Tschechische juristische Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts [1 ed.] 9783428528837, 9783428128839

Das Vorhaben befasst sich mit der politischen und staatsrechtlichen Entwicklung Böhmens im Spiegel der juristischen Fach

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German Pages 329 Year 2011

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Tschechische juristische Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783428528837, 9783428128839

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Schriften zur Rechtsgeschichte Heft 152

Tschechische juristische Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts

Von

Monika Krupar

Duncker & Humblot · Berlin

MONIKA KRUPAR

Tschechische juristische Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts

Schriften zur Rechtsgeschichte

Heft 152

Tschechische juristische Zeitschriften des 19. und 20. Jahrhunderts

Von

Monika Krupar

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Der Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main hat diese Arbeit im Jahre 2008 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2011 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7379 ISBN 978-3-428-12883-9 (Print) ISBN 978-3-428-52883-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-82883-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Diese Arbeit wurde im Jahr 2008 vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Disserta­ tion angenommen. Die vorliegende Dissertation wäre nicht zustande gekommen, wenn ich nicht breite Unterstützung und Hilfe gehabt hätte. Der erste Dank gebührt Herrn Professor Dr. Dr. h. c. mult. Michael Stolleis, der mir eine Doktorandenstelle am Max-Planck-Institut für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main ermöglichte. Seine Unterstützung, sein Vertrauen und nicht zuletzt seine Geduld haben viel zum erfolgreichen Abschluss der Dissertation sowie dieses Buches beigetragen. Für die Übernahme des Zweitgutachtens bin ich Frau Prof. Dr. Barbara Dölemeyer dankbar. Der Deutschen Forschungsgemeinschaft danke ich für die finanzielle Unterstützung meiner Arbeit im Rahmen des Frankfurter Forschungsprojektes „Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel“. Darüber hinaus möchte ich mich bei allen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Max-Planck-Instituts für Europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt am Main für ihre mir entgegengebrachte Unterstützung und das gute Arbeitsklima bedanken, ohne die die Durchführung der Doktorarbeit nicht möglich gewesen wäre. Besonders hervorheben möchte ich Herrn Gerhard H. Gräber und Frau Carola Schurzmann, die mir die idealen organisatorischen Rahmenbedingungen geschaffen haben. Viele Freunde und Kollegen haben durch Gespräche, Lektüre und Korrekturen zum Abschluss dieser Arbeit beigetragen. Namentlich erwähnen möchte ich Kristina Bacak, Frank Berger, Bernadette Boot, Dr. Barbara Lewark, Doreen Liebenow, Nadya und Gabriel Martinez, Tara Mason, ­Daniela Nygrinova, Dr. Martin Otto, PD Dr. Markus Pöcker, Matthias Ramthun, Dr. Manuela Rottmann, Sabine Schreiber, Ute Spörg. Besonders danke ich Herrn Dr. Franc Zimmermann. Vor allem möchte ich meinen Eltern danken, die mich über all die Jahre hinweg unterstützt haben, sowie allen anderen Familienmitgliedern und Freunden, die zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Frankfurt am Main, im März 2011

Monika Krupar

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

1. Teil

Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

20

Kapitel 1

Kulturelle und politische Voraussetzungen für die Gründung der tschechischen juristischen Zeitschriften

A. Traditionalismus und Nationalismus: Die tschechische Wiedergeburt . . I. Erste Phase der tschechischen Nationsbildung (1790–1820) . . . . . . . . . II. Zweite Phase der tschechischen Nationsbildung (1820–1860)  . . . . . . . III. Dritte Phase der Nationsbildung (1860–1918): Epoche der tschechischen Zeitschriftengründungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Oktoberdiplom von 1860 und seine Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehung des tschechischen Zeitungs- und Zeitschriftenwesens . . 3. Tschechisierung des Landes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Entwicklung der tschechischen Intelligenz, Wissens- und Sprachkultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die ersten Gelehrtengesellschaften in Böhmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Nationale Bildungsbewegung und Förderung der Wissenschaft . . . . . . III. Entwicklung einer modernen tschechischen Hochsprache und Rechtsterminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Entwicklung der tschechischen Rechtskultur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Tschechische Juristenvereine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Právnická Jednota . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verein Všehrd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Anwaltsverein Spolek českých advokatů v Praze . . . . . . . . . . . . II. Betätigungsfeld der tschechischen Juristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Prager Universität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 20 20 31 49 50 58 63 65 66 72 73 81 81 82 87 93 94 96

8

Inhaltsverzeichnis Kapitel 2



Das Sprachenproblem: Gleichberechtigung der tschechischen Sprache in der Verwaltung und bei Gericht

106

A. Die Sprachengerechtigkeit in der Ära Bach und die Reformierung der Verwaltung (1848–1860) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Sprachenrecht nach dem Oktoberdiplom (1860) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 C. Das Sprachenrecht und die Anwendung des Art. 19 des österreichischen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 D. Das Sprachenrecht in der Ära Hohenwart-Schäffle . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 E. Regierung Taaffe (1879–1897) und die Stremayer’sche Sprachenverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 F. Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 G. Schulsprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Kapitel 3

Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

148

A. Právník (1861–1862, 1864 bis heute)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I. Beweggründe der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Biographien der Zeitschriftengründer Rudolf Thurn-Taxis, Jan Jeřábek, Karel Jaromír Erben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Redakteure und Autoren ab 1864 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Ziel und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 V. Programm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 VI. Erwartungen der Hausgeber; Leserschaft und Abonnenten . . . . . . . . . . 179 VII. Fachgebiete und Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 1. Rechtsphilosophie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Rechtsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 4. Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5. Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 6. Verschiedenes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Zehn Jahre Tschechoslowakei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 B. Samosprávný Obzor (1879–1908) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 I. Herausgeber und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Anliegen und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196



Inhaltsverzeichnis

9

III. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 IV. Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 V. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 C. Sborník věd právních a státních (1901–1943 und 1946–1948) . . . . . . . . 201 I. Gründer und Redakteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Ziel und Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 III. Autoren und Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 IV. Kriegsjahre und Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 D. Správní Obzor (1909–1919) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Anliegen und Ziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Herausgeber und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 IV. Einstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210

2. Teil

Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

211

Kapitel 1

Die Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 und ihre Entwicklung bis ins Jahr 1938

211

A. Staatsgründungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 I. Ausarbeitung einer Verfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 II. Festlegung der Staatsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 III. Trennung von Staat und Kirche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 IV. Vereinheitlichung der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 V. Aufbau einer neuen Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 VI. Errichtung neuer Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Das Oberste Gericht in Brünn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Das Oberste Verwaltungsgericht in Prag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 B. Nationalitätenprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 I. Staatsangehörigkeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Rechtslage vor dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Rechtslage nach dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 a) Staatsangehörigkeitsrecht im Sudetenland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 b) Staatsangehörigkeitsrecht im Protektorat Böhmen und Mähren. . 225 II. Minderheitenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 III. Sprache und Sprachenpolitik in der Tschechoslowakei . . . . . . . . . . . . . 227

10

Inhaltsverzeichnis Kapitel 2



Die politischen Ereignisse nach 1938

235

Kapitel 3

Die neugegründeten tschechischen juristischen Zeitschriften nach 1918

238

A. Všehrd (1920–1941) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 I. Redakteure und Mitarbeiter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Anliegen der Zeitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 III. Inhalt und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 IV. Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 V. Abnahme und Einstellung der Zeitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 B. České Právo (1919–1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 C. Soudcovské Listy (1920–1943) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 I. Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 II. Anliegen der Zeitschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 III. Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 IV. Aufsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 D. Die beiden Anwaltsblätter: Česká Advokacie (1922–1938) und Právní Prakse (1936–1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 I. Česká Advokacie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Právní Prakse (1936–1948) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 E. Veřejná Správa (1931–1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Kapitel 4

Deutsche juristische Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei

269

A. Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1920–1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 B. Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919–1942), ab 1943 Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft (1943–1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 C. Prager Juristische Zeitschrift (1921–1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 D. Deutsches Anwaltsblatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1935–1938) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295



Inhaltsverzeichnis

11

3. Teil

Einstellung und Lebensdauer der tschechischen und deutschen juristischen Zeitschriften

309

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

Einleitung Im Hinblick auf Aufklärung und Öffentlichkeit kommt zwei verschiedenen Institutionen eine besondere Vermittlerrolle zu: Zeitschriften und Vereinen.1 Alle Bereiche des menschlichen Fortschritts und der Kultur finden ihr Spiegelbild in der Presse, die im Lauf ihrer Entwicklung zur Kulturträgerin ersten Ranges geworden ist. Im 19.  Jahrhundert waren in allen west- und mitteleuropäischen Gesellschaften Zeitungen und Zeitschriften die wichtigsten Instrumente der Meinungsbildung.2 Zeitschriften sind das „kulturelle Gedächtnis“ einer Epoche und dienen der Bewahrung sowie der Archivierung von rechtspolitischen Ereignissen und Prozessen. Es gehörte zum Wiedererwachen der nationalen Kultur, dass sich Kommunikationsformen der verschiedensten Art herausbilden, in denen sich das geistige Leben kristallisierte.3 Um die Jahrhundertwende kam es in den böhmischen Ländern4 zu einschneidenden Veränderungen im Lebensstil und Bewusstsein seiner Bürger. Neue technische Errungenschaften, wie der Eisenbahnausbau, elektrische Beleuchtung, Entwicklung der Reproduktionstechnik und die Erfindung des Telefons, förderten den Informationsaustausch.5 Die Presse-, Verlags- und Wissenschaftslandschaft wurde vielseitiger. Es entstand eine neue Unternehmerschicht, die Kunstsalons und Gesellschaftsclubs gründete und im Jahr 1890 wurde die Tschechische Akademie der Wissenschaften und der Künste ins Leben gerufen. Eine neue tschechische Literatur entstand, und mit ihr die ersten tschechischen Zeitungen und Zeitschriften. Die Entwicklung der tschechischen Literatur trug maßgebend zur Etablierung des Tschechentums6 in die Gesellschaft bei. „Daraus resultierte für die Literatur folgende Charakteristika: erzieherische Funktion im Sinne der Heranbildung des Nationalgefühls, Forderung nach Verständlichkeit und Abzie-

1  Zwi

Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 75. Stolleis, Inga Schmitt, Zur Entstehung der Zeitschriften des Öffent­ lichen Rechts seit 1848. In: Quaderni Fiorentini, Bd. 13, Mailand 1984, S. 747. 3  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 75. 4  Dies waren: Böhmen, Mähren, Schlesien; Näheres in: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, 4.  Bd., hg. von Karl Bosl, Stuttgart 1967–1974. 5  Jiří Holý, Geschichte der tschechischen Literatur des 20.  Jahrhunderts, Wien 2003, S. 16. 6  Zum Tschechentum: Jiří Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 64. 2  Michael

14

Einleitung

len auf eine nationale Geschichte.“7 Die wichtigste Voraussetzung, um die tschechische Bevölkerung für die Nationalbewegung mobilisieren zu können, war der Neuaufbau einer politischen Presse. Die Zeitschrift wurde dabei zu einem Zentrum der sich entwickelnden tschechischen bürgerlichen Intelligenz.8 Das besondere Charakteristikum der tschechischen Zeitschriften war ihre Eigenschaft, ein relatives und komplexes in sich geschlossenes Ganzes zu sein – aber doch nur ein Torso ohne kontinuierliche, sicher­ gestellte Entwicklungs- und Existenzbedingungen – was die tschechischen Blätter für bestimmte Fragestellungen zu einem besonders günstigen Forschungsgegenstand macht und dazu beiträgt, in die Denkweise und Planung der tschechisch-nationalen Führung einzudringen.9 Zwischen 1863–1895 hatte sich die Zahl der tschechischen Blätter von 10 auf 120 erhöht.10 Da die Tschechen in Ablehnung der Verfassung von 186711 dem Abgeordnetenhaus bis 1879 fernblieben, fand die Konfrontation zwischen den politischen Standpunkten vorrangig in Zeitungen und Zeitschriften statt.12 Die Stellungnahmen und Entgegnungen der Politiker wurden nicht wie sonst üblich im Parlament geäußert, sondern mittels der jeweiligen Presseorgane ausgetragen.13 So sah Masaryk in der Journalistik die Fortsetzung der parlamentarischen Kritik.14 Auch wenn sich die neue Intelligenz nach und nach der Politik zuwandte, blieb die Journalistik weiterhin ihr Mittel zur Erneuerung des tschechischen Lebens.15 Trotz der stetigen Politisierung der böhmischen Länder stellt sich die präzise Einordnung der tschechischen Zeitschriften nach ihrer politischen Richtung als problematisch dar, da sich  bis zur Aufhebung des Zeitschriftenstempels im Jahre 1899 (RGBl.

7  Holý, Geschichte der tschechischen Literatur des 20.  Jahrhunderts, Wien 2003, S. 75. 8  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994. S. 75. 9  Monika Glettler, Die Wiener Tschechen um 1900, Wien 1972, S. 444. 10  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 75 (Fußnote  215). 11  Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger 1867; Ernst Rudolf Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3. Bismarck und das Reich, Stuttgart 1988, S. 612  ff. 12  Wilhelm Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 165; Helmut Rumpler, Parlament und Regierung Cisleithaniens. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 7. Verfassung und Parlamentarismus, 1.  Teilband, hg. von Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch, Wien 2000, S. 701  ff. 13  Eugenie Trützschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse 1861–1879, Wiesbaden 1982, S. 7. 14  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 70. 15  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 76.



Einleitung

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Nr.  261)16 die meisten Blätter für unpolitisch erklärten.17 Neben den politischen Zeitschriften entstanden die ersten juristischen Periodika, die zur Popularisierung juristischen Wissens in Böhmen beitrugen und dem Publikum die Möglichkeit eröffneten, von rechtlichen Vorgängen Kenntnis zu erlangen. Sie waren ein wichtiges Instrument bei der Visualisierung und dem Transport von neuen Gesetzen und Verordnungen. Durch die Konzentration der rechtlichen Themen hatte die juristische Zeitschrift einen Fokuscharakter, den kein anderes Medium dieser Zeit aufweisen konnte. Ferner übernahmen die tschechischen juristischen Zeitschriften die Aufgabe, den neuen Organen in Politik und Gesellschaft eine Bühne und dem damaligen Fachpublikum Auskunft über die neueste Rechtsprechung zu geben. Die Untersuchung konzentriert sich auf Prag, da sich dort ein besonders aktives tschechisches Kulturleben entwickelt hatte, das alle Elemente aufwies, um die Entstehung einer Kulturnation zu ermöglichen.18 Die Ausbildung der tschechischen juristischen Zeitschriften war nur im Umfeld dieser multikulturellen Stadtgesellschaft, in der die Konzentration des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens stattfand, möglich. Das Vorhaben untersucht die politisch-historische und staatsrechtliche Entwicklung der tschechischen Rechtswissenschaft im Spiegel der juristischen Fachpresse des 19. und 20.  Jahrhunderts. Nach dem Urteil des ungarischen Historikers Oskar Jázi stellt die österreichisch-ungarische Monarchie eines der interessantesten Experimente der Staatsbildung dar.19 Da der Entwicklungsprozess der tschechischen juristischen Zeitschriften ohne die Kenntnis der sie umgebenden Gesellschaft und ihrer staatlichen Organe nicht begreifbar ist, werden auch die politischen, kulturellen und sprach­ lichen Voraussetzungen Böhmens in die Darstellung mit einbezogen. Dazu werden die entscheidenden „Eckdaten“ der böhmischen Geschichte dargestellt, die den Weg zur Staatsgründung im Jahre 1918 ebneten. Zum Verständnis des „tschechischen Wegs“20 orientiert sich die Arbeit an dem von Miroslav Hroch entwickelten „Drei Phasen-Modell“21. Hiernach markiert 16  Näheres bei: Kurt Paupié, Handbuch der österreichischen Pressegeschichte 1848–1959, 2.  Bd., Wien 1960, 1966. 17  Glettler, Die Wiener Tschechen um 1900, Wien 1972, S. 444. 18  Christopher P. Storck, Kulturnation und Nationalkunst, aus der Reihe: Mittelund Osteuropawissenschaften Bd. 2, Köln 2001, S. 20 (in Folge zit: Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001). 19  Hannelore Burger, Die Badenischen Sprachverordnungen für Mähren: Ein europäisches Gedankenspiel. In: Bohemia, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, Bd. 35, 1994, S. 78. 20  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 15. 21  Miroslav Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, S. 24–25.

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die erste Phase (1790–1820) das intellektuelle Interesse einiger weniger Gelehrten an Sprache, Kultur und Geschichte der tschechischen Ethnie. Auf die zweite Phase (1820–1860), die auch als Agitationsphase bezeichnet wird und die die Grundlage einer gemeinsamen Interessen- und Wertgemeinschaft bildet, folgt schließlich die dritte Phase (1860–1918), die durch eine weit reichende Nationalisierung der Massen geprägt ist.22 Bezüglich der allgemeinen Entstehungsvoraussetzungen der tschechischen juristischen Zeitschriften wird vor allem der Frage nach der Bedeutung von Nationalsprache und Nationalgedanke nachgegangen. Dazu werden die Biographien der maßgeblichen Akteure und Vordenker (z. B. Josef Dobrovský, Josef Jungmann, Pavel Josef Šafařik, František Palacký, František Ladislav Rieger) vorgestellt, die entscheidend zur Neubelebung der tschechischen Sprache und Literatur beitrugen. Ein Schwerpunkt der Arbeit liegt auf der Entwicklung des tschechischen Rechtslebens, da das Recht einen entscheidenden Teil der Gesamtheit der Kultur bildet. Es musste zunächst ein juristisches Umfeld geschaffen werden, um die Gründung der Zeitschriften überhaupt zu ermöglichen. Hierfür mussten zunächst eine geeignete Rechtsterminologie entwickelt werden, tschechischsprachige Vorlesungen eingerichtet, juristische Fachkräfte ausgebildet und juristische Vereine gegründet werden. Einen besonderen Stellenwert hat hierbei die Entwicklung der tschechischen Rechtsterminologie. Bis zum Ende des 19.  Jahrhunderts sah die tschechische Nationalbewegung ihr zentrales Anliegen in der Einführung einer modernen tschechischen Hochsprache. Der vorhandene Wortschatz war auf die Bedürfnisse des Alltags beschränkt und eine wissenschaftliche oder fachliche Terminologie fehlte.23 Die ersten tschechischen juristischen Zeitschriften hatten anfänglich damit zu kämpfen, dass die slawische Sprache für gewisse, dem neueren Rechtsund Staatsleben angehörigen Begriffe noch keine allgemein anerkannten Ausdrücke besaß. Im Bereich der Rechtswissenschaft war das Deutsche immer noch die Sprache der Gesetze. Dieser „Germanisierungsdruck“ führte zwangsläufig zum Widerstand, dessen Ergebnis der Aufschwung der tschechischen nationalen Wiedergeburt war, die in der Sphäre der Sprache und des Rechts die Entstehung einer modernen tschechischen Rechtsterminologie veranlasste.24 22  Storck,

Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 16. Slapnicka, Österreichs Bemühungen um eine slawische Rechtsterminologie. In: Rechtshistorische Konferenz in Krems   /   Stein vom 21.4.–24.4.1974, S. 2. 24  Karel Malý, Sprache – Recht und Staat in der tschechischen Vergangenheit, in: Sprache – Recht – Geschichte, Rechtshistorisches Kolloquium 5.–9. Juni 1990. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, hg. von Jörn Eckert, Hans Hattenhauer, Heidelberg 1991, S. 263 (in Folge zit.: Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991). 23  Helmut



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Die Zeitschriften bildeten oftmals ein Sammelbecken hervorragender Männer, die sich um den Staat und die Wissenschaft verdient machten und politische Spitzenfunktionen einnahmen. Zu den „Zeitschriftenmachern“ der ersten Stunde gehörten Rudolf Thurn-Taxis und Antonín Randa. Thurn-Taxis, der sich als deutscher Adeliger zum Tschechentum bekannte, und tschechischer war als viele seiner tschechischen Freunde, gründete im Jahr 1861 aus tschechischnationaler Überzeugung die erste tschechische juristische Zeitschrift Právník (Jurist). Dieses Beispiel zeigt, dass die tschechische Rechtskultur zum größten Teil auf einem deutschen Fundament aufgebaut war. Der eigentliche Kopf, der hinter der Zeitung stand, war der prominente Zivilrechtler Antonín Randa, der die Zeitschrift mit seinen anspruchsvollen Aufsätzen aus allen Rechtsgebieten bereicherte und ihr damit auch über die Grenzen hinaus Ansehen verschaffte. Die Auswertung der juristischen Zeitschriften setzt mit dem Jahr 1861 ein, da die politische Meinungsäußerung bis 1860 ausgesprochen zurückhaltend war und eine kritische Berichterstattung erst mit dem Erscheinen des Oktoberdiploms25 allmählich auflebte, sodass erst zu diesem Zeitpunkt an eine Zeitschriftengründung gedacht wurde.26 In der Zeit nach 1860 wurde massenwirksam eine tschechische Öffentlichkeit hergestellt, die als Basis für den Aufbau einer Nationalgesellschaft benutzt wurde.27 Nicht die Ideen an sich werden bewertet, sondern ihre Institutionalisierung und Instrumentalisierung, nicht nur die gelehrten Vordenker stehen im Brennpunkt, sondern die „Macher“ der tschechischen Gesellschaft, die aktiv an der Herausbildung der tschechischen Nation beteiligt waren.28 Die Gründer der ersten tschechischen juristischen Zeitschriften waren durch ihre historische Aufarbeitung der tschechischen Rechtsgeschichte und die dadurch bedingte Ausbildung einer tschechischen Rechtsterminologie direkt an der Gestaltung einer tschechischen Rechtswissenschaft beteiligt. Bei der Auswertung der Zeitschriften stehen die sprachenpolitischen Themen im Vordergrund, da der Kampf um die Gleichberechtigung der tschechischen Sprache an den Schulen, Universitäten, Behörden und Gerichten „das“ zentrale Thema zwischen 1860 und der Staatsgründung im Jahr 1918 war. Mit der Gründung der Tschechoslowakei, war der Nationalisierungsprozess vorerst beendet. Nach 1918 entstanden eine Reihe neuer tschechi25  Zum Oktoberdiplom: Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. 3. Bismarck und das Reich, Stuttgart 1988, S. 378  ff. 26  Trützschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse 1861–1879, Wiesbaden 1982, S. 7. 27  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 16. 28  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 16.

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scher juristischer Zeitschriften (Všehrd, České Právo, Česká Advokacie, Soudcovské Listy) die sich mit den neuen staatsrechtlichen Gegebenheiten auseinandersetzten. Mit der Staatsgründung war die Arbeit aber lange noch nicht beendet: Der Staatsaufbau musste organisiert werden, Staatsverträge abgeschlossen und das Staatsangehörigkeitsrecht neu geregelt werden. Dieser Prozess des Neuaufbaus wird anhand der tschechischen juristischen Zeitschriften dokumentiert, bis er schließlich durch das Münchner Abkommen29 im Jahr 1938 ein abruptes Ende fand. Was die Auswahl der hier zu untersuchenden Zeitschriften betrifft, so wurden nationale, regionale Gesichtspunkte sowie politische und fachspezifische Kriterien herangezogen. Es erfolgt eine Zäsur zwischen den Zeitschriften, die vor 1918 herausgegeben wurden und damit als Wegbereiter der tschechischen Nationswerdung galten, und den Zeitschriften nach der Gründung der Tschechoslowakei, die den Aufbau des neuen Staates widerspiegelten. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die erste tschechische juristische Universalzeitschrift Právník30 (ab 1861), deren Aufsätze die politischen und rechtlichen Entwicklungen und Ereignisse Böhmens bis zur Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 aufzeigen und die auch selbst an diesem Entwicklungsprozess beteiligt war. In die weitere Untersuchung der Zeitschriften vor 1918, fallen die Samosprávný Obzor31 (1879–1908), die Sborník věd právních a státních32 (1901–1948) und die Správní Obzor33 (1909–1919). Um die unterschiedlichen Umstände nach 1918 besser illustrieren zu können, werden nicht nur tschechische juristische Zeitschriften wie Všehrd34 (1919–1941), České Právo35 (1919–1948), Soudcovské Listy36 (1920–1943), Česká Advokacie37 (1922–1940), Veřejná Správa38 (1931– 1938) und Právní Prakse39 (1936–1948), sondern auch deutsche juristische Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei präsentiert, wie z. B. das  Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919–1942; ab 1943–1944 Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft), die Juris­ 29  Näheres bei: Keith Robbins, München 1938: Ursprünge und Verhängnis; zur Krise der Politik des Gleichgewichts, Gütersloh 1969. 30  Deutsche Übersetzung: Jurist. 31  Deutsche Übersetzung: Selbstverwaltungsrundschau. 32  Deutsche Übersetzung: Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft. 33  Deutsche Übersetzung: Verwaltungsrundschau. 34  Benannt nach dem tschechischen Juristen Viktorin Kornel aus Všehrd (um 1460). 35  Deutsche Übersetzung: Tschechisches Recht. 36  Deutsche Übersetzung: Richterblätter. 37  Deutsche Übersetzung: Tschechische Advokatur. 38  Deutsche Übersetzung: Die öffentliche Verwaltung. 39  Deutsche Übersetzung: Rechtspraxis.



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tenzeitung für das Gebiet der tschechoslowakischen Republik (1920–1938), die Prager Juristische Zeitschrift (1921–1938) und das Deutsche Anwalts­ blatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1935–1938; ab 1938 Sudetendeutsches Anwaltsblatt). In ihrem Zusammenhang soll das spannungsreiche Nebeneinander von deutscher und tschechischer Rechtskultur aufgezeigt werden.

