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Die Populären In der Geschichte der Späten Republik
INAUGURAL - DISSERTATION zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität zu Freiburg i. Br.
vorgelegt von JOCHEN MARTIN aus Peiskretscham
Die Populären In der Geschichte der Spaten Republik
INAUGURAL - DISSERTATION zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen
Fakultät
der Albert-Ludwigs-Universität , zu Freiburg i. Br.
vorgelegt von JOCHEN MARTIN aus Peiskretscham
Referent: Prof. Dr. H. Nesselhauf Korreferent: Prof. Dr. H. Strasburger Dekan: Prof. Dr. W. Lettenbauer Tag der mündlichen Prüfung:
26.2.65
Gedruckt mit Unterstützung des Kultusministeriums Baden-Württemberg
Inhaltsverzeichnis Einleitung A. Populäre Politik in den nachsullanischen Jahrzehnten der Republik I. Die Bestrebungen zu einer Revision sullanischer Gesetze in den 70er Jahren 1, Die Agitationen gegen die senatorischen Geschworenen 2, Die Forderung nach der tribunicia potestas 3. Die iîensorn des Jahres 70 4. Die Bedeutung populärer Politik in den 70er Jahren II. Populäre Politik zwischen 70 und 64 1,..Die außerordentlichen Kommanden des Pompeius 2. Caesars populäre Demonstration 3. Die Organisierung der populären Methode und populäre Gewaltpolitik 4. Die Reformgesetze des Cornelius , 5. Zusammenfassung III. Demagogie und ideologische Propaganda in den Jahren 64-62 1. Die Propaganda Catilinas, Agitationen für Schuldenerlaß und für die Sohne der Proskribierten und die lex agraria des Rullus 2. Ciceros Antwort: Ein neues Verständnis des Begriffs popularis 3. Die Antwort der Populären: Der Rabiriusprozeß, die lex Labiena de sacerdotiis und die lex Labiena Ampia 4. Caesars sententia vom 5. Dezember und die anschließende Tätigkeit des Metellus Nepos 5. Die Struktur populärer Politik im Jahre 63 IV. Der Höhepunkt populärer Politik i. Der Clodius-Skandal und das Verhalten des Pompeius nach seiner Rückkehr aus Asien 2. Der erste Konsulat Caesars 3. Der Tribunat des Clodius 4. Ciceros Interpretation der populären Politik in der Sestiana V. Das Ende populärer Politik 1. Populäre Politik vom September 57 bis 51 2. Der Tribunat des Curio 3. Politische Ideologie in Caesars "Bellum Civile" 4. Die Herrschaft Caesars 5. Populares in den Auseinandersetzungen nach Caesars Tod B. Populäre Politik von den Gracchen bis zu Cinna I. Die Reformen der Gracchenzeit 1. "Populäre" Gesetze vor dem Auftreten des Ti. Gracchus
2. Die Agrarreform des Tiberius Gracchus und ihren innenpolitischen Konsequenzen 3. Die Fortsetzung der innenpolitischen Kämpfe 4. Die Reform des C, Gracchus II. Vom Opiraiusprozeß bis zum Jahre 104 1. Der Opimiusprozeß und die Reformvorschläge des C, Marius und L. Licinius Grassus 2. Die innenpolitischen Auseinandersetzungen anläßlich des Jugurthinischen Krieges 3. Populäre Gesetzesanträge aus den Jahren 107-104 III. Die Heeresreform des Marius und dessen Koalition mit Saturnius und Glaucia 1. Das numidische Kommando des Marius und die Umstrukturierung des römischen Heeres 2. Der erste Tribunat des Saturninus 3. Die "popularis factio" des Jahres 100 4. Die Reaktion auf die Vorgänge des Jahres 100 5. Die Bedeutung des Marius und Saturninus für die populäre Politik 6. Anhang: Das Edikt der Zensorn von 92 gegen die lateinischen Rhetorenschulen IV. Die Bundesgenossenfrage 1. Der Tribunat des M. Livius Drusus 2. Der Tribunat des P. Sulpicius Rufus 3. Die Herrschaft Cinnas und Carbos C. Zusammenfassende Interpretation der Populären I. Die verschiedenen Komponenten populärer Politik und ihre Funktion im politischen Handeln der Populären 1. Die populäre Materie 2. Der Volkstribunat 3. Das Volk 4. Die populäre Ideologie und das populäre Geschieht sverstän&nis 5. Die popularis ratio II. Die popularis ratio als Konstitutivum für den populären Politiker und ihre Bedeutung in der späten Republik III. Der Beginn, das Ende und die Kontinuität populärer Politik IV. Die Populären und die spate Republik Literaturverzeichnis
-1Einleitung Eine Dissertation über die Populären bedarf zunächst einer kurzen Rechtfertigung, da vor nicht langer Zeit eine Arbeit von K. Rübeling zum gleichen Thema erschienen ist . Rübeling gibt als sein Ziel an zu erforschen, "was der Römer der klassischen Zeit unter einem Populären versteht. Die Frage nach der geschichtlichen Wirklichkeit tritt hier zurück; zunächst soll lediglich aufgezeigt werden, was im antiken Sinn popularis heißt und ist, als was die Populären galten und gelten 2) wollten" . Dieses Ziel wird durch eine Zusammenstellung der popularis-Zeugnisse bei Cicero und Livius zu bestimmten Bedeutungsgruppen verfolgt, aus denen dann Rübeling die Charakteristika der Populären und populärer Politik ableitet . Ist diese Methode schon in sich fragwürdig1, weil sie sämtliche popularis-Zeugnisse auf eine Stufe stellt 4) und weil auch zur Erkenntnis der Bedeutung des Begriffs popularis die politischen und sozialen Gegebenheiten Roms berücksicht werden müssen , so läßt sich vollends mit ihr die zentrale historische Frage, was denn die Populären tatsächlich waren, nicht beantworten. Eine historische Untersuchung zu den Populären kann nicht primär eine Untersuchung des Begriffs popularis sein. Sie hat vielmehr von der geschichtlichen Wirklichkeit auszugehen und diese jeweils mit dem Begriff zu konfrontieren. Die Ergebnisse der bisherigen historischen Forschung sind von H. Strasburger und Rübeling übersichtlich zusammengestellt 1) K. Rübeling, Untersuchungen zu den Populären (Diss, masch. Marburg 1953). 2) ebd. 18. 3) Eine Ausnahme bildet nur der Abschnitt über die Ideologien der Optimaten und Populären (S. 88-119), für den Rübeling besonders auch Sallust heranzieht, obwohl Sallust den Begriff popularis nicht gebraucht. 4) Sq wird etwa zwischen den Zeugnissen bei Cicero und Livius nicht unterschieden, obwohl sich eine solche Unterscheidung schon deshalb nahelegt, weil die Hauptmasse der ciceronischen Zeugnisse die Spätzeit der Republik, die der livianischen Zeugnisse aber die Zeit der Ständekämpfe betrifft. Ebenso werden verschiedene Besonderheiten des ciceronischen popularis-Verständnisses - etwa wenn Cicero sich selbst als Populären herausstellt - nicht genügend berücksichtigt. 5) Besonders nachteilig wirkt sich das Fehlen politischer und sozialer Gesichtspunkte etwa bei der Behandlung der Frage aus, ob die Populären Demokraten waren oder nicht (vgl. S. 59-68).
-2worden , so daß sich eine Wiederholung im einzelnen hier erübrigt. Es genügt, die Hauptprobleme herauszuarbeiten, die sich beim heutigen Stand der Forschung stellen. Die Populären werden heute fast allgemein für die gesamte spate römische Republik als historisches Phänomen vorausge2) setzt . Man folgt dabei Cicero, bei dem sich der Begriff popularis zuerst als historische Kategorie nachweisen läßt und der diese Kategorie im wesentlichen auf Personen und Ereignisse der Zeit von den Gracchen bis zum Ende der Republik anwendet. Damit ist aber die Frage nach dem Beginn populärer Politik keineswegs geklärt. Da sich vorsullanische popularisZeugnisse nicht finden, wäre es möglich, daß Cicero die politischen Verhältnisse seiner Zeit in die Vergangenheit projiziert hat. Eine Entscheidung über den Beginn populärer Politik kann deshalb nur nach sachlichen Gesichtspunkten getroffen werden. In der modernen Forschung erscheinen die Populären sowohl durch eine bestimmte politische Methode als auch durch bestimmte politische Zielvorstellungen gekennzeichnet. Über die Grundstruktur der politischen Methode herrscht Einigkeit: sie bestand im Agieren mit der Volksversammlung gegen den Willen der Senatsmehrheit. Im einzelnen kann hier aber betreffs der Ermöglichung und Sicherung dieser Methode noch viel erhellt werden. Das Gleiche gilt für die genaue Rolle **es Volkes innerhalb populärer Politik. Im Zusammenhang damit ist bis heute die Frage umstritten, ob zumindest bei einigen Populären die von ihnen angewandte Methode rein zweckgebunden, oder nicht auch Ausfluß bestimmter politischer etwa demokratischer - Zielvorstellungen gewesen ist. Eine weitere Frage ist, soweit ich sehe, noch nicht explizit gestellt worden, nämlich ob sich vielleicht hinter der ständig wiederkehrenden Anwendung der populären Methode während der späten Republik ein grundsätzliches Strukturproblem der Politik dieser Zeit verbirgt. 1) H. Strasburger: RE XVIII/1 (1939) 775-781 u.ö. s.v. optimat e s ; Rübe1ing aaO. 1-15. 2) Eine Ausnahme bildet H. Last: Cambridge Ancient History IX (1932) 137 (künftig zitiert: Last: CAH). Last rechnet die Gracchen nicht zu den Populären, weil in ihrem Programm demokratische Elemente enthalten gewesen seien. Die großen Populären - Last versteht darunter Marius, den frühen Cicero, Caesar und in mancher Beziehung Augustus - hätten aber mit demokratischen. Bestrebungen nichts gemein.
-3Die Auffassungen über die politischen Ziele der Populären unterscheiden sich beträchtlich. Zur Illustration seien hier einige zusammenfassende Äußerungen angeführt. A. Fischer, dessen Arbeit in der Forschung bisher völlig übergangen wurde , beschreibt die Populären als eine "Bewegung" ("movimento"), die den überkommenen römischen Stadtstaat durch umfassende Reformen habe umwandeln und modernisieren wollen, "affinché esso divenisse adatto a ricevere gli elementi non-romani, sopratutto gli ltalici" . II. Strasburger spricht in Bezug auf die Populären von einer "Ähnlichkeit reformpolitischer Zielsetzung". "Das Verhältnis der Populären untereinander ist das von geistigen Vorgängern und Nachfolgern; aas ideale Kontinuum, das so entsteht, berechtigt von einer populären Tradition innerhalb der römischen Politik und ihren tralatizischen Programmpunkten zu sprechen" 2) . L.R. Taylor sieht die Verbindung zwischen den meisten Populären darin, daß sie ein persönliches Regiment aufrichten wollten . Da sie sich dazu der Volksversammlung bedienen mußten, hätten sie bestimmte populäre Programmpunkte vertreten, die Taylor mit Korn- und Ackerverteilung, Bürgerrechtsverleihung und Begünstigung von "novi homines" angibt . M. Gelzer schließlich setzt im Jahre 70 einen entscheidenden Schnittpunkt an: vor diesem Zeitpunkt hätten die Populären dem "Wohl des Volkes" dienen und das "zu zeitgemäßen Neuerungen unfähige Se5) natsregiment brechen" wollen '\ nach 70 seien von den populären Überlieferungen "nur noch die Schlagworte" übriggeblieben; das eigentliche Ziel der nachsullanischen Populären sei der Sturz der Senatsoligarchie gewesen '. Die Unterschiedlichkeit dieser Auffassungen gibt Anlaß, in zwei Zentralproblerne der Popularen-Forschung einzuführen. Es läßt sich verhältnismäßig leicht feststellen, welche politi1) A. Fischer, Contributo alla storia del movimento dei populares: Bibliotheca dell ' Accademia d'Ungheria die Roma XV (1937) Heft 6 S. 16. 2) Strasburger aaO. 794 3) L.R. Taylor, Party Politics in the Age of Caesar (Berkeley Los Angeles 1949) 13 (künftig zitiert: Taylor PP). 4) ebd. 22. 5) M. Gelzer, Caesar. Der Politiker und Staatsmann (Wiesbaden, 6. Aufl. 1960) 12 (künftig zitiert: Gelzer, Caesar). 6) ebd. 28.
-4schen Materien in der Antike als popular galten. Rübeling hat diese Frage untersucht. Er kommt dabei u.a. zu dem richtigen Ergebnis, daß die Bürgerrechtspolitik nicht zu diesen Materien zählte . Dennoch sieht A. Fischer die Populären wesentlich durch die Bürgerrechtspolitik bestimmt, und auch L.R. Taylor rechnet Bürgerrechtsverleihungen zu den populären Programmpunkten. Der Widerspruch klärt sich teilweise auf, wenn man bedenkt, daß die Bürgerrechtspolitik tatsächlich ein Zentralanliegen einiger als Populären bezeichneter Politiker war. Offenbar brauchten also nicht alle Ziele eines Politikers popular zu sein, um ihn als Populären charakterisieren zu können . Die Frage nach den Zielen der Populären ist demnach nicht identisch mit der nach den als popular geltenden Materien, und man wird jeweils genau abzuwägen haben, inwieweit die Kategorie "popularis" im Hinblick auf die Ziele der als Populären bezeichneten Männer überhaupt wesentlichen Aussagewert besitzt. Zu diesen Schwierigkeiten kommt das Problem der Kontinuität populärer Politik. Da die Populären keine Partei im modernen Sinn, sondern immer nur Einzelne waren - man kann von "den" Populären immer nur im Sinne eines Genus von Politikern sprechen ' -, hat es auch kein festgelegtes und sich durchhaltendes "Parteiprogramm" gegeben. Trotzdem besteht natürlich die Möglichkeit einer Kontinuität im Bereich politischer Ziele, und die oben zitierten Forscher setzen - mit Ausnahme von Gelzer - eine solche Kontinuität für die gesarate späte Republik voraus. Wie problematisch aber diese Frage ist, geht schon daraus hervor, daß Strasburger und Taylor zu jeweils sehr unterschiedlichen Auffassungen darüber kommen, worin das Gemeinsame der politischen Ziele der Populären liegt. Mit der Frage n ac h den politischen Zielen hängt die nach der politischen "Ideologie" der Populären zusammen. Einige Populären haben, wie allgemein bekannt ist, die Parole der "libertas populi" vertreten. Eine Parole allein konstituiert aber noch keine politische Ideologie. Diese entsteht erst dann, wenn die Parole zur Grundlage einer umfassenden und systematischen Deutung historischer und politischer Verhält1) Rübeling aaO. 37. 2) vgl. Strasburger aaO. 794. 3) vgl. ebd. 784-790.
-5nisse gemacht wird. Man wird im römischen politischen Leben eine solche umfassende Deutung kaum erwarten, aber vielleicht sind doch Ansätze dazu vorhanden, die den Gebrauch des Terminus Ideologie schon rechtfertigen. Eine letzte wichtige Frage scheint mir die nach dem "Ort" der Populären in der römischen Geschichte zu sein. Die Namen, die mit der Geschichte populärer Politik verbunden sind, machen es wahrscheinlich, daß es sich bei den Populären um eins der zentralen politischen Phänomene der späten Republik handelt. Man wird deshalb annehmen dürfen, daß sie in irgendeiner Form die besonderen Probleme der späten Republik widerspiegeln und vielleicht auch - ob bewußt oder unbewußt - im historischen Geschehen dieser Zeit eine ganz bestimmte Funktion ausüben. < Der Aufbau dieser Arbeit ergibt sich aus der Beschaffenheit der Überlieferung. Da der Begriff "popularis" in politischer Bedeutung erstmals im Jahre 70 begegnet und demnach nur für die nachsullanische Zeit als zeitgenössische politische Kategorie völlig gesichert ist, werde ich meine Untersuchung mit den Jahrzehnten zwischen der Herrschaft Sullas und dem Ende der Republik beginnen. Auf der Basis der dabei gewonnenen Ergebnisse soll dann in einem zweiten Teil die Zeit von den Gracchen bis zu Sulla behandelt und dabei insbesondere gefragt werden, ob die Anwendung der Kategorie "popularis" auch auf diese Zeit sachlich gerechtfertigt oder eine bloße Rückprojektion späterer Verhältnisse ist. In einer Schlußbetrachtung gilt es schließlich im Hinblick auf die gesamte späte Republik die Konsequenzen aus der vergleichenden Untersuchung zu ziehen. Der Aufbau und die Methode dieser Arbeit bringen es mit sich, daß die livianischen popularis-Zeugnisse nicht berücksichtigt werden, da sie zum größten Teil die Zeit der Ständekämpfe betreffen. Es handelt sich bei ihnen sicher um Rückprojektionen des Begriffs, die wahrscheinlich nicht erst von Livius, sondern schon von dessen Vorgängern in der ciceronischen Zeit vorgenommen wurden. D e r ganze Komplex der livianischen Zeugnisse müßte deshalb unter dem Titel "Populares Geschichtsverständnis" behandelt werden, was jedoch, da dazu auch eine historische Untersuchung der von Livius mit populärer Politik in Zusammenhang gebrachten Ereignisse nötig wäre, den
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Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Eine Gesamtbehandlung der Populären unter Einschluß der livianischen Zeugnisse wird demnächst an anderer Stelle erscheinen.
A. POPULÄRE POLITIK IN DEN NACHSULLANISCHEN JAHRZEHNTEN DER REPUBLIK
-7I. Pie Bestrebungen zu einer Revision sullanischer Gesetze in den 70er Jahren. Der Begriff "popularis" findet sich in Verbindung mit politischen Forderungen erstmals in einer Rede Ciceros aus dem . Jahre 70 1 ' . Dort heißt es: Populus Romanus interea, tarnetsi multis incommodis difficultatibusque adfectus est, tamen nihil aeque in re publica atque illam veterem iudiciorum vim gravitatemque requirit. Iudiciorum desiderio tribunicia potestas efflagitata est, iudiciorum levitate ordo quoque alius ad res iudicandas postulatur, iuuicum culpa atque dedecore etiam censorium nomen, quod asperius antea populo videri solebat, id nunc poscitw, id iam pop-ctlare et plausibile factum est. Alle drei vom Volk gestellten Forderungen richten sich gegen Bestimmungen der sullanischen Neuordnung, durch die der Tribunat entmachtet, die ritterlichen Geschworenen durch senatorische ersetzt und die Zensur abgeschafft worden wa2) ren . Cicero hebt die Forderung nach neuen Richtern klar heraus und begründet nicht nur sie, sondern auch die beiden anderen nach der tribunicia potestas und nach der Zensur mit dem Versagen der bestehenden Gerichte . Das ist zumindest im Falle des Tribunats merkwürdig; denn man würde vom Volk als Motiv für die Forderung nach der tribunizischen Gewalt eher die Erinnerung an Tribunen der vorsullanischen Zeit wie die Gracchen oder Saturninus erwarten als den Hinweis auf die richterliche Korruption. Der naheliegende Verdacht, Cicero habe nur aus Prozeßrück4") sichten ' die Frage der Gerichte in den Vordergrund gestellt, wird teilweise dadurch entkräftet, daß auch Catulus, der als Haupt der sullanischen Oligarchie dem Kreis der Prozeßgegner Ciceros nahestand * , das Versagen der Gerichte als Motiv für das Verlangen nach der vollen tribu1) divin. in Caec. 8. - Das Fragment Accius, Pragmatica 23M; "...describére in theatro perperos / populares" ist zu kurz, um es in einer bestimmten Weise interpretieren zu kô'nnen. Bei Plautus und Terenz tritt der Begriff jedenfalls nur in der Bedeutung "Landsmann", "Genosse" auf. Ich gehe auf das Zeugnis unten S.222 noch einmal ein. 2) T.R.S. Broughton, The Magistrates of the Roman Republic II (New York 1952) 74f (künftig zitiert: Broughton MRR.). S) vgl. auch Cic- in. Verr. I 44. 4) vgl. zum Prozeß M. Gelzer: RE 2.R. VII/1 (1939) 843f s.v. Tullius (künftig zitiert: Gelzer, Cicero). 5) Der Hauptverteidiger des Verres war Hortensius (Gelzer, ebd. 844), der in diesen Jahren oft mit Catulus zusammen in Aktion trat. Vgl. z.B. Ascon. 60C und 79C; Cic. de imp. CnPomp. 51.
-81) nicia potestas anerkannte . Um die Motive für die drei genannten Forderungen genau zu klaren und Aufschluß Über deren Träger und die Rolle des Volkes zu erhalten, sollen im folgenden die Bestrebungen zu einer Revision sullanischer Gesetze während der 70er Jahre untersucht werden. Das erweist sich auch deshalb als notwendig, weil fast sämtliche überlieferten popularisZeugnisse, die sich auf die 70er Jahre beziehen, in Zusammenhang mit diesen Bestrebungen stehen. 1. Die Agitationen gegen die senatorischen Geschworenen. Von Agitationen gegen die senatorischen Geschworenen, deren Korruption Cicero-häufig betont }, hören wir erstmals anläßlich des Gerichtsskandals des Jahres 74. Einer der Tribunen dieses Jahres, L. Quinctius, der in1einem Prozeß einen gewissen Oppianicus verteidigt hatte , richtete nach der Verurteilung seines Mandanten heftige Angriffe gegen den Vorsitzenden des Gerichtshofes, C. Iunius, und gegen die Geschworenen, denen er passive Bestechung vorwarf (Cic. Cluent. 77 u.ö.). In täglichen Contionen, die er als erster Tribun seit Sulla wieder abhielt (93. 110), weitete er den Fall demagogisch aus (77). So gelang es ihm, das Volk zu gewinnen (110), die Verurteilung des C. Iunius zu erreichen (79. 89ff. 103) und das "iudicium Iunianum" zum Inbegriff der Schande der senatorischen Geschworenen zu machen (l38f. 142). Cicero bezeichnet Quinctius als "homo maxime popularis, qui omnis rumorum et contionum ventos conligere consuesset" (77), an anderer Steile als "popularis homo ac turbulentus" (94). Die täglichen Contionen des Tribunen seien "seditiose ac populariter concitatae" gewesen (93). Die Verbindung der Begriffe popularis, turbulentus und seditiosus ist charäkteristisch . Popularis wird dabei eindeutig als abwertendpolemisches Schlagwort gebraucht und heißt demagogisch, be1) Cic. in Verr. I 44 (wörtliches Zitat). 2) divin. in Caec, und in Verr. I passim. 3) vgl. zum Prozeß Gelzer, Cicero 840ff, zu Quinctius H. Gundel: RE XXIV (1963) 1002-1005. 4) vgl. noch Cluent. 113: Ilia igitur omnia Quinctiana iniqua, falsa, turbulenta, popularia, seditiosa iudicia fuerunt; ferner mit ähnlicher Tendenz 134: invidia populariter excitata; 95; iactatio popularis.
-9stenfalls populär (homo maxime popularis). In diesem Sinn versteht also Cicero Quinctius als "Popular", und es kann kein Zweifel daran bestehen, daß Quinctius tatsächlich ein Demagoge war , der sich und die Forderung nach neuen Geschworenen populär gemacht hat. Die Bewegung gegen die senatorischen Geschworenen im Jahre 74 ging also nicht vom Volk, sondern - nach Cicero - von 2) einem Einzelnen aus, der das Volk für sich gewann . Ob Quinctius tatsächlich als isolierter Einzelner gehandelt hat oder ob nicht hinter ihm zumindest ein Teil der Ritterschaft stand, die ja an einer Umbildung der Geschworenengerichtshöfe besonders interessiert sein mußte, bleibt fraglich. Mit zu weitgehenden Vermutungen muß man deshalb vorsichtig sein, weil der Prozeßgegner des von Quinctius verteidigten Oppianicus, A. Cluentius Habitus, selbst dem Ritterstand angehörte. Ebenso läßt sich das Motiv des Quinctius nicht sicher ausmachen. Cicero gibt einzig die Prozeßniederlage an ^ , aber sachliche Gründe können nicht von. vornherein ausgeschlossen werden. Das "iudicium Iunianum" blieb auch weiterhin ein populäres 4") Schlagwort . Im Jahre 71 hat sich der in den Quellen ebenfalls als Demagoge charakterisierte Tribun M. Lollius Palicanus ' zum Wortführer der Agitationen gegen die senatorischen Geschworenen gemacht. Er trat mit dem aus Spanien zurückgekehrten Pompeius in Verbindung, der gegen das offenbare Mißtrauen der Nobilität ' Unterstützung für seine Bewerbung um den Konsulat brauchte. Wahrscheinlich ist es zwischen beiden zu einer Art Vertrag auf Gegen1) vgl. auch Plut. Luc. 5,5, wo Quinctius als ?A*«££• °^ bezeichnet wird. 2) vgl. noch Cluent. 136: populi concitator; 134: invidia populariter concitata. 3) ebd. 109. 4) ebd. 138: ... potuerim illud quod tarn populäre esset illo tempore praeterire; 142: Quod si velim confiteri me ... antea fuisse in ea opinione populari (sc. über das iudicium Iunianum); vgl. auch 139. 5) Cic. Brut. 223: aptior etiam (sc. quam Quinctius) auribus imperitorum. Val. Max. H I 8,3: M. Palicani seditiosissimi hominis ... Vgl. auch Sall. hist. IV 43M: M. Lollius Palicanus, humili loco Picens, loquax magis quam facundus. 6) Plut. Pomp. 21,5-6. Vgl. M. Gelzer, Das 1. Konsulat des Pompeius und die Übertragung der großen Imperien: Äbh. der Preuß. Akad. d. Wiss. Phil.-Hist. Kl. (1943) Nr. 1 S. 14.
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seitigkeit gekommen . In einer von Palicanus einberufenen Wahl - Contio kündigte Pompeius an, während seines Konsulats auch die Frage der Gerichte aufnehmen zu wollen, und er soll damit größeren Beifall beim Volk gefunden haben als bei der Mitteilung, die Rechte des Tribunats würden wiederhergestellt werden 21'. Pompeius hat dann zwar nicht selbst das Gesetz zur Umbildung der Geschworenengerichte eingebracht, aber man darf wohl sein Einverständnis mit der lex Aurelia des Jahres 70 voraussetzen, nach der künftig Senatoren, Ritter und Aerartribunen gemeinsam richten sollten 3K 2) Die Forderung nach der tribunicia potestas. Die sullanische Ordnung verbot den Tribunen jede eigenständige gesetzgeberische Initiative und«schloß sie von 4) der Bekleidung höherer Amter aus . Die Bemühungen um eine Revision dieser Gesetze wurden nach Sullas Tod durch das Tribunenkollegium von 78 eingeleitet, das ohne Erfolg mit den Konsuln verhandelte . Das Volk scheint sich damals nicht für den Tribunat eingesetzt zu haben, denn als einer der Konsuln, Lepidus, in einer contio die Meinung vertrat, die Wiederherstellung der tribunizischen Gewalt sei nicht von Nutzen (non esse utile), fand er die Zustimmung eines großen Teils der Versammlung . Ob Lepidus später seine Meinung geändert hat, ist nicht mehr zu ermitteln 7)' . In den Jahren 76 - 74 agitierten die Tribunen Cn. Sici1) A. Heuß, Römische Geschichte (Braunschweig 1960) 188 (künftig zitiert: Heuß RG), 2) Cic. in Verr. I 45 mit Ps.-Ascon. 22oSt. 3) vgl. dazu Gelzer, Das 1. Konsulat ... 24ff. 4) Broughton MRR II 75 5) Licin. 33F 6) ebd. Ich sehe keinen Anlaß, an der Nachricht zu zweifeln, zumal Licin. ausdrücklich betont, daß die Rede des Lepidus noch erhalten sei. 7) Nach Sall. hist. I 77, 14 (oratio Philipp!) ist Lepidus für den Tribunat eingetreten. So auch E. Gabba: Athenaeum NS 32 (1954) 319 und - wenn auch vorsichtig - H. Last: CAH IX 315. In der Rede des Lepidus bei Sallust (hist. I 55, 23) findet sich zwar eine kurze Bemerkung über den Tribunat, die tribunicia potestas wird aber nicht zurückgefordert. Sall. hist. Ill 48,8 wird Sicinius als erster genannt, der wieder über die tribunizische Gewalt zu sprechen gewagt, habe. Ebenso Ps.-Ascon. 189St. Beide Zeugnisse sprechen gegen eine Öffentlich-propagandistische Agitation des Lepidus für den Tribunat.
-11nius (76) , Q- Opimius (75) ' und der schon genannte L. Quinctius für die tribunicia potestas und gerieten deshalb in heftige Auseinandersetzungen mit Kreisen der Nobilität. Über die Argumentationen der Tribunen ist nichts bekannt, doch könnte Quinctius, der ja hauptsächlich durch seine Hetze gegen die senatorischen Geschworenen hervorgetreten ist, auch hier die Korruption der Gerichte demagogisch ausgenutzt haben Unter den nobiles, die den tribunizischen Forderungen entgegentraten, ist vor allem eine Gruppe von Senatoren um Catulus und Hortensius zu verstehen, die im Senat großen Einfluß ausübte und in den 60er Jahren der Hauptgegner des Pompeius wurde 5) . Asconius bezeichnet sie als "Sullanae partes" ', da sie als starrer Hüter der sullanischen Verfassung hervortrat. Von ihr wird in der Macerrede bei Sallust eine "factio media" abgehoben und als eines ihrer Mit7) glieder der Konsul C. Aurelius Cotta genannt , der im Jahre 75 durch ein Gesetz den Tribunen wieder die Ämterlaufbahn ermöglichte und dabei auf den scharfen Widerstand der Sullaner stieß 8 \ 1) Sall. hist. Ill 48,8.10; Ps.-Ascon. 189St.; Plut. Crass. 7,8; vgl. Cic. Brut. 217. •2) Cic. in Verr. II 1, 155 mit Ps.-Ascon. 255St. 3) Ps.-Ascon. 189St.-, auch Sall. hist. Ill 48,11 ist wohl auf Auseinandersetzungen wegen des Tribunats zu beziehen, da Macer dort über die tribunicia potestas spricht. Vgl. Plut.Luc. 5,5 und Cic. ap. Ascon. 79C mit Ascon. 79C, wo Lucullus, der Gegner des Quinctius, ein "inimicus tribuniciae potestatis" genannt wird. 4) Ein Beispiel, wie die tribunicia potestas und die Korruption der Gerichte in Zusammenhang gebracht werden konnten, gibt Cic. in Verr. II 5, 175 (an Hortensius gewandt): Tulit haec civitas quoad potuit, quod necesse fuit, regiam istam vestram dominatlonem in iudiciis et in omni re publica, tulit; sed quo die populo Romano tribuni plebi restituti sunt, omnia is t'a vobis, si forte non intelligitis, adempta atque erepta sunt. Das eignete sich durchaus für Agitationen. 5) Bei Sall. hist. Ill 48,9-11 sind Catulus, C. Curio und Lucullus aufgezählt. Weitere Namen Ascon. 60C und 79C. Vgl. Gelzer, Cicero 860; 'Chr. Meier, Untersuchungen zur römischen Innenpolitik zwischen 63 und 56 v. Chr. (Diss, masch. Heidelberg 1956). 6) 73C; vgl. Ps.-Ascon. 255St: Catulum significat (sc. Cic. in Verr. II 1,155), qui tunc princeps fuit Syllanae factionis . 7) hist. Ill 48,8 8) Ascon. 66fC und 78(- sane neminem in summum locum nisi per populum venire, sublata cooptatione censoria. Hier (d.h. frühestens Ende der 50er Jahre) ist übrigenseine grundsätzliche Bedeutung des Begriffs popularis vorausgesetzt.
-22Das ware kaum möglich, wenn sie in den 70er Jahren eine grundsätzlich-populäre Bedeutung gehabt hatte. Für ähnlich doktrinär^ Auffassungen, wie sie in der Macerrede begegnen, wird der Begriff in den uns überlieferten Zeugnissen erst vom Jahre 63 ab gebraucht. Auch in der historischen Wirklichkeit läßt sich keine feste und geschlossene Oppositionsgruppe gegen das sullanische Regime nachweisen. Ihrer Struktur nach waren die innenpolitischen Kämpfe der 70er Jahre Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Tribunen und einer exponierten, eindeutig auf die sullanische Verfassung festgelegten Gruppe von Senatoren. In diese Auseinandersetzungen wurde das Volk durch die Demagogie der Tribunen hineingezogen,' es war also-weder Ausgangspunkt noch Träger der tribunizischen Forderungen. Spätestens seit 74 gelang es aber den Tribunen, infolge eines demagogisch aufgebauschten Gerichtsskandals ihre Forderungen so populär zu machen, daß ein gewisser Druck von Seiten des Volkes entstand. Deshalb war auch für Pompeius nach dessen Rückkehr aus Spanien die Zusammenarbeit mit M. Lollius Palicanus politisch interessant. Über die Motive der Tribunen laßt sich wenig Sicheres aussagen. Was die tribunicia potestas betrifft, so ist es ganz natürlich, daß sich die jeweiligen Träger des Tribunats um die Wiederherstellung ihrer alten Rechte bemüht haben. Wahrscheinlich spätestens seit 74 wurde aber diese Frage mit der der Gerichte verbunden, wohl deshalb, weil man in der Wiederherstellung des Tribunats die einzige konkrete Möglichkeit zu einer Umbildung der Geschworenengerichtshofe sah. Für die Forderung nach neuen Richtern werden zwei Motive genannt: die Prozeßniederlage des Quinctius und die Korruption der Gerichte. Nirgends ist dagegen ausdrücklich von den Rittern die Rede, die doch ein großes Interesse an der Umbildung der Geschworenengerichtshöfe haben mußten. Wenn das Fehlen jeglicher Zeugnisse es auch unwahrscheinlich macht, daß sich die Ritter als ganzer Stand in den 70er Jahren besonders exponiert haben, so wird man sie doch als Faktor in den Auseinandersetzungen dieser Jahre nicht ausschließen können. Für die Forderung nach der Zensur war tatsächlich, wie die Amtsführung der Zensorn von 70 zeigt, der Wunsch nach einer Bestrafung korrupter Senatoren mit maßgebend.
-23Die ideologischen Argumente Macers für die WiederherstellurlS der tribunicia potestas scheinen in den 70er Jahren eine Ausnahme gewesen zu sein. Dennoch nimmt Macer im Rahmen eir16*1 Gesamtbetrachtung populärer Politik eine wichtige Stellung e i weil bei ihm zum erstenmal - bedingt durch die Unterdrückung des Volkstribunats durch Sulla - die doktrinären Begriffsverbindungen sichtbar werden, die spätestens seit 63 das Hauptmerkmal der populären Propaganda bilden. Außerdem hat Macer vielleicht- durch sein Geschichtswerk, das in die Annalen des Livius Eingang fand, die Sicht der Ständekämpf£ in der römishen Historiographie entscheidend beeinflußt. Insgesamt kann man bei den Agitationen der 70er Jahre keine grundsätzliche Gegnerschaft gegen den Senat feststellen/ Nirgends - auch bei Macer nicht - wird die Senatsherrschaff als solche angegriffen. Deshalb ist es auch irrig, von einer "demokratischen" Bewegung zu sprechen * . Populäre Politik bedeutete in den 70er Jahren nur das demagogische Vertreten bestimmter Forderungen zur Revision sullanischer Gesetze.
1) So z.B. Gabba: Athenaeum NS 32 (1954) 320f.
-24TT. Populäre Politik zwischen 70 und 64. In den Zeugnissen, die sich auf Personen und Ereignisse der 60er Jahre beziehen, erscheint der Bedeutungsinhalt des Begriffs popularis wesentlich vielschichtiger als im Corpus der Verrinen und in der Cluentiana. Dem entspricht, daß in der römischen Innenpolitik völlig neue Gegensätze entstehen und sich verhärten und daß infolge der Wiederherstellung der tribunicia potestas reichere Möglichkeiten des politischen Kampfes vorhanden sind als vorher. Als die herausragenden Populären dieser Zeit galten Pompeius und Caesar. Von Pompeius wird das vor allem durch das "Commentariolum Petitionis" des Q. Cicero aus dem Jahre 64 bezeugt . Quintus rät darin an einer Stelle (§ 4) seinem Bruder, besondere Sorgfalt auf_die Gewinnung der Mobilität zu verwenden. Marcus sollte ihr vorhalten (5): Nos semper cum optimatibus de re publica sensisse, minime populares fuisse; si quid locuti populariter videamur, id nos eo consilio fecisse, ut nobis Cn. Pompeium adiungeremus ..." Der Begriff popularis wird hier völlig selbstverständlich als politischer Gattungsbegriff gebraucht. Er bezeichnet einen nicht näher bestimmten Gegensatz zu den Optimaten und ist exemplarisch mit der Person des Pompeius verbunden. Das "populariter loqui" können wir als die Rede Ciceros "De imperio Cn. Pompei" identifizieren, auf die Cicero auch noch an anderer Stelle (53) mit den Worten anspielt: "Iam urbanam illam
1) Die Echtheit des Commentariolum petitionis ist in der Forschung umstritten; vgl. M.I. Henderson, De commentariolo petitionis: JRS 50 (1950) 8-21; R.G.M. Nisbet, The Commentariolum petitionis. Some Arguments against Authenticity: JRS 51 (1961) 84-87. *
-25multitudinem ... adeptus ea in Pompeio ornando ..." Danach war Pompeius populär, und "populariter loqui" heißt einfach so sprechen, daß man die Zustimmung des Volkes gewinnt. Analog dazu könnte man "minime populares fuisse" wiedergeben mit "Ich habe es keineswegs mit dem Volk gehalten"; ob das richtig ist, kann erst eine historische Untersuchung erweisen. In ähnlicher Weise unbestimmt sind die beiden Zeugnisse über Caesars Frühzeit als popularis. Das erste aus Ciceros 4. Rede gegen Catilina (9) lautet: "Si eritis secuti sententiamj C. Caesaris, quoniam hanc is in re publica yiam quae popularis habetur secutus est, fortasse minus erunt hoc auctore ' et cognitore huiusce sententiae mihi populares impetus pertimescendi". Auch hier wird die "popularis via" als Möglichkeit politischen Handelns ohne nähere Erläuterung vorausgesetzt, sie muß also in der politischen Wirklichkeit eine Rolle gespielt haben. Insofern Caesar sie - nach Ci— '• cero - "in re publica" verfolgt hat, ist damit nicht nur seine Haltung im vorliegenden Fall, d.h. bei der Verhandlung über die Strafe der Catilinarier, sondern seine politische Laufbahn überhaupt charakterisiert. Und da Cicero "populares impetus" zu befürchten hat, wenn man nicht Caesars sententia zustimmt, muß entweder Caesar spätestens zum Zeitpunkt der Rede mit anderen Populären verbunden gewese sein oder unter den Populären allgemein eine Gemeinsamkeit bestanden haben. Cicero hebt an der gleichen Stelle Caesars "animus vere popularis saluti populi consulens" von der "levitas contionatorum" ab. Ganz anders urteilt er 20 Jahre später (Phil. V 49): "Utinam C. Caesari, patri dico, contigisset adulescenti ut esset senatui atque optimo cuique carissimus! Quod cum consequi neglexisset, omnem vim ingenii, quae summa fuit in illo, in populari levitate consumpsit". Wie schon t. i Pompeius, wird hier der Gegensatz zwischen populärem Verhalten und der Treue zum Senat und zu den optimi betont und Caesars Politik als "popularis levitas", also wohl als Demagogie bezeichnet. Beide Zeugnisse über Caesar könnten situationsbedingt sein: das aus dem Jahre 63 wegen des Bestrebens Ciceros, alle Kräfte gegen die Catilinarier zusam-
-26menzuführen, das aus den Philippica als Rückprojektion späterer Erfahrungen in die Frühzeit Caesars . Was soll nun gelten? Neben Pompeius und Caesar werden im folgenden Abschnitt die Reformgesetze des Cornelius zu behandeln sein, die - obwohl nirgends als popular bezeugt - doch in der Forschung als solche gelten, ferner die politischen Methoden, deren sich u.a. die tribunizischen Helfer des Pompeius bedienten. \\ nie außerordentlichen Kommanden des Pompeius. Pompeius begann seine Laufbahn als Feldherr Sullas und der sullanischen Oligarchie . Durch seinen militärischen Ruhm hat er sich große Popularität erworben , die sich während seines Konsulats durch die Erfüllung der tribunizischen Forderungen der 70er Jahre sicher noch gesteigert hat. Zugleich kam er aber - vor allem infolge der Wiederherstellung der tribunicia potestas - bei den Hütern der sullanischen Ordnung in Mißkredit , wenn auch für sein Konsulatsjahr keine Auseinandersetzungen mit der sullanischen Oligarchie bezeugt sind. Nach seiner Amtsniederlegung hat er sich zunächst abwartend verhalten und den Umgang mit dem Volk gemieden ' . In den Jahren 67 und 66 konnte er dann seine beiden außerordent61 liehen Kommanden durchsetzen % wobei ihm erstmals die Vorteile der wiederhergestellten tribunicia potestas zugute kamen: der Tribun Gabinius übernahm den Antrag für das Kommando gegen die Seeräuber, der Tribun Manilius den für das 2) vgl. H. Strasburger, Caesars Eintritt in die Geschichte (München 1938) 59 (künftig zitiert: Strasburger, Caesars Eintritt). Strasburger nimmt als Grund für die positive Einschätzung Caesars im Jahre 63 an, daß sie "noch kaum durch persönliche Affekte getrübt" war, "die ihn (sc. Cicero) später das Bild verzerren ließen". Dagegen ist zu sagen, daß Caesar immerhin zusammen mit Crassus die Wahl Ciceros zum Konsul bekämpft hatte. Für eine weitere Erklärung (Rucksicht auf Pompeius) vgl. L. R. Taylor: TAPhA 73 (1942) 18. 2) M. Gelzer, Cn. Pompeius Strabo und der Aufstieg seines bonnes Magnus: Abh. der Preuß. Akad. der Wias. Phil.-Hist. ^ • V l 9 4 1 ) Nr. 14; ders. Pompeius (München 1959). 3} Plut. Pomp. 13,6; 14, 11; 15, 1; 21,4; 22,9. 4; Cic. de leg. III 22. 5) Plut. Pomp.'23, 3 f! 07 ueizer, Das 1. Konsu Konsulat ... 3off; Broughton MRR II 144f, 6) Gelzer, X53 •
-27kommando gegen Mithridates, Der rogatio Gabinia widersetzte sich der Senat fast geschlossen - nur Caesar soll für den Antrag gesprochen haben . Dagegen brachte der schnelle Er~ folg des Pompeius im Seeräuberkrieg in Verbindung mit der Gefahr, die von Mithridates drohte, u.a. vier Konsulare und 2) Cicero dazu, für den Manilischen Antrag einzutreten % wäh~ rend die Männer um Catulus und Hortensius auch jetzt nicht nachgaben . Bei der Abstimmung über die lex Gabinia führte der Tribun Trebellius den Senatsbeschluß aus und interzedierte. Gabinius ließ daraufhin zunächst über Trebellius selbst abstimmen, und als sich 17 Tribus für dessen Absetzung ausgesprochen hatten, zog Trebellius seine Interzes— sion zurück 4) . Die lex Manilla scheint ohne Zwischenfälle durchgegangen zu sein - sie wurde von allen 35 Tribus angenommen . Die Zustimmung des Volkes zu den Gesetzen ist nicht erstaunlich, da Pompeius ja gerade seine Popularität als Feldherr begründet hat und außerdem sicher einen starken Anhang von Veteranen in der Volksversammlung besaß Die Methode der Durchbringung von Gesetzen, wie sie bei den Kommanden des Pompeius angewandt wurde, hat Cicero später als "popularis ratio" bezeichnet. Er versteht darunter die Zusammenarbeit mit der Volksversammlung, wenn sie gegen den Willen der Senatsmehrheit und unter Verletzung von Gesetzen, Auspizien, des Prinzips der Kollegialität oder unter Anwen7) düng von Gewalt geschieht . Das sind natürlich nicht systematische, sondern aus der historischen Erfahrung gewonnene Bestimmungen . In ihnen erscheint die negative, demagogi1) Plut. Pomp. 25, 8; vgl. jedoch Gelzer, Das 1. Konsulat... 33 Anm. 5. 2) Cic. de imp. Cn. Pomp., zu den 4 Konsularen § 68. 3) ebd. 51. 4) Cic. pro Corn. ap. Ascon. 71fC mit Ascon. 72C; Dio 36, 10, lf. 5) Plut. Pomp. 30,5. Vgl. Cic- de imp. Cn. Pomp. 69; Q. Cic. comm. pet. 51. 6) Zur Haltung des Volkes zur lex Gabinia vgl. noch: Cicde imp. Cn. Pomp. 44; Vell. II 32,1; Plut. Pomp. 25,7; Dio 36,30,3f. - Die Rolle der Veteranen des Pompeius betont Taylor PP 48. 7) Cic'ad fam. I 2, 4: quod ad populärem rationem attinet, hoc videmur esse consecuti, ut ne quid agi cum populo aut salvis auspiciis aut salvis legibus aut denique sine vi posset. Sest. 114; Alter (sc. Vatinius), qui ita se in populari ratione iactarat ut auspicia, legem Aeliam, senatus auctoritatem, consulem, conlegas, bonorum iudicium nihil putaret... 8) Sest. 114 ist eine Besehreibung des Tribunats des Vatinius.
