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German Pages 253 Year 2001
Britta Kley · Unmöglichkeit und Pflichtverletzung
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 257
Unmöglichkeit und Pflichtverletzung Die Funktion der Unmöglichkeitstatbestände im BGB und der Reformversuch der Schuldrechtskommission
Von Britta Kley
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Kley, Britta: Unmöglichkeit und Pflichtverletzung : die Funktion der Unmöglichkeitstatbestände im BGB und der Reformversuch der Schuldrechtskommission / Britta Kley.- Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum bürgerlichen Recht ; Bd. 257) Zugl.: Trier, Univ., Diss., 2001 ISBN 3-428-10582-6
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-10582-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2000/2001 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Trier als Dissertation angenommen. Das Thema der Arbeit ging aus einem von Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann an der Universität Trier im Wintersemester 1994/1995 geleiteten Seminar zum Schuldrechtsreformvorschlag von 1992 hervor. Die vorliegende Dissertation steht in engem Zusammenhang mit einigen weiteren Doktorarbeiten zur Schuldrechtsreform, die ebenfalls ihren Ursprung in jenem Seminar haben und ebenfalls in der Reihe ,Schriften zum Bürgerlichen Recht' erschienen sind bzw. in Kürze erscheinen werden. Es sind dies die Arbeiten von U. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht - eine kritische Untersuchung der Reformvorschläge der Schuldrechtskommission, 1997; W. Reinhardt, Die Gefahrtragung beim Kauf - unter besonderer Berücksichtigung der Regelungsvorschläge des Schuldrechtsreformentwurfs, 1998; H. Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999; K. Kuhlmann, Leistungspflichten und Schutzpflichten - ein kritischer Vergleich des Leistungsstörungsrechts des BGB mit den Vorschlägen der Schuldrechtskommission, 2001; K.Herold, Das Rückabwicklungsschuldverhältnis aufgrund vertraglichen oder gesetzlichen Rücktritts - eine kritische Betrachtung des geltenden Rechts im Vergleich mit dem Reformentwurf der Schuldrechtskommission, 2001; J. Rödl, Die Spannung der Schuld - welches Maß an geistiger, körperlicher und wirtschaftlicher Kraft hat der Schuldner zur Erfüllung der Schuld nach geltendem Recht und dem Reformentwurf der Schuldrechtskommission einzusetzen? Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Horst Ehmann für die Anregung des Themas und dafür, daß er mich während der Arbeit durch viele Diskussionen und Aufmunterungen unterstützte.
Düsseldorf, im Juni 2001
Britta Kley
Inhaltsverzeichnis §1: Einleitung
13
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
17
I. Das System der drei Haftungstatbestände
17
1. Die Unmöglichkeit
17
2. Der Verzug
18
3. Die positiven Vertragsverletzungen
19
4. Die Funktion der Unmöglichkeit im System der drei Haftungstatbestände
22
a) § 280 BGB als Haftungstatbestand
22
b) § 275 I BGB als Befreiungstatbestand für den Schuldner
23
II. Der weite Unmöglichkeitsbegriff.
24
1. Die teilweise Unmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht
24
2. Die teilweise Unmöglichkeit in örtlicher Hinsicht
26
3. Die teilweise Unmöglichkeit in qualitativer Hinsicht
26
4. Die teilweise Unmöglichkeit hinsichtlich anderer Modalitäten
27
5. Hintergrund des weiten Unmöglichkeitsbegriffs
28
6. Anwendung des weiten Unmöglichkeitsbegriffs auf die Fälle Staubs
29
7. Die Funktion der Unmöglichkeit bei Zugrundelegen des weiten Unmöglichkeitsbegriffs
30
III. Das System Jakobs
31
1. Nichterfüllungstatbestand als Haftungsgrundnorm für Erfüllungsschäden
32
2. Pflichtverletzungstatbestand als komplementäre Haftungsnorm für Integritätsschäden
34
3. Anspruchskonkurrenz bei Schlechterfüllung
35
4. Anwendung des Systems der Nichterfüllung auf die Fälle Staubs
36
5. Funktion der Unmöglichkeit im System Jakobs
37
a) § 280 BGB als Befreiungsgrund für den Gläubiger
38
8
Inhaltsverzeichnis b) Das in § 275 BGB niedergelegte Prinzip der Befreiung des Schuldners und die Perpetuierung der Leistung 39 IV. Das System der allgemeinen Culpa-Haftung
40
1. Der Haftungstatbestand des § 224 Ε1
41
2. Die Culpa als Haftungsgrund im BGB
43
a) Die Vorstellung der Gesetzesverfasser
43
b) Die Interpretation des Reichsgerichts
45
c) Literaturansichten
46
3. Die Fälle Staubs im System der Culpa-Haftung
47
4. Funktion der Unmöglichkeit
48
a) § 275 I BGB als Redundanz
49
b) § 280 BGB als Umschalttatbestand
50
V. Kritik der Systeme
51
1. Die Lehre von den drei Haftungstatbeständen
51
a) Die Gesetzesauslegung durch Staub
51
b) Die Analogie zu §§ 280,325,286,326 BGB
54
c) Die heute h.M
55
2. Der weite Unmöglichkeitsbegriff.
56
3. Das System von Jakobs
58
4. Die allgemeine Culpa-Haftung im BGB
60
a) Schutz- und Leistungspflichten
61
b) Funktion von Schutz- und Leistungspflichten im System der allgemeinen Culpa-Haftung
62
aa) Die Bedeutung der Schutzpflichten 4
bb) Der Anspruch auf »Einhaltung der Schutzpflichten
63 64
cc) Rechtsgrund der Schutzpflichten und ihr Verhältnis zum Schutzanspruch 65 VI. Fazit
66
1. Das System der nachträglichen Leistungsstörungen
66
2. Die Funktion der Unmöglichkeit
67
a) Die Umschaltfunktion des § 280 I BGB
67
b) Die Bedeutungslosigkeit des § 275 BGB
68
Inhaltsverzeichnis
§ 3: Die Verschleierung der Funktion der Unmöglichkeitstatbestände I. Der Einfluß des römischen Rechts auf das BGB 1. Die Bedeutung der Unmöglichkeit im klassischen römischen Recht und im Formularprozeß
9
71 71 72
a) Die bonae fidei iudicia
72
b) Die strengen Klagen
74
2. Das Corpus Iuris Justinians
75
3. Das römische Recht als Wurzel des BGB
76
II. Die (v)erkannte Bedeutung der Schutzpflichten III. Der Vorrang der Primärleistung und die perpetuatio obligationis
80 85
1. Die Perpetuatio Obligationis in der Unmöglichkeitslehre Mommsens und seine Kritik durch Windscheid
86
2. Die perpetuatio obligationis im BGB
88
a) Das ungeklärte Verhältnis von ErfÜllungs- und Ersatzanspruch b) Die perpetuatio obligationis und die Celsus-Regel „impossibilium nulla est obligatio" 3. Der Vorrang des Erfüllungsanspruchs IV. Konsequenzen für das Verständnis der §§ 275 ff. BGB
....88 92 95 96
1. Bezüglich § 275 BGB
96
2. Bezüglich §280 BGB
98
3. Bezüglich § 283 BGB
99
a) Die Rechtsprechung zu § 283 BGB
99
b) Die Kritik an dieser Rechtsprechung
101
c) Die Funktion des § 283 BGB
104
§ 4: Das Unvermögen im System der nachträglichen Leistungsstörungen I. Das Unvermögen als Form der Unmöglichkeit 1. Voraussetzungen des Unvermögens
106 106 106
2. Rechtsfolgen des Unvermögens
107
3. Die Bedeutung der §§ 275 II, 279 BGB nach dieser Ansicht
108
a) §275 II BGB
108
b) §279 BGB
108
aa) § 279 BGB als Ausnahme zu § 275 II BGB
109
Inhaltsverzeichnis bb) § 279 BGB als Auslegungshilfe
109
cc) § 279 BGB als Vertretenmüssensregel
110
II. Leistungsbefreiung nur bei unverschuldetem Unvermögen
111
III. Das Unvermögen als entbehrliche Kategorie der Leistungsstörungen
112
1. Unvermögen als vorübergehende Unmöglichkeit?
115
2. Unvermögen als Leistungserschwerung
117
a) Die Grenze der Leistungspflicht bei Leistungserschwerungen
119
b) Das Vorgehen des Gläubigers bei Leistungserschwerungen
126
3. Die Bedeutung der §§ 275 II ff. BGB
127
a) § 275 II als Redaktionsversehen
127
b) § 279 BGB als Prinzip
130
4. Abgrenzung zur Geschäftsgrundlage
131
IV. Fazit
132
Die Unmöglichkeit im System der anfänglichen Leistungsstörungen
133
I.
133
Die objektive Unmöglichkeit 1. § 306 BGB als gesetzliche Regelung des Grundsatzes Jmpossibilium nulla est obligatio" von Celsus 2. Durchbrechung dieses Grundsatzes
133 134
a) Durch rechtsgeschäftliche Garantieübernahme
134
b) Durch gesetzliche Annahme einer stillschweigenden Garantie
135
aa) Forderungskauf.
135
bb) Sachmängelhaftung beim Kauf
136
cc) Mietrechtliche Gewährleistung
137
3. Kritik an §306
139
4. Verbesserungsvorschläge in der Literatur
140
a) Die Rückbeziehung leistungsbezogener Schutzpflichten
141
b) Die eingeschränkte Garantiehaflung
142
5. Stellungnahme
144
6. Haftungstatbestand und Haftungsumfang bei anfänglicher Unmöglichkeit 145 7. Die Motivation der Gesetzesverfasser
148
8. Eingrenzung der Vertrauenshaftung
150
9. Fazit
151
11
Inhaltsverzeichnis II. Das anfängliche Unvermögen/die anfängliche Leistungserschwerung
152
1. Garantie für das Leistungsvermögen
153
2. Kritik an der Garantielösung
154
a) Die Anwendung der Regeln über das nachträgliche Unvermögen... 154 b) Die eingeschränkte Garantiehaftung
155
c) Die Haftung aufgrund einer,Normalgarantie
4
156
3. Culpa in contrahendo bei anfänglichem Unvermögen
156
4. Das Unvermögen als Leistungserschwerung
160
III. Funktion der Unmöglichkeit als anfängliche Leistungsstörung
161
§ 6: Die Unmöglichkeit im System des Kommissionsentwurfs
163
I. Die Dogmatik des allgemeinen Leistungsstörungsrechts im KE
163
II. Die Regeln des Kommissionsentwurfs im einzelnen
166
1. Der Grundtatbestand der Pflichtverletzung in § 280 I BGB-KE
166
2. Die Grenze der Leistungspflicht in § 275 BGB-KE
170
3. Die Haftungsverschärfung fur Beschaffungshindernisse in § 279 BGB-KE 173 4. Der Vorrang richterlicher Vertragsanpassung gem. § 306 BGB-KE
174
5. Das Umstellen auf die Sekundärebene des Schuldverhältnisses nach §§ 280 II, 283 BGB-KE 176 III. Die anfänglichen Leistungsstörungen im KE 1. Die Zusammenfassung anfänglicher stungsstörungen in § 280 BGB-KE
183 und nachträglicher
2. Anfängliche Leistungsstörungen in § 306 BGB-KE
Lei183 189
IV. Leistungsstörungen bei gegenseitigen Verträgen nach dem KE
190
V. Weiterentwicklung des Entwurfs
192
VI. Der Einfluß des Schuldrechtsentwurfs von 1936
197
§ 7: Internationale Dimension der Schuldrechtsreform I.
Schuldrechtsreform und Vereinheitlichungsbemühungen der EU
II. Der deutsche Schuldrechtsentwurf im europäischen Vergleich 1. Die Haftungstatbestände a) Breach of Contract des englischen Rechts
202 203 205 206 206
12
Inhaltsverzeichnis b) La incursión de dolo ο negligencia en el cumplimiento de las obligaciones: Art. 1.101 des spanischen Código Civil 208 c) Failure to perform an obligation under the contract: Art. 3.101 Principles of European Contract Law (PECL) 209 d) Vergleich
210
2. Die Grenze der Leistungspflicht
212
a) Discharge of contract als regelmäßige Folge eines breach of 212 contract im englischen Recht b) La prestación demasiado onerosa ο gravosa al deudor c) Unreasonable effort 4.102 (2) (b) PECL
or
expense
of
performance:
d) Vergleich 3. Der Übergang auf die Sekundärleistung
213 Art. 214 215 216
a) Damages als ordinary remedy im englischen Recht
216
b) Carâcter subsidiario de la responsabilidad
217
c) Right to damages: Art. 4.501 PECL
218
d) Vergleich
219
4. Anfängliche Leistungsstörungen
220
a) Mistake oder breach of contract bei anfänglicher Unmöglichkeit im englischen Recht 220 b) No podrân ser objeto de contrato las cosas ο servicios imposibles: Art. 1.272 des spanischen Código civil 221 c) Initial Impossibility: Art. 6.102 PECL
223
d) Vergleich
224
III. Fazit
225
§ 8: Zusammenfassung in Thesen
227
Literaturverzeichnis
231
Sachwortverzeichnis
250
§ 1: Einleitung Fast der gesamte deutsche Wirtschaftsverkehr beruht auf privaten Rechtsgeschäften, die sich - soweit sie nicht dem Recht anderer Nationen oder dem UNKaufrecht unterstehen - nach den im BGB enthaltenen Regeln des deutschen Schuldrechts, insbesondere nach denen des allgemeinen Schuldrechts richten. Innerhalb dieses Regelungskomplexes, der die vertragliche Haftung bestimmt, nehmen die Vorschriften über die Unmöglichkeit eine zentrale Stellung ein. Bedeutung und Funktion der Unmöglichkeitstatbestände sowie ihre Beziehung zu den Verzugsvorschriften und zu dem im BGB nicht geregelten Institut der positiven Vertragsverletzung sind allerdings seit in Kraft treten des BGB bzw. seit Einführung der pVV in Wissenschaft und Lehre heillos umstritten. Über dieses ungewisse dogmatische Fundament kann auch die seit Jahrzehnten feststehende herrschende Lehre, die in § 280 BGB einen Haftungstatbestand und in § 275 BGB einen Befreiungstatbestand erblickt, nicht hinwegtäuschen. Immer wieder stehen Auslegung und Anwendbarkeit der Unmöglichkeitsvorschriften im Mittelpunkt der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion.1 Anfang der 90er Jahre hat die Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts2 festgestellt, daß die zentrale Stellung der Unmöglichkeitsvorschriften im deutschen Schuldrecht zugleich ihren zentralen Mangel darstellt. Mit dem Begriff der Unmöglichkeit wurde der Kommission zufolge ein seltener und nur bei bestimmten Schuldverhältnissen auftretender Fall in den Mittelpunkt des Leistungsstörungsrechts gestellt und damit überbewertet. Auch die vom BGB vorgenommene Unterteilung dieses Begriffs in anfängliche, nachträgliche, objektive, subjektive, vollständige, teilweise Unmöglichkeit hielt man für verwirrend und mißglückt, nicht zuletzt, weil immer zu unterscheiden ist, ob sie vom Schuldner, vom Gläubiger, von beiden Vertragsparteien oder nur von einer zu vertreten ist.3 Um diese und einige andere festgestellte Mängel im allgemeinen
1
So ζ. B. bei Huber, FS für Gaul, 1997, S. 217-248; dersLeistungsstörungen, Bd. I und II, 1999, insbes. § 4, S. 96 ff.; Wagner, JZ 1998, S. 1-8; Wieling, FS für Sturm. 2
Zu Geschichte und Entwicklung der Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts vgl. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, 1997, § 2, S. 24-30. 3 Vgl. Abschlußbericht, S. 16.
§ 1 : Einleitung
14
Leistungsstörungsrecht zu beheben, schlägt die Kommission vor, den Begriff der Unmöglichkeit ganz aus dem BGB zu streichen. Als zentralen Begriff des Leistungsstörungsrechts will sie statt dessen die „Pflichtverletzung" im Rahmen eines einheitlichen Haftungsgrundtatbestands einführen. Dieser Haflungsgrundtatbestand soll diejenigen Funktionen erfüllen, die die h.M. bisher den Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug sowie dem außergesetzlichen Institut der pVV zugeschrieben hat.4 Der Vorschlag, einen einheitlichen Haftungsgrundtatbestand in das BGB einzuführen, der Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften sowie das außergesetzliche Institut der pVV ersetzten soll, löst natürlich zunächst die Frage aus, was sich die Verfasser des BGB bei der Schaffung insbesondere der §§ 275, 280 BGB ursprünglich gedacht haben, ob diese Regelungen wirklich den Ausgangspunkt für die vertragliche Haftung des Schuldners bilden sollten und ob auf der Grundlage der Pandektistik ein grundsätzliches, die vertragliche Haftung auslösendes Element tatsächlich nicht gefunden wurde. § 2 dieser Arbeit („Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen" S. 17 ff.) setzt sich mit diesen Fragen auseinander, indem die verschiedenen, bisher in der Literatur geäußerten Unmöglichkeitstheorien an den Vorstellungen der Gesetzesverfasser, die in den Motiven und Protokollen der Schuldrechtskommission bei Schaffung des BGB zum Ende des letzten Jahrhunderts festgehalten wurden, gemessen werden. Dabei stellt sich heraus, daß man dem BGB die schon im Gemeinen Recht verankerte Lehre der allgemeinen CulpaHaftung zugrunde legte. Diese Lehre sieht die Haftung des Schuldners immer durch einen schuldhaften Verstoß gegen eine vertragliche Schutzpflicht begründet. Auf die Erbringung der Primärleistung soll der Gläubiger aber trotz eines etwaigen Schutzpflichtverstoßes nur verzichten müssen, wenn sie dem Schuldner unmöglich geworden ist. Den Unmöglichkeitsvorschriften kommt mithin keine haftungsbegründende Funktion zu, sondern eine Umschaltfunktion von der Primär- auf die Sekundärebene des Schuldverhältnisses. Dieses Ergebnis löst die weitere Frage aus, wie es dazu kommen konnte, daß die Umschaltfunktion der Unmöglichkeitsvorschriften im Laufe der Zeit verkannt und von einer Funktion als Haftungs- und Befreiungstatbestand überlagert werden konnte. In § 3 dieser Arbeit („Die Verschleierung der Funktion der Unmöglichkeitstatbestände", S. 71 ff.) wird die Antwort nach eingehender Analyse der römisch-rechtlichen Grundlagen des BGB in der zu Anfang des Jahrhunderts noch nicht voll erkannten Bedeutung der Schutzpflichten sowie in dem damals noch unklaren Verhältnis zwischen ErfÜllungs- und Ersatzanspruch gefunden.
Vgl. Abschlußbericht, S.
.
§ 1 : Einleitung
15
Führt nun der Eintritt der Unmöglichkeit die vertragliche Haftung nicht herbei, sondern schaltet das Schuldverhältnis auf die Sekundärebene um, bleibt zu klären, wie sich das Unvermögen des Schuldners auf die vertragliche Verpflichtung auswirkt. Dabei werden in § 4 („Das Unvermögen im System der nachträglichen Leistungsstörungen, S. 106 ff.) die verschiedenen Literaturansichten zum Unvermögen anhand der bisher gefundenen Ergebnisse sowie der Motive und Protokolle der Schuldrechtskommission des BGB durchleuchtet. Dabei wird verdeutlicht, daß alle Fälle des sog. Unvermögens als solche der Leistungserschwerungen zu erfassen sind, die den Schuldner - gemessen an dem von Fall zu Fall zu ermittelnden Pflichtenkatalog des jeweiligen Schuldverhältnisses - gegebenenfalls übermäßig belasten. § 5 der Arbeit („Die Unmöglichkeit im System der anfänglichen Leistungsstörungen, S. 133 ff.) untersucht die gesetzlichen Vorschriften der anfänglichen Unmöglichkeit sowie die im BGB unerwähnten Regeln des anfänglichen Unvermögens. Dabei werden wieder die hierzu in der Literatur diskutierten Ansichten mit den bereits gefundenen Ergebnissen sowie den Absichten der Gesetzesverfasser verglichen. Schließlich finden die sich auf die Lehre der culpa in contrahendo stützenden Regeln der anfänglichen Leistungsstörungen, die durch Elemente der Garantiehaftung durchwirkt sind, ihre Bestätigung und Ergänzung durch die allgemeine Culpa-Haftung. Nachdem, aufbauend auf dem System der allgemeinen Culpa-Haftung, eine Vergleichsgrundlage für die nun von der Schuldrechtskommission vorgeschlagenen Änderungen des BGB gefunden ist, wird der Kommissionsentwurf in § 6 der Arbeit („Die Unmöglichkeit im System des Kommissionsentwurfs", S. 163 ff.) umfassend beurteilt. Dabei werden in erster Linie die zuvor herausgearbeiteten systemordnenden Kriterien als Maßstab herangezogen um den Haftungsgrundtatbestand, die Grenzen der Leistungspflicht, die Haftung für Beschaffungshindernisse, den Vorrang richterlicher Vertragsanpassung sowie die neuen Regelungen über die Schadensersatzverpflichtung zu untersuchen. Auf dieser Grundlage wird der Kommissionsentwurf sodann weiterentwickelt. In einem abschließenden § 7 („Internationale Dimension der Schuldrechtsreform", S. 202 ff.) werden die untersuchten Reformbestrebungen in einen europäischen Zusammenhang eingebettet. Da ein einheitliches europäisches Schuldrecht nur aus den nationalen Regelungen hervorgehen kann, werden die in dieser Arbeit herausgearbeiteten grundlegenden Prinzipien des deutschen Schuldrechts zum einen mit den entsprechenden britischen Regeln sowie mit dem spanischen Código Civil, also je einer Rechtsordnung aus dem Common-law- sowie aus dem romanischen Rechtskreis verglichen. Auch die als europäisches Modellgesetz entworfenen Principles of European Contract Law werden vergleichend herangezogen. Da durch eine Reform des deutschen Schuldrechts nach den in dieser Arbeit vorgeschlagenen Kriterien eine nicht unerhebliche
16
§ 1: Einleitung
Rechtsangleichung innerhalb Europas erreicht werden kann, kann auch ein nationales Reformvorhaben die Europäische Vereinigung und die Schaffung eines europäischen Zivilgesetzbuches vorantreiben.
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen Die Vorschriften des allgemeinen Schuldrechts des BGB lassen sich aufgrund ihrer notwendigerweise sehr abstrakten Formulierung auf viele verschiedene Arten und Weisen interpretieren. Ihre konkrete Funktion und Bedeutung hängt immer auch von der Perspektive des jeweiligen Betrachters ab. Dabei darf man das Ziel dieser Vorschriften, die Suche nach einem gerechten4 Interessenausgleich der beteiligten Parteien bei einer Störung ihres vertraglichen Verhältnisses nie aus den Augen verlieren.
