Umweltpolitik [1 ed.] 9783896449740, 9783928238564


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German Pages 128 [129] Year 1996

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Umweltpolitik [1 ed.]
 9783896449740, 9783928238564

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WISSEN KOMPAKT

Jürgen Pätzold Gerhard Mussel unter Mitarbeit von Stephan Seiter

Umweltpolitik

Verlag Wissenschaft & Praxis

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Pätzold, Jürgen: Umweltpolitik / Jürgen Pätzold ; Gerhard Mussel. Sternenfels - Berlin : Verl. Wiss, und Praxis, 1996 (WISSEN KOMPAKT) ISBN 3-928238-56-6 NE: Mussel, Gerhard:

ISBN 3-928238-56-6

©

Verlag Wissenschaft & Praxis Dr. Brauner GmbH

Sternenfels - Berlin 1996

Alle Rechte vorbehalten

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany

Vorwort Noch vor etwa zwanzig Jahren war Umweltpolitik kaum ein Thema. Der Vorrat an Ressourcen schien unbegrenzt, die überwiegende Mehrzahl der Menschen besaß noch kein ausgeprägtes Umweltbewußtsein. In den Wirt­ schaftswissenschaften wurde gelehrt, Umwelt sei ein „freies Gut“ und damit kostenlos verfügbar. Erst das massive Auftreten von Umweltpro­ blemen wie Waldsterben, Treibhauseffekt oder Ozonloch und die Veröf­ fentlichung des 1. Berichts des Club of Rome über die „Grenzen des Wachstums“ im Jahr 1972 rüttelten die Gesellschaft wach. Die Bedro­ hung der menschlichen Lebensgrundlagen wurde zunehmend erkannt. Sichtbarer Ausdruck für die geänderte Einstellung gegenüber den Um­ weltproblemen ist u. a. die Tatsache, daß in Deutschland auf Bundes- und Länderebene eigene Ministerien für Umwelt geschaffen wurden; zudem haben inzwischen alle demokratischen Parteien die Umweltpolitik in ihre Programme aufgenommen. Daß gegen die zunehmenden und bedrohlichen Umweltbelastungen etwas getan werden muß, bestreitet inzwischen niemand mehr. Allerdings gehen die Meinungen darüber auseinander, welche Maßnahmen „richtigerweise“ ergriffen werden sollten. Die Frage nach den geeigneten Instrumenten der Umweltpolitik bildet den Hauptgegenstand des vorliegenden Buches. Vor­ ab werden einige Ausführungen zum Verhältnis von Umwelt und Öko­ nomie gemacht. Daran schließt sich eine Analyse der sog. externen Effek­ te an, die für das Verständnis der Umweltpolitik unverzichtbar ist. Auf diesen Grundlagen baut die Darstellung der möglichen Instrumente der Umweltpolitik auf. In der Umweltpolitik dominiert zwar immer noch das Ordnungsrecht, also Gebote und Verbote. Inzwischen ist jedoch weitge­ hend unbestritten, daß mit marktwirtschaftlichen Instrumenten wie Öko­ steuern, Umweitzertifikaten oder dem Umwelthaftungsrecht letztlich mehr für die Umwelt getan werden kann. Um die umweltpolitischen Ziele nicht nur sicher, sondern auch ökonomisch effizient zu erreichen, ist ein adäquater Instrumentenmix aus ordnungsrechtlichen und marktsteuernden Maßnahmen erforderlich. Der abschließende Teil ist der Umweltbericht­ erstattung gewidmet. Zudem werden das Verhältnis zwischen Umweltpo­ litik und der Erreichung der wichtigen wirtschaftspolitischen Ziele sowie die Rolle der Umwelt als Standortfaktor einer Volkswirtschaft behandelt.

Das vorliegende Buch ist, dem Charakter der Reihe „WISSEN KOMPAKT“ entsprechend, als ein Einstieg in den Themenbereich der Umweltpolitik konzipiert. Es wendet sich einerseits an Studierende im Grundstudium von Universitäten, Fachhochschulen, Akademien sowie anderen einschlä5

VORWORT

gigen Ausbildungs- und Weiterbildungsinstitutionen. Aber auch Prakti­ kern in der Wirtschaft und in der öffentlichen Verwaltung soll ein theore­ tisch fundierter Einstieg in die komplexe Materie der Umweltpolitik ge­ geben werden.

Unser Dank gilt an dieser Stelle den Herren Dipl. Ing. Helmuth Nübel und Dr. Teubner von der Mercedes-Benz AG, Stuttgart, für zahlreiche wertvolle Hinweise. Ferner danken wir den Herren Prof. Dr. Günter KäßerPawelka und M. Phil. Wolf F. Sommer, die das Manuskript kritisch durchsahen.

Stuttgart, im Dezember 1995

Jürgen Pätzold Gerhard Mussel

6

Inhalt 1.

Einführung................................................................................................. 9

2.

Umwelt und Ökonomie........................................................................... 12 2.1 Umwelt und Wirtschaftssystem....................................................... 12

2.2 Ursachen des Umweltproblems....................................................... 14 2.2.1 Bevölkerungszunahme, Wirtschaftswachstum, Energie... 14 2.2.2 Treibhauseffekt und Ozonloch............................................. 17 2.2.3 Das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“................. 25

3.

Externe Effekte in der Umweltökonomie............................................. 33 3.1 Begriff und Inhalt externer Effekte................................................ 33

3.2 Externe Effekte und Produktionsentscheidungen .......................... 36 3.2.1 Produktionsentscheidung ohne Berücksichtigung externer Kosten........................................................... 36 3.2.2 Produktionsentscheidung mit Berücksichtigung externer Kosten........................................................... 38

3.3 Theoretische Möglichkeiten zur Internalisierung externer Effekte........................................................................ 39 3.3.1 Das Internalisierungskonzept nach Pigou.......................... 40 3.3.2 Das Internalisierungskonzept nach Coase........................ 45 4.

Prinzipien der Umweltpol itik................................................................. 51 4.1 Das Verursacherprinzip.................................................................. 51

4.2 Das Gemeinlastprinzip.................................................................... 53 4.3 Das Vorsorgeprinzip.......................................................................53

5.

Ordnungsrechtliche Instrumente der Umweltpolitik........................... 55 5.1

Ordnungsrecht bzw. Auflagenpolitik............................................ 55

5.2 Problematik des Ordnungsrechts................................................... 56

6.

Marktwirtschaftliche Anreizinstrumente der Umweltpolitik............. 63

6.1 Kriterien und Anforderungen......................................................... 63

6.2 Umweltabgaben - die Preisvariante der Marktlösung.................64 6.2.1 Der Standard-Preis-Ansatz von BAUMÖL und Oates.... 64 6.2.2 Umweltsteuern („Ökosteuern“)......................................... 68 6.2.3 Umweltsonderabgaben........................................................ 74 6.2.4 Fazit....................................................................................... 80

7

INHALT

6.3 Umweitzertifikate - die Mengenvariante der Marktlösung........ 82 6.3.1 U m weltnutzungsrechte........................................................ 82 6.3.2 Probleme der Umsetzung.................................................... 86 6.3.3 Beispiele für Umweitzertifikate und zertifikatsähnliche Ansätze....................................... 88 6.3.4 Fazit.......................................................................................90

6.4 Umwelthaftungsrecht als Internalisierungsstrategie..................... 90 6.4.1 Der Grundgedanke............................................................... 90 6.4.2 Obligatorische Pflichtversicherungen............................... 92 6.4.3 Kausalität und Beweislast.................................................... 92 6.4.4 Japanische Erfahrungen....................................................... 93 6.4.5 Das deutsche Umwelthaftungsrecht....................................94 6.4.6 Fazit.......................................................................................95

6.5 Weitere Instrumente der Umweltpolitik....................................... 95 6.5.1 Moral suasion und Umweltbewußtsein............................... 95 6.5.2 Umweltschutz auf kommunaler Ebene............................... 97 7. Gesamtwirtschaftliche Dimensionen des Umweltproblems............... 99 7.1 U m Weltinformationssysteme.......................................................... 99 7.1.1 Notwendigkeit der Umweltberichterstattung..................... 99 7.1.2 Erweiterung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ....................................................... 100

7.2 Umweltziel und magisches Viereck der Wirtschaftspolitik..... 108 7.2.1 Umwelt und Wirtschaftswachstum................................... 109 7.2.2 Umwelt und Beschäftigungsstand.....................................113 7.2.3 Umwelt und Preisniveaustabilität.....................................117 7.2.4 Umwelt und außenwirtschaftliches Gleichgewicht....... 118 7.3 Umwelt als Standortfaktor............................................................. 120

Literaturhinweise.......................................................................................... 125

8

1.

Einführung

Wohl kaum ein Problem wird gegenwärtig in der Öffentlichkeit so heftig diskutiert wie das Thema „Umwelt“. Treibhauseffekt, Ozonloch, Som­ mersmog und Waldsterben sind inzwischen gängige Vokabeln in unserer Gesellschaft, die auf aktuelle oder potentielle Gefahren hinweisen. Große Bevölkerungsteile stehen heute „ihrer“ Umwelt nicht mehr gleichgültig gegenüber. Vielen wurde bewußt, daß die Welt, in der wir leben endlich ist, und die Ressourcen begrenzt sind. Sich über Umweltfragen Gedanken zu machen, kann daher nicht als Modeerscheinung abgetan werden. Um­ weltfragen sind vielmehr Existenzfragen.

Den entscheidenden Anstoß für das Erkennen des Umweltproblems liefer­ te die in den siebziger Jahren verfaßte Studie „Grenzen des Wachstums“ durch den „Club of Rome“. Sie wies insbesondere auf die Endlichkeit von Ressourcen hin. Nachfolgende Veröffentlichungen gingen verstärkt auf Probleme der Umweltbelastung ein. Die in diesen Studien vorgestellten Prognosen und Strategien wurden zwar von wissenschaftlicher Seite häu­ fig als ungesichert und zweifelhaft kritisiert. Gleichwohl sensibilisierten die Ergebnisse eine breite Öffentlichkeit bezüglich ökologischer Fragen. Wie drängend die Umweltprobleme geworden sind, zeigt sich auch daran, daß erstmals im Jahr 1992 durch die Vereinten Nationen eine weltweite Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) abgehalten wurde. An dieser UN-Konferenz in Rio de Janeiro beteiligten sich 178 Staaten mit ihren Staats- und Regierungschefs sowie rund 1000 Delegierten. Zudem nahmen Tausende von Regierungsbeamten sowie Vertreter aus der Wirt­ schaft, von Umweltorganisationen und anderen unabhängigen Organisa­ tionen an dieser größten Konferenz aller Zeiten teil. Ziel des Gipfels von Rio de Janeiro war es, durch weltweit koordiniertes Handeln einer weite­ ren Umweltzerstörung entgegenzuwirken.

Die globalen Umweltprobleme sind eng verknüpft mit der Überbevölke­ rung und der Armut in den unterentwickelten Staaten sowie dem indu­ striellen Wachstum in den entwickelten Nationen. Die Staats- und Regie­ rungschefs einigten sich in einer gemeinsamen „Erklärung von Rio“ auf allgemeine Grundsätze zur Verringerung der Umweltbelastungen. In der ebenfalls in Rio verabschiedeten „Agenda 21“ werden 115 Programme aufgeführt, die als geeignet erscheinen, den zunehmenden Umweltpro­ blemen und der Armut in den unterentwickelten Ländern zu begegnen. Nicht zuletzt angesichts der finanziellen Belastungen - die Realisierung der Programme würde bis zum Jahr 2000 jährlich etwa 625 Mrd. Dollar 9

EINFÜHRUNG

kosten - konnten sich die Staats- und Regierungschefs noch nicht auf ein verpflichtendes Maßnahmenbündel einigen. Auch auf der Nachfolgekonferenz von Rio, dem UN-Klimagipfel in Berlin 1995, konnte noch kein Durchbruch zu einer verpflichtenden Er­ klärung der beteiligten Industrie- und Entwicklungsländer erreicht wer­ den. Das am 7. April 1995 verabschiedete „Berliner Mandat“ stellt fest, daß die bisher vereinbarten Maßnahmen zur Minderung von Treibhausga­ sen nicht ausreichen, um die Erde vor einer zunehmenden Erwärmung zu schützen. Es wurde vereinbart, bis 1997 ein rechtlich verbindliches Pro­ tokoll für weitere Maßnahmen zu beschließen.

In Deutschland kann von einer eigenständigen Umweltpolitik seit Anfang der 70er Jahre gesprochen werden. Im Umweltprogramm 1971 wurden die bisher teilweise isoliert nebeneinander stehenden umweltpolitischen Aktivitäten gebündelt und zum Programm der Regierung erhoben. Der Umweltpolitik wird seither der gleiche Rang beigemessen, wie den übri­ gen Bereichen der Wirtschafts-, Sozial- und Gesellschaftspolitik. Im Jahr 1972 wurde mit der Berufung des „Rates von Sachverständigen für Um­ weltfragen“ die Grundlage für eine systematische wissenschaftliche Poli­ tikberatung im Umweltbereich gelegt.

In der Bundesrepublik streben inzwischen alle im deutschen Bundestag vertretenen Parteien an, die soziale Marktwirtschaft zu einer ökologisch­ sozialen Marktwirtschaft weiterzuentwickeln. War es das Ziel der „sozialen Marktwirtschaft“, die marktwirtschaftliche Ordnung um einen sozialen Rahmen zu ergänzen, so besteht heute die Aufgabe darin, die Marktwirt­ schaft um einen ökologischen Ordnungsrahmen zu erweitern. Hierbei sollte sich die Umweltpolitik soweit wie möglich derjenigen Instrumente bedienen, die in die marktwirtschaftliche Ordnung passen. Die Umwelt­ politik sollte also „markwirtschaftskonform“ sein und sich der Kräfte des Marktes bedienen.

Zur Lösung der drängenden Umweltprobleme können die unterschiedlich­ sten Disziplinen der Wissenschaft beitragen: In erster Linie ist hierbei an die Natur- und Ingenieurwissenschaften zu denken; sie dienen der Um­ welt mit der Entwicklung neuer Technologien wie z. B. Filteranlagen oder energiesparenden Produktionsverfahren. Der Beitrag der Wirtschafts­ wissenschaften zur Lösung der Umweltprobleme ist dagegen nicht so of­ fenkundig. Bedenkt man jedoch, daß sich die Wirtschaftswissenschaften mit der Lösung des Knappheitsproblems befassen, so wird der Bezug zum Umweltproblem schnell deutlich: Knapp sind nicht nur Güter und Produktionsfaktoren im engeren Sinne - auch die Umwelt ist zunehmend 10

EINFÜHRUNG

ein knappes Gut, d. h. sie reicht nicht für alle denkbaren Verwendungs­ möglichkeiten aus. Umwelt kann zum einen als Konsumgut dienen, d. h. Wanderer, Wassersportler oder Skifahrer können in der Natur Erholung und Entspannung finden und daraus einen Nutzen ziehen. Zum anderen kann Umwelt auch Produktionsfaktor sein. Sie stellt die Energieressour­ cen zur Verfügung, dient als Abfallhalde, Wasser wird zu Kühlzwecken verwendet etc. Die Wirtschaftswissenschaften versuchen die Frage zu beantworten, wie eine gegebene Menge an Ressourcen eingesetzt werden muß, um einen möglichst großen Nutzen zu erzielen, bzw. wie ein gegebenes wirtschaft­ liches Ziel mit einem möglichst geringen Ressourceneinsatz realisiert werden kann (sog. „ökonomisches Prinzip“). Übertragen auf die Um­ weltproblematik lautet die Frage: Wie kann sichergestellt werden, daß der mehr oder weniger unvermeidliche Umweltverbrauch, der mit einer be­ stimmten Produktionsmenge und einem bestimmten Konsum einhergeht, auf ein Mindestmaß begrenzt werden kann? Die Antwort, die Ökonomen geben können, läßt sich an dem zentralen Begriff der „Effizienz“ festma­ chen. Effizienz bedeutet, die Existenz von Knappheiten anzuerkennen, aber zugleich dafür zu sorgen, daß die vorhandenen Ressourcen in best­ möglicher Weise genutzt werden. Das ist das Aufgabenfeld der Umwelt­ ökonomik. Sie beschäftigt sich mit dem Problem, wie ein gegebenes Wohlstandsziel mit möglichst geringen Belastungen unserer Umwelt zu erreichen ist. Die Knappheit der Umwelt selbst kann nicht beseitigt wer­ den; die Begrenztheit der Ressourcen ist letztlich unabänderlich.

Neben der Frage eines effizienten Mitteleinsatzes setzen sich die Wirt­ schaftswissenschaften auch mit der Frage der Verteilung auseinander. Die Verteilungsfrage wird allerdings in der praktischen Umweltpolitik (noch) weitgehend ausgeblendet. Im Hinblick auf das Umweltproblem würde es bedeuten, den Ressourcenverzehr in der Welt auf einzelne Staaten, Staaten­ gruppen oder Regionen aufzuteilen. Es fällt sicher nicht schwer, sich vor­ zustellen, welche Konsequenzen insbesondere für die energie- und umwelt­ hungrigen Industriestaaten damit verbunden wären, wenn die weltweite Verteilungsfrage ernsthaft zur Debatte stünde.

11

2.

Umwelt und Ökonomie

2.1

Umwelt und Wirtschaftssystem

Ökologie und Ökonomie sind zwei Begriffe, die für unterschiedliche, sich scheinbar ausschließende Fragestellungen und Themenkomplexe stehen. Oft wird in emotional geführten Debatten die Ursache der Umweltzerstö­ rung im wirtschaftlichen Handeln schlechthin gesehen. Das ist richtig und falsch zugleich. Tatsächlich hat die moderne arbeitsteilige Volkswirt­ schaft zumindest in den westlichen Industrieländern inzwischen ein Wohl­ standsniveau hervorgebracht, wie es in der Geschichte noch nie zu ver­ zeichnen war. Die Kehrseite des heutigen allgemeinen Reichtums waren und sind jedoch schwerwiegende Eingriffe in unser Ökosystem.

Die offenbar konkurrierenden Lebensbereiche Umwelt und Wirtschaft sind interessanterweise durch ähnliche Funktionsbedingungen gekenn­ zeichnet: Beide Systeme steuern sich weitgehend selbst. Im Ökosystem sorgen natürliche Regelmechanismen dafür, daß das ökologische Gleich­ gewicht erhalten bleibt. So wird z. B. die Überbevölkerung einer Tierart durch die notwendigen Nahrungsquellen begrenzt; reichen diese nicht mehr aus, wird die Population dieser Tierart auf ein normales Niveau zu­ rückgehen. Diese Korrektur hin zum Gleichgewicht findet auch durch Naturkatastrophen statt - vorausgesetzt, die Dauer und Heftigkeit dieser „exogenen Schocks“ sind nicht zu groß, so daß das System „reproduk­ tionsfähig“ und damit auf Dauer lebensfähig bleibt. Im marktwirtschaftlich organisierten Wirtschaftsleben gibt es ebenfalls einen Regelmechanismus, der für ein „ökonomisches Gleichgewicht“ sorgt. Die Rolle des Regulators übernehmen hier die Märkte bzw. die dort ge­ bildeten Preise. Preise steuern die vielfältigen Handlungen der Wirt­ schaftssubjekte. Die Abstimmung der individuellen Handlungen erfolgt über die Märkte. Funktioniert der Preismechanismus, so werden Markt­ wirtschaften ständig im Gleichgewicht gehalten, bzw. finden nach Stö­ rungen wieder zu diesem Gleichgewicht zurück. Wenn ein Gut beispiels­ weise knapp wird, so schnellt dessen Marktpreis in die Höhe. Das löst zwei Anpassungsmechanismen aus: Einmal wird das verteuerte Gut spar­ samer verwendet, und zum anderen lohnt es sich, hiervon mehr zu pro­ duzieren. Die Folge ist, daß die anfängliche Knappheit tendenziell wieder verringert wird. Durch diesen Rückkoppelungsmechanismus wird das Marktsystem ständig in Richtung Gleichgewicht gelenkt. Voraussetzung ist allerdings ein funktionsfähiger Wettbewerb, d. h. auf den Märkten müssen sich die Preise gemäß der Marktkräfte frei bewegen.

12

UMWELT UND ÖKONOMIE

Im Fall der Umweltbelastung funktioniert dieser Anpassungsmechanismus in einer Marktwirtschaft aber nicht. In einer sich selbst überlassenen Marktwirtschaft gibt es keine Anreize, mit dem Gut „Umwelt“ sparsam umzugehen. Das gilt zumindest solange, wie Umwelt nichts kostet und damit als freies Gut behandelt wird. Da die Nutzung der Umwelt in einem reinen Marktsystem keinen Preis hat, signalisiert das System, daß diese Ressource im Überfluß vorhanden sei. Die Marktsignale lenken also das System in die falsche Richtung; der Selbstregulator versagt. Alle handeln so, als ob die Umwelt unbegrenzt genutzt werden könnte.

Umwelt ist ein sogenanntes „öffentliches“ Gut. Dessen Charakteristikum ist es, daß ohne staatliches Eingreifen niemand von seiner Nutzung ausge­ schlossen werden kann. Für die Nutzung eines öffentlichen Gutes wird am Markt kein Preis erzielt. Ein Beispiel ist die Ozonschicht; sie nützt allen Menschen als Schutz vor ultravioletter Strahlung. Diese Schutzwir­ kung nimmt für die schon vorhandenen Menschen nicht ab, wenn ein neuer Erdenbürger das Licht der Welt erblickt. Der Nutzen, den ein Ein­ zelner aus einem öffentlichen Gut ziehen kann, ist also unabhängig von der Zahl der Nutzer, d. h. es besteht keine Konsumrivalität. Angesichts dieser Eigenschaften des Gutes Umwelt ist es aus ökonomi­ scher Sicht verständlich, daß von privater Seite kaum freiwillige Maß­ nahmen zur Verbesserung der Umweltqualität getroffen werden. Denn die meisten Maßnahmen würden bei demjenigen, der sie durchführt, Kosten verursachen. Die Erträge in Form der Verbesserung der Luftqualität würden allen zugute kommen, ohne daß von ihnen dafür ein Preis ver­ langt werden könnte. Es wäre zudem auch niemand bereit, einen Preis für die Verbesserung der Umweltqualität zu zahlen, da es nicht möglich ist, ihn hiervon auszuschließen. Ein derartiges Verhalten nennt man „free­ rider Verhalten“ oder auch „Schwarzfahrerphänomen“. Man profitiert von einer Leistung, ohne dafür zu zahlen. Die Folge ist, daß eine Marktwirtschaft ohne Umweltpolitik nichts oder zu wenig für den Um­ weltschutz tut, ein sich selbst überlassenes marktwirtschaftliches System ist also umweltpolitisch blind.

Es ist zweifellos die Aufgabe des Staates, diesen Defekt der Marktwirt­ schaft zu korrigieren. Die politisch Verantwortlichen müssen die richtigen Rahmenbedingungen setzen, die den Marktteilnehmern bewußt machen, daß Umwelt eben kein freies, unbegrenzt vorhandenes Gut ist, sondern eine Ressource, mit der alle sorgsam umgehen müssen. Hierzu braucht die Marktwirtschaft einen ökologischen Ordnungsrahmen. Erforderlich sind Vorschriften, Gesetze, Gebote und Verbote, Kontrollen und Strafen. Andernfalls besteht die Gefahr, daß der wirtschaftende Mensch das öko­ 13

UMWELT UND ÖKONOMIE

logische System aus seinem Gleichgewicht kippt. Umweltschutz erfordert also staatliche Eingriffe in die Marktwirtschaft.

2.2 Ursachen des Umweltproblems Die Produktion von Gütern muß nicht zwangsläufig zu Umweltschäden führen, die sich einer Kontrolle entziehen. Es sind vielmehr die Produkti­ onsverfahren sowie die Menge der produzierten Güter, die primär für die Umweltschädigung verantwortlich zeichnen.

Umweltprobleme wie verschmutzte Gewässer, Müllhalden, die Ausdün­ nung der Ozonschicht oder der Treibhauseffekt sind letztlich auf die Be­ dürfnisse der Menschen zurückzuführen. Um die Bedürnisse zu befriedi­ gen, brauchen die Menschen Güter, also Waren und Diensleistungen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß der Mehrbedarf an Gütern sowohl durch die Zunahme der Bevölkerung als auch durch gestiegene Bedürfnis­ se der Menschen entsteht. Für die Herstellung der immer größer werden­ den Gütermengen, im Zuge des Wirtschaftswachstums, ist unter ökologi­ schen Gesichtspunkten vor allem der Einsatz von Energie hervorzuheben. Schematisch gilt folgender einfacher Zusammenhang:

Bevölkerung u Güter

u Energie u Umwelt

Im folgenden soll auf diese Ursachenfaktoren der Umweltprobleme näher eingegangen werden. 2.2.1 Bevölkerungszunahme, Wirtschaftswachstum, Energie

Vor der Epoche der Industrialisierung wurden die meisten Tätigkeiten manuell durchgeführt. Deshalb war die Anzahl der Arbeitskräfte, d. h. der Bevölkerungsentwicklung, mit ausschlaggebend für die wirtschaftli­ chen Entwicklungschancen einer Gesellschaft. Dieser Tatbestand wurde in Zeiten nach Kriegen oder Naturkatastrophen immer wieder deutlich.

14

UMWELT UND ÖKONOMIE

Hohe Bevölkerungszahlen stellten aber oft ein Problem für die Nahrungs­ mittelversorgung dar, so daß schlechten Ernten meist Hungersnöte folg­ ten. In unserer heutigen Zeit scheint in den Industrienationen das Pro­ blem unzureichender Nahrungsmittelproduktion weitgehend gelöst zu sein, dafür gibt es aber einen zunehmenden Mangel an Arbeitsplätzen. Moderne westliche Länder sind gekennzeichnet durch stagnierende oder sogar schrumpfende Bevölkerungszahlen, ein sehr differenziertes Güter­ angebot, einen hohen technischen Standard, verbunden mit einem großen Energiebedarf und einer hohen Verkehrsdichte sowie einen hochsubven­ tionierten Agrarbereich, in dem die marktwirtschaftlichen Mechanismen weitgehend außer Kraft gesetzt sind und große Überschüsse an Lebens­ mitteln („Butterberge“ und „Milchseen“) hervorgebracht werden.

Nicht so in Entwicklungsländern, in denen Überbevölkerung und Hun­ ger vorherrschen. Infolge der unverändert hohen Geburtenraten und in­ folge sinkender Sterberaten nimmt die Bevölkerung in den Entwicklungs­ ländern - und damit weltweit - exponentiell zu. Seit Beginn ihrer Existenz wächst die Menschheit - und zwar mit zunehmenden Raten. Immerhin hat es aber bis zum Jahr 1800 gedauert, bis die Weltbevölkerung auf eine Milliarde Menschen angewachsen ist. Bereits 130 Jahre später war die zweite Milliarde erreicht, und 1987 wurde die Fünf-Milliarden-Grenze überschritten. Gegenwärtig wächst die Weltbevölkerung mit einer jahres­ durchschnittlichen Zuwachsrate von zwei Prozent, pro Stunde erblicken ca. 9.000 neue Erdenbürger das Licht der Welt, und zwar in erster Linie in den Entwicklungsländern. Schätzungen gehen davon aus, daß der 10milliardste Mensch zwischen den Jahren 2040 und 2087 das Licht der Welt erblicken wird. Bereits Anfang des nächsten Jahrtausends werden mehr als 6 Mrd. Menschen leben - das sind etwa 2 Mrd. mehr als 1985. Steigende Bevölkerungszahlen sind zwangsläufig mit einem steigenden Bedarf an Gütern verbunden. Erfahrungsgemäß handelt es sich zunächst um solche Güter, die zur Deckung von Existenzbedürfnissen erforderlich sind, also Nahrung, Kleidung und Wohnraum. Hierbei entsteht ebenso ein Bedarf an Energie wie bei der Herstellung von „gehobenen“ Gütern. Im­ mer mehr Menschen benötigen auch immer mehr Energie - zum Kochen, zum Heizen, zur Fortbewegung usw. Solange noch nicht auf regenerier­ bare Energiequellen zurückgegriffen werden kann, sondern vor allem fossile Energie (Kohle, Öl, Gas) verbrannt wird, nimmt die Umweltbela­ stung infolge des Energieverbrauchs und des damit verbundenen Austosses an Kohlendioxid (CO2) weiter zu.

15

UMWELT UND ÖKONOMIE

Im „Nord-Süd-Vergleich“ verbrauchen die Einwohner der Industrieländer ein Vielfaches an Energie im Vergleich zu den Dritte-Welt-Ländern (siehe Abbildung 2.1).

Welt

Deutschland USA

Schweden

Saudi Arabien OECD

UdSSR Frankreich Großbritannien Japan Italien Polen

Spanien Griechenland

Portugal Brasilien VR China Indien

0

50

100

150

200

250

300

350 GJ

Abb. 2.1: Primärenergieverbrauch je Kopf der Bevölkerung (ausgewählte Länder in Gigajoule je Einwohner) Quelle: Klimabericht der Bundesregierung (1994), S. 69

Nur etwa ein Viertel der Weltbevölkerung lebt in den industrialisierten Ländern, wo rund zwei Drittel der weltweiten Wirtschaftsleistung er­ bracht werden. Die Industrienationen verbrauchen dabei über 80 Prozent der Weltenergieproduktion, nahezu 90 % des geförderten Eisenerzes und 70 Prozent des verfügbaren Kunstdüngers. Die Einsparungspotentiale sind in den Industrieländern also besonders hoch. Ein Europäer verbraucht auf­ grund seiner Konsumgewohnheiten ein Vielfaches dessen an natürlichen Ressourcen, was der Bewohner eines Entwicklungslandes beansprucht. 90 Prozent der Energie wird weltweit durch Einsatz fossiler Primärener­ 16

UMWELT UND ÖKONOMIE

gieträger gedeckt, deren Nutzung maßgeblich für den CO2-Ausstoß ver­ antwortlich ist. Gleichwohl wird die Zunahme der Weltbevölkerung, die ja vornehmlich auf die Entwicklungsländer konzentriert ist, zu einem weiteren dramatischen Wachstum des Energieverbrauchs fuhren.

Industrielles Wachstum bildet somit neben dem Bevölkerungswachstum eine weitere entscheidende Ursache für die Umweltprobleme. In der öf­ fentlichen Diskussion finden gegenwärtig vor allem der Treibhauseffekt sowie das Ozonloch besondere Beachtung. Angesichts ihrer Aktualität sollen diese beiden globalen Bedrohungen im folgenden etwas genauer erörtert werden. 2.2.2 Treibhauseffekt und Ozonloch Im Zusammenhang mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe wird gegen­ wärtig der „Treibhauseffekt“ in der Öffentlichkeit besonders heftig disku­ tiert. Die Treibhausproblematik ist vor allem auf übermäßige Emissionen von Kohlendioxid zurückzuführen. Das Vorhandensein dieses Gases ist allerdings Grundlage für das Leben auf der Erde. Es bildet (neben ande­ ren Gasen wie Ozon oder Methan) in der Atmosphäre eine Art Glasdach: Es läßt - wie in einem Gewächshaus - die Sonnenstrahlen auf die Erd­ oberfläche durch, bremst jedoch die Wärmeabstrahlung. Dadurch beträgt die mittlere Temperatur unseres Planeten plus 15 Grad Celcius - ohne diesen Effekt läge die Temperatur bei minus 18 Grad. Kohlendioxid ist natürlicherweise vorhanden. Der damit verbundene „natürliche Treib­ hauseffekt“ entsteht durch chemische Vorgänge auf der Erde (zu einem Drittel) sowie in der Troposphäre (zu zwei Dritteln). Der CO2-Gehalt der Erdatmosphäre nimmt in der jüngeren Vergangenheit ständig zu. Verantwortlich hierfür sind zwei gegenläufige Effekte: Zum einen der steigende Ausstoß von CO2, zum andern die geringere Absorp­ tion von CO2. Der steigende Ausstoß geht insbesondere auf den steigen­ den Energiebedarf zurück, der vor allem durch Verbrennung fossiler Brennstoffe (Kohle, Öl, Gas) gedeckt wird; dabei entsteht Kohlendioxid. Die Absorption von CO2 erfolgt grundsätzlich durch lebende Biomasse (insbesondere Wälder). Da jedoch vor allem die Rodung der tropischen Regenwälder sowie das allgemeine Waldsterben immer mehr Biomasse zerstören, nimmt die natürliche Absorptionskraft mehr und mehr ab. Per Saldo nimmt folglich die CO2-Menge in der Atmosphäre ständig zu. Den solchermaßen von Menschenhand ausgelösten Anstieg von CO2 nennt man den „anthropogenen Treibhauseffekt“. Obwohl sein Anteil lediglich bei ca. 2 % bis 4 % am gesamten CO2-Gehalt der Erdatmosphäre liegen

17

UMWELT UND ÖKONOMIE

dürfte, birgt er die Gefahr einer Klimakatastrophe in sich. Dies macht deutlich, wie labil das ökologische Gleichgewicht ist. Daraus lassen sich die Bekämpfungsstrategien der CO2-Emissionen un­ schwer ableiten. Zum einen gilt es, den Ausstoß von Kohlendioxid zu verringern, zum andern darf die Biomasse nicht weiter dezimiert werden. Die Emission von CO2 läßt sich jedoch bisher mit keinem technischen Verfahren verhindern; hier kann folglich nur die allgemeine Verminde­ rung des Einsatzes fossiler Energien Abhilfe schaffen. Auf der anderen Seite gibt es gegenwärtig keine Möglichkeiten, die Rodung der Regen­ wälder durch politische Einflußnahme nachhaltig zu stoppen. Die durchschnittliche Temperatur der Erde in Bodennähe ist seit dem Jahr 1860 weltweit um 0,7 Grad Celsius angestiegen; davon allein im letzten Jahrzehnt um 0,2 Grad. Seit Beginn dieses Jahrhunderts ist ein Ansteigen des Meeresspiegels um etwa 15 cm zu verzeichnen. Die Temperaturerhö­ hung ist Folge einer Verschiebung des natürlichen Strahlungsgleichge­ wichts des Systems Erde-Atmosphäre-Sonne. Die Temperaturerhöhung wird darauf zurückgeführt, daß zusätzlich zum natürlichen Treibhausef­ fekt vom Menschen verursachte treibhausförderne Spurengase in die At­ mosphäre emittiert werden. Nach neuesten Abschätzungen tragen diese Gase mit folgenden Anteilen zur Temperaturerhöhung bei: Tab. 2.1: Treibhausgase - Anteil am anthropogenen Treibhauseffekt und Verweildauern

Anteil (%)

mittlere Verweildauer (Jahre)

Kohlendioxid (C02)

50

120

Methan (CH4)

13

10,5

FCKW 11 und FCKW 12

17

50 - 103

Distickstoffoxid (N2O)

5

132

Treibhausgas

Quelle: Klimabericht der Bundesregierung (1994), S. 21 und Enquete-Kommission

„Schutz der Erdatmosphäre“ (1994), S. 30

18

UMWELT UND ÖKONOMIE

Unter den Wissenschaftlern herrscht Übereinstimmung darüber, daß eine Verdoppelung der CO2-Konzentration in der Atmosphäre zu einem Tem­ peraturanstieg von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius in den nächsten 50 Jahren führen kann. Bei einem Anhalten der gegenwärtigen Tendenzen des Ener­ gieverbrauchs ist eine CO2-Verdoppelung zwischen dem Jahr 2030 und 2050 zu erwarten. Wenn alle treibhausrelevanten Gase berücksichtigt werden, wird der globale Temperaturanstieg im Verlauf des nächsten Jahrhunderts sogar auf 3 bis 9 Grad Celsius geschätzt. Regional können die Veränderungen noch größer sein. Man geht davon aus, daß eine glo­ bale Temperaturerhöhung von etwa 2 Grad Celsius katastrophale Aus­ wirkungen auf die Menschheit und das allgemeine Ökosystem haben würde. So wird beispielsweise ein Anstieg des Meeresspiegels um 1,5 m im Verlauf des nächsten Jahrhunderts befürchtet - nicht zuletzt auch in­ folge des weiteren Abschmelzens der polaren Eismassen und der Glet­ scher. Es wird geschätzt, daß fast 60 Prozent des seit 100 Jahren in die Atmosphäre emittierten Kohlenstoffs in den letzten 25 Jahren ausgestoßen worden sind. Seit Jahrzehnten wird mit noch wachsender Geschwindig­ keit jährlich eine CO2-Menge emittiert, die rund 500.000 Jahren erdge­ schichtlicher Kohlenstoffbindung entspricht. Den Zusammenhang zwi­ schen Kohlendioxid-Ausstoß und Energieverbrauch belegt Tabelle 2.2: Tab. 2.2: Kohlendioxid und Energieverbrauch - ■weltweit

Jahr

1971

1991

2010^

CO2-Emissionen (in Mrd. Tonnen CO2)

14,9

21,6

31,9

4,9

7,8

11,6

Energieverbrauch (in Mrd. Tonnen Öleinheiten) *) geschätzt

Quelle: Internationale Energie-Agentur (IEA)

Zur CO2-Erzeugung kommt die weltweite Vernichtung der Waldbestände hinzu, die nicht nur mit CO2-Emissionen (Verbrennung) verbunden ist, sondern auch die bereits erwähnte wirksame Senkung von CO2 durch Photosynthese verhindert.

Die Emissionen von Kohlendioxid sind von Land zu Land sehr unter­ schiedlich; Abbildung 2.2 zeigt die Mengen an CO2, die von verschiede­ nen Nationen im Jahr 1994 erzeugt wurden. 19

UMWELT UND ÖKONOMIE

Abb. 2.2: CO2-Emissionen im internationalen Vergleich (1990, in Mio. Tonnen) Quelle: Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“, (1994), S. 64

Setzt man die Emissionsmengen an CO2 eines Landes in Relation zur Be­ völkerung, so ergeben sich die Pro-Kopf-Emissionen an KohlendioxidAusstoß (vgl. Abb. 2.3). Auch hier nehmen die USA den Spitzenplatz ein. An zweiter Stelle rangiert die ehemalige Sowjetunion. Berücksichtigt man die hinter der jeweiligen Volkswirtschaft stehende Wirtschaftskraft, so wird deutlich, daß eine Einheit Sozialprodukt mit sehr unterschiedli­ chen Ausstoßmengen an CO2 erzeugt werden kann.