-28sche Methoden kennzeichnende Bedeutung des Begriffs popularis für die 70er Jahre wesentlich verschärft, was sich aus den durch die Wiederherstellung der tribunicia potestas erweiterten politischen Möglichkeiten des Tribunats erklärt. Im Jahre 43 hat nun Cicero eigenartigerweise außerordentliche Kommanden selbst als etwas Populares hingestellt, als er im Senat sagte: "... extraordinarium imperium populäre atque ventosum est, minime nostrae gravitatis, minime huius ordinis" . -Im Anschluß an diese Feststellung sucht Cicero nachzuweisen, daß der Senat noch nie einem Privatmann ein 2) extraordinarium imperium übertragen habe . Als einzige außerordentliche Kommanden der Vergangenheit werden die des Pompeius anerkannt, die aber von "tribuni plebis turbulenti" durchgesetzt worden seien Erst damit wird das obige Zitat verständlich; denn nur weil die - nach Ciceros Darstellung - einzigen extraordinaria imperia der Vergangenheit von tribuni plebis turbulenti, d.h. popular durchgesetzt wurden, kann Cicero apodiktisch das extraordinarium imperium überhaupt zum "populäre" erklären. Man hat also damit zu rechnen, daß politische Materien, weil sie in der historischen Wirklichkeit mit populären Aktionen verbunden sind, selbst zu populären Materien werien, obwohl sie an sich nichts mit dem Volk oder mit Demagogie zu tun haben. An diesem Beispiel ist erkennbar, wie sich der Bedeutungsinhalt des Begriffs popularis entsprechend der jeweiligen historischen Wirklichkeit ausweitet und umformt. In allen bisher behandelten Zeugnissen wurde der Begriff nur dann auf eine politische Materie angewandt, wenn diese populär war. Das ist aber in der oben zitierten Äußerung Ciceros sicher nicht geraeint. Vielmehr erhält dort der Begriff durch die Anwendung auf die extraordinaria imperia eine grundsätzlichere, antisenatorische Bedeutung, weil - wie Cicero sagt - außerordentliche Kommanden nicht der Würde und den Grundsätzen des Senats entsprechen. Auf der gleichen grundsätzlichen Ebene haben nun auch die Manner um Catulus gegen die Kommanden des Pompeius opponiert. 1) Phil, XI 17; zur Situation vgl.Gelzer, Cicero 1066, f£; Vgl G e i z e r ebd
3) § ll
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-29Catulus selbst führte gegen die lex Gabinia an, ein Privatmann dürfe nicht mit einem solchen Imperium ausgestattet werderi * . Darüber hinaus warf man Pompeius vor, er strebe nach der Alleinherrschaft 2) , und rief die Senatoref1 3) zur Rettung der Freiheit auf . Diese Vorwürfe enthalten A) einen guten Teil polemische Propaganda , denn man hatte keinen Grund, von Pompeius eine Bedrohung der freiheitlich"* republikanischen Ordnung zu erwarten . Das eigentliche Motiv für die Opposition der Herren um Catulus dürfte die Befürchtung .gewesen sein, ihr eigener politischer Einfluß könnte durch die-Machtausdehnung des Pompeius eingeschräv werden . Trotzdem war auch das Argument der bedrohten . heit nicht wesenlos. Die ungeheure Machtkonzentration in der Hand eines Einzelnen sprengte in sich den durch das stàdtstaatlich-arietokratische System gesetzten Rahmen. Da aber andererseits die Imperien sachlich gerechtfertigt waren 7) , zeigt sich an ihnen exemplarisch das Ungenügeh der stadtstaatlich-aristokratischen Ordnung für die Regie- ' rung des römischen Weltreichs . Den sullanischen Führern ging es nur um die Erhaltung der bestehenden Machtverhältnisse, bestenfalls um die Erhaltung der sullanischen Ordnung. Von dieser Position her bedeuteten die Kommanden des Pompeius tatsächlich eine potentielle Bedrohung der Handlungsfreiheit der sullanischen Aristokratie, wenn sich auch eine, dahingehende Intention des Pompeius nicht nachweisen läßt. Pompeius meinten, wenn sie von ihm als einem Populären 1) Dio 36,33f. 2) Der Konsul Piso rief Pompeius zu, wenn er Romulus naclw strebe, werde er auch dessen Schicksal erleiden (Plut. Pomp. 25,9). Vgl. auch das Argument des Hortensius (Cic. de imp. Cn. Pomp. 52): Si uni omnia tribuenda sint, digniS3, simum esse Pomneium. sed ad unum omnia deferri non oportei" 3) Catulus bei der Abstimmung über die lex Manilia (Plut. Pomp. 30,4; vgl. 30,3). 4) Meier, Untersuchungen llf und 15. 5) Gelzer, Das 1. Konsulat .,.' 33, 6) Plut. Pomp. 25,7; Vell. II 31,4( Meier aaO. 11 14f 34f, 7) Gelzer aaO. 32f. 8) dazu M. Gelzer, Caesar (Wiesbaden ö1960) 5ff (künftig zitiert: Gelzer, Caesar).
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-30^ achen. i c n schließe das nicht nur aus dem oben besprochenen, späten Zeugnis Ciceros in den Philippica (XI 17), sondern vor allem aus dem - damit übrigens genau korrespondierenden - Ausspruch Q. Ciceros: "nos semper cum optimatibus de re publica sensisse^ minime populares fuisse" (comm- pet. 5). Das "sensisse" in diesem Satz läßt sich unmöglich nur als die Anwendung verschiedener politischer Methoden durch die Optimaten bzw. Populären interpretieren. Wenn auch die Popularität des Pompeius und - wie ich an dem Beispiel der großen Kommanden zu zeigen versuchte - seine Zusammenarbeit mit demagogischen Tribunen die Voraussetzung dafür ist, daß Pompeius überhaupt als popularis bezeichnet werden konnte, so drückte diese Bezeichnung als propagandistisch-polemisches Schlagwort im Munde der Optimaten doch mehr aus, nämlich einen grundsätzlichen Gegensatz des Pompeius zur aristokratischen Freiheit. Ein populares Selbstverständnis irgendwelcher Art hat es für Pompeius wohl nicht gegeben. Pompeius hat selbst den Umgang mit dem Volk gemieden, und niemals während seiner ganzen Laufbahn hat er sich als Verteidiger der Rechte oder Vorteile des Volkes verstanden. Seine Beziehungen zum Volk bestanden einzig in seiner Popularität als Feldherr und darin, daß er zeitweise gegen den Widerstand der Senatsmehrheit über Tribunen mit der Volksversammlung zusammenarbeiten mußte. 2) Caesars populäre Demonstration. Bei wenigen Staatsmännern der Antike ist die unsichere Überlieferung über die politische Frühzeit so mißlich wie bei Caesar. Sind schon die Fakten umstritten, so läßt sich über die Intentionen Caesars fast nichts Zuverlässiges aus den Quellen entnehmen . Man ist also fast ganz auf die Interpretation des wenigen Gesicherten angewiesen. Caesars erste politische Anfänge gleichen ganz denen sonJ) vgl. R. Syme, The Roman Revolution (Oxford 31956) 29 Uunftig zitiert: Syme RR). P e svgl dazu Strasburges Caesars Eintritt; L.R. Taylor, ar s P early career: Cl.Ph. 36 (1941) 113-132; dies., Caesar and the Roman nobility: TAPhA 73 (1942) 1-24; Gelzer, Caesar.
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-31stiger Nobiles und sagen über seine politische Haltung nichts aus ' . Im Jahre 73 wurde er von einflußreichen Senatoren in das Kollegium der pontifices kooptiert und damit offiziell in den. Kreis der Nobilität auf genommen 2). Seit 73 trat er jedoch mit einer Reihe von Taten hervor, die teilweise als popular bezeugt sind und die ihn in Gegensatz zu den sullanischen Führern bringen mußten. Gegen Ende der 70er Jahre hat er die Forderung nach der tribunicia potestas unterstützt und vielleicht mit Licinius Macer zu) Im Jahre 70 veranlaßte er eine Rogation sammengearbeitet 3"'. des Tribunen Plautius, durch die seinem Schwager Cinna und den übrigen Lepidanern die Rückkehr nach Rom ermöglicht 4) 5) wurde . Er hat darüber auch in einer Contio gesprochen . Als einziges Motiv für Caesar ist das der Verwandtschaft überliefert }. Trotzdem mußte das Eintreten für die Lepidanerl auch politisch wirken, was dadurch bestätigt wird, daß Cicero in einem Appell vom Jahre 63 das Volk ermahnte, u.a. die '"restitutio damnatorum" nicht als popular anzusehen, da sie mit zum Untergang der staatlichen Ordnung beitrage 7). Bei zwei weiteren Taten Caesars ist neben der Treue zur Familie ein demonstrativer und deshalb sicher intendierter politischer Akzent unverkennbar 3 : Beim Begräbnis seiner 1) vgl. Strasburger, Caesars Eintritt 91 (zum Antoniusprozeß); Taylor: TAPhA 73 (1942) 5ff; Gelzer, Caesar 23 bemerkt schon zum Jahre 73, daß Caesar "jederzeit auf die Kräfte der populären Richtung zählen" konnte. Das ist mir auch angesichts Gelzers eigener Darstellung der vorhergehenden Zeit unverständlich, ganz abgesehen davon, daß es eine "populäre Richtung" umfassender Art in den 70er Jahren nicht gegeben hat. 2) Taylor: CP 36 (1941) 117-12o; dies.: TAPhA 73 (1942) 8; Gelzer, Caesar 22f. 3) Süet. Iul. 5; zur Datierung vgl. Strasburger, Caeäars Eintritt 92 f und Gelzer, Caesar 25. 4) Suet. ebd.; zur Datierung vgl. Taylor: CP 36 (1941) 121; Broughton MRR II 128 und 130 mit Anm. 4; Gelzer, Caesar 26 mit Anm. 6. 5) Suet. ebd. 6) Gell. 13,3,5; Strasburger, Caesars Eintritt 94. 7) leg. agr. II 10: neque vero illa popularia sunt existimanda, iudiciorum perturbationes, rerum iudicatarum infir-' mationes, restitutio damnatorum. Die "restitutio damnatorum" kann sich nur auf die lex Plautia und auf Caesars Eintreten', für das Ämterrecht der Söhne der Proskribierten im Jahre 63 beziehen (vgl. Gelzer, Caesar 38 Anm. 58). Auf jeden Fall ist Caesar angesprochen. 8) Syme RR 25; Taylor PP 122.
-32Ta te Iulia führte er zur Freude des Volkes die Bilder des Marius mit, die damals zum erstenmal wieder in Rom gezeigt wurden ^ und während seiner Aedilität ließ er sogar - erneut unter dem Jubel des Volkes - die Siegestrophäen des Marius auf dem Kapitol wiedererrichten ' . Beide Handlungen sagen nichts über ein politisches Programm Caesars aus, «'eil Marius kein solches Programm gehabt hat. In der römischen Geschichte war Marius exemplarisch nur als erfolgreicher und populärer Feldherr und als Gegner Sullas. Wahrscheinlich aus beiden Gründen haben ihn die Populären der ciceronischen Zeit für sich in Anspruch genommen . Da die Gegnerschaft des Marius zu Sulla notorisch war, kann Caesars demonstratives Bekenntnis zu ihm nicht anders denn als intendierter Affront gegen die sullanische Oligarchie 4) interpretiert werden . Zugleich konnte sich Caesar dadurch, eben weil Marius eine populäre Gestalt war, selbst Popularität erwerben, was auch geschah. Die sullanischen Führer haben die Herausforderung Caesars verstanden. Catulus soll in der nach der Wiedererrichtung der Siegestrophäen einberufenen Senatssitzung gesagt haben: "Jetzt greift Caesar den Staat mit Sturmmaschinen, nicht mehr mit unterirdischen Minen an" '. Wenn uns auch heute dieser Ausspruch auf Grund der tatsächlichen Macht Caesars übertrieben und deshalb in seiner Echtheit fraglich erscheint, so ist er als propagandistische Äußerung gegen 1) Suet. Iul. 6,1; Plut. Caes. 5,2f. 2) Suet. Iul. 11; Plut. Caes. 6,Iff; Vell. II 43,4; Val. Max. VI 9,14, Strasburger, Caesars Eintritt 85, hat darauf aufmerksam gemacht, daß ein Überlieferungsstrang, der sich in Plutarch und Velleius darstellt, Caesars Beliebtheit beim Volk besonders hervorhebt. Demnach wären die entsprechenden Nachrichten mit Mißtrauen zu betrachten. Für die beiden im lext genannten Aktionen scheint mir ein solches Mißtrauen aber nicht berechtigt zu sein, da erstens Marius eine popui a r e ^estalt war und zweitens das Herausstellen der Bilder des Marius während der Herrschaft der sullanischen Oligarchie schon eine Sensation bedeutete, wofür die Menge immer aufgeschlossen ist. Vgl. noch H. Vollenweider, Caesars Entwicklung bis zum Konsulat im Urteil seiner Zeitgenossen tDiss. Zürich 1945). 3) Cic. acad. II 13. to ^+ + Suet. Iul. 11: ... optimatium factione; quorum aucritatem ut quibus posset modis in vicem deminueret, tropaeac. Mari ... restituit. ' F l u t - Caes. 6,6; vgl. Vell. II 43,5.
-33eine immerhin starkes Aufsehen erregende Maßnahme doch denk'* bar.1'. 67/66 hat Caesar entweder die lex Gabinia oder die lex Ma2) nilia unterstützt , war also an einer populären Aktion für den Populären Pompeius beteiligt. Während seiner Aedili~ tat im Jahre 65 wurde er durch die aufwendigen Spiele, die er gab, endgültig beim Volk populär . Im folgenden Jahr wirkte Caesar als iudex quaestionis in den Sullanerprozessen . Er nahm dabei Klagen gegen diejenigen an, die Proskribierte getötet und dafür Kopfgelder empfangen hatten,.obwohl sie durch ein sullanisches Gesetz straffrei waren . Sueton betont auch für diese Aktion do Bestreben, die "auctoritas" der "optimatium factio" nach Kräften zu mindern . Es kam zu verschiedenen Verurteilungen, doch wurde der ebenfalls angeklagte Catilina trotz seiner allen bekannten früheren Mordtätigkeit freigespro7) chen . Leider wissen wir auch hier nicht, ob und wie Caesar die Annahme der Klagen motiviert hat. Wenn der FreiSpruch Catilinas auf ihn zurückzuführen ist , wäre das ein Beweis dafür, daß Caesar nicht aus "dogmatischen" Überlegungen heraus handelte. 1) Die Echtheit setzt voraus Gelzer, Caesar 34. 2) Plut. Pomp. 25,8' (lex Gabinia); Dio 36,43,2ff (lex Manilia). Mir scheint Strasburgers Argumentation (Caesars Eintritt loi) einleuchtend, daß bei einem der Autoren eine 3) Suet. Iul. lo mit 11 Anfang: Conciliato populi favore ..i Dio 37,8,lf. 4) Suet. Iul. 11 ; Gelzer, Caesar 37f. Strasburger, Caesars Eintritt 117f neigt im Anschluß an Dio 37,lo,2 zur Ansicht, Caesar sei nur Ankläger gewesen. 5) Suet. ebd. 6) ebd. 7) Dio, 37,10,4; Cic. Lig. 12 mit Schol. Gronov. 293St; Gelzer, Caesar 38. 8) vgl. die berechtigten Zweifel bei Strasburger, Caesars Eintritt 118f. Andrerseits muß aber Caesars Wahlunterstützung für Catilina im Jahre 64 berücksichtigt werden.
-34i m s e ^ b e n Jahr schließlich haben sich Caesar und Crassus verbündet, um Ciceros Bewerbung um den Konsulat zu bekämpfen und gleichzeitig Antonius und Catilina zu unterstüt1) zen Was alle diese Handlungen seit 73 miteinander verbindet, ist die Opposition "gegen den Klüngel der sullanischen Sieeer" die aus Caesars "persönlichem Lebensgeschick" erwachsen ist - Caesar hat diese Opposition durch seine Hand3l lungen offen und demonstrativ betont . Darin unterscheidet er sich grundlegend von Pompeius, bei dem man überhaupt nicht von Opposition, sondern nur von einen» - ungewollten Gegensatz zur sullanischen Oligarchie sprechen kann. Ein zweites Merkmal der politischen Laufbahn Caesars vor 63 sehe ich in dessen Popularität. Sie ist seit 65 (aedilizische Spiele, Wiedererrichtung der Trophäen des Marius) sicher bezeugt, dürfte aber auch schon vorher (Mitführung der Bilder des populären Marius beim Begräbnis der Tante Iulia; gegen die Gewohnheit gehaltene Leichenrede für die Gattin Cornelia) vorhanden gewesen sein . Caesars "largitio", eine oft als popular hervorgehobene Eigenschaft , kannte keine Grenzen . Schließlich sind auch noch seine Liebenswürdigkeit und die Freundlichkeit seines Grußes zu nennen 7) ', von denen Q. Cicero sagt: "nihil tarn populäre neque tarn gratum videtur" '. 1) Cic. in tog, cand. ap. Ascon. 83C mit Ascon. 83C, vgl. 82C. - In dem Überblick sind die angeblichen Beteiligungen Caesars an Umsturzabsichten oder Versuchen zur Erlangung militärischer Macht weggelassen, da sie unsicher bezeugt sind. Einig ist sich die Forschung heute darin, daß Caesar nicht am Putschversuch von 66/65 teilgenommen hat; vgl. dazu Strasburger, Caesars Eintritt 108; R. Syme: JRS 34 (1944) 96f; Taylor PP 148; Gelzer, Caesar 35 mit Anm. 39. In Bezug auf die Hetze bei den Transpadanern und den ägyptischen Versuch sind die Meinungen noch geteilt; vgl. besonders Strasburger, Caesars Eintritt 96f und 109ff (dazu zustimmend Taylor: TAPhA 73 (1942) 16f), anders Gelzer, Caesar 28f und 36f. ' * 2) Strasburger, Caesars Eintritt 131. Vgl. Vell. II 43,3: ••-. contentionesque civiles cum Q. Catulo atque aliis eminentissimis viris celeberrimae. 6) Das Moment der Demonstration in Caesars Aktionen bis 63 hebt auch hervor Syme aaO. 97 *) Zur Leichenrede vgl. Plut. Caes. 5,4f; Suet. 6,1. »J z.B. Cic. de off. II 21; Sest. 105, vgl. 139. %{ vgl. besonders die aedilizischen Spiele: Suet. Iul. 10. 7) Plut. Caes. 4,4. 8) comm. pet. 42.
-35^ Wenn die auf Caesars politische Anfänge angewandten Bezeichnungen "popularis via" und "popularis levitas" } Wesentliches Über Caesar aussagen, müßte sich ihr Inhalt innerhalb der dargestellten Charakteristika der caesarischen Politik 2) finden lassen , es sei denn, daß uns gerade durch das Fehlen zuverlässiger Quellenaussagen über Caesars Motive Wichtiges entgangen ist, was Cicero 63 und 43 gegenwärtig war. Sicher, ist nun - wie sich schon bei den Untersuchungen der 70er Jahre gezeigt hat - die für Caesar bezeugte Popularität ein Merkmal des Populären. Sie dürfte von Caesar mindestens durch Aktionen wie die aedilizischen Spiele und das Herausstellen der Bilder des Marius - beides Taten, die einen guten Teil Demagogie enthielten - auch bewußt gesucht worden sein, so daß man den Ausdruck "popularis levitas" - im Sinne eines demagogischen Werbens um die Menge - ohne weiteres auf Caesar anwenden kann. Ferner hat ja schon Cicero selbst die "popularis levitas" Caesars mit dem ' Gegensatz zum Senat und zu den optimi verbunden (Phil. V 49). Wenn sich auch eine grundsätzliche Opposition Caesars gegen die Senatsherrschaft nicht nachweisen läßt, ganz zu schweigen von demokratischen Bestrebungen •, so ist doch die negative Einstellung gegenüber der sullanischen Ordnung (Eintreten für die tribunicia potestas; lex Plautia; Sullanerprozesse) und dem sullanischen Regime (Bekenntnis zu Marius) nicht zu übersehen. Und da die "restitutio damnatorum" (- lex Plautia) als populäre und staatsfeindliche Aktion galt, da ferner Catulus im Zusammenhang mit der Wiedererrichtung der Standbilder des Mari us Caesar wahrscheinlich ebenfalls als Staatsfeind brandmarkte, wird Caesar - ähnlich wie auch Pompeius - als Popular in der propagandistischen Polemik seiner Gegner der grundsätzliche Widersacher der staatlichen Ordnung gewesen sein. Historisch bezeugt ist für ihn aber nur - das sei nochmals betont - die 1) Cic. in Cat. IV 9 bzw. Phil. V 49. 2) Strasburger, Caesars Eintritt 128, hat mit Recht noch auf den konsequenten Aufstieg Caesars in der Ämterhierarchie hingewiesen. Dafür kommt aber die Bezeichnung "populäre Politik" nicht in Frage. 3) vgl. Strasburger, Caesars Eintritt 129f.
-36Negation einer ganz konkreten Ausformung der aristokratischen Herrschaft, nämlich des sullanischen Regimes. Ob er in dieser Zeit auch schon - wie dann im Jahre 63 - den Anspruch erhob, bestimmte Prinzipien, die mit der Freiheit des Volkes zusammenhängen (etwa die Unverletzlichkeit römischer Bürger), zu verteidigen, wissen wir nicht. * 5) Die Organisierung der populären Methode und populäre Gewaltpolitik. Wahrscheinlich in der ersten Hälfte der 60er Jahre ist in Rom das Bandenunwesen entstanden. Organisierte "operae" sind erstmals zum Jahre 66 bezeugt, als der Tribun Manilius das Gerichtsverfahren gegen Cornelius, einen der Tribunen von 67, "per operarum duces" sprengte . An anderer Stelle ist zum gleichen Vorfall von "noti operarum duces" die Rede 2) . Offenbar hat es also damals Banden von gedungenen Leuten gegeben, die jeweils einem festen Führer unterstanden. In einem zeitgenössischen Zeugnis erscheinen diese Führer als diejenigen, "qui contiones tenent" , und auch Sallust nennt zum Jahre 63 "duces multitudinum, qui pretio rem publicam vexare soliti erant" ', d.h. sie setzten ihre Leute als Claqueure, Zwischenrufer und Unruhestifter ein und konnten so die Contionen oder andere politische Ereignisse nach dem Willen ihrer Auftraggeber manipulieren. Einen Hinweis auf die Zusammensetzung dieser Banden gibt die rogatio Manilla de libertinis, die Manilius "subnixus libertinorum et servorum manu" gewaltsam durchzusetzen suchte . Werden hier schon Freigelassene und Sklaven als "die Mannschaft" des Manilius genannt, so scheint der Inhalt der rogatio - die Verteilung der Libertinen auf alle 35 Tribus - den Zweck gehabt zu haben, durch die Teilnahme der organisierten Libertinen an der Abstimmung in allen Tribus nicht nur die Contionen, sondern auch gesetzgebende Volksversammlungen besser beeinflussen zu können. Wahrscheinlich stehen die genannten Banden mit den in den 1) 2) 3) 4) 5)
Ascon. 60C. ebd. 59C. Q. Cic. comm. pet. 51. Cat. 50,1. Ascon. 45C, vgl. 65C.
-37letzten Jahrzehnten der Republik aufkommenden politischen "collegia" im Zusammenhang oder sind sogar mit ihnen identisch . Das läßt sich am besten einsichtig machen aus dem Tribunat des Clodius, der, nachdem im Jahre 64 die collect gia durch Senatsbeschluß verboten worden waren ', sie durch Plebiszit wieder einführte und neue gründete 3). Diese clodianischen collegia setzten sich aus Sklaven und niederstem 4) Volk zusammen und waren bestens organisiert . Gleichzeitig sind nun für Clodius "operae conductae" oder "mercennarii" unter "duces" und "auctores" bezeugt , die einmal fi ^ auch "contionum moderatores" genannt werden . Es ist kaum anzunehmen, daß Clodius eine doppelte Organisation aufgebaut hat, so daß sich wohl alle Zeugnisse auf die gleiche Institution beziehen, nämlich Bantien von Mietlingen, für die zur Tarnung der euphemistische Name "collegia" in AnSpruch genommen wurde . Das Verbot der collegia im Jahre 64 deutet darauf hin, daß auch schon vor 64 die Horden von operae so bezeichnet' wurden. Die Manipulierung politischer Entscheidungen und die gewaltsame Durchsetzung politischer Ziele mit Hilfe organisierter Banden galten als popular. Das ist belegt für die beiden Aktionen des Manilius aus dem Jahre 66 ' und dadurch, daß Clo1) vgl. zu den politischen collegia E. Kornemann: RE IV/1 (1900) 390f ; Ascon. 75C: Frequenter turn etiam coetus factiosorum hominum sine publica auctoritate malo publico fie— bant; propter quod postea collegia et S,C. et pluribus legibus sunt sublata praeter pauca atque certa ... 2) Cic. in Pis. 8 mit Ascon. 7fC. 3) Broughton MRR II 196. 4) Cic. Sest. 34: ... servorura dilectus habebatur pro tribunali Aurelio nomine conlegiorum, cum vicatim homines conscriberentur, decuriarentur, ad vim, ad manus, ad caedem, ad direptionem incitarentur. Vgl. die übrigen Stellen bei Broughton aaO. 5) vgl. besonders Cic. Sest. 104ff, 112f, 125f; Ascon. TfC. 6) Sest. 125; vgl. dazu das im Text behandelte ZeugnistQ»' Ciceros comm. pet. 51: qui contiones tenent7) Cic. post red. in sen. 33: servos simulatione conlegiorum nominatim esse conscriptos. 8) Den Versuch der Durchsetzung der lex de libertinis mit -, Gewalt nennt Cicero Mil. 22 "populares insanias" (vgl. Ascon. 45C). Die Sprengung des Gerichtsverfahrens gegen Cornelius fallt unter die "perturbatio iudiciorum", die nach Cic. leg. agr. II 10 als popular angesehen wurde-
-38dius, für dessen Politik die Bandenumtriebe eines der Hauptmerkmale sind, so häufig wie niemand sonst in der römischen Geschichte als popularis erscheint . Ferner ist nach Ciceros Darlegungen in der Sestiana der Einsatz von operae conductae das wichtigste Kennzeichen zur Unterschei2) dung der vor- und nachsullanischen Populären ' - neben den angeführten Zeugnissen und dem S.C. von 64 ein weiterer Beleg dafür, daß die organisierten Banden etwa in der ersten Hälfte der 60er Jahre entstanden sein müssen. Der Grund für die Bezeichnung des Bandenunwesens als popular ist nach den bisherigen Ergebnissen nicht schwer zu finden: erstens waren die Banden ein besonders wirksamer Auswuchs der Demagogie, zweitens fanden sie bis zu Clodius hin fast nur gegen das sullanische Regime Verwendung, bis dann Milo Clodius mit dessen eigenen Mitteln entgegentrat. 4) Die Reformgesetze des Cornelius. Neben Manilius ist uns für die 60er Jahre noch der schon genannte Cornelius, tr. pl. 67, als Führer eines politischen "Vereins" bekannt . Das ist deshalb erstaunlich, weil Cornelius bei Asconius einen guten Leumund besitzt -* und die Gesetze seines Tribunats einen ehrlichen Reformwillen erkennen lassen. 1) vgl. die Stellen unt Curio nahm mit seinen Hauptargumenten optimatische Schlagworte auf: "libera et sui iuris civitas" entspricht als Parole der "libertas rei publicae" (nicht: populi!), die schon immer im Kampf gegen die mächtigen Einzelnen beschworen worden war; "pax" bzw. "otium" oder "concordia" hatte Cicero der populären "seditio" entgegengehalten. Als optimatische Schlagworte waren diese Losungen im Munde Curios vor allem auf die Gewinnung des Senats abgestimmt, in des1) ebd. VIII 11,1: Nam Curio tui cupidissimus, quoi omnibus rationibus comitales dies eripiebantur, negabat se ullo modo pati posse decerni supplicationes (sc. für Cicero). 2) Meyer CM 261f. 3) Hirtius B.G. VIII 52,4; Dio 40,62,3; App. b.c. II 27,104; Plut. Pomp. 58,3. 4) Hirtius aaO.; vgl. App. aaO. 5) App. b.c. II 27,105; Plut. aaO. 6) Hirtius aaO.; App. b.c. II 28,111; vgl. Cic. ad Att. VII 8,5?,ad fam. VIII 11,3. 7) ad fam. II 12,1. 8) Plut. Caes. 30,1; vgl. Cic. ad Att. VII 7,6. 9) Plut. Caes. 30,3; Pomp. 59,2.
-113sen Kreisen trotz der offiziellen Metamorphose des Pompeius zum Vorkämpfer der Republik noch großes Mißtrauen gegen den Feldherrn bestand; als Ende eines Bürgerkrieges wurde, selbst wenn Pompeius der Sieg zufallen sollte, die Errichtung einer Tyrannis befürchtet . Aber auch im Volk war der Wunsch nach Frieden weit verbreitet . So erklärt es sich, daß Curio sowohl vom Volk begeistert gefeiert wurde ' als auch im Senat einen guten Stand hatte: während des ganzen Jahres 50 kam es zu keinem definitiven Beschluß gegen Caesar; mehrmals konnte Curio sogar ausgesprochene Abstimmungserfolge erringen, indem er die Senatsmehrheit gegen Anträge des schaff caesarfeindlichen Konsuls C. Marcellus auf seine Seite zu bringen vermochte Curios Politik trägt deutlich populäre Züge: der Tribun war äußerst populär und ein geschickter Demagoge, er hat ferner die populäre Materie wiederbelebt. Dennoch wäre es falsch, ihn ausschließlich als Populären zu charakterisieren. Die populäre Materie diente ihm nicht mehr, wie früheren TribUnen, zur Ermöglichung der "popularis ratio", sondern nur zur Störung der Verhandlungen im Senat. Das Volk war für ihn nurmehr als Druckmittel auf die öffentliche Meinung interessant - die Entscheidung Über Caesar mußte auf jeden Fall im Senat getroffen werden. Curio gebrauchte deshalb in seiner Propaganda optimatische Schlagworte, und was schließlich an seiner Politik - auch für Caesar - zählte, waren die Erfolge im Senat. Vom Effekt her betrachtet, 1) Cic. ad Att. VII 5,4: De re p. cotidie magis timeo; non enim boni, ut putant, consentiunt. quos ego équités Romanos, quos senatores vidi, qui acerrime cum cetera tum hoc iter Pompei (sc. zur Aushebung von Truppen) vituperarent! pace opus est; ex victoria cum multa mala tum certe tyrannus exsistet. Vgl. VII 6,2. 2) Plut. Pomp. 59,2; Cic. ad Att. VII 7,5. 3) vgl. App. b.c. II 27,106; Plut. Caes. 30,2. 4) Curio verhinderte im Mai durch Intercession eine Beschlußfassung über Caesars Abberufung. Als im Juni M. Marcellus den Antrag stellte, mit Curio über die Intercession zu verhandeln, lehnte der Senat das ab, ließ also die Intercession bestehen (ad fam. VIII 13,2). Ebenso lehnte der Senat im üezember von C. Marcellus geforderte Strafmaßnahmen gegen Curio ab (Stein, Senatssitzungen 61). Anschließend stimmte er für die Abberufung Caesars, gleich darauf aber, als Curio in einem Antrag die Abberufung Caesars und des Pompeius forderte, mit großer Mehrheit auch für diesen Antrag (Stein ebd.). Am folgenden Tag konnte Marcellus auf ein Gerücht vom Anrücken Caesars hin nur die Anlegung der
-114standen die Senatsmehrheit und das Volk mehrfach zusammen hinter Curio gegen Pompeius und die Nobiles, die sich klar für den Feldherrn entschieden hatten. Hier zeigte sich erneut, daß die Kategorien "optimatisch" und "popular" zwar noch Einzelheiten kennzeichnen konnten, daß sie aber unter dem Druck der von Caesar gewonnenen Machtstellung,die dem Senat nur noch die Wahl zwischen Krieg oder Annahme der curionischen Forderung ließ, für die Erkenntnis der politischen Situation, insbesondere der in ihr herrschenden Kräfteverhältnisse, unwesentlich wurden. Betrachtet man auf diesem Hintergrund noch einmal den eingangs zitierten Bericht des Caelius, so ergeben sich die nötigen Korrekturen aus dem Tribunat Curibs von selbst. Ein grundsätzlicher Gegensatz zwischen dem Senat und dem Volk, auf den die Formulierung "ad populum transfugit" hindeuten könnte, hat Ende der 50er Jahre ebensowenig bestanden wie eine mit Caesar verbundene "Volkspartei". Zwar besaß Caesar als Feldherr bei der plebs urbana große Popularität, aber das besagte nichts für die politische Haltung des Stadtvolkes. Wenn man deshalb den öericht des Caelius als Aussage über politische Gruppierungen verstehen will, dann muß man annehmen, daß Caelius ideologische oder propagandistische Vorstellungen in die Wirklichkeit übertragen hat. Vielleicht wollte er aber mit seiner Formulierung "ad populum transfugit" nicht mehr sagen, als daß Curio nach seinem (gewollten) Mißerfolg im Senat die Volksversammlung als geeignetes Gremium für seine Agitationen zugunsten Caesars benutzte.
Traueftleidung, nicht aber die Entsendung von zwei Legionen gegen Caesar durchsetzen (Stein aaO, 61f),
-1153. Politische Ideologie in Caesars "Bellum Civile". In den ersten Kapiteln seines "Bellum Civile" stellt Caesar die entscheidenden Ereignisse bis zum endgültigen Ausbruch des Bürgerkrieges dar. Er beschränkt sich dabei nicht auf die reinen Fakten, sondern bietet dem Leser eine prononcierte Interpretation, die schon vorher im politischen Tageskarapf gebräuchliche ideologische Gedankenverbindungen widerspiegelt. Zur Begründung für seinen Einmarsch in Italien weist Caesar immer wieder auf zwei Dinge hin: die Verletzung der Rechte des Volkstribunats und die seiner eigenen "digni2) tas" . Mit dem ersteren knüpft Caesar an die Vorgänge vom 7. Januar 49 an, als der Senat gegen die Intercession der Tribunen Antonius und Cassius, die seit ihrem Amtsantritt für Caesar tätig gewesen waren, das SCU gegen Caesar beschlossen hatte. Antonius und Cassius waren daraufhin zu ihrem Auftraggeber abgereist . Caesar stellt das Verhal4) ten gegenüber den Tribunen als grobes Unrecht dar ' und bezeichnet es als "crudelitas" -* - ein typisch populares Schlagwort . Zugleich nimmt er die ideologisch-propagandistische Verbindung zwischen den Rechten des Tribunats und der Freiheit des Volkes auf, wenn er als sein Kriegsziel angibt: "ut tribunos plebis in ea re ex civitate expulsos in suam dignitatem restitueret et se et populum Romanum factione paucorum oppressum in libertatem vindicaret" 7*1 . Auch an anderer Stelle hebt Caesar die Verletzung 1) I 5,lf.4f; 7,2ff; 22,5; 32,6. - Vgl. zu den ersten Kapiteln des B.C. allgemein: H. Oppermann, Caesar. Der Schriftsteller und sein Werk: Neue Wege zur Antike, II. Reihe, Heft 2 (1933) 19-29. Zum Forschungsstand über das B.C. vgl. den Neudruck des Kommentars von F. Kraner - F. Hofmann - H. Meusel mit Nachwort und bibliographischen Nachträgen von H. Oppermann (Berlin 1959). 2) I 7,7f; 9,2; 32,2; III 91,2. 3) Gelzer, Caesar 175. 4) I 5,lf.4f-, 7,2ff. 5) I 32,6. 6) vgl. z.B. die Contio des Clodius mit den Konsuln Gabinius und Piso im Jahre 58 (oben S. 85). 7) I 22,5. Vgl. III 91,2, wo dem Crastinus als Vertreter des populus Romanus die Worte in den Mund gelegt werden: quo (sc. proelio) confecto et ille suam dignitatem et nos nostram libertatem recuperabimus. Vgl. ferner H. Kloesel, Libertas (Diss. Breslau 1935) 48ffj. W. Lehmann, Die Methode der Propaganda in Caesars Schriften (Diss, masch, Marburg 1951) 56ff (Lehmann weist 62ff mit Recht die Behaup-
-116von Rechten des Volkes hervor ^ und ld betont später dess dessen Entscheidungsrecht bei der Rückberufung der Verbannten 2) Die Beziehung zwischen Caesar und dem Volk wird vertieft durch den Hinweis, die Gegner beider hätten Caesar ein "beneficium populi Romani" entrissen, als sie ihm die durch Volksbeschluß gestattete Bewerbung um den Konsulat in Abwesenheit unmöglich machten . Auch in Caesars eigener Angelegenheit, der Verteidigung seiner "dignitas", stehen also Rechte des Volkes auf dem Spiel, wird das Volk geradezu zu mit Caesar identifiziert Als seinen und des Volkes Gegner bezeichnet Caesar niemals den Senat als ganzen, sondern immer nur Pompeius und die "factio paucorum" * . von deren Mitgliedern L. Lentulus, Metellus Scipio und Cato namentlich genannt werden . Sie waren diejenigen, die in den ersten Januartagen von 49 die schärfste Haltung gegenüber Caesar vertraten und den Ausgang der entscheidenden Senatssitzung vom 7. Januar be} stimmten 71 . Nach dem "Bellum Civile" haben sie zusammen mit Pompeius nicht nur das Volk, sondern auch den Senat unterdrückt, indem sie dessen Mitglieder terrorisierten . tung Kloesels (aaO.) zurück, daß "libertas" eine Caesar nicht angenehme Parole gewesen sei). J.H. Collins, Propaganda, Ethics und Psychological Assumptions in Caesar's Writings (Diss, masch. Frankfurt 1952) weist S. 61 darauf hin- daß Caesar immer den vollen Namen "tribuni plebis" gibt. * 1) I 6,6: in reliquias provincias praetores mittuntur, neque exspectant - quod superioribus annis acciderat - ut de eorum imperio ad populum feratur. Man hatte versäumt, die lex curiata einzuholen (Meyer CM 289). P.J. Cuff, The Terminal Date of Caesar's Gallic Command: Historia 7 (1958) 466 laßt Caesar hier einen populär-dogmatischen Standpunkt vertreten: Jedes imperium gehe vom Volke aus. Deshalb müsse sich die Provinzverwaltung direkt an die Magistratur anschließen, andernfalls seien die für die Provinzverwaltung bestimmten Männer "privati" (vgl. 1 6,5 und 85,9). Caesar rügt jedoch nur die Unterlassung des "ad populum ferre" und die Willkür in der Änderung des Herkommens (I 85,9). Von einem popular-dogtaatiscften Standpunkt kann gar keine Rede sein. 2) III 1,5. 3) I 9,2; 32,3; vgl. Sall. ep. II 2,3; Suet. Iul. 29,2; Gelzer, Caesar 173; Lehmann aaO. 58ff. 66. 4) Collins aaO. 80; Taylor PP 163. 5) I 22,5; vgl. I 3,1; 4; 5,3; 85,9. 6) I 1,2.4; 2,4-6; 4. 7) Gelzer, Caesar 173-175. 8) I 2,6; 3,5; 33,lf; vgl. 4,5 (potentia und dominatus des Pompeius); 5,3; ferner B.G. VIII 52,4.
-ÏÏ7Einen gewissen Wirklichkeitsgehalt hat diese Darstellung nur insofern, als in den Jahren 51 und 50 die schärfsten Caesargegner bei verschiedenen Caesar betreffenden Beschlüssen im Senat isoliert worden waren - eine Tatsache, auf die Caesar gleich am Eingang seines "Bellum Civile" den Konsul Lentulus in Form einer rügenden Drohung hinweisen laßt 1)' . Kommt schon hier neben der populären Komponente in Caesars Propaganda deutlich auch eine "optimatische" zum Ausdruck, indem Caesar sich, zum Sprecher für die Freiheit des Senats macht, so wird diese Komponente noch deutlicher, wenn Caesar die tribunizischen Vertreter seiner Sache ausdrücklich absetzt von den "turbulentissimi superioribus temporibus tribuni plebis" 2) . Desgleichen unterscheidet er das SCU vom 7. Januar 49 scharf von früheren Notstandsbeschlüssen, bei denen - so etwa im Falle der Gracchen und des Saturninus - äußerste Gefahr vorgelegen habe. Für den 7. Januar streitet Caesar eine solche Gefahr ab '. Die Berechtigung des SCU wird also von ihm nicht in Frage gezogen, nur seine Anwendung im vorliegenden Fall. In der Beurteilung der Gracchen und des Saturninus unterscheidet er sich durch nichts von einem Vertreter der herrschenden Oligarchie. Das ist erstaunlich, weil in der populären Ideologie das SCU als schärfster Feind der auch von Caesar beschworenen Freiheit des Volkes galt, gegen den man das Recht der Provokation ins Feld führte. Hier wird deutlich, daß Caesar die Ebene früherer politischer Propaganda verläßt. Für ihn gibt es im "Bellum Civile" keinen Konflikt zwischen den Rechten des Volkes und denen des Senats. Er nimmt zwar populäre und optimatische Gedanken auf, biegt aber den ursprünglich vorhandenen Gegensatz zwischen der populären und optimatischen Ideologie um in eine Stoßrichtung beider gegen Pompeius und die "factio paucorum", gegen die er Volk und Senat zusammenfassen will.So verkündet er noch während der ersten Kampfhandlungen als Ziel seiner Friedensangebote: "... libera comitia atque omnis res publica senatui populoque Romano permittatur" '. Und an anderer Stelle 1) I 1,3. 2) I 5,2. 4) I 9^5; vgl. III 10,8.10.