1. Teil

Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918 Kapitel 1

Kulturelle und politische Voraussetzungen für die Gründung der tschechischen juristischen Zeitschriften A. Traditionalismus und Nationalismus: Die tschechische Wiedergeburt Die Voraussetzungen für die tschechische Nationsbildung sind bereits durch zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten1 hinlänglich erschlossen worden. Deshalb beziehen sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf die Aspekte, die für die Entwicklung der tschechischen juristischen Zeitschriften von Bedeutung sind. Hierzu werden die Biographien der maßgeblichen Akteure (Josef Dobrovský 1753–1829, Josef Jungmann 1773–1847, Pavel Josef Šafařik 1795–1861, František Palacký 1798–1876, František Ladislav Rieger 1818–1903) vorgestellt, die entscheidend zur Neubelebung der tschechischen Sprache und Kultur beitrugen. I. Erste Phase der tschechischen Nationsbildung (1790–1820) Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erwachte das nationale Bewusstsein des tschechischen Volkes. Seine nationalen Bestrebungen setzten anfänglich auf dem Gebiet der Volkskunde, Sprach- und Geschichtsforschung ein, um späterhin auf das Gebiet der Politik überzugreifen.2 Ein Aufleben des tschechischen Nationa1  Otto Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, 2.  Bd., Wien 1994; Jan Křen, Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996; Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991. 2  Heinrich Rauchberg, Bürgerkunde der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1935, S. 49.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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lismus wurde erst möglich, als eine verjüngte bürgerliche nationale Intelligenz ganz offen an die Seite des weltlichen und geistlichen Adels trat, um den tschechischen Nationalismus neu zu beleben.3 Das Zusammentreffen von aufgeklärt-absolutistischen Ideen, Oppositionsdenken und patriotischer Gesinnung sowie herderisch-romantischer Geschichtsdeutung leitete die erste Phase der Nationsbildung bei den sog. kleinen Völkern Osteuropas ein.4 Als Auswirkung des Dreißigjährigen Krieges und der dadurch bedingten Einbindung der Länder der böhmischen Krone in das Habsburgerreich verloren die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Eliten der böhmischen Länder im Laufe des 17.  Jahrhunderts immer mehr an Bedeutung.5 Die Schlacht am Weißen Berg begründete hierbei eine entscheidende Zäsur in der Geschichte der böhmischen Länder. Als Folge der Niederlage trat eine gewaltsame Rekatholisierung und Germanisierung ein, die die „Zeit der Finsternis“ (temná doba) einleitete. Die gesamte Phase zwischen dem Zerfall des Hussitentums und der Wiedergeburt wurde in der tschechischen Geschichtsforschung zutreffend als „Katharsis der tschechischen Nation“ bewertet.6 In staatsrechtlicher Hinsicht verloren die böhmischen Länder nach der Niederlage am Weißen Berg aufgrund ihrer Umwandlung in eine Provinz des Habsburgerreiches alle Attribute eines eigenständigen und autonomen Landes, in sozialer Hinsicht verloren sie durch die Liquidierung des böhmischen Adels und der Intelligenz ihre politische Führungsschicht.7 Durch die Integration des Adels und des Bürgertums in die deutsche Sprachund Kulturgemeinschaft sank das Tschechische immer mehr zur Umgangssprache der bäuerlichen und städtischen Unterschichten herab.8 Wer in den bürgerlichen Berufen ein höheres Sozialprestige genießen wollte, sprach Deutsch. Erst am Ende des 18.  Jahrhunderts begann zunächst aus rein philologischen Interessen der Prozess der Wiederbelebung des tschechischen kulturellen Potentials. Nachdem von Deutschen, wie Herder, dem Urvater des deutschen romantischen Nationalismus9, und Friedrich Schlegel, immer wieder gelehrt worden war, dass die Sprache neben der Abstammung das wichtigste sei und eine „selbständige Nation“ nicht nur „das Recht hat, eine 3  Robert A. Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 150. 4  Ernst Bruckmüller, Nation Österreich, Wien 1984, S. 108. 5  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 17. 6  Karel Kramář, Mladá generace (Junge Generation). In: Čas (Zeit), Bd. 6, 1892, S. 577–584. 7  Milan Otáhal, František Palacký und die Tschechischen Liberalen. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996, S. 47. 8  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 17. 9  Eduard Winter, Frühliberalismus in der Donaumonarchie, Berlin 1968, S. 43.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

eigene und selbständige Literatur zu besitzen“, sondern auch seine eigene Amtssprache, wie Schlegel bereits 1810 in Wien in seinen Vorlesungen verkündet hatte, empfanden die nichtdeutschen Völker die deutsche Sprache immer mehr als eine Bedrückung durch die Deutschen.10 In dem berühmten „Slawenkapitel“, dem 4. Kapitel des 16. Buches seiner Ideen zur Philoso­ phie der Geschichte der Menschheit (1791)11, stellte Herder die Slawen als friedliche, Ackerbau betreibende und sangesfreudige Menschen dar, die den kriegerischen Germanen schutzlos ausgeliefert gewesen seien und zeichnete ihnen am Ende des Kapitels ein hoffnungsvolles Zukunftsbild: „So werdet auch ihr so tief versunkene, einst fleißige und glückliche Völker, endlich einmal von eurem langen Schlaf ermuntert, von euren Sklavenketten befreit (…).“ Diese wohlwollende Beurteilung, die gewiss auch dem sentimentalen Zeitgeschmack entsprach, beflügelte das Selbstbewusstsein der erwachenden slawischen Nation. Um die Nationsbildung zu legitimieren, bedurfte es eines passenden Leitmotivs, deren Ausgangspunkt Herders Vorstellung vom „komplementären Charakter der Beiträge aller Nationen zur kulturellen Entwicklung der Menschheit insgesamt“ war.12 Die eigene Sprache war allein keine ausreichende Basis für die Nationalität, vielmehr bedurfte es noch eines „gemeinsamen Geisteslebens, einer gemeinsamen Kultur und der Verschmelzung der verschiedenen Sprachvarianten der Völker zur Kultur einer einheitlichen Elite“.13 Dass der Aufbau einer spezifischen tschechischen Kultur nur durch die Abgrenzung vom Deutschen gelingen konnte, schlug sich vor allem in der tschechischen Literatur nieder. Unter dem Einfluss der Herderschen Ideen befasste sich bereits in der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts eine kleine Gruppe Gelehrter mit der Wiederentdeckung der tschechischen Sprache und Literatur und leitete dabei die erste Phase der tschechischen Nationsbildung ein. In dieser „gelehrten Phase“, die mit dem Jahr 1848 ihren Abschluss fand, hatte die tschechische Wiedergeburt durchaus noch keinen tschechischen Charakter, sondern bildete sich im Milieu der deutschen Aufklärung heraus.14 Dabei ist die Feststellung Goethes, dass die tschechische Wiedergeburt in vieler Hinsicht nur eine „Transkription“ deutscher Inhalte ins Tschechische sei, zumindest im Hinblick auf die Anfänge 10  Winter,

Frühliberalismus in der Donaumonarchie, Berlin 1968, S. 110. Gottfried Herder, Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit, 4.  Bd. 1784–1791; Walter Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1. Von den Anfängen bis zur Aufklärungszeit, Köln 1990, S. 357. 12  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 84; Sundhaussen, Der Einfluss der Herderschen Ideen auf die Nationsbildung bei den Völkern der Habsburger Monarchie, München 1973, S. 26–37, 42–43. 52–53. 13  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 84; Jaques Novicov, Národnost a politika. In: Čas (Zeit) 1887, S. 243. 14  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 45. 11  Johann



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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der Wiedergeburt weiterhin anerkannt.15 Die deutsche Sprache bildete hierzu das Medium, in dem sich die tschechische Literatur entwickeln konnte. Dies erklärt auch die Tatsache, dass die Mehrzahl der ersten grundlegenden Werke der tschechischen Wiedergeburt nicht in tschechischer, sondern in lateinischer oder in deutscher Sprache geschrieben wurden.16 Nicht nur für den sprachlichen Bereich war das gesamte geistige Leben der tschechischen Gesellschaft in den Anfängen der Wiedergeburt deutschen Ursprungs.17 Selbst den tschechischen nationalen Erweckern stand die deutsche Sprache und Kultur näher als die tschechische. Das Tschechische war vielmehr ein Kommunikationsmittel, das die meisten sich erst erarbeiten mussten und viele auch bis zu ihrem Lebensende nicht beherrschten.18 Ein Tscheche zu sein, konnte sich in der ersten Phase der Wiedergeburt nur sehr selten auf natürliche Weise ergeben, sondern war vielmehr eine Frage der freien und freiwilligen Entscheidung, so sprach Milan Kundera auch im Jahr 1967 von der „Nichtselbstverständlichkeit“ seiner Nation.19 Die Pioniere dieser „neutschechischen Periode“ waren insbesondere Josef Dobrovský (1753–1829) und Josef Jungmann (1773–1847). Sie begeisterten sich für eine wissenschaftliche Eigenständigkeit der Nationalsprache und für die volkstümliche Kultur. Ihre Arbeit befasste sich mit der Untersuchung der böhmischen Geschichte auf der Basis von Dokumenten der Goldenen Zeit. In der Philosophie der Aufklärung wurde das Goldene Zeitalter, mit seinen antiken Erzählungen von einem glücklichen Ursprung, als Gegenbild bestehender Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnisse re-interpretiert.20 Die Aktivitäten der Erneuerer führten zu sprachwissenschaftlichen Studien der alten Schriften und folglich zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung der alten tschechischen Sprache. Die führende Figur bei der Wiederbelebung der tschechischen Sprache und Kultur war Josef Dobrovský, der noch heute als einer der Begründer 15  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 45. 16  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 45. 17  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 45. 18  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 18. 19  Otáhal, František Palacký und die tschechischen Liberalen. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996, S. 47. 20  Andreas Pribersky, Politische Erinnerungskulturen der Habsburger-Monarchie in Ungarn: Ein „Goldenes Zeitalter“?. In: Habsburg postcolonial, Machtstrukturen und kollektives Gedächtnis, hg. von Feichtinger, Prutsch und Csáky, Innsbruck 2003, S. 221   /   222.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

der wissenschaftlichen Slawistik gilt und dessen Werke von einer wissenschaftlichen Begeisterung für die Eigenständigkeit der Nationalsprache und der alten Kultur geprägt sind. Erst über das Studium der Bibel21 – Dobrovský schloss im Jahre 1776 sein Theologiestudium mit Diakonat ab – gelangte er zur slawischen Philologie. Paradox ist, dass er seine Hauptwerke in lateinischer oder deutscher Sprache verfasste. Seine Nachfolger schrieben zumindest einen großen Teil ihrer literarischen Studien in deutscher Sprache und genossen eine deutsche Erziehung.22 Zu seinen bedeutenden Werken gehörte die Geschichte der böhmischen Sprache und Literatur23, das Deutschböhmische Wörterbuch24, seine tschechische Grammatik Ausführ­ liches Lehrgebäude der böhmischen Sprache zur gründlichen Erlernung derselben für Deutsche, zur vollkommeneren Kenntnis für Böhmen25, die das Fundament für die Entwicklung einer neuzeitlichen tschechischen Hochsprache bildeten. Dobrovský hatte nur wenig Zuversicht in die Zukunft der tschechischen Sprache und Literatur; darüber hinaus war er Gelehrter ohne politischen Ambitionen. In das geistige Umfeld Dobrovskýs gehörte Josef Jungmann (1773–1847), der im Unterschied zu Dobrovský, welcher die grammatikalische Struktur der tschechischen Sprache etablieren wollte, an der Ausweitung und Modernisierung des tschechischen Wortbestandes arbeitete, so dass die Sprache allen sozialen und kulturellen Anforderungen einer modernen Gesellschaft gerecht werden konnte. Betrachtet man Dobrovský und Josef Jungmann als Exponenten ihrer Generation, so fällt auf, dass bei Jungmann das Natio­ nalbewusstsein ungleich intensiver war als bei Dobrovský. Während Dobrovský an die Möglichkeiten einer Wiederbelebung der tschechischen Sprachkultur nicht wirklich glaubte, war für Jungmann eine solche Widerbelebung kein Diskussionspunkt mehr; für ihn galt gerade die Literatur als ein Symbol einer funktionierenden Nation. Seine literarischen Werke waren darauf ausgerichtet, den Tschechen eine gleichberechtigte Position neben solch entwickelten Nationen wie den Deutschen, Franzosen usw. einzuräu21  Unter starker Heranziehung calvinistischer Literatur schuf eine Reihe brüderischer Theologen (Böhmische Brüder) und Philologen eine tschechische Übersetzung des Alten Testaments, die 1579–1593   /   94 in Kralitz gedruckt wurde. Die sechsteilige Kralitzer Bibel, bildete bis in die Zeit der tschechischen Wiedergeburt zu Beginn des 19.  Jahrhunderts die Grundlage für die Beschäftigung mit der tschechischen Sprache; Aus: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 7, Böhmische Brüder-Chinesische Religionen, Berlin 1981, S. 6. 22  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 407 (Anmerkungen zu Seite 154, Fn. 20). 23  Prag, 1792. 24  In zwei Bänden, 1802 u. 1821, Bd. 2 hrsg. von A. J. Puchmajer. 25  Prag, 1809.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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men.26 Der Unterschied zwischen Dobrovský und Jungmann äußerte sich bereits darin, dass Jungmann den zwanzig Jahre älteren Dobrovský herablassend als einen „slawisierenden Deutschen“ bezeichnete.27 Während Dobrovský in seinen wissenschaftlichen Arbeiten noch absolute Objektivität wahrte, scheuten sich die um Jungmann gruppierten Vertreter nicht, Illusionen nachzujagen oder gar wider besseres Wissen Fälschungen zu begehen, um der nationalen Sache zu dienen.28 Jungmann (1773–1847), der von 1795–1799 gegen den Willen seiner Mutter nicht Theologie, sondern Rechtswissenschaften studierte – ohne allerdings auf diesem Gebiet zu praktizieren – entwickelte sich zum Atheisten, der die Liebe zu seiner Nation zu seiner Religion machte.29 Seine Zuneigung zur „Göttin Slavia“ diente zur Emanzipation von der bedrückenden Übermacht der deutschen Elemente in Gesellschaft und Kultur der böhmischen Länder.30 Um seine Landsleute zu sprachbewussten Tschechen zu erziehen, lehrte er unentgeltlich und wo immer sich die Gelegenheit bot (teilweise zum Misstrauen seiner Vorgesetzten), die tschechische Sprache, so auch am Gymnasium in Leitmeriz31 (seit 1800) und am bischöflichen Seminar derselben Stadt (seit 1806).32 Anders als sein Lehrer Dobrovský schrieb er auch seine meisten Werke auf Tschechisch. In den folgenden Jahren veröffentlichte er eine Reihe von polemischen Texten, von denen die Dvojí rozmlouvání o jazyku českém (Gespräche über die tschechische Sprache) aus dem Jahre 1803 am bekanntesten sind und setzte sich für eine neue tschechische Prosodie und die von Dobrovský vorgeschlagene Orthografie ein. Mit seinen zahlreichen Übersetzungen33, versuchte er zu beweisen, dass die tschechische Sprache auch zur Wiedergabe anspruchsvoller literarischer Kunstwerke jeder Gattung geeignet war.34 1820 erschien sein Werk Slovesnost und im Jahr 1825 die Historie literatury české (Geschichte der tschechischen Literatur). Mit seinem berühmtesten Werk Slovník česko-německý35 (Tschechisch-deutsches Wörterbuch), schuf er die Grundlage für den modernen tschechischen Wort26  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 356. 27  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 357. 28  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 357. 29  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 358. 30  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 45. 31  Tschechisch: Litoměřice. 32  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 358. 33  u. a. Chateaubriands „Atala“, 1805 und Goethes „Hermann und Dorothea“, 1841. 34  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 359. 35  Tschechisch-deutsches Wörterbuch, 5.  Bd., 1835–1839.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

schatz. Darin sammelte er nicht nur Belege für Wörter, die bei Schriftstellern der alttschechischen Zeit vorkamen, sondern bemühte sich die Sprache so weit wie möglich auch von fremden Einflüssen freizuhalten.36 Er ging nach dem Prinzip vor, jedes Fremdwort nach Möglichkeit aus dem Wortbestand der älteren Sprachperioden der Goldenen Zeit oder der nächstverwandten slawischen Sprachen zu entlehnen und durch die Neuschöpfung von Worten zu ersetzen. Dies führte dazu, dass das Tschechische neben dem Ungarischen eine der an Fremdwörtern ärmste europäischen Sprachen ist (Stand: 1948).37 Somit wurde Jungmann auf vielen Wissensgebieten zum entscheidenden Anreger einer funktionierenden Begrifflichkeit, so dass es bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts möglich war, auf den verschiedensten Gebieten (Chemie, Botanik, Musik und Recht) ohne Schwierigkeiten auf Tschechisch zu schreiben. Danach mussten die neuen Ausdrücke nur noch von der wachsenden tschechischen Öffentlichkeit akzeptiert werden. Beim Annahmeprozess spielte die Publikation von Artikeln und Büchern in literarischer, technischer und journalistischer Hinsicht eine bedeutende Rolle. Einflussreich war hierbei auch die 1827 unter der Redaktion von František Palacký erschienene Monatsschrift der Gesellschaft des Vaterländischen Museums in Böhmen und deren tschechische Ausgabe Časopis Českého Musea, die mit mehrfach wechselndem Namen zum führenden Periodikum der tschechischen Wiedergeburt wurde.38 Beide Zeitschriften informierten über die Natur-, Kultur und Landesgeschichte Böhmens, über seine Wirtschaft und sein Brauchtum. Die deutsche Zeitschrift erschien monatlich und verkaufte sich auch in Deutschland. Die tschechische erschien vierteljährlich und gelangte nicht über die Landesgrenze hinaus. Die Zeitschriften hatten sich das Ziel gesetzt, ein tschechisches patriotisches Publikum um sich zu versammeln und unterschieden sich dadurch von ähnlichen Zeitschriften der benachbarten Völker.39 Am Beispiel der Monatsschrift zeigte sich, wie weit die Differenzierung und Teilung der böhmischen Gesellschaft bereits fortgeschritten war. Während die Zeitschriften in ihrer deutschen sowie tschechischen Ausgabe auf beiden Seiten der Gelehrten großen Anklang fanden, nahm die Zahl der Mitarbeiter bereits nach einem Jahr bedenklich ab.40 Die jüngeren tschechischen Literaten akzeptierten es nicht, dass die deutsche Ausgabe häufiger als die tschechische erscheinen sollte.41 Die deutsche Ausgabe der Zeitschrift litt zudem von Beginn an unter dem 36  Schamschula,

Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 362. Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 362. 38  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 370. 39  Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, S. 42. 40  Frank Boldt, Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 109. 41  Boldt, Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 109. 37  Schamschula,



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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Desinteresse der deutschen gebildeten Kreise und beklagte einen schwindenden Absatz.42 Im Ganzen war das Echo der Zeitschrift in Böhmen wie auch außerhalb der Grenzen bei den Lesern unzureichend. Dabei halfen auch Goethes publizistische Fürsprachen43 kaum und bereits 1830 erschien die deutsche Ausgabe nur noch als Jahrbuch und wurde schließlich ab 1831 völlig eingestellt.44 • Die Handschriften Die Aufarbeitung der Früh- und Vorgeschichte des tschechischen Volkes spielte bei der Entwicklung des tschechischen Nationalstolzes eine besondere Rolle.45 Die Bedeutung dieser eher legendären als historischen Epoche resultierte vor allem aus dem Anspruch der Tschechen, vor den Deutschen nach Böhmen und Mähren gekommen zu sein und um somit ein „Erstgeborenenrecht“46 zu konstruieren. Bei der Auseinandersetzung über die Frage der „Erstbesiedelung“ der böhmischen Krone suchten die Erwecker nach möglichst weit zurückliegenden Belegen, um eine tschechische Präsenz in den beanspruchten Gebieten zu belegen.47 Da die historischen Quellen nicht genügend Beweismaterial lieferten, blieb ihnen meistens nur noch der Weg der Herstellung von Falsifikaten, die angeblich aus dem Goldenen Zeitalter stammten und auf die Bedürfnisse der Nationalbewegung zugeschnitten waren.48 Die schrittweise Wiederherstellung der tschechischen Sprache durch die Kunstfertigkeit von Sprachwissenschaftlern und die all42  Zum Teil ergab sich das deutsche Desinteresse auch aus dem Ärger der deutschen Buchhändler gegen die österreichische Zensur. 43  Im Jahre 1830 erschien in dem von Karl August Varnhagen von Ense und Hegel gegründetem Jahresheft für Wissenschaftliche Kritik, Bd. 1, 1830 Nr.  58–60, S. 457–480, die Kurzfassung seiner Rezension zur Monatsschrift der Gesellschaft des Vaterländischen Museums, in der Goethe nicht nur seine Kenntnis der Zeitschrift zum Ausdruck brachte, sondern ebenso die Erfahrungen, die er in all den Jahren seiner böhmischen Kuraufenthalte (1785–1823) gemacht hatte. Darin wird deutlich, dass Goethe niemals zwischen Deutsch-Böhmen und den Böhmen tschechischer Landessprache unterschied, sondern stets das Land als Ganzes beurteilte. Dazu bemerkte Goethe: „Jene redlichen Bestrebungen unserer böhmischen Freunde werden auf solche Weise zu einiger Evidenz gebracht und es wird doch wohl als ein löbliches Unternehmen betrachtet werden, Deutsche mit Deutschen näher bekannt zu machen, da wir denn nicht unterlassen können fremde Nationen anzusprechen und von ihnen angesprochen zu werden“. 44  Boldt, Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 109. 45  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 97. 46  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 97; Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996. 47  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 97. 48  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 97.

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mählich wiederentdeckte und ins Bewusstsein gehobene Geschichte, bildeten ein so karges Instrument, dass sich Patrioten mit Fälschungen behelfen mussten.49 Der Traum von einer tschechischen Antike schien in Erfüllung zu gehen, als der Philologe Václav Hanka (1791–1861) im Jahre 1818 der Öffentlichkeit zwei auf Pergament geschriebene Texte (die sog. Königinhofer Handschriften), die er angeblich zufällig entdeckt haben soll, aber wie sich später herausstellte, selbst hergestellt hatte.50 Die Handschriften, die auf das 13.  Jahrhundert datiert wurden, fanden europaweit ein großes Echo und galten als „der Beweis“ für die Überlegenheit, der tschechischen Kultur gegenüber der Deutschen.51 Nicht selten wurden die Handschriften in die Reihe mit Homers Heldenepen gestellt und auch häufig mit dem Ossian verglichen, die sich später genauso wie die tschechischen Manuskripte als Fälschungen erwiesen haben.52 Inhaltlich stellte die Fälschung das längste Gedichtepos Jaroslav dar, das von den russisch-tartarischen Geschehnissen und vom endgültigen Sieg der Mährer unter Jaroslav berichtete.53 Die Auswirkungen der Handschriften nahmen zum Teil absurde Züge an, sie wurden wie die Kronjuwelen im tschechischen Nationalmuseum gehütet und ab 1861 fanden regelrechte Wallfahrten zu den beiden angeblichen Fundorten der Schriften statt.54 Zum fünfzigsten Jahrestag der Auffindung der Handschriften fanden Feierlichkeiten statt, die für eine Woche die Spalten der Národní Listy füllten.55 Lange Zeit versuchten Wissenschaftler, Politiker und Journalisten Mitte der achtziger Jahre verzweifelt, die Handschriften, die als wesentliche Quelle des Nationalstolzes galten, trotz der erdrückenden philologischen, historischen und chemischen Beweise, als echt zu proklamieren.56 Würde man heute eine Auswahl unter den Werken der wissenschaftlichen Erneuerer der tschechischen Sprache unter dem Aspekt ihrer Resonanz in der zeitgenössischen europäischen Welt treffen, so würde die Ausgabe der Königinhofer Handschriften die Spitze der Liste anführen.57 Die Handschriften, mit denen das ehrwürdige Alter der tschechischen Kultur bezeugt werden sollte, waren letztlich nur dazu bestimmt, die Minderwertigkeitskomplexe der Tschechen zu kompensieren und das Manko der 49  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 48. 50  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 97   /   98. 51  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 97. 52  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 98 53  Boldt, Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 231. 54  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 99   /   100. 55  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 100. 56  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 98. 57  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 407 (Anmerkung zu Seite 156, Fn. 20).



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Tschechen, dass sie bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts über kein nennenswertes kulturelles Leben verfügt haben, zu kaschieren.58 Es bedurfte zwei Generationen wissenschaftlicher Arbeit und vor allem Thomáš G. Masaryks Entschlossenheit, um die umstrittenen angeblich uralten Handschriften endgültig als Fälschungen hinzustellen und den Mythos zu zerstören.59 Die Aufarbeitung der alten tschechischen Rechtskultur nahm in den ersten tschechischen juristischen Zeitschriften einen großen Raum ein. Die erste Ausgabe der Zeitschrift Právník (1861), enthielt die beiden Rubriken Články historickeho-literární (literaturhistorische Aufsätze) und Důležité památky z  českého práva (bedeutsame Erinnerungen des tschechischen Rechts) über alttschechische Rechtsgeschichte und Literatur. Der Herausgeber Rudolf Thurn-Taxis verkündete in der ersten Ausgabe seiner Zeitschrift, dass sich das Blatt insbesondere dem Naturrecht und der Rechtsgeschichte widmen werde, da erst durch die Vereinigung von Naturrecht und Rechtsgeschichte die vollendete Entwicklung der Wissenschaft, der Gesetzgebung und der Rechtspraxis zu erzielen sei.60 Hierzu zitierte er den deutschen Juristen Thibaut, der schon in seinem Aufsatz über die historische Rechtsschule richtig bemerkt habe, dass „Rechtsgeschichte, um wahrhaft pragmatisch zu werden, die Gesetzgebung aller alten und neueren Völker umfassen muss; zehn geistvolle Vorlesungen über die Rechtsverfassung der Perser und Chinesen werden mehr wahrhaft juristischen Sinn wecken, als hundert über die jämmerlichen Pfuschereien, denen die Intestat-Erbfolge von August bis Justinian unterlag“.61 Der Právník begann zunächst sein Vorhaben mit dem Abdruck des St. Wenzelsvertrags aus dem Jahre 1517, der den damaligen Klassenkompromiss zwischen dem Adel und den Städten besiegelte.62 Eine weitere Aufarbeitung der tschechischen Rechtsgeschichte fand sich in dem Aufsatz63 von Josef Slavíček, der darin das Lebenswerk des tschechischen Juristen Vikrorin Kornelius aus Všehrd (1460–1520)64 wiedergab. Auch der Aufsatz „O starých soudech slovanských v zemi České“ (Über die slawischen Gerichte des tschechischen Landes) von Hermenegild Jireček zeigte das gesteigerte Interesse an der alten tschechischen Rechtstradition.65 Ein weiterer Beleg hierfür war der 58  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 48. 59  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 407 (Anmerkung zu Seite 156, Fn. 20). 60  Právník, Bd. 1, 1861, S. 18–19. 61  Právník, Bd. 1, 1861, S. 22. 62  Právník, Bd. 1, 1861, S. 25–33. 63  Právník, Bd. 1, 1861, S. 141–153 u. 200–204. 64  Schriftsteller, Jurist, ab 1484 Dekan der Prager Universität und Namensgeber der tschechischen juristischen Zeitschrift Všehrd. 65  Právník, Bd. 1, 1861, S. 245–250 u. 310–315.

