R. 405 (1981): Die gegen das Unternehmen verhängte Sanktion betrug damals ganze 0,3 % des Nettojahresgewinnes. 192 Pub.L.No. 98-473, 98 Stat. 1987 (1984). Vgl. zur Bedeutung dieses Gesetzes näher Wray, in: 101 Y.L.J. 2023 ff. (1992). 193 Pub.L.No. 98-596, 98 Stat. 3134; vgl. dazu etwa Brickey, Vol. I, S. 12 ff. 194 195 196 197 198
Vgl. Insider Trading and Securities Fraud Enforcement Act of 1988, Pub.L.No. 100-704. Pub.L.No. 101-647, 104 Stat. 4789. Vgl. dazu Boss/Crutchjield George, in: 28 Crim.L.Bull. 42 f. (1992). Vgl. dazu etwa Schlegel, S. 23. Vgl. Bennett, in: 65 N .Y.U.L.R. 878 f. (1990) mit mehreren Beispielen aus der jüngeren Gerichtspraxis. Ferner Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 362 FN 50 (1979). 199 Vgl. zu dessen Aufgaben näher Parker, in: 26 Am.Cr.L.R. 533 ff. (1989). 200 Auszugsweise abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 51 ff.
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gegen Bundesrecht, die nach dem 1. November 1991 von juristischen Personen begangen werden20I . Auch die Sentencing Guidelines zeugen von dem Bemühen, der Unternehmenskriminalität durch schärfere Geldstrafen beizukommen202 . In Extremfällen, in denen die kriminelle Tätigkeit der eigentliche Zweck der juristischen Person darstellt oder sie sich bei ihrer Tätigkeit in erster Linie strafbarer Methoden bedient, sehen die Richtlinien sogar eine de facto-Todesstrafe für das Unternehmen vor: Die Strafe soll dann so bemessen werden, daß der corporation sämtliche Vermögenswerte entzogen werden203 . Unter Zugrundelegung der neuen Richtlinien erfolgt die Zumessung einer Unternehmensgeldstrafe in mehreren Schritten: (1) Zunächst gilt es, die sog. Base Fine zu ermitteln. Diese bestimmt sich je nachdem welcher Wert höher ist - entweder nach dem finanziellen Gewinn, den das Unternehmen aus der Tat ziehen konnte, nach dem durch sie verursachten Schaden oder aber nach bestimmten, an der Schwere des Deliktes orientierten und in einer sog. Offense Level Fine Table vorgebenen Richtwerten204 .
(2) In einem zweiten Schritt wird der Grad der Schuld des Unternehmens bestimmt. Die Richtlinien bedienen sich dazu eines Punkterasters (Culpability Score)205: Ausgegangen wird von einem mittleren Wert von fünf Punkten, dem für das Vorliegen bestimmter strafschärfender Umstände weitere hinzugerechnet werden; mildernde Faktoren führen hingegen zu Abzügen. In diesem Sinne soll erschwerend zu berücksichtigen sein, inwieweit das Unternehmens an der Tat beteiligt war oder sie geduldet hat; in diesem Zusammenhang spielt die hierarchische Stellung des individuellen Täters eine wesentliche Rolle: ist das Delikt von einer Führungskraft (high level personnel) begangen, stillschweigend geduldet oder bewußt ignoriert worden, so sollen - in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens - zwischen einem und fünf Punkten hinzuzurechnen sein206 ;
201 Zur Entstehungsgeschichte näher Brickey, Vol. I, S. 31 ff. 202 Möglich sind danach nunmehr fines von bis zu $ 290 Mio.; vgl. Wray, in: 101 Y.L.J. 2027 (1992). 203 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8Cl.l. sowie Wray, in: 101 Y.LJ. 2027 (1992). 204 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8C2.4., abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 51 f. 205 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8C2.5, abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 52 ff. 206 Je mehr Beschäftigte die juristische Person hat, um so mehr Punkte werden addiert.
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inwiefern in dem Unternehmen zuvor bereits gleichartige Delikte begangen worden sind; je nachdem, in welchem zeitlichen Abstand von der nunmehr abzuurteilenden Tat sich diese Vorfälle ereignet haben, sind ein oder zwei Punkte zu addieren; ob mit der Tat gegen gerichtliche Anordnungen, insbesondere gegen Bewährungsauflagen verstoßen worden ist; bejahendenfalls sollen ein oder zwei Punkte hinzuzuzählen sein; ob das Unternehmen die gerichtlichen Ermittlungen behindert hat (drei Punkte). Mildernd zu berücksichtigen sind nach den Richtlinien dagegen: eine erfolgte Selbstanzeige der juristischen Person, kooperatives Verhalten bei den Ermittlungen und die Anerkennung der eigenen Verantwortlichkeit; hier sollen zwischen einem und fünf Punkten in Abzug gebracht werden - es sei denn, das Unternehmen hat das Delikt den zuständigen Behörden erst mit unangemessener Verspätung angezeigt; Bemühungen des Unternehmens, Straftaten zu verhindern und aufzudecken; falls die juristische Person in dieser Hinsicht ein wirksames Programm vorzuweisen hat, so führt dies zur Subtraktion von drei Punkten - es sei denn, die Tat wurde von einem hochrangigen Angestellten begangen: die Richtlinien gehen in diesem Fall von der Vermutung aus, daß die Bemühungen der juristischen Person nicht ausreichend waren. (3) In einem dritten Schritt werden anhand einer Tabelle und in Abhängigkeit von dem zuvor ermittelten Culpability Score ein sog. Minimal-Muliplikator und ein Maximal-Multiplikator ermittelt207 , die dann mit der - im ersten Schritt ermittelten - Base Fine mulitpliziert werden; auf diese Weise ergibt sich der Strafrahmen208 . (4) Innerhalb dieser Grenzen hat das Gericht die konkret zu verhängende Sanktion unter anderem unter Berücksichtigung folgender Kriterien festzulegen209 :
207 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8C2.6., abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 57. Bei einem Culpability Score von 9 Punkten liegt der Minimal-Multiplikator beispielsweise bei 1,8, der Maximal-Multiplikator bei 3,6; bei einem score von 3 bei 0,6 (Minimal-Mulitplikator) resp. 1,2 (Maximal-Multiplikator). 208 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8C2.7, abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 57. 209 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8C2.8, abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 57 f.
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Inwieweit besteht ein Bedürfnis danach, durch die Bestrafung die Schwere der Tat zu verdeutlichen, die Achtung vor dem Recht zu verstärken, Gerechtigkeit zu üben, abzuschrecken und die Öffentlichkeit vor weiteren Delikten der Organisation zu schützen? Welche Rolle hat die juristische Person bei der Begehung des Delikts gespielt? Wurden durch die Tat immaterielle Schäden hervorgerufen? Wer ist durch die Tat verletzt worden? Liegen bei den an dem Delikt beteiligten, seine Begehung duldenden oder bewußt ignorierenden Führungskräften Vorstrafen vor? b) Corporate Probation aa) Allgemeines Richterrechtlich seit Beginn der siebziger Jahre anerkannt210 sowie von wachsender praktischer Bedeutung ist die Anordnung einer (Unternehmens-)Bewährung (corporate probation)211 - die in den USA weniger als Bedingung der Aussetzung einer anderen Strafe, als als eigenständige Sanktion aufgefaßt wird212 . Grundgedanke dieser Alternative zur Geldstrafe ist es, durch die Erteilung bestimmter Auflagen eine "Besserung" des Unternehmens zu bewirken. Gleichzeitig wird entweder für den Fall eines Verstoßes gegen sie213 oder unabhängig davon214 eine erhebliche Geldstrafe verhängt. Die dem Unternehmen gestellten Bedingungen können sich darauf beziehen, unternehmens interne Refonnen durchzuführen. Möglicher Gegenstand einer
210 Vgl. näher Brickey, Vol. I, S. 20 ff. 211 Vgl. etwa U.S. v. Atlantic Richfield Co., 465 F.2d 58 (7th Cir. 1972); Apex Oil v. U.S., 530 F.2d 1291 (8th Cir.), cen. den., 429 U.S. 827 (1976); U.S. v. Clovis Retait Liquor Dealers Trade Association, 540 F.2d 1389 (10th Cir. 1976). 212 Vgl. Sentencing Reform Act of 1984, 18 U.S.C. § 3551 (c) (I) (1988); dazu auch Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 31 (1988); Note "Structural Crime", in: 89 Y.LJ. 367 FN 89 (1979). 213 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 454 (1981). 214 Stellt die zugrunde liegende Tat ein Verbrechen (felony) dar, so soll der Organisation jedenfalls nach Bundesrecht - neben der probation grundsätzlich eine Geldsanktion, die Wiedergutmachung des Schadens oder gemeinnützige Leistungen auferlegt werden; vgl. Sentencing Reform Act of 1984, 18 U.S.C. § 3563(a) (1988).