-118ermahnt er die Senatoren, "ut rem publicam suscipiant atque una secum administrent" . Caesar wollte als Kämpfer für die res publica verstanden werden, die gemeinsam von ihm selbst, dem Senat und dem Volk geleitet werden sollte. Ob diese Propaganda ernst gemeint war, bleibt mehr als zweifelhaft . Die Alternative ist freilich nicht eine optimatische oder populäre Herrschaft, sondern die Alleinherrschaft Caesars. Aber selbst wenn Caesar sie - was wahrscheinlich ist - von vornherein gewollt hat, enthielte seine Propaganda etwas von seinem wirklichen Selbstverständnis, insofern nicht nur in der von ihm propagierten wiederherzustellenden res publica, sondern auch in der tatsächlich eingetretenen Alleinherrschaft der Gegensatz optimatisch - popular wesenlos werden sollte. 4. Die Herrschaft Caesars. Die neuere Forschung ist sich darin einig, daß sich Caesar während seiner Alleinherrschaft mit keiner der im Rom der 60er und 50er Jahre bestehenden politischen Richtungen identifiziert hat . Zweck dieses Kapitels ist es deshalb nur, kurz die Gründe dafür zusammenzufassen, warum Caesars Herrschaft nicht als popular bezeichnet werden kann. Am stärksten könnte wohl Caesars Anhängerschaft eine Kontinuität zu den Zeiten vor dem Bürgerkrieg vermuten lassen. Sie setzte sich zum größten Teil aus solchen Männern zusammen, die auch schon früher mit Caesar oder mit dessen Verbündeten zusammengearbeitet hatten, und umfaßte auch manche alte Populären, so A. Gabinius, Q. Fufius Calenus, P. Va4) tinius und C. Sallustius Crispus . Vielen Exilierten, insbesondere den während der Ordnungsaktion des Pompeius im Jahre 52 Verurteilten, wurde durch besondere Gesetze die Rückkehr nach Rom gestattet. Schließlich erhielten Anfang 48 die Söhne der von Sulla Proskribierten das Recht der Amt erbeWerbung zurück. Aber alles dies bedeutete für Caesar kein politisches Bekenntnis; vielmehr war er, da sich ihm die Nobilität weitgehend versagte, auf alle angewiesen, 1) I 32,5. 2) vgl. z.B. das brutale Vorgehen gegen den Volkstribunen L. Metellus (Gelzer, Caesar 192). 3) vgl. etwa Meyer CM 344 361 397; Syme RR 51; Gelzer, Caesar 223. 4) Gelzer ebd.
-119die mit ihm zusammenarbeiten wollten . Später hat er angesehene Nobiles, die zu ihm übertraten, gern bei sich aufgenommen, anderen - ebenso wie' 49 den Exilierten - die Rückkehr nach Rom gestattet und sogar ehemalige Gegner in 2) seinen Dienst gestellt ' . Die "dementia Caesaris" wurde zum festen Begriff und zum Ausdruck eines über den Parteien stehenden Herrschaftsbewußtseins 3). Wie wenig Caesar in seinen innenpolitischen Zielen an alte populäre Programmpunkte anknüpfte, geht vielleicht am deutlichsten aus der Schuldenordnung des Jahres 49 und zwei anschließenden Aufständen hervor, in denen die populäre Materie des Schuldenerlasses gegen Caesar eingesetzt wurde. Ende 49 hat Caesar eine diktatorische Verfügung erlassen, die zwar den Gläubigern einige Opfer auferlegte, ihnen aber das Recht auf ihr ausgeliehenes Kapital voll beließ . Anfang 48 widersetzte sich M. Caelius, um das Volk gegen Caesar aufzuhetzen , der Durchführung dieser Verfügung und verkündete dann Gesetze, die anfangs Zinsenerlaß für Schulden und Rückzahlung derselben innerhalb sechsjähriger Frist, später Erlaß der Wohnungsmieten für ein Jahr und Aufhebung der alten Schuldverträge beinhalteten. Als ihm der Konsul Servilius entgegentrat, kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung, in der Caelius den Tod fand \ Während der Aufstand des Caelius wesentlich anticaesarisch war 7) , ging es dem Tribunen Dolabella, der in der ersten Hälfte des Jahres 47 die Gesetzesanträge des Caelius wieder aufnahm , vor allem darum, seine eigene Schuldenlast loszuwerden 9) . Bezeichnend ist, daß er eine Clodius-Statue 1) Cic. ad Att. IX 18,3 (ein Ausspruch Caesars): si sibi consiliis nostris uti non liceret, usurum quorum posset, Vgl. Meyer CM 498. 2) vgl. Gelzer, Caesar 223f. 258ff. 271. 3) vgl. dazu L. Wickert, Zu Caesars Reichspolitik: Klio 30 (1937) 238ff. 4) Gelzer, Caesar 203. 5) Caelius ad fam. VIII 17,2: Equldem iam effeci ut maxime plebs et, qui antea noster fuit, populus vester esset. "Cur hoc?" inquis. Immo reliqua exspectate; vos invitos vincere coegero. , 6) Caes. B.C. III 20-22; Dio 42,22-25; Vell. II 68, 1-2. 7) vgl. Anm. 5. 8) vgl; Meyer CM 368ff; Gelzer, Caesar 234. 241f. 9) Dio 42,29,1.
-1201) errichten lassen wollte . Erst nach blutigen Straßenschlachten konnte Antonius Ende 47 den Tribunen niederwerfend) Ebenso wie für die Schuldengesetzgebung, die Raum für populäre Agitationen gegen Caesar ließ, sagt die Kategorie "popularis" auch für das übrige Werk Caesars nichts aus. Es wäre müßig, hier alle Gesetze Caesars daraufhin zu untersuchen. Zwar begegnen Maßnahmen, die eine populäre Tradition besaßen - wie etwa die Veteranenversorgung und die Siedlungspolitik -, aber wenn man dagegen - neben der Schuldengesetzgebung - so unpopuläre Anordnungen wie die drastische Reduktion der Zahl der Empfänger unentgeltlichen Getreides, die Auflösung der politischen Vereine und den Ausschluß der Aerartribunen von der Rechtsprechung hält, dann zeigt dies deutlich genug, daß Caesar sein Handeln nach anderen als populären Gesichtspunkten ausrichtete. Vas schließlich die Struktur der Herrschaft Caesars betrifft, so ist die Frage, wie Caesar sich die endgültige Ordnung seines Regiments dachte, in der Forschung stark umstritten. Einigkeit besteht jedoch darin, daß die tatsächliche Stellung Caesars die eines Alleinherrschers war, dem gegenüber Senat und Volksversammlung zwar formal die meisten ihrer Funktionen behielten, die eigentliche Entscheidung über die staatlichen Angelegenheiten aber verloren. Auch hier bleibt somit kein Raum für die Annahme einer populären Herrschaft. Nur eine Einzelheit ist in diesem Zusammenhang für uns interessant: die Fragender tribunizischen Ehrenrechte Caesars. • Gerade in diesem Punkt ist aber die Überlieferung so unklar ' daß es nicht einmal möglich ist, einen gesicherten Faktenbestand zu erreichen. Man kann nur als wahrscheinlich annehmen, daß Caesar nicht die volle tribunicia potestas besessen hat , sondern lediglich das von Dio direkt genannte Ehrenrecht des Sitzens auf der Tribunenbank ' sowie die sacrosanctitas 6) , die aber vielleicht unabhängig von der 1) Cic. ad Att. XI 23,3. 2) vgl. Gelzer, Caesar 241. 3) Die Zeugnisse und die ältere Literatur sind ausführlich diskutiert bei E. Hohl, Besaß Caesar Tribunengewalt?: Klio 32 (1939) 61-75. 4) ebd. und Gelzer, Caesar 292 Anm. 207. 5) Dio 42,20,3; 44,4,2 (hier ausdrücklich: als Zuschauer bei Spielen unter den jeweiligen Tribunen zu.sitzen). 6) Dio 44,5,3; Liv. per. 116; App. b.c. II 106,442.
-121tribunizischen sacrosanctltas gedeutet werden muß . Sie kann deshalb hier außer Betracht bleiben. Da dem Recht, auf der Tribunenbank zu sitzen, keine direkte machtpolitische Bedeutung zugemessen werden kann, wäre es möglich, daß Caesar bei der Annahme dieses Hechtes den ideologischen Gehalt in Rechnung gestellt hat, den der Tribunat in der späten Republik erlangt hatte. Wenn diese Deutung stimmt, dann hätte man hier ein - allerdings recht unbedeutendes - populares Element in der Herrschaft Caesars 2). 5. Populares in den Auseinandersetzungen nach Caesars Tod. Nach Caesars Tod lebte der Begriff popularis als politisches Schlagwort noch einmal kurz wieder auf. Das ist aus der Situation verständlich, denn keine der streitenden Parteien besaß anfangs genügend militärische Macht, um die Innenpolitik entscheidend bestimmen zu können. So lag es nahe, auf alte politische Kampfmittel zurückzugreifen. Die Konsuln Antonius und Dolabella arbeiteten seit dem 15. März zunächst vorsichtig mit dem Senat zusammen; erst seit dem 1. Juni wandten sie sich wieder ans Volk und promulgierten Gesetze, die sich angeblich in Caesars Nachlaß 1) vgl. Hohl aaO. 68f. 2) Die popularis-Zeugnisse Ciceros, die sich auf die Zeit der Herrschaft Caesars beziehen, haben keine politische Bedeutung - sie können deshalb hier in den Anmerkungen behandelt werden: Cicero glaubt, seine Person sei für Angriffe Caesars und der Caesarianer besonders populär: ad Att. VIII 3,5: ... quod putabit (sc, Caesar) fortasse in nobis violandis aliquid se habere populäre; VIII H D , 7 : ... ut mea persona semper ad improborum civium impetus aliquid videretur habere populäre. Im April 49 berichtete Curio an Cicero, Caesar habe seine Popularität verloren: ad Att. X 8 (7), 3: Curio meeum vixit iacere Caesarem putans offensione populari.... Ferner wird der Begriff popularis mit der dementia Caesars in Verbindung gebracht: ad Att. X 5 (4), 8: ipsun» (sc. Caesarem) autem non voluntate aut natura non esse crudelem, sed quod putaret populärem esse clementiam. In den 60er und 50er Jahren hatten populäre Politiker mit der dementia gegen die Grausamkeit des SCU argumentiert (vgl. Cic. Rab. perd. 13; har. resp. 42), Die dementia war damals ein Bestandteil der populären ideologischen Propaganda. Bei Caesar findet sich diese Bedeutung in den 40er Jahren nicht mehr - sie wäre auch angesichts seiner Alleinherrschaft sinnlos gewesen (vgl. • auch Wickert aaO, 238ff), ad Att. XVI 16A,5: ... aperteque ostendebat (sc. Caesar) se praesentium animos (erat enim popularis, ut noras) offendere nolle. Der Brief handelt von den Fragen um das buthrotische Gebiet. Caesar wollte diejenigen, die auf dieses Gebiet reflektierten, nicht vor den Kopf stoßen, weil er darauf bedacht war, populär zu sein. - ad Att. IX 6,7:
-122auch eine eine lex, lex, "ut "u de vi befinden soilten , unter anderemii auch et maiestate damnati ad populum provocent, si velint « 2) Das Gesetz wurde damit empfohlen, daß es popular sei . Antonius hat also die ideologisch am meisten gefüllte Materie der Provokationsgesetze erneut hervorgeholt, um sich - wie die Populären des Jahres 63 und Clodius im Jahre 58 - von seinen Gegnern abzusetzen und als Vorkämpfer des Volkes zu erscheinen. Und ebenso wie 63 und 57/56 antwortete Cicero darauf mit dem ihm eigenen popularis-Verständnis, daß nämlich nur das popular sei, was alle Burger erstrebten und 4) was der salus rei publicae nütze / . Das Wollen aller Bürger und die salus rei publicae sah er verkörpert in sich selbst, so daß er sich später, etwa nach der Schlacht bei Mutina, auch wieder selbst als Populären 'hinstellen konnte . Das Gleiche geschah im Februar 45, als die Gesandten des Senats mit unverschämten Forderungen von Antonius zurückkehrten . Cicero hatte diese Gesandtschaft scharf bekämpft und sich deshalb in der zweiten Januarhälfte mit Fufius Calenus, einem der Vertrauensleute des Antonius, me adhuc haec duo fefellerunt: initio spes compositionis, qua facta volebam uti populari vita ... Cicero hatte gehofft, nach dem Zustandekommen einer Verständigung zwischen Pompeius und Caesar eine - in der Anerkennung seiner Taten begründete - Popularität zu genießen, - Lig, 37: Nihil est tarn populäre quam bonitas. 1) Cic. Phil. 1 passim-, vgl. Gelzer, Cicero 1043f. 2) Cic. Phil. I 21. 3) ebd.: Cicero antwortet auf einen Ausspruch aus den Reihen der Befürworter des Gesetzes ("At res popularis") mit: Utinam quidem aliquid velletis esse populäre! Omnes enim iam cives de rei publicae salute una et mente et voce consent iunt. 4) vgl. Anm, 3. Phil. I 37 hebt Cicero, ähnlich wie 63 und 57/56, den "plausus" für die Populären scharf vom Willen des Gesamtvolkes ab: Equidem is sum qui istoa plausus, cum popularibus civibus tribuerentur, semper contempserim; idemque cum a summis, mediis, infimis, cum denique ab universis hoc idem fit, cumque ei qui ante sequi populi consensum solebant fugiunt, non plausum illum, sed iudicium puto. 5) Cic. ad Brut. I 3,2: sed tamen omnium Ordinum consensus, gratiarum actio gratulatioque me commovet propterea, quod populärem me esse in populi salute praeclarum est. 6) Cic. ad fam. XII 4,1: Itaque ad nos concurritur lactique iam in re salutari populares sumus.
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auseinandergesetzt . Dabei hatte er Calenus dessen populäre Vergangenheit - die Unterstützung des Clodius im Jahre 61 - vorgehalten und ihn beschuldigt, nun nicht popular, d.h. gegen Antonius sein zu wollen , während er, Cicero, jetzt popular sei , Bezeichnend ist, daß auch 44/43 wieder zusammen mit Ciceros eigenem popularis-verständnis das Programm des consensus omnium bonorum auftrat 4).
1) vgl. dazu Gelzer, Cicero 1060ff. 2) Phil. VII 4: Atque haec ei loquuntur qui quondam propter levitatem populares habebantur. Ex quo inteLlegi potest animo illos abhorruisse semper ab optimo civitatis statu, non voluntate fuisse popularis. Qui enim evenit ut, qui in rebus improbis populares fuerint, idem in re una maxime populari, quod eadem eàlutaris rei publicae sit, improbos se quam popularis esse malint? 3) ebd.: Me quidem semper, uti scitis, adversarium multitudinis temeritati haec fecit praeclarissima causa populärem. Auf der gleichen Ebene liegt es, wenn Cicero im Mai 44 Dolabella zu dessen Vorgehen gegen das städtische Gesindel beglückwünscht und u.a. sagt, "ut summa severitas animadversionis non modo non invidiosa sed etiam popularis esset..." (ad fam. IX 14,7). 4) vgl. H. Strasburger, Concordia Ordinum (Diss. Frankfurt 1931) 69f.
B. POPULÄRE POLITIK VON DEN GRACCHEN BIS ZU CINNA
-124In den letzten Jahrzehnten der Republik hat in Rom eine Art Kampf um die Geschichte stattgefunden. Wir besitzen dafür ein interessantes Zeugnis Ciceros, derin seinen "Academici libri" den Lucullus sagen läßt: "Primum mihi videmini ... cum veteres physicos nominatis facere idem quod seditiosi cives soient cum aliquos ex antiquis claros viros proferunt. quos dicant fuisse populares, ut eorum ipsi similes esse videantur, repetunt iam a P. Valerio qui exactis regibus primo anno consul fuit, commémorant reliquos qui leges populares de provocationibus tulerint cum consules essent; turn ad hos notiores, C. Flaminiura qui legem agrariam aliquot annis ante secundum Punicum bellum tribunus plebis tulerit invito senatu et postea bis consul factus sit, L. Cassium Q. Pompeium. illi quidem etiam P. Africanum referre in eundem numerum soient; duo vero sapientissimos fratres P. Crassum et P. Scaevolam aiunt Tib. Graccho legum auctores fuisse, alterum quidem ut videmus palam, alterum ut suspicantur obscurius. addunt etiam C. Marium; et de hoc quidem nihil mentiuntur. horum nominibus tot virorum atque tantorum expositis eorum se institutum sequi dicunt" 1). In diesem Zeugnis wird etwa um das Jahr 100 ein zeitlicher Einschnitt angesetzt: die Reihe der Männer, die von späteren Populären als Vorbilder in Anspruch genommen wurden, reicht vom Anfang der Republik bis zu C. Marius, während, wie aus dem folgenden Paragraphen hervorgeht, Saturninus schon zu denen gehörte, die am Aufbau der populären exempla - Reihe beteiligt waren . Der Rückgriff auf die Geschichte diente den Populären seit Saturninus dazu, ihre eigenen Handlungen zu rechtfertigen. Sie verstanden dabei - anders läßt sich Ciceros Aussage nicht deuten - Geschichte direkt von ihrer eigenen Gegenwart her, d.h. sie gaben den historischen (oder erfundenen) Taten bestimmter Männer den Sinn, den sie ihren eigenen Handlungen beizulegen wünschten. Im Gegensatz dazu will Cicero die genannten Männer anders verstanden wissen - wie, sagt er an dieser Stelle nicht. Nur C. Marius und - implizit - Tiberius Gracchus läßt er als echte Vorbilder für die späteren Populären gelten. Ich werde auf das Zeugnis später noch ausführlicher eingehen. Hier genügt zunächst die Erkenntnis, daß es eine spezifisch populäre Interpretation nicht nur der ältesten römischen Geschichte, 1) II 13. 2) II 14: Sed neque Saturninus, ut nostrum iniraicum potissiraum nominem, simile quicquam habuit vetcrura illorum, nee..,
-125sondern auch noch verschiedener Gestalten der zweiten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts (im obigen Zitat die Namen von L. Cassius bis C. Marius) gegeben hat, eine Interpretation, welche die Gegner der Populären nicht anerkannten. Umgekehrt hat man natürlich auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß die Gegner der Populären in der ciceronischen Zeit - und zu ihnen gehörte Cicero selbst - diejenigen Politiker der Vergangenheit, die sie für Populären hielten, von den Populären der 60er und 50er Jahre her verstanden und vielleicht mißverstanden haben. Ich erinnere hier nur an die Einheitssicht aller Populären in Ciceros Sestiana Man wird deshalb gut daran tun, die späteren Kategorisierungen in keinem Fall als selbstverständlich anzunehmen, sondern immer auch die Sache selbst zu befragen. I. Die Reformen der Gracchenzeit. 1. "Populäre" Gesetze vor dem Auftreten des Ti. Gracchus Schon in der vorgracchischen Zeit finden sich einige Gesetzesanträge, die in der späteren populären Tradition eine Rolle gespielt haben, und zwar die Rogation des Tribunen C. Licinius Crassus (145), in den Priesterkollegien an Stelle der Kooptation die Volkswahl einzuführen 2) , und die leges tabellariae der Tribunen Gabinius (139) und L. Cassius (137), die für die Magistratswahlen und die Volksgerichte - mit Ausnahme der Perduellionsprozesse - die geheime AbStimmung festsetzten u / . Nur über die lex Cassia und deren Initiator ist Näheres bekannt. L. Cassius war ein Nobilis, der wegen seiner unbestechlichen Strenge bei Gerichtsverfahren vom Volk sehr geschätzt wurde, so daß ihn Cicero einmal "severitate popularis" nennen kann 4) . Wenn derselbe Cicero in "de legibus" seinen Bruder Quintus den Cassius als "omnis rumuseulos popularis ratione aueupans" beschreiben läßt , dann ist das 1) vgl. oben S. 92ff. 2) Cic. Lael. 96: ... quam popularis lex de sacerdotiis C. Licinii Crassi videbatur. Cooptatio enim ad populi beneficium transferebatur. 3) Cic. de leg. III 35. Die Tabellargesetze insgesamt als popular: ebd. III 37. Weitere Stellen vgl. unten. 4) Brut. 97; vgl. Rose. Aroer. 84; Ascon. 45C. 5) III 35.
-126nur aus der Schablone der Ciceronischen Zeit für die Populären zu erklären, die damals allgemein als "assentatores et levés cives" galten . Für Cassius kann diese Charakte2) risierung auf Grund der übrigen Nachrichten ' unbedenklich zurückgewiesen werden. Die lex Cassia wurde stark gefördert, wahrscheinlich sogar veranlaßt von Scipio Aemilianus, dem auch das Hauptverdienst an der Durchsetzung der Rogation zukam: Er hat den vom Konsul M. Lepidus unterstützten Tribunen M. Antius Briso von dessen Widerstand gegen das Gesetz abgebracht und sich deshalb den Tadel eines Großteils seiner Standesgenossen zugezogen . Die lex machte die genaue Kontrolle der Abstimmungen in den Volksgerichten durch die Nobiles unmöglich. Sie kann deshalb am besten als indirektes Reformgesetz gegen "ambitus" verstanden werden , womit nicht gesagt ist, daß Scipio rein aus ideellen Motiven gehandelt hat ' : da er selbst beim Volk eine starke Stellung besaß, war er auf die Kontrolle der Abstimmungen nicht in dem Maße angewiesen wie seine uegner .6) Die Stoßrichtung der lex Cassia betraf jedenfalls die Nobilität selbst. Praktisch brachte das Gesetz allerdings dem Volk größere Unabhängigkeit gegenüber der Nobilität. Genau dieser Punkt erscheint nun in mehreren Zeugnissen Ciceros als das Zentralthema der Tabellargesetze überhaupt: leg. agr. II 4: ... tabellara. vindicem tacitae libertatis ..,, Sest. 103: Tabellaria lex ab L. Cassio ferebatur: populus libertatem agi putabat suam; dissentiebant principes et in salute optimatium temeritatem multitudinis et tabellae licentiam pertimescebant. de leg. Ill 39: si non valuerint tamen leges (sc. tabellariae) ut ne sit ambitus, habeat sane populus tabellam quasi vindicem libertatis. 1) Cic. Lael. 95. 2) vgl. besonders Ascon. 45fC, 3) Cic. de leg. Ill 37; Brut. 97; K. Bilz, Die Pojitik des P. Cornelius Scipio Aemilianus (Stuttgart 1936) 48; J. Bleicken, Das Volkstribunat der klassischen Republik (München 1955) 68ff (künftig zitiert: Bleicken, Volkstribunat); H.H. Scullard, Scipio Aemilianus and Roman Politics: JRS 50 (1960) 72f. 4) vgl. Cic. pro Corn. I ap. Ascon. 78C; de leg. III 39; F. F. Abbott, A history and description of Roman political institutions (New York 1963) 71; Bleicken, Volkstribunat 71; Heuß RG 130. 5) so Scullard aaO. 61ff 71. 6) vgl. D.C. Earl, Ti. Gracchus. A Study in Politics (Brüssel 1963) 75-77 (künftig zitiert: Earl, Ti. Gr.).
-127An der Aussage der Sestiana fällt zunächst die schematische Gegenüberstellung von Volk und "principes" (bzw. Optimaten) auf, Sie ist sicher falsch, da immerhin der berühmteste der damaligen "principes", Scipio Aemilianus, die lex Cassia unterstützt hat. Die Rolle des Volkes wird also von Cicero zumindest überbetont. Bei der Verfassung des Volkes seit dem Beginn des zweiten Jahrhunderts, vor allem bei seiner politischen Richtungs- und Interessenlosigkeit 1) halte ich es auch von vornherein für äußerst unwahrscheinlich, daß ihm an dem Cassischen Gesetz überhaupt besonders gelegen war 2) Dazu kommt nun ein Zweites: Wie wir oben gesehen haben, wurden von späteren Populären u.a. auch Scipio und Cassius als Vorbilder in Anspruch genommen . Als Grund dafür kommt kaum eine andere Maßnahme in Betracht als eben die lex Cassia tabellaria, weil sie den Raum für eine populäre Interpretation bot. Wir haben also damit zu rechnen, daß spätere Populären die Bedeutung der lex Cassia - und auch der übrigen Tabellargesetze - verzeichnet haben, um sich dadurch "exempla" für ihre propagandistisch-ideologische Position zu schaffen. Wahrscheinlich sind auf diese Weise die Tabellargesetze zu den "vindices libertatis" (sc. populi) geworden, als die sie bei Cicero erscheinen . Für die nachsullanischen Populären war die "libertas populi" ein wichtiges Schlagwort; im Mtmde eines Scipio ist sie als Parole schwer vorstellbar. So ergeben sich auch aus den angeführten Cicero-Stellen keine triftigen Einwände gegen die obige Interpretation der lex Cassia: Sie war ein Reformgesetz gegen "ambitus", das erst nachträglich zu einem mit ideologischen Gehalten an1) vgl. W. Hoffmann: RE XXI/1 (1951) 100 s.v. plebs. 2) anders Wirszubski, Libertas 50. Doch vgl. noch die sarkastische und übertriebene, aber im Kern wahrscheinlich doch zutreffende Bemerkung, die Cicero in de leg. III 34 seinem Bruder in den Mund legt: Quam (sc. legem tabellariam) populus liber numquam desideravit, idem oppressus dominatu ac potentia principum flagitavit. 3) Cic. acad. II 13; vgl. oben S. 124. 4) Man könnte dagegen einwenden, daß Cicero sich dann eine populäre Position zu eigen gemacht hätte, was doch sehr unwahrscheinlich ist. Aber in der Sestiana identifiziert sich Cicero nicht mit der populären Interpretation (vgl. das "putabat"). In der 2. Rede gegen das Rullische Ackergesetz, die Cicero vor dem Volk hielt, hat er aus opportunistischen Gründen auch noch an verschiedenen anderen Stellen popular
-128gefüllten populären Gesetz gemacht worden ist 1} Das Gleiche muß für die lex Gabinia gelten 2) . Auch bei ihr darf man, obwohl in den Quellen nichts davon erwähnt ist, eine Unterstützung aus Nobilitätskreisen sicher voraussetzen, da Gabinius als Tribun niederer Herkunft bei der Struktur des Volkstribunats in der klassischen Republik 4) sein Gesetz niemals hätte allein durchbringen können . Anders dagegen liegen die Dinge bei der rogatio Licinia, die Bleicken zu den selbständigen tribunizischen Initiativen zählt . Licinius suchte ihre Durchsetzung dadurch zu fördern, daß er als erster das Volk vom Comitium auf das Forum 7") führte und dann zum Forum hin sprach ', sich also ostentativ vom Senat abwandte 8) . Man kann das als erstes Zeichen einer Emanzipation des Tribunats vom Senat 9") und als den Beginn der populären Demagogie betrachten. Trotz dieser Maßnahmen gelang es dem damaligen Praetor C. Laelius, den Antrag des Licinius durch eine Gegenrede zu Fall zu bringen , es war also nicht einmal eine Intercession nötig. Auch daraus geht noch einmal hervor, daß man für die damalige Zeit nicht mit einem auf die Erweiterung seiner politischen Rechte bedachten Volk zu rechnen hat. Über die Motive des Licinius ist nichts bekannt. Am ehesten argumentiert (vgl. oben S. 46ff). In de leg. sucht Cicero offenbar um Scipios willen die Tabellargesetze gegen die scharfen, seinem Bruder in den Mund gelegten Angriffe als sinnvoll zu "retten". Da die Tabellargesetze den "ambitus" nicht unterbunden haben (III 39), bleibt ihm dazu als einzige Möglichkeit der Gedanke der "libertas". 1) J.A.O. Larsen, The judgement of antiquity on democracy: CP 49 (1954) lOf gibt zwar auch den Reformzweck der Tabellargesetze zu, nennt sie aber "much more genuine popular" als selbst die gracchische Gesetzgebung. Diese Beurteilung ist aus der nachsullanischen Interpretation der Tabellargesetze gewonnen, die aber eben nicht in die 30er Jahre des 2. vorchristlichen Jahrhunderts übertragen werden darf. 2) vgl. dazu Cic. de leg. III 35ff; Liv. per. Oxyr. 54. 3) ebd. 4) Bleicken, Volkstribunat passim. 5) Bleicken, ebd. 69 denkt auch hier an eine Unterstützung durch Scipio, was wegen der Parallelität der lex Gabinia zur lex Cassia durchaus wahrscheinlich ist. 6) Volkstribunat 62f mit Anm. 4. 7) Varro de re rust. I 2,9; Cic. Lael. 96; vgl. Bleicken, Volkstribunat 101. Plut. C. Gracch. 5,4 schreibt die Einführung dieser Sitte dem C. Gracchus zu. 8) Bleicken, Volkstribunat 101. 9) vgl. ebd. „ 10) Cic. Lael. 96; vgl. Malcovati ORF*1 117f.
-129kommen wohl persönliche in Frage ' - auch später ist ja die Materie der Wahlen zu den Priesterkollegien noch zweimal aus Karrieregründen Gegenstand von Gesetzen geworden , Die rogatio Cassia wurde sicher, die Anträge des Licinius und Gabinius wurden höchstwahrscheinlich gegen den Willen der Senatsmehrheit oder ohne Votum des Senats in der Volksversammlung eingebracht . Versteht man die "popularis ratio" nur als das Vorgehen über die Volksversammlung gegen den Willen der Senatsraehrheit, dann wäre sie also in allen drei Fällen angewandt worden. In der ciceronischen Zeit ist sie aber immer auch mit der Verletzung von Gesetzen, Gewaltanwendung und Demagogie verbunden . Bei der Durchsetzung der lex Cassia und der lex Gabinia begegnen derlei Praktiken nicht, so daß man also, legt man die Maßstäbe der ciceronischen Zeit zugrunde, bei beiden auch von der politischen Methode her nur bedingt von populärer Politik sprechen kann. Dagegen tragt das Vorgehen des Licinius ei en demagogischen und damit sicher populären Zug; falls die obige Vermutung über die Motive des Tribunen stimmt, wäre sein Antrag auch der Intention nach mit den nachsullanischen populären Initiativen verwandt.
1) so auch L.R. Taylor, Forerunners of the Gracchi: JRS 52 (1962) 25. 2) vgl. die lex Domitia von 104 (unten S. 176f) und die lex Labiena von 63 (oben S. 57f), bei der allerdings auch noch andere Gründe mitspielten, 3) zur lex Cassia vgl. Cic. Sest. 103 (mit der oben im l'ext gemachten Einschränkung). Ober die Reaktion der Senatsmehrheit zur rogatio Licinia ist ausdrücklich nichts bekannt, sie läßt sich aber aus der Gegenrede des Praetors Laelius erschließen. Im Falle der lex Gabinia wird man wohl wegen der Verwandtschaft zur lex Cassia eine ähnliche Reaktion anzunehmen haben wie bei dieser. 4) vgl. Cic. ad. fam. I 2,4: quod ad populärem rationem attinet, hoc videmur esse consecutt, ut ne quid agi cum populo aut salvis auspiciis aut salvis legibus aut denique sine vi posset; ferner Sest. 114; prov. eons. 39. Die Aussagen stimmen mit der Wirklichkeit überein.
-1302. Die Agrarreform des Tiberius Gracchus und ihre innenpolitischen Konsequenzen. Die Gracchen und ihr Wirken sind für eine Geschichte populärer Politik deshalb besonders interessant, weil sie in der ciceronischen Zeit zu den Prototypen der Populären gerechnet wurden . Die neuere Forschung folgt in den weitaus meisten Fällen dieser Interpretation 2) , Es ist klar, daß deshalb das Verständnis der Gracchen nicht ohne Auswirkung auf das Verständnis der Populären überhaupt bleiben konnte. Einer überzeugenden Deutung der Gracchen stellen sich von den Quellen her große Schwierigkeiten entgegen 3) ', die bis heute keine allgemein anerkannte Lösung gefunden haben. Nur der Reformansatz des Tiberius Gracchus kann im wesentlichen als geklärt gelten; man ist sich darin einig, daß die lex agraria des Tiberius, die eine Stärkung des Bauerntums in Italien bezweckte, auf die Erhaltung der alten res publica hinauslief, also wesentlich konservativ war . 1) Für Tiberius: Cic. Sest. 105; har. rssp. 41 mit 43f; acad. II 13; vgl. ferner die Popularenreihen (ohne den Begriff): in Vat. 23; de leg. III 20; auct. ad Her, IV 31. Kaiserzeitliche Zeugnisse: Lucan VI 795f; Florus II 2,2. Für Caius: Cic. in Verr. II 1,151; Rab. perd. 14; de dorn. 24; Sest. 105; vgl. ferner außer den zu Tiberius angegebenen Popularenreihen. in Cat. IV 4} har. resp. 41. 43; Sest. 103; pro Mil. 14. 2) Eine Ausnahme bildet H. Last (CAH IX 137), der die Gracchen als Demokraten versteht, sie aber gerade deshalb nicht zu den Populären zählt. 3) Die Quellenkritik haben vor allem vorangetrieben Ed, Meyer, Untersuchungen zur Geschichte der Gracchen: Kleine Schriften I (Halle 1910) 381-439* E. Kornesnann, Zur Geschichte der Gracchenzeit: Klio Beiheft 1 (1903); P. Fraccaro, Studi sull' età dei Gracchi (Città di Castello 1914) besonders 1129; F. Taeger, Tiberius Gracchus (Stuttgart 1928); E. Gabba, Appiano e la storia délie guerre civili (Firenze 1956) 3473. 4) Das Konservative an der Reform des Tiberius betonen besonders G. Tibiletti, L Q sviluppo del latifondo in Italia dall'epoca Graccana al principio dell'impero: Relazioni del X Congresso internazionale di scienze storiche II (Firenze 1955) 255 u.ö; Heuß RG 138. Vgl. ferner außer den oben unter Anm. 3 genannten noch folgende Arbeiten zu Ti. Gracchus: R. v, PÖhlmann, Zur Geschichte der Gracchenzeit: Sitzungsber. der Bayr. Akad. der Wiss., Phil.-hist. Klasse (1907) 443-493; M. Gelzer, Die römische Gesellschaft zur Zeit Ciceros: Neue Jahrb. für das klass. Altertum 45-46 (1920) 1-27 (^Kleine Schriften \£ Wiesbaden 1962/ 154-185); E. v. Stern, Zur Beurteilung der politischen Wirksamkeit des Ti, und C. Gracchus: "ermes 56 (1921) 229-301; F. Münzer: RE 2. Reihe H / 2 (1923) 1409-1426 s.v. Sempronius; J. Car-
-131Große Uneinigkeit herrscht dagegen im Verständnis der politischen Methode des Tiberius: für die meisten Forscher wird der Tribun im Verlauf des Kampfes um das Ackergesetz zum Demokraten oder Revolutionär Weil mit dem Jahre 133 gemeinhin der Beginn einer römischen Revolution angesetzt wird, gilt es, bevor in die Einzeldiskussion eingetreten werden kann, eine klare Begriffsbasis zu schaffen. A. Heuß hat in seinem Aufsatz von 1956 den heute gültigen Revolutionsbegriff und das Erscheinungsbild der Kämpfe der späten Republik einander gegenübergestellt 2). Revolution wird dort zutreffend und prägnant definiert als "der gewaltsame Austrag eines Klassengegensatzes, in dem eine unterdrückte bzw. von der Herrschaft ausgeschlossene Klasse den offenen und illegalen Kampf um die Freiheit und damit ura den dominierenden, um nicht zu sagen ausschließlichen Einfluß auf den Staat unternimmt." Sie sei "infolgedessen geknüpft an die Voraussetzung integrierter oder sich zum mindesten eindeutig integrierender Klassen" und besitze "als politischer Kampf klare Fronten und die Einstellung auf letztlich durchsichtige Ziele" . Man muß annehmen, daß überall dort in der Forschung, wo der Revolutionsbegriff nicht eigens reflektiert wird - und das gilt fast für alle Arbeiten 4) ' -, diese herkömmliche Bedeutung des Begriffs gemeint ist. A. bleuß, der in dem gesamten Aufsatz zu dem Ergebnis kommt, daß der herkömmliche Revolutuionsbegriff auf die Geschichte Roms seit 133 nicht passe, hat demgegenüber eine Neuinterpretation des Begriffs gefordert und unter diecopino, Autour des Gracques (Paris 1928); H. Last: CAH IX 19-35 89-93; S. Katz, The Gracchi: CJ 38 (1942) 65-82; A. Heuß, Der Untergang der römischen Republik und das Problem der römischen Revolution: HZ 182 (1956) 1-28, zu Tiberius besonders 4-7 (künftig zitiert: Heuß: HZ 182); E. Valgiglio, Note di storia graccana: Rivista di Studi Classici 5 (1957) 219-228; H.G. Boren, The Urban Side of the Gracchan Economic Crisis: AHR 63 (1957-58) 890-902; E. Badian, Foreign Clientelae (Oxford 1958) 169-174 (künftig zitiert: Badian FC); Earl, Ti. Gr. 1) Von den mir bekannt gewordenen Arbeiten hält nur die von , S. Katz daran fest, daß Tiberius während der ganzen Zeit seines Wirkens der Reformer blieb, als der er angetreten ist. 2J HZ 182, 1-28. 3) ebd. 1. 4) Valgiglio aaO. 222 Anm. 7 sagt zwar, bei den Gracchen habe es sich nicht um eine Revolution im modernen Sinn gehandelt, bleibt aber völlig unbestimmt, wenn er den Vorgang "un movimento democratico e rivoluzionariq" nennt.
-132ser Voraussetzung dann, wie der Großteil der Übrigen Forschung, an der Deutung der Kämpfe der späten Republik als Revolution festgehalten. Ob das berechtigt ist oder nicht, kann hier noch nicht entschieden werden. Ausgangspunkt für jede Erörterung muß auf jeden Falll der herkömmliche Revolutionsbegriff sein - und er ist im folgenden immer gemeint nur wenn dieser schon in wesentlichen Punkten etwas über die Kämpfe der spaten Republik aussagt, kommt eine Lösung, wie sie HeuJJ vorschlägt, überhaupt in Betracht. Andernfalls muß man eben auf den Begriff Revolution als Erkenntnismodell für die späte Republik ganz verzichten und entweder einen neuen Begriff schaffen oder fragen, ob nicht andere geeignete Erkenntnismodelle vorhanden sind. Der Hergang des Geschehens, auf das sich das Verständnis des Ti. Gracchus als eines Demokraten oder Revolutionärs stützt, ist kurz folgender: Tiberius bringt sein Ackergesetz gegen den Willen der Senatsmehrheit in der Volksversammlung ein und findet damit ungeheure Resonanz, vor allem beim Landvolk. Die opponierenden Großgrundbesitzer gewinnen den Tribunen M. Octavius für eine Intercession. Als am Abstimmungstag Octavius gegen die Verlesung des Gesetzestextes sein Veto einlegt, droht es zu einem Tumult zu kommen. Tiberius läßt sich überreden, seine Sache noch einmal dem Senat vorzulegen, dringt dort aber nicht durch. Beim erneuten Abstimmungstermin versucht Tiberius, Octavius zur Zurücknahme seines Vetos zu bewegen. Da er damit keinen Erfolg hat, läßt er zunächst darüber abstimmen, ob Octavius bei seiner Haltung Tribun bleiben kann. Vor der entscheidenden Stimmabgabe der 18. Tribus bittet er nochmals Octavius um gütliches Nachgeben, wiederum ohne Erfolg. So wird die Abstimmung zuende geführt und Octavius als Tribun abgesetzt. Die lex agraria geht danach ohne Schwierigkeiten durehi Der Senat sucht nun die Ausführung des Ackergesetzes zu erschweren, indem er Tiberius das staatliche Zelt verweigert und nur eine lächerliche Aufwandsentschädigung bewilligt. Tiberius setzt dagegen ein weiteres Plebiscit durch, das die eben angefallene Erbschaft des Attalos den Neusiedlern für den ersten Anbau und die Anschaffung der dazu nötigen Ackergeräte zur Verfügung stellt t)
so Plut. Ti, Gr. 14,1; vgl. dazu Taeger aaO. 87.