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Aufsatz von Antonín Rybička „České řehole a přisloví právní“ (Tschechische Ordensregeln und juristische Sprichwörter).66 Rybička gibt darin die gesammelten und übersetzten Rechtssprichwörter und Ordensregeln des Vizekanzlers des tschechischen Königreichs (M. Brikcí ze Licska) aus dem Jahre 1541 wieder und die Ergänzungen verschiedener Ratsschreiber, die sich im Verlauf der Zeit an den städtischen und den dörflichen Gerichten entwickelt haben.67 Bemerkenswert ist, dass auch den Frauen in Zusammenhang mit dem Traditionalismus in der ersten Ausgabe des Právník (1861) ein Aufsatz gewidmet wurde. Dabei bezieht sich der Aufsatz Postavení ženského pohlaví v  právu českém (Die Stellung des weiblichen Geschlechts im tschechischen Recht) von J. Er. Wocel, hauptsächlich auf die Stellung der Frauen im alttschechischen Erbrecht. Die Fülle der historischen Aufsätze im Právník nahm aber zunehmend ab. Im zweiten Band (1862) wurden noch 22 historische Aufsätze publiziert, bereits im Jahr 1864 sank die Anzahl auf sechs Beiträge. Mit wachsendem Selbstbewusstsein der tschechischen Nation trat die Aufarbeitung alter tschechischer Literatur immer mehr in den Hintergrund. Durch die Zunahme der praktischen Fälle konzentrierten sich die Zeitschriften mehr auf die Veröffentlichung und Besprechung aktueller Rechtsfälle und Entscheidungen. Die Publizierung der rechtshistorischen Aufsätze hing auch mit der personellen Zusammensetzung des Redaktionsrats zusammen. Nach der Auswechslung des gesamten Redaktionsrats des Právník im Jahre 1864 lag der Schwerpunkt fast ausschließlich auf aktuellen Rechtsthemen. Zu den anderen tschechischen juristischen Zeitschriften, die vor 1918 herausgegeben wurden und rechtshistorische Aufsätze in das Programm aufnahmen, gehörte die im Jahr 1901 herausgegebene Zeitschrift Sborník věd právních a státních (Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft). Bis ins Jahr 1907 publizierte der Sborník regelmäßig historische Aufsätze. Erst nach dem Tod des Herausgebers Bohuš Rieger im Jahr 1907 ging die Zahl der historischen Beiträge deutlich zurück, 1907 waren es noch sechs Beiträge pro Zeitschrift, danach nur noch zwei. Die nach 1918 herausgegebenen tschechischen juristischen Zeitschriften enthielten nur vereinzelt rechtshistorische Aufsätze, spezielle Rubriken wurden nicht mehr in das Programm aufgenommen. Die erste Phase der Wiederbelebung der tschechischen Sprache und Kultur fand noch im kleinen Kreis unter den Gebildeten statt und war vom Standpunkt eines unmittelbaren Echos in der Gesellschaft bedeutungslos. Die patriotischen Bestrebungen der nationalen Erwecker endeten rückwirkend betrachtet erfolglos.68 Bei dem Versuch in den breiten Massen ein 66  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 113–115 u. 176–178 u. 235 u. 293. Bd. 1, 1861, S. 114. 68  Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, S. 41. 67  Právník,



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Nationalgefühl hervorzurufen, überschritten sie wissenschaftliche Grenzen und bedienten sich dabei zum Teil auch unseriöser Methoden (Königinhofer Handschriften). II. Zweite Phase der tschechischen Nationsbildung (1820–1860) Die zweite Phase des tschechischen Nationalismus stand für den Übergang des gelehrten Interesses zur nationalen Agitation („Agitationsphase“) und löste die von romantischen Vorstellungen geprägte erste Stufe der Nationalbewegung ab.69 Vor allem ab 1848 verließen die nationalen Protagonisten erstmals ihre Gelehrtenstuben und versuchten mehr oder weniger erfolgreich, Politik zu machen.70 Um größere Wirkung zu erzielen, war es nötig, eine breite Masse des Volkes zu erreichen und ihre Begeisterung für die nationale Idee zu wecken, was den Vertretern der ersten Phase nicht gelungen war. Zu dem Zweck wandten sich die nationalen Erwecker an die Landbevölkerung, Handwerker, den Mittelstand und die ärmeren Schichten. Dabei kam dem Nationalismus die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in den böhmischen Ländern zugute. So stieg die Zahl der Bevölkerung seit der zweiten Hälfte des 18.  Jahrhunderts stetig an. Zudem bewirkte die industrielle Revolution die Mehrung des materiellen Reichtums der Tschechen und ermöglichte eine Bevölkerungsverschiebung weg vom Land, hin in die bis dahin meist überwiegend deutschen Städte. Darüber hinaus bot die wirtschaftliche Entwicklung viele neue Möglichkeiten, es kam zu einer verstärkten sozialen Differenzierung und die gebildete Klasse wuchs.71 Erst in dieser Zeit gelang es, den nationalen Gedanken in breitere Bevölkerungskreise zu transportieren. Dies geschah in erster Linie durch neue kulturelle Einrichtungen, wie das im Jahr 1818 gegründete Vaterländische Museum, das ab 1827 eine eigene Zeitung die Časopis Českého Musea (Zeitschrift des böhmischen Museums) herausgab, die eine große Relevanz für die tschechische Nationalbewegung besaß. Bis in die Mitte der 1840er Jahre beschränkte sich die nationale Bewegung auf diesen kulturellen Bereich, erst danach kam es zu einem Generationswechsel an der Spitze und die öffentliche Tätigkeit wurde zunehmend politisiert.72 In der Revolution von 1848 zeigte sich, wie weit die Entwicklung der tschechischen Nationalbewegung in Böhmen bereits fortgeschritten war. Die Tschechen fanden ihr 69  Storck,

Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 70. Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 18. 71  John Bradley, Czech nationalism in the nineteenth century, New York 1984, S. 5  ff. 72  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 86. 70  Storck,

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Selbstbewusstsein und begannen nationale sowie soziale Forderungen zu stellen. Sie verlangten die politische und rechtliche Selbständigkeit Böhmens innerhalb der Habsburgermonarchie und die völlige Gleichstellung der tschechischen und deutschen Sprache innerhalb des böhmischen Königreichs. Ihre Forderungen standen damit den Einheitsbestrebungen der Deutschen entgegen, die Böhmen als Bestandteil Deutschlands ansahen.73 Immer deutlicher traten die Gegensätze zwischen Deutschböhmen und Tschechen hervor. Die deutsche Seite sah sich durch die nationalen Bestrebungen der Tschechen immer mehr bedroht. In gesellschaftlicher Sicht war das Jahr 1848 „a year of many firsts in modern Czech history“74. Es brachte das erste tschechische politische Programm, die ersten freien Volksversammlungen, die erste große und unabhängige tschechische Tageszeitung Národní Noviny (Nationalzeitung), die ersten geschriebenen Verfassungen der Habsburgermonarchie und die ersten ideologisch-politischen Strömungen.75 Die Ereignisse bewirkten eine neue Konstruktion des politischen Raums, damit verbunden auch heftige Diskussionen und Reaktionen in der Bevölkerung. Die Führungsgruppe der tschechischen Nationalbewegung trat, mit Palacký an der Spitze, vor die österreichische und europäische Öffentlichkeit erstmals mit einer naturrechtlichen Begründung der eigenständigen nationalen Existenz der Tschechen.76 Die in den sechziger Jahren gegründeten tschechischen juristischen Zeitschriften waren thematisch auf dem kulturellen und verfassungsrechtlichen Fundament der 1848er Jahre aufgebaut. Die Verfassungsentwicklung zwischen 1848 und 1861 stand im engen Zusammenhang mit den politischen Forderungen der Nationen auf Gleichberechtigung. Zwischen 1848 und 1861 erfolgte eine Phase der „Verfassungsexperimente“, mit der die österreichische Regierung die stetig wachsende Unzufriedenheit im Land aufhalten wollte. Der Missmut der Tschechen, die die vollkommene Gleichberechtigung der böhmischen und der deutschen Nationalität forderten, rief die erste nennenswerte politische Aktion der Tschechen hervor, die Wenzelsbad-Versammlung in Prag am 11. März 1848.77 Der radikale Prager Repeal-Club, 73  Otto Urban, Die Landtage der Böhmischen Länder. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band 7. Verfassung und Parlamentarismus, 2.  Teilband, hg. von Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch, Wien 2000, S. 1993. 74  Stanley Z. Pech, The Czech Revolution of 1848, Chapel Hill (Univ. of North Carolina) 1969, S. 333; Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 90. 75  Ernst Bruckmüller, Nation Österreich, Wien 1984, S. 112. 76  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 90. 77  Gerald Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 17.



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benannt nach der irischen Freiheitsbewegung „Repeal“78, rief in einem handschriftlichen Aufruf Tschechen und Deutsche zu einer Bürgerversammlung im Wenzelsbad in Prag auf.79 Auf der gut besuchten Versammlung – man sprach von dreitausend Teilnehmern – wurde eine Petition der Be­ wohner Prags mit der Forderung nach politischer Selbständigkeit verfasst. Es war das erste öffentlich unterstützte Programm der böhmischen Be­ völkerung seit Jahrhunderten. Folgende spezifische Forderungen wurden erhoben:80 1. Freie Entwicklung beider Nationalitäten, der böhmischen wie der deutschen und die vollkommene Gleichstellung der böhmischen und deutschen Sprache in Schule und Amt. 2. Änderung und Erweiterung der böhmischen Landesverfassung durch frei gewählte Abgeordnete. 3. Gewährung einer selbständigen Kommunalverfassung mit frei gewählten Magistraten und Gemeindevorständen bei voller Öffentlichkeit der Kommunalverhandlungen. a) Einführung des öffentlichen Gerichtsverfahrens und die Gewährung freier Presse. b) Besetzung der Ämter durch beider Landessprachen gleich kundige Männer. Die Forderungen waren ein Rekurs auf das böhmische Staatsrecht, das aus tschechischer Sicht ein Gewohnheitsrecht oder eine Art historische Rechtskontinuität darstellte, die bis in das 14.  Jahrhundert zurückverfolgt werden konnte. Das böhmische Staatsrecht floss aus einer langen Reihe von „landesfürstlichen Verleihungen, Privilegien81, Majestätsbriefen, Landtagsbeschlüssen und Landesordnungen“, es war „nicht in einer, sondern in der Gesamtheit der öffentlichen Rechtsurkunden zu suchen.“82 Aus der historischen Tradition des böhmischen Staatsrechts leiteten die tschechischen ­Politiker später ihre staatsrechtlichen Forderungen ab. Dies waren: Der 78  Die Iren befanden sich im Britischen Empire zumindest seit der Parlamentsunion von 1801 in einer ähnlichen Situation wie die Tschechen. Näheres bei: Jürgen Elvert, Vom Freistaat zur Republik: Der außenpolitische Faktor im irischen Unabhängigkeitsstreben zwischen 1921 und 1948, Bochum 1989, S. 2. 79  Winter, Frühliberalismus in der Donaumonarchie, Berlin 1968, S. 186. 80  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 165–166. 81  Zu den einzelnen Privilegien: Richard Plaschka, Das böhmische Staatsrecht in tschechischer Sicht. In: Das böhmische Staatsrecht, hg. von Ernst Birke und Kurt Oberdorffer, Marburg 1960, S. 5  ff. 82  Josef Kalousek, Einige Grundlagen des böhmischen Staatsrechts, Prag 1871, S. 5.

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Zusammenschluss der Länder der Wenzelskrone, die Krönung des österreichischen Kaisers zum König von Böhmen, die Unteilbarkeit Böhmens und schließlich die sprachliche Gleichberechtigung beider Völker in diesen Ländern.83 Die Berufung auf das Historische löste bei den Deutschböhmen Kritik aus, die sich die Frage stellten, inwieweit das Fortbestehen des Staates überhaupt zutraf. Von den ersten Antworten aus Wien nicht ausreichend befriedigt, verlangten die Prager Delegierten in ihrer zweiten Petition vom 29. März 1848 die „vollkommenste Gleichstellung der böhmischen und der deutschen Nationalität und Sprache in allen Lehr- und Verwaltungszweigen“.84 In Beantwortung der zweiten Petition erging am 8. April 1848 ein kaiserliches Handschreiben (Böhmische Charte)85. Darin sollte nicht nur die völlige Gleichberechtigung der deutschen und der tschechischen Sprache im Lande, sondern auch „die Errichtung verantwortlicher Zentralbehörden für das Königreich Böhmen in Prag mit einem ausgedehnten Wirkungskreis“ bewilligt werden.86 Eine weitere Zusage des Handschreibens besagte, dass „von nun an in Böhmen alle öffentlichen Ämter und Gerichtsbehörden nur durch Individuen, welche beider Landessprachen kundig sind“, besetzt werden sollen.87 Die Absichtserklärung der Böhmischen Charte sollte aber nicht zur Durchführung gelangen. Infolge der Unterdrückung der Revolution in Prag wurde die Anerkennung unwirksam gemacht. Dies stellte praktisch das erste zurückgezogene Versprechen der kaiserlichen Regierung gegenüber einer nationalen Gruppe dar.88 Die Böhmische Charte sollte aber später den Ausgangspunkt für weitere Verbriefungen des Rechts auf nationale bzw. sprachliche Gleichberechtigung bilden. Sie gab den Anstoß für die erstmalige Verankerung nationalitätenrechtlicher Schutzbestimmungen in den deutschen Verfassungsberatungen in Frankfurt.89 83  Křen,

Die Konfliktgemeinschaft, München 1996, S. 77–78. Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 17. 85  Edmund Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Wien 1911, S. 101. 86  Winter, Frühliberalismus in der Donaumonarchie, S. 187; Gerald Stourzh, Die Gleichberechtigung der Volksstämme als Verfassungsprinzip 1848–1918. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 3. Die Völker des Reiches, 2.  Teilband, hg. von Adam Wandruszka und Peter Urbanitsch, Wien 1980, S. 977  ff. 87  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 20. 88  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 169. 89  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 20. 84  Stourzh,



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Zuvor waren in Wien selbst revolutionäre Ereignisse eingetreten. Arbeiter und Studenten erhoben sich und schließlich brach am 13. März die offene Revolution aus, in deren Verlauf es zu blutigen Straßenkämpfen und Barrikaden in der Innenstadt kam. Unter dem Druck der ausbrechenden Revolution machte die Regierung erste Zugeständnisse: Rücktritt Metternichs, Einsetzung eines verantwortlichen Ministeriums, Aufhebung der Zensur und die Gewährung der Pressefreiheit. Diese Maßnahmen führten zunächst zu einem Ende der Unruhen. Konkret entschloss sich die Staatskonferenz zu einem vorbehaltlosen Verfassungsversprechen, das sie durch kaiserliches Manifest vom 15. März 1848 bekannt geben ließ.90 Zur Durchsetzung des Verfassungsversprechens wurden die Einsetzung eines verantwortlichen Ministerrates und die Einberufung der Landtage angeordnet.91 Am 21. März wurde die Ernennung des verantwortlichen Ministers Pillersdorf bekannt gemacht. Die Hauptaufgabe des Ministeriums war die Einlösung des kaiserlichen Verfassungsversprechens. Das Ministerium war sich der Gefahr bewusst, die dem Staat bei einer Verschleppung der Verfassungsfrage drohte. Daher entschloss sich das Kabinett zum unverzüglichen Inkrafttreten einer oktroyierten Verfassung, der sog. Pillersdorf’schen Verfassung (PGS. 49) vom 25. April 1848. Als Vorbild benutzte Pillersdorf die belgische Verfassung von 1831.92 Doch das Zweikammersystem, das indirekte Zensuswahlrecht, das den größten Teil der Bürger von der Wahl ausschloss und das absolute Vetorecht der Krone stießen in weiten Kreisen der Bevölkerung auf lebhaften Widerspruch. Die Opposition war mit dem Inhalt der Verfassung unzufrieden und sah in ihr den Bruch des Versprechens der vereinbarten Verfassung.93 Die Kritik steigerte sich schließlich noch durch den Erlass der 1. Reichstags-Wahlordnung vom 9. Mai 1848 (PGS. 57), wonach die Wahl zum Abgeordnetenhaus nur indirekt durch Wahlmänner erfolgen sollte und vor allem Arbeiter und Dienstpersonal als nicht wahlberechtigt galten.94 Die Unzufriedenheit mit der Verfassung, insbesondere mit dem Senat und dem beschränkten Wahlrecht, sowie der Versuch der Regie90  Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, München 2000, S. 228. 91  Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band 7. Verfassung und Parlamentarismus, 1.  Teilband, hg. von Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch, Wien 2000, S. 85. 92  Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 2. Der Kampf um Einheit und Freiheit 1830 bis 1850, Stuttgart, 1988, S. 554. 93  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, München 2000, S. 228. 94  Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 117; Wilhelm Brauneder, Die Verfassungsentwicklung in Österreich 1848 bis 1918. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 7. Verfassung und Parlamentarismus, 1.  Teilband, hg. von Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch, Wien 2000, S. 93.

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rung, die Organe der revolutionären Bewegung aufzulösen bzw. die Universität zu schließen, führten am 15. Mai zu neuerlichen Aufständen in Wien.95 Im Zuge dieser Unruhen machte der Kaiser mit der Proklamation vom 16. Mai 1848 weitere Zugeständnisse: Errichtung eines Einkammersystems ohne Senat, Umwandlung der Pillersdorf’schen Verfassung in eine provisorische und die Ankündigung des allgemeinen (Männer-)Wahlrechts.96 Am 22. Juli 1848 trat der gewählte Reichstag erstmals in Wien zusammen. Nach dem Oktoberaufstand in Wien wurde er in die Provinzstadt Kremsier (Kroměříž) in Mähren verlegt. Ein Verfassungsausschuss stellte Anfang März 1849 den Entwurf einer neuen Verfassung fertig, der unter der Bezeichnung Kremsierer Entwurf97 bekannt geworden ist. Der Kremsierer Entwurf hatte einen betont föderalistischen Charakter und war wesentlich moderner konzipiert als die Pillersdorf’sche Verfassung. Der Entwurf versuchte auch die Nationalitätenfrage durch die nationale Abgrenzung der Kreise und durch die Anerkennung nationaler Grundrechte zu lösen.98 Der Kremsierer Reichstag entwarf nicht nur einen umfassenden Grundrechtskatalog, sondern sah auch ein neu zu schaffendes Oberstes Reichsgericht vor, bei dessen Zusammensetzung nationalitätenpolitische Aspekte berücksichtigt werden sollten.99 Damit war erstmals in Österreich ein Verfahren vorgesehen, das die Einklagbarkeit von Grundrechten – einschließlich der nationalitäten- und sprachenrechtlichen Grundrechte – ermöglichen sollte.100 Zur Lösung des Nationalitätenproblems wurde das Prinzip des Föderalismus herangezogen, und zwar durch die so genannte „Kreisverfassung“. Schließlich wurde die Gemeindeautonomie festgelegt.101 Der Kremsierer Entwurf trat nicht in Kraft. Am 4. März 1849 wurde der Kremsierer Reichstag aufgelöst, da die Regierung Bedenken gegen den Entwurf hegte. Mit dem Manifest (RGBl. Nr.  149) vom gleichen Tag wurde vom Kaiser eine neue Verfassung erlassen, die sog. Märzverfassung, die ein Kompromiss zwischen dem Entwurf des Kremsierer Reichstages und der Pillersdorf’schen Verfassung war. Es handelte sich um eine konstitutionelle Verfassung, die einen 95  Oskar Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 166. 96  Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 166. 97  Text siehe Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Wien 1911, S. 115. 98  Rauchberg, Bürgerkunde der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1935, S. 47. 99  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 27. 100  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 27. 101  Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 119.



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Reichstag und einen Grundrechtskatalog102 vorsah.103 Auch diese Verfassung blieb unausgeführt. Stattdessen regierte der Kaiser ab dem Silvesterpatent vom 31. Dezember 1851 wieder absolut. Durch das Silvesterpatent wurde die bisherige Märzverfassung von 1849 aufgehoben und die absolute Regierungsform in allen Ländern wieder eingeführt.104 Die gesetzgebende Gewalt ruhte fortan ausschließlich in den Händen des Kaisers. Das Silvesterpatent beendete formell die frühkonstitutionelle Phase und schuf die Grundlage einer neuen materiellen Verfassung. Die anschließende Zeit des Neoabsolutismus, wurde erst wieder durch das Kaiserliche Patent vom 26.  Februar 1861 (Februarpatent, RGBl. Nr.  20) beendet.105 Die bekanntesten Vertreter dieser hochpolitischen Umbruchsphase waren Vaćlav Hanka (1791–1861), Pavel Josef Šafařík (1795–1861) Franišek Palacký (1798–1876) und František Ladislav Rieger (1818–1903). Ihre Forderungen konzentrierten sich hauptsächlich auf die tschechische Sprachenfrage. Sie hatten dass Ziel, die tschechische Sprache in alle Sphären des alltäglichen Lebens zu integrieren: in die Literatur, Erziehung, Wissenschaft und Verwaltung.106 Der prominenteste Vertreter dieser „zweiten Phase“ war der tschechische Historiker und politische Denker des 19.  Jahrhunderts, Palacký, der noch heute als der „Vater der Nation“ bezeichnet wird.107 Palacký trat in einer Phase auf, in der das Selbstbewusstsein des tschechischen Bürgertums emporstieg (auch durch den wirtschaftlichen Aufschwung bedingt) und verkörperte dabei die Hoffnungen und Bemühungen der Prager patriotischen Kreise und Adelssalons, denen er seine ganze Persönlichkeit und sein Wissen zur Verfügung stellte.108 Palacký gelang es, den „tschechischen Mythos“ vom slawisch-germanischen Existenzkampf in Böhmen als Leitidee der tschechischen Geschichte zu etablieren109 und die tschechische Emanzipationsbewegung zielbewusst von der sprachlich-kulturellen Tätigkeit auf den wissenschaftlichen und bildungsmäßigen Wettlauf mit anderen 102  Grundrechtskatalog siehe Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Wien 1911, S. 167; Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 123. 103  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, München 2000, S. 135. 104  Ludwig Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 5. 105  Rauchberg, Bürgerkunde der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1935, S. 47. 106  Robert Auty, „Czech“. In: The Slavic Literary Languages: Formation and development, hg. von Alexander Schenker, New Haven 1980, S. 176. 107  Boldt, Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 61. 108  Plaschka, Franz Palacký. In: Nationalismus – Staatsgewalt – Widerstand, hg. vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut, Wien 1985, S. 183. 109  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 170.

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europäischen Nationen umzulenken.110 Schon in jungen Jahren erwachten in Palacký, der als Sohn eines strenggläubigen evangelischen Dorfschulpfarrers aufwuchs, patriotische Gefühle, die nach und nach seinen ursprünglich religiösen Enthusiasmus ersetzten.111 Sein Geburtsort Hodslavice (Hotzendorf, bei Preßburg) bildete den Schnittpunkt der Konfessionen und Nationen; hier trafen sich Protestanten und Katholiken, Tschechen und Deutsche. Die Evangelischen der Gegend, die meist dem Bekenntnis der Böhmischen Brüder112 nahestanden, trafen sich, schon bevor Palacký das Licht der Welt erblickte, im Hause Palacký um gemeinsam zu beten.113 Sie hielten treu am alten Glauben fest und mussten bis zum Toleranzpatent (1781), nicht selten 110  Jiří Kořalka, Welche Nationsvorstellungen gab es 1848 in Mitteleuropa?. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996, S. 43. 111  Otáhal, František Palacký und die tschechischen Liberalen. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996, S. 49. 112  Die Gemeinschaft der Böhmischen Brüder war eine religiöse Reformgruppe innerhalb des Hussitismus im 15.  Jahrhundert, wie sie sich vor allem in Gegenbewegungen zur zunehmenden Annäherung der utraquistischen Kirche an die römische Kirche in den vierziger und zu Beginn der fünfziger Jahre des 15.  Jahrhunderts gebildet hatten. Die Gruppe knüpfte an taboritische, waldensische und pantheisierende Traditionen an, die auf die Nachahmung apostolischer Kirchenverfassung und Kirchenzucht gestützt war und eine Erneuerung der Lebensweise im Geiste des Christentums anstrebte. Die Mitglieder sahen nur die einfache Handarbeit in dörf­ licher Gemeinschaft als rechtschaffene Lebensform an und lehnten jede Obrigkeit, Annahme weltlicher Ämter sowie Krieg und Eid ab. König Georg von Podiebrad gab den Brüdern im Jahr 1457 das Gut Kunwald als Wohnsitz. Die Zahl der Brüder wuchs durch den Anschluss zersprengter Reste der durch Georg von Podiebrad zerschlagenen taboritischen Kirche (1452), von Mitgliedern radikaler Gruppen aus Mähren sowie einzelner Waldenser rasch an. Im Bemühen um Vereinheitlichung der vielfach voneinander abweichenden religiösen Auffassungen beschlossen die Brüder um 1459, alle dem Gesetz Gottes widersprechenden Bücher zu verwerfen und nur das Neue Testament als Norm ihres Weges anzuerkennen. Dieser Zielsetzung entsprechend bezeichneten sie sich als fratres legis Chrisi. Mit der radikalen Festlegung des Schriftprinzips, der Vereinfachung der Zeremonien sowie der Betonung des geistigen Empfanges der Eucharistie befanden sich die Brüder von Anfang an in der Nähe des eben erst unterdrückten Taboritentums und damit ausserhalb der Kompaktaten. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden die Brüder in Böhmen fast vollständig vernichtet, sie konnten sich nur noch heimlich versammeln. Vereinzelt kamen die Brüder auch unter Joseph II. wieder zum Vorschein; mussten sich aber zu einer der beiden ausschließlich geduldeten evangelischen Konfessionen bekennen: der Augsburgischen (lutherischen) oder der Helvetischen (reformierten). Aus: Theologische Realenzyklopädie, Bd. VII, Böhmische Brüder-Chinesische Religionen, Berlin 1981, S. 1  ff.; Religion in Geschichte und Gegenwart, Bd. 1, A–B, hg. von Betz, Tübingen 1998, S. 1789  ff. 113  Richard Georg Plaschka, Art. „Franz Palacký“. In: NÖB ab 1815. Grosse ­Österreicher, Bd. 11, Wien 1957, S. 109.



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in Angst vor Verfolgung den Schutz der tiefen Wälder suchen, um den Gottesdienst nach ihrem Glauben halten zu können.114 Im Geiste dieser Kirche wuchs Palacký auf, in einer Zeit des nationalen Erwachens und unter dem Einfluss der Aufklärung. Sein sittenstrenger Vater Georg Palacký war 1784 zum ersten Schullehrer der neuen Ortskirche bestimmt worden. In Vaters Schule machte Palacký die ersten Schritte seiner gelehrten Laufbahn. Als er neun Jahre alt war, kam er (um Deutsch zu lernen) ins nahe Kundwald, wo er die im freien Geist geführte Dorf- und Schlossschule besuchte.115 Als sein Vater jedoch den allzu starken Einfluss des katholischen Schlosskaplans merkte, wurde Palacký unverzüglich an die evangelische Lateinschule nach Trenčín geschickt.116 Zur gleichen Zeit ging eine nationale Welle durch ganz Deutschland. Heinrich Luden hielt in Jena Vorlesungen über allgemeine Geschichte und über die Geschichte des deutschen Volkes. Luden sah im Geschichtsstudium die Triebkraft und das Rückrat der Nation, denn „je kräftiger der Geist seines Volkes im Menschen lebt und arbeitet; je tiefer wahrhaftige Vaterlandsliebe ihn beseelt, desto inniger wird er die Geschichte seines Volkes nachforschen, weil er den Geist seines Volkes erkennen und sehen will, auf welcher Stufe der Kultur es steht, wie alle seine Verhältnisse geordnet sind und wie das geworden, was ist, unter welchen Umständen, durch welche Taten, was gehindert, was gefördert.“117 Zeitgleich wurde im Zuge der Hinwendung zum Volkstum die Erinnerung an Jan Hus erneuert und Hus schrittweise rehabilitiert.118 Dazu beigetragen haben Josef Dobrovský, der Hus im Zusammenhang mit der böhmischen Reformation interpretierte und Palacký, der im Wirken von Jan Hus den Höhepunkt der böhmischen Geschichte sah.119 Angeregt durch die Sympathie Heinrich Ludens120 für den Hussitismus betrachtete Palacký Jan Hus als 114  Plaschka, Art. „Franz Palacký“. In: NÖB ab 1815. Grosse Österreicher, Bd. 11, Wien 1957, S. 109. 115  Richard Plaschka, Von Palacký bis Pekař, Graz 1955, S. 7. 116  Plaschka, Von Palacký bis Pekař, Graz 1955, S. 7–8. 117  Heinrich Luden, Einige Worte über das Studium der vaterländischen Geschichte. Vier öffentliche Vorlesungen, Jena 1810, S. 18  ff. 118  Josef Smolík, Hus in Mähren. In: Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1997, S. 256. 119  Smolík, Hus in Mähren. In: Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1997, S. 256. 120  Deutscher Historiker (1778–1847). Beschäftigte sich mit Kirchengeschichte, Philosophie, Altphilologie und Mathematik. Ab 1806 Professor in Jena. Übte mit seinen Vorlesungen über Politik und zeitgeschichtliche Themen große Wirkung, vor allem auf die Burschenschaften, aus. Er pries den nationalen Staat und lehnte einen Weltstaat ab. Das im Sinne der Romantik idealisierte deutsche Mittelalter diente ihm als Vorbild. Wandte sich der deutschen Geschichte zu, um die Entwicklung eines deutschen Nationalbewusstseins zu fördern. Auf Einladung Goethes fand am 9. August 1806 das berühmte Gespräch zwischen diesem und dem Historiker Luden über

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national-religiösen Helden des tschechischen Volkes im Kampf um seine politische Erneuerung.121 Demzufolge sah er die Niederlage der Protestanten in der Schlacht am Weißen Berg und die darauf folgende Wiederbelebung des Katholizismus als nationales Unglück an. Palackýs zählte zu den größten Wiedererweckern des Hussitismus und kürte ihn zur wichtigsten Tradition des tschechischen Volkes. Durch seine neue Schule der tschechischen Historiographie entstand kein evangelischer, kein liberaler, sondern ein tschechischer Jan Hus.122 In seinen literarischen Werken wurde die Erinnerung an Hus lebendig gehalten. Durch die hohe Verbreitung dieser Arbeiten wurde Jan Hus zur Zentralfigur des tschechischen Nationalbewusstseins.123 Über die Anregung Palackýs kam es auch zu einer ersten modernen Ausgabe der tschechischen Schriften Hussens124 der sich Karel Jaromír Erben (Herausgeber der ersten tschechischen juristischen Zeitschrift Právník) angenommen hatte. Erbens Edition entwickelte sich dabei zur Grundlage jeglicher Hus-Forschung in tschechischer Sprache. Palackýs Einfluss und Wirken stieß nicht immer auf Wohlgefallen. Insbesondere seinen Vorgängern der ersten Generation missfiel, dass er sich besonders zum böhmischen Adel hingezogen fühlte und er daher vereinzelt auch als „Günstling des böhmischen Herrenhauses“125 bezeichnet wurde. Durch das angespannte Verhältnis der Aktivisten zur misstrauischen Wiener Zentrale waren die Beziehungen zum böhmischen Adel von unschätzbarem Wert. Den Weg in die höheren Kreise, die auf der Höhe der Bildung ihrer Zeit standen, fand Palacký über seine Erzieher- und Hofmeisterstellen. Bis den Faust und über den Begriff der Geschichte statt. Publizierte von 1814–1818 die Zeitschrift Nemesis. Seine Werke Allgemeine Geschichte der Völker und Staaten (3.  Bd., 1814–1822) sowie die Geschichte der Deutschen (3.  Bd. 1841  ff.) hatten auf die erwachende slawische Geschichtsschreibung und besonders auf Šáfařik und Palacký großen Einfluss; Aus: Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 15, LochererMaltza(h)n, Berlin 1987, S. 283  ff. 121  Friedrich Prinz, Die böhmischen Länder von 1848 bis 1914. In: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 3, hg. von Karl Bosl, Stuttgart 1968, S. 20. 122  Ferdinand Seibt, Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen. In: Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1997, S. 12. 123  Ferdinand Seibt, Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen. In: Jan Hus – zwischen Zeiten, Völkern und Konfessionen, hg. von Ferdinand Seibt, München 1997, S. 12. 124  Mistra Jana Husi sebrané spisy české z  nejstarších pramenů (Gesammelte tschechische Schriften des Magisters Johannes Hus. Nach den ältesten bekannten Quellen), hg. von Karel Jaromir Erben, 3.  Bd., Prag 1865–1868. 125  So auch von Friedrich Prinz, Die böhmischen Länder von 1848 bis 1914. In: Handbuch der Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 3, hg. von Karl Bosl, Stuttgart 1968, S. 18.