I. Das System der drei Haftungstatbestände Nach heute h.M. lassen sich die Fälle der nachträglichen Leistungsstörungen - soweit sie einen Schadensersatzanspruch nach sich ziehen - drei verschiedenen Tatbeständen zuordnen: der Unmöglichkeit, dem Verzug und der im BGB angeblich ungeregelt gebliebenen positiven Vertragsverletzung (pVV).1
1. Die Unmöglichkeit Die in den §§ 275, 280-283, 323-325, 327 BGB geregelte Unmöglichkeit soll dabei in objektive und subjektive sowie zu vertretende und nicht zu vertretende Unmöglichkeit eingeteilt werden. Sie soll Fälle erfassen, in denen die Leistung entweder von niemandem oder nur vom Schuldner nicht erbracht werden kann: das verkaufte Auto erleidet noch vor Übergabe an den Käufer einen Totalschaden, bzw. es wird für einen höheren Preis an einen Dritten verkauft und diesem sofort übergeben. Diese Unerbringbarkeit der Leistung hat
1
Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, §4212 Rdz. 307-310, S. 213-215, § 42 IV Rdz. 314, S. 217; Medicus, Schuldrecht I, §2811-111, Rdz. 294-297; ders., Bürgerliches Recht, Rdz. 306, S. 217; Brox, Allgemeines Schuldrecht, § 18 Rdz. 215, S. 126; Lorenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I: Allgemeiner Teil, §§ 22-24, S. 320-387; PalandtHeinrichs, vor § 275 Rdz. 3-4, § 276 Rdz. 104; SoergeX-Wiedemann, vor § 275 Rdz. 3; Staudinger-Löwwc/i, vor §§ 275 ff., Rdz. 2; grundlegend BGHZ 11, 80, 83. 2 Kley
18
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
dann entweder der Schuldner, der Gläubiger oder keiner von beiden zu vertreten: das verkaufte Auto erleidet den Totalschaden ζ. B. aufgrund eines vom Verkäufer verschuldeten Unfalls, weil der Käufer den Unfall selbst schuldhaft verursacht hat, oder bei einem von einem Dritten verschuldeten Unfall; es kann auch von einem Dritten gestohlen worden sein, obwohl der Verkäufer das Fahrzeug abgeschlossen in einer Garage abgestellt hatte. Dabei läßt sich insbesondere an der Auslegung der Vorschriften über die Teilunmöglichkeit (§§ 280 II; 283 II, 307 II, 323 12. HS, 325 12 BGB) deutlich erkennen, daß die h.M. von einem rein gegenständlichen Begriff der Unmöglichkeit und damit von einem engen Leistungsbegriff ausgeht.2 Teilunmöglichkeit setzt voraus, daß die Leistung nach ihrem Gegenstand teilbar ist: eines von zwei verkauften Autos kann ζ. B. nicht mehr an den Käufer übergeben werden. Sie kann also nur vorliegen, wenn sich ein Ausschnitt aus der ursprünglich geschuldeten Leistung nur der Größe, nicht aber der Beschaffenheit nach von dem noch möglichen Teil unterscheidet. Ist die konkrete Leistung unmöglich und damit die Erfüllung des Schuldverhältnisses im engeren Sinne ausgeschlossen, so ist der Schuldner gem. § 275 I BGB von seiner Pflicht, diese konkrete Leistung zu erbringen (Primärleistungspflicht) befreit. Dies soll nach h.M. trotz des ,entgegenstehenden' Wortlauts auch dann gelten, wenn der Eintritt der Unmöglichkeit vom Schuldner zu vertreten ist, denn § 280 I BGB soll der Pflicht des Schuldners bei eingetretener Unmöglichkeit einen anderen, einen Schadensersatzcharakter geben.3
2. Der Verzug In den §§ 284-290, 326, 327, 293-304 BGB finden sich die Regelungen für die verspätet angebotene Leistung (Schuldnerverzug) bzw. die verspätet angenommene Leistung (Gläubigerverzug). Voraussetzung für den Eintritt des Ver-
2 Vgl. BGHZ 10, 187, 189; 11, 80, 83; MüKo-Emmerich, § 275 Rdz. 7-9, 60; Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, 1978, S. 43-45; Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 273-275. 3
Vgl. Palandt-Heinrichs, §275 Rdz. 28; Staudinger-Löwisch, 12. Aufl., §275 Rdz. 44, weniger deutlich, aber im gleichen Sinn 13. Aufl., vor §§ 275 ff., Rdz. 7; Fikentscher, Schuldrecht, § 44 II 2, Rdz. 337; MiXKo-Emmerich, § 275 Rdz. 80; Meäicus, Schuldrecht I, § 33 V 3, Rdz. 388; ders., Bürgerliches Recht, § 13 I 1 a), Rdz. 239; Brox, Allgemeines Schuldrecht, § 20 IV 2, Rdz. 248; Lorenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 22 I, S. 333; a.A. Kohler, JuS 91, 943, 945; Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 227-229.
I. Das System der drei Haftungstatbestände
19
zugs ist dabei immer, daß die Primärleistung nicht erbracht wird, obwohl dies möglich ist. Bevor nach h.M. geprüft werden darf, ob der Tatbestand des Verzugs gegeben ist, muß also zunächst ausgeschlossen werden, daß der der Unmöglichkeit vorliegt.4 Die Verzugsfolgen (vor allem Ersatz des Verzugsschadens) treten beim Schuldnerverzug dann nur unter den weiteren Voraussetzungen der Fälligkeit, Mahnung bzw. Entbehrlichkeit der Mahnung, Verschulden und Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Leistung ein; beim Gläubigerverzug sind zusätzlich Fälligkeit der Leistung, ihr Angebot durch den Schuldner sowie die Nichtannahme durch den Gläubiger nötig.
3. Die positiven Vertragsverletzungen Die so verstandenen Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften des BGB regeln diejenigen Sachverhalte umfassend, in denen die Primärleistung (oder Teile davon) völlig oder wenigstens zeitweilig ausbleibt. Entsteht dem Gläubiger aber durch eine fehlerhafte oder sorgfaltswidrige Leistung des Schuldners ein Schaden, so sollen sich dieser Auffassung zufolge nur aus dem besonderen Schuldrecht und nur für bestimmte Schuldverhältnisse Gewährleistungsregeln entnehmen lassen, denen zufolge der Gläubiger Rechte geltend machen kann. Darüber hinaus sollen diese Rechte in der Regel nur soweit gehen wie das Gläubigerinteresse am Leistimgsgegenstand. Eine Regelung, die das Interesse des Gläubigers bei Schlechtleistungen „umfassend" schützt - also nicht nur seinem Erfüllungs- sondern auch seinem Integritätsinteresse Rechnung trägt - soll sich dem BGB nicht entnehmen lassen; m.a.W.: das BGB enthält nach h.M eine Lücke.5
4
Vgl. bzgl. des Schuldnerverzugs Fikentscher, Schuldrecht, § 45 I, Rdz. 358; Palandt-Heinrichs, § 284 Rdz. 2 und bzgl. des Gläubigerverzugs Fikentscher, Schuldrecht, § 46 II 1, Rdz. 381; Palandt-Heinrichs, § 297 Rdz. 1. 5 Vgl. Fikentscher, Schuldrecht, § 42 I 1, Rdz. 307: „Das Recht der Leistungsstörungen ist im Gesetz nur unvollkommen geregelt"; Palandt-Heinrichs, vor § 275 Rdz. 3: „Die Verfasser des BGB haben das Recht der Leistungsstörungen nur unvollständig ... geregelt"; Medicus, Bürgerliches Recht, § 14 IV 1 a), Rdz. 306: „Die Regelung der Leistungsstörungen im Allgemeinen Schuldrecht... berücksichtigt [nicht] ... die Schlechtleistung."; Brox, Allgemeines Schuldrecht, § 22 I 1, Rdz. 291: „Die positive Forderungsverletzung ist gesetzlich nicht geregelt."; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 24 I a), S. 366: „..., liegt eine Lücke des Gesetzes vor."; BGHZ 111, 80, 83: „Jede schuldhafte Leistungsstörung, die durch eine Verletzung dieser im weitesten Sinne aufzufassenden „Vertragspflichten" den Vertragspartner schädigt, begründet eine Verpflichtung zum Schadensersatz. Dieser in Rechtslehre und Rechtsprechung allgemein
20
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Auf diese ,Lücke' machte zuerst der Berliner Rechtsanwalt Hermann Staub im Jahr 1902 aufmerksam. Er ging davon aus, daß das BGB nur für diejenigen Fälle Fürsorge getroffen hätte, „wo jemand eine Leistung nicht bewirkt, die er zu bewirken verpflichtet ist, wo jemand unterläßt, was er tun soll."6 Dagegen enthalte das BGB „eine gleiche Vorschrift nicht für die zahlreichen Fälle, in denen jemand eine Verbindlichkeit durch positives Tun verletzt, in denen jemand tut, was er unterlassen soll, oder die Leistung, die er zu bewirken hat, zwar bewirkt, aber fehlerhaft." 7 Staub war also der Überzeugung, daß im BGB nur diejenigen Leistungsstörungen berücksichtigt worden seien, die durch ein negatives Verhalten - nämlich durch die Nichterfüllung - ausgelöst werden. Völlig unberücksichtigt seien aber diejenigen Fälle geblieben, in denen ein Schaden auf das positive Tun des Schuldners zurückzuführen sei, ζ. B. auf eine Schlechtleistung oder eine unsorgfältige Erfüllungshandlung: wenn ζ. B. ein Verkäufer dem Käufer unvorsätzlich wurmstichige Äpfel schickt, so daß die gesunden Äpfel des Käufers, mit denen sie vermengt werden, angesteckt werden, und dem Käufer ein großer Schaden entsteht,8 oder wenn ζ. B. ein Kaufmann einem anderen einen von ihm fabrizierten Leuchtstoff liefert, der explosive Bestandteile enthält, ohne den Käufer darauf aufmerksam zu machen, und der Leuchtstoff im Laden des Käufers großen Schaden anrichtet9. Weitere Fallbeispiele, deren Lösung Staub dem BGB nicht entnehmen konnte, waren die vom Käufer verletzte Pflicht, die gekauften Lampen nicht nach Frankreich weiterzuverkaufen, 10 sowie die durch den buchführenden Gesellschafter unsorgfältig und daher falsch aufgestellte Jahresbilanz, aufgrund derer die anderen Gesellschafter geschäftliche Dispositionen treffen und dabei viel Geld verlieren.11 Die Gemeinsamkeit dieser Fälle sah Staub darin, daß die Pflichten aus dem Vertrag nicht durch ein Unterlassen (Nichterfüllung), sondern durch ein positives Tun, eben durch die schlechte Leistung, verletzt werden. Aus einer Analogie zu §§ 280, 286, 325, 326 BGB leitete er den Rechtsgrundsatz her, daß „derjenige, der eine Verbindlichkeit durch eine positive Handlung schuldhaft
anerkannte Rechtssatz ist auch ohne ausdrücklichen Ausspruch als Gesetzesinhalt anzusehen." 6
Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, in: Festgabe für den 26. Deutschen Juristentag, 1902; hier zitiert nach dem Nachdruck (1969) der erweiterten Ausgabe aus dem Jahr 1904, S. 93. 7
Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 93.
8
Beispiel von Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 98.
9
Beispiel von Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 93/94.
10
Beispiel von Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 93.
11
Beispiel von Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 97.
I. Das System der drei Haftungstatbestände
21
verletzt, dem anderen Teil den hierdurch entstehenden Schaden zu ersetzen hat."12 Damit war das Institut der positiven Vertragsverletzungen (pVV) geboren, das einige Zeit später auch von der Rechtsprechung aufgegriffen und angenommen wurde13 und das heute weitgehend als gewohnheitsrechtlich anerkannt gilt 14 . Zwar sind sich die Vertreter der herrschenden Meinung heute darüber im klaren, daß die Unterscheidung Staubs nach positiven und negativen Verletzungen des Vertrags die im BGB ,ungeregelt' gebliebenen Fälle nicht eindeutig von den geregelten abzugrenzen vermag. Der Schuldner kann auch durch Unterlassungen seine vertraglichen Pflichten verletzten, ohne daß Unmöglichkeit oder Verzug vorliegen müssen; häufig ist es eine Frage der Wertung, ob positiv gehandelt oder ob etwas unterlassen wird. Wer über die Explosivität des Leuchtstoffes nicht aufklärt, hat sicherlich positiv geliefert und dabei positiv geschwiegen, er hat aber - was für das Eintreten des Schadens in erster Linie relevant ist - die Aufklärung unterlassen. 15 Darüber hinaus ist der Anwendungsbereich des Instituts der positiven Vertragsverletzung nicht auf vertragliche Schuldverhältnisse beschränkt; es besteht nach weit verbreiteter Auffassung das Bedürfnis, es auch auf fehlerhafte Leistungen innerhalb gesetzlicher Schuldverhältnisse anzuwenden.16 Den Anwendungsbereich der positiven Vertragsverletzung, der in der Regel durch eine über die Leistung selbst hinausgehende Pflichtverletzung ausgelöst wird, unterteilt die herrschende Meinung daher heute nach Fallgruppen, worunter zum einen die Schlechtleistungen bezüglich der Hauptpflicht zählen, wobei sich die auf positive Vertragsverletzung begründete Ersatzpflicht bei Schuldverhältnissen, für die sich diesbezüglich ei-
12
Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 101.
13
Vgl. RGZ 54, 98; 106, 22; 161, 330, 337; BGHZ 11, 80.
14
Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, § 14 IV 2, Rdz. 316; ders., Schuldrecht I, § 35 II 3, Rdz. 422; Palandt-Heinrichs, § 276 Rdz. 105; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 24 I a), S. 367; Staudinger-Löwisch, vor § 275 Rdz. 24; Brox, Allgemeines Schuldrecht, § 22 11, Rdz. 291; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, §71, S. 125, 137; Abschlußbericht, S. 128. 15 Vgl. Medicus, Bürgerliches Recht, § 14 IV 1 b), Rdz. 307; ders., Schuldrecht I, § 35 I 3, Rdz. 413; Palandt -Heinrichs, § 276 Rdz. 104. 16
Vgl. Palandt-Heinrichs, §276 Rdz. 104; Medicus, Bürgerliches Recht, § 14 IV 1 b), Rdz. 307; ders., Schuldrecht I, § 35 I 3, Rdz. 413; Fikentscher, Schuldrecht, § 47 I 1, Rdz. 387; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 24 I a), S. 367 f.; Zitelmann, in: Bonner Festgabe für Paul Krüger, 1911, S. 265; a.A. Schünemann, JuS 1987, S. 1, 4.
22
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
gene Regeln im besonderen Teil des Schuldrechts finden, meist auf die sogenannten Begleitschäden beziehungsweise Mangelfolgeschäden beschränken,17 zum anderen wird die Nichterfüllung einer weiteren Verhaltenspflicht als Fallgruppe anerkannt sowie andere Fälle, worunter auch die Erfüllungsverweigerung zu zählen ist.18 Allerdings ist der von Staub geprägte Begriff der positiven Vertragsverletzung geblieben, auch wenn er in doppelter Weise irreführend ist.
4. Die Funktion der Unmöglichkeit im System der drei Haftungstatbestände Die h.M. findet also in den gesetzlichen Unmöglichkeitsvorschriften einen von drei Haftungstatbeständen, wobei Unmöglichkeit sowie Verzug Vorrang vor der subsidiären, weil im Gesetz ungeregelt gebliebenen, pVV haben sollen. Sie erkennt aber gleichzeitig an, daß sich hierin die Funktion der Unmöglichkeit nicht erschöpfe, weil ihr neben der Begründung der Haftung nach §§ 280, 324, 325 BGB in § 275 BGB auch noch die Funktion als Schuldbefreiungsgrund zukomme.19 Die zentrale Stellung der Unmöglichkeitsvorschriften im BGB läßt sich hiermit allerdings nicht überzeugend begründen.20
a) § 280 BGB als Haftungstatbestand Allein ein sorgfältiges Lesen des § 280 I BGB läßt erkennen, daß die Behauptung, die Unmöglichkeit sei ein Haftungsgrund, verkürzt und daher un-
17
Beim Kaufvertrag werden Mangelfolgeschäden über pVV ersetzt, beim Werkvertrag nur sog. weite Mangelfolgeschäden und beim Mietvertrag können Ansprüche nur dann auf pVV begründet werden, wenn sie sich auf Vertragsverletzungen stützen, die nicht unmittelbar die Beschaffenheit der Mietsache betreffen. Dazu Palandt-Pw/zo, vor § 459 Rdz. 6, § 538 Rdz. 5 sowie Palandt-77iomas, vor § 633 Rdz. 23, 25. Zu Sinn und Unsinn der Unterscheidung von Mangel- und Mangelfolgeschäden siehe eingehend Rust , Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, § 7 11 c) bb), S. 186; außerdem unten, „IV 2. Die Culpa als Haftungsgrund im BGB", S. 46. 18
Vgl. zur Einteilung Medicus, Schuldrecht I, § 35 II 1 Rdz. 415-418; Palandt-/fe/nrichs, § 276 Rdz. 108 m.w.N. Eine andere Einteilung, nämlich in die Verletzung von allgemeinen und besonderen Schutzpflichten sowie Leistungstreuepflichtverletzungen nimmt Brehm, JuS 88, 279, 282 f. vor. 19
Vgl. Palandt-Heinrichs, vor § 275 Rdz. 3; Ahrens, ZRP 1995, S. 417, 420; siehe dazu auch die oben unter „1. Die Unmöglichkeit" gemachten Ausführungen auf S. 18. 20
Abschlußbericht, S. 16 und 118.
23
I. Das System der drei Haftungstatbestände
richtig ist. Es ist nicht die Unmöglichkeit, die die Haftung auslöst, sondern lediglich die „infolge eines von dem Schuldner zu vertretenden Umstandes" eingetretene Unmöglichkeit der Leistung, die den Schuldner zum Schadensersatz verpflichtet. Es macht bezüglich der Haftung einen großen Unterschied, ob der Schuldner die zu leistende Sache absichtlich zerstört, oder ob sie etwa durch eine unvorhersehbare Naturkatastrophe vernichtet wird. Ausschlaggebend für die Ersatzpflicht ist also neben der Unmöglichkeit selbst ihr schuldhaftes Herbeiführen; damit rückt aber das Verhalten des Schuldners in den Mittelpunkt der Betrachtung.21 Daß Unmöglichkeit und kein Verzug oder eine positive Vertragsverletzung vorliegt, ist aber - nachdem festgestellt wurde, daß sie verschuldet herbeigeführt wurde - bestimmend für die Art und Höhe des Schadensersatzes: er muß geleistet werden, wegen der Nichterfüllung und geht damit auf Ersatz des gesamten Gläubigerinteresses an der Leistung. Aus dem Anspruch auf die Leistung wird also mit Eintritt der verschuldeten Unmöglichkeit ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung.
b) § 2751BGB als Befreiungstatbestandfür
den Schuldner
Bei § 275 I BGB ist zu beachten, daß die Unmöglichkeit den Schuldner lediglich von seiner - gegenständlich verstandenen - Primärleistungspflicht befreit; diese Vorschrift entläßt ihn aber keinesfalls aus dem gesamten Schuldverhältnis i.w.S. Trotz vom Schuldner unverschuldeten Eintretens der Unmöglichkeit, kann diesen die Pflicht zur Herausgabe des stellvertretenden commodums gem. §281 BGB treffen, das den eigentlichen Leistungsgegenstand ersetzt (Surrogation). 22 Auch von den Pflichten, die darüber hinausgehen, die ursprüngliche Leistung zu erbringen, ist der Schuldner nicht befreit; er muß dem Gläubiger ζ. B. auf jeden Fall den Eintritt der Unmöglichkeit anzeigen.23
21 Vgl. Sutschet, der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999, § 3 III 2 a), S. 59 ff.; Esser/Schmidt, Schuldrecht, Bd. I, AT Teilband 2, § 28 II 1, S. 114; Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, § 7 II 1, S. 132 f. insbs. Fn. 13; deswegen behandelt auch letzterer die drei ,Haftungstatbestände' gemeinsam unter dem Gliederungspunkt „Ansprüche des Gläubigers bei schuldhafter Pflichtverletzung des Schuldners". 22 Palandt-Heinrichs, § 275 Rdz. 24, § 281 Rdz. 5; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 21 I b), S. 309; Brox, Allgemeines Schuldrecht, § 20 IV 1, Rdz. 247; Medicus, Schuldrecht I, § 33 V 2, Rdz. 387; Fikentscher, Schuldrecht, § 44 II 1, Rdz. 335. 23
Paiandt-Heinrichs,
§ 275 Rdz. 24.
24
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
II. Der weite Unmôglichkeitsbegriff Vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts, kurz nach in Kraft treten des BGB und bevor sich die oben dargestellte Theorie Staubs durchsetzen konnte, meinte eine damals populäre Ansicht in der Literatur im Anschluß an Friedrich Mommsen, durch eine weite Fassung des Unmöglichkeitsbegriffs alle Fälle der Leistungsstörungen als Fälle der Unmöglichkeit fassen und lösen zu können, ohne daß es des Rückgriffs auf das außergesetzliche Institut der pVV bedurfte. 24 Dieser Auffassung zufolge soll eine Leistung nur dann als möglich im Sinne des Vertrags bezeichnet werden können, wenn sie nicht nur quantitativ in vollem Umfang - also rein gegenständlich - sondern auch zur rechten Zeit, am rechten Ort sowie in der im Vertrag vorausgesetzten Qualität und auch hinsichtlich anderer denkbarer Modalitäten25 vollständig erbracht wird. Wird die Leistung an sich zwar erbracht, bleibt sie aber in bezug auf eine oder mehrere dieser Modalitäten (Quantität, Zeit, Ort, Qualität etc.) hinter der nach dem Vertrag geschuldeten Leistung zurück, so liegt dieser Auffassung zufolge teilweise Unmöglichkeit vor. In der neueren Literatur gewinnt diese Auffassung in Teilbereichen vor allem durch die Beiträge Emmerichs wieder an Bedeutung.26
1. Die teilweise Unmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht Soll etwa eine Leistung an einem bestimmten Tag (etwa am 7. Juli) erbracht werden, verstreicht dieser Tag aber, ohne daß geleistet wird, so soll dieser An-
24
Vgl. Himmelschein, AcP 135 (1932), 255, 281-308; sowie Kleineidam, Unmöglichkeit und Unvermögen, 1900, S. 24 f. insbes. Fn. 12, S. 94 f.; Kisch, Die Wirkung der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, 1900, S. 167/168 Fn. 23, S. 193 ff.; Planck, Bd. II, 1. und 2. Aufl. 1900, § 459 Anm. la); Schöller, Gruchot's Beiträge, Bd. 46 (1902), S. 1, 20 f., 28 f.; Schollmeyer, IherJb, Bd. 49 (1905), S. 93, 104-119; Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, 1900, S. 161 f.; Emerich, Kauf- und Werklieferungsvertrag, 1899, S. 69; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, 1903, Bd. I, § 85 III, S. 333; im Anschluß an Mommsen, Beiträge I, 1853, S. 9, 153 ff., 193 ff; 212 ff; ders., Beiträge II, 1855, S. 9; ders., Beiträge III, 1855, S. 13. 25 Vgl. Kisch, Die Wirkung der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, 1900, S. 168 Fn. 23; sowie Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255, 286, der auch von „Individualisierungsmomente[n]" spricht; dazu näher unter „4. Die teilweise Unmöglichkeit hisichtlich anderer Modalitäten" S. 27. 26 Vgl. Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 1 II 1 und III, S. 4 f. und 6 f., § 2 III 1 und 7, S. 18 f. und 25, § 20 III, S. 224 f.; MüKo-Emmerich, vor § 275 Rdz. 220-224; ebenso Motzer, JZ 1983, 884 ff; ders., Die positive Vertragsverletzung des Arbeitnehmers, 1982, S. 130 ff.
