Unternehmen in der Republik [1 ed.] 9783428504398, 9783428104390


109 2 40MB

German Pages 278 Year 2001

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Recommend Papers

Unternehmen in der Republik [1 ed.]
 9783428504398, 9783428104390

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

WOLFGANG FREITAG

Unternehmen in der Republik

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 861

Unternehmen in der Republik Von

Wolfgang Freitag

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Freitag, Wolfgang: Unternehmen in der Republik / Wolfgang Freitag. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 861) Zugl.: Erlangen, Nürnberg, Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10439-0

η2 Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10439-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ

Vorwort Die Menschheit hat sich in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 zur Würde aller Menschen und ihren gleichen und unveräußerlichen Rechten als Grundlage der Freiheit, Gerechtigkeit und des Friedens bekannt. Sie hat ausweislich ihrer Präambel diese Erklärung als das von allen Völkern und Nationen gemeinsam zu erreichende Ideal verkündet. Deutschland bekennt sich grundgesetzlich zu den unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechten (Art. 1 Abs. 2 GG), wie auch die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 sich in ihrer Präambel ausdrücklich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte bezieht. Der Erkenntnis der Präambel der Allgemeinen Erklärung folgend, daß die Verkennung und Mißachtung der Menschenrechte zu Barbarei führt, bildet die Anerkennung der Würde des Menschen, ihr folgend seiner Freiheit den Ausgangspunkt nationaler und internationaler Maßnahmen zur Verwirklichung menschlicher Rechte. Aus der mit dem Mensche» geborenen Freiheit ergibt sich die Freiheit aller Menschen und somit die Freiheit aller in Gleichheit, zugleich Idee und Zweck der Republik. Sinnsetzung dieser Arbeit ist es, den Begriff der Freiheit darzulegen und über ihn zum Begriff des Rechts zu gelangen, was freilich die Behandlung grundlegender Begriffe, wie etwa der Vernunft und der Würde, voraussetzt. Daran anschließend, der Freiheit und dem Recht folgend, wird das bürgerliche Gemeinwesen, die Republik als Staatsform der gleichen Freiheit aller in Brüderlichkeit vorgestellt. Die Republik stellt die unter Freiheitsgesichtspunkten einzig denkbar mögliche Form menschlichen Miteinanders in einem Staate dar, in der Republik wird die menschliche Freiheit zu verwirklichen gesucht. Wesentlich hierbei ist die Teilung der drei Gewalten, wobei der dem Willen aller Bürger entspringenden Gesetzgebung als Voraussetzung der Gesetzesausführung und der Judikative eine besondere Bedeutung zukommt, zumal sie Herrschaft verhindern soll. Unter dem Prinzip der Freiheit und dem der Republik werden die Probleme des Wirtschaftens, unter besonderer Berücksichtigung der Person des Unternehmers und dessen Unternehmen, untersucht und dargelegt. U m das Unternehmen in einer Republik erfassen zu können, werden auch die Begriffe des Eigentums, des Vertrages und der Wirtschaftsordnung eingeführt. Unternehmerisches Handeln kann aber nicht ausschließlich aus Eigentum und Vertrag legi-

Vorwort

6

timiert werden, sondern ist, wie alle Bereiche bürgerlicher Gesetzgebung, den Prinzipien der Republik unterzuordnen, also auch dem Sozialprinzip. Freiheit schließt Privatheit ein. Handlungen, welche dem „Privaten" zuordenbar sind, sind auch durch staatliche Gesetze bestimmt. Die privaten Maximen in freier Willkür sind legal, wenn sie sich mit den allgemeinen Gesetzen vertragen; durch die vorangehende allgemeine Gesetzgebung kann die freie Willkür wegen ihrer Gesetzlichkeit niemanden verletzen. Die Wirtschaft, also die Unternehmer und ihre Unternehmen bedürfen um der Legalität und der Rechtssicherheit willen der umfassenden, allgemeinen gesetzlichen Regelungen. Gerade die sozialen Aspekte, mit denen das Eigentum unauflöslich verbunden ist, bestimmen, daß die unternehmerische Nutzung von Eigentum ohne rechtliche Bindung, schon aufgrund der vielfachen Berührungen und Verflechtungen mit der Allgemeinheit und somit dem Gemeinwohl, rechtens nicht möglich sein kann. Eine genaue Trennung des Unternehmens in einen Bereich einer Privatheit und in einen Bereich der Gemeinschaftsbezogenheit kann nicht gelingen, denn auch beispielsweise über den Vertrag wirkt das ihn ausformende positiv gesetzte Recht Der Unternehmer bestimmt im Rahmen der allgemeinen Gesetze in freier sittlicher Verantwortung die Maximen und Zwecke seines unternehmerischen Handelns; diese sucht er durch Handlungen, Unternehmungen als zweckgerichtete, planmäßige Tätigkeiten regelmäßig und von gewisser Dauer zu verwirklichen. Dem Prinzip der Freiheit folgend wird festzustellen sein, daß neben der Legalität der Bürger, auch als Unternehmer, im Rahmen der Privatheit als allgemeiner Gesetzlichkeit notwendig das Sittengesetz, der kategorische Imperativ, für alle Handlungen leitend sein soll, j a sein muß, wollen es Handlungen in Freiheit zu sein beanspruchen. Das der äußeren Freiheit zugehörige Recht der freien Willkür, welches die Privatheit kennzeichnet, bedarf der Sittlichkeit als der inneren Freiheit. Die Folge wäre ein ethisches, das Ideal und Prinzip der Freiheit verwirklichendes Gemeinwesen. Auch wenn das aufklärerische Ideal der Freiheit und der Republik verschiedentlich, insbesondere hinsichtlich der Unternehmen, zugunsten ökonomischer Systemrealitäten zurückzudrängen versucht wird, können Faktizitäten keine Legitimations- und Begründungszusammenhänge auflösen: unternehmerische Handlungen bedürfen der Gesetze. Ist das alleinbestimmte unternehmerische Handeln der Bürger sittlich, so bedarf es weniger ausdifferenzierter gesetzlicher Regelungen; versuchen die Bürger hingegen nicht, sittlich zu handeln, so wird schon aus Gründen der Wirkungen des Handelns - dem Gemeinwohl folgend die Handlung allgemein durch Gesetze bestimmt. Anliegen der Arbeit ist es weiterhin, aufzuzeigen, daß das aufklärerische Ideal der Freiheit, und damit untrennbar verbunden das Recht, der weiteren Verwirklichung bedarf. Fortschritte, auch im sozialen Bereich, können daher nicht den Blick darauf verstellen, daß die Republik eine immerwährende Ange-

Vorwort legenheit und Aufgabe aller Bürger darstellt. Der Horizont der Freiheit ist die Ewigkeit, ein beständiges Bemühen um die Verwirklichung der Freiheit, mithin die Erkenntnis des Rechts ist die Aufgabe und Pflicht der Menschheit. Gegenläufige Entwicklungen in Wirtschaft und Unternehmen, welche der Freiheit zuwiderlaufen, bedingen der Regelungen, denn alles Handeln steht in der Republik unter dem Prinzip der Freiheit und dem Primat des Rechts.

Wolfgang

Freitag

Inhaltsverzeichnis

Erster

Teil

Grundlagen der Republik

Erstes Kapitel Einleitung und Grundbegriffe

17

1. Grundlagen der Freiheit: Erkenntnis, Verstand, Vernunft, Willkür

17

2. Grundprobleme: Egoismus, Bosheit und Widerstreit

29

Zweites Kapitel Freiheit, Recht und Tugend

34

1. Die Freiheit

34

2. Das Recht

50

3. Die Tugend

57

Zweiter

Teil

Die Republik

Erstes Kapitel Der Staat

63

1. Das freiheitliche und rechtliche Gemeinwesen

63

2. Wesensmerkmale der Republik

73

3. Repräsentation und Republik

79

4. Die Republik als Staat der Freiheit und des Rechts

87

nsverzeichnis

10

Zweites Kapitel Die Gesetze

90

1. Voraussetzung republikanischer Gesetzgebung

90

2. Positiv gesetztes Recht

94

3. Privatheit

103

4. Kurzbetrachtung: In Folge der Gesetze

108

a) Gesetzesausführung

108

b) Schutz der Gesetze

112

Drittes Kapitel Staaten und Völker

Dritter

117

Teil

Unternehmer und Unternehmen in der Republik

Erstes Kapitel Grundlagen 1. Einführung notwendiger Gesetzgebung

122 122

a) Einführung des Eigentums

122

b) Einführung des Vertrags

134

2. Grundlagen der Wirtschaftsordnung

136

a) Einführung

136

b) Die Wirtschaftsordnung

143

Zweites Kapitel Zur Unternehmensverfassung

157

1. Unternehmer und Unternehmen

157

2. Zum Begriff der Unternehmensverfassung

178

3. Zur Bedeutung der Unternehmensverfassung

182

a) Zusammengefaßte Argumente

182

b) Kriterien der Unternehmensverfassung

184

Inhaltsverzeichnis c) Folgerungen

11 203

Drittes Kapitel

Unternehmen und Ethik (kantianisch)

208

Zusammenfassung und Ausblick

216

Literaturverzeichnis

226

Sach Wortverzeichnis

275

Abkürzungsverzeichnis

Abk.

Abkommen

Abs.

Absatz

AfrMRK

Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker

AG

Aktiengesellschaft

AktG

Aktiengesetz

AllgErklMenschenR

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Anm.

Anmerkung

AöR

Archiv des öffentlichen Rechts

ARSP

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie

Art.

Artikel (auch Plural)

Aufl.

Auflage

BayVBl.

Bayrische Verwaltungsblätter

Bd.

Band

Beil.

Beilage

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshof in Zivilsachen

BSGE

Entscheidungen des Bundessozialgerichts

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

ca.

circa

Abkürzungsverzeichnis

13

CDU

Christlich Demokratische Union

DBW

Die Betriebswirtschaft

DDR

Deutsche Demokratische Republik

ders.

derselbe

d.h.

das heißt/ dies heißt

d.i.

das ist/ dies ist

dies.

dieselbe/ dieselben

DÖV

Die öffentliche Verwaltung

DVB1.

Deutsches Verwaltungsblatt

E

Entscheidung

ebd.

eben da

ed.

Edition

EEA

Einheitliche Europäische Akte

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

EMRK

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

etc.

et cetera

EUGH

Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

EUV

Vertrag über die Europäische Union

EWR

Europäischer Wirtschaftsraum

f.

folgende (Seite)

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

ff.

folgende (Seiten)

Fn.

Fußnote (auch im Plural)

GATT

General Agreement on Tariffs and Trade

gem.

gemäß

GewO

Gewerbeordnung

GG

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland

GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHG

Gesetz

betreffend

die

Gesellschaften

Haftung GWB

Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen

mit

beschränkter

14

Abkürzungsverzeichnis

HGB

Handelsgesetzbuch

Hs.

Halbsatz

Hrsg.

Herausgeber

hrsg.

herausgegeben

HStR

Handbuch des Deutschen Staatsrechts

HVerfR

Handbuch

des

Verfassungsrechts

der

Bundesrepublik

Deutschland i.d.S.

in diesem Sinne

i.E.

im Erscheinen

insbes.

insbesondere

IPbürgR

Internationaler

Pakt

über

bürgerliche

und

politische

Rechte IPwirtR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

i.S.v.

im Sinne von

i.V.m.

in Verbindung mit

IWF

Internationaler Währungsfond

JA

Juristische Arbeitsblätter

Jg.

Jahrgang

JöR

Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart

JR

Juristische Rundschau

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

Kap.

Kapitel

KG

Kommanditgesellschaft

KO

Konkursordnung

KritV

Kritische

Vierteljahresschrift

für

Gesetzgebung

und

Rechtswissenschaft KSZE

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

Lfg.

Lieferung

Ls.

Leitsatz

M.

Main

Abkürzungsverzeichnis

15

MitbestG

Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer

m.w.N.

mit weiterem Nachweis (auch im Plural)

N.F.

neue Folge

n.F.

neue Fassung

NJW

Neue Juristische Wochenzeitschrift

No./ Nr.

Nummer (auch im Plural)

OAS

Satzung der Organisation amerikanischer Staaten

o.J.

ohne Jahr

ORDO

Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft

PublG

Gesetz über die Rechnungslegung von bestimmten Unternehmen und Konzernen

Quart.

Quartal

Rdn.

Randnummer

S.

Satz, Seite

s.a.

siehe auch

sc.

scilicet

SGB

Sozialgesetzbuch

Sp.

Spalte

SprAuG

Gesetz über Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten

st. Rsprg.

ständige Rechtsprechung

u.a.

und andere

UN

Vereinte Nationen

u.ö.

und öfter

U.S.

Vereinigte Staaten

UStG

Umsatzsteuergesetz

u.s.w.

und so weiter

v. Chr.

vor Christus

Verf.

Verfasser

VerwArch

Verwaltungsarchiv

vgl.

vergleiche

vs.

versus

16 VVDStRL

Abkürzungsverzeichnis Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

WiSt

Wirtschaftswissenschaftliches Studium

WM

Wertpapiermitteilungen,

Zeitschrift

für Wirtschafts-

und

Bankrecht WRV

Weimarer Reichsverfassung

WuW

Wirtschaft und Wettbewerb

z.B.

zum Beispiel

ZFB

Zeitschrift für Betriebswirtschaft

ZfbF

Zeitschrift für beriebswirtschaftliche Forschung

ZfgSt

Zeitschrift für gesamte Strafwissenschaften

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

ZHR

Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht

Zif.

Ziffer

zit.

zitiert

ZRP

Zeitschrift für Rechtspoltik

ZSR

Zeitschrift für Schweizerisches Recht

Erster

Teil

Grundlagen der Republik

Erstes Kapitel

Einleitung und Grundbegriffe „Daß der Mensch das edelste Geschöpf sei, läßt sich auch schon daraus abnehmen, daß es ihm noch kein anderes Geschöpf widersprochen hat"1.