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zur Hälfte des 19.  Jahrhunderts verbrachten zahlreiche junge tschechische Wissenschaftler und Pädagogen eine nicht unbeträchtliche Zeit als Hauslehrer bei böhmischen Adligen. Palacký diente als Lehrer beim Prager Oberstburggraf Graf Chotek, weshalb Palacký zeitlebens freien Zutritt beim Grafen hatte.126 Der Verfasser der Königinhofer Handschriften Václav Hanka wiederum unterrichtete den späteren Minister für Kultus und Unterricht Graf Leo Thun in tschechischer Sprache und nannte ihn „Čechem tělem i duši“ (mit Leib und Seele ein Tscheche).127 In den dreißiger und vierziger Jahren des 19.  Jahrhunderts beteiligte sich Palacký an zahlreichen Projekten, die zur Unterstützung der tschechischen Nationalbewegung eingerichtet wurden. Von 1827–38 war er Redakteur der  tschechischen Zeitschrift des böhmischen Landesmuseums Časopis Společnosti vlastenckého musea v  Čechách (Zeitschrift des Böhmischen Museums), an deren Gründung und Aufbau er großen Anteil hatte.128 Er entwickelte sich immer mehr zum Sprachrohr der tschechischen Intellek­ tuellen und war Mitbegründer der tschechischen kulturellen Vereinigung Matice Česká (Tschechische Stiftung), einer Institution zur Pflege der tschechischen Sprache und Kultur.129 Der Verein brachte seit dem Beginn der dreißiger Jahre Förderer und Unterstützer der tschechischen patriotischen Literatur zusammen und entwickelte sich zu einem Zentralorgan der tschechischen patriotischen Aktivität.130 Daneben war die Matice Česká eine wichtige Anlaufstelle für die Edition von tschechischen Büchern und stand in enger Verbindung mit der Zeitschrift des Böhmischen Museums.131 Während des Zeitraumes zwischen 1827–1847 machten beide Institutionen zahlreiche Veränderungen durch, wobei sich ihr Inhalt immer mehr von den wissenschaftlichen patriotischen Tendenzen entfernte und der politischen Agitation zuwendete. Dies hatte zur Folge, dass beide Einrichtungen nicht nur von den intellektuellen Kreisen wahrgenommen wurden, sondern zunehmend auch den volkstümlichen Leser ansprachen. Genau wie seine Vorgänger (Dobrovský und Jungmann) setzte sich Palacký für die „Anhebung“ der tschechischen Sprache ein und scheute keine Bemühungen, um den deutschsprechenden Bewohnern die tschechische 126  Boldt,

Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 134. Kultur versus Staatlichkeit, Prag 1996, S. 134. 128  Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 1 A–H, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Wien 1979, S. 124. 129  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 370. 130  Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, S. 42. 131  Hroch, Die Vorkämpfer der nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, S. 42. 127  Boldt,

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Sprache näher zu bringen. Mehrmals in seinem Leben äußerte er sich zur Zweisprachigkeit der böhmischen Nation:132 „Die böhmische Nation ist seit langer Zeit eine zweisprachige Nation, streiten wir nicht darüber, wann und wie sich das ereignet hat; die Tatsache selbst steht vor Augen.“ Er verteidigte die deutsche Sprache als landläufige Verständigungssprache der Gebildeten in Böhmen, sah aber zugleich die tschechische Sprache als die wirkliche „historische Nationalsprache“ und „Sprache der größeren Volksmasse“ an.133 In seinen Vorschlägen zur Gründung der böhmischen Museumszeitschrift äußerte er über die Nationalsprache: „Die Nationalsprache ist unstreitig das Wichtigste und Köstlichste, was die Vorzeit in Böhmen ihrer nachkommenden Generation hinterlassen hat. Durch sie bildeten sich die Böhmen einst zu einer eigenthümlichen Nation aus, und errangen sich eine eigene Geschichte […] Es ist daher für unsere Zeitgenossen selbst wichtig, die Cultur dieser Sprache und Literatur nicht zu vernachlässigen; noch hat sie ja ein Publicum von beinahe 6 Millionen Menschen in Böhmen, Mähren und der Slowakei, bei denen noch nicht alle Elemente verloren gegangen sind, die zur Begründung und Erhaltung einer eigenen Nationalliteratur für nothwendig erachtet werden: aber sie bedürfen einer lebendigen Erweckung und einer weisen umsichtigen Pflege. […] Zu einer Zeit, wo beinahe alle Völker zweiten Ranges in Europa (wie etwa die Polen, Magyaren, Niederländer und Dänen) zu ihren noch vor kurzem vernachlässigten Nationalsprachen gleichsam wetteifernd zurückkehren […], dürfe es den Böhmen ziemen, in ihrer eigenen Sache nicht ganz zurück zu bleiben.“134 Palackýs wissenschaftliche und öffentliche Tätigkeit entwickelte sich immer mehr in die nationalpolitische Richtung, wobei er Böhmen als ein selbständiges Königreich ansah, welches ein bedeutendes Glied in der europäischen Staatenfamilie bilden sollte.135 Wahrscheinlich von Palacký selbst stammte eine Definition über den politischen Inhalt des Nationsbegriffs aus der von Karel Havlíček redigierten Tageszeitung Narodní Noviny (Nationalzeitung): „Nation heißt ein Volk, das in seinem Land befreit ist, die Rechte 132  František Palacký, Spisy drobné (Kleine Schriften), Bd. 1: Spisy a řeči z oboru politiky (Schriften und Reden aus dem Bereich der Politik), hg. von Bohuš Rieger, Prag 1898, S. 303. 133  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 58. 134  Denkschrift Palackýs an Graf Kasper, eingereicht im Jahr 1825, über Form und Inhalt der geplanten Museumszeitschrift, in: Gedenkblätter. Auswahl von Denkschriften, Aufsätzen und Briefen aus den letzten fünfzig Jahren., hg. von Franz Palacký, Prag 1874, S. 61–62. 135  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 57.



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nach seinen Bedürfnissen und gewöhnlich auch seine eigene Verwaltung hat.“136 Erst der berühmte Absagebrief Palackýs an die Frankfurter Nationalversammlung vom 11. April 1848 konfrontierte die deutsche politische Öffentlichkeit mit der Tatsache einer tschechischen nationalpolitischen Eigenständigkeit.137 Seine Erklärung über die selbständige nationale Existenz der Tschechen neben der deutschen Nation war der Grundpfeiler der Ablehnung eines deutschen Nationalstaates: „Ich bin kein Deutscher, fühle mich wenigstens nicht als solcher – und als bloßen meinungs- und willenlosen Ja-Herren haben Sie mich doch gewiß nicht zu sich berufen, folglich müßte ich in Frankfurt entweder meine Gefühle verleugnen und heucheln, oder bei sich ergebender Gelegenheit laut widersprechen. Zum ersten bin ich zu offen und frei, zum zweiten nicht dreist und rücksichtslos genug; ich kann es nämlich nicht übers Herz gewinnen, durch Mißlaute einen Einklang zu stören, den ich nicht allein in meinem eigenen Haus, sondern auch beim Nachbar, wünschenswerth und erfreulich finde. Ich bin ein Böhme slavischen Stammes, und habe mit all dem Wenigen, was ich besitze und was ich kann, mich dem Dienste meines Volkes ganz und für immer gewidmet […] Dieses Volk ist zwar ein kleines, aber von jeher ein eigenthümliches und für sich bestehendes; seine Herrscher haben seit Jahrhunderten am deutschen Fürstenbunde Theil genommen, es selbst hat sich aber niemals zu diesem Volke gezählt, und ist auch von Andern im Ablauf aller Jahrhunderte niemals dazu gezählt worden. […] Alle Welt weiß es, daß die deutschen Kaiser, als solche, mit dem böhmischen Volke von jeher nicht das mindeste zu thun und zu schaffen gehabt haben; daß ihnen in und über Böhmen weder die gesetzgebende, noch die richterliche oder vollziehende Gewalt zukam; […] daß somit die ganze bisherige Verbindung mit Böhmen mit Deutschland als ein Verhältnis, nicht von Volk zu Volk, sondern von Herrscher zu Herrscher aufgefaßt und angesehen werden muß. Fordert man aber, daß über den bisherigen Fürstenbund hinaus nunmehr das Volk von Böhmen selbst mit dem deutschen Volk sich verbinde, so ist das eine wenigstens neue und jeder historischen Rechtsbasis ermangelnde Zumuthung […].“138 136  Národní noviny (Nationalzeitung), Nr.  11 vom 16. April 1848, Prag, S. 42; Kořalka, Welche Nationsvorstellungen gab es 1848 in Mitteleuropa?. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996, S. 43. 137  Kořalka, Welche Nationsvorstellungen gab es 1848 in Mitteleuropa?. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, München 1996, S. 43. 138  Palacký, Österreichs Staatsidee, Wien 1974, Beilage A, Absagebrief vom 11. April 1848 an den Fünfziger Ausschuss, zu Händen des Herrn Präsidenten Soiron in Frankfurt a. M., S. 79  ff.

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Palacký forderte für jedes Volk das Naturrecht der selbständigen Existenz, weil kein Volk berechtigt sei, „zu seinen Gunsten von seinem Nachbar die Aufopferung seiner selbst zu fordern, keines ist verpflichtet, sich zum Bestehen des Nachbars verleugnen oder aufzuopfern. Die Natur kennt keine herrschenden, so wie keine dienstbaren Völker.“139 Die Ablehnung einer Eingliederung Böhmens in den deutschen Nationalstaat wurde in den tschechischen Zeitungen und Zeitschriften des Frühjahrs 1848 immer wieder bekräftigt: „Der Charakter des Landes Böhmen im besonderen legt jedoch so wenig Verwandtschaft mit den staatlichen Verhältnissen des Deutschen Reiches an den Tag, dass dieses Land ein lebloses im Organismus des neudeutschen Staatslebens bleiben würde“, schrieb zum Beispiel die radikaldemokratische Zeitschrift Včela (Die Biene).140 Im Unterschied zu anderen Politikern erkannte Palacký als erster politischer Denker das schwierige Problem des Zusammenlebens der in der Vielvölkermonarchie lebenden Nationalitäten und Konfessionen. Er warnte jene Regierungspolitiker, die eine grundsätzliche Lösung der Nationalitätenfrage für überflüssig hielten und die Idee des Nationalismus als bloßes Ergebnis einiger weniger Intellektueller betrachteten: „Alle Länder und Personen, besonders in Österreich, welche heute noch in nationaler Beziehung indifferent und apathisch sind, werden es nach zehn oder zwanzig oder nach dreißig Jahren nicht mehr sein.“141 Palacký trat für eine auf dem ethnisch-sprachlichen Prinzip beruhenden Förderation im Gleichgewicht zwischen der Zentralgewalt und den nationalen Ministerien und Parlamenten ein: „Wir sehen die föderative Verfassung Österreichs als die notwendige und unausbleibende Folge der großen Verschiedenheit seiner Nationalitäten und des ganzen Grundsatzes ihrer vollen Gleichberechtigung an.“142 Nachdem die Revolution und damit auch seine politischen Bemühungen gescheitert waren, zog sich Palacký bis 1860 gänzlich aus der Politik zurück und wendete sich wieder der Wissenschaft zu. Die Führung der tschechischen Nationalpartei wurde daraufhin an Palackýs Schwiegersohn František Ladislav Rieger übertragen, dessen Sohn Bohuš Rieger 1901 die tschechische juristische Zeitschrift Sborník věd právních a stáních herausgab. Gleichwohl blieb Palacký bis zum Ende seines Lebens seiner föderalistischen Idee treu und verteidigte mit großem 139  Palacký, Österreichs Staatsidee, Wien 1974, Beilage A, Absagebrief vom 11. April 1848 an den Fünfziger Ausschuss, zu Händen des Herrn Präsidenten Soiron in Frankfurt a. M., S. 83. 140  Včela (Biene), Nr.  34, 19. April 1848, S. 134. 141  Palacký, Drobné spisy (Kleine Schriften), Bd. 1: Spisy a řeči z  oboru politicky (Schriften und Reden aus dem Bereich der Politik), hg. von Bohuš Rieger, Prag 1898, S. 113. 142  Palacký, Gedenkblätter, Auswahl von Denkschriften, Aufsätzen und Briefen aus den letzten fünfzig Jahren, hg. von Franz Palacký, Prag 1874, S. 202.



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Nachdruck die Gleichberechtigung aller Nationalitäten als den tragenden Gedanken des österreichischen Vielvölkerstaates.143 Bedauerlicherweise wurden seine Ideen erst dann aufgegriffen, als es für eine Föderation schon zu spät war. Palackýs Warnungen vor den verheerenden Folgen eines österreichisch-ungarischen Dualismus kamen einem Kassandraruf gleich: „Sollten die Slawen wirklich für eine niedrigere Rasse, und wie bereits bemerkt wurde, nur für das Regierungsmaterial für zwei andere Völker erklärt werden: dann tritt auch die Natur in ihre Rechte ein und ihr unausbleiblicher Widerstand wird den häuslichen Frieden in Unfrieden, Hoffnung in Verzweiflung umwandeln und Kämpfe und Streitigkeiten hervorrufen, deren Richtung Umfang und Ende niemand absehen kann. Der Tag, an dem der Dualismus proclamiert wird, wird zugleich durch unwiderstehliche Naturnothwendigkeit der Geburtstag des Panslavismus in seiner am wenigsten erfreulichen Gestalt werden; als Pathen werden ihm die Väter des Dualismus stehen […] Wir waren vor Österreich da, wir werden es auch nach ihm sein.“144 In seinem politischen Vermächtnis aus dem Jahre 1872 erklärte er: „Ich lasse nun leider auch selbst die Hoffnung auf eine dauernde Erhaltung des österreichischen Staates fahren: nicht als ob derselbe für nicht wünschenswert oder an und für sich unmöglich wäre, sondern deshalb, weil den Deutschen und Magyaren gestatte wurde, sich der Herrschaft zu bemächtigen und in der Monarchie einen einseitigen Rassendespotismus zu begründen, welcher in einem vielsprachigen und konstitutionellen Staate als politischer Nonsens keinen langen Bestand haben kann […] Durch die Schuld dieser beiden Stämme, welche (wie im Jahr 1848) das Reich schon geradezu zu zerreißen bestrebt sind, ist es auf der schiefen Ebene, welche zum Abgrunde führt, bereits zu weit gegangen.“145 Obwohl Palacký stets darauf bedacht war tschechisch zu schreiben verfasste er seine wissenschaftlichen und literarischen Arbeiten zum größten Teil in deutscher Sprache. Sein Hauptwerk ist die neunbändige Geschichte von Böhmen, welches zu den monumentalen Werken der tschechischen Erneuerung zählt, erschien aus Zensurgründen zunächst ab 1836 auf deutsch und von 1848 bis 1876 schließlich als Dějiny národů českého v Čechách a na Moravě (Geschichte des tschechischen Volkes in Böhmen und Mähren) auf tschechisch. Der Erfolg dieser Arbeit beruhte hauptsächlich auf ihrer leicht lesbaren und populären Darstellung der Vergangenheit der böh143  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 194. 144  Palacký, Österreichs Staatsidee, Wien 1974. S. 77. 145  Theodor Mourek, Palackýs politisches Vermächtnis, Prag 1872, S. 24–25.

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mischen Länder.146 Band für Band zeichnete sich darin das Leben der alten Vorfahren ab, die nach seinen Ausführungen friedlich und voller Harmonie in einem idyllischen Gemeinwesen lebten.147 Das deutsche Volk bewertete er dagegen als herrschsüchtiges und kriegerisches „Raubvolk“, das mit den Hunnen, Mongolen und Tataren auf eine Stufe zu stellen war.148 Je heller er die positiven Eigenschaften der Tschechen hervorhob, desto dunkler hob sich die deutsche Gegenseite ab, was nicht zuletzt die große Popularität seines Werkes begründete.149 Das Werk war in dem Sinne keine Darstellung der Vergangenheit, sondern eine Geschichte, die bewusst in den Kampf um das Volk gestellt wurde.150 Palacký wurde oftmals vorgeworfen, dass er mit seinen Ansichten den Grundstein für den Riss zwischen den beiden Völkern setzte und somit auch an dem später eingetretenen Übel mit verantwortlich gewesen wäre. Er verherrlichte all das, was bisher verdammt und als Ketzerei verübelt worden war: die Empörung der Vernunft gegen den Ungeist der autoritären Macht, das tschechische Heldentum und den Aufruhr der Hussiten. In seinen Kapiteln über das Hussitentum betonte Palacký die herausragende Bedeutung dieser Epoche und bewertete sie ausdrücklich als Beweis für das überlegene geistige und sittliche Potential seiner Nation, insbesondere gegenüber der deutschen.151 Die lebendige Darstellung des stürmischen Zuges der Tschechen zur Freiheit und ihrer ständig wirkenden inneren Kraft zog das tschechische Volk in einer Zeit in seinen Bann, als sich das aufstrebende Bürgentum gerade diese Eigenschaften auf seine Fahne geschrieben hatte.152 Neben seinem Hauptwerk verfasste und veröffentlichte er eine lange Reihe von Arbeiten, die sich über das ganze Halbjahrhundert erstreckten. Darunter sein bemerkenswertes Werk Würdigung der alten böhmischen Geschichtsschreiber (1830). Mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten vermochte Palacký „als 146  Schamschula, Geschichte der tschechischen Literatur, Bd. 1, Köln 1990, S. 372. 147  Palacký, Dějiny národů českého v Čechách a na Moravě, Bd. 3, Prag 1876, S. 301. 148  Palacký, Dějiny národů českého v Čechách a na Moravě, Bd. 1, Prag 1876, S. 9. 149  Plaschka, Das Geschichtsbild der Tschechen in der Analyse der Historiker. In: Nationalismus – Staatsgewalt – Widerstand, hg. vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut, Wien 1985, S. 184. 150  Plaschka, Art. „Franz Palacký“. In: Neue Österreichische Biographie (NÖB) ab 1815. Grosse Österreicher, Bd. 11, Wien 1957, S. 111. 151  Palacký, Úloha našeho národa, in: Čas (Zeit), Band 8, 1894, S. 514; Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 94. 152  Plaschka, Das Geschichtsbild der Tschechen in der Analyse der Historiker. In: Nationalismus – Staatsgewalt – Widerstand, hg. vom Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut, Wien 1985, S. 451.



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erster die tschechische Vergangenheit aus dem Staub der Archive und Bibliotheksgewölbe herauszuheben“.153 Zu den nationalen Führern der ersten Stunde gehörte neben Palacký auch František Ladislav Rieger (1818–1903): Rieger stammte aus einer tschechischen Müllersfamilie. Er war der Schwiegersohn von František Palacký und ein enger Freund von Karel Jaromír Erben, der neben Rudolf Thurn-Taxis und Jan Jeřabék einer der Mitherhausgeber der ersten tschechischen juristischen Zeitschrift Právník (1861) war. Sein Sohn Bohuš Rieger redigierte die tschechische juristische Zeitschrift Sborník věd právních a státních (Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft, 1901). Rieger besuchte das Gymnasium in Prag, an dem Josef Jungmann Direktor war. Mit Zustimmung seines Vaters studierte er an der Prager Universität Rechtswissenschaften (Dr. jur. 1847). Während seines Studiums wurde sein Nationalgefühl geweckt. Er beteiligte sich an zahlreichen nationalen Aktionen, veranstaltete zwischen 1840 und 1844 in seiner Wohnung einen Lesekreis und organisierte den tschechischen Ball. Rieger stand damals wegen seiner regen publizistischen und politischen Tätigkeit unter Beobachtung der Polizei.154 Schon in jungen Jahren nahm er großen Anteil am politischen Leben, war Mitglied des Nationalausschusses und Abgeordneter des verfassungsgebenden Parlaments in Wien.155 Ab 1861 war er Abgeordneter des tschechischen Landtages und des Reichsrats. Rieger zählte zu den besten Rednern seiner Zeit und wurde zum Vorbild der nachfolgenden politischen Genera­ tion. Er profilierte sich neben Palacký als politischer Vertreter der Tschechen auf der internationalen Bühne und nahm an den Slawenkongressen156 teil. Er manifestierte den böhmischen staatsrechtlichen Standpunkt in der böhmischen Deklaration von 1868, in der 82 tschechische Abgeordnete ihr politisches Programm vorstellten und ihr Nichterscheinen im neugewählten Landtag damit begründeten, dass das historische Staatsrecht der böhmischen Krone nur dann die gehörige Berücksichtigung finden könne, wenn die böhmische Nation gegenüber dem österreichischen Staat und dem Kaiser auf gerechte Weise vertreten sei. Aus der Sicht der tschechischen Rechtsgeschichte war seine Deklaration zum böhmischen staatsrechtlichen Standpunkt ein zentraler Moment für die nachfolgenden nationalen Bestrebungen 153  Plaschka, Art. „Franz Palacký“. In: NÖB ab 1815, Grosse Österreicher, Bd. 11, Wien 1957, S. 112. 154  Michal Navrátil (Hrsg.), Art. „František Ladislav Rieger“. In: Almanach československých právníků (Almanach tschechoslowakischer Juristen), Prag 1930, S. 374. 155  Karolina Adamová, Art. „František Ladislav Rieger“. In: Antalogie české právní vědy (Antalogie der tschechischen Rechtswissenschaft), hg. von Petra Skřejpková, Ladislav Soukup, Prag 1993, S. 205. 156  1848 erster Slawenkongress in Prag, geleitet von Palacký.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Böhmens.157 Rieger unterstützte den böhmischen Ausgleich (1871) und leitete die Kommission, die die Fundamentalartikel ausarbeitete. Im Jahr 1890 nahm er an der Punktation zwischen der Landesvertretung und den Repräsentanten der deutschen Seite teil, die eine sprachliche und nationale Spaltung Böhmens forderte.158 Die Punktation wurde aber unter lautem Protest von der tschechischen Öffentlichkeit und der Jungtschechischen Partei abgelehnt, was für Rieger und seine Alttschechen eine große Niederlage bedeutete.159 Nach dem Tode Palackýs wurde er zum Kopf der Alt­ tschechischen Partei. Neben seiner politischen Laufbahn widmete sich Rieger der Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft. So setzte er sich auch für die Gründung der Česká Akademie pro vědy, slovesnost a umění (Tschechische Akademie für Wissenschaft, Sprache und der Künste)160, und initiierte die Gründung der ersten tschechischen politischen Zeitung Národní Listy (Volksblatt), die ab 1860 herausgegeben wurde.161 Rieger war der Redakteur des größten elfbändigen tschechischen Konversationslexikons Slovník naučný (Konservationslexikon). Zu seinen Verdiensten zählt auch die in den 1860ern vorgenommene Einführung der Selbstverwaltung in den Gemeinden und Kreisen. Riegers Begräbnis im Jahr 1903 wurde zum nationalen Ereignis. Um die Entwicklung einer tschechischen Hochsprache machte sich besonders Pavel Josef Šafařik (1795–1861) verdient, dem hier ein eigenes Kapitel (Entwicklung der tschechischen Rechtsterminologie) gewidmet sein soll.162 Palacký und Rieger waren die politischen Führer der ersten Stunde, die im Gegensatz zu ihren gelehrten Vorgängern ihre tschechisch-nationalen Ideen auf die Straße trugen und der breiten Bevölkerung zugänglich machten. Sie sammelten die ersten parlamentarischen Erfahrungen und gaben diese an die nachfolgenden Politikergenerationen weiter. Durch ihre Vorarbeit konnte sich in Böhmen ein politisches und kulturelles Milieu entfalten, das zur Herausgabe der ersten tschechischen juristischen Zeitschriften nötig war. Einen wichtigen Beitrag hierzu leisteten die nationalen Erneuerer durch die Aufwertung der tschechischen Sprache, wodurch sie das tschechische Selbstbewusstsein stärkten. Sie verfolgten dabei das Ziel, die tschechische 157  Karolina Adamová, Art. „František Ladislav Rieger“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 206. 158  Näheres bei: Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutesche 1780– 1918, München 1996, S. 189. 159  Adamová, Art. „František Ladislav Rieger“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 205. 160  1.  Teil, Kapitel  1, B.  I. 161  Adamová, Art. „František Ladislav Rieger“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 205. 162  1.  Teil, Kapitel  1, B.  III.



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Kultur als eine mit der tschechischen Sprache verbundene historische Einheit aufzubauen, notwendigerweise mit dem Rückgriff auf die Vergangen­ heit;163 teilweise auch mit der Herstellung von Konstrukten. Die tschechischen kulturellen „Fälschungen“ erhielten damit einen ganz anderen Sinn als in den Ländern mit einer nicht unterbrochenen historischen Entwicklung.164 Am Ende der zweiten Phase zeigte sich, dass sich die tschechische Nationalbewegung zu einer Angelegenheit breiter Volksschichten entwickelt hatte und zur politischen Agitation überging.165 III. Dritte Phase der Nationsbildung (1860–1918): Epoche der tschechischen Zeitschriftengründungen Die politischen und gesellschaftlichen Ereignisse zwischen 1860–1918 waren für die tschechische Zeitschriftengeschichte von besonderer Bedeutung. Das Jahr 1860 stellte ungefähr die Mitte eines revolutionären Prozesses dar, der im Jahr 1848 einsetzte und an der Wende von den sechziger zu den siebziger Jahren des 19.  Jahrhunderts einen Abschluss fand.166 Im Verlauf dieser Entwicklungsetappe vollzogen sich grundlegende sozialökonomische und politische Veränderungen, die in den neuen tschechischen Zeitungen und Zeitschriften verarbeitet wurden. Die Gründung der tschechischen Zeitschriften war „ein Vorgang, der eng mit politischen Entwicklungen zusammenhing“.167 Dabei war die Rechts- und Verfassungsentwicklung der Jahre 1860–1895 „das vordergründig wichtigste dynamische Element“168 für die Herausbildung juristischer Zeitschriften. Unter dem Druck der äußeren Lage wandelte sich der Neoabsolutismus ab 1860 zum konstitutionellen Staat, schuf sich mit dem „Verstärkten Reichsrat“ ein echtes Parlament, überwand die Ungarnkrise von 1861 und gelang schließlich im Dezember 1867 (Dezemberverfassung) durch Einzelgesetze zu einer Verfassung, welche bis 1918 in Kraft blieb.169 Dabei führten die politischen Ereignisse und 163  Otáhal, František Palacký und die Tschechischen Liberalen. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, S. 47   /   48; Vladimír Macura, Znamení zrodu (Zeichen der Geburt), Prag 1983, S. 127. 164  Otáhal, František Palacký und die Tschechischen Liberalen. In: 1848   /   49 Revolutionen in Ostmitteleuropa, hg. von Rudolf Jaworski und Robert Luft, S. 48. 165  Hroch, Die Vorkämpfer der Nationalen Bewegung bei den kleinen Völkern Europas, Prag 1968, S. 41. 166  Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien 1994, S. 227. 167  Stolleis, Zur Entstehung der Zeitschriften des Öffentlichen Rechts seit 1848. In: Quaderni Fiorentini, Bd. 13, 1984, S. 747. 168  Stolleis, Zur Entstehung der Zeitschriften des Öffentlichen Rechts seit 1848. In: Quaderni Fiorentini, Bd. 13, 1984, S. 751. 169  Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, Bd. 2, München 1992, S. 307.