II. Der weite Unmöglichkeitsbegriff
25
sieht zufolge eine exakte Erfüllung der Verpflichtung (Leistung am 7. Juli) nun nicht mehr möglich sein, vielmehr soll von einer teilweisen Unmöglichkeit der Leistung ausgegangen werden: teilweise in Ansehung der Zeit.27 Nach dieser Ansicht ist schließlich ,glicht das Leisten schlechthin, sondern nur das pünktliche Leisten nicht mehr möglich".28 (Vielleicht kann am 8. Juli geleistet werden, ganz sicher aber nicht mehr am 7. Juli).29 Zwar wurde gegen diese Auffassung vorgebracht, daß die praktische Behandlung der Unmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht durch die Verzugsregeln im BGB anders geregelt sei als bei der teilweisen Unmöglichkeit, daß bei zu vertretender Verzögerung einer nachholbaren Leistung also ausschließlich die Grundsätze über den Verzug anwendbar seien.30 Hiergegen wurde aber wiederum eingewandt, daß die Verzugsvorschriften die Regeln der Unmöglichkeit nur in etwas gekürzter Form, aber ohne sachliche Änderung wiedergäben: § 286 BGB statuiere lediglich die Ersatzpflicht bzgl. des Verzugsschadens, die sich auch aus § 280 I BGB herleiten und neben den noch erfüllbaren Teil der Pflicht stellen lasse. Ein Gesetz komme ohne Wiederholungen eben nicht aus, insbesondere wenn es um ein seit jeher selbständiges Institut wie den Verzug gehe, der erst seit Mommsen als Spezialfall der Unmöglichkeit aufgefaßt werde und eine Reihe von gesetzlich zu regelnden Spezialfragen aufwerfe wie ζ. B. die Bestimmung des genauen Fälligkeitszeitpunkts durch die Mahnung.31 Da-
27
Vgl. Kleineidam,, Unmöglichkeit und Unvermögen, 1900, S. 25; ders., IherJb, Bd. 43 (1901), S. 114; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, 1903, Bd. I, § 85 III 4, 5, S. 333; ähnlich Fischer,in: FS für v. Arnsberg, 1904, S. 36 f.; auch Himmelschein,, AcP 135 (1932), S. 255, 291 f.; femer Motive II, S. 60, 210; sowie Mommsen, Beiträge III, 1855, S. 13. Fn. 1 mit Verweis auf Ulp. 6 ed. D.50.16.12.1.: „Zu wenig hat Der gezahlt, welcher zu spät gezahlt hat; denn auch rücksichtlich der Zeit kann man zu wenig zahlen." (Übersetzung von Otto/Schilling/SintenisSchneider, Das Corpus Juris Civilis, Bd. IV, 1832). 28
Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, 1900, S. 161.
29
Etwas anderes müßte hier allerdings für verspätete Dienstleistungen gelten, da diese, wenn sie zu einer anderen als der vereinbarten Zeit erbracht werden, grundsätzlich andere Leistungen darstellen. Man denke nur an die bei Tage abgehaltene Nachtwache oder die Traubenlese nach dem Frost. Nach dem hier vorgestellten System des weiten Unmögichkeitsbegriffs wäre es aber allemal logisch, bei verspäteten Dienstleistungen Unmögichkeit anzunehmen (eben nicht nur in zeitlicher Hinsicht). 30 Vgl. Kisch, Die Wirkung der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, 1900, S. 22; auch Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, 1903, Bd. I, § 85 III 5, S. 334 insbes. Fn. 14; ähnlich heute Emmerich,, Das Recht der Leistungsstörungen, § 6 IV 1, S. 80 f., § 15 I, S. 160 f. 31 Vgl. Himmelschein,, AcP 135 (1932), S. 255, 299, mit Verweis auf Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, 1900, S. 41 sowie Mommsen, Beiträge I, 1853, S. 153; ders.,
26
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
her sollte trotz der möglichen Definition des Verzugs als ,,eine[r] vom Schuldner zu vertretende[n] teilweise[n] Unmöglichkeit der Leistung in Ansehung der Zeit" 32 die selbständige Regelung des Verzugs im BGB unverzichtbar sein.
2. Die teilweise Unmöglichkeit in örtlicher Hinsicht Ebenso wie die verzögerte Leistung nach dieser Ansicht als eine in zeitlicher Hinsicht unmögliche verstanden werden soll, so soll eine Leistung, die nicht am richtigen Ort erbracht werden kann - etwa weil es sich um eine Fixschuld handelt, die der Schuldner am Fälligkeitstag infolge Versagens von Transportmitteln nicht am bedungenen Ort erfüllen kann - eine zum Teil unmögliche sein. Ihre Erbringung am vereinbarten Ort ist dieser Auffassung zufolge nicht mehr möglich, jedenfalls nicht mehr rechtzeitig.33
3. Die teilweise Unmöglichkeit in qualitativer Hinsicht Das gleiche soll für die in qualitativer Hinsicht unvollständige Leistung gelten. Wird statt der geschuldeten eine mangelhafte Leistung erbracht, so sollen zwar zunächst die im BGB verankerten speziellen Gewährleistungsregeln eingreifen. Soweit diese aber keine abweichenden Regelungen enthalten, sollen die Grundsätze über die Unmöglichkeit der Leistung ergänzende Anwendung finden, so daß der Gläubiger auf Grund eines durch seine Fahrlässigkeit nach Vertragsschluß eintretenden Mangels des Leistungsgegenstands gem. § 325 12 BGB Schadensersatz wegen teilweiser Unmöglichkeit der Leistung geltend machen könne.34
Beiträge III, 1855, S. 21 f.; Mommsen bezieht seine Ausführungen zwar auf das römische Recht, da dieses in seiner Interpretation durch die Gelehrten des gemeinen Rechts aber als Grundlage des BGB anzusehen ist, haben seine Ausführungen zu diesem Punkt ihre Aktualität nicht verloren. 32 Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, 1900, S. 41; vgl. hierzu auch Mugdan II, S. 33 = Motive II, S. 60. 33 Vgl. Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, 1900, S. 42; ähnlich Kisch, Die Wirkung der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, 1900, S. 167/168; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, Bd. I, 1903, § 85 III 5, S. 333; auch Fischer,in: FS für v. Arnsberg, 1904, S. 36; sowie Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255, 291 und Mugdan II, S. 18 = Motive II, S. 34. 34 Vgl. Kisch, Die Wirkung der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, 1900, S. 168, 194 f.; Schöller, Gruchot's Beiträge Bd. 46 (1902), S. 20 f.; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, Bd. I, 1903,
II. Der weite Unmöglichkeitsbegriff
27
Demgegenüber ging Titze von einer erschöpfenden Regelung der Mängelgewähr im BGB aus, die eine ergänzende Anwendung der allgemeinen Grundsätze über die teilweise Unmöglichkeit verbiete. Die bei diesem Verständnis im Gesetz tatsächlich auftretende Lücke hielt Titze für rechtspolitisch billigenswert: Da dem Käufer auf der einen Seite nach den Gewährleistungsregeln das Recht auf Wandlung oder Minderung unabhängig vom Verschulden des Schuldners zustehen sollte, sei es nur plausibel, daß ihm auf der anderen Seite nicht alle Ansprüche zukommen sollten, die dem Gläubiger für gewöhnlich wegen eines Verschuldens des Schuldners zukommen.35 Dem entgegnete aber Schöller unter Berufung auf die Protokolle die praktsche Unhaltbarkeit dieser Ansicht für vom Verkäufer nach Vertragsschluß und vor Gefahrübergang fahrlässig herbeigeführte Mängel. Die Tatsache, daß diese Konstellation nicht ausdrücklich als ein Fall, in dem Schadensersatz wegen Sachmängel gewährt werde, im BGB Erwähnung finde, weise darauf hin, daß die Gesetzgeber die auf sie begründete Haftung eben nicht aus den Regeln über die allgemeine Mängelhaftung hergeleitet wissen wollten, sondern vielmehr aus der für allgemein befundenen Regel36, daß „[der Verkäufer] Mängel, welche die Sache nach der Vertragsschließung treffen, (...) regelmäßig nur zu vertreten habe, wenn ihm und soweit ihm ein Verschulden zur Last fiele." 37
4. Die teilweise Unmöglichkeit hinsichtlich anderer Modalitäten Da sich eine vertragliche Leistung nicht alleine nach ihrer gegenständlichen, zeitlichen, räumlichen und qualitativen Seite hin bestimmt, sondern auch das „wie" für die Erfüllung jeder Verbindlichkeit ausschlaggebend ist, kann bei konsequenter Ausdehnung des weiten Unmöglichkeitsbegriffs auch dieser Teil der Leistung unmöglich werden: Zerbricht ζ. B. ein Glaser nach dem Einsetzen der Fensterscheibe aus Versehen mit der mitgebrachten Leiter eine wertvolle
§ 85 III 5, S. 333 f. insbes. Fn. 13 und 14; Schollmeyer, IherJb, Bd. 49 (1905), S. 93, 109 f.; Planck, Bd. 2, 1. und 2. Aufl., 1900, § 459 Anm. la) a.E.; Emerich, Kauf- und Werklieferungsvertrag, 1899, S. 69; Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255, 291; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 20 III, S. 224 f.; MiXKo-Emmerich, vor § 275 Rdz. 228; RGRK-^/^ § 275 Rdz. 35; Lessmann, in: FS für Wolf, 1985, S. 402 f. 35
Vgl. Titze, Die Unmöglichkeit der Leistung, 1900, S. 277 f. Fn. 45.
36
Vgl. Schöller, Gruchot's Beiträge, Bd. 46 (1902), S. 1, 21 f. insbes. Fn. 23 mit Verweis auf Prot. I, S. 689; Mugdan II, S. 670 = Protokolle, S. 1382. 37
Mugdan II, S. 670 = Protokolle, S. 1382.
28
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Vase des Gläubigers, so ist ihm die vertragsmäßige Leistung zum Teil unmöglich geworden, da er anders handelte als er nach dem Schuldverhältnis zu handeln verpflichtet war. Das „wie" seiner Leistung, das „so-und-nicht-andersHandeln" ist aber nichts anderes als die vom Schuldner geschuldete Sorgfalt. Wirkt sich ihr Ausbleiben nicht mittelbar auf Zeit, Ort oder Qualität der Leistung aus, so liegt nach der hier vorgestellten Auffassung teilweise Unmöglichkeit der Leistung in bezug auf die sorgfältige, pflichtgemäße Erfüllung vor. Der Glaser hat sich also durch das Zerbrechen der Vase seine Pflicht, die Scheibe einzusetzen und dabei sorgfältig zu handeln, unmöglich gemacht.38 In der Literatur wird eben diese vom Schuldner nach dem Vertrag zu erbringende Sorgfalt vereinzelt als ein von der Leistungspflicht abgekoppeltes und somit völlig unabhängiges ,Schutzpflichtenverhältnis' gesehen. Innerhalb dieses Schutzpflichtenverhältnisses soll es ein eigenes, auf die Sorgfalt bezogenes Leistungsinteresse geben, dessen Verwirklichung (teilweise) unmöglich werden könne, sobald die geschuldete Sorgfalt verletzt werde.39 Das dahinter stehende Prinzip ist aber dasselbe, das auch der Ansicht vom weiten Unmögichkeitsbegriff zugrunde liegt: die herkömmlichen Unmöglichkeitsregeln werden auf die Pflicht des Schuldners zum sorgfältigen Handeln angewendet.
5. Hintergrund des weiten Unmöglichkeitsbegriffs Hinter diesem in alle Richtungen ausgeweiteten Unmöglichkeitsbegriff steht ein entsprechend weiter Leistungsbegriff. 40 Dieser soll nicht nur die isolierte Leistungshandlung und den durch sie herbeizuführenden Leistungserfolg umfassen (das Einsetzen der Scheibe; Leistung im engeren Sinne), sondern auch den Schutz von Handlung und Erfolg vor Verspätung oder Fehlern (das pünktliche und richtige Einsetzen der Scheibe) sowie den Schutz sonstiger Rechtsgüter des Gläubigers (die Vase).
38
Vgl. Kisch, Die Wirkung der nachträglich eintretenden Unmöglichkeit, 1900, S. 167 f. und Fn. 23; sowie Schöller, Gruchot's Beiträge, Bd. 46 (1902), S. 1, 27 f.; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, Bd. I, 1903, § 84 III, S. 331 Fn. 60, § 85 III 5, S. 333 Fn. 13; femer Motzer, JZ 1983, 884, 886; a.A. Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 2111 c) bb), S. 230 f. und MüKo, vor § 275 Rdz. 234-237, der bei derartigen Sorgfaltspflichtverletzungen von einer allgemeinen Culpa-Haftung ausgeht; dazu unten „IV. Das System der allgemeinen CulpaHaftung", S. 40 ff. 39
Vgl. Motzer, JZ 1983, S. 884, 886; Evans-v. KrbeK AcP 179 (1979), S. 85, 104.
40
Vgl. Himmelschein,, AcP 135 (1932), S. 255, 284-292.
II. Der weite Unmöglichkeitsbegriff
29
6. Anwendung des weiten Unmöglichkeitsbegriffs auf die Fälle Staubs Wendet man den so definierten, weiten Unmöglichkeitsbegriff einmal ganz abgesehen von seiner dogmatischen Plausibilität konsequent an und nimmt immer dann eine teilweise Unmöglichkeit an, wenn die geschuldete Leistung in einer ihrer Modalitäten nicht korrekt erbracht wird, so kommt man zu einer einigermaßen befriedigenden Lösung der von Staub genannten Beispiele: Stellt ein Gesellschafter, dem die Buchführung obliegt, eine falsche Bilanz auf, so ist ihm das Aufstellen einerrichtigenBilanz dem Gegenstand nach zwar noch möglich, ihre rechtzeitige Aufstellung ist ihm aber unmöglich geworden. Schadensersatzansprüche bzgl. der verspäteten Erstellung einer korrekten Bilanz können sich also aus § 2861 BGB sowie aus § 325 I BGB ergeben. Da der eigentliche Schaden aber in der Regel nicht in der verspäteten Bilanzaufstellung bestehen wird, sondern darin, daß die übrigen Gesellschafter im Vertrauen auf die Richtigkeit der ersten Bilanz erhebliche Vermögensdispositionen getätigt haben, wird es richtiger sein, darauf abzustellen, daß dem Gesellschafter die Aufstellung der Bilanz bzgl. ihrer Korrektheit, d.h. bzgl. ihrer sorgfältigen Anfertigung unmöglich geworden ist. Anspruch auf Ersatz der sinnlos getätigten Investitionen ergibt sich dann in voller Höhe aus § 325 I 2 BGB, da an einer unsorgfältig aufgestellten Bilanz keinerlei Interesse bestehen kann, selbst wenn die korrekte Bilanz einige Wochen später nachgereicht werden sollte.41 Wer sich verpflichtet hat, die ihm verkauften Lampen nicht nach Frankreich weiterzuverkaufen, sie aber dennoch im Burgund vertreibt, dem ist seine Leistung in räumlicher Hinsicht teilweise unmöglich geworden. Sein Gläubiger kann daher gem. § 325 I 2 BGB Schadensersatz wegen Nichterfüllung der gesamten Verbindlichkeit verlangen, wenn sein Interesse an dem noch möglichen Teil der Leistung (kein Vertrieb der Lampen im Rest von Frankreich) weggefallen ist, etwa weil ihm gegenüber anderen Vertragspartnern, denen er ein Alleinvertriebsrecht in Frankreich eingeräumt hatte, eine deftige Vertragsstrafe angefallen ist. Wem schuldhaft aber unvorsätzlich wurmstichige Äpfel geliefert werden, die das gesunde Kontingent Äpfel anstecken, kann zunächst gem. § 462 BGB mindern. Daneben stehen dem Käufer aber die Rechte aus § 325 12 BGB zu, da die vertragsmäßige Leistung hinsichtlich der Qualität teilweise unmöglich geworden ist. Der Käufer kann entweder Schadensersatz wegen teilweiser Nichterfüllung verlangen, wenn er die Äpfel etwa noch als Viehfutter verwenden kann. Er wird dann den Wert der gesunden zu liefernden und eigenen Äpfel abzüglich des Wertes der gesamten nun wurmstichigen Äpfel als Schadensersatz geltend machen. Er kann aber auch einen Schadensersatzanspruch
41
Vgl. Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch systematisch dargestellt, Bd. I, 1903, § 85 III 5, S. 333 Fn. 13; dagegen Staub, Die positiven Vertragsverletzungen (siehe Fn. 6), S. 97 f.
30
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
auf das gesamte positive Interesse geltend machen, wenn er an wurmstichigen Äpfeln generell kein Interesse mehr hat. Er wird dann den Wert der gesamten gesunden Apfelmenge ersetzt verlangen können. Wer einen explosiven Leuchtstoff liefert ohne über seine gefährlichen Eigenschaften aufzuklären, hat sich die sonst tadellose Ablieferung des einwandfreien Leuchtstoffs dadurch zum Teil unmöglich gemacht, daß er nicht sorgfältig, mit einer Aufklärung verbunden, geleistet hat. Explodiert daraufhin die Werkstatt des Käufers, so kann dieser gem. § 325 I 2 BGB Schadensersatz wegen (hinsichtlich der Sorgfalt teilweiser) Nichterfüllung geltend machen. Auch wenn der Verkäufer die zur korrekten Leistung notwendige Warnung über den Trümmern der Werkstatt noch aussprechen könnte, kann darin eine rechtzeitige Leistung keinesfalls gesehen werden.
7. Die Funktion der Unmöglichkeit bei Zugrundelegen des weiten Unmöglichkeitsbegriffs Die Lösung der Staub'schen Beispiele nach dem System des weiten Unmöglichkeitsbegriffs zeigt deutlich, daß nach diesem vertraglichen Haftungskonzept die Unmöglichkeitsvorschriften der §§ 280, 325 BGB den zentralen Haftungstatbestand des allgemeinen Schuldrechts darstellen. Eine solche Bedeutung rechtfertigt dann auch die zentrale Stellung, die sie in unserem Bürgerlichen Gesetzbuch erhalten hat. Der Begriff der ,Unmöglichkeit4 ist dabei aber so weit ausgedehnt, daß er auch mit dem der ,Leistungsstörung' ausgetauscht werden könnte; sachlich besteht zwischen beiden kein Unterschied mehr.42 Der Schuldner ist für die eingetretene Unmöglichkeit der Leistung in ihrer weitesten Interpretation bzw. für ihr Teileintreten (m.a.W. für die Leistungsstörung) immer nur dann verantwortlich, wenn ihm ein Vorwurf in Form eines vorsätzlichen oder fahrlässigen Handelns gemacht werden kann. Bei genauer Analyse ist also festzustellen, daß sich in diesem Verständnis der §§ 280, 325 BGB als ausschließlicher Haftungsgrundlage lediglich ein allgemeiner Grundsatz der Haftung wegen schuldhaften Verhaltens widerspiegelt. Es wird klar, daß es gar nicht die Unmöglichkeit ist, die die Haftung auslöst genauso wenig wie die Leistungsstörung allein haftungsbegründende Wirkung
42
Ebenso Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, § 1 II 1, S. 4; Wollschläger, Die Entstehung der Unmöglichkeitslehre, 1970, S. 134; sowie Kotulla, SavZRG (Germ. Abt.) 108 (1991), S. 358, 368 und Walter, Das Verhältnis der gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzansprüche zu den Schadensersatzansprüchen aus p W , 1990, S. 22, die sich allein auf die Ausführungen Mommsens beziehen.
III. Das System Jakobs
31
hat oder haben könnte - , sondern es ist die andere Komponente der Tatbestände: das Verschulden des Schuldners, das sowohl Voraussetzung für einen Schadensersatzanspruch gem. § 280 BGB als auch gem. § 325 BGB, sowie für einen Ersatzanspruch wegen teilweiser Unmöglichkeit in zeitlicher Hinsicht gem. § 326 I, II BGB, gem. § 325 1 1 i.V.m. §§ 275, 280 I BGB bzw. gem. §325 I2i.V.m. §280 II BGB ist.
ΠΙ. Das System Jakobs Wieder ganz anders sieht Jakobs das Problem der Leistungsstörungen im BGB gelöst. Seine Betrachtung setzt nicht bei der den Schaden auslösenden Störung der Leistung an, sondern beim beeinträchtigten Gläubigerinteresse, beim Schaden.43 Für Jakobs liegt „im Interessebegriff... der Schlüssel zum Verständnis der gesetzlichen Regelung der Haftung des Schuldners und der Eigenart derjenigen Fälle, die man als solche einer positiven Forderungsverletzung zu bezeichnen pflegt." 44 Dabei unterteilt er den Interessebegriff, je nachdem ob der entstandene Schaden das ,positive' oder das ,negative' Interesse des Gläubigers an der Erfüllung berührt. Zwar benutzt Jakobs den Begriff des positiven Interesses wie nach heute üblichem Sprachgebrauch im Sinne des Erfüllungsinteresses, das „dahin geht, daß etwas geschieht".45 Er stellt diesem aber das ,negative Interesse' des Gläubigers als sein Bestreben, „in dem, was ihm zusteht, in seinem Tun und haben nicht gestört und beeinträchtigt [zu] werden" 46 gegenüber. ,Negatives Interesse' bedeutet also soviel wie Integritätsinteresse und nicht das heute dem Erfüllungsinteresse gegenübergestellte Vertrauensinteresse. Um eine begriffliche Verwirrung zu vermeiden, werden im Folgenden die mittlerweile eingebürgerten Begriffe des ErfÜllungs- und Integritätsinteresses verwendet. Ausgehend von dem so in ErfÜllungs- und Integritätsschäden eingeteilten verletzten Gläubigerinteresse, sucht Jakobs für jede Schadenskategorie einen eigener Haftungstatbestand. Diese Unterscheidung hält Jakobs für notwendig, da sich nur bei Schäden am Erfüllungsinteresse die Frage stellt, ob wegen Nichterfüllung der Leistung Schadensersatz, also Schadensersatz statt der Lei-
43
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 32-34.
44
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 37.
45
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 33.
46
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 33.
32
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
stung verlangt werden kann. Eine solche Frage erübrigt sich aber bei Integritätsschäden, da es bei ihrem Ausgleich nicht auf die geschuldete Leistung selbst ankommt. Sie kann den Schaden an den gläubigereigenen Rechtsgütern, die nicht im Brennpunkt des aktuellen Leistungsaustauschs stehen, nicht verringern. Bei Integritätsschäden „ist ... die Ersatzpflicht die ... allein in Betracht kommende Rechtsfolge", 47 die mit einem Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung nichts zu tun hat. Da sich die Frage nach dem Ausgleich des entstandenen Schadens, die Frage nach der Rechtsfolge, je nachdem welches Gläubigerinteresse verletzt ist, auf eine jeweils andere Art stellt, soll sich Jakobs zufolge auch eine Unterscheidung bei der Frage nach den jeweiligen Voraussetzungen der Haftung, dem Haftungsgrund rechtfertigen. Dabei ergibt sich folgendes System.
1. Nichterfüllungstatbestand als Haftungsgrundnorm für Erfüllungsschäden Für Jakobs ist die vorsätzliche oder fahrlässige Nichterfüllung der Verbindlichkeit der Tatbestand, an den das Gesetz die Verpflichtung zum Schadensersatz in erster Linie anknüpft. 48 Daß die Nichterfüllung der Grundtatbestand der Haftung im BGB ist, trat Jakobs zufolge vor allem im ersten Entwurf zum BGB in § 22412 El deutlich hervor. Dieser lautete: „Er [der Schuldner] haftet nicht nur wegen vorsätzlicher, sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit." Im Wortlaut des § 276 BGB, der Nachfolgevorschrift des § 224 El, ist von einem Haftungsgrundtatbestand der Nichterfüllung allerdings nicht mehr viel übrig geblieben. Diesbezüglich meint Jakobs, daß in § 276 BGB „nur die zivilrechtliche Schuld definiert, nur der Verantwortungsmaßstab geregelt wird." 49 Mit dieser Veränderung in der Regelung der Haftungsgrundnorm wollte die Redaktionskommission verdeutlichen, daß wegen NichterfÜl-
47
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 34.
48 Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 27 ff, 222; auch Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 112, S. 4 f. insbes. Fn. 11 hält die Nichterfüllung für das verbindende Element der Leistungsstörungen. Er versteht den Begriff der Nichterfüllung in einem weiten Sinn, der neben dem Ausbleiben der Leistung auch die Schlechterfüllung und die Verletzung sonstiger (Schutz-) Pflichten miteinschließt {Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 112 und 3, S. 4-7). Huber spricht sich für den Begriff der Nichterfüllung und gegen den der Pflichtverletzung aus, weil dieser auf ein subj. Fehlverhalten des Schuldners hindeutet und damit die nicht zu vertretenden Leistungsstörungen nicht mitumfaßt. 49
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 20, 21.