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Auflage ist aber auch die Wiedergutmachung des angerichteten Schadens215 . So wurde etwa eine Ölgesellschaft (erstinstanzlich) dazu verurteilt, die Folgen einer von ihr herbeigeführten Ölpest innerhalb einer bestimmten Frist zu beseitigen. Für den Fall der Weigerung drohte das Gericht dem Unternehmen an, einen Treuhänder einzusetzen, ausgestattet mit der Befugnis, seinerseits die notwendigen Schritte zu ergreifen216 . Zunehmend werden delinquenten Unternehmen auf diesem Wege aber auch gemeinnützige Leistungen auferlegt 217 . Eine Großbäckerei mußte beispielweise Brot an Bedürftige liefern218 , ein anderes Unternehmen wurde dazu gezwungen, eine seiner Führungskräfte für ein Jahr einer gemeinnützigen Organisation zu überlassen, wo sie ein Wiedereingliederungsprogramm für ehemalige Straftäter zu entwickeln hatte219 • bb) Coporate Probation aufgrund des "Sentencing Reform Act" und der "Sentencing Guidelines for Organizational Offenders" Aufgrund des Sentencing Reform Act of 1984220 sind die Bundesgerichte nunmehr auch gesetzlich zur Anordnung einer coporate probation neben oder anstelle einer Geldsanktion ermächtigt221 . Auch die Sentencing Guidelines for Organizational Offenders räumen der corporate probation einen hohen Stellenwert ein222 . Diesen Vorschriften zufolge ist die Anordnung einer Bewährungsstrafe in bestimmten Fällen sogar obligatorisch223 , und zwar unter anderem - unter der Voraussetzung, daß nur so sichergestellt werden kann, daß sich die juristische Person zur Verringerung der Wahrscheinlichkeit künftiger Verstöße internen Reformen unterzieht, den angerichteten Schaden wiedergutmacht oder gemeinnützige Leistungen erbringt, oder 215 Vgl. Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 887 (1990); ebenso Note "StructuraJ Crime", in: 89 Y.L.J. 370 f. (1979). 216 Die Auflagen wurden mangels ausreichender Bestimmtheit teilweise von der zweiten Instanz wieder aufgehoben; vgl. U.S. v. Atlantic Richjield Co., 465 F.2d 58, 61 (7th Cir. 1972). 217 Vgl. zum community service als Sanktion gegenüber juristischen Personen Fisse, in: Corrigible Corporation, S. 149 ff.; Schlegel, S. 37 f. Ferner U.S. v. William Anderson Co. 698 F.2d 911 (8th Cir. 1982). 218 Vgl. U.S. v. Danilow Pastry Corp., 563 F.Supp. 1159 (S.D.N.Y. 1983). 219 Vgl. U.S. v. Mitsubishi lnt'l Corp., 677 F.2d 785 (9th Cir. 1982). 220 Pub.L.No. 98-473, 98 Stat. 1987. 221 Vgl. Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 7 (1988) sowie zum Recht der Einzelstaaten Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 368 f. (1979), jeweils m.w.N. 222 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8D, auszugsweise abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 58 ff. 223 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8D1.1, abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S, 58 f.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
die Organisation eine Geldstrafe, zu der sie verurteilt worden ist, noch nicht vollständig bezahlt hat und Maßnahmen notwendig erscheinen, um ihre Zahlungsfähigkeit zu sichern, oder dem Unternehmen mehr als 50 Angestellte angehören und es kein wirksames Programm aufweisen kann, um künftige Delikte aufzudecken und zu verhindern224 , oder die juristische Person innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren bereits wegen vergleichbaren Mißverhaltens bestraft worden ist, oder eine der Führungskräfte innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren bereits wegen Beteiligung an einer vergleichbaren Tat bestraft worden ist. Was den Inhalt der Bewährungsstrafe angeht, so sehen die Sentencing Guidelines - unter Bezugnahme auf den Sentencing Reform Act of 1984225 zwei obligatorische Auflagen vor. Zum einen darf es innerhalb des Unternehmens für die Dauer der - bis zu fünf Jahren betragenden226 - Bewährungszeit zu keinen weiteren Verstößen gegen Bundesrecht, einzelstaatliche oder lokale Vorschriften kommen. Falls die zugrundeliegende Tat ein Verbrechen (jelony) darstellt, soll der Organisation darüber hinaus grundsätzlich entweder eine Geldsanktion, die Wiedergutmachung des Schadens oder gemeinnützige Leistungen auferlegt werden. Im übrigen steht es den Gerichten weitgehend frei, an welche Bedingungen sie die corporate probation im Einzelfall knüpfen. Sentencing Reform Act of 1984227 wie auch Sentencing Guidelines begnügen sich diesbezüglich mit Empfehlungen. Vor allem wird angeregt, das Unternehmen zu internen Reformen zu verpflichten228 , ihm also beispielsweise Änderungen im 224 An die Wirksamkeit eines solchen Programms werden hohe Anforderungen gestellt; vorausgesetzt wird als Minimum, daß (a) die innerbetrieblichen Abläufe und Regelungen so gestaltet sind, daß die Einhaltung der Gesetze gewährleistet ist; (b) bestimmte Führungskräfte mit der Kontrolle über die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften im Unternehmen betraut sind; (c) keine Delegation von Aufgaben auf solche Personen erfolgt, von denen die juristische Person weiß oder wissen müßte, daß sie deliktsanfallig sind; (d) die Mitarbeiter über die für sie relevanten Vorschriften informiert und in deren Einhaltung geschult werden; (e) sichergestellt ist, daß ein Angestellter, der es wagt, Verstöße zu melden, nicht mit internen "Vergeltungsmaßnahmen" zu rechnen hat; (f) gewährleistet ist, daß Individuen, die Verstöße begehen oder begangene nicht melden, auch innerbetrieblich zur Rechenschaft gezogen werden; (g) sichergestellt ist, daß bei Verstößen von seiten des Unternehmens alle notwendigen Schritte ergriffen werden. Vgl. Sentencing Guidelines, § 8A1.2, commentary 3 (k) sowie Wray, in: 101 Y.L.J. 2028 (1992). 225 18 U.S.C. § 3563(a) und (b) (1988). 226 Vgl. Sentencing Guidelines, § 8D1.2., abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 59. 227 Vgl. 18 U.S.C. § 3563 (b) (1988). 228 Vgl. 18 U.S.C. § 3563 (b) (6) (1988). Nach Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 71 (1988) haben die Gerichte von dieser Möglichkeit allerdings bislang nur zaghaft Gebrauch gemacht.
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Hinblick auf seine hierarchischen Strukturen, auf seine Geschäftspolitik und die Art und Weise, wie Mitarbeiter zu gesetzestreuem Verhalten motiviert werden, aufzuerlegen229 . Zu diesem Zweck kann sich der Richter der Hilfe außenstehender Fachleute bedienen. Er darf etwa eine Unternehmensberatung damit beauftragen, festzustellen, wo die Schwachstellen des Unternehmens liegen, ob beipielsweise ein unzureichendes innerbetriebliches Informationsund Kommunikationssystem230 oder sonstige interne Fehlleistungen die Tat begünstigt oder ermöglicht haben und wie Abhilfe geschaffen werden kann231 . Ebenso kann von dem betroffenen Unternehmen verlangt werden, es möge künftig bestimmte Personen mit der besonderen Aufsicht über die (strafrechtlichen) "Gefahrenquellen" des Unternehmens - etwa im Hinblick auf Umwelt-, Arbeits- und Gesundheitsschutz - betrauen232 . Das Gericht hat aber auch die Möglichkeit, es der Organisation selbst zu überlassen, ein Programm zur Verhütung künftiger Zuwiderhandlungen zu entwickeln und lediglich vorzugeben, auf welche Weise es implementiert werden so1l233. Daneben schlägt das Bundesgesetz etwa für Fälle betrügerischen Handeins eine Verpflichtung der corporation vor, die Opfer der Tat in vom Gericht zu bestimmender Weise und auf eigene Kosten von der Verurteilung in Kenntnis zu setzen234 . Auch Beschränkungen der geschäftlichen Tätigkeit des Unternehmens - etwa auf bestimmte Betriebsteile - sind mögliche Bedingun229 Vgl. dazu auch Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 70 ff. (1988). 230 Vgl. zu dessen Bedeutung im Zusammenhang mit der Verhütung von Verbrechen im Unternehmen ausführlich Stone, S. 208 ff. 231 Vgl. 18 U.S.C. § 3552 (1988). Ein Beispiel dafür bietet der sog. Hutton Repon (auszugsweise abgedruckt in: New Developments, Vol. 11, S. 887 ff.), welcher im Strafverfahren gegen die Investmentfirma E.F.Hutton cl\: Co., [ne. dazu diente, festzustellen, welche internen Strukturen und Praktiken die strafrechtlichen Vorgänge begünstigt oder ermöglicht haben, und entsprechende Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Vgl. zum Ganzen auch Coffee, in: 79 Mich.L.R. 451 f. (1981); Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 372 (1979). Die Aufwendungen für ein solches Gutachten, wie überhaupt die dem Gericht im Zusammenhang mit der probation entstehenden Kosten hat grundsätzlich das Unternehmen zu tragen, vgl. dazu näher Gruner, in: 16 AmJ.Crim.L. 80 ff. (1988). 232 Derartiges wurde in den USA bereits praktiziert: Als Folge der Verurteilung wegen eines schweren Umweltdelikts (das Unternehmen hatte hochgiftige Stoffe in eine Bucht abgelassen) richtete die Allied Chemical Corp. (freiwillig) ein mit Juristen, Naturwissenschaftlern und Medizinern besetztes sog. "Toxic Risk Assessment Committee" ein, um künftig alle unternehmensinternen Informationen über toxische Risiken zu überprüfen und gegenbenfalls den zuständigen Behörden Mitteilung zu machen. Vgl. zum Ganzen auch Miester, in: 64 Tulane L.R. 940 (1990); Stone, S. 152 ff.; Yoder, in: 69 J.Crim.L & C. 53 (1978). 233 Vgl. 18 U.S.C. § 3552 (b) (1988); Sentencing Guidelines, § 8D1.4 (c), abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 60 ff. 234 Vgl. 18 U.S.C. § 3563 (b) (4) (1988). Ähnlich die Sentencing Guidelines: Die juristische Person solle dazu verpflichtet werden, die Tatsache ihrer Verurteilung und die von ihr zur Verhinderung eines "Rückfalls" geplanten Maßnahmen auf ihre Kosten und in bestimmter, gerichtlich vorgegebener Aufmachung zu veröffentlichen; vgl. Sentencing Guidelines, § 8Dl.4 (a), abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 60. 9 Ehrhardt
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4. Kapitel: Oie Rechtslage in den USA
gen einer corporate probation. Auflagen können sich aber auch auf die Überwachung des Unternehmens für die Dauer der Bewährungszeit beziehen235 . In diesem Zusammenhang steht dem Gericht die Möglichkeit offen, dem Unternehmen Berichtspflichten aufzuerlegen, außerordentliche und unangekündigte Inspektionen durch den "Bewährungshelfer" (probation officer), Buchprüfungen und sonstige Kontrollen der Geschäftsführung durch außenstehende Fachleute anzuordnen236 . Der richtlichen Phantasie bei der Ausgestaltung der corporate probation sind allerdings auch gewisse Grenzen gesetzt. Sowohl der Sentencing Reform Act wie auch die Sentencing Guidelines geben vor, daß die zu verhängenden Auflagen eine angemessene Beziehung entweder zu der Natur der Straftat, zu den Umständen, unter denen sie begangen wurde oder zu dem Unternehmeninsbesondere zu dessen eventueller "krimineller Vorgeschichte" - aufzuweisen haben. Im übrigen darf die Anordnung der corporate probation nur zu solchen Eingriffen in Freiheit und Vermögen der juristischen Person führen, die notwendig und angemessen sind, um den vier Hauptzwekken einer Bestrafung - gerechte Vergeltung, Abschreckung, Sicherung und Besserung Genüge zu tun231 • Vor Erlaß des Sentencing Reform Act of 1984 waren gewisse weitere Einschränkungen im Hinblick auf die Anordung und inhaltliche Ausgestaltung der corporate probation richterrechtlich anerkannt238 . Dazu gehörte der Gesichtspunkt der Freiwilligkeit: Man ging davon aus, dem Bestraften stehe es frei, die Bewährung zu akzeptieren oder aber stattdessen die vorgeschriebene Höchststrafe auferlegt zu bekommen239 . Mit dem heutigen Verständnis der coporate probation als eigenständiger Sanktion wird diese Auffassung als nicht mehr vereinbar angesehen240 • Auch der zuvor anerkannten Regel, die Kosten, die für das Unternehmen mit der probation verbunden seien, dürften den Wert der für das jeweilige Delikt zu verhängenden Höchststrafe nicht überschreiten241 , mißt man heute nur noch insofern 235 Vgl. 18 U.S.C. § 3563 (b) (17, (17) (1988); Sentencing Guidelines, § 801.4, abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 60 ff. 236 Vgl. Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 77, 104 f. (1988). 231 Vgl. 18 U.S.C. § 3563 (b) (1988) i.V.m. 18 U.S.C. § 3553 (a) (1) und (a) (2) (1988). Ferner Sentencing Guidelines, § 801.3, abgedruckt bei Brickey, Vol. I, S. 60. Vgl. auch Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 51 ff. (1988). 238 Vgl. dazu Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 57 ff. (1988). 239 Vgl. etwa U.S. v. Mitsubishi Int'l Corp., 677 F.2d 785, 788 f. (9th Cir. 1982).