Die CO2-Emissionen der BRD sind zu 92 Prozent durch den Einsatz fossiler Energieträger bedingt. In Deutschland stellen diese Rohstoffe den größten Teil des Primärenergieverbrauchs dar. Da es derzeit technisch keine Möglichkeiten gibt, den CO2-Ausstoß durch Filter oder ähnliche Rückhaltemaßnahmen einzuschränken, kommt nur die Verringerung des Einsatzes fossiler Energien in Betracht, sei es durch konsequentes Ener­ giesparen, sei es im Wege der Substitution fossiler Primärenergien durch erneuerbare Energien (Wasserkraft, Sonnenenergie) oder aber durch die CO2-freie Kernenergie. 20

UMWELT UND ÖKONOMIE

USA Kanada Rußland Australien Ukraine CSFR Saudi-Arabien Deutschland a) Niederlande ^////^^ Großbritannien Polen Südafrika Japan Italien Frankreich Spanien Iran China Indien

iMllllIilllilli

0

2

vereintes Deutschland

4

6

8

10

12

14

16

18

20 t

Abb. 2.3: Pro-Kopf-Emission von CO2 weltweit (1990, in Tonnen COf) Quelle: Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ (1994), S. 69

Soll der Anstieg der Temperatur um über 2 Grad Celsius verhindert wer­ den, so sind drastische Reduktionen der CO2-Emission erforderlich. Nach übereinstimmender wissenschaftlicher Einschätzung muß der CO2Ausstoß infolge fossiler Verbrennung bis Mitte des nächsten Jahrhunderts weltweit mindestens halbiert werden. Angesichts des mit der Steigerung des Lebensstandards in den Entwicklungsländern verbundenen erhöhten Energiebedarfs ist es daher unvermeidlich, daß die Industrieländer ihre Emissionen bis zum Jahr 2050 stark reduzieren. Aufgrund dieser poten­ tiellen Gefahren haben sich die Regierungen führender Nationen entschlos­ sen, ihren CO2-Ausstoß bis ins Jahr 2005 um 25 - 30 % zu reduzieren. Die erforderlichen CO2-Reduktionsziele können erreicht werden durch

• Energieeinsparung infolge effizienterer Energienutzung (Steigerung der Energieeffizienz), • Substitution fossiler Energieträger durch nicht-fossile Energien (erneuerbare Energien und Kernenergie), 21

UMWELT UND ÖKONOMIE

• Substitution kohlenstoffreicher durch kohlenstoffärmere fossile Ener­ gieträger (insbesondere Kohle bzw. Öl durch Gas) und • Verzicht auf Energiedienstleistungen (also durch Einschränkung der Konsum- und Verhaltensgewohnheiten).

Die größten Potentiale zur CO2-Minderung liegen im Verkehr, im Strom­ bereich (soweit aus fossiler Primärenergie erzeugt) sowie im Bereich Öl­ heizung der privaten Haushalte. Zur Erreichung des CO2-Minderungsziels müssen also alle Teile der Volkswirtschaft beitragen - Unternehmen, Konsumenten und der Staat. Allein die Lösung des Ernährungsproblems fuhrt zu verstärktem Raubbau an der Natur. Ein Beispiel dafür ist die immer weiter um sich greifende Brandrodung des tropischen Regenwaldes. Der Urwald wird zunehmend abgeholzt und auf dem wenig fruchtbaren Boden wird für ein paar Jahre Ackerbau betrieben. Ist der Boden erschöpft, wiederholt sich dieser Vor­ gang an anderer Stelle. Die sukzessive Rodung der tropischen Regenwäl­ der hat viel mit dem weltweiten Problem der schleichenden Klimaverän­ derung zu tun. Ursprünglich waren einmal 10 Prozent der Erdoberfläche mit Regenwäldern bedeckt. Heute verschwinden pro Minute etwa 20 Hektar von der Erdoberfläche. In einem Hektar tropischen Regenwaldes sind 500 bis 600 Tonnen Biomasse gebunden. Durch Vernichtung der Regenwälder wird diese Biomasse freigesetzt und gelangt in die Atmo­ sphäre. Selbst vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, daß mindestens 20 Prozent der CO2-Emissionen auf die Vernichtung der Regenwälder zu­ rückgehen. In anderen Untersuchungen wird dieser Wert sogar auf bis zu 80 Prozent geschätzt. Ändert sich nichts an den Wachstumsraten der Be­ völkerung in den Entwicklungsländern, so wird dieses Problem weiter fortschreiten und immer größere Landflächen sind notwendig - es sei denn, es gelingt auch in den Entwicklungsländern, intensivere Methoden der landwirtschaftlichen Produktion einzuführen.

Neben dem Treibhauseffekt nimmt das Thema „Ozonloch“ in der gegen­ wärtigen öffentlichen Diskussion einen breiten Raum ein. Konkret ver­ birgt sich hinter dem Ozonloch eine Ausdünnung der Ozonschicht, die zwischen 15 und 50 Kilometer über der Erdoberfläche liegt. Sie wirkt wie ein Schutzschild, indem sie verhindert, daß zu große Mengen an ge­ fährlichen UV-B-Strahlen von der Sonne auf die Erde gelangen. Diese ultravioletten Strahlen gefährden alle Lebewesen auf der Erde: Hautkrebs, Schwächung des Immunsystems oder Augenkrankheiten gehen ebenso auf die Ozonabnahme zurück wie kleinerer Blätterwuchs oder das Absterben von Algen. 22

UMWELT UND ÖKONOMIE

Hauptursache für das Ozonloch sind bestimmte Fluorchlorkohlenwasser­ stoffe (FCKW’s). Diese wurden jahrzehntelang unbekümmert verwendet, etwa als Treibgase in Spraydosen oder als Kühlmittel in Kühlschränken. Inzwischen ist bekannt, daß die FCKW-Moleküle langsam, aber unauf­ haltsam als „Ozonkiller“ wirken. Sie benötigen zehn bis fünfzehn Jahre, bis sie in die Stratosphäre und damit in die Ozonschicht aufgestiegen sind. Unter Sonneneinstrahlung werden dort die Moleküle gespalten. Da­ bei entstehen Chloratome, die ihrerseits die Ozonteilchen (O3) in einato­ mige und zweiatomige Sauerstoffmoleküle zerlegen. Ein Chloratom ist derart „aggressiv“, daß es diesen Spaltvorgang mehrere tausend Male durchführen kann. Auf diese Weise wird die obere Ozonschicht immer weiter ausgedünnt. Angesichts dieser gesicherten Erkenntnisse chemi­ scher Vorgänge in der Atmosphäre wird der Einsatz von FCKW heute zwar weltweit geächtet; die Produktionsmengen sind jedoch immer noch beträchtlich (vgl. Tab. 2.3). Tab. 2.3: Produktion und Verbrauch ozonabbauender Stoffe (FCKW) in Tsd. t Welt FCKW-Produktion2) darunter R22 FCKW-Verkäufe3* darunter R22 Europäische Union FCKW-Produktion darunter R22 FCKW-Verkäufe4* darunter R22 Deutschland FCKW-Produktion darunter R22 FCKW-Verkäufe5’

1987

1989

1990

1991

1992

988,0 1074,0 1087,0 165,0 173,3 203,6 904,0 969,9 984,3 155,9 163,2 187,3

975,0 219,5 876,4 194,1

665,0 213,7 644,7 180,9

605,0 236,8 640,2 202,0

526,0 245,7 609,4 206,8

— —

1986

1988

1993



454,0 — 310,4 —

461,0 — 324,5 —

441,0 — 307,4 —

384,0 61,0 223,0 32,3

293,0 69,0 183,8 35,3

259,0 63,0 154,0 37,2

231,0 76,0 137,1 41,5

198,5 75,2 119,9 43,7

126,0 — 71,0

127,0 — 66,0

120,0 — 57,0

107,0 9,3 46,0

81,0 — 37,0

65,0 10,7 27,0

59,0 10,8 15,0

51,8 8,7 9,0

1) R 11, R 12, R 113, R 114, R 115 (vollhalogenierte FCKW) und R 22 (teilhalogenierte FCKW) 2) Ohne China, Südostasien und Osteuropa (nach Schätzungen der AFEAS betrug in diesen Staaten die Produktionsmenge 1992 153 000 t) 3) Für Anwendungen mit mittlerer Emissionsrate, z. B. Kältemittel 4) Innerhalb der Gemeinschaft 5) Inlandsverkäufe deutscher Hersteller

Quelle: Umweltbundesamt, 1994

Über den Ausstoß der wesentlichen klima- und ozonrelevanten Spurenstof­ fe existieren auch Statistiken für Westdeutschland (s. Abb. 2.4). Die Daten lassen erkennen, daß die Emission von Schadstoffen in der jüngeren Ver­ gangenheit fast durchgängig rückläufig war. Zugleich geht aus Abb. 2.4 her­ vor, welche Emittentengruppen hinter dem jeweiligen Schadstoff standen. 23

UMWELT UND ÖKONOMIE

davon in % Kraftwerke, Fernheizwerke2* Industrie-Feuerung3* Industrie-Prozesse4*5*12* Kleinverbraucher6’

Haushalte Straltenverkehr Übriger Verkehr7***9* Lösern ittelverw.1Q* Schüttgut-Umschlag

1970 28,3

1980 34,0

1990 35,0

1970 0,3

1980 0,3

1990 0,3

1970 22,6

1980 18,3

1990 5,1

32,4

27,1

22,8

17,4

6,6

4,9

43,9

37,5

31,7

25,8

22,2

19,4

3,3

1,5

1,4

15,2

9,1

6,6

9,0 4,6 — -

13,0 3,7 —

18,1 4,7 —

44,4 3,4 45,5 -



6,7 3,4 — .

13,3 4,6 —

-

45,5 3,3 42,8 -

2,8 4,1

-

34,1 3,9 41.1 -

11,4

24,9

38,7

1) Ohne natürliche Quellen. 2) Bei Industriekraftwerken nur Stromerzeugung. 3) Übriger Umwandlungsbe­ reich. Verarbeitendes Gewerbe und übriger Bergbau, Industriekraftwerke und Wärmeerzeugung. 4) Ohne energiebedingte Emissionen. 5) Einschließlich energiebedingter Emissionen. 6) Einschließlich militärischer Dienststellen. 7) Nur Abgasemissionen. 8) Einschließlich Verteilung und Verdunstung von Ottokraftstoff. 9) Land-, Forst- und Bauwirtschaft, Militär-, Schienen- und Luftverkehr, Binnen- und Küstenschiffahrt, Hochseebunkerungen. Als Emissionen des Verkehrsbereiches gelten hier diejenigen, die im bzw. über dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sind (Territorialprinzip). 10) In Industrie, Gewerbe und Haus­ halten. 11) Aus Energieverbrauch und Industrieprozessen mit Klimarelevanz. 12) Einschließlich Gewerbe.

Abb. 2.4: Klima- und ozonrelevante Spurenstoffe (Westdeutschland) Quelle: Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre“ (1994), S. 16 f.

24

UMWELT UND ÖKONOMIE

Gleichwohl stellen die Sünden der Vergangenheit auch in der Gegenwart sowie der Zukunft infolge der trägen Reaktionen von FCKW eine Zeit­ bombe dar. Aufgrund komplexer klimatischer Gegebenheiten entstand das Ozonloch anfänglich nur über den Polen; inzwischen wird die Ozon­ schicht jedoch über allen Breitengraden ausgedünnt.

Ozon hat seine positiven Eigenschaften jedoch nur in der Stratosphäre, wo es die UV-B-Strahlung abschirmt. An der Erdoberfläche wirkt es als Gift. Spätestens seit der Diskussion um die hohen Ozon-Belastungen im Sommer, um „Grenzwerte“ und Fahrverbote sind die negativen Seiten des Ozons der Allgemeinheit bewußt geworden. Es löst beispielsweise Reizungen der Atemwege und Augenbrennen aus, im Pflanzenreich greift es die Oberflächen von Blättern und Nadeln an. Außerdem unterstützt das bodennahe Ozon den Treibhauseffekt, wobei die O3-Moleküle um ein Vielfaches gefährlicher sind als CO2. Das bodennahe Ozon entsteht durch chemische Reaktionen, bei denen unter Sonneneinstrahlung eine Spaltung von Stickstoffdioxid (NO2) in Stickstoffmonoxid (NO) und atomaren Sau­ erstoff (O) erfolgt. Das Sauerstoffatom verbindet sich mit dem molekula­ ren Sauerstoff (O2) zu Ozon (O3). Diese chemischen Reaktionen werden durch das Vorhandensein von Kohlenwasserstoff begünstigt. Verantwort­ lich für die Bildung von Ozon an der Erdoberfläche ist der Ausstoß von Schadstoffen, insbesondere durch Kraftwerke und Autos. Etwa 70 % der Stickoxide werden durch den Straßenverkehr verursacht. Sowohl der Treibhauseffekt als auch das Ozonloch stellen ernste Bedro­ hungen für die Menschheit und die gesamte Natur dar. Es ist daher drin­ gend notwendig, diesen Problemen mit Entschiedenheit entgegenzutreten. Patentrezepte gibt es aber nicht; sämtliche Maßnahmen bergen Probleme in sich. Zur fundierten Beurteilung umweltpolitischer Maßnahmen sind jedoch einige theoretische Kenntnisse erforderlich, die nachfolgend be­ handelt werden. Zuvor soll jedoch kurz ein Konzept vorgestellt werden, das die neuere Umweltdiskussion kennzeichnet.

2.2.3 Das Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ Eine zentrale Ursache für die steigende Belastung der Umwelt ist der Anstieg der materiellen Güterproduktion. Mit zunehmender Produktion nimmt erfahrungsgemäß auch die Umweltbelastung zu. Verantwortlich hierfür sind vor allem der steigende Energieverbrauch, der zunehmende Ressourcenverbrauch, die Produktion synthetischer Güter und nicht zu­ letzt das Emissionsproblem.

25

UMWELT UND ÖKONOMIE

Produktions- und konsumbedingte Schadstoffemissionen sind grundsätz­ lich um so höher, je größer das Produktions- und Konsumniveau einer Volkswirtschaft ist. In der Vergangenheit war ein weitgehend proportio­ naler Zusammenhang zwischen Umweltverbrauch (U) und der Entwick­ lung des realen Sozialprodukts (Y) zu beobachten. U = g • Y Soll auch in Zukunft eine weitere Steigerung des Lebensstandards erfol­ gen, so müssen Wirtschaftswachstum und Umweltverbrauch in dem Sinne voneinander entkoppelt werden, daß der Faktor „g“ im Zeitablauf immer kleinere Werte annehmen muß. Im Idealfall wäre „g“ gleich Null, und damit eine völlige Entkoppelung von Wachstum und Umweltverbrauch erreicht.

In der 1972 erschienenen Club-of-Rome-Studie „Grenzen des Wachs­ tums“ („Meadows-Studie“) wurde auf der Basis eines Weltmodells nach­ zuweisen versucht, daß die Gesellschaften bei weiterhin exponentiellem Wirtschaftswachstum infolge begrenzter Ressourcen und Umweltkapazitä­ ten zwangsläufig an Wachstumsgrenzen stoßen. Dieses Ergebnis diente vielfach als Grundlage für die Forderung nach „Nullwachstum“. Aller­ dings löst Nullwachstum den latenten Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie nicht. Mit Nullwachstum sind nicht nur hohe gesellschaftliche Opportunitätskosten verbunden, wie beispielsweise der Verzicht auf wei­ tere materielle Wohlstandsteigerungen; Nullwachstum verschärft - wie an späterer Stelle noch ausführlicher erläutert wird - auch die vielfältigen Verteilungskonflikte in der Wirtschaft. Dies gilt auch für die Lösung von Umweltproblemen. Eine stationäre Volkswirtschaft ist wenig dynamisch. Sie ist kaum durch strukturellen Wandel gekennzeichnet. Die getätigten Investitionen dienen ausschließlich dem Ersatz der verschlissenen Anla­ gen. Investitionen in Richtung weniger Umweltverbrauch bzw. „Umwelt­ reparatur“ sind in einer derartigen Wirtschaft kaum zu erwarten. Mögli­ cherweise ist bei Nullwachstum der Raubbau an Umweltressourcen grö­ ßer als in einer Wirtschaft, die mit positiven Raten, aber umweltschonend wächst („qualitatives Wachstum“). Für ein derartiges qualitatives Wachstum wird zunehmend der Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ („Sustainable Development“) verwendet. Der Begriff „sustainable“ wird vielfach auch mit „beständig“, „aufrecht­ erhaltend“ oder „zukunftsfähig“ übersetzt. Politisch wirksam wurde das Konzept des Sustainable Development erstmals im Bericht „Our Common Future“ (sog. „Brundtland-Bericht“), den die World Commission on En­ vironment and Development 1987 veröffentlicht hat. Der Begriff „Sustain26

UMWELT UND ÖKONOMIE

able Development“ ist der Forstwirtschaft entlehnt. Dort kennzeichnet „Nachhaltigkeit“ eine Art der Waldbewirtschaftung, bei der die Repro­ duktionskraft des Waldes und die jeweilige Holzernte so miteinander in Einklang gebracht werden, daß nur so viel Holz geschlagen wird, wie wieder nachwächst. In die ökologische Diskussion hat der Begriff inzwi­ schen ebenfalls Eingang gefunden. Er tritt hier zunehmend an die Stelle der früher verwendeten Begriffe der „Stabilität“ oder des „Gleichge­ wichts“ von Ökosystemen. In ihrem Brundtland-Bericht versteht die Kommission unter nachhaltiger Entwicklung eine „Entwicklung, die den gegenwärtigen Bedarf zu decken vermag, ohne gleichzeitig späteren Generationen die Möglichkeit zur Deckung des ihren zu verbauen“. Ausgehend von dem Postulat einer Ge­ rechtigkeit zwischen den Generationen (intergenerative Gerechtigkeit) wird ein Wachstum gefordert, das die Erhaltung der Umwelt und ihrer mannigfaltigen Funktionen auch für die Menschen künftiger Generatio­ nen sichert. Das Prinzip der intergenerativen Gerechtigkeit bedeutet of­ fensichtlich, daß die Wohlfahrt der gegenwärtigen Generation nur gestei­ gert werden darf, wenn die Wohlfahrt zukünftiger Generationen sich hierdurch nicht verringert. Sustainable Development wurde zum Leitbe­ griff der Konferenzen von Rio de Janeiro (1992) und der Berliner UNKlimakonferenz (1995). Abbildung 2.5 zeigt, daß die Reichweite der Weltenergievorräte sehr be­ grenzt ist, daß die vorangegangenen und gegenwärtigen Gesellschaften die Primärenergieressourcen zu Lasten künftiger Generationen ausgebeu­ tet haben. Die in der Tabelle ausgewiesene Reichweite der Reserven gibt an, wie lange die heute konkret nachgewiesenen, technisch und wirt­ schaftlich gewinnbaren Vorkommen der betreffenden Energieressource voraussichtlich noch reichen werden. Die Schätzungen zur Reichweite der Ressourcen erfassen dagegen auch die aufgrund von geologischen Hypo­ thesen vermuteten zusätzlichen Vorkommen. Die Gesamtsumme der ver­ muteten gewinnbaren Energieressourcen wird auf 30.000 Exajoule ge­ schätzt. Weltweit werden derzeit etwa 340 Exajoule, d. h. mehr als ein Prozent der bekannten Energiereserven verbraucht. Das Prognos Institut rechnet in den nächsten zwei Jahrzehnten mit einem weltweiten Anstieg des Energieverbrauchs auf etwa 520 Exajoule (2010). Daraus lassen sich dann die in Abbildung 2.5 dargestellten (dynamischen) Reichweiten der Reserven ableiten. Bemerkenswert ist die Endlichkeit der Vorräte beim Erdöl und Erdgas. Beachtlich ist dagegen die Reichweite der Kohlereser­ ven. Trotz der Bedarfssteigerung reichen die heute als gesichert geltenden und wirtschaftlich abbaubaren Vorräte weit über 100 Jahre. Die Erfah27

UMWELT UND ÖKONOMIE

rung hat allerdings gelehrt, daß derartige Reichweitenschätzungen in der Regel zu pessimistischen Ergebnissen fuhren, da der Neuzuwachs an ge­ sicherten Reserven in den kommenden Jahren - wie auch in der Vergan­ genheit - eine wesentliche Streckung der Vorräte bewirkt. An der prin­ zipiellen Endlichkeit der Energieressourcen ändert dies allerdings nichts.

Ressourcen (vermutete Vorkommen)

Abb. 2.5: Reichweiten der Weltenergievorräte in Jahren (Stand: Ende 1993) Quelle: Prognos (1993), S. 88 und Klimabericht der Bundesregierung (1994), S. 35

Auch der deutsche Rat von Sachverständigen für Umweltfragen hat dem Konzept einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung ein Gutachten (1994) gewidmet. In den Wirtschaftswissenschaften wird der Begriff der Nachhaltigkeit zunehmend als angemessener Begriff zur Beurteilung von ökonomischen Wachstumsprozessen und ihrer Vereinbarkeit mit den na­ türlichen Lebensgrundlagen („qualitatives Wachstums“) akzeptiert. „Nach­ haltig“ ist wirtschaftliches Wachstum dann, wenn die Einkommensquellen im Produktions- und Konsumprozeß nicht verringert oder qualitativ beein­ trächtigt werden, wenn also die Einkommensquellen - Arbeit, Kapital und Naturvermögen - auch im Zuge des gesellschaftlichen Produktions- und Konsumprozesses in quantitativer und qualitativer Hinsicht dauerhaft er­ halten bleiben. 28

UMWELT UND ÖKONOMIE

Eine nicht dauerhaft umweltverträgliche Form des Wirtschaftens handelt letztlich ihren eigenen Grundlagen zuwider. Sie zerstört, wovon sie lebt. Führende Ökonomen fordern daher statt eines linearen Wachstumsprozes­ ses eine „zirkuläre Ökonomie66 [Pearce/Turner (1990)]. Das bedeutet, daß die Natur in ihrer Fähigkeit, sowohl Rohstoffe zur Verfügung zu stellen, als auch freigesetzte Schadstoffe aufzunehmen, in die ökonomi­ sche Rechnung Eingang findet, und zwar derart, daß beide genannten Fähigkeiten dauerhaft Bestand haben. Dies bedeutet, daß • die Nutzung einer Ressource nicht größer sein darf, als ihre Regene­ rationsrate oder die Rate der Substitution all ihrer Funktionen (Res­ sourcenschonung), und daß • die Freisetzung von Schadstoffen nicht größer sein darf als die Auf­ nahmefähigkeit der Umweltmedien Luft, Gewässer und Boden (Trage­ kapazität).

Es geht in der zirkulären Ökonomie um den Erhalt der Umweltfunktionen bei gleichzeitiger Ermöglichung ökonomischer und sozialer Entwicklung. Die Ausrichtung der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung an der Tragfähigkeit der natürlichen Umwelt erfordert zwangsläufig einen ent­ sprechenden Wandel der primär auf individuellen Nutzen ausgerichteten Verhaltens- und Entscheidungsmuster, welche die Zivilisationsentwick­ lung heute noch weitgehend bestimmen.

Nachhaltige Entwicklung bedeutet nicht den Verzicht auf Wachstum. Auch die Nutzung begrenzter Energie- und Rohstoffvorräte ist mit einer nachhaltigen Entwicklung vereinbar. Allerdings muß die verfügbare Res­ sourcenbasis durch technischen Fortschritt, durch die Verfügbarkeit neuer Energiequellen und Rohstoffe für die folgenden Generationen erweitert werden und die Inanspruchnahme von Umwelt und Natur auf ein verträg­ liches Maß begrenzt bleiben. Abbildung 2.6 zeigt, daß in Westdeutschland die Entwicklung des Primär­ energieverbrauchs und der damit verbundenen CO2-Emissionen weitge­ hend vom Wachstum des Bruttoinlandsprodukts „entkoppelt“ sind, d. h. das Bruttoinlandsprodukt ist in Westdeutschland seit 1970 gestiegen, ohne daß damit ein nennenswerter Anstieg des Primärenergieverbrauchs und der CO2-Emissionen einherging.

29

UMWELT UND ÖKONOMIE

Abb. 2.6: Entkoppelung von Wirtschaftswachstum, Energieverbrauch und CO2-Emissionen in Westdeutschland (Indexdarstellung) Quelle: Klimabericht der Bundesregierung (1994), S. 33

Die Belastung der Umwelt ist nicht nur eine Erscheinung westlicher Markt­ wirtschaften. Sie trat besonders stark in östlichen Zentralverwaltungswirt­ schaften auf. Infolge der deutschen Vereinigung ist offenkundig geworden, daß in Zentralverwaltungswirtschaften mit der Umwelt noch weniger sorgsam umgegangen wurde als in westlichen Industrieländern. Obwohl die Pro-Kopf-Produktion und der Konsum in der Bundesrepublik Deutschland um ein Vielfaches über dem Niveau in der ehemaligen DDR lag, verbrauchten die DDR-Bürger pro Kopf der Bevölkerung etwa 20 % mehr Energie. Während die Produktion und der Konsum in Westdeutsch­ land zu einem SO2-Ausstoß von ca. 17 kg pro Einwohner führte, ging das geringere Produktionsvolumen in Ostdeutschland mit einem Ausstoß von rund 315 kg pro Kopf der Bevölkerung einher (vgl. Abbildung 2.7).

30

UMWELT UND ÖKONOMIE

Alte Länder

0

Neue Länder

a) t je Einwohner

Abb. 2.7: Pro-Kopf-Emissionen ausgewählter Stoffe in Deutschland (alte und neue Bundesländer im Vergleich, in kg je Einwohner, 1989) Quelle: Prognos „Deutschland Report Nr. 1“ (1993), S. 101

Das ist mehr als überraschend. Denn eine zentrale Wirtschaftsplanung könnte gerade ökologischen Gesichtspunkten bei der Planung einen hohen Rang einräumen. Daß dies offenkundig nicht so ist, hängt einerseits mit der vergleichsweise geringen Effizienz der Planwirtschaft zusammen und ist zum anderen auf das Demokratiedefizit dieser Wirtschaftsordnung zurückzuführen. Die unzureichende Effizienz der Zentralverwaltungswirt­ schaft führte dazu, daß die primäre Aufgabe erst einmal darin gesehen

31

UMWELT UND ÖKONOMIE

wurde, eine Mindestversorgung mit materiellen Gütern zu erreichen, sei es auch um den Preis einer exorbitanten Belastung der Umwelt. Durch Steigerung der Effizienz dieser Systeme kann auch ein Teil der Umwelt­ probleme gelöst werden. Das Demokratiedefizit des zentralverwaltungs­ wirtschaftlichen Systems hatte schließlich zur Konsequenz, daß die Bürger ihre umweltpolitischen Interessen nicht wirksam gegenüber der herr­ schenden Klasse artikulieren konnten. Schon gar nicht war es möglich, daß sich Parteien bildeten, die es sich zur Aufgabe machten, die ökologi­ schen Interessen im politischen Raum zu bündeln und durchzusetzen.

Obwohl marktwirtschaftliche Systeme ihrer Natur nach „ökologisch blind“ sind, erweist sich somit die Marktwirtschaft als das erfolgversprechendere System, um die Umweltproblematik in den Griff zu bekommen. Denn je höher die Effizienz des Wirtschaftssystems, um so leichter fällt es, einen Teil des Sozialprodukts in Umweltschutzmaßnahmen umzulenken. Dar­ über hinaus verlangen in Demokratien die Bürger mit zunehmender Be­ friedigung des materiellen Wohlstands, daß auch den ökologischen Erfor­ dernissen mehr und mehr Rechnung getragen wird. Dies zeigt sich in den gegenwärtigen Bestrebungen, die bisherige soziale Marktwirtschaft in Richtung einer „öko-sozialen Marktwirtschaft“ umzubauen.

32

3.

Externe Effekte in der Umweltökonomie

3.1

Begriff und Inhalt externer Effekte

Wir haben gesehen, daß Umwelt als öffentliches Gut interpretiert werden kann, von dessen Nutzung - ohne staatliche Einflußnahme - kein Wirt­ schaftssubjekt ausgeschlossen werden kann. Die Folge ist eine zu intensi­ ve Inanspruchnahme der Umwelt. Verantwortlich für die zunehmende Zerstörung der Umwelt sind sog. „externe Effekte“. Unter externen Ef­ fekten versteht man diejenigen Wirkungen, die von den ökonomischen Aktivitäten (Produktion oder Konsum) privater Wirtschaftssubjekte (Unternehmen oder Konsumenten) ausgehen und die wirtschaftliche Si­ tuation anderer Wirtschaftssubjekte in positiver (Nutzen- oder Gewinn­ steigerung) oder in negativer (Nutzen- oder Gewinnminderung) Weise beeinflussen. Auf den ersten Blick ist dies nichts Besonderes, denn normalerweise wirkt sich jede wirtschaftliche Handlung eines Individuums auf andere Indivi­ duen aus. Kauft beispielsweise ein Konsument in einem Geschäft eine Ware, so erhält der Verkäufer den Preis für das entsprechende Gut. Beim Verkäufer steigt der Erlös, der Käufer zieht dagegen Nutzen aus dem Konsum des Gutes. Bei beiden Wirtschaftssubjekten wird der Grad der Bedürfnisbefriedigung erhöht. Diese Wirkungen werden über das Preis­ system vollständig erfaßt.

Bei externen Effekten handelt es sich dagegen um Wirkungen, die nicht über das Preisssystem erfaßt werden und dennoch das Nutzenniveau ande­ rer beeinflussen. Dies soll an einem Beispiel verdeutlicht werden. Eine Fabrik verwende bei der Produktion von Papier sauberes Wasser und leite es später verschmutzt wieder in einen Fluß zurück. Flußabwärts befinde sich eine Wäscherei, die auf sauberes Wasser angewiesen ist. Sie kann dieses verschmutzte Wasser daher nicht mehr verwenden und muß Geld für sauberes Wasser aufwenden. Diese Kosten der Wäscherei sind die ne­ gativen externen Effekte (externe Kosten) der Papierproduktion. Da der Papierproduzent die in der Wäscherei entstehenden Kosten in seiner Kal­ kulation nicht berücksichtigt, ist Papier preiswerter, als es wäre, wenn auch die Umweltbelastungen in Rechnung gestellt worden wären. Die Nachfrage nach Papier ist deswegen zu hoch. Die daraus resultierende zu hohe Papierproduktion führt zu einer zu hohen Belastung der Umwelt.

Wie bereits erwähnt, gibt es auch positive externe Effekte. Ein Beispiel hierfür wäre ein Appartement in einem Hochhaus. An dieses Apparte­ ment grenzen verschiedene Wohnungen auf demselben Stockwerk bzw. 33

EXTERNE EFFEKTE IN DER UMWELTÖKONOMIE

den darüber- und darunterliegenden Etagen an. Wenn nun im Winter sämtliche „Nachbarn“ heizen, so kann der Bewohner des Appartements seine Heizkörper geschlossen lassen, und trotzdem sind seine Räume aus­ reichend beheizt. Die eingesparten Heizkosten stellen einen positiven ex­ ternen Effekt dar. Volkswirtschaftlich bedeutsam sind die positiven exter­ nen Effekte, die davon ausgehen, daß ein Unternehmen sich in einer struk­ turschwachen Region ansiedelt und damit insgesamt die wirtschaftliche Attraktivität dieses Raumes erhöht. In der Umweltpolitik sind jedoch die negativen externen Effekte (externe Kosten) von besonderer Bedeutung.

Externe Effekte sind keineswegs nur auf die Beziehungen zwischen Pro­ duzenten beschränkt, sondern treten in vielfältigen Ausprägungen auf. Sie können sowohl von Produktions- als auch von Konsumaktivitäten ausge­ löst werden. Von einer „Produktionsexternalität“ spricht man allgemein dann, wenn es zu einer Beeinflussung der Produktionsgegebenheiten eines Unternehmens (z. B. Kostensteigerung, Qualitätsverschlechterung) durch ein anderes Unternehmen kommt. Ein Beispiel wurde bereits mit dem Papierproduzenten und der Wäscherei genannt. Analog sei auf die negati­ ven Auswirkungen einer Müllverbrennungsanlage für umliegende Produ­ zenten von Mikroprozessoren verwiesen; deren Herstellung ist nur unter Reinluftbedingungen möglich, so daß entweder hierfür höhere Aufwen­ dungen entstehen oder aber ganz auf die Produktion an diesem Standort verzichtet werden muß. Auch Konsumenten sind von externen Effekten betroffen, wie obige Bei­ spiele bereits andeuteten. Wird der Nutzen eines privaten Individuums di­ rekt von Konsumaktivitäten anderer Individuen beeinflußt, so spricht man von „Konsumexternalitäten“. Externe Kosten sind beispielsweise das Passivrauchen aus Sicht des Nichtrauchers, Lärmbelästigungen durch den (Freizeit-)Verkehr oder das Benutzen eines Handys während einer Thea­ tervorstellung. Ein externer Nutzen würde für einen Anhalter entstehen, der in einem privaten Fahrzeug mitgenommen wird.

Mischformen sind zum einen produktionsbedingte Konsumexternalitä­ ten. Bei diesen wird im Falle eines externen Nutzens ein privates Indivi­ duum durch die Produktionstätigkeit eines Unternehmens begünstigt (z. B. ruhiges Wohnen neben einer Privatklinik infolge Verkehrsberuhigung). Häufiger anzutreffen sind indes auch hier externe Kosten. Sie treten auf, wenn Privatpersonen durch die Produktionstätigkeit von Unternehmungen Schaden erleiden. Er kann immateriell sein, wenn z. B. die Badefreude durch die Verunreinigung des oben erwähnten Flusses beeinträchtigt ist oder Private als „Nachbarn“ eines Chemiewerkes dessen Gestank einatmen

34

EXTERNE EFFEKTE IN DER UMWELTÖKONOMIE

müssen; all diese Faktoren senken die Lebensqualität. Ein Beispiel für ei­ nen materiellen Schaden ist die Verschmutzung von Hausfassaden durch die Immissionen von Kohlekraftwerken; dadurch werden Renovierungs­ arbeiten erforderlich, die beim Hausbesitzer mit Kosten verbunden sind. Externe Kosten dieser Ausprägung sind die wohl am häufigsten diskutier­ ten externen Effekte. Zum andern liegen konsumbedingte Produktionsexternalitäten vor, wenn die Konsumtätigkeit der privaten Haushalte dazu führt, daß bei den Pro­ duzenten positive oder negative wirtschaftliche Effekte eintreten. Beispiele für externe Kosten wären die Beeinträchtigung der landwirtschaftlichen Produktion in einem Wintersportgebiet infolge Skifahrens oder der Ein­ satz zusätzlicher Ordnungskräfte bei einem Verkehrsunfall wegen Gaffern.

Bei all diesen Phänomenen handelt es sich dann um Externalitäten, sofern sie nicht durch das Preissystem erfaßt werden und damit die Produzenten oder Konsumenten veranlassen, ihr Verhalten in allokationsoptimaler Weise anzupassen. Externe Effekte werden durch das Marktsystem nicht erfaßt, d. h. es versagt der Preisbildungsprozeß. Aufgrund dieses Man­ gels werden Produktionsfaktoren einer falschen Verwendung zugeführt. Man spricht dann von einer Fehlallokation der Produktionsfaktoren. Bezogen auf das Beispiel mit dem Papierproduzenten und der Wäscherei sollte sichergestellt werden, daß der Papierproduzent bei seinen Entschei­ dungen auch die externen Kosten berücksichtigt. Nur so kann ein volks­ wirtschaftliches Optimum erreicht werden. In diesem Zusammenhang spricht man von einer „pareto-optimalen Situation“, wenn durch einen veränderten Einsatz der Ressourcen - Arbeit, Sachkapital und natürliche Ressourcen - kein Individuum mehr besser gestellt werden kann, ohne ein anderes schlechter zu stellen. Würde z. B. die Wäscherei in das Un­ ternehmen des Papierproduzenten integriert, so würde dieser Konzern bei seinen Entscheidungen über die Herstellung von Papier nicht nur die di­ rekten, sondern auch die indirekten (externen) Kosten berücksichtigen. Das Anlasten der externen Kosten auf den Verursacher bezeichnet man allgemein als „Internalisierung“ externer Effekte. Externe Effekte können somit in unterschiedlicher Weise auftreten. Für die Umweltökonomie sind vor allem die negativen externen Effekte (externe Kosten) von Bedeutung. Entscheidend ist, ob es gelingt, diese externen Ef­ fekte den Verursachern in Form des Eingangs in deren Kalkulationen anzu­ lasten, sie also zu „internalisieren“.

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3.2 Externe Effekte und Produktionsentscheidungen Die Folgen einer Nichtbeachtung externer Effekte wurden schon angedeu­ tet. Im folgenden soll auf dieses Problem sowie auf die Berücksichtigung externer Effekte detaillierter eingegangen werden.