III. Das System Jakobs
33
lung Schadensersatz nur dann geschuldet werden soll, wenn das Ausbleiben der Erfüllung der Verbindlichkeit feststeht. Es sollte ganz klar gestellt werden, daß der Leistungspflicht der Vorrang vor der Ersatzpflicht eingeräumt wird. 50 Nicht jede schuldhafte Nichterfüllung einer Verbindlichkeit soll also die Schadensersatzpflicht, die an die Stelle der Leistung tritt, auslösen können, sondern schadensersatzpflichtig wegen Nichterfüllung wird der Schuldner nur, wenn als feststehend gelten kann, daß er die eigentlich geschuldete Leistung freiwillig nicht mehr erbringen wird. Diese Sicherheit ist gegeben bei einer Unmöglichkeit der geschuldeten Leistung, bei Ablauf der nach Eintritt des Schuldnerverzugs durch den Gläubiger gesetzten Frist mit Ablehnungsandrohung51 bzw. bei Interessefortfall nach Eintritt des Verzugs52, bei einer verschuldeten ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung durch den Schuldner vor oder nach Eintritt des Verzugs53 sowie nach Ablauf der gem. § 283 BGB gesetzten Frist 54. In all diesen Fällen soll dem Gläubiger nicht mehr zugemutet werden, weiterhin auf Erfüllung der Verbindlichkeit zu bestehen. Statt Erfüllung soll aber Schadensersatz zu leisten sein, wenn nur die Nichterfüllung, das Ausbleiben der Leistung, auf ein Verschulden des Schuldners zurückgeführt werden kann. Um also klar zu stellen, daß Schadensersatz wegen Nichterfüllung nur in diesen - im Gesetz ausdrücklich geregelten - Fällen erbracht werden kann und darf, ansonsten aber die Erbringung der Leistung den uneingeschränkten Vorrang genießt, hat man den in dieser Hinsicht nicht ganz eindeutig formulierten Satz „Er haftet... wegen ... [schuldhafter] ... Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit" aus dem Gesetz heraus gestrichen. Nach der Ansicht Jakobs ist durch diese Veränderung der Widerspruch aus dem Gesetz beseitigt worden, daß die Haftung des Schuldners auf der einen Seite nicht mehr vorauszusetzen schien als die schuldhafte Nichterfüllung der Verbindlichkeit, auf der anderen Seite aber nur dann eintreten sollte, wenn die Erfüllung definitiv ausblieb.55 Durch die Beseitigung dieses Widerspruchs soll das Gesetz nun deutlich, aber nicht mehr ganz vollständig sein, weil eine allgemeingültige Anspruchsgrundlage für jeden Fall, in dem eine Haftung des Schuldners begründet sein sollte,
50 Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 27; auch Mugdan II, S. 522 = Protokolle S. 609. 51
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 49.
52
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 55-58.
53
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 51-55.
54
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 49.
55
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 22.
3 Kley
34
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
fehlt. 56 Allerdings soll - und diese Gründe waren Jakobs zufolge ausschlaggebend für die Streichung des § 224 I 2 El durch die Redaktionskommission auf diese Vollständigkeit ohne Not verzichtet werden, ja sie soll sogar überflüssig sein, weil es für den Juristen, um dessen Verständnismöglichkeit es geht, eine Notwendigkeit ist, daß der Schuldner bei zu vertretender Nichterfüllung haften muß. Die Regelung des BGB beschränkt sich also nach Jakobs vernünftiger Weise darauf, den sich von selbst verstehenden Grundsatz durchzuführen und nur diejenigen Fragen aufzuwerfen, deren Entscheidung nicht mit Selbstverständlichkeit durch das Prinzip gegeben ist. In bezug auf die Unmöglichkeit soll die relevante Frage, deren Entscheidung in das BGB aufgenommen wurde, lauten: wann ist im Falle der Nichterfüllung statt der Leistung Schadensersatz wegen Nichterfüllung (§§ 280, 283 BGB) und wann Erfüllung und Schadensersatz (§§ 284 ff. BGB) geschuldet?57
2. Pflichtverletzungstatbestand als komplementäre Haftungsnorm für Integritätsschäden Ist durch das Schuldnerverhalten der Gläubiger aber nicht in seinem Erfüllungsinteresse, in seiner Erwartung des Bekommensollens beeinträchtigt, sondern liegt der Schaden in einer Verletzung seines Integritätsinteresses58, einer Verletzung seiner bereits bestehenden Rechtsgüter, so soll der Haftungsgrundtatbestand der Nichterfüllung nicht greifen, denn die Leistung oder ihr Äquivalent können den Schaden des Gläubigers nicht ausgleichen. Dieser beruht nicht auf der Nichterfüllung und deswegen ist sie in bezug auf die Haftung für Integritätsschäden unerheblich. Das Erhaltungsinteresse des Gläubigers kann vielmehr auch dann verletzt werden, wenn der im Mittelpunkt des Schuldverhältnisses stehenden Leistungspflicht nachgekommen wird: Der zum Auswechseln einer kaputten Fensterscheibe bestellte Glaser setzt tadellos eine neue Scheibe ein, zerbricht aber aus Versehen beim Verlassen des Hauses mit der mitgebrachten Leiter eine
56
Vgl. Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, 1985, S. 15 f.
57
Vgl. Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, 1985, S. 16 f.
58
Schon hier soll angemerkt sein, daß das Erfüllungs- und Integritätsinteresse den verschiedenen Schutzzwecken der Schutzpflichten entspricht, die entweder auf den Schutz und Erhalt der im Austausch stehenden Leistung oder auf den Schutz und Erhalt der gläubigereigenen Güter gerichtet sind. Vgl. im einzelnen hierzu die unter „V 4 a) Schutz- und Leistungspflichten" gemachten Ausführungen auf S. 61 f.
III. Das System Jakobs
35
chinesische Vase. Bezüglich dieser Schäden soll nach einer anderen Haftungsgrundlage zu suchen sein. Jakobs zufolge ist hier der allgemeine Satz anzuerkennen, daß die schuldhafte Pflichtverletzung zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. 59 Daß dieser allgemeine Satz nicht im Regelwerk des BGB niedergelegt ist, soll nach Jakobs aber nicht den verkürzten Schluß auf einefragmentarische, lückenhafte, wenig durchdachte Regelung zulassen, die durch Heranziehen allgemeiner Gedanken ergänzt werden müßte. Bei Entwurf und Erlaß des Bürgerlichen Gesetzbuches wollte man sich nach Jakobs auf die Lösung der nicht ganz eindeutigen, problematischen Fälle der Leistungsstörungen beschränken. Dies sollen aber nur die Fälle der Nichtleistung sein, bei deren Vorliegen dem Gläubiger entweder mit der Verurteilung des Schuldners zur versprochenen Leistung oder zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung gedient werden kann. Kann der Schadensausgleich aber alleine durch das Eintreten einer Ersatzpflicht vorgenommen werden, so soll die Lösung nämlich die Gewährung von Schadensersatz- selbstverständlich sein und bedarf keiner gesetzlichen Normierung, denn „der Adressat der Kodifikation, was deren Verständnismöglichkeit betrifft, [hat] der Jurist zu sein ... Vollständigkeit der Kodifikation ist also zu verlangen für den ausgebildeten: den gelehrten Juristen" 60 . Dieser weiß nach Jakobs über den allgemeinen Grundsatz, daß vorwerfbare und vermeidbare Pflichtverletzungen schadensersatzpflichtig machen, genauso Bescheid wie darüber, daß der Schuldner bei zu vertretender Nichterfüllung haften muß61.
3. Anspruchskonkurrenz bei Schlechterfüllung Natürlich kann es zwischen beiden von Jakobs hergeleiteten Haftungsgrundnormen zu Konkurrenzen kommen.62 Dies soll immer dann der Fall sein, wenn ein Teil des Schadens auf der Nichterfüllung der Verbindlichkeit beruht und der andere Teil dadurch verursacht wurde, daß durch auf die Leistung gerichtete Handlungen oder Unterlassungen das Vermögen des Gläubigers in seinem bisherigen Bestand beeinträchtigt wurde; es sollen dies die heute allgemein als Schlechtleistung63 bezeichneten Fälle der Leistungsstörungen sein. Aber anders
59
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 34.
60
Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, 1985, S. 9.
61
Zum Grundsatz der Haftung bei zu vertretender Nichterfüllung siehe S. 34.
62
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 46.
63
Der Begriff der Schlechtleistung bzw. Schlechterfüllung geht zurück auf Zitelmann, in: Bonner Festgabe für Krüger, 1911, S. 267, 276, der diesen Ausdruck sowohl
36
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
als die h.M., die in der Schlechtleistung einen Fall der positiven Forderungsverletzung sieht, möchte Jakobs auch hier scharf zwischen dem durch die Nichterfüllung entstandenen Erfüllungsschaden und dem durch die Pflichtverletzung entstandenen Integritätsschaden unterscheiden, und beide - basierend auf ihrer jeweiligen Anspruchsgrundlage - getrennt voneinander zum Ausgleich bringen. 64 Beide Haftungstatbestände sollen also nebeneinander die Grundlage für einen einheitlichen Schadensersatzanspruch bilden.
4. Anwendung des Systems der Nichterfüllung auf die Fälle Staubs Auch nach dem Systementwurf von Jakobs besteht keinerlei Lücke im BGB, die unter Heranziehen der Grundsätze über die positiven Vertragsverletzungen geschlossen werden müßte, was die Lösung der Beispiele Staubs zeigt: Der Gesellschafter, der eine falsche Bilanz aufstellt, erfüllt seine ihm obliegende Leistung fehlerhaft und schlecht. Da das Fehlende, die richtige Bilanz, noch geleistet werden kann, ist ein Ersatzverlangen bzgl. des Erfüllungsinteresses nur gem. § 326 I BGB nach Verzug, Ablehnungsandrohung und fruchtlosem Fristablauf bzw. gem. § 326 II, I BGB nach Interessefortfall an der Aufstellung einer richtigen Bilanz möglich. Dies hat allerdings keinen Einfluß auf den Verzögerungsschaden, der gem. § 286 I BGB ersetzt verlangt werden kann. Doch wird es, wenn eine falsche Bilanz erstellt wird, weder der Erfüllungs- noch der Verzögerungsschaden sein, der vom Gläubiger eingefordert wird, sondern derjenige Schaden, der ihm dadurch entsteht, daß er von dem Fehler nichts weiß und „mit dem ihm als Erfüllung Erbrachten in einer für den Bestand seiner Rechtsgüter gefährlichen Weise verfährt", 6 indem er auf Grund der falschen Bilanz sein Vermögen schädigende Dispositionen trifft. Soweit es aber nicht um die Nichterfüllung der Leistung, sondern um die Verletzung des Integritätsinteresses geht, ist die schuldhafte Verletzung der allgemeinen Sorgfaltspflicht, hier die Pflicht zur sorgfältigen Erstellung der Bilanz, haftungsbegründend. Wer die ihm verkauften Lampen trotz anderweitiger Zusage, nach Frankreich verkauft, schädigt das Erfüllungsinteresse des Gläubigers in bezug auf den untersagten Weiterverkauf. Da hier schon nach dem Verkauf der ersten Lampe nach Frankreich fest-
auf die Fälle, in denen „die unmittelbare Erfüllungshandlung selbst fehlerhaft ist", als auch auf die, bei denen „die behufs Erfüllung vorgenommene Handlung zwar für sich selbst fehlerlose Erfüllung ist, aber infolge der Art ihrer Vornahme daneben zugleich ein Schaden für den Gläubiger [hervorgebracht wird]", bezog. 64 65
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 45.
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 44; in Fn. 78 mit Verweis auf das hier zu lösende Beispiel Staubs des bilanzierungspflichtigen Gesellschafters, der eine fehlerhafte Bilanz errichtet.
III. Das System Jakobs
37
steht, daß die geschuldete Leistung, das Unterbleiben des Verkaufs auf keinen Fall mehr geleistet werden wird, kann der Gläubiger Schadensersatz wegen Nichterfüllung gem. § 325 1 1 BGB verlangen. Der Verkäufer wurmstichiger Äpfel macht sich demnach in doppelter Hinsicht ersatzpflichtig: den Erfüllungsschaden, der sich darin äußert, daß der Käufer gesunde Äpfel erwartete, aber wurmstichige Äpfel bekam, muß er je nach Käuferverlangen dadurch ausgleichen, daß er gem. §§ 4801, 462 BGB entweder die Äpfel zurücknimmt, den Kaufpreis mindert oder ein neues, diesmal gesundes Kontingent an Äpfeln liefert. Zum Ersatz des Integritätsschadens, der dadurch entstanden ist, daß die gelieferten, wurmbefallenen Äpfel mit den gesunden Äpfeln des Käufers vermischt wurden und ebenfalls wurmstichig wurden, ist der Gläubiger allerdings nach dem allgemeinen Grundsatz verpflichtet, daß schuldhafle Pflichtverletzungen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichten. Dabei liegt die schuldhaft verletzte Sorgfaltspflicht darin, daß der Verkäufer nicht über den Wurmbefall der Äpfel aufklärte, obwohl er davon wußte, bzw. davon hätte wissen müssen. Wer einen explosiven Leuchtstoff verkauft, ohne über die notwendig vorsichtige Behandlung des Leuchtstoffs aufzuklären, der Leuchtstoff deswegen im Lager des Käufers explodiert und großen Schaden anrichtet, ist zum Ersatz des dadurch entstandenen Integritätsschadens am Lager des Käufers wegen schuldhafter Verletzung seiner Aufklärungspflicht verpflichtet. Dabei ist zu beachten, daß zum verletzten Integritätsinteresse des Käufers auch der bereits in sein Eigentum übergegangene Leuchtstoff gehört, dessen Wert vor und bei Abwicklung des Vertrages noch zum Erfüllungsinteresse gerechnet werden muß.
5. Funktion der Unmöglichkeit im System Jakobs In dem System, das Jakobs für das allgemeine Schuldrecht auf Grund des BGB und seiner Entstehungsgeschichte entwirft, wird die Haftung für Erfüllungsschäden durch eine verschuldete Nichterfüllung, die für Begleitschäden, durch eine Pflichtverletzung des Schuldners ausgelöst. Die Unmöglichkeit hat als Haftungsvoraussetzung also gar keine Bedeutung.66 Auch die ihr durch die h.M. gegebene Funktion, den Schuldner von seiner Pflicht zur Leistung zu befreien, 67 hat in diesem System keinen Platz, denn nach Jakobs ist „das wahre Dogma in der Lehre von der Befreiung des Schuldners ... nicht... das Unmöglichkeitsdogma, sondern die Annahme ..., daß auf diesem Dogma die Regelung
66 67
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 50.
Siehe hierzu die oben zu „ I 4 b) § 275 I BGB als Befreiungstatbestand für den Schuldner" gemachten Ausführungen auf S. 23.
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
38
des § 275 beruh[t]." 68 Im Vordergrund der BGB-Regelungen soll demnach nicht der Schuldner, sondern der Gläubigerschutz stehen.
a) § 280 BGB als Befreiungsgrundfür
den Gläubiger
Wie oben ausgeführt, 69 nimmt Jakobs an, daß eine schuldhafte Nichterfüllung der Leistung dem Gläubiger nur dann das Recht gibt, Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, wenn das Ausbleiben der Leistung als feststehend gilt. Daß die Erfüllung auf keinen Fall mehr eintreten wird, steht u.a. dann fest, wenn die Leistung unmöglich geworden ist. Ist dies nicht der Fall, soll der Gläubiger gem. § 280 I BGB auf den Erfüllungsanspruch beschränkt bleiben.70 In § 280 geht es also mit der Unmöglichkeit darum, dem Erfüllungsanspruch den Vorrang vor der Ersatzpflicht wegen Nichterfüllung einzuräumen. Solange die Leistung noch möglich ist, soll sie auch erbracht werden. Die Frage nach der Rechtsfolge der Nichterfüllung: Erfüllung oder Schadensersatz? ist also eine Frage nach dem Eintritt der Unmöglichkeit. Ihr soll demnach die Funktion zukommen, die Verpflichtung des Schuldners von der Primär- auf die Sekundärleistung umzustellen. Damit befreit die Unmöglichkeit den Gläubiger von seiner Beschränkung auf den Leistungsanspruch,71 „sie ist also - kurz gesagt ein Befreiungsgrund für den Gläubiger."72
68
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 72. Daß § 275 BGB nicht zumindest auch den Schuldner von seiner Pflicht zur Primärleistung befreien soll, liegt daran, daß Jakobs das Prinzip der perpetuatio obligations, der Verewigung der Leistungspflicht in § 275 BGB begründet wissen will; vgl. dazu die unter ,,b) Das in § 275 BGB niedergelegte Prinzip der Befreiung des Schuldners und die Perpetuierung der Leistung" gemachten Ausführungen auf S. 39 f. 69 Siehe dazu die oben zu „III 1. Nichterfüllungstatbestand als Haftungsgrundnorm für Erfüllungsschäden" gemachten Ausführungen auf S. 32 ff. 70 71
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 49.
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 72 f., der Bezug nimmt auf Himmelscheins Feststellung, daß „die Unmöglichkeit im Gesetz eine besondere Funktion [hat], nämlich die der Feststellung, wann ... an Stelle des Anspruchs auf Primärleistung der Anspruch auf Ersatzleistung tritt", AcP 135 (1932), S. 255, 259. 72 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 73; siehe dazu auch Fn. 68. Ähnlich Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 4 I 3, S. 101 f.; Bd. II, 1999, § 54 I 2, S. 647, der seine Ausführungen dahingehend ergänzt, daß § 280 BGB eine Ausnahme zu dem besonderen Prinzip der zu vertretenden Leistungsstörungen, nämlich dem Verzug und der positiven Vertragsverletzung darstellt. Diese Ausnahme ist nach Huber darin begründet, daß § 280 BGB dem Gläubiger den Übergang zum Sekundäranspruch ge-
III. Das System Jakobs
39
b) Das in §275 BGB niedergelegte Prinzip der Befreiung des Schuldners und die Perpetuierung der Leistung Daraus, daß Jakobs die Unmöglichkeit in § 280 BGB als Befreiungsgrund für den Gläubiger von seiner Beschränkung auf den Leistungsanspruch bezeichnet, ergibt sich schon ein Hinweis darauf, daß das durch den Eintritt der Unmöglichkeit nun zulässige Schadensersatzverlangen eine Erweiterung der Gläubigerrechte darstellt. Er muß sein Recht nicht mehr im Wege der Leistungsklage geltend machen, er kann auch statt der Leistung Schadensersatz verlangen, will er aber sein Recht auf die Leistung weiter verfolgen, so steht ihm dies frei; er kann nach seiner Wahl zwei Wege beschreiten.73 Diese Verewigung der Leistungspflicht {perpetuatio obligationis) über den Eintritt ihrer eigentlichen Unmöglichkeit hinaus, meint Jakobs der Formulierung des § 275 BGB entnehmen zu können. § 275 BGB befreit den Schuldner seinem Wortlaut nach nur dann von der Verpflichtung zur Leistung, wenn sie infolge eines Umstands unmöglich wird, den er nicht zu vertreten hat. Tritt aber die Unmöglichkeit infolge eines vom Schuldner zu vertretenden Umstands ein, so soll - „nimmt [man] das Gesetz beim Wort" 74 - die Rechtsfolge der Befreiung des Schuldners nicht eintreten. Der Schuldner ist erst dann befreit, wenn er die Unmöglichkeit der Leistung nicht selbst verschuldete, wenn er wegen Nichterfüllung nicht ersatzpflichtig ist.75
währt ohne eine weitere Nachfristsetzung zu verlangen (Huber, Leistungsstörungen, Bd. 1,1999, § 414, S. 102, Bd. II, 1999, § 54 I 2, S. 647 f., § 54 14, S. 655). 73 Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 73 f.; ähnlich Huber, der dieses Wahlrecht des Gläubigers allerdings faktisch einschränkt, indem er darauf hinweist, daß der Erfüllungsanspruch jedenfalls bei feststehender Unmöglichkeit „zumindest gegenstandslos" ist (Huber, Leistungsstörungen, Bd. II, 1999, § 58 I 5, S. 783, § 58 11, S. 770 f.) und eine auf Erfüllung gerichtete Klage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig wäre (vgl. Huber, Leistungsstörungen, Bd. II, 1999, § 58 11, S. 773, § 58 I 5, S. 783). Außerdem sieht Huber - anders als Jakobs - in § 275 BGB für die Fälle der nachträglichen nicht zu vertretenden Unmöglichkeit eine Ausnahme von dem allgemeinen Prinzip der Haftung bei Nichterfüllung, das er den §§ 276279 BGB entnimmt (Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 4 I 4, S. 102; vgl. hierzu auch Fn. 97 a.E. auf S. 45). 14 75
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 75.
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 75 f.; Wieling, in: FS für Sturm, Gliederungspunkt c) a.E., weist zwar daraufhin, daß die perpetuatio obligationis nichts weiter bedeute als eine bloße Inhaltsänderung derselben Obligation in eine Verpflichtung zum Schadensersatz; Jakobs versteht hierunter allerdings - wie eben dargelegt - die Perpetuierung der Leistungspflicht selbst und stellt sie neben die Pflicht zum Schadensersatz. Wenn im Folgenden von dem Prinzip der perpetuatio obligationis die
40
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Die Annahme der h.M., daß der Gläubiger bei vom Schuldner zu vertretender Unmöglichkeit der Leistung nur noch Schadensersatz aber nicht mehr die Primärleistung verlangen können soll, soll danach auf der dem Gesetz widersprechenden76 Regel impossibilium nulla est obligatio 77 beruhen. Sie soll dem Gesetz deswegen widersprechen, weil § 275 BGB den Schuldner bei zu vertretender Unmöglichkeit von seiner Primärleistungspflicht nicht befreit, und § 280 BGB für genau diesen Fall eine Schadensersatzpflicht wegen Nichterfüllung anordnet, woraus zu schließen ist, daß der Schuldner bei schuldhaft verursachter Unmöglichkeit der Primärleistung zu dieser verpflichtet bleibt, und daneben schadensersatzpflichtig sein soll. Da der Schuldner natürlich nicht zum einen die Leistung selbst und zusätzlich noch ihr Äquivalent, den Schadensersatz leisten muß, kommt dem Gläubiger ein Wahlrecht zwischen beiden Ansprüchen zu. Diesem Gesetz gewordenen Wahlrecht soll der berühmte Satz von Celsus entgegen stehen.
IV. Das System der allgemeinen Culpa-Haftung Die im gemeinen Recht noch fest verankerte allgemeine Culpa-Haftung kannte nur einen einzigen Haftungstatbestand: die schuldhafte Verletzung von Handlungs- bzw. Unterlassungspflichten, die zu einem Schaden führt. Innerhalb von Vertragsverhältnissen kann eine solche Pflichtwidrigkeit ζ. B. „in der Nichterfüllung oder der mangelhaften oder verzögerten Erfüllung von Kontrakten liegen."78 Dabei muß jeder Schaden, der in der Vermögenslage des Gläubigers in Folge der Pflichtverletzung eintritt, vom Schuldner ersetzt werden, „selbst wenn er erst durch andere Thatsachen vermittelt worden ist"; 79 ζ. B. muß ein Verkäufer „dem Käufer auch den Schaden ersetzten, welcher derselbe dadurch erleidet, daß das [verkaufte] kranke Thier andere gesunde Thiere
Rede sein wird, wird dieser Begriff im Sinne Jakobs als Verewigung der Leistungspflicht ausgelegt. 76
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 74 spricht von einer „Blendung" der h.L durch die Celsus-Regel. Das auf ihr beruhende Verständnis der Funktion der Unmöglichkeit werde „durch das Gesetz nicht einmal nahegelegt"; in der Formulierung milder, aber im Ergebnis ebenso Huber, in: FS für Gaul, 1997, S. 217, 237, der seine Ansicht historisch, mit einem auf die objektive anfängliche Unmöglichkeit begrenzten Anwendungsbereich des Celsus-Satzes begründet; vgl. dazu die Ausführungen zu „§ 3 III 2. Die perpetuatio obligationis im BGB" auf S. 92. 77
Celsus D. 50. 17. 185.