1. Grundlagen der Freiheit: Erkenntnis, Verstand, Vernunft und W i l l k ü r Erkenntnis des Subjektes resultiert zuerst aus Erfahrung 2 . Als solche erzeugt sie sich immer neu 3 und ist als empirische, als Summe von Vorstellungen, sinnliche Erkenntnis 4 (intuitive Vorstellung oder Wissen 5 ). Dies ist das erste Produkt, welches der menschliche Verstand, als das subjektive Korrelat der Kausalität6, dem Satz vom Grunde 7 , hervorzubringen in der Lage ist 8 : die Welt ist 1

G. C. Lichtenberg, Aphorismen, 9. Aufl. 1992, S. 166. Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft (1781), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 3 und 4, 1983, S. 146, 216; auch ders., Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen (1770), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 5, 1983, S. 7 ff., 33; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht (1798), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 10, 1983, S. 395 ff., 433; ders., Logik, (Orginaltitel: Immanuel Kants Logik ein Handbuch zu Vorlesungen) (1800), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 5, 1983, S. 419 ff., 457. 3 Vgl. L. Cohn, Das objektiv Richtige. Eine transzendentale Untersuchung der Aufgaben und Grenzen der Rechtsphilosophie, 1919, S. 15. 4 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 216; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 421; ders., Logik, S. 458. Zur Vorstellung als „Erkenntnis erster Gattung", vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, ed. Reclam, 1990, S. 209. 5 Vgl. I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 8, 1983, S. 7 ff., 12; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde (1813/ 1847), in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 3, 2. Aufl. 1989, S. 5 ff., 40, 69. 6 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 48; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I (1818), in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 1, 5. Aufl. 1995, S. 41. 2

2 Freitag

18

1. Teil: Grundlagen der Republik

Vorstellung9. Durch Anschauung der Erscheinungen der Welt 1 0 vermittels der Sinne empfängt und erkennt11 der Verstand durch die ihm eigenen Prinzipien 12 und Grundsätze13 der Anschauung, Raum und Zeit 14 , die Ursache aus der Wirkung15. Nichts geschieht ohne Grund 16, aus allem muß eine Wirkung folgen 17. Der Verstand fällt ein Urteil aus der Erscheinung18, denn alles in der Natur geschieht

7

Vgl. F. W. J. Schelling , Über das Wesen der menschlichen Freiheit (1809), ed. Reclam, 1995, S. 56; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 12, 15, 48; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 193; Bd. II (1844), in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 2,4. Aufl. 1994, S. 31. 8 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 45,48. 9 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 32; siehe auch Β. d. Spinoza, Die Ethik, S. 167. 10 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 69. Vgl. vorgreifend BVerfGE 93,1 (5) zur „Weltanschauung". 11 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 97 f., 139. „Das Leben ist ein Mittel der Erkenntnis", F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft (1882), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. II, 1990, S. 325 ff., 537. 12 „Prinzip ist dasjenige, was das Übrige zugleich mit sich selbst aufhebt", Aristoteles, Metaphysik, Schriften zur ersten Philosophie, ed. Reclam, 1987, S. 270; dabei ist ein Prinzip aber kein Ding, das der Sinneswahrnehmung entstammen kann, vgl. ebd., S. 324. Zur Entstehung der Bedeutungsebene eines „Prinzips", vgl. weiterführend R. Tornas, Idee und Leidenschaft. Die Wege des westlichen Denkens, 1997, S. 26, Anm. 3. 13 „Grundsätze ... selbst nicht in höheren und allgemeineren Erkenntnissen gegründet", I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 195; vgl. ders., Logik, S. 541. 14 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 70 f., 73, 74 ff., 78 ff. 15 Vgl. I. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis (1755), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 1, 1983, S. 401 ff., 429, 431; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 98, 246; ders., Von der Form der Sinnen- und Verstandeswelt und ihren Gründen, S. 95; ders., Logik, S. 433; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 42 f.; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 42; D. Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, ed. Richter, 7. Aufl. 1911, S. 36 ff. Zur Begrenztheit des menschlichen Erkenntnisapparates, vgl. K. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte menschlichen Erkennens, 12. Aufl. 1993, S. 18 f. 16 Vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 26; I. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 437, 475. 17 Vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 91. 18 Vgl. I. Kant, Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren (1762), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 2, 1983, S. 595 ff., 599; ders., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können (1783), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 5, 1983, S. 109 ff., 154; ders., Über die von der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat? (1804), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 5, 1983, S. 583 ff., 603.

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

19

nach Regeln 19 in strenger Notwendigkeit 20 : jede Wirkung ist bei ihrem Eintritt, ihrem Erfolgen, eine Veränderung, die den Eintritt eines neuen Zustandes, ein Werden voraussetzt, und beruht auf einer anderen, ihr vorhergehenden Veränderung als ihrer Ursache, dies ist die Kette der Kausalität 21 , der Fluß des Geschehens22. Jegliches ist immer und überall nur vermöge eines anderen 23 , was aber keine Aussagen für die Zukunft aus in der Vergangenheit gemachten Beobachtungen über Regelmäßigkeiten zuläßt 24 . Dies ist die Form und Funktion des Verstandes: er ist das Vermögen 25 der Regeln 26 , die Erkenntnis der a priori bestehenden Kausalität, als des Gesetzes der Verknüpfung von Ursache und Wirkung 2 7 , das Vermögen, zu denken 28 . Der 19 Vgl. /. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes (1763), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 2, 1983, S. 617 ff., 671; ders., Logik, S. 432. 20 „Aller Notwendigkeit liegt jederzeit eine transzendentale Bedingung zum Grunde", I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 167, hierzu im weiteren Text. Vgl. auch J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen (1800), ed. Reclam, 1981, S. 32; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 412; ders., Parerga und Paralipomena, Band I: Parerga, Band II: Paralipomena (1851), in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 4 und 5, 2. Aufl. 1989, Bd. I, S. 247, 565. 21 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 48 f., 57; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 176 f.; Bd. II, S. 59 ff.; ders., Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 262; Bd. II, S. 55; ferner Aristoteles, Metaphysik, S. 53; B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 7. Siehe auch D. Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 92 f. Zum Humeschen Zweifel am Satz vom zureichenden Grunde, der freilich auf Wiederholung einer Aufeinanderfolge und der daraus nicht sicher zu schließenden einen notwendigen Folge, die an dieser Stelle nicht vorausgesetzt wird, beruht, vgl. E. Jung, Das „Gesetz" der Geschichte: oder über die wollensbestimmten (wertenden) Vornahmen alles geschichtlichen Erkenntnisstrebens, in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 59 ff., 67. Vgl. zur Kausalität als Ursache-Wirkungs-Zusammenhang, BVerfGE 45, 376 (382, 389); 89, 276 (282); 90, 1 (9); 95, 173 (185); zur „Monokausalität" auch BVerfGE 95, 173 (178, 180). 22 Vgl. F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, S. 457. 23 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 187. 24 Vgl. Κ R. Popper, Vermutungen und Widerlegungen, Teilbd. I: Vermutungen, 1994, S. 284 ff.; ders., Logik der Forschung, 10. Aufl. 1994, S. 3, 5, passim; ders., Objektive Erkenntnis. Ein evolutionärer Entwurf (1973), 4. Aufl. 1984, S. 3, 22, 27, 30, 32, 61 f., passim. 25 D.h. die Fähigkeit, vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 133. 26 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 154, 180; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 507; ders., Logik, S. 432. 27 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 153 ff., 226 ff.; ders., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 160; ders., Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, S. 109; ders., Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie (1788), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 8, 1983, S. 137 ff., 167; ders., Kritik der Urteilskraft (1790), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 8, 1983, S. 171 ff., 238, 256; ders., Anthropologie in pragmatischer

1. Teil: Grundlagen der Republik

20

Verstand schreibt der Natur, als dem Inbegriff von allem, was nach Notwendigkeiten 29 kausal geschieht 30 , seine Gesetze vor 3 1 . Sie haben intellektuellen Ursprung 32 . Diese Gesetzgebung durch Naturbegriffe, welche der Verstand vollzieht, ist eine theoretische 33 . Dabei ist der Mensch des Nachdenkens fähig, es kann ihm auch aus der Erinnerung die Erfahrung entstehen, denn Erinnerungen an ein und denselben Sachverhalt können das Vermögen der Erfahrung begründen 3 4 . Auch der Eintritt von Gedanken und Vorstellungen in das menschliche Bewußtsein ist dem Satz vom Grunde unterworfen 35 . Selbst Traumgestalten haben eine Ursache, wenn diese der Mensch aufgrund ihres Verschwindens beim Erwachen auch geneigt ist, als illusorisch zu betrachten, doch ist, auch was der Mensch träumt, für ihn wahr und wirklich, und nur durch das alleinige empirische Kriterium des Erwachens unterscheidet sich das Wachen und der Traum 3 6 .

Hinsicht, S. 422; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 56, 59; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 54, 77; Bd. II, S. 53. 28 Vgl. /. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 407, 425, 505. 29 Vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 81; F. Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft, S. 452. 30 Vgl. /. Kant, Über den Gebrauch teleologischer Prinzipien in der Philosophie, S. 109; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 196. 31 Vgl. /. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 189; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 270; Κ R. Popper, Vermutungen und Widerlegungen, Teilbd. I, S. 69; ders., Objektive Erkenntnis, S. 24. Zu Kants Prolegomena, vgl. E. Jung, Das „Gesetz" der Geschichte: oder über die wollensbestimmten (wertenden) Vornahmen alles geschichtlichen Erkenntnisstrebens, S. 67 f. „Die Notwendigkeit in der Natur wird durch den Ausdruck „Gesetzmäßigkeit" menschlicher", F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches (1878 f.), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. 1,1990, S. 1 ff., 374. 32 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 74. 33 Vgl. /. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 246. 34 Vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 17; vgl. aber den Humeschen Zweifel (Fn. 21). Das Gedächtnis stellt hierbei eine Verkettung im Geiste dar, die sowohl der Ordnung als auch der Verkettung der Affektionen des menschlichen Körpers entspricht, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 169. 35

Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomeni Bd. I, S. 281. Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 283, 289 f. Siehe auch /. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 154; J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, ed. König, 1993, S. 1056 f. Zum Ursprung aller Metaphysik im Traume, vgl. F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, S. 19, 385; vgl. femer ders., Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile (1881), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. II, 1990, S. 1 ff., 107; siehe auch H. Heine, Deutschland. Ein Wintermärchen (1814), in: Sämtliche Werke in sieben Bänden, ed. Weltbild, Bd. 1, S. 320 ff., 336. 36

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

21

Wechselseitig unterstützt wird der anschauende Verstand als Erkenntnisvermögen der Realität37 von der wissenden, diskursiv-reflektierenden Vernunft 38. Sie hat ihren Ursprung im Verstände39 und ist die abstrakte Gattung der Erkenntnis des Selbstbewußtseins40 sowie der Erkenntnis der Wahrheit 41, als der „Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande"42. (Sprachliche) Begriffe 43 zu bilden und aus ihnen logisch zu schließen, „zu urteilen", ist die

37

Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 98, 109 f., 139, 159, 191, 200 f.; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 90; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 57 ff. 38 Vgl. A. Schopenhauer, Über den Willen in der Natur (1835/ 1854), in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 3, 2. Aufl. 1989, S. 299 ff., 373. 39 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 105. Insofern wird die Vernunft bewegt von Gedachtem; sich selbst denkt die Vernunft dabei, indem sie Anteil an dem Gedachten hat; an sich geht das Denken dabei auf dasjenige, was das Beste an sich ist (dazu im weiteren Text); verwirklicht wird die Vernunft dann durch das Leben, vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 312 ff. Zur Geburt des Selbst-Bewußtseins während der aufgehenden griechischen Zivilisation, vgl. O. Barfield, Coleridges Philosophical Lectures, in: Towards 3, 2 (1989), S. 29. 40 Vgl. /. Kant , Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 430; ders., Logik, S. 457. Zur Vernunft als „Erkenntnis zweiter Gattung", vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 209; daneben die „Erkenntnis dritter Gattung", das intuitive Wissen, vgl. ebd. 41 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 90. Zum Wissenserwerb siehe K. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S. 36 ff., 47 ff., 61 ff. „Jede Idee, die in uns absolut oder adäquat und vollkommen ist, ist wahr", „die Falschheit besteht in einem Mangel an Erkenntnis", vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 193, 195. 42 /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 102, vgl. auch S. 313, 567; ders., Logik, S. 476; ders., Über die von der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, S. 607. Die Erkenntnis der Wahrheit beruht immer auf der Anschauung eines Grundes, vgl. ders., Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 429; wenngleich die Wahrheit mitunter bemerkt wird, ehe die Gründe eingesehen, bewiesen oder erläutert werden können, vgl. ders., Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik (1766), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 2, 1983, S. 919 ff., 932. 43 Vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 18 f.; B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 205 ff.; I. Kant, Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistisehen Figuren, S. 610; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 11, 317, 564, 567, 579; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 509; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 7, 124; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 57 ff., 224; zur Leistung der Vernunft durch Sprache, vgl. ebd., S. 75; zur Abstraktheit der Begriffe, vgl. ebd., S. 328. Begriffe stellen dabei verschiedene Modi der Vorstellung dar, zeigen also folglich die Beschaffenheit der Vorstellung an, nicht aber die Natur der Dinge selbst, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 107. Insofern funktionieren Technologien und Artefakte auch wie Worte als Metaphern, hierzu weiterführend B. Nevitt, The Communication Ecology, 1982, S. 104; M. Me Luhan! Β. R. Powers, The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, 1995, S. 30 f.

22

1. Teil: Grundlagen der Republik

Funktion der Vernunft 44. Sie enthält den „Ursprung gewisser Begriffe und Grundsätze" und ist das „Vermögen der Prinzipien" 45. Die Vernunft hat folglich keinen materiellen, sondern einen formalen Inhalt, die Logik, welche die Formen und Regeln zu Gedankenoperationen enthält. Den materiellen Inhalt nimmt die Vernunft aus den anschaulichen, vom Verstand geschaffenen Vorstellungen46. Alles Verstehen ist ein intuitives, unmittelbares Auffassen des kausalen Zusammenhanges, es muß sogleich in abstrakte Begriffe umgesetzt, um fixiert zu werden47. Der Verstand liefert dabei die intuitive, primäre Erkenntnis48. Die Vernunft hat die Quellen ihrer Erkenntnis in sich selbst49. Ein Urteil, ein deutlich gedachtes und ausgesprochenes Begriffsverhältnis, muß einen zureichenden Grund haben, will es Erkenntnis ausdrücken und somit wahr sein50. Beim Vernunftschluß, der Ableitung eines vernünftigen Urteils aus einem anderen 51, wird durch Subsumtion der Bedingung eines Satzes unter eine gegebene allgemeine Regel die Notwendigkeit desselben erkannt52, denn alle Erkenntnis muß einer Regel gemäß sein53. Weisheit stellt hierbei die Idee, ein in der Erfahrung nicht antreffbarer Vernunftbegriff 54, des vollkommenen Vernunftgebrauches dar 55. 44 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 333; ders., Logik, S. 545; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 77; vgl. dagegen: J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 86. Die Natur sehr vieler Körper wird zugleich vermittels der Vernunft mit der Natur des jeweils eigenen Körpers aufgefaßt, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 161. 45 1. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 312, 399; vgl. ders., Kritik der praktischen Vernunft (1788), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 6, 1983, S. 103 ff., 249; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 517; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 509. 46 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 140. 47 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 98 f. 48 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 100; siehe auch D. Hume, Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, S. 40. 49 Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 243. Die Vernunft denkt sich selbst, ihr Denken ist Denken des Denkens, vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 320. 50 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 129. 51 Vgl. I. Kant, Logik, S. 545; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 129. 52 Vgl. /. Kant, Logik, S. 551; s.a. ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 167. 53 Vgl. I. Kant, Logik, S. 571; s.a. ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 167. 54 Vgl. I. Kant, Logik, S. 522. Idee ist insofern ein Geistesbegriff, der vom Geist, weil denkend, gebildet wird, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 111. Vgl. weiterführend zu den Ideen, den „formenden Grundkräfte des Lebens", J. H. Finley , Four Stages of Greek Thought, 1966, S. 95 f.; vgl. ferner G. M. A. Grube, Plato's Thought, 1958, S. 150 (statt