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ihre verfassungsrechtlichen Auswirkungen allmählich zu einer Erweiterung der Bürgerrechte und damit zur Heranziehung immer weiterer Kreise der Bevölkerung zur politischen Mitarbeit.170 Zugleich vollzog sich ein Generationswechsel zwischen der zweiten und dritten Phase, aus der letztlich die „Macher“ der tschechischen Nationsbildung hervorgingen, die ihre Ideen in die Politik einbrachten und dazu vornehmlich das „Medium Presse“ nutzten. 1. Das Oktoberdiplom von 1860 und seine Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft Der entscheidende Auslöser für die Gründung der ersten tschechischen juristischen Zeitschriften war der Erlass des Oktoberdiploms im Jahr 1860. Aufgrund der immer lauter werdenden Kritik am neoabsolutistischen System, welches das gesamte Leben bürokratisierte und das bürgerliche Selbstbewusstsein unterdrückte, waren die in den verstärkten Reichsrat berufenen Personen sich darüber einig, dass eine Lösung zur Überwindung des starren Absolutismus gefunden werden musste. Eine immer größer werdende Unzufriedenheit, die häufig in apathische Gleichgültigkeit und Misstrauen gegenüber dem Staat umschlug, machte sich breit.171 Für die Tschechen wurde die Situation in dem „dynastisch überwölbten Vielvölkerstaat“172, in dem Tschechen, Slowaken, Ungarn, Serben, Kroaten, Italiener, Deutsche und eine starke jüdische Minorität miteinander auskommen sollten, unerträglich. Das österreichische System wurde mehr und mehr ein System der Stagnation, das geprägt war durch eine mangelhafte Administration, hinhaltende Untätigkeit der Behörden und Unterdrückung durch Zensur und Polizei.173 Hinzu kam die durch die Niederlage in Italien (1859) ausgelöste finanzielle Notlage des Staates. Besonders im tschechischen Bürgertum machte sich der Unmut über die politischen Verhältnisse breit. Bis ins Jahr 1860 existierte die tschechische Gesellschaft für die entscheidenden Kreise in Politik und Wirtschaft schlichtweg nicht. Die Entscheidungsträger gaben sich zumeist damit zufrieden, die harmlosen Machenschaften und geistigen „Auswucherungen“ einiger Intellektueller durch die Polizeiaufsicht im Zaum zu halten. Die zur Überwindung der Staatskrise im Reichsrat vorgetragenen Konzepte zur Veränderungen des politischen Systems fanden schließlich auch beim Kaiser Gehör. Daraufhin verkündete Franz Joseph I. am 20. 170  Hugo Hassinger, Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch, Wien 1925, S. 294. 171  Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien 1994, S. 211. 172  Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, Bd. 2, München 1992, S. 225. 173  Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, Bd. 2, München 1992, S. 226–227.



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Oktober 1860 den Erlass des „Kaiserlichen Diploms vom 20. Oktober 1860, RGBl. Nr.  226, zur Regelung der inneren staatsrechtlichen Verhältnisse der Monarchie“.174 Der Erlass führte zu einer Rückkehr zur konstitutionellen Staatsform und zu einer föderativen Gestaltung des Staates.175 Im Zuge der föderalistischen Phase nach dem Oktoberdiplom176 wurde unter der Regierung Schmerling im Jahr 1862 das Reichsgemeindegesetz (RGBl. Nr.  18) erlassen, das zum Grundsatz der Gemeindeautonomie (wie zuvor im Stadionschen Gemeindegesetz von 1849) zurückkehrte und bis 1934 in Kraft blieb. Das Gesetz, das für lange Zeit die Entwicklung der Gemeindeselbstverwaltung in Mitteleuropa beeinflusst hatte, war der erste gewichtigere legislative Akt, der auf verfassungsmäßige Weise behandelt wurde und für die konstitutionelle und politische Entwicklung des Staatensystems von großer Bedeutung war.177 Es ging dabei, ebenso wie das provisorische Gemeindegesetz aus dem Jahr 1849, eindeutig von der Teilung der Ausübung der öffentlichen Verwaltung zwischen den politischen Behörden und den autonomen Korporationen aus.178 Obwohl es nicht mehr von den natürlichen Rechten der Gemeinde sprach, so ließen seine Wurzeln doch die Gedankenwelt des Vormärz-Liberalismus erkennen.179 Nach dem Gesetz wurde die Ortsgemeinde zum Hauptträger der territorialen Selbstverwaltung mit spezifischen Interessen und einem selbständigen Wirkungsbereich. Der Wirkungsbereich umfasste alles, was das Interesse der Gemeinde direkt berührte und innerhalb ihrer Grenzen durch ihre eigenen Kräfte besorgt und durchgeführt werden konnte (z. B. Sittlichkeits-, Gesundheits-, Lebensmittel-, Bau-, Feuer-, Arbeiterpolizei, Armenwesen und Gemeinde­ straßen).180 Zudem regelte das Gesetz die Einflussnahme auf die von der Gemeinde erhaltenen Mittelschulen, dann auf die Volksschulen, die Sorge für die Errichtung, Erhaltung und Dotierung der letzteren.181 Die Organe der Gemeinde blieben der Gemeindeausschuss und der Gemeindevorstand, de174  Text siehe Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Wien 1911, S. 223–227. 175  Rauchberg, Bürgerkunde der Tschechoslowakischen Republik, S. 47. 176  1.  Teil, Kapitel  1, A.  III.  1. 177  Jiří Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 63. 178  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 63. 179  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 63. 180  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 64; Ernst Mischler, Josef Ulbrich (Hrsg.), Österreichisches Staatswörterbuch, Bd. 1, A–G, Wien 1895, S. 687  ff. 181  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 64.

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ren wechselseitiges Verhältnis nach der Theorie über die Teilung der Gewalten erarbeitet wurde: Der Gemeindeausschuss sollte beschließen und den Vorstand überwachen, der ein verwaltendes und vollziehendes Organ sein sollte.182 Im Vergleich zum provisorischen Gemeindegesetz von 1849, wurde der Einfluss der politischen Verwaltung durch das Reichsgemeindegesetz von 1862 auf einigen Gebieten abgeschwächt, auf anderen indessen gesteigert.183 Auch wenn die Unterordnung der Gemeinden unter die politischen Behörden nicht ausdrücklich, wie zuvor im Silvesterpatent, angeordnet wurde, so gab es doch Möglichkeiten, die Unterordnung auf Umwegen zu erreichen.184 In Böhmen wurde das Landesgemeindegesetz am 25. Juni 1864 angenommen.185 Die endgültige Gestaltung des Systems der österreichischen Gemeindeselbstverwaltung wurde erst durch die Dezemberverfassung von 1867 vollendet. Die politischen Konzessionen des Oktoberdiploms stießen auf breiten Widerstand. Kritisiert wurde die geringe Kompetenz des Reichsrats, die Überrepräsentanz von Adel und Klerus sowie die Möglichkeit des Kaisers, durch Nachnominierungen die Mehrheitsverhältnisse im Reichsrat verändern zu können.186 Die Verfassung des Oktoberdiploms trat tatsächlich niemals in Kraft. Da die Regelungen des Oktoberdiploms der Opposition nicht ausreichten, musste es durch das Patent vom 26. Februar 1861 ersetzt werden, mit dem durch das Reichsgrundgesetz die Reichsvertretung kundgemacht wurde.187 Obwohl sich das Februarpatent selbst nur als eine Ausführung des Oktoberdiploms verstand, galt es im Gegensatz zu diesem als ein materielles Verfassungsgesetz mit detaillierten Staatsorganisationsgrundsätzen.188 Das Februarpatent vollzog den entscheidenden Schritt, indem es den bisherigen auf kaiserlicher Berufung beruhenden Reichsrat beseitigte, um an seiner Stelle ein aus zwei „Häusern“ bestehendes Parlament zu setzen.189 Die erste Kammer (Herrenhaus) bestand teils aus erblichen, teils aus vom 182  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 67. 183  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 68. 184  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 69. 185  Zum böhmischen Landesgemeindegesetz, Aufsatz von Karel Adámek. In: Samosprávy Obzor, Bd. 30, 1903, S. 101, 129, 193. 186  Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 142. 187  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, München 2000, S. 136. 188  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, München 2000, S. 136. 189  Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 141.



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Kaiser berufenen Mitgliedern. Die Zweite Kammer, das Haus der Abgeordneten, bestand aus 343 Mitgliedern, die von den Landtagen der Länder entsandt wurden.190 Die Wahl der Reichsratsabgeordneten in den Landtagen erfolgte nach Kurien getrennt. Der Kaiser verfügte die Einberufung, Vertagung und Auflösung des Reichsrats.191 Durch die politische Entwicklung von 1860   /   61 wurden die Länder des Gesamtstaates in Selbstverwaltungskörper mit autonomer Landesgewalt umgewandelt. Allerdings blieb der Umfang der Kompetenzen der insgesamt 17 Länder sehr beschränkt. Die Landesgesetzgebung oblag dem Landtag gemeinsam mit dem Kaiser, dem ein absolutes Veto zustand.192 Allerdings fehlte der Februarverfassung für eine voll entwickelte Repräsentativverfassung noch eine Reihe von institutionellen Sicherungen.193 Es handelte sich beim Februarpatent um keine vollständige Verfassung, d. h. es gab keinen Grundrechtskatalog, keine Garantie der richterlichen Unabhängigkeit, keine Ministerverantwortlichkeit und keine parlamentarische Budgetgewalt. Die Autorität des Reichsrats war dadurch gemindert, dass neben ihm ein zur Begutachtung der Gesetzentwürfe berufener Staatsrat stand, dessen Mitglieder der Kaiser allein ernannte.194 Dem Kaiser stand überdies ein unbegrenztes Notverordnungsrecht zu. Der Widerstand Ungarns führte schließlich 1865 zur vorübergehenden Sistierung der Verfassung. Die Ungarn lehnten das Februarpatent ab und beharrten nach wie vor auf der ihnen im Jahr 1848 gewährten Verfassung. Ungarn hätte einschließlich der mit ihm verbundenen Länder nur ca. 1   /   3 der Mitglieder des Abgeordnetenhauses gestellt und verweigerte daher die Entsendung von Mitgliedern in das Abgeordnetenhaus.195 Da alle Versuche, Ungarn zur Änderung seiner Stellungnahme zu bewegen, ergebnislos blieben, wurde das Februarpatent durch einseitiges kaiserliches Patent vom 20. September 1865 sistiert.196 Durch diese Sistierung, die einen Bruch der Verfassung darstellte, kehrte der Kaiser auf der Ebene des Gesamtstaates zur absolutis-

190  Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 199. 191  Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 200. 192  Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 200. 193  Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3. Bismarck und das Reich, Stuttgart 1988, S. 381. 194  Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 3. Bismarck und das Reich, Stuttgart 1988, S. 381. 195  Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 202. 196  Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 7.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

tischen Regierungsform zurück.197 Nachdem der Kaiser einen Ausgleich mit Ungarn abgeschlossen hatte, erhielt die österreichische Verfassung am 21. Dezember 1867 die Gestalt, die sie bis zum Zerfall der Habsburgermonarchie behielt. Der Erlass des Oktoberdiploms hatte entscheidende Auswirkungen auf die Gesellschaft und Kultur der böhmischen Länder. Mit dem Oktoberdiplom fand die restriktive Innenpolitik gegenüber jeglicher oppositionellen Regung ihr Ende. In Wien kam es zur Entlassung des Innenministers Bach und des gefürchteten Polizeiministers Kempen, die bis dahin jede nationale Aktivität von tschechischer Seite eingeschränkt hatten. Das Oktoberdiplom schuf damit die Voraussetzungen für den Aufbau einer eigenständigen tschechischen Gesellschaft. Die für ganz Österreich proklamierten Liberalisierungen lösten bei den Tschechen eine gewaltige Aufbruchsstimmung aus. Freiwillige Kooperationen, liberale und spontane Zusammenschlüsse in Verbindung mit der nationalen Presse, trugen zum Selbstverständnis der tschechischen nationalen Bewegung bei.198 Die Wendung zum Konstitutionalismus sowie die Gewährung von Grundrechtsschutz durch das Reichsgericht (1869) und die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit (1876) führten zu einem großen Nachholbedarf an staatsrechtlicher Diskussion.199 Die Folgen dieser Entwicklung erstreckten sich zunächst auf den Auf- und Ausbau des allgemeinen tschechischen Bildungswesens. Um 1860 hing der Eintritt in einen akademischen Beruf noch ganz davon ab, ob der Kandidat eine deutschsprachige Bildungseinrichtung durchlaufen hatte. Daraus ergab sich, dass Tschechen, die eine führende Position anstrebten, einem großen Assimilierungsdruck unterlagen. Seinen endgültigen Abschluss fand der Ausbau des tschechischsprachigen Bildungswesens erst im Jahre 1882, als die Prager Karl-Ferdinand-Universität in eine tschechische und eine deutsche Hochschule aufgeteilt wurde. Erst danach verfügte die tschechische Gesellschaft über ein vollständiges dreistufiges Schulsystem.200 Am raschesten entwickelte sich das tschechische Vereinsleben. Neben einer Vielzahl kleinerer Zusammenschlüsse, die vornehmlich der Geselligkeit und Förderung des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls dienen sollten, entstanden in der böhmischen Hauptstadt die Vereine Hlahol (Schall), Sokol (Falke)201, 197  Lehner, Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992, S. 202. 198  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 79. 199  Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800–1914, Bd. 2, München 1992, S. 307. 200  Storck, www.uni-koeln.de   /   phil-fak   /   soeg   /   autoren, Die tschechische Politik und die nationale Gesellschaft (Kapitel II.), S. 4 von 8. 201  Näheres zur Sokolbewegung: Diethelm Blecking, Die slawische Sokolbewegung: Beiträge zur Geschichte von Sport und Nationalismus in Osteuropa, hg. von



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Umělecká Beseda (Künstlerressource) mit klaren programmatischen Zielsetzungen, die ihre Organisation teilweise auf ganz Böhmen ausdehnten. Sie bildeten eine wichtige Voraussetzung für die spätere Entfaltung der tschechischen Nationalbewegung auf breiter Basis und dienten der Politik als Ideengeber. Daneben übernahmen sie in dieser Situation wichtige Funktionen im Streben nach nationaler Selbstbehauptung und Unabhängigkeit.202 Als Ansporn für den Aufbau eines dichten und verzweigten Netzwerks national gesinnter Vereine erwies sich die Forderung „dass alle Kultureinrichtungen von den deutschen Instituten getrennt werden sollten“.203 Bereits im November 1860 wurde auf Initiative des Fürsten Rudolf von Thurn-Taxis der Männergesangsverein Hlahol gegründet. Die Mitglieder der Gesangsvereine stellten für die Nationalbewegung ein beachtliches Potential an Sympathisanten dar. Im Jahr 1861 regte František Palacký die Gründung des Svatobor (heiliger Hain) an, einer Gesellschaft zur Unterstützung mittelloser tschechischer Schriftsteller. Ein Jahr später (1862) wurde nach dem Vorbild der deutschnationalen Jahnschen Turnerschaft der Sportlerbund Sokol (Falke) gegründet, der sich rasch zur größten und beliebtesten nationalen Organisation entwickelte. Der Sokol spielte eine Hauptrolle bei den nationalen Versammlungen der sechziger Jahre, die der Manifestation und der Steigerung des nationalen Bewusstseins dienten und eine sowohl antideutsche als auch antisemitistische Note hatten.204 Im Jahr 1863 wurde in Prag unter dem Vorsitz von Fürst Rudolf Thurn-Taxis der Verein Umělecká Beseda (Künstlerischer Verein) gegründet. Über ihre kulturellen und parteipolitischen Aufgaben hinaus schufen die Organisationen des Hlahol, Sokol und der Umělecká Beseda die ersten nationalen Strukturen, da die Tschechen – sieht man von den kommunalen und regionalen Selbstverwaltungen ab, die  sie seit 1860 allmählich unter ihre Kontrolle brachten – über keine staatlichen Organisationsformen verfügten.205 Diese freiwilligen Organisa­ tionen waren letztlich die Keimzellen der modernen tschechischen Demokratie.206 Diethelm Blecking, Dortmund 1991; Ottův slovník naučný (Ottos Konversations­ lexikon), Bd. 23, Schlosser-Starowolski, Prag 1905, S. 623  ff. 202  Blecking, Zum historischen Problem der slawischen Sokolbewegung, in: Die slawische Sokolbewegung: Beiträge zur Geschichte von Sport und Nationalismus in Osteuropa, hg. von Diethelm Blecking, Dortmund 1991, S. 8. 203  Christopher P. Storck, Bedrich Smetana in der tschechischen Nationalbewegung 1860–1884. Die tschechische Politik und die nationale Gesellschaft (Kapitel II, 1. Teil), Magisterarbeit am Seminar für Osteuropäische Geschichte, Köln 1993, S. 2. 204  Friedrich Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 114. 205  Storck, Bedrich Smetana in der tschechischen Nationalbewegung 1860–1884. Die tschechische Politik und die nationale Gesellschaft (Kapitel II, 1.  Teil), Magisterarbeit am Seminar für Osteuropäische Geschichte, Köln 1993, S. 4. 206  Batscha, Eine Philosophie der Demokratie, Frankfurt 1994, S. 79.

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Die Trennung zwischen der zweiten und der dritten Phase machte sich am deutlichsten in der Politik bemerkbar. Die ältere zweite Generation (daher auch die Bezeichnung „Alttschechen“) unter der Führung Palackýs und ­Riegers vertraten einen „konservativ-liberalen“ Standpunkt, wodurch sie mit den Vertretern der jungen Generation (dritte Phase) aneinander gerieten. In den Jahren 1863–1864 erwogen die führenden Vertreter der jüngeren Generation, die Brüder Julius und Eduard Grégr sowie der Fürst Rudolf Thurn-Taxis, die Gründung einer oppositionellen Partei.207 Seitdem blieb die Differenzierung zwischen dem konservativ-liberalen (alttschechisch) und dem links­ liberalen Flügel (jungtschechisch) bestehen. Hauptstreitpunkt dieser beiden Flügel war insbesondere das Verhältnis zum Adel. Die Alttschechen leisteten nach wie vor durch ihre Verbindung zum tschechischen Hochadel der nationalen Sache gute Dienste. Sie besaßen Zugang zu den Hofkreisen und erst mit ihrer Hilfe konnte das Anliegen der Durchsetzung der tschechischen Sprache im öffentlichen Leben, im Landtag zur Sprache gebracht werden.208 Dennoch genügten die Bemühungen der Alttschechen dem mächtig anwachsenden tschechischen Kleinbürgertum nicht mehr. Neben die älteren, demokratisch-nationalen Männer vom Schlage Palacký und Rieger, traten nun Männer wie Eduard und Julius Grégr sowie der Fürst Rudolf Thurn-Taxis, die sich nach anfänglicher Gefolgschaft von den alttschechischen Politikern wegen deren konservativer Bindung abwendeten.209 Alle drei waren Zentralfiguren des tschechischen Zeitschriftenwesens. Die Leitung einer Tageszeitung war der Garant für die politische Karriere, besonders weil deren Herausgeber durch ihre Druckereien auch großen Einfluss auf die übrigen Publikationen und Literaturwerke hatten. Die erste Garde der Jungtschechen war letztlich aus den Redaktionen tschechischer Zeitungen und Zeitschriften hervorgegangen, wie etwa die Brüder Grégr, die im Jahre 1861 die erste Nummer der größten tschechischen politischen Zeitschrift Národní Listy herausbrachten. Im gleichen Jahr gründete Rudolf Thurn-Taxis die erste tschechische juristische Zeitschrift Právník. Fast alle Gründungsmitglieder der Freisinnigen ­Nationalpartei (Jungtschechen) waren auf irgendeine Weise mit der Národní Listy verbunden. Sie war mit Abstand die einflussreichste politische Tageszeitung. Dies lag insbesondere auch daran, dass sie alle bemerkenswerten Reden, die tschechische Politiker im Böhmischen Landtag oder im Wiener Reichsrat hielten, wortgetreu abdruckten.210 In der Národní Listy entwickelte sich das, 207  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 125. 208  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 111. 209  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 111. 210  Storck, Bedrich Smetana in der tschechischen Nationalbewegung 1860–1884. Die tschechische Politik und die nationale Gesellschaft (Kapitel II, 2.  Teil), Magisterarbeit am Seminar für Osteuropäische Geschichte, Köln 1993, S. 1.



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was die Wiener Presse später den „jungtschechischen Radikalismus“ und Rieger „Schreierei“ nannten.211 Obwohl die Gründung der Národní Listy als dem offiziellen Organ der Nationalpartei ursprünglich von Rieger ausgegangen war, machte sich später an Hand dieser Zeitung die innertschechische Differenzierung zwischen Jung- und Alttschechen bemerkbar, als sich Palacký und Rieger im Jahre 1863 von dem Jungtschechischen Parteiorgan trennten und die Zeitung Národ (Volk) mit alttschechischer Ausrichtung gründeten, die sich aber als nicht lebensfähig erwies.212 Das Alttschechentum eines Palacký und Rieger befand sich zunehmend auf einem absteigenden Ast. Nach 1848 hatte sich die Volksstruktur Böhmens so entscheidend gewandelt, dass eine „Seniorenpartei“ alten Stils keine Chance mehr hatte.213 Dabei hatten Palacký und Rieger alles getan, um das Volk in seinen breiten Schichten zu erreichen; und das obwohl insbesondere Rieger sich als Wissenschaftler und Natio­ nalpädagoge an der Organisation der tschechischen Wirtschaft und Wissenschaft verdient machte, indem er u. a. an der Entwicklung eines tschechischen Schulwesens aller Stufen und der Durchsetzung der zweisprachigen Prager Universität maßgeblich beteiligt war.214 Trotz ihres national-tschechischen Standpunktes fehlte den Alttschechen der Sinn für den „militanten Nationalismus paramilitärischer Massenorganisationen“ wie etwa der Sokolbewegung.215 Sie war mit den Jungtschechen personell wie organisatorisch verbunden und entwickelte sich zu einem schlagkräftigen Instrument nationaler ­Aktivierung der Massen. Dabei waren diese neuen Organisationsformen nur die „konsequente Fortsetzung der Aktivierung breiter Volksschichten, in ­denen die nationale Idee aus sozialen und bildungsmäßigen Gründen ganz ­andere Formen annehmen musste als im Bereich des nationalliberalen ­Bildungsbürgertums alter Prägung“.216 Dabei verfolgten Jung- und Alttschechen dasselbe Ziel, nämlich die gefährliche und wirksame Verbindung der deutsch-böhmischen Opposition im Lande mit dem Wiener Zentralismus zu sprengen.217

211  Storck, Bedrich Smetana in der tschechischen Nationalbewegung 1860–1884. Die tschechische Politik und die nationale Gesellschaft (Kapitel II, 2.  Teil), Magisterarbeit am Seminar für Osteuropäische Geschichte, Köln 1993, S. 2. 212  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 112. 213  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 112. 214  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 112. 215  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 112. 216  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 112–113. 217  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 113.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

2. Entstehung des tschechischen Zeitungs- und Zeitschriftenwesens Die Journalistik war besonders in den sechziger und siebziger Jahren für die Nationalbewegung von besonderer Bedeutung. Die Blätter wurden, wie schon bereits erwähnt, als Ersatzforum für die das Parlament boykottierenden tschechischen Politiker genutzt, die ihre eigenen Zeitungen und Zeitschriften herausgaben, um ihre Vorstellungen an die Öffentlichkeit zu transportieren. Die Zeitungen hatten in den sechziger Jahren des 19.  Jahrhunderts das Monopol des gesamten Nachrichten- und Informationswesens. Dadurch verfügte die Presse über besonders gute Voraussetzungen, um aktiv auf das politische Tagesgeschehen einwirken zu können.218 Die dritte Phase kann daher auch als die Phase der Zeitungs- und Zeitschriftengründungen bezeichnet werden. Von den Angehörigen dieses Zeitabschnittes (1860–1918) wurde erwartet, dass sie an die Leistungen der Erwecker anknüpften und die Nationalisierung der breiten Bevölkerung bewirken würden.219 Als öffentliche Tribüne nationalpolitischer Bestrebungen war die tschechische Presse eng mit dem sozialen, politischen und kulturellen Geschehen der politischen Ereignisse in Böhmen verflochten.220 Die dem Kaiser am 18. Juni 1860 überreichte Petition des tschechischen Volkes sprach den Wunsch aus, den Tschechen die Konzession für eine eigene politische Zeitung in böhmischer Sprache zu erteilen.221 Diese Bitte wurde von der deutschsprachigen Bevölkerung Prags wohlwollend aufgenommen. Man erhoffte sich eine gemäßigtere Haltung der Tschechen, wenn man ihnen genehmigte, ihre Wünsche und Forderungen in einem eigenen Blatt zu artikulieren.222 So wurde schließlich die Hauptforderung der tschechischen Petition vom 18. Juni 1860 erfüllt und den Tschechen eine eigene Zeitung in tschechischer Sprache zugestanden.223 Daraufhin erschien am 1. Oktober 1860 die politische tschechischsprachige Zeitschrift Čas (Zeit), welche jedoch bereits 1863 ihr Erscheinen einstellen musste. Mit der Ausdifferenzierung der Parteien im tschechischen politischen Le218  Christian Scharf, Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München 1996, S. 108. 219  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 70. 220  Glettler, Die Wiener Tschechen um 1900, Wien 1972, S. 443. 221  Karel Kazbunda, Národní program český r. 1860 a zápas o politický list (Das tschechische Nationalprogramm des Jahres 1860 und der Kampf um ein politisches Blatt). In: Český časopis historický, Bd. 33, Prag 1927, S. 504. 222  Trützschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse, 1861–1879, Wiesbaden 1982, S. 27. 223  Trützschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse 1861–1879, Wiesbaden 1982, S. 28.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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ben erschienen zunehmend neue politische Zeitungen und Zeitschriften, die mit den Parteien eng verbunden waren.224 Die unabhängige tschechische Presse wurde nach 1860 zum wichtigsten Kommunikations- und Agita­ tionsmittel.225 Allein in den Zeitungen konnte sich in den sechziger und siebziger Jahren die nationale Politik erfolgreich darstellen. Sie besaßen dadurch eine fast unumstößliche Autorität. Damit war die Kontrolle über die großen Tageszeitungen der Schlüssel zum politischen Erfolg. Folglich ersuchten zahlreiche prominente tschechische Politiker beim k. k. Polizeiministerium eine Konzession zur Herausgabe eines politischen Journals, darunter auch der Herausgeber des böhmischen Enzyklopädischen Lexikons Slovník naučný (Konversationslexikon), František Ladislav Rieger. In seinem Gesuch vom 31. Oktober 1860 erklärte er: „Ich hoffe, dass mir das hohe Ministerium die Concession zur Herausgabe eines böhmischen Journales gewähren werde; ich hoffe dies um so zuversichtlicher, als dem böhmisch slavischen Volksstamme, einem der gebildetsten in Oesterreich, auf seine circa 7 Millionen Seelen bisher nur 1 unabhängiges Journal gestattet wurde, während ihrer bei gleicher Volkszahl der deutsche Volksstamm hier wohl an 50 besitzt, wie denn auch in dem zu regenerierenden Oesterreich keine Meinung das ausschliessliche Privilegium öffentlicher Äusserung haben dürfte“.226 Zudem hieß es in dem Gesuch: „Als leitendes Princip meiner Redaction wähle ich die Worte Sr. Majestät: So wie alle Stämme meines Reiches gleich verpflichtet sind, so sollen sie auch gleichberechtigt sein.“227 Riegers Antrag auf Erteilung einer Konzession zur Herausgabe der Zeitschrift Národ (Nation), wurde jedoch vom k. k. Polizeiministerium „mit Rücksicht auf seine politische Bedenklichkeit“ zurückgewiesen.228 In der Zurückweisung hieß es weiterhin: „Die meisten der Petenten sind Individuen, welche sich seit Jahren an der Spitze der ultraczechischen Par­ thei durch agitatorische Thätigkeit zum Theil in gefährlicher Weise bemerkbar gemacht haben, so wie die vorliegende Petition überhaupt als Ausfluss dieser ultranationalen Agitation und namentlich als ein Produckt des durch 224  Karel Jezdinský, Presse und Rundfunk in der Tschechoslowakei 1918–1938. In: Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik: Vorträge der Tagungen des Collegium Carolinum in Bad Wiessee vom 23. bis 25. November 1979 und vom 18. bis 30. November 1980, hg. von Karl Bosl, München 1982, S. 137. 225  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, München 1991, S. 99. 226  Kazbunda, Národní program český r. 1860 a zápas o politický list, Příloha I (Beilage I). In: Český časopis historický, Bd. 33, Prag 1927, S. 544. 227  Kazbunda, Národní program český r. 1860 a zápas o politický list, Příloha I. In: Český časopis historický, Bd. 33, Prag 1927, S. 544. 228  Kazbunda, Národní program český r. 1860 a zápas o politický list, Příloha II. In: Český časopis historický, Bd. 33, Prag 1927, S. 546.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