3.2.1 Produktionsentscheidung ohne Berücksichtigung externer Kosten Bei der Produktion von Gütern entstehen für den Produzenten Kosten in Form von Löhnen, Kapitalkosten, Rohstoffkosten, Energiekosten etc. Ein Teil der Kosten sind Fixkosten; sie sind von der erzeugten Gütermenge unabhängig (z. B. Anschaffungskosten für eine Maschine). Der andere Teil der Kosten variiert mit der produzierten Stückzahl des jeweiligen Produktes; es liegen variable Kosten vor. Ein Beispiel sind Lohnkosten, die bei Stückakkord anfallen. Der Produzent wird bei einer Produktions­ entscheidung immer überlegen, welche Kosten jeweils anfallen, wenn er eine Produktionseinheit mehr herstellt. Die Kosten, die zusätzlich entste­ hen, wenn die Produktion um eine Gütereinheit gesteigert wird, nennt man „Grenzkosten“. Müssen z. B. für die Produktionssteigerung von zehn auf elf Stück zusätzlich 10,- DM aufgewendet werden, dann betra­ gen die Grenzkosten hierfür 10,- DM. Aus dem Verkauf der Güter erhält der Unternehmer einen Erlös (Um­ satz). Er errechnet sich aus der Multiplikation von Preis pro verkauftem Stück und der Stückzahl. Für jede Einheit des Gutes, die er mehr ver­ kauft, erhält er den Stückpreis als zusätzlichen Erlös. Dies ist der sog. Grenzerlös. Es stellt sich für den Unternehmer daher die Frage, welche Stückzahl eines Gutes er produzieren soll. Er wird überlegen, wie lange er seinen Gewinn mit zunehmender Produktion ausdehnen kann. Hierzu wird der Unternehmer für jede zusätzlich zu produzierende Gütereinheit die dabei entstehenden Grenzkosten mit dem Grenzerlös vergleichen. Er wird vernünftigerweise die Produktion so lange steigern, wie der Grenz­ erlös höher liegt als die Grenzkosten. Diese Spanne wird aufgrund pro­ duktionstechnischer Gegebenheiten immer geringer. Schließlich tritt eine Situation ein, in der er an einer zusätzlich produzierten Gütereinheit nichts mehr verdient, hier stimmen Grenzkosten und Grenzerlös über­ ein. In dieser Situation ist der maximale Gesamtgewinn erreicht; der Grenzgewinn, d. h. der Gewinn an der letzten Produktionseinheit, wird gerade gleich Null.

Abbildung 3.1 zeigt eine solche Situation: Sie enthält die Grenzkosten­ kurve eines privaten Unternehmens (GKpriv), die bekanntlich der Ange-

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botsfunktion (Apriv) entspricht, sowie die Nachfragekurve (N) nach dem Gut X. Als Ergebnis des Zusammenwirkens von Angebot und Nachfrage am Markt ergeben sich im Gleichgewicht der Marktpreis Pm und die ab­ gesetzte Menge Xm. Diese Marktkonstellation ist nicht nur einzelwirt­ schaftlich rational - die Grenzkosten entsprechen gerade dem Güterpreis sondern sie ist auch gesamtwirtschaftlich optimal. Sind alle Güter- und Faktormärkte in der skizzierten Form im Gleichgewicht, so herrscht ein optimaler Einsatz der Produktionsfaktoren (optimale Allokation). Diese Situation wird auch als „pareto-optimal“ bezeichnet; dies bedeutet, wie bereits erwähnt, daß durch einen veränderten Einsatz der Produktionsfak­ toren („Reallokation“) kein Individuum besser gestellt werden kann, ohne daß ein anderes schlechter gestellt wird. Solange die Preise ihre Funktion als Knappheitssignale erfüllen, werden die Produktionsfaktoren dorthin gelenkt, wo sie ihre größte Produktivität entfalten, und Güter werden dort konsumiert, wo sie den größten Nutzen stiften. Das gilt allerdings nur dann, wenn bei der Produktion keine externen Effekte (externe Kosten oder Nutzen) auftreten.

Abb. 3.1: Marktlösung ohne Berücksichtigung externer Kosten

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3.2.2 Produktionsentscheidung mit Berücksichtigung externer Kosten Beim Auftreten externer Effekte ist die Produktionsentscheidung aus ge­ samtwirtschaftlicher Sicht hingegen nicht optimal. Werden beispielsweise Hausbesitzer in der Nähe eines Kraftwerkes wegen Staubimmissionen ge­ zwungen, ihre Häuser häufiger renovieren zu lassen, so entstehen für sie Kosten, die eine indirekte Folge der Güterproduktion sind. Sie müßten bei der Produktionsentscheidung berücksichtigt werden; nur dann wird die volkswirtschaftlich „richtige“ Menge erzeugt. Dies bedeutet, daß die (externen) Grenzkosten der Betroffenen ebenfalls berücksichtigt werden müssen. Dieser Sachverhalt wird in Abbildung 3.2 verdeutlicht. Durch Addition der Grenzkosten der privaten Unternehmen (GKpriv) mit den Grenzkosten der Geschädigten entsteht die gesamtwirtschaftliche Grenzkostenkurve (GKges) bzw. die gesellschaftliche Angebotsfunktion (Ages). Die Einbezie­ hung der externen Kosten der Geschädigten führt dazu, daß sich die Grenzkostenkurve bzw. die Angebotsfunktion nach oben verlagert. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Erfassung und Bewertung externer Kosten in der Praxis ein großes Problem bildet.

Bei gegebenem Verlauf der Nachfrage nach dem Gut X bedeutet dies offensichtlich, daß sich die neue Gleichgewichtskombination Po/Xo einstel­ len würde. Im Vergleich hierzu ist die Produktionsmenge ohne Berück­ sichtigung der externen Kosten zu groß, d. h. es wird eine Produktions­ menge erstellt, die die Umwelt zu stark in Anspruch nimmt. Je größer die externen Kosten der Geschädigten sind, um so geringer ist die pareto­ optimale Produktionsmenge im Vergleich zur reinen Marktlösung. Durch die Vernachlässigung der externen Kosten wird zuviel erzeugt, d. h. aber, daß die Produktionsfaktoren - einschließlich der Umwelt - nicht optimal eingesetzt werden. Externe Effekte sind also Wirkungen, die durch das Preissystem nicht erfaßt werden und damit zur Fehlallokation des Res­ sourceneinsatzes führen. Außerdem zeigt Abbildung 3.2, daß der „reine“ Marktpreis (Pm) zu niedrig liegt; durch Internalisierung der externen Ef­ fekte bildet sich ein höherer Preis (Po). Die negativen externen Effekte werden in einer Marktwirtschaft bei der Produktion oder dem Konsum nicht berücksichtigt; es sei denn, der Staat lastet den Verursachern diese Umweltschädigungen an. Solange der Staat nicht als Anwalt der Umwelt eingreift, bleiben die ökologischen Kosten unberücksichtigt. Mit anderen Worten: Das Ergebnis einer Laissez-faire Marktwirtschaft ist aus ökologischer Sicht nicht optimal. Zwar handelt

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das einzelne Unternehmen für sich gesehen rational, gesamtwirtschaftlich betrachtet ist sein Handeln aber nicht (pareto-)optimal. Erforderlich ist daher die Internalisierung der externen Effekte durch die Politik.

Abb. 3.2: Marktlösung mit Berücksichtigung externer Kosten

3.3 Theoretische Möglichkeiten zur Internalisierung externer Effekte Wie wir gesehen haben, muß es Ziel der Umweltpolitik sein, den Verur­ sachern die negativen externen Effekte der Güterproduktion anzulasten. Erst wenn alle tatsächlich entstandenen Kosten in die Produktionsent­ scheidung einfließen, kann man ein ökonomisch und ökologisch optimales Ergebnis erwarten. Die Ursache ist nicht prinzipiell in der Wirkungsweise des Marktmechanismus zu sehen, sondern in unzulänglichen Preisen; sie sind zu gering, denn sie zeigen nicht die Umweltknappheiten an und be­ rücksichtigen nicht die Knappheitsfolgen. Nicht das Prinzip der Marktko­ ordination versagt, sondern ein Konstruktionsfehler hinsichtlich der insti­ 39

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tutionellen Ausgestaltung der Märkte verhindert umweltverträgliche Markt­ ergebnisse. Dieser Konstruktionsfehler besteht offensichtlich darin, daß Produzenten und Konsumenten einen Teil der von ihnen verursachten ökologischen Folgen auf die Allgemeinheit abwälzen, daß die Verursacher also nicht für die gesamten Kosten der Produktion oder des Konsums auf­ kommen müssen. Es ist Aufgabe des Staates, diesen Konstruktionsfehler der Marktwirtschaft zu korrigieren. Hinsichtlich des konkreten umweltpolitischen Handelns durch den Staat sind prinzipiell zwei verschiedene Varianten denkbar, nämlich • die Schaffung eines ökologischen Ordnungsrahmens und/oder • ein fallweises Eingreifen. Bei der ersten Variante würde sich der Staat darauf beschränken, einmal - quasi in der Stunde Null - ökologische Rahmenbedingungen zu schaf­ fen, um dann die Marktwirtschaft (weitgehend) sich selbst zu überlassen. Stellt dieser Ordnungsrahmen sicher, daß die Unternehmen bei ihrer Pro­ duktion die externen Umwelteffekte ihres Handelns mit berücksichtigen müssen, so kann die Anpassung an diese Daten getrost wieder dem Marktmechanismus überlassen werden. In diesem Fall könnte man von einer reinen ökologischen Ordnungspolitik sprechen. Dieser Ansatz wird insbesondere von neoklassisch orientierten Ökonomen vertreten (Demsetz, Friedman, Coase). Die Beseitigung externer Effekte erfor­ dert also keineswegs notwendigerweise permanente Interventionen in das Marktsystem.

Man kann sich aber auch vorstellen, daß der Staat von Fall zu Fall - prak­ tisch jeden Tag - zur Erreichung umweltpolitischer Ziele in das Markt­ system eingreift, um so das System in die ökologisch gewünschte Rich­ tung zu lenken. Diese interventionistische Variante der Umweltpolitik ist weit verbreitet; man könnte sie als fallweisen (diskretionären) ökologi­ schen Interventionismus bezeichnen. Speziell das sog. um weltpolitische Ordnungsrecht ist diesem Denken verhaftet.

Im folgenden werden die theoretischen Konzepte zur Internalisierung ex­ terner Effekte skizziert. Im Anschluß daran erfolgt die Erörterung der praktischen Instrumente der Umweltpolitik. 3.3.1 Das Internalisierungskonzept nach PlGOU

In der tagespolitischen Diskussion werden in jüngster Zeit verstärkt „Um­ weltsteuern“ oder „Ökoabgaben“ gefordert. Es handelt sich hierbei um ein umweltpolitisches Instrument, das bereits vor mehr als 70 Jahren

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theoretisch entwickelt wurde. Bereits in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts hat Arthur Cecil Pigou (1877 - 1959) in seinem grundle­ genden Werk zur „Wohlfahrtsökonomik“ (1922) ein Besteuerungsmodell zur Internalisierung externer Effekte entwickelt: Der Verursacher von Umweltbelastungen wird mit der Zahlung einer Abgabe bzw. Steuer be­ lastet. Diese Zwangsabgabe soll die Grenzkosten der Geschädigten wider­ spiegeln. Besonders hervorzuheben ist, daß Pigou als Wirtschaftswissen­ schaftler prinzipiell dem klassischen Paradigma verbunden war, d. h. er vertraute auf die Selbststeuerungskräfte der Märkte. Um so erstaunlicher ist, daß er als erster Ökonom die Leistungsfähigkeit des Marktmechanis­ mus mit Blick auf die optimale Allokation von Umweltgütern grundle­ gend in Frage gestellt hat. Das Ergebnis seiner Analyse zur Problematik externer Effekte ist, der Staat müsse mittels Steuern bzw. Abgaben kor­ rigierend in den Marktmechanismus eingreifen, um die externen Effekte des individuellen Handelns zu internalisieren; nur so sei die optimale Al­ lokation zu sichern. Die lupenreine Umsetzung des PlGOU-Modells würde es erforderlich ma­ chen, daß der Staat den Steuer- bzw. Abgabensatz genau in der Höhe festlegt, die den Grenzkosten der Geschädigten infolge der umweltbela­ stenden Produktion entspricht. Dadurch, daß der Verursacher von Um­ weltschäden mit einer Abgabe in Höhe der Grenzkosten der Geschädigten belastet wird, würden ihm genau die externen Belastungen infolge seiner Produktion angelastet. Die externen Effekte würden also internalisiert.

Diese Überlegungen können auch formal dargestellt werden. In Abbil­ dung 3.3, Teil a, ergibt sich aus dem Zusammenwirken von privater Grenzkostenkurve (GKpriv, sie entspricht der Angebotskurve Apriv) und Nachfragekurve (N) ein Marktpreis in Höhe von Pm und eine abgesetzte Menge in Höhe von Xm. Addiert man zur privaten Grenzkostenkurve die externen Kosten, die mit zunehmender Produktionsmenge überproportio­ nal ansteigen, so erhält man die gesamtwirtschaftliche Grenzkostenkurve (GKges). Auf deren Basis ergibt sich ein höherer Preis (Po) und eine ge­ ringere Produktionsmenge (Xo). Diese neue Preis-Mengen-Kombination ist die sog. pareto-optimale Kombination. Unter Berücksichtigung exter­ ner Kosten (in Höhe von bei der Menge Xo) wird zuviel produziert, und zwar im Ausmaß von Xm - Xo. Je größer die externen Kosten sind, um so mehr übersteigt - wie bereits erläutert - die tatsächliche Produktion die gesellschaftlich erwünschte.

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Teil a: Fehlallokation durch externe Effekte

Teil b: PlGOU-Steuer

Abb. 3.3: Internalisierung externer Kosten

Abbildung 3.3, Teil b, überträgt diese Zusammenhänge auf die mit der Produktion verbundenen Umweltbelastungen. Mit zunehmender Produkti­ on des Gutes X nimmt auch die Emissionsmenge an Schadstoffen (E) zu. Die Kurve GKext ist die externe Grenzkostenkurve. Sie ergibt sich aus Abbildung a) als senkrechter Abstand zwischen der gesamtwirtschaftli­ chen und der privaten Grenzkostenkurve. Die GVK-Linie ist die Kurve der Grenzvermeidungskosten. Wird beispielsweise versucht, durch Um­ weltschutzmaßnahmen die Emissionen zu reduzieren, so entstehen hierbei Kosten. Je geringer das bereits erreichte Emissionsvolumen ist, um so höher sind die zusätzlichen Kosten, um diese Emissionen um eine weitere Einheit zu senken. Die Grenzvermeidungskosten nehmen also normaler­ weise mit geringer werdendem Emissionsvolumen - also in Richtung des Ursprungs der Abbildung b) - zu. Das pareto-optimale Umweltniveau ist dort erreicht, wo die Grenzkosten der Vermeidung gerade so hoch sind wie die externen Grenzkosten. Die im Schnittpunkt A entstehende Emis­ sionsmenge beträgt Eo. Der „Gleichgewichtspreis“ hat den Wert to, d. h. in Höhe dieses Geldbetrages entstehen Grenzvermeidungskosten bzw. externe Kosten. Sie sind in Abbildung 3.3, Teil b, ebenfalls eingetragen.

Diese optimale Umweltqualität (Eo) kann zum einen erreicht werden, in­ dem der Staat die insgesamt zulässige Emissionsmenge Eo vorgibt. Oder

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aber - und das ist der Ansatz der PlGOU-Steuer - der Staat erhebt einen Steuersatz in Höhe von to je Emissionseinheit.

Die Abgabe fungiert in diesem Modell als Lenkungssteuer. Durch sie wird das Verhalten der Produzenten in die gewünschte allokationsoptima­ le Richtung gelenkt. Liegt die tatsächliche Emissionsmenge über dem op­ timalen Wert, also rechts von Eo, so ist es für den Produzenten günstiger, zusätzliche Vermeidungskosten auf sich zu nehmen, als die Steuer zu be­ zahlen. Wie Abbildung 3.4 zeigt, führt beispielsweise die Reduktion der Emissionen um eine Einheit (von E] auf E2) zu Grenzvermeidungskosten in Höhe von GVK2. Diese sind für den Produzenten aber immer noch günstiger als die Steuerzahlung für die zusätzliche Einheit an Schadstoffen (to). Damit wird das Ziel der Reduzierung von Schadstoffemissionen auf marktwirtschaftlichem Wege erreicht, die Emittenten stoßen sozusagen freiwillig nur noch die Menge Eo aus.

Abb. 3.4: Lenkungsfunktion der PIGOU-Steuer

Umgekehrt liegen die Dinge links von Eo. Hier ist es für das Unterneh­ men günstiger, die Abgabe zu zahlen, statt teure Umweltschutzmaßnah­ men oder Produktionseinschränkungen in Kauf zu nehmen. Denn die freiwillige Vermeidung des Ausstoßes einer Einheit an Schadstoffen (von

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E3 auf E4) wäre mit zusätzlichen Kosten in Höhe von GVK4 verbunden, die Abgabe verursacht dagegen nur Kosten von t^. Deshalb besteht für das Unternehmen kein Anlaß, die Emissionsmenge von E3 auf E4 zu dros­ seln. Dies wäre erst dann der Fall, wenn der Staat seine Steuer entspre­ chend erhöhen würde.

Dieser Lösungsansatz ist elegant und überzeugend. Er ist jedoch mit ei­ nem großen Mangel behaftet, nämlich dem Informationsproblem. Zur Bestimmung des notwendigen Abgabesatzes muß die staatliche Instanz den Verlauf der Grenzkosten der Geschädigten (GKext) kennen oder die­ sen doch hinreichend genau abschätzen können. Nur dann kann sie den optimalen Steuersatz festlegen. In der Praxis läßt sich dieses Problem kaum lösen, denn ein Planer kennt schließlich die Einschätzungen der ne­ gativen externen Effekte durch die einzelnen Individuen nicht. Diese In­ formationen sind im „Besitz“ der privaten Wirtschaftssubjekte. Selbst wenn die einzelnen Wirtschaftssubjekte ihre Bewertungen korrekt und zweifelsfrei äußern würden, gelänge es kaum, diese Informationen in eine gesamtwirtschaftliche Präferenzordnung zu bringen.

In der Praxis kann das PlGOU-Konzept nur dahingehend zur Anwendung kommen, daß sich der Staat im Wege des „trial and error“ (Versuch und Irrtum) an denjenigen Abgabesatz annähert, mit dem ein gegebenes um­ weltpolitisches Ziel (sog. Umweltstandard) möglichst kosteneffizient er­ reicht werden kann. Eine derartige Lösung ist dann zwar kostenoptimal (Kosteneffizienz), nicht aber pareto-optimal (PARETO-Effizienz).

Die Einführung einer Umweltsteuer hat zudem den Effekt, daß beim Staat ein Steueraufkommen entsteht. Erst dann, wenn die Umweltabgabe prohibitiv hoch ist, wenn also entweder die gesamte Produktion eingestellt wird oder aber die Produktion durch nicht umweltbelastende Produkti­ onsverfahren oder Produkte ersetzt wird, entsteht kein Steueraufkommen mehr. In Höhe des anfallenden Steueraufkommens wird den privaten Wirtschaftssubjekten Einkommen entzogen. Soll ein Anstieg der volks­ wirtschaftlichen Steuerquote (Steueraufkommen in Prozent des Bruttoso­ zialprodukts) verhindert werden, so müßten an anderer Stelle Steuerent­ lastungen vorgenommen werden. Zumindest müßte sichergestellt werden, daß das Steueraufkommen wieder aufkommensneutral an die Bürger zu­ rückfließt, damit die Privaten nach der Erhebung der Umweltsteuer das gleiche Einkommensniveau haben wie vorher. Trotz der Probleme, die bei der Umsetzung des von Pigou entwickelten Konzepts in die umweltpolitische Praxis auftreten, ist die PlGOU-Steuer mittlerweile zum Ausgangspunkt für eine Reihe von praktikablen Varian44

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ten der Besteuerung externer Umwelteffekte geworden. In Abschnitt 5 werden wir auf den sog. Preis-Standard-Ansatz von Baumöl und OATES (1971) eingehen, der auf Überlegungen von Pigou aufbaut. Es wird hier­ bei versucht, durch die Erhebung einer Steuer ein politisch vorgegebenes Niveau an Umweltqualität möglichst kostengünstig (Kosteneffizienz) zu erreichen.

3.3.2 Das Internalisierungskonzept nach COASE Die eigentlichen Defekte des Marktes bestehen darin, daß Umwelt (in weiten Bereichen immer noch) ein öffentliches Gut ist. Die tragende Säule der Marktwirtschaft sind private Eigentums- und Verfügungsrechte. Wäre es möglich, auch mit Blick auf die Umwelt ein umfassendes System von einklagbaren Eigentums-, Verfügungs- und Nutzungsrechten zu schaf­ fen, so wären - über die rechtliche Verankerung und Durchsetzung dieser Eigentumsrechte hinaus - keine weiteren staatlichen Interventionen mehr erforderlich, um externe Effekte zu internalisieren. Das öffentliche Gut Umwelt müßte also in ein privates Gut umgewandelt werden. Die Um­ welt wäre also quasi in private Hände zu übergeben. Sobald diese „Privatisierung“ erfolgt ist, sobald also der umweltpolitische Ordnungs­ rahmen geschaffen ist, könnten die Marktkräfte allein die Bewirtschaftung dieses Gutes übernehmen. Dieser auf den ersten Blick recht theoretisch erscheinende Ansatz geht auf den englischen Ökonomen Ronald Coase zurück. Er erhielt im Jahr 1991 für seine Überlegungen den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaf­ ten. Coase vertritt die Ansicht, daß permanente staatliche Eingriffe zur Regulierung bzw. Internalisierung der externen Kosten der Umweltnut­ zung nicht notwendig sind; vielmehr werden sich Verursacher und Ge­ schädigter infolge gegenseitiger Gewinninteressen auf dem Wege von Ver­ handlungen einigen. Entscheidend ist nur, daß der genannte eigentums­ rechtliche Ordnungsrahmen durch den Staat geschaffen worden ist, und daß dessen Durchsetzung seitens der Betroffenen eingeklagt werden kann.

Als Beispiel führt Coase den Fall zweier Bauern an. Der eine züchtet Rinder, der andere baut Weizen an. Wenn nun der Weizenbauer durch die freilaufenden Rinder geschädigt wird, so könnte sich der Rinderzüch­ ter bereiterklären, einen Zaun zu errichten bzw. dem geschädigten Bauern die Schäden zu ersetzen, falls ein Zaun teurer wäre als die Schadensersatz­ leistungen. Nach Coase könnte aber die Lösung auch so aussehen, daß der Weizenbauer den Zaun finanziert oder entsprechend weniger Weizen anbaut (z. B. Wege frei läßt), so daß der Schaden insgesamt minimiert 45

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wird. Es geht also darum zu entscheiden, ob der Verursacher den Ge­ schädigten bezahlen muß, damit dieser die Handlungen erduldet, oder aber, ob der Geschädigte an den Schädiger zahlt, mit dem Ziel, daß die­ ser seine Handlungsweise einstellt. Coase zeigt, daß es aus allokationstheoretischer Sicht - also abgesehen von moralischen Erwägungen - letztlich gleichgültig ist, welche Haftungs­ regel der Staat wählt. In jedem Fall bestehe ein wechselseitiges Interesse, sich auf der Basis von Verhandlungen zu einigen und das Gesamtwohl zu maximieren. Entscheidend ist dabei die Eigentumsregelung: Wenn dem Bauern das Eigentum an dem von ihm bewirtschafteten Land zuerkannt worden ist, so leitet sich hieraus auch ein Haftungsanspruch gegenüber dem Viehzüchter ab. Gehört umgekehrt das Land dem Viehzüchter, so kann er für den Schaden, den seine Rinder anrichten, nicht verantwortlich gemacht werden - dem Bauern bleibt dann keine andere Wahl, als seiner­ seits den Viehzüchter für unterlassenes Weiden zu entschädigen oder auf eigene Kosten einen Zaun zu errichten.

Überträgt man das Beispiel auf die Luftverschmutzung durch die Indu­ strie, so würde dies bedeuten, daß - je nach Rechtslage - die Geschädig­ ten (z. B. Asthmatiker) den Produzenten Ausgleichszahlungen anbieten, damit jene auf die Produktion verzichten oder Reinigungsmaßnahmen (z. B. Filtereinbau) vornehmen. Oder aber, daß die Betriebe, welche die Umweltbelastungen verursachen, das Recht auf saubere Umwelt von den Geschädigten abkaufen müssen, was zur Internalisierung der externen Ef­ fekte beim Verursacher führt. Der erste Fall, in dem die Gesellschaft dem Verursacher das Recht zugesteht, die Umwelt zu verschmutzen, wird als „Laissez-faire-Regel“ bezeichnet; den zweiten Fall, in dem die Rechte an einer intakten Umwelt bei den Geschädigten liegen, bezeichnet man als „Haftungsregel“. Aus rein ökonomischer Sicht sind beide Lösungen gleichermaßen effizient. Mit Abbildung 3.5 läßt sich der Sachverhalt verdeutlichen, daß sich unab­ hängig von der geltenden Haftungsregel durch Verhandlungen zwischen Schädiger und Geschädigtem das optimale Emissionsniveau Eo einstellen wird. Der Einfachheit halber wird in dieser Darstellung ein Zwei-Personen-Fall unterstellt. Nach der „Laissez-faire-Regel“ hat A als Schädiger das Recht, die Um­ welt als Aufnahmemedium für Schadstoffe in Anspruch zu nehmen. Beim Geschädigten B entstehen also externe Grenzkosten (GKext B). Der Geschä­ digte wird versuchen, den Schädiger A durch Zahlungen zur Verringerung des Emissionsniveaus zu bewegen. Ausgehend vom Emissionsniveau Ej

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ist dies für den Geschädigten solange vorteilhaft, wie seine Zahlungen an den Schädiger A unterhalb der ansonsten von ihm zu tragenden externen Grenzkosten liegen. A wird die Emissionen verringern, solange die Zah­ lungen des B über den Grenzkosten der Emissionsvermeidung (GVKA) liegen. Solange also die externen Grenzkosten des Geschädigten größer als die Grenzvermeidungskosten des Schädigers sind, können Schädiger wie Geschädigte durch Zahlungen des Geschädigten B an den Schädiger A profitieren. Für beide Partner ist ein Verhandlungsgewinn möglich. Erst bei Erreichen der Emissionsmenge Eo sind die jeweiligen Verhand­ lungsgewinne ausgereizt. In diesem Fall ist das pareto-optimale Emissi­ onsniveau erreicht, d. h. keiner der beiden Verhandlungspartner kann mehr eine Wohlfahrtssteigerung erreichen, ohne das der andere Partner schlechter gestellt würde.

Abb. 3.5: Internalisierung externer Effekte nach Coase

Im Fall der „Haftungsregel“ muß der Schädiger A dem Geschädigten B die durch die Inanspruchnahme der Umwelt erlittenen Schäden ausglei­ chen. Links von Eo ist es für A günstiger, Zahlungen an B zu leisten; z. B. sind bei der Emisionsmenge E2 die Grenzkosten der Vermeidung 47

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höher als die Ausgleichsforderungen des B. Für den Geschädigten B ist es so lange vorteilhaft, von A Ausgleichszahlungen zu akzeptieren, so lange die Zahlungsbereitschaft des A höher ist, als die erlittenen (externen) Grenzkosten. Rechts von Eo würden dagegen die vom Schädiger A an den Geschädigten B zu leistenden Zahlungen über den Grenzvermeidungsko­ sten liegen. A wird also, statt an B zu zahlen, sinnvollerweise in Umwelt­ schutzmaßnahmen investieren. Die Folge ist, daß auch bei dieser Haf­ tungsregel das pareto-optimale Emissionsniveau Eo erreicht wird. Als Fazit läßt sich festhalten: • Verhandlungen zwischen Schädiger und Geschädigten führen zu einem pareto-optimalen Ergebnis („Effizienzthese“).

• Dieses Ergebnis stellt sich unabhängig davon ein, wem die Eigentumsund Verfügungsrechte an der Umwelt eingeräumt werden („Invarianz­ these“).

Klar wird aber auch: Direkte Eigentumsrechte an dem Gut Umwelt kön­ nen nicht geschaffen werden. Selbst wenn jemand behaupten könnte, er sei rechtmäßiger „Eigentümer“ eines Teils unserer Umwelt, z. B. einiger Kubikmeter Luft, so wäre es wohl kaum möglich, dieses Recht einzukla­ gen und durchzusetzen. Mit einem derartigen „Eigentum“ könnte faktisch niemand etwas anfangen. Dazu müßte er nämlich in der Lage sein, andere Wirtschaftssubjekte von der Benutzung „seiner“ Luft auszuschließen. Luft ist jedoch ein öffentliches Gut - es ist allen Bürgern zugänglich. Vielver­ sprechender ist es dagegen, bei den schädlichen Emissionen anzusetzen. Der Umweltpolitiker könnte eine bestimmte Menge Emissionsgutscheine ausgeben und den Individuen - nach einem hier nicht weiter interessie­ renden Verfahren - zuteilen. Sie erhielten somit das Recht, eine bestimmte Schadstoffmenge in die Umweltmedien Luft, Wasser oder Boden zu emit­ tieren. Entscheidend ist, daß diese Zertifikate gehandelt und damit an an­ dere Wirtschaftssubjekte (z. B. Unternehmen) verkauft werden können. Auf diese Weise entsteht ein Markt für Emissionen bzw. für Emissions­ rechte; dadurch wird der Preis eines Rechts über die Marktkräfte bestimmt - und nicht, wie bei der PlGOU-Steuer, über politische Entscheidungen.

Die Konsequenz des Coase-Ansatzes ist unmittelbar einsichtig: Nach Coase könnte sich der Staat darauf beschränken, festzulegen, wer für auf­ tretende Schäden haftbar zu machen ist. Den Rest, also die Bestimmung, ab welcher Schadensmenge und welcher Schadenssumme bezahlt werden muß, entscheidet der Markt. Gelingt es so, die Umwelt in ein privates Gut zu verwandeln, so kann der Markt alle weiteren Steuerungsprobleme lö­ sen. Die Umweltpolitik könnte sich dann nur auf die Gestaltung des um­ 48

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weltrechtlichen Ordnungsrahmens beschränken, mit dem die Rahmen­ bedingungen für individuelle Eigentums-, Verfügungs- und Nutzungs­ rechte geschaffen werden. Die Problemlösung wird dem Markt überlassen. Der Ansatz von Coase erscheint zwar auf den ersten Blick recht theore­ tisch, er ist gleichwohl von einiger praktischer Relevanz. Als alleiniger umweltpolitischer Ansatz kommt das Privatisierungsmodell allerdings schon wegen der praktischen Umsetzungsprobleme nicht in Betracht. In der Realität scheitert nämlich das Zustandekommen von Verhandlungslö­ sungen in der Regel daran, daß es meistens zu viele Verursacher und Ge­ schädigte gibt, so daß Verhandlungslösungen praktisch ausscheiden. Das Konzept ist zudem nur dann pareto-optimal, wenn der Marktpreis für die Zertifikate nicht nur gleich den Grenzvermeidungskosten ist (diese Bedin­ gung ist in der Regel erfüllt), sondern auch den Grenzkosten der Ge­ schädigten entspricht. Diese Grenzkosten sind aber - wie im Zusammen­ hang mit der PlGOU-Steuer dargelegt - regelmäßig nicht bekannt. Hierzu müßten die Nutznießer der Schadstoffvermeidung ihre Präferenzen offen­ baren, was bedeutet, daß sie ihrerseits am Markt als Nachfrager von Zer­ tifikaten auftreten müßten. Das ist jedoch für den einzelnen Geschädigten irrational, da für ihn die Umwelt (Luft) ein allgemein zugängliches (öffentliches) Gut ist, von dessen Nutzung er nicht ausgeschlossen werden kann. Er wird seine Zahlungsbereitschaft also nicht offenbaren. Das COASE-Konzept ist zwar nicht pareto-optimal, es ist aber - wie auch die Praxisvariante der PlGOU-Steuer - kostenoptimal. Bezüglich der Kosten­ effizienz sind beide Konzepte gleich zu beurteilen. Im Unterschied zum PlGOU-Ansatz braucht der Umweltpolitiker jetzt allerdings nicht mehr mühsam denjenigen Abgabensatz suchen, der zur gewünschten Umwelt­ entlastung führt, sondern er kann direkt die zulässige Emissionsmenge festlegen und in diesem Umfang Emissionszertifikate vergeben; die Preisbildung ist dann Sache des Marktes. Abbildung 3.6 vermittelt einen Überblick über den umweltpolitischen Problemzusammenhang sowie über instrumentelle Ansätze der Umwelt­ politik. Dieses Raster dient zugleich als Grundlage für die Darstellung der umweltpolitischen Instrumente (Kapitel 5).

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Abb. 3.6: Umweltpolitischer Problemzusammenhang aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Quelle: In Anlehnung an Hardes, H.-D. u. a. (1995), S. 328

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4.

Prinzipien der Umweltpolitik

Politik bedarf immer gewisser Orientierungen, anhand derer sie ihre Ak­ tivitäten ausrichtet. Die praktizierte Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland orientiert sich im wesentlichen an folgenden Prinzipien:

• Verursacherprinzip • Gemeinlastprinzip • Vorsorgeprinzip Diese drei Prinzipien werden im folgenden näher vorgestellt.

4.1

Das Verursacherprinzip

Das Verursacherprinzip stellt den Kern der Umweltpolitik dar. Bereits die theoretische Analyse hat gezeigt, daß es erforderlich ist, dem Verur­ sacher der Umweltbelastungen die Kosten seiner Tätigkeit aufzubürden. Oder anders ausgedrückt: Die negativen externen Effekte sind beim Emittenten als dem Verursacher zu internalisieren. Das Verursacherprin­ zip ist dabei sowohl auf Kosten anzuwenden, die durch schon entstandene Schäden hervorgerufen wurden, als auch auf Kosten der Vermeidung und des Ausgleichs von Umweltschäden. Die politische Umsetzung des Verursacherprinzips stößt allerdings auf Schwierigkeiten. Im umweltpolitischen Alltag ist es vielfach nicht mög­ lich, den „Verursacher“ von Schädigungen zu identifizieren. Viele Um­ weltschäden entstehen nicht nur infolge einer einzigen Ursache (z. B. ei­ nes einzigen Schadstoffes), sondern aufgrund des Zusammenwirkens mehrerer Einflüsse (Summationseffekt). Dies ist eine Folge der Komple­ xität des ökologischen Systems. Man kann Wirkungsketten häufig erst dann feststellen, wenn der Schaden bereits entstanden ist. Auch dann ge­ staltet es sich vielfach schwierig, eindeutige Ursache-Wirkungs-Ketten nachzuweisen. Das bedeutet aber, daß vielfach nicht genau ermittelt wer­ den kann, wer für eine Umweltschädigung verantwortlich zeichnet. Zu­ dem existieren die ursprünglichen Verursacher vielfach nicht mehr, oder aber sie sind Bankrott gegangen. Dieses Problem ist vor allem bei der Altlastensanierung von Bedeutung. Auch bei grenzüberschreitenden Emissionen läßt sich das Verursacherprinzip nicht ohne weiteres anwen­ den. Man denke beispielsweise nur an das Baumsterben im Schwarzwald, das nicht nur durch deutsche Abgase entsteht.

Das Verursacherprinzip stößt zudem dann an Grenzen, wenn schnell ge­ handelt werden muß, um Gefahren für Leib und Leben abzuwehren. 51

PRINZIPIEN DER UMWELTPOLITIK

Besteht die Gefahr, daß durch schon entstandene Umweltschäden Men­ schen akut bedroht sind, dann kann nicht lange der Schuldige gesucht werden. Hier ist schnelles staatliches Handeln erforderlich, d. h. die Ge­ meinschaft muß für die Beseitigung von Schäden aufkommen (Gemein­ lastprinzip). Dies schließt allerdings nicht aus, daß der Verursacher im nachhinein zur Rechenschaft gezogen wird.

Darüber hinaus stellt sich ein grundlegendes Problem, nämlich die Frage: Wer ist „Verursacher“ im wirtschaftlichen Sinn? In der praktischen Politik und der öffentlichen Meinung wird darunter vielfach der unmittel­ bare bzw. „technische“ Verursacher verstanden. Das erscheint auf den ersten Blick einleuchtend. Der technische Verursacher von Umweltschä­ den - z. B. der Produzent von Gütern - emittiert Schadstoffe in die Luft, in Gewässer oder in den Boden, und er erhält dafür den Gewinn aus dem Verkauf der erzeugten Güter. Diese verkürzte Sicht des Verursacher­ problems leistet allerdings auch einer verkürzten und damit einseitigen Umweltpolitik Vorschub. Eine Umweltpolitik, die immer im Emittenten den Verursacher von Umweltschäden sieht, wird bestrebt sein, Maß­ nahmen zu treffen, die direkt beim Emittenten ansetzen (z. B. Festlegung von Grenzwerten für Emissionen). Solch eine Politik verfehlt aber mögli­ cherweise ihr Ziel, da sie nicht die dahinterliegenden Ursachen der Um­ weltbelastung beseitigt. Die gesamte Produktionstätigkeit in einer Volkswirtschaft ist letztlich auf die Herstellung von Konsumgütern ausgerichtet. Dies mag zunächst nicht einleuchtend klingen, wird doch z. B. eine Verpackungsmaschine für eine Schokoladenfabrik und nicht für einen Privathaushalt hergestellt. Die Ver­ packungsmaschine ist nur eine von möglicherweise vielen Produktionsstu­ fen; am Ende entsteht eine Tafel Schokolade, die von einem Konsumen­ ten gekauft und verzehrt wird, und deren Verpackung zu entsorgen ist. Dieser Zusammenhang gilt für alle Waren und Dienstleistungen. Damit sind letztendlich die Privathaushalte Verursacher von Umweltschäden. Die bei der Produktion von Gütern bewirkten Umweltbelastungen sind al­ so indirekt von den Konsumenten „verursacht“. Erkennt man diese weite Definition des Verursachers an, so müßte auch der Konsument für die externen Effekte der Güterproduktion, die ja indirekt externe Effekte sei­ nes Konsums sind, aufkommen. Man spricht hierbei von der Anwendung des „Nutznießerprinzips“. Umweltpolitik muß diese Zusammenhänge be­ rücksichtigen, d. h. sie muß sich um „integrierten Umweltschutz“ bemü­ hen, wenn sie erfolgreich sein will. Ein solcher integrierter Umweltschutz muß auch zum Ziel haben, die Nachfrage nach Gütern in umweltfreund­ liche Bahnen zu lenken.

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PRINZIPIEN DER UMWELTPOLITIK

4.2 Das Gemeinlastprinzip Das Verursacherprinzip kann nicht immer als Richtschnur umweltpoliti­ scher Maßnahmen dienen. Entstandene Schäden müssen beseitigt werden, auch wenn der Verursacher nicht mehr festgestellt werden kann. In sol­ chen Fällen ist der Staat gehalten, zu handeln. Die notwendigen Finanz­ mittel sind über allgemeine Steuern, die alle Bürger belasten, aufzubringen. Die Gemeinschaft kommt also für Schäden auf, die unter Umständen nur wenige Personen verursacht haben. In diesem Fall spricht man von der Anwendung des Gemeinlastprinzips.