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

23

Dabei ist die Einheit der Vernunft und die Systematik ihrer Begriffe an sich unbestimmt56. Die Begriffe sind ohne objektive Gültigkeit, sondern sind zunächst nur die Idee, auf welcher die empirische Realität in der Vernunft gründet57. Das der Vernunft zugrunde liegende regulative Prinzip sorgt dabei, angesichts der Unendlichkeit möglicher empirischer Erfahrungen, für die größtmögliche Fortsetzung und Erweiterung der Erfahrung zu einem Ziel, dem Ideal, einem Unbedingten, dem es sich beständig zu nähern gilt 58 , um nicht der Unendlichkeit der empirischen Möglichkeiten folgend einem unendlichen Regreß zu verfallen 59. Zu denken ist daher ein anderer Ausdruck für das Erkennen einer Regel durch Begriffe in Beziehung auf einen Gegenstand60, als ein Vermögen aus Begriffen zu urteilen61, oder aus Urteilen vernünftig zu schließen62. Ohne Überlegung, Reflexion 63, Selbstuntersuchung der Vernunft 64, vermittels Begriffen sind Urteile und Vergleiche nicht möglich65. Zu sagen, daß man denke ist Ausdruck der Bestimmung des Daseins66, denn im Denken werden Vorstellungen in einem

„Gott ist Liebe" „Liebe ist ein Gott" im Sinne „Liebe ist ein Ideal", vgl. hierzu W. K. C. Guthrie, From Thaies to Aristotle, 1960, S. 10 f. (auf Wilamowitz-Moellendorff zurückgehend); R. Tarnas, Idee und Leidenschaft, S. 20, Anm. 1). 55 Vgl. /. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 511, 549. Insofern im Konjunktiv: „politische Weisheit ... geböte aber Mäßigung und Toleranz", BVerfGE 73, 206 (230). 56 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 579. 57 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 586. 58 Vgl. W. v. Humboldt, Plan einer vergleichenden Anthropologie (1795) in: ders., Anthropologie und Menschenkenntnis, ed. Heinemann, 1929, S. 12 ff., 23. 59 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 472 ff., 547, 565; ders., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 236 ff. Zur Freiheit als regulativem Prinzip der Vernunft, vgl. ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 163. 60 Vgl./. Kant, Logik, S. 521. 61 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 98, 109 f., 119, 139, 270, 275, 315; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 144. 62 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 313, 315; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 144. 63 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 124 f. Siehe ferner J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 288 ff. 64 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 133. 65 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 286, 317; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 188. 66 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 152.

24

1. Teil: Grundlagen der Republik

Bewußtsein vereinigt. Diese Vereinigung ist das Urteil 6 7 , welches eine Regel darstellt 68 . Jederzeit selbst zu denken, dabei die freie und selbsteigene Vernunft zu gebrauchen, die Wahrheit in sich selbst zu suchen, ist der oberste Grundsatz 6 9 . In der Vernunft und ihrem abstrakten Begriffsvermögen liegen auch diejenigen Begriffe begründet, die an sich keiner Anschauung fähig sind 70 . Sie werden durch Beziehung der Begriffe auf Gegenstände, also durch nicht-empirische 71 (d.i. anschauliche), sondern transzendentale Deduktion bestimmt 72 , durch Ableitung vom Wesen des Menschen 73 . Nur Gegenstände möglicher Erfahrung sind es, die dem Menschen als Erkenntnisse a priori, vor jeder Erfahrung und Anschauung74 (nicht in allgemeineren, höheren Erkenntnissen begründet 75 ), als erste Gründe seiner Erkenntnis 76 , allgemeine Konstruktion der Begriffe 77 , als

67 Vgl. /. Kant y Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 171; ders., Logik, S. 531. 68 Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 172. 69 Vgl. I. Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren? (1786), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 5, 1983, S. 265 ff., 282 f.; ders., Logik, S. 449. Siehe auch ders., Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? (1784), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 51 ff., 53; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 511, 549. 70 Vorgreifend auf den weiteren Text beispielsweise der des Rechts, vgl. M. T. Cicero, Über die Rechtlichkeit (Orginaltitel: De legibus), ed. Reclam, 1989. S. 13; /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 88,401 f. 71 Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 124. 72 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 125 f.; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 237. Vgl. auch K. R. Popper, Vermutungen und Widerlegungen, Teilbd. I, S. 77, 79. Zu Kant auch K. Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S. 20 f. 73 Vgl. M. T. Cicero, Über die Rechtlichkeit, S. 12. Wesen eines Dings kennzeichnet das, „wodurch, wenn es gegeben ist, das Ding notwendig gesetzt und wodurch, wenn es aufgehoben wird, das Ding notwendig aufgehoben wird", vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 111; „Wesen ist das erste innere Prinzip alles dessen, was zur Möglichkeit eines Dinges gehört/ 4, I. Kant, Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, S. 11. Auf den weiteren Text vorgreifend das „Wesen des Menschen als geistig-sittliche Person", vgl. BVerfGE 6, 32 (36). 74 Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 144; A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 59, 106. Siehe auch K. R. Popper, Logik der Forschung, S. 3, 5, passim; ders., Vermutungen und Widerlegungen, Teilbd. I, S. 75, 77, 79. 75 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 195. 76 Vgl. I. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, S. 752. Hier liegen auch die Quellen metaphysischer Erkenntnis, vgl. /. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 124.

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

25

Grundsätze zu einer möglichen Regel zukommen 78 . Dies ist zugleich die transzendentale Bedingung aller Notwendigkeit 79 , welche auf das Begehrungsvermögen, den Willen hin konstituiert ist 8 0 . Objektive Realität erhalten die Erkenntnisse a priori durch die Möglichkeit der Erfahrung 81 . Die Vermittlung zwischen dem die Gesetzmäßigkeiten erkennenden Verstand und der von der Verbindlichkeit, d.h. der Zweckmäßigkeit, die zugleich Gesetz ist, bestimmten, also der gesetzgebenden Vernunft vollzieht die nach Einsichten strebende Urteilskraft als dem Vermögen des Menschen, das anschaulich Erkannte richtig in das Abstrakte zu übertragen 82 . In die Welt tritt der Mensch als Person, als Einheit eines denkenden, mit Verstand und Vernunft begabten Geistes in einem menschlichen Körper 8 3 , durch Handlungen, die auf andere Wesen Folgen als immanente Gestaltung der Handlung haben 84 . Diese Handlungen vollzieht der Mensch, seinem Willen, als dem Vermögen, „nach Prinzipien, zu handeln..., nur dasjenige zu wählen, was die Vernunft,... , als praktisch notwendig, d.i. als gut erkennt" 85 , mitunter also

77 Vgl. /. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 132. 78 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 159 ff., 180 f., 267. 79 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 167 f. 80 Vgl. /. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 238, 243. 81 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 200 f. 82 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 184, 315; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 184, 225 f., 246, 248 ff., 251 f., 270, 272, 451; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 507, 509, 539, 547; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 112; Bd. II, S. 118 f. Zur Urteilskraft und Willensbildung, vgl. ferner BVerfGE 20, 56 (103); 52, 63 (86). 83 Vgl. /. Kant, Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren, S. 600; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 337, 341 ff.; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 407; ähnlich („Ein Geist, ..., ist ein Wesen, welches Vernunft hat"), ders., Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, S. 925; siehe schon B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 141, 143, 147; ferner auch G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse (1821), in: Werke, ed. Suhrkamp, 5. Aufl. 1996, S. 34; J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 409; F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Vorspiel einer Philosophie der Zukunft (1886), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. III, 1990, S. 529 ff., 593. 84 Vgl. J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 177; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 218. Siehe auch W. v. Humboldt, Über die Gesetze der Entwicklung der menschlichen Kräfte (Bruchstück, 1791), in: ders., Anthropologie und Menschenkenntnis, ed. Heinemann, 1929, S. 1 ff., 6; G. Jellinek, Die socialethisehe Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, 1878, S. 25. 85 1. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (1785), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 6, 1983, S. 7 ff., 41. Zum Begriff des Guten, vgl. Fn. 93.

26

1. Teil: Grundlagen der Republik

seiner praktischen Vernunft folgend 86 als Willensakte mittels Bewegungen seines Körpers 87 . Der Wille ist dabei auch selbst gesetzgebend 88 , dies begründet die Autonomie, die Freiheit des Willens 8 9 , als Grund der Würde jeder menschlicher Natur 9 0 . Bezogen auf den Willen anderer vernünftiger Wesen ist, um mit ihnen bestehen zu können, erforderlich, daß der Wille sich „selbst zugleich als allgemein gesetzgebend betrachten könne.... Die Vernunft bezieht also jede Maxime des Willens als allgemein gesetzgebend auf jeden anderen Willen, und auch auf jede Handlung gegen sich selbst..." 91 . Die Triebe der menschlichen Natur - die Leidenschaften - , Begierden, Lust und Unlust 92 , sind die Beweggründe des Willens. Der Verstand und die Vernunft treten dazu 9 3 , wenn sie auch mitunter gegen mächtige Leidenschaften

86 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 41; zur Unterscheidung von der Idee und den Prinzipien des möglichen reinen Willens und der Psychologie, vgl. ebd., S. 15. Zu den Akten des Willens, vgl. J. C. Eccles, Die Psyche des Menschen. Das Gehirn-Geist-Problem in neurologischer Sicht, 1990, S. 134 ff. 87 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 157 f.; i.d.S. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, S. 211. Möglich wird dies, da der menschliche Geist nicht nur die Affektionen seines Körpers, sondern auch die Ideen dieser Affektionen erfassen kann, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 175; und nur hierdurch kann sich der Geist selbst erkennen, vgl. ebd., S. 177; wie er insofern überhaupt nur sich selbst erkennen kann, vgl. ebd., S. 179. S. Freud, Darstellungen der Psychoanalyse, 1969, S. 138; ders., Selbstdarstellung, 1971, S. 87, sieht in Schopenhauer einen der wichtigsten Vorläufer der Psychoanalyse. Gerade dessen unbewußter Wille ist den seelischen Trieben der Psychoanalyse gleichzusetzen, wobei die Erkenntnis, daß Schopenhauer ein Pionier der Psychoanalyse sei, auf den Anhänger Freuds, O. Rank zurückgehe, vgl. P. Roazen t Sigmund Freud und sein Kreis. Eine bibliographische Geschichte der Psychoanalyse, 1976, S. 204. Dagegen erkannte Jung, daß es sich in der kritischen Philosophie Kants und der dessen Nachfolger um die „Mutter der modernen Psychologie" handelt, C. G. Jung, Psychologischer Kommentar zu: Das Tibetische Buch der großen Befreiung, in: Gesammelte Werke, Bd. 11, 1963, S. 538. 88

Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 64. Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81: „d.i. die Eigenschaft des Willens, sich selbst ein Gesetz zu sein"; insofern „Freiheit und eigene Gesetzgebung des Willens sind beides Autonomie, mithin Wechselbegriffe", vgl. ebd., S. 86. 90 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 69, 74. 91 /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 67. Dazu im weiteren Text. Zur Maxime als das „subjektive Prinzip des Wollens", vgl. ebd., S. 27, Anm.; zur Maxime als „das subjektive Prinzip zu handeln", vgl. ebd., S. 51, Anm.; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 125, 140. 92 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, ed. Reclam, 1992, S. 39; siehe ferner B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 277, 287. 93 Vgl. /. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 182, 184, 246, 249. Sie affizieren den Menschen durch die Vorstellung mit Lust und Unlust, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 295; dasjenige, wovon der Mensch sich vorstellt, es trägt zur Lust bei, wird er zur Verwirklichung zu befördern suchen, vgl. ebd., S. 317. Den im Text fol89

27

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe wenig

auszurichten

vermögen 94 .

Eine

Handlung

ist

folglich

dann

eine

„freiwillige", wenn deren bewegendes Prinzip beim Handelnden selbst liegt 9 5 , und dieser Wissen von den Umständen seiner Handlung hat 9 6 . Sie folgt einer Entscheidung, die ihrerseits Planung und Durchdenken des Sachverhalts voraussetzt97. Ziel der Leistung des Denkvermögens ist dabei die Erkenntnis des Richtigen 98 und der Fortschritt 99 , wobei richtig nichts anderes als auf sittlicher Einsicht beruhend heißt 1 0 0 : „Man muß wollen können, daß eine Maxime unserer

genden Ausführungen vorgreifend: Jede Art von Lust, ferner alles, was zur Lust beiträgt, ist folglich das Gute, vgl. ebd., S. 341; und als gut bezeichnet man das, wovon der Mensch weiß, es ist ein Mittel, sich dem Ideal des Menschen anzunähern, vgl. ebd., S. 441; vom Guten weiß der Mensch gewiß, das es nützlich ist, vgl. ebd., S. 443. Dem Menschen ist aber nichts nützlicher als der Mensch, weswegen das Vorzüglichste die Erhaltung des Seins des einzelnen Individuums und zugleich die Suche aller des gemeinsamen Nutzens aller darstellt, vgl. ebd., S. 479 ff., 497, 499, 501. Insofern ist nützlich und gut, was bewirkt, daß die Menschen vernunftgeleitet in Eintracht leben, vgl. ebd., S. 527. Begierde und Lust, entspringen sie der Vernunft, können somit kein Übermaß haben, denn sie folgen dem Guten unmittelbar, vgl. ebd., S. 569, 575. 94 Vgl. /. Kant, Versuch über die Krankheiten des Kopfes (1764), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 2, 1983, S. 885 ff., 889. In diesem Sinne G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 69. Insofern wäre es eine Münchhausensche Verwegenheit, die ganze und letzte Verantwortlichkeit für alle Handlungen immer nur und ausschließlich selbst tragen zu wollen, was aber dem Verlangen nach unbedingter Freiheit des Willens entspräche, vgl. F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, S. 556, nur: es ist die Sache der Wenigsten, unabhängig zu sein, vgl. ebd., S. 568; wie auch die Wenigsten ihren Handlungen gewachsen zu sein scheinen, vgl. ebd., S. 611. Zur Irrationalität als verbunden mit der sinnlichen Welt und der Rationalität als verbunden mit dem Geist, dem Transzendenten, vgl. R. Tarnas, Idee und Leidenschaft, S. 55; E. Fox, Love and Sex in Plato's Epistemology, in: Reflections on Gender and Science, 1985, S. 21 ff. 95 Vgl. I. Kant , Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 459. 96 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 58; vgl. ferner Β. d. Spinoza, Die Ethik, S. 7; vorgreifend auf den weiteren Text auch /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, (1797), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 7, 1983, S. 303 ff., 327 f. 97 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 61 f.; eine Entscheidung kann folglich keine Meinung sein, wie auch nicht alles Freiwillige Gegenstand einer Entscheidung werden kann. Auch setzt das Denken nichts in Bewegung, nur, wenn es sich auf ein Handeln und einen Zweck einstellt, vgl. ebd., S. 155. Vgl. vorgreifend auch /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 338. 98 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 156. 99 Zur Idee des Fortschritts, welcher von menschlichen Anstrengungen, nicht göttlicher Offenbarung abhängt, vgl. W. C. Guthrie, A History of Greek Philosophie, Bd. 1 : The Earlier Presocratics and the Pythagoreans, 1962, S. 399 f.; auch E. R. Dodds , Progess in Classical Antiquity, in: P. P. Werner (Hrsg.), Dictonary of the History of Ideas, Bd. 3, 1973, S. 623 ff. 100 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 174 f. Zum Begriff der Sittlichkeit vgl. im weiteren Text.