seine Antecedentien in dieser Hinsicht sehr unvortheilhaft bekannten Dr. Rieger betrachtet werden kann.“229 Dagegen gelang es den Brüdern Julius und Eduard Grégr 1861 eine Konzession zur Gründung der politischen Zeitschrift Národní Listy (Volksblatt) zu erlangen. Eduard Grégr war ab 1865 Herausgeber und Verleger der juristischen Zeitschrift Právník (Jurist). Die Národní Listy entwickelte sich später zum Organ der Jungtschechischen Partei. Demzufolge stand das Blatt in ständiger Opposition zur Regierung Schmerling, wodurch zahlreiche presserechtlichen Streitigkeiten hervorgerufen wurden, in deren Verlauf der Herausgeber der Zeitschrift, Julius Grégr, zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.230 Als politischer Gefangener genoss er erhebliche Hafterleichterungen. Dazu gehörte auch das Privileg, sich Bücher ins Gefängnis bringen zu lassen. Auf dem Buchdeckel eines dieser Bücher fand man später die handschriftliche Bemerkung: „Im Gefängnis, 24. Dezember 1862 – Per ardua ad astra“.231 Vom ersten Tag ihres Erscheinens setzte sich die Národní Listy für die tschechischen Belange ein. Gleichzeitig war sie das Sprachrohr der ehemaligen Reichstagsabgeordneten und gab deren Stellungnahmen wieder.232 Im Jahr ihrer Gründung betrug die Auflage der Národní Listy 4275 Exemplare, davon wurden 4140 im Abonnement abgesetzt.233 Seit dem Jahre 1862 erschien zudem die Prager Tageszeitung Hlas (Stimme), welche ähnliche Ziele wie die Národní Listy verfolgte. Die Hlas vereinigte sich im Jahre 1865 mit der Národní Listy und erschien dann in Folge nicht mehr als selbständige Zeitung.234 Viele Mitarbeiter der Národní Listy fanden sich später in den Redaktionen der juristischen Zeitschriften Právník und Všehrd wieder. Zu nennen sind hierbei insbesondere František Palacký, František Rieger und der Begründer des Právník Rudolf Thurn-Taxis. Vor 1914 gab es in Böhmen und Mähren eine rege Pressetätigkeit. Unter der Zensur verhielten sich die meisten tschechischen Zeitschriften lo­ yal  zur Monarchie, mit Ausnahme der Vídeňské noviny (Wiener Zeitung), die in der habsburgischen Metropole herausgegeben wurde. In Wien war 229  Kazbunda, Národní program český r. 1860 a zápas o politický list, Příloha II. In: Český časopis historický, Bd. 33, Prag 1927, S. 545. 230  Navrátil, Art. „Grégr, Julius“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 113. 231  Eduard Grégr, Historie rodiny (Geschichte einer Familie), Prag 1996, S. 38. 232  Trützschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse 1861–1879, Wiesbaden 1982, S. 30. 233  Trütschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse 1861–1879, S. 7. 234  Trütschler von Falkenstein, Der Kampf der Tschechen um die historischen Rechte der böhmischen Krone im Spiegel der Presse 1861–1879, S. 8.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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die Zensur der tschechischen Presse offenbar milder als in den tschechischen Ländern. Bereits 1884 hatte die Zahl der tschechischen Zeitschriften die der deutschen überflügelt (211 deutsche, 219 tschechische) und war 1913 doppelt so groß (620 gegen 1251).235 Mit dem Weltkrieg trat ein Rückschlag ein. Nach ihm setzte die Gründungstätigkeit wieder ein, insbesondere die politischen Blätter der neuen Parteien schossen wie Pilze aus der Erde. Im Jahre 1920 lauteten die absoluten Zahlen der politischen ­Periodika: Tschechen 311, Slowaken 37 und Deutsche 209.236 Konzentriert man sich nur auf die politische Presse des Jahres 1920, so entfielen auf sämtlich in der Tschechoslowakischen Republik erschienenen 131 Tageszeitungen 67 auf die Deutschen, während die Tschechen nur 44 Tages­ organe besaßen.237 Große Unterschiede zwischen den deutschen und tschechischen Zeitschriften waren insbesondere bei den jeweiligen Auflagenspitzen zu verzeichnen. Während die tschechische Presse in den zwanziger Jahren bei sechs politischen Blättern eine Auflage von 100.000 bis 200.000 erreichte, so erlangten die sieben auflagenstärksten deutschen Zeitschriften nur maximal 60.000 Auflagen.238 Nach 1918 fanden sich in der Tschechoslowakei dieselben Zeitungen wie im Habsburgerreich wieder. Diese Kontinuität wurde auch in den nächsten 20 Jahren bewahrt. Es blieb weiterhin bei dem Spezifikum der tschechischen Presse, dass sie im Unterschied zur Presse der westlichen Demokratien hauptsächlich Parteipresse war.239 Es entstanden keine eigenen großen Pressekonzerne; jeder Leser wusste, mit welcher Partei diese oder jene Zeitung mehr oder weniger verbunden war. In der ersten Republik gab es mehr als 40 politische Parteien, die jeweils alle ihr eigenes Presseorgan hatten. Nach dem tschechoslowakischen Pressegesetz hatte jeder Bürger das Recht, Periodika herauszugeben, wenn er nur genug Geld für den Druck hatte. Es ist schwer zu erfahren, welche Auflage die einzelnen Zeitungen und Zeitschriften wirklich hatten, da dies in der Ersten Republik ein gut gehütetes Geheimnis war. Nur die National-Sozialistische

235  Hassinger, Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch,  Wien 1925, S. 387. 236  Norbert Linz, Der Aufbau der deutschen politischen Presse in der Ersten Tschechoslowakischen Republik (1918–1925). In: Bohemia, Jahrbuch des Collegium Carolinum, Bd. 11, hg. von Karl Bosl, München 1970, S. 284 (in Folge zit.: Bohemia, Bd. 11, 1970). 237  Bohemia, Bd. 11, 1970, S. 284. 238  Bohemia, Bd. 11, 1970, S. 284–285. 239  Jezdinský, Presse und Rundfunk in der Tschechoslowakei 1918–1938. In: Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, hg. von Karl Bosl und Ferdinand Seibt, Wien 1982, S. 137.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

(Volkssozialistische) Partei Beneš hatte einmal im Parlament Strafverfolgung für falsche Angaben über Auflagen gefordert.240 Für die bisher ganz auf Wien ausgerichteten deutschen Blätter bedeutete die Entstehung der Tschechoslowakei eine tiefgreifende Umstellung. Vor der Staatsgründung waren die meisten deutschen Zeitschriften der böhmischen Länder stark regional geprägt, nach 1918 nahmen sie die gemeinsame Aufgabe wahr, dass Selbstbestimmungsrecht der Deutschen publizistisch zu unterstützen.241 In Österreich galt bis zum Jahre 1848 für die Herausgabe und den Vertrieb von Presseerzeugnissen das Präventivsystem: kein Druckwerk durfte hergestellt und vertrieben werden, bevor die Behörde hierzu die Erlaubnis erteilt hatte. An Stelle dieses Systems wurde durch die provisorischen Pressevorschriften vom 18. Mai 1848 das Repressivsystem eingeführt: die Drucklegung durfte fortan ohne behördliche Zensur stattfinden, doch wurde der Missbrauch der Presse strafgerichtlich vor Geschworenengerichten verfolgt.242 Durch die kaiserliche Verordnung vom 6. Juli 1851 wurde jedoch über eine wesentliche Beschränkung der Pressfreiheit verfügt, insbesondere durch Einführung des Verwarnungssystems. Die Presseordnung vom 27. Mai 1852 knüpfte dann die Herausgabe periodischer Zeitschriften wieder an eine behördliche Konzession und sah die Möglichkeit einer dauernden Einstellung von Druckschriften und die endgültige Entziehung erteilter Konzessionen vor.243 Nach der Rückkehr zum konstitutionellen Regierungssystem wurde das Presserecht durch das Gesetz vom 17. Dezember 1862 auf neue Grundlagen gestellt, die dem Grundsatz der Freiheit der Presse entsprachen, insbesondere wurde das frühere Konzessions- und Verwarnungssystem sowie die Möglichkeit administrativer Einstellungen von Druckschriften beseitigt.244 Dieser Grundsatz wurde durch § 113 der Verfassungsurkunde auch verfassungsgesetzlich festgelegt.245 Danach war die Herausgabe einer Druckschrift nicht von einer polizeilichen Prüfung oder Genehmigung ihres Inhalts abhängig, die Drucker waren aber nach § 17 des Pressegesetzes 240  Jezdinský, Presse und Rundfunk in der Tschechoslowakei 1918–1938. In: Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, hg. von Karl Bosl und Ferdinand Seibt, Wien 1982, S. 138. 241  Bohemia, Bd. 11, 1970, S. 287. 242  Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 294. 243  Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 295. 244  Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 295. 245  Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 295.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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dazu angehalten ein Exemplar (Pflichtexemplar) jeder Druckschrift mit einem Umfang von weniger als 5 Druckbogen mit Beginn der Verbreitung der Behörde vorzulegen, um bei strafbarem Inhalte die rechtzeitige strafrecht­ liche Verfolgung und gegebenenfalls die Beschlagnahme zu ermöglichen.246 Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 wurden Versuche angestellt, ein einheitliches modernes Pressegesetz zu schaffen247, die aber erfolglos blieben. Es stand daher noch das von Österreich übernommene Pressegesetz vom 17. Dezember 1862 in Geltung, das allerdings durch eine Reihe von späteren Gesetzen fortgebildet wurde. 3. Tschechisierung des Landes Die Herausgabe der ersten tschechischen Zeitschriften ging mit der zunehmenden Tschechisierung des Landes einher. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entfaltung des Tschechischen ging anfänglich von den neu gegründeten Vereinen aus und erstreckte sich später auch auf andere Bereiche (Zeitschriftenwesen, Universitäten etc.). Die Mobilisierung der breiten Volksmassen steigerte das Landesbewusstsein und führte zur Zurückdrängung aller deutschen Elemente. Die Bedeutung dieser Organisationsformen der dritten Phase kann nur ermessen werden, wenn man bedenkt, dass die tschechische Nation als politischer Körper bis 1918 weitgehend nur auf der Grundlage dieser reich gegliederten Verbände existierte.248 Daneben leisteten die Vereine eine starke nationalpädagogische Arbeit, wodurch ein beträchtlicher Teil der unentschlossenen und ursprünglich zweisprachigen Bevölkerung ins tschechische Lager herübergezogen werden konnte. Das aufsteigende, nationalbewusste und tschechische Bürgertum der oberen sozialen Ränge wurde nicht mehr wie im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (erste und zweiten Phase der Nationsbildung) germanisiert und somit vom österreichischen Gesamtstaat assimiliert, sondern organisierte den Aufbau einer kompletten neuen tschechischen Gesellschaft.249 Dieser Vorgang war oft auch mit persönlichen Opfern verbunden. Insbesondere die Unentschlossenen mussten sich zwangsweise für eine Seite entscheiden. Vielleicht gerade deswegen übte dieser Zustand eine solche Faszination aus, dass umgekehrt einige Deutschstämmige zur anderen Seite konvertierten und teilweise auch „tschechischer“ wurden als ihre tschechischstämmigen Mitstreiter.250 Begünstigt wurde die Tsche246  Rauchberg, Bürgerkunde der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1935, S. 162. 247  Zu den Reformvorschlägen näheres in: Všehrd, Bd. 5, 1924, S. 204 und 212. 248  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 115. 249  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 115–116. 250  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 116.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

chisierung des Landes auch durch die gesetzlichen Voraussetzungen. Hier waren es vor allem die neu gegründeten Selbstverwaltungsorgane, die 1862 aufgrund des Schmerlingschen Gemeindegesetzes251 überall in den böhmischen Ländern entstanden sind.252 Die deutsche Seite fühlte sich durch das neue tschechische Selbstbewusstsein geradezu überrumpelt. In dem Moment als die Tschechen aus der „Sphäre des Unpolitischen-Folkloristischen“253 heraustraten, sahen die Deutschen in ihnen eine Bedrohung. Die Neubelebung des tschechischen Nationalismus betrachteten sie als eine völlig künstlich herbeigeführte Bewegung einer kleinen Gruppe intellektueller Unruhestifter, die nicht eingestehen wollte, dass das tschechische Volk als nationale Gruppe bereits aufgehört habe zu existieren.254 Es verwundert daher wenig, dass einige Deutsch-Böhmen gegen die Nationalbewegung Sturm liefen und 1848 erstmals einen Verein zur Erhaltung ihrer Nationalität gründeten.255 Trotz einzelner aggressiver Reaktionen, war die Zeit vor 1860 eher durch eine augenscheinliche Gleichgültigkeit und Ignoranz der Deutschen gegenüber den Tschechen geprägt. Hierzu eine Äußerung von Josef Frič256: „Vor allem ist es für einen Tschechen, der sich zu seinem Volk bekennt, recht schwer, einem Fremden klarzumachen, dass er kein Deutscher ist“.257 Unwissenheit und Nichtbeachtung führten schließlich zu einer allgemeinen Voreingenommenheit gegenüber der tschechischen Bevölkerung, die insbesondere an der Wende von den fünfziger zu den sechziger Jahren des 19.  Jahrhunderts 251  1.  Teil,

Kapitel  2, C. Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 116. 253  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutesche 1780–1918, München 1996, S. 92. 254  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 150. 255  Am 18. April 1848 wurde in Wien unter dem Vorsitz von Ludwig von Löhner der Verein der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Schlesien zur Aufrechterhaltung ihrer Nationalität gegründet; Bruckmüller, Nation Österreich, Wien 1984, S. 112; Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 92; Karl Hugelmann, Das politische Vereinsleben des Jahres 1848 in Österreich. In: Historisch-politische Studien: gesammelte Aufsätze zum Staatsleben des 18. und 19.  Jahrhunderts, insbesondere Österreichs, hg. von Karl Hugelmann, Wien 1915, S. 57–71. 256  Frič (Landesadvokat) hielt am 5. Juni 1848 an der juridischen Fakultät der Prager Universität die erste Vorlesung in tschechischer Sprache, in: Helmut Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, hg. von Ferdinand Seibt, München 1984, S. 62. 257  Karel Kosík, Čeští radikální demokraté, (Die tschechisch radikalen Demokraten), Prag 1953, S. 340–343. 252  Prinz,



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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kulminierte.258 In der deutschen Publizistik, wie z. B. in der zeitgenössischen Broschüre Germanisierung und Tschechisierung, wurde die tschechische Gesellschaft als ein „zu weiterer Existenz nicht berechtigtes Restvolk“ wahrgenommen, das mit seiner primitiven Kultur, seiner zu einer „höheren Entwicklung nicht begabten Sprache“ und mit seinen „groben Sitten und Gebräuchen“, wie alle übrigen Slawen der Zivilisation im Wege stehe.259 Die Wiener Öffentlichkeit stellte die Gleichberechtigung der tschechischen Sprache als Triumph der slawischen Barbarei dar, die die österreichische Kultur bedrohe.260 Die im Jahr 1861 erschienene Schrift Germanisierung und Tschechisierung stellte einen der aggressivsten Angriffe auf den Sinn der Existenz der tschechischen Nation im 19.  Jahrhundert dar.261 Seit den achtziger Jahren wurde der deutsch-tschechische Antagonismus zunehmend politisiert und steigerte sich zu einem permanenten nationalitätenpolitischen Ausnahmezustand, der gelegentlich auch in gewalttätige Auseinandersetzungen umschlug.262 Die immer stärker in die Defensive gedrängte deutsche Seite entwickelte allmählich eine Wagenburgmentalität und versuchte ihren slawischen Landsleuten immer wieder das Existenzrecht als Kultur­nation abzusprechen.263

B. Entwicklung der tschechischen Intelligenz, Wissens- und Sprachkultur Beim Aufbau eines zeitgemäßen tschechischen Kulturlebens ging es zunächst vorrangig um die Herstellung all jener Elemente, die als notwendige Attribute einer Kulturnation angesehen wurden.264 Die tschechische Intelligenz, die bis dahin nur durch eine Handvoll nationaler Erwecker repräsentiert wurde, bemühte sich, den Anschluss an die europäische Kulturszene zu finden. Die Schwierigkeit dabei bestand darin, dass die Tschechen bei ihrem 258  Urban,

Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien 1994, S. 226. Germanisierung oder Czechisierung? Ein Beitrag zur Nationalitätenfrage in Böhmen, Leipzig 1861; Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien 1994, S. 226. 260  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutesche 1780–1918, München 1996, S. 92. 261  Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien 1994, S. 226. 262  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 19. 263  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 19. 264  Christopher P. Storck, „Sein Autor muss tschechoslowakischer Nationalität sein“: Die Tschechische Akademie als Förderer und Kontrolleur der nationalen Kunstentwicklung 1891 bis 1941. In: Bohemia, Zeitschrift für Geschichte und Kultur der böhmischen Länder, Bd. 38, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum von Ferdinand Seibt und Hans Lemberg, München 1997, S. 122 (in der Folge zit.: Bohemia, Bd. 38, 1997). 259  Pisling,

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Versuch, die deutsche Nationsbildung nachzuvollziehen, mit einem Zehntel der Bevölkerung auskommen mussten.265 I. Die ersten Gelehrtengesellschaften in Böhmen Bereits Mitte des 18.  Jahrhunderts trafen sich in den Ländern der böhmischen Krone kleine ausgewählte Kreise in den adeligen Salons, um die gegenwärtigen neuen Strömungen des westlichen Europas zu diskutieren. Am deutlichsten zeichnete sich hierbei die erste Gelehrtengesellschaft So­ cietas incognitorum aus, die sich zwischen 1745–1753 im mährischen Olmütz (Olomouc) um den Philosophen Freiherr Josef von Petrasch gebildet hatte. Obwohl die Gesellschaft nur eine kurze Lebensdauer hatte, so löste sie doch – auch aufgrund ihrer Zeitschrift Monatliche Auszüge alter und neuer Gelehrten Sachen – wichtige Impulse für die Weiterentwicklung der Geschichtswissenschaften in den Ländern der böhmischen Krone aus.266 Die Gesellschaft bildete ein literarisches Austauschforum, in dem man aß, las und diskutierte. Eine langjährige Lebensfähigkeit und Außenwirkung bewies erst die im Jahre 1791 gegründete Gesellschaft Královská česká společnost nauk KČSN (Königlich-Böhmische Wissensgesellschaft), die in ihrem Kreis eine Reihe von herausragenden Gelehrten267 der unterschiedlichsten Fachrichtungen versammelte und für die tschechische Wissenskultur eine positive Tradition schuf.268 Die KČSN wirkte vorübergehend in der gesamten Habsburgermonarchie als die einzige Wissensgesellschaft dieser Art.269 Erst als im Jahre 1830 in Budapest und danach 1847 in Wien die Akademie der Wissenschaften gegründet wurde, ließ die Bedeutung der KČSN merklich nach. Sie wurde zunehmend als provinzielle Institution angesehen und verlor schließlich in der Zeit des Neoabsolutismus sogar ihren ursprünglichen aufklärerischen Geist. Die Situation der Gesellschaft verbesserte sich erst wieder, als sich der Einfluss von Palacký langsam bemerkbar machte, der „dem Leichnam nochmals den Lebensatem einhauchte“270. In den Anfängen 265  Bohemia,

Bd. 38, 1997, S. 121. Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Bd. 1, A–H, Wien 1979, S. 188. 267  Zu ihren Gründervätern zählten A. Randa, E. Otto, V. Brandl; zu ihren Mitgliedern zählten u. a. H. Jireček, J. Čelakovský, J. Pražák, A. Rybička, J. Heller, B. Rieger, K. Hermann-Otavský, aus: Jiři Klabouch, Právní věda v  české akademii (1891–1952), aus: Právník, Bd. 130, 1991, S. 869. 268  Právník, Bd. 130, 1991, S. 865. 269  Právník, Bd. 130, 1991, S. 865. 270  Josef Kalousek, Děje Královské české společnosti nauk (Die Geschichte der Königlichen Tschechischen Wissensgesellschaft), hg. von Josef Kalousek, Prag 1884, S. 154. 266  Biographisches



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der Gesellschaft wurde vereinzelt noch das Lateinische gebraucht. Die Mehrheit der Mitglieder bevorzugte aber bereits die Verwendung der lebenden Sprachen, wobei das Deutsche faktisch die einzige Sprache der Gesellschaft war.271 Dies bedeutet aber nicht, dass der Geist der Gesellschaft ein rein deutscher war, im Gegenteil bemühten sich ihre Mitglieder darum, eine Verbindung zwischen deutscher und tschechischer Wissenskultur und Sprache herzustellen. Es waren hauptsächlich die nationalen Protagonisten der Wissensgesellschaften, die schließlich am Anfang der sechziger Jahre des 19.  Jahrhunderts die Gelehrtenkreise verließen um Politik zu machen und damit ihre Ideen erstmals auf die Straße trugen, um sie für die Bevölkerung sichtbar zu machen.272 Durch Palacký (um 1840) trat das „nationale Erwachen“ in die Gesellschaft ein, dies äußerte sich vor allem in dem Gebrauch der tschechischen Sprache, die zwischenzeitlich insoweit ausgereift war, dass sie auch der Wissenschaft als Kommunikationsmittel diente.273 Die KČSN entwickelte sich fortan – zumindest bis 1945 – zu einer zweisprachigen Gesellschaft, in der beide Nationalitäten miteinander konkurrierten.274 Ausgelöst durch die Erneuerung des konstitutionellen Regimes in den sechziger Jahren erlangte die tschechische Nationalbewegung immer mehr an Bedeutung. Ihre Vertreter waren sich darüber im Klaren, dass zur Erlangung eines nationalen Bewusstseins auch die Einbindung der tschechischen wissenschaftlichen Forschung erforderlich war, um somit einen Ausgleich mit den anderen weit entwickelten Nationen erreichen zu können.275 Noch bis in die achtziger Jahre hinein wurden die Sitzungsprotokolle und Publika­ tionen der KČSN überwiegend in deutscher Sprache verfasst. Erst ab 1882 bemühte sich die Gesellschaft, von den deutschen Niederschriften auch tschechische Übersetzungen anfertigen zu lassen.276 Nach langen Verhandlungen mit der Regierung, an denen insbesondere Bohuš Rieger (Herausgeber der Zeitschrift Sborník věd právních a státních)277 beteiligt war, wurde schließlich am 23. Januar 1890 die Gründung der Česká Akademie pro vědy, slovesnost a umění (Tschechische Akademie der Wissenschaften, Literatur und Künste) ČAVU bestätigt.278 Die Akademie hatte eine Bedeutung, die weit über den üblichen Stellenwert solcher Institutionen hinausging. Sie 271  Právník,

Bd. 130, 1991, S. 866. Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 18. 273  1.  Teil, Kapitel  1, B.  III. 274  Právník, Bd. 130, 1991, S. 866. 275  Právník, Bd. 130, 1991, S. 866. 276  Zwischen 1867–1882 waren von 120 Protokollen der KČSN 95 in deutscher und nur 22 in tschechischer Sprache verfasst, in: Právník, Bd. 130, 1991, S. 867. 277  1.  Teil, Kapitel  3, C. 278  Der offizielle deutsche Titel war „Böhmische Kaiser Franz Josef Akademie der Wissenschaften, Literatur und Künste“. Die tschechische Bezeichnung lautete 272  Storck,

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

übernahm von Anfang an die Funktion einer Zentralstelle für die Förderung und Steuerung der tschechischen Kulturentwicklung.279 Die ČAVU war für die Bildung der tschechischen Nation, die ihre Konsolidierung und Anerkennung vor allem auf der Grundlage kultureller Leistungen erreichen wollte, von entscheidender Wichtigkeit und war die erste wissenschaftliche Einrichtung, die in der Lage war, die deutsche Kultur in die Defensive zu drängen.280 Die Finanzierung wurde durch die damals anonyme Spende von 200.000 Goldmünzen des Prager Mäzens Josef Hlávka281 ermöglicht. Den Impuls für die Gründung der ČAVU gab der Eintritt der tschechischen Wissenschaft in die tschechische Universität im Kampf gegen die deutsche Dominanz. Im Unterschied zur tschechisch-deutschen KČSN (bis 1918), war die ČAVU eine rein tschechische Akademie. Die deutsche Seite reagierte daraufhin mit der Gründung der Gesellschaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen (1891), die später zur Akademie erhoben wurde und ein Gegengewicht zur Tschechischen Akademie bilden sollte. Welchen Stellenwert die Akademie in der Gesellschaft hatte, zeigte die Namensliste ihrer Ehrenmitglieder, darunter J. Lobkovic, K. Schwarzenberg, Ludwig S. von Toscana, T. G. Masaryk und E. Beneš. Die Ausgestaltung sowie die Auswahl ihrer Mitglieder blieb weiterhin ein Kompromiss zwischen den Behörden – wobei hier hauptsächlich der Statthalter František von Thun besonders dominierte – und den Mitgliedern und Förderern der Akademie (Hlávka, Rieger). Rieger, der zu den Repräsentanten der Alttschechen gehörte, übernahm hierbei den Kontakt zur Prager juristischen Fakultät und fungierte als Vermittler.282 Die zweisprachige Gesellschaft der KČSN blieb aber weiterhin neben der neu gegründeten tschechischen Akademie der Wissenschaft bestehen, konnte aber nicht mehr an ihre alten Erfolge anschließen und verlor auch zunehmend ihre Individualität. Die ČAVU hatte es sich laut § 1 ihrer Vereinssatzung zur Aufgabe gemacht, die tschechische Sprachwissenschaft zu pflegen und zu fördern. Die Besetzung der Akademie blieb weiterhin in der Hand der Wiener Regierung, die Organisation wurde aber bereits den Körperschaften der tschechischen Akademie übertragen. In Folge entwickelte sich die ČAVU zu einer Institution, „Česká akademie císaře Františka Josefa pro vědy slovesnost a umění“ (ČAVU); Die Gründungsreden sind abgedruckt in der Samosprávný Obzor, Bd. 13, 1891, S. 33 ff. 279  Bohemia, Bd. 38, 1997, S. 120. 280  Bohemia, Bd. 38, 1997, S. 120. 281  Hlávka (1831–1908) war tschechischer Baumeister und Architekt. Erlitt im Jahr 1870 einen Nervenzusammenbruch, woraufhin er nun seine geistigen Kräfte der tschechischen Wissenschaft und Kunst (aus dem Rollstuhl heraus) widmete; Alois Lodr, Josef Hlávka: Český architekt, stavitel a mecenáš; vychází k 80. výročí úmrtí Josefa Hlávky (Josef Hlavka, Tschechischer Architekt, Baumeister und Mäzen: Zum 80. Todestag), Prag 1988. 282  Právník, Bd. 130, 1991, S. 867.