240 Vgl. Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 59 (1988). 241 Vgl. U.S. v. Atlantic Richjield Co., 465 F.2d 58, 61 (7th Cir. 1972); U.S. v. Mitsubishi Int'l Corp., 677 F.2d 785, 788 (9th Cir. 1982); U.S. v. Danilow Pastry Corp., 563 F.Supp. 1159, 1168 (S.O.N.Y. 1983); U.S. v. Interstate Cigar Co., 801 F.2d 555, 556 f. (1st Cir. 1986).
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Bedeutung zu, als zu hohe Kosten im Einzelfall die Angemessenheit der Auflagen in Frage stellen242 . Auch heute noch Geltung beansprucht allerdings das bereits vor Erlaß des
Sentencing Reform Act anerkannte Erfordernis der Bestimmtheit der Auflagen: Sowohl der Bestrafte selbst wie auch Dritte - insbesondere der probation officer - müßten in die Lage versetzt werden, eindeutig zwischen der Einhaltung
und der Verletzung der gestellten Bedingungen zu unterscheiden243 .
Für den Fall eines Verstoßes gegen Bewährungsauflagen sieht der
Sentencing Reform Act den Widerruf der Bewährung und die Verhängung al-
ternativer Strafen - vor allem empfindlicher Geldsanktionen - vor. Darüber hinaus müssen diejenigen Unternehmensangehörigen, welche die Einhaltung der Bedingungen be- oder verhindern, mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen244 . c) "Imprisonment" Erstmals wurde in neuerer Zeit ein Unternehmen, die Allegheny Pepsi-Cola Bottling Co., wegen verbotener Preisabsprachen (erstinstanzlich) zu einer "Freiheitsstrafe" (drei Jahre "imprisonment") verurteilt 245 . In seiner Urteilsbegründung führt das Gericht aus, "imprisonment" bedeute für die bestrafte Person "restraint"246 - eine Beschränkung ihrer Freiheit. Auch ein Unterneh-
men könne man auf diese Weise sanktionieren, nämlich indem man es in der ihm eigenen Freiheit, der Freiheit der geschäftlichen Betätigung, einenge. Als unternehmensspezifische "Freiheitsstrafe" komme in diesem Sinne die Stillegung einzelner Betriebsteile oder des ganzen Unternehmens in Betracht, eine Beschränkung auf bestimmte Vertriebsgebiete oder auch das Verbot, bestimmte Waren zu verkaufen247 .
242 Vgl. Gruner, in: 16 AmJ.Crim.L. 61 f. (1988). 243 Vgl. U.S. v. Chapel, 428 F.2d 472, 474 (9th Cir. 1970); U.S. V. Faster, 500 F.2d 1241, 1243 f. (9th Cir. 1974); U.S. V. Grant, 807 F.2d 837, 838 f. (9th Cir. 1987). Vgl. auch U.S. V. Atlantic Richfield Co., 465 F.2d 58, 61 (7th Cir. 1972) sowie Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 57 ff. (1988). 244 Vgl. dazu näher Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 77 f. (1988). 245 Vgl. U.S. V. Allegheny Boftling Co., 695 F.Supp. 856 (E.D.Va. 1988). Das Urteil lautete auf Zahlung einer Geldstrafe von $ 1 Mio. und drei Jahre Freiheitsstrafe, wobei die Freiheitsstrafe und teilweise auch die Geldstrafe letztlich ausgesetzt und probation angeordnet wurde. In der nächsthöheren Instanz wurde das Urteil teilweise wieder aufgehoben, vgl. näher Wray, in: 101 Y.L.J. 2025 f. (1992) m.w.N. 246 A.a.O., S. 859 f. 247 Vgl. zu dieser Entscheidung auch Brickey, Corporate and White Collar Crime, S. 601 f.
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
2. Die "optimale Untemehmenssanktion" im Schrifttum Zu den im Zusammenhang mit der corporate criminal liability besonders heftig diskutierten Fragen gehört die, welche Art von Sanktion am besten zur Verhängung gegenüber juristischen Personen tauge, also am ehesten geeignet sei, diese von Straftaten abzuhalten. Die Literatur spaltet sich hier im wesentlichen in zwei Lager248 . a) Corporate Punishment nach dem sog. "Economic Model" Auf der Grundlage eines ökonomischen Ansatzes befürwortet eine Gruppe amerikanischer Autoren die Verhängung von Geldstrafen gegenüber juristischen Personen249 : Als letztlich auf Gewinnerzielung ausgerichtet beruhten unternehmerische Entscheidungen auf einer rationalen Abwägung der potentiellen Kosten im Vergleich zu den erwarteten Nutzen. Wirkungsvoll von der Begehung von Straftaten abzuhalten seien Unternehmen dadurch, daß die Rechtsordnung die "Kosten" der Gesetzesverletzung im Wege der Androhung und Verhängung entsprechend hoher Geldsanktionen soweit erhöhe, daß die Tat für die juristische Person unprofitabel werde25o . Dem von der Gegenauffassung erhobenen Einwand, ein Unternehmen sei immer in der Lage, den aufgrund einer Geldsanktion eintretenden Verlust im Wege der Preiserhöhung auf seine Kunden abzuwälzen251 , halten die Befürworter des Economic Model entgegen, er vernachlässige die Kräfte des Marktes: Ein in einer Wettbewerbs situation stehender Produzent könne nicht einfach die Preise erhöhen, um einen ihn treffenden Verlust auszugleichen, denn damit würde er nur bewirken, daß seine Kunden zu seinen Konkurrenten abwanderten252 • 248 Vgl. dazu Wray, in: 101 Y.L.J. 2019 ff. (1992). 249 Vgl. etwa Parker, in: 26 Am.Cr.L.R. 570 ff. (1989). Schärfere, stärker an der Finanz-
kraft der juristischen Person orientierte Geldsanktionen fordert auch Clinard, Corporate Corruption, S. 169 ff. Schlegel, S. 166 ff. spricht sich im Hinblick auf die Bemessung der Geldsanktion de lege ferenda für ein Tagessatzsystem aus. 250 Vgl. dazu sowie allgemein zur ökonomischen Theorie der Strafe Posner, S. 205 ff.; ferner Gary S. Becker, in: 76 J.PoI.Econ., 169 ff. (1968); Parker, in: 26 Am.Cr.L.R. 523, 552 ff. (1989); Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1365 f., 1371 f. (1979). Die "Kosten" einer Gesetzesverletzung bestimmen sich in diesem Sinne nicht nur nach der Höhe der Strafe, sondern ebenfalls nach der Wahrscheinlichkeit deren Verhängung, vgl. Parker, a.a.O., S. 576 ff. 251 Vgl. Orland, in: 17 Am.Cr.L.R. 516 (1980); Williams, S. 685; Note "Criminal Responsibility", in: 37 Alb.L.R. 62 (1972). 252 Vgl. Kennedy, in: 73 Cal.L.R. 449 (1985); Mueller, in: 19 U.Pitt.L.R. 27 f.(l957) - vgl aber auch a.a.O., S.42; Wray, in: 101 Y.I.J. 2021 (1992); Note "Developments", in: 92 H.L.R. 1372 FN 37 (1979). Differenzierend: Fisse, in: 56 SO.Cal.L.R. 1219 f. (1983); Note "Community Control", in: 71 Y.L.L 285 f. FN 17 (1961).