-133Da die Absetzung des Octavius auch unter dem Volk Beunruhigung hervorruft, sieht sich Tiberius gezwungen, diese Maßnahme in einer Contio zu verteidigen. Die gegen Tiberius stehenden Senatoren drohen damit, ihn nach seiner Amtszeit zur Rechenschaft zu ziehen. Dieser bewirbt sich deshalb erneut um den Tribunat. Nach Plutarch hat er zur Gewinnung des Volkes noch einige Gesetzesrogationen eingebracht ', deren Echtheit aber nicht feststeht J. Auch die Einzelheiten der folgenden Schlußkatastrophe sind umstritten. Jedenfalls kommt es auf Grund des Versuchs des Tiberius, einen zweiten Tribunat zu erlangen, zur gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem Senat, während der Tiberius erschlagen • ., 3 ) wird '. Die kritischen Punkte dieses Geschehens sind die Absetzung des Octavius und die versuchte Kontinuation des Tribunats, für einen Großteil der Forschung außerdem das Plebiscit über die Erbschaft des Attalos. Das Einbringen der lex agraria in der Volksversammlung gegen den Willen der Senatsmehrheit war zwar ungewöhnlich, aber der Form nach durchaus nicht neu: Tiberius' und seiner Hintermänner Vorgehen glich hier genau dem des Scipio und Cassius im Jahre 137. Dagegen verstießen die Absetzung des Octavius und die versuchte Kontinuation des Tribunats offensichtlich gegen die römische Tradition, und das Plebiscit über die Erbschaft des Attalos griff in eine Sphäre ein, die der Senat seit jeher als allein seiner Verfügung unterstehend betrachtete. Deshalb ist die Diskussion über diese Handlungen des Tiberius vorwiegend mit verfassungsrechtlichen Argumenten ge-
1) Ti. Gr. 16,1. Es handelt sich um eine lex militaris, eine lex iudiciaria und ein Gesetz, das die Appellation von den Richtern an die Volksversammlung erlauben sollte. 2) Sie spiegeln Gesetze des C. Gracchus wider. Vgl. zur Frage der Echtheit zuletzt L.R. Taylor, Was Tiberius Gracchus' last assembly electoral or legislative: Athenaeum NS 41 (1963) 51-69, ,besonders 52-55. Dort auch weitere Literatur. Taylor hält die Rogationen für echt. 3) Taylor aaO. führt eine Reihe von Indizien dafür an, daß es sich bei der entscheidenden Volksversammlung nicht um eine Wahl-, sondern um eine gesetzgehende Versammlung gehandelt habe. Das Gesetz, das ihrer Meinung nach zur Abstimmung stand, sollte die Kontinuation des Tribunats erlauben. Dies letztere ist jedoch reine Vermutung. Einzig sicher ist der in allen Quellen betonte Zusammenhang zwischen dem Versuch zur Kontinuation des Tribunats und dem Einschreiten des Senats. Das SCU ist bei dieser Gelegenheit wohl noch nicht ge-
-134', während die politischen und soziologischen 2") Gesichtspunkte meist zu kurz kamen ' - ganz abgesehen davon, dqß man nicht immer scharf genug die Eigenart der römischen "Verfassung" berücksichtigt hat Die im Rahmen der vorliegenden Arbeit zentralen Probleme des Jahres 133 lassen sich in folgende zwei Fragen zusammenfassen: a) Hat Tiberius Gracchus im Verlauf des Kampfes um das Ackergesetz bewußt die Überzeugung gewechselt, d.h. ist aus dem konservativen Aristokraten ein Demokrat oder Revolutionär geworden? b) Welche Bedeutung hatten die oben genannten Handlungen des Tiberius unabhängig" von dessen Intentionen im Hinblick auf die Herrschaftsstruktur und Herrschaftsausübung in der römischen Republik? a) Die ganze Auseinandersetzung zwischen Tiberius und der Senatsmehrheit ist bestimmt von der ungeheuren Resonanz, die das Ackergesetz beim Volk findet . Das Volk erblickt in Tiberius seinen berufenen Führer ', so daß der Tribun für einen Augenblick "die festen und geschäftsmäßigen Klientelbeziehungen, die Grundlage für den Einfluß der herrschenden Klasse auf das Volk", durchbrechen kann }. Aus dieser Tatsache sowie aus der festen Überzeugung des Tiberius, daß seine Agrarrogation notwendig und fùhrt worden
faßt worden; vgl. H. Siber: Zschr. der Sav.-Stiftung für Rechtsgesch. Rom. Abt. 62 (1942) 389; J. Bleicken: RE XXIII/2 (1959) 2453 s.v. provocatio. Anders G. Plaumann, Das sog. senatus consultum ultimum, die Quasidiktatur der späten röm. Republik: Klio 13 (1913) 359f. 1) vgl. dazu noch besonders R. Villers, Le dernier siècle de la République Romaine, Réflexions sur la dualité des pouvoirs: Mélanges H. Lévy-Bruhl (Paris 1959) 311; J. Rouvier La république romaine et la démocratie: Varia. Etudes de Droit Romain IV (Paris 1961) 257-262; F.R. Cowell, The Revolutions of Ancient Rome (London 1962) hes. 103f. 2) Sie sind dagegen ausgezeichnet herausgearbeitet von Heuß (HZ 182, 4-10), dem ich viel verdanke, obwohl ich im Ergebnis nicht mit ihm übereinstimme. Die politische Seite betont außerdem Earl, Ti. Gr. passim. 3) Besonders kraß z.B. Stern aaO. 249-257. 4) Poseid. fr. 110 b und c; App. b.c. I 13, 56; vgl. 14,58. 5) P o s e i d . f r . 110 b : nç>o?j ; P l u t . Ti'. Gr. 1 7 , 5 : irpoo-riTjjf **vt'fi ; Cic. Brut. 212: ... P. Scipione, qui ex dominatu Ti. Gracchi privatu« in libertatem rem publicam vindicavit; Lael. 41: Ti. Gracchus regnum occupare ausus est vel regnavit is quidem paucos menses; vgl. Sall. Jug, 31,7; Vell. II 4,4; Val. Max. III 2,17; Flor. II S.^Plut. Ti. Gr. 14.3; 19,2f, - Nach B. Bilihski. Acciö od I Gracchi (Rom I958J,'hat Accius als literarischer
-143uns dieser Vorwurf in den Quellen begegnet, z.T. abhängig sein mag von den Erfahrungen der nachsullanischen Zeit ', kann kein Zweifel daran bestehen, daß er auf die tatsäch2) liehe Propaganda gegen Ti. Gracchus zurückgeht . Er hatte K seinen wahren ern in dem den Villen der Senatsmehrheit außer acht lassenden Vorgehen des Tiberius und in dem zeitweise übermächtigen Einfluß des populären Tribunen, aber die Intentionen des Tiberius traf er nicht. Zwar war jede Auseinandersetzung um eine wichtige Reform in Rom zugleich auch ein Machtkampf, da sie über größere auctoritas und in vielen Fällen auch über den Gewinn neuer Klientelen entschied ' t doch kann man deshalb nicht jeden Reformer von vornherein und in erster Linie als von sachlichen Rücksichten freien Machtpolitiker verstehen 41 ., Im Jahre 133 lag eine dringende sachliche Notwendigkeit zur Reform vor. Ti. Gracchus hat - ausgenommen die versuchte Kontinuation des Tribunats, die der Sicherung seiner politischen Existenz diente - nichts getan, was nicht streng auf die Durchsetzung und Durchführung der Agrarreform bezogen gewesen wäre. Zur Absetzung des Octavius entschloß er sich nur äußerst schwer. Die Physiognomie eines Machtpolitikers scheint sich in solchen Anzeichen nicht darzustellen. Trotz der Verfälschung der Intentionen des Tiberius haben dessen Gegner auf den entscheidenden Punkt in der Handlungsweise des Tribunen hingewiesen. Die Art, wie der Tribun_-at Gegner der Gracchen durch seine Tragödien ebenfalls die Tyrannis der Tribunen angeprangert. - J. Bleicken: HZ 195 (1962) 4, vertritt die Auffassung, die Nobilität habe Tiberius als Tyrann bezeichnet, um trotz der Morde an den Gracchen die Illusion aufrechtzuerhalten, daß Senatsherrschaft und Freiheit nicht zweierlei wären. Die Freiheit des Volkes im Sinne der nachsullanischen Propaganda stand aber im Jahre 133 überhaupt nicht zur Debatte, sondern nur die aristokratische Freiheit gegenüber einem übermächtigen Einzelnen. 1) vgl. Earl, Ti. Gr. 107. 2) vgl. z.B. das Urteil des Scipio Aemilianus über Ti. Gracchus bei Vell. II 4,4: si is occupandae rei Publicae animum habuisset, iure caesum. Ferner Plut. Ti. Gr. 14,3; 19,2f; Earl aaO. 3) Earl aaO. 9. 4) Hier leigt m.E. der Hauptfehler der schon mehrfach zitierten Arbeit von Earl, daß nämlich aus den Bedingungen des politischen Kampfes auf die Intentionen aer handelnden Personen geschlossen wird. Dabei bleiben Widersprüche nicht aus. Zu Ti. Gr. vgl. z.B. S. 30-40 mit 107.
-144iiD Jahre 133 sowohl bei der Absetzung des Octavius als auch beim Plebiscit über die Erbschaft des Attalos selbständig und allein auf das Volk gestützt handelte, gehört in die Vorgeschichte der Monarchie in Rom, wenn auch der Prozeß, der schließlich zur Alleinherrschaft führte, in keiner Weise zielgerichtet gewesen ist. Vorgeschichte der Monarchie war daS Jahr 133 jedoch nur insofern, als Ti. Gracchus ein Beispiel setzte, an dem sich spätere Politiker immer wieder ausrichteten, sondern vor allem auch durch die unmittelbaren Begleiterscheinungen der Handlungsweise des Tiberius: der Absetzung des Octavius ging die - zunächst nur zeitweise *• Auflösung der Bindung zwischen dem Volk und der Nobilität als ganzer voraus, die unmittelbare Wirkung des tiberianischen Vorgehens war ein radikaler Bruch im Zusammenhalt der Nobilität « in dessen Folge es sogar erstmals zu einer blutigen Auseinandersetzung zwischen römischen Bürgern kam • Die gleichmäßige Bindung des Volkes an die Nobilität war eine der wichtigsten Voraussetzungen für das politische Gleichgewicht innerhalb der herrschenden Schicht, ihre Auflösung also ebenso Vorbedingung für das Übermächtigwerden eines Einzelnen wie die Zerstörung des Konsensus der Nobilität; denn eine fest integrierte Aristokratie laßt keine Monarchie zu. Bei den genannten Vorgängen handelt es sich um Desintegrationserscheinungen. Sie wurden unmittelbar veranlaßt (nicht verursacht!) durch den sich vom Senat emanzipierenden Tribunat. Insofern haben die römischen Schriftsteller richtig gesehen, wenn sie das Vorgehen des Tiberius als "seditio" * und die tribunicia potestas als "in seditione et ad seditionem nata" charakterisierten 4) . Nicht gesehen haben sie jedoch, daß die Emanzipation des Tribunats mit ihren Polgen nicht der Willkür eines Einzelnen entsprang, sondern strukturell bedingt war: Sie bedeutete die - wenn auch unbewußt gegebene - Antwort auf die Tatsache, daß eine sachgerechte Lösung der Probleme, die das römische 1) vgl. Cic. de re p. I 31: in una re Publicae duo senatus et duo paene iam populi. 2) vgl. Plut. Ti. Gr. 20,1. 3) Cic, Mil. 72: ... Ti. Gracchum qui conlegae magistratum per seditionem abrogavit; vgl. Flor. II 2. 4) Cic. de leg. II 19; vgl. Flor. II 1,1: Seditionum omnium causas tribunicia potestas excitavit.
-145Weltreich stellte, unter strikter Wahrung der aristokratischen Gleichheit und darüber hinaus der aristokratischstadtstaatlichen Traditionen überhaupt nicht mehr möglich war. Schon die Karriere des Scipio Aemilianus hatte das deutlich gemacht. Auch bei der gracchischen Agrarreform ging es um das Weltreich, denn zu dessen Sicherung bedurfte Rom, solange es seine überkommene Heeresstruktur beibehielt, notwendig eines starken Bauerntums. Dennoch war die Senatsmehrheit nicht zu einer Lösung des Problems bereit , und zwar wahrscheinlich nicht nur aus rein egoistischen Motiven, sondern auch weil eine Landaufteilung dem aristokratischen Empfinden der römischen Nobilität zutiefst wider2) sprach . Hier wie auch bei anderen, später auftretenden Problemen - wie etwa der Bundesgenossenfrage - standen also alte Traditionen gegen die Anforderungen einer neuen Zeit. In dieser Situation wurde der sich vom Senat emanzipierende Tribunat zum Träger umfassender Reformen und als solcher, eben weil er dabei jeweils gegen den Willen der Senatsmehrheit handelte, zu einem aktiven Desintegrationsfaktor im römischen politischen Leben. Das Jahr 133 markiert also nicht den Beginn einer Revolution, sondern den einer strukturell bedingten, akuten Desintegration der gesellschaftlichen und politischen Ordnung Roms. Ti. Gracchus ist als der erste "exemplarische" Popular in die spätere Überlieferung eingegangen. In einer ganzen Reihe von Popularenaufzählungen steht er an der Spitze . Für uns sind foLgende Zeugnisse interessant: a) Cic. in Verr. II 1.151: Quid erat, Hortensi, tandem in illo puero populäre, quid invidiosum? Gracchi, credo, aut Saturnini aut alicuius hominis eius modi produxeram filium, ut nomine ipso et memoria patris animos imperitae multitudinis commoverem. b) Cic. Sest. 105: Num vos existimatis Gracchos aut Saturninum aut quemquam illorum veterum qui populares habebantur ullum umquam in contione habuisse conductum? Nemo habuit; ipsa enim largitio et spes commodi propositi sine mercede ulla multitudinem concitabat. Vgl. 103: Agrariam Ti. Gracichus legem f erebat : grata erat populo. Ferner sind in der .-. Sestiana samtliche Populären als seditiosi gekennzeichnet 1) Schon im Jahre 140 hatte C, Laelius ohne Erfolg ein Ackergesetz vorgeschlagen: Plut- Ti. Gr. 8,5. 2) vgl. z.B. Cic. de off. III 79f. 3) auct. ad Her. IV 31; Cic. in Cat. I 3f; IV 4; Sest. 105; in Vat. 23; har. resp. 41 und 43; Mil. 14; de leg. III 26; Brut. 224. 4) vgl. oben S. 93.
-146c) Cic. har. resp. 42ff hebt - aber nur auf Grund moralischer Kriterien - den "homo popularis" Clodius von anderen Populären ab, u.a. auch von Ti. Gracchus, von dem § 41 gesagt ist: convellit statum civitatis. d) Cic. acad. pr. II 13 werden die Populären als "seditiosi" verstanden. Ti. Gracchus wird zu ihnen gezählt. e) Sall. Jug. 42,1: Ti. et C. Gracchus ... vindicare plebem in libertatem -r.. coepere. f) Lucan VI 795f: vidi ego laetantis, popularia nomina, Drusos / legibus immodicos ausosque_ ingentia Gracchos. g) Quint, inst. orat. V 13, 24: a /Ti../Graccho leges modo latos esse popularis; vgl. VII 4,13. h) Flor. II 2,1-3: ...Grachhus ... popularis ... quacumque mente rem ausus ingentem. Aus diesen Zeugnissen ergeben sich drei Bedeutungsgruppen des Begriffs "popularis" in Bezug auf Ti. Gracchus und sein Ackergesetz, eine vierte ist, ohne daß der Begriff angewandt wird, zu erschließen: 1) Ti. Gracchus (a, f) und sein Gesetz (b, g) waren populär. 2) Das Gesetz des Tiberius war auf Popularitätsgewinn ausgerichtet, d.h. largitio (b). 3) Ti. Gracchus war als popularis "seditiosus" (d, implizit auch b und c) und hat gegen die res publica gehandelt (c, vgl. das "rem ausus ingentem" von h, ähnlich f). 4) Ti. Gracchus wollte das Volk befreien. Am wenigsten problematisch ist die Bedeutungsgruppe 1: Ti. Gracchus und sein Gesetz waren sicher populär. Das bedeutete aber nicht, daß der Tribun Führer einer festen "Volkspartei" gewesen ist oder das Volk in eine solche umgeformt hat. Tiberius selbst mußte mit dem Volk seine bitteren Erfahrungen machen. Die plebs unterstützte zwar, um das Ackergesetz verabschieden zu können, die Absetzung des Octavius, aber bald darauf bekam sie Skrupel: Tiberius mußte sich rechtfertigen. Um seine Wiederwahl zu sichern, mußte er populäre Wahlpropaganda betreiben . Und schließlich stand in der Schlußauseinandersetzung ein Teil des Volkes auf der Seite des Senats . Im Unterschied zu den nachsullanischen Populären konnte 1) Plut. Ti. Gr. 16,3; App. b.c. I 14,59. 2) Vell. II 3,2; vgl. Plut. Ti. Gr. 20,1; Cic. de re p. I 31: duo senatus et duo paene iam populi. Zum gesamten Verhältnis zwischen Tiberius und dem Volk vgl. auch. Rouvier aaO. 259-262.
-147sich Ti, Gracchus vor allem auf das Landvolk stützen , auf das ja auch die Materie der gracchischen Reform in erster Linie Bezug nahm . So kam es z.B. dazu, daß die Wiederwahl des Tiberius in Gefahr geriet, weil "nicht alles Volk anwesend war" * - gemeint ist das durch Erntearbeiten bedingte Fehlen des Landvolkes -, während in der nachsullanischen Zeit gerade Versammlungen des Gesarotvolkes für die Populären ungünstig waren . Der Unterschied ist sachlich bedingt. In den drei Jahrzehnten nach Sulla gab es eine eigentliche Agrarreform nicht mehr. Die Ackergesetze jener Jahre betrafen entweder die Veteranen (lex Flavia, lex Iulia) oder waren Vorwand für sachfremde Ziele (rogatio Servilia). Die übrigen nachsullanischen populären Gesetze, bei denen die gleiche Entfernung von sachlichen Anliegen sichtbar ist, dienten vor allem der Gewinnung der plebs urbana, die allein bei allen gesetzgebenden Versammlungen anwesend sein konnte, für die populäre Politik. Vielleicht ist das Verständnis auch der lex Sempronia als "largitio" (Bedeutungsgruppe 2) von den Erfahrungen der nachsullanischen Zeit abhängig. In Wirklichkeit unterscheidet sich jedoch das gracchische Agrargesetz gerade dadurch von ähnlichen nachsullanischen Initiativen, daß es nicht "largitio", sondern ein Reformgesetz war, Ciceros Deutung ist also in diesem Fall sicher falsch. Ebenso ist Tiberius als "seditiosus" (Bedeutungsgruppe 3) anders zu verstehen als etwa Clodius. Zwar hat er gegen Traditionen der klassischen Republik verstoßen und eine Spaltung innerhalb der Nobilität herbeigeführt, aber "seditio" in diesem Sinn war für ihn niemals, wie für viele der nachsullanischen Populären (Manilius, Catilina, Clodius), eigentliches Ziel oder Selbstzweck, sondern immer klar auf die Agrarreform bezogen. In der Aussage Sallusts (Bedeutungsgruppe 4) fällt der Terminus "popularis" nicht, aber Sallust benutzt diesen Terminus in politischer Bedeutung nie. Es steht jedoch fest, 1) Poseid. fr. 110 b; App. b.c. I 13,57 und 14,58; vgl. Plut. Ti. Gr. 16,2-3; Fraccaro aaO. 124. 2) H.C. Boren aaO. hat herausgearbeitet, daß Tiberius die eigentlichen Probleme der städtischen plebs nicht gelöst hat. 3) Plut. Ti. Gr. 16,2: el
4) App. b.c. I 14,58f. 5) vgl. oben S. 96.
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-148daß die nachsullanischen Populären sich selbst und alle Populären überhaupt als solche verstanden haben, die für die Freiheit des Volkes eintreten , Zumindest in der zitierten Sallust-Stelle schlagt sich also das populäre Verständnis der Gracchen in der ciceronischen Zeit nieder 2), Ebenso wie die nachsullanischen Populären die Tabellargesetze zu libertas - Gesetzen umgedeutet haben, haben sie auch die Gracchen wegen ihrer Gegnerschaft zur Senatsmehrheit und ihrer Zusammenarbeit mit der Volksversammlung zu Kämpfern für die Freiheit des Volkes gemacht. Tatsächlich bietet sich jedoch im Tribunat des Tiberius kein Anhaltspunkt für die Richtigkeit dieser Deutung. Nicht einmal in seiner propagandistischen Verteidigungsrede hat Tiberius die Freiheit des Volkes erwähnt. Aus den oben zitierten Zeugnissen ist ein wichtiges Faktum für das Verständnis des Tiberius als eines Populären nicht zu ersehen, nämlich daß mit Tiberius die eigentliche "popularis ratio" beginnt. Zwar haben auch schon vor 133 römische Politiker mit dem Volk gegen die Senatsmehrheit zusammengearbeitet und scheint für Tiberius selbst diese Zusammenarbeit am Anfang nicht bewußt angewandte Methode gewesen zu sein, sondern sich aus der Materie seiner Reform von selbst ergeben zu haben; aber spätestens in seiner Verteidigungsrede hat der Tribun seine Angewiesenheit auf das Volk klar erkannt und deshalb erstmals seit dem Ende der Ständekämpfe eine grundsätzliche Verbindung zwischen dem Volk und dem Volkstribunat postuliert. Dadurch hat er die Zusammenarbeit mit dem Volk propagandistisch abgesichert, und erst von diesem Augenblick an kann man von der "popularis ratio" als einer bewußten Methode politischen Handelns sprechen. Insgesamt ergeben sich also sowohl Übereinstimmungen als auch wichtige Unterschiede zwischen Ti. Gracchus und den nachsullanischen Populären. An einigen Stellen scheinen Cicero und Sallust das Bild, das man in der ciceronischen Zeit 1) vgl. z.B. die Propaganda des Clodius (oben S. 86), ferner die populäre Argunentation Ciceros in Rab. perd. 12: Popularis vero tribunus pl. custos defensorque iuris et libertatis. 2) K. Büchner, Sallust und die Gracchen,: Studien zur röm, Literatur I (Lukrez und die Vorklassik) (Wiesbaden 1964) 175-194, betont die außerordentliche Objektivität Sallusts im Urteil über die Gracchen auf Grund einer Interpretation
-149von den-Populären hatte, einfach auf Ti. Gracchus übertragen zu haben. Die Frage, ob es dennoch für die historische Erkenntnis fruchtbar ist, den Terminus "popularis" schon, für Ti. Gracchus anzuwenden, soll hier vorläufig noch zurückgestellt werden, um sie später für die vorsullanischen Reformtribunen insgesamt zu beantworten , 3. Die Fortsetzung der innenpolitischen Kämpfe. Das Jahrzehnt nach dem Tod des Ti. Gracchus stand unter dem direkten Eindruck von dessen Tribunat. Trotz der g e waltsamen Tötung des Tribunen wurde die Spaltung innerhalb der Nobilität nicht überwunden , Die gracchische Reformgruppe bestand weiter - ihre Exponenten waren jetzt jeweils die Mitglieder der durch die lex Sempronia eingerichteten Ackerkommission. Obwohl diese ihre Tätigkeit zunächst auch nach dem Tod des Tiberius fortsetzen konnte, wurden die Reformer Zug um Zug zurückgedrängt. In Konkurrenz zur gracchischen Landanweisung ließ der Senat Straßen und Straßenfora anlegen, betrieb also eine eigene Siedlungspolitik . Im Jahre 132 wurden durch besondere, auf Senatsbeschluß eingerichtete Qua«stionen der Konsuln P. Popillius Laenas und P, Rupilius viele Anhänger des Ti. Gracchus verurteilt und hingerichtet 4 > . Im folgenden Jahr suchte das spätere Mitglied der Ackerkommission, der Tribun C. Papirius Carbo, durch ein Plebiscit die Kontinuation des Tribunats gesetzlich zu ermöglichen . Carbo zog damit die Konsequenz aus dem Scheitern des Ti. Gracchus; der Antrag diente dazu, den Reformern für von Jug. 42,3. Die Problematik von 42,1 wird dabei nicht berührt. 1) Vgl. unten S. 220 ff. 2) Vgl. Cic. de re p. I 31. 3) F.T. Hinrichs, Die Ansiedlungsgesetze und Landanweisungen im letzten Jahrhundert der röm. Republik (Diss, masch, Heidelberg 1958) 103ff. Ich halte diese Deutung der bekannten Popillius-Inschrift (CIL I 638) für wesentlich wahrscheinlicher als die allgemeine Ansicht der Forschung, der Konsul habe die gracchische Landanweisung unterstützt. Nach dem Ackergesetz des Tiberius hatte die Konsuln keine Funktion bei der Landverteilung. 4) Sall. Jug, 31,7; Plut. Ti. Gr. 20,4; Vell. II 7,3; Val. Max. IV 7,1; vgl. Cic. Lael. 37. 5) Cic. Lael. 96; Liv. per. 59.
-150zukünftige Auseinandersetzungen eine günstigere Ausgangsposition zu schaffen. Mit ihm begann gleichsam der Ausbau der "popularis ratio". Cicero hat das Gesetz wohl deshalb, und wegen dessen Tendenz, die Stellung des Tribunats zu stärken, eine "lex popularis" genannt ; denn besonders populär war die rogatio Papiria nicht. Obwohl C. Gracchus den Antrag unterstützte und eindringlich den Tod seines Bruders beschwor 2) , trugen Scipio und Laelius, die beide gegen die rogatio sprachen, den Sieg davon . Die Niederlage Carbos zeigt nochmals deutlich, daß es auch nach 133 keinen grundsätzlichen und dauernden Gegensatz zwischen dem Volk und dem Senat gegeben hat. Mehr Glück als bei der rogatio de tribunatu prorogando hatte Carbo mit einem Tabellargesetz, das die geheime Abstimmung bei Beschlüssen über Gesetze einführte . Es ist fraglich, ob man als Motiv für Carbos Vorschlag die gleiche Reformtendenz annehmen darf wie für die leges tabellariae der Jahre 139 und 137. Da jeder selbständig handelnde Tribun auf das Volk angewiesen war, mußte es sich für ihn günstig auswirken, wenn die Klientelherren das Volk bei Abstimmungen nicht kontrollieren konnten. Wahrscheinlich ist deshalb auch die lex Papiria tabellaria als weiterer Ausbau der "popularis ratio" zu interpretieren. Einen schweren Rückschlag für die Reformer brachte das Jahr 129, als die Tätigkeit der Ackerkommission durch eine Intervention des von den Italikern um Hilfe gebetenen Scipio stark behindert, wenn nicht ganz zunichte gemacht: wurde « Die eigentliche Bedeutung des Vorgangs lag jedoch darin, daß durch die Be&chwerde der Bundesgenossen aus dem fi ^ A g r a r p r o b l e m d a s B u n d e s g e n o s s e n p r o b l e m erwuchs . Wahrs c h e i n l i c h w a r für d i e B u n d e s g e n o s s e n d i e Tätigkeit d e r A c k e r k o m m i s s i o n ohnehin n u r der A n l a s s , um eine längst a u f gestaute U n z u f r i e d e n h e i t mit ihrer p o l i t i s c h e n Stellung
1) Cic. Lael. 96; vgl. Brut. 103, wo Carbo durch "perpétua in populari ratione levitas" charakterisiert wird. 2) Malcovati ORF 2 178f. 3) Liv. per. 59; Cic. Lael. 96. 4) Cic. de leg. III 35. 5) App. b.c. I 19 mit dem Kommentar von Gabba; Schol. Bob. ad Cic. Mil. 118St; vgl. Last: CAH IX 43f. 6) App. aaO.; Ed. Meyer: Kl. Schriften I 406ff; G. Tibiletti: Relazioni II 259-264; Badian FC 176£f; dera.; Historia 11 (1962) 202.
-151zum Ausdruck zu bringen . In dieser Situation versuchten die Reformer, durch politische Konzessionen an die Italiker diese von ihrem Widerstand gegen die Ackerverteilung abzubringen ' . Schon Anfang 126 scheint M. Fulvius Flaccus, seit 130 Mitglied der Ackerkommission, den Plan vorgebracht zu haben, den Bundesgenossen das Bürgerrecht zu gewähren; denn die Ausweisung der Peregrinen aus Rom durch den Tribunen M. Iunius Pennus läßt sich am besten als Antwort auf einen solchen oder ähnliche Plane verstehen . C. Gracchus widersetzte sich der Maßnahme des Pennus scharf '. Im Jahre 125 versuchte dann Flaccus als Konsul eine "lex de civitate Italiae danda et de provocatione ad populum erorum, qui c^vitatem mutare noluissent" durchzubringen, doch es gelang dem Senat, den unbequemen Magistrat auf ein auswärtiges Kommando abzuschieben . Unter diesen Voraussetzungen begann C. Gracchus am lOi Dezenber 124 sein erstes Amtsjahr als Tribun. 4. Die Reformen des C. Gracchus. C. Gracchus hat, wie auch aus den wenigen uns überlieferten Redefragmenten ersichtlich ist, oft das Schicksal seines Bruders beschworen . Entsprechend ist das in den lateinischen Quellen meistgenannte Motiv für sein Virken die "pietas" oder die Rache für seinen Bruder 7) - ein für die Gegner des Gaius bequemes Motiv, da es sie der sachlichen Auseinandersetzung mit dem Werk des Reformtribunen enthob. Trotzdem wird man die Verpflichtung gegenüber seinem Bruder als Motiv für Gaius nicht ausklammern können, aber darüber, wie er diese Verpflichtung verstanden wissen wollte, kann allein sein Werk Auskunft geben. Während sich die Forschung über die Zielsetzung der lex 1) vgl. Last: CAH IX 41. 2) App. b.c. I 21,86f; vgl. dazu und zum Folgenden Badian FC 176ff. 3) Die Maßnahmen des Pennus: Cic. Brut. 109 mit de off. III 47; vgl. den Appian-Kommentar von Gabba S. 67. 4) N. Häpke, C. Semproni Gracchi oratoris Romani fragmenta collecta et illustrata (Diss. München 1915) 46ff; Malcovati ORF 2 179f. 5) Broughton MRR2I 510. 6) Malcovati ORF 178f. 183. 190f. 196; vgl. auch besonders Plut. C. Gr. 3,4ff. 7) Cic. Rab. perd. 14f; har. resp. 43; Brut. 126; Vell. II 6,2; Flor. II 3,1.
-152agraria des Tiberius weitgehend einig ist, begegnet die Interpretation der zahlreichen Gesetze des Gaius großen Schwierigkeiten. Ich gebe deshalb zunächst eine Einzelinterpretation dieser Gesetze, um dann auf dieser Grundlage die übrigen, mit dem Tribunat des Gaius zusammenhängenden Fragen zu behandeln. a) Gesetze, die auf das Vorgehen des Senats und der Magistrate gegen Ti. Gracchus und dessen Anhänger Bezug nehmen. - Die lex de abactis sah vor, daß ein vom Volk abgesetzter Magistrat keine anderen Magistraturen mehr bekleiden dürfe . Nach unserer einzigen Quelle. Plutarch, war sie gegen M. Octavius, den Widersacher des Tiberius, gerichtet ' . Die neuere Forschung mißt ihr jedoch teilweise grundsätzlichere Bedeutung zu: sie habe das Prinzip, daß ein Magistrat vom Volk abgesetzt werden könne, bestärkt •* und sei damit "closely allied to the principle of popular sovereignty" '. Obwohl diese Interpretation grundsätzlich möglich ist, halte ich sie für verfehlt. Das Gesetz bezog sich auf einen ganz konkreten Anlaß, nämlich die Absetzung des Octavius wegen dessen Intercession gegen die tiberianische Reform. Seine "Strafandrohung" traf aber nicht nur Octavius selbst, sondern auch alle diejenigen, die in Zukunft Reformen durch Intercession zu blockieren versuchen würden .. Es wollte solche Intercessionen für die Zukunft möglichst verhindern und damit, gleichzeitig bewirken, daß weitere Absetzungen von Tribunen vermieden wurden. Die lex steht demnach auf einer Ebene mit der lex Papiria de tribunatu prorogando von 131: ebenso wie diese suchte sie die Bedingungen tribunizischen Handelns gegen den Willen der Senatsmehrheit zu verbessern. Eine grundsätzlichefetaatstheoretischeBedeutung kommt ihr nicht zu. Im übrigen hat Gaius sie auf Bitten seiner Mutter zurückgezogen - Die lex de capite civis, auch lex Sempronia de provocatione genannt, richtete sich gegen die Konsuln von 132, P. Popilius Laenas und P. Rupilius 7) , die durch auf Senatsbe1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)
Plut. C. Gr. 4,1. ebd. 4,2. H. Last: CAH IX 55. Wirszubski, Libertas 49. vgl. Last aaO. 55f. Plut. C. Gr. 4,3. ebd. 4,2.
-153schluß eingerichtete Sonderquaestionen viele Anhänger des Ti. Gracchus zum Tod verurteilt hatten. Sie verbot "derartige Sondergerichte, soweit sie nicht durch Volksgesetz konstituiert waren" 1). Seiner Tendenz nach entsprach das Gesetz der lex Valeria de provocatione von 300: ging es dort um die Beschränkung der magistratischen Kapitalcoercition, so war das Ziel der lex Sempronia de capite civis die Beschränkung einer nur durch Senatsbeschluß gedeckten Kapitaliudikation ' In beiden Fällen wurde als Mittel der Beschränkung das Volk eingeschaltet. Die gracchische Rogation beinhaltete demnach keine "echt revolutiönäre radikale Umwertung" der römischen Verfassung 3"), sondern hielt sich durchaus im Rahmen der geltenden Provokationsgesetze, von denen her gesehen sie sogar eine Konzession an den Senat bedeutete: Gracchus erkannte die Notwendigkeit an, in bestimmten Situationen das schwerfällige Komitialverfahren durch ein Quaestionen-Verfahren zu ersetzen, hielt aber an dem Grundgedanken der Provokation fest, indem er die Entscheidung über die Einsetzung solcher Quaestionen dem Volk übertrug. Abgesehen davon, daß die gracchische lex 1) So die Interpretation von W. Kunkel, Untersuchungen zur Entwicklung des römischen Kriminalverfahrens in vorsullanischer Zeit: Abh. der Bayer. Akad., Phil.-Hist. Klasse, NF 56 (1962) 28f Anm. 89. Als Quellen vergleiche besonders Cic.Rab. perd. 12; Plut. C.Gr. 4,1; Cic. in Cat. IV 10; in Verr. II 5,163. Weitere Stellen bei Broughton MRR I 513f. Eine andere Interpretation als Kunkel vertritt J. Bleicken: RE XXIII/2 (1959) 2452 s.v. provocatio. Kunkels Deutung entspricht 1. genau dem überlieferten Inhalt des Gesetzes (vgl. Cic. Rab. perd. 12: ... iniussu vestro ...; in Cat. IV 10: ... iussu populi . . . ) ; sie berücksichtigt 2. genau die politische Situation; und sie stimmt 3. mit der Tatsache überein, daß Popilius Laenas und Rupilius durch quaestiones extraordinariae verurteilt wurden, die entweder durch die lex Sempronia de capite civis selbst oder durch ein weiteres Plebiscit zustandekamen (vgl. Kunkel aaO,), 2) Kunkel aaO, 59 weist darauf hin, daß ein Schuldspruch in Kapitalsachen wahrscheinlich nur von Consilium des prozeßleitenden Magistrats gefällt werden konnte. 3) so Heuß RG 145. Heuß geht bei dieser Deutung allerdings davon aus, daß im •Jahre 133 der Staatsnotstand erklärt worden sei, was aber unwahrscheinlich ist (vgl. oben S. 132f). Vielmehr scheint die Formel des SCU gerade die Antwort auf die gracchische lex de capite civis gewesen zu sein (vgl. H. Siber: Zschr. der Sav.-Stiftung für Rechtsgesch., Rom, Abt. 62 /1942/ 389f).
-154angesichts der Vorgänge des Jahres 132 auch sachlich berechtigt erscheint, war sie als Sicherungsmaßnahme für Gracchus und dessen Anhänger ein Gebot politischer Klugheit . - Vielleicht gehört auch die schwer zu deutende lex ne quis iudicio circumveniatur in diesen Zusammenhang. Nach neueren Forschungen ' besteht keine direkte Beziehung zwischen ihr und dem Repetundengesetz '. Sie stellte die aktive Bestechung unter Strafe ^ und richtete sich wohl ebenso wie das vorgenannte Provokationsgesetz gegen die außerordentlichen Quaestionen von 132 }. Von daher ist auch die Beschränkung des Gesetzes auf Senatoren verständlich. Alle drei angeführten Maßnahmen, von denen die ersten zwei sicher am Anfang der gracchischen Gesetzgebung überhaupt stehen, beschäftigen sich mit der "Liquidierung" der jüngsten Vergangenheit, sind aber insofern wesentlich zukunftsgerichtet, als sie für C. Gracchus und spätere Reformer bessere Voraussetzungen des Handelns schaffen wollen. Wir haben es hier wieder mit Gesetzen zu tun, die der Ermöglichung und Sicherung der "popularis ratio" dienen, wenn auch zumindest im Provokationsgesetz und in der lex ne quis iudicio circumveniatur schon die Kunst des C. Gracchus sichtbar wird, taktische Überlegungen mit sachlichen Anliegen zu verbinden. b) Die Sozialgesetzgebung. - C. Gracchus hat wie sein Bruder eine lex agraria durcha •7. gebracht \ über deren Inhalt wir aber nichts wissen. Das Gesetz hat wohl das Reformwerk des Bruders fortgesetzt und vielleicht der Ackerkooimission die Judikationsgevalt zurückgegeben 1) vgl. Last: CAH IX 57. E.J. Yarnold: AJPh 78 (1957) 163* 172 vertritt die These, das lateinische Gesetz von Bentia sei das gracchische Provokationsgesetz, was mir völlig abwegig zu sein scheint. 2) Cic. Cluent. 151 und 154. 3) N.J. Miners, The lex Sempronia ne quis iudicio circumveniatur: CQ NS 8 (1958) 241-243; UV Ewins, Ne quis iudicio circumveniretur: JRS 50 (1960) 94-107. 4) So z.B. Last: CAH IX 53f. 5) Ewins aaO. 97; 6) ebd. 103; Miners aaO. 7) Broughton MRR I 514. 8) Stern aaO. 276; F. Münzer: RE 2.R. II/2 (1923) 1387 s.v. Sempronius; Heuß RG 145.
-155- Appian und Plutarch berichten, Gaius habe auch ein Gesetz über die Gründung von Kolonien und den Straßenbau veranlaßt ^. Vielleicht handelt es sich dabei um die Anlage von Straßenfora, deren neue Siedler als Gegenleistung die Stras2) sen ausbessern und instandhalten sollten . Die angegebenen Quellen können sich aber auch, wie sonst in der Forschung fast allgemein angenommen wird, auf die unten behandelten Kolonien Scolacium und Tarent beziehen. - Das letzte ausgeführte Vorhaben innerhalb der Agrarreform war die Gründung der Kolonie Junonia auf dem Gebiet des ehemaligen Karthago durch die lex Rubria . Der Nachteil der außeritalischen Lage sollte durch die Größe der anzuweisenden Schollen aufgewogen werden. Mit dieser ersten außeritalischen Kolonie, der eine lange Reihe weiterer Koloniegründungen in den Provinzen folgte , erschloß Gaius neue Möglichkeiten der Landverteilung. - Schließlich bestand ein Plan, Kolonien nach Scolacium und Tarent zu deduzieren . Nach Plutarch hat C. Gracchus für diese Kolonien nicht nur Proletarier, sondern auch sehr angesehene Bürger ausgesucht . Das deutet auf die Ritter und n\
darauf, daß der Tribun Handelskolonien im Auge hatte . 8) - Die lex frumentaria sollte dem Volk eine kontinuierliche Getreideversorgung zu einem angemessenen Preis sichern. Die sachliche Notwendigkeit für ein solches Gesetz - Engpässe in der Getreideversorgung durch Mißernten und daraus entstehende hohe Getreidepreise - wird heute nicht mehr bestritten 9). Die Maßnahme des Gaius stand auch nicht, wie erst kürzlich 10 ^ wieder behauptet wurde \ im Widerspruch zu den Ackergesetzen; denn erstens war der von Gaius festgesetzte Preis viel zu hoch, um potentielle Siedler von der Ackerassignation abzuziehen 11), und zweitens hat die Agrarreform von vornherein 1) App. b.c. I 23, 98; Plut. C. Gr. 6,3. 2) Hinrichs aaO. HOff. 3) Broughton MRR I 517. 4) Hinrichs aaO. 64f. 5) Broughton MRR I 514. 6) Plut. C. Gr. 9,3. 7) E. Kornemann: Klio Beih. 1 (1903) 49; Stern aaO. 283f; Last 68f. 8) Broughton MRR I 514. 9) Stern aaO. 277ff; Last: CAH IX 57ff; Katz aaO. 76; Boren aaO. 901. 10) Tibiletti aaO. 275. 11) Vgl. Last: CAH IX 59.
-156vor allem das ländliche Proletariat angesprochen, während die Probleme der städtischen plebs durch sie nicht gelöst wurden . Im Zusammenhang mit der lex frumentaria standen die Errichtung großer Getreidemagazine ' und vielleicht auch Maßnahmen zur Forderung des Straßenbaus, falls diese sich nicht auf die Gründung von Straßenkolonien beziehen (vgl. oben). - Die lex militarie verbot. Jugendliche unter siebzehn Jahren zum Kriegsdienst heranzuziehen '. Ferner sollte den Soldaten unentgeltlich die Ausrüstung geliefert werden - eine Maßnahme, die in der ständigen Herabsetzung des Zensusminimums für den Kriegsdienst ihren Grund hatte . Sowohl in der lex militaris als auch im Getreidegesetz kommt eine Haltung zum Ausdruck, die römischem Denken fremd war, nämlich die staatliche Fürsorge für den Einzelnen. Es ist wahrscheinlich, daß C. Gracchus hier von griechischen Beispielen gelernt hat '. c) Naßnahmen zu einer besseren Regelung des Verhältnisses zwischen Rom und seinen Bundesgenossen und Untertanen. Aus zwei Gründen konnte C. Gracchus am Bundesgenossenproblem nicht vorbeigehen: einmal hatte der Aufstand von Fregellae klar gemacht, welche Folgen eine starre Haltung Roms in dieser Frage haben konnte, zum anderen galt es die durch die Intervention der Bundesgenossen aufgetretenen Schwierigkeiten hei der Ackerverteilung aus dem Weg zu räumen. Es ist schwer zu sagen, welches Motiv stärker wog. Da aber Gaius in seiner Rede "de legibus promulgatis" ein offenes Ohr für die Nachteile gezeigt hat, die den Bundesgenossen aus ihrer politisch untergeordneten Stellung entstanden , wird man sein(e) Bundesgenossengesetz(e) nicht nur als reines Mittel zur Überwindung der Schwierigkeiten bei der Ackerverteilung, sondern auch als selbständige Reform zur Beseitigung einer 1) vgl. Boren aaO. 2) Plut. C. Gr. 6,3; Fest. p. 392L; vgl. Last: CAH IX 58. 3) Broughton MRR I 514. 4) E. Gabba. Le origini dell'esercito professionale in Roma: I proletari e la riforma di Mario: Athenaeum NS 27 (1949) 173-209, besonders 184ff. 5) vgl. Stern aaO. 277ff, der jedoch daraus gleich wieder auf den doktrinären Staatstheoretiker C. Gracchus schließen will; Last CAH IX 57. p 6) Hapke aaO. 60f; Malcovati ORF 0 191f.
-157Anomalie in der Herrschaftsausiibung Roms verstehen müssen. Die Einzelheiten des gracchischen Vorgehens in dieser Frage lassen sich nicht mehr völlig sicher rekonstruieren. Auf jeden Fall hat C. Gracchus zwischen Latinern und Bundesgenossen unterschieden: die Latiner sollten Bürger-, die Bundesgenossen Latinerrecht erhalten ' . Das bedeutete einen Kompromiß gegenüber dem radikaleren Vorschlag des Fulvius Flac21 eus vom Jahre 125 . Manches spricht dafür, daß Gaius zwei verschiedene Gesetze eingebracht hat, aber die Möglichkeit nur einer einzigen Rogation kann nicht ausgeschlossen werden 3 >. 4") Die inschriftlich erhaltene lex de repetundis -* fällt - darüber gibt es heute keinen Zweifel mehr - sicher in die Zeit des Wirkens des C. Gracchus. Sie schloß die Senatoren von der Richtertätigkeit in Repetundenfallen aus und übertrug die Repetundenquaestionen den Rittern. Einen besonderen Akzent erhielt sie dadurch, daß den Provinzialen die selbständige Anklagevertretung gestattet wurde -. Ob es sich bei diesem Gesetz um eine lex Sempronia aus dem Jahre 123 oder um eine lex Acilia aus dem Jahre 122 ' handelt, ist nur dann von Interesse, wenn man außer dem Repetundengesetz noch eine umfassende lex Sempronia iudiciaria annimmt. Anhaltspunkte 1) Vell. II 6,2 spricht von der Verleihung des Bürgerrechts an alle Italiker. Dagegen stehen aber App. b.c. I 23, 99 und die Rede des Konsuls Fannius "de soeiis et nomine latino" (Malcovati ORF^ 143f). Vgl. auch Plut. C. Gr. 5,2; üjOj
y,5*
2) Badian FC 186. 3) Für zwei Rogationen: E. Kornemann: Klio Beih. 1 (1903) 45; Last: CAH IX 50ff. 70f. 78ff. Für eine Rogation: Stern aaO. 284ff; Badian FC 299ff. 4) CIL 1^ 583ff. 5) F. Serrao, Appunti sui "patroni" e sulla legittimazione all'accusa nei Processi "repetundarum": Studi De Francisci II (Milano 1956) 471f (mir unzugänglich; vgl. E. Badian: Historia 11 /19627 204). 6) So G. Tibiletti, Le leggi de iudieiis repetundarum fino alla guerra sociale: Athenaeum NS 31 (1953) 32-38 und 81; Serrao aaO. 7) So Last: CAH IX 75 und 892ff; J.P.V.D. Baldson, The History of the Extortion Court at Rome 123-70 BC: Papers of the British School at Rome 19 (1938) 98f; E. Badian: Lex Acilla repetundarum: AJPh 75 (1954) 374-384; ders.: Historia 11 (1962) 205.
-158dafür finden sich nur bei Livius und Plutarch: nach Plutarch hätten fortan 300 neue Rittergeschworene mit den 300 Senatoren zusammen die Jurisdiktion ausüben sollen ; Livius spricht überhaupt nicht von einer lex iudiciaria sondern einfach von einer Vergrößerung des Senats um 600 Ritter 2), was jedoch von der Forschung allgemein im Zusammenhang mit einem Richtergesetz - der durch 600 Ritter vergrößerte Senat sollte die Gerichtsbarkeit behalten - verstanden wird. Die Entscheidung der einzelnen Forscher fällt bald für Livius, bald für Plutarch, bald für eine Kombination der beiden aus ein Zeichen dafür, welche Unsicherheit hier herrscht. Die Quellen außer Plutarch und Livius sprechen einfach von einer Übertragung der Gerichte an die Ritter ', was jedoch durch die Lex de repetundis widerlegt wird, die ja Senatoren als Richter nur von einer bestimmten Prozeßart ausschloß. Wir haben es bei diesen Quellen wohl mit Verallgemeinerungen des Repetundengesetzes zu tun. Auch Livius und Plutarch ließen sich insofern auf das eine Repetundengesetz allein anwenden, als danach ja tatsächlich Senatoren und Ritter als Richter fungierten, wenn auch nicht in gemeinsamen Gerichtshöfen, sondern jeweils in verschiedenen Bereichen. Die näheren Erklärungen der beiden Autoren könnte man dann als selbständige spatere Deutungsversuche - vielleicht als Rückprojektionen des livianischen Gesetzes von 91? - verstehen. Unterstützt würde dieses Verständnis dadurch, daß weder Livius noch Plutarch das Repetundengesetz erwähnen; sie hätten dann, falls map ihre Aussagen vom Repetundengesetz trennt, das "schärfste" der gracchischen - oder jedenfalls von Gracchus veranlaßten - Gesetze übergangen, was sehr unwahrscheinlich ist. Jedenfalls steht die Annahme einer umfassenden lex Sempronia iudiciaria auf sehr schwankendem Boden - sicher kann man nur mit der lex de repetundis rechnen. Die "quaestio repetundarum" war "no mere domestic tribunal but an element in the administrative machinery of the em1) Plut. C. G r . 5,2f. 2) Liv. per. 60. 3) vgl. z.B. Th. Mommsen, Ges. Schriften III (1907) 343ÎÎ-, Stern aaO. 282ff; E. Stein, Der römische Ritterstand (München 1927) 15ff; Last: CAH IX 69f; E. Badian: AJPh 75 (1954) 375-378. 4) vgl. Broughton MRR I 518 (dort den Repetundengesetz zugeordnet) .