Im Gegensatz zum Verursacherprinzip sorgt das Gemeinlastprinzip nicht für ökonomisch sinnvolle Anreize, um Emissionen und als Folge davon Schäden zu vermeiden. Warum sollte ein Emittent sich umweltschonender verhalten, wenn er weiß, daß die Gemeinschaft die Last trägt? Er wird sich vielmehr wie der oben beschriebene Trittbrettfahrer (free rider) ver­ halten und der Allgemeinheit die Last aufbürden. Die Steuer zur Finan­ zierung der Ausgaben trifft ihn da vergleichsweise wenig. Gleichwohl kann Umweltpolitik nicht allein auf dem Verursacherprinzip aufbauen, wenn sie ökologisch erfolgreich sein will. Diese Feststellung gilt insbe­ sondere für akute Umweltprobleme, die im Interesse der Allgemeinheit umgehend zu bekämpfen sind. Ein Beispiel bildet die Frage der Alt­ lastensanierung; hier kann das Verursacherprinzip häufig nicht zum Tra­ gen kommen. Das Gemeinlastprinzip muß daher ergänzend zum Verursa­ cherprinzip Anwendung finden.

4.3 Das Vorsorgeprinzip Ziel des Vorsorgeprinzips ist es, potentielle Umweltgefahren zu vermeiden, also nicht erst dann zu handeln, wenn das Kind schon in den Brunnen ge­ fallen ist. Es muß vorausschauend gehandelt werden. Die Umwelt stellt ein erhaltenswertes Gut dar, an dem auch noch spätere Generationen par­ tizipieren wollen und sollen. Jeder Eingriff in die Natur, z. B. der Bau von Gebäuden auf bisher unberührtem Boden, vernichtet Werte, die in Zu­ kunft nicht mehr reproduzierbar sind. Ein Anwendungsbeispiel für das Vorsorgeprinzip ist der Schutz von Naturdenkmalen. Inwieweit dieses Prinzip in der praktizierten Umweltpolitik zur Geltung kommt, hängt vom Stellenwert ab, den die Gesellschaft der Umwelt für künftige Generationen zuschreibt.

Spielt die Umwelt nur eine untergeordnete Rolle gegenüber kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen (wie es im ehemaligen Ostblock der Fall war),

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PRINZIPIEN DER UMWELTPOLITIK

so ist kaum mit präventiven umweltpolitischen Maßnahmen zu rech­ nen. Im Zweifel betreibt die heutige Gesellschaft Raubbau an der Um­ welt, um den heutigen Wohlstand zu maximieren, sei es auch zu Lasten künftiger Generationen. Bezogen auf die Rohstoffversorgung, bedeutet eine präventive Umweltpolitik, dafür Sorge zu tragen, daß auch die kommenden Generationen noch in ausreichendem Maße über Rohstoffres­ sourcen verfügen sollen. Umweltpolitik, die das Vorsorgeprinzip beach­ tet, muß daher sicherstellen, daß die Preise von Rohstoffen nicht nur die aktuelle Knappheitssituation widerspiegeln, sondern auch die künftige Knappheit mit berücksichtigen. Gegenwärtig niedrige Preise für Rohstof­ fe haben zur Folge, daß zu große Mengen verbraucht werden. Die aktuel­ len Preise müßten höher liegen, wenn man berücksichtigt, daß durch die heutige Verwendung von Rohstoffen nicht nur Werte zum gegenwärtigen Zeitpunkt vernichtet werden, sondern auch die Nutzungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen eine Beschränkung erfahren.

Ein Beispiel für die Beachtung und Verfolgung des Vorsorgeprinzips bil­ det das bereits erwähnte Konzept der „nachhaltigen Entwicklung“ („Sus­ tainable Development“). Es ist vorausschauend und langfristig angelegt. Inhaltlich geht es darum, den Bestand an natürlichen Ressourcen („Natur­ kapital“) auch für künftige Generationen zu bewahren. Ziel ist also eine inter generative Gerechtigkeit. Das Vorsorgeprinzip kann mit Hilfe fast aller Instrumente der Umwelt­ politik erreicht werden. Besonders geeignet sind jedoch Instrumente, die sich marktwirtschaftlicher Anreize bedienen und so sicherstellen, daß die Umweltvorsorge zu geringstmöglichen Kosten erfolgt. Beispielsweise würde die Erhebung einer Umweltabgabe dem Vorsorgeprinzip entspre­ chen, wenn sie stärker dosiert ist, als dies den aktuellen Erfordernissen entspricht; damit würden die umweltpolitischen Interessen künftiger Ge­ nerationen schon heute in Rechnung gestellt.

Im Rahmen der Erörterung der Prinzipien der Umweltpolitik klangen be­ reits beispielhaft einige Maßnahmen an, die zur Erreichung umweltpoliti­ scher Ziele geeignet sind. Grundsätzlich lassen sich die Instrumente der Umweltpolitik in drei Kategorien einteilen: • Ordnungsrechtliche Instrumente

• Marktwirtschaftliche Anreizinstrumente sowie • Sonstige Instrumente.

Diese Instrumente der Umweltpolitik sollen im folgenden genauer und systematischer vorgestellt werden. 54

5.

Ordnungsrechtliche Instrumente der Umweltpolitik

5.1

Ordnungsrecht bzw. Auflagenpolitik

Die wohl am stärksten einengende Form der Umweltpolitik sind Auflagen in Form von Geboten und Verboten. Hierunter werden Vorschriften ver­ standen, die bestimmte Vorgaben staatlicherseits für Emittenten und Ver­ ursacher von Umweltschäden beinhalten. Beispiele sind

• Höchstgrenzen für den Schwefelgehalt leichter Heizöle,

• Einhaltung bestimmter Grenzwerte bei der Einleitung von Schadstoffen in Gewässer (Wasserhaushaltsgesetz), • Vorgabe von Grenzwerten bei der Luftverschmutzung (Bundesimmis­ sionsschutzgesetz bzw. Technische Anleitung Luft),

• Einhaltung bestimmter Normen beim Lärmschutz (Bundesimmissions­ schutzverordnung, Fluglärmgesetz), • Begrenzung des Phosphatgehaltes in Waschmitteln (Waschmittelgesetz). Eine allgemeine Klassifikation der ordnungsrechtlichen Instrumente ver­ mittelt Abbildung 5.1:

Abb. 5.1: Arten von Umweltauflagen Quelle: Wicke u. Schafhausen (1982), S. 411

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ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

Ordnungsrechtliche Instrumente stellen das traditionelle und auch heute noch überwiegend verwendete Instrumentarium der Umweltpolitik dar. Umweltpolitik, die mit Geboten und Verboten arbeitet, entspringt letztlich der polizei- und gewerberechtlichen Tradition. Die umweltpolitische Flut von Gesetzen und Verordnungen hat inzwischen zu einem dichten Geflecht an Vorschriften geführt. Es wurden mehr als 2000 Verordnungen gezählt. Etwa 90 Prozent der Umweltpolitik basiert auf dem Ordnungs­ recht. Das Prinzip des Ordnungsrechts ist auf den ersten Blick einleuchtend: Umweltgefährdende Handlungen können so wirksam unterbunden wer­ den. Den Erfolg von Auflagen sollen Strafen und Bußgelder garantieren, die bei Nichteinhaltung verhängt werden. Das angestrebte Niveau der Umweltqualität kann mittels des ordnungsrechtlichen Instrumentariums wirksam erreicht werden. Ordnungsrecht ist wegen seines Zwangscharak­ ters ökologisch wirksam; es ist dort unverzichtbar, wo es um die unmit­ telbare Gefahrenabwehr geht.

5.2 Problematik des Ordnungsrechts Ordnungsrechtliche Gebote und Verbote sind auf den ersten Blick ein­ leuchtend. Jeder Emittent wird gleich behandelt. Jedem werden die glei­ chen Auflagen vorgegeben. Gleichwohl ist das Ordnungsrecht dort, wo es nicht mehr nur um die Abwehr akuter Umweltbedrohungen geht, ein um­ strittenes Instrument der Umweltpolitik. Marktorientierte Wirtschafts­ wissenschaftler stimmen darin überein, daß mit marktsteuernden Instru­ menten bei gleichen Kosten etwa doppelt so viel für den Umweltschutz getan werden könnte. Das Verfahren, jedem Emittenten die gleiche Auf­ lagenerfüllung abzuverlangen, erscheint zwar „gerecht“, ist jedoch öko­ nomisch sehr teuer. Das Ordnungsrecht ist in aller Regel ökonomisch ineffizient. Der Wirtschaft und damit der Bevölkerung wird damit eine vergleichsweise hohe Belastung auferlegt. Pareto-optimal ist das Ord­ nungsrecht ohnehin nicht; allerdings kann Pareto-Optimalität auch nicht mit den übrigen Instrumenten der Umweltpolitik erreicht werden. Im einzelnen weist das Ordnungsrechts insbesondere drei Mängel auf:

1. Kostenineffizienz, 2. Dynamische Ineffizienz,

3. Verkürzte Sicht des Verursacherprinzips.

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ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

Auf diese Schwachpunkte des Ordnungsrechts wird im folgenden genauer eingegangen. Zu 1: Bezüglich der Frage der Kostenineffizienz gilt: Das Ordnungsrecht ist ein teures Instrument der Umweltpolitik. Es berücksichtigt nicht, daß die Kosten der Verringerung der Emission um eine Einheit (sog. Grenz­ vermeidungskosten) keineswegs bei allen Emittenten gleich hoch sind. Es gibt Unternehmen mit hohen (Grenz-)Vermeidungskosten und solche mit geringen Vermeidungskosten. Wird jedem Emittenten der gleiche Grenz­ wert für Emissionen vorgeschrieben, so mag dies vordergründig sinnvoll erscheinen. Ökonomisch rational ist es gleichwohl nicht, wie ein einfa­ ches Zahlenbeispiel schnell deutlich macht.

In der nachstehenden Tabelle 5.1 sind sechs verschiedene, aber gleicher­ maßen emissionsträchtige Produktionsanlagen A bis F aufgeführt (Spalte 1). Falls keinerlei Maßnahmen zur Vermeidung von Emissionen ergriffen werden, beträgt der Schadstoffausstoß pro Anlage 2 Einheiten, insgesamt werden also 12 Schadstoffeinheiten emittiert (Spalte 2). Die erforderli­ chen Investitionsaufwendungen zu Verringerung der Emissionen um eine Einheit (Grenzvermeidungskosten) seien bei den Anlagen jedoch unter­ schiedlich hoch (Spalte 3). Tab. 5.1: Divergierende Vermeidungskosten

Produktions­ anlage

Emission von Schadstoff­ einheiten

Grenzvermeidungskosten (Kosten der Emissions­ minderung um eine Einheit)

(1)

(2)

(3)

A

2

10.000 DM

B

2

20.000 DM

C

2

40.000 DM

D

2

80.000 DM

E

2

160.000 DM

F

2

320.000 DM

Summe

12

630.000 DM

Angenommen, aufgrund eines neuen Gesetzes müsse nun die Gesamt­ emission halbiert, also von 12 auf 6 Schadstoffeinheiten reduziert werden. Diese Anforderung ließe sich in der Weise realisieren, daß jedem einzel-

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ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

nen Betreiber die Auflage gemacht würde, seine individuellen Emissionen zu halbieren. Hierbei würden insgesamt Vermeidungskosten in Höhe von 630.000 DM entstehen (Summe der Grenzvermeidungskosten von Spalte 3).

Denselben Umweltentlastungseffekt könnte man aber auch wesentlich ko­ stengünstiger erzielen, indem nämlich nicht jedem Betreiber die Auflage gemacht würde, seine Emissionen zu halbieren, sondern ein Weg gefun­ den würde, der dazu führt, daß jeweils die Unternehmen mit den gering­ sten Grenzvermeidungskosten aktiv werden und quasi stellvertretend für die anderen Unternehmen die Umwelt entlasten. Würden in obigem Bei­ spiel die Betreiber A, B und C ihre Emission um jeweils 2 Schadstoffein­ heiten - insgesamt also um 6 Einheiten - reduzieren, so würden Gesamt­ kosten in Höhe von lediglich 140.000 DM anfallen. Dies setzt allerdings voraus, daß von dem ökonomisch teuren Prinzip der „Gleichbehandlung“ aller Emittenten Abstand genommen werden müßte. Man müßte umwelt­ politisch zumindest erlauben, daß die betroffenen Emittenten einer be­ stimmten Region („Glocke“) miteinander aushandeln können, welches Unternehmen die Umweltschutzinvestitionen tätigt. Seitens der Unterneh­ men, die keine (oder geringere) Umweltschutzmaßnahmen durchführen, wären dann allerdings entsprechende Ausgleichszahlungen an diejenigen Unternehmen zu leisten, die quasi für sie stellvertretend die Umwelt ent­ lasten (Ausgleichsstrategie). Aus Tabelle 5.1 ist die maximale „Zahlungsbereitschaft“ der Unternehmen D bis F unschwer erkennbar; diese drei Betriebe sparen infolge unterlas­ sener Umweltschutzinvestitionen zusammen 560.000 DM ein. Auf der anderen Seite zeigt die Tabelle auch, welche Ausgleichsforderungen die Unternehmen A bis C mindestens stellen werden: Die (stellvertretende) Vermeidung von 3 weiteren Schadstoffeinheiten ist mit zusätzlichen Ko­ sten von 70.000 DM verbunden. Die Aufteilung dieser Zusatzkosten auf die Unternehmen D, E und F ist dann Verhandlungssache. Dieses Beispiel zeigt: Wenn Unternehmen mit hohen Grenzvermeidungs­ kosten gezwungen werden, eine teure Filteranlage einzubauen, um die Emissionen auf das gewünschte Niveau zu senken, kommt dies unter dem Strich teurer, als wenn Emittenten mit geringen Vermeidungskosten mehr für den Umweltschutz tun. Es wäre also wesentlich günstiger, wenn er­ reicht werden könnte, daß die Umweltschutzmaßnahmen zuerst bei den­ jenigen Unternehmen erfolgen, bei denen die Grenzvermeidungskosten (je zusätzlicher Emissionseinheit) am geringsten sind. Erst dann, wenn bei sämtlichen Unternehmen die Grenzvermeidungskosten gleich sind, gibt es keine kostengünstigeren Lösungen mehr, um ein gegebenes Umweltziel zu erreichen. Modellrechnungen zeigen, daß ein bestimmtes Umwelt58

ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

schutzniveau mittels der Ausgleichsstrategie nur zu etwa halb so hohen gesamtwirtschaftlichen Kosten führt wie die Gleichbehandlung. Unter­ schiedliche Auflagen sind allerdings schon aus Rechtsgründen (Gleichbe­ handlungsprinzip) unzulässig. Das aus Tabelle 5.1 gewonnene Ergebnis läßt sich auch in allgemeiner Form herleiten. Den Nachweis liefert Abbildung 5.2. Darin werden zwei Unternehmen (U1 und U2) betrachtet. Sie emittieren im Ausgangszeit­ punkt jeweils die Schadstoffmenge Eo, die auf der Abszisse abgetragen ist. Die Kurven GVK^ und GVKU2 repräsentieren die unterschiedlich hohen Grenzvermeidungskosten der Unternehmen U! und U2. Nun be­ schließe der Staat eine Auflage, derzufolge die bisherigen Schadstoff­ emissionen der Unternehmen jeweils um 50 % abgesenkt werden müssen. In Teil a) von Abbildung 5.2 wird der Auflage dergestalt entsprochen, daß jedes Unternehmen seine individuelle Schadstoffemission (E) hal­ biert. Hierzu müssen beide Betriebe Umweltinvestitionen tätigen. Gemäß der Kurvenverläufe entstehen beim Unternehmen U] Kosten in Höhe der Fläche A; beim Unternehmen U2 entsprechen die Emissionsminderungs­ kosten den Flächen A + B. Die Grenzkosten für die Verringerung der letzten Einheit sind beim ineffizienten Vermeider U2 wesentlich höher (GVKU21) als beim effizienten Vermeider Uj (GVKm j).

Teil a: Gleiche Auflagen für Uj und U2

Teil b: Verhandlungslösung

Abb. 5.2: Kostenineffizienz der Auflagenpolitik

Dies ist aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht keine kosteneffiziente Lö­ sung. Kosteneffizienz ist vielmehr dann erreicht, wenn die Grenzkosten der Vermeidung übereinstimmen. Das ist dann der Fall, wenn Ut seine 59

ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

Emissionen noch weiter reduziert, während gleichzeitig U2 seine Emis­ sionen um diese Menge erhöht (Teil b in Abbildung 5.2). Nach wie vor ändert sich das umweltpolitische Gesamtergebnis nicht, denn gegenüber dem status quo ist das Ziel der Umweltpolitik, die Gesamtemission zu halbieren, erreicht. Beim Unternehmen U! entstehen zwar zusätzliche Emissionsvermeidungskosten in Höhe der Fläche C. Dem stehen aber kräftige Kostenentlastungen beim Unternehmen U2 in Höhe der Fläche D gegenüber. Gesamtwirtschaftlich werden also Kostenersparnisse in Höhe der Differenz der Flächen D minus C realisiert. Um dieses Ergebnis zu erreichen, müßte der Umweltpolitiker die Grenz­ vermeidungskosten der einzelnen Unternehmen genau kennen und jedem Unternehmen entsprechende Auflagen machen. Abgesehen vom Gleich­ heitsgebot der Auflagenpolitik ist dies schlechterdings unmöglich. Anders formuliert: Sobald Emittenten mit gleichen Emissionsauflagen belegt wer­ den, ist Kosteneffizienz nur dann realisiert, wenn sich die Grenzvermei­ dungskostenverläufe nicht unterscheiden. Ein Lösungsansatz sind - wie oben beschrieben - Verhandlungen zwi­ schen den betroffenen Unternehmen. Das Problem läßt sich allerdings auch einfacher lösen als durch komplizierte Verhandlungen, die bei vielen Emittenten in einer Region schon aus praktischen Gründen kaum mehr durchführbar sein dürften. Angenommen, im Ausgangszeitpunkt sei in der Region ein Schadstoffausstoß von Eo Einheiten zulässig, und die „Emissionsrechte“ wären gleichmäßig auf Ui und U2 verteilt. Durch eine Verordnung werden diese Rechte nun halbiert (oder die Emissionsbehör­ de kauft die Hälfte der Emissionszertifikate zurück). Dadurch würden die Zertifikate knapp, und es würde sich ein Preis in Höhe von Pz für die Emissionszertifikate einpendeln (siehe Abbildung 5.2). Unternehmungen mit hohen Grenzvermeidungskosten (z. B. U2 in Abbildung 5.2 oder D, E und F in Tabelle 5.1) werden versuchen, Emissionsrechte am Markt zu kaufen, um teure Umweltschutzinvestitionen zu umgehen. Unternehmen mit geringen Grenzvermeidungskosten (U! in Abbildung 5.2 oder A, B und C in Tabelle 5.1) würden dagegen mehr Umweltausgaben tätigen; die dadurch nicht benötigten Emissionsrechte könnten verkauft werden. Der Marktpreis der Zertifikate pendelt sich letztlich bei Pz ein, und die Unter­ nehmen werden ihre Umweltbelastung bis zum kosteneffizienten Niveau verringern. Angesichts solcher Erkenntnisse drängt es sich geradezu auf, über alternative Instrumente der Umweltpolitik nachzudenken.

Der Gedanke, Umweltschutz primär dort zu betreiben, wo der Einsatz von einer Geldeinheit die Umwelt am stärksten entlastet, sollte nicht nur auf die nationale Betrachtung angewandt werden. Die Umweltzerstörung

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ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

ist in der Regel ein globales Problem. So sind sich Experten darin einig, daß ein bestimmter Geldbetrag, der in Deutschland für den Umweltschutz eingesetzt wird, beispielsweise in Indien einen höheren positiven Entla­ stungseffekt hätte. Die Umlenkung der Mittel von Industrieländern in Entwicklungsländer stößt allerdings gegenwärtig auf kaum lösbare Durch­ setzungsprobleme. Zu 2: Der zweite Problembereich des Ordnungsrechts betrifft die dyna­ mische Ineffizienz. Das Ordnungsrecht ist nicht nur dahingehend ineffi­ zient, daß bei gegebenen (unterschiedlichen) Kostenverläufen nicht das gesamtwirtschaftliche Kostenminimum realisiert wird (statische Ineffizi­ enz), sondern es ist auch durch „dynamische Ineffizienz“ gekennzeich­ net. Die ordnungsrechtlichen Auflagen orientieren sich nämlich am ge­ genwärtigen Stand der Technik und an dem, was wirtschaftlich als trag­ fähig erscheint. Bei der Entscheidung über die Frage nach dem „Stand der Technik“ ist der Staat auf Informationen und die Mithilfe der von den Auflagen betroffenen Wirtschaft angewiesen. Es ist keineswegs unreali­ stisch, davon auszugehen, daß die Wirtschaft im Zweifel für geringere technische Anforderungen eintreten wird.

Ist der Stand der Technik erst einmal in einem Gesetz bzw. einer Verord­ nung festgeschrieben, so gibt es zudem für die Unternehmen keine Veran­ lassung mehr, die Grenzwerte mit einer noch effizienteren Technik zu unterschreiten. Im Gegenteil: Würden die Grenzwerte unterschritten, so würde sich das Risiko ergeben, daß über kurz oder lang die neuen techni­ schen Verfahren vom Ordnungsgeber zum neuen „Stand der Technik“ erklärt werden. In der Literatur wird zum Teil sogar die Vermutung ge­ äußert, daß von der Auflagenpolitik aus diesem Grund Anreize zur Ver­ hinderung des technischen Fortschritts ausgehen. Selbst wenn bessere Technologien realisierbar wären, würden sie von den Emittenten nicht realisiert, um keinen Anlaß für weitere Verschärfungen der Auflagen zu geben. In jedem Fall ist aber mit langen Time-lags bei der Anpassung der Auflagen an den Stand der technischen Entwicklung zu rechnen. Der umwelttechnische Fortschritt würde nur dann permanent forciert, wenn es sich für die Anlagenbetreiber lohnen würde, die gesetzten Grenzwerte zu unterschreiten. Dies wäre etwa dann sinnvoll, wenn der Gesetzgeber für die Unterschreitung von Grenzwerten beispielsweise Prämien bezahlen würde. Prinzipiell gehen vom Ordnungsrecht jedoch keine Anreize zur weiteren Verminderung von Umweltschäden aus.

Strenge ordnungsrechtliche Auflagen erzwingen zudem in der Praxis Aus­ nahme- bzw. Übergangsregelungen für Altanlagen. Die Lebensdauer der Altanlagen würde dadurch künstlich verlängert. Besser wäre es, die Un­ 61

ORDNUNGSRECHTLICHE INSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

ternehmen dazu zu bewegen, aus eigenem Interesse den Stand der Um­ welttechnik immer weiter voranzutreiben und so die Kosten des Umwelt­ schutzes zu verringern. Das leisten allerdings nur marktwirtschaftliche Anreizinstrumente der Umweltpolitik.

Zu 3: Der dritte Problemkreis des Ordnungsrechts ist in der verkürzten Sicht des Verursacherprinzips zu sehen. Als Verursacher der Umweltbe­ lastungen gilt beim Ordnungsrecht immer der unmittelbare Emittent im technischen Sinn. Dabei wird nicht berücksichtigt, daß „Verursacher“ letztlich alle sind, die am Wirtschaftsleben teilnehmen. Umweltschutz muß auch darauf abzielen, die vor- und/oder nachgelagerten Aktivitäten in umweltgerechtere Bahnen zu lenken - sei es durch Verringerung des Verbrauchs, sei es im Wege der Substitution umweltschädlicher Güter durch umweltfreundlichere Produkte oder Produktionsverfahren. Aufla­ gen sind zwar geeignet, unmittelbare Schadstoffeinträge in die Umwelt­ medien Luft, Boden und Wasser zu verhindern. Sie tragen aber kaum da­ zu bei, die eigentlichen Ursachen der Umweltbelastung einzudämmen. Erforderlich ist ein integrierter Umweltschutz und nicht nur die Perfektio­ nierung von „End-of-pipe-Technologien“ wie Schornsteinfilter und Klär­ anlagen. Insgesamt kann festgehalten werden: Auflagenpolitik ist ein umweltpoli­ tisch wirksames Instrument. Sie ist dort unverzichtbar, wo es darum geht, unmittelbare Gefahren abzuwehren. Beim vollständigen Verbot eines Schadstoffes spielen Kostenunterschiede ohnehin keine Rolle mehr. Im Bereich der umweltpolitischen Vorsorgepolitik sollten intelligentere, d. h. kosteneffizientere Instrumente zum Einsatz kommen. Die Verbesserung der Umweltsituation mittels Auflagen wird im Zweifel sehr teuer bezahlt. Als Konsequenz dieser Instrumentenwahl muß an anderer Stelle zusätzli­ cher Wohlstandsverzicht geübt werden. Diese hohen Opportunitätskosten des Ordnungsrechts sollten Anlaß sein, vermehrt marktsteuernde Instru­ mente in die Umweltpolitik zu integrieren. Ein Übermaß an ordnungs­ rechtlichen Gesetzen und Verordnungen führt zudem - wie jedes Über­ maß an Regulierung - zur Intransparenz und zu Vollzugsdefiziten; damit gehen unvertretbar hohe administrative Kosten einher. Auch diese Ko­ stenelemente sollten auf ein Minimum gesenkt werden.

62

6.

Marktwirtschaftliche Anreizinstrumente der Umweltpolitik

6.1

Kriterien und Anforderungen

Grundgedanke der marktwirtschaftlichen Umweltpolitik ist es, die Markt­ kräfte dem Umweltschutz dienstbar zu machen. Das Ziel besteht vor allem darin, einen gegebenen Umweltstandard mit möglichst geringen Kosten zu erreichen bzw. begrenzte Mittel dort einzusetzen, wo sie den größten Nut­ zen für die Umwelt erzielen. Marktwirtschaftliche Anreizinstrumente sind

• Umweltabgaben, die die Umweltbelastung mit einem Preis belegen, • Zertifikate, bei denen global das Volumen der Umweltbelastung fest­ gelegt wird und ein freier Handel mit diesen Umweltnutzungsrechten zugelassen wird sowie das • Umwelthaftungsrecht, mit dem durch verbesserte Haftungsregelungen die externen Kosten internalisiert werden.

Allerdings erfordern auch marktwirtschaftliche Instrumente staatliche Ak­ tivitäten. Der Staat muß die Rahmendaten setzen, erst dann passen sich die Wirtschaftssubjekte in der gewünschten Weise an diese Daten an. Wie im Zusammenhang mit der Auflagenpolitik erläutert, ist der vorrangige Einsatzbereich der marktsteuernden Instrumente die umweltpolitische Vorsorgepolitik. Zur akuten Gefahrenabwehr sind sie wenig geeignet. Der Vorzug der marktsteuernden Umweltpolitik besteht vor allem darin, daß den Wirtschaftssubjekten ein größtmögliches Maß an individueller Entscheidungsfreiheit verbleibt. Der Umweltpolitik kann es schließlich egal sein, wer seine Emissionen vermindert. Entscheidend ist, daß das Emissionsniveau insgesamt abgesenkt und die Umweltqualität verbessert wird. Die erklärte Absicht der marktsteuernden Umweltpolitik besteht ge­ rade darin, daß die Umweltentlastung durch denjenigen erfolgen sollte, der sie am kostengünstigsten bewerkstelligen kann (Kosteneffizienz).

Marktsteuernde Instrumente bedienen sich generell ökonomischer Anrei­ ze. Es sollten also bewußt diejenigen Instrumente gewählt werden, bei denen sich umweltpolitisches Wohlverhalten möglichst schnell in klingen­ der Münze bemerkbar macht. Dieser Gesichtspunkt ist vor allem auch für den Vergleich von Abgabenlösung und Zertifikatlösung von Bedeutung. Abgaben sind geradezu dadurch gekennzeichnet, daß es nicht bei den Pri­ vaten, sondern beim Staat klingelt. Bei der noch zu erläuternden Zertifi­ katslösung ergeben sich dagegen unmittelbar bei den privaten Wirtschafts­ subjekten positive Liquiditätseffekte. 63

MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

Insgesamt zielen die marktsteuernden Instrumente der Umweltpolitik dar­ auf ab, die Wohlfahrt in einer Gesellschaft zu erhöhen - sei es dadurch, daß wegen einer kostengünstigeren Umweltpolitik mit einem gegebenen Budget mehr für den Umweltschutz erreicht wird, oder dadurch, daß die übrige Güterversorgung verbessert werden kann. Bemerkenswert ist, daß trotz der bereits erläuterten „Marktdefekte“ („externe Effekte“, „Öffentlicher-Gut-Charakter“) gerade die Marktmechanismen geeignet sind, um mit dem Umweltproblem fertig zu werden. Nachdem erprobt ist, daß die Auflagenpolitik zunehmend an Grenzen stößt, ist man auf intelligentere (marktwirtschaftliche) Instrumente angewiesen.

6.2 Umweltabgaben - die Preisvariante der Marktlösung 6.2.1 Der Standard-Preis-Ansatz von Baumöl und Oates Wie bereits im theoretischen Teil im Zusammenhang mit der PlGOUSteuer erläutert, ist es das Ziel von Umweltabgaben, die externen Effekte bei den Verursachern zu internalisieren. In der Realität stößt dieses Inter­ nalisierungskonzept allerdings auf erhebliche Schwierigkeiten: Jede Um­ weltschädigung müßte gemessen, in Geldeinheiten bewertet und derjenige Abgabensatz ermittelt werden, der den Grenzkosten der Geschädigten entspricht. Nur bei Kenntnis dieser Sachverhalte führt das PlGOU-Steuermodell zu einer optimalen Lösung. Abgesehen von den methodischen Problemen wäre der bürokratische Aufwand immens. Umweltabgaben bzw. -steuern verzichten von vornherein auf das aus­ sichtslose Unterfangen, ein optimales PlGOU-Steuersystem zu etablieren. Es wird vielmehr versucht, sich in einer Art „Trial-and-error-Prozeß“ an die „richtigen“ Abgaben- bzw. Steuersätze heranzutasten. Die Umwelt­ politik gibt dabei das zu erreichende Umweltziel als politisch definierten Umweltstandard vor. Sodann wird derjenige Abgabensatz gesucht, der si­ cherstellt, daß die Umweltbeeinträchtigungen so weit reduziert werden, bis das vorgegebene Umweltziel erreicht ist. Die Wirtschaftswissenschaft­ ler Baumöl und Oates haben diesen Vorschlag als „Standard-PreisAnsatz“ bezeichnet. Wird das angestrebte Umweltniveau (z. B. eine po­ litisch bestimmte Emissionsmenge an Schadstoffen) nicht erreicht, so werden die Abgabensätze erhöht bzw. im umgekehrten Fall gegebenen­ falls gesenkt. Bei dieser Form der Umweltpolitik wird also der Preis der Umweltnutzung politisch festgelegt (Aktionsparameter), um hiermit ein bestimmtes Mengenergebnis (Erwartungsparameter) zu erreichen.

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MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

Der Sachverhalt wird formal anhand Abbildung 6.1 (Teil a) verdeutlicht. Die GVK-Kurve sei die Grenzvermeidungskostenkurve der Unternehmen. Die Grenzvermeidungskosten sind um so höher, je geringer die Emissio­ nen sind, je höher also der realisierte Reinigungsgrad ist. Das politische Ziel der Umweltpolitik bestehe nun darin, das im Ausgangszeitpunkt be­ stehende Emissionsvolumen Eo auf das Niveau E[ zu begrenzen. Die Umweltbehörde wird daher denjenigen Steuersatz t wählen, der die Emit­ tenten veranlaßt, ihre Emissionen auf den Wert Et zu reduzieren. Dieser Abgabensatz, der den angestrebten umweltpolitischen Standard sichert, ist offensichtlich tP Im Schnittpunkt von Grenzvermeidungskostenkurve und der t,-Linie sind die Grenzvermeidungskosten offensichtlich genau so hoch wie die für die jeweilige Emissionseinheit zu entrichtende Abgabe. Rechts von E, ist es für die Emittenten preiswerter, die Emissionen zu vermeiden und so der Steuerzahlung auszuweichen. Links von E, sind dagegen die Grenzvermeidungskosten höher als die pro Emissionseinheit zu zahlende Steuer. Die Gesamtkosten setzen sich aus den schraffierten Feldern A (Kosten für die Umweltabgabe) und B (Kosten für Umweltin­ vestitionen) zusammen. Aus Sicht des Staates ist A zugleich das Auf­ kommen aus der Umweltabgabe.

Teil a: Politisch gesetzter Umweltstandard

Teil b: Allokationspolitisch optimaler Abgabensatz

Abb. 6.1: Standard-Preis-Ansatz

Wie man an dem vereinfachten Modell sieht, verhält sich jeder Unter­ nehmer so, daß die Gesamtkosten minimiert werden. Würden keinerlei emissionsmindernde Maßnahmen durchgeführt, so würde die zu zahlende Gesamtabgabe den Flächen A + B + C entsprechen. Durch seine Maß­

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MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

nahmen spart der Unternehmer also Kosten in Höhe der Fläche C ein. Damit wird deutlich, daß es für Unternehmen durchaus sinnvoll sein kann, beim Vorhandensein von Umweltabgaben freiwillige Umweltinve­ stitionen zu tätigen. Für die Restemission müssen dann noch Abgaben im Betrag der Fläche A an den Staat abgeführt werden. Allokationspolitisch optimal wäre der gewählte Abgabensatz tj allerdings nur dann, wenn er gerade so hoch wäre wie die externen Grenzkosten der Geschädigten beim Emissionsvolumen E}. In diesem Fall müßte die ex­ terne Grenzkostenkurve genau durch den Punkt P verlaufen.

In Teil b) der Abbildung 6.1 ist angenommen, daß die externe Grenzko­ stenkurve höher liegt. Dieser Verlauf würde aus allokationspolitischer Sicht den höheren Abgabensatz t erfordern; er würde sicherstellen, daß im Gleichgewicht die externen Grenzkosten der Geschädigten mit den Grenzvermeidungskosten übereinstimmen (Punkt Q). In Höhe der Diffe­ renz t* - tj wurde der Abgabensatz also zu niedrig gewählt. Allerdings ist noch einmal darauf hinzuweisen, daß diese Lösung nur theoretischer Na­ tur ist. In der Realität ist es nämlich nicht möglich, die Grenzkosten der Geschädigten und damit den Verlauf der GKext-Kurve auch nur hinrei­ chend exakt zu ermitteln. Die “ökologische Treffsicherheit“ der Abgabenpolitik hängt offenbar entscheidend davon ab, ob es dem Staat gelingt, den Verlauf der Grenz­ vermeidungskosten der Emittenten sowie ihre mutmaßlichen Anpassungs­ reaktionen einigermaßen zutreffend abzuschätzen. Nur dann wird der politisch gesetzte Umweltstandard (Ej) auch erreicht. In der Praxis wird man sich wohl an diesen „politisch-optimalen“ Abgabensatz nur im Wege des Versuchs und Irrtums herantasten können. Die ökologische Treff­ sicherheit der Umweltabgabe ist daher umweltpolitisch unsicher. Generell erlauben, wie bereits betont, Umweltabgaben im Vergleich zu Umweltauflagen eine kostengünstigere Erreichung des gleichen Umwelt­ schutzniveaus. Nicht weniger bedeutsam ist jedoch, daß nun die Umwelt­ nutzung als solche zu einem Kostenfaktor wird. Die Folge ist, daß das einzelwirtschaftliche Verhalten darauf ausgerichtet wird, die Umweltbe­ lastungen infolge der Existenz von Umweltabgaben weiter zu senken. Entwicklung, Einsatz und Verbreitung umwelttechnischer Fortschritte lohnen sich, wenn die hierfür aufzuwendenden Kosten geringer sind als die sonst fälligen Emissionsabgaben. Graphisch gesprochen werden die Unternehmen daher versuchen, ihre Grenzvermeidungskosten zu senken, indem sie durch Realisierung umwelttechnischer Fortschritte die GVKKurve nach links verlagern (vgl. Abbildung 6.2).

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MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

Abb. 6.2: Kombination von Auflagenpolitik und Umweltabgabe

Diese Überlegung zeigt, daß Umweltabgaben sehr gut mit der traditionel­ len Auflagenpolitik verbunden werden können. Werden in Höhe von E] für alle Unternehmen die Grenzwerte zwingend vorgeschrieben und zu­ sätzlich für die verbleibende Restverschmutzung mit einer Abgabe in Hö­ he von tj belegt, so werden die beschriebenen Anpassungsprozesse dazu führen, daß die Umweltbelastung weiter gesenkt wird. Speziell die Abga­ be auf die verbleibende Restverschmutzung fördert den umwelttechni­ schen Fortschritt. Die Umweltbelastung wird damit automatisch weiter gesenkt. Es bleiben also Anreize bestehen, durch technischen Fortschritt die Abgabenbelastung weiter zu reduzieren. Dies ist bei der Auflagen­ lösung nicht der Fall.

Generell handelt es sich bei Umweltabgaben um staatlicherseits erzwun­ gene Geldleistungen der Betroffenen mit dem Ziel, bestimmte Umweltan­ liegen durchzusetzen. Die Abgaben übernehmen also eine umweltpoliti­ sche Lenkungsfunktion (Lenkungsabgaben). Der Staat ist nicht primär an dem Aufkommen aus der Abgabe, sondern in erster Linie an deren um­ weltpolitischen Wirkungen interessiert. Das Aufkommen ist allenfalls ein angenehmer Nebeneffekt. „Gute“ Umweltabgaben erbringen im Laufe der Zeit allerdings rückläufige Staatseinnahmen, denn die betroffenen 67

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Zahler werden versuchen, ihre Emissionen zu senken, um so Abgaben an den Staat zu sparen. Die aus ökologischer Sicht „guten“ Umweltabgaben sind somit aus fiskalischer Sicht „schlechte“ Abgaben. Gleichwohl muß es Ziel der Umweltabgaben sein, die Abgabenzahler dazu zu animieren, ihre Abgabenlast zu verringern, indem sie emissionsmindernde Maßnah­ men ergreifen. Dabei ist zu erwarten, daß zuerst diejenigen emissions­ mindernden Maßnahmen ergriffen werden, deren Grenzvermeidungsko­ sten am geringsten sind. Die Folge ist, daß das angestrebte Umweltziel mit geringstmöglichem Aufwand erreicht wird.