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b) Corporate Punishment nach dem sog. "Structural Reform Model" Die Gegenposition zum Economic Model, zuweilen als "Structural Reform Model" bezeichnet253 , sieht die Entscheidungen einer juristischen Person und ihrer Manager nicht als das Ergebnis rationaler Analyse an, sondern als Resultat komplexer bürokratischer Interaktionen, hierarchischer Strukturen, Verfahrensvorgaben, Abhängigkeiten sowie - nicht zuletzt - der Eigeninteressen des handelnden Individuums 254 . Eine der juristischen Person adaequate und sie abschreckende Strafe müsse bei diesen organisationsinternen Einflußfaktoren ansetzen und die wahre Ursache strafbaren Verhaltens aus dem unternehmerischen Umfeld beseitigen255 . Die Verhängung einer Geldstrafe biete den Verantwortlichen dazu einen nur unzureichenden Anreiz, zumal Betroffene von dieser Sanktion in erster Linie die Anteilseigner , Konsumenten und die anderen, unschuldigen Angestellten seien256 . Zur wirkungsvollen Bekämpfung der Unternehmenskriminalität müsse die Rechtsordnung nach Alternativen zur Geldstrafe suchen. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang neben dem Institut der corporate probation eine in Wertpapieren zu erbringende Strafe (sog. equity fine) sowie die Möglichkeit, das Stigma einer Verurteilung effektiver als bisher als Unternehmenssanktion einzusetzen. aa) Beurteilung des Instituts der Corporate Probation in der Literatur In der US-amerikanischen Literatur wird die Möglichkeit, juristische Personen unter corporate probation zu stellen, überwiegend begrüßt257 . Gegenüber der (unbedingten) Verhängung von Geldstrafen habe diese Sanktion den Vorzug, daß sie flexibel zu handhaben sei. Indem sie unmittelbar dazu führe, daß das Unternehmen etwa interne Reformen vollziehe und seine Geschäftspolitik ändere und so die Wahrscheinlichkeit künftiger weiterer Verstöße reduziere, wirke sie zudem auf sehr viel direktere Weise präventiv und rehabilitierend258 . Verhindert werde überdies, daß die juristische Person nach Begehung 253 Vgl. etwa Wray, in: 101 Y.L.J. 2019 (1992). 254 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 393 ff. (1981); Fisse, in: 56 SO.Cal.L.R. 1154 ff. (1983); Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 30 (1988); Stone, S. 38 f.; Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 363 f. (1979). Vgl. zu dieser Sichtweise bereits oben Kap. 4, B V 2 cl. 255 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 411 (1981); Fisse, in: 56 So.CaI.L.R. 1217 (1983). 256 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 401 ff. (1981). A.A. Wray, in: 101 Y.LJ. 2021 (1992). 257 Vgl. etwa Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 885 ff. (1990); Coffee, in: 79 Mich.L.R. 438 ff. (1981); Gruner, in: 16 AmJ.Crim.L. 3 ff. (1988); Orland, in: 17 Am.Cr.L.R. 517 (1980); Stone, S. 184 ff.; Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 353 (1979). 258 Vgl. Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 886 (1990); Gruner, in: 16 AmJ.Crim.L. 5 f. (1988); Kriesberg, in: 85 Y.LJ. 1108 FN 67 (1976); Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 365 (1979).
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einer Tat einen ihrer Angestellten als "Sündenbock" opfere, um ihr kriminelles Tun anschließend fortsetzen zu können, als sei nichts geschehen259 . Die Tatsache, daß mit manchen Bewährungsauflagen nicht unerheblich in die Autonomie des Unternehmens eingegriffen wird - ein für das Management überaus unerwünschter Effekt -, steigere die Präventivwirkung zusätzlich26O • "Unbeteiligte" - wie z.B. die Aktionäre - blieben von negativen Folgen hingegen weitestmöglich verschont261 . Was die Ausgestaltung möglicher Auflagen angeht, so besteht im Schrifttum Uneinigkeit darüber, ob es sinnvoller ist, dem Unternehmen bestimmte interne Reformen vorzuschreiben262 oder es ihm selbst zu überlassen, ein entsprechendes Programm zu entwikkeln263 . Ansonsten wird über die Empfehlungen des Sentencing Reform Act of 1984 und der Sentencing Guidelines264 hinausgehend noch vorgeschlagen, das Unternehmen zu innerbetrieblichen Sanktionen gegenüber solchen Mitarbeitern zu bewegen, die ohne sich als Täter verantworten zu müssen - das strafbare Verhalten durch Fahrlässigkeit oder Gleichgültigkeit ermöglicht oder nicht verhindert hätten. Zu diesem Zwecke sei ein außenstehendes Gremium mit der Untersuchung zu beauftragen, wer als ein solcher "Mitverantwortlicher" in Betracht komme. Eine weitere Anregung lautet, das Gericht möge die juristische Person dazu verpflichten, künftige Gehaltserhöhungen oder sonstige zusätzliche Leistungen an ihre Mitarbeiter von der Erreichung bestimmter, nicht gewinnbezogener Ziele - wie z.B. der Reduktion umweltschädlicher Emmissionen oder der Verschärfung von Sicherheitsvorkehrungen - abhängig zu machen; auf diese Weise biete man dem einzelnen Angestellten einen auch finanziellen Anreiz, bestimmte Vorgaben einzuhalten und seine persönlichen Interessen mit denen seines Arbeitsgebers in Einklang zu bringen265 . Dogmatische Bedenken gegen das Institut der corporate probation sind im Schrifttum bislang nur vereinzelt266 erhoben worden. So wird kritisiert, die Sentencing Guidelines gingen insofern zu weit, als die Sanktion häufig eine unangemessen scharfe Waffe darstelle, deren Verhängung dem Gebot der gerechten Bestrafung (just punishment) widerspreche. Dies gelte um so mehr als die Auswirkungen, die gewisse Auflagen auf das bestrafte Unternehmen 259 In diesem Sinne Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 370 (1979). 260 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 452 (1981); Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 365 (1979). 261 Vgl. Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 365 (1979). 262 In diesem Sinne etwa Miester, in 64 Tulane L.R. 940 f. (1990). 263 So Gruner, in: 16 Am.J.Crim.L. 84 f. (1988). 264 Vgl. dazu näher oben Kap. 4, B VI 1 b) bb).
265 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 456 f. (1981). 266 Vgl. Wray, in: 101 Y.LJ. 2029 ff. (1992)
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hätten, nur wenig präzise vorherzubestimmen und zu bewerten seien267 . Kritisiert wird auch, die Sentencing Guidelines böten dem Richter zu wenig klare Leitlinien bei seiner Entscheidung, ob und in welcher Form ein Unternehmen unter probation zu stellen sei268 . Allzu leicht überbewertet werde schließlich auch der Abschreckungseffekt einer derartigen Bewährungsstrafe: er liege letztlich allein in den - sehr unterschiedlichen und nur schwer voraussehbaren - finanziellen Folgen, die für das Unternehmen mit dieser Sanktion verbunden seien269 . Insgesamt sei das Instrument der Bewährungsstrafe daher auf extreme Fälle zu beschränken, also etwa auf solche, in denen es innerhalb eines Unternehmens trotz bereits erfolgter Verhängung einer Geldstrafe erneut zu Delikten gekommen sei270 . bb) Equity Fine Die Konzeption einer equity fine 271 beruht auf der These, das Entscheidungsverhalten des Management eines Unternehmens werde von vier Faktoren nicht unwesentlich bestimmt, nämlich von dem - durch die Einräumung von Gratisaktien, Aktienbezugsrechten, Tantiemen usw. verstärkten - Interesse des einzelnen am Wert des Gesellschaftskapitals; der Angst, als Folge der Beteiligung an einer Unternehmensstraftat Nachteile im beruflichen Fortkommen zu erleiden; der Furcht vor einer feindlichen Übernahme (hostile take-over) der Firma; sowie schließlich der innerhalb von Organisationen allgemein bestehenden Angst vor einem Verlust an Autonomie272 . Indem die equity fine an eben diesen "wunden Punkten" ansetze, bewirke sie eine effektivere Abschreckung. Zugleich reduziere sie aber auch die die unerwünschten Nebenfolgen, die die Bestrafung eines Unternehmens üblicherweise mit sich bringe. 267 Vgl. Wray, in: 101 Y.L.J. 2031 (1992). Ähnlich - speziell im Hinblick auf die Verpflichtung zur Erbringung gemeinnütziger Leistungen - Schlegel, S. 156. 268 Vgl. Wray, in: 101 Y.L.J. 2036 f. (1992). Ähnlich Schlegel, S. 36. 269 Vgl. Wray, in: 101 Y.L.J. 2032 f. (1992). 270 Vgl. Wray, in: 101 Y.L.J. 2040 f. (1992)., 271 Vgl. dazu Cojfee, in: 79 Mich.L.R. 413 ff. (1981). 272 Vgl. Cojfee, in: 79 Mich.L.R. 412 (1981) sowie Schlegel, S. 30 ff.