-159pire" . Wie parteiisch es in diesen Gerichtshöfen zuging, beweisen drei skandalöse Fveisprüche von Provinz-statthaltern in den 20er Jahren - die Gesandten der betreffenden Provinzen hieltei) sich noch während der Amtszeit des C. Grae2"> chus in Rom auf . Ferner hatte Gracchus während seiner Verwaltungstätigkeit in Sardinien eindringlich bewiesen, daß er die Untertanen Roms nicht nur als Ausbeutungsobjekte betrachtete , so daß eine Rei"ormabsicht der lex de repetundis auch von der Person ihres Initiators her glaubwürdig ist. Nimmt man hinzu, daß durch das Gesetz den Provin*.ialen die selbständige Anklagevertretung gestattet wurde, dann war sein Hauptzweck wohl eine Verbesserung der Provinzverwaltung durch eine Verschärfung des Gerichtsverfahrens ge4) ' gen korrupte Statthalter , Mit dem Themenkreis der Provinzverwaltung beschäftigten sich noch zwei weitere gracchische Rogationen: - Die lex de provincijs consularibus bestimmte, daß die Amtsbereiche der Konsuln künftig jeweils vor deren Wahl festgelegt werden sollten . Die herkömmliche Zuteilung der konsularischen Provinzen durch den Senat wurde durch das Gesetz nicht angetastet, sondern implizit sogar fixiert Das Ziel der lex Sempronia ergibt sich aus der Tatsache, daß die Konsuln häufig unter Ausschöpfung aller ihnen durch ihr Amt gegebenen Möglichkeiten die Provinzenzuweisung zu beeinflussen suchten und damit eine Entscheidung nach sachlichen Gesichtspunkten erschwerten bzw. ganz verhinder1) Last: CAH IX 75. 2) Appian b.c. I 22,92. 3) Er kehrte mit leeren Taschen nach Rom zurück: Häpke aaO. 52f; Malcovati ORF2 181f. 4) vgl. Badian FC 183. 5) Broughton MRR I 514. Hinweise zur Interpretation des Gesetzes verdanke ich Frau U. Schillinger, Freiburg. 6) vgl. Cic. de prov. cons. 24 : tu provincias consular!s, quas C. Gracchus, qui unus maxime popularis fuit, non modo non abstulit a senatu, sed etiam ut necesse esset quotannis constitui per senatum lege sanxit ... Cicero referiert das Gesetz zwar, um Clodius von C. Gracchus abzuheben, tendenziös, indem er die eigentliche Stoßrichtung des Gesetzes übergeht, aber seine Aussage ist nicht falsch, 7) vgl. z.B. Liv. 28,40ff; 30,27; 30,40,6ff; 38,42,8ff; 42,10,9ff.
-160ten. Das gracchische Gesetz wollte gegen solche Praktiken vorgehen, wie es umgekehrt auch für den Senat die Möglichkeiten begrenzte, die Provinzenzuteilung nach persönlichen Rücksichten vorzunehmen. Damit die Entscheidung über die konsularischen Provinzen nicht bis in die Zeit nach den Wahlen verschleppt werden konnte, hat C. Gracchus auch die Intercession gegen diesbezügliche Senatsbeschlüsse verboten. Die lex Sempronia erstrebte also eine Versachlichung der jährlichen Auseinandersetzungen um die konsularischen Provinzen . Das mußte letzten Endes auch den Provinzialen zugute kommen, obwohl hier nicht das Hauptmotiv des C. Gracchus gelegen zu haben braucht; die Vorteile einer nach sachlichen Gesichtspunkten àurchgeî'ûW^wi T-ro-riirzenvergriöte ^ùr Tetra selbst sind - insbesondere im Hinblick auf Kriegszeiten offenbar. - Die lex de provincia Asia übertrug das Steuerpächtersyc . 2) stem auf die Provinz Asien . Mit dem Gesetz suchte Gracchus die Steuereinziehung i n Asien zu ordnen und dadurch einmal den Provinzialen Erleichterung zu verschaffen, zum anderen dennoch die Steuereinnahmen Roms zu erhöhen d) Von einer letzten Rogation berichtet nur Sallust. Nach ihm hätte C. Gracchus auch den Antrag gestellt, bei Abstimmungen "aus allen fünf Klassen ohne Unterschied durch L0s die Centurien aufzurufen" • I"> Falle seiner Annahme hatte 1) Last: CAH IX 63f versteht das Gesetz vom Gedanken der Demokratie her: während vorder der Senat die schon gewählten Konsuln mit der Verwaltung der Provin2en betraut hätte, seien nach dem Gesetz die Konsuln für schon festliegende Provinzen vom Volk gewählt werden; vgl. auch P.J. Cuff, The Terminal Date of Caesar's Gallic Command: Historia 7 (1958) 448ff, der allerdings die neue "constitutional doctrin" mit dem gracchischen Gesetz niir implizit gegeben sieht, d.h.sie nicht als Motiv des Gaius betrachtet. Mir scheint die Deutung Lasts sehr weit hergeholt z u sein. 2) Broughton MRR I 514. 3) Beides schließt sich nicht aus, wenn man die Zustände in Rechnung setzt, die vorher geherrschat hatten (vgl. Badian FC 184). Ferner darf man V S J * 22,92ff; Plut- C. Gr. 5,Iff; vgl. Varro bei Non. p- "28L; Flor. II 5,3. - Zu den oft falsch dargestellten Folgen aes Repetundengesetzes vgl. Last: CAH IX 77 und 90, ferner U. Ewins: JRS 50 (I960) 102f. 5) Gelzer, Caesar 13; vgl. Heuß: HZ 182, 8. n nr 6) vgl. den merkwürdigen Revolutionär-Begriff bei Heuii K Ua c 144: "Revolutionär sein bedeutete ... für ihn (sc. C. V£ ~ chus): alle seine politischen Maßnahmen auf das e i n ® ^ e n zu richten, sich gegenüber seinen Gegnern, den durch Senat vertretenen Aristokraten, zu behaupten".
-164C. Gracchus hat, wie sein Bruder, alle seine Gesetze als Tribun mit Hilfe der Volksversammlung durchgebracht oder durchzubringen versucht. Im ersten Tribunatsjahr erreichte er eine so große Popularität, daß Plutarch seine Stellung 1)
mit der eines Monarchen vergleicht . Der Senat scheint keine größere Gegenaktion unternommen zu haben. Die Wiederwahl zum Tribunen für 122 gelang reibungslos ' - C. Gracchus konnte sogar seinen Kandidaten für den Konsulat durchsetzen ', Erst im zweiten Tribunatsjahr holte der Senat zum entscheidenden Gegenschlag aus. In seinem Auftrag promulgierte der Tribun Livius Drusus Rogationen, die an vorhergehende Gesetze des Gracchus anknüpften, aber sorgfältig darauf abgestimmt waren, den Wünschen des Volkes besser zu ent4) sprechen als die graeehischen Maßnahmen . Ebenso appellierte der Konsul Fannius im Zusammenhang mit dem von Gracchus vorgeschlagenen Latiner- und Bundesgenossengesetz an den Egoismus des Volkes . So gelang es, den in Junonia abft ^
wesenden Tribunen in der Volksgunst auszustechen . Gracchus verlor dadurch seine Machtbasis. Er konnte den Verlust an Popularität nicht mehr wettmachen, obwohl er nach seiner Rückkehr aus Junonia seine Wohnung demonstrativ in die Gegend des Forums verlegte 7)' . Bei der Tribunenwahl für 121 fiel er durch. Der Senat suchte ihn nun durch die Aufhebung der Kolonie Junonia vollends unschädlich zu machen. Als Gracchus sich dagegen wehrte, kam es zu einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Der Senat faßte - als Antwort auf die lex Sempronia de provocatione - erstmals formell das SCU 8), und Gracchus erlitt mit seinen Anhängern das gleiche Schicksal wie sein Bruder Tiberius. ' Die politische Methode des Gaius war, wie ich schon oben anläßlich des Vorgehens des Tiberius zu zeigen versucht habe, 1) Plut. C. Gr. 6,1. 2) Broughton MRR I 517. Ob die Kontinuation des Tribunats inzwischen durch ein Gesetz ermöglicht worden war oder ob dafür einfach - was wahrscheinlicher ist - die festere Position des Gaius den Ausschlag gab, ist nicht sicher auszumachen; vgl. Last: CAH IX 61f. 3) Broughton MRR I 516. 4) ebd. 517. „ 5) Malcovati ORF 144; vgl. dazu Badian FC 187f. 6) Plut. C. Gr. 9,7; App. b.c. I 23, 101. 7) Plut. C. Gr. 14,1. 8) H. Siber: Zschr. der Sav.- Stiftung für Rechtsgeschichte, Rom. Abt. 62 (1942) 389f. 9) vgl< zum Handlungsablauf Last: CAH IX 82ff. i
-165eher monarchisch als demokratisch '. Der Tribunat blieb auch in der Hand des C. Gracchus ein Instrument der Nobilität. Das Volk übte faktisch nicht mehr Hechte aus, als wenn die gracchischen Rogationen vom gesamten Senat gedeckt worden wären. Dagegen erhielt es wegen der Uneinigkeit innerhalb der Nobilität größeres politisches Gewicht, aber dieses Gewicht bedeutete nicht direkte Souveränität 21', sondern wurde nur als Unterstützung einer Minderheit der Nobilität selbst wirksam. Da diese Minderheit, deren Exponent C. Gracchus war, überhaupt nur mit Hilfe der "popularis ratio" mit ihren Reformplänen zum Zuge kommen konnte und demnach ein sachlicher Grund für die gewählte politische Methode .vorlag, kann man dem Vorgehen des C. Gracchus einen grundsätzlichen Aussagewert im Hinblick auf politische Zielvorstellungen nur dann beimessen, wenn sich im sonstigen Wirken des Gracchus Hinweise für solche Vorstellungen finden lassen. Schon oben wurde jedoch festgestellt, daß in der gracchischen Gesetzgebung keine Alternative zum oligarchischen Regiment sichtbar wird. C. Gracchus hat zwar einzelne Machtbefugnisse des Senats und der Magistrate beschränkt, aber er hat die politische Stellung beider nicht grundsätzlich angetatstet T man vergleiche damit die völlige Zerschlagung der Macht der Archonten und des Areopags in Athen vor der Einführung der klassischen Demokratie. Umgekehrt spricht auch nichts dafür, daß die faktische Ausschaltung des Senats im Jahre 123 und das damit gegebene Durchbrechen des Prinzips der aristokratischen Gleichheit durch den populären Tribunen - gegenüber 1) Es wird deshalb in der Forschung gern behauptet, C, Gracchus habe in Rom eine ähnliche Stellung erstrebt wie Perikles in Athen: vgl. Stern aaO. 299f und ihm folgend F. Münzer: RE 2.R. II/2 (1923) 1399 s.v. Sempronius; ähnlich Boren aaO. 890: C. Gracchus habe vielleicht eine Demokratie einführen wollen, "but along Greek lines, that is, by setting himself up as a tyrant ..."; Heuß RG 145 betont zwar die Ähnlichkeit zwischen der Stellung des Perikles und der des Gracchus, bezweifelt aber, ob Gracchus diese Stellung und eine Demokratie im positiven Sinn als "Lösung des Verfassungsproblems" vorgeschwebt habe. 2) Anders Last: CAH IX 90ff, der in der Methode der Gracchen "the tendancy towards democracy of the most reckless type" sieht. Ebenso kennzeichnet nach Valgiglio aaO. 224 das Auftreten der Gracchen "la prima fase del contrasto tra gli oppositi principi aristocratico e democratico".
-166133 noch verschärft durch die gelungene Kontinuation des Tribunats - dem Willen zur Errichtung einer "regalis poten1) tia" entsprungen ist . Das Provinzengesetz z.B. war alleinherrschaftlichen Bestrebungen diametral entgegengesetzt und ist deshalb auch später von denen, die sich tatsächlich eine über das aristokratische Normalmaß hinausgehende Macht aufbauen wollten, durch die "extraordinaria imperia" dauernd übergangen worden. Die politische Methode der Gracchen war dadurch möglich, daß sie Reformen intendierten, die durch ihre Materie das Volk ansprachen. Der Erfolg der Gracchen führte im Jahre 122 zur Aktion des Livius Drusus, der populäre Gesetzesvorschläge nur noch zu dem Zweck einbrachte, das Volk zu gewinnen. Damit begann eine systematische Korrumpierung des Volkes - auch der Appell des Fannius an dessen Egoismus gehört in diesen Zusammenhang - und jene Zerstörung des politischen Lebens, die uns als Ablösung der Politik von jeglichem sachlichen Anliegen in der nachsullanischen Zeit überall begegnet. Unter diesem Gesichtspunkt waren nicht die Gracchen, sondern Livius Drusus und Fannius Vorgänger von Männern wie Saturninus und Clodius* Bei den Gracchen waren Acker- und Getreidegesetze nicht Bestandteile der "popularis ratio", sondern eines Reformprogramms; mit Livius Drusus wurden sie zum reinen politischen Mittel. Die unmittelbare desintegrierende Wirkung der "popularis ratio" zeigte sich 121 ebenso wie 133 in einer gewaltsamen Auseinandersetzung. Ihr Ausgang, die Tötung des C. Gracchus, wurde durch die Weihe eines Concordia-Tempels besiegelt. Damit war die "Eintracht" aber keineswegs wiederhergestellt, eben weil das Auftreten der Gracchen nicht in dem auf "se— ditio" zielenden Willen Einzelner , sondern in sachlichen Problemen seinen Grund hatte. Diese Probleme ließen sich nicht "töten". Insbesondere die unerledigt.gebliebene Bundesgenossenfrage sollte erst in der Zukunft ihre eigentliche Dynamik entfalten. 1) Vell. II 6,2; vgl. Diod. 34/35, 25,2. Nach Schur ZA 32 hat C. Gracchus schon eine "augusteischen EndlÖsung" geplant . 2) vgl. Cic. in Cat. I 4: interfectus est propter quasdam seditionum suspiciones C. Gracchus; Liv. per. 61: C. Gracchus seditioso tribunatu acto ...; weitere verwandte Stellen bei Münzer aaO. 1399.
-167C, Gracchus wird von Cicero einmal als der Inbegriff eines Populären charakterisiert . Der Grund dafür ist zunächst im Acker- und im Getreidegesetz zu suchen. Ihnen vor allem verdankte C. Gracchus seine persönliche Beliebtheit beim Volk \ wenn sie auch ebensowenig wie die lex agraria von 133 als reine "largitiones" verstanden werden können ^ . c Gracchus war also wie sein Bruder als "popularis" zunächst populär . Ebenfalls zur populären Materie wurden in der ciceronischen Zeit die Provokationsgesetze gezählt , und zwar nicht zuerst wegen ihrer Popularität, sondern weil man in ihnen Garanten für die "libertas populi" sah. So wurde auch C. Gracchus auf Grund seiner lex de capite civis für die nachsullanischen Populären zu einem Vorkämpfer der Freiheit des Volkes } - nach Sallust hat das "vindicare plebem in libertatem" sogar den Hauptinhalt seines Wirkens ausgemacht *. 1) de dorn. 24: C. Gracchus, qui unus maxime popularis fuit. 2) vgl. zum Frumentargesetz Cic. Sest. 103: Frumentariara legem C. Gracchus ferebat: iucunda res plebei. Zum Äckergesetz vgl, ebd. die Aussage über Ti. Gracchus: Agrariam Ti. Gracchus legem ferebat; grata erat populo. Innerhalb der Agrarreform gehörte auch die Koloniededuktion zur populären Materie; vgl. Cic. Brut. 160: Voluit adulescens (sc. L. Licinius Crassus) in colonia Narbonensi causae popularis aliquid adtingere. 3) So Cic. Tusc. III 48: C, Gracchus, cum largitiones maximas fecisset ...; de off. II 72: C. Gracchi frumentaria magna largitio; vgl. Leg. agr. I 21; Sest. 105. 4) Cic. in Verr. II 1,151; Lucan VI 795f (beide Zeugnisse oben S. 145f); vgl. Cic. leg. agr. II 10: ... Gracchos ... amantissimos plebei Romanae viros ; Sest. 105. 5) Cic. acad. pr. II 13: leges populares de provocationibus, 6) Cic. Rab. perd. 12: C. Gracchus legem tulit ne de capite civis iniussu vestro iudicaretur. ... 13: Tu mihi etiam legis Porciae, tu C. Gracchi, tu horum (sc. populi) libertatis, tu cuiusquam denique hominis popularis mentionem facis, qui ... violare libertatem ... huius populi ... conatus es? ... 15: An vero, si actio ista (sc. das Duoviralverfahren) popularis esset et si ullam partem aequitatis haberet aut iuris, C. Gracchus earn reliquissetf Aus der Argumentation Ciceros geht hervor, daß Labienus in seiner Anklage die lex Porcia und die lex Sempronia de capite civis als populäre, die Freiheit des Volkes garantierende Gesetze angeführt hatte. Cicero nimmt das auf un ^ wendet die populäre Argumentation gegen Labienus, wei ceeen s s von diesem zunächst gewählte Duoviralverfahren sei£ die Provokationsgesetze verstieß (vgl. oben S. 5d.ii)' 7) Jug. 42,1.
-168Dem widerspricht das gracchische Gesamtwerk, das keineswegs auf die "libertas populi" als das beherrschende Leitmotiv für den Tribunen hinweist. Und da C. Gracchus sich in seinen Gesetzen allgemein nicht als Ideologe, sondern als ein von sachlichen Anliegen her handelnder Politiker darstellt, wird man berechtigte Zweifel daran haben können, ob selbst für das Provokationsgesetz, das sich ganz konkret gegen die Ausschreitungen des Jahres 132 richtete, die Befreiung des Volkes das eigentliche Motiv gewesen ist. Der Popular C. Gracchus als Vorkämpfer für die Freiheit des Volkes ist sicher in der absoluten Formulierung Sallusts, wahrscheinlich aber auch in Bezug auf das Provokationsgesetz allein, eine Erfindung der nachsullanischen populären Propaganda. Die "popularis ratio" erscheint bei C. Gracchus von Anfang an als feste und bewußt angewandte Methode- Der Tribun hat sie durch die lex de capite civis -und die lex ne quis iudicio circumveniatur gegenüber der Senatsmehrheit abgesichert. II. Vom Opimiusprozeß bis zum Jahre 104. 1. Per Opimiusprozeß und die Reformvorschläge des C. Marius und L. Licinius Crassus» Über die Innenpolitik der beiden auf den Tod des C. Gracchus folgenden Jahrzehnte sind wir außerordentlich schlecht unterrichtet. Besonders im Hinblick auf die Struktur der innenpolitischen Auseinandersetzungen bleiben wir in vielen Fällen auf Hypothesen angewiesen. Im Satire 12.0 wurde der Konsular Opimius vom Tribunen T1. "Decius Subulo wegen seines Vorgehens gegen C. Gracchus und dessen Anhänger vor den Centuriatcomitien angeklagt 1). Die naheliegende Vermutung, daß wir es bei dieser Aktion mit einem Weiterleben der gracchischen Reforrogruppe zu tun haben, ist wahrscheinlich falsch, denn eine Beziehung zwischen Decius und den Gracchanern vor 120 läßt sich nicht nachweisen. Dagegen wissen wir, daß Decius vor seinem Tribunat von der Nobilität, besonders von Opimius, häufig wegen seines Privatlebens verspottet worden ist 21\ so daß •
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1) Cic. de orat. II 106. 132. 134f. 165. 170; part. orat. 104. 106; Liv. per. $1; vgl. Wirszubski, Libertas 58f; E, Badian, P. Decius P.f. Subulo. An Orator of the Time of the Gracchi: JRS 46 (1956) 91-96. 2) vgl. Badian aaO. 92.
-169der Prozeß vielleicht nur einen Akt der Privatrache darstellte. Dennoch war das Verfahren insofern von allgemeinem Interesse, als sich in seinem Ergebnis die Haltung des Volkes zum neuentwickelten Notstandsrecht des Senats kundtun mußte, Opimius und sein Verteidiger C. Papirius Carbo, der inzwischen die Seiten gewechselt hatte, rechtfertigten das SCU unter Berufung auf die Staatsraison: "iure feci, salutis omnium et conservandae rei publicae causa" . Obwohl Decius dagegenhielt, "ne sceleratissimum quidem civem sine iudi2) cio iure ullo necare potuisti" , wurde Opimius freigesprochen. Damit gab das Volk selbst den Anspruch auf die allgemeine und ausnahmslose Gültigkeit der Provokationsgesetze auf. Eine konsequente Folge seines Urteils war die durch Antrag des Tribunen Calpurnius Bestia veranlaßte Rückberufung des P. Popillius Laenas, eines der Konsuln von 132, aus dem Exil 3 > . In das nächste Jahr fiel die erste bekannte politische Aktion des damaligen Tribunen C. Marius, der gegen den Widerstand des Konsuls Aurelius und der Senatsmehrheit eine lex durchbrachte, "quae pontes fecit angustos" . Das Gesetz, von Cicero in der Reihe der Tabellargesetze aufgezählt , hatte den gleichen Zweck wie diese, nämlich die Beeinflußsung bei der Stimmabgabe weiter einzuschränken . Demagogische Motive scheiden für Marius mit großer Wahrscheinlichkeit aus, da der Tribun sich im selben Jahr erfolgreich einer rogatio frumentaria widersetzt hat 7). Nach Plutarch hatte Marius seine lex allein gegen den Widerstand des ganzen Senats nur auf Grund der Zustimmung des Volkes durchgebracht . Das erscheint jedoch in hohem Maße unglaubwürdig, denn Marius war in politischer Hinsicht ein Cic. part. prat. 104; vgl. de orat. 132. 134. 165,
Cic. part. orat. 104. i) 3) vgl. Broughton MRR I 524 mit
Anm. S. 525. 4) Cic. de leg. III 38; Plut. Mar. 4,2-6. 5) Cic. ebd. III 39. 6) vgl. ebd. : Quae (sc. die Tabellargesetze einschließlich der marianischen lex) si opposita sunt ambitiosis, ut sunt fere, non reprehendo. Vgl. dazu Last: CAH IX 94; anders A. Passerini, Caio Mario come uomo politico: Athenaeum NS 12 (1934) 12ff. 7) Plut. Mar. 4,7. 8) ebd. besonders 4,3. Vgl. zur Zeichnung des Marius hei •Plutarch allgemein Passerini aaO. 15.
-170Anfänger, und zudem hatte der Opimiusprozeß des Vorjahres gezeigt, wie sehr die Nobilität in eigentlich politischen Fragen das Volk in der Hand hatte. Ferner geht aus Plutarch selbst hervor, daß sämtliche Tribunen auf der Seite des Marius standen: Metellus, der auf Befehl des Marius ins Gefängnis abgeführt werden sollte, fand mit seiner Appellation an die übrigen Tribunen kein Echo 1) Marius wurde also sicher unterstützt. Für diese Unterstützung kommen wohl am ehesten seine Standesgenossen, die Hit2) ter, in Frage , die sich vielleicht die Beeinflussung bei der Stimmabgabe nicht mehr gefallen lassen wollten. Im Tribunatsjähr des Marius begann auch der später berühmte Redner L. Licinius Crassus seine politische Laufbahn mit einer Anklage des C. Papirius Carbo . Crassus war mit einer Tochter des Q, Mucius Scaevola Augur, eines der adligen Ilintermänner des Ti. Gracchus, verheiratet 4) , Schon von dieser Familienverbindung her bot sich eine Anklage des Überläufers Carbo als politische Erstlingstat an. Dennoch wäre es wohl verfehlt, aus dem ersten Prozess eines jungen Römers auf dessen politische Haltung zu schließen - zumal wir über die eigentliche Anklagebegründung nichts wissen J -, wenn nicht Crassus im folgenden Jahr gegen den Widerstand der Senatsmajorität die Deduktion einer Kolonie nach Narbo Martius c\ durchgesetzt ' und im Verlauf des Kampfes um die Rogation den Senat scharf angegriffen hätte 7) .Im Zusammenhang mit dem Prozeß des Vorjahres wirkt das wie eine Rehabilitation des C. Gracchus, der ja durch sein Festhalten an der Kolonie Junonia den Tod gefunden hatte. Insofern zeigt sich hier ein bescheidenes Fortleben der gracchischen Politik, und Cicero wird das Gleiche gemeint haben, wenn er später über Crassus sagte: "Voluit adulescens in colonia Narbonensi \ si causae popularis aliquid adtingere" 1) Plut. Mar. 4,4-5. 2) vgl. Badian aaO. 94. 3) Cic. Brut. 159; in Verr. II 3,3; ad fam. IX 21,3; Val. Max. VI 5,6. 4) N. Häpke: RE XIII/1 (1926) 255 s.v. Licinius. 5) vgl. die vermuteten Anklagegründe bei Häpke aaO. 254; F. Münzer: RE XVIII/2 (1949) 1020 s.v. Papirius. 6) Broughton MRR I 528. 7) Cic. Cluent. 140: (Crassus) in dissuasione rogationis eius quae contra coloniam Narbonensen ferebatur quantum potest de auctoritate senatus detrahit. 8) Brut. 160.
-171Verschiedene Forscher nehmen auch für die rogatio Licinia eine Unterstützung aus Kreisen der Ritterschaft an . Da auswärtige Koloniegründungen den Handelsinteressen der Ritter entgegenkamen, halte ich eine solche Unterstützung durchaus für möglich. Es liegt jedoch kein Grund dafür vor, die Ritter zu den eigentlichen Initiatoren der Koloniegründung zu machen und in den Vorgängen der Jahre 119-118 überhaupt eine "Demonstration" der Ritterschaft zu sehen 2) . Die Ritter standen 121 auf der Seite des Senats, und wir besitzen auch kein Zeugnis darüber, daß sie im Opimiusprozeß anders als die Mehrheit entschieden haben. Wofür oder wogegen hätten sie also "demonstrieren" sollen? Außer der Anklage gegen Carbo handelte es sich - nach dem Verständnis der ciceronischen Zeit - bei allen besprochenen Intitiativen um populäre Maßnahmen ^ . Dennoch ist kein direkter Zusammenhang zwischen ihnen faßbar. Die Sicherheit, mit der in der modernen Forschung auch für die Zeit nach dem Tod des C. Gracchus eine populäre Gruppe - manchmal Popular- oder Volkspartei genannt - vorausgesetzt wird 4) können sie jedenfalls nicht rechtfertigen. 2. Die innenpolitischen Auseinandersetzungen anläßlich des Jugurthinischen Krieges. Das Verständnis der innenpolitischen Auseinandersetzungen in den Jahren 112 - 108 ist weitgehend ein Problem der Sallustkritik. Während die übrigen Quellen die innenpolitischen Ereignisse nur streifen, berichtet Sallust als einziger ausführlich darüber und stellt sie in einen Deutungszusammenhang, dessen Tenor bei der Begründung der Themenwahl für das "Bellum Jugurthinum" mit: "quia tunc primum superbiae nobilitatis obviam itum est" (5,1) angegeben ist. Der Handlungsablauf, in dessen Zentrum zunächst der Tribun Memmius steht, ist nach Sallust kurz folgender: 1) H, Hill, The Roman Middle Class in the Republican Period (Oxford 1952) 113ff; Gabba aaO. 71; Badian aaO. 94. 2) so Badian aaO. 3) zum Opimiusprozeß vgl. den Rabiriusprozeß oben S. fl ff; die lex des Marius gehört ihrer Tendenz nach in die Reihe der Tabellargesetze, die bei Cic. de leg. III 37 als popular bezeichnet werden; zur Koloniededuktion vgl. Cic. Brut. 160 (oben im Text S.4T9). 4) z.B. Häpke aaO. 255; K. v. Fritz, Sallust and the Attitude of the Roman Nobility ...: TAPhA 74 (1943) 134-168; Hill aaO. 113ff; Gabba aaO. besonders 71ff.
-172 Memmius, ein "vir acer et infestus potentiae nobilitatis" (27,2), der für das Jahr 112 zum Tribunen gewählt ist, klärt noch vor seinem Amtsantritt nach der Einnahme Cirtas und der grausamen Behandlung Adherbals und der Italiker durch Jugurtha das Volk über Verzögerungstaktiken im Senat zugunsten Jugurthas auf, so daß der.Senat aus Furcht vor dem Volk als eine der Provinzen für die Konsuln des nächsten Amtsjahres Numidien festsetzt, das dann dem Calpurnius Bestia zufallt (27,2-5). Nach den Abmachungen zwischen Calpurnius und Jugurtha (29,5f) kommt es in Rom allenthalben zu heftigen Diskussionen: apud plebem gravis invidia, patres solliciti erant (30,1). Memmius hetzt das Volk in Contionen auf und ermahnt es, einzugreifen und die res publica und die libertas nicht im Stich zu lassen (30,3). Eine seiner Reden gibt Sallust in fingiertem Wortlaut (31). Sie ist bestimmt durch den dauernd wiederkehrenden Gegensatz zwischen der dominatio und superbia der Nobilität einerseits und der servitus des Volkes andererseits ^ ) . Durch einen Rückgriff auf die jüngste Vergangenheit wird dieser Gegensatz besonders veranschaulicht: in den Quaestionen nach dem Tod des Ti. und C. Gracchus war das Volk der Willkür der pauci ausgesetzt, seine defensores gingen schändlich und ungerecht zugrunde, es selbst verharrte in ignavia und socordia (31,2.7.13). Entsprechend ruft Memmius mehrmals dazu auf, die libertas wiederzuerringen ' . Als konkrete Maßnahmen fordert er Quaestionen gegen diejenigen, welche die res publica verraten haben, und die Vorladung Jugurthas (31,18f). Diese wird durch eine rogatio des Memmius erreicht, und der Praetor Cassius bricht - perculsa omni nobilitate - zu Jugurtha auf (32,5). Der König kommt auch nach Rom, aber seine Aussage wird durch den Einspruch des bestochenen Tribunen Baebius verhindert, obwohl das Volk eine drohende Haltung einnimmt (34,1). Ita populus ludibrio habitus ex contione discedit (34,2). Erst zwei Jahre später bringt dann der Tribun C. Mamilius Limetanus erneut eine rogatio ein, die Quaestionen gegen Nobiles vorsieht, welche sich durch ihr Verhalten gegenüber Jugurtha schuldig gemacht haben (40,1) 3>. Trotz Obstruktionsversuchen der Nobilität wird die
1) 33,1: opes factionis^ vostra patientia, ius nullum; 2: quam ludibrio fueritis superbiae paucorum; 4: obviam ire factionis potentiae; 11: vos, Quirites, in imperio nati aequo animo servitutem toleratis? 16: quod si tara vos libertatis curam haberetis, quam illi ad dominationem adcensi sunt; 20: nisi forte nondum etiam vos dominationis eorum satietas tenet ... nam servitutem quidem quis vostrum recusare audebat? 23: dominari illi volunt, vos liberi esse. 2) vgl. Anm. 1, dazu 31,17: vos pro libertate ... nonne summa ope nitemini? 22: quom intellegetis aut serviundum esse aut per manus libertatem retinendam. 3) vgl. dazu die übrigen Belegstellen bei Broughton MRR I 546, ferner A.N. Sherwin-White, The Extortion Procedure Again: JRS 42 (1952) 51; Badian FC 194; U. Ewins: JRS 50 (1960) 303, - Zwischen der rogatio Mamilia und der Versammlung mit Jugurtha berichtet Sallust noch von "seditiones tribuniciae", die deshalb entstanden, weil die Tribunen P. Lucullus und L, Annius ihr Amt kontinuieren wollten (37,If), Näheres über diese Vorgänge wissen wir nicht.
-173rogatio vom Volk angenommen, dessen Haß gegen die Nobilität Sallust besonders hervorhebt (40,2f). Die Quaestionen werden "aspere violenterque ex rumore et lubidine plebis" durchgeführt (40,5). Der Spieß hat sich also gedreht: uti saepe nobilitatem, sie ea tempestate plebem ex seeundis rebus insolentia ceperat (40,5). An dieser Stelle des Berichts schiebt Sallust den Parteienexkurs ein (41), der noch einmal ausdrücklich bestätigt, was aus der Darstellung schon deutlich geworden ist: daß nämlich nach Sallust der Gegensatz zwischen dem Volk und der Nobilität die Grundstruktur des historischen Geschehens in Rom seit 146 bildet. In den referierten Ereignissen wird das Volk, obwohl seine "ignavia" und "socordia" die Kritik des Memmius finden, als bestimmte Größe vorausgesetzt 1^ ' und auch als selbständig handelnd und reagierend dargestellt 2) '. Ziel seines Handelns ist die "libertas", die sich aber in den mamilianisehen Quaestionen zur "lubido" verkehrt. In den inneren Auseinandersetzungen Roms während der Gracchenzeit hat es einen dauernden politischen Gegensatz zwischen dem Volk und der Nobilität nicht gegeben; das Volk ließ teilweise Ti. Gracchus im Stich, lehnte die lex Papiria de tribunatu prorogando ab, ging um reiner materieller Vorteile willen von C. Gracchus zu Livius Drusus über und sprach Opimius frei. Sallust mag dies alles gemeint haben, wenn er Memmius die "ignavia" und "socordia" des Volkes tadeln ließ. Dennoch hielt er an dem genannten Gegensatz als Grundstruktur des politischen Geschehens fest. Er irrte darin sicher in Bezug auf die Gracchenzeit, und es wäre merkwürdig, wenn sich das Volk in den letzten beiden Jahrzehnten des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts gewandelt haben sollte. Neben dieser allgemeinen Überlegung gibt es verschiedene konkrete Punkte, an denen sich die sallustische Darstellung in Zweifel ziehen läßt. Einen Höhepunkt der Auseinandersetzung zwischen dem Volk und der Nobilität bildeten nach l) vgl, dazu besonders noch 43,1: ... Metello ... advorso opuli partium ... J vgl. 30,V. apud plebem gravis invidia", 34,1: ... multitudo, quae in contione aderat, vehementer adeensa terrebat eum (sc. Baebium) clamore, voltu, saepe impetu atque aliis omnibus, quae ira fieri antat; 40,3: sed plèbes incredibile memoratu est quam intenta fuerit quantaque vi rogationem iusserit, magis odio nobilitatis, quoi mala ilia -parabantur, quam cura rei Publicae; 40,5: uti saepe nobilitatem, sie ea tempestate plebem ex secunais rebus insolentia ceperat.
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-174Sallust die mamilianischen Quaestionen, Die Richter in diesen Quaestionen waren - was Sallust übrigens nicht erwähnt Ritter . Folglich-waren auch sie die Hauptverantwortlichen für den Ausgang der Prozesse, selbst wenn man eine starke 2) Stimmungsmache im Volk gegen die Nobilität annimmt . Trotzdem hebt Sallust in der Schlußbemerkung #ü den Quaestionen nur wieder den Gegensatz Vqlk-Nobilität hervor: "uti saepe nobilitatem, sie ea tempestate pJebem ex seeundis rebus insolentia ceperat." Da Sallust an anderer Stelle zwischen "équités" und "plebs" unterscheidet , kann man nicht voraussetzen, daß er die Ritter stillschweigend zur plebs gezählt hat. In seinem Bericht über die mamilianischen Quaestionen werden demnach die Ritter völlig übergangen, obwohl sie als Richter entscheidenden Einfluß auf das Geschehen ausübten. Ferner: Bei der Einnahme von Cirta wurden außer den Numidern auch die in der Stadt weilenden "Italici" oder "negotiatores" umgebracht . Unter diesen, hat man italische und römische Kaufleute zu verstehen , zu denen sicher auch Ritter gehörten. Ihre Standesgenossen in Rom hatten also vor allem Anlaß, sich über die Haltung des Senats gegenüber Jugurtha zu beschweren. Dennoch werden Ritter von Sallust an keiner Stelle der Auseinandersetzung eigens erwähnt. Und schließlich: Römische Ritter waren später entscheidend an der Vorbereitung der Konsulwahl der Marius beteiligt, Marius konnte sie in Afrika für sich gewinnen, "quia diuturnitate belli res familiaris conruperant" . Diese Interessenverbindung mit den Rittern war die eigentliche Ursache seines Wahlerfolgs 7) ' , und es ist fraglich, ob das Volk da1) Cic. Brut. 128: Gracchani iudices. 2) so Sall. BJ 40,5: sed quaestio exercita'ta aspere violenterque ex rumore et lubidine plebis. 3) ebd, 42,1: nobilitas ... per équités Romanos, quos spes societatis a plèbe dimoverat, Gracchorum actionibus obviam ierat. 4) ebd. 26. 5) vgl. E. Gabba: Athenaeum NS 32 (1954) 79 Anm. Z\ heranzuziehen ist ferner Sall. BJ 65,4, 6) Sall. BJ 64,6. 7) vgl. ebd. 65,\: itaque et illum (sc. Gaudam) et équités Romanos, milites et negotiatores, alios ipse (sc. Marius), plerosque pacis spes impellit, uti Romam ad suos necessarios aspere in Metellum de bello scribant, Marium imperatorem poscant; Vell. II 11,2: (Marius) per publicanos aliosque in Africa negotiantis criminatus Metelli lentitudinera....;
-175bei überhaupt eine größere Rolle spielte So ergeben sich verschiedene Hinweise dafür, daß Sallust die Auseinandersetzungen anläßlich des jugurthinischen Krieges gewaltsam auf einen politischen Gegensatz zwischen dem Volk und der Nobilität hininterpretiert hat. Den schärfsten Ausdruck findet diese Interpretation in der Memmiusrede, Der dort begegnende "libertas"-Begriff laßt sich für die 2) vorsullanische Zeit sonst nirgends nachweisen '; über weite Strecken ist die Argumentation fast identisch mit der der Macerrede . Aber während Macers Forderung nach der Wiederherstellung der tribunicia potestas sich aus seiner Darstellung der Lage konsequent ergibt, bestehl zwischen der Argumentation des Memmius - dominatio der .Nobilität and servitus des Volkes - und der konkreten Forderung des Tribunen - Quaestionen gegen Nobiles, die sich des Verrats gegenüber Jugurtha schuldig gemacht haben - kein vernüftiges Verhaltnis 4). Die enge Verwandtschaft zwischen der Memmius- und der Macerrede legt deshalb die Vermutung nahe, daß Sallust Argumentâtionsweisen der nachsullanischen Zeit in. das Jahr 111 übertragen hat. Das bedeutet nicht, daß Sallust sich mit den Aussagen der Memmiusrede identifiziert '. Von ihm stammt aber gleichsam der Rahmen, in dem er Memmius argumentieren läßt. Auf keinen Fall kann man also die Darstellung Sallusts als Beweis für die Existenz einer um "libertas" kämpfenden Volksoder Popularpartei in den Jahren 112 bis 108 heranziehen. Da an entscheidenden Punkten der innenpolitischen Auseinandersetzung die Ritter auftauchen, darf man wohl in ihnen - oder B, Jenny, Der römische Ritterstand während der Republik (Diss. Zürich 1936) 38; Schur ZA 66f; A.N. Sherwin-White: JRS 46 (1956) 2f; Badian FC 195f, 1) vgl- Sall. BJ 65,5; simul ea tempestate plebs nobilitate fusa per legem Mamiliam novos extollebat. Vorsicht ist geboten deshalb, weil Metellus nach seiner Rückkehr aus Afrika von Senat und Volk freundlich aufgenommen wurde (88,1). Beim eigentlichen Wahlkampf in Rom geht die eigentliche Initiative von "seditiosi magistratus" aus, die das Volk aufhetzen (73,5). 2) Die Stellung der Memmiusrede oben S. 172 mit Anm. 1 und 2. 3) vgl. die Interpretation der Macerrede oben S. 12ff. 4) vgl. dagegen Büchner, Sallust 191. 5) Büchner ebenda 194ff weist auf die Unterschiede zwischen der Rede und dem Parteienexkurs hin. Diese Unterschiede betreffen aber nicht die Struktur des politischen Geschehens.
-176in einem Teil von ihnen - die eigentlichen Urheber der Hetze gegen die Nobilität sehen . Der Grund für diese Hetze waren - neben der Solidarität mit den in Cirta umgekommenen Standesgenossen - vor allem wirtschaftliche In2) teressen ', nicht das Streben nach der Herrschaft im 3) J Staat . Das Volk bildete in den Auseinandersetzungen nur ein politisches Mittel, es übte selbst keine Initiative aus. Im Zusammenhang mit den besprochenen Ereignissen ist wohl auch die lex Servilia Caepionis vom Jahre 106 zu verstehen. Sie übertrug die Richtertätigkeit entweder Senatoren al4} 51 lein ' oder Senatoren und Rittern gemeinsam J und läßt sich am besten als Reaktion auf die mamilianischen Quaestionen deuten. Zwischen 104 und 100 stellte jedoch C. Servilius Glaucia die Alleinherrschaft der Ritter in den Repetundengerichtshöfen wieder her . Er erwarb sich dadurch das Wohlwollen der Ritterschaft 7)', die ihn wohl auch schon zu seinem Gesetz ermuntert hat. 3. Populäre Gesetzesanträge aus den Jahren 107-104. Im Jahre 107 oder 106 wurde auf Antrag des Tribunen C. Coelius Caldus auch für Perduellionsprozesse die geheime AbStimmung eingeführt . Der Zweck des Gesetzes, das die Reihe der leges tabellariae abschloß, ergibt sich mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem gleichzeitig geführten Majestätsprozeß des Coelius gegen C. Popillius Laenas: Es sollte die Verurteilung des Laenas sichern helfen 9). Im Jahre 104 ging eine Rogation des Tribunen Cn. Domitius 1) vgl. Schur ZA 58ff. 2) vgl. Sall. BJ 64,6: quia diuturnitate belli res familiaris conruperant. 3) so Schur aaO. 4) so Last: CAH IX 162} Hill aaO. 122 mit Anm. 1. 5) Die neuere Forschung bevorzugt diese Version: J.P.V.D. Baldson: Papers of the British School at Rome 19 (1938) 101-105; G. Tibiletti: Athenaeum NS 31 (1953) 83; E. Badian: Historia 11 (1962) 209. - Ich übergehe hier die Versuche, die Inschriften-Fragmente von Tarent und Bantia mit einem der literarisch bekannten Gesetze zu identifizieren, da sie noch zu keiner anerkannten Lösung geführt haben (vgl. Badian aaO. 206). 6) Last: CAH IX 162f; Baldson aaO. 105-113; Tibiletti aaO. 83-85; Badian aaO. 208f. 7) Cic. Brut. 224: equestrem ordinem beneficio legis devinxerat. 8) Broughton MRR I 551. 9) vgl.°F, Münzer: RE IV/1 (1900) 195f; F.W. Robinson, Ma-
-177Ahenobarbus durch, die an die Stelle der Kooptation in den großen Priesterkollegien die Wahl durch die Minderheit der Tribus setzte . Ein persönliches Motiv ist auch hier wahr- , scheinlich: Domitius war nicht als Nachfolger seines Vaters in das Kollegium der Augura kooptiert worden. Sueton 2) schreibt diesem Mißerfolg die lex de sacerdotiis zu . Gestützt wird er darin von Asconius, der berichtet, daß Domitius aus dem gleichen Grund den M. Aemilius Scaurus verklagt habe Z \ Ebenfalls im Jahre 104 schlug der Tribun L. Marcius Philippus ein Ackergesetz vor, ließ aber - sicher wegen des Widerstandes im Senat - nicht einmal darüber abstimmen 4) . Bei den Agitationen für das Gesetz gebrauchte er den noch später berühmten demagogischen Ausspruch: nnon esse in civitate duo milia hominum qui rem haberent" *. Schließlich setzte ein weiterer Tribun des Jahres 104, L. Cassius Longinus, unter anderen Maßnahmen "ad minuendam nobilitatis potentiam" eine lex durch, "ut quem populus damnasset cuive imperium abrogasset in senatu ne esset" Als Motiv gibt Asconius Feindschaften des Cassius mit Servilius Caepio an, dem kurz zuvor das Imperium abrogiert 7) worden war Der Inhalt der Rogationen des Coelius, Marcius und Domitius ist in der ciceronischen Zeit sicher als populäre Materie bezeugt , das Gesetz des Cassius ist ihr zumindest verwandt . Wiederum läßt sich aber, wie schon in den Jahren 120-118, kein direkter Zusammenhang zwischen den verschiedenen populären Maßnahmen feststellen. Marcius Philippus und Domitius Ahenobarbus haben offenbar in einem Frühstarius, Saturninus und Glaucia. Beiträge zur Geschichte der Jahre 106-100 v. Chr. (Diss. Jena 1912) 25. 1) Broughton MRR T 559, 2) Suet. Nero 2. 3) Ascon, in Scaur. 21C. 4) Cic. de off. II 73; J. v. Ooteghem, L. Marcius Philippus et sa famille (Brüssel 1961) 105-108. 5) Cic. aaO.: ... cum in agendo multa populariter, tum illud male non esse ... 6) Ascon. 78C. 7) ebd.; vgl. Liv. per. 67. 8) vgl. Cic. Lael. 96; de off. II 78; de leg. III 36f. 9) Es erweiterte indirekt die politischen Rechte des Volkes.