Bislang wurden „Umweltabgaben“ als Oberbegriff für Geldleistungen verstanden, die der Staat im Rahmen marktwirtschaftlicher Maßnahmen der Umweltpolitik erhebt. Die Umweltabgaben sind in diesem Sinne als generelle Abgaben zu sehen. Sie können in verschiedenen Ausprägungen auftreten. Gemäß der im Verfassungs- und Steuerrecht vorherrschenden Terminologie teilt man Abgaben an den Staat in Steuern sowie in speziel­ le Abgaben wie Sonderabgaben, Gebühren und Beiträge ein. Für jede die­ ser Abgabenvarianten gelten eigene Vorschriften hinsichtlich Zulässigkeit, Umfang und der Frage, wer sie erheben darf. Aus umweltpolitischer Sicht sind in erster Linie • Umweltsteuern und

• Umweltsonderabgaben

interessant. Sie werden im folgenden genauer beleuchtet. 6.2.2 Umweltsteuern („Ökosteuern“)

Steuern können in Deutschland grundsätzlich eingeführt werden, wenn die Voraussetzungen der Art. 105 und 106 Grundgesetz erfüllt sind. Hierbei müssen insbesondere Bundes- und Landeskompetenzen beachtet werden. Steuern sind dadurch charakterisiert, daß es sich um Geldleistungen der Bürger handelt, für die der Staat keine konkrete Gegenleistung erbringt. Man spricht in diesem Zusammenhang vom sog. Nonaffektationsprinzip. Steuern werden zur allgemeinen Finanzierung des Haushalts herange­ zogen. Neben dem Finanzierungszweck kann die Steuererhebung auch mit anderen Zielen verknüpft werden; beispielsweise mit verteilungspoli­ tischen Zielen, oder mit Verkehrs- und gesundheitspolitischen Zweckset­ zungen. Steuern dienen daher vielfach auch Lenkungszwecken.

Neben oder an die Stelle der traditionellen Lenkungsziele kann selbstver­ ständlich auch das Ziel treten, die Steuerpolitik in den Dienst des Umwelt­ schutzes zu stellen. Die hierbei auferlegten Steuern heißen Umweltsteuern 68

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oder Ökosteuern. Sie verfolgen in erster Linie das Ziel, das Verhalten der Bürger in umweltgerechtere Bahnen zu lenken. Daneben fällt bei Um­ weltsteuern auch ein mehr oder weniger hohes Finanzierungsaufkommen an. Für dieses Steueraufkommen gilt grundsätzlich das Nonaffektationsprinzip, d. h. es besteht keine Zweckbindung bei der Verausgabung dieser Mittel. Die Einnahmen aus Ökosteuern fließen in den allgemeinen Staats­ haushalt. Will der Staat vermeiden, daß durch die Erhebung von Ökosteuern die Steuerlast weiter ansteigt, so muß er an anderer Stelle die Steuer- und Abgabenbelastungen der Bürger und der Unternehmen senken. Geschieht die Senkung in genau dem Umfang, wie Ökosteuern erhoben werden, so spricht man von Aufkommensneutralität. Von den vielen Vorschlägen zur Aufkommensneutralität einer ökologischen Steuerreform sind insbe­ sondere die kompensatorische Senkung der Einkommensteuer und die Herabsetzung der Beiträge zur Sozialversicherung zu erwähnen. Eine Senkung der Einkommensteuer würde den Kaufkraftentzug infolge der Erhebung einer Öko-Steuer ganz oder teilweise ausgleichen. Zudem kann man zeigen, daß auch durch eine kompensatorische Senkung der (Arbeitgeber-)Beiträge zur Sozialversicherung die negativen Wachstums- und Beschäftigungseffekte in Grenzen gehalten werden können. Im Ergebnis sind sogar positive Beschäftigungseffekte denkbar (Sachverständigenrat 1994/95).

Ein derartiger Umbau des Steuersystems ist jedoch strittig. Dies zeigen die gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geführten Diskussio­ nen sehr eindrucksvoll. Die Befürworter einer ökologischen Steuerreform erhoffen sich vor allem folgende Vorteile:

• Verhaltensänderungen bei der Bevölkerung; dahinter steht die lapidare Überlegung, daß die Menschen erfahrungsgemäß umso sorgsamer mit Dingen umgehen, je teurer sie sind. Eine mit Abgaben belegte Energie wird von Unternehmen und Privaten sparsamer verbraucht,

• verstärkte Anstrengungen im technologischen Bereich; will man gege­ bene Verbrauchsgewohnheiten erhalten, so bedarf es neuer energiespa­ render Technologien. Der verstärkte Anreiz für Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten führt zu einer Entlastung der Umwelt; außer­ dem sind mit neuen Umwelttechnologien positive Beschäftigungs- und Wachstumseffekte verbunden; • geringer administrativer Aufwand bei der Erhebung von Umweltsteu­ ern im Vergleich zu ordnungsrechtlichen Maßnahmen. 69

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Die Gegner eines ökologisch aufgebauten Steuersystems fuhren jedoch zahlreiche Bedenken ins Feld: • Verbraucher und Produzenten reagieren auf Umweltsteuern und die damit verbundenen Preis- und Kostenerhöhungen nicht im erhofften Maße mit Einsparungen von Energie; vielmehr sind die Verbraucher­ gewohnheiten starr bzw. die Einspar- und Substitutionsmöglichkeiten im Produzentenbereich technisch begrenzt; • die bereits bestehende hohe Gesamtbelastung der Bürger mit staatli­ chen Abgaben wird noch weiter erhöht;

• auf mittlere Sicht fuhren Ökosteuern zu einem Rückgang der Staats­ einnahmen und bergen damit die Gefahr steigender Haushaltsdefizite in sich (sog. Aufkommenselastizität von Umweltsteuern hat einen Wert kleiner eins und sinkt im Zeitablauf). Beispielsweise könnte eine ent­ sprechend hohe Mineralölsteuer zu einer Einschränkung des Benzin­ verbrauchs und damit zu rückläufigen Steuereinnahmen führen. Der ökologische Erfolg erwiese sich damit als fiskalisch unerwünscht; • das ohnehin schon komplizierte Steuersystem wird noch mehr ver­ kompliziert; • die Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen muß neu geregelt werden;

• gravierende rechtliche Probleme bei der Umsetzung sowohl auf natio­ naler als insbesondere auch auf europäischer Ebene; • nationale Alleingänge führen zu Wachstums- und Beschäftigungsein­ brüchen, denn Ökosteuern bedeuten einen Standort-Nachteil, der die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen verschlechtert; • die Steuereinnahmen können aus rechtlichen Gründen nicht ohne wei­ teres zweckgebunden für Umweltschutz eingesetzt werden; • in den ersten Jahren ist eine sinnvolle Verausgabung der Gelder für ökologische Maßnahmen gar nicht möglich, da die Planungszeiträume zu kurz bzw. Genehmigungsverfahren zu lang sind;

• Umweltabgaben jedweder Art sind aus verteilungspolitischer Sicht ab­ zulehnen, da sie finanzschwache Bevölkerungskreise überproportional stark treffen. Besondere Beachtung findet innerhalb der Ökosteuern die CO2-Steuer. Sie würde die meisten der heute vorhandenen Energieträger erfassen und diese differenziert nach dem CO2-Ausstoß verteuern. Die CO2-Steuer wählt als Ansatzpunkt der Besteuerung direkt die Emission von Kohlen-

70

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dioxid. Dadurch sind zum einen allgemeine Energieeinsparprozesse zu erwarten; zum andern setzt dies Substitutionsprozesse hin zu CO2-freien oder -ärmeren Energieträgern in Gang. Darüber hinaus leistet sie der Ver­ breitung effizienterer Kraftwerkstechnologien und der Kraft-WärmeKoppelung Vorschub. Mit einer CO2-Steuer würde zudem nicht nur der Einsatz fossiler Primärenergien in Kraftwerken verteuert, sondern auch der Verbrauch von Energie in der gewerblichen Wirtschaft, im Verkehr und in den Haushalten gedämpft.

Die als Alternative immer wieder vorgeschlagene allgemeine Energie­ steuer weist den Nachteil auf, daß sie nicht unmittelbar an der CO2Emission ansetzt. Eine allgemeine Energiesteuer wäre daher bei gleichem Aufkommen weniger wirkungsvoll im Hinblick auf die Reduzierung des Kohlendioxidausstosses. Bei ihr würden die erwähnten Anpassungspro­ zesse zwar auch in Richtung auf weniger energieintensive Produktions­ verfahren und Produkte hinauslaufen, nicht aber ganz gezielt auf CO2Verringerungen gerichtet sein. Aus umweit- und CO2-politischer Sicht ist daher die Erhebung einer CO2-Steuer einer allgemeinen Energiesteuer vorzuziehen. Umweltsteuern sollten Schadstoffsteuern sein, die Emis­ sionen zurückdrängen. Die Europäische Kommission hat im Jahr 1992 das Konzept einer kom­ binierten CO2-/Energiesteuer empfohlen. Der Vorschlag sieht eine Übergangszeit bis zum Jahr 2000 vor, in der es den einzelnen Mitglieds­ ländern freigestellt ist, auf nationaler Ebene eine CO2-/Energiesteuer zu erlassen. Nach diesem Termin muß diese Steuer europaweit eingeführt werden. Sie enthält sowohl Elemente der CO2-Steuer als auch der allge­ meinen Energiesteuer, indem eine spezifische Steuer auf Energie und Kohlendioxid erhoben werden soll. Diese Kombi-Steuer soll auf bestimm­ te als Brenn- oder Kraftstoffe zu verwendende Erzeugnisse wie Steinkoh­ le, Braunkohle, Erdgas und Mineralöle erhoben werden; erneuerbare Energien bleiben ausgenommen. Wichtige Aspekte, wie die Art der Be­ steuerung - z. B. Steuererhebung beim Energieverbraucher oder Ausge­ staltung als Inputsteuer beim Energieerzeuger - und die Behandlung der Kernenergie, die ebenfalls besteuert werden soll, wurden nicht festgelegt.

Entsprechend dem Charakter einer „Kombi-Steuer“ ist die Bemessungs­ grundlage zweigeteilt. Die energiebezogene Komponente stellt auf den Energieinhalt der betreffenden Stoffe als Bemessungsgrundlage ab. Elek­ trischer Strom wird allerdings auf der Grundlage der hergestellten Elek­ trizität (gemessen in MWh) und nicht nach dem Energieinhalt der zu sei­ ner Erzeugung eingesetzten Primärenergieträger besteuert. Dies hat zur Konsequenz, daß auch mit CO2-freier Kernenergie erzeugter Strom der 71

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CO2-/Energiebesteuerung unterliegt. Als Bemessungsgrundlage der CO2Komponente dient die Kohlendioxidmenge, die durch die Verbrennung der genannten Stoffe entsteht. Nach dem ursprünglichen Konzept der Kommission sollte die CO2-/Energiesteuer stufenweise eingeführt werden, und zwar beginnend bei 3 US-Dollar im Jahr 1993 und ansteigend auf 10 US-Dollar je Barrel Rohöläquivalent im Jahre 2000. Die vorgesehenen Tarife sind in Tabelle 6.1 dargestellt. Tab. 6.1: Tarife der CO2-/Energiesteuer nach Maßgabe des Richtlinienvorschlags der EU-Kommission Jahr 1

Jahr 2

Jahr 3

Jahr 4

Jahr 5

Jahr 6

Jahr 7

Jahr 8

3,00

4,00

5,00

6,00

7,00

8,00

9,00

10,00

Kohlenstoffanteil (ECU pro t CO2)

2,81

3,75

4,68

5,62

6,56

7,49

8,43

9,37

Energieanteil (ECU pro GJ)

0,21

0,28

0,35

0,42

0,49

0,56

0,63

0,70

EU-Steuersatz ($ / Barrel)

entspricht:

Daraus ergeben sich folgende Steuern: Steinkohle

DM/t DM/t SKE

27,95 27,48

37,27 36,64

46,58 45,80

55,90 54,96

65,22 64,12

74,53 73,28

83,85 82,44

93,17 91,60

Braunkohle

DM/t DM/t SKE

8,66 30,59

11,55 40,79

14,43 50,96

17,32 61,18

20,21 71,38

23,09 81,57

25,98 91,77

28,87 101,97

Erdöl

DM/t DM/t SKE

35,86 24,56

47,81 32,75

59,77 40,93

71,72 49,12

83,67 57,31

95,63 65,49

107,58 73,68

119,53 81,87

Erdgas

DM/1000 m3 DM/t SKE

23,07 21,30

30,76 28,40

38,43 33,50

46,14 42,60

53,83 49,70

61,52 56,50

69,21 63,90

76,90 71,00

Heizöl (schwer)

DM/t DM/t SKE

35,56 24,35

47,41 32,47

59,27 40,59

71,12 48,71

82,97 56,83

94,83 64,95

106,68 73,06

118,53 81,18

Benzin

Pfg./l

2,7

3,59

4,49

5,38

6,28

7,18

8,08

8,97

Diesel

Pfg./l

3,1

4,11

5,14

6,17

7,20

8,22

9,25

10,28 11,47

Heizöl (leicht)

Pfg./l

3,4

4,59

5,74

6,88

8,03

9,18

10,33

Kerosin

Pfg./l

2,9

3,84

4,80

5,76

6,72

7,68

8,64

9,60

Elektr. Strom (KKW) DM/MWh

4,20

5,60

7,00

8,40

9,80

11,20

12,60

14,00

Elektr. Strom (Wasserkraft)

DM/MWh

1,52

2,03

2,53

3,04

3,55

4,05

4,56

5,07

Elektr. Strom (Steinkohle)

DM/MWh

8,90

11,87

14,84

17,81

20,78

23,75

26,72

29,69

Elektr. Strom (Braunkohle)

DM/MWh

10,30

13,74

17,18

20,62

24,06

27,50

30,94

34,38

Elektr. Strom (Schw. Heizöl)

DM/MWh

8,40

11,20

14,00

16,80

19,60

22,40

25,20

28,00

Elektr. Strom (Erdgas)

DM/MWh

6,90

9,13

11,36

13,59

15,82

18,05

2028

22,51

Derivate Tarife:

Umrechnung mit 2 DM = 1 ECU Quelle: Gutachten „Umweltpolitik - Umweltorientierte Reform des Steuersystems“,

hrsg. vom Bundesumweltministerium, o. O., o. J., S. 61

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Das Aufkommen einer solchen Steuer, das an die Mitgliedsländer zurück­ fließen soll, wird in der Endstufe auf etwa ein Prozent des gemeinschaft­ lichen Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Tabelle 6.2 zeigt, daß sich das Aufkommen für die Bundesrepublik Deutschland nach Erreichen des Höchststeuersatzes auf umgerechnet 39 Mrd. DM belaufen würde (Spalte 4 in Tab. 6.2). Im Einführungsjahr wird mit einem Aufkommen zwischen 9 Mrd. DM und 11 Mrd. DM gerechnet. Jährlich könnte dann ein Zu­ wachs von 3 -4 Mrd. DM erwartet werden. Das Aufkommen ändert sich nur wenig, würde man anstelle einer Kombi-Steuer eine reine Energie­ steuer (Spalte 3 in Tab. 6.2) erheben. Bei diesen Schätzungen des Steuer­ aufkommens sind allerdings die erwünschten dynamischen Anpassungsre­ aktionen der Produzenten und Konsumenten an die verteuerte Energie­ nutzung noch nicht hinreichend berücksichtigt. In Dänemark und in den Niederlanden sind bereits kombinierte CO2-/Energiesteuern eingeführt worden. Tab. 6.2: Steueraufkommen aus der CO2-/Energiesteuer gemäß Richtlinienvorschlag der EU-Kommission

Land (1) Belgien Dänemark Deutschland Griechenland Spanien Frankreich Irland Italien Luxemburg Niederlande Portugal Verein. Königreich EU

Primärenergie­ verbrauch (in Tsd. t RÖE)

100 % Energie­ steuer (10$/Barrel, Mio. ECU)

(2)

(3)

51496 18742 329519 20902 84354 219609 9974 148859 3365 68452 14367 213965 1183604

3022 1099 19330 1226 4949 12894 585 8726 197 4013 842 12548 69413

50 % Energie-, 50 % CO2-Steuer (10 $ / Barrel, Mio. ECU) (4) 2675 1138 18940 1325 4627 10422 604 8468 201 3772 857 12081 65109

Quelle: Gutachten „Umweltpolitik - Umweltorientierte Reform des Steuersystems“,

hrsg. vom Bundesumweltministerium, o. O., o. J., S. 64

Die deutsche Bundesregierung hat angekündigt, daß sie beabsichtigt, die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2005 - ausgehend vom Basisjahr 1987 -

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um 25 bis 30 % zu senken. Sie hat sich in diesem Zusammenhang eben­ falls für die Einführung einer kombinierten CO2-/Energiesteuer eingesetzt.

Maßnahmen zum Schutz des Klimas müssen mit der allgemeinen Ener­ giepolitik abgestimmt sein. Es wäre widersinnig, wenn die Energiepolitik gleichzeitig das Ziel einer preisgünstigen Energieversorgung verfolgen und mit Milliardenaufwand die heimische Kohle subventionieren würde. Angesichts der bisherigen Energiepolitik würde daher eine CO2-Steuer auf einen drastischen Kurswechsel in der Energiepolitik hinauslaufen. Bisher bestand die Zielsetzung darin, Wirtschaft und Haushalte möglichst kostengünstig mit Energie zu versorgen. Die Einführung einer CO2-Steuer müßte die fossilen Primärenergien drastisch verteuern, wenn die ange­ strebten Einspar- und Substitutionsprozesse in Gang kommen sollen. Da die fossilen Energieträger nach wie vor deutlich preiswerter sind als er­ neuerbare Energien, müßte eine umweltorientierte Energiepolitik erheb­ lich gegen die Markttendenzen ansteuern. Angesichts der Tatsache, daß eine drastische Verteuerung des Einsatzes fossiler Energien infolge einer nationalen CO2-Steuer die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deut­ schen Wirtschaft beeinträchtigen würde, und angesichts der Tatsache, daß die Bundesrepublik zur weltweiten CO2-Belastung nur etwa 3,6 Prozent beiträgt (USA: 23 %; EG: 15 %; Japan: 4,6 %), ist ein OECD-weites, zumindest aber EU-weites Vorgehen zwingend geboten. Die Verbesse­ rung der Luftqualität und die Bekämpfung des an früherer Stelle bereits erörterten Treibhauseffektes muß international koordiniert erfolgen. 6.2.3 Umweltsonderabgaben

Im Unterschied zu Steuern ist die Erhebung von Sonderabgaben an en­ gere Voraussetzungen geknüpft. Für sie gilt nicht das Nonaffektationsprinzip, sondern sie sind für besondere staatliche Gegenleistungen zu ver­ wenden. Das Bundesverfassungsgericht hat Sonderabgaben für zulässig erklärt, wenn eine spezifische Beziehung zwischen dem Kreis der Abga­ benpflichtigen und dem mit der Abgabe verfolgten Zweck besteht. Abgaben sind also Geldleistungen, deren Aufkommen der Gruppe der Abgaben­ pflichtigen mehr oder weniger direkt wieder zufließt. Diese Zweckbin­ dung der Abgaben engt den Gestaltungsspielraum ein. Die Gelder fließen nicht in den allgemeinen Haushalt, sondern in öffentliche Sonderfonds, aus denen „gruppengemeinnützige“ Aufgaben finanziert werden. Erhebt man also beispielsweise eine Abwasserabgabe, dann muß das Aufkommen für den Bau von Kläranlagen, für Gewässerschutzinvestitionen oder ähn­ liche Zwecke eingesetzt werden. 74

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Die Grenzen zwischen Ökosteuern und speziellen Umweltabgaben sind jedoch nicht immer scharf zu ziehen. Wird nämlich eine Umweltabgabe mit dem Ziel erhoben, hiermit allgemeine Umweltaufgaben zu erfüllen, so erfolgt eine Zweckbindung des Aufkommens, das sie in die Nähe der Umweltsonderabgaben rückt. Umweltabgaben tragen auch die Bezeich­ nungen „Verwendungszwecksteuer“ oder „Beitragsteuer“ (siehe auch Ab­ bildung 6.4); diese Etikettierungen machen den Zwittercharakter bestimm­ ter Umweltabgaben deutlich.

Im Hinblick auf die Wirkungen unterscheiden sich Umweltsonderabgaben und Umweltsteuern nicht. Sie verteuern bestimmte Umweltnutzungen und haben daher regelmäßig einen Lenkungseffekt. In dem Tatbestand, daß das Aufkommen der Umweltsonderabgaben - im Gegensatz zu Ökosteuern wieder gezielt bestimmten Umweltschutzmaßnahmen zugute kommt, sehen viele einen Vorteil. Allerdings bilden sich hierbei Schattenhaushalte, über deren sinnvolle Verwendung nicht mehr von Jahr zu Jahr die Parla­ mente entscheiden. Da das Aufkommen aus Umweltsonderabgaben nicht zur allgemeinen Steuerentlastung herangezogen werden kann, sind Sonderabgaben in der Regel mit einer Erhöhung der Abgabenquote für die Bürger verbunden. Ist der Abgabensatz und damit das Abgabenaufkommen gering, so mag dies hinnehmbar sein; dann dürften allerdings auch die Umweltentla­ stungswirkungen gering sein. Im Fall spürbarer Abgaben ergeben sich je­ doch - zumindest in der Anfangsphase - Mehreinnahmen in Milliarden­ höhe. Die damit verbundene Erhöhung der Abgabenquote dürfte Wachs­ tums- und beschäftigungspolitisch kaum vertretbar sein. Bei Umweltson­ derabgaben entstehen zudem Anreize, die Abgaben aus rein fiskalischen Gründen laufend zu erhöhen. Je mehr die Ökoabgabe nämlich Wirkungen zeitigt, je mehr also die Umweltbelastungen verringert werden, um so geringer wird das Aufkommen aus dieser Abgabe. Es entsteht dann - eben­ so wie bei der Ökosteuer - für den Staat ein Anreiz, die Abgabensätze über das ökologisch gebotene Maß hinaus zu erhöhen, um damit das Auf­ kommen für die vorgesehenen Verwendungszwecke zu stabilisieren.

Der Einsatz von Abgaben als umweltpolitische Maßnahmen ist in der Bundesrepublik noch nicht weit fortgeschritten. Um das Verhalten der Wirtschaftssubjekte wirksam zu beeinflussen, sollten die Umweltabgaben beim umweltbelastenden Verhalten ansetzen. Besonders geeignet sind Abgaben auf Emissionen in die Medien Luft (Luftschadstoffabgaben), Boden (Naturschutzabgaben, Müllabgaben, Bodenversiegelungsabgaben) und Wasser (Abwasserabgaben). In Betracht kommen aber auch Abgaben, die den Verbrauch oder die Verwendung einzelner Produkte eindämmen 75

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sollen (Produktabgaben). Als typische Beispiele für Umweltabgaben wer­ den im folgenden

• die Gewässerreinhaltepolitik,

• die Luftreinhaltepolitik, • Deponieabgaben sowie • Produktabgaben

genauer erläutert. a) Emissionsabgaben in der Gewässerreinhaltepolitik In der Gewässerreinhaltepolitik gibt es bereits ein funktionierendes Zu­ sammenwirken von Ordnungsrecht (Qualitätsanforderungen an Trinkwas­ ser gemäß Wasserhaushaltsgesetz) und Abgabenregelung. Im Jahr 1976 wurde in der Bundesrepublik mit dem Abwasserabgabengesetz erstmals die Rechtsgrundlage für eine Umweltsonderabgabe geschaffen. Die Ab­ gabe wird seit 1981 erhoben. Nachdem ein Unternehmen einen Antrag auf Einleitung einer bestimmten Schadstoffmenge in Gewässer gestellt hat, erteilt die Behörde einen Be­ scheid über die zulässige Menge an Schmutzwasser und Schadstoffen pro Jahr. Pro Schadstoffeinheit muß ein fester Betrag bezahlt werden. Für die Unternehmen besteht ein Anreiz, die genehmigte Menge zu senken, da sich dadurch die Zahlungen reduzieren.

Die Abwasserabgabe galt als wegweisender Schritt zur Einführung marktsteuernder Instrumente in der Umweltpolitik. Die konkrete Ausge­ staltung ist allerdings mit Mängeln behaftet: Die Abgabensätze gelten als zu gering. Die „Restverschmutzung“ jenseits der festgeschriebenen Grenz­ werte wird nicht erfaßt. Die Einhaltung der Grenzwerte wird nur stich­ probenweise geprüft. Obwohl die Wirkungsmöglichkeiten der Abwasser­ abgabe dadurch stark eingeschränkt worden sind und die Abwasserabgabe sich weit vom Grundgedanken einer verursachergerechten Emissionsab­ gabe entfernt hat, wird sie im Vergleich zum Ordnungsrecht durchwegs positiv bewertet. Sie ist insbesondere geeignet, das Ordnungsrecht zu un­ terstützen. Der Vollzug des Wasserhaushaltsgesetzes ist erheblich weiter fortgeschritten als dies ohne Abwasserabgabe zu erwarten gewesen wäre. Zudem wurde die Verwendung des Aufkommens insgesamt effizient ge­ handhabt. Es fließt - dem Charakter dieser Sonderabgabe entsprechend wieder in Maßnahmen zum Bau von Kläranlagen und sonstigen Gewässer­ schutzinvestitionen .

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Die Mängel der Abwasserabgabe beruhen auf ihrer konkreten politischen Ausgestaltung. Um die ökologische Wirksamkeit des Abwasserabgabege­ setzes zu steigern wird gefordert, den Abgabesatz zu erhöhen und die Restverschmutzung mit in die Abgabepflicht einzubeziehen. Darüber hin­ aus sollte sie auf weitere Schadstoffe (z. B. Phosphor und Stickstoff) aus­ gedehnt werden.

b) Emissionsabgaben in der Luftreinhaltepolitik Die Luftreinhaltepolitik ist bisher fast ausschließlich ein Feld des Ord­ nungsrechts. Auch hier könnte jedoch durch eine Schadstoffabgabe das traditionelle Instrumentarium der Emissionsgrenzwertpolitik effizienter gestaltet werden. Bereits jetzt weist die Technische Anleitung Luft (sog. „TA Luft“) erhebliche Vollzugsdefizite auf.

Vergleichbar einer (allerdings verbesserten) Abwasserabgabe könnte eine Luftschadstoffabgabe den Vollzug des Ordnungsrechts unterstützen und Anreize zur weiteren Verringerung der Schadstoffemissionen geben. Der Vorteil würde vor allem darin bestehen, daß dann auf eine Fortschreibung der Grenzwerte im Rahmen der TA Luft weitgehend verzichtet werden könnte - das gilt natürlich nur für den Vorsorgebereich, nicht aber für Schadstoffe, von denen unmittelbare Gefahren ausgehen. Aus Praktika­ bilitätsgründen sollte sich die Umweltpolitik dabei auf einige wenige Stof­ fe beschränken. Mit dem Instrument der Schadstoffabgabe können aller­ dings nur Emissionen aus stationären Anlagen (z. B. Kraftwerke, Heiz­ kessel) erfaßt werden. In den Bereich von Luftschadstoffabgaben fällt auch die CO2-Abgabe. Sie wird zunehmend als Möglichkeit eingestuft, um dem bereits beschrie­ benen Treibhauseffekt wirksam entgegenzutreten. Mittels der CO2-Ab­ gabe sollen die Wirtschaftssubjekte zur notwendigen Einsparung bzw. zur Substitution fossiler Energieträger bewegt werden, indem der Verbrauch der fossilen Energiequellen verteuert wird. Eine reine CO2-Abgabe müßte entsprechend der Emission von Kohlendioxid, das bei der Verbrennung der fossilen Primärenergieträgers entsteht, variieren. Primärenergie­ quellen, bei deren Nutzung viel CO2 entsteht, müßten höher besteuert werden als CO2-arme Energieträger. Die CO2-Emissionen von Braunkoh­ le, Steinkohle, Erdöl und Erdgas verhalten sich wie 121 : 100 : 88 : 58. Kernenergie, Sonnenenergie, Energie aus Wind und Wasserkraft würden durch diese Abgabe nicht belastet.

Das Hauptproblem einer CO2-Abgabe ist deren adäquate Verwendung. Bisher existiert nämlich noch kein technischens Verfahren, mit dessen 77

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Hilfe die Emission von Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Stoffe entsteht, verhindert werden kann. Der Staat kann die anfallenden Einnahmen also nicht für Techniken ausgeben, welche den Ausstoß von CO2 verhindern. Gleichwohl ist damit zu rechnen, daß die Einführung ei­ ner CO2-Abgabe zu einem sparsameren Umgang mit den nunmehr teurer gewordenen fossilen Energieträgern führt. Dies hat einen verminderten Ausstoß von Kohlendioxid zur Folge.

c) Deponieabgaben Ein weiteres Hauptproblem für die Umwelt bildet der Abfall. Die Müll­ problematik wurde lange Zeit verharmlost. Zunehmend wird allerdings deutlich, daß Deponieraum immer knapper wird. Solange wir beträchtliche Anteile des Mülls exportieren („Mülltourismus“), in den Meeren „ver­ klappen“ oder verbrennen konnten, war die Politik noch in der Lage, vor dem Problem die Augen zu verschließen. Inzwischen ist „Müll“ Thema Nr. 1 der Tagespolitik. Pro Tag fallen beispielsweise in Deutschland ca. 80.000 t Hausmüll an. Abbildung 6.3 zeigt einen internationalen Vergleich des derzeitigen Müllaufkommens in einigen ausgewählten Ländern.

Irland Schweden Spanien Portugal

Großbritannien Italien Frankreich

Deutschland Japan Schweiz Kanada USA

0

100

200

300

400

500

600

700

Kilogramm je Einwohner Abb. 6.3: Hausmüllaufkommen im internationalen Vergleich Quelle: Eurostat, Institut der deutschen Wirtschaft (1995)

78

800

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Deponieraum ist ein knappes Gut. Zur Lösung des Müllproblems muß folglich der Politik der Abfallvermeidung eindeutig Priorität eingeräumt werden. Dabei können Umweltabgaben helfen. Zur Begrenzung der Ab­ fallmengen erscheint eine Deponieabgabe geeignet. Mit deren Aufkom­ men können gezielte Maßnahmen im Bereich der Müllverwertung finan­ ziert werden. Diese Abgabe (die nicht zwingend bei den Deponiebetrei­ bern zu erheben ist) müßte im Kern nach zwei Kriterien ausgestaltet sein, und zwar nach der: • Menge des anfallenden Abfalls sowie • Gefährlichkeit des angelieferten Materials

Bei dieser Differenzierung entsteht zum einen ein Anreiz zur Vermeidung von Abfällen; außerdem wird das Vorsortieren und damit das Recycling gefördert. Gegen mengenabhängige Abfallgebühren wird vor allem im Hausmüll­ bereich eingewendet, daß sie das „wilde Müllablagern“ in der Stadt oder in der Landschaft fördern. Dieser Einwand ist nicht von der Hand zu wei­ sen. Er spricht jedoch nicht grundsätzlich gegen eine mengenabhängige De­ ponieabgabe. Es sollte möglich sein, das wilde Ablagern von Müll durch den Einsatz spezieller öffentlicher Bediensteter („Müllsheriffs“) in Ver­ bindung mit drakonischen Strafen für Umweltsünder einzudämmen. Erste Erfahrungen mit mengenabhängigen Müllgebühren sind durchaus positiv. Dem Anwachsen der Müllberge kann auch im Vorfeld durch Zwangs­ pfand für Einwegflaschen, und damit durch die indirekte Förderung des Mehrwegsystems, entgegengewirkt werden. Diesem Ziel dienen auch Rücknahmeverpflichtungen für Verpackungsmaterial und für ausgedien­ te Produkte (vorgezogene Entsorgungsgebühren für Autos oder Elektround Elektronikgeräte). Es handelt sich hierbei allerdings um Maßnahmen des Ordnungsrechts.

d) Produktabgaben

Um den Verbrauch oder die Verwendung einzelner umweltgefährdender Produkte einzudämmen, werden immer wieder Abgaben auf Produkte oder chemische Grundstoffe gefordert. Beispiele sind Abgaben auf Ein­ wegflaschen, Batterien, Phosphatdünger, phosphathaltige Waschmittel, Farben und Lösungsmittel, tropische Hölzer, Zweitwohnungen, minerali­ sche Rohstoffe.

Im Gegensatz zu den beschriebenen Emissionsabgaben (z. B. Abwasser­ abgabe, Schadstoffabgabe) sind Produktabgaben aus mehreren Gründen problematisch. Zum einen ist die ökologische Wirksamkeit derartiger 79

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Abgaben kaum abzuschätzen. Der umweltpolitische Effekt hängt davon ab, ob und inwieweit die Abgabe auf den Produktpreis überwälzt wird, und ob und inwieweit die Nachfrager mit einer Verbrauchsminderung reagieren bzw. die Produkte durch ein abgabenfreies Substitutionsgut er­ setzen. Bei Substitutionsprozessen ist zudem keineswegs sicher, daß die Substitute umweltfreundlicher sind als das mit der Abgabe belastete Gut. Die Folge wäre eine ausufernde Differenzierung des Abgabensystems. Es ist fragwürdig, ob ein derartiger totaler ökologischer Umbau des ge­ samten Abgabensystems wünschenswert wäre. Gefährliche Produkte, die z. B. krebserregend sind, müssen verboten und nicht etwa mit einer prohibitiv hohen Abgabe belegt werden. Produktabgaben sollten daher auf begründete Ausnahmefälle beschränkt werden.

Bei Abgaben auf einzelne Güter muß zudem berücksichtigt werden, daß innerhalb der EG die Harmonisierung der Verbrauchsteuern angestrebt wird. Die Einführung neuer Abgaben bzw. Verbrauchsteuern läuft dieser Harmonisierung diametral entgegen. Im Gemeinsamen Europäischen Markt ist daher der nationale Spielraum für Produktabgaben ausgesprochen ge­ ring. Auf diesem Feld kann nur langfristig versucht werden, einheitliche Abgaben auf besonders problematische Produkte einzuführen. Eine Phos­ phatabgabe könnte ein derartiger Ausnahmefall sein.

6.2.4 Fazit

Umweltabgaben sind ein geeignetes Instrument der Umweltpolitik. Die gesamtwirtschaftliche Effizienz der Abgabenpolitik ist sehr hoch, da sie jedem einzelnen Unternehmen gestattet, seine Kosten zu minimieren; somit erfolgt die Reduktion der Gesamtemission ebenfalls zu geringsten Kosten. Da auch auf die verbleibende Restverschmutzung noch Abgaben zu zahlen sind, gehen hiervon Anreize zur Suche nach kostensparenden Vermeidungsstrategien aus. Abgabenpolitik fördert also den umwelttech­ nischen Fortschritt und dient damit der Umwelt. Aus einzelwirtschaftli­ cher Sicht ist die Abgabe allerdings teurer als ordnungsrechtliche Aufla­ gen, da neben den Vermeidungskosten auch noch die Steuer auf die Restemission an den Staat abgeführt werden muß. Ein Verzicht auf das Ordnungsrecht ist mit Umweltabgaben allerdings kaum möglich. Mit dem Instrument „Umweltabgaben“ kann das herr­ schende Ordnungsrecht allerdings entlastet und der Umweltschutz mit marktwirtschaftlichen Anreizen intensiviert werden. Als besonders geeig­ net erweisen sich Emissionsabgaben. Sie eignen sich auch besonders gut in Verbindung mit dem bestehenden Ordnungsrecht, indem auch die 80

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(erlaubte) Restemission einer Abgabe unterworfen wird und so Anreize zur Minderung dieser Restemission entstehen. Abgaben, die an einzelnen Produkten anknüpfen, sollten dagegen auf begründete Ausnahmefälle be­ schränkt bleiben.

Bei der Einführung von Umweltabgaben muß jedoch auch auf die Erhal­ tung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft geachtet werden. Um einen Anstieg der Abgabenquote zu vermeiden, sind Steuer­ senkungen an anderer Stelle vorzunehmen. Das Aufkommen aus den Um­ weltabgaben sollte grundsätzlich dem Staatshaushalt ohne eine bestimmte Zweckbindung zufließen. In besonders gelagerten Fällen ist eine Zweck­ bindung zur Finanzierung von Umweltschutzinvestitionen vertretbar. Na­ tionale Alleingänge sollten nur in begründeten Ausnahmefällen durchge­ führt werden. Erforderlich ist ein international koordiniertes Vorgehen, denn zum einen handelt es sich bei zahlreichen Umweltproblemen um supranationale Erscheinungen, zum andern verhindert dies Wettbewerbs­ verzerrungen zwischen den beteiligten Ländern. Bei der Durchsetzung von Umweltabgaben ist allerdings mit großen politischen Widerständen zu rechnen. Abbildung 6.4 vermittelt einen Überblick über die verschie­ denen Erscheinungsformen von Umweltabgaben.