78
Dernburg, Pandekten, Bd. II, 5. Aufl., 1897, § 44, S. 119.
79
Windscheid,, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. II, 7. Aufl., 1891, § 258 2, S. 35.
IV. Das System der allgemeinen Culpa-Haftung
41
des Käufers ansteckt."80 Schäden sowohl am ErfÜllungs- als auch am Integritätsinteresse können also nach der Lehre von der allgemeinen Culpa-Haftung ohne weiteres ersetzt verlangt werden, solange sie nur durch eine schuldhafte Pflichtwidrigkeit des Vertragspartners verursacht wurden.
1. Der Haftungstatbestand des § 224 £1 Nach einem Antrag Windscheids - des Autors des berühmtesten Pandektenlehrbuchs des gemeinen Rechts - wurde dann auch in der ersten Beratungskommission zum BGB, in der der Vorentwurf zum Schuldrecht zur Debatte stand, ein diesem Grundsatz entsprechender Abschnitt in den zukünftigen Gesetzestext eingefügt, der im ersten Entwurf des BGB als § 224 I 1 und 2 El folgenden Wortlaut hatte:81 Der Schuldner ist verpflichtet, die nach dem Schuldverhältnisse ihm obliegende Leistung vollständig zu bewirken. Er haftet nicht blos wegen vorsätzlicher sondern auch wegen fahrlässiger Nichterfüllung seiner Verbindlichkeit.82
Man hielt es für wichtig, die Pflicht zur Vollständigkeit der Leistung besonders hervorzuheben, um zu verdeutlichen, „daß die Verpflichtung ihrem ganzen Umfange nach und namentlich auch in Ansehung aller Nebenpunkte zu erfüllen sei."83 Man wollte sicher gehen, daß eine pflichtgemäße Erfüllung gewährleistet ist, der Schuldner den Gläubiger nicht mit einer unsorgfältigen oder mangelhaften Leistung abspeisen kann. Man wählte absichtlich eine allgemeine Formulierung, da man erkannte, daß „es weder dem Gesetze, noch für die Regel dem Geschäftsverkehre möglich [ist], den Umfang und Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben".84 Im Hinblick auf den ersten Satz des § 224 I El einigte man sich in der 2. Kommission, daß die Pflicht zur vollständigen und sorgfältigen Leistung so
80
Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. II, 7. Aufl., 1891, § 258 2, S. 35 Fn. 12; vgl. auch die Darstellung bei Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, § 3 II 3, S. 82 f. 81 Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, (§§ 241-432), S. 237. 82 Mugdan II, S. V; Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, (§§ 241-432), S. 247. 83
Mugdan, II, S. 14 = Motive II, S. 26; ebenso Jakobs/Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, (§§ 241-432), S. 239. 84
Mugdan II, S. 14 = Motive II, S. 26.
§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
42
selbstverständlich ist, daß er gestrichen werden kann.85 An seine Stelle sollte ein allgemeiner Verweis auf Treu und Glauben treten, den man zuvor mit § 359 El nur zur Bestimmung des Inhalts einer schuldrechtlichen Verbindlichkeit für notwendig hielt, sich aber nicht gleichzeitig auf die Erfüllung derselben bezog. Es entstanden § 157 BGB, der die Maßgeblichkeit von Treu und Glauben hinsichtlich der Feststellung des Vertrags/wAa/te für alle Verträge anerkennt, und § 242 BGB, der den Verweis auf Treu und Glauben hinsichtlich der (vollständigen) Erfüllung der Verbindlichkeit auf vertragliche sowie gesetzliche Schuldverhältnisse bezieht.86 Der den allgemeinen Haftungsgrundsatz enthaltende Satz 2 wurde ausdrücklich gebilligt.87 Man überließ die exakte Formulierung allerdings der Redaktionskommission. Sie sollte verdeutlichen, „daß die Frage, unter welchen Voraussetzung als feststehend gelte, daß die Verbindlichkeit nicht erfüllt werden, und der Schadensersatz wegen Nichterfüllung gefordert werden könne, nicht hier [in § 224 1,2 El], sondern erst in den §§ 237 ff. zur Entscheidung gelange."88 Man wollte dem Gläubiger seinen Erfüllungsanspruch so lange wie möglich erhalten. Er sollte nicht - wie es nach den Rechtsordnungen der europäischen Nachbarländer, insbesondere Englands, Frankreichs und der Schweiz möglich war - durch ein jegliches, gegebenenfalls sogar willkürliches, Fehlverhalten des Schuldners auf den Schadensersatzanspruch, der an die Stelle der Primärleistung tritt, verwiesen werden können.89 Dies sollte nur unter besonderen Umständen geschehen, nämlich in den in §§ 237 ff. ( = §§ 275, 280 ff. BGB) dargelegten Fällen. Der Übergang zum Sekundäranspruch sollte also erst dort geregelt werden, grundsätzlich sollte es aber zur Realkondemnation kommen. Die Haftungsgrundlage war und sollte auch weiterhin in § 22412 El ent-
85 Vgl. Mugdan II, S. 521 = Protokolle, S. 608; sowie Mugdan II, S. 522 = Protokolle, S. 1250 f. 86
Vgl. Mugdan, II, S. 522 = Protokolle, S. 1250 f.
87
Vgl. Mugdan II, S. 522 = Protokolle, S. 609.
88
Mugdan II, S. 522 = Protokolle, S. 609.
89
Vgl. Mugdan II, S. 27 = Motive, S. 49 f., wo dieser Gedankengang bei der Erläuterung des § 240 El (= § 280 BGB) niedergelegt ist: „Durch den § 240 ... ist weiter der Grundsatz des französichen und schweizerischen Rechts abgelehnt, wonach sich die Verbindlichkeit, etwas zu thun, im Falle des Verzuges sofort in die Verbindlichkeit zum Schadenersatze auflöst. ... Nur wenn die gänzliche oder theilweise Unmöglichkeit der Leistung feststeht... kann der Gläubiger das Interesse wegen Nichterfüllung fordern. ... Aus den §§ 240, 243, wie aus § 224 folgt auch, daß der Schuldner nicht nach seinem Belieben etwa dem Gläubiger statt der Naturalerifüllung die Leistung des Interesses aufdrängen kann."; auch Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255-259, 273-275.
IV. Das System der allgemeinen Culpa-Hafung
43
halten sein. Dies geht auch aus späteren Bezugnahmen der Kommissionen auf diesen Vorschriftsentwurf hervor. 90
2. Die Culpa als Haftungsgrund im BGB Aus § 22412 El wurde nach der Bearbeitung durch die Redaktionskommission § 276 I BGB. Aus ihm kann ein allgemeiner Haftungsgrundsatz auf den ersten Blick nicht mehr entnommen werden, weswegen Staub und ihm folgend die h.M. in § 276 I BGB lediglich eine Verschuldensdefinition und im übrigen eine ,Lücke' im BGB sehen.91 Dennoch hat sich das BGB nicht gegen die Culpa-Haftung entschieden.
a) Die Vorstellung der Gesetzesverfasser Der genaue Hergang der Diskussion in der Redaktionskommission zu diesem Punkt läßt sich heute leider nicht mehr genau rekonstruieren; vergleicht man aber die der Kommission gestellte Aufgabe mit dem von ihr erarbeiteten Ergebnis, kann der Gedankengang, der dazu führte, daß ein umfassender Haftungstatbestand nicht mehr explizit im Gesetz enthalten ist, doch wenigstens nachvollzogen werden: Nach der Anleitung durch die zweite Kommission hatte es oberste Priorität, klarzustellen, daß eine Schadensersatzhaftung wegen Nichterfüllung nicht schon bei jeder Pflichtverletzung eintritt, sondern erst, wenn dem Gläubiger durch die Erfüllung der Verbindlichkeit nicht mehr gedient werden kann, weil er entweder das Interesse an der Leistung durch die Pflichtverletzung des Schuldners verloren hat (§§ 280 II 1 BGB: Teilunmöglichkeit, 286 II 1 BGB: Verzug) oder weil die Leistung selbst nicht mehr erbringbar ist (§ 280 I BGB: Unmöglichkeit). Geht man nun mit Brinz davon aus, daß die Haftung darin besteht, dem Gläubiger wegen Nichterfüllung der Schuld Ersatz oder „Satisfaktion" zu verschaffen, 92 so heißt,haften' soviel wie ,zur Sekundärleistung, zum Schadensersatz wegen Nichterfüllung verpflichtet sein'.
90
Vgl. Jakobs/Schubert Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, (§§241-432), S. 250, 251; Mugdan II, S. 528 = Protokolle, S. 630; siehe hierzu auch Blaurock, in: Kolloquium für Ernst v. Caemmerer, 1983, S. 57. 91
Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, (siehe Fn. 6) S. 95; auch Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 21. 92
Vgl. Brinz, Lehrbuch der Pandekten, Bd. 2, 2. Aufl., 1879, § 206-§ 210, S. 1-12.
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2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Eine Haftung in diesem Sinne sollte die vorwerfbare und vermeidbare Pflichtverletzung alleine aber gerade nicht auslösen, dazu sollte erst das Vorliegen der in §§ 237 ff. El genannten Umstände führen. 93 Weil das Wort,haften' die Verpflichtung zur Erfüllung aber nicht notwendig mitumfaßt, 94 mußte es in § 224 12 El gegen ein anderes, in dieser Hinsicht unmißverständliches ausgetauscht werden, das verdeutlicht, daß der Schuldner zwar für jede vorwerfbare und vermeidbare Pflichtverletzung einstehen sollte, dieses Einstehenmüssen aber grundsätzlich auch neben die Leistung treten kann und nicht unbedingt an ihre Stelle. Diesen Anforderungen entspricht das Wort,Vertretenmüssen' bzw. ,zu vertreten haben'. Mit dieser Formulierung hat man herausgestellt, daß der Schuldner für alle Nachteile einzustehen hat, die durch sein vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten eingetreten sind, gleichzeitig aber offen gelassen, worin dieses Einstehenmüssen besteht. Bezüglich dieser Frage ist § 276 I BGB eine „Blankettnorm"95, und sie soll auch erst durch §§ 237 ff. El = § 280 ff. BGB beantwortet werden. Daß aus der Formulierung des § 276 I BGB nicht mehr so deutlich wie aus der Formulierung des § 224 I El hervorgeht, daß auch ein über das Gläubigerinteresse an der Leistung hinausgehender Schaden, der durch ein schuldhaftes Verhalten des Schuldners verursacht wurde, von diesem zu ersetzen ist, kann nur als Redaktionsversehen gewertet werden.96 Die Möglichkeit des Mißverständnisses folgt aber keineswegs aus der Formulierung selbst, sondern aus der von der zweiten Kommission beschlossenen Trennung des 2. Satzes des § 224 El von seinem 1. Satz. Durch diese Aufspaltung wird nicht hinreichend deutlich, daß das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht nur hinsichtlich der versprochenen Primärleistung, sondern hinsichtlich ihrer vollständigen Erbringung zu vertreten ist.
93
Vgl. auch Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 20.
94
Zu dieser Auslegung der „Haftung" vgl. auch Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 23. 95
Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 273; ebenso Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, 1978, S. 28. 96 Vgl. Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255, 275-281; ders., AcP 158 (1959/69), S. 272, 279-284; Huber, in: FS für v. Caemmerer, 1978, S. 837, 840, 843; Wicher, AcP 158 (1959/60), S. 297-299. In diesem Zusammenhang verblüfft es dann nicht mehr, daß man in dem wohl am häufigsten zu Rate gezogenen Kommentar zum BGB, im Palandt, die Ausführungen zur pVV, die nach der h.M. als dritter und ungeregelt gebliebener Haftungstatbestand der Unmöglichkeit und dem Verzug gegenübergestellt wird, unter § 276 findet und nicht - wie bei Zugrundelegen der h.M. zu erwarten wäre - unter den Vorbemerkungen zu §§ 275 ff.
IV. Das System der allgemeinen Culpa-Haftung b) Die Interpretation
45
des Reichsgerichts
Weil sowohl das Reichsgericht als auch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von Autoren in der Literatur diese Intention der Redaktionskommission nicht verkannt haben, wandten sie § 276 BGB als Haftungsgrundlage im Sinn einer allgemeinen Culpa-Haftung direkt an: 97 In RGZ 52, 18 wurde dem Käufer, einem Getreidehändler, nasser, nicht mahlfähiger Roggen geliefert. Dadurch, daß der Roggen i.S.d. § 459 BGB fehlerhaft war, konnte ihn der Käufer nicht weiterverkaufen und mußte zur Erfüllung seiner eigenen Verbindlichkeiten einen Deckungskauf tätigen, dessen Mehrkosten er unter anderem geltend machte. Das RG wies daraufhin, daß auf Grund des Vertragsverhältnisses ein Schadensersatzanspruch neben der Wandlung bestehen und geltend gemacht werden kann, wenn nämlich die eine Vertragspartei schuldhafter Weise ihre Vertragspflicht verletzt und hierdurch dem anderen Kontrahenten Schaden verursacht hat, der in der Wirkung der Wandlung nicht seine Deckung findet, und dessen Geltendmachung nicht eine besondere Gesetzesvorschrift entgegensteht. Es folgt dieses aus § 276 B.G.B. Denn hat hiernach der Schuldner ... Vorsatz und Fahrlässigkeit bei seiner Leistungspflicht zu vertreten, so kann mangels anderweitiger gesetzlicher Vorschriften diese Vertretungspflicht gegenüber dem anderen Teile nur in der Weise verwirklicht werden, daß der Schuldner
97
Vgl. RGZ 52, 18 („nasser Roggen" Urteil vom 13. Juni 1902; Deckungskauf); 53, 200 („mangelhafter dänischer Saathafer" Urteil vom 19. Dezember 1902; entgangener Gewinn); 56, 167 („mangelhafter Sackkalk"; Urteil vom 27. November 1903; Mangelfolgeschaden); 62, 119 („Benzinmotorwagen" Urteil vom 1. Dezember 1905; Personenschaden bei Transportvertrag); 66, 289 („Rizinuskörner im Pferdefutter" Urteil vom 9. Juli 1907; Mangelfolgeschaden); 97, 116 („Salmiak statt Selters" Urteil vom 6. November 1919; Mangelfolgeschaden); 99, 96 („bleihaltiges Trinkwasser" Urteil vom 6. Mai 1920; Mangelfolgeschaden); 106, 22 („geplatzte Hypothek" Urteil vom 29. November 1922; Vermögensschaden; Auseinandersetzung mit der Ansicht Staubs und ihre Ablehnung); 108, 221 („defekte Wasserstoffflasche" Urteil vom 21. September 1923; Mangelfolgeschaden); 116, 213 („Sturzsee in der Biskaya" Urteil vom 23. Februar 1927; Personenschaden bei Transportvertrag); 125, 76 („chromhaltiger Stahl" Urteil vom 26. Juni 1929; Mangelfolgeschaden); Krückmann, DJZ 1905, Sp. 205-207; Kipp, DJZ 1903, S. 253, 254, der eine ausdehnende Auslegung des § 276 BGB favorisiert; Crome , System des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. II, 1902, § 150 III 2 c), S. 65; Oertmann, 2. Aufl., 1906, § 276 Anm. 5 b), § 459 Anm. 6, § 463 Anm. 1 a); StaudingerWerner, 9. Aufl., 1930, § 276 Anm. I 1 b), vor § 275 Anm. C II; Dernburg, Das Bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens - Die Schuldverhältnisse, Bd. II, 3. Aufl., 1905, § 63 I, S. 146, § 62 II 1, S. 143, der bei Sachmängeln dem § 463 aber eine Ausschlußfunktion zuwies; Müller, Das Recht 1902, S. 541, 542. Heute entnimmt Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 3 II 2, S. 78 f. dem § 276 BGB wieder „die allgemeine Regel ..., daß der Schuldner für jede schuldhafte Verletzung einer schuldrechtlichen Pflicht haftet" und verweist auf die richtige Auffassung des Reichsgerichts.
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2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen den Schaden ersetzt, der durch sein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln der anderen Partei erwachsen ist. Wollte man diesen Schluß nicht zulassen, so würde der einen allgemeinen Grundsatz aussprechende § 276 erheblich an Bedeutung verlieren, was nicht als von dem Gesetze gewollt angenommen werden kann.98
Daß das RG in diesem Fall die Mehrkosten eines durch fahrlässig mangelhafte Leistung des Schuldners notwendig gewordenen Deckungskaufs über § 276 1 1 BGB ersetzte, ist weiterhin bemerkenswert. Der BGH würde diese Kosten heute als Mangelschaden bewerten, da sie durch eine Nacherfüllung vermeidbar gewesen wären. Es wird heute argumentiert, die Ersatzfähigkeit von Mangelschäden sei durch § 463 BGB ausgeschlossen99, was weithin als Mangel des geltenden Rechts angesehen wird. 100 Das RG leitete aus § 276 1 1 BGB also nicht nur eine Haftungsgrundlage ab, deren Funktion heute von der pVV übernommen wird, sondern es sah in dieser Vorschrift eine umfassende Haftung wegen schuldhafter Pflichtverletzung begründet, über die jeder kausal entstandene Schaden liquidiert werden konnte. Das RG erkannte also entgegen Staub keine Lücke im BGB.
c) Literaturansichten Allerdings gab es auch Vertreter der allgemeinen Culpa-Haftung, die einen Haftungsgrund aus § 276 1 1 BGB nicht direkt entnehmen konnten, weil der Wortlaut „über die Folgen des Vertretenmüssens eben nichts aussagt."101 Im BGB konnte man aber auch keine Belege dafür finden, daß eine generelle Er-
98
RGZ 52, 18, 19.
99
„Bongossi-Holz-Doktrin" RG DR 1941, 637 (Urt. v. 13. November 1940), die vom BGH weitergeführt wurde: BGHZ 67, 359, 365; 77, 215; 87, 88, 91 f.; 101, 337, 339; 103, 39, 43; vgl. auch Palandt-Putzo, vor § 459 Rdz. 6, § 463 Rdz. 26; Medicus, Schuldrecht II, §74 IV3, Rdz. 72; Lorenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. II/l, §41 He), S. 70. 100
Vgl. Abschlußbericht, S. 224; Emmerich, in: FS für Jahr, 1993, S. 267, 270; ders., Das Recht der Leistungsstörungen, § 2111 c) bb), S. 230 f.; Blomeyer, Allgemeines Schuldrecht, § 30 II 1 b), S. 177; v. Caemmerer, in: FS für Larenz, 1973, S. 626 f.; Esser/Weyers, Schuldrecht II, § 6 II, S. 69-73; Hager, AcP 184 (1984), S. 413, 434; Herrmann, AcP 183 (1983), S. 248, 273 f.; Huber, AcP 177 (1977), S. 281, 342-344; Soergel-Huber, vor § 459 Rdz. 38-73 insbes. 55 ff.; Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, §71 1 ebb), S. 186; Rebe/Rebell, JA 78, S. 545, 605, 611 halten auch Mangelschäden für ersetzbar, da sie den Anspruch aus pVV nicht als generell subsidiär, sondern als „gleichrangig neben den gesetzlichen Gewährleistungsrechten" begreifen (S. 610). 101
Lehmann, AcP 96 (1905), S. 60, 83.
IV. Das System der allgemeinen Culpa-Haftung
47
satzpflicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Vielmehr leitete man aus Einzelbestimmungen des Gesetztes induktiv den allgemeinen Haftungstatbestand ab.102 Dabei richtete man sein Augenmerk insbesondere auf solche Vorschriften, die die einzelnen Pflichten der Parteien bei der Erfüllung ihrer Hauptverbindlichkeit näher bestimmten, wie z. B. §§ 447 II, 694 und 603, 665, 692 BGB. Zwar legt das Gesetz dem Schuldner nur in den beiden zuerst genannten Vorschriften ausdrücklich eine Schadensersatzpflicht auf, aber überall muß als Folge der Verletzung der vom Gesetz statuierten Pflicht, eine Schadensersatzpflicht entstehen, „denn wenn das Gesetz dem Schuldner eine besondere Pflicht ausdrücklich einschärft, so hat das nur Sinn, wenn der Schuldner für die Folgen einer schuldhaften Pflichtverletzung einstehen muß."103 Daß in diesen Vorschriften die Schadensersatzpflicht als Folge der Pflichtverletzung nur nebenher erwähnt oder als selbstverständlich vorausgesetzt wird, liegt daran, daß nicht ihre Statuierung der eigentliche Zweck der Norm ist, sondern die Konkretisierung der einzuhaltenden Sorgfalt bei der Erfüllung. Bei einigen Schuldverhältnissen hat man es eben doch als „nötig oder besonders wünschenswert [empfunden] ..., im einzelnen die kontraktlichen Verpflichtungen näher aus[zuführen]". 104 Noch im Jahr 1900 meinte auch Staub, daß dem bürgerlichen Recht dieser Grundsatz innewohnt.105
3. Die Fälle Staubs im System der Culpa-Haftung Das Reichsgericht hätte im Jahr 1902 für die von Staub vorgetragenen Fälle sicherlich einen anderen als den von diesem eingeschlagenen Lösungsweg gefunden: Obliegt einem Gesellschafter neben der Buchführung auch das Aufstellen der Jahresbilanz, so ist er gem. § 242 BGB verpflichtet, sie so aufzustellen, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern. Ihm obliegt also die Pflicht, die Bilanz so sorgfältig wie möglich, eben richtig aufzustellen. Bilanziert er aus Nachlässigkeit falsch, so hat er diese Pflicht schuldhaft verletzt. Nach § 276 I 1 BGB hat er aber Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten. Mangels anderweitiger gesetzlicher Regelung kann diese Vertretungspflicht nur dadurch verwirklicht werden, daß er den Schaden ersetzt, der den anderen Gesellschaftern dadurch entstanden ist, daß sie aufgrund der falschen Bilanz ungünstige Dispositionen getroffen haben.
102
Vgl. Lehmann, AcP 96 (1905), S. 60, 84-87.
103
Lehmann, AcP 96 (1905),60, 87.
104
Mugdan II, S. 109 = Motive, S. 198 (zu § 359 El = §§ 157, 242 BGB).
105
Vgl. Staub, Kommentar zum HGB, § 347 Anm. 11; § 377 Anm. 91 ff.