1. Teil: Grundlagen der Republik

28

Handlung ein allgemeines Gesetz werde" 1 0 1 . Der Grund dieses (objektiven) „Prinzips ist: die vernünftige Natur existiert als Zweck an sich selbst" 102 , der Mensch ist keine zu gebrauchende Sache, sondern Zweck an sich selbst, bei allen seinen Handlungen 103 . Dies, mit Empfindung und Denken, ist wesenhaft das Leben 1 0 4 ; wobei eine Handlung durch das Verhältnis des Subjekts zur Wirkung seines Tuns gekennzeichnet ist 1 0 5 . Der Mensch wirkt durch Handlungen. Als „möglich" kann dabei all jenes bezeichnet werden, was der Mensch durch eigene Kraft vollbringen kann 1 0 6 . Die Handlungen des Menschen erfolgen mit strenger Notwendigkeit; einzig durch Denken wird eine Wahlentscheidung, aus einem bewußten Konflikt der Motive heraus 107 , möglich 1 0 8 . Sich in dieser Welt seines eigenen Verstandes und der Vernunft zu bedienen, ist der Ausgang des Menschen aus der Unmündigkeit 109 ; was aber hinsichtlich der menschlichen Handlungen mitunter auch voraussetzt, nicht alles auf Bekanntes - im Sinne irgendeine Erklärung sei besser als keine - zurückführen zu wollen, oder gar Folge und Ursache zu ver-

101

/. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 54. 1. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 60 f.; vgl. auch ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 263; dazu weiterführend insbes. 1. Teil, 2. Kap., 1. Die Freiheit. 103 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten S. 61. 104 Vgl. /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 315: „Das Vermögen eines Wesen, seinen Vorstellungen gemäß zu handeln, heißt das Leben"; siehe auch Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 264. 105 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 238. Insofern lassen sich Entstehungen und Bewegungen in Denken und Bewirken aufteilen, vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 178. Jede Handlung beinhaltet dabei zwei Bedeutsamkeiten: die äußere in Beziehung der Folgen derselben in der wirklichen Welt nach dem Satz vom Grunde, die innere in der Tiefe der Einsicht in die Idee der Menschheit, vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 324. 106 Vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 64. 107 Der Grund bzw. die Ursache dieser Willensakte sind Reize oder Motive, vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 62 f., 172. 108 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 120; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 412; siehe auch ders., Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 247; G. Jellinek, Die socialethisehe Bedeutung von Recht, Unrecht und Strafe, S. 64 f. Zumindest handelt also derjenige, der über Vernunft verfugt, immer wegen irgend etwas, vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 55. 109 Vgl. I. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 53. Siehe auch ders., Was heißt: sich im Denken orientieren?, S. 282 f.; ders., Logik, S. 449; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 511, 549; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 530. Vgl. hierzu auch Kants Regeln für eine richtige Behandlung des Schülers bei A. Kowalewski, Kants Gedanken über philosophische Geistespflege, in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 46 ff., 54. 102

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

29

wechseln, denn sonst würde Neues, Unbekanntes von vorne herein als Ursache ausgeschlossen110. Das „Bewußtsein des Vermögens", „nach Belieben zu tun oder zu lassen", ist die Willkür des Menschen111. Der Begriff der Willkür beinhaltet, daß der Grund der Handlung im Menschen selbst bestimmt wird. Kann die Willkür durch die reine Vernunft, unabhängig von sinnlichen Antrieben, bestimmt werden, so heißt sie die freie Willkür 112 . Der Begriff des Willens dagegen ist nicht wie die Willkür auf die Handlung bezogen, sondern auf den Bestimmungsgrund der Willkür zur Handlung. Ist der innere Bestimmungsgrund, selbst das Belieben der Handlung in der Vernunft begründet, stellt der Wille, welcher die Willkür bestimmen kann, die praktische Vernunft dar 113 . Der Wille ist das Vermögen, nach Prinzipien zu handeln, zu wählen, was die Vernunft als das Gute erkennt114. Die Vernunft ist dabei der Prophet des Menschen, denn nur sie kann ihm Zukünftiges als dereinstige Folge und Wirkung seines gegenwärtigen Handelns vorhalten 115.

2. Grundprobleme: Egoismus, Bosheit und Widerstreit Alleine vermag der Mensch nur wenig, er ist „ein verlassener Robinson"116. Der Mensch ist ein für die Gesellschaft bestimmtes, wenn auch mitunter ungeselliges Wesen 117 ; er ist auf der Erde nicht alleine118. Schon der natürliche Um110 Vgl. F. Nietzsche, Götzendämmerung. Oder wie man mit dem Hammer philosophiert (1888), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. IV, 1990, S. 253 ff., 283, 288 f. 111 Vgl. /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 317; „Nur die Willkür kann also frei genannt werden", ebd., S. 332. 112 „Die Freiheit der Willkür ist jene Unabhängigkeit ihrer Bestimmung durch sinnliche Antriebe", /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 318. 113 Vgl. /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 317 f. 114 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41; „Gut ist, was vermittelst der Vernunft, durch den bloßen Begriff, gefällt", vgl. /. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 283. 115 Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomeni Bd. II, S. 695. Siehe ferner auch E. Marcus, Magie und Freiheit, in: H. G. Keyserling (Hrsg.), Gesetz und Freiheit. Veröffentlichungen der Schule der Weisheit. Der Leuchter. Weltanschauung und Lebensgestaltung, 7. Buch, 1926, S. 319 ff., 322. Zur Ungewißheit jenseits der praktischen Vernunft aus Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens, vgl. BVerfGE 49, 89 (143). 116 Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 432. 117 Vgl. Aristoteles, Politik, ed. Reclam, 1993, S. 78; M. T. Cicero, Vom Gemeinwesen (Orginaltitel: De re publica), ed. Reclam, 1995, S. 131; 7. Locke, Über die Regierung (Orginaltitel: The Second Treatise of Govemement) (1690), ed. Reclam, 1983, S. 59; /. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, (1784), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 31 ff., 37 f.; ders., Die Metaphysik der Sit-

30

1. Teil: Grundlagen der Republik

stand der Fortpflanzung 119 , Arterhaltung wie der Moment der Geburt, seine Anlagen zu sprechen und sein Geschlechtstrieb 120 als „die Konzentration alles Wollens" 1 2 1 machen aus ihm ein Wesen, das der Gemeinschaft mit anderen Menschen bedarf 1 2 2 , um in der Gattung 1 2 3 seine Anlagen, die sich auf den Vernunftgebrauch beziehen, vollständig entwickeln zu können 1 2 4 . Die älteste aller Gesellschaften, ihr Urbild, ist die Familie 1 2 5 und mit ihr das D o r f 1 2 6 , die Gemeinde 1 2 7 , als Baustein jeder staatlichen Gesellschaft 128 , in welcher der neugeborene Mensch bis zu dem Stadium der Eigenverantwortung geleitet wird, „bis er zu dem Stadium der Freiheit gelangt ist, bis sein Verstand in der Lage ist, die Herrschaft über seinen Willen zu übernehmen" 129 .

ten, S. 611 ; W. v. Humboldt , Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen (1792), ed. Reclam, 1987, S. 113; A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 506; Bd. II, S. 765. Zur „Gemeinschaftsbezogenheit des Individuums", vgl. BVerfGE 4, 7 (15 f.); 30, 1 (20); 45, 187 (227 f.); 50, 290 (353 f.); 65, 1 (44); 81, 278 (281); auch E 8, 274 (329); 27, 1 (7); 27, 344 (351 f.); 28, 243 (252); 30, 173 (185 f.); 33, 303 (334 f.); 53, 303 (334); 56, 37 (49); 65, 1 (23); ferner E 69, 315 (357). 118 Zum Anderen als der, der nicht ich ist und der ich nicht bin, als gegebenes Trennungselement und der Grundlage jeder Beziehung zum Anderen, vgl. J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 420 f.; E. Husserl , Cartesiani sehe Meditationen, ed. Nijhoff, 1950, S. 121 ff. 119 Vgl. hingegen zur Unsterblichkeit durch leibliche und geistige Zeugung, Piaton, Symposion, in: ders., Sämtliche Werke, Band 2, ed. Wolf/ rororo, 1994, S. 37 ff., 83 f. 120 Weiterführend 7. C. Eccles, Die Psyche des Menschen, S. 144 ff. 121 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Band II, S. 656. 122 Vgl. /. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 83 ff., 86 f.; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 390. Zu Eros, vgl. auch Piaton, Symposion, S. 45 ff., 48 f., 50 f., passim. 123 D. h. einer kontinuierlichen Entstehung von Dingen, die über dieselbe Form verfügen, deren Unterschiede Qualitäten genannt werden, vgl. Aristoteles, Metaphysik, S. 150 f. 124 Vgl. /. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 35. 125 Vgl. Aristoteles, Politik, S. 77; 7.-7. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts (Orginaltitel: Du Contract Social; ou Principes du Droit Politique) (1762), ed. Reclam, 1986, S. 6 f. 126 Vgl. Aristoteles, Politik, S. 77; M. v. Padua, Der Verteidiger des Friedens (Orginaltitel: Defensor Pacis) (1324), ed. Reclam, 1985, S. 13 f. 127 Vgl. A. d. Tocqueville , Über die Demokratie in Amerika (Orginaltitel: De la démocratie en Amérique) (1835/ 1840), ed. Reclam, 1994, S. 50 f. 128 Vgl. Aristoteles, Politik, S. 77. Die Menschen dieser natürlichen Gesellschaften betrachteten sich von Natur aus nicht als Feinde, schon, da sie in ihrer Unabhängigkeit keine Beziehungen zueinander hatten, vgl. 7.-7. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, S. 12. 129 Vgl. 7. Locke, Über die Regierung, S. 45 f., 130 f. Siehe auch /. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 672 ff.; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 327.

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

31

Dennoch bringt von dem Moment an, an dem der Mensch als Person zu sprechen beginnt, er sein geliebtes Selbst zum Vorschein. Der Egoismus schreitet unaufhaltsam fort, verleitet ihn, als logischer Egoist seine Urteile nicht am Verstand anderer zu prüfen, als ästhetischer Egoist nur seinem Geschmack zu genügen, und als moralischer Egoist nur seinen eigenen Nutzen zu betrachten 130 , getrieben von Ehr-, Herrsch- und Habsucht131, gepaart mit Vorurteilen und Bequemlichkeitsliebe132: „Ein Individuum wird geboren, freut sich ein wenig, leidet ein wenig und wird wieder vernichtet, ausgelöscht, .... Beim Menschen kommt noch das Schrecklichste hinzu: Die klar bewußte Lust am Bö_«133

sen Das Individuum macht sich selbst zum Mittelpunkt der Welt. Seine Existenz und sein Wohlergehen gehen dem aller anderen vor. Hat der Egoismus den höchsten Grad erreicht, so bringt der durch ihn bedingte Widerstreit der Individuen - der Wettbewerb - entsetzliche Folgen hervor 134, bedenkt man, was Menschen sich und anderen gewaltsam antun135. Die „pathologische Natur" des menschlichen Geistes, mit ihm der menschlichen Kultur, ist „offensichtlich" 136. So ist die Geschichte, so sinnlos sie auch sein mag, wesentlich Geschichte von Verbrechen und Massenmorden137. Am Ende ist der Mensch allein, von außen darf er nicht viel erwarten; das beste muß er sich selbst sein und leisten138, doch

130

Vgl. /. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 408 ff. Zum Pessimismus /. Kants, vgl. H. Vaihingen Pessimismus und Optimismus vom Kantschen Standpunkt aus, in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 1 ff., insbes. 9. 131 Vgl. I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 607 ff. 132 Vgl. /. Kant, Gedanken von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und Beurteilung der Beweise, derer sich Herr von Leibnitz und andere Mechaniker in dieser Streitsache bedient haben, nebst einigen Betrachtungen welche die Kräfte der Körper überhaupt betreffen (1746), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 1, 1983, S. 7 ff., 17. 133 Κ Jellinek, Das Weltengeheimnis, 1921, S. 1. Vgl. auch F. Nietzsche, Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, S. 22. 134 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 455. Zu Kant als Schopenhauers einzigem Vorläufer hinsichtlich des Pessimismus, vgl. H. Vaihingen Pessimismus und Optimismus vom Kantschen Standpunkt aus, S. 19. 135 Vgl. H. Popitz, Phänomene der Macht, 2. Aufl. 1992, S. 48, 68. Siehe auch F. v. Cube, Besiege deinen Nächsten wie dich selbst. Aggression im Alltag, 3. Aufl. 1993, S. 37 ff., 57 ff., 64 ff., 80 ff., passim. 136 Vgl. Κ Lorenz, Die Rückseite des Spiegels, S. 16; „Geisteskrankheiten und Störungen", ebd., S. 32. 137 Vgl. Κ R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Band II: Falsche Propheten (1959), 6. Aufl. 1980, S. 304 ff., 333 f., 344 f., 346 f.; ders., Über Geschichtsschreibung und über den Sinn der Geschichte, in: ders., Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, 8. Aufl. 1996, S. 173 ff., insbes. 189 f. Siehe auch E. Jung, Das „Gesetz" der Geschichte: oder über die wollensbestimmten (wertenden) Vornahmen alles geschichtlichen Erkenntnisstrebens, S. 79 f. 138 Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 397.