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Die verurteilte juristische Person solle - so das Konzept - dazu verpflichtet werden, eine gegen sie verhängte Geldstrafe nicht bar zu leisten, sondern im entsprechenden Gegenwert neue Stammaktien (equity shares) zu emittieren und in einen staatlichen Fond zur Entschädigung von Verbrechensopfern einzubringen. Von diesen seien die Papiere dann möglichst gewinnbringend zu veräußern273 . Die Verhängung einer equity fine habe vor allem den Vorteil, daß sie sich auf "Unbeteiligte" wesentlich weniger nachteilig auswirke als eine (Bar-) Geldstrafe: Da sie das Kapital der juristischen Person als solches nicht reduziere, führe sie weder zu Entlassungen noch bringe sie das Unternehmen in die Gefahr eines Konkurses274 . Durch die zahlenmäßige Zunahme der Anteile verringere sich zwar der Wert jedes einzelnen von ihnen, die Verhängung einer aus liquiden Mitteln zu leistenden Strafe habe jedoch dieselbe Wirkung: Aufgrund der in diesem Fall schlechten Aussichten für das weitere Fortkommen des Unternehmens müsse damit gerechnet werden, daß die Investoren sich bemühten, ihre Anteile abzustoßen, so daß der Kurs der Aktie sinke275 . Die Verhängung einer equity fine sei auch insofern gerechter als die herkömmliche Geldstrafe, als sie die Lasten der Verurteilung der juristischen Person gleichmäßig auf eine Gruppe verteile, die der Anteilseigner , deren Verlust zudem ohnehin auf den Wert der jeweiligen Beteiligung begrenzt sei276 . Die Verhängung einer equity fine erzeuge im übrigen Druck gerade auf denjenigen Personenkreis, der die Möglichkeit habe, Straftaten zu verhindern, nämlich das obere und mittlere Management: Dessen Mitglieder seien in aller Regel stärker als untere Angestellte am Kapital der juristischen Person beteiligt, so daß sie von dem Wertverlust des einzelnen Gesellschaftsanteils auch intensiver betroffen seien277 . Die Angehörigen der Führungsebene hätten jedoch nicht nur finanzielle Einbußen zu befürchten, sondern ebenfalls, nicht minder unerwünscht, einen Verlust an Kontrolle über das Unternehmen: Durch Auferlegung einer equity fine gelange ein größeres neues Aktienpaket auf den Markt. Die zusätzlichen Stimmrechte, die die neu zu emittierenden Aktien vermittelten, erhöhten die Möglichkeit, die bisherigen Mitglieder des 273 Vgl. CojJee, in: 79 Mich.L.R. 413 (1981). 274 Zustimmend Kennedy, in: 73 Cal.L.R. 461 (1985); Miester, in: 64 Tulane L.R. 935 (1990). 275 Vgl. CojJee, in: 79 Mich.L.R. 414 ff. (1981). 276 In diesem Sinne auch Miester, in: 64 Tulane L.R. 938 (1990); kritisch Fisse, in: 56 SO.Cal.L.R. 1236 (1983); Kennedy, in: 73 Cal.L.R. 461 (1985). 277 Vgl. CojJee, in: 79 Mich.L.R. 417 f. (1981); zustimmend Miester, in: 64 Tulane L.R. 936 (1990). Kritisch Fisse, in: 56 So.Cal.L.R. 1236 (1983): Abgesehen davon, daß nicht jeder Manager am Kapital seiner Gesellschaft beteiligt sei, habe er - falls doch - schließlich die Möglichkeit, die Anteile noch rechtzeitig abzustoßen.
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board of directors abzulösen278 . Im übrigen mache die Sanktion die juristische Person aber auch zu einem attraktiven Objekt eines hostile take-over279 : Sie verschaffe einem potentiellen Übernehmer den notwendigen Einstieg in das Unternehmen, damit er aus dieser Position ein Übernahmeangebot abgeben oder auf sonstige Weise die Kontrolle erlangen könne28o • Die Befürworter einer equity fine machen ferner geltend, diese Sanktion wirke bereits im Vorfeld einer möglichen Deliktsbegehung: Da sich ihre Verhängung unmittelbar in einem Wertverlust des einzelnen Gesellschaftsanteils niederschlage, sei schon das Aufkommen eines Gerüchtes, wonach das Unternehmen als deliktsgefährdet einzuschätzen sei, ausreichend, um einem Kurssturz herbeizuführen. Nicht zuletzt unter dem Druck der Aktionäre würde das Management dementsprechend stets bemüht sein, einen solchen Eindruck keinesfalls aufkommen zu lassen, was die vorsorgliche Ergreifung entsprechender kriminalitätshemmender Maßnahmen einschlösse281 . cc) Publicity Sanctions Im amerikanischen Schrifttum wird zunehmend angeregt, das Strafrecht möge sich das mit der Verurteilung einer juristischen Person verbundene Stigma stärker als bisher als Sanktion zunutze machen282 : Gerade Unternehmen reagierten gegenüber negativer Publicity traditionell äußerst empfindlich, ein Prestigeverlust ziehe zumeist auch in finanzieller Hinsicht negative Folgen nach sich283 . Verstärkt werde diese Wirkung noch dadurch, daß einer aus "offizieller Quelle" stammenden Beeinträchtigung des corporate image besondere Glaubwürdigkeit zukomme284 . In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, der Staat möge ein "corporation journal" verlegen, in welchem die 278 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 421 (1981); zustimmend Kennedy, in: 73 Cal.L.R. 466 f. (1985), der die Chance einer "Aktionärsrevolte" sieht. 279 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 413 f. (1981). A.A.: Miester, in: 64 Tulane L.R. 937 (1990). 280 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 418 (1981). 281 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 420 (1981); Miester, in: 64 Tulane L.R. 936 (1990); kritisch Schlegel, S. 33 f.: Es drohe eine Art Vorverurteilung des Unternehmens. 282 Ausführlich Fisse, in: 8 Melb.U.L.R. 107 ff. (1971); ders., in: 56 SO.Cal.L.R. 1152 ff., 1229 ff. (1983); ferner Boss/Crutchjield George, in: 28 Crim.L.Bull. 40 (1992); Note "Liability", in: 68 N.W.U.L.R. 891 f. (1973). Vgl. in diesem Zusammenhang auch Sutherland, S. 54 f.: "White Collar"-Delinquenz zeichne sich gerade dadurch aus, daß den Tätern - zumeist Angehörige gehobener sozialer Schichten - das Stigma des "Kriminellen" fehle. Kritisch gegenüber publicity sanctions Schlegel, S. 39; Kadish, 30 U.Chi.L.R. 434 (1963); Walt/Lauter, in: 18 Am.Cr.L.R., S. 282 f. (1991). 283 Vgl. Fisse, in: 8 Melb.U.L.R. 117 ff. (1971).; 284 Vgl. Coffee, in: 79 Mich.L.R. 425 (1981).
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4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
Straftaten juristischer Personen und die daraufhin ergangenen Urteile im Detail zu veröffentlichen seien285 . Auch sei daran zu denken, in geeigneten Medien entsprechende Anzeigen zu schalten oder die corporation dazu zu verpflichten, in ihren Vertragsformularen und sonstigen Dokumenten einen Hinweis auf die erfolgte Verurteilung aufzunehmen286 . Auf diese Weise würden zudem Konsumenten und potentielle weitere Täter gewarnt287 . dd) Weitere Vorschläge Je nach dem Betätigungsfeld der jeweiligen juristischen Person stelle - wie es heißt - auch ein befristeter Ausschluß des Unternehmens von der Vergabe öffentlicher Aufträge288 oder sonstige Beschränkungen seiner geschäftlichen Tätigkeit, etwa die Stillegung von Betrieben oder Betriebsteilen289 , eine wirkungsvolle Sanktion gegenüber juristischen Personen dar. Auch eine Unternehmens- "Todesstrafe", die zwangsweise Auflösung der juristischen Person, wird diskutiert29O • Man ist sich allerdings darüber einig, daß diese Sanktion in den Fällen leichter und mittlerer Unternehmenskriminalität unangemessene Konsequenzen hat291 . VII. Zur praktischen Bedeutung der Corporate Criminal Liability im US-amerikanischen Rechtsleben
Wenngleich bereits seit Beginn des Jahrhunderts anerkannt, wurde von dem Institut der Unternehmensstrafe in den USA lange Zeit eher zaghaft Gebrauch gemacht. Nicht zuletzt als Folge der Verwicklung von Großunternehmen in politische und wirtschaftliche Skandale, in Umweltkatastrophen und in spektakuläre Fälle von Verletzungen der Arbeits- und Produktsicherheit verzeichnet man jedoch seit Anfang der siebziger Jahre ein wachsendes Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit für das besondere Gefahrenpotential der
285 Vgl. Fisse, in: 8 Melb.U.L.R. 107 ff. (1971). 286 Vgl. Yoder, in : 69 J.Crim.L. & C. 52 (1978). Ähnlich Miester, in: 64 Tulane L.R. 942 ff. (1990). 287 Vgl. Fisse, in: 8 Melb.U.L.R. 117 ff. (1971). 288 Vgl. dazu Yoder, 69 J.Crim.L. & C. 55 (1978). 289 Vgl. Miester, in: 64 Tulane L.R. 946 (1990); Schlegel, S. 171 ff. 290 Vgl. Yoder, 69 J.Crim.L. & C. 54 (1978). Vgl. auch Standard Oil v. Missouri, 224 U.S.
270 (1912). 291 Vgl. Kennedy, in: 73 Cal.L.R. 445 FN 10 (1985); Miester, in: 64 Tulane L.R.947 (1990).
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
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Kriminalität aus dem Umfeld juristischer Personen292 . Ausdruck dieser zunehmenden Intoleranz sind zum einen die zahlreichen legislatorischen Bemühungen zur wirkungsvolleren Bekämpfung der Unternehmensdelinquenz293 , zum anderen aber auch eine - in den achtziger Jahren - erheblich verschärfte Strafverfolgungspraxis auf diesem Gebiet294 . Zahlreiche bekannte und profilierte US-Unternehmen - wie beispielsweise General Electrie Co., Exon Co., Eastem Airlines, Drexel Bumham Lambert, [ne., E.F.Hutton & Co., [ne. und die Ford Motor Co. - sind in neuerer Zeit Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt gewesen und in aufsehenerregenden Verfahren zum Teil zu drakonischen Strafen verurteilt worden295 . Ein Gebiet, in dem der Zuwachs an Verfahren gegenüber juristischen Personen besonders deutlich ist, ist der Arbeitsschutz (oeeupational safety)296. Schätzungen zufolge sind allein in diesem Bereich in den letzten Jahren mehr als 200 Anklagen gegen Unternehmen erhoben worden297 . Was den genauen Umfang der Unternehmenskriminalität und ihrer Bekämpfung durch strafrechtliche Maßnahmen angeht, so fehlt es in den USA allerdings an detailliertem statistischem Material; insbesondere findet eine routinemäßige Erfassung durch staatliche Stellen nicht statt298 . Eine für die US Sentencing Commission erarbeitete Statistik zur bundesgerichtlichen Strafverfolgungspraxis in den Jahren 1984-87 läßt die Durchfüh292 Vgl. etwa Bennen, in: 65 N.Y.U.L.R. 878 ff. (1990); Brickey, Vol. I, S. 2 ff.; Cullen/Maakestad/Cavender, S. 3 ff., 312 ff.; Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 447 ff. (1982); Orland, in: 17 Am.Cr.L.R. 501 (1980); Note "Structural Crime", in: 89 Y.LJ. 353 (1979) 293 Neben allgemeinen Gesetzen wie dem Sentencing Reform Act of 1984 und dem Criminal Fine Enforcement Act of 1984 (vgl. oben Kap. 4, B V 1) sind in den letzten Jahm auf diesem Gebiet zahlreiche Spezialvorschriften erlassen oder novelliert worden, etwa solche gegen Insiderhandel, Korruption, Geldwäsche und betrügerische Handlungen im Bereich der Finanzwirtschaft; vgl. näher Brickey, Vol. I, S. 5 ff. m.w.N. 294 Vgl.Clarke, S. 14 f.; Obermaier, in: New Developments, Vol. I, S. 55. Auch im strafrechtlichen Schrifttum ist der corporate criminal Iiability in den letzten Jahren eine erheblich gesteigerte Aufmerksamkeit zuteil geworden, wovon die zahlreichen Veröffentlichungen gerade aus jüngster Zeit zeugen. Der Eindruck Göhlers (Vor § 29a Rdn. 7), in den USA sei die Bedeutung des Instituts der corporate criminal Iiability eher rückläufig, kann in keiner Weise bestätigt werden. 295 Vgl. Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 878 ff. (1990) m.w.N. Vgl. auch Green, S. 112 ff., mit einer eindrucksvollen Liste von 118 (!) amerikanischen Großunternehmen, die allein in den siebziger Jahren wegen eines beschränkten Kreises von Tatbeständen (Bestechungsdelikte, Betrug, Kartellverstöße und Steuerhinterziehung) vor Gericht standen. 296 Vgl. Cullen/Maakestad/Cavender, S. 312 ff. 297 Vgl. Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 880 (1990) 298 Vgl. Cohen, in: 26 Am.Cr.L.R. 607 (1989). Man ist deshalb in erster Linie auf Fallstudien angewiesen, die teilweise allerdings zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Beispiele hierfür bieten die Untersuchungen von Sutherland, White Collar Crime, ClinardlYeager, Corporate Crime, und Cohen, in: 26 Am.Cr.L.R. 605 ff. (1989).