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2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Wer seine ihm obliegende Pflicht, die gekauften Lampen nicht nach Frankreich weiterzuverkaufen, dadurch verletzt, daß er sie dennoch im Burgund absetzt, muß wegen dieser schuldhaften Pflichtverletzung den seinem Vertragspartner entstandenen Schaden (Vertragsstrafe bzw. Schadensersatz wegen Verletzung des Alleinvertriebsrechts eines anderen) auf Grund des in § 276 BGB dargelegten - bzw. aus den Einzelvorschriften des BGB abzuleitenden - Grundsatzes der Schadensersatzpflicht bei schuldhafter Pflichtverletzung ersetzten. Wer schuldhaft wurmstichige Äpfel liefert, die die gesunden Äpfel des Käufers anstecken, muß sich bzgl. der gelieferten Menge gem. §§ 459 1 1, 462 BGB Wandlung oder Minderung gefallen lassen. Darüber hinaus besteht aber ein Schadensersatzanspruch bzgl. der nun angesteckten Äpfel, deren Schaden durch Wandlung bzw. Minderung nicht gedeckt ist, gem. § 276 BGB wegen schuldhafter Pflichtverletzung, weil über den Wurmbefall der Äpfel nicht aufgeklärt wurde. Wer einen explosiven Leuchtstoff liefert, ohne den Käufer über dessen Gefahren zu unterrichten, hat seine (sich in Analogie zu § 694 BGB ergebende) Pflicht, über die Beschaffenheit der Kaufsache aufzuklären, aus Nachlässigkeit verletzt. Ist der Leuchtstoff auf Grund der Unkenntnis des Käufers in dessen Laden explodiert und dem Käufer dadurch ein Schaden entstanden, folgt aus der Vertretungspflicht des § 2761 1 BGB, daß der Verkäufer diesen Schaden zu ersetzten hat.106
4. Funktion der Unmöglichkeit Im System der allgemeinen Culpa-Haftung, so wie es das RG und Teile der älteren Literatur ihren Beurteilungen zugrunde legten, kommt der Unmöglichkeit eine ganz anderen Funktion zu als im System der h.M., auch wenn teilweise behauptet wird, die heute h.M. versuche den Grundsatz der Haftung wegen schuldhafter Pflichtverletzung nur in anderer Weise zu begründen, das System sei aber dasselbe.107 Anders als nach der h.M. ist die Haftung aufgrund schuldhafter Pflichtverletzung im Rahmen der Culpa-Haftung kein Auffangtat-
106
Siehe dazu auch RGZ 108, 221, 224; in dem ähnlich liegenden Fall wurde der Käuferin statt verdichteten Wasserstoffs eine Flasche Wasserstoff mit einer starken Beimischung von Sauerstoff geliefert. Die Flasche explodierte im Betrieb der Käuferin, wobei ein Arbeiter getötet, mehrere verletzt und erheblicher Sachschaden angerichtet wurde. Die fehlerhafte Flaschenfüllung wurde auf ein Verschulden der Nebenintervenientin zurückgeführt, das in dem Füllen der noch Gas enthaltenden Flasche lag, ohne daß zuvor die Natur des Gases festgestellt oder die Flasche entleert wurde. Für dieses Verschulden hatte die Verkäuferin gem. § 278 BGB einzustehen. Darin, sowie in der Lieferung der auf diese Weise mangelhaften Wasserstoffflasche, sah das RG eine die Schadensersatzpflicht begründende Pflichtverletzung. 107
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 21, S. 63 Fn. 110.
IV. Das System der allgemeinen Culpa-Haftung
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bestand neben Unmöglichkeit und Verzug, sondern einziger ,Ausgangstatbestand'. Die Funktion der Haftungsbegründung kann den Unmöglichkeitsvorschriften also nicht mehr zukommen.
a) §2751BGB als Redundanz Die Funktion des § 275 I BGB beschränkt sich, legt man dem Gesetz eine allgemeine Culpa-Haftung zugrunde, auf die Regelung eines kleinen Ausschnitts aus dem gesamten Bild: diese Vorschrift zeigt beispielhaft, was im Schuldverhältnis geschieht, wenn bestimmte Pflichten nicht eingehalten werden. Sie ist in ihrem Bezug auf die Leistungspflicht (im engeren Sinn) eine kasuistische Regelung108 bzw. Sondervorschrift, die die Störung des Schuldverhältnisses konkretisiert. § 275 I BGB enthält, wie man auch schon in der zweiten Kommission erkannt hat, in doppelter Hinsicht eine „Tautologie": „Daß eine objektiv unmöglich gewordene Leistung so, wie sie geschuldet war, nicht mehr bewirkt werden [kann, ist] eine Wahrheit, über welche man Belehrung im Gesetz nicht suchft]." 109 Indem diese Vorschrift den Schuldner im Falle der nicht zu vertretenden Unmöglichkeit von seiner Verpflichtung zur Leistung befreit, während sich diese nach der allgemeinen Regel von vorne herein auf diesen Fall gar nicht erstreckt, befreit sie von einer nicht bestehenden Verbindlichkeit.110 Deswegen wurde die Streichung des § 3271 El, des heutigen § 275 I BGB in der zweiten Kommission beantragt. Diesem Antrag wurde zwar nicht stattgegeben, aber die Begründung ist eindeutig: Man war der Ansicht, daß sich der im heutigen § 275 I enthaltene Rechtssatz bei richtiger Auslegung zwar von selbst ergibt, er „im Interesse der Deutlichkeit und der praktischen Handhabung des Gesetzes ... indessen zum besonderen Ausdrucke zu bringen [ist], zumal er zugleich eine passende Einleitung in die sich anschließenden Vorschriften bilde[t]". H1 § 275 I BGB stellt demnach in erster Linie eine Wiederholung des allgemeinen Grundsatzes dar. 112 Diese Wiederholung ist dadurch abgeschwächt worden, daß der den allgemeinen Grundsatz enthaltende § 276 I BGB erst nach
108
Vgl. Lehmann, AcP 96 (1905), 60, 83 f.
109
Mugdan II, S. 528 = Protokolle, S. 630.
110
Vgl. Mugdan II, S. 528 = Protokolle, S. 630.
111
Mugdan II, S. 529 = Protokolle, S. 631. Bei der Interpretation dieser Protokollstelle geht Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 77 Fn. 28 wohl irrtümlich davon aus, die von der Minderheit vorgetragene Ansicht sei nicht konsensfähig gewesen und deswegen sei die Regelung des § 275 I BGB beibehalten worden. 112 4 Kley
Ebenso Wieling, in: FS für Sturm, unter Gliederungspunkt e).
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§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
§ 275 I BGB genannt wird. 113 Durch diese Systematik wurde auch der Einführungscharakter des § 327 I El (= § 275 BGB) gewahrt.
b) § 280 BGB als Umschalttatbestand Wie die Diskussion in der zweiten Kommission zeigt,114 sollte - nachdem gem. § 224 12 El (= § 276 I 1 BGB) festgestellt wurde, daß der Schuldner für seine vorwerfbare und vermeidbare Pflichtverletzung einzustehen hat - der Vorrang des Primäranspruchs dennoch gewahrt bleiben. Erst die Regeln über Unmöglichkeit und Verzug sollten entscheiden, wann statt der Erfüllung Schadensersatz geleistet werden sollte. Sie sollten diejenigen Fälle regeln, in denen sich der Gläubiger mit einem Ersatz statt der Leistung zufrieden geben muß beziehungsweise wann er diesen Ersatz verlangen kann, nämlich wenn die Leistung gar nicht mehr erbracht werden kann (§ 280 I BGB), bzw. sein Interesse an der Leistung weggefallen ist (§§ 280 II, 286 II BGB). Insbesondere dem § 280 Ί BGB sollte demnach die Aufgabe zukommen, anzuzeigen wann statt der Primärleistung die Sekundärleistung erbracht werden muß beziehungsweise verlangt werden kann, wann mithin auf den Ersatzanspruch umgeschwenkt und der wichtige, im Vergleich mit den Nachbarländern einzigartige Grundsatz der Realkondemnation durchbrochen wird. In § 280 BGB hat die Unmöglichkeit also die Funktion eines Umschalttatbestandes vom Primäranspruch auf den Sekundäranspruch. Sie bestimmt nur über die Art des Einstehenmüssens; die allgemeine Regel, die besagt, daß für vorwerfbare und vermeidbare Pflichtverletzungen einzustehen ist, befindet sich in § 276 I BGB.115
113 Näher zu dieser Stellung des § 276 I BGB nach § 275 I BGB vgl. die unten zu „V 1 a) Die Gesetzesauslegung durch Staub" gemachten Aufführungen auf S. 51 ; zur näheren Analyse des Streichungsantrags der 2. Kommission zu § 327 I El (= § 275 I BGB) vgl. „§ 3 III 2. Die perpetuatio obligationis im BGB", S. 88 ff. 114 Vgl. dazu die oben gemachten Ausführungen zu „IV 1. Der Haftungstatbestand des § 224 El" auf S. 41 und zu „IV 2 a) Die Vorstellung der Gesetzesverfasser" auf S 43 f. 115 Vgl. Oertmann, 2. Aufl., 1906, § 280 Anm. 1; sehr anschaulich auch Dernburg, Das Bürgerliche Recht des Deutschen Reichs und Preußens - Die Schuldverhältnisse, Bd. II, 3. Aufl., 1905, § 62 II, III, S. 143 f., der deutlich macht, daß der Schuldner nach allgemeinen Grundsätzen haftpflichtig wird, wenn er die nachfolgende Unmöglichkeit zu vertreten hat, und § 280 I nur darüber bestimmt, daß Schadensersatz wegen Nichterfüllung geleistet werden muß.
V. Kritik der Systeme
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V. Kritik der Systeme All diesen Systemen ist das Bemühen um einen umfassenden Integritätsschutz des Gläubigers gemeinsam. Es fragt sich aber, welches dieser Systeme auf der Grundlage des BGB dogmatisch am besten funktioniert und auch in der praktischen Anwendung zu den zufriedenstellendsten Ergebnissen gelangt. Erst wenn genau beleuchtet wurde, welche Strukturen das deutsche Vertragsrecht prägen, kann beurteilt werden, ob die von der Schuldrechtskommission vorgeschlagene Neugestaltung des BGB sinnvoll ist.
1. Die Lehre von den drei Haftungstatbeständen a) Die Gesetzesauslegung durch Staub Verblüffend an Staubs Entdeckung der positiven Vertragsverletzungen ist aus heutiger Sicht seine Art der Gesetzesauslegung. Für ihn war alleine der Wortlaut der einzelnen Vorschriften wichtig, den er mit gesundem Menschenverstand zu interpretieren versuchte. In Deutschland ist dies aber - anders als in England116 - nur eine Auslegungsmethode von mehreren, die alleine grundsätzlich nicht zu einem verläßlichen Ergebnis führen kann. Was mit § 133 BGB für Willenserklärungen gilt, das gilt gleichermaßen auch für die Auslegung gesetzlicher Bestimmungen: Es ist der Wille der Gesetzgeber zu erforschen und nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften. Dazu gehört es, den Zusammenhang der Vorschriften und ihr Verhältnis untereinander zu beleuchten und die Entstehungsgeschichte des Gesetzes sowie die ratio legis für die Sinnermittlung seiner Regeln heranzuziehen. Da die von Benno Mugdan herausgegebenen „Gesammten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuche für das Deutsche Reich" schon 1899 veröffentlicht wurden, ist es „eine nicht leicht zu erklärende Tatsache",117 warum Staub sie nicht zu seiner Gesetzesinterpretation heranzog und die von ihm entdeckte Lücke nicht durch eine historische und teleo-
116 In England fragen die Gerichte nur nach dem einfachen Wortsinn des Gesetzes (vgl. DeSmith/Brazier; Constitutional and Administrative Law, 1990, S. 73) nicht nach seinen Hintergründen. In der Entscheidung Green v. Mortimer (1861) 3 L.T. 642 wurde ein Gesetz sogar für nichtig gehalten, weil das Gericht seine Vorschriften für absurd hielt. Zum Vergleich der Auslegungsmethoden der kontinentalen Rechtsordnungen und des Common-Law vgl. Landò, in: Europäisches Vertragsrecht, S. 80, 83. 117
Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 17 Fn. 16.
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§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
logische Auslegung zu schließen suchte, so wie es zur Voraussetzung einer Gesetzesanalogie gehört. Hier muß sich Staub den Vorwurf der „Buchstabeninterpretation" 118 gefallen lassen. Erst 1933 wurde eine Analyse der Entstehungsgeschichte des § 276 BGB im Sinne der Lehre von den positiven Vertragsverletzungen von Heck nachgeliefert. 119 Dieser meinte hauptsächlich aus zwei Gründen, das Verständnis des § 276 BGB als „Verantwortungsnorm", als bloße Verschuldensdefinition untermauern zu können. Er ging zum einen davon aus, daß die Haftung zwei Voraussetzungen hat: den Störungstatbestand und den Verantwortungstatbestand (Verschulden), der die subjektive Beziehung des Schuldners zur jeweiligen Störung herstellt. Der Störungstatbestand könne in § 224 1 1 El in der Nichterfüllung der Schuldnerverbindlichkeit gesehen werden. Die zweite Kommission habe aber mit ihrem Auftrag, klarzustellen, daß „die Frage, unter welchen Voraussetzungen als feststehend gelte, daß die Verbindlichkeit nicht erfüllt werde, [... erst in § 237 ff. zur Entscheidung gelange]",120 zu erkennen gegeben, daß der Störungstatbestand aus der Vorschrift beseitigt und sie damit auf den Verantwortungstatbestand beschränkt werden solle. Ganz abgesehen davon, daß man dies viel einfacher hätte ausdrücken können, hätte man den Vorschriftsentwurf unter diesen Umständen wohl nicht zunächst gebilligt. Diesem Widerspruch meint Heck zwar vorbeugen zu können, indem er behauptet, daß in § 224 12 El nie ein vollständiger Haftungstatbestand enthalten gewesen sei, was sich aus dem weiteren Inhalt der Protokolle ergebe.121 Er gibt aber keine genaue Stelle an, die seine Ausführungen belegt; es lassen sich allerdings Äußerungen in den Protokollen sowie vor allem in den von Heck unberücksichtigt gelassenen Motiven finden, die sie widerlegen, die zu erkennen geben, daß man in § 224 El eine allgemeine Haftungsgrundnorm sah: Bei der Diskussion um § 237, 1 El, dem heutigen § 275 1 1 BGB, wurde von der zweiten Kommission betont, daß über das Eintreten der Schadensersatzpflicht zunächst § 224 El entscheide.122 Auch in den Motiven zu § 240 El, dem heutigen § 280 BGB wird auf § 224 El verwiesen. Aus ihm soll in Zu-
118 Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 58, Fn. 101; auch Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 3 II 3, S. 79 bezeichnet die Vorgehensweise Staubs als „buchstabengläubig". 119
Vgl. Heck, AcP 137 (1933), S. 259-269.
120
Heck, AcP 137 (1933), S. 265 frei nach Mugdan II, S. 522 = Protokolle, S. 609.
121
Vgl. Heck, AcP 137 (1933), S. 264, 265 f.
122
Vgl. Mugdan II, S. 528 f. = Protokolle, S. 630 f; siehe hierzu auch die bereits oben gemachten Ausführungen zu „IV 1. Der Haftungstatbestand des § 224 E l " auf S. 41.
V. Kritik der Systeme
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sammenhang mit §§ 240, 243 El hervorgehen, „daß der Schuldner nicht nach seinem Belieben ... dem Gläubiger statt der NaturalerfÜllung die Leistung des Interesses aufdrängen kann."123 Etwas weiter oben wird bei der Erläuterung des § 240 El ausgeführt, daß der Gläubiger das Interesse wegen Nichterfüllung nur fordern kann, „wenn die gänzliche oder theilweise Unmöglichkeit der Leistung feststeht." 124 Wenn zwei Zeilen später die Anerkennung des § 224 El als Haftungsnorm ausgesprochen wird, kann in der Wiederholung dieses Satzes als Auftrag an die Redaktionskommission zur Neuformulierung des §2241 El nicht der Befehl liegen, sie auf eine Verantwortungsnorm zu beschränken.125 Der zweite und auf den ersten Blick überzeugendere Grund, warum § 276 I 1 BGB nur eine Verschuldensdefinition enthalten sollte, ist seine systematische Einordnung im Gesetz. Heck zufolge konnte ein allgemeiner Haftungsgrundsatz in § 2761 1 BGB schon deswegen nicht enthalten sein, weil er dann „v ο r jeder verneinenden Spezialnorm stehen, die Regel vor der Ausnahme, also § 276 vor dem § 275" 126 stehen müßte. Zwar ist § 275 1 1 BGB keine Ausnahme zu § 276 I 1 BGB, sondern stellt eine Wiederholung des in § 276 BGB enthaltenen Grundsatzes dar, aber die Systemwidrigkeit ergibt sich auch bei diesem Verständnis der hier in Rede stehenden Vorschriften. Man muß sich allerdings immer vor Augen führen, welche Aufgabe die Redaktionskommission hatte: Sie sollte sicherstellen, daß niemand mißversteht, daß § 224 12 El nur sagt, daß dem Gläubiger durch eine Pflichtverletzung des Schuldners kein Nachteil entstehen darf, ob er statt der Leistung Schadensersatz erhält, aber erst die Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug entscheiden. Es lag also auf der Hand, den Zusammenhang zwischen § 224 12 El einerseits und §§237, 240 El (=§§275, 280 BGB) andererseits dadurch herzustellen, daß man § 224 12 El in die Nähe der Unmöglichkeitsvorschriften rückte. 127 Dabei durfte von einer Schadensersatzverpflichtung wegen Nichterfüllung (§ 240 El = § 280 BGB) aber erst die Rede sein, nachdem man den allgemeinen Grundsatz der Wiedergutmachung eines schuldhaft verursachten Schadens beim Gläubiger niedergelegt hatte. Damit mußte § 224 12 El vor § 240 El (= § 280 BGB) piaziert werden. Da die zweite Kommission, als sie sich für die Beibehaltung des
123
Mugdan II, S. 27 = Motive, S. 49 a.E. f.
124
Mugdan II, S. 27 = Motive, S. 49.
125
Ebenso Himmelschein, AcP 158 (1959/60), S. 273, 280 f.
126
Heck, AcP 137 (1933), S. 261.
127
Ebenso Wicher, AcP 158 (1959/60), S. 297, 298, der dieses Vorgehen sogar dem Antrag an die Redaktionskommission entnimmt; sowie Himmelschein, AcP 158 (1959/60), S. 273, 280 f.
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2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
§ 237 I El, des heutigen § 275 I BGB aussprach, betont hatte, daß diese Regelung „eine passende Einleitung in die sich anschließenden Vorschriften bilde,"128 war § 276 BGB die allein richtige Position für § 224 12 El. 1 2 9 Außerdem wurde hierdurch abgeschwächt, daß § 275 BGB, da er den allgemeinen Grundsatz wiederholt, gar keine selbständige Bedeutung hat. Betrachtet man also auch die Systematik des Gesetzes vor dem Hintergrund seiner Entstehung, schwindet die Systemwidrigkeit zu einer Ungeschicklichkeit in der Anordnung der gesetzlichen Vorschriften. Ein kleiner Fehler, der - wollte man ihn nicht verzeihen - zu der Annahme eines großen Fehlers, nämlich der behaupteten Lücke im Gesetz führt. 130
b) Die Analogie zu §§280, 325, 286, 326 BGB Außer einer planwidrigen Regelungslücke bedarf es zur Begründung einer Gesetzesanalogie, wie sie sich Staub zur Herleitung seiner Rechtsfolge des Schadensersatzes zu nutze machte, noch der Vergleichbarkeit der zu regelnden Tatbestände. Mit den Fällen der Unmöglichkeit und des Verzugs auf der einen und den Fällen der positiven Vertragsverletzung auf der anderen Seite stehen sich aber zwei Fallgestaltungen gegenüber, die zumindest in ihrer Begründung des Schadensersatzanspruchs sehr verschieden sind, was ja auch die Unterteilung in verschiedene Haftungstatbestände rechtfertigen soll. Bei Unmöglichkeit - genau wie bei Verzug - tritt ein Schaden nur ein, wenn nicht (rechtzeitig) geleistet wird. In einigen Fallgruppen der positiven Vertragsverletzungen wird aber ein Schaden geltend gemacht, der gar nicht entstanden wäre, wenn nicht wenigstens versucht worden wäre, zu leisten (Glaserbeispiel; Bilanzbeispiel): wäre nicht erfüllt worden, wäre dieser Schaden nicht entstanden.131 Die Rechtsfolge der Unmöglichkeits- und Verzugsvorschriften, nämlich die Verpflichtung zum Schadensersatz wegen (zeitweiliger) Nichterfüllung, paßt auf diese Fälle ganz offensichtlich nicht. Sie kann insbesondere dann nicht an-
128
Mugdan II, S. 529 = Protokolle, S. 631.
129
Westhelle, Nichterfüllung und positive Vertragsverletzung, S. 28 ist sogar der Ansicht, daß „eine passendere Stelle für [§ 276] nicht [hätte] gefunden werden können." 130 Ebenso Wicher, AcP 158 (1959/60), S. 297, 298; ähnlich Huber, in: FS für v. Caemmerer, S. 837, 842. 131
Vgl. Kipp, DJZ 8 (1903), S. 253, 254; Lehmann, AcP 96 (1905), S. 60, 80 f.; Schmidt, Nachwort zu Ihering und Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, 1969, S. 131, 142 f.
V. Kritik der Systeme
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gewendet werden, wenn die konkrete Leistung einwandfrei erbracht wurde, aber dennoch ein vom Schuldner schuldhaft verursachter Schaden eintrat (Glaserbeispiel). Auch in den Fällen der Schlechtleistung wird über die pVV i.d.R. nicht der durch die Nichterfüllung hervorgerufene Schaden ersetzt verlangt, sondern derjenige Schaden, der durch die schlechte Erfüllung an den Rechtsgütern des Gläubigers eintrat (Bilanzbeispiel). Es besteht also weder die zur Gesetzesanalogie notwendige Vergleichbarkeit der zu regelnden Tatbestände, noch bietet die analog heranzuziehende Rechtsfolge in ihrer ursprünglichen Zielrichtung eine befriedigende Lösung an.132
c) Die heute h.M. Die von der h.M. heute unter dem Oberbegriff der pVV zusammengefaßten Fälle lassen sich nicht positiv eingrenzen. Ihre scheinbar einzige Gemeinsamkeit ist eine negative: es handelt sich nicht um Fälle der Unmöglichkeit oder des Verzugs. Auch das Merkmal der Pflichtverletzung bildet kein ausschlaggebendes Kriterium zur Abgrenzung des dritten Haftungstatbestandes, da diese auch Voraussetzung der Haftungstatbestänge der Unmöglichkeit (§§ 280, 325 BGB) und des Verzugs (§§ 286, 326 BGB) ist.133 Auch die Einteilung des Instituts der pVV in Fallgruppen kann man nicht als gelungen bezeichnen, gibt es doch die Kategorie der,anderen Fälle', in der sich all jene Probleme wiederfinden, die sich nicht anders einordnen lassen.134 Die Untersuchung der Unmöglichkeitstatbestände im System der herrschenden Meinung hat gezeigt, daß der Eintritt der Unmöglichkeit für die Haftung vollkommen ohne Bedeutung ist, denn gehaftet wird nur, wenn ihr Eintreten auf ein Verschulden des Verpflichteten zurückgeführt werden kann. Bei genauer Betrachtung ist das für jeden einzelnen Haftungstatbestand bezeichnende Kriterium - Unmöglichkeit, Verzug oder positive Vertragsverletzung - irrelevant. Ausschlaggebend ist nur ein dem Schuldner vorwerfbares schuldhaftes Handeln. Damit liegt der Haftungsgrund im schuldhaften Herbeiführen der je-
132
In Ansätzen ähnlich Brecht, IherJb 53, S. 213, 262 f.
133
Vgl. Schapp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, § 7 II, S. 131-143, insbes. Fn. 13. Auch in BGHZ 11, 80, 84 wird betont, daß eine Pflichtverletzung Unmöglichkeit oder Verzug zur Folge haben kann. 134
Schon Zitelmann, in: Bonner Festgabe für Paul Krüger, 1911, S. 265 beklagte im Anschluß an Lehmann, daß unter dem einheitlichen Namen der positiven Vertragsverletzung verschiedene Erscheinungen zusammengefaßt sind, die nicht zusammengehören.