32

1. Teil: Grundlagen der epublik

ist der Mensch meist törichter, als er glaubt139. „Ein Tier, welches reden konnte, sagte: Menschlichkeit ist ein Vorurteil, an dem wenigstens wir Tiere nicht leiden" 140 . Der Mensch ist das einzige Wesen, welches sich über sein Dasein wundert 141, wie er auch das einzige Wesen ist, daß sich seiner und seiner Gattung Vergänglichkeit bewußt ist 142 . Und daß es mit dem Tod ernst ist, erkennt er daran, daß es schon mit dem Leben kein Spaß ist 143 . Sein ganzes Leben tut ihm kund, daß das irdische Glück dazu bestimmt ist, ihm vereitelt zu werden, oder sich als Illusion herauszustellen. Demzufolge fallt das Leben der meisten Menschen entsprechend traurig aus 144 : „So weilt alles nur einen Augenblick und eilt dem Tode zu" 145 , der Mensch erkennt die silenische Weisheit146. Jeder Mensch fühlt den Schmerz, nicht aber die Schmerzlosigkeit; die Furcht, nicht aber die Sicherheit 147. Die höchste Stufe der moralischen Gesinnung ist vom Menschen selbst nicht erreichbar 148, denn kein Mensch ist vollkommen149. Das größte Feld im Menschen sind die dunklen, unbewußten Vorstellungen150, einhergehend mit viehischen Lastern 151, einem natürlichen Hang zum Bösen152 sowie zur Betrügerei 153, zur Begehung des Unerlaubten 154 oder zur gegenseitigen Ablichtung155. Kein

139 Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 559. Siehe insbesondere auch F. Nietzsche, Also sprach Zarathustra (1883 f.), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. III, 1990, S. 1 ff., 13 ff. 140 F. Nietzsche, Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, S. 229. 141 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 206. 142 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 590 f. 143 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 592 f. 144 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 733. 145 A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 611. 146 Vgl. F. Nietzsche, Die Geburt der Tragödie (1872), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. III, 1990, S. 365 ff., 394,418. 147 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 735. 148 Vgl. /. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 206. 149 Vgl. /. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 252. 150 Vgl. /. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 419. 151 Vgl. /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 600. 152 Vgl. /. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (1793), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 7, 1983, S. 645 ff., 680, 686; ders., Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 688 ff.; J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 130. Zum Mißfallen von Kants Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft bei Friedrich Wilhelm II., vgl. L. Spiegel, Kants Maßreglung, in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 177 ff., 177. 153 Vgl. I. Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, S. 124. 154 Vgl. I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 678.

1. Kapitel: Einleitung und Grundbegriffe

33

Tier quält, um zu quälen, wohl aber tut dies der Mensch156: „Die Welt ist eben die Hölle, und die Menschen sind einerseits die gequälten Seelen und andererseits die Teufel darin" 157 ; „Der Kosmos ist bestenfalls ein planlos aufgeschütteter Misthaufen" 158. Auch ist der Mensch geneigt, sein Erleben und sein Tun umzudeuten159, seine innere Aussagen vor dem ihm eigenen Gewissen zu verfälschen 160. Insofern begründet eine Menge von Menschen, noch dazu, wenn sie aus solchermaßen krummen Holz 161 geschaffen zu sein erscheint, ein Volk von Teufeln 162, daß bestenfalls mit dem Mäntelchen der Höflichkeit einen unwahren Schein der Galanterie, einen Schein des Guten, einflößt 163. Die Menschen, jeder von ihnen als ein kleiner Weltmittelpunkt für sich, wollen individuell sein, wollen wie kein anderer sein und in dieser Rolle auch anerkannt werden 164, was die Menschen wieder in Gleichheit eint. Freilich, die Gedanken an die Verderbtheit von Mensch und Menschen legen es nahe, zu resignieren. Gerade aber die Resignation wird zur Besinnung auf mehr, in ihr liegt der Keim der Größe 165 : „Unsre Mängel sind die Augen, mit denen wir das Ideal sehen"166. Da der Mensch dennoch ausgestattet ist mit Erkenntnisvermögen, ist er in der Lage, die Verderbtheit und Schlechtigkeit seiner selbst wie seiner Mitmenschen167 nach Vernunftidealen zu erkennen. Die Men155

Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomeni Bd. II, S. 707. Vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomeni Bd. II, S. 254. „Wenn Christus wirklich die Absicht hatte, die Welt zu erlösen, sollte es ihm nicht mißlungen sein?", F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, S. 408. 157 A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. II, S. 354. 158 Heraklit, zit. nach K. R. Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bd. I: Der Zauber Piatons (1959), 6. Aufl. 1980, S. 35. 159 Vgl. Ο. v. Ungern-Sternberg, Der freie Mensch im Weltall, in: H. G. v. Keyserling (Hrsg.), Gesetz und Freiheit. Veröffentlichungen der Schule der Weisheit. Der Leuchter. Weltanschauung und Lebensgestaltung, 7. Buch, 1926, S. 271 ff., 271. 160 Vgl. /. Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee, S. 123. 161 Vgl. /. Kant, Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 41; ders., Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, S. 760. Zum Ursprung vgl. Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 52. 156

162 Vgl. I. Kant, Zum ewigen Frieden (1795), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 193 ff., 224. 163 Vgl. I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 444 f. 164 Vgl. H. Popitz, Phänomene der Macht, S. 151. 165 Vgl. C. A. Emge, Das Unendliche bei Novalis, in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 29 ff., 31. 166 F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, S. 400. 167 Vgl. den Anderen auch als Vermittler zwischen mir und meiner selbst: „ich beschäme mich meiner, wie ich Anderen erscheine", J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 406.

3 Freitag

34

1. Teil: Grundlagen der Republik

sehen bedürfen der vernunftgemäßen Erkenntnis des Guten, welches allein aus seiner Verbindlichkeit als der Grundvoraussetzung jedes menschlichen Zusammenlebens in einer Gemeinschaft diese zu begründen vermag 168, denn aus ihm folgen die für das menschliche Zusammenleben unentbehrlichen Grundsätze169. Der Mensch ist es, der ein Verlangen nach einer Form des Zusammenlebens aus seiner Vernunft heraus zu begründen vermag, welches die negativen Auswirkungen des natürlichen Zustandes der Menschheit zu überwinden in der Lage sein kann 170 : „Der ideale Zustand wäre natürlich eine Gemeinschaft von Menschen, die ihr Triebleben der Diktatur der Vernunft unterworfen haben"171, ein Zustand, wie er auch nur von Menschen in Gemeinschaft zu verwirklichen angestrebt werden kann 172 .

Zweites Kapitel

Freiheit, Recht und Tugend „Eine Gleichheit und Freiheit festsetzen, so wie sie sich jetzt viele Menschen denken, das hieße ein elftes Gebot geben, wodurch die übrigen zehn aufgehoben würden" 173.

1. Die Freiheit „Freiheit (Unabhängigkeit von eines anderen nötigender Willkür), sofern sie mit jedes anderen Freiheit ... zusammen bestehen kann, ist dieses einzige, ursprüngliche, jedem Menschen, kraft seiner Menschheit, zustehende Recht"174. 168

Vgl. vorgreifend auf das nächste Kapitel, BVerfGE 66,116 (142). Vgl. der Sache nach BVerfGE 95, 96 (135); vorsichtig auch 4, 7 (16); 33, 303 (334 f.). 170 Vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 591; J. Locke, Über die Regierung, S. 97; W. v. Humboldt, Plan einer vergleichenden Anthropologie, S. 32. Schon der mittelalterlichen Christ wurde nach der Taufe als übernatürliches, spirituelles Wesen betrachtet, der prinzipiell an göttlichen Eigenschaften Anteil gewonnen hatte, vgl. W. Ulimann, Individuum und Gesellschaft im Mittelalter, 1974, S. 13. Vgl. ferner M T. Cicero, Über die Rechtlichkeit, S. 15. 169

171 S. Freud, Warum Krieg?, in: Sigmund Freud Studienausgabe, Bd. IX, 1969 ff., S. 284. Vgl. /. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 204: „Wir stehen unter einer Disziplin der Vernunft 44. 172 Vgl. Af. T. Cicero, Über die Rechtlichkeit, S. 19. 173 G. C. Lichtenberg, Aphorismen, S. 511. 174 /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 345; vgl. ders., Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, S. 146, 148; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; J. Locke, Über die Regierung, S. 5, 147 (zum Einfluß Lokkes auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die Verfassung der Vereinigten Staaten und die verschiedenen Menschenrechtserklärungen, vgl. Ν. E. Cunningham , In

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

35

Pursuit of Reason. The Life of Thomas Jefferson, 1987, S. 16 f.; Κ Hilpert, Die Menschenrechte. Geschichte, Theologie, Aktualität, 1991, S. 109; M. Kämmen, Sovereignity and Liberty. Constitutional Discourse in American Culture, 1988, S. 19 f.); Art. 1 der Virginia Bill of Rights (1776); auch Art. 1 Satz 1 der Erklärung der Rechte des Menschen und des Bürgers (1789); der Sache nach auch schon M. T. Cicero, Über die Rechtlichkeit, S. 21; vgl. des weiteren auch 7.-7. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, S. 5; F. A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit (1971), 3. Aufl. 1991, S. 15 f.; Κ Α. Schachtschneider, Res publica res populi. Grundlegung einer Allgemeinen Republiklehre. Ein Beitrag zur Freiheits-, Rechts- und Staatslehre, 1994, S. 3, 253, 290, 434 f., passim; 7. Habermas, Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, 1996, S. 210 ff. Siehe auch E. Benda , Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht, HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 6, S. 161 ff., 161 f. Dies ist die klassische Definition der Freiheit, der damit verbundene Gedanke der Gleichheit stellt niemanden rechtlos, vgl. M. Kriele, Recht - Vernunft - Wirklichkeit, 1990, S. 149. Zur Identität von Recht und Freiheit - teils vorgreifend auf den weiteren Text - , vgl. auch H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 44. „Kein Staat habe das Recht, Leib, Leben oder persönliche Freiheit... zu gefährden oder zu verletzen", BVerfGE 94, 49 (103); siehe auch BVerfGE 54, 341 (357); 76, 143 (157 f.); 80,315 (333). Vgl. weiterhin Art. 1 ; 30 AllgErklMenschenR; Präambel und Art. 2 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) (die AllgErklMenschenR besitzt ein „hohes Maß an rechtlicher Bedeutung", vgl. BVerfGE 95, 96 (122), wie auch der IPbürgR, „als Konkretisierung dessen, was die allen Völkern gemeinsame, auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugung" darstellt, BVerfGE 95, 96 (123)), vor allem unter Berücksichtigung des siebten Erwägungsgrundes der Präambel der AllgErklMenschenR („da eine gemeinsame Auffassung über diese Rechte und Freiheiten von größter Wichtigkeit für die volle Erfüllung dieser Verpflichtung ist, verkündet die Generalversammlung die vorliegende Allgemeine Erklärung der Menschenrechte als das von allen Völkern und Nationen zu erreichende gemeinsame Ideal..."); diesen anerkennend der erste Erwägungsgrund der Präambel der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 04. 11. 1950; siehe ferner auch Charta von Paris für ein neues Europa (Erklärung des Pariser KSZE-Treffens der Staatsund Regierungschefs) vom 21. 11. 1990; Dokument des Moskauer Treffens der Konferenz über die Menschliche Dimension der KSZE vom 3. 10. 1991; Art. 3 lit. k. der Satzung der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vom 05. 12. 1985; Zweiter Erwägungsgrund der Präambel, ferner Art 1 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) vom 22. 11. 1969; Sechster Erwägungsgrund der Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker (AfrMRK) vom 27. 06. 1981; Dritter Erwägungsgrund der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) vom 28. 02. 1986; Dritter Erwägungsgrund sowie Art. F Abs. 2 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) vom 07. 02. 1992 (jetzt Art. 6 Abs. 2 EUV); i.d.S. auch Erster Erwägungsgrund des Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abk.) vom 02. 05. 1992; sowie Art. 1 Abs. 2 GG. Es gibt ein „Gebot materieller Gerechtigkeit, das auch die Achtung der völkerrechtlich anerkannten Menschenrechte aufnimmt", BVerfGE 95, 96 (133, s.a. 135); vgl. schon BVerfGE 31, 58 (76). Vgl. ferner auch F. Nietzsche, Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, S. 198. Zur Freiheit als Betätigung des eigenen Willens, vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (Orginaltitel: De l'Esprit des Lois) (1748), ed. Reclam, 1989, S. 250. Das Freie und Unveräußerliche sei der Wille, vgl. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 46, 141; siehe auch A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 396 f.; ders., Über den Willen in der Natur, S. 402.

1. Teil: Grundlagen der Republik

36

Der Begriff der Freiheit muß daher der Ausgangs- und der Mittelpunkt jedweden Systems von und zwischen Menschen sein, was bedeutet, daß es mit ihm zusammen besteht175; denn Freiheit ist der „höchste Zustand" auf Erden 176: 175 Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 250 f.; J. Locke, Über die Regierung, S. 15; /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 337, 345; vgl. ders., Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, S. 146, 148; ders. y Zum ewigen Frieden, S. 204 (zu Kant insbesondere im weiteren Text); W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, S. 37, F. W. J. Schelling , Über das Wesen der menschlichen Freiheit, S. 45 f. Zur Freiheit als Prinzip, vgl. W. Maihof er, Prinzipien freiheitlicher Demokratie, HVerfR, 2. Aufl. 1994, § 12, S. 427 ff., 433, 463, 490 ff. Der Sache nach auch J. Habermas, Staatsbürgerschaft und nationale Identität, (1990), in: ders., Faktizität und Geltung, 1992, S. 632 ff., 652 f.; ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 126; auch Κ R. Popper, Zum Thema Freiheit (1958), in: ders., Alles Leben ist Problemlösen. Über Erkenntnis, Geschichte und Politik, 8. Aufl. 1996, S. 155 ff., 171; ders., Gegen den Zynismus in der Interpretation der Geschichte (1991), in: ders., Alles Leben ist Problemlösen, S. 265 ff., 278 f.; F. A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, S. 19; W. Kersting, Die verbindlichkeitstheoretischen Argumente der Kantischen Rechtsphilosophie, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, 1990, S. 62 ff., 69; F. Müller, Essays zur Theorie und Verfassung, 1990, S. 151; G. Robbers, Zur Verteidigung einer Wertorientierung in der Rechtsdogmatik, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, 1990, S. 162 ff., 172; 7. Rawls, Kantischer Konstruktivismus in der Moraltheorie, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus. Aufsätze 1978-1989, ed. Hinsch, 1992, S. 80 ff., 88; ders., Der Vorrang der Grundfreiheiten, in: ders., Die Idee des politischen Liberalismus, S. 159 ff., 163; D. Merten, Sozialrecht, Sozialpolitik, HVerfR, § 20, S. 961 ff., 977; Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 253 ff.; ders., Freiheit in der Republik, Manuskript 1999, S. 1 ff.; siehe auch C. Starck, Zur Notwendigkeit einer Wertbegründung des Rechts, in: R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, 1990, S. 47 ff., 55; ders., Die Bedeutung der Rechtsphilosophie für das positive Recht, in: R. Alexy/ R. Dreierl U. Neumann: Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, 1991, S. 376 ff., 390 (Freiheit auch als Voraussetzung der sogenannten Diskurstheorie). Woraus logisch ein Einfluß der Kantschen Rechtsphilosophie sowohl auf das Bundesverfassungsgericht wie auch das Grundgesetz Deutschlands folgt, vgl. P. Böhm in: G. Graf, Diskussionsbericht, Diskussion im Anschluß an das Referat von R. Alexy, Die immanente Moral des Grundgesetzes, in: F. Bydlinskil T. Mayer-Maly, Rechtsethik und Rechtspraxis, 1990, S. 128; R. Alexy in: ebd., S. 129; vgl. weiterhin W. Schreckenberger, Die Universalität der Menschenrechte als Prinzip der Rechtsrhetorik, in: Festschrift W. Maihofer, 1988, S. 481 ff., 483; A. Kaufmann, Problemgeschichte der Rechtsphilosophie, in: ders./ W. Hassemer, Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, 5. Aufl. 1989, S. 25 ff., 65; G. Roelleke, Wende der deutschen Rechtsphilosophie, in: R. Alexy/ R. Dreierl U. Neumann, Rechts- und Sozialphilosophie in Deutschland heute, 1991, S. 287 ff., 292.