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die sich zum Ziel gesetzt hatte, allen kulturellen und universitären Einrichtungen Halt und Unterstützung zu gewähren.283 Die Akademie war in vier Klassen aufgeteilt: I. Klasse: Philosophen, Staatwissenschaftler, Historiker, Archäologen und Juristen. II. Klasse: Naturwissenschaftler. III. Klasse: Literaten und Philologen, IV. Klasse der schönen Künste. Die größte Gruppe bildeten dabei die Juristen und Humanmediziner, die somit direkt an der Gestaltung der neuen tschechischen Intelligenz am Ende des 19.  Jahrhunderts beteiligt waren und deren Hauptanliegen die Kultivierung der tschechischen Sprache war.284 Unter den Mitgliedern der KČSN und der ČAVU fanden sich hauptsächlich die Vertreter der Disziplinen, die nicht an das wechselhafte positive Recht angebunden waren, wie zum Beispiel Statistik oder Politikwissenschaften, wie sie das 18.  Jahrhundert kannte, und Philosophie und Rechtsgeschichte.285 Im Gründungsjahr der Akademie der tschechischen Wissenschaften zählte die I. Klasse fünf Mitglieder, von denen zwei Juristen waren; Antonín Randa und Emil Ott. Im Dezember 1891 erweiterte sich die Mitgliederzahl auf 19 Mitglieder, darunter bereits 11 Juristen.286 Nach dem Tod des ersten Präsidenten der ČAVU, Josef Hlávka, übernahm Antonín Randa die Position des zweiten Präsidenten und erfüllte diese Aufgabe bis zu seinem Tod im Jahre 1914. Im Ganzen lässt sich feststellen, dass die Besetzung der Führungspositionen der Akademie der Wissenschaften hauptsächlich von Juristen dominiert wurde. Eine wichtige Rolle der ČAVU war die Anbindung an die Universität, da die Gründung der Akademie in eine Zeit fiel, in der der Einfluss der Universitäten auf das tschechische wissenschaftliche Leben seinen Höhepunkt fand.287 Damit lässt sich insbesondere erklären, warum von den durchschnittlich 50–55 Mitgliedern der Juristenklasse der ČAVU in den Jahren 1890–1952 gerade einmal 10 Mitglieder keine Universitätsprofessoren waren.288 In diesen Fällen handelte es sich meistens um wissenschaftlich interessierte Funktionsträger hoher staatlicher Apparate, wohlhabende Advokaten und Funktionäre des Juristenvereins Právnická Jednota (1864), die sich bereits durch ihre langjährige Tätigkeit im Redaktionsrat der tschechischen juristischen Zeitschrift Právník hervorgetan hatten.289 Die Gründergeneration der tschechischen juristischen Fakultät in Prag durchlief gleichzeitig auch die Mitgliedschaft der Akademie. Mit der Gründung weiterer Fakultäten in Mähren und der Slowakei nahm die Akademie auch einige Professoren der juristischen Fa283  Právník, 284  Právník, 285  Právník, 286  Právník, 287  Právník, 288  Právník, 289  Právník,

Bd. 130, Bd. 130, Bd. 130, Bd. 130, Bd. 130, Bd. 130, Bd. 130,

1991, 1991, 1991, 1991, 1991, 1991, 1991,

S. 868. S. 868. S. 868. S. 869. S. 869. S. 869. S. 870.

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kultäten Brünn und Bratislava in ihren Mitgliederkreis auf. Auffallend ist, dass die Akademie kaum internationale Kontakte pflegte und auch kein großes Interesse daran bestand.290 Nachdem die Arbeit der Akademie während des Ersten Weltkrieges fast zum Erliegen gekommen war, bekam sie mit der Gründung der Tschechoslowakei neuen Aufschwung. Die neu formulierte Satzung des Jahres 1923 sah in § 2 ausdrücklich die Einrichtung eigener spezieller Institute vor, wie es bereits bei der deutschen Kaiser Wilhelm Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften üblich war.291 Die Bewilligung der Sondereinrichtungen wurde explizit gefordert, da sich nach der Gründung der Tschechoslowakei weite Problemfelder aufgetan hatten, zu deren Bewältigung sich die Institute anboten.292 Die Realisierung dieser Vorstellung scheiterte aber meistens an der ungenügenden Finanzierung der Einrichtungen. Im Protektorat nahm die Anzahl der spezialisierten Institute der ČAVU wieder zu. Nur durch sie konnten viele tschechische Professoren und Lehrer, die durch die Schließung der Universitäten ihre Stellung verloren hatten, überleben.293 Im Jahr 1945, als die Wissenschaft neue Gestalt annahm, entstanden im Rahmen der ČAVU zahlreiche spezialisierte Institute, wie etwa im Jahr 1946 Ústav pro jazyk česky (Institut für die tschechische Sprache) und im Jahr 1948 das Institut für tschechische Literatur. Hauptanliegen der ČAVU war die Edition tschechischer wissenschaft­ licher Publikationen, die aus kommerzieller Sicht größtenteils einen Verlust bedeuteten, aber das Ziel verfolgten, den Anschluss an die deutschen Publikationen nicht zu verpassen.294 Sie war zwar ein wichtiger Motor für die Entwicklung einer nationalen Wissenschaft hin zu europäischem Niveau, aber ihre Tätigkeit entfaltete keine vergleichbare Breitenwirkung.295 Noch in den achtziger Jahren des 19.  Jahrhunderts publizierten viele tschechische Wissenschaftler in deutscher Sprache, weil die Fülle der tschechischen Fachbegriffe noch nicht ausreichend war. So verfügten die tschechischen Hochschulen auch erst ab den 20er Jahren über ihre eigenen Bücherreihen vom Typ der französischen Presses universitaires.296 Im juristischen Bereich war das Jahrbuch der Brünner Fakultät die erste und lange Zeit einzige Einrichtung dieser Art. Die geförderten Publikationen waren durchwegs seriöse und anspruchsvolle Arbeiten, wobei man eingestehen muss, dass sich die Geschichte der tschechischen Rechtswissenschaft anhand dieser Werke 290  Právník,

Bd. 130, Bd. 130, 292  Právník, Bd. 130, 293  Právník, Bd. 130, 294  Právník, Bd. 130, 295  Bohemia, Bd. 38, 296  Právník, Bd. 130, 291  Právník,

1991, 1991, 1991, 1991, 1991, 1997, 1991,

S. 871. S. 872. S. 872. S. 875. S. 874. S. 121. S. 874.



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nicht schreiben ließe.297 Aber nicht alle tschechischen juristischen Bücher endeten als unverkäufliche Ladenhüter. Soweit sie sich an praktisch-relevanten Fragen orientierten, wie etwa Lehrbücher und Kommentare, finanzierten sie sich teilweise auch selbst. Mit den privaten Verlagen konnte die Akademie jedoch nicht mithalten. So mussten die Juristen der I. Klasse der ČAVU um jede Gelegenheit kämpfen, um ihre Arbeiten veröffentlichen zu können.298 Im Vergleich zu den anderen Sektionen (Naturwissenschaften, Literatur), spielten die Beiträge der Juristen nur eine geringe Rolle. Die ČAVU war neben der Právnická Jednota auch an der Unterstützung der juristischen tschechischen Zeitschrift Sborník věd právních a státních (1901–1948)299 beteiligt, die von Bohuš Rieger redigiert wurde. Was die theoretisch-methodologische Ausrichtung der Akademie betraf, so war sie in ihrer Gründungszeit eher homogen. Das Aufkommen der deutschen Historischen Rechtsschule an der Wiener Universität, mehr oder weniger von „oben“ angeordnet, rief nur kurzzeitig in den 60er Jahren eine Reaktion in der tschechischen Literatur und ein Bemühen um eine eigene theoretischen Orientierung hervor, was zum Teil auch daran lag, dass noch nicht genügend Kräfte an der Prager Universität vorhanden waren. Erst durch Randa erreichte die Historische Rechtsschule eindeutig gegenüber den anderen Strömungen die Übermacht. Gegen Ende des Jahrhunderts verloren die tschechischen Vertreter der Historischen Rechtsschule an den gesellschaftstheoretischen Fragen jegliches Interesse und wandten sich allmählich einem atheoretischen Positivismus zu.300 Erst vor dem ersten Weltkrieg zeichnete sich bei der jüngeren Generation eine Differenzierung ab. Die Orientierung zur Freirechtsschule und Rechtssoziologie301 wurde dann aber durch das starke Aufkommen der Normativen Rechtsschule (Kelsen, Weyr) unterdrückt, die dann in der Zwischenkriegszeit die Position der anderen Strömungen schwächte und alle ­Übrigen in den Hintergrund drängte.302 Im Jahr 1914 schrieb die juristische Klasse I. der ČAVU zum Jubiläum und zum Andenken Randas einen Preis für die beste Arbeit im Öffentlichen- sowie im Zivilrecht aus. Zwei Arbeiten wurden vorgelegt, wobei sich die Kommission letztlich für die Arbeit303 von Jiří 297  Právník,

Bd. 130, 1991, S. 875. Bd. 130, 1991, S. 875. 299  1. Teil, Kapitel 3, C. 300  Právník, Bd. 130, 1991, S. 876. 301  Anhänger der Freirechtsschule und der Rechtssoziologie waren Emanuel Tilsch (1866–1912) und Emil Svoboda (1878–1948). Beide waren Schüler Randas; Näheres bei: Antalogie české právní vědy, hg. von Petra Skřejpková, Ladislav Soukup, Prag 1993, S. 128 (Tilsch), S. 142 (Svoboda). 302  Právník, Bd. 130, 1991, S. 876. 303  Titel: Záruky a exekuční prostředky v rakouském právu správním (Exeku­ tionsmittel im österreichischen Verwaltungsrecht, 1915). 298  Právník,

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Hoetzel entschied.304 Die konzilianten Bemühungen Professor Krčmářs, den zivilrechtlichen Preis an Weyr für seine rechtsphilosophische Arbeit zu vergeben, stießen auf das kategorische Veto von Emil Ott305. Die Diskussion zwischen der Brünner Rechtsschule und der traditionellen atheoretischen Prager Lehre, auf die sich letztendlich jegliche gesellschaftstheoretische Problematik konzentrierte, übertrug sich auch auf die Mitglieder der ČAVU. Nach dem Krieg kam es zu einem Umschwung in der Akademie. Die Vertreter der Normativen Rechtsschule gingen in die Offensive gegen die traditionelle Prager Lehre. Der traditionelle Positivismus stellte aber für die auf Kant und Kelsen aufgebaute Brünner Rechtsschule keine Konkurrenz dar. Letztendlich erarbeitete sich die Prager Rechtsschule ihren eigenen gesellschaftstheoretischen Standpunkt, der an die neupositivistische Philosophie anknüpfte (Vladislav Čermák).306 So wurde die juristische Sektion der ČAVU die Schiedsstelle für alle strittigen theoretischen Fragen der tschechischen Rechtslehre, deren Hauptprotagonisten Hora, Krčmář, Čermák und Weyr waren. Es ergaben sich interne Streitigkeiten, die zwar den wissenschaftlichen Höhepunkt der Akademie begründeten, aber zugleich auch ihr Ende einläuteten. Rückblickend ist es der Akademie nicht gelungen eine Verbindung zum großen Fachpublikum herzustellen und aus dem „Elfenbeinturm“ herauszutreten. Sie stellte zwar den „Olymp“ der wissenschaftlichen Einrichtungen dar, hatte aber keine Breitenwirkung und agierte größtenteils hinter verschlossenen Türen. II. Nationale Bildungsbewegung und Förderung der Wissenschaft Die nationale Bildungsbewegung der sechziger Jahre ergriff schnell die ganze tschechische Gesellschaft. Der Staat subventionierte die wissenschaftlichen Bestrebungen der Tschechen und gewährte reichliche Stipendien zu ihrer Ausbildung.307 Das rasche Anwachsen des Wissenschaftsbetriebes war für die Tschechen, wie für alle slawischen Völker, die spät zu einer eigenen Schriftsprache kamen, bezeichnend.308 Dabei mussten insbesondere eigensprachige wissenschaftliche Lehrbücher, Enzyklopädien und Zeitschriften geschaffen werden. Eines der bekanntesten Werke, war das elfbändige Konversationslexikon Slovník naučný (Konversationslexikon) von Dr. František Ladislav Rieger. Im Jahr 1888 folgte ihr eine neue große Enzyklopädie, 304  Právník,

305  Ladislav

Bd. 130, 1991, S. 876. Soukup, Art. „Emil Ott“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993,

S. 147. 306  Právník, Bd. 130, 1991, S. 876. 307  Hassinger, Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch, Wien 1925, S. 283. 308  Hassinger, Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch, Wien 1925, S. 286.



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Ottův slovník naučný (Ottos Konversationslexikon). Der Bildungseifer der Tschechen und ihr Streben nach nationaler Eroberung der intellektuellen Berufsstände führten zu einer Überflutung der tschechischen Universitäten.309 Dazu schrieb der tschechische Professor Babak im Jahr 1914 in der Zeitschrift Přehled (Übersicht): „Die Tschechen haben für gewisse Hochschuldisziplinen weder Arbeiter noch Lehrbücher. Die tschechische Intelligenz baut an einem System, dessen Grundlagen in der deutschen Kultur wurzeln. Die kleine tschechische Nation kann nur Stückarbeit leisten. Trotz über 200 Professoren und Dozenten und stetigen Habilitierungen fehlt der wissenschaftliche Nachwuchs“. Die führenden Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Recht gingen aus der Prager Universität hervor, welche geradezu als die „Mutter des neueren tschechischen Geisteslebens“ angesehen werden darf.310 Begünstigt durch die Teilung der Prager Universität im Jahre 1882 wuchs in Böhmen eine neue Generation junger selbstbewusster Wissenschaftler heran.311 Auch auf dem rechtlichen Gebiet setzte sich eine Gruppe tschechischer Rechtswissenschaftler durch, die an der Erneuerung des tschechischen Rechtslebens beteiligt war. Mit den Zeitschriften schufen sie sich ein neues Medium der akademischen Kommunikation, das ihrem Erfahrungsaustausch und ihrem sozialen Zusammenhalt neue Dimensionen und Impulse gab.312 III. Entwicklung einer modernen tschechischen Hochsprache und Rechtsterminologie Die tschechische Nationalbewegung sah ihr zentrales Anliegen in der Entwicklung und Einführung einer modernen Hochsprache. Während des Prozesses ihrer nationalen Wiedergeburt hatten die Tschechen, so wie auch alle anderen Nationalitäten der Habsburgermonarchie, gegen das Vorurteil zu kämpfen, eine bloße Volkssprache zu besitzen, die wegen ihrer Unfertigkeit und Unentwickeltheit weder zu Kultur noch Wissenschaft taugte.313 Die Entwicklung der tschechischen Hochsprache stand in engem Zusammen309  Hassinger, Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch, Wien 1925, S. 286. 310  Hassinger, Die Tschechoslowakei. Ein geographisches, politisches und wirtschaftliches Handbuch, Wien 1925, S. 285. 311  Bohumil Jiroušek, Politická tematika v časopise Athenaeum (Die politische Thematik in der Zeitschrift Athenaeum), in: Tisk a politické Strany (Die Presse und Politische Parteien), hg. von Pavel Marek, Olomouc 2001, S. 47. 312  Otto Dann, Die Zeitschriften im Rahmen der deutschen Aufklärungsgesellschaft. In: Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20. Jahrhunderts, hg. von Michael Stolleis, Frankfurt 1999, S. 8. 313  Hannelore Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 18.

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hang mit dem Emanzipationsprozess der deutschen Sprache. Herder beschrieb diesen Prozess als eine Befreiung aus den Fesseln der Scholastik und der lateinischen Wissenschaftssprache.314 Seit dem frühen 19.  Jahrhundert hatte im Zuge der romantischen Bewegung die sog. „neutschechische Periode“ begonnen. Signifikant hierfür war das deutsch-tschechische Wörterbuch (1835–1839) von Jungmann, das den tschechischen Wortschatz kodifizierte. Germanismen aus dem 18.  Jahrhundert wurden durch ältere tschechische Wörter oder Wörter aus anderen slawischen Sprachen ersetzt. Zunehmend wurde das Tschechische in allen Kommunikationsbereichen verwendet. Bezüglich der Einrichtung einer rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät mit slowenischer Vorlesungssprache in Laibach (in der ­Regierung Hohenwart-Schäffle, 1871) äußerte der Abgeordnete Dr. Etbin Costa, dass sich die Bildung eines Volkes mit der Bildung seiner Sprache in gleichmäßigem Fortschritt befinde, dass aber umgekehrt auch die Bildung der Sprache davon abhänge, ob sie in Schule und Amt, im öffentlichen und sozialen Leben eingeführt sei.315 Am Anfang befand sich die tschechische Rechtswissenschaft in einem Prozess der „Läuterung der Sprache“. Die Sprache des Rechtslebens war bis dahin überwiegend deutsch. Die tschechische Sprache genügte trotz ihrer Fortschritte bei weitem nicht den Anforderungen die an eine Amts- und Gesetzessprache gestellt wurden.316 So bemerkte Vilfan zutreffend, „das das cisleithanische Sprachenrecht mehr oder weniger aus kasuistischen Normen, vor allem aus einer Fülle von Judikaten, von internen Weisungen oder Beschlüssen, von tatsächlich eingebürgerten Gepflogenheiten und irgendwie durchgesetzten Neuerungen“ hervorging und ein „Resultat der besonders intensiven Verflechtung des Sprachenrechts mit den nationalpolitischen Geschehnissen und mit dem alltäglichen Leben“ war.317 Die slawischen Sprachen verfügten über keine gefestigte Schriftsprache und ihre Grammatik und Rechtschreibung unterlag Schwankungen. Der Wortschatz war auf die Bedürfnisse des Alltagslebens beschränkt und eine wissenschaftliche oder fachliche Terminologie fehlte.318 Demzufolge hatten die ersten juristischen Zeitschriften anfänglich mit großen sprachlichen 314  Johann Gottfried Herder, Abhandlungen über den Ursprung der Sprache, in: Sprachphilosophische Schriften, hg. von Erich Heintel, Hamburg 1960, S. 144. 315  Stenographische Protokolle, Abgeordnetenhaus, 51. Sitzung, 6. Session, 13. Juli 1871. 316  Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 91. 317  Sergij Vilfan, Die Österreichische Zivilprozeßordnung von 1895 und der Gebrauch der slowenischen Sprache vor Gericht, Graz 1970, S. 5. 318  Slapnicka, Österreichs Bemühungen um eine slawische Rechtsterminologie. In: Rechtshistorische Konferenz in Krems   /   Stein vom 21.4.–24.4.1974, S. 2.



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Schwierigkeiten zu kämpfen und mussten viele juristische Ausdrücke neu schaffen. Dabei machte die tschechische juristische Terminologie große Fortschritte, die bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts gegen die drei „klassischen“ Gerichtssprachen deutsch, italienisch und lateinisch nicht hatte aufkommen können.319 Die seit längerer Zeit aus den höheren politischen Kreisen ausgeschlossene slawische Sprache besaß für gewisse, dem neueren Staatsleben angehörigen Begriffe noch keine allgemein gangbaren Ausdrücke.320 Um die sprachlichen Hindernisse zu beseitigen, berief das Justizministerium unter Minister Bach bereits im Juli 1849 aus Kennern der slawischen Sprache eine „Kommission für slawische juridisch-politische Terminologie“ nach Wien ein. Der Kommission wurde die Aufgabe anvertraut, eine den Bedürfnissen der jetzigen Gesetzgebung und Verwaltung genügende, teils aus älteren Rechtsquellen geschöpfte, teils aus dem natürlichen Reichtum der verschiedenen Mundarten gebildete juridische Terminologie zu entwickeln, welche der allgemeinen Praxis als Richtschnur gelten sollte.321 Anlass hierzu war die Übersetzung des Reichsgesetzblattes von 1849 in alle zehn Landessprachen322, die bei der Einführung des Reichsgesetzblattes323 angeordnet worden war. Das Nationalitätenkonglomerat der österreichischen Monarchie musste seine Rechtsnormen ihren verschiedensprachigen Untertanen zur Kenntnis bringen.324 Dazu bestimmte das Kaiserliche Patent vom 4. März 1849, RGBl. Nr.  153 in § 1, Abs. 2, dass in dem in allen landesüblichen Sprachen herauszugebenden „allgemeinen Reichsgesetz- und Regierungsblatt“ die „Texte in den verschiedenen Landessprachen authentisch sind“ und dass „den nichtdeutschen Texten die deutsche Übersetzung beizufügen ist“. Die Kommission trat am 1. August 1849 zusammen, unter den Kommissionsmitgliedern befanden sich die namhaftesten Philologen und Juristen der slawischen Länder, die in fünf Sektionen, eine 319  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 140. 320  Juridisch-politische Terminologie für die slawischen Sprachen Österreichs. Von der Commission für slavische juridisch-politische Terminologie, Wien 1850, S. III. 321  Juridisch-politische Terminologie für die slawischen Sprachen Österreichs. Von der Commission für slawische juridisch-politische Terminologie, Wien 1850, S. IV. 322  In deutscher, italienischer, magyarischer, böhmischer (zugleich mährischer und slowakischer Schriftsprache), polnischer, ruthenischer, slovenischer (zugleich windischer und krainerischer Schriftsprache), serbisch-illyrischer Sprache mit serbischer Civil-Schrift, serbisch-illyrischer (zugleich croatischer) Sprache mit lateinischen Lettern, romanischer (moldauisch-wallachischer) Sprache; Helmut Slapnicka, Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 66. 323  Kaiserliches Patent vom 4. März 1849 (RGBl. Nr.  153). 324  ZÖR, Bd. 9, 1930, S. 376.

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polnische, eine ruthenische, eine tschechische (böhmisch-mährisch-slowakische), eine slowenische und eine illyrisch-serbische aufgeteilt waren.325 Zum Vorsitzenden der Kommission wurde der Prager Universitätsbibliothekar und Professor für slawische Philologie Pavel Josef Šafařík (1795–1861) ernannt.326 Šafařík galt neben Josef Dobrovský als einer der wichtigsten Sprachforscher und Begründer der wissenschaftlichen Slawistik. Der Sohn eines slowakischen evangelischen Pfarrers in Ungarn interessierte sich schon früh für die Bedeutung von Muttersprache und Nationalbildung und „entwickelte einen feinen Sinn für die slawische Sprache und das slawische Volk“.327 Ab 1815 begab er sich nach Jena und studierte unter Luden evangelische Theologie, Philosophie, Geschichte, Philologie und Naturwissenschaften. Nach Erlangung seiner Doktorwürde kehrte er nach Ungarn zurück, wo er bis 1819 als Erzieher eines ungarischen Edelmanns beschäftigt war. In Pressburg traf er auf Jungmann und Palacký, die sich damals um den slawischen Patrioten Juraj Palkovič328 (1769–1850) gruppierten. Dort fasste er den Entschluss, sein Leben ganz der Slawistik zu widmen und folgte im Jahr 1819 einem Ruf nach Neusatz (Novi Sad) als Professor am serbisch-orthodoxen Gymnasium. Im Jahr 1833 entschloss er sich nach Prag umzusiedeln, um sich ganz seinen slawischen Forschungen und Studien widmen zu können. Er brachte damit ein großes Opfer für die Wissenschaft, da er damit seine Festanstellung als Professor in Neusatz verlor und mit den allgemeinen Lebenssorgen in Prag konfrontiert wurde.329 Während seines Lehramtes in Neusatz (1819–1833) erschienen mehrere und mitunter sehr wichtige Arbeiten, die ihm unter den slawischen Gelehrten hohes Ansehen verschafften. Davon zu nennen sind die Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen Mundarten (1826) und seine Schrift Über die Herkunft der Slawen nach L. Surowiecki (1828). In Prag arbeitete er zunächst als Privatgelehrter, bis er die Stelle eines russisch-polnischen Übersetzers beim Prager Magistrat erhielt. Daneben arbeitete er in den Jahren 1834 und 1835 in der Redaktion der Volkszeitschrift Světozor (Weltbild). Hauptsächlich widmete er sich aber seinem Werk Slovanské starožitnosti 325  Slapnicka,

Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 67. Österreichs Bemühungen um eine slawische Rechtsterminologie. In: Rechtshistorische Konferenz in Krems   /   Stein vom 21.4–24.4.1974, S. 6. 327  Constant von Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 28, 1874, S. 53. 328  Slowakischer Protestant, nahm 1804 einen Ruf auf den Lehrstuhl für slawische Sprachen und Literatur in Pressburg an. Studierte zusammen mit Šafařík in Jena. Beide waren vom entstehenden deutschen Nationalismus inspiriert und betrachteten alle Slawen als eine Nation; Näheres bei Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Wien 1874. 329  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 28, 1874, S. 54. 326  Slapnicka,



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(Slawische Altertümer), welches ihm den Ruf eines Gelehrten von europäischem Rang einbrachte.330 Der erste Band erschien im Jahr 1837, der zweite wurde erst nach seinem Tod aus den hinterlassenen Materialien zusammengestellt (1863). Das zweitgrößte Werk Šafaříks Slovanský národopis (Slawische Ethnographie) erschien im Jahr 1842. Darin beschrieb er die gegenwärtigen Wohnorte der Slawen, die Ausdehnungen der einzelnen Stamm- und Sprachgebiete und erläuterte die Unterschiede der verschiedenen Dialekte.331 In seiner Prager Zeit richtete er sein Augenmerk insbesondere auf die älteren Denkmäler der tschechischen Sprache. Zusammen mit Palacký besprach und verabredete er einen Plan zur Herausgabe der Ältesten Denkmäler der tschechischen Sprache, die im Jahr 1840 in Druck ging. In der Debatte über die Echtheit der Königinhofer Handschrift erklärte er, dass er Wichtigeres zu tun habe, als ein altes Schriftdenkmal gegen die Angriffe einer übertrieben skeptischen Kritik in Schutz zu nehmen.332 Im Jahr 1837 wurde Šafařík zum provisorischen Zensor für Belletristik und 1838 zum Redakteur der Zeitschrift des vaterländischen Museums von Böhmen ernannt. Im Jahr 1841 berief ihn Kaiser Ferdinand zum Kustos an der Universitätsbibliothek, bis im Jahr 1848 seine Ernennung zum Bibliothekar erfolgte.333 In der Bewegung der 1848er Jahre verließ er kurzzeitig seine wissenschaftliche Arbeit, um an der nationalen Bewegung teilnehmen zu können. In diesem Zusammenhang übernahm er im Jahr 1848 die Hauptorganisation des Prager Slawenkongresses und kehrte dann nach kurzer Zeit in die Wissenschaft zurück, um sich hier der Frage über die praktische Durchführbarkeit der Gleichberechtigung der böhmischen und deutschen Sprache in böhmischen Schulen zu widmen.334 Neben seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission für eine juridisch-politische Terminologie der slawischen Sprachen Österreichs war er auch Mitglied der Wiener StudienReform-Kommission.335 Hierbei gab er in der Frage über die praktische Durchführbarkeit der Gleichberechtigung der böhmischen und deutschen Sprache in Schulen in Böhmen sein Votum für die Errichtung böhmischer Lehrstühle der Pastoral-Theologie und der Katechetik an der theologischen 330  Wurzbach, Biographisches Lexikon 1874, S. 55. 331  Wurzbach, Biographisches Lexikon Bd. 28, S. 55. 332  Wurzbach, Biographisches Lexikon Bd. 28, S. 56. 333  Wurzbach, Biographisches Lexikon Bd. 28, S. 56. 334  Wurzbach, Biographisches Lexikon Bd. 28, S. 57. 335  Sturm, Biographisches Lexikon zur Bd. 3, S. 573.

des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 28, des Kaiserthums Oesterreich, 1874, des Kaiserthums Oesterreich, 1874, des Kaiserthums Oesterreich, 1874, des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Geschichte der Böhmischen Länder,

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Fakultät ab.336 Šafařík verfasste grundlegende slawistische Studien im Bereich der tschechisch-slowakischen, deutschen und russischen Philologie. Dabei stand er im regen Kontakt mit František Palacký und anderen führenden Slawisten. Er war korrespondierendes Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin und Gündungsmitglied der Wiener Akademie.337 Neben den oben genannten Arbeiten, zählten zu seinen Werken Rozbor staročeské literatury (Auseinandersetzung mit der altertümlichen Literatur, 1842) und Počátky staročeské mluvnice (Die Anfänge der altböhmischen Grammatik, 1847).338 1860 trat er in den Ruhestand, um sich allein der wissenschaftlichen Arbeit widmen zu können. Aus dieser späteren ­Dekade stammte – auch wenn sie die wissenschaftliche Bedeutung seiner bisherigen Arbeiten nicht übertraf – sein Werk Anfangsgründe der altböh­ mischen Grammatik (1854), worin er seine Idee einer historischen Grammatik der tschechischen Sprache präsentierte.339 Weitere Mitglieder der „Kommission für slawische juridisch-politische Terminologie“ waren die beamteten Übersetzer Antonín Rybička (1812– 1899), Übersetzer des Wiener Innenministeriums, später Rat am Obersten Gerichtshof in Wien und Karel Jaromír Erben (1811–1870), Übersetzer des böhmischen Guberniums, Archivar der Stadt Prag und Mitherausgeber des Právník. Die ursprüngliche Aufgabe, eine für alle fünf Sprachen340 dem Wortstamm und der Wortform nach gleichlautende Terminologie zu schaffen, erwies sich als undurchführbar.341 Schließlich erschien als erstes Ergebnis der Kommissionsarbeit im Jahr 1850 die tschechische Teilausgabe Juri­ disch-politische Terminologie für die slawischen Sprachen Österreichs in einer „deutsch-böhmischen Separatausgabe“, die auch die slowakischen Abweichungen berücksichtigte.342 Die Arbeit der Kommission ermöglichte die Übersetzung des Reichsgesetzblattes in zehn Sprachen, darunter auch in das Böhmische (zugleich mährisch und slowakisch). So entscheidend die 336  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Bd. 28, S. 57. 337  Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 3, N–SCH, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum von Heribert Sturm, Wien 2000, S. 573. 338  Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. 3, N–SCH, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum von Heribert Sturm, Wien 2000, S. 573. 339  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Bd. 28, S. 56. 340  Polnisch, ruthenisch, tschechisch (böhmisch-mährisch-slowakisch), slowenisch, illyrisch-serbisch. 341  Slapnicka, Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 67. 342  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 35.