140
4. Kapitel: Die Rechtslage in den USA
rung von Strafverfahren gegen Unternehmen noch eher als die Ausnahme erscheinen299 : Von den ungefähr 200.000 Anklagen, die in diesem vierjährigen Zeitraum bei US-District Courts erhoben wurden, richteten sich lediglich 1.569 (weniger als 1 %) gegen Wirtschaftsunternehmen. 1.221 (78 %) dieser Verfahren endeten mit einer Verurteilung300 - auf jeden der 532 Richter an US-Disctrict Courts (Stand: 1987) entfiel somit durchschnittlich alle 21 Monate eine Unternehmensverurteilung (im Vergleich zu 135 Strafurteilen gegen Individuen im gleichen Zeitraum)30I. Was die Art der verfolgten Delikte angeht, so ging es in etwa 70 % der Verfahren um Kartellverstöße, Betrug und sonstige Vermögensdelikte, in 25 % der Fälle um bloße regulatory offences302 . Unter den verhängten Sanktionen nahmen Geldsanktionen den breitesten Raum ein: In 1.003 Fällen (82,1 %) wurden den Unternehmen entweder nur eine Geldstrafe oder zugleich die (finanzielle) Schadenswiedergutmachung auferlegt. 197 juristische Personen (16,1 %) wurden für durchschnittlich 36-39 Monate unter corporate probation gestellt303 , wobei als Bewährungsauflage zumeist die Zahlung einer Geldsumme oder die Schadenswiedergutmachung in Geld oder in natura angeordnet wurde. Sonstige Bedingungen, etwa community service, wurden dem Unternehmen nur in 2 % der Fälle gestellt. Insgesamt belegten die Gerichte die 1.221 bestraften juristischen Personen durchschnittlich mit etwa $ 57.000304 an Geldsanktionen305 .
299 Vgl. dazu näher Parker, in: 26 Am.Cr.L.R 520 ff. (1989) m.w.N.
300 Weniger als 15 % waren größere und bekannte Unternehmen; nur etwa 11 % gehörten
dem Kreis deljenigen amerikanischen corporations mit mehr als $ 1 Mio. Jahresumsatz und mehr als 50 Mitarbeitern an. Vgl. Parker, in: 26 Am.Cr.L.R 522 (1989) 301 Vgl. Parker, in: 26 Am.Cr.L.R 521 (1989). 302 Vgl. Parker, in: 26 Am.Cr.L.R 526 (1989).
303 Vgl. aber auch die auf 288 Fälle von Unternehmenskriminaliät aus den Jahren 1984-87 bezogene Studie bei Cohen, in: 26 Am.Cr.L.R. 615 (1989); von diesen 288 bestraften Unternehmen wurden 87 (30,2 % ) unter probation gestellt. 304 Der Fallstudie Cohens zufolge liegt das Verhältnis zwischen dem durch eine Tat verursachten Schaden und der daraufhin verhängten Sanktion bei 1 : 0,76. Jedes Unternehmen hatte danach für einen Schaden von $ 1000 durchschnittlich $ 760 an Geldstrafen (zusätzlich zu sonstigen Leistungen wie Schadenswiedergutmachungszahlungen und civil penalties) zu leisten; vgl. 26 Am.Cr.L.R. 618 (1989). Der Autor vermutet allerdings seit 1987, dem Ende des untersuchten Zeitraums, eine erhebliche Erhöhung der verhängten Sanktionen; vgl. a.a.O., S. 659. 305 Vgl. Parker, in: 26 Am.Cr.L.R 528 (1989).
B. Corporate Criminal Liability im Recht der USA
141
Angesichts dieser Zahlen verwundert es nicht, daß in den USA zuweilen auch heute noch ein Sanktionsdefizit im Bereich der Untemehmenskriminalität beklagt wird 306 . Allenthalben prognostiziert man allerdings für die Zukunft eine weiter wachsende Bedeutung des Instituts der corporate criminal liability 307. Damit dürfte nunmehr nicht zuletzt in Anbetracht der Tatsache zu rechnen sein, daß der Gerichtspraxis mit den am 1. November 1991 in Kraft getretenen Sentencing Guidelines Jor Organizational Offenders 308 erstmals eingehende Hilfestellungen bei der Verfolgung und Aburteilung delinquenter juristischer Personen an die Hand gegeben worden sind.
306 VgJ. etwa Green, S. 253. 307 VgJ. Bennett, in: 65 N.Y.U.L.R. 889 (1990); Cullen/Maakestad/Cavender, S. 312 ff. 308 VgJ. dazu näher oben KapA, B VI 1 a) bb) und b) bb).
Brickey,
VoJ.
I,
S.
4 f.;
5. Kapitel
Unternehmens delinquenz und Kriminalpolitik A. Umfang und Wirkungen der Kriminalität aus dem Umfeld juristischer Personen Juristische Personen und Personenvereinigungen bilden die "im Verhältnis zum Einzelnen übermächtigen Kraftzentren "I des modernen Wirtschaftslebens. Mit zunehmender Größe üben Unternehmen ökonomische, gesellschaftliche und politische Macht aus; sie entfalten Breitenwirkungen, die über den Kapitalanlegerkreis, die Belegschaft und den Markt der von der Firma angebotenen Produkte oder Dienstleistungen hinausgehen2 • Damit verbunden ist auf der anderen Seite allerdings auch ein erhöhtes Gefahrenpotential für den Fall, daß diese besondere Macht zur Begehung von Straftaten mißbraucht wird3 • Obwohl die Angaben über Umfang und Ausmaß der durch wirtschaftsdelinquentes Verhalten hervorgerufenen Schäden im einzelnen schwanken4 , ist man sich darüber einig, daß sie weit höher liegen als die durch gewöhnliche Kriminalität verursachten5 • Über 80 % aller Fälle schwerer Wirtschaftskriminalität werden ausweislich der "Bundesweiten Erfassung von Wirtschafts straftaten nach einheitlichen Gesichtspunkten" unter dem Mantel eines Jescheck, DÖV 1953, S. 541. Ebenso etwa Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 195; Tiedemann, NJW 1986, S. 1169; v. Weber, JZ 1953, S. 294. Vgl. auch die eindrucksvollen Beispiele der Einflußnahme juristischer Personen auf Gesetzgebung und Verwaltung bei V.Kaiser, S. 4 ff. 2 Vgl. Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, § 6112 b), S. 318. Aus amerikanischer Sicht Nager/Green/Seligman, S. 15 ff. 3 Vgl. etwa Tigar, in: 17 Am.I.Cr.L. 213 (1990). 4 Der Grund dafür liegt nicht zuletzt in der Schwierigkeit, den Begriff der Wirtschaftsdelinquenz präzise zu fassen (vgl. dazu etwa Tiedemann, JuS 1989, S. 690); so sind in der vom Bundeskrimina\amt geführten Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) seit 1986 zwar "Wirtschaftsdelikte" gesondert ausgewiesen, ihnen unterfallen allerdings beispielsweise Straftaten gegen die Umwelt nicht - obwohl diese vielfach ebenfalls im Rahmen wirtschaftlicher Betätigung begangen werden; vgl. dazu näher Bottke, wistra 1991, S. 2. 5 Vgl. Müller, S. 8 m.w.N.; Bottke, wistra 1991, S. 2, nennt als Schätzwert einen Schadensbetrag von mehr als DM 20 Mrd. jährlich. G.Kaiser, S. 769 nennt - bezogen auf das Jahr 1985 - dagegen "nur" eine Summe von DM 4,4 Mrd. Auch in den USA liegen in dieser Hinsicht keine verläßlichen Zahlen vor. Die Schätzungen bewegen sich zwischen $ 40 und $ 200 Milliarden jährlich; vgl. Conyers, in: 17 Am.Cr.L.R. 288 (1980); Boss/Crutchjield George, in: 28 Crim.L.Bull. 41 (1992).