Zumal: die Geltung bestimmter voranstehender Normen ist die Bedingung der Möglichkeit sinnvoller Argumentation, vgl. W. Kuhlmann, Zur logischen Struktur transzendentalpragmatischer Normenbegründung, in: W. Oelmüller (Hrsg.), Transzendentalphilosophische Normenbegründung, 1978, S. 15 ff., 26. Menschenrechte sind die gemeinsame Sprache der Welt, die jeder versteht, R. Marcic, Geschichte der Rechtsphilosophie - Schwerpunkte - Kontrapunkte, 1971, S. 32 ff., 39. 176

So J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 142. H. Kelsen, Was ist Gerechtigkeit?, 1953, S. 8 f., verkennt in einem Zirkelschluß die Frage nach einer „Rangordnung" von Leben und Freiheit. Richtig: ders., Der soziologische und der juri-

37

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

„Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit be«177 gegnen

Diese Unabhängigkeit, von anderen nicht zu etwas verbunden zu werden, als wozu man andere nicht auch verbinden könnte, die Freiheit ist es, was die angeborene Gleichheit178 der Menschen, als „die Freiheit aller und damit die Gleichheit aller in der Freiheit"

1*70

und deren Würde

1

fiO

begründet

tei

. Ein jeder ist un-

stische Staatsbegriff, 2. Aufl. 1928, S. 87. Ob Kelsen Kant hinreichend durchdacht habe, vgl. G. Winkler, Rechtstheorie und Erkenntnislehre, 1990, S. 129, 134. Freiheit ist das Heiligste, vgl. F. v. Schiller, Brief an Herzog F. C. v. Augustenberg (13. Juli 1793), in: Sämtliche Werke, 10. Bd., 1927, S. 102 ff., 102, 105; F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, S. 58. Siehe auch: F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus, S. 42; M. Salomon , Recht und Kritik (nach einem Ausspruch Gottfried Kellers), in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 40 ff., 46. „Kants Ideen bewegen sich am Horizonte der Ewigkeit", P. Menzer, Gedanken über Kant, S. 271; H. Ryjfel, Verantwortung als sittliches Phänomen - ein Grundzug moderner Praxis, in: Der Staat, 6. Bd., 1967, S. 275 ff., 288. 177

Art. 1 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (AllgErklMenschenR) vom 10. 12. 1948. 178 So schon Papst Gregor der Große (ca. 540-604), über dessen grundlegenden Kommentar zum Buch Hiob im 11. Jahrhundert in allen Klöstern des Abendlandes meditiert wurde, vgl. G. Duby , Die drei Ordnungen. Das Weltbild des Feudalismus, 1986, S. 60. Zur Überwindung der Kluft zwischen Erlösten und Verdammten zugunsten des allgemeinen Bandes der Menschheit, vgl. C. L. Albanese , Sons of the Fathers. The Civil Religion of the American Revolution, 1976, S. 117, 224. Zu „Spannungen" zwischen „Freiheit und Gleichheit" vgl. BVerfGE 5, 85 (206); dazu Κ A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 177 ff., 178, 422 ff., insbes. 424. Zur Gleichheit als abstrakten Identität des Verstandes, vgl. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 113. Zur Gleichheit, vgl. ferner /. Ebsen, Gleichberechtigung von Männern und Frauen, HVerfR, § 8, S. 263 ff. 179

Κ Α. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 4, s.a. 253, passim. Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69; dazu Κ Α. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 7 f. Zum Begriff vgl. 1. Teil, 1. Kap., 1. Grundlagen der Freiheit, insbes. Fn. 89 f. „Würde ... kann keinem Menschen genommen werden", BVerfGE 87, 209 (228). Die Menschenwürde ist unantastbar, vgl. BVerfGE 30, 1 (25), auch nicht durch den verfassungsändernden Gesetzgeber, vgl. BVerfGE 30, 1 (26); 84, 90 (120 f.). Die Menschenwürde „als Wurzel aller Grundrechte ist mit keinem Grundrecht abwägungsfähig", BVerfGE 93, 266 (293). Zur „Würde des Staates" BVerfGE 81, 278 (286, siehe auch 180

288).

181

Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69, 73, 81; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 138; W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, S. 205; A. Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 695 f.; E. M. Arndt, Über Grundrechte und Vorrechte (In der 52. Sitzung der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt, 01. August 1848), in: ders., Staat und Vaterland. Eine Auswahl aus seinen politischen Schriften, ed. Müsebeck, 1921, S. 96 ff., hier 96; Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 8 f., passim. „Denn in Dingen des Rechts ist „gleich" in erster Linie Rücksicht auf Würdigkeit", Aristoteles, Nikomachische Ethik, S. 225. Zur gegenseitigen

38

1. Teil: Grundlagen der Republik

bescholten geboren, hat niemandem von Geburt an Unrecht getan, und wird so mit der Möglichkeit geboren, sein eigener Herr zu werden, zu sein 1 8 2 . Jedes Wesen kann sein eigenes Werk werden 1 8 3 ; die Freiheit wird daher mitunter auch als ein negativer Begriff, als die Abwesenheit alles den Willen Hindernden, gedacht 1 8 4 . Entsteht eine Handlung aus einem inneren Grund, der Autonomie des Willens folgend 185 , so ist sie eine freiwillige Handlung; erst wenn dieser innere Grund durch die Vorstellung des Besten bestimmt wird, so heißt die Freiwilligkeit Freiheit 1 8 6 . Freiheit heißt somit nicht Ungebundenheit 187 , sondern Unabhängigkeit der Willkür, auch „von der Nötigung durch Antriebe der Sinnlichkeit" 1 8 8 . In dieser Idee, diesem Begriff stimmen alle Menschen überein, er ist allen Menschen gemeinsam 189 .

Angewiesenheit von Freiheit und Gleichheit, vgl. P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage der staatlichen Gemeinschaft, HStR, Bd. I, 1987, § 20, S. 815 ff.; M. Kriele, Freiheit und Gleichheit, HVerfR, 1984, S. 129 ff., insbes. 134. Zur Würde, die jedem Menschen schon kraft seiner Existenz zusteht, vgl. auch P. Kirchhof Die Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts in Zeiten des Umbruchs, NJW 1996, S. 1497 ff., 1498; weiterhin BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (252). Zur Bindung von Gleichheit an Freiheit, vgl. F. Müller, Essays zur Theorie und Verfassung, S. 143, 159. 182 Vgl. J. Locke, Über die Regierung, S. 5, 8, 19, 41; J.-J. Rousseau, Vom Gesellschaftsvertrag oder Grundsätze des Staatsrechts, S. 6, 106; /. Kant, Mutmaßlicher Anfang der Menschengeschichte, S. 91; ders., Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, S. 146; ders., Zum ewigen Frieden, S. 204; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 345, 397; J. S. Mill, Über die Freiheit (Orginaltitel: On Liberty) (1859), ed. Reclam, 1988, S. 11; Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 332 ff., insbes. 333 f.. Zu „Jedermann-Rechten", vgl. W. Rüfner, Grundrechtsträger, HStR, Bd. V, 1992, § 116, S. 485 ff. 183 Vgl. A. Schopenhauer, Über den Willen in der Natur, S. 380; Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 334. 184 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 395; ders., Preisschrift über die Freiheit des Willens, S. 521 ff.; ders., Parerga und Paralipomeni Bd. II, S. 285; F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, S. 86. 185 Vgl. 1. Teil, 1. Kap. 1. Grundlagen der Freiheit; desweiteren J. Habermas, Faktizität und Geltung, 112 ff.; ders., Die Einbeziehung des Anderen, S. 87 ff., 237 ff., 277 ff., 293 ff.; K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht. Kritik der Fiskustheorie, exemplifiziert an § 1 UWG, 1986, S. 138 ff.; ders., Res publica res populi, S. 275 ff., passim; ders., Freiheit in der Republik, 1 ff. 186 Vgl. I. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 459; vgl. zur Autonomie, ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81, 86. 187 Vgl. I. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, S. 676. 188 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 489. 189 Vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 201. Zu der nach den Eigenschaften des Freiheitsvermögens, von „physischen Bestimmungen unabhängigen Persönlichkeit (homo noumenon)", vgl.1. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 347; zur Formalität vgl. auch K. A. Schachtschneider, Freiheit in der Republik, S. 91 ff.

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

39

Nur eine den Gründen der Vernunft folgende Handlung ist auch objektiv notwendig 190 . Ist der Wille nicht der Vernunft gemäß 1 9 1 , folgt der Wille nicht völlig den Gründen der Vernunft, so ist die resultierende Handlung eine subjektiv zufällige. Sie wäre dem Gebot, dessen Formel der Imperativ, ausgedrückt durch ein Sollen ist, zuwider. Eine solche Willensbestimmung könnte auch Nötigung darstellen, verursacht durch einen nicht durchwegs guten W i l l e n 1 9 2 . Hierbei ist ein Imperativ, der eine Handlung an sich als gut und notwendig in einem der Vernunft gemäßen Willen vorstellt, ein kategorischer 193 . Er betrifft nur die Form und das Prinzip der Handlung, die Gesinnung, nicht deren Absicht oder Zweck 1 9 4 . Dieser Imperativ ist der der Sittlichkeit 195 , das Sittengesetz 196 .

Menschenwürde und Freiheit kommen allen Menschen zu, die Menschen sind insoweit gleich, vgl. BVerfGE 5, 85 (205), denn die Verfassung geht von den Grundprinzipien Menschenwürde und Freiheitlichkeit aus, vgl. BVerfGE 90, 1 (20). Eben diese Menschenwürde kommt - für Deutschland verbindlich - auch dem ungeborenen Leben zu, vgl. BVerfGE 88, 203 (Ls. 1, 251 f.); s.a. BVerfGE 39,1 (37,41). Freiheit ist im Dasein, vorgreifend: das Recht sei das Dasein des freien Willens, gleichsam Freiheit als Idee, vgl. F. Schlegel, Versuch über den Begriff des Republikanismus. Veranlaßt durch die Kantische Schrift zum ewigen Frieden (1796), in: Gesellschaft und Staat im Spiegel deutscher Romantik. Die Herdflamme, Bd. 8, ed. Spann, 1924, S. 27 ff., 29; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 80. Vgl. zum Paradox und zur Faktizität der Freiheit auch J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 845 f. Freiheit ist im Wesen selbst, vgl. A. Schopenhauer, Über den Willen in der Natur, S. 343 f. 190 Notwendig im Sinne innerer Notwendigkeit, d.h., daß das Gegenteil sich selbst widerspräche, vgl. /. Kant, Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, S. 642; wobei ein Ding notwendig in Bezug auf sein Wesen oder seine Ursache genannt wird, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 81. 191 Denn der Wille ist von der Fähigkeit des Erkennens verschieden, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 237. 192 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41 f. 193 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 43. 194 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 44 f. 195 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 45. 196 In neuerer Verfassungsrechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht erkannt, daß sich Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtstaatlichkeit aus dem Sittengesetz ergeben, vgl. E 93, 213 (221). Zu seiner Entstehung BVerfGE 80, 137 (165); 6, 32 (39); davor mit verschiedensten Ansichten und Erwähnungen unter anderem BVerfGE 6, 32 (36); 6, 389 (389, 405, 434 ff.); 30, 173 (192); 32, 98 (107); 39, 1 (43); 87, 234 (246); 90, 145 (157). Nicht zu verwechseln mit „guten Sitten", die E. Ksoll, Deutsches Staatsrecht, 1966, S. 77, neben abendländischer Kultur als umstrittenen Inhalt des Sittengesetzes anbietet, siehe auch J. M. Wintrich, Zur Problematik der Grundrechte, 1957, S. 25; zu den Sitten weiterführend Κ Α. Schachtschneider, Das Sittengesetz und die guten Sitten, in: Festschrift W. Thieme, 1994, S. 195 ff.; ferner F. Nietzsche, Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, S. 24. Ebenfalls mehrere Deutungen des Sittengesetzes bietet R. Zippelius, Wertungsprobleme im System der Grundrechte, 1962, S. 23; richtiger zum kategorischen Imperativ ders., Recht und Gerechtigkeit in der offenen Gesellschaft, 1994, S. 45 f.; vgl. hingegen /. v. Münch, Artikel 2, in: ders. (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 1, 3. Aufl. 1985, S. 111 ff., 132.

40

1. Teil: Grundlagen der Republik

Dieser kategorische Imperativ ist nur ein einziger, er entstammt der Freiheit 197 und er zeigt die Notwendigkeit einer freien Handlung, ihre Verbindlichkeit 198: „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" 199 ;

Zum Benennen des Begriff des Sittengesetzes im deutschen Grundgesetz, vgl. Parlamentarischer Rat, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Entwürfe), 1948/ 49, S. 17 (Einführung des Begriffes); ders., Schriftlicher Bericht zum Entwurf des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (Drucksachen Nr. 850, 854), Anlage zum stenographischen Bericht der 9. Sitzung des parlamentarischen Rates am 6. Mai 1949, 1948/ 49, S. 7 (v. Mangold: „ethischen Gehalt"); ders., 1948-49. Akten und Protokolle. Band 5/ II, Herausgegeben vom Deutschen Bundestag und vom Bundesarchiv, 1993, S. 607 (v. Mangold: „ethisches Grundgesetz" in der Sitzung vom 19. 11. 1948); W. Roemer, Zum Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit, 1960, S. 545; R. Scholz, Das Grundrecht der freien Entfaltung der Persönlichkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, AÖR, Bd. 100, 1975, S. 80 ff, 265 ff., S. 284; T. Schramm, Staatsrecht. Bd. II, S. 40; siehe ferner auch E. Stummer, Das Sittengesetz im öffentlichen Bereich, BayVBl 1965, S. 185 ff., insbes. 186 f. 197 Vgl. I. Kant, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie, (1796), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 5, 1983, S. 403 ff., 408. 198 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 327, 331. „Der kategorische Imperativ ist ein Sozialprinzip", H. Wolff, Das Selbstinteresse bei Adam Smith und Kants kategorischer Imperativ, in: Kant-Festschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 153 ff., 176. Zur Unerbittlichkeit und Bedeutung, vgl. P. Menzer, Gedanken über Kant, in: KantFestschrift zu Kants 200. Geburtstag, 1924, S. 248 ff., 260 f. Zur unmittelbaren Verpflichtung des Sittengesetzes als einem höchsten Zweck, einem Zweck an sich selbst, vgl. R. v. Laun, Staat und Volk, 2. Aufl. 1971, S. 347, 362. Vgl. auch Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 259 ff., 267 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1980 ff., Bd. III/ 2, S. 504. 199 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 51; vgl. ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 140; ders., Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie, S. 414; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 61, 331 f. Vgl. ferner W. v. Humboldt, Plan einer vergleichenden Anthropologie, S. 15; F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, S. 11. Nicht nachvollziehbar: K. Brinkmann, Verfassungslehre, 1991, S. 158; Brinkmann glaubt, mit Kant auch das Dritte Reich legitimieren zu können? Vgl. dagegen: A. Bleckmann, Allgemeine Grundrechtslehren, 1979, S. 251; M. Diesselhorst, Die Euthanasie im „Dritten Reich", in: R. Dreierl W. Sellert (Hrsg.), Recht und Justiz im Dritten Reich, 1989, S. 118 ff., 134 f. Zum Sittengesetz als ethische Norm, die zu allen Zeiten für alle Menschen gilt, vgl. Η. v. Mangoldtl F. Klein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Aufl. 1966, S. 185 ff., P. Saladin, Grundrechte im Wandel, 1970, S. 283; zum Sittengesetz als ethischer Freiheitsgrenze, vgl. Η. v. Mangoldtl F. Kleinl C. Starck, Das Bonner Grundgesetz, Bd. 1, 3. Aufl. 1985, S. 167; T. Maunz, Deutsches Staatsrecht, 29. Aufl. 1994, S. 172; Κ. A. Schachtschneider, Die deutsche Staatsrechtslehre in der Wende, JÖR, Bd. 42, 1994, S. 54. Zum Sittengesetz als republikanischem Schlüsselbegriff, ders., Res publica res populi, S. 259 ff., insbes. 265, 273; ders., Freiheit in der Republik, 1 ff., 16 ff., 69 ff.; vgl. weiterhin T. Schramm, Staatsrecht. Bd. II: Grundrechte und ihre verfassungsmäßige Absicherung, 3. Aufl. 1985, S. 113 f.; auch R. v. Weizsäcker, Die deutsche Geschichte geht weiter, 1986, S. 124. Das Recht ruht auf dem Sittengesetz auf, vgl. W. Wertenbruch, Grundgesetz und