-178dium ihrer Karriere die populäre Materie dazu benutzt, sich persönliche Vorteile zu verschaffen . Coelius und Cassius gingen gegen Männer vor, die militärische Niederlagen erlitten hatten: Laenas hatte, um ein römisches Heer zu retten, einen für Rom unehrenhaften Frieden mit den Tigurinern 2) schließen müssen . Servilius Caepio war der Hauptverantwortliche für die Katastrophe bei Arausio. Da die Erregung über die etil it arischen. NiederLagen damaLs groß, gewesenfcu.sein scheint, wäre es möglich, daß sich auch Coelius und Cassius aus ihren Maßnahmen gegen die erfolglosen Feldherren Vorteile für ihre zukünftige Karriere versprachen. Besonders Coelius war als homo novus auf jede Unterstützung, die er erhalten konnte, angewiesen - er mußte sich später A) den Konsulat gegen zwei Vertreter der Nobilität erkämpfen . In den Rogationen des Domitius und Marcius wurde die populäre Materie zum reinen Mittel für persönliche Ziele, und ebenso war die lex Coelia tabellaria klar auf ein taktisches Nahziel - die Verurteilung des Laenas - ausgerichtet. In allen diesen Anträgen setzt sich somit das fort, was schon 122 mit den Rogationen des Livius Drusus begonnen hatte: die Zerstörung der Politik durch deren Ablösung von sachlichen Anliegen. III. Die Heeresreform des Marius und dessen Koalition mit Saturninus und Glaucia. 1. Das numidische Kommando des Marius und die Umstrukturierung des römischen Heeres. Marius erlangte seinen ersten Konsulat für das Jahr 107 vor allem durch die Unterstützung der Ritterschaft . Nach seinem Amtsantritt wurde er auf Antrag des Tribunen T. Manlius Mancinus durch Plebiscit mit der Kriegführung in Afrika betraut . Damit wurde zum erstenmal die Provinzenverteilung des Senats durch Volksbeschluß hinfällig gemacht, d.h. die "popularis ratio" für den Gewinn eines militärischen Kommandos eingesetzt und so das Modell geschaffen für die Übertragung der großen Imperien an Pompeius und Caesar. Bei der Aushebung für den Krieg in Afrika hat Marius erstmais auch die "capite censi" in sein Heer aufgenommen f . 1) Domitius wurde schon 103 zum Pontifex Maximus gewählt: Broughton MRR I 565. 2) Münzer aaO. 195. 3) vgl. ebd. 4) Q. Cic. com. pet. 11. 5) vgl. oben S. 174. 6) Sall. BJ 73,7. 7) vgl. dazu und zu den damit zusammenhängenden Problemen E. Gabba, Le origini dell' esercito professionale in Roma:
-179Obwohl diese Maßnahme durch eine mehrmalige Senkung des Zensusminimums und eine ständig wachsende Proletarisierung des römischen Heeres vorbereitet war ', bedeutete sie doch in dessen Struktur einen tiefgreifenden Wandel und zugleich das endgültige Scheitern der gracchischen Agrarreform !: Hatten die Gracchen noch die alte bäuerliche Struktur des Staates und damit auch das fest in den Staat integrierte Bürgerheer retten wollen, so ging Marius rein von militä3T rischen Notwendigkeiten aus ' . Indem er auch die besitzlosen Schichten zum Kriegsdienst heranzog, schuf er die Voraussetzung für ein Heer, das nicht mehr dem Staat, sondern dem Feldherrn persönlich verpflichtet war. Die daraus entstandenen Folgen hat er und haben auch die übrigen Römer nicht vorausgesehen: die Neuerung scheint ohne Widerstand stattgefunden zu haben . Der größte Teil der marianischen Soldaten stammte aus der verarmten Landbevölkerung, nicht aus der plebs urbana ' . Da diese Soldaten keine Höfe besaßen, auf die sie später zurückkehren konnten, stellte sich nach dem Krieg das Problem ihrer Versorgung, deren natürlichste Form gerade bei der Herkunft der Soldaten vom Lande die Ackerverteilung war. So begann erneut der Kampf um Ackergesetze, die aber jetzt nicht mehr als Sozialreformen, sondern als Belohnung für abgeleistete Dienste und als eine Art Altersversorgung für die Veteranen vom jeweiligen Feldherrn angestrebt wurden. Zum erstenmal begegnete das Problem der Veteranenversorgung, als Marius nach dem jugurthinischen Krieg nur einen kleinen Teil seiner afrikanischen Truppen für den Kampf gegen die Germanen weiterverwandte . 2. Der erste Tribunat des Saturninus. Da zu erwarten war, daß der Senat einer Landverteilung an die Veteranen scharfen Widerstand entgegensetzen würde, verband sich Marius mit dem für das Jahr 103 zum Tribunen geI proletari e la riforma di Mario: Athenaeum NS 27 (1949) 173-209. 1) Gabba aaO. passim. 2) dazu und zum Folgenden vgl. Heuß RG 154. 3) anders Weynand: RE Suppl. VI (1935) 1421 s.v. Marius-. 4) Gabba aaO. 200f. 5) ebd. 204, sicher nachgewiesen von P.A. Brunt, The Army and the Land in the Roman Revolution: JRS 52 (1962) 74. 86. 6) Weynand aaO. 1384 j Badian FC 198.
-180wälten L. Appuleius Saturninus \ der aus einem persönlichen Grund mit der Nobilität verfeindet war: er hatte im Jahre 104 als Quaestor die "provincia Ostiensis", d.h. die Getreideversorgung Roms, verwaltet, war aber wegen einer Getreideteuerung von dieser Aufgabe zugunsten des princeps senatus M. Aemilius Scaurus entbunden worden . Die Koalition zwischen ihm und Marius stellte ein reines Zweckbündnis dar: Marius konnte kaum anders als mit Hilfe der "popularis ratio" zum Ziel kommen, Saturninus wird sich seinerseits von der Popularität und der Macht des großen Feldherrn Vorteile versprochen haben. Der lex nur die aus
Tribun begann seine Tätigkeit wahrscheinlich mit einer frurnentaria , die aber mit dem Gesetz des C. Gracchus nocb den Namen gemein hatte. Ihr demagogischer, auf Gewinnung der plebs urbana gerichteter Charakter wird der Herabsetzung des Getreidepreises auf ein Achtel des 4") gracchischen deutlich . Die im Auftrag des Senats intercedierenden Tribunen überging Saturninus, aber der Quaestor Q. Caepio setzte Gewalt gegen Gewalt, so daß die rogatio wohl nicht durchgegangen, ist Sehr wahrscheinlich als Reaktion auf den Widerstand des Caepio ist die lex Appuleia de maiestate zu verstehen , denn Caepio wurde später selbst unter diesem Gesetz angeklagt ' , und die Auseinandersetzung um die lex frurnentaria wurde sogar zu einem rhetorischen Schulbeispiel im Hinblick auf Majestätsverbrechen . Das Gesetz des Saturninus hat vielleicht eine neue quaestio perpétua mit ritterlichen 9") Geschworenen herbeigeführt , sicher hat es das crimen 1) Es läßt sich nicht beweisen, daß Marius und Saturninus schon im Jahre 104 in Beziehung zueinander getreten sind. Da aber Marius seine Veteranen versorgen mußte und kaum anzunehmen ist, daß Saturninus im Jahre 103 diese Frage ohne Übereinkunft mit Marius aufgegriffen hat, wird man schon für 104 eine Verbindung zwischen beiden voraussetzen dürfen; vgl. Badian FC 199. 2) Cic. har. resp. 43; Sest. 39. 105; Diod. 36,12. 3) Zum Datum vgl. Last: CAH IX 165 und Passerini aaO. 114; anders Broughton MRR I 575. 4) auct. ad Her. I 21 mit Last: CAH IX 165. 5) auct. ad Her. I 21; Last: CAH IX 166; Passerini aaO. 114f. 6) Die Stellen bei Broughton MRR I 563; vgl. Last: CAH IX 166; E. Badian: Historia 11 (1962) 218. 7)auct. ad Her. II 17. 8) ebd. 9) vgl. Last: CAH IX 160f; U. Ewins: JRS 50 (I960) 103; W. Kunkel, Untersuchungen zur Entwicklung des römischen Krimi-
-181maiestatis näher definiert. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß Saturninus dabei tribunizische Akte stärker, als das vorher der Fall war, unter den Schutz der maiestas populi Roraani stellte * . Die lex Appuleia gehört deshalb wahrscheinlich in die Reihe jener Gesetze, die der Sicherung der "popularis ratio" dienten: wie die lex Papiria de.tri— bunatu prorogando und die lex Sempronia de capite civis suchte sie Möglichkeiten des Widerstands, welche die Senatsmehrheit bzw. die in ihrem Auftrag handelnden Magistrate gegen die "popularis ratio" ausbildeten, zu beseitigen. Die Veteranenfrage löste Saturninus, indem er - wiederum unter Gewaltanwendung gegen den intercedierenden Tribunen Baebius - eine Rogation durchsetze, die jedem der afrikanischen Veteranen des Marius hundert Jugera Land in Afrika zuwies 21 Schließlich wurde Cn. Mallius, der zweite Verantwortliche für die Niederlage bei Arausio, auf Antrag des Saturninus durch Plebiscit verbannt \ während C. Norbanus, ein Kollege des Saturninus, die endgültige politische Vernichtung des Q. Servilius Caepio - des Vaters des Quaestors von 103herbeiführte 4). Zwei Tribunen, die gegen das Vorgehen des Norbanus intercedieren wollten, wurden gewaltsam vertrieben, der princeps senatus M. Aemilius Scaurus wurde bei der gleichen Auseinandersetzung durch Steinwurf verletzt . Sieht man einmal von der Veteranenversorgung ab, die wahrscheinlich auf die direkte Initiative des Marius zurückging, so bestand der Tribunat des Saturninus nur aus Demagogie: die lex frumentaria und die lex Appuleia de maiestate dienten ausschließlich der Stärkung der tribunizischen Stellung des Saturninus, und ebenso dachte man wohl mit dem Vorgehen gegen Caepio und Mallius aus der Empörung des Volkes über die militärischen Niederlagen politisches Kapital nalverfahrens: Sitzungsber. der Bayr. Akad. der Wiss. Phil.Hist. Kl. 56 (1962) 62. 1) Das kann direkt oder indirekt geschehen sein; vgl. auct. ad Her. II 17: Maiestatem is minuit qui ea tollit ex quibus rebus civitatis amplitudo constat. Quae sunt ea, Q. Caepio? Suffragia populi et magistratus consilium. Da es hier um den Prozeß gegen Caepio geht, ist es wahrscheinlich, daß die Definition der maiestas auf die lex Appuleia Bezug nimmt. 2) de vir. ill. 73,1. 3) Gran. Lie. 13F. 4) ebd.: Cic. de orat. II 197-203. 5) Cic. ebd. II 197.
-182zu schlagen. Zugleich zeigen das Getreide- und Majestätsgesetz deutlich, daß Saturninus sich nicht als Werkzeug das Marius verstand, sondern sich eine eigene starke Position beim Volk aufzubauen gewillt war. Die Gewalt gebrauchte er dabei - erstmals in der römischen Geschichte - als normales Mittel der Politik, Eine Einzelheit aus dem Wirken des Saturninus verdient noch besondere Beachtung: der Tribun stiftete einen Freigelassenen dazu an, sich als Sohn des Ti. Gracchus auszugeben 1) . Offenbar wollte er sich also mit dem Mythos eines Nachfolgers der Gracchen umgeben, die beim Volk trotz dessen eige21 nen Verhaltens gegen sie äußerst beliebt waren . Die Episode stimmt mit einer anderen Beobachtung überein, die schon früher gemacht wurde 3) ': Aus einer Äußerung Ciceros in den "Academici libri" kann man schließen, daß Saturninus zu den ersten Populären gehörte, die ihr Handeln durch die Berufung auf bestimmte historische Gestalten der Vergangenheit zu rechtfertigen suchten . Da Saturninus sicher schon ein Popular im Vollsinn der späteren Bedeutung des Begriffs war - ich werde darauf noch eingehen -, haben wir es beim Auftreten des falschen Gracchus mit dem Beginn eines - wenn auch noch ganz rudimentären - populären Geschichtsverständnisses zu tun, denn die Berufung des Saturninus auf die Gracchen bedeutete ja eine Interpretation: der Tribun stellte sich selbst auf eine Ebene mit den Gracchen, d.h. er wollte sein Wirken als Fortsetzung des graeehischen verstanden wissen. 5. Die "popularis factio" des Jahres 100. Im Jahre 102 weigerte sich der Zensor Q. Metellus Numidicus, den falschen Gracchus in die Zensusliste aufzunehmen \ Die darüber erboste Menge hätte den Zensor beinahe umgebracht, wenn nicht die Ritter dazwischengetreten wären . Saturninus hatte sich also in der Publikumswirksamkeit des Namens 1) de vir. ill. 73,3f; vgl. Cic. Sest. 101; Val. Max. IX 7,lf. 2) vgl. z.B. Cic. in Verr. II 1,151. 3) vgl. oben S. 124. 4) Cic. acad. pr. II 13f. 5) Cic. Sest. 101. 6) Oros. V 17,3. Orosius nennt den Anlaß der Auseinandersetzung mit der von Saturninus geführten Menge nicht, vgl. dazu aber Cic. Sest. 101: ... cumque insitivuin Gracchum contra vim multitudinis incitatae censu prohibuisset (sc. Metellus) ...; Val. Max. IX 7,2,
-183der Gracchen nicht geirrt. Ein Versuch des Metellus, Saturninus und C. Servilius Glaucia aus dem Senat zu stoßen, scheiterte an dem Einspruch seines Kollegen . Den genauen Grund dafür, daß auch Glaucia von diesem Versuch betroffen wurde, kennen wir nicht: entweder war Glaucia an den Gewalttaten des Jahres 103 beteiligt, oder er hat bereits vor 102 seine schon genannte lex de repetundis durchgesetzt - das Vorgehen des Metellus wäre dann als Racheakt zu verstehen. Im Jahre 101 ergab sich eine ähnliche Konstellation wie schon 104: Marius konnte den Krieg im Norden siegreich beenden und mußte nun wiederum seine Veteranen versorgen. Er ging deshalb ein neues Bündnis mit Saturninus ein, der kurz zuvor durch das Eingreifen der Menge vor einer kapitalen 2} Verurteilung bewahrt worden war . Als weiteres Mitglied dieser "popularis factio" wird Glaucia genannt . Marius erhielt - vielleicht mit Hilfe großer Bestechungssununen zum sechstenmal den Konsulat, Saturninus erlangte in turbulenten Wahlen, bei denen sein Mitbewerber A. Nunnius getötet wurde, mit Unterstützung des Marius einen zweiten Tribunat, Glaucia wurde Praetor 4). Wohl bald nach seinem Amtsantritt brachte Saturninus zur Versorgung der Veteranen mehrere Gesetze - es kann sich aber auch um eine einzige Rogation handeln- - ein, nach denen die marianischen Veteranen in der kimbrischen Mark angesiedelt und außerdem Kolonien nach Sizilien, Achaia und Mazedonien deduziert werden sollten . Die plebs urbana scheint bei der Siedlung nicht oder nur unwesentlich berücksichtigt worden zu sein . Dagegen erhielten auch die alliierten Veteranen Land , und Marius wurde das Hecht zugestanden, fur 1) App. b.c. I 28,126-, vgl. Cic. Sest. 101. 2) Diod, 36,15. Den Grund für den Prozeß hatten Angriffe des Saturninus gegen Gesandte des Mithridates geliefert. 3) Liv. per. 69; Plut. Mar. 28,5; vgl. auch App. b.c. I 28, 127f. Der Terminus "popularis factio" bei Val. Max. IV 1,13. 4) Liv. und Plut. aaO.; Vell. II 12,6; App. 1 28,127f. 5) Die Stellen bei Broughton MHR I 575f. 6) In den Quellen fehlt jeder Hinweis, daß auch Familien aus der plebs urbana Land erhalten sollten. Dagegen spricht ferner, daß sich die plebs 'urbana gegen die Gesetze wandte. Vgl. Badian FC 204 mit Anm. 4; Hinrichs aaO. 48. Nach einer gut begründeten Vermutung Badians (FC 205) wurden vielleicht die Armeen des Aquillius und DidiuS in die Siedlung miteinbezogen. 7) App. b.c. I 29, 132 mit Gabbas Kommentar S. 105; Badian FC 206f.
-184jede Kolonie drei Bundesgenossen zu römischen Bürgern zu ernennen . Das über diese Bevorzugung die Aliierten erboste Stadtvolk suchte zusammen mit der Senatsmehrheit das Durchgehen der Gesetze zu verhindern, aber Saturninus blieb mit Hilfe der «^ÇOIKC, Sieger '. Unter den M$fOi*fii sind vor allem die Veteranen des Marius zu verstehen, deren Hauptkontingent die verarmte Landbevölkerung - römische Bürger und Bundesgenossen - stellte , Der Gegensatz, zwischen Stadt- und Landvolk blieb dann über die Schlußkatastrophe des Saturninus und Glaucia hinaus bis zum Beginn des Jahres 99 bestehen 4). Saturninus hatte einem seiner Gesetze die Bestimmung angefügt, jeder Senator müsse es innerhalb von fünf Tagen beschwören, andernfalls er schwere Strafen zu erwarten hätte 5) Die Eidesverpflichtung, die auch in anderen Rogationen dieser Zeit auftaucht , bedeutete eine zusätzliche Sicherung 7) gegen die spätere Aufhebung eines Gesetzes und war als R) solche mit der "popularis ratio" eng verknüpft , denn nur eine Maßnahme, die gegen den Willen der Senatsmehrheit durchgesetzt wurde, war ja von einer späteren Annullierung bedroht. Um die Ableistung des Eides entspann sich eine heftige Debatte im Senat, in der Marius erklärte, er werde nicht schwören 9). Am letzten Tage der festgesetzten Frist fand er sich dann aber doch zum Schwur bereit, machte dabei jedoch die Einschränkung: "sofern das Gesetz wirklich ein Gesetz ist" . Mit ihm schworen alle übrigen Senatoren bis auf Metellus, der noch vor der Annahme eines entsprechen1) Cic. Balb. 48. Die Zahl ist vielleicht verderbt. 2) App. b.c. I 29,132-1 30,134; vgl. de vir. ill. 73,7. 3) App. b.c. I 29,132 Brunt aaO. 74 und 86, 4) App. b.c. I 30,136 31,139f; 32.143; 33,148. 5) App. b.c. I 29,131 Plut. Mar. 29,2; Flor. II 4,2. 6) vgl. E. Badian! Historia 11 (1962) 206; Passerini aaO. 118-121. Insbesondere begegnet sie auch beim Piratengesetz von Delphi, das wahrscheinlich in die letzten Jahre des 2. vorchristlichen Jahrhunderts, vielleicht sogar ins Jahr 100 gehört (vgl. Passcrini aaO. 121; Schur ZA 86 Anm. 2 und 3; Hinrichs aaO. 140). Sein Zusammenhang mit den übrigen Aktionen des Marius und Saturninus ist aber, wenn es überhaupt etwas mit ihnen zu tun hat, völlig unklar (vgl. Badian aaO. 217). 7) vgl. Heuß RG 156. 8) Badian aaO. 9) App. b.c. I 30,135; Plut. Mar. 29,3, 10) App. b.c. I 30,136 - 31,137; Plut. Mar. 29,6.
-1S5den Antrags in der Volksversammlung freiwillig ins Exil ging. 1) Es ist wohl kaum anzunehmen, daß Marius tatsächlich Bedenken gegenüber dem besetz des Saturninus gehabt hat, denn es kam ja seinen Veteranen zugute. Ich verstehe seine Haltung als den Versuch, gegenüber der Nobilität, nach deren 2) Anerkennung er als homo novus zeitlebens strebte , das Gesicht zu wahren, ohne dabei die Vorteile des Gesetzes aufzugeben. Freilich brachte ihm dieses Verfahren den Ruf eines "homo varii et mutabilis ingenii consiliique semper secundam fortunam" ein }, Es mußte sowohl seine Verbündeten als auch den Senat ihm gegenüber mißtrauisch machen. Die Gemeinschaft mit Saturninus und Glaucia zerbrach völlig, als diese ihre Stellung durch weitere Ämter für das folgende Jahr zu sichern suchten und der Senat nach den turbulenten Wahlen, bei denen es wiederum zu Mord und Totschlag kam, das SCU faßte. Marius schritt als Konsul gegen die ehemaligen Verbündeten ein ' . Auch die Ritter und das Stadtvolk standen auf der Seite des Senats 4. Die Reaktion auf die Vorsänge des Jahres 100. Der Senat konnte in den beiden auf den Tod des Saturninus folgenden Jahren die Ordnung völlig wiederherstellen, obwohl noch einige Tribune Schwierigkeiten bereiteten. Sex. Titius, der im Jahre 99 ein Gesetz über die Verteilung von Land einbrachte, wurde nach seiner Amtszeit verurteilt, weil er ein ßild des Saturninus in seinem Haus hatte ^. Ein zweiter Tribun des Jahres 99, P. Furius, der ursprüng7) lieh Anhänger des Saturninus gewesen war , ließ die Güter seiner früheren Verbündeten beschlagnahmen } und widersetzte sich mit Marius der Rückberufung des Metellus ' . Des 1) Liv. per, 69; App. b.c. I 31,138-140; Plut, Mar. 29, 8-11-, de vir. ill. 62; 73. 2) vgl. Badian FC 209; ders.: Historia 11 (1962) 215. 218f. 3) Liv. per. 69; vgl. Oros. V 17,6. 4) vgl. die Stellen bei Broughton MRR I 574. 5) Zu den Rittern vgl. Cic. Rab. perd. 20; Val. Max. Ill 2, 18; Oros. V 17,9. Zum Volk vgl. Cic. Rab. perd. 20 und 27; App. b.c. I 32,143. 6) Cic. Rab. perd, 24 : Sex. Titius, quod habuit imaginem L. Saturnini domi suae, condemnatus est. Vgl. ferner zum Ackergesetz und zum Prozeß Cic. de orat. II 48; Obsequ. 46; Val. Max. VIII 1, damn. 3. 7) Dio fr. 95,3; vgl. 95,2, 8) Oros. V 17,10. 9) Oros. V 17,11; vgl. Plut. Mar. 31,1.
-186halb im folgenden Jahr vor Gericht gezogen, wurde er vom Volk in einer Versammlung getötet
' , Einem der Ankläger
des Furius, dem Tribunen G, Appuiieus Decianus, wurde die Anklagerede zum Verhängnis, weil er darin den Tod des Satur2) ninus bedauerte , Das brachte >rai ihm ebenfalls einen Prozeß 3) und die Verurteilung ein In diesen Ereignissen differenzierte sich noch die Spaltung . Titius bekannte sich durch seine Rogation
des Jahres 100
und durch das Bild zur Politik des Saturninus, wie dieser sich durch denlfalschen Gracchus in eine Reihe mit den Gracchen gestellt hatte. Decianus war wohl nur aus verwandtschaftlichen Gründen Saturninus verpflichtet
. Furius trat
als Anhänger das Marius auf, während das Volk in der Frage der Rückberufung des Metellus ganz auf der Seite des Senats stand
, der sowohl gegen Marius als auch gegen die Anhän-
ger des Saturninus die Oberhand behielt. Für die Weiterexistenz einer Saturninischen Partei oder factio nach dem Jahre 98 finden sich ebensowenig Hinweise, wie sich während der 90er Jahre eine eigentliche "Mariana factio" feststellen läßt
7
\
Einen gewissen Schlußstrich unter die Ereignisse während der Tribunate des Saturninus zog die lex Caecilia Didia des Jahres 9 8 , die sich wohl allgemein gegen ungesetzliche Methoden bei der Durchbringung von Gesetzen richtete
. Sie
schärfte u.a. die Beachtung des trinum nundinum erneut ein und verbot jede lex satura
'. Mit ihr sollte der "popularis
ratio" ein Riegel vorgeschoben werden. 1) App. b.c. I 33,148; Dio fr. 95,3. 2) Cic. Rab. perd. 24; Val. Max. VIII 1, damn. 2. 3) Val. Max. ebd. 4) vgl. E. Badian: JRS 46 (1956) 95. 5) vgl. ebd. und Passerini aaO. 349. 6) vgl. dazu noch besonders VA1. Max. V 2,7: ... maximo senatus et populi consensu reditum (sc. Metelli) ... 7) Anders E. Badian, Caepio and Norbanus. Notes on the Decade 100-90 BC: Historia 6 (1957) 318-346. Badian sieht die 90er Jahre durch den Kampf zweier Faktionen bestimmt, deren eine sich um die Metelli und M. Aemilius Scaurus, die andere um Marius gruppiert habe. Badian überschätzt dabei .jedoch die Möglichkeiten der prosopographischen Methode. Vgl, dazu besonders Ch. Meier in der Besprechung von Badian FC: Bonner Jahrbücher 161 (1961) 503-514, ferner auch M. Gelzer, Die angebliche politische Tendenz in der dem C, Herennius gewidmeten Rhetorik: Kl. Schriften I 211-221. 8) vgl. R. Thomsen, Das Jahr 91 und seine Voraussetzungen: Classica et Mediaevalia 5 (1942) 31. 9) Cic. Phil. V 8; dorn. 53; Schol. Bob. 140, 24fSt.
-1875. Die Bedeutung des Marius und Saturninus für die populäre Politik. Valerius Maximus spricht zum Jahre 100 von einer "popularis 1") factio" , unter der nur Marius, Saturninus und Glaucia gemeinsam verstanden werden können. Für die populäre Politik bedeutsam war sie vor allem durch die Zusammenarbeit zwischen Marius und Saturninus, dem Feldherrn und dem Tribunen. Sie geschah in den Jahren 103 und 100 - von Marius aus gesehen - zum Zwecke der Versorgung von Veteranen. Die Senatsmehrheit hat sich Landaufteilungen in der späten Republik immer widersetzt, und dieser Widerstand mußte im Falle einer Veteranenversorgung umso schärfer sein, als sich ein Feldherr dadurch auch für Friedenszeiten eine politisch wirksame Klientel aufhauen konnte 2) . Andrerseits konnten die Feldherrn die Versorgung ihrer besitzlosen Veteranen nicht umgehen. Insofern bildete die Anwendung der "popularis ratio" zu diesem Zweck seit der Heeresreform des Marius ein Strukturproblem der römischen Politik: einer sachlich durchaus vernünftigen Form der Demobilisation des Heeres durch Ansiedlung der Veteranen stand die Gefährdung der aristokratischen Gleichheit durch den die Veteranenversorgung initiierenden Feldherrn gegenüber. Der Anwendungsbereich der "popularis ratio" wurde also durch die Heeresreform fast zwangsläufig erweitert. Gleichzeitig ergab sich dabei eine Bereicherung der "popularis ratio" um eine wichtige Möglichkeit: Saturninus hat sich im Jahre 100 vor allem auf die marianischen Veteranen gestützt. Auch dieser Einsatz von Veteranen in der Innenpolitik war eine konsequente Folge der Heeresreform des Marius, durch die das Heer in eine persönliche Gefolgschaft des Feldherrn umgewandelt wurde. Marius selbst hat die damit gegebenen politischen Möglichkeiten noch wenig genutzt; zu ihrer vollen Wirkung sollten sie erst in der nachsullanischen Zeit gelangen. ' Schließlich war Marius auch insofern ein Vorläufer der nachsullanischen Populären, als er den entscheidenden Schritt in seiner politisch-militärischen Karriere, nämlich die Erlangung des Oberbefehls im Krieg gegen Jugurtha, 1) Val. Max. IV 1,13. 2) vgl. Badian FC 204.
-188durch Plebiscit gegen den Willen der Senatsmehrheit zustandebrachte. Treibendes Motiv war dabei der Ehrgeiz des homo novus, der auch später noch einmal mit Hilfe des Tribunen Sulpicius ein großes militärisches Kommando zu erhalten trachtete . Die Anwendung der "popularis ratio" in diesen Fällen diente rein persönlichen Zielen. Mit Marius trat ein gänzlich neuer Typ der in unseren Quellen als Populären bezeichneten Männer auf. Nicht als Tribun, sondern als Feldherr berühmt, unterschied sich Marius auch darin wesentlich etwa von den Gracchen, daß im Zentrum seines politischen Wirkens nicht ein reformerischer Ansatz, sondern seine eigene politische und militärische Karriere stand. Da dies auch ein Charakteristikum der großen nachsullanischen Populären ist, kann man Marius - unter Brücksichtigung des oben Ausgeführten - schon mit Recht als Po2) pularen bezeichnen . Als solcher ist er am meisten Pompeius vergleichbar : Wie dieser hat er zwar an verschiedenen Stellen seiner Laufbahn mit Tribunen gegen den Willen der Senatsmehrheit zusammengearbeitet und deshalb den Späteren als Popular im Sinne eines "seditiosus" gegolten , aber er hat nie über das aristokratische System hinausgestrebt oder seine militärische Macht direkt gegen seine Gegner eingesetzt. Im Jahre 100 hat er sich auch als Konsul dem aristokratischen System gegen seinen Verbündeten Saturninus zur Verfügung gestellt. Sein Ziel war nicht das "regnum" 4), sondern einzig die Anerkennung seiner Leistung und ein hervorragender Platz innerhalb der Nobilität . Wir wissen, daß auch die nachsullanischen Populären selbst Marius als einen ihrer Vorgänger beansprucht haben . Da 7) es sich dabei um Propaganda gegenüber dem Volk handelte , 1) vgl. unten S. 201f. 2) Last: CAH IX 96 versteht Marius als den ersten Populären der römischen Geschichte überhaupt; dazu noch unten S. 221ff, 3) Cic. acad. pr, II 13: ... facere idem quod seditiosi cives soient cum aliquos ex antiquis claros viros proferunt quos dicant fuisse populares ... addunt etiam C, Mariuro; et de hoc quidem nihil mentiuntur, 4) So Schur ZA 87; vgl, dagegen Badian FC 203; ders: Historia 11 (1962) 219; A.N. Sherwin-White: JRS 46 (1956) 5. 5) Badian FC 203. 6) Cic. acad. pr. II 13, vgl. oben Anm. 3. 7) vgl. ebd.: horum nominibus tot virorum atque tantorum expos it is eorum se institutum sequi dicunt (sc. seditiosi cives = populares).
-189kommen als Grund dafür die oben angeführten populär-methodischen Gesichtspunkte nicht in Frage, Ebenso dürfte die Qualität des Marius als homo novus für die populäre Propaganda kaum eine Rolle gespielt haben. Zwar wird in der Forschung die "euqality of opportunity for homines novi" gelegentlich zu einer populären Forderung gemacht , aber man übersieht dabei, daß erstens die meisten bekannten Populären selbst der Nobilität angehörten und daß zweitens der homo novus einen Typus der römischen Republik darstellte 2), dessen Pochen auf die eigene Leistung gegenüber dem Geburtsadel bei Marius und Cicero im wesentlichen die gleichen Züge aufweist 3) ', obwohl Cicero der geistige Hauptgegner fast aller Populären seiner Zeit gewesen ist. Eine grundsätzliche Verbindung zwischen homines novi und populärer Politik besteht demnach nicht 4). Was Marius für die späteren Populären vor allem interessant machte, war wohl seine Popularität als Feldherr in Ver1) Wirszubski, Libertas 52-55; vgl. Last: CAH IX 138f; T.F. Carney, Once again Marius1 Speech after Election: Symbolae Osloenses 35 (1954) 63-70. 2) vgl, J. Vogt, Homo novus. Ein Typus der römischen Republik (Stuttgart 1926). Gegen Vogts typologische Betrachtungsweise wendet sich - aufs Ganze gesehen zu Unrecht - W. Schur, Homo novus. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der sinkenden Republik: Bonner Jahrbücher 134 (1929) 54-66. Vgl. auch H, Strasburger: RE XVII/1 (1936) 1223-1228 s.v. novus homo. 3) vgL. Strasburger aaO. 1226. 4) Zwar mußten homines novi, da sie oft mit starkem Widerstand innerhalb der Nobilität zu kämpfen hatten, besonderes Gewicht auf den Teil der Ämterbewerbung legen, den man als "popularis ratio" bezeichnete und der den Kandidaten unter dem Volk bekannt und beliebt machen sollte (vgl. Q, Cic. comm. pet. 41 und 16); aber die "popularis ratio" als Teil der Ämterbewerbung war eine allgemeine Erscheinung im römischen politischen Leben und nicht beschränkt auf homines novi oder Populären. Sie hatte mit der eigentlich politischen "popularis ratio" nichts zu tun. Im übrigen war ein Aufstieg, der nicht auch aus Kreisen der Nobilität selbst gefördert wurde, fast unmöglich (vgl. Strasburger aaO. 1227"). Auch der Gegensatz des Marius zur Nobilität wird oft zu schematisch betrachtet; vgl. dazu E. Frank, Marius and the Roman Nobility: CJ 50 (1955) 149ff; Badian FC 200-203; T.F. Carney, Cicero's Picture of Marius : Wiener Studien 73 (I960) 119. 5) Als Marius aus dem Kimbernkrieg zurückkehrte, wurden ihm vom Volk Speiseopfer dargebracht (Val. Max. VIII 15,7; Flut. Mar. 27,9). Caesar fand später große Resonanz beim Volk', als er die Siegestrophäen des Marius auf dem Kapitol wiedererrichten ließ (Suet. Iul. 11; Plut. Caes. 6,Iff; Vell. II 43,4). Noch nach dem Tod Caesars hatte der Name des Marius solche Anziehungskraft, daß sich ihn ein "fugitivus"
-190bindung mit seinem exemplarischen Gegensatz zu Sulla. Da sämtliche Populären der ciceronischen Zeit in Gegensatz zum sullanischen Regime gerieten, konnte man den populären Feldherrn als propagandistisches Aushängeschild benutzen, wie es z.B. Caesar bei der Wiedererrichtung der Siegestrophäen das Marias getan hat . Ein populares Programm bedeutete der Name des Marius allerdings nicht: der Gegensatz des Feldherrn zu Sulla war rein persönlich bedingt, und populäre Maßnahmen des Marius, di.e auf ein politisches Konzept schließen lassen könnten, hat es - sieht man einmal von der doch sehr unwesentlichen Rogation während des Tribunats ab - nicht gegeben. Saturninus, der nach Cicero wegen des Entzugs der cura annonae im Jahre 104 zum Populären geworden war ', gehörte in der nachsullanischen Zeit zum "eisernen Bestand" der populären Tradition . Obwohl im Jahre 100 die plebs urbana gegen ihn stand, war er später bei ihr äußerst populär 4) . Im Jahre 63 haben verschiedene Populären seine Tötung zu einem propagandistischen Prozeß gegen das SCU benutzt . Propagandistisch wirksam sein mußten ferner die lex frumentaria und die lex de maiestate, die mindestens die "suffragia populi", vielleicht sogar die tribunicia potestas direkt vor Angriffen schützte und sich deshalb im Sinne der "libertas populi" ideologisch auswerten ließ. Innerhalb der populären Politik ragt Saturninus dadurch hervor, daß er die "popularis ratio" zu einem ersten Höhepunkt' geführt hat. über seine Zusammenarbeit mit den Veteranen des M ar ius wurde schon gesprochen. Ferner hat Saturninus nicht schon C. Gracchus - die Materie der Getreidegesetze von jedem sachlichen Anliegen abgelöst, d.h. sie zur largianmaßte (Cic. ad Att. XII 49,1; Phil. I 5; Carney aaO. 122). 1) Suet. Iul. 11; Plut. Caes. 6,Iff; Vell. II 43,4. 2) Cic. har. resp. 43 : .. Saturninum, quod in annonae caritate quaestorem a sua frumentaria procuratione senatus amovit eique rei M. Scaurum praefecit, scimus dolore factum esse populärem, 3) vgl. Cic. in Cat. I 3f; IV 4; har. resp. 41. 43; Sest. 105; in Vat. 23; Mil. 14; de leg.Ill 20; Brut. 224. 4) Cic. in Verr. II 1,151; Gracchi, credo, aut Saturnini aut alicuiuS hominis eiusmodi produxeram filium, ut nomine ipso et memoria patris animos imperitae multitudinis commoverem. Mit der "imperita multitudo" ist sicher die plebs urbana gemeint . 5) vgl. oben S. 52ff.
-191tio ' und damit zu einem bloßen Teil der "popularis ratio" gemacht, die er außerdem durch die lex de maiestate zu sichern und deren Erfolg er durch die Eidesverpflichtung für die Senatoren im Jahre 100 zu garantieren suchte. Schließlich hat er als erster die Gewalt als normales Mittel der Politik benutzt. Mit Recht nennt ihn deshalb Cicero einen "florens homo in populari ratione" '. Saturninus scheint auch mit dem Aufbau einer populären Tradition begonnen zu haben. Sicher hat er sich auf die Gracchen als Vorbilder berufen - ob er die Reihe der populären "exempla" schon weiter in die Vergangenheit ausgedehnt hat, wissen wir nicht. Auch die Berufung auf historische Vor- « bilder war Teil der "popularis ratio", denn sie sollte ja Sympathien, die das Volk etwa für Männer wie die Gracchen hegte, für die Politik des Saturninus aktivieren. Saturninus war ein Popular clodianischen Typs, Mit Clodius hatte er nicht nur die vollendete Beherrschung der populären Methode gemein, sondern auch das Fehlen jeglicher reformpolitischer Zielsetzungen . Eben darin unterschied er sich radikal von den Gracchen. Als erster der in unseren Quellen als Populären bezeichneten Männer war er reiner Demagoge 4) ' , "ad animos imperitorum excitandos inflammandosque perfectus" . Seine Gegnerschaft zum Senat, die ihm wie allen übrigen Populären die Charakteristik eines "seditiosus" eintrug , machte ihn aber ebensowenig wie Clodius zum Revolutionär, sondern wirkte sich nur destruktiv aus. 1) vgl. Cic. Sest. 105 : Num vos existimatis Gracchos aut Satruninum aut quemquam illorum veterum qui populares habebantur ullum umquam in contione habuisse conductum? Nemo habuit; ipsa enim largitio et spes commodi propositi sine mercede ulla multitudinem concitabat. im Falle des Appuleischen Getreidegesetzes ist der Terminus "largitio" voll berechtigt . 2) Cic. Sest. 101; vgl. 37: ... in causa populari si non moderate at certe populariter abstinenterque versato (sc. Saturnino). Das "abstinenter" erklärt sich allein daraus, daß Cicero Saturninus positiv von Clodius abheben will; vgl. dazu auch har. resp. 43, 3) vgl. Last: CAH IX 164 und 168. 4) vgl, dazu noch de vir. ill. 73,2: Glauciae praetori, quod in eo die, quo ipse (sc. Saturninus) contionem habebat, ius dicendo partem populi avocasset, sellam concidit, ut magis popularis videretur .5) Cic. har. resp. 41. 6) Cic. Brut. 224: seditiosorum post Gracchos omnium eloquent issimus ; vgl. de dorn. 82 ; acad. pr. II 13f,
-1926. Anhang: Das Edikt der Zensorn. von 92 gegen die lateinischen Rhetorenschulen. Im Jahre 92 erließen die Zensorn Cn. Domitius Ahenobarbus und L. Licinius Crassus ein Edikt, das eine ausdrückliche Mißbilligung der neuaufgekommenen lateinischen Rhetorenschulen enthielt . Die früher für eine politische Bedeutung des Edikts beigebrachten Argumente sind von M. Gelzer kritisch untersucht und zurückgewiesen worden 2) . Danach war weder die Einrichtung der lateinischen Rhetorenschulen eine demokratische Reform •* noch das Edikt gegen sie eine antimarianische Maßnahme. Gelzer stützt sich in seiner Untersuchung u.a. auf Cicero, der von einer politischen Tendenz des Edikts nichts wisse, obwohl er Crassus selbst in "de oratore" das Edikt begründen läßt. Die entscheidenden Sätze bei Cicero lauten: "Nam apud Graecos, cuicuimodi essent, videbam tamen esse praeter hanc exercitationem linguae doctrinam aliquam et humanitate dignam scientiam, hos vero novos magistros nihil intellegebam posse docere, nisi ut auderent; quod. etiam cum bonis rebus coniunctum per se ipsum est magno opere fugiendum: hoc cum unum traderetur et cum impudentiae ludus esset, putavi esse censoris, ne longius id serperet, providere"4), Als Grund für das Vorgehen gegen die "novi magistri" wird also angegeben, daß diese keine "doctrina", keine "humanitate digna scientia" zu bieten hatten, anders ausgedrückt: daß bei ihnen die Rhetorik nicht inhaltlich gebunden war. Sie lehrten "reine"Redekunst, oder besser: Überredungskunst, und gerade weil dabei jeglicher Wert fehlte, lief das auf eine Erziehung zur "audacia" und "impudentia" hinaus. Nun waren "audere" , "audacia"., "impudentia" und die mit ih1) Suet. de gramm. et rhet, 25 : Cn. Domitius Ahenobarbus L, Licinius Crassus censores ita edixerunt: Renuntiatum est nobis esse homines qui novum genus disciplinae instituerunt, ad quod iuventus in ludum convienat; eos sibi nomen imposuisse Latinos rhetoras; ibi homines adulescentulos dies totos desidere. Maiores nostri, quae liberos suos discere et quos in ludos itare vellent, instituterunt. Haec nova, quae praeter consuetudinem ac morem maiorum fiunt, neque placent neque recta videntur. Quapropter et iis qui eos ludos habent et iis qui eo venire consuerunt videtur faciundum ut ostenderemus nostram sententiam, nobis non pla2) Kl. Schriften I 211-221. 3) So z.B. K. Ziegler: RE XXI/1 (1951) 599 s.v. Plotius; vgl. auch E. Gabba: Athenaeum NS 31 (1953) 269ff. 4) de orat. Ill 94.