B. Zum Wesen einer spezifischen 'Untemehmensdelinquenz"
143
Unternehmens begangen6. Delinquenz aus diesem Umfeld bewirkt nicht nur, daß Kreditgeber und Kapitalanleger betrogen, Konsumenten durch gefährliche Produkte und Arbeitnehmer aufgrund mangelhafter Sicherheitsvorkehrungen am Arbeitsplatz verletzt oder getötet werden. Sie schädigt vielmehr in hohem Maße auch überindividuelle Rechtsgüter7 , sei es, daß Boden, Luft oder Gewässer verschmutzt, sei es, daß die staatliche Finanzwirtschaft durch Steuerhinterziehung und Subventionserschleichung oder die Freiheit des Wettbewerbs durch Preisabsprachen beeinträchtigt werden. Viele derartige Delikte bleiben überdies unentdeckt8 , wozu das häufige Fehlen eines individuellen Opfers9 ebenso beiträgt wie die für den Täter bestehende Möglichkeit, sich hinter der Normalität der betrieblichen Abläufe und der Legitimität seiner Anwesenheit am Tatort zu verbergen lO • Über die unmittelbare Beeinträchtigung von Rechtsgütern hinaus wird der Unternehmenskriminalität zuweilen ein allgemein negativer Einfluß auf das Wirtschaftsleben beigemessen; insbesondere gehe von ihr eine "Sogwirkung" auch auf andere Teilnehmer des Marktgeschehens aus: In dem Maße, in dem ein Unternehmen als Folge illegaler Gewinnerzielung einen - häufig auch durch Sanktionen nicht mehr einholbaren - Vorsprung vor seinen Mitbewerbern erziele, gerieten die Konkurrenten ihrerseits in Versuchung, gleichartige Delikte zu begehen, um im Wettbewerb bestehen zu könnenIl. In diesem Sinne führe Unternehmensdelinquenz schließlich dazu, daß die "Wirtschaftsmoral " allgemein sinke und das Vertrauen der Gesellschaft in das marktwirtschaftliche System erschüttert werde 12 . B. Zum Wesen einer spezifischen "Unternehmensdelinquenz" Allein unter Rekurs auf das besondere Gefahrenpotential der Delinquenz aus dem Umfeld unternehmerischer Betätigung lassen sich strafrechtliche 6
liebt, S. 135 f. G.Kaiser, S. 766. Tiedemann, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. C 19. dazu auch ClinardlYeager, S. 7; Sutherlllnd, S. 237. Ctarke, S. 20 ff. 11 Darüber hinaus wird Wirtschaftskriminalität auch eine sog. Spiralwirkung auf Dritte zugesprochen: Diese würden zu typischen Begleit- und Folgedelikten, wie z.B. Urkundenfälschung, Bestechung, Vorteilsannahme, animiert. Vgl. zum Ganzen Tiedemann, in: Verhandlungen des 49. Deutschen Juristentages, Bd. I, S. C 21 f.; ZirpinslTerstegen, S. 94 ff. Kritisch Müller-Guggeberger-Richter, § 3 Rdn. 47, unter Hinweis auf die fehlende empirische Absicherung dieser Thesen. 12 Dieser Gesichtspunkt wird besonders im amerikanischen Schrifttum betont; vgl. ClinardlYeager, S. 8,11; Conyers, in: 17 Am.Cr.L.R. 288 (1980); Kramer, in: Corporations as Criminals, S. 21. Vgl. Vgl. 8 Vgl. 9 Vgl. 10 Vgl. 7
144
5. Kapitel: Unternehmensdelinquenz und Kriminalpolitik
Maßnahmen gegenüber juristischen Personen nicht rechtfertigen 13. Hinzu kommt jedoch, daß diese Kriminalität wesensmäßig anderen Regeln und Begründungszusammenhängen unterliegt als das typische Individualdelikt, dem bislang alleinigen Gegenstand des deutschen Strafrechts: Die von Busch l4 bereits in den dreißiger Jahren aufgestellte These von der Existenz einer spezifischen "Verbandskriminalität" hat inzwischen nicht zuletzt durch die Arbeiten amerikanischer Kriminologen und Organisationssoziologen15 ihre Bestätigung gefunden. Sie wird auch im deutschen Schrifttum nicht mehr ernsthaft bestritten 16 . I. Das Unternehmen als soziale Gemeinschaft und Organisation Jahrhundertelang hat sich die deutsche Rechtswissenschaft darum bemüht, "das Wesen" der juristischen Person zu bestimmen 17 . Auch in der Diskussion um eine Straffähigkeit der Korporation spiegelt sich dieser Streit um "Fiktions-" und "Genossenschaftstheorie" wider l8 . So zeigen sich die Stellungnahmen der Gegner einer Verbands strafe überwiegend von der Vorstellung geprägt, die juristische Person stelle nicht mehr als ein "Gedankengebilde"19, eine bloße Vennögensmasse20 dar, während ihre Befürworter insgesamt eher der Gierkeschen Auffassung von der Korporation als realer Verbandspersön-
13
14
Vgl. R.Schmitt, S. 132; Seiler, S. 122; Tigar, in: 17 Am.J.Cr.L. 213 (1990). S. 96 ff.
15 Vgl. etwa Clinard/Yeager, S. 16 ff., 43 ff.; Cojfee, in: 79 Mich.L.R. 393 ff. (1981); Kriesberg, in: 85 Y.L.J. 1100 ff. (1976); Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 483 ff. (1982); Sutherland, S. 45 ff., 240 ff. 16 Vgl. etwa Brender, S. 6 ff.; G.Kaiser, S. 772; V.Kaiser, S. 7 ff.; Müller, S. 4 ff.; R.Schmitt, S. 132 ff.; Schünemann, S. 18 ff.; Seiler, S. 120. Im einzelnen weichen die Definitionen des Begriffs der Verbandskriminalität allerdings voneinander ab: Busch, S. 206 (vgl. auch S. 214), sieht deren Kennzeichen in der "rechtswidrigen Ausübung der Verbandsmacht", also darin, daß der Täter in seiner Eigenschaft als Verbandsvertreter oder -gehilfe - eine Tat begehe, die sich objektiv und subjektiv als Verwirklichung der Verbandsinteressen darstelle und dem Lebensgebiet des betreffenden Verbandes angehöre. Ähnlich R.Schmitt, S. 139, der unter Verbandskriminalität die "Summe der Individualdelikte, die von Tätern im Verbandsbereich unter Ausnutzung der Verbandsmacht im Interesse des Verbandes begangen werden, sofern diese Delikte nicht aus dem Rahmen der Verbandstätigkeit fallen" versteht (ähnlich auch Seiler, S. 120). Schünemann dagegen sieht das Charakteristikum dieser Delinquenz weniger in der Ausnutzung der Verbandsmacht durch den Täter, als vielmehr in dessen Beeinflussung durch ebendiese. Dementsprechend definiert er Verbandskriminalität als "abweichendes Verhalten im Dienste eines Unternehmens" (S. 14). 17 Vgl. dazu bereits oben Kap. I, B. 18 Vgl. dazu insbesondere Schwander, in: Festgabe für Max Gutzwiller, S. 603 ff. Ferner Marcuse, GA Bd. 64 (1917), S. 481 ff. m.w.N. 19 So namentlich Niese, JZ 1956, S. 463. 20 So Jescheck, § 23 V I, S. 204.
B. Zum Wesen einer spezifischen "Unternehmensdelinquenz"
145
lichkeit zuneigen21 . Das Problem, wie Unternehmen strafrechtlich zu behandeln sind, dürfte indes nicht - wie bislang überwiegend geschehen - allein unter Rekurs auf die rechtliche Natur einer Körperschaft zu lösen sein: Diese mag zwar als Unternehmensträgerin das letztlich maßgebliche Zuordnungssubjekt von Rechten und Pflichten - und als solches ein Gedankengebilde sein22 . Das Strafrecht hat sich jedoch nicht nur an rechtlichen Kategorien zu orientieren, sondern in gleicher Weise an der sozialen Wirklichkeit23 . In diesem Sinne real ist allerdings in jedem Fall die hinter der Korporation stehende, ihr rechtlich zugeordnete organisatorische und soziale Einheit
"Untemehmen"24:
Als in sich geschlossene soziale Gemeinschaft25 entwickelt ein Unternehmen eigene Werte und Normen, also eine spezifische "Verbandsattitüde"26 oder auch "corporate culture" (Unternehmenskultur)27. Die solcherart innerhalb eines Betriebes herrschende geistige Atmosphäre wird durch eine Vielzahl von Einflußfaktoren bestimmt. Dabei spielen die jeweiligen Ziele28 und Zwecke 21
Vgl. statt aller Hafter, S. 43 ff.