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

41

in der Zweckformel des praktischen Imperativs: „Handle so, daß du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest"2**0. Bei dem, was gut sein soll, genügt es nicht, daß etwas dem sittlichen Gesetz gemäß ist, es muß auch um seinetwillen geschehen 201 , denn der Begriff des Guten läßt sich nur nach dem und durch das Sittengesetz bestimmen 202 . Damit hat gleichsam nichts einen Wert, als jenen, den ihm die Tauglichkeit der Maxime zu einem allgemeinen Gesetz, einem Satz, welcher ein Gebot enthält 203 , bestimmt: die Zukunft bestimmt dem Heute die Regel 2 0 4 . Daher ist es die eigene Gesetzgebung, als Bestimmungsgrund des Willens in der Maxime enthalten, welche die Autonomie des Menschen, mithin den inneren unvergleichbaren Wert, die menschliche Würde

begründet

: die Fähigkeit der allgemeinen

Menschenwürde, 1958, S. 134; am Sittengesetz und der resultierenden Mitmenschlichkeit kommt keine Rechtsordnung vorbei, vgl. C. Starck, Zur Notwendigkeit einer Wertbegründung des Rechts, S. 56; siehe vorsichtig auch ders., Zur Notwendigkeit einer Wertbegründung des Rechts (1989), in: Festschrift W. Geiger, 1989, S. 40 ff., 53. „Wir stehen alle unter dem alles beherrschenden kategorischen Imperativ Kants", A. Troller, Die Begegnung von Philosophie, Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft, 1971, S. 161; vgl. ferner E. Huber, Recht und Rechtsverwirklichung, 2. Aufl. 1925, S. 34 ff. Zum (katholischen) Sittengesetz als „Wächter der Menschenrechte", vgl. Papst Johannes Paul II, Predigt in Drogheda/ Irland am 29. 9. 1979, zit. nach: M. Spieker, Menschenrechte in der katholischen Soziallehre, in: Festschrift W. Geiger, 1989, S. 61 ff., 66. 200

/. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 61; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 140. 201 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 14. 202 Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S.180. 203 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 334. 2{H Vgl. F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, S. 11. 205 Vgl. oben im Text sowie BVerfGE 80, 367 (383); Zur „Menschenwürde" als „Würde des Menschen als Gattungswesen": „Jeder besitzt sie ... Sie kann keinem Menschen genommen werden", BVerfGE 87, 209 (228); denn sie ist als „Würde des Menschseins ... im Dasein um seiner selbst willen", BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (252, 267). Zur Würde als oberstem Wert, BVerfGE 6, 32 (41); 27, 1 (6); 30, 173 (193). Zur Würde und sittlichem Wert, vgl. BVerfGE 93, 266 (317); ferner BVerfGE 92, 1 (6). Zur Unverletzlichkeit der Menschenwürde, BVerfGE 84, 90 (120 f.); 94, 49 (102 f.); die nicht rein national verstanden werden kann, BVerfGE 94, 49 (73 f.), denn es gibt allen Völkern gemeinsame, auf Wert und Würde des Menschen bezogene Rechtsüberzeugungen, Menschenrechte, BVerfGE 95, 96 (111 f., 123). Insofern ist die Menschenwürde oberstes Konstitutionsprinzip, BVerfGE 95, 220 (241), freilich nur in Bezug auf natürliche Personen, BVerfGE 95, 220 (242). Siehe auch BVerfGE 24, 119 (144); 72, 155 (172); 79, 256 (269); 80, 315 (333). Zur Würde als dem Wesentlichen des Menschen, vgl. W. Schmitt-Glaeser, Schutz der Privatsphäre, HStR, Bd. VI, § 129, 1989, S. 41 ff., 55. Vgl. desweiteren Κ Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/ 1, S. 3 ff., insbes. 6. Zum Zusammenhang von Würde und Sittlichkeit, vgl. E. Benda, Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht, HVerfR, § 6, S. 164 f., zur Idealvorstellung sittlicher Selbstverwirklichung auch S. 169; Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 728 ff.; sowie P. Häberle, Die Menschenwürde als Grundlage staatlicher Ge-

42

1. Teil: Grundlagen der Republik

Gesetzgebung aus Vernunft, als Fähigkeit der Vernunft, für sich selbst praktisch zu sein, welche dem gemeinsten Verstände zu eigen ist 207 , „obgleich mit dem Beding, eben dieser Gesetzgebung zugleich selbst unterworfen zu sein"208. Der Mensch kann daher bereuen, was er gewollt hat, wesentlich aber ist zu bereuen, was er getan hat 209 ; resultierend aus der Erkenntnis, daß er sich von

meinschaft, HStR, § 20, S. 836 (G. Dürig, Artikel 1 (1958), in: T. Maurizi G. Düng, Kommentar zum Grundgesetz, Rdn. 1 f. zitierend); zur Menschenwürde als in der Kontinuität philosophischer Überlieferung stehend, vgl. P. Häberle, S. 835 (mit Verweis auf C. Starck). m Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 69, 73, 81; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 138. Hierzu schon 1486 G. P. d. Mirandola , Aus der Rede „Über die Würde des Menschen", in: ders., Ausgewählte Schriften, 1905, S. 183 f.: „Alle anderen Wesen in der Schöpfung haben wir bestimmten Gesetzen unterworfen. Du (sc. Adam) allein bist nirgends beengt und kannst dir nehmen und erwählen, das zu sein, was du nach deinem Willen zu sein beschließest". 207

Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 136, 189; denn auch er richtet sich selbst nach seinem Gewissen, ebd., S. 223; J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 118 f., 168; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, S. 244 f.; A. Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral (1840), in: Die beiden Grundprobleme der Ethik, in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 3, 2. Aufl. 1989, S. 629 ff., 795. Zur Gewissensfreiheit des Art. 4 GG und das Gewissen als konstituierendes Element der Persönlichkeit, vgl. BVerfGE 79, 256 (268); zur Gewissensfreiheit als übergreifendem Prinzip, BVerfGE41, 88 (103). Dies ist die Erkenntnis seiner selbst, vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 466 f.; dabei gibt es keine Erkenntnis „von mir, wie ich bin, sondern bloß, wie ich mir selbst erscheine", I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 153. Der Mensch ist sich des Geschehenen gewiß, vgl. A. Schopenhauer, Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 699. Zum Instinkt des Bewußtsein der Verantwortlichkeit des souveränen Menschen als Gewissen, vgl. F. Nietzsche, Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift (1887), in: Das Hauptwerk, ed. Nymphenburger, Bd. IV, 1990, S. 1 ff., 52. In dieser Gewißheit kann der Mensch nicht irren, vgl. I. Kant, Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche in der Theodizee (1791), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 103 ff., 120. Irrtum wird durch unbewußten Einfluß der Sinnlichkeit bewirkt, vgl. ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 308 f. Zur Begrenzung der Gewissensfreiheit auf die ihrer Natur nach beschränkte menschliche Wahrnehmungsfähigkeit, vgl. H. Betghe, Gewissensfreiheit, HStR, Bd. VI, 1989, § 137, S. 435 ff., 438; K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 675. Irrtum resultiere stets aus dem Schluß von der Folge auf den Grund, vgl. A. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 561 f. 208 I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 74; vgl. ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 132 f.; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 318. 2 m Denn der Mensch ist verantwortlich für das, was er tut, auch, weil er verantwortlich ist für das, was er ist, vgl. A. G. ζ . Dohna, Verantwortung und Recht, in: H. Keyserling (Hrsg.), Gesetz und Freiheit. Veröffentlichungen der Schule der Weisheit. Der Leuchter. Weltanschauung und Lebensgestaltung, 7. Buch, 1926, S. 69 ff., 76; H. G. Keyserling, Der letzte Sinn der Freiheit, in: ders. (Hrsg.), Gesetz und Freiheit, 1926, S. 231 ff., 256 f.

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

43

falschen Begriffen hat leiten lassen210. Wer das Wissen vermehrt, vermehrt den Schmerz; das Leben ist wesentlich auch Leiden 211 . Dabei ist das Wollen und das Tun zwar gedanklich ein getrenntes, in die Wirklichkeit aber treten sie als eins212, wenngleich der Wille nicht durch das, was er bewirkt, sondern durch das, was er „will", an sich gut sein kann 213 . Eine Handlung hat ihren Wert nicht in der Absicht einer Folge, sondern nur aus der Idee und der Maxime, dem Motiv und der Gesinnung - dem Gewollten - heraus, aus der sie beschlossen wird 214 .

Die Eigenschaft des Willens, nach welcher die Person bestimmte Prinzipien bildet, die sie sich durch ihre Vernunft vorschreibt, macht den Charakter aus; es kommt darauf an, was der Mensch aus sich selbst macht, vgl. /. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 633. Der Mensch kann aufgrund seiner Vernunftfähigkeit sich zum vernünftigen Wesen entwickeln, der erste Teil hierzu wird ihm in seiner Erziehung gelegt, vgl. ebd., S. 672 ff. Siehe auch J. Locke, Über die Regierung, S. 45 f., 130 f. 210 „Der erste formale Grund aller Verbindlichkeit zu handeln sei": „Tue das Vollkommenste, was durch dich möglich ist", vgl. /. Kant, Untersuchung über die Deutlichkeit der Grundsätze der natürlichen Theologie und der Moral. Zur Beantwortung der Frage, welche die Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin auf das Jahr 1763 aufgegeben hat (1764), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 2, 1983, S. 739 ff., 771. Vgl. weiterhin A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 407 f. Falschheit entspringt zumeist der Erkenntnis erster Gattung (Fn. 4), vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 211. Der kategorische Imperativ wirkt bei der Maximenbestimmung vor, denn er steuert zukünftiges Handeln, vgl. P. Häberle, Rechtsvergleichung im Kraftfeld des Verfassungsstaates, 1992, S. 343; /. v. Münch, Artikel 2, S. 135; siehe auch M. Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung entwickelt am Problem der Verfassungsinterpretation, 1967, S. 120; weiterführend: Κ Α. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 265 f.; 267 ff., passim. 211

Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 426; zum Ursprung vgl. Salomo, Kap. 1, 18; B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 475. Leiden wird hier sowohl im Sinne eines Schmerzempfindens, viel mehr aber noch im Sinne eines passiven Erduldens von Affektionen (als Gegenbegriff zu handeln, dessen adäquate Ursache der Mensch ist) verstanden, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 255. Zum unpersönlichen Schicksal (Moira) schon in der universellen Ordnung des Zeus, vgl. R. Tarnas, Idee und Leidenschaft, S. 24; weiterführend J. Cambell, The Masks of God, Bd. 3: Occidental Mytholgie, 1964, insbes. S. 157 ff. 212 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 672; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 158; ders., Über den Willen in der Natur, S. 393, 397. In jedem Wollen sind Gefühl, Denken und Affekt als Bewußtsein vereint, vgl. F. Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, S. 553. Es gibt dabei aber kein absolutes Wollen, sondern nur einzelne, bejahende oder verneinende Willensakte, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 231. 213 Vgl. /. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 19; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 159; F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, S. 101; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse, S. 214 f. 214 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 19, 26; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 159; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 214 f., 222 f.; umgekehrt: J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 145 f. Zum „Sollen" und nicht des

1. Teil: Grundlagen der Republik

44

Als sittlich bezeichnet werden kann somit auch die Form und das Prinzip der Gesinnung des Wollens, welches dem moralischen Gesetz folgend das wesentlich-Gute will; unabhängig vom Erfolg der Handlung215. Dies liegt in der Idee des absoluten Wertes des Willens 216 . Anders wäre auch nur die Legalität der Handlung, nicht aber die Moralität der Gesinnung bewirkt 217, aber das moralische Gesetz liegt im Menschen begründet218. Dabei ist die Möglichkeit der Sittlichkeit in ihrem Umfang davon abhängig, daß der Sinn der Kausalität die notwendigen Wirkungen begreift, denn die wirkliche Welt ist viel kleiner als die phantastische219. Jede Notwendigkeit ist eine bedingte, notwendig-sein heißt, einem gegebenen Grund zu folgen 220. Ist eine freie Handlung unter dem Sittengesetz als notwendig erkannt worden, folgt daraus ihre Verbindlichkeit 221, welche auch insoweit Nötigung enthält, als die Begehung oder Unterlassung dieser Handlung sich als Pflicht darstellt 222. Das Unmittelbarste, welches das Bewußtsein des Menschen seiner selbst als Bedingung aller logischen Form der Erkenntnis223 - als einer Vorstellung der Selbsttätigkeit und Einheit, als sich selbst erkennende Seele des denkenden ΑΛi

A^f

Subjekts ausmacht, ist sein Wille : „Nur ein vernünftiges Wesen hat das Vermögen, ..., zu handeln, oder einen Willen" 226 . Er wird unmittelbar und an sich selbst erkannt, damit verbunden liegt in dem Bewußtsein als Ausdruck der „Seins" als der Sphäre des Rechts, vgl. W. Maihofer, Recht und Sein. Prolegomena zu einer Rechtsontologie, 1954, S. 37, 122; siehe auch Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 294 f. 215 Vgl. /. Kant, Träume eines Geistersehers, erläutert durch Träume der Metaphysik, S. 943 f.; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 682; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 18, 26, 45; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 191. 216 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 19. Zur „Wesensanlage als geistig-sittliche Person", BVerfGE 4, 7 (15 f.); 6, 32 (36); 45, 187 (227); 80, 137 (166); ferner E 73, 206 (218, 238). Es ist „die Vorstellung der autonomen sittlichen Persönlichkeit, welcher der höchste Rechtswert zukommt", BVerfGE 41, 65 (73). 217 Vgl. /. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 287. 218 Vgl. I. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 300. Die „Gewissensentscheidung ... ist jede sittliche, d.h. an den Kategorien „Gut" und „Böse" orientierte Entscheidung", BVerfGE 12, 45 (Ls. 2, 55); ferner 12, 45 (54 f.); 48, 127(173). 219 Vgl. F. Nietzsche, Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile, S. 16. 220 Vgl. A. Schopenhauer, Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 181. 221 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 327. 222 Vgl. /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 329. 223 Vgl. I. Kant, Logik, S. 458. 224 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 256 f., 337, 341, 398, 591. 225 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 169. 226 1. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 41.