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2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
weiligen Leistungsstörung,135 nicht in einzelnen, voneinander abzugrenzenden Tatbeständen. Da sich dieser Haftungstatbestand in ein subjektives und ein objektives Element aufspaltet, nämlich das entweder absichtliche oder unabsichtliche Außerachtlassen (subjektiv) der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (objektiv), liegt der Haftungsgrund tatsächlich im schuldhaft pflichtwidrigen Handeln (Außerachtlassen der Sorgfaltspflicht) des Schuldners.136
2. Der weite Unmöglichkeitsbegriff In der Literatur stieß die Lehre vom weiten Unmöglichkeitsbegriff nach einiger Zeit auf vehemente Ablehnung.137 Diese Ablehnung gründet sich auch heute hauptsächlich darauf, daß der Zusammenhang des Gesetzes erkennen läßt, daß die §§ 275, 280, 323-325 BGB von einem engen, einem gegenständlichen Unmöglichkeitsbegriff und damit von einem engen Leistungsbegriff ausgehen, der den Inhalt der Schuldverhältnisses eben nicht „nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau [beschreibt]",138 sondern sich nur auf die konkrete Leistung, nicht auch auf ihre sorgfältige, rechtzeitige und örtlich korrekte Erbringung bezieht.139
135
Vgl. Schopp, Grundlagen des bürgerlichen Rechts, § 7 II 1, S. 132; ähnlich, allerdings nur auf die Fahrlässigkeit bezogen, Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 1996, D. XIV. 1. a), Rdz. 365. 136 Ähnlich Mugdan I, S. 508 = Motive, S. 281 (zu § 145 El), wo unter Verschulden ein auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit (subjektiv) beruhendes Verhalten (objektiv) verstanden wird. 137 Vgl. Staub, Die positiven Vertragsverletzungen, S. 96, 99 (siehe Fn. 6); Krückmann, AcP 101, (1907), S. 1, 145-155. 138
Mugdan II, S. 14 = Motive, S. 26;vgl. Krückmann, AcP 101 (1907), § 5 und 6, S. 145-180; Stoll, AcP 136 (1932), 273-276. 139
Die konkrete, gegenständliche Leistung umfaßt nach der dem BGB zugrunde liegenden Nichterfüllungstheorie allerdings auch die Mangelfreiheit der Leistung, ihre Vollständigkeit in qualitativer Hinsicht; vgl. Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, 1997, § 3 I 2 b), S. 41 f., § 3 14 a), S. 47-50 m.w.N; Emmerich, Das Recht der Leistungsstörungen, §20111, S. 225 f.; Planck-Siber, vor §§ 275-292 Anm. I3b)y, S. 188; Schnorr von Carolsfeld, in: FS für von Lübtow, 1970, S. 667, S. 679; Lessmann, in: FS für Wolf, 1985, S. 395, S. 400-404; Gillig, Nichterfüllung und Sachmängelgewährleistung, 1984, S. 362 f.; ebenso BGH NJW 1995, 1737 (Urteil vom 10. März 1995; Brandschaden an verkauftem Grundbesitz); BGHZ 127, 297, 314 (Urteil vom 2. Juli 1982; Rückgabe einer Pachtsache in verschlechtertem Zustand); OLGZ 78, 202 (Urteil vom 7. November 1977; mangelhafte Ausbesserungsarbeiten des Werkunternehmers).
V. Kritik der Systeme
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Es ist unbestritten, daß § 242 BGB den Gläubiger nicht nur zur Erbringung eines durch eine Handlung herbeizuführenden Erfolgs verpflichtet, sondern ihn darüber hinaus auch dazu anhält, bei der Erbringung dieses Erfolgs alle Leistungsmodalitäten (Schutzpflichten 140) einzuhalten und Sorgfalt walten zu lassen.141 Dafür spricht auch die Entstehungsgeschichte, denn § 242 BGB ging aus § 359 El und vor allem § 224 I 1 El hervor, der den Schuldner zur in Ansehung aller Nebenpunkte vollständigen Leistung verpflichten sollte.142 Daraus ist aber noch nicht zu schließen, daß dieses weite Verständnis der Leistung auch den Unmöglichkeitsvorschriften zugrunde liegt.143 Weil die zweite Kommission davon ausging, daß erst die Vorschriften über die Unmöglichkeit entscheiden sollten, wann aufgrund einer Verletzung der Leistungspflicht i.S.d. § 224 I 1 El (= § 242 BGB; Leistung im weiteren Sinne) die Verbindlichkeit nicht mehr erfüllt werden kann, sondern statt dessen Schadensersatz geleistet werden muß, muß die Erfüllung der Leistung i.S.d. Unmöglichkeitsvorschriften (Leistung im engeren Sinne) denkbar sein, obwohl eine unvollständige Leistung i.S.d. § 224 1 1 El vorliegt. Dies kann aber nur geschehen, wenn der der Unmöglichkeit zugrundeliegende Leistungsbegriff enger begrenzt ist als der in §242 BGB, sich nicht auf die vom Schuldner einzuhaltende Sorgfalt bezieht.144 Dasselbe gilt bzgl. der Leistungszeit und des Leistungsortes. Die Nichterfüllung alleine genügt nicht, um gem. § 280 I BGB statt der Leistung Schadensersatz zu verlangen. Es muß ein weiterer Umstand hinzutreten, der die Unmöglichkeit begründet und in der bloßen Nichterfüllung eben nicht gesehen werden kann.145 Demnach verlangt das Gesetz einen engen Unmöglichkeitsbegriff, der sich nur
140 Zu Begriff und Bedeutung der Schutzpflichten vgl. die unter „V 4 a) Schutz- und Leistungspflichten" und ,,V4b) Funktion von Schutz- und Leistungspflichten im System der allgemeinen Culpa-Haftung" gemachten Ausführungen auf S. 61 und 62 ff. 141 Vgl. MilKo-Kramer, §241 Rdz. 4 f., MüKo-/to/i, §242 Rdz. 109 f.; SoergelTeichmann, § 242 Rdz. 132 f.; Palandt-Heinrichs, § 242 Rdz. 22; Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, § 2 I, S. 9. 142 Mugdan II, S. 14 = Motive, S. 26; vgl. außerdem die oben zu „IV 1. Der Haftungstatbestand des § 224 E l " gemachten Ausführungen auf S. 41 ff. 143
MiXKo-Kramer, § 241 Rdz. 4 spricht von der,Ambivalenz des Leistungsbegriffs"; a.A. Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 289-292. 144 Vgl. Wieacker, in: FS für Nipperdey, 1965, S. 783, 793; Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 275; Krückmann, AcP 101 (1907), § 5, S. 1, 147; damit wird deutlich, daß die „Nichtberücksichtigung des Schuldnerverhaltens durch den Begriff der Unmöglichkeit", die nach Lemppenau, Gattungsschuld und Beschaffungspflicht, 1972, § 5 II, S. 59-64 eine Änderung vom engen zum weiten Unmöglichkeitsbegriff zur Folge hatte, auf diese Weise tatsächlich nicht kompensiert werden mußte. 145
Vgl. Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 275.
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2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
auf die Erfüllung der versprochenen Primärleistung nicht auch auf die Leistungsmodalitäten (und sonstige Schutzpflichten) bezieht.146
3. Das System von Jakobs Indem Jakobs in seinem System vom jeweils verletzten Gläubigerinteresse ausgeht, macht er das von ihm vorausgesetzte Ergebnis zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen. Ein solches Vorgehen beinhaltet bei der Gesetzesinterpretation aber immer die Gefahr, daß die entscheidenden Regeln nicht aus dem Gesetz entnommen werden, sondern in das Gesetz hineingetragen, „hineininterpretiert" werden. Ob die Regeln eines so aufgestellten Systems tatsächlich dem Gesetz und den hinter ihm stehenden Gedanken entsprechen, bedarf der Gegenprobe. Beide nach Jakobs dem BGB zugrundeliegenden Haftungsgrundnormen müssen mühsam zwischen den Zeilen des Gesetzes gefunden werden. Den Nichterfüllungstatbestand, der zum Ersatz von Schäden am Erfüllungsinteresse führen soll, hat man - der Argumentation Jakobs folgend - sogar mit § 224 12 El aus dem Gesetz gestrichen', um einen Widerspruch zu vermeiden. Der Widerspruch soll darin gelegen haben, daß die Haftung des Schuldners in § 224 12 El nicht mehr vorauszusetzen schien als die schuldhafte Nichterfüllung der Verbindlichkeit, während der Auftrag an die Redaktionskommission deutlich machte, daß nur dann wegen Nichterfüllung nach den Vorschriften der §§ 237 ff. El (= §§ 275, 280 ff. BGB) gehaftet werden sollte, wenn das Ausbleiben der Erfüllung feststand. 147 Zum einen ist fraglich, ob ein Widerspruch im Gesetz, der in einer bestimmten Regel zum Ausdruck kommt, durch das Streichen dieser Regel, die dennoch fortgelten soll, tatsächlich behoben oder nur verdeckt wird. Zum anderen zeigt Jakobs mit der Feststellung dieses Widerspruchs, daß er sowohl den Unmöglichkeitsvorschriften als auch § 224 12 El einen engen Leistungsbegriff zugrunde legt, obwohl § 224 12 El in seiner Beziehung auf § 224 1 1 El deutlich macht, daß mit dieser Vorschrift die Nichterbringung der,vollständigen' Leistung, also einer Leistung auch in bezug auf ihre Modalitäten und die hinsichtlich ihrer Erbringung einzuhaltende Sorgfalt, gemeint ist (Leistung im weiteren Sinne). Verpflichtet der in § 224 12 El niedergelegte Grundsatz aber zum Schadensersatz bei Nichterbringung der
146
Vgl. MiXKo-Kramer, § 341 Rdz. 4 f.; Wieacker, in: FS für Nipperdey, 1965, S. 791-794; Lorenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I: Allgemeiner Teil, § 2 I, S. 7. 147
Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, S. 22
V. Kritik der Systeme
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Leistung im weiteren Sinne, so liegt darin, daß die Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug, nur bei Nichterfüllung der Leistung im engeren Sinne Schadensersatz statt der Leistung (i.e.S.) gewähren, kein Widerspruch. Es wird lediglich deutlich, daß insbesondere die Unmöglichkeitsvorschriften nur Ergänzungsnormen zu dem allgemeinen Haftungstatbestand der Pflichtverletzung bilden, soweit es um die Rechtsfolgen geht. Daß sich § 224 12 El tatsächlich auf den weiten, in § 224 1 1 El niedergelegten, heute in § 242 BGB wiederzufindenden Leistungsbegriff bezieht, ist nach der Systematik des BGB nicht anzufechten. Nur wenn dieser Satz im ersten Entwurf einen eigenen Paragraphen eingenommen hätte, könnte hieran ein Zweifel bestehen. Daß der Grundsatz des § 22412 El genauso wenig wie der des § 224 I 1 El aus dem heute gültigen BGB gestrichen wurde, wurde bereits oben dargelegt.148 Vom Ursprung des Gesetzes her gesehen ist damit nicht nur die Herleitung eines Nichterfüllungstatbestandes als Haftungsgrund überflüssig, sondern auch eine Differenzierung zwischen den beiden Haftungstatbeständen. Eine Differenzierung mag zwar auf den ersten Blick und von den Rechtsfolgen her gesehen ihre Berechtigung haben, soweit es um den Ersatz der durch Sachmängel hervorgerufenen Schäden des Gläubigers geht. Aber es ist nicht die Art des verletzten Gläubigerinteresses, die dem Schuldner vorgeworfen werden kann. Diese hängt vielmehr häufig vom Zufall ab: Der Glaser kann aus Schusseligkeit statt der Vase genauso gut die mitgebrachte Scheibe zerschlagen, statt des Integritätsinteresses des Gläubigers also sein Erfüllungsinteresse schädigen. Was ihm so oder so zum Vorwurf gemacht werden kann ist nur sein unachtsames Verhalten, das Außerachtlassen der in Wohnungen, beim Einsetzen von Scheiben gebotenen Sorgfalt, bzw. ein wissentlich und willentliches Handeln. Hierauf ist sowohl ein Schaden am Integritäts- als auch am Erfüllungsinteresse des Gläubigers zurückzuführen. Der »kleinste gemeinsame Nenner' der beiden von Jakobs vorgeschlagenen Haftungstatbestände ist also ein schuldhafter Verstoß gegen die vom Schuldner einzuhaltende Sorgfaltspflicht. Die Interesseverletzung, auf die Jakobs statt dessen abstellen möchte, ist nur eine Konsequenz des pflichtwidrigen Verhaltens, das unsanktioniert bleibt, wenn das Interesse des Gläubigers nicht verletzt ist, also wenn kein Schaden entstanden ist, bzw. wenn der Pflichtverstoß vom Schuldner nicht verschuldet war. Es wird also deutlich, daß die Interesseverletzung des Gläubigers nur ein Indiz für den entstandenen Schaden ist, nicht jedoch als passender Anknüpfungspunkt für die Erforschung der dem BGB immanenten Haftungsgrundnorm
148
Siehe hierzu die oben zu „IV 2. Die Culpa als Haftungsgrund im BGB" gemachten Ausführungen auf S. 43 ff.
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§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
dienen kann. Ausschlaggebendes Haftungskriterium ist alleine die schuldhafte Sorgfaltspflichtverletzung des Schuldners. Auch das von Jakobs im Fall der Unmöglichkeit vorgeschlagene Wahlrecht des Gläubigers zwischen ErfÜllungs- und Ersatzanspruch, das ein Nebeneinander beider Ansprüche voraussetzt, ist dem BGB fremd. 149 In den denkbaren Fällen der §§ 283 und 326 BGB schließt das Gesetz den Erfüllungsanspruch ausdrücklich aus. Auch das auf den möglichen Teil der Leistung beschränkte Ablehnungsrecht des Gläubigers bei Teilunmöglichkeit gem. §§ 280 II 1 und 325 12 BGB zeigt deutlich, daß der Eintritt der Unmöglichkeit den Anspruch auf Erfüllung ausschließt.150
4. Die allgemeine Culpa-Haftung im BGB Indem die Lehre von der allgemeinen Culpa-Haftung in der Verletzung einer dem Schuldner nach dem Vertrag obliegenden Verhaltens- bzw. Sorgfaltspflicht den haftungsbegründenden Tatbestand sieht, hat sie dasjenige Element herausgegriffen, das auch nach den anderen Systemen - bei Lichte betrachtet die Haftung des Schuldners auslöst. Sie hat in Übereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte des BGB den ,kleinsten haftungsbegründenden Nenner' aus allen Lebenssachverhalten herausgeschält und an die Spitze des Systems gestellt.151 Daß dieser allgemeine Haftungsgrundsatz dem heutigen § 276 BGB nicht mehr entnommen werden kann, wird damit begründet, daß § 276 BGB mit dem Verschulden nur das subjektive Element der Haftung berücksichtige, die für einen Haftungstatbestand notwendige objektive Seite aber fehle. 152 Wenn aber Verschulden in Form der Fahrlässigkeit als das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt definiert wird, dann handelt derjenige schuldhaft,
149
Vgl. Rohde, Die Unmöglichkeit der Leistung bei Gattungsschulden, 1972, S. 41.
150
Vgl. Meincke, AcP 171 (1971), S. 19, 24. Zu dem nach Jakobs aus § 275 I BGB herauszulesenden Prinzip der perpetuatio obligationis vgl. „§ 3 III 2. Die perpetuatio obligationis im BGB", S. 88. 151 A.A. Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 1 III 1, S. 12, der bereits in der verschuldensunabhängigen Nichterfüllung den Haftungsgrund erblickt, weil nach §§ 282, 285 der Schuldner beweisen muß, daß er seine Schutzplichten eingehalten hat. Eine solche Konstruktion ist aber mit dem in § 276 BGB enthaltenen Prinzip unvereinbar. Vgl. zu diesem Problemzusammenhang auch die unter „§ 7 Π 1 d) Vergleich" gemachten Ausführungen auf S. 210. 152
Vgl. Blaurock,, in: Kolloquium für v. Caemmerer, 1983, S. 51, 58.
V. Kritik der Systeme
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der vorwerfbar, also vorhersehbar und vermeidbar gegen eine (auf die Leistung oder auf den Gläubiger bezogene) Schutzpflicht verstoßen hat. Indem das Verschulden sich aus dem subjektiven, persönlich vorwerfbaren Außerachtlassen und der objektiven, im Verkehr erforderlichen Sorgfalt zusammensetzt, verbirgt sich im so definierten Begriff des Verschuldens selbst das objektive Element, auf das es sich beziehen muß: die objektiv gebotene Sorgfaltspflicht bzw. die allgemeine Pflicht zum Schutz der Güter.153 Daß diese, auch die Schutzpflichten und damit die Leistung in ihrem weitesten Sinn umspannende ,Verschuldensdefinition' heute in § 2761 BGB enthalten ist, liegt an ihrem Ursprung aus § 224 12 El. Wird sie aber den Tatbeständen der Unmöglichkeit und des Verzugs zugeordnet, die sich nur auf die Leistungspflicht i.e.S. ohne Ansehung ihrer Nebenpunkte beziehen, fällt es um so schwerer, den eigentlichen, haftungsbegründenden Gehalt dieser Vorschrift zu entdecken. Der Fehler der Gesetzesverfasser lag also nicht so sehr in der Formulierung des § 2761 BGB als vielmehr darin, daß der Art der verletzten Schuldnerpflicht nicht die gebotene Aufmerksamkeit gewidmet wurde, sonst hätte man den aus §22412 El hervorgegangenen §2761 BGB nicht zwischen den die Leistungspflicht (i.e.S.) modifizierenden Unmöglichkeitsvorschriften piaziert. 154
a) Schutz- und Leistungspflichten Eine Einteilung der vom Schuldner nach dem Vertrag geschuldeten und einzuhaltenden Pflichten hat insbesondere Kress vorgenommen, der sich an dem jeweiligen Zweck, dem die Pflicht dienen soll, orientiert hat. Aus der Sicht des Gläubigers unterschied er die Erwerbansprüche, die den Erwerb der Güter vermitteln, und die Schutzansprüche, die dem Schutz der Güter dienen. Bezüglich der Schutzansprüche unterschied er noch einmal die absoluten, dem Schutz des Eigentums und anderer absoluter Gläubigerrechte dienenden Ansprüche,
153 Auch Grunsky, JuS 1989, S. 593, 596 betont, daß § 276 BGB „nicht eine das Verschulden regelnde Norm [ist], sondern eine Bestimmung, die vom Maßstab des im Verkehr erforderlichen her den Umfang der Pflichten des Schuldners generalklauselartig festlegt." Ähnlich Huber, Leistungsstörungen, Bd. I, 1999, § 3 II 2, S. 79, der sich mit der Feststellung begnügt, daß das Zu-vertreten-haben von Vorsatz und Fahrlässigkeit nichts anderes heißt als haften. 154
Vgl. Planck-S/ter, vor §§ 275-292, Anm. I 3a), S. 183; Ähnlich Huber, in: FS fur v. Caemmerer, S. 847, 841, der die Schwäche des BGB darin sieht, daß es nicht zwischen den Arten der Schadensersatzhaftung unterscheidet; er macht also die gleiche Unterscheidung, geht dabei allerdings von einem anderen Ausgangspunkt, nämlich wie Jakobs - vom Schaden und nicht von der verletzten Schutzpflicht aus.
62
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
von den relativen, dem Schutz der bei der Abwicklung der schuldrechtlichen Beziehungen berührten Güter dienenden Ansprüche.155 Aus der Sicht des Schuldners, der sich mit dem Vertrag verpflichtet hat, die Ansprüche des Gläubigers zu erfüllen, bedeutet dies, daß er dem Gläubiger das vertraglich geschuldete Gut vermitteln muß, er also eine Leistung i.e.S. erbringen muß,156 daß er aber darüber hinaus dieses Gut genauso wie die bereits erworbenen Güter des Gläubigers schützen muß, bei der Erfüllung seiner Leistungspflicht also sorgfältig handeln muß. Die vertraglichen Schuldnerpflichten teilen sich damit auf in Leistungspflichten, die lediglich der Vermittlung der Güter dienen und in Schutzpflichten, die dem Schutz der gläubigereigenen Güter (Integritätsinteresse) genauso dienen wie dem Schutz der zu vermittelnden Güter (Erfüllungsinteresse).157
b) Funktion von Schutz- und Leistungspflichten der allgemeinen Culpa-Haftung
im System
Allein diese Unterteilung der Schuldnerpflichten liegt dem von den Gesetzesverfassern entworfenen System des BGB zugrunde, in dem die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Leistungspflicht bei der schuldhaften Verletzung einer Schutzpflicht in eine Schadensersatzpflicht umschlägt, erst in den Vorschriften über Unmöglichkeit und Verzug entschieden wird. Dieses System macht die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht - gleichgültig ob sie sich auf die gläubigereigenen oder die auszutauschenden Güter bezieht - zum einzigen haftungsauslösenden Tatbestand. Der Schuldner hat für jeden beim
155
Vgl. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 1, 2., S. 1-5; späterihm folgend - auch Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 287-289, insbes. Fn. 66, 70, der aber weniger auf die Art der Pflicht als vielmehr - ähnlich Jakobs - auf die Art der Interessegefährdung abstellt; eine ähnliche Pflichteneinteilung, aber auf den Haftungstatbestand der p W bezogen, nehmen Brehm, JuS 88, S. 279, 282 f. und Honseil, JR 1976, S. 361, 365-367 vor. 156 157
Zur Leistung i.e.S. gehört auch die fehlerfreie Beschaffung; vgl. Fn. 139.
Ebenso Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, § 71 la), S. 167 f. sowie Kuhlmann, Leistungspflichten, Schutzpflichten und ihre Störung im BGB und KE, §21III; Ehmann, Die Gesamtschuld, 1972, S. 135, 168, 214 ff. und auch Erman, AcP 139 (1934), S. 273, 274, auch Krückmann, AcP 101 (1907), S. 144, 201, der ErfÜllungs- und Sorgfaltspflichten unterscheidet; Planck-Siber, vor §§ 275-292 Anm. 13 a) α) und ß), S. 185 teilt in Haupt- und Nebenverpflichtungen (Erhaltungs- und Anzeigepflichten) ein, meint in der Sache aber dasselbe; auch Zitelmann, in: Bonner Festgabe für Paul Krüger, 1911, S. 265, 273 unterscheidet in diesem Sinne zwischen Haupt- und Nebenverpflichtungen.
V. Kritik der Systeme
63
Gläubiger aufgrund einer schuldhaften Schutzpflichtverletzung entstandenen Schaden einzustehen.158
aa) Die Bedeutung der Schutzpflichten Daß die schuldhafte Verletzung von Schutzpflichten bzgl. der Schäden am Integritätsinteresse die Haftung auf Schadensersatz auslöst, ist heute allgemein anerkannt: Der Glaser, der die Vase des Gläubigers mit der mitgebrachten Leiter zerbricht, ist nur dann zum Ersatz ihres Wertes verpflichtet, wenn er die ihm obliegende Schutzpflicht, sich vorsichtig in den Räumen des Gläubigers zu bewegen, aus Unachtsamkeit verletzt. Er wird dagegen nicht schadensersatzpflichtig, wenn er über eine unerwartete Welle im rutschigen, nicht verkehrsgerecht verlegten Teppichboden stolpert, auf die er auch nicht aufmerksam gemacht worden war und dabei mit der Leiter die Vase zerschlägt. In diesem Fall hat der Glaser seine Schutzpflicht jedenfalls nicht schuldhaft verletzt. Aber auch bei Nichterfüllungsschäden ist die schuldhafte Verletzung der Schutzpflicht der Anknüpfungspunkt für die Haftung, denn jeder eine Schadensersatzpflicht auslösenden Nichterfüllung geht die schuldhafte Verletzung einer Schutzpflicht voraus:159 Auch wenn der Glaser in der Wohnung des Gläubigers die von ihm verkaufte und noch einzusetzende einzigartige Kunstglasscheibe zerschlägt, muß er wegen Nichterfüllung nur dann Schadensersatz leisten, wenn die Scheibe aufgrund seiner Unachtsamkeit zerbrach, nicht wenn er über die Welle im Teppichboden stolpert. Noch deutlicher wird die haftungsauslösende Bedeutung der Schutzpflichten an folgendem Beispielsfall: Ein Landwirt (L) verkauft im Sommer eine Milchkuh; sie soll aber erst im Herbst übergeben werden. Während eines heftigen
158 Ebenso Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999, § 3 III 2 a) (2) (b), S. 61 ff. 159
Schon Zitelmann, in: Bonner Festgabe für Paul Krüger, 1911, S. 265, 273 f., der zwar glaubte - den Blick ganz auf die,Haftungstatbestände' der Unmöglichkeit und des Verzugs gerichtet - die Schutzpflichten nicht besonders behandeln zu müssen, weil sie eine „Verantwortlichkeit des Schuldners ... nur hervorbringen können], wenn sie eine Nichterfüllung der Hauptpflicht zur Folge ha[ben]", betonte: „die Verantwortlichkeit des Schuldners [bei Nichterfüllung; (Anm. der Verfasserin)] hängt davon ab, ob die Unmöglichkeit infolge einer zu vertretenden Nichterfüllung der Obhutpflicht eingetreten ist oder nicht"; auch Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 242 f. sieht „die Eine Kardinalfrage, ob [die] Nichterfüllung dem Debitor zu imputiren ist,... auf der innerlich erfassten Natur der bona fides selbst [beruhen]."