Abb. 6.4: Erscheinungsformen von Umweltabgaben Quelle: In Anlehnung an Dickertmann (1993), S. 41

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6.3 Umweltzertifikate - die Mengenvariante der Marktlösung 6.3.1 Umweltnutzungsrechte Eine interessante Alternative zu Umweltabgaben sind Umweltzertifikate bzw. Umweltnutzungsrechte. Während der Staat bei den Umweltabga­ ben den Preis der Umweltnutzung über die Abgabenhöhe festlegt und sich dann als Folge des Anpassungsverhaltens der Privaten ein bestimmtes Umweltentlastungsergebnis einstellt (Preisvariante der marktwirtschaft­ lichen Instrumente), geht man bei den Umweltnutzungsrechten gerade umgekehrt vor. Der Staat begrenzt die zulässige Menge der Umwelt­ beeinträchtigung in einer Region dadurch, daß er an die Emittenten (gestückelte) „Emissionsrechte“ oder „Umweltnutzungsrechte“ ausgibt:

Umweltabgabenpolitik

Umweltzertifikatepolitik

Diese Zertifikate berechtigen die Emittenten, eine bestimmte festgelegte Menge an Schadstoffen pro Zeiteinheit auszustoßen. Darüber hinausge­ hende Emissionen sind verboten. Ein Unternehmen, das über die konzes­ sionierte Menge hinaus emittieren will, muß also die erforderlichen Emissionslizenzen zukaufen - allerdings nicht zu einem politisch festge­ setzten Preis, sondern zu demjenigen Preis, der sich am Markt als Er­ gebnis von Angebot und Nachfrage um den Bestand der knappen Nut­ zungsrechte ergibt. Steigende Preise für Emissionslizenzen schlagen sich in höheren Kosten nieder. Analog zur Umweltabgabe gibt es jetzt Anrei­ ze, diese Kosten durch umwelttechnische Fortschritte zu senken. Die Ausgabe der Rechte kann z. B. durch eine „Umweltbundesbank“ - vergleichbar der Deutschen Bundesbank - erfolgen. Die Gesamtsumme der Umweltnutzungsrechte wird so gewählt, daß in einer Region ein be­ stimmtes Immissionsvolumen nicht überschritten wird. Damit die Rechte innerhalb einer bestimmten Region (der sog. „Glocke“) gehandelt werden können, müßten regionale Umweltbörsen eingerichtet werden. Der ent­ scheidende Unterschied zur Festlegung von Emissionsgrenzen für jeden einzelnen Emittenten besteht letztlich nur darin, daß die Umweltnutzungs­

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rechte zwischen den Emittenten gehandelt werden können. Tauschvor­ gänge sind die Folge. Die Verteilung der Rechte auf die einzelnen Schad­ stoffemittenten bleibt dem Markt überlassen. Bereits dieser Vorgang senkt die Kosten des Umweltschutzes erheblich.

Da sich die Emissionsminderungskosten bei den einzelnen Anlagenbetrei­ bern in der Regel unterscheiden, entsteht ein Anreiz, die Umweltnutzungs­ rechte zu handeln. An der Umweltbörse bildet sich infolge von Angebot und Nachfrage ein Preis für die Zertifikate. Als Anbieter treten solche Unternehmen auf, denen es bei dem Preis, den sie für ihre Emissionszer­ tifikate am Markt erzielen können, rentabler erscheint, ihre Emissionen durch Einbau von Filtern oder sonstigen emissionsmindernden Maßnah­ men zu verringern und die Rechte auf Verschmutzung zu verkaufen. Als Nachfrager treten Unternehmen mit ungünstigen Vermeidungskosten auf und solche, die - z. B. als Folge einer Betriebserweiterung oder als Folge von Neugründungen - einen zusätzlichen Bedarf an Zertifikaten haben. Das Prinzip der Zertifikate soll formal anhand der Abbildung 6.5 ver­ deutlicht werden. Unternehmen U1 sei ein „effizienter Vermeider“ mit günstigem Verlauf der Grenzvermeidungskosten. Unternehmen U2 sei ein „ineffizienter Vermeider“ mit ungünstigem Verlauf der Grenzvermei­ dungskosten. Im Ausgangszeitpunkt herrsche ein zulässiges Emissions­ volumen in Höhe von jeweils Eo. Der Staat verfolge nun das Ziel, die ge­ samtwirtschaftliche Emission in der betrachteten Region auf das Niveau von 2 x E zu senken. Für diese Schadstoffmenge gibt er Emissionsrechte aus, d. h. jedes der beiden Unternehmen erhält das Emissionsrecht für das Schadstoffvolumen E. Der Staat könnte auch bereits vorhandene Rechte so stark abwerten, daß die Produzenten gezwungen sind, ihre Emissionen von der Status-quo-Situation Eo auf E zu reduzieren. Sind die Rechte frei handelbar, so wird von dieser Möglichkeit auch Ge­ brauch gemacht. Dabei bildet sich auf dem Zertifikatemarkt ein Preis für diese Rechte in Höhe P7 heraus. Dies wird aus Abbildung 6.5 deutlich. Als Nachfrager werden die ineffizienten Vermeider (hier: U2), als Anbie­ ter die effizienten Vermeider (hier: U^ auftreten. Beträgt der Preis, der für ein Zertifikat je Emissionseinheit bezahlt werden muß, P7, so werden Uj und U2 ihre Emissionen jeweils auf das Volumen E bzw. E U2 ver­ ringern. Bei U2 entstehen Vermeidungskosten in Höhe der Fläche AU2. Das Unternehmen Ut hat Vermeidungskosten in Höhe von A^j + Bm. Gemessen an einer Auflage, derzufolge sowohl Ui als auch U2 das Emis­ sionsvolumen auf jeweils E reduzieren müßten, stellt sich für beide Un­ ternehmen die Situation günstiger dar, wenn sie mit den Rechten handeln: Für U2 würden bei der Erfüllung der Auflage, also bei E, zusätzliche

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Vermeidungskosten in Höhe von BU2 entstehen. Für U] wären die Kosten um Cm geringer. Das Unternehmen U] ist nämlich infolge seiner günsti­ gen Vermeidungskosten in der Lage, seine Emissionen unter das Niveau E zu senken. Unternehmen Uj ("effizienter Vermeider")

Unternehmen U2 ("ineffizienter Vermeider")

Teil b: Ineffizienter Vermeider

Abb. 6.5: Umweltzertifikate

Auf diese Weise werden Zertifikate in Höhe von E - E^ frei, die das Unternehmen Ui auf dem Markt für Zertifikate anbieten wird. Beim Preis Pz erzielt hierfür einen Verkaufserlös in Höhe von + Cm. Da die zusätzlichen „freiwilligen“ Vermeidungskosten Bm betragen, entsteht ein Nettoerlös in Höhe von Cm. Umgekehrt wird U2 Umweltnutzungsrechte in Höhe E*U2 - E nachfragen, anstatt mit hohem Aufwand die Emissionen freiwillig auf E zu reduzieren. Die Kosten, die beim Erwerb dieser Rechte entstehen, betragen (beim Marktpreis Pz) BU2; bei Durchführung der Emissionsminderungsmaßnahmen auf das Niveau E} wären dagegen Kosten in Höhe von BU2 + CU2 entstanden. Je größer das Feld CU2, um so höher ist die Ersparnis gegenüber der Auflage. Handelbare Zertifikate führen folglich zu dem Ergebnis, daß der Umweltschutz zuerst dort er­ folgt, wo die Umweltschutzinvestitionen vergleichsweise kostengünstig durchgeführt werden können, während ineffiziente Vermeider durch Zu­ kauf von Zertifikaten sowohl finanziell als auch hinsichtlich der zu erfül­ lenden Umweltanforderungen entlastet werden. Die Zertifikatslösung ist für die einzelnen Unternehmen auch günstiger als die Erhebung einer Umweltabgabe in Höhe von Pz. Zwar würde auch bei der Abgabe das Emissionsvolumen auf E gesenkt; sie ist insofern

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ökologisch der Zertifikatslösung gleichwertig. Bei der Abgabenlösung unterliegt jedoch auch die Restverschmutzung [D^ und DU2 (einschließ­ lich BU2)] der Abgabenverpflichtung. In Höhe von DG1 + DU2 entsteht ein Steueraufkommen beim Staat, das im Zweifel die Abgabenlast der betrof­ fenen Unternehmen erhöht. Verglichen mit der Abgabenlösung entsteht bei der Zertifikatslösung für den Staat kein Aufkommen. Erlöse entstehen aber bei denjenigen Unternehmen, die Zertifikate verkaufen. Kostengün­ stige zusätzliche Umweltschutzmaßnahmen dieser Unternehmen werden durch den Verkaufserlös aus den Zertifikaten finanziert.

Umweltzertifikate erfreuen sich im Kreis marktwirtschaftlicher Ökono­ men einer großen Beliebtheit. Dieser Ansatz wird geradezu als der marktwirtschaftlichste Weg zur Lösung des Umweltproblems gefeiert. Der Vorteil besteht vor allem darin, daß das gewünschte Umweltergebnis sicher vorherbestimmt werden kann; denn der Staat - oder die erwähnte Umweltbundesbank - gibt ja Umweltnutzungsrechte nur in dem für trag­ bar gehaltenen Gesamtumfang aus. Hier liegt auch der eindeutige Vorteil gegenüber den Umweltabgaben. Bei Umweltabgaben ist das Umwelt­ schutzergebnis nicht eindeutig prognostizierbar. Jede einzelne Region kann im übrigen die Umweltbelastung dadurch im Vergleich zu anderen Regionen senken, indem für die Region nur noch ein geringeres Volumen an Zertifikaten zur Verfügung gestellt wird.

Wie erwähnt, treten Unternehmen mit vergleichsweise günstigen Emissi­ onsminderungskosten als Anbieter auf, während Unternehmen mit un­ günstigem Kostenverlauf die Nachfrager sind. Das bedeutet aber, daß zu­ erst diejenigen Unternehmen, die geringe Vermeidungskosten haben, emissionsmindernde Maßnahmen ergreifen werden, während Unterneh­ men mit hohen Vermeidungskosten im Zweifel Zertifikate zukaufen wer­ den. Schon dieser Effekt der Marktsteuerung ist günstiger als das Verfah­ ren gleicher Vorgaben für jedes einzelne Unternehmen (Ordnungsrecht). Darüber hinaus lohnt es sich, Anstrengungen zu unternehmen, um die Vermeidungskosten durch den Einsatz technischer Neuerungen zu verrin­ gern. Dies gilt sowohl für diejenigen, die über Zertifikate verfugen und hierfür dann am Markt Verkaufserlöse erzielen, als auch für diejenigen Produzenten, die ansonsten neue Zertifikate erwerben müßten. Die Folge ist: Der umwelttechnische Fortschritt wird gefördert und es entsteht ein Markt für neue Umweltschutztechnologien. Dieser Markt ist nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer Sicht positiv zu bewerten, denn zum einen eröffnet er große Chancen für die Schaffung neuer Arbeitsplätze, zum andern wird er der Forderung nach qualitativem Wachstum gerecht. 85

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6.3.2 Probleme der Umsetzung Problematisch ist die Frage der Verteilung der Zertifikate. In Betracht kommt sowohl die Gratisverteilung als auch die Versteigerung (siehe hierzu auch das Beispiel im nachstehenden Textkasten). Orientiert man sich bei der Vergabe der Zertifikate an den zur Zeit bestehenden Emissionsbe­ lastungen, so bedeutet dies keineswegs, daß dadurch der Status quo fest­ geschrieben wird. Im Zeitablauf werden sich die Zertifikate auf die ein­ zelnen Emissionsquellen effizient verteilen. Zudem hat der Staat viel­ fältige Möglichkeiten, das Volumen der Emissionsrechte nachträglich zu reduzieren. Am einfachsten ist das Verfahren, daß die Behörde im Wege einer Offenmarktpolitik die Zertifikate wieder zurückkauft. Aber auch ei­ ne Abwertung kommt in Betracht. Das anfängliche Belastungsvolumen läßt sich so theoretisch vergleichsweise problemlos absenken. Je rascher die Entwertung der Zertifikate erfolgt, um so rascher wird die Umwelt­ belastung verringert. Die Umweltnutzungsrechte werden zunehmend knapper und damit teurer. Die Suche nach Lösungen zur Reduktion der Emissionen wird intensiviert. CO2-Lizenzen im Verkehrsbereich

Für den Verkehrsbereich wurde folgendes Zertifikatsmodell vorgeschlagen: Um den CO2-Ausstoß durch den motorisierten Individualverkehr zu begren­ zen, könnten für das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland (oder die EU) „Bürgerlizenzen“ ausgegeben werden. Sie geben den Bürgern das Recht, kostenlos eine bestimmte CO2-Menge - beispielsweise auf der Basis eines Mittelklassewagens für etwa 5000 km Fahrleistung - in die Atmosphäre zu emittieren. Der Wert könnte auf einer intelligenten Chip-Karte gespeichert und müßte mit dem Bordcomputer des Fahrzeuges, der eine Verbindung zum Abgassystem besitzt, beim Betrieb eingeführt werden. Ist die Karte vor Ablauf eines Jahres entwertet, so muß sie - will man weiterhin den Pkw be­ nutzen - „aufgefüllt“ (bzw. eine neue gekauft) werden. Der Preis würde sich nach Angebot und Nachfrage einstellen. Zum Ende des Jahres würde der Preis stark ansteigen, so daß die Emissionslizenz einer Rohstoffaktie vergleichbar wäre, für die auch Optionsgeschäfte möglich sind. Langfristig würde sich der Preis auf einem Niveau einpendeln, das den Vermeidungs­ oder Alternativkosten der Pkw-Nutzung entspricht. Gewerbliche Nutzer sollten die Lizenzen von Anfang an käuflich erwerben. Das Lizenzsystem würde bei allen Pkw-Nutzern einen Suchprozeß nach ef­ fizienteren Fahrzeugsystemen für bestimmte Transportzwecke auslösen und beispielsweise den Trend zu stärkeren Motoren mit höherer CO2-Emission bremsen bzw. die Entwicklung alternativer CO2-armer Antriebsarten forcie­ ren. Die Fahrten würden auf ihre Dringlichkeit hin hinterfragt und die Nutzung alternativer Verkehrsmittel (Fahrrad, Zufußgehen) gefördert. Quelle: Vgl. Blum, U. und F. Leibrand: Emissionsorientierte Wegekostenrechnung

mittels Umweltzertifikaten, Internationales Verkehrswesen 43 (1993)

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Bei der Abwertung treten allerdings verfassungsrechtliche Probleme auf: Im Grunde handelt es sich hierbei um einen enteignungsähnlichen Vor­ gang. Schwierig ist auch die Abgrenzung des Emissionsgebietes. Eine zu große Abgrenzung der „Glocke“ würde den Umweltbelastungen in der Region nur unzureichend Rechnung tragen und die ökologische Effizienz mindern; eine zu enge Abgrenzung des Gebietes würde den Markt für den Handel der Emissionszertifikate im Zweifel zu sehr einengen, mit der Folge, daß die Preisbildung nicht mehr Marktgesetzen folgt. Es gibt also einen latenten Konflikt zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen. Je kleiner die Regionen abgegrenzt werden, um so zielgenauer läßt sich die Umweltbelastung steuern, um so eher besteht aber die Gefahr, daß die Märkte nicht mehr funktionieren. Diskutiert werden auch Fragen des Mißbrauchs durch Monopolisierung und Marktmacht. Dieses Problem wird allerdings bei weit abgegrenzten Regionen kaum auftreten; bei eng abgegrenzten Emissionsgebieten ist es praktisch nicht relevant, da aus gehorteten Zertifikaten keine Gewinne gezogen werden können. Denn es gibt dann immer genügend Wettbewer­ ber, die dem betreffenden Unternehmen auf dem Absatzmarkt Konkur­ renz machen.

Ein weiteres Problem bildet der herrschende Stand der Technik. Zertifi­ kate können sinnvollerweise nur dann vom Staat bzw. der Behörde ange­ boten werden, wenn die technischen Voraussetzungen gegeben sind, um die Emissionen „herunterzufahren“. Dies ist etwa bei Schwefeldioxid machbar, nicht jedoch bei Kohlendioxid. Für Forschung und Entwicklung bedeutet dies einen Anreiz, entsprechende Lösungen zu erarbeiten und anzubieten. Sofern es derartige Lösungen gibt, sollten sie den potentiellen Anwendern in geeigneter Form bekanntgegeben bzw. zugänglich gemacht werden. Dies ist jedoch, wie das Beispiel der Emission von Stickoxiden (NOX) zeigt, nicht immer der Fall. Es existieren bereits Brenner für In­ dustrieöfen, die den NOx-Ausstoß um bis zu 99 % senken. Trotzdem scheint diese Innovation noch nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis genommen worden zu sein, denn es gibt bisher nirgendwo NOx-Zertifikate. Bei der Verbreitung von neuen Technologien können staatliche Einrichtungen den Wissenstransfer durchaus unterstützen. Zum Schluß ist vor einem weit verbreiteten Mißverständnis zu warnen: Auch das marktwirtschaftlichste Instrument - die Zertifikate - kommt nicht ohne Bürokratie aus. Die Emissionen müssen lückenlos kontrolliert und die Überschreitung der Rechte scharf sanktioniert werden. Ohne Sanktionen sind auch Zertifikate ein zahnloser Tiger.

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Ungeachtet dieser Probleme und ungeachtet der noch offenen Fragen han­ delt es sich bei den Umweltnutzungsrechten um eine interessante Variante der Um weit politik, die in der Praxis weiterentwickelt werden sollte. Als ausschließliches Instrument der Umweltpolitik kommen jedoch auch Zer­ tifikate nicht in Betracht. Die Anwendungsbedingungen der Zertifikate er­ scheinen dort am günstigsten, wo es nicht darum geht, akute Umweltbe­ lastungen zu mindern, sondern dort, wo es um die Minderung globaler Belastungen (z. B. die Minderung der treibhausrelevanten Spurengase) und um Mengensteuerung im Bereich geschlossener Systeme geht (beispiels­ weise bei Indirekteinleitern in das kommunale Abwasseranlagensystem). 6.3.3 Beispiele für Umweltzertifikate und zertifikatsähnliche Ansätze Das Zertifikatkonzept ist in seiner Reinform noch nie zur Anwendung ge­ kommen. Gleichwohl existieren zahlreiche interessante Versuche. So gibt es in der US-amerikanischen Luftreinhaltepolitik („Clean Air Act“) seit einigen Jahren Instrumente, die dem Zertifikatsmodell recht nahe kom­ men. Faktisch handelt es sich hierbei jedoch um Mischformen zwischen dem Ordnungsrecht und der Zertifikatslösung. Die Ausgestaltungen sollen im folgenden kurz skizziert werden:

• Das „bubble concept“ (Glockenkonzept): Es eröffnet die Möglichkeit zum beschränkten Austausch von Emissi­ onsrechten innerhalb eines bestimmten Unternehmens. Nach diesem Konzept ist es einem Unternehmen z. B. erlaubt, seine Gesamtemissi­ onsmenge in die Luft zu begrenzen, ohne daß für jede einzelne Emis­ sionsquelle bestimmte Obergrenzen eingehalten werden müssen. In den achtziger Jahren wurden mehr als 100 derartiger „bubble“-Trans­ aktionen genehmigt. Den Unternehmen ergibt sich damit die Möglich­ keit, die vorgegebenen Normen kostenminimal zu realisieren. • Das „emission discharge permit system“: Innerhalb einer Region werden Zonen gebildet, die eine bestimmte Menge an Emissionsrechten erhalten. Die Rechte können nur inner­ halb ein und derselben Zone gehandelt werden. Eine mögliche Variante ist hierbei das Leasing von Zertifikaten. Für eine bestimmte Zeitperiode nicht benötigte Verschmutzungsrechte können an andere (Energie-)Unternehmen verliehen werden, um sie bei Bedarf wieder zurückzu­ verlangen. Die Leasingvariante spielt vor allem für solche Anlagen ei­ ne Rolle, deren Stillegung in naher Zukunft bevorsteht. Werden die Grenzwerte generell gesenkt, so steht ein Unternehmen vor der Alter­ native, den Betrieb vorzeitig einzustellen oder teure Investitionen zur 88

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Schadstoffreduktion vorzunehmen, die allerdings nutzlos werden, so­ bald die Anlage regulär stillgelegt wird (sog. „versunkene Kosten“). Nach dem Leasingmodell kann dieses Unternehmen Schadstoffemissi­ onsrechte für die Zeit bis zur beabsichtigten Stillegung ausleihen, während die verleihenden Unternehmen vorzeitig in schadstoffärmere Technologien investieren. • Das „emission offset-concept“ (Ausgleichsstrategie), Hierbei können neue Emissionsquellen (z. B. Kraftwerke, Betriebe) in einer Belastungsregion nur dann in Betrieb genommen werden, wenn bereits existierende Emissionsquellen im gleichen Gebiet entsprechend reduziert werden. Dabei spielt es keine Rolle, welchem Unternehmen die neu hinzukommende und die zu schließende Quelle gehört. Das bedeutet, daß neue Unternehmen von bereits existierenden Emittenten Verschmutzungsrechte ankaufen müssen. Ein Unternehmen kann zu­ dem die Emission stärker drosseln als gefordert und die überschüssi­ gen Rechte aufbewahren (sog. „banking“). Dieser Markt ist derart leb­ haft, daß in Südkalifornien und in einigen anderen Regionen bereits Maklerunternehmen entstanden sind, die den Zertifikatehandel effizient abwickeln. • Das „undifferentiated discharge permit-system“: Die Emissionsrechte gelten für die gesamte Region und können ohne Beschränkung frei gehandelt werden.

• Das „emission reduction banking“: Dahinter verbirgt sich eine Vermittlungsstrategie durch Umweltbanken. Wer die eigene Emission freiwillig stärker drosselt als vorgeschrieben, erhält Emissionsgutschriften bei der regionalen Umweltbank. Auf die­ se Gutschriften kann man später entweder selbst zurückgreifen oder man kann sie an Dritte verkaufen oder verpachten.

Insgesamt berücksichtigt die US-amerikanische Umweltpolitik ökonomi­ sche Kriterien wesentlich stärker, als dies in vielen anderen Ländern der Fall ist. Bei der Suche nach neuen anreizorientierten Instrumenten neh­ men die USA eine Vorreiterrolle ein. Der Anwendungsbereich ist aller­ dings auch hier immer noch weitgehend auf die Luftreinhaltepolitik be­ grenzt. Umweltabgaben spielen bisher in der amerikanischen Umwelt­ politik faktisch keine Rolle. Zudem dominiert auch in den USA immer noch das Ordnungsrecht.

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Handel mit Umweltzertifikaten Erste Ansätze für den Handel mit Umweltnutzungsrechten zeigen sich in den USA. 1992 verkaufte ein Unternehmen aus dem Bereich Stromerzeugung in Wisconsin das Recht, 10 000 Tonnen Schwefeldioxid auszustoßen, für ca. 2,5 bis 3 Mio. Dollar an einen Elektrizitätsproduzenten in Tennessee. Dies wurde möglich, da die Gesellschaft in Wisconsin die saubersten Kohlekraft­ werke der Vereinigten Staaten betreibt. Für den Käufer ist diese Transaktion ebenfalls lohnend, da er Zeit für den Einbau moderner Vermeidungsanlagen gewinnt. Der Umfang des Handels mit Umweltzertifikaten ist in den USA beträcht­ lich: Vom Frühjahr 1994 bis zum Herbst 1995 wechselten an der Waren­ terminbörse in Chicago 32 Millionen Schadstoffgutscheine den Besitzer. Der Preis pro Tonne Schadstoffe belief sich an der Börse auf 130 Dollar. Pro­ gnostiziert wurden 2.000 Dollar, woraus die Anstrengungen der US-Firmen in Bezug auf Vermeidung von Schadstoffen deutlich werden. Auch international könnten Emissionszertifikate gehandelt werden. Länder mit geringen Pro-Kopf-Emissionen (z. B. Entwicklungsländer) könnten dann ihre Emissionsrechte an Länder mit überdurchschnittlichen Pro-KopfEmission (z. B. Industrieländer) verkaufen.

6.3.4 Fazit Mit dem Instrument der Umweltzertifikate kann ein vorgegebenes Um­ weltziel kostenminimal erreicht werden. Den Privaten wird nicht, wie bei der Abgabenlösung, Liquidität entzogen. Wegen seiner besseren ökologi­ schen Treffsicherheit ist es auch den Umweltabgaben vorzuziehen. Bei der Umsetzung des Zertifikatsmodells sind allerdings schwierige prakti­ sche Probleme zu überwinden. Auch das „marktwirtschaftlichste Instru­ ment“ der Umweltpolitik ist keineswegs bürokratiefrei. Es wird voraus­ sichtlich noch einige Zeit verstreichen, bis Zertifikate gesellschaftlich mehrheitsfähig sind. Die Vorstellung, daß zum Zweck der Umweltver­ schmutzung Rechte erworben werden könnten, ist bisher jedenfalls kaum konsensfähig.

6.4 Umwelthaftungsrecht als Internalisierungsstrategie 6.4.1 Der Grundgedanke Ebenfalls in Richtung marktwirtschaftliche Steuerung geht die Forderung nach dem Ausbau des Umwelthaftungsrechts. Um den unbeschränkten Zugriff auf die Umwelt und die damit verbundene Übernutzung einzu­ schränken, werden exklusive Eigentums- und Verfügungsrechte geschaf­ fen; mit deren Hilfe können die externen Kosten dem Verursacher aufge-

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bürdet werden. Risiken und Schäden sind somit nicht mehr auf Dritte ab­ wälzbar. Dabei werden zwei Haftungsregeln unterschieden:

• bei der Verschuldenshaftung liegt ein schuldhaftes (vorsätzliches oder fahrlässiges) Verhalten des Emittenten vor, das einen Schaden verur­ sacht; • bei der Gefährdungshaftung wird der Emittent von Schäden auch dann zu Ersatzleistungen herangezogen, wenn er mit verkehrsüblicher Sorgfalt gehandelt hat, d. h. keine Schuld an einem eingetretenen Schaden trägt. Über die Weiterentwicklung des Umwelthaftungsrechts wird insbesondere seit dem Brand bei der Chemiefirma Sandoz Anfang November 1986 dis­ kutiert. Auch das Umwelthaftungsrecht ist also - wie Abgaben und Zerti­ fikate - ein Konzept zur Internalisierung externer Effekte.

Die Opfer von Umweltschäden können nicht mehr entschädigungslos für die Inanspruchnahme ihrer Rechte enteignet werden. Müssen Unterneh­ men damit rechnen, für Schäden an der Umwelt und für Gesundheitsbe­ einträchtigungen zur Rechenschaft gezogen zu werden, so ergibt sich dar­ aus ein Anreiz, die Umweltverträglichkeit von Produktionsverfahren oder Produkten vorher zu überprüfen. Dies ist besonders für neue Ver­ fahren und Stoffe von Bedeutung. Das Umwelthaftungsrecht könnte also dazu beitragen, daß die in der Öffentlichkeit diskutierte Technologiefol­ genabschätzung von den Unternehmen selbst vor Einführung der neuen Verfahren oder Produkte durchgeführt wird. Die Konsequenzen können im Unterlassen der risikobehafteten Tätigkeit, in risikomindernden Eigen­ maßnahmen und/oder in Risikoübertragungen auf Versicherungen liegen. Die Belastung umweltgefährlicher Produktionsprozesse mit einer strengen Gefährdungshaftung verteuert allerdings die Produkte am Markt; auch bei diesem Ansatz hat also die Verbesserung der Umwelt ihren Preis. Die entscheidende Anreizwirkung besteht darin, daß es im wirtschaftli­ chen Interesse der Unternehmen liegt, durch Vorsorgemaßnahmen die finanziellen Risiken von Ersatzansprüchen zu vermindern. Strengere Haf­ tungsvorschriften entlasten zugleich den Staat vom Erlaß immer neuer detaillierter Umweltschutzvorschriften. Die Internalisierung der Kosten der Risiken und Schäden ergibt sich auch dann, wenn die Risikoabsiche­ rung seitens einer Versicherung erfolgt. Hohe Risiken werden dann mit hohen, geringere Risiken mit geringeren Versicherungsbeiträgen belegt. Zudem übernimmt die Versicherung quasi stellvertretend für den Staat die Risikobewertung. Gleichwohl ist zu beachten, daß die Sorgfaltsüber­

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legungen der Unternehmen abnehmen können, wenn Ersatzleistungen auf eine Versicherung abgewälzt werden. 6.4.2 Obligatorische Pflichtversicherungen

In der Diskussion ist insbesondere die Einführung einer obligatorischen Pflichtversicherung für besonders schwerwiegende Anlagenrisiken wie chemische Fabriken oder Atomkraftwerke. Eine flächendeckende Um­ welthaftung kommt allerdings kaum in Betracht. Das Haftungsrecht ist auch keine Lösung für sich langsam aufschaukelnde Summations- oder Distanzschäden (etwa Waldschäden), da es an eindeutigen VerursacherWirkungs-Zusammenhängen fehlt. Die Fälle, in denen sich ein Schaden zweifelsfrei seinem Verursacher zuordnen läßt, sind gerade bei Umwelt­ problemen rar. So kann es vorkommen, daß ein Störfall nicht entdeckt und der Verursacher dafür nicht verantwortlich gemacht wird.

Besonders schwierig wird der Nachweis vor allem bei kontinuierlichen Emissionen; hier verursachen im allgemeinen unzählige Emittenten den Ausstoß vieler Schadstoffe, die sowohl isoliert als auch in ihrem Zusam­ menwirken zu Schäden bei Mensch und Umwelt führen. Für die meisten Schäden kommt eine Fülle von Verursachern in Betracht. Eindeutig ist der Fall noch dort, wo eine Chemiefirma Giftstoffe in ein Gewässer ein­ leitet und daraufhin alle Fische sterben. Schwieriger wird es beim Wald­ sterben, und praktisch unlösbar ist das Zurechnungsproblem bei Erkran­ kungen wie Krebs, wo unterschiedliche Faktoren in wissenschaftlich noch nicht eindeutig erforschter Weise die Krankheit auslösen. 6.4.3 Kausalität und Beweislast

Im allgemeinen bestehen Zusammenhänge zwischen Emissionen und Schäden nur in statistisch feststellbarer Weise. So erhöht sich beispiels­ weise das Krebsrisko mit zunehmender Nähe zu einer bestimmten Indu­ strieansiedlung um eine bestimmte Zahl von Prozentpunkten. In solchen Fällen spielt die Form der Haftungsregelung eine besondere Rolle. Liegt die Beweislast beim Erkrankten, so hat er kaum Aussicht auf den Nach­ weis, daß gerade seine Krankheit von einer bestimmten Emission verur­ sacht worden ist. Liegt umgekehrt der Nachweis beim Emittenten, so dürfte dieser sich schwer tun, das Gericht zu überzeugen, daß seine Emis­ sion für diese Krankheit nicht verantwortlich ist. Der Gesetzgeber segelt hier also zwischen der „Scylla“ der Unterhaftung und der „Charybdis“ der Überhaftung. Ein möglicher Ausweg wäre die

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Proportionalhaftung: Bei einer z. B. fünfprozentigen Erhöhung der Erkran­ kungswahrscheinlichkeit durch eine bestimmte Emission hätte der Er­ krankte einen Anspruch an den Emittenten auf Ersatz von 5 Prozent des Schadens.

Eine Möglichkeit, das Problem des Kausalitätsnachweises zu umschiffen, ist die Fondslösung: In besonders belasteten Gebieten, in denen Um­ welterkrankungen gehäuft auftreten, werden bestimmte Krankheitsbilder definiert. Wer an einer dieser Krankheiten leidet, muß seine Krankheit nur anmelden und sich ärztlich untersuchen lassen. Entsprechend der Schwere der Erkrankung erhält er dann eine Kompensation. Die Zahlun­ gen erfolgen aus einem Fonds, in den die ansässigen Unternehmen ent­ sprechend der Höhe ihrer Emissionen einzahlen, und in den auch noch ein Teil der Kfz-Steuer einfließt. Der „Kausalitätsnachweis“ wird also durch die statistische Wahrscheinlichkeit zwischen Luftverschmutzung und Gesundheitschädigung ersetzt. Im Grunde zahlen also die Emittenten eine Emissionsabgabe, deren Aufkommen für die Regulierung der Schadens­ fälle zweckgebunden ist. Die Wirkungen sind daher denen einer Um­ weltsonderabgabe vergleichbar.

6.4.4 Japanische Erfahrungen Diese Fondslösung wird in Japan praktiziert. In diesem Land zeigt sich in besonderem Maße die Bedeutung der Umwelthaftung für die Weiterent­ wicklung der Umweltpolitik. Vier große Umweltschutzprozesse haben dort in den 60er Jahren zur Kehrtwende der japanischen Umweltpolitik geführt - und zwar sowohl bei den Unternehmen als auch in der Politik. Die japanischen Gerichte hatten damals revolutionäre Rechtsprinzipien entwickelt. Hierzu gehören

• die Anwendung eines statistischen anstelle des naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises; • die Einführung des Prinzips der Gefährdungshaftung, also das Absehen von Verschulden oder Fahrlässigkeit;

• die Anerkennung einer gesamtschuldnerischen Haftung anstelle des Prinzips der Einzelhaftung jedes Verursachers; • das Prinzip der Beweislastumkehr, das eine weitgehende Erleichterung der Beweislast der Geschädigten zur Folge hat;

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MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

• das Prinzip der Vorsorge, das strenge Sorgfaltsanforderungen auch bei nur abstrakten Gefahren vorschreibt.

Japan ist heute immer noch das einzige Land, das ein umfassendes, durch ein Spezialgesetz geregeltes, Entschädigungssystem für Gesundheitsschä­ den hat, die durch Umweltverschmutzung verursacht werden. Das Gesetz sieht vor, daß für bestimmte Gesundheitsbeeinträchtigungen Entschädi­ gungen zu zahlen sind; dabei ist die Höhe der Zahlungen nach der Schwe­ re der Beeinträchtigung gestaffelt. Auf dieser Grundlage erhielten 1988 über 103.000 Personen Entschädigungszahlungen (darunter 101.000 we­ gen Erkrankungen der Atemwege). Den größten Teil der Kosten haben die Industriebetriebe zu tragen. Sie müssen mit einer Abgabe, die sich nach der Höhe des Schwefeldioxidausstosses richtet, einen Fonds speisen, aus dem die Entschädigungen gezahlt werden. Das Gesetz ist 1988 der­ gestalt geändert worden, daß nur noch die bereits anerkannten Umwelt­ opfer Entschädigungen erhalten. Die Fondsmittel werden seither vor allem dazu verwandt, präventive Umweltschutzmaßnahmen zu finanzieren.

6.4.5 Das deutsche Umwelthaftungsrecht Am 1.1.1991 trat auch in der Bundesrepublik eine umweltrechtliche Re­ gelung in Kraft: Das Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG). Durch die Einführung dieses Gesetzes wird zwar keine umfassende Gefährdungshaf­ tung realisiert, doch sind für bestimmte Bereiche weitergehende Haf­ tungsregeln eingeführt worden. Grundsätzliches zur Frage der Haftung im Falle einer Schädigung bietet das Bürgerliche Gesetzbuch, insbesondere § 823 BGB. Hier ist die Ver­ schuldungshaftung geregelt: Schädigt ein Individuum ein anderes, so ist nur dann mit einer Entschädigung zu rechnen, wenn der Schädiger vor­ sätzlich oder fahrlässig eine Rechtsnorm verletzt hat. Umgekehrt muß der Schädiger nicht automatisch haften, wenn keine Verletzung einer Rechts­ norm vorliegt. Übertragen auf die Umweltpolitik bedeutet dies, daß bei­ spielsweise der Betreiber einer nicht genehmigten Anlage für Schäden haften muß. Arbeitet die Anlage dagegen mit einer Betriebserlaubnis, so muß der Betreiber nicht für entstehende Schäden aufkommen.

Das Umwelthaftungsgesetz erweitert nun die im BGB geregelte Verschul­ dungshaftung um die Gefährdungshaftung. § 1 UmweltHG regelt die (verschuldensunabhängige) Gefährdungshaftung für Schäden, die durch eine - im Gesetz genauer bestimmte - Anlage entstehen. Die Haftung er­ streckt sich auf Personen und Sachen. Eine Gefährdungshaftung für öko­ logische Schäden wurde mit dem UmweltHG nicht eingeführt. Gestärkt 94

MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

wurde die Stellung des Geschädigten bezüglich der Beweislast; gelockert wurden zudem die Anforderungen an den Kausalitätsnachweis. Sobald ei­ ne Anlage geeignet ist, den aufgetretenen Schaden zu verursachen, wird vermutet, daß der Schaden durch diese Anlage entstanden ist (vgl. § 6 UmweltHG). Das Gesetz sieht weiter vor, daß Betreiber von bestimmten Anlagen sich um eine Deckungsvorsorge kümmern müssen (vgl. § 19 UmweltHG), damit sie ihren gesetzlichen Verpflichtungen, die durch ei­ nen Schaden entstehen können, im Notfall auch nachkommen können. § 15 UmweltHG sieht allerdings eine Haftungshöchstgrenze vor, welche die Unternehmen vor dem wirtschaftlichen Ruin schützen soll. Auch wenn die Regeln des neuen Umwelthaftungsgesetzes nicht der Ideal­ lösung entsprechen, so kann man dennoch feststellen, daß mit diesem Ge­ setz in der Bundesrepublik ein wichtiger Schritt in Richtung einer markt­ wirtschaftlichen Umwelthaftungspolitik getan wurde. Es bleibt abzu­ warten, welche Erfahrungen man mit den neuen gesetzlichen Regelungen macht und inwieweit es gelingt, Umweltschäden zu vermeiden und exter­ ne Effekte zu internalisieren.

6.4.6 Fazit Die Verbesserung des Umwelthaftungsrechts, in Verbindung mit einer Haftpflichtversicherung für die Unternehmen, ist ein geeignetes Instru­ ment der Umweltpolitik. Unternehmen werden gezwungen, die Risiken und Kosten ihrer Produktion zu berücksichtigen. Risiken können nicht mehr ohne weiteres auf andere Wirtschaftssubjekte abgewälzt werden. Das Umwelthaftungsrecht dient also der Internalisierung externer Ef­ fekte. Diese Internalisierung erfolgt marktkonform und läßt den Wirt­ schaftssubjekten Spielraum für ihre Entscheidungen.