22 Jedenfalls nach geltendem Rechtsverständnis ist nur der Unternehmensträger, nicht aber
das Unternehmen als solches rechtsfähig. Vgl. dazu sowie zur Frage seiner Rechtssubjektivität de lege ferenda etwa Th.Raiser, S. 166 ff.; K.Schmidt, Handelsrecht, § 4 IV 1, S. 71 ff. sowie unten Kap. 7, B I. Zur Normadressatenschaft der juristischen Person näher unten Kap. 6, BIll 1. 23 Ähnlich Brender, S. 111; Rotberg, in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 194 f. 24 Vgl. zur Unterscheidung von Unternehmen und Unternehmensträger näher K.Schmidt, Handelsrecht, § 4 IV 2, S. 74 ff. Zur sozialen Realität der Korporation auch Hirsch, Ehre und Beleidigung, S. 93 f. FN 7. 25 Dieser Wesenszug eines Unternehmens wird - jedenfalls im Zusammenhang mit einer Verbandsstrafe - in erster Linie von amerikanischen Autoren betont. Vgl. etwa Clinard, Corporate Ethics, S. 13, sowie Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 453 (1982): "social system"; ferner ClinardlYeager, S. 43; Stone, S. 229; Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 357 (1979). Vgl. aber auch Busch, S. 7 ff. ("soziale Persönlichkeit") sowie allgemein Th.Raiser, S. 138 ff. 26 Schünemann, S. 22. Mayntz, Soziologie der Organisation, S. 65 f., spricht in diesem Zusammenhang von dem "Wertklima" der Organisation. Entsprechendes meint wohl auch Busch, S. 114, 165, wenn er von einem "normativen Verbandsgeist" , als Inbegriff der Werte, Güter und Zwecke, um die sich das verbandsbezügliche Denken, Fühlen und Handeln der Mitglieder drehe, spricht. 27 Vgl. Schlegel, S. 83 sowie Heinen/Dill, in: Herausforderung Unternehmenskultur, S. 17, die Unternehmenskultur als "Grundgesamtheit gemeinsamer Wert- und Normvorstellungen sowie geteilter Denk- und Verhaltensmuster" definieren. Unter "corporate culture" soll im hier interessierenden Zusammenhang nicht nur das Ergebnis entsprechender betriebswirtschaftlicher Bemühungen des Unternehmens (dazu etwa Metjen/Hajner/Poggenpohl, in: Herausforderung Unternehmenskultur, S. 55 f.) verstanden werden; die "Kultur" eines Unternehmens kann vielmehr auch darin bestehen, daß es sie - in diesem strengen Sinne - gar nicht gibt, also eine Attnosphäre von "Laisser-faire" herrscht. 28 Unter dem Ziel einer juristischen Person wird in diesem Sinne dasjenige verstanden, was tatsächlich als Leitbild der Entscheidungen dient; es muß mit dem, was in den Statuten der Gesellschaft als Ziel definiert ist, nicht identisch sein; vgl. dazu Mayntz, Soziologie der Organisation, S.58. 10 Ehrhardt
146
5. Kapitel: Unternehmensdelinquenz und Kriminalpolitik
der Gemeinschaft eine besondere Rolle; um sie dreht sich das Verbandsleben und -wirken, an dem Grad ihrer Erreichung - oder Verfehlung - wird der Erfolg einer Firma gemessen29 . Bei wirtschaftlichen Unternehmungen steht naturgemäß das Streben nach Gewinn im Vordergrund; es muß indes nicht das einzige Ziel sein. So kann etwa auch Expansion, Prestige oder soziales und kulturelles Engagement im - nicht nur finanziellen - Interesse eines Unternehmens liegen30 . Die corporate culture bestimmt sich allerdings nicht allein nach dem materiellen Gehalt der verfolgten Ziele, von Bedeutung ist etwa auch, mit welchen Mitteln sie durchgesetzt werden und insbesondere, welchen Stellenwert man ethischem und gesetzestreuem Verhalten dabei einräumt. Hinzu kommen weitere Aspekte: Welcher Führungsstil wird angewandt3!? In welcher Form findet eine Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Unternehmensebenen statt? Erfolgt eine soziale Betreuung und Förderung der Mitarbeiter? Welche Entlohnungs- und Informationspolitik wird betrieben, wie sind Räume und Arbeitsplätze gestaltet?32 Zum Wesen eines Unternehmens gehört aber auch, daß es eine Organisation darstellt, also bestimmte institutionelle Strukturen aufweist, die es sich
zur effektiveren Durchsetzung seiner Ziele gibt. So findet etwa eine verbandsinterne Aufgaben- und Verantwortungverteilung statt, es gibt bestimmte festgelegte Verfahrensabläufe und Vorgaben, wie und von wem Entscheidungen getroffen werden33 . 11. Die kriminogene Wirkung der Verbandszugehörigkeit
Der Grund dafür, daß sich die Kriminalität aus dem unternehmerischen Umfeld nicht mit den üblichen, zur Individualdelinquenz entwickelten Modellen erklären läßt, liegt darin, daß der Umstand der Eingliederung des Individuums in das soziale System, die Organisation "Unternehmen", auf sein Verhalten Einfluß nimmt und unter bestimmten Voraussetzungen eine kriminogene Wirkung zu entfalten vermag 34 . 29 Vgl. Clinard, Corporate Ethics. S. 13; Schlegel, S. 83.
30
Vgl. etwa Stone, S. 38 f. sowie Schlegel, S. 25. Zur social responsibility von Unternehmen auch M.Friedman, S. 133 f. 3! Vgl. zum Einfluß des Führungsstils auf das Verhalten der Untergebenen Mayntz, Soziologie der Organisation, S. 132 ff. 32 Daneben beeinflussen auch außerhalb der juristischen Person liegende Umstände deren Verbandskultur, etwa die Wettbewerbssituation auf dem jeweiligen Markt, die Größe und Stellung des Unternehmens im Verhältnis zu seinen Konkurrenten und nicht zuletzt das allgemeine konjunkturelle und politische Klima, vgl. zum Ganzen ClinardlYeager, S. 58 sowie Sutherland, S. 258 ff.; Stone, S. 229, 236. 33 Vgl. Clinard, Corporate Ethics, S. 17 f.; Schlegel, S. 83; Stone, S. 5 ff; Note "Structural Crime", in: 89 Y.LJ. 357 (1979). 34 Vgl. hierzu eingehend Schünemann, S. 18 ff.; ferner KojJka, in: Niederschriften, Bd. I, S. 301; dies., in: Niederschriften, Bd. IV, S. 564; Lange, in: Niederschriften, Bd. I, S. 319;
B. Zum Wesen einer spezifischen "Unternehmensdelinquenz"
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I. Institutionelle Vorgaben
Die Besonderheit der Delinquenz aus dem Umfeld juristischer Personen besteht zum einen darin, daß ihr durch den äußeren Rahmen, in dem sich die unternehmerische Tätigkeit vollzieht, günstige Bedingungen geboten werden35 . Je größer und diversifizierter ein Unternehmen ist, um so mehr macht dessen erfolgreiche Führung aufgrund der Vielzahl der Geschäftsvorgänge und der Breite des gesamten betrieblichen Betätigungsfeldes Arbeitsteilung und die Delegation von Entscheidungsbefugnissen notwendig. Überdies verlangt der technische Fortschritt in immer stärkerem Umfang Spezialistentum. Diese Faktoren führen zur Herausbildung komplexer organisatorischer Strukturen und Hierarchien. Kommen dann noch Lücken im innerbetrieblichen Informationssystem hinzu, so besteht die Gefahr einer Institutionalisierung von Unverantwortlichkeit36 , die es der juristischen Person als Ganzes letztlich ermöglicht, zu agieren, als trüge sie Scheuklappen - wie es die amerikanischen Kriminologen Clinard und Yeager37 plastisch formulieren: Gerade in größeren Unternehmen ist die Firmenleitung zumeist in erster Linie mit den Grundfragen der Geschäftspolitik befaßt. Zum "Tagesgeschäft" , mit dem sie sich wegen der Fülle der betrieblichen Vorgänge nicht im Detail beschäftigen kann, steht sie in einer beträchtlichen organisatorischen Distanz. Rotberg , in: Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Juristentages, Bd. 11, S. 218; Müller-Guggenberger-Schmid, § 25 Rdn. 3. Vgl. aus dem amerikanischen Schrifttum CullenlMaakestadlCavender, S. 40; Davids, 58 J.Crim.L.C.& P.S. 526 f. (1967); Ermann/Lundman, S. 6 ff.; Foerschler, in: 78 Cal.L.R. 1299 (1990); Green, S. 97; Maxwell, in: 29 U.C.L.A.L.R. 487 (1982); Schlegel, S. 83; Sherman, in: Coporate and Govemmental Deviance, S. 52; Slapper, in: 142 N.L.J.192 f. (1992); Sutherland, S. 235; Note "Developments", in: 92 H.L.R., 1243 (1979). Ähnlich Brickey, Vol. I, S. 138 ff. Vgl auch Clarke, S. 7, der Unternehmenskriminalität nicht als etwas Abnormes, Außergewöhnliches verstanden wissen will - nur in sehr seltenen Fällen sei sie das eigentliche Ziel einer Unternehmung (vgl. auch S. 11) - sondern als "outcome 0/ the normal operation 0/ business, albeit not always routine". Besonders plastisch überschreiben ClinardlYeager das entsprechende Kapitel ihres Buches über Unternehmenskriminalität mit "The Executive in the corporation: The Making 0/ a Corporate Criminal" (S. 63). 35 In diesem Sinne wird die Verbandskriminalität von amerikanischen Autoren häufig auch als "organizational crime" bezeichnet; vgl. CullenlMaakestadlCavender, S. 40; ClinardlYeager, S. 43; Sutherland, S. 227 ff.; ferner Foerschler, in: 78 CaI.L.R. 1289 (1990); Friedlander, in: 78 Cal.L.R. 1324 ff. (1990); Note "Structural Crime", in: 89 Y.L.J. 357 (1979). Der Terminus "Organisationskriminalität" findet sich im deutschen Schrifttum bei U. Weber, ZStW Bd. 96 (1984), S. 400. 36 Vgl. ClinardlYeager, S. 44: "institutionalization 0/ irresponsibility"; im deutschen Schrifttum ist vielfach von "organisierter Unverantwortlichkeit" die Rede, vgl. etwa Strathenwenh, in: Festschrift für Rudolf Schmitt, S. 301. Ähnlich bereits Busch, S. 116 ff.; ferner CullenlMaakestadlCavender, S. 351; V.Kaiser, S. 11 ff. 37 S.43.
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5. Kapitel: Unternehmensdelinquenz und Kriminalpolitik
Gleichzeitig gibt sie allerdings den einzelnen Abteilungen bestimmte Ziele vor, fordert entsprechende Erfolge ein - und macht die nachgeordneten Hierarchiestufen im Falle eines Versagens veranwortlich38 . Die Isolation der Unternehmenspitze vom eigentlichen operativen Geschäft wird noch dadurch verstärkt, daß - wie zahlreiche Beispiele aus der Praxis zeigen39 - Informationen häufig nicht oder erst mit erheblicher Verspätung die Leitungsebene erreichen. Vor allem schlechte Nachrichten werden aus Furcht vor negativen Konsequenzen eher zurückgehalten oder aber entsprechend "gefiltert", bevor sie der Unternehmensführung übermittelt werden. Mit alledem einher geht nicht nur die Möglichkeit der Firmenleitung, sich der Verantwortlichkeit für einzelne operative Entscheidungen zu entziehen40 , sondern zudem ein - mit der Anzahl der Hierarchiestufen wachsender - Schwund an Kontrolle über die untergeordneten Einheiten, von Gordon Tullocf