-193nen Verwandten Worte typische Ausdrücke der, politischen Polemik der Senatsoligarchie gegen Demagogen ; "audacia" , wurde z.B. häufig in Verbindung mit Männern wie Saturninus., Catilina, Clodius und Antonius gebraucht 2) . Der Wortlaut der dem Crassus in den Mund gelegten Äußerungen läßt demnach eine politische Deutung des Edikts durchaus zu. Daneben ist ein Zweites zu beachten: In den Jahren um die Wende vom zweiten zum ersten vorchristlichen Jahrhundert hat die Demagogie in Rom einen großen Aufschwung genommen. Das gilt nicht nur im Hinblick auf einen Saturninus oder Glaucia, sondern zeigte sich auch in den Tribunaten berühmter und im allgemeinen senatstreuer Mitglieder der Nobilität; so haben im Jahre 104 gleich drei junge Nobiles, unter ihnen der spätere Zensor Domitius, demagogische Anträge eingebracht, aus denen sie sich Vorteile1für ihre Karriere erhofften . Man könnte deshalb, wenn Ciceros Charakteristik der lateinischen Rhetorenschulen richtig ist, das Aufkommen dieser Schulen in den 90er Jahren als Entsprechung für den Aufschwung der Demagogie verstehen, auf deren Bedürfnisse die nicht wert- und traditionsgebundene "reine" Überredungskunst ja genau antwortete. Dazu würde passen, daß die neuen Schulen starken Zulauf - offenbar auch von den jungen Nobiles - hatten 4") Stimmt diese Deutung, dann wäre das Zensorenedikt in eminenter Weise politisch zu verstehen: zwar nicht - und darin hat Gelzer sicher recht - als antidemokratische oder antimarianische Maßnahme, aber als Versuch, der Destruktion der römischen Gesellschaft dort entgegenzuwirken, wo sie durch «iie Ausbildung von Demagogen besonders gefördert wurde, IV. Die Bundesgenossenfrage. 1. Der Tribunat des M. Livius Drusus. M. Livius Drusus, Volkstribun des Jahres 91, erscheint bei Cicero nie als popularis; nur in zwei kaiserzeitlichen Zeugnissen ist von den "popularia nomina" der Livii Drusi und von dem "tribunorum popularium clarissimus" die Rede - in 1) vgl. Thesaurus ling. lat. II 1240-1244, 1251-1259; VII/1 709f. 2) ebd. II 1240. 3) vgl. oben S. 176ff. 4) Suet. de rhet. 2; Tac. dial. 35. 5) Lucan VI 795. 6) Plin. hat. hist. 25,52.
-194beiden Fällen scheint aber einzig die Popularität des Livius angesprochen zu sein 1). Offenbar galt also Livius der ciceronischen Zeit nicht als ein Popularpolitiker wie die Gracchen und Saturninus - die lateinischen Quellen stellen ihn sogar übereinstimmend als Vertreter der Senatsinteressen heraus ' , Der Grund dafür liegt darin, daß diese Quellen als das Zentrum der Tätigkeit des Livius dessen lex iudiciaria be-r trachten, durch die der Tribun es unternahm, die Vorherrschaft der Ritter in den Gerichten zu brechen. Der genaue Inhalt des Gesetzes läßt sich nicht sicher ausmachen wahrscheinlich hat es die Gerichtsbarkeit dem durch 300 Ritter vergrößerten Senat übertragen und eine Untersuchung gegen ritterliche Geschworene angeordnet, die sich der passiven Gestechung schuldig gemacht hatten , Die livianische lex iudiciaria wurde unmittelbar veranlaßt durch die skandalöse Verurteilung des P. Rutilius Rufus 4) , durch die Livius als Neffe des Rufus ' auch persönlich betroffen war. Außerdem hat M. Aemilius Scaurus, der neben L. Licinius Crassus und L. MemiDius als vertrauter Ratgeber des Tribunen genannt wird , Livius zu einer Änderung der Geschworenengerichtshöfe aufgefordert 7). Nimmt man hinzu, daß der Senat bis zum Tod des Crassus in seiner Mehrheit auf der Seite des Livius stand , wofür als Grund nur die lex iudiciaria denkbar ist, so wird man diese tatsächlich als einen der Schwerpunkte des livianischen Wirkens zu verstehen haben. 1) vgl. Plin, nat. hist. 25,52: Drusum ... tribunorum popular iura clarissimum, cui ante omnis plebs adstans plausit. 2) Cic. Mil. 16: nobilissimus vir senatus propügnatar atque illis quidem temporibus paene patronus; de orat. I 24; Sall. ep. II 6,3; Liv. per. 70f; Ascon. G9C; Vell. II 13; Flor. II 5,4; vgl. Diod. 37,10,1. 3) Broughton MRR II 21; vgl. E. Gabba, Osservazioni sulla legge giudiziaria di M. Livio Druso: La Parola del Passato 11 (1956) 363-372 (mit älterer Literatur). - Es kann sich auch um zwei Einzelgesetze gehandelt haben; vgl. dazu noch - neben Gabba - W. Strehl, M. Livius Drusus (Diss. Marburg 1887) 16f; E.G. Hardy: CR 37 (1913) 261f. 4) vgl. dazu F. Münzer: RE 2.R. I (1914) 1274f s.v. Rutilius, 5) F. Münzer: RE X1II/1 (1926) 865 s.V. Livius. 6) Cic. de dorn. 50; Sisenna fr, 44 Peter. 7) Ascon. 21C. 8) Das ergibt sich aus Cic. de orat. III 2 : Philippus, der schärfste Gegner des Drusus, hat in einer Contio gesagt: illo senatu se rem publicam gerere non posse.
-195anders als die lateinischen Quellen stellt Appian die Verleihung des Bürgerrechts an die Bundesgenossen als das eigentliche Anliegen der livianischen Politik dar . Pie Bundesgenossenfrage bildete am Ende der 90er Jahres eines der drängendsten Probleme Roms. Durch die lex Licinia Mucia von 95, welche sich gegen die unrechtmäßige Arrogation des römischen Bürgerrechts richtete und eine Überprüfung der zweifelhaften Fälle anordnete , waren die Bundesgenossen in Unruhe geraten . Konnte Livius schon deshalb kaum an dieser Frage vorbeigehen, so wurde das Problem noch drängender dadurch, daß der Tribun auch eine lex agraria in sein Programm aufnahm (vgl. unten), zu deren Durchführung der von den Italikern okkupierte ager publicus herangezogen werden mußte. Dennoch ist das von den meisten Quellen überlieferte Versprechen des Drusus, den Bundesgenossen das 4) Bürgerrecht zu verschaffen , nicht rein taktisch zu verstehen; gegen eine solche Auffassung sprechen das Vertrauen, das die Italiker Livius bis zu dessen Tod entgegenbrachten , und die Tatsache, daß einer der Altersgenossen und vertrauten Freunde des Livius, P. Sulpicius Rufus , als 1) App. b.c. I 35, 155. Nach Appian und - ihm folgend Strehl aaO. 30 dienten die übrigen Gesetze des Livius nur dazu, Unterstützung für die Verleihung des Bürgerrechts zu gewinnen. Cicero, Sallust und Äsconius erwähnen den Plan der Verleihung des Bürgerrechts an die Bundesgenossen überhaupt nicht (vgl. dazu Strehl aaO. 1-5). In den übrigen lateinischen Quellen wird der Plan entweder mit den anderen Rogationen des Livius zusammen aufgezählt oder als politisches Mittel für die Durchsetzung des lex iudiciaria verstanden. Vgl. zur Frage der Überlieferung allgemein E, Gabba, Appiano e la storia délie guerre civile (Firence 1956) 13-25. 2) Die Stellen bei Broughton MRR II 11, dessen Paraphrase des Gesetzes jedoch unrichtig ist; vgl. Badian FC 213 mit Anm. S. 297. 3) vgl. E. Gabba, Politica e cultura agli inizi del I sec. a.C: Athenaeum NS 31 (1953) 259-272. 4) App. b.c. I 35,155; Liv. per. 71; de vir. ill 6(3,4 und 6Ç,11; Ampel. 19,6 und 26,4; Flor. II 5,6. 5) vgl. die Zeugnisse bei Münzer aaO. 877ff. Aus ihnen geht eine enge Verbindung zwischen Livius und den Bundesgenossen hervor. Dagegen ist die Kchtheit des von Diod. 37,11 überlieferten Eides der Bundesgenossen für Livius keineswegs gesichert. Die Argumente von Strehl aaO. 31ff. - der Eid stimme formal in allen Teilen mit den gewohnten Eiden der Römer überein - sagen für die Echtheit nichts aus. Da Livius Drusus später als der Schuldige am Ausbruch des Bundesgenossenkrieges hingestellt wurde (vgl. Münzer aaO. 876f) , kann der Eid gut zur Erhärtung dieser Anklage erfunden sein. 6) vgl. Cic. de orat. I 25.
-196Tribun im Jahre 88 die livianische Bürgerrechtspolitik fortsetzte. Ein weiterer Freund und Altersgenosse des Drusus, C. Aurelius Cotta \ hat als Konsul im Jahre 75 die erste Korrektur an den sullanischen Bestimmungen über den Tribunat vorgenommen. Vielleicht ist die Zusammenarbeit dreier junger und aufgeschlossener Nobiles im Jahre 91 nicht zufällig und hat man in dem Versuch, die Bundesgenossenfrage einer schnellen und befriedigenden Lösung zuzuführen, vor allem einen Vorstoß der jungen Generation zu sehen. Ob die Senatsmehrheit, die ja zunächst hinter Livius stand, auch in dieser Frage voll mitzugehen bereit war, läßt sich nicht feststellen. 2) Richtergesetze waren aus sich heraus nicht populär , Bürgerrechtsverleihungen sogar ausgesprochen unpopulär. So erhob sich für Livius das Problem, wie er seine Reformen durchsetzen konnte, zumal sein Richtergesetz, wie immer es im einzelnen auch aussah, auf jeden Fall für den Ritterstand als ganzen eine Verschlechterung bedeutete und deshalb sicher von den Rittern Widerstand zu erwarten war. Livius suchte das Problem zu lösen, indem er zwei populäre Gesetze, eine lex frumentaria und eine lex agraria, in sein Programm mit aufnahm . über den genauen Inhalt des Getreidegesetzes ist nichts bekannt, doch gegenüber den entsprechenden Maßnahmen des C. Gracchus und Saturninus konnte es nur noch eine praktisch unentgeltliche Verteilung von Getreide an das Volk verfügen . Das Ackergesetz sah u.a. die Deduktion von Kolonien vor. Gegenüber den leges agrariae des Saturninus bedeutete es eine Wiederaufnahme der gracchischen Agrarpolitik , denn nicht Veteranen, sondern Teile des Zivi 1volkes sollten angesiedelt werden. Diese Siedlungspolitik 1) vgl. Cic. de orat. I 25. 2) Daß in den 70er Jahren der Haß gegen die senatorischen Geschworenen zu den "popularia" zählte, war die Folge ständiger Agitation. 3) Broughton MRR II 21, Im Jahre 91 scheint außer der lex Livia agraria noch eineplex Saufeia agraria angenommen worden zu sein; vgl. CIL I Elogia XXX p. 199. 4) vgl, Münzer aaO. 870. Es ist eine ansprechende Vermutung Münzers, daß die für Livius Drusus überlieferte Geldverschlechterung (Plin, nat. hist- XXX 3,46) im Zusammenhang mit dem Getreidegesetz steht. Zustimmend R. Thomsen, Das Jahr 91 und seine Voraussetzungen: Classica et Mediaevalia 5 (1942) 16f. 5) vgl. G. Tibiletti: Relazioni ... II (1955) 278-282.
-197war mit dem Scheitern der gracchischen Bemühungen und mit der Aufnahme von capite censi ins Heer sachlich überholt ein Agrarproblem im gracchischen Sinn bestand nicht mehr ^. Deshalb sind die Quellen glaubwürdig, die das Acker- und 2) Frumentargesetz als bloße Largitionen verstehen . Livius konnte beide Gesetze und anschließend auch die lex iudiciaria zur Annahme bringen - allerdings nur unter Einsatz von Gewalt * . Der Konsul Marcius Philippus scheint als Augur Einspruch erhoben zu haben, doch der Einspruch wurde 4) übergangen und der Konsul selbst mißhandelt . Wahrscheinlich hat sich Livius schon bei der Annahme der genannten Gesetze auf einen Teil der Italiker gestützt . Dennoch ist Livius schließlich gescheitert, weil er zugleich mit der Befriedigung von Partikularinteressen zu vielen Partikularinteressen zuwiderhandeln mußte. Besonderen Widerstand haben ihm die Ritter geleistet, die in Q. Servilius Caepio, einem persönlichen Feind des. Drusus, ihre stärkste Stütze fanden . Der Konsul Marcius Philippus ist repräsentativ für die Opposition, die das Programm des Livius - auch die lex iudiciaria ' - im Senat selbst fand . Solange allerdings L. Licinius Crassus lebte, konnte der Tribun die Senatsmehrheit hinter sich halten; als aber der einflußreiche Förderer der livianischen Politik starb, vermochte Philippus den Senat umzustimmen und die Aufhebung der livianischen 9) Gesetze zu erreichen ', Nicht zuletzt mag für diesen Umschwung auch die persönliche Stellung ausschlaggebend gewesen sein, die sich Livius durch sein Programm beim Volk und 10) bei einem Teil der Bundesgenossen schaffen konnte 1) Tibiletti aaO. 264 u.ö.; vgl. Last: CAH IX 184. 2) Liv. per. 70; App. b.c. I 35,156; Ampel. 19,6; Vell. II 13,2; Flor. II 5,6; de vir. ill. 66,4f; vgl. Tac. ann. Ill 27,2. 3) Liv. per. 71; Flor. II 5,7ff; Val. Max. IX 5,2; de vir. ill. 66. 4) Flor., Val. Max. und de vir. ill. aaO. mit Cic. de leg. 11 31; Ascon. 69C; E.G. Hardy: CR 37 (1913) 262. 5) Liv. aaO.; vgl. Flor. aaO. 6) vgl. Münzer aaO. 299f. 7) vgl. dazu besonders App. b.c. I 35,159; de vir. ill. 66, 10. 8) vgl. Thomsen aaO. 29f. 9) ebd. 45f. 10) vgl. Sall. ep. II 6,5; Vell. II 13,3; de vir. ill. 66,10; Dio fr. 96,3.
-198Schließlich haben auch einige Völker Italiens aktiv am Sturz des Drusus mitgewirkt. Zwar konnte Livius die meisten Italiker durch das Versprechen der .Bürgerrechtsverleihung auch für das Ackergesetz gewinnen % doch die Etrusker und Umbrer, die besonders großen Anteil am ager publicus besaßen, waren offenbar zu dem Tausch nicht bereit; der Konsul Philippus konnte sie zu einer großen Demonstration gegen die livianische Politik nach Rom rufen 2). Drusus hat sich der Aufhebung seiner Gesetze ohne großen Widerstand unterworfen, er hat nicht einmal dagegen intercediert. Das war natürlich einmal durch die Situation bedingt, die dem Tribunen nicht mehr viele Möglichkeiten des Handelns ließ. Andrerseits manifestiert sich darin aber wohl auch, daß Drusus sich vom Anfang bis zum Ende seines Wirkens als Senatspolitiker fühlte *; .er gab auf, als die Senatsmehrheit ihm ihre Unterstützung entzog. Insofern war Livius der letzte der großen Tribunen, in dem sich noch einmal die Bindung des Tribunats an den Senat darstellte, wie sie in der klassischen Republik bestanden hatte- Darin unterschied er sich wesentlich von C. Gracchus, und darin liegt es auch begründet, daß Livius bei Cicero nirgends als "popularis" erscheint: Für den Populären war der Gegensatz zur Senatsmehrheit konstitutiv. Man kann bei Livius, obwohl er durch populäre Gesetze das Volk zu gewinnen suchte, nicht einmal in vollem Sinn von der Anwendung der "popularis ratio" sprechen, denn auch diese bedeutete immer das Handeln mit der Volksversammlung gegen den Willen der Senatsmajorität. Livius Drusus hat von der populären Politik gelernt - er war selbst kein Popular. Der Tribunat des Livius wirft ein bedeutsames Licht auf die Bedingungen politischen Handelns in Rom in den 90er Jahren. Obwohl die Senatsmehrheit zunächst hinter Livius stand, war 1) vgl. Liv. per. 71: M. Livius Drusus ... socios et Italicos populos spe civitatis Romanae sollicitavit, isque adiuvantibus per vim legibus agrariis frumentariisque latis iudiciariam quoque pertulit. Vgl. ferner Flor. II 5,7ffî Thomsen aaO, 34. 2) App. b.c. I 36. Der Bericht ist sehr unklar und hat deshalb zu vielen Spekulationen geführt. Die beste Behandlung findet sich m.E. bei Badian FC 217-219; dort auch die übrige Literatur. Nach E.T. Salmon, The Cause of the Social War: Phoenix 16 (1962) 107-119 hätten sich die Italiker - außer Etruskern und Umbrern - besonders gegen die lex iudiciaria des Drusus gewandt. 3J vgl. Thomsen aaO, 15. 45-47; anders Strehl aaO. 45. 47f,
-199d&pser darauf angewiesen, die Unterstützung des Volkes für seine Reformen durch populäre Gesetze zu erkaufen. Es war demnach im Jahre 91 nicht einmal der Senatsmajorität mehr möglich, notwendige Reformen ohne gleichzeitige Largltionen an das Volk durchzusetzen' . Das bedeutet, daß sich die gleichmäßige soziale Bindung des Volkes oder zumindest der plebs urbana an die Nobilität gelöst haben muß. Ich sehe darin eine Folge der dauernden Anwendung der "popularis ratio": Durch das damit verbundene jeweilige Durchbrechen der Klientelbeziehungen haben sich diese schließlich so abgeschwächt, daß man sie nicht mehr als sicheren politischen Faktor einsetzen konnte. Das Volk wurde dadurch nicht selbständiger, sondern nur anfälliger für jede Art von Demagogie. < 2. Der Tribunat des P. Sulpicius Rufus. Ende 91 oder Anfang 90 setzte der Tribun Q. Varius eine lex de maiestate durch, die Quaestionen gegen alle vorsah, "quorum ope consiliove socii contra populum Romanum arma suscepissent" . Nach Appian wurde sie von den Rittern veranlaßt und gewaltsam zur Annahme gebracht . Da sich in de,r Reihe derer, denen auf Grund der lex Varia der Prozeß gemacht oder angedroht wurde, mit M. Aemilius Scaurus, C. Aurelius Cotta und L. Memmius mehrere vertraute Freunde des Livius Drusus befanden 4) , wird man die Maßnahme des Varius als Racheakt der Ritter gegen die Politik des Drusus zu verstehen haben. Nach einigen Prozessen suspendierte der Senat für die Dauer des Bundesgenossenkrieges die Quaestionen ' , Die Anklagen berühmter Nobiles haben im Volk Unruhe hervorgerufen *, und vielleicht ist es darauf zurückzuführen, daß im Jahre 89 der Tribun M. Plautius Silvanus durch Plebiscit den Rittern die Alleinherrschaft in den Gerichten entreißen konnte: nach der lex Plautia sollte jede Tribus fünfzehn Richter wählen7) , so daß theoretisch Vertreter 1) vgl. Tac. ann. Ill 27,2: hinc Gracchi et Saturnini turbatores plebis nee minus largitor nomine senatus Drusus. 2) Ascon. 22C; App. I 37,165f; Val. Max. VIII 6,4. 3) App. aaO. 4) vgl. Broughton MRR II 27. 5) Ascon. 73fC; Cic. Brut. 304 6) App. I 38,169. 7) Ascon. 79C. ,
-200aller sozialen Schichten die Chance hatten, Richter zu werden. Das Hauptproblem jener Jahre war aber für Rom der Bundesgenossenkrieg, in dessen Verlauf den "socii" die Erlangung des römischen Bürgerrechts ermöglicht wurde . Durch die Verteilung der Neubürger auf nur wenige Tribus wurde der Effekt dieses Zugeständnisses jedoch wesentlich herabgemindert. Hier liegt der Ansatzpunkt für den Tribunat des P. Sulpicius Rufus, der zu den "maxime familiäres" des Livius Drusus gehört hatte ' und deshalb vielleicht auch in die Untersuchungen nach der lex Varia hineingezogen worden war Der Zustand der Überlieferung macht es fast unmöglich, ein objektives Bild von der Tätigkeit des Tribunen zu gewinnen 4) . Die Quellen sind Sulpicius - jedenfalls was dessen Tribunat betrifft - durchweg feindlich gesinnt - wahrscheinlich gehen sie teilweise auf Sullas "Denkwürdigkeiten" zurück . Im Zentrum der Wirksamkeit des Sulpicius erscheint die Zusammenarbeit mit Marius in der Frage des Oberbefehls gegen Mithridates, und in den meisten Fällen wird Sulpicius als bloßes Werkzeug des Marius verstanden . Gegen eine solche Auffassung spricht aber schon von vornherein alles, was wir über die politische Haltung und den Charakter des Sulpicius aus der Zeit vor dessen Tribunat wissen 71. Ein intimer Freund eines der Konsuln von 88, des Q. Pompeius Rufus ', begann der Tribun seine Tätigkeit durchaus im Sinne der Nobilität, als er sich - zusammen mit seinem Kollegen P. Antistius - der illegalen Konsulatsbewerbung des C. 1) Es liegen mehrere Bundesgenossengesetze vor, deren Einzelbestimmungen und Verhältnis zueinander umstritten sind. Die im Text angegebene Tendenz ist aber klar. Vgl. zuletzt E, Gabba: Athenaeum NS 32 (1954) 87-98; E.T. Salmon, Notes of the Social War; TAPhA 89 (1958) 159-184. 2) Cic. de orat. 1 25. 3) Cic. de orat. III 11 mit F. Münzer: RE 2.R. IV/1 (1931) 846 s.v. Sulpicius. 4) Mein Verständnis des Tribunats des Sulpicius gründet sich vor allem auf den Arbeiten von Last: CAH IX 201-206 und Badian FC 230-234. Für eine andere Sicht vgl. Passerini: Athenaeum NS 12 (1934) 362ff. 5) v g l . Münzer aaO. 8 4 6 . 6) P l u t . Mar. 3 5 , 1 ; S u l l a 8 , 1 ; v g l . L i v . p e r . 77; F l o r . I I 9 , 6 ; Ampel. 4 2 , 1 . 7) v g l . dazu Münzer aaO. 843-846; T . F . Carney, C i c e r o ' s P i c t u r e of M a r i u s : Wiener S t u d i e n 73 (1960) 8 3 - 1 2 2 . 8) C i c . L a e l . 2 ; v g l . de o r a t . I I I 1 1 .
-201lulius Caesar Strabo widersetzte . Vielleicht ist er bei dieser Gelegenheit erstmals näher mit Marius zusammengekommen, der ebenfalls Strabo entgegenarbeitete, weil dieser wie er selbst das Kommando im Krieg gegen Mithridates er2) strebte ; von einer Verbindung zwischen Marius und Sulpicius vor 88 ist jedenfalls nichts bekannt. Im weiteren Verlauf seines Tribunats brachte Sulpicius vier Rogationen ein, die 1. die Rückberufung der infolge der lex Varia Exilierten, 2. die Festsetzung einer Schuldenhöchstgrenze für Senatoren, 3. die Verteilung der Neubürger und Libertinen auf sämtliche Trihus sowie 4. die Übertragung des Oberbefehls im Mithridatischen Krieg von Sulla auf Marius beinhalteten . Von diesen Rogationen stehen zwei eindeutig in der Nachfolge der Politik des Livius Drusus: die Rückberufung der Exilierten bedeutete eine Rehabilitierung auch des Drusus, die Rogation über die Neubürger und Libertinen führte dessen Bürgerrechtspolitik konsequent fort. Die Marius betreffende Rogation fällt aus diesem Zusammenhang heraus. Da sich weder - wie- schon erwähnt - eine Verbindung zwischen Marius und Sulpicius vor 88 nachweisen läßt-, noch Sulpicius vor seinem Tribunat ein Gegner des Senats war \ wird man den Grund für die Zusammenarbeit des Tribunen mit Marius in den Ereignissen des Jahres 88 selbst zu suchen haben. Über die näheren Umstände der Durchsetzung der oben unter' 1 und 2 genannten Rogationen sind wir nicht unterrichtet. Dagegen geht aus der Darstellung Appians klar hervor, daß Sulpicius die beiden übrigen Rogationen nicht zusammen, sondern zunächst das Neubürgergesetz allein eingebracht hat . Infolge der Promulgation dieses Antrags kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen - Sulpicius soll eine bewaffne1) Broughton i*fRR II 41; vgl. Badian FC 231 mit Anm. 5. 2) Diod. 37,2,12; Badian PC 230f; Carney aaO. llo. 3) Broughton aaO. Zur Rückberufung der infolge der lex Varia Exilierten vgl. auct. ad Her. II 45, wonach Sulpicius sich zunächst einer von einem Anderen eingebrachten »ntsprechenden Rogation widersetzt hat. Über die Gründe dafür kann man nur Vermutungen anstellen. Daß sie in der Sache seihst lagen, ist für einen Freund des Drusus unwahrscheinlich und wird auch durch die eigene Rogation des Sulpicius widerlegt. 4) vgl. Münzer aaO. 5) App. b.c. I 55,243; vgl. Münzer aaO. 847; Badian FC 232.
-202te Schar von 3000 Mann um sich gesammelt haben ' -, bis die Konsuln ein Iustitium dekretierten. Sulpicius fjfab jedoch nicht nach und erklärte das Iustitium für unrechtmäßig. Bald darauf fand ein regelrechter Kampf auf dem Forum statt. Q. Pompeius Rufus floh» sein Kollege, L. Cornelius Sulla, wurde gezwungen, das Iustitium aufzuheben. Danach ging das Gesetz über die Verteilung der Neubürger und Libertinen auf sämtliche Tribus durch, und kurze Zeit später wurde auch der Oberbefehl im Mithridatischen Krieg auf Marius übertragen 2) Unsere Quellen stellen diese Ereignisse so dar, als ob Sulpicius von Anfang an als Werkzeug des Marius gehandelt und das Neubürgergesetz nur zu dem Zweck eingebracht habe, Unterstützung für die Übertragung des militärischen Kommandos an Marius zu erlangen . Schon oben wurde jedoch dargelegt, daß diese Version unter Berücksichtigung dessen, was wir über Sulpicius wissen, äußerst unwahrscheinlich ist. Da außerdem das Neubürgergesetz mit der Tendenz der Politik des Livius Drusus übereinstimmte, die Sulpicius schon drei Jahre vorher unterstützt hatte, da ferner dieses Gesetz in sich eine große reformpolitische Bedeutung besaß es stellte einen wichtigen Schritt vom Stadtstaat Rom zu einem römisch-italischen Staat dar 4) -, wird man es als selbständige Reform und - im Hinblick auf die Vergangenheit des Sulpicius - als das eigentliche Anliegen des Tribunen begreifen müssen . Die Zusammenarbeit mit Marius erklärt sich dann am besten aus dem starken Widerstand, den das Neubürgergesetz fand: Sulpicius hat sich mit dem immer noch populären Feldherrn verbunden, um dessen Anhang für die Durchsetzung seiner Reform zu gewinnen. Als Gegenleistung } erhielt Marius das Kommando im Mithridatischen Krieg . 1) Plut. Sulla 8,3; vgl. Ascon. 25C: ad ferrum et ad arma processit. 2) App. b.c. I 55,243 - 56,249; vgl. Plut. Marius 35; Sulla 8 3) App. b.c. I 55,242; Liv. per. 77 (auctore C. Mario). 4) vgl. Last; CAH IX 204. 5) so auch Last aaO.; Badian FC 232. Last macht außerdem darauf aufmerksam, daß das Neubürgergesetz und das Gesetz über das Kommando im Mithridatischen Krieg zu schnell aufeinander folgten, als daß sich für das letztere die Verteilung der Neubürger auf alle Tribus schon hätte auswirken können. 6) vgl. Last aaO. 203; Badian aaO. Schur ZA 128 versteht die Verbindung zwischen Marius und Sulpicius nicht als
-203Nicht genau auszumachen ist die Rolle, welche die Ritter in der Politik des Sulpicius gespielt haben. Als früherer Freund des Livius Drusus, als Verdächtigter in den Quaestionen nach der lex Varia und schließlich wegen der Rückberufung der infolge der Varischen Prozesse Exilierten konnte Sulpicius kein Freund der Ritter sein 1) '. Dennoch berichtet Plutarch, der Tribun habe 600 junge Ritter um sich gehabt, die er "Gegensenat" genannt habe ', Die Nachricht ist in dieser Form wenig glaubhaft ' und paßt zu den übrigen Versuchen, Sulpicius zu diskriminieren. Wenn die Ritter sich überhaupt in besonderer Weise für Sulpicius eingesetzt haben - was sich als Möglichkeit nicht ausschließen läßt -, so sind sie wohl durch Marius, dem sie im Hinblick auf ihre Interessen im Osten mehr vertrauten als Sulla, zu Verbün' deten des Tribunen geworden 4). Cicero hat die Politik des Sulpicius nach dessen Widerstand gegen die Konsulatsbewerbung des Strabo als Abfall von der "optima causa" gewertet und als Grund dafür angegeben: "longius quam voluit popularis aura provexit" . Diese Erklärung ist schon deshalb nicht ernstzunehmen, weil zumindest ein Teil des Volkes gegen das sulpicische Neubürgergesetz Stellung genommen hat ). Zwar besaß Sulpicius sicher demagogische Fälligkeiten , die er auch gebrauchte J, aber das zwingt nicht zu der Annahme, daß er aus anderen als sachlichen Gründen zu einem Gegner der Senatsmehrheit geworden ist. Seine lex über die Schuldenhöchstgrenze für Zweckbündnis, sondern sieht sie in der Sache begründet; Marius habe schon Jahre zuvor die Dringlichkeit der Italikerfrage erkannt. 1) Schon deshalb scheint mir die Meinung von Ed. Meyer (Kl. Schriften I 433 Anm. 1 ) , Sulpicius habe den Rittern ihre durch die lex Plautia verlorene Stellung wieder verschaffen wollen, wenig wahrscheinlich zu sein. Meyer sieht die ganze innere Geschichte Roms in jener Zeit durch einen Kampf um die Herrschaft zwischen Rittern und Senat bestimmt, was sich von den Quellen her nicht halten läßt. 2) Plut. Mar. 35,2; Sulla 8,3. 3) vgl. Badian FC 234 mit Anm. 1. 4) vgl. ebd. 233f. 5) Cic. har. resp. 43; vgl. Ascon. 25 und 64C. 6) App. b.c. I 55,244. 7) Er war unter seinen Altersgenossen der hervorragendste Redner (Malcovati ORF2 279f) und konnte nach Cicero sogar bewirken, "vel ut prudentes errarent, vel ut boni minus bene sentirent" (har. resp. 41). 8) Er hat täglich in Contionen gesprochen: Cic. Brut. 306; vgl. Iul. Exup. 3.
-204Senatoren und das Neubürgergesetz beweisen, daß er kein reiner Demagoge war, sondern in einer Reihe mit den Grac^ chen und Livius Drusus genannt zu werden verdient . Sulpicius wird in den Quellen niemals direkt als "popularis" bezeichnet, aber mehrfach mit anderen Populären in einer 2) Reihe aufgezahlt . Deshalb und weil er seine Maßnahmen als demagogischer Tribun mit Hilfe der Volksversammlung und unter Gewaltanwendung gegen den Willen der Senatsmehrheit durchgesetzt hat, ist es wahrscheinlich, daß er in der ciceronischen Zeit - zumindest aus der Sicht der Gegner der Populären - als Popular galt . Für die Populären selbst war er als Vorbild nur in seiner Eigenschaft als Tribun und als scharfer Gegner der Senatsmehrheit, vielleicht noch als Verbündeter des Marius interessant. Dagegen gehörte keines seiner Gesetze zur populären Materie, und er selbst scheint nicht besonders populär gewesen zu sein . .5. Die Herrschaft Cinnas und Carbos. Sulpicius und Marius hatten keinen Erfolg. L. Cornelius Sulla, der nach der erzwungenen Aufhebung des Iustitiums zu seinem schon für den Krieg im Osten bereitstehenden Heer geflohen war, führte dieses Heer gegen Rom, eroberte die Stadt und ließ Marius und Sulpicius sowie die Anhänger beider ächten. Anschließend setzte er ein aristokratisches Sicherheitsprogramm durch, das dem Senat die Kontrolle der staatlichen Angelegenheiten ermöglichen sollte \ und veranlaßte die Wahl der Magistrate für das folgende Jahr. 1) vgl. Münzer aaO, 849; Last: CAH IX 204, 2) auct. ad. Her. IV 31; Cic. ap. Ascon. 80C; har. resp. 41 und 43; in V a t. 23; de leg. III 20. 3) vgl. besonders Ascon. 80C (aus Ciceros Rede für Cornelius): ufcrius tandem tibi tribunatus minus probari potest, C. Cornell, an - non dicam P. Sulpici, non L. Saturnini, non Gai Gracchi, non Tiberi, neminem quem isti seditiosum existimant nominabo ... Unter den "isti" sind die Herren um Catulus und Hortensius zu verstehen. Da sowohl die Gracchen als auch Saturninus ausdrücklich als Populären bezeugt sind, hat die sullanische Oligarchie wohl auch Sulpicius zu ihnen gerechnet. 4) vgl. die Ablehnung des Neubürgergesetzes durch das Volk. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß Cicero niemals ausdrücklich Sulpicius mitnennt, wenn er die Popularität vorsullanischer Tribune hervorhebt: in Verr. II 1,151; Sest. 103. 105. 5) Broughton MRR II 40 nennt eine Reihe von Einzelgesetzen, die sich jedoch nicht sicher in das Jahr 88 datieren lassen. In den Quellen ist die Tätigkeit Sullas vor und nach dem Mithridatischen Krieg heillos vermengt. Es dürfte aber klar
-205Zu Konsuln wurden L. Cornelius Cinna und Cn. Octavius gewählt. Die Quellen bringen Cinna bei dieser Gelegenheit zum einzigenmal näher mit dem Volk in Verbindung: die Menge habe Kandidaten Sullas durchfallen lassen; daraufhin habe Sulla Cinna als Kandidaten für den Konsulat aufgestellt Der Bericht Plutarchs enthält mehrere Unklarheiten und ist 2) nicht sehr glaubwürdig . Da wir aber über Cinnas politische Verbindungen vor 88 nichts wissen , ist eine sichere Kritik in diesem Fall unmöglich, Cinna mußte sich Sulla gegenüber durch Eid zur Einhaltung 4) der sullanischen Ordnung verpflichten . Nach seinem Amtsantritt hielt er sich jedoch nicht an diesen Eid '; er erneuerte die sulpicische Rogation zur Verteilung der Neubürger und Libertinen auf alle Tribus und brachte außerdem einen Antrag zur Rückberufung der von Sulla Verbannten ein Cinna stieß mit diesen Anträgen auf die heftige Opposition seines Kollegen Octavius und der Senatsmehrheit - nach Appian sollen sich auch die gesamten Altbürger der ersten Ro7) gation widersetzt haben , In einer gewaltsamen Auseinandersetzung wurde Cinna vertrieben und seines Amtes für verlustig erklärt. Er sammelte daraufhin in Italien ein Heer und eroberte - Sullas Beispiel nachahmend - mit Hilfe des zu ihm stoßenden Marius die Stadt. Infolge dieser Vorgänge und des sich daran anschließenden zehntägigen Mordens in Rom, das aber bei weitem nicht die Ausmaße der sullanischen Proskriptionen erreichte ', ist q)
Cinnas Bild in den Quellen nur negativ geprägt ' . Nirgends sein, daß Sulla im Hinblick auf das Wirken des Sulpicius der tribunizischen gesetzgeberischen Initiative Schranken auferlegt hat. Wahrscheinlich ist deshalb schon 88 beschlossen worden, daß sämtliche Rogationen vor ihrer Abstimmung in der Volksversammlung vom Senat gebilligt werden mußten, vielleicht auch, daß Gesetze nur in Centuriatcomitien abgestimmt werden durften (vgl. die Stellen bei Broughton MRR II 40). 1) Plut. Sulla 10,3; vgl. Dio fr. 102. 2) vgl. H. Bennett, Cinna and his Times (Diss. Chicago 1921) 4f. -3) vgl. F. Münzer RE IV/1 (1900) 1282f s.v. Cornelius. 4) Plut. Sulla 10,3-4; Dio fr, 102,2; Schol. Gron. 286St. 5) Sall. hist. I 26M. 6) Broughton MRR II 46. 7) App. b.c. I 64,288ff. 8) vgl. dazu Ch.M. Bulst, Cinnanum tempus: Historia 13 (1964) 313-318. 9) vgl. besonders die Cicero-Stellen bei T.F.,Carney: Wiener Studien 73 (1960) 114-117.
-206werden jedoch er oder sein Nachfolger Carbo als Populären bezeichnet, und - anders als Sulpicius - werden sie auch fast nie mit sonstigen Populären zusammen aufgezählt '. Das kann natürlich durch Ben Zustand der Überlieferung bedingt sein, es kann aber auch sachliche Gründe haben. Von den Maßnahmen des cinnanischen Regimes - Cinna war bis zu seinem Tod im Jahre 84 Konsul, danach übte Carbo, teilweise ohne Amt, den beherrschenden Einfluß aus - gehörte keine zur populären Materie, Über die Opposition des Volkes gegen die Wiederaufnahme der sulpicischen Neubürgerrogation ist schon gesprochen worden. In welcher Form das Italiker1problem nach der Eroberung Roms durch Cinna gelost wurde, ist unklar. Allgemein nimmt man an, die Zensorn des Jahres 86, L. Marcius Philippus und M. Perperna, hätten die Neubürger auf alle Tribus verteilt, doch dieser Annahme steht eine Mitteilung des Livius entgegen, die offenbar ins Jahr 2) 84 gehört: "novis civibus S.C. suffragiura datum est" . Auf jeden Fall ist aber die Verteilung der Italiker auf alle Tribus während der cinnanisch-carbonischen Herrschaft durchgeführt worden. Ein zweites Problem, mit dem Cinna zu kämpfen hatte, war die infolge des Bundesgenossenkrieges, der inneren Auseinandersetzungen und des Ausbleibens der asiatischen Gelder völlig zerrüttete wirtschaftliche und finanzielle Lage 3)' . Um den Geldumlauf und damit auch den Handel anzuregen, brachte der Konsul L, Valerius Flaccus, der Kollege Cinnas im Jahre 86, ein Gesetz zur Annahme, das den Nachlaß von 4") drei Vierteln aller Schulden verfügte . Das Gesetz unterschied sich wesentlich von späteren populären Agitationen, die in rein persönlichem Interesse unternommen wurden und den gänzlichen Erlaß aller Schulden bezweckten. Es diente ebenso der Wiederherstellung normaler Verhältnisse auf finanziellem Gebiet wie das Edikt der Praetoren und Tribunen 1) Die einzige Ausnahme ist Cic. in Vat. 23, doch ist hier auch Drusus mitgenannt, der sicher kein Popular war. 2) Liv. per. 84. Vgl. zu der ganzen Frage Badian FC 141f. Bennett aaO. 44 versteht das SC als Bestätigung der von den Zensorn vorgenommenen Verteilung der Neubürger. 3) vgl. dazu Bulst aaO. 330-337. 4) vgl. dazu und zur Deutung des Gesetzes Bennett aaO. 41; Bulst aaO. 334f.
-207von 86 oder 84, das die wachsende Geldverschlechterung einzudämmen suchte. Cinnas Verhältnis zur Nobilität und zum Senat scheint besser gewesen zu sein, als unsere Quellen es darstellen. Nach Velleius wäre die Mehrheit des Senats zu Sulla in den Osten geflohen 2). Dagegen spricht aber, daß eine ganze Reihe von Familien der Nobilität sogar mit Cinna und Carbo zusammengearbeitet ^ und daß Sulla offenbar selbst den in Rom ver4) bliebenen Senat anerkannt hat '. Dieser unterstützte durch seinen schon erwähnten Beschluß von 84 die Neubürgerpolitik des cinnanischen Regimes,und es ist auch nichts davon bekannt, daß er gegen die konsularische lex Valeria de aere alieno solvendo Stellung genommen hätte. Als sich Sulla in einem Brief an den Senat wandte, wurden auf dessen Veranlassung hin Friedensunterhändler zu Sulla gesandt, ohne daß sich Cinna und Carbo widersetzten . Erst nach Cinnas Tod scheint Carbo einen radikaleren Kurs eingeschlagen zu haben: Er konnte den Senat dazu bewegen, die Friedensbedingungen Sullas nicht anzunehmen, wurde aber kurz darauf selbst vom Senat daran gehindert, im Hinblick auf die bevorstehende Auseinandersetzung mit Sulla Geiseln von den italischen Städten zu fordern . Neben weiteren überlieferten Senatsbeschlüssen 7) ' sind diese Vorgänge Zeugnis dafür, daß der Senat nicht ausgeschaltet wurde. Da wir von ernsthaften Konflikten zwischen dem Regime und dem Senat nichts hören, haben beide wohl so gut wie möglich zusammenzuarbeiten gesucht .Auch auf anderen Gebieten wurden die Formen der Nobilitätsregierung gewahrt. Das zeigt sich etwa in der Wahl von Zensorn für 86 und in 1) Broughton MRR II 60; Bennett aaO. 42 mit Anm, 34; vgl. auch noch unten S. 208f. 2) Vell. II 23,3. 3) vgl. verschiedene Namen bei Badian FC 242 Anm. 1. Man muß außerdem berücksichtigen, daß Sulla durch seinen ersten Marsch auf Rom beim Senat starke Bedenken hervorgerufen hatte; so hatten ihn die bei seinem Heer befindlichen Offiziere und Senatoren verlassen (App. b.c. I 57,253). 4) Er* wandte sich in einem offiziellen Brief an ihn; App. b.c. I 77, 350-352. 5) App. b.c. I 350-354; Liv. per. 83; Bulst aaO. 322. 6) Liv. per. 84; vgl. zum ganzen Komplex der Verhandlungen mit Sulla Bulst aaO. 318-323. 7) vgl. Bulst aaO. 323. 8) vgl. dazu noch die Vermutungen von Badian FC 241f.