6.5 Weitere Instrumente der Umweltpolitik 6.5.1 Moral suasion und Umweltbewußtsein Bisher wurden Instrumente der Umweltpolitik dargestellt, die einen Ein­ griff des Staates ins Wirtschaftsgeschehen erforderlich machen. Sei es die Verhängung von Auflagen, die Erhebung einer Abgabe, die Vergabe von Zertifikaten oder die Änderung der Haftungsregeln. Diese Maßnahmen unterscheiden sich im Ausmaß des staatlichen Eingriffs sehr stark. Steu­ ern, Sonderabgaben, Zertifikate und Haftungsregeln geben für marktwirt­ schaftliche Anpassungsprozesse einen großen Spielraum. Der Staat setzt nur einen mehr oder weniger engen umweltpolitischen Ordnungsrahmen,

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MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

innerhalb dessen die Unternehmen und Konsumenten ihr Verhalten anpas­ sen können. Wichtig ist dabei, daß die Betroffenen bei ihrer Anpassung an diese Daten ihre individuellen Kosten ins Kalkül einbeziehen. Dadurch wird erreicht, daß ein vorgegebenes ökologisches Ziel kostenoptimal er­ reicht wird. Auflagen schränken dagegen die Handlungsfreiheit der Wirt­ schaftssubjekte umfassend ein, so daß die sich ergebenden Lösungen öko­ nomisch wenig effizient sind.

Ein Instrument, das den Wirtschaftssubjekten totale Handlungsfreiheit ge­ währt, ist die sog. „moral suasion66. Hierbei wird versucht, an die Ver­ nunft und die Einsicht der Wirtschaftssubjekte zu appellieren. Dies erfor­ dert eine umfassende Informationsarbeit, im Rahmen derer die Bürger über die Konsequenzen ihres Verhaltens aufgeklärt werden. Ein Beispiel sind Aufrufe zum Energiesparen. Fallen sie auf fruchtbaren Boden, so tragen sie zur Verringerung des Verbrauchs an Ressourcen und der Ver­ minderung der CO2-Emissionen bei. Aber nicht nur die Bereitstellung von Informationen, sondern auch das aktive umweltgerechte Verhalten von staatlichen Einrichtungen gehört in diesen Bereich. Ein Beispiel dafür, wie der Staat seiner Vorbildfunktion gerecht werden kann, ist die staatliche Be­ schaffungspolitik: Hier sorgt die Anschaffung umweltgerechter Produkte für die Glaubwürdigkeit der Träger umweltpolitischer Entscheidungen.

Moral suasion versucht Überzeugungsarbeit zu leisten und dadurch das menschliche Verhalten zu ändern. Umwelterziehung ist daher ein nicht zu unterschätzendes Aufgabenfeld der Umweltpolitik. In der Realität ist aber feststellbar, daß sich Verhaltensweisen nicht von heute auf morgen ändern. Dies gilt insbesondere dann, wenn mit dieser Änderung unange­ nehme Anpassungen einhergehen. Im Unterschied zum Autofahrer muß sich der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs an die festen Zeiten der Fahrpläne halten und kann nicht losfahren, wann er will. Solche ver­ gleichsweise unbequemen Aktionen scheinen dem einzelnen Individuum nur Kosten zu bereiten (Zeitverlust, Stehen in der S-Bahn etc.). Dem sind jedoch objektiverweise auch Vorteile gegenüberzustellen: So verringert die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel das Unfallrisiko und die An­ spannung des Autofahrens, die Zeit beim S-Bahn-Fahren kann zum Lesen oder Entspannen genutzt werden, die Verwendung eines Fahrrades dient der Gesundheit. Die „ökologischen Erträge“ seiner Handlungsweise sieht das Individuum in der Regel jedoch nicht direkt, da sein Anteil zur Ge­ samtwirkung nicht deutlich wird. Gleichwohl müssen die Träger der Umweltpolitik aufzeigen, daß letztlich nur die Änderung des individuellen Verhaltens entscheidend zur Ver­ besserung unserer Umwelt beitragen kann. Betrachtet man die vergange-

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MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

nen zwanzig Jahre, so zeigt sich, daß eine Änderung des Verhaltens ein­ gesetzt hat, auch ohne daß staatliche Eingriffe notwendig waren. So be­ weist die jüngere Generation mit Aktionen in Schulen usw. in zunehmen­ dem Maße ein gestiegenes Umweltbewußtsein. Ein eindrucksvolles Beispiel für die gestiegene Sensibilität in Umweltfragen liefert auch die von Shell geplante Versenkung der Ölplattform „Brent Spar“ in der Nordsee. Dieser Plan sollte im Juni 1995 realisiert werden; er wurde aber aufgrund massiver Verbraucherboykotte im letzten Augenblick von der englischen Shell-Zentrale aufgegeben. Allerdings zeigte sich im nachhin­ ein, daß die Vorwürfe von Greenpeace, die Plattform sei mit großen Schadstoffmengen belastet, nicht zutrafen.

Das Beispiel von Shell macht deutlich, daß unternehmerische Entschei­ dungen zunehmend ökologisch verträglich sein müssen. Dieser Gedanke steht auch hinter dem sog. „Umwelt-Audit“. Es ist Gegenstand einer EG-Verordnung aus dem Jahre 1993; sie soll noch im Herbst 1995 in bundesdeutsches Recht umgesetzt werden. Gegenstand der Verordnung ist eine „freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Ge­ meinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebs­ prüfung“. Das umweltorientierte Wirtschaften eines Unternehmens wird durch unabhängige Umweltgutacher zertifiziert. Ein Unternehmen ohne Öko-Audit muß mit Wettbewerbsnachteilen bzw. Imageverlust rechnen, so daß die Zertifizierung schon bald zu einem „freiwilligen Zwang“ wer­ den könnte. Das Umweltbewußtsein ist allerdings von Land zu Land immer noch stark unterschiedlich. Im übrigen sind in einer modernen Demokratie eine entsprechende Bewußtseinsbildung bei den breiten Massen sowie ein ent­ sprechendes staatliches Handeln immer mehr die notwendige Vorausset­ zung für die politische Durchsetzung umweltpolitischer Maßnahmen. 6.5.2 Umweltschutz auf kommunaler Ebene

Umweltpolitik ist in erster Linie Sache des Staates. Dabei denkt man zu­ erst an Maßnahmen, die auf der „obersten Ebene“ ergriffen werden. Um­ weltschutz können aber sehr wohl auch „untere“ Ebenen eines Staatswe­ sens betreiben. Ein Beispiel für örtlichen Umweltschutz sind die in Japan praktizierten direkten Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Kommu­ nen und Umweltschutzverbänden. Das umweitpolitische System läßt Kommunalbehörden und Bürgergruppen einen weiten Spielraum für pri­ vatrechtliche Vereinbarungen über Umweltschutzmaßnahmen. Die verein­ barten Regelungen gehen oft über die gesetzlichen Anforderungen hinaus. 97

MARKTWIRTSCHAFTLICHE ANREIZINSTRUMENTE DER UMWELTPOLITIK

In Japan haben sich derartige Vereinbarungen als das wirksamste Instru­ ment zur Intensivierung des Umweltschutzes erwiesen. Derzeit gibt es etwa 30.000 derartiger Vereinbarungen auf regionaler Ebene. Umwelt­ schutzvereinbarungen erweisen sich als ein geeignetes Instrument, um internationale bzw. nationale Umweltstandards gegebenenfalls orts- und bürgernah zu verschärfen. In dieser Hinsicht sind kommunale Vereinba­ rungen Ausdruck einer dezentralen „Umweltpolitik vor Ort“. Daran zeigt sich zudem, daß einheitliche Standards keineswegs das letzte Wort der Umweltpolitik sein müssen. Diese Lehre gilt es auch auf die europäi­ sche Umweltpolitik zu übertragen.

98

7.

Gesamtwirtschaftliche Dimensionen des Umweltproblems

Lange Zeit tauchte im allgemeinen Sprachgebrauch das Wort „Umwelt“ so gut wie gar nicht auf. Das galt auch für die Wirtschaftswissenschaften. Erst die in den siebziger Jahren erschienene bekannte Studie des Club of Rome rüttelte die Öffentlichkeit bezüglich des Umweltproblems wach. Seitdem befassen sich auch die Wirtschaftswissenschaften verstärkt mit der Rolle der Umwelt in mikroökonomischer und makroökonomischer Hinsicht. Die diesbezüglichen Erkenntnisse und Ergebnisse bilden den Inhalt dieses Abschnitts. Zunächst wird auf die Notwendigkeit der Um­ weltberichterstattung sowie auf die dabei auftretenden Erhebungsschwie­ rigkeiten eingegangen. Sodann gilt das Interesse der Frage, welches Ver­ hältnis zwischen dem Umweltziel und den Zielen des magischen Vierecks der Wirtschaftspolitik besteht. Den Abschluß bilden einige Überlegungen zum Thema „Umwelt und Standortqualität“.

7.1

Umweltinformationssysteme

7.1.1 Notwendigkeit der Umweltberichterstattung Die Entwicklung eines Umweltbewußtseins sowie die Ansatzpunkte und die Erfolgskontrolle der Umweltpolitik hängen wesentlich davon ab, wel­ che Informationen aus dem Bereich Umwelt zur Verfügung stehen. Um­ weltschädigungen müssen ebenso transparent gemacht werden wie staatli­ che sowie private Maßnahmen zu ihrer Beseitigung. Der Ausbau der Umweltberichterstattung ist daher nachdrücklich zu empfehlen.

Ein Paradebeispiel hierfür bildet die japanische Umweltpolitik. Ihre Er­ folge sind nicht ohne ein hochmodernes Umweltinformationssystem denkbar. Mit der Erhebung, Verarbeitung und Veröffentlichung umwelt­ bezogener Daten - einschließlich Informationen über Schäden an Gesund­ heit und Natur - wurde schon Ende der sechziger Jahre begonnen. Ge­ genwärtig ist das japanische Umweltinformationssystem für die Bereiche Luft und Gewässer in Art und Umfang wohl einmalig in der Welt.

An dem Ausbau des Umweltinformationssystems hatten in Japan auch die Unternehmen ein erhebliches Interesse. Es ging ihnen darum, ihre An­ strengungen zur Verminderung der Umweltbelastungen anhand glaub­ würdiger Daten nachweisen zu können. Zur Zeit sind etwa 2.000 Luftgü­ te-Meßstationen kontinuierlich in Betrieb. Die automatisierte Erfassung der Umweltdaten erfolgt zum Teil direkt an den Emissionsquellen im In99

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

dustrie- und Kraftwerksbereich. Die Daten werden laufend veröffentlicht. Einige Städte publizieren zudem sog. Verschmutzerlisten; sie enthalten Angaben zur Umweltbelastung durch namentlich aufgeführte Emittenten. Die weitgehende Offenlegung umweltbezogener Informationen hat die Position der Bürger bezüglich ihres Einflusses auf Umweltschutzmaß­ nahmen entscheidend gestärkt. Nachteilig wirkte sich diese umweltpoliti­ sche Strategie allein für Unternehmen mit geringen Umweltschutzleistun­ gen aus. Unternehmen mit positiver Umweltschutzbilanz werden durch das System sogar begünstigt, denn ihre Leistungen werden öffentlich und tragen so zur Bildung eines positiven Umweltschutzimages bei. Die wirt­ schaftliche Bedeutung dieses Images beziehen japanische Unternehmen längst in ihr Unternehmenskalkül ein.

Auch in Deutschland ist eine Zunahme der Bekanntgabe umweltrelevanter Daten zu konstatieren. Dies gilt insbesondere für die Luftqualität. In Ta­ geszeitungen, über BTX oder Videotext werden beispielsweise aktuelle Daten über Schadstoffe veröffentlicht; in Geschäftsstraßen großer Städte finden sich Anzeigetafeln mit aktuellen Meßdaten. Dabei finden in der Öffentlichkeit die Ozonwerte besondere Beachtung. Derartige Angaben sind zwar für die Bürger von großem Interesse, sie stellen aber nur einen kleinen Ausschnitt aus dem komplexen Umweltproblem dar. Dessen volkswirtschaftliche Dimension ist nur sehr schwer zu erfassen. Auf die­ sen Aspekt wird im folgenden genauer eingegangen.

7.1.2 Erweiterung der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

Als traditionelles Maß für den Wohlstand eines Landes galt lange Zeit das Sozialprodukt bzw. das Inlandsprodukt. Es spiegelt die Wirtschaftslei­ stung der Bewohner einer Volkswirtschaft in Gestalt der erstellten Pro­ duktion bzw. des dabei verdienten Einkommens wider. In letzter Zeit fin­ det in der Öffentlichkeit anstelle des Sozialprodukts das Inlandsprodukt zunehmend Beachtung; in ihm kommt die Wirtschaftskraft einer Region zum Ausdruck. Die Unterschiede zwischen diesen beiden volkswirt­ schaftlichen Schlüsselgrößen beruhen auf dem Saldo der Erwerbs- und Vermögenseinkünfte zwischen Inländern und Ausländern; ein Beispiel hierfür bilden Grenzgänger, die zur Produktion im Ausland beitragen, de­ ren Einkommen aber in das Inland fließt. Für Deutschland ist der zah­ lenmäßige Unterschied zwischen den beiden Aggregaten vernachlässigbar klein; deshalb wird im folgenden die begriffliche Unterscheidung zwi­ schen Sozialprodukt und Inlandsprodukt vernachlässigt. Bereinigt man die zu laufenden Preisen bewertete gesamtwirtschaftliche Produktionsleistung (nominelles Sozialprodukt) um die Preissteigerungen, schaltet man also die 100

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Inflation aus, so ergibt sich das reale Sozialprodukt. Dessen Niveau wird gemeinhin als Wohlstandsindikator einer Volkswirtschaft interpretiert.

Diese Schlußfolgerung ist seit Ende der sechziger Jahre zunehmend kriti­ siert worden. Die Interpretation des Sozialproduktes als Wohlstandsindi­ kator wird in verschiedenerlei Hinsicht bezweifelt. Genannt werden vor allem folgende Punkte, die im Sozialprodukt nicht bzw. unzutreffend be­ rücksichtigt sind:

• Bevölkerungsgröße (aber: Pro-Kopf-Einkommen), • Einkommensverteilung, • Zusammensetzung des Gesamtprodukts, • Eigenleistungen (Hausfrauenarbeit, Do-it-yourself),

• Schattenwirtschaftliche Aktivitäten, • Bewertung staatlicher Leistungen nach dem Kostenwertprinzip, • Freizeit, • Umwelt. Der letzte Punkt macht besonders deutlich, worin ein Kernproblem des Sozialprodukts liegt: Es verwendet einen stark verengten Wohlstandsbe­ griff. Das Sozialprodukt berücksichtigt nur den materiellen Wohlstand im Sinne der Güterversorgung (Waren und Dienstleistungen), nicht aber die weiter zu verstehende Wohlfahrt. Diese geht über die bloße Güterver­ sorgung hinaus und enthält Faktoren, die im Sozial- bzw. Inlandsprodukt nicht enthalten sind. Ebenso sind zwar bestimmte Komponenten im So­ zial- bzw. Inlandsprodukt enthalten, sie gelten jedoch nicht als wohl­ fahrtsrelevant bzw. deren Erfassung ist für Wohlfahrtssüberlegungen falsch.

All diese Kritikpunkte hängen letztlich mit der mangelhaften Erfassung der Umwelt im Sozial- bzw. Inlandsprodukt zusammen. So kann bei­ spielsweise die Transportleistung in der Wirtschaft durch Einsatz von immer mehr Energie gesteigert werden. Dadurch kommt es zu einem Anstieg des Sozialprodukts (Einkommen von Spediteuren oder Taxifah­ rern) und damit des materiellen Wohlergehens. Falls sich dabei jedoch die Luftqualität zunehmend verschlechtert, können z. B. bestimmte Sport­ arten nicht mehr ausgeübt werden, was sich negativ auf die (weiter ver­ standene) Wohlfahrt auswirkt. Obwohl also der (traditionell definierte) Wohlstand zunimmt, verschlechtert sich möglicherweise die Wohlfahrt.

101

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Häufig sind mit der Produktionstätigkeit und damit der Erstellung des Sozialprodukts Umweltschäden verbunden. Diese gehen aber nicht in das Sozialprodukt ein, d. h. der Werteverzehr an dem Gut „Umwelt“ bzw. „Natur“ wird nicht erfaßt und ist damit nach traditionellem Verständnis weder Sozialprodukts- noch wohlfahrtsmindernd. Auch eine mit der Pro­ duktion einhergehende Lärmbelästigung oder Gesundheitsminderung re­ duziert den Wert des Sozialprodukts nicht, obwohl von all diesen Einflüs­ sen eine Minderung der Wohlfahrt ausgeht.

Ein weiteres Beispiel für die Unzulänglichkeit des Sozialprodukts bilden Aufwendungen für die Umwelt (sog. „defensive Ausgaben“)- Werden Umweltschäden beseitigt, Kläranlagen oder Lärmschutzwälle gebaut bzw. Aufwendungen für die Gesundheit getätigt, so sind dies Produktionslei­ stungen, bei denen Einkommen entsteht. Folglich steigt das Sozial- bzw. Inlandsprodukt an. Es ist jedoch fraglich, ob durch solche Maßnahmen eine (teilweise) Kompensation der ursprünglichen Wohlfahrtseinbußen er­ folgt. Das traditionelle Sozialproduktsmaß ist daher nicht geeignet, um die posi­ tiven und negativen ökologischen Wohlfahrtseffekte in einem Land wie­ derzugeben. Es erfaßt lediglich die zu Marktpreisen bewerteten, am Markt nachgefragten Waren und Dienstleistungen, unabhängig von ihrem Wohlfahrtseffekt. Zwar mag dieses traditionelle Maß der Volkswirt­ schaftslehre für die Konjunkturanalyse recht gut geeignet sein, als Wohl­ fahrtsindikator taugt das Sozialprodukt bzw. Inlandsprodukt dagegen nicht.

In den letzten Jahren sind vielfältige Versuche unternommen worden, die Wohlfahrtsentwicklung eines Landes besser zu erfassen. Die Forschungen weisen dabei in zwei Richtungen: • Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung • Entwicklung von „Satellitensystemen“.

Das Ziel der Revision der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung ist es, die traditionelle Sozialproduktberechnung „ökologisch“ zu korrigie­ ren. Dies soll durch eine adäquate Erfassung und Bewertung umweltrele­ vanter Sachverhalte geschehen. Letztlich zielen diese Korrekturansätze auf die Ermittlung eines „Netto-Wohlfahrtsprodukts“ oder eines „Öko­ sozialprodukts“ ab. Bei letzterem erfolgt die Korrektur des Sozialpro­ duktes dahingehend, daß vom Sozialprodukt die Wertminderung des natürlichen Kapitals („Naturvermögen“) abgezogen wird (Abbau von Ressourcen, Verschlechterung der Umweltqualität). Bisher scheiterten 102

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

diese Revisionsansätze jedoch vor allem an Bewertungs- und Erfassungs­ problemen, z. B. an fehlenden (Markt-)Preisen für sauberes Wasser oder saubere Luft; es fehlt bisher eine „ökologische Währung“. Die praktische Statistik geht zur Zeit einen anderen Weg: Sie versucht nicht, das traditionelle Sozialproduktsmaß durch ein Ökosozialprodukt zu ersetzen, sondern ergänzt die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung um Aussagen bezüglich einer Veränderung der Umweltqualität. Hierzu wer­ den zur Zeit sog. „Satellitensysteme zu den Volkswirtschaftlichen Ge­ samtrechnungen“ erarbeitet; sie beziehen auch die Umwelt als Teilge­ biet ein. Mit diesen ergänzenden Satellitensystemen wird das Ziel ver­ folgt, Angaben zu bestimmten, gesellschaftlich wichtigen Informations­ feldern zusammenzustellen. Hierzu zählen nicht nur die Umwelt, sondern auch Bereiche wie das Gesundheitswesen, das Ausbildungssystem oder die Forschungsaktivitäten.

Ende der 80er Jahre beschloß das Statistische Bundesamt, das Satelliten­ system „Umwelt“ zu einer „Umweltökonomischen Gesamtrechnung“ (UGR) auszubauen. Ausgangspunkt der UGR ist die Erkenntnis, daß die Natur ein Produktionsfaktor ist, dessen Knappheit in einer wirtschaftli­ chen Bilanz berücksichtigt werden muß. Ziel ist die Erfassung von Ver­ änderungen im Naturvermögen, die durch wirtschaftliche Tätigkeiten ausgelöst wurden. Es sollen Abschreibungen auf die Natur kalkuliert werden, wie dies beim Sachkapital üblich ist. Die UGR soll zeigen, wel­ che natürlichen Ressourcen durch wirtschaftliche Aktivitäten beansprucht, verbraucht, entwertet oder zerstört werden. Es wird also der Versuch unternommen, die in der Sozialproduktberechnung nicht berücksichtigten externen Effekte von Produktion und Konsum auf die Umwelt quantitativ zu erfassen. Als generelles Leitbild dient dem Statistischen Bundesamt dabei die - bereits an früherer Stelle erörterte - „nachhaltige Entwick­ lung“ (sustainable development).

Die UGR geht das Umweltproblem in drei konzeptionellen Schritten an: • Diagnose (Umweltzustand)

• Ursachen (Entstehung der Umweltbelastungsströme und Flächennut­ zungen) • Therapie (Umweltschutzmaßnahmen, sowohl nachsorgend als auch prä­ ventiv) Für diese drei Kategorien sind statistische Daten bereitzustellen. Die ge­ naue inhaltliche Struktur der UGR des Statistischen Bundesamtes ist in Abbildung 7.1 dargestellt.

103

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Belastung

Zustand

Material- und Energie­ flußrechnungen Rohstoffverbrauch Emittentenstruktur Themenbereich 1

Umweltschutz

Maßnahmen des Umweltschutzes Investitionen Ausgaben

Themenbereich 4

Nutzung von Fläch und Raum

Indikatoren des Umweltzustands

unterstellte Vermeidungskosten zur Erreichung eines Standards

Themenbereich 2

Themenbereich 3

Themenbereich 5

Ausgaben für UmweltSanierungsmaßnahmen minus Abschreibung

Netto-Veränderung des Naturvermögens

UGR-Darstellungsbereich

Standards für zulässige/tolerierte Umweltbelastungen

Gesamtrechnungs­ methoden

Geographisches Informationssystem

Indikatoren

Wie die unterschiedlichen Symbole andeuten, sind die verschiedenen Themenbereiche jeweils durch eine ihnen eigene charakteristische Methode gekennzeichnet: In den Themenbereichen 1, 4 und 5 werden Wirtschaftsstatistiken und Gesamtrechnungsmethoden angewandt, um die von den Wirt­ schaftssektoren verursachten Stoffströme sowie die getroffenen Umweltschutzmaßnahmen zu bilan­ zieren. Themenbereich 2 befaßt sich mit den Belastungen, die nicht stofflicher Art sind, sondern auf einer geänderten Nutzungsverteilung des Raumes, auf physikalischen Eingriffen usw. beruhen; me­ thodische Instrumente sind Fernerkundung und Geoinformationssysteme. Im Themenbereich 3 be­ steht die Aufgabe im wesentlichen darin, die räumlich und inhaltlich isolierten Meß- und Beobach­ tungsdaten zu geeigneten Indikatoren zu verdichten; aufbauend auf Themenbereich 2 wird eine Flächenstichprobe mit dem Ziel von ÖkoindikatorenZ-indizes entwickelt.

Abb. 7.1: Die Umweltökonomische Gesamtrechnung (UGR) des Statistischen Bundesamtes Quelle: Statistisches Bundesamt, Umweltökonomische Gesamtrechnungen, (UGR), Kurzinformation, Oktober 1994

104

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Mit den UGR-Darstellungen sollen keine Standards gesetzt werden. Die Sachdaten sollen jedoch der Politik als Grundlage zum Setzen von Stan­ dards dienen, d. h. den Entscheidungsprozeß der Umweltpolitik unter­ stützen. Gegenwärtig werden in jedem Themengebiet Forschungsprojekte und Feldstudien durchgeführt, wobei externe Sachverständige diese Ar­ beiten unterstützen. Ein Teil der Projekte wurde bereits abgeschlossen, jedoch sind die empirischen Daten noch unvollständig.

Für Umweltstatistische Gesamtrechnungen müssen Kosten und Nutzen von Umweltschutzmaßnahmen bekannt sein. Die Kosten entstehen durch Vermeidung von Umweltschäden und sind üblicherweise relativ einfach zu ermitteln. Es werden die Aufwendungen addiert, die beispielsweise durch den Bau von Klär- und Filteranlagen oder die Honorare für Um­ weltberater anfallen. Für all diese Umweltprodukte und Umweltdienstlei­ stungen existieren Marktpreise. Der Nutzen von Umweltschutzmaßnahmen kommt im Umweltzustand zum Ausdruck. Dieser hat sich durch Umweltschutzmaßnahmen verbes­ sert, d. h. der Nutzen besteht in vermiedenen Umweltschäden. Dieser Nutzen muß in Geldeinheiten bewertet (monetarisiert) werden. Aller­ dings stößt die Bewertung der vermiedenen Umweltschäden - wie die Bewertung von Umweltschäden schlechthin - auf erhebliche Probleme. Relativ einfach lassen sich vermiedene materielle Umweltschäden bewer­ ten (z. B. geringere Verschmutzung von Fassaden infolge verringerter Rußemission oder geringere Ernteeinbußen infolge einer Absenkung der SO2-Emission); die hierbei entstehenden geringeren Kosten bzw. höheren Erträge sind prinzipiell objektiv erfaßbar.

Wesentlich schwieriger gestaltet sich die Bewertung des immateriellen Nutzens von Umweltschutzmaßnahmen. Beispiele für verringerte imma­ terielle Umweltschäden sind ein verbesserter Gesundheitszustand oder geringere Sterblichkeitsraten; damit gehen geringere Lohnausfälle bzw. geringere medizinische Leistungen einher. Gegen solche Monetarisierungsversuche werden zum Teil aber ethische Bedenken vorgebracht („was ist ein Menschenleben ‘wert’?“). Außerdem sind mit verringerten Gesundheitsbeeinträchtigungen auch solche immateriellen Nutzens ver­ bunden (z. B. Verbesserung des Wohlbefindens), die sich erst recht „direk­ ter“ Monetarisierungsversuche entziehen. Für die Minderung anderer immaterieller Umweltschädigungen (Gewinn von Freizeit- und Erholungs­ werten, weniger ästhetische Beeinträchtigungen, Erhöhung der Artenviel­ falt usw.) gilt Entsprechendes.

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GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Würde man sich bei Kosten- und Nutzen-Berechnungen nur auf die Ein­ beziehung „direkt“ monetarisierbarer Schädigungen bzw. deren Vermei­ dung beschränken, so würde dies zweifellos zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Nutzens von Umweltschutzmaßnahmen führen. Deshalb sind in der Umweltökonomie verschiedene Verfahren entwickelt worden, mit denen man hofft, das Problem der monetären Erfassung immaterieller Schäden in den Griff zu bekommen. Gebräuchliche Verfahren sind • Marktpreisdivergenzanalysen und • Zahlungsbereitschaftsbefragungen.

Bei der Marktpreisdivergenzanalyse (Marktpreismethode) wird der Ver­ such unternommen, den Einfluß von Umweltbedingungen auf die Bildung von Marktpreisen herauszufiltern. Ein Beispiel ist die Häuserpreismetho­ de: Hierbei wird untersucht, wie sich etwa Straßenlärm auf den Mietzins auswirkt. Eine schlechtere Wohnlage führt zu einem Mietzinsrückgang; dieser dient der Bewertung des Nutzenverlustes der Wohnung infolge des Lärms. Ein anderes Beispiel sind Lohndifferenzenstudien. Sie ermitteln Lohnzuschläge in Abhängigkeit der Gefährlichkeit der Arbeit; das sol­ chermaßen bezifferte Gesundheits- bzw. Mortalitätsrisiko dient der Be­ rechnung des sog. „Wertes eines statistischen Menschenlebens“. Im Rahmen von Zahlungsbereitschaftsbefragungen werden Personen repräsentativ ausgewählt und über ihre Zahlungsbereitschaft befragt. Es werden hypothetische Märkte geschaffen, um so die Wertschätzung für Güter zu erfahren, die es auf „offiziellen“ Märkten nicht gibt. Als Bei­ spiel für derartige Präferenzäußerungen kann die Befragung hinsichtlich der Luftqualität angeführt werden. Die Befragten müssen angeben, wel­ chen Geldbetrag sie freiwillig pro Monat ausgeben würden, um eine Ver­ schlechterung der Luftqualität zu verhindern bzw. die Luftqualität in be­ stimmter Weise zu verbessern. Daraus errechnet man den immateriellen Nutzen, der in einer Volkswirtschaft bei Vermeidung von Luftverschmut­ zung entsteht.

Solche indirekten Verfahren zur Monetarisierung immaterieller Umwelt­ schäden sind aber mit vielerlei methodischen und konzeptionellen Schwä­ chen behaftet, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Bei der Interpretation der von den verschiedensten Seiten vorgelegten KostenNutzen-Schätzungen für den Umweltschutzbereich sollte man sich daher der Fragwürdigkeit derartiger Schätzungen immer bewußt sein.

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GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

In der Literatur werden z. B. für Deutschland folgende Größenordnungen der externen Kosten der Umweltverschmutzung durch den Energiever­ brauch genannt: • Emissionsbedingte Materialschäden bis zu 10 Mrd. DM pro Jahr. • Luftverschmutzung jährlich zwischen 30 und 48 Mrd. DM. • Bei Waldschäden kommen einige Autoren zu jährlichen Kostenvolu­ mina von 200 bis 500 Mio. DM. Andere Autoren, die auch die ökolo­ gische Funktion des Waldes und den Erholungswert beziffern, sprechen von Waldschäden in Höhe von 9 Mrd. DM pro Jahr. Die Gefährdung der Artenvielfalt in Fauna und Flora konnte bisher nicht befriedigend bewertet werden.

• Gesundheitsschäden werden (bei wenigen ausgewählten Schadstoffen und unter Beschränkung auf wenige ausgewählte Krankheitsbilder) mit 3 Mrd. DM pro Jahr beziffert (interpretiert als Kosten von Arbeitsfäl­ len). Befragungsmethoden zur Ermittlung der Zahlungsbereitschaft kommen dagegen zu zweistelligen Milliardensummen. Die Einbezie­ hung aller übrigen Schadstoffe und die - bisher analytisch noch nicht gelöste - Bewertung von tödlichen Erkrankungen dürfte zu noch weit höheren Schadensbeträgen führen. • Der Straßenverkehr wird in Zukunft als Hauptverursacher von Um­ weltproblemen diagnostiziert, da in anderen Sektoren des Energiever­ brauchs Umweltauflagen und Einsparungen die „klassischen“ Emis­ sionen stark vermindern werden. Besorgniserregend ist dabei die nach wie vor ungebremste Dynamik der Verkehrsentwicklung. Die Schät­ zungen der externen Kosten des Straßenverkehrs reichen bis weit über 200 Mrd. DM pro Jahr. • Die drohende Klimakatastrophe durch Anreicherung von Spurengasen aus dem Verbrauch fossiler Primärenergie (vor allem CO2 und Methan) ist einer der brisantesten externen Effekte. Das Wirksamwer­ den des Treibhauseffektes erscheint wissenschaftlich gesichert. Die Folgen sind allerdings noch spekulativ; unermeßliche Schäden sind je­ doch wahrscheinlich, weil die Lebensfähigkeit der Menschen auf der Erde durch irreversible Prozesse unmittelbar bedroht ist. Selbst zu­ rückhaltende Szenarien gehen für viele Weltregionen von katastropha­ len Dürren, Überflutungen, Massenvertreibung von Millionen von Menschen und verheerenden Wetteranomalien aus. Neuere Untersu­ chungen kommen weltweit zu Schäden von mehreren hundert Billio­ nen Dollar. Für Deutschland, das am CO2-Ausstoß maßgeblich betei­

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GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

ligt ist, kommt eine neuere Untersuchung zu jährlichen Kosten von über 500 Mrd. DM. • Monetarisierungsversuche für die Folgen eines großen Kernschmelz­ unfalls sind äußerst umstritten. Die reine Schadenshöhe kann in die Billionen gehen. Eine Eintrittswahrscheinlichkeit von z. B. 1:100.000 pro Reaktorjahr „verkleinert“ zwar die Schadenshöhe erheblich. Da aber gerade diese Eintrittswahrscheinlichkeiten sehr umstritten sind, schwanken die Ergebnisse je nach Autor extrem.

Ein anderes Beispiel für ein Satellitensystem zur VGR bildet das „System for Integrated Environmental and Economic Accounting“ (SEEA). Es wurde im Rahmen der Konferenz über Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro (1992) von den Vereinten Nationen als erster Entwurf eines Handbuchs über Integrierte Volkswirtschaftliche und Umweltgesamtrech­ nung vorgestellt. In diesem Handbuch erfolgt eine ausführliche Beschrei­ bung eines Satellitensystems zur Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Auf dieser Basis wird auch die UGR in Deutschland realisiert. Die praktische Statistik greift im übrigen mit Satellitensystemen einen Ansatz auf, der in der Wissenschaft unter dem Etikett „System sozialer Indikatoren“ schon lange verwendet wird. Mit zahlreichen gesellschaft­ lichen Kennziffernsystemen wird der Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verlassen und es wird versucht, mittels eines umfassen­ den Berichtssystems die verschiedenartigsten Komponenten der Wohlfahrt eines Landes zu erfassen und vor allem einem internationalen Vergleich zugänglich zu machen (z. B. Anzahl der Ärzte, Lehrer usw. pro 1000 Einwohner). Jedoch stellt sich auch hier das Problem der Bewertung.

7.2 Umweltziel und magisches Viereck der Wirtschaftspolitik Die Wirtschaftspolitik strebt bestimmte Idealzustände in der Volkswirt­ schaft an. Für die Bundesrepublik Deutschland sind diese Sollzustände gesetzlich vorgeschrieben. Die Grundlage bildet § 1 des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes, das im Jahr 1967 in Kraft trat. Darin sind Bund und Länder verpflichtet, „bei ihren wirtschafts- und finanzpolitischen Maß­ nahmen die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu beachten“. Diese vergleichsweise inhaltsleere Formulierung wird im glei­ chen Paragraphen näher umschrieben und läuft auf die Erreichung des sog. „magischen Vierecks“ hinaus. Hierzu zählen die bekannten Ziele: • Preisniveaustabilität,

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GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

• hoher Beschäftigungsstand, • außenwirtschaftliches Gleichgewicht und

• stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum. Das magische Viereck kann um weitere Ecken erweitert werden. Fügt man die gerechte Einkommens- und Vermögens Verteilung hinzu, so ge­ langt man zum „magischen Fünfeck“. Die Einbeziehung des Umweltziels mündet schließlich in das „magische Sechseck“. Bekanntlich können die Beziehungen zwischen wirtschaftspolitischen Zielen ganz unterschiedlich ausfallen, nämlich neutral, harmonisch und konfliktär. Der erste Fall läuft auf die Möglichkeit hinaus, daß die Ver­ folgung eines bestimmten Zieles keinerlei Einfluß auf die anderen Ziele ausübt. In diesem Fall spricht man von „Neutralität“. Angesichts der vielfältigen Interdependenzen in der Volkswirtschaft ist damit jedoch kaum zu rechnen. Eher denkbar sind Zielharmonien; hierbei begünstigt die Verfolgung eines Zieles andere Ziele. Ein Beispiel hierfür ist eine er­ folgreiche Investitionsoffensive: Sie trägt zum Wachstum bei und birgt gleichzeitig die Chance einer Verbesserung des Beschäftigungsstandes in sich. Unangenehm, aber weit verbreitet ist der dritte Fall von Zielbezie­ hungen, bei dem es zu Konflikten kommt. Die Erreichung eines Zieles geht hierbei auf Kosten eines anderen Zieles. Paradebeispiel für einen derartigen „trade off“ ist die Phillips-Kurve: Die Bekämpfung von Ar­ beitslosigkeit mittels einer expansiven Geldpolitik führt zu mehr Inflation. Im folgenden soll kurz dargestellt werden, inwieweit sich das Umweltziel mit dem magischen Viereck „verträgt“.

7.2.1 Umwelt und Wirtschaftswachstum Die wohl am meisten diskutierte Beziehung des Umweltziels mit den üb­ rigen wirtschaftspolitischen Zielen beinhaltet dessen Verhältnis zum wirt­ schaftlichen Wachstum. Üblicherweise dient als Maß für Wirtschafts­ wachstum die prozentuale Zunahme des realen Sozial- bzw. Inlands­ produkts, also der tatsächlichen Produktion in der Volkswirtschaft.

Ökologisch orientierte Stimmen betonen naturgemäß den Zielkonflikt, der zwischen Umwelt und Wachstum besteht. Sie weisen auf die Um­ weltbelastungen hin, die in den zurückliegenden Jahren infolge des Wirt­ schaftswachstums verursacht wurden. Diese Feststellung ist grundsätzlich richtig; mit einer Zunahme der Produktion geht ein erhöhter Energiebe­ darf einher (Emissionsproblem), der Rohstoffeinsatz nimmt zu (Endlichkeitsproblem von Ressourcen), die gestiegene Produktion muß verwertet 109

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

werden (Müllproblem). Dies bedeutet eine Ausbeutung der Natur zu La­ sten späterer Generationen. Das rein quantitative Wachstumsdenken wird nach dieser Einschätzung zum Fetisch, das Denken in der Wirtschaft ist einseitig auf eine Verbesserung des materiellen Wohlstandes ausgerichtet. Es besteht die Gefahr, daß das Vorbild der Industrienationen nun von den Schwellenländern nachgeahmt wird; das Beispiel Chinas zeigt die Gefah­ ren, die damit für die Umwelt entstehen. Konsequenterweise fordern die Kritiker des Wachstumsdenkens deshalb ein „Nullwachstum“.