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

45

Vernunft die Erkenntnis der Freiheit 2 2 7 . Freiheit, als transzendentale Idee 2 2 8 , versteht sich hierbei als Möglichkeit 2 2 9 der Unabhängigkeit bei der Bestimmung des Willens, der Autonomie als Aufgabe der Vernunft 2 3 0 , somit als Freiheit des Willens 2 3 1 ; wenn nur die reine Vernunft den Ausschlag gibt, als freie W i l l k ü r 2 3 2 , denn von der Willkür gehen die Maximen des Handelns aus, nur sie kann eigentlich frei genannt werden 2 3 3 . Nur unter der Idee der Freiheit kann Wille ein eigener Wille sein, dies liegt dem Menschen seinem Wesen nach in der ihm eigenen Vernunft zugrunde 234 , anders wäre die Kausalität des eigenen Willens nicht denkbar 235 : der Mensch denkt sich dem Willen nach als frei 2 3 6 , der Wille ist an sich frei 227

, denn nur er ist nicht an den Satz vom Grunde gebunden

.

Vgl. I. Kant, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie, S. 408; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 92; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 174. 228 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 32, 506; im Gegensatz zur kosmologischen Idee als einem Vermögen, einen Zustand von Selbst anzufangen, vgl. ebd., S. 488, der aber als Hervorbringung einer an sich ursprünglichen Handlung nicht erwartbar ist, vgl. ebd., S. 496; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 107. Vgl. zur „Freiheit" als „Vollkommenheit", B. d. Spinoza, Der politische Traktat, ed. Reclam, 1906, S. 20. 229 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 532, insbes. Anmerkung; W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, S. 15. 230 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 49; ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 81. 231 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 488 f., 672; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 46, 60 f.; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 174. Siehe zur freien Absicht, J. C. Eccles, Die Psyche des Menschen, S. 134 ff. Nicht zu verwechseln mit der Täuschung hinsichtlich der Freiheit, die aufgrund fehlender Kenntnis der Ursachen der Handlungen angenommen wird, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 195, 267. 232 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 675; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 138; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 317. 233 Vgl. I. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 332. 234 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 82 f.; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 164; ders., Kritik der Urteilskraft, S. 243; J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 38, 148; F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, S. 102; G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 48. Siehe auch W. v. Humboldt, Plan einer vergleichenden Anthropologie, S. 30. 235 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 88; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 162; B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 5 f.; ders., Der politische Traktat, S. 20. Insofern: „freie Willensentschließung oder Zwang", vgl. BVerfGE 52, 223 (226). 236 Vgl. I. Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 91. Oder: der Mensch träumt mit offenen Augen, vgl. B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 269. 237 Vgl. G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht und Staats Wissenschaft im Grundrisse, S. 60 f.; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 396 f. Mit anderen Worten ist der Mensch zum „Prozeß freier Willensbildung" befähigt, vgl. BVerfGE 95, 355 (404); womit Entscheidung zu einer

46

1. Teil: Grundlagen der Republik

Freiheit ist ein reiner Vernunftbegriff 239 , der Gebrauch der Vernunft muß jederzeit ein freier sein können 2 4 0 , dies ist die Begründung der Persönlichkeit 241 . Der praktische Gebrauch der Vernunft führt zur Idee der Sittlichkeit, welche alleine durch die Freiheit ermöglicht w i r d 2 4 2 . Das in der Freiheit begründet liegende, der Vernunft entstammende Gesetz ist der gebietende, der kategorische Imperativ, das Sittengesetz 243 . Freiheit ist somit das Vermögen der inneren Gesetzgebung des Willens, der Vernunft; die vorhandene - Möglichkeit der Abweichung ist ein Unvermögen 244 . Die Idee der Freiheit - und ihre Realität 2 4 5 - findet sich in dem Verhältnis des Intellektuellen (als Ursache) zur Erscheinung (als Wirkung) 2 4 6 . Freiheit versteht sich hingegen nicht als die Möglichkeit, jede denkbare einzelne Handlungen auch durchführen zu können 2 4 7 , dies wäre der täuschende

Handlung entweder „auf unmittelbarem Zwang beruhe oder in freier Willensentschließung möglich sei", BVerfGE 52, 223 (226); ferner auch E 5, 85 (225). 238 Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 546. Was im Bereich des menschlichen Instinkt- und Triebsystems nicht immer bejaht werden kann, vgl. F . v. Cube, Besiege deinen Nächsten wie dich selbst, S. 25 ff. 239 Vgl. J. Locke, Über die Regierung, S. 47; /. Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 326; ferner B. d. Spinoza, Der politische Traktat, S. 22. 240 Vgl. /. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 54 f. 241 Vgl. /. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, S. 210. Vgl. ferner ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 472 ff., 547, 565; ders., Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 236 ff. 242 Vgl. I. Kant, Was heißt: sich im Denken orientieren?, S. 274 f.; ders., Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis (1793), in: Werke, ed. Weischedel, Bd. 9, 1983, S. 127 ff., 132 f.; siehe auch B. d. Spinoza, Die Ethik, S. 581. 243 Vgl. /. Kant, Verkündigung des nahen Abschlusses eines Traktats zum ewigen Frieden in der Philosophie, S. 408; ders., Kritik der praktischen Vernunft, S. 142; J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 144. 244 Vgl. I. Kant, Kritik der Urteilskraft, S. 246, 254, 270; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 333; F. W. J. Schelling, Über das Wesen der menschlichen Freiheit, S. 64. Freiheit muß der Mensch wollen, vgl. J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 114 f. 245 Vgl. I. Kant, Über die von der königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin für das Jahr 1791 ausgesetzte Preisfrage: Welches sind die wirklichen Fortschritte, die die Metaphysik seit Leibnitzens und Wolffs Zeiten in Deutschland gemacht hat?, S. 652. 246 Vgl. I. Kant, Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik die als Wissenschaft wird auftreten können, S. 217; ders., Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht, S. 33. Siehe auch J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 753 ff. 247 Vgl. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 672; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 174 f.; i. d. S. schon Μ. T. Cicero, Vom Gemeinwesen, S. 169; siehe auch Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 315 ff.

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

47

Schein einer Freiheit 2 4 8 , oder gar zu schließen, daß, „was der Mensch will, das kann e r " 2 4 9 ; denn die Freiheit ist durch Gesetze eingeschränkt, unter denen sie mit sich selbst zusammenstimmt 250 . Die Freiheit tritt nicht als Erscheinung hervor 2 5 1 : „Praktisch ist alles, was durch Freiheit möglich ist" 2 5 2 . Praktische Freiheit kann durch Erfahrung bewiesen werden 2 5 3 , die Bedingungen der Ausübung der freien Willkür sind an den Satz vom Grunde, das Gesetz der Kausalität in seiner Form des Gesetzes der Motivation aufgrund vorgängig bestimmter Gründe und die empirischen Bedingungen ihrer Ausübung gebunden 254 . Der Mensch wird geboren mit einem Anspruch auf seine vollkommene Freiheit 2 5 5 , den uneingeschränkten Genuß seiner Freiheit in Gleichheit mit jedem anderen Menschen auf dieser W e l t 2 5 6 . Dies ist das einzige Recht, welches dem

248

Vgl. A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 400; ders., Über den Willen in der Natur, S. 343, 401; ders., Parerga und Paralipomena, Bd. II, S. 278. 249 I. Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht, S. 439; vgl. J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 836 f.; siehe auch Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 315 ff., 427 ff. 250 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 313 f.; J. G. Fichte, Die Bestimmung des Menschen, S. 94, 117. Freiheit ist immer wertgebunden, vgl. H. C. Nipperdey, Freie Entfaltung der Persönlichkeit, in: K.-A. Bettermann/ H. C. Nipperdey, Die Grundrechte, Bd. 4 II, 1962, S. 741 ff., 823; Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 824 ff., insbes. 824 f. Zur situativen Bedingtheit der Freiheit, vgl. J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 895. 251 Vgl. A. Schopenhauer, Preisschrift über die Freiheit des Willens (1839), in: Die beiden Grundprobleme der Ethik, in: Sämtliche Werke, ed. Löhneysen, Bd. 3, 2. Aufl. 1989, S. 519 ff., 620 ff.; ders., Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 708, 794; ders., Parerga und Paralipomena, Bd. I, S. 254. Siehe auch J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 774 ff. 252

1. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 673. Das Mögliche läßt sich nicht auf eine subjektive Realität reduzieren, vgl. J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 204. 253 Vgl. /. Kant, Kritik der reinen Vernunft, S. 675. 254 Vgl. I. Kant, Neue Erhellung der ersten Grundsätze metaphysischer Erkenntnis, S. 459, 475; ders., Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes, S. 676; ders., Kritik der reinen Vernunft, S. 673; A. Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. I, S. 174 f., 395,414; ders., Preisschrift über die Freiheit des Willens, S. 623, passim; ders., Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 646 f.; ders., Die Welt als Wille und Vorstellung, Bd. II, S. 414. 255 Exemplarisch dagegen A. Rosenberg, Der Mythos des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelisch-geistigen Gestaltenkämpfe unserer Zeit, 17.-20. Aufl. 1934, S. 528 f., passim: „Die rasselose Autorität fordert die Anarchie der Freiheit... Und eine echte organische Freiheit ist nur innerhalb eines solchen Typuses möglich. ... Diese Begrenzung ist rassisch bedingt. ..." Folgerichtig :„The whole philosophy of individual liberty is under attack. ... Justices, peoples and governments are blindly wounding, even destroying those fundamental human liberties ... .",//. Hoover, The Callenge to Liberty, 1934, S. 1. 256

Vgl. J. Locke, Über die Regierung, S. 65, 73, 79 f., 145; siehe auch Α. Schopenhauer, Parerga und Paralipomena, Bd. II, S. 285; E. Benda, Menschenwürde und Per-

48

1. Teil: Grundlagen der Republik

Menschen kraft seines Daseins durch Geburt an und für sich zukommt; ein Recht, welches sich aus dem Inneren des Menschen begründet, äußere oder erworbene Rechtsverhältnisse ohne weitere Begründung auch aus sich heraus nicht zu leisten vermag; es ist somit das ursprüngliche Menschenrecht, das dem Menschen durch und mit Geburt zukommt, ihm folglich auch nicht mehr, so lange er lebt, genommen oder eingeschränkt werden kann und rechtens nicht darf 257 ; ein Versuch, Herrschaft über einen Menschen auszuüben, berechtigt denjenigen, dessen Freiheit verletzt wird, sich von der Herrschaft zur Freiheit, mithin zum Recht zu befreien 258. Freiheit umfaßt hierbei sowohl das innere Feld des Selbstbewußtseins, des Gewissens259, des Denkens und Fühlens, der Meinung und der Gesinnung, des Geschmacks, des eigenen Lebensplanes, wie auch das äußere Feld der freien Willkür aller 260 und der politischen Freiheit unter und zwischen den Menschen, die einander gleich sind, sich nicht schädigen, ihre Freiheit sittlich verantworten 261 und einander respektieren 262, ihre Macht nicht mißbrauchen, indem sie einander zu nichts zwingen, als dem, was ihnen die Freiheit, mithin das Recht

sönlichkeitsrecht, HVerfR, § 6, S. 161 ff.; Κ A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 4, 34, 37, passim. Siehe auch Art. 2; 7 AllgErklMenschenR; Art. 3; 4 Abs. 1 des Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966; Art. 3 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwirtR) vom 19. 12. 1966; Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 07. 03. 1966; Internationales Übereinkommen über die Bekämpfung und Ahndung des Verbrechens der Apartheid vom 30. 11. 1973; Übereinkommen von New York über die politischen Rechte der Frau vom 31. 03. 1953; Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. 12. 1979. 257 Vgl. /. Kant, Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung?, S. 55, 58; ders., Die Metaphysik der Sitten, S. 346. Siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 431, 434 f. 258 Vgl. I. Kant, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, S. 751. Siehe auch K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 311, 325 ff., 580, 581 f. Vgl. weiterführend 2. Teil, 1. Kap., 4. Die Republik als Staat des Rechts und der Freiheit. 259 Vgl. ferner Art. 18 AllgErklMenschenR. 260 Vgl. K. A. Schachtschneider, Res publica res populi, S. 301; hierzu 2. Teil, 2. Kap.: Die Gesetze; insbesondere 2. Teil, 2. Kap., 3. Privatheit. 261 Insofern Freiheit auch als „Wille zur Selbstverantwortung", vgl. F. Nietzsche, Götzendämmerung, S. 336. 262 Vgl. Montesquieu, Vom Geist der Gesetze, S. 275; J. S. Mill , Über die Freiheit, S. 20; H. Peters, Geschichtliche Entwicklung und Grundfragen der Verfassung, 1969, S. 184. Zu Freiheit und Verantwortlichkeit siehe auch J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts, S. 950 ff. Vgl. desweiteren BVerfGE 5, 85 (206).

49

2. Kapitel: Freiheit, Recht und Tugend

gebietet. Es ist Essential der Freiheit, daß kein Mensch sich vor einem anderen zu fürchten braucht 263 . Ob Stärke als natürliches Vermögen, durch ungesetzliche oder auch vermeint „göttliche" Machthaber: niemand hat das Recht, über eines einzelnen Menschen Freiheit zu verfügen oder gar zu herrschen, die Person allein hat nur das Recht über sich 2 6 4 , alles andere wäre despotische Gewalt 2 6 5 . Ein freiwilliger Verzicht eines Menschen auf seine Freiheitsrechte würde bezeugen, daß dieser nicht bei Verstand und Vernunft wäre, aber: „Wahnsinn schafft kein Recht" 2 6 6 , denn wird dem Willen die Freiheit genommen, so wird den Handlungen des Menschen auch jede Möglichkeit der Sittlichkeit - als Identität des Guten mit dem subjektiven W i l l e n 2 6 7 - genommen 268 . Schon wegen seiner Sinnlosigkeit wäre daher ein „Recht" der Sklaverei nichtig, vor allem aber wegen seiner in sich einbezoΛ/ΓΑ

genen Widerrechtlichkeit

Λ