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§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Sommergewitters wird die verkaufte Kuh auf der Weide vom Blitz erschlagen. Die Unmöglichkeit der Leistung (den Tod der Kuh) hat L, da er keinen Einfluß auf das Wetter nehmen kann, nicht zu vertreten. Es fragt sich aber, ob er die Kuh nich in den sicheren Stall hätte bringen müssen, ob ihm nicht eine Schutzpflicht bzgl. des Leistungsgegenstands zukam. Dies ist dann zu verneinen, wenn die Kuh im Sommer auf der Hochalm weidet und grundsätzlich allen Witterungseinflüssen ausgesetzt ist bis sie nach dem Almabtrieb im Herbst wieder im Stall untergebracht wird. Etwas anderes kann aber gelten, wenn L die Kuh auf einer dem Wetter exponierten Koppel in Stallnähe hat weiden lassen, wo Blitze erfahrungsgemäß häufiger einschlagen. Bringt L die Kuh in einer solchen Situation nicht in den Stall, hat er seine auf den Leistungsgegenstand gerichtete Schutzpflicht außer Acht gelassen. Für den durch diese schuldhafte Schutzpflichtverletzung entstandenen Schaden hat L dem Käufer einzustehen.160 Der Unterschied zum Glaserbeispiel besteht darin, daß diesem in beiden Fallvarianten eine Schutzpflicht zukam, er sie aber schuldhaft, bzw. schuldlos nicht einhielt. Dem Landwirt kam dagegen in der zuerst genannten Fallvariante gar keine Schutzpflicht zu, die er hätte verletzen können. Demnach werden jeder Leistungspflicht Schutzpflichten zugeordnet, deren Einhaltung über die Schadensersatzpflicht des Schuldners entscheidet.161
bb) Der Anspruch auf Einhaltung' der Schutzpflichten Die eben angeführten Beispiele zeigen ebenso deutlich, daß eine (auch schuldhafte) Verletzung der Schutzpflichten in der Regel unsanktioniert bleibt, wenn dadurch das Interesse des Gläubigers nicht geschädigt wird: Auch wenn
160
Für weitere Beispiele vgl. Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999, § 3 III 2 a) (2) (b), S. 61 ff. 161 Vgl. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 1, 3., S. 8 sowie § 16 3. b), S. 330 f.; Rust, Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, § 7 I 1 a), S. 168; Kuhlmann, Leistungspflichten, Schutzpflichten und ihre Störung im BGB und KE, § 2 V; Planck-Siber, vor §§ 275-292, Anm. I 3a), S. 184 und Anm. 13a) α und ß, S. 185; dazu ausführlich „§ 3 II. Die (v)erkannte Bedeutung der Schutzpflichten" auf S. 80ff.; ähnlich Schnorr von Carolsfeld, in: FS für von Lübtow, 1970, S. 667, 686 f. insbesondere Fn. 68; Krückmann, AcP 101 (1907), S. 1, 204 f. illustriert dies anhand des Beispiels, daß sich die fahrlässige Lieferung einer mangelhaften Sache immer entweder der Pflicht zu sorgsamer Behandlung der Sache oder der Anzeigepflicht unterordnet; a.A. Walter, Das Verhältnis der gewährleistungsrechtlichen Schadensersatzansprüche zu den Schadensersatzansprüchen aus p W , 1990, S. 25.
V. Kritik der Systeme
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sich der Glaser in den Räumen des Gläubigers mit der Leiter unachtsam bewegt und eine Vase umwirft, muß sie nicht zerbrechen. Der Landwirt kann die Kuh auch im Gewitter stehen lassen; solange der Blitz nur in einen Zaunpfahl einschlägt, wird er nicht schadensersatzpflichtig. Daraus wird deutlich, daß die Schutzpflichten in der Regel nicht selbständig eingeklagt werden können. Das erklärt sich daraus, daß sie nicht „auf eine Befriedigung des Gläubigers im gewöhnlichen Sinn gerichtet sind, sondern auf Vorbeugung, Wahrung der Güter". 162 Allein die Tatsache, daß sich die Verletzung einer Schutzpflicht zur Schadensersatzpflicht entwickeln kann, übt einen genügend starken Druck auf den Schuldner aus, sie einzuhalten. Bei Schutzpflichten handelt es sich also in der Regel um unentwickelte, nicht selbständig einklagbare Pflichten. 163 Richten sich die Schutzpflichten i.d.S. nicht auf die Befriedigung des Gläubigers, die Erfüllung seiner Erwartungen, so ist es auch nicht korrekt, von ,Erfüllung' zu sprechen.164 Der Ausdruck der ,Erfüllung' bzw. »Nichterfüllung' bleibt den Leistungspflichten vorbehalten. In Beziehung auf Schutzpflichten eignet sich eher der Begriff des ,Einhaltens',,Beachtens' bzw., Verletzens'.165
cc) Rechtsgrund der Schutzpflichten und ihr Verhältnis zum Schutzanspruch Die vom Schuldner einzuhaltenden Schutzpflichten ergeben sich grundsätzlich aus dem Vertrag 166 und lassen sich im Zweifelsfall unter Heranziehung des § 242 BGB, der zur Bewirkung der Leistung nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verpflichtet, bestimmen. Nur in Einzelfällen ergibt
162
Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 1, 3., S. 8 Fn. 19; ähnlich Stoll, in: FS für v. Hippel, 1967, S. 517, 527 f. 163 Vgl. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 1, 3., S. 7 ff.; Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 162: „Es ist... klar, dass eine solche Anforderung, seine Handlungsweise im Dienst des Obligationszweckes mit der guten Treue in Einklang zu erhaltn [sprich: seine Handlungsweise mit den einzuhaltenden Schutzpflichten in Einklang zu erhalten; die Verfasserin], durch kein Recht der Welt mit directem Zwang realisirt werden kann." 164
So auch Diederichsen, AcP 82, 101, 119.
165
Ebenso Wassermeyer, Der prima facie Beweis, 1954, S. 90; Stoll, in: FS für v. Hippel, 1967, S. 517, 528; Kuhlmann, Leistungspflichten, Schutzpflichten und ihre Störung in BGB und KE, § 2 V; ähnlich Lehmann, AcP 96 (1905), S. 60, 77; vgl. insbes. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 18, S. 374-400. 166 5 Kley
Vgl. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 23 1 d), S. 584.
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§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
sich die konkret einzuhaltende Pflicht des Schuldners ausdrücklich aus dem BGB (§§ 374 II, 384 II, 548, 549 I, 583, 602, 603, 618 I, II, 665, 691, 692 usw. BGB). Meistens muß von Fall zu Fall anhand der besonderen, von der Parteivereinbarung eingegrenzten Situation und nach Eintritt des Schadens rückwirkend beurteilt werden, in welchem genauen Verhalten sie sich konkretisieren, und ob nach diesen Pflichten gehandelt wurde. 167 Dies haben die Gesetzesverfasser erkannt, indem sie in den Motiven darauf hinwiesen, daß es unmöglich sei, den Inhalt einer Schuldverbindlichkeit nach allen Richtungen und Nebenpunkten genau zu beschreiben, sich dieser nur im konkreten Fall, mittels Auslegung des Rechtsgeschäfts, erkennen lasse.168 Generell lassen sich die Schutzpflichten im Vorhinein aber durch das nach dem Vertrag zu schützende Gläubigerinteresse eingrenzen,169 so daß der Schuldner den ihn treffenden Pflichtenkatalog auch überblicken und unter zwei oder mehreren alternativ einzuhaltenden Pflichten, von denen jede einzelne dem Gläubigerinteresse genügt, die für ihn geeignetere aussuchen kann. Den Schutzpflichten entspricht der Schutzanspruch des Gläubigers, der auf treffende Weise die noch nicht konkretisierten Pflichten des Schuldners, die er selbst individualisieren kann, bezeichnet.170
VI· Fazit 1. Das System der nachträglichen Leistungsstörungen Aus den vorangegangenen Erläuterungen geht hervor, daß das im BGB angelegte System im Hinblick auf die nachträglichen Leistungsstörungen nur einen einzigen Haftungstatbestand kennt, den der schuldhaften Verletzung einer dem Schutz der Güter dienenden Schutzpflicht, die zu einem Schaden beim
167 Vgl. Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 23 1 c), S. 580 und § 1 3b), S. 6 f.; ähnlich Honseil, JR 76, S. 361, 366 für die Pflichtverletzung bei der pVV; auch Brinz, Pandekten, Bd. II, 1879, § 267, S. 253 macht darauf aufmerksam, daß es „von der Obligation, ihrer jeweiligen Art und Besonderheit ab[hängt], [ob eine Verschuldung zu prästiren sei]." 168
Vgl. Mugdan II, S. 14 = Motive, S. 26.
169
Schon Hartmann, Die Obligation, 1875, S. 53, 58 wies daraufhin, daß das Gläubigerinteresse bedingenden Einfluß auf den Bestand der Obligation hat. 170 Zum Verhältnis von Schutzanspruch und Schutzpflicht siehe eingehend Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999, § 3 II 3, S. 56 f.
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VI. Fazit
Gläubiger führt. Dieser Schaden kann sich entweder in einer Verletzung der Leistungspflicht oder aber in einer Beeinträchtigung sonstiger Güter des Gläubigers manifestieren. Unmöglichkeit und Verzug bilden genauso wenig wie der bzgl. der verletzten Pflicht nicht näher definierte Begriff der Nichterfüllung einen Haftungstatbestand. Sie beschreiben lediglich das Defizit im Erwerbanspruch des Gläubigers, sie konkretisieren den Schaden, ohne den eine Haftung nicht denkbar ist.
2. Die Funktion der Unmöglichkeit
a) Die Umschaltfunktion
des § 2801 BGB
Da die Haftung alleine durch eine schadenstiftende, vorwerfbare und vermeidbare Pflichtverletzung ausgelöst wird, hat der Eintritt der Unmöglichkeit keinerlei haftungsbegründende Wirkung. Der Vorschrift des § 280 BGB kommt nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers171 und nach den Regeln des BGB die Funktion zu, festzustellen, unter welchen Voraussetzungen der Grundsatz der Realkondemnation durchbrochen und Schadensersatz statt der Leistung erbracht werden soll. Die Antwort, die § 280 I BGB bereithält, ist folgende: der Grundsatz der Realkondemnation soll dann durchbrochen werden, wenn der Erwerbanspruch des Gläubigers nicht mehr befriedigt werden kann, weil die Leistung nicht mehr möglich ist. § 280 I BGB zeigt damit an, daß im Falle der Unmöglichkeit der Leistung vom Primäranspruch auf den Sekundäranspruch übergegangen werden muß. Damit hat die Unmöglichkeit in § 280 I BGB eine Umschaltfunktion. 172
171 172
Vgl. Mugdan II, S. 522 = Protokolle, S. 609.
Vgl. Sutschet, Der Schutzanspruch zugunsten Dritter, 1999, § 3 III 2 e), S. 69 f.; Kuhlmann, Leistungspflichten, Schutzpflichten und ihre Störung im BGB und KE, § 2 V, § 5 III-IV, §9 IV 2; Rust , Das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht, 1997, § 3 14 b), S. 52; Jakobs, Gesetzgebung im Leistungsstörungsrecht, 1985, S. 49 f.; ders., Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 72 f.; Stoll, AcP 136 (1932), S. 257, 275; Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255, 258 f.; eben weil der Unmöglichkeit diese Umschaltfunktion zukommt, weist auch Krückmann, AcP 101 (1907), S. 1, 63 f. daraufhin, daß die Unmöglichkeit leicht dazu dienen kann, den Gläubiger um sein gutes Recht (gemeint ist der Erfüllungsanspruch) zu betrügen; zurückhaltender Kopeke, Typen positiver Vertragsverletzungen, 1965, S. 9; Evans-v. Krbek, AcP 179 (1979), S. 104, 146;
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§ 2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Dieses Umschalten auf den Ersatzanspruch wegen Unmöglichkeit ist allerdings eher eine Art gesetzlich verordnete ,Notbremse' für das Schuldverhältnis insgesamt, denn die Sekundärebene kommt erst ins Spiel, wenn feststeht, daß der Erfüllungsanspruch nicht realisierbar ist. Derjenige Gläubiger, der sich wegen (zeitweiliger) Nichterfüllung von seinem Primäranspruch ,befreien' möchte, kann den Schuldner in Verzug setzen und über die Verzugsregeln die Annahme der Leistung ablehnen. In § 2801 BGB eine Befreiungsregel für den Gläubiger zu sehen, widerspräche auch den eindeutigen Bemühungen der Gesetzesverfasser, die dem Gläubiger den Primäranspruch so lange wie möglich erhalten wollten.173
b) Die Bedeutungslosigkeit des §275 BGB Nach dem oben Dargelegten besteht eine Verpflichtung des Schuldners, für Schäden des Gläubigers aufzukommen, nur aufgrund einer vorwerfbaren (schuldhaft verursachten), also einer vom Schuldner vorhersehbaren und vermeidbaren, Verletzung des Schutzanspruchs des Gläubigers. Wird dieser Schutzanspruch aber ohne Verschulden des Schuldners vereitelt - fällt der Glaser etwa über eine Welle im Teppichboden, auf die er nicht aufmerksam gemacht wurde und mit der er auch nicht rechnen mußte, und zerbricht er dabei die von ihm verkaufte und einzusetzende einzigartige Kunstglasscheibe - so muß er für den dadurch entstandenen Schaden auch nicht einstehen. Liegt keine schuldhafte Verletzung der Schutzansprüche des Gläubigers vor, dann besteht auch keine Verpflichtung mehr. Wenn § 275 I BGB den Schuldner in solchen Situationen von seiner Verpflichtung zur Leistung freispricht, wiederholt er nur, was sich ohnehin schon aus dem System ergibt; 174 § 275 I BGB hat in dieser Hinsicht also keine eigene Bedeutung.175
auch Wagner, JZ 98,482,486 weist auf die „Umwandlungsfunktion" der Unmöglichkeit hin, nimmt allerdings im selben Zusammenhang in Fn. 46 Bezug auf Autoren, die die haftungsbegründende Wirkung der Unmöglichkeit hervorheben. 173
258 f.
Vgl. Mugdan II, S. 27 = Motive, S. 49; Himmelschein, AcP 135 (1932), S. 255,
174 Vgl. Mugdan, Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch II, S. 528 = Protokolle, S. 630 sowie die oben gemachten Ausführungen zu „IV 4 a) § 275 1 BGB als Redundanz" auf S. 49. 175 Ebenso, allerdings mit anderer Schußfolgerung, Wieling, in: FS für Sturm, Gliederungspunkt e).
VI. Fazit
69
Auch der von Jakobs vorgeschlagene Umkehrschluß, daß sich aus § 275 I BGB die Perpetuierung der Leistungspflicht bei schuldhafter Schutzpflichtverletzung, die zur Unmöglichkeit der Leistung führt, ergebe, 176 ist nach der Auffassung der Gesetzesverfasser „doktrinär und nicht ganz unbedenklich". 1 7 7 Man wollte es damals aber der Wissenschaft überlassen, sich für den einen oder für den anderen Weg zu entscheiden. Allein der Hinweis auf den wenig aussagekräftigen Wortlaut des § 275 I BGB 1 7 8 kann vor diesem Hintergrund allerdings nicht zur überzeugenden Begründung der perpetuatio obligationis ausreichen. 179 Vielmehr spricht die Tatsache, daß die Gesetzesverfasser mit der Regelung des § 344 E l (=§ 306 BGB) den berühmten Celsus Satz Jmpossibilium nulla est obligatio " zum Gesetz gemacht haben, 180 gegen die Annahme einer solchen Perpetuierung. Auch rein logisch kann eine Pflicht, die auf etwas Unmögliches gerichtet ist, nicht fortbestehen. 181 Dies sprach man während der Diskussion in der zweiten Kommission dann auch deutlich aus. 182
176 Vgl. Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 73 f.; Huber, in: FS für Gaul, S. 217, 237; sowie die oben zu „III 5 b) Das in § 275 BGB niedergelegte Prinzip der Befreiung des Schulnders und die Perpetuierung der Leistung" gemachten Ausführungen auf S. 39. 177
Vgl. Mugdan II, S. 27 = Motive, S. 50.
178
So Jakobs, Unmöglichkeit und Nichterfüllung, 1969, S. 75.
179
Eine eingehende Analyse über die Prämissen, die zur Aufnahme des § 275 I in das BGB geführt haben, erfolgt im Zusammenhang mit der Untersuchung der perpetuatio obligationis', vgl. dazu die sich anschließenden Ausführungen zu „§ 3 III Die Perpetuatio Obligationis in der Unmöglichkeitslehre Mommsens und seine Kritik durch Windscheid" auf S. 86 ff. 180
Vgl. Mugdan II, S. 97 = Motive, S. 176; Mugdan II, S. 614 = Protokolle, S. 905 f.; zur Problematik der perpetuatio obligationis und ihrem Zusammenhang mit dem CelsusSatz vgl. die obigen Ausführungen zu „§ 3 III 2. Die perpetuatio obligationis im BGB" auf S. 92. 181 Vgl. Windscheid, kritZR 2 (1855), S. 128; ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. II, 7. Aufl., 1891, § 264 2, S. 52 f. Fn. 7; Staudinger-Löwwc/j, § 275 Rdz. 56, § 280 Rdz. 2; Erman-Battes, § 275 Rdz. 15, § 280 Rdz. 5 f.; Enneccerus/Lehmann, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts, Bd. II, § 48 c) α) I, S. 208; Wieling, in: FS für Sturm, Gliederungspunkt e); nach Kreß, Lehrbuch des Allgemeinen Schuldrechts, 1929, § 19 2. A. a), S. 417 übersteigt „die Vorstellung, daß der Anspruch auf eine unmöglich gewordene Leistung ... noch fortbesteht, ... wohl die Grenzen, welche ... der juristischen Gestaltungskraft durch die Vernunft gezogen sind; im Rahmen des BGB. wäre es ein Widerspruch, wenn eine Schuld auf eine objektiv unmögliche Leistung nicht entstehen (306), aber bei Eintritt socher Unmöglichkeit fortbestehen könnte." 182
Vgl. Mugdan II, S. 528 = Protokolle, S. 630: „Daß eine objektiv unmöglich gewordene Leistung so, wie sie geschuldet war, nicht mehr bewirkt werden könne, sei eine
70
2: Die Unmöglichkeit im System der nachträglichen Leistungsstörungen
Damit hat die verwirrend formulierte Vorschrift des § 275 I BGB keinerlei Aussagekraft; sie wiederholt lediglich den allgemeinen Grundsatz, was der Intention der Gesetzesverfasser entspricht. 183
Wahrheit, über welche man Belehrung im Gesetze nicht suche"; dies ist zwar eine von der Minderheit geäußerte Meinung, wird von der Mehrheit aber anerkannt. 183
Vgl. Mugdan II, S. 529 = Protokolle, S. 631; sowie die oben gemachten Ausführungen zu „IV 4 a) § 275 I BGB als Redundanz" auf S. 49.
§ 3: Die Verschleierung der Funktion der Unmöglichkeitstatbestände
Sieht man den Haftungstatbestand bei den nachträglichen Leistungsstörungen in der Verletzung einer dem Schutz des Gläubigers dienenden Pflicht des Schuldners, so drängt sich unweigerlich die Frage auf, weshalb sich schon relativ kurze Zeit nach Inkrafttreten des BGB die Auffassung durchzusetzen vermochte, daß unser Gesetz die Haftung für schuldhafte Unmöglichkeit bzw. Verzug der Leistungspflicht separat regelt und für sonstige Pflichtverletzungen, die nicht notwendigerweise in der Verletzung einer Leistungspflicht bestehen müssen, gar nicht regelt. Auf den ersten Blick erscheint es schier unerklärlich, wie es dazu kommen konnte, daß die Umschaltfunktion der Unmöglichkeitstatbestände im BGB in der öffentlichen Meinung von einer Funktion als Haftungs- und Befreiungstatbestand überlagert wurde. Obwohl die weite Verbreitung dieser herrschenden Ansicht der drei Haftungstatbestände dem System der allgemeinen Culpa-Haftung die Plausibilität abzusprechen scheint, ist der ebenso weit verbreitete ,Systemfehler', auf dem diese h.M. beruht, bei eingehender Untersuchung des BGB und seiner Quellen doch feststellbar und historisch erklärbar.
I. Der EinfluB des römischen Rechts auf das BGB
Zur Interpretation und dem „richtigen" Verständnis der Unmöglichkeitsvorschriften des BGB gehört neben der wörtlichen und teleologischen Auslegung des Vorschriftstexts, auf die insbesondere im vorangegangenen Kapitel eingegangen wurde, auch die Berücksichtigung seiner historischen Einbettung. Da das BGB aus der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, der Pandektistik hervorgegangen ist, die eine Rückkehr zum römischen Recht des Corpus Iuris in seiner ursprünglichen Form favorisierte, muß man - um Unstimmigkeiten im allgemeinen Schuldrecht des BGB und insbesondere im Verständnis der Unmöglichkeitsvorschriften erkennbar zu machen - zunächst die Funktion des Unmöglichkeitsbegriffs im römischen Recht untersuchen.
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§ 3: Die Verschleierung der Funktion der Unmöglichkeitstatbestände
1. Die Bedeutung der Unmöglichkeit im klassischen römischen Recht und im Formularprozeß Im klassischen römischen Recht wurde nach Ulp. D. 50, 17, 231 nur für dolus (Vorsatz) und culpa (Verschulden) gehaftet, nicht jedoch für casus (Zufall, höhere Gewalt).2 Dolus und culpa wurden dabei nicht - so wie es nach heute h.M. üblich ist - in Beziehung zu einem objektiven Haftungs- oder Befreiungstatbestand (ζ. B. die Unmöglichkeit) gesetzt. Da im römischen Recht nicht im heutigen Sinne nach den materiellen Ansprüchen und ihrer prozessualen Durchsetzung getrennt wurde, müssen die vertraglichen Ansprüche nach den actiones, den Klaghandlungen, mit denen der Gläubiger sein Recht zum Gegenstand eines Rechtsstreits macht, unterschieden werden. Diese lassen sich je nach formula (Klagformel) - verschiedenen Gruppen zuordnen.3
a) Die bonaefidei iudicia Bei den bonae fidei iudicia, zu denen unter anderem Kauf-, Miet-, Auf tragsund Gesellschaftsverträge zählten, war der Gegenstand des Begehrens durch die Klagformel „