-208dem Bemühen, nur solche Männer zu den Magistraturen zuzulassen, die durch ihren vorangegangenen cursus honorum dazu berechtigt waren . Wie sich eine Feindschaft zwischen dem Senat und dem Regime nicht nachweisen laßt, so gibt es auch keinen Beweis dafür, daß sich Cinna und Carbo je in besonderer Weise auf das Volk gestützt hätten. Für die lex de aere alieno solvendo wurde nicht die tribunizische Initiative in Anspruch genommen, wie es nahegelegen hätte, wenn das Gesetz nur von der plebs gebilligt worden wäre . Im Jahre 84 drohte das Tribunenkollegium Carbo mit der Absetzung^ als dieser nach dem Tod Cinnas keine Nachwahl abhalten lassen wollte 3). Weder in der politischen Methode noch im politischen Programm des cinnanisch-carbonischen Regimes begegnen somit die Kennzeichen, die für populäre Politik charakteristisch sind. Das Fehlen von popularis-Zeugnissen in Bezug auf Cinna und Carbo ist deshalb, soweit sich das überhaupt nachprüfen läßt, nicht durch den Zustand der Überlieferung, sondern sachlich bedingt. Nur ein Politiker, der während der Herrschafts Cinnas und Carbos wirkte, wird von den Späteren als "popularis" bezeichnet: M. Marius Gratidianus, Er gehörte zu den Praetoren von 86 oder 84, die zusammen mit den Tribunen ein Dekret zur Stabilisierung der Währung ausgearbeitet und beschlossen hatten, dieses Dekret auch gemeinsam zu verkünden. Marius Gratidianus hielt sich nicht an die Absprache, sondern erließ das Ergebnis der Beratungen als eigenes Edikt und wurde dadurch so populär, daß ihm sogar Denkmä4) 1er errichtet und Opfer dargebracht wurden. Diese Popularität erklärt sich aus der großen Unsicherheit, die vorher auf dem Gebiet der Währung geherrscht hatte . Wenn 1) vgl. Bennett aaO. 64f. Am auffallendsten ist diese Erscheinung bei einem der Zensorn von 86, L. Marcius Philippus, der im Jahre 91 der schärfste Gegner der Bürgerrechtspolitik des Livius Drusus gewesen war. Eine Ausnahme ist die Wahl des jungen Marius zum Konsul für 82; vgl. die Gründe dafür bei Badian FC 244. 2) vgl. Bulst aaO. 335. Z) App. b.c. 1 78, 358f. 4) Die ganze Begebenheit ist dargestellt bei Cic. de off. III 80. 5) Cic. ebd.: iactabatur enim temporibus illis nummus sie, ut nemo posset scire quid haberet.
-209Cicero deshalb Marius Gratidianus einen "homo maxime popularis" nannte ,. so bedeutete das keine eigentlich politische Aussage, sondern hieß - in Ciceros eigenen, etwas übertreibenden'Worten*- nur: "nefno umquam multitudini fuit . „ 2)
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1) Cic. ap. Ascon. 87C; vgl. Ascon. 84C: M. etiam Mari Gratidiani summe popularis hominis ...,.-, Sen. de ira III 18,2, 2) Cic. de off. III 80.
C. ZUSAMMENFASSENDE INTERPRETATION DER POPULÄREN
-210-I. Die verschiedenen-Komponenten populärer Politik und ihre Funktion im politischen Handeln der Populären. 1. Die populäre Materie. Folgende Gesetze und .Maßnahmen der späten Republik gehören nach den Zeugnissen der ciceronischen Zeit eindeutig zur populären Materie (nach ihrer Funktion teile ich sie gleich in verschiedene Gruppen ein): a) lex Sempronia agraria von 133 / lex Sempronia agraria von 123 lex Sempronia de coloniis deducendis von 123/122 lex Sempronia frumentaria von 123 lex Licinia de colonia deducenda von 118 lex Gabinia tabellaria von 139 lex Cassia tabellaria von 137 lex quae pontes fecit angustos des Marius von 119 b) rogatio Appuleia frumentaria von 103 (100?) rogatio Titia agraria von 99 rogatio Flavia agraria von 60 lex Iulia agraria von 59 lex Iulia de agro Campano von 59 lex Clodia frumentaria von 58 (lex Livia de coloniis deducendis von 122) (lex Livia agraria von 91) (lex Livia frumentaria von 91) (Agitationen des Caelius für Schuldenerlaß im ^ahre 48) lex Papiria tabellaria von 131 lex Sempronia de capite civis von 123 lex Labiena de sacerdotiis von 63 lex Clodia de provocatione von 58 c) rogatio Marcia agraria von 104 Agitationen Catilinas für Schuldenerlaß in den Jahren 64/63 rogatio Servilia agraria von 63 rogatio Scribonia alumentaria von 50 Agitationen des Domitius für Schuldenerlaß im Jahre 47 rogatio Licinia de sacerdotiis von .145 lex Coelia tabellaria von 107/106 lex Domitia de sacerdotiis von 104 Bei den aufgezählten Materien handelt es sich um folgende Sachgruppen: Acker- und Getreidegesetze, Agitationen für Schuldenerlaß, leges tabellariae, leges de sacerdotiis und leges de provocatione. Alle diese Materien waren deshalb popular, weil sie entweder materielle Vorteile oder politische Rechte des Volkes betrafen. Das gilt auch noch für andere, oben nicht genannte Gesetze der späten Republik, z.B. für das Abstimmungsgesetz des C. Gracchus und die lex de maiestate des Saturninus, Es ist anzunehmen, daß auch diese Gesetze in der ciceroni-
-211schen Zeit als populär galten, obwohl das nicht ausdrücklich bezeugt ist. Ihrer politischen Funktion nach lassen sich die genannten Maßnahmen in drei Gruppen einteilen. Die unter a) angeführten leges sind mit großer Sicherheit als Reformgesetze anzusprechen. Obwohl sie alle auch das Volk betrafen, waren sie in ihrer politischen Zielsetzung teilweise nicht primär auf das Volk ausgerichtet. Die gracchischen Agrarreformen dienten wesentlich einem gesamtstaatlichen Anliegen, nämlich der Stärkung der römischen Wehrkraft, die Hauptintention der beiden leges tabellariae von 139 und 137 scheint die Eindämmung des ambitus innerhalb der Nobilität gewesen zu sein. Erst die Interpretation der Ciceronischen Zeit hat diese beiden Gesetze zu populären Gesetzen gemacht, wäh^ rend die Deutung der gracchischen leges agrariae und frumeniariae als "largitiones" schon auf die Polemik der zeitgenössischen Gegner der Gracchen zurückgehen dürfte. Die zweite Gruppe (b) umfaßt Maßnahmen, die der Ermöglichung und Sicherung der populären Methode dienten. Durch die hier angeführten Acker- und Getreidegesetze sollte das Volk für die Politik der Populären gewonnen werden. Die eingeklammerten leges der Livii Drusi sowie die Agitationen des Caelius stellten ebenfalls reine "largitiones" dar, doch waren die Initiatoren keine Populären: die Livier handelten im Auftrag der Senatsmehrheit, Caelius wollte das Volk gegen Caesar aufstacheln. Die beiden Ackergesetze von 60 und 59 gehören, obwohl sie vor allem die Versorgung der Veteranen betrafen» insofern in diese Gruppe, als sie jeweils auch die plebs urbana berücksichtigten, um deren Hilfe für die Durchsetzung der Rogationen zu sichern. Die lex Papiria von 131 erleichterte Abstimmungen über Gesetze, die gegen den Willen der Senatsmehrheit eingebracht wurden, die lex Sempronia de capite civis sollte selbständig handelnde Tribüne und deren Anhänger vor Gegenmaßnahmen der Senatsmehrheit schützen. Die lex Labiena de sacerdötiis und die lex Clodia de provocatione schließlich waren insofern auf die popularis ratio bezogen, als durch sie dem Volk dei* Gegensatz zwischen den Populären und den Senatspolitikern bewußt gemacht bzw. ein Gegensatz zwischen dem Volk und dem Senat geschaffen werden sollte.( Das Eintreten für die Pro-
-212 Vükation wurde darüber hinaus zu scharfen Angriffen gegen das SCU benutzt, das die wirksamst* Waffe des Senats gegen die popularis ratio bildete. Die dritte Gruppe (c) läßt sich nicht ganz sauber von der zweiten trennen. Auch hier handelt es sich um Gesetze, die nicht primär einem Reformanliegen dienten. Anders als die Maßnahmen der Gruppe b) scheinen sie aber auch nicht in erster Linie auf die Ermöglichung und Sicherung der populären Methode ausgerichtet gewesen zu sein, sondern auf unmittelbare persönliche Vorteile. Eine Ausnahme bilden nur die beiden rogationes Scriboniae, die eingebracht wurden, um senatorische Geschäftsgänge zu stören. Die rogatio Servilia agraria sollte einer Gruppe von Populären eine große militärische Machtstellung verschaffen. Die meisten Initiatoren der unter c) angeführten Maßnahmen sind nicht als Populären bezeugt, Männer wie Marcius Philippus und Domitius Ahenobarbus waren in ihrer sonstigen Laufbahn sogar durchaus senatstreue Politiker. Sie haben - wie auch Licinius und Coelius -7 die populäre Materie nur zeitweise benutzt, um bestimmte Ziele ihrer Karriere zu erreichen. Die überwiegende Mehrzahl aller populären Maßnahmen diente also sachfrenden Zwecken. Nur in der Gracchenzeit haben wir es meistens mit Reformen zu tun, aber auch hier begegnen abgesehen von der zur Gruppe c) gehörenden rogatio Licinia von 145 - mit der lex Papiria von 131 und der lex de capite civis von 123 schon "Verfahrensgesetze". Sie waren deshalb nötig, weil auch die Reformer auf die Effektivität ihres Handelns und auf den Schutz ihrer selbst und ihrer Anhänger bedacht sein mußten. Bei zwei von Cicero als popular herausgestellten Materien trifft das oben dargelegte Kriterium der Bezogenheit auf materielle und politische Vorteile des Volkes nicht zu, nämlich bei den extraordinaria imperia und bei der restitutio damnatorum. Hier erklärt sich die Bezeichnung "popular" daraus, daß Cicero die Methode bei der Durchsetzung bestimmter extraordinaria imperia im Blick hatte bzw. daß restitutiones damnatorum in den 60er Jahren agitatorisch von den Populären vertreten wurden. Schließlich werden einmal - im Jahre 70 - auch die Zensur und die Umbildung der Geschworenengerichtshöfe als popular bezeichnet. Der Grund dafür
I -213liegt in der Situation der 70er Jahre, in denen es mehreren Tribunen gelang, durch andauernde Agitationen das Volk für die Forderungen nach einer Umbildung der Geschworenengerichtshöfe und der Wahl von Zensorn zu gewinnen. Eine letzte populäre Materie wurde bisher nicht erwähnt, weil sie wegen ihrer Wichtigkeit innerhalb populärer Politik eine eigene Behandlung verdient: die tribunicia potestas. 2. Der Volkstribunat. Träger oder zumindest ausführendes Organ fast aller populären Politik was der Volkstribunat. Seine Eignung dazu beruhte erstens darauf, daß er sich während der revolutionären Zeit seiner Entstehung umfassende "Rechte" arrogiert hatte, die auch nach dem Ausgl«ich der Stände bestehen blieben. Zweitens war das ihm zugeordnete gesetzgebende Organ das concilium plebis, in dem sich der Gesetzgebungsmechanismus am unkompliziertesten vollzog und in dem sich ferner die sozialen Unterschiede in der römischen Gesellschaft am wenigsten auswirkten. Drittens konnte der Tribunat auf Grund seiner Entstehung ideologisch mit dem Volk, auf das die Populären angewiesen waren, in Verbindung gebracht werden. Und viertens schließlich war der Tribunat ebenfalls auf Grund seiner Entstehung - die vom Senat relativ unabhängigste Institution im römischen Herrschaftsmechanismus. Wenn er dennoch während der klassischen Republik weitgehend als Werkzeug des Senats gearbeitet hatte, so deshalb, weil die plebs, als deren Repräsentanzorgan er entstanden war, 'als politische Schicht zu existieren aufgehört hatte und weil das politische Gleichgewicht innerhalb der Nobilität, in der nach dem Ausgleich der Stande auch die führenden Familien der plebs Aufnahme gefunden hatten, jede Sonderpolitik einzelner Nobiles mit Hilfe des Tribunats im allgemeinen unmöglich machte. Seit der Gracchenzeit emanzipierte sich der Tribunat vom Senat. Die gesamte Innenpolitik der späten Republik ist durch diese Emanzipation wesentlich bestimmt. Sie wurde zunächst durch populäre Gesetzesvorschläge ermöglicht, die den Tribunen die Unterstützung des Volkes gegen die Senatsmehrheit verschafften; später konnten infolge der Zusam-
-214i
menarbeit zwischen Tribunen und Feldherrn auch deren Veteranen in den innenpolitischen Kämpfen eingesetzt werden. In den letzten Jahrzehnten der Republik wurden außerdem Banden organisiert. Die gegen die Opposition der Senatsmehrheit handelnden populären Tribune gehörten in der vorsullanischen Zeit zum größten Teil der Nobilität an - erst in der nachsullanischen Zeit begegnen mehrfach auch populäre Tribune niedrigerer Herkunft. Den Anlaß für die Emanzipation des Tribunats bildeten zunächst umfassende Reformpläne, die, von Minderheiten der Nobilität vorgetragen, auf den Widerstand der Senatsmehrheit stießen. Die Reformphase populärer Politik reicht im wesentlichen bis zu Sulpicius. Schon vor dessen Auftreten machten sich jedoch auch reine Demagogen die Erfahrungen zunutze, welche die Reformtribunen in ihren Auseinandersetzungen mit der Senatsmehrheit gesammelt hatten. In der nachsullanischen Zeit arbeiteten die populären Tribune meistens für einzelne große Nobiles, die wegen ihres Machtstrebens in Konflikt mit der Senatsmehrheit gerieten. Obwohl die populären Tribune ihren politischen Intentionen nach niemals Interessenvertreter des Volkes waren, haben sie doch im Laufe der späten Republik diese Geltung erlangt. Die Gründe dafür lassen sich unschwer feststellen: Einmal haben die populären Tribune eine große Anzahl von Gesetzen eingebracht, die dem Volk materielle und politische Vorteile verschafften; ferner stützten sie sich in ihrem Handeln auf das Volk gegen die Senatsmajorität', und schließlich haben sie, eben weil sie auf die Unterstützung des Volkes angewiesen waren, sich selbst propagandistisch als Interessenvertreter der plebs herausgestellt. So konnte auch die tribunicia potestas zu einer "causa popularis" werden und in der nachsullanischen Zeit sogar innerhalb der populären Ideologie eine zentrale Stellung einnehmen (vgl. unten). Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die tatsächliche Funktion des Tribunats in der späten Republik - wie oben schon erwähnt - nicht die Repräsentation des Volkes war, sondern daß er vielmehr nach seiner Emanzipation vom Senat ein Mittel der Auseinandersetzung innerhalb der Nobilität bildete.
-2153. Das Volk. Das römische Volk als von der Nobilität und vom Ritterstand unterschiedene soziale Schicht stellte wahrend der ganzen späten Republik keine politische Einheit im Sinne einer politischen Klasse dar. An der direkten Herrschaftsausübung unbeteiligt, strebte es eine solche Beteiligung auch nicht an, noch hatte es andere politische Ziele, die es zu einem politischen Gegner der Nobilität von eigenem Gewicht machen konnten. Dazu kam, daß sich bei ihm die regionale Gliederung in das Stadt- und das Landvolk stark auswirkte, so daß sogar Interessenkollisionen innerhalb des Volkes selbst entstanden. Seine politische Bedeutung in der späten Republik verdankte das Volk nicht eigener Initiative, sondern den Auseinandersetzungen innerhalb der Nobilität. In diese Auseinandersetzungen wurde es als politisches Mittel hineingezogen. Da die Populären immer in Opposition zur Senatsmehrheit standen, haben sie versucht, sich auf das Volk zu stützen. Bei den Gracchen ergab sich diese Möglichkeit von selbst, weil der Inhalt ihrer Reformen dem Volk materielle Vorteile brachte. Deshalb wird auch bei ihnen die Funktion des Volkes als Mittel populärer Politik noch nicht so deutlich wie bei späteren Populären, die Acker- und Getreidegesetze nur noch mit der Absicht einbrachten, das Volk für ihre eigenen Ziele zu gewinnen. Trotz aller materiellen Lockungen ist das Volk aber nie zu einer festen politischen Gefolgschaft der Populären geworden. Es stellte sich teilweise schon gegen Ti. G raC chus, fiel von C. Gracchus zu Livius Drusus ab, im Jahre 100 war es gespalten, im Jahre 63 konnte Cicero es gegen die Populären stimmen, im Jahre 59 stand zumindest ein Teil des Volkes gegen die Triumvirn. Von einer dauerhaften Volkspartei während der späten Republik kann also keine Rede sein. Angesichts der Beschaffenheit des römischen Volkes war auch nie die "Gefahr" einer Demokratie für Rom gegeben; mit dem römischen Volk ließ sich nicht demokratisch regieren. Aus dem politischen Desinteresse des Volkes, das außerdem durch mannigfache Klientelbeziehungen an die Nobilität ge-
-216bund-en war, erklärt sich erst der ganze Umfang dessen, was zur Ermöglichung der popularis ratio getan werden mußte. Unter anderem haben die nachsullanischen Populären, da ein politischer Gegensatz zwischen dem Volk und dem Senat nicht vorhanden war, mit Hilfe der populären Ideologie einen solchen zu schaffen gesucht., aber auch damit hatten sie keinen Erfolg. Die Konsequenz aus der politischen Unzuverlässigkeit des Volkes war schließlich die Bildung organisierter Banden und der Einsatz quasi-militärischer Macht in der Innenpolit ik, 4. Die populäre Ideologie und das populäre Geschichtsverständnis. Die populäre Ideologie ist erst in der ciceronischen Zeit nachweisbar und wohl wesentlich bedingt durch die Verfestigung der innenpolitischen Gegensätze, die im Gefolge der sullanischen Neuordnung eintrat. Sie begegnet erstmals anläßlich des Kampfes um die Restitution der von Sulla stark beschnittenen tribunicia potestas und bestand in dieser ersten Stufe darin, daß ein scharfer Gegensatz zwischen dem Volk und der Nobilität konstruiert und auf dem Hintergrund dieses Gegensatzes die tribunicia potestas grundsätzlich mît der libertas populi verbunden wurde, Vorstufen dieser Verbindung finden sich schon in der Gracchenzeit, so etwa in der Verteidigungsrede des Ti. Gracchus, Die Konstruktion eines politischen Gegensatzes zwischen dem Volk und der Nobilität (bzw. dem Senat), der in der Wirklichkeit nie existierte, blieb auch nach den 70er Jahren das Grundanliegen der populären Ideologie. In diesen Gegensatz wurden nun aber - unter dem Gesichtspunkt der libertas populi - weitere politische .Materien "eingebaut". Eine hervorragende Rolle spielte dabei die Provokation. Auch sie wurde, wie die tribunicia potestas, als Garant der libertas populi gedeutet und in den Jahren 63 (Rabiriusprozeß, Agitationen gegen die Hinrichtung der Catilinarier) und 58 (lex Clodia de provocatione mit der Contio des Clodius) zu scharfen Angriffen gegen den Senat benutzt. Die zentrale Stellung des Tribunats und der Provokation innerhalb der populären Ideologie erklärt sich daraus, daß der Tribunat der Grundpfeiler der popularis ratio und das SCU, um das es bei allen Auseinandersetzungen um die Provokation ging, die
schärfste Waffe des Senats gegen die populäre Methode war. Sowohl von diese» Gesichtspunkten her als auch unter Berücksichtigung der Tatsache, daß populares Handeln immer die Mobilisierung des VolKes gegen die Senatsmehrheit zur Voraussetzung hatte, erhält auch die populäre Ideologie ihren Platz innerhalb der popularis ratio. Mit der populären Ideologie hängt das populäre Geschichtsverständnis zusammen, das über weite Strecken nur eine Komponente der populären Ideologie darstellte. Wenn man in der ciceronischen Zeit die vorsullanischen leges tabellariae und die lex Sempronia de capite civis zu populären Gesetzen umgedeutet hat, die der Stärkung der libertas populi gedient hätten, wenn Sallust die Gracchen als Vorkämpfer für die Freiheit des Volkes interpretierte und die innenpolitischen Auseinandersetzungen anläßlich des Jugurthinischen Krieges als Kampf zwischen dem Volk und der Nobilität beschrieb, so handelt es sich bei allen diesen Erscheinungen um Rückprojektionen der populären Ideologie in die jüngste Vergangenheit. Cicero hat einmal ausdrücklich darauf hingeweisen, daß die Populären seiner Zeit auch historische Gestalten vom Beginn der Republik an in ihrem Sinn interpretiert haben . u er Niederschlag dieser Interpretation findet sich noch ausführlich bei Livius, auf dessen Zeugnisse ich aus den in der Einleitung genannten Gründen nicht eingehen konnte 2) . Vielleicht hat Licinius Macer, 1) Cic. acad. pr. II 13. 2) Auf ein Beispiel sei, damit der Rahmen der Zusammenfassung nicht gesprengt wird, in den Anmerkungen hingewiesen: Cicero nennt acad. pr. ÏI 13 unter denen, die von den Populären in ihrem Sinn interpretiert wurden, u.a. diejenigen, "qui leges populares de provocationibus tulerint cum consules essent". Zu ihnen gehörte das Konsulnpaar von 449, L, Valerius Potitus und M. Horatius Bwbatus. Livius leitet III 55,If den ^ericht über deren Maßnahmen folgendermaßen ein: "Quorum consulatus popularis sine Ulla patrum iniuria nee sine offensione fuit; quidquid enim libertati plebis caveretur, id suis decedere opibus credebant". Anschließend berichtet Livius, die Konsuln hätten ein Gesetz über die Allgemeingültigkeit von Plebisciten, ein Provokationsgesetz und eine lex über die sacrosanetitös der Tribune durchgesetzt. Die drei leges sind mit hoher Wahrscheinlichkeit erfunden. Im Zusammenhang mit der obigen Interpretation (quidquid enim libertati plebis caveretur) kann kaum zweifelhaft sein, daß die Erfindung von populärer Seite stammt. Die Einleitungsbemerkung des Livius (sine Ulla patrum iniuria) bedeutet eine Rehabilitierung der Konsuln in "optimatischen!" Sinn, die sich noch deutlicher bei Cicero de rep.
-218bei dem ja als erstem die populäre Ideologie begegnet und der auch eine römische Geschichte verfaßt hat, die Livius als Vorlage benutzte, nicht unwesentlich zur Schaffung des populären Geschichtsverständnisses beigetragen. Die Funktion der populären Geschichtsdeutung war, soweit es sich dabei um die Rückprojektion der populären Ideologie handelte, die gleiche wie bei dieser. Ferner diente die populäre Deutung der Geschichte dazu, Sympathien, die das Volk für bestimmte Gestalten der Vergangenheit hegte, für die Populären der ciceronischen Zeit zu aktivieren und die Populären "hoffähig" zu machen 5. Die popularis ratio. Der größte Teil der bisher erwähnten populären Erscheinungen war durch die popularis ratio bedingt. Am Schluß der Übersicht über die Komponenten populärer Politik soll deshalb eine kurze zusammenfassende Darstellung der populären Methode stehen. Die Grundstruktur der popularis ratio bildete das Handeln mit der Volksversammlung gegen die Opposition der Senatsmehrheit. Da diese naturgemäß solches nandeln zu verhindern trachtete und ihr dazu auch legale Mittel zur Verfügung standen, kam es bei der Anwendung der popularis ratio fast immer zur Verletzung von Gesetzen, Mißachtung der Intercession und der Obnuntiation oder zum Gebrauch von Gewalt. In.den Zeugnissen Ciceros sind deshalb diese Merkmale integrierende Bestandteile der populären Methode. Die populären Tribüne haben sich jedoch nicht nur mit Augenblicksreaktionen auf den Widerstand der Senatsmehrheit begnügt, sondern die popularis ratio auch dauerhafter und grundsätzlicher zu schützen gesucht. Sie haben dazu verschiedene Gesetze eingebracht, die entweder die Punkte widerspiegeln, an denen vorhergehende Tribüne gescheitert waren, oder auf ganz bestimmte Aktionen der Senatsmehrheit bzw. der in ihrem Auftrag handelnden Magistrate antworten. Zu diesen Gesetzen gehören: II 54 findet, wo die Konsuln als "homines concordiae causa sapienter populäres" beschrieben werden. Man hat hier also eine populäre Interpretation und eine optimatische Gegeninterpretation, d.h. eine Art Kampf um die Geschichte. 1) vgl. Cic.acad. pr. II 13: ... cum aliquos ex antiquis claros viros pr.oferunt (sc. seditiosi cives)^ quos dicant fuisse populäres, ut eorum ipsi similes esse videantur.
-219- die rogatio Papiria de tribunatu prorogando von 131 - die rogatio Sempronia de abactis von 123 - die lex Sempronia de capite civis von 123 - aie lex Appuleia de maiestate von 103 - die lex Clodia de collegiis von 58 - die lex Clodia de obnuntiatione von 58 - die lex Clodia de provocatione von 58 Allen diesen Maßnahmen ist gemeinsam, daß sie die selbständig handelnden Tribune und deren Anhänger gegen Reaktionen der Senatsmehrheit schützten bzw. die Stellung der Tribune gegenüber der Opposition der Senatsmehrheit stärkten. In weiterem Sinn gehört auch die konsularische lex Pompeia Licinia von 70 in diesen Zusammenhang, da sie durch die Wiederherstellung der vollen ^echte des Tribunats nach dessen Entmachtung durch Sulla überhaupt erst wieder die popularis ratio ermöglichte. Die übrigen Bestandteile der populären Methode wurden alle schon genannt. Gegen den Widerstand der Senatsmehrheit stützten sich die populären Tribune, die Hauptträger populären Handelns, auf das Volk, auf die Veteranen der mit ihnen zusammenarbeitenden Feldherrn oder auf organisierte üanden. Um das Volk.für sich zu gewinnen, stellten sie sich propagandistisch als Interessenvertreter des Volkes dar, brachten populäre Gesetze ein (vgl. oben Abschnitt 1 Gruppe h) und beriefen sich auf populäre Gestalten der Vergangenheit; um es gegen den Senat zu mobilisieren, verkündeten sie - in der nachsullaniechen Zeit - die populäre Ideologie und eine ideologische Deutung der römischen Geschichte. Auf Grund aller dieser Tatsachen kann die popularis ratio mit vollem Recht als eine besondere Methode politischen Handelns bezeichnet werden. Zwar hat es auch schon in der klassischen Republik Versuche gegeben, mit der Volksversammlung gegen den Willen der Senatsmehrheit zu agieren, aber erst in der späten Republik wurde diese Art politischen Handelns durch systematischen Ausbau zur eigentlichen popularis ratio.
-220II. Die popularis ratio als Konstitutivum für den populären Politiker und ihre Bedeutung in der späten Republik. Da sich unter den dargestellten Komponenten populärer Politik fast nichts findet, was zu den eigentlichen Zielen der als Populären bezeichneten Politiker gerechnet werden kann eine Ausnahme bilden lediglich einige Gesetze der Gracchenzeit (vgl. oben I l,a), die aber teilweise erst später zu populären Gesetzen gemacht wurden -, ist der Schluß erlaubt, daß das eigentliche Konstitutivum für den populären Politiker die populäre Methode war. Mit dieser Erkenntnis ist zugleich eine enge Begrenzung des Aussagewerts der Kategorie "popularis" gegeben, zumal sich bei keinem Populären die Anwendung der popularis ratio auf demokratische Zielvorstellungen zurückführen läßt. Dennoch scheint mir die Kategorie "popularis" für die Erkenntnis der späten Republik wesentlich zu sein, und zwar aus folgenden Gründen; Rein äußerlich nahm die popularis ratio mit allen ihren Begleiterscheinungen einen breiten Raum im politischen Leben der späten Republik ein. Die Römer selbst haben in ihrer Anwendung ein wichtiges Kriterium zur Unterscheidung der stadtrömischen Politiker gesehen, und die politische Terminologie, insbesondere die politische Polemik der späten Republik war weitgehend von dem Gegensatz zwischen denen, die über die Volksversammlung vorgingen, und denen, die in Übereinstimmung mit der Senatsmehrheit handelten, beherrscht. Welche Bedeutung man der populären Methode beimaß, zeigt sich schließlich auch darin, daß ein wichtiger Teil der sullanischen Neuordnung dem Ziel gewidmet war, diese Methode für die Zukunft zu unterbinden. So manifestiert sich in den Auseinandersetzungen um die popularis ratio die tiefe Spaltung, welche die Nobilität der späten Republik kennzeichnet. Man kann aber noch einen Schritt weitergehen. Die vorsullanischen Reformtribunen haben mit der Volksversammlung gegen die Senatsmehrheit zusammengearbeitet, um bestimmte sachliche Anliegen durchzusetzen. Diese Anliegen widersprachen teilweise - so die Bürgerrechtsverleihungen an die socii - den überkommenen stadtstaatlich-aristokratischen Traditionen. Die Bürgerrechtsverleihung mußte außerdem, besonders wenn die Neubürger auf alle Tribus verteilt wurden,
-221notwendig das Gewicht rioms und damit auch das der römischen Aristokratie herabmindern. Es ist deshalb verständlich, daß sich die Mehrheit der Nobilität solchen Maßnahmen widersetzte. Dennoch konnte Rom angesichts seines Weltreiches kein Stadtstaat bleiben. Ein anderes Beispiel, an dem sich der Konflikt zwischen der stadtstaatlich-aristokratischen Struktur Roms und den Anforderungen des Weltreiches zeigte, waren die extraordinaria imperia des Pompeius von 67/66. Sie gaben einem Einzelnen eine Macht, gegenüber der jede Kontrolle der Aristokratie illusorisch wurde. Auch hier hat deshalb die Aristokratie Widerstand geleistet, obwohl die Kommanden sachlich völlig gerechtfertigt waren. Im ^e* brauch der popularis ratio zur Durchsetzung der genannten Maßnahmen - Ähnliches gilt 2.B. für die Veteraxienversorgung - stellte sich demnach ein für die späte Republik charakteristisches Strukturproblem der aristokratischen Herrschaft dar. III. Der Beginn, das Ende und die Kontinuität populärer Politik. Die Frage nach dem beginn populärer Politik hat sich durch die vorangehende Darstellung von selbst entschieden. Wenn die popularis ratio das Konstitutiven für den populären Politiker ist, dann muß man den Beginn populärer Politik in der Gracchenzeit ansetzen, denn die populäre Methode ist in ihrer Grundstruktur bei den Gracchen ebenso wie bei Clodius vorhanden, wenn sie sich auch im einzelnen in der nachsullanischen Zeit stark verfestigt hat. Dennoch könnte Ciceros Anwendung der Kategorie "popularis" auch auf die vorsullanische Zeit eine Rückprojektion bedeuten, da Cicero ja immer die Inhalte des Begriffs zugrundelegt, die dieser in den 60er und 50er Jahren des ersten Jahrhunderts erhielt. So hat Cicero in der Sestiana alle Populären von L. Cassius bis in seine Zeit im wesentlichen als gleich charakterisiert. Er versteht sie als auf die Zustimmung der Menge bedachte Demagogen, deren politisches Handeln im ^runde nur aus "seditio" besteht. Sachliche Anliegen billigt er ihnen nirgends zu. Ihre Acker- und Getreidegesetze werden ohne Unterschied als "largitiones" dargestellt.
-222Zweifeilos trifft' das Bild, das Cicero hier zeichnet, auf einen guten Teil der nachsullanischen Wirklichkeit zu. Die letzten Jahrzehnte der Republik waren tatsächlich durch das Fehlen sachlicher Anliegen, durch Demagogie und durch das oft ziellose Machtstreben Einzelner charakterisiert. Dagegen läßt sich Ciceros Bild auf die vorsullanischen Populären, insbesondere auf die großen Reformtribunen, nicht anwenden. Im Hinblick auf die politischen Ziele der Populären gibt es keine Kontinuität, die sich über die ganze späte Republik erstreckt. Man wird deshalb annehmen dürfen, daß Cicero sich bei seiner Deutung aller Populären am Modell der Populären seiner eigenen Zeit ausgerichtet hat. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, noch einmal die Frage nach der Entstehung des politischen'Begriffs popularis zu stellen. Er läßt sich sicher erst im Jahre 70 nachweisen. In der Schrift des "auctor ad Herennium", die aus den 80er Jahren stammt, begegnet er nicht, obwohl diese Schrift an vielen Stellen innenpolitische Auseinandersetzungen beschreibt. In den ersten Zeugnissen Ciceros bis zur Quinctiana ist der.Begriff wenig festgelegt. Er kann dort immer durch "demagogisch" oder "populär" übersetzt werden, während das von den Zeugnissen des Jahres 63 ab nicht mehr ausschließlich möglich ist. Der Bedeutungsinhalt des Begriffs weitet sich da entsprechend der politischen Wirklichkeit aus. Selbst wenn man deshalb die Existenz des politischen Begriffs auch schon vor 70 annimmt - eine sichere Entscheidung ist angesichts der Quellenlage nicht zu treffen -, ist es wahrscheinlich, daß er seine eigentliche politische Ausformung erst in den innenpolitischen Auseinandersetzungen der 60er und beginnenden 50er Jahre erhalten hat, in denen die innenpolitischen Gegensätze sich verfestigten. Es geht deshalb nicht an, den Begriff popularis in allen seinen Bedeutungsinhalten, die er bei Cicero hat, auf die vorsullanische Zeit zu übertragen.
1) Hier sei noch einmal das Fragment Accius, Pragmatica 23M erwähnt: "... describere in theatro perperos/ populares". Der Satz betrifft wahrscheinlich griechische Verhältnisse, und es wäre möglich, daß der Begriff popularis hier für den griechischen Demagogen gebraucht wird. Vielleicht ist sogar der römische politische Begriff durch solche Übersetzungen entstanden, aber hier ist natürlich alles reine Vermutung.
-223Die populäre Politik lief in der zweiten Hälfte der 50er Jahre des 1. Jahrhunderts aus, Sie überlebte sich, weil angesichts der machtpolitischen. Verhältnisse dieser Zeit kein Platz mehr für sie blieb. In der Herrschaft Caesars hat sie keine Rolle mehr gespielt. Ein letztes Mal wurden die populären Schlagworte in den unsicheren Monaten nach Caesars Ermordung gebraucht. IV. Die Populären und die späte Republik. Bevor man fragt, welche Bedeutung die Populären für die späte Republik gehabt haben, ist es gut, sich die Verschiedenartigkeit des Phänomens noch einmal durch die wichtigsten Namen ins Gedächtnis zu rufen. Zu den Populären gehörten die Gracchen, Marius, Saturninus, Sulpicius, Pompeius, Crassus, Caesar und Clodius. Drei verschiedene Typen schälen sich unter ihnen heraus: der Reformtribun, der Demagoge und der nach persönlicher Macht strebende Feldherr und Politiker. Zeitlich zuerst traten die großen Reformtribunen auf; der populäre Feldherr und der Demagoge begegnen zum erstenmal in Marius und Saturninus fast gleichzeitig. Grenzen wir die Bedeutung der Genannten zunächst negativ ab: Die Populären waren keine Revolutionäre. Es hieße den Begriff Revolution völlig verwässern und für die historische Erkenntnis unbrauchbar machen, wollte man ihn auf eine Erscheinung anwenden, in der weder eine revolutionäre Klasse noch ein revolutionäres Ziel eine Rolle spielten. Die Populären hielten sich zwar zum größten Teil nicht mehr an die Ordnungen der klassischen Republik, aber sie gingen auch nicht grundsätzlich über sie hinaus. Etwas Neues wird nur bei Caesar in dessen Spätzeit sichtbar, aber auch hier han- delte es sich nicht um eine Revolution. Die Populären waren ferner auch keine Demokraten. Wenn sie mit der Volksversammlung gegen die Opposition der Senatsmehrheit zusammenarbeiteten, dann haben sie das Volk nur als politisches Mittel benutzt. Niemals wurde .aber ein entscheidender Schritt zur Zerschlagung des Senats und der Magistrate unternommen, was die unbedingte Voraussetzung für die Einführung einer Demokratie in Rom gewesen wäre. Schließlich haben die Populären auch nicht, wie ihnen schon von ihren Zeitgenossen vorgeworfen wurde, nach dem "regnum" gestrebt. Sofern persönliche Macht ihr eigentliches Ziel
war, h i e l t s i c h d i e s e s Z i e l i m Rahmen d e r Republik: Man w o l l t e e i n e hervorragende S t e l l u n g i n n e r h a l b der ~ o b i l i t ä t und bestimmenden ~ i n f l u auf i d i e P o l i t i k , aber man w o l l t e d a s a r i s t o k r a t i s c h e System n i c h t g r u n d s ä t z l i c h umkehren. Die iiesamt&scheinung *Popularen4' l ä ß t s i n h schwer u n t e r e i n e ganz bestimmte Kategorie f a s s e n . Am hesten kann man s i e . w o h l a l l g e n e i n c h a r a k t e r i s i e r e n , wenn man s a g t , daß s i c h i n i h r i n besonderer Weise das S c h e i t e r n der s p ä t e n Republik d a r s t e l l t . Die l e t z t e und e f g e n t l i c h e Ursache f ü r den Untergang d e r römischen Republik war, wieM. Gelzer mehrfach betont h a t , d a s Ungenügen d e r stadtstaatiich-aristokratischen Ordnung Roms gegenüber den Anforderungen d e s Weltreichs. Auch d i e E x i s t e n z des Agrarprohlems, d a s s e i n e Wurzel i n d e r h e r beanspruchung d e r K r ä f t e des römischen Bauerntums h a t t e , u n d d e r Bundesgenoasenfrage e r k l ä r t s i c h aus diesem Zwlespalt. Die Lösung b e i d e r Probleme b i l d e t e das z e n t r a l e Anliegen d e r popularen ~ e f o r m t r i h u n e nvor S u l l a , d i e e s demnach schon vom Thema i h r e r P o l i t i k h e r m i t den besonderen Schwier i g k e i t e n d e r s p ä t e n Republik zu t u i h a t t e n . . ., ~
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Die Reformtribunen wurden nur deshalb zu Popularen, w e i l ~. s i c h d i e Senatsmehrheit jeder größeren Reform w i d e r s e t z t e . i n s o f e r n durch e i n i g e d i e s e r Reformen wie e t w a d u r c h d i e V e r t e i l u n g d e r Neubiirger auf a l l e Tribus - d e r E i n f l u ß d e r römischen H e r r s c h a f t s i c h i c h t herabgemindert aurde und desh a l b d e r Widerstand d e r Mehrheit d e r N o b i l i t ä t v e r s t ä n d l i c h ist, o f f e n b a r t s i c h i n d e r Anwendung d e r p o p n l a r i s r a t i o zur.DI1rchsetitung d i e s e r notwendigen Reformen d i e s t r u k t u r e l l e Schwäche d e r a r i s t o l < r a t i s c h e n H e r r s c h a f t in d e r s p ä t e n Republik ( v g l . oben 11). Dan Gleiche g i l t f i i i d a s A u f t r e t e n d e r g r o ß e n popularen Feldh e r r n . S i e waren zwar a l l e von starkem persönlichem Ehr-
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g e i z besessen, a b e r s i e konnten nur hochkommen, w e i l Aufgaben vorhinden w a r e n , d e r e n Durchführung ihnen e i n e über d a s a r i s t o k r a t i s c h e Normalmaß hinausgehende Macht i n d i e Hand gab. D a d i e Reformtribunen b e i d e r Durchsetzung i h r e r Rogationen auch l e g a l e Formen d e s Widerstands d e r Senatsmehrheit um d e r S a c h e w i l l e n beiseitegeschoberi, d.h. gegen p o l i t i s c h e T r a d i t i o n e n und Gesetze verstoBen haben, wurden s i e als
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-225Reformer zu aktiven Desintegrationsfaktoren im römischen politischen Leben, In der "zweiten Stufe" populärer Politik haben sich dann Demagogen und populäre Feldherrn die Erfahrungen der Reformer zunutze gemacht. Angesichts ihres persönlichen Ehrgeizes gab es für sie in der Wahl ihrer Mittel keine Grenzen mehr. Die Geschichte der Destruktion der politischen und sozialen Ordnung der spaten Republik ist deshalb weitgehend identisch mit der Geschichte populärer Politik, wenn auch die eigentliche Ursache für diesen Destruktionsvorgang sachlicher Natur ist und nicht in der "audacia" der populären Reformtribunen als der Erfinder der popularis ratio gesucht werden darf. Bei der bisherigen Betrachtung bildete das "Nicht mehr", d.h. die Auflösung politischer und sozialer Ordnungen der Vergangenheit, den Maßstab des Verständnisses der Populären. Obwohl das insofern der Wirklichkeit angemessen ist, als kein Popular - Caesar vielleicht ausgenommen — bewußt eine neue Ordnung im politischen Bereich erstrebt hat, kann man bei einer solchen Betrachtung nicht stehen bleiben. Ein wichtiger Teil der Geschichte populärer Politik gehört zur Vorgeschichte der Monarchie in Rom, Da die bekannten Populären sämtlich der Nobilität angehörten oder im Dienst von Nobiles wirkten, bedeutete ihr Handeln, die jeweilige-Anwendung der popularis ratio - im Rahmen der römischen Herrschaftsordnung jeweils faktisch ein Durchbrechen der aristokratischen Gleichheit. Bedenkt man, daß die Anwendung der popularis ratio teilweise strukturell bedingt war (vgl. oben), so deutete sich im Handeln der Populären schon die spatere monarchische Lösung der Probleme der späten Republik an. Zum Durchbrechen der aristokratischen Gleichheit bedurften die Populären der Mithilfe des Volkes, das durch populäre Gesetzesvorschläge gewonnen wurde. Seit der Heeresreform des Marius kam als weitere Möglichkeit populären Handelns der Einsatz der dem Feldherrn persönlich verpflichteten Veteranen hinzu, die nichts anderes als die "militarisierte Form" des Volkes der Gracchenzeit waren. Mit dem dauernden Auftreten populärer Tribune, die das Volk zu sich herüberzogen, und mit der Umwandlung des römischen Heeres in ein personliches Gefolgschaftsheer vollzog sich eine Auflösung
-226der alten Klientelbeziehungen, die das Volk gleichmäßig an die Nobilität gebunden hatten und die eine der wichtigsten Voraussetzungen zur Wahrung der aristokratischen Gleichheit in der, klassischen Republik gewesen waren. Durch die populäre Politik wurde so das Volk geschaffen, das Augustus später als ganzes zu seiner Klientel machen konnte. Die späte Republik stellt sich dem heutigen Betrachter als eine Übergangsepoche dar. Solche Übergangsepochen sind wesentlich gekennzeichnet durch den Verlust des Alten, aber auch durch etwas Neues, das - bewußt oder unbewußt - schon gegenwärtig ist, ohne bereits seine volle Gestalt zu gewinnen. Mir scheinen die Populären ein typischer Ausdruck der späten Republik als einer Übergangszeit zu sein.
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Lebenslauf Als Sohn des Bankangestellten Rudolf Martin und seiner Ehefrau Luzie, geb. Bormke, wurde ich am 26. Dezember 1936 in Peiskretscham, Kr. Gleiwitz/OS, geboren. Ich gehöre der römisch-katholischen Kirche an. Von 1943 bis 1947 besuchte ich die Volksschule in Peiskretscham , Oberempfenbach, Kr. Mainburg, und in Neufelderkoog, Kr. SÜderdithmarschen. Ostern 1947 trat ich in das Gymnasium zu Marne ein und bestand dort Ostern 1956 das Abitur. Vom Sommerseraester 1956 bis zum Sommersemester 1961 studierte ich an den Universitäten Kiel, Tübingen und Freiburg Geschichte und Latein. Ich hörte Vorlesungen und besuchte Übungen bei den Herren Professoren und Dozenten Bender, Bergstraesser , Blumenberg, Bollnow, Büchner, Burck, Dannenbauer, Erdmann, Eschenburg, Fink, Fleckenstein, Freund, Fuhrmann, Haeuptner, Hassinger, Hauser, Jens, Jordan, Koestermann, Kroymann, Lohmann, Maier, Mierke, Möller, Müller, Naujoks, Nesselhauf, Ritter, Rothfels, Schadewaldt, Scharff, Schuchhardt, Schulz, Schweitzer, Teilenbach, Vittinghoff, Vogt, Weinreich, Wimmel und Zinn. Ihnen alle möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Besonders dankbar bin ich Herrn Professor Nesselhauf, der mein Studium und diese Arbeit durch vielfältige Anregungen sehr gefördert hat.