Auf den ersten Blick mag diese Forderung tatsächlich einleuchtend klin­ gen. Dabei werden aber die positiven Seiten des Wachstums übersehen. Zunächst bildet das Wirtschaftswachstum die entscheidende Grundlage für den materiellen Wohlstand in einem Land. Er zeigt sich in einer bes­ seren Güterversorgung der Bevölkerung, sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht. Das Wachstumsziel steht damit im Dienste der Erreichung des gesellschaftlichen Oberziels „Wohlfahrt“, also der allgemeinen Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen. Hierfür ist die materielle Komponente eine unbestreitbar entscheidende Säule. Die Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit in Osteuropa belegen eindrucks­ voll, welche Konsequenzen eine schlechte Güterversorgung der Bevölke­ rung haben kann; Wachstum dient zugleich der Erhaltung der Stabilität politischer Systeme. Wachstum ist darüber hinaus eine entscheidende Vorbedingung für die Verbesserung des Beschäftigungsstandes. Dies zeigt die Praxis, läßt sich aber auch mit Hilfe produktionstheoretischer Überlegungen leicht nach­ weisen. Eine Absage an das Wachstum kommt insoweit - bei gegebener Arbeitszeit - der Akzeptanz einer dauerhaften Arbeitslosigkeit mit all ih­ ren negativen Folgen gleich. Allerdings ist zu beachten, daß die Steige­ rung der Produktion nicht automatisch zu mehr Arbeitsplätzen führen muß. Durch technische und organisatorische Fortschritte kommt es zu ei­ ner Steigerung der Arbeitsproduktivität, so daß eine Produktionsausdeh­ nung durchaus mit gleichem oder sogar rückläufigem Arbeitseinsatz ein­ hergehen kann. In Deutschland lag die sog. „Beschäftigungsschwelle“ Anfang der neunziger Jahre bei 1,7 %, d. h. erst ab einem Wirtschafts­ wachstum von 1,7 % entstehen neue Arbeitsplätze. Von daher ist für den Arbeitsmarkt ein „angemessenes“ Wachstum erforderlich. Wachstum ist desweiteren eine wesentliche Voraussetzung zur Lösung von Verteilungskonflikten in der Volkswirtschaft. Es geht dabei um den Versuch höchst unterschiedlicher Gruppen, sich - gegebenenfalls zu La­ sten anderer - materiell bzw. finanziell besser zu stellen. Die Vertei­ lungskämpfe finden zwischen

HO

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

• Arbeitnehmern und Arbeitgebern, • Inland und Ausland, • privatem und öffentlichem Sektor, • Wirtschaft und Umwelt statt.

Der Verteilungskonflikt zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern wird regelmäßig bei Tarifverhandlungen ausgetragen. Jede der beteiligten Gruppen versucht, ihre relative Position zu verbessern. Der „Streit um den Kuchen“ kann erfahrungsgemäß am einfachsten dadurch entschärft werden, indem der Kuchen größer wird. Wachstum befriedigt also das Anspruchsdenken und trägt so zum sozialen Frieden bei. Analoges gilt für das Verhältnis von Inland und Ausland. Das Ausland versucht, z B. über Preiserhöhungen für Rohstoffe, höhere Ansprüche an die inländische Pro­ duktionsmenge durchzusetzen; da das Inland wohl kaum freiwillig zum Güterverzicht bereit sein wird, wird dieser Konflikt am einfachsten durch Wachstum gelöst. Für den Verteilungskonflikt zwischen Privatwirtschaft und Staat gelten die entsprechenden Überlegungen. Inzwischen wurde erkannt, daß mit der Umwelt ein weiterer „Anspruchs­ partner“ gewissermaßen am Tisch sitzt. Denn die Lösung des Umwelt­ problems erfordert den Auf- und Ausbau einer Entsorgungsindustrie bzw. die Herstellung von Umweltschutzgütern. Im Sozialprodukt finden sich jetzt auch Umweltgüter. Das hat natürlich Konsequenzen für die Vertei­ lung: Wünscht die Gesellschaft diese Umweltgüter und bleibt die Ge­ samtproduktion unverändert (Nullwachstum), so muß zugunsten der Um­ welt auf einen Teil der bislang zur Verfügung gestandenen Güter verzichtet werden. Plakativ gesprochen: Anstelle einer Tennisanlage wird ein Klärwerk gebaut. Die Struktur des Sozialprodukts verändert sich zu Lasten des privaten und öffentlichen Sektors. Ob die Gesellschaft der Umwelt zuliebe auf privaten Konsum, private Investitionen und staatliche Leistungen verzichtet, ist sehr fraglich. Am einfachsten läßt sich dieses Problem lösen, wenn in obigem Beispiel sowohl eine Tennisanlage als auch ein Klärwerk gebaut werden. Wirtschaftswachstum ist damit eine entscheidende Vorbedingung, um drängende Umweltschutzaufgaben auch gesellschaftspolitisch durchsetzen zu können. Im übrigen löst auch die Forderung nach Nullwachstum die Umweltpro­ bleme nicht. Denn bei Nullwachstum würde die eingefrorene Produkti­ onsmenge jährlich aufs neue produziert. Die dabei entstehenden Umwelt­ belastungen würden dadurch aber nicht von selbst zurückgehen. Zum

111

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

andern hätte Nullwachstum zur Folge, daß der Innovationsprozeß er­ lahmt. Es würde weiterhin mit den alten umweltverschmutzenden Anla­ gen produziert. Erst in einer dynamischen Wirtschaft, in der Wachstum und Strukturwandel herrschen, ist mit einem ausgeprägten technischen Fortschritt und damit auch mit einer Verbesserung der Umwelttechnolo­ gie zu rechnen. Denn es ist unstrittig, daß Wachstum den Fortschritt för­ dert. Außerdem ermöglicht Wachstum, wie bereits erwähnt, einen Teil des Wohlstandszuwachses für Umweltschutzaufgaben abzuzweigen, ohne daß der materielle Wohlstand zurückgeht. Bei Nullwachstum wäre dies zwangsläufig unmöglich. Es kann daher nur darum gehen, die Mehrproduktion - zumindest teilweise - in die „Entsorgungsindustrie“ zu lenken. Die Produktionsverfahren und die Produkte können dann umweltschonender gestaltet werden. Anders ausgedrückt: Das Wirtschaftswachstum muß von Umweltbelastungen zu­ nehmend entkoppelt werden. Dies wurde in der Bundesrepublik Deutsch­ land inzwischen zumindest teilweise erreicht. Wie Tabelle 7.1 zeigt, stieg das reale Bruttoinlandsprodukt von 1970 bis 1992 um 73 %. Diesem Wirtschaftswachstum standen nahezu stagnierende Werte bei der Emissi­ on von Kohlendioxid und Stickstoffdioxid gegenüber; die durch Kraft­ werksentstickung und Pkw-Katalysatoren erreichte Minderung wurde durch das Anwachsen der Verkehrsleistungen zum größten Teil kompen­ siert. Der SO2-Ausstoß konnte sogar durch Entschwefelungsanlagen bei Kraftwerken und in der Industrie um 76 % reduziert werden. Tab. 7.1: Wirtschaftswachstum und Schadstoffentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland (alte Bundesländer)

Bruttoinlands­ produkt (in Prei­ sen von 1991) Kohlendioxid (energiebedingt) Schwefeldioxid Stickstoffdioxid *)

Mrd. DM 1970=100

1970 1543 100

1975 1719 111

1980 2018 131

Mio. t 1970=100 Mio. t 1970=100 Mio. t 1970=100

727 100 3,7 100 2,3 100

715 98 3,3 89 2,5 108

781 107 3,2 85 2,9 126

Jahr 1985 2136 138 719 99 2,4 64 2,9 125

2635 171

1992’’ 2676 173

705 97 0,9 24 2.5 106

739 102 0,9 24 2,5 106

723 99 0,9 24 2,4 104

vorläufige Angaben

Quelle: Umweltbundesamt, Umweltdaten Deutschland, 1995

112

1991

1990 2520 163

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Je stärker die Wirtschaft wächst, um so müheloser kann sie Produktions­ faktoren für den Umweltbereich abstellen. Insoweit besteht zwischen Wachstum und Umwelt durchaus eine Zielharmonie. Sie findet ihren Ausdruck in der Forderung nach „qualitativem Wachstum“. Der Umweltbereich gewinnt zunehmend an gesamtwirtschaftlicher Bedeu­ tung. Im Jahr 1993 lag einer Untersuchung (RWI, Essen und IfW, Halle) zufolge das Marktvolumen der umwelttechnischen Industrie (ohne Dienst­ leistungen und sog. integrierten Umweltschutz) in Deutschland bei etwa 55 Mrd. DM. Bezogen auf den Gesamtumsatz im Verarbeitenden Gewer­ be waren dies 3 %. Das Wachstumspotential der umwelttechnischen Industrie wird allerdings eher pessimistisch gesehen; der Wachstumsvor­ sprung gegenüber dem Verarbeitenden Gewerbe habe sich in den neunzi­ ger Jahren deutlich verlangsamt. Weltweit wurden 1993 Umweltgüter im Wert von ca. 580 Mrd. DM umgesetzt.

7.2.2 Umwelt und Beschäftigungsstand

Angesichts der gegenwärtigen gravierenden Arbeitsmarktprobleme in Deutschland sieht man im Umweltbereich eine große Chance zur Entla­ stung des Arbeitsmarktes. Die Einschätzung der Beschäftigungseffekte von umweltschutzpolitischen Maßnahmen in der Bundesrepublik Deutsch­ land ist allerdings kontrovers. Einerseits werden - speziell von Seiten der Industrie - immer wieder die möglichen negativen Beschäftigungseffekte einer „forcierten“ Umweltschutzpolitik herausgestellt. Andererseits wird auf die möglichen positiven Beschäftigungswirkungen infolge von Um­ weltschutzmaßnahmen verwiesen. Teilweise wird sogar in einer forcier­ ten Umweltschutzpolitik ein Instrument gesehen, mit dem man zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen kann, nämlich die Umweltqualität ver­ bessern und gleichzeitig bestehende Arbeitsmarktprobleme lösen. Unbe­ stritten haben Umweltschutzmaßnahmen sowohl positive als auch negative Beschäftigungseffekte. Der entgültige Nettoeffekt auf die Beschäftigung hängt von vielen Einflußfaktoren ab. Für 1990 kommt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin) zu dem Ergebnis, daß in Deutschland 680.000 Personen unmittel­ bar oder mittelbar im Umweltschutz tätig waren (siehe Tabelle 7.2). Das waren 1,9 % aller Erwerbstätigen. Auf die alten Bundesländer entfielen dabei 546.000 Personen, in den neuen Bundesländern übten (im Jahr 1991) 134.000 Personen eine Tätigkeit im Umweltschutz aus. Insoweit besteht zwischen dem Umweltziel und dem Beschäftigungsziel eine Ziel­ harmonie. Die gesamte durch den Umweltschutz induzierte Beschäftigung

113

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

in den alten Bundesländern setzte sich 1990 nach dieser Untersuchung zu­ sammen aus • 206.000 Personen, die unmittelbar mit Umweltschutzaufgaben betraut sind und • 341.000 Personen, die durch die Erstellung von Umweltschutzgütern und -dienstleistungen Beschäftigung finden. Tab. 7.2: Beschäftigte im Umweltschutz 1984 Beschäftigte im Umweltschutz

davon: - Unmittelbare Umweltschutz­ beschäftigte

D AL NL

AL NL - Beschäftigte durch die Erstellung von Umweltschutzgütern AL NL - In den alten Ländern mit der ökologischen Sanierung in den neuen Ländern Beschäftigte AL - ABM im Umweltbereich in den neuen Ländern NL

1990 680 000 546 000 134 000 1}

Prognose 2000 1122 000 786 000 336 000

172 000

206 000 28 500 21

290 000 66 000

250 000

341 000 45 500 21

458 000 270 000

422 000

38 000

-

1) Wert für 1991

AL = Alte Bundesländer

2) Nur zum Teil erfaßt

NL = Neue Bundesländer

60 000

-

Quelle: Berechnungen des IFO-Instituts und des DIW

Über die Beschäftigtenstruktur bei unmittelbaren Umweltschutzaufgaben liegen genauere Erhebungen vor (siehe Tabelle 7.3). Danach waren die meisten unmittelbar Umweltschutzbeschäftigten in der Abwasser- und Abfallbeseitigung sowie der Straßenreinigung tätig (53.600 Personen), gefolgt von Planung, Verwaltung und der Industrie. Umweltberater bil­ den in dieser Statistik mit 1.250 Beschäftigten das Schlußlicht.

Bei der Interpretation der positiven Beschäftigungseffekte ist allerdings zu beachten, daß hierbei nicht berücksichtigt worden ist, wie viele Arbeits­ plätze durch den Umweltschutz in Deutschland verdrängt wurden. Umwelt­ schutzmaßnahmen, die nicht aus sich heraus wirtschaftlich sind, führen per Saldo nämlich immer zu Kostenerhöhungen, die sich in vielfältiger Weise negativ auf die Beschäftigung auswirken können. So beispielsweise durch Absatzeinbußen aufgrund von Preiserhöhungen sowohl auf Inlands-

114

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

als auch auf Exportmärkten, durch die Substitution inländischer Produkte durch ausländische, die unter weniger strengen Umweltschutzvorschriften produziert worden sind, aber auch durch Standortverlagerungen in Länder mit geringeren Umweltauflagen und Umweltkosten. Tab. 7.3: Beschäftigte mit unmittelbaren Umweltschutzaufgaben (alte Bundesländer, 1990)

Abwasser-, Abfallbeseitigung, Straßenreinigung Planung, Verwaltung Industrie Altstoffgroßhandel Entsorgungsunternehmen (öffentlich und privat) Hochschulen und Fachhochschulen Park- und Gartenanlagen Organisationen Schornsteinfeger Umweltberater insgesamt

53.600 35.000 34.500 29.980 27.200 8.000 6.500 6.000 3.600 1.250 205.630

Quelle: DIW

In welchem Umfang die negativen Beschäftigungseffekte wirksam wer­ den, hängt von zahlreichen Einflußfaktoren ab, z. B. von der Reaktion der Nachfrage auf Preiserhöhungen, den unternehmerischen Anpassungs­ reaktionen, den Anpassungsreaktionen der Haushalte, der Art der Finan­ zierung von umweltschutzbedingten Ausgaben, dem Beschäftigungsgrad der Arbeitskräfte u. a. m. Modellrechnungen zufolge gingen in den zu­ rückliegenden Jahren etwa 55.000 Arbeitsplätze verloren, weil die Um­ weltschutzauflagen die Produktion verteuert hätten und bestimmte Güter nicht mehr wettbewerbsfähig waren. Zwischen Umweltziel und Beschäf­ tigungsziel besteht also auch ein Zielkonflikt. Systematische Untersuchungen über die negativen Beschäftigungseffekte von Umweltschutzmaßnahmen liegen nicht vor. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat allerdings versucht, bei seiner Voraus­ schau über mögliche Beschäftigungseffekte der Umweltpolitik in den 90er Jahren, die positiven Effekte mit möglichen negativen Verdrängungseffek­ ten zu saldieren. Unter der Voraussetzung einer trendmäßigen Fortsetzung der bisherigen Umweltpolitik, schätzt das DIW für die alten Bundesländer

115

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

einen Bruttobeschäftigungseffekt von 786.000 Personen im Jahr 2000. Dies entspräche einer Erhöhung um 240.000 Personen gegenüber dem Jahr 1990. Einschließlich der jungen Bundesländer wird eine umweltin­ duzierte Beschäftigung von etwa 1,1 Mio. Erwerbspersonen angenom­ men. Dies heißt, daß in den alten Bundesländern jeder vierzigste, in den neuen Bundesländern sogar mehr als jeder zwanzigste Arbeitsplatz direkt oder indirekt im Umweltschutz angesiedelt ist.

Für die alten Bundesländer wurden vom DIW auch die möglichen negati­ ven beschäftigungspolitischen Verdrängungseffekte durch die Umwelt­ schutzpolitik abgeschätzt. Als Ergebnis der Simulation wird ein positiver Nettoeffekt von 185.000 Beschäftigten ausgewiesen. Ein Vergleich mit dem Bruttoeffekt von 240.000 Personen zeigt, daß 55.000 Beschäftigte durch die Umweltschutzpolitik verdrängt worden sind. Anders formuliert: In Höhe eines knappen Viertels des Bruttobeschäftigungseffektes vernich­ tet die Umweltschutzpolitik zugleich Arbeitsplätze. Insgesamt kann man festhalten, daß hinsichtlich der positiven Beschäfti­ gungseffekte in der Öffentlichkeit offensichtlich überzogene Vorstellun­ gen vorherrschen. Umweltschutz schafft zwar Arbeitsplätze, es gehen aber durch Umweltpolitik auch Arbeitsplätze verloren. Je höher die Ko­ steneffizienz der umweltpolitischen Maßnahmen ist, um so geringer dürften die negativen Beschäftigungseffekte ausfallen. Die Auffassung, man könne durch den forcierten ökologischen Umbau einer Volkswirt­ schaft bestehende Beschäftigungsprobleme lösen, ist sicherlich wenig rea­ listisch. Umweltschutzpolitik darf daher nicht in erster Linie arbeits­ marktpolitisch, sondern sie muß umweltpolitisch begründet werden. Die Beschäftigungseffekte einer integrierten Umweltschutzpolitik sind zu­ dem höher einzuschätzen, als die Beschäftigungseffekte einer Umwelt­ schutzpolitik, die am Ende des Produktionsprozesses ansetzt („end-ofpipe-Strategie“). Denn integrierter Umweltschutz ist in der Regel wirt­ schaftlicher als nachsorgender Umweltschutz.

Grundsätzlich ist aber festzuhalten, daß die Verbesserung der Umwelt­ qualität und die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ein eigen­ ständiges gesellschaftspolitisches Ziel darstellen sollte, und daß daher über die Einleitung von Umweltschutzmaßnahmen nicht ausschließlich aufgrund von ökonomischen Rentabilitätskriterien entschieden werden darf.

116

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

7.2.3 Umwelt und Preisniveaustabilität

Eine zentrale Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit einer Marktwirt­ schaft ist die Preisniveaustabilität (Geldwertstabilität). Dahinter steht die Forderung, daß in einer Volkswirtschaft das Preisniveau im Zeitablauf nicht ansteigt. Dies schließt Preiserhöhungen auf einzelnen Märkten kei­ neswegs aus, diesen müssen aber Preissenkungen auf anderen Märkten gegenüberstehen. Inflation, also der Anstieg des Preisniveaus, ist letztlich immer ein monetäres Phänomen: Denn Preiserhöhungen auf breiter Front müssen - bei gleichbleibender Umlaufgeschwindigkeit des Geldes - mit neuem Geld „gespeist“ werden (sog. monetäre Alimentierung). Konse­ quenterweise überträgt man daher der Zentralbank eines Landes die Auf­ gabe, für Geldwertstabilität zu sorgen. In Deutschland ist dies die Deut­ sche Bundesbank. Die Verfolgung des Umweltziels kann Gefahren für die Preisniveausta­ bilität in sich bergen. Dies folgt aus der Tatsache, daß Inflation immer Ausdruck eines allgemeinen Anspruchsverhaltens ist; die Nachfrage nach Gütern übersteigt das Güterangebot. Daraus entsteht ein Verteilungs­ kampf. Wie bereits ausgeführt, werden Verteilungskonflikte auf verschie­ denen Ebenen ausgetragen, unter anderem zwischen Wirtschaft und Um­ welt. Daher ist bei der Verfolgung des Umweltzieles ein Zielkonflikt mit der Geldwertstabilität geradezu vorprogrammiert. Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Preisniveaustabilität wird schnell deutlich, wenn man sich die Ursachen von Inflation klarmacht. Sie liegen zum ersten in einer zu starken Ausweitung der Geldmenge (Geldmengeninflation), zum zweiten in einer zu hohen Nachfrage (Nach­ frageinflation) oder drittens in der Durchsetzung von Machtpositionen der Marktteilnehmer (Angebotsinflation). Die Verfolgung des Umweltzieles geht auf den zuletzt genannten Typus der Angebotsinflation zurück. In­ nerhalb der Angebotsinflation werden verschiedene Spielarten unter­ schieden, von denen für die Umwelt zwei Formen relevant sind:

• die Kostensteuerninflation und • die Marktmachtinflation.

Unter Kostensteuern fallen die indirekten Steuern. Sie umfassen die Ver­ brauchssteuern wie Mehrwertsteuer, Tabaksteuer oder Mineralölsteuer. Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Kostensteuerninflation ist unmittelbar einsichtig. Er betrifft die Einführung von Umweltsonderab­ gaben und Ökosteuern. Erhebt der Staat z. B. eine Energiesteuer, so ver­ teuert dies unmittelbar die Energiepreise. Da diesen Preiserhöhungen zu­ 117

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

nächst keine Preissenkungen gegenüberstehen, wirkt die Energiesteuer inflatorisch. Die Inanspruchnahme der Umwelt infolge Schadstoffemis­ sionen hat damit ihren Preis. Er ist von den Verursachern zu entrichten. Daraus erhofft man sich einen „ökonomischeren“ Umgang mit Energie­ trägern. Die Marktmachtinflation kann den anderen Instrumenten der Umwelt­ politik zugeordnet werden. Beschließt der Staat beispielsweise die Aufla­ ge, Filteranlagen einzubauen, so entstehen bei den Unternehmen zusätzli­ che Kosten. Die Firmen werden versuchen, diese über höhere Preise weiterzugeben; ob und inwieweit die Überwälzbarkeit gelingt, ist dann eine Frage der Marktmacht, also der Wettbewerbsverhältnisse. Steigende Güterpreise sind nicht nur Folge des Einsatzes ordnungsrechtlicher In­ strumente der Umweltpolitik. Ebenso wirken Umweltzertifikate bzw. umwelthaftungsrechtliche Regelungen. In jedem Fall entstehen für die Unternehmen zusätzliche Kosten, die in die Güterpreise einkalkuliert werden. Auch bei diesen Instrumenten hat die Umwelt nunmehr ihren Preis, wodurch das - zumindest in der Anfangsphase - Preisniveau an­ steigt. Diesen steigenden Preisen können allerdings sinkende Preise auf anderen Märkten gegenüberstehen. Denn durch die Preiserhöhungen der umweltbelastenden Güter sinkt real die für andere Güter zur Verfügung stehende Kaufkraft und damit dort die Nachfrage.

Auf längere Sicht wird zudem der Preisauftrieb wieder auf marktwirt­ schaftliche Weise eingedämmt werden. Schreibt der Staat beispielsweise den Einbau von Filteranlagen vor, so ist damit zu rechnen, daß in der An­ fangsphase noch relativ wenig Anlagen gebaut werden und damit zur Ver­ fügung stehen. Der neue „Umweltmarkt“ wird alsbald neue Anbieter an­ locken, und die Umweltgüter werden in großen Stückzahlen hergestellt. Durch das Wirken des Gesetzes der Massenproduktion ist bei großen Stückzahlen mit einer kostengünstigeren Produktion zu rechnen, d. h. die Stückkosten sinken. Dies führt ceteris paribus in der Folgezeit zu Preis­ rückgängen und damit zu einem Rückgang der Inflation. 7.2.4 Umwelt und außenwirtschaftliches Gleichgewicht

Das Ziel des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts bezieht sich auf die internationalen Wirtschaftsbeziehungen einer Volkswirtschaft. Diese wer­ den in der Zahlungsbilanz systematisch erfaßt. Den Ansatzpunkt für das außenwirtschaftliche Gleichgewicht bildet hierin die Leistungsbilanz. Sie enthält die Warenhandelsgeschäfte (Handelsbilanz), die Dienstleistungs­ beziehungen wie Tourismus (Dienstleistungsbilanz) sowie unentgeltliche

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GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Leistungen (Übertragungsbilanz). Der Saldo der Handels- und Dienstlei­ stungsbilanz heißt „Außenbeitrag“. Dieser ist in Deutschland gemäß der Definition der Bundesregierung der Ansatzpunkt für die Definition des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts: Es liegt dann vor, wenn der Au­ ßenbeitrag einen Devisenüberschuß in Höhe von ca. 1,5 bis 2 Prozent des Bruttosozialprodukts zu Marktpreisen erbringt. Dieser Überschuß wird benötigt, um das Defizit, d. h. den Devisenabfluß, der Übertragungsbi­ lanz zu finanzieren. Faktisch läuft das außenwirtschaftliche Gleichgewicht also auf einen Ausgleich der Leistungsbilanz hinaus. Der Bezug zwischen Umwelt und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht liegt primär im internationalen Austausch von Umweltgütern. Dies kön­ nen sowohl Einfuhren und Ausfuhren von Umweltwaren als auch von Umweltdienstleistungen sein. Gelingt es, die deutschen Umweltgüter ver­ stärkt zu exportieren, so erhöht dies den Außenbeitrag. Da die deutsche Leistungsbilanz seit 1991 mit einem Defizit abschloß (zwischen 26 und 33 Mrd. DM jährlich), unterstützen steigende Exporte von Umweltgütern die Erreichung des Zieles des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts. Zwi­ schen diesem Ziel und dem Umweltziel besteht gegenwärtig also eine Zielharmonie.

Deutschland gilt in Sachen Umwelttechnik als eine der weltweit führen­ den Nationen. Dies liegt sicherlich an dem vergleichsweise hohen Stel­ lenwert, den die Politik in Deutschland dem Umweltziel beimißt; damit zusammen hängt auch das in Deutschland relativ hoch entwickelte Um­ weltbewußtsein in der Bevölkerung. Einer Untersuchung des RWI zufolge besitzt Deutschland eine insgesamt starke internationale Wettbewerbspo­ sition; im Welthandel mit Umwelttechnikgütern entfielen auf Deutschland 21 %, was den Spitzenplatz bedeutet (USA: 16 %, Japan: 13 %, Italien: 10 %, Großbritannien: 9 %, Frankreich: 8 %). Von den in Deutschland hergestellten Umwelttechnikgütern gehen allerdings nur 20 % ins Aus­ land; davon sind 98 % für westliche Industrieländer bestimmt. Die füh­ rende Stellung Deutschlands auf diesem Gebiet zeigen auch einige Um­ satzzahlen: 1993 betrug der weltweite Umsatz in der Umwelttechnik 578 Mrd. DM, davon entfielen auf Deutschland knapp 10 %. Bis zum Jahr 2000 rechnet man mit einem weltweiten Marktvolumen von 900 Mrd. DM, auf Deutschland dürften rund 100 Mrd. DM entfallen. Gleichwohl werden die künftigen Exportchancen der deutschen Umwelt­ industrie nicht nur positiv beurteilt. Ein wesentliches Problem stellt die Abhängigkeit der deutschen Exporte von ausländischen Regierungen dar. Bei Aufträgen für Umweltschutz, die im Ausland vergeben werden, be­ vorzugen nämlich die dortigen Regierungen zunächst ihre inländischen

119

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Firmen. Für die deutsche Umweltindustrie folgen hieraus in erster Linie verstärkte Anstrengungen im Bereich Forschung und Entwicklung, um einen Vorsprung gegenüber der internationalen Konkurrenz herauszuar­ beiten.

7.3 Umwelt als Standortfaktor In der Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland nimmt das Thema „Umweltschutzpolitik“ neben der Höhe der Arbeitskosten und der Steu­ erbelastung eine dominierende Stellung ein. Einerseits wird darauf ver­ wiesen, daß hohe deutsche Umweltstandards die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie beeinträchtigen und als Investitionshemmnis wir­ ken. Insbesondere die Kompliziertheit der Um Weltschutzvorschriften und die Länge der Genehmigungsverfahren wirke abschreckend auf die Inve­ storen. Andererseits wird argumentiert, daß die anspruchsvolle deutsche Umweltschutzpolitik maßgeblich dafür verantwortlich sei, daß die deut­ sche Wirtschaft eine sehr gute Position auf dem Markt für Umweltschutz­ güter erreicht habe. Eine Vorreiterrolle in der Umweltschutzpolitik löse daher Innovations- und Investitionsimpulse aus, die auch zu Vorsprüngen beim internationalen Wettbewerb führten.

Darüber hinaus wird angeführt, daß ein hoher Umweltstandard in einem Land als „weicher“ Standortfaktor auch positiv zu bewerten sei. „Weiche“ Standortfaktoren sind qualitative Aspekte wie Wohn- und Frei­ zeitwert, kulturelles Angebot, Bildungsangebote, Image werte und die Umweltgüte der betreffenden Region. Im Unterschied dazu stehen die „harten“ Standortfaktoren wie Lohnkosten, Produktivität, Gewerbeflä­ chenangebot, Verkehrsanbindungen, Versorgungs- und Entsorgungslei­ stungen, Verfügbarkeit und Ausbildung der Arbeitskräfte. Die Umweltqualität einer Region hat besondere Bedeutung für die Wohnund Freizeitqualität. Sie wirkt sich positiv auf die Möglichkeit aus, qualifi­ ziertes Fach- und Führungspersonal zu gewinnen. Eine hohe Umweltqua­ lität ist für einige Unternehmen sogar ein bedeutender Produktionsfaktor. Land- und Forstwirtschaft, Fremdenverkehr, Fischerei, Mineralwasser­ hersteller, aber auch verschiedene Bereiche der Mikrotechnologie (z. B. Chip- und Solarzellenhersteller) bedürfen intakter Umweltbedingungen.

Die gesamtwirtschaftliche Belastung durch Umweltschutzmaßnahmen ist in der Bundesrepublik im internationalen Vergleich sehr hoch. Bezogen auf das Bruttosozialprodukt beliefen sich die Ausgaben des westdeutschen Produzierenden Gewerbes im Jahr 1994 auf 1,7 %. Allerdings sind die

120

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

Unterschiede zu wichtigen anderen Industrieländern nicht gar zu gravie­ rend. Erfaßt sind hierbei allerdings nur die umweltschutzbedingten lau­ fenden Betriebsausgaben und Investitionen bzw. Abschreibungen. Kosten für integrierten Umweltschutz werden in den vorliegenden Studien nicht ausgewiesen. Vergleicht man die Umweltschutzaufwendungen mit anderen gesellschaftlichen Aufwendungen, z. B. mit den Militäraufwendungen in Prozent des Bruttosozialprodukts (2,8 %), oder den Bildungsausgaben (4,5 %), bzw. den Ausgaben für das Gesundheitswesen (8,2 %), so wird deut­ lich, daß die gesamtwirtschaftliche Belastung vergleichsweise gering ist.

Im Durchschnitt gesehen sind Umweltschutzkosten für den produzieren­ den Sektor ein vergleichsweise geringer Kostenfaktor (siehe Tabelle 7.4). Das schließt aber nicht aus, daß die Umweltschutzauflagen sich in einzel­ nen Wirtschaftszweigen existenzbedrohend auswirken können. Am stärk­ sten mit Umweltschutzkosten belastet sind erwartungsgemäß Unternehmen der ersten rohstoffgewinnenden und -verarbeitenden Produktionsstufen. Als besonders umweltintensiv gelten die Energie- und Wasserversorgung, die chemische Industrie, die Zellstoff-, Papier- und Pappeverarbeitung, der Bergbau, die Mineralölverarbeitung, die eisenschaffende Industrie, die Glasindustrie und die Steine und Erden Industrie. Tab. 7.4: Umweltschutzausgaben im Produzierenden Gewerbe in Deutschland Luftreinhaltung Jahr

Insgesamt

dar.:

Investi­

Investi­

tionen

tionen

Aus­

tionen

Abfallbeseitigung

Aus­

tionen

gaben

gaben

Lärmminderung

Aus­

tionen

gaben

laufende Aus­

gaben

in Mill. DM

West

1975

Gewässerschutz

laufende Investi­ laufende Investi­ laufende Investi­

1.214

1.161

911

1.516

178

1.883

915

2.347

2.994

1.066

3.368

5.305

2.017

4.073

4.888

4.361

5.233”

5.712

2.513

1980

7.841

2.674

1.292

1985

13.562

5.635

3.974

1990

18.701

7.253

4.116

1991

20.564

8.065

1992

22.553

8.808

40

482

210

220

864

247

73

332

1.465

263

100

4.127

824

1.886

296

130

2.652

5.304

978

2.152

362

156

3.147

6.2941’

937

2.061”

363

156”

D

11 geschätzt

Quelle: Institut der Deutschen Wirtschaft

Die Beantwortung der Frage, ob einzelne Industriezweige, die stark durch Umweltschutzauflagen belastet sind, im internationalen Wettbewerb Nach­ teile hinnehmen müssen, hängt von vielen Faktoren ab. Entscheidend ist, 121

GESAMTWIRTSCHAFTLICHE DIMENSIONEN DES UMWELTPROBLEMS

ob die ausländischen Konkurrenten von vergleichbaren Auflagen betrof­ fen sind. Mögliche unternehmerische Anpassungsreaktionen auf Umwelt­ schutzauflagen könnten sein: Überwälzung der erhöhten Kosten auf die Produktpreise, Anpassung durch Veränderung der Produktionstechno­ logien, z. B. in Richtung eines integrierten Umweltschutzes bzw. durch Umstellung der Produktpalette in Richtung auf weniger umweltgefähr­ dende Güter. Eine mögliche Reaktion könnte auch eine Verringerung der Investitionsneigung mit der Folge einer längerfristigen Auszehrung der Wettbewerbsfähigkeit sein. Die vorliegenden statistischen Befunde lassen vermuten, daß es den um­ weltkostenintensiven Industrien bisher in der Regel gelungen ist, die Ko­ stenwirkungen erhöhter Umweltschutzauflagen zu verkraften, sei es im Wege der Erhöhung der Produktpreise oder durch andere Anpassungsre­ aktionen. Nach wie vor ist die deutsche Industrie auch bei den umwelt­ kostenintensiven Gütern mit einem Weltmarktanteil von etwa 12 % (1988) die führende Exportnation, gefolgt von den USA (7,4 %), Kanada (6,6 %), Frankreich (5,7 %), Belgien und Luxemburg (5,3 %) und Japan (4,9 %). Die vielfach behauptete Hypothese, hohe Umweltschutzauflagen im In­ land seien gleichzusetzen mit einer schlechten bzw. verschlechterten in­ ternationalen Wettbewerbsfähigkeit, kann in dieser einfachen Form daher nicht empirisch erhärtet werden. Umweltschutzauflagen sind in der Reali­ tät nämlich nicht nur ein Kostenfaktor, sondern auch ein Ertragsfaktor: Sie fuhren zu Material- und Energieeinsparungen (z. B. Wärmedämmvor­ schriften oder Kraft-Wärme-Kopplung), neuen Materialien und neuen Produktionsprozessen und -verfahren. Sie können Arbeitsplätze schaffen, aber auch vernichten und einen allgemeinen Strukturwandel und Innovati­ onsimpulse auslösen. Entscheidend für die Wirkungen auf die internatio­ nale Wettbewerbsfähigkeit ist die umweltschutzpolitische Gangart in den wichtigsten konkurrierenden Ländern. Ungeachtet staatlicher Umwelt­ schutzauflagen erkennen immer mehr Unternehmen die zunehmende Be­ deutung der Umweltverträglichkeit von Produkten und Produktionsver­ fahren als Zukunfts- und damit Standortfaktor an.

Obwohl der empirische Befund zeigt, daß keine eindeutigen Aussagen zu den internationalen Wettbewerbswirkungen der Umweltschutzpolitik mög­ lich sind, und daß im großen und ganzen umweltschutzintensive Indu­ striezweige keine Verluste ihrer Weltmarktposition hinnehmen mußten, werden die herrschenden Umweltanforderungen immer wieder als negati­ ver Standortfaktor gewertet. Beklagt werden in erster Linie die „Regulie­ rungsdichte“ und der erforderliche Personalaufwand zu ihrer Bewältigung sowie zähflüssige und zu lange Genehmigungsverfahren. Geklagt wird 122

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über die Planungsrisiken infolge sich rasch ändernder Umweltauflagen und über die Komplexität der Um Weltschutzvorschriften. In besonderem Maße fühlen sich mittelständische Unternehmen von der praktizierten Umweltpolitik überfordert. Zwischen den objektiv gegebenen Belastungen und den vermuteten (subjektiven) Einschätzungen bestehen allerdings vielfach große Diskrepanzen. In der Praxis beeinflussen jedoch die sub­ jektiven mindestens im gleichen Maße die Investitions- und Standortent­ scheidungen wie die objektiven Fakten. Die vorliegenden Studien sind sich allerdings in der Einschätzung einig, daß umweltschutzbedingte Standortverlagerungen in das Ausland bisher eher die Ausnahme sind. Es wird aber nicht ausgeschlossen, daß im vor­ anschreitenden Prozeß der Bildung eines einheitlichen europäischen Bin­ nenmarktes der Standortfaktor „Umweltauflagen“ eine immer wichtigere Rolle spielt. In besonderem Maße könnte dies für die (auch unter anderen Standortgesichtspunkten wie z. B. Arbeitskosten interessanten) Standorte in Zentral- und Osteuropa gelten.

Wettbewerbs- und Standortnachteile ergeben sich allerdings auch als Fol­ ge einer ökonomisch ineffizienten Umweltpolitik. Die praktische Um­ weltpolitik bedient sich nämlich immer noch in erster Linie des teuren Instruments der ordnungsrechtlichen Gebote und Verbote. Solange sich die Umweltschutzpolitik den Luxus leistet, Schadstoffe nicht dort zu ver­ ringern, wo dies am kostengünstigsten erfolgen kann, ist mit stärkeren negativen Standorteffekten zu rechnen als bei einer intelligenten Umwelt­ schutzpolitik, die sich marktsteuernder Instrumente bedient. Statt inte­ griertem Umweltschutz herrscht in Deutschland immer noch der additive nachsorgende Umweltschutz vor. Die schnelle Abfolge neuer Auflagen verhindert aber die systematische Suche der Unternehmen nach ökono­ misch effizienten (integrierten) Lösungen.

Gerade mit Blick auf die Sicherung des Standortes Deutschland ist es wichtig, daß die Umweltschutzpolitik sich derjenigen Instrumente bedient, die sicherstellen, daß ein gegebenes Umweltziel mit möglichst geringen gesamtwirtschaftlichen Kosten erreicht wird. Nachsorgende Umwelt­ schutzpolitik repariert lediglich die ökologischen Schäden; integrierter Umweltschutz setzt dagegen unmittelbar bei den Ursachen der Umwelt­ verschmutzungen an, indem er die Vermeidung und Verwertung in den Mittelpunkt stellt. Er steigert nicht nur die ökonomische Umweiteffizienz, sondern verbessert in der Regel auch die Energie- und Materialeffizienz und kann damit die gesamte Rentabilität der Produktion erhöhen.

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