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Kommissionsarbeit für die Entwicklung der jungen Schriftsprachen auch war, vermochte sie die großen Schwierigkeiten, die mit der laufenden Übersetzung des Reichsgesetzblattes verbunden waren, nicht zu beseitigen.343 Folge der Einberufung der Kommission für die juridische Terminologie war das Erscheinen zahlreicher amtlicher und privater Übersetzungen, die an die Stelle der im 18.  Jahrhundert und in der Zeit des Vormärz sprachlich nicht immer gelungenen oder durch die Entwicklung der Terminologie überholten Übersetzungen traten.344 Die rege amtliche und private Übersetzungstätigkeit führte zur Schaffung zahlreicher juristischer Fachwörterbücher, die der österreichischen Rechtsterminologie Rechnung trugen und wesentlich dazu beitrugen, dass auch nach 1918 die terminologische Einheit erhalten blieb, als der authentische Wortlaut der neuerlassenen Gesetze nicht mehr der deutsche war.345 Bei der Entwicklung einer verständlichen Rechtssprache stieß man oft auf fehlerhafte Interpretationen umgangssprachlich scheinbar verständlicher Gesetzestexte, was den Widerspruch zwischen Rechts- und Umgangssprache verdeutlichte. Der Rechtsstaat verlangte eine gesicherte, gründliche und klare Rechtssprache. Die Rechtssicherheit war hierbei nur durch eine einheitliche und professionelle Interpretation gewährleistet. Durch die Spezialisierung in der Rechtswissenschaft kam zudem eine Erweiterung der Rechtsbegriffe hinzu und die damit bedingte Ausbildung einer Fachsprache. Die der Umgangssprache angenäherte Gesetzessprache verleitete den Laien oftmals dazu, dem Text einen anderen, der individuellen Interpretation folgenden Inhalt zu unterstellen und damit zu einem anderen Ergebnis zu kommen als es der Gesetzgeber beabsichtigte.346 Mit der juridisch-politischen Terminologie wurden Rechtsbegriffe eingeführt, die im Lauf der Zeit von den Autoren der tschechischen juristischen Zeitschriften weiter entwickelt wurden. Die Ausbildung der tschechischen Rechtsbegriffe bereitete große Schwierigkeiten, da es viele Unterschiede zwischen der deutschen und tschechischen Grammatik gab. Im Tschechischen musste zum Beispiel stets das Adjektiv dem Subjektiv vorangehen. Viele der von der juridischen Kommission entwickelten Fachbegriffe wurden nachträglich abgeändert oder verbessert. Im Jahr 1892 präsentiert der Autor Fukar im Právník zahlreiche Über­ setzungen deutscher Rechtsbegriffe, wie sie z. B. während einer Gerichts­ verhandlung verwendet wurden: „Fehlen  =  chyběti“, „Fehler = chyba“, 343  Slapnicka,

Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 345  Slapnicka, Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 346  Reinhard Lorenz, Recht – Sprache – Begriff. In: Sprache – te, hg. von Jörn Eckert und Hans Hattenhauer, Heidelberg 1991, 344  Slapnicka,

1973, S. 68. 1973, S. 68. 1973, S. 69–70. Recht – GeschichS. 298–299.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

„Folge = následek“, „Fortfahren = pokračovat“, „Sich gedulden = posečkati“, „Haare auf den Zähnen haben = chlupi na zubech míti“.347 Der Autor Jan Nečas äußerte im gleichen Band: „Jeder, der die Gelegenheit hat, sich eine tschechische Entscheidung durchzulesen, wird mit Germanismen überschwemmt und sogar mit Undeutlichkeiten und Grammatikregeln die dem Geist der tschechischen Sprache vollkommen widersprechen. Damit eine Entscheidung grammatikalisch in Ordnung ist, reicht es nicht aus, dass einzelne Wörter richtig sind, vielmehr müssen einzelne Wörter mit den passenden Wörtern verbunden werden. Im Vergleich zu vielen anderen Sprachen hat die tschechische Sprache eine freie Satzzusammensetzung, die aber vielfach gar nicht genutzt wird.“348 Besondere Schwierigkeiten bereitete den tschechischen Juristen die Bezeichnung „nejvyšši“ (höchste), womit offiziell das Zivilgericht dritter Instanz gemeint war. Aus dem Grund, weil nach historischer Betrachtung der Begriff „nejvyšši“ in der tschechischen Sprache von jeher ein epitheton für „obere Behörden“ war.349 Auch auf dem Gebiet des Strafrechts mussten geeignete tschechische Rechtsbegriffe gefunden werden, die die deutschen ersetzen konnten. In dem Aufsatz České názvosloví v  budoucím zákoně trestním (Die tschechische Rechtsterminologie des künftigen Strafgesetzbuches)350 im Právník (1916) wurden die Vorschläge für die Übersetzung der deutschen Strafrechtsbegriffe diskutiert. Umstritten waren die Begriffe „Zusammentreffen“, „Versuchte Anstiftung“, „Arbeitsscheu“ „Bruch“ und „Verletzung“. Die Übersetzungsversuche zeigten wie schwierig es war, eine korrekte verständliche Übersetzung zu finden. So wurde zum Beispiel „Arbeitsscheu“ in „štítění se prace“ (Abscheu   /   Ekel vor der Arbeit) oder auch in „vyhýbáný se práci“ (Ausweichen vor der Arbeit) übersetzt. Beide Vorschläge bezeichnete der Autor als misslungen und schlug die Übersetzung „zahálčivost“ (Trägheit) vor. Bezüglich der Beamtensprache wies der Autor des Aufsatzes Úřední sloh a ryzost jazyková (Amtssprache und die Reinheit der Sprache)351 im Právník (1922) darauf hin, dass es im Bereich der Behördensprache Nachlässigkeiten gebe, die dringend behoben werden müssten. In der Öffentlichkeit habe man häufig Beschwerden über die Formulierungen der Amtsformulare vernehmen können. Sie seien unzugänglich und ohne klare Begriffe. In dem Zusammenhang begrüßte der Autor den Beschluss des Justizministeriums vom 20. September 1921 (Nr.  43.419   /   21), wonach a) in den Amtsformula347  Právník,

Bd. 31, Bd. 31, 349  Právník, Bd. 31, 350  Právník, Bd. 55, 351  Právník, Bd. 61, 348  Právník,

1892, 1892, 1892, 1916, 1922,

S. 215–216. S. 495  ff. S. 500. S. 523. S. 30.



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ren keine langen Sätze angewendet werden sollten; b) fremdsprachige (lateinische und andere) Begriffe, soweit möglich, durch moderne und verständliche Begriffe heimischen Ursprungs ersetzt werden sollten und c) sich die Amtssprache der Umgangssprache annähern sollte.352 Die Entwicklung und Verbreitung einer zeitgemäßen tschechischen Hochsprache, die allen Ansprüchen einer modernen Gesellschaft genügte, war somit die erste Voraussetzung für die nationale Emanzipation.353 Mit der Entstehung der tschechischen Rechtsterminologie waren erstmals die sprachlichen Voraussetzungen zur Gründung tschechischer juristischer Zeitschriften geschaffen worden.

C. Entwicklung der tschechischen Rechtskultur I. Tschechische Juristenvereine Parallel zur Ausbildung einer tschechischen Rechtsterminologie entstanden zahlreiche tschechische juristische Vereine und Lesekreise, die bei der Ausbildung der tschechischen Juristenzeitschriften nicht wegzudenken sind. Die Vereine bildeten den Motor für die ersten tschechischen juristischen Zeitschriften, die zu ihrem Sprachrohr wurden. In den Reihen der Vereinsmitglieder befanden sich viele bedeutende Juristen, die am Aufbau der tschechischen juristischen Fakultät beteiligt waren und sich für die Herausgabe der ersten tschechischen juristischen Zeitschriften stark machten. Die Vereine konzentrierten junge tschechische Juristen und pflanzten ihnen den „nationalen Geist“ ein. Sie beteiligten sich am Aufbau des tschechischen Juristenstandes und viele von ihnen übernahmen später wichtige öffentliche Funktionen. Alle Professoren der tschechischen Fakultät waren zugleich Mitlieder der juristischen Vereine. Die Vereine galten als die Schule der tschechischen Dozenten. Nur aus diesen Vereinen konnte sich später eine Rechtselite bilden, die in der Lage war eine juristische Zeitschrift zu konzipieren. Zu den wichtigsten Juristenvereinen Böhmens zählten die Práv­ nická Jednota354, der Všehrd und der Anwaltsverein Spolek československých advokatů v Praze355.

352  Právník,

Bd. 61, 1922, S. 30  ff. P. Storck, Magisterarbeit: Köln: Seminar für Osteuropäische Geschichte, 28. Juli 1993: Bedrich Smetana in der tschechischen Nationalbewegung 1860–1884, Das Nationaltheater (Kapitel III.), S. 2. 354  Deutsche Übersetzung: Juristenverein. 355  Deutsche Übersetzung: Verein tschechoslowakischer Anwälte in Prag. 353  Christopher

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

1. Právnická Jednota Der Verein wurde im Jahr 1864 von mehreren freiheitsliebenden Juristen – darunter Antonín Randa, Matěj Havelka, Josef Fryč, Jan Kučera, Jakub Škarda – zur Pflege und Förderung der staatlichen und rechtlichen Wissenschaften in tschechischer Sprache gegründet. Sie bemängelten die Unzulänglichkeiten der tschechischen Rechtswissenschaft an den Hochschulen wie auch in den Kanzleien. Die wichtigsten Ziele des Vereins waren die Ausgestaltung der tschechischen Rechtssprache und die Emanzipation der tschechischen Rechtswissenschaft von der deutschen. Auf besondere Weise stellte die Gründung der Jednota den Abschluss einer Etappe der nationalen Wiedergeburt dar.356 Am 15. Dezember wurde die erste Vereinssitzung mit 79 anwesenden Mitgliedern vom Vorsitzenden Antonín Randa eröffnet.357 Der Verein hatte enge Verbindungen zur Juristischen Fakultät. Nach der Teilung der juristischen Fakultät im Jahr 1882 stieg die Mitgliederzahl des Vereins auf 510.358 Ehrenmitglied des Vereins war František Palacký. Die Jednota war der erste tschechische juristische Verein und bildete damit den Grundstein für die Organisation der tschechischen Juristen.359 Im Jahr 1868 gründeten die jüngeren Mitglieder der Jednota zusammen mit der tschechischen Studentenschaft den juristischen Verein Všehrd. Voraussetzungen für die Aufnahme in die Jednota waren ein abgeschlossenes Rechtsstudium, die Entrichtung eines Mitgliedbeitrages360 und die Teilname an den wöchent­ lichen Sitzungen.361 Persönliche Voraussetzungen waren eine makellose Vergangenheit und ein unbescholtener Ruf.362 Auch wenn der Zulauf in den Anfangsjahren sehr groß war, gab es doch auch viele Juristen, die eine Mitgliedschaft ablehnten, da sie befürchteten, dass es ihnen bei ihrer Kar­ riere zum Nachteil geraten könnte, wenn sie sich einem „tschechischen Verein“ anschließen würden.363 Die Gründung des Vereins war eng an die Herausgabe der ersten tschechischen juristischen Zeitschrift Právník gebunden, die bereits im Jahr 1861 von Rudolf Thurn-Taxis, Karel Jaromír Erben und Dr. Jan Jeřábek gegründet worden war. Nach seiner vorzeitigen Einstel356  Vladislav Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků (Juristische Vereine und der „Verein der tschechischen Juristen“), Prag 2000, S. 6. 357  Právník, Bd. 3, 1864, S. 793–797. 358  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 7. 359  Všehrd, Bd. 19, 1940, S. 18. 360  Jan Palacký, Sohn des Ehrenmitglieds des Vereins F. Palacký, wurde wegen Nichtentrichtung des Monatsbeitrages aus der Mitgliedschaft der Jednota ausgeschlossen. 361  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 7. 362  Právník, Bd. 73, 1934, S. 682. 363  Právník, Bd. 73, 1934, S. 682–683.



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lung (1862) setzten die Vereinsmitglieder Kučera und Škarda im Jahr 1864 die Herausgabe der Zeitschrift Právník fort. Der Verein stellte zum größten Teil den Redaktionsrat, die Beitragenden und die Leser der Zeitschrift Právník. Mit der Gründung der Právnická Jednota im Jahr 1864 avancierte der Právník zum offiziellen Vereinsblatt. Neben dem Bericht zur jährlichen Vereinssitzung gab der Právník auch Auskunft über die neu gewählten Mitglieder und Beschlüsse des Vereins. Während der Vereinssitzungen wurde der Kassenbericht vorgetragen, die Auswahl der Aufsätze für die nächste Ausgabe des Právník besprochen und über aktuelle Rechtsprechung debattiert.364 Zu den aktivsten Mitgliedern des Vereins gehörte Antonín Randa, Professor für österreichisches Handels- und Wechselrecht und Alois Zucker, Professor für österreichisches Strafrecht; ab 1871 die jüngeren Kollegen Emil Ott, Professor für Verfahrensrecht und der außerordentliche Professor für österreichisches Verwaltungsrecht Jiři Pražák, sowie ab 1874 Josef Stupecký als außerordentlicher Professor für Handelsrecht und ab 1876 Jaromír Čelakovský, Archivar und Rechtshistoriker.365 Zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der Jednota gehörte Antonín Randa, der bis zu seinem Tod im Jahr 1914, nahezu 50 Jahre lang, Mitglied des Vereins war. Vor der Teilung der Universität im Jahr 1882 und vor der Gründung der Tschechischen Akademie der Wissenschaft (ČAVU) im Jahr 1890, war die Jednota das einzige Organ, welches sich für die wissenschaftliche Förderung des Rechts in tschechischer Sprache einsetzte.366 Vor 1882 hatte der Verein eine rein wissenschaftliche Ausrichtung und erst mit der Teilung beteiligte er sich vermehrt am Universitätsleben. Im Jahr 1883 stellte die Prager Juristische Fakultät unter dem Rektorat von Randa dem Verein zwei Räume in der Universität zur Verfügung. Dafür musste der Verein einen kleinen Beitrag zur Finanzierung der Seminarbibliothek beisteuern.367 Es war üblich, dass die Redakteure des Právník sich auch an der Organisation der Jednota beteiligten. Zwischen 1864–1918 waren dies u. A. Jakub Škarda, Jan Kučera, Jiři Pražák, Josef Stupecký, Karel Hermann-Otavský, Jan Heller und Václav Hora.368 Nach 1882 veränderte sich auch die Zielrichtung des Vereins. Anfänglich widmete sich der Verein vorwiegend der Förderung der Rechtswissenschaft in tschechischer Sprache. Im Verlauf trat dieses Ziel immer mehr in den Hintergrund. Der Verein konzentrierte sich mehr auf den gesellschaftlichen Bereich und organisierte Tagungen für Juristen, an denen sich auch Juristen aus den Regionen außerhalb Prags beteiligten.369 364  Brož,

Právnické Jednoty a Jednota Právnické Jednoty a Jednota 366  Právník, Bd. 73, 1934, S. 684. 367  Právník, Bd. 73, 1934, S. 686. 368  Brož, Právnické Jednoty a Jednota 369  Brož, Právnické Jednoty a Jednota 365  Brož,

Českých Právníků, Prag 2000, S. 8. Českých Právníků, Prag 2000, S. 9. Českých Právníků, Prag 2000, S. 10. Českých Právníků, Prag 2000, S. 10.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Neben dem Právník edierte der Verein die Zeitschrift Sborník věd právních a státních, die erstmals im Jahre 1901 von Professor Bohuš Rieger herausgegeben wurde. Außer der Herausgabe von juristischen Zeitschriften und anderer juristischer Fachliteratur erstreckte sich das Hauptanliegen der Právnická Jednota auf den Aufbau einer juristischen Bibliothek und die Abhaltung von wissenschaftlichen Kolloquien und Vortragszyklen, die auch für die juristische Öffentlichkeit bestimmt waren. Die Jednota bildete dabei eine Plattform für die künftigen tschechischen Professoren, die auf diesem Weg ihre theoretischen und praktischen Fähigkeiten schulen konnten. Somit war der Verein bis zur Teilung der Prager Universität im Jahre 1882, die einzige Institution, die tschechische Vorträge und Kolloquien organisierte. Mit der Gründung der tschechischen juristischen Fakultät verlor der Verein zunehmend sein wissenschaftliches Ausbildungsmonopol und stand in Konkurrenz zur Fakultät.370 Im Verlauf der Jahre wuchs die Bibliothek der Jednota, dank der zahlreichen Nachlässe und Spenden seiner Mitglieder371, zu einer der größten Sammlungen tschechischer juristischer Literatur heran. Im Jahr 1935 verfügte die Bibliothek über einen Bestand von 7000  Büchern.372 Mit der Gründung der Tschechoslowakei bekam der Verein neuen Auftrieb und wurde mit neuen Aufgaben konfrontiert. Mit der Errichtung des Staates trat der ursprüngliche Vereinszweck „zur Förderung der tschechischsprachigen Rechtswissenschaft“ in den Hintergrund, und auch das Wetteifern mit der deutschen Rechtswissenschaft verlor seine Brisanz. Die tschechische Rechtswissenschaft musste bei der Gestaltung des neuen Verwaltungs- und Rechtssystems nunmehr beweisen, wie fortschrittlich sie war. Nach der Gründung der Tschechoslowakei befasste sich der Verein vermehrt mit dem Studium und der Aufarbeitung des ungarischen Öffentlichen Rechts und Zivilrechts, das bis zu diesem Zeitpunkt in den hinzugekommenen slowakischen Gebieten galt. Auf der ersten Vereinssitzung nach der Staatsgründung hielt Jiří Hoetzel einen Vortrag über die Landesverwaltungskommission, die den tschechischen Juristen ein Dorn im Auge war. In der darauf folgenden Diskussion forderten die Mitglieder der Jednota die Abschaffung des in ihren Augen „gesetzlosen Organs“.373 Die Regierung war sich der Bedeutung der Jednota und über ihren Einfluss auf die Konstituierung des Staates bewusst. Die Verantwortlichen der neuen Regierung standen in engem Kontakt mit dem Verein, der bei allen wichtigen Gesetzesentwürfen 370  Stanislav Balík Junior, Vereinigung der Juristen in Prag in den Jahren 1864– 1882. In: Právněhistorické studie (Rechtshistorische Studien), Bd. 32, 1992, S. 153. 371  Im Jahr 1906 schenkte Randa dem Verein an die 1300 Bücher; Právník, Bd. 22, 1934, S. 688. 372  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 14. 373  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 12.



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mitwirkte und Rechtsgutachten erstellte. Die Staatsgründung löste einen Aufschwung des Vereins aus. Im Jahr 1919 stieg die Mitgliederzahl des Vereins auf 520 und im Jahr 1924 sogar auf 601 Vereinsmitglieder.374 Auch wenn sich der Verein nach der Staatsgründung vermehrt mit rechtspolitischen Fragen befasste, so blieb doch seine Hauptaufgabe die Organisation von Vortragsveranstaltungen und die Publikation wissenschaftlicher Literatur. Beliebte Vortragsthemen waren die „Bodenreform von 1919“, „Rechtsvereinheitlichung“, „Wahlrecht“, „Neues Strafrecht“ und die „Trennung von Kirche und Staat“.375 Zahlreiche dieser Vorträge wurden später in der Zeitschrift Právník publiziert.376 Im Jahr 1920 wurde in der Jednota der erste Vortrag in slowakischer Sprache gehalten. Zu den Vortragenden der Prager Universität gesellten sich viele Professoren der neu gegründeten Universitäten des Landes, wie etwa der Masaryk Universität in Brünn und der Komensky-Universität in Pressburg.377 Neben den Vorträgen organisierte der Verein weiterhin seine Juristenfahrten, an denen jetzt auch die Mitglieder der mährischen Právnická Jednota teilnahmen, die bereits im Jahr 1888 gegründet worden war und kurz vor dem ersten Weltkrieg an die 600 Mitglieder gezählt hatte.378 Im Jahr 1938 entschied sich der Verein dazu, die Veranstaltung der Juristenfahrt auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Die Jednota pflegte insbesondere ihre internationalen Kontakte zu Frankreich. So war die Societé de la législation comparée ein Mitglied der tschechischen Právnická Jednota.379 In der ersten Hälfte der dreißiger Jahre geriet die Jednota in arge Finanznot. Trotz allem bemühte sich der Verein, auch mit dem Ausland Kontakt aufzunehmen und gab neben der Zeitschrift Právník im Jahr 1925 das französische Periodikum Bulletin de droit tchécoslovaque heraus.380 Die Zeitschrift erschien aufgrund der angespannten finanziellen Situation nur einmal im Jahr, manchmal auch nach zweijähriger Pause, bis sie schließlich im Jahr 1939 eingestellt wurde. Die Verhältnisse während der deutschen Okkupation wirkten sich auch auf die Arbeit der Jednota aus. Der Verein musste wie viele andere tschechische Organisationen seine Aktivitäten auf ein Minimum reduzieren. Im Gegensatz zu vielen anderen tschechischen Einrichtungen bestand die Jednota aber auf der Weiterführung ihrer Vereinsaufgaben. Nach der Schließung der Prager Juristischen Fakultät wurde der Verein aus 374  Právník,

Bd. 73, 1934, S. 690. Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 13. 376  Eine Auflistung der abgehaltenen Vorträge zwischen 1918–1928 findet sich in: Právník, Bd. 67, 1928, S. 619–628. 377  Právník, Bd. 73, 1934, S. 690. 378  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 19. 379  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 15. 380  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 14. 375  Brož,

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

dem Gebäude der Fakultät ausgelagert und musste nunmehr seine Sitzungen in der Prager Stadtbücherei abhalten.381 Der Verein selbst blieb aber im Ganzen – von der örtlichen Verlagerung abgesehen – vor nationalsozialistischen Übergriffen verschont. Das galt aber nicht für einzelne Funktionäre und Mitglieder der Jednota; neun von ihnen starben im Gefängnis oder im Konzentrationslager, darunter der Kanzler des Präsidenten Masaryk Dr. Přemysl Šámal.382 Eine Reihe anderer wurde eingesperrt oder dazu genötigt, sich von allen Vereinssitzungen fernzuhalten. Nach 1945 zog der Verein wieder in die Räumlichkeiten der Prager Juristischen Fakultät. Die Jednota erfuhr einen neuen Aufschwung, es wurden neue Mitglieder aufgenommen und die Verbindungen zur Fakultät wieder aufgenommen. Vorträge wurden organisiert und auch die Bibliothek wurde aufgestockt und zurück in die Universität verlagert. Die Vereinszeitschrift Právník kämpfte zwar mit der Papierknappheit, hatte aber ausreichend Abnehmer und konnte somit ihr Erscheinen fortsetzen.383 Im Jahr 1947 ernannte die Jednota Eduard Beneš zum Ehrenmitglied des Vereins. Bei der Machtübernahme des kommunistischen Regimes, kam die Arbeit des Vereins, wie bei fast allen anderen ähnlichen juristischen Organisationen, zum Erliegen. In Mähren entstand im Jahr 1888 die Právnická Jednota Moravská (Mährischer Juristenverein). Prominentestes Mitglied war der Brünner Staatsrechtslehrer und Rechtsphilosoph František Weyr (1879–1951), der Begründer der Brünner normativen Rechtsschule. In den Jahren 1918 bis 1938 erlebte Weyr den Höhepunkt seines Schaffens, er war Mitbegründer der Universität in Brünn, ordentlicher Professor für Verfassungsrecht und erster Dekan der neu gegründeten Masaryk Universität in Brünn, im Jahr 1922   /   23 ihr Rektor.384 Im Jahr 1918 war er Mitglied der Revolutionären Nationalversammlung, stand zehn Jahre lang an der Spitze des Statistischen Staatsamtes und war Mitglied des Internationalen Instituts in Haag sowie des Internationalen Instituts für öffentliches Recht in Paris.385 Besondere Anerkennung erhielt er durch seine maßgebliche Beteiligung an der Gestaltung der tschechoslowakischen Verfassung. Der Politik stand er skeptisch gegenüber. Er war der Ansicht, dass ihre Rolle überschätzt werde, dass vielfach rhetorische Leistungen den Ausschlag geben würden und das diese Form der Demokratie eigentlich eine Herrschaft der Redner sei.386 Er ver381  Brož,

Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 17. Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 17. 383  Brož, Právnické Jednoty a Jednota Českých Právníků, Prag 2000, S. 18. 384  František Weyr: Pamětí (Erinnerungen), Bd. 2: Za repuliky (Zur Zeit der Republik) 1918–1938, Brünn 2001, S. 520  ff. 385  Karolina Adamová, Art. „František Weyr“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 231. 386  Weyr: Pamětí, Bd. 2: Za repuliky 1918–1938, Brünn 2001. S. 520  ff. 382  Brož,



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zichtete freiwillig auf seine politische Karriere, nahm aber in zahlreichen Zeitungsartikeln wie z. B. in der Brünner Lidové Noviny (Volkszeitung) und in der Prager Presse bis ins Jahr 1938 zu Fragen des öffentlichen Lebens Stellung. Weyr gab von 1918 bis 1948 die mährische juristische Zeitschrift Časopis pro vědu právní a státní (Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft) heraus. 2. Der Verein Všehrd Neben der Právnická Jednota wurde im Jahre 1868 der Verband der tschechischen Juristen Všehrd gegründet. Namensgeber des Vereins war der bedeutende tschechische Jurist Viktorin Cornelius aus Všehrd, der Verfasser der „Neun Bücher des böhmischen Landesrechtes“ (1495–1499).387 Der Verein war ein „jüngerer Ableger“ der Právnická Jednota. Seine Mitglieder waren hauptsächlich Studenten und junge Absolventen der Prager Juristischen Fakultät. Die abendlichen Versammlungen der Prager studentischen Gesellschaft Všehrd bildeten nach dem Erstarken der tschechischen Sprache in der Staats- und Rechtswissenschaft die ersten Konturen einer organisierten Studentenschaft.388 Die tatsächliche Entfaltung der Studentenschaft wurde aber erst mit dem Vereins- und Versammlungsgesetz vom 15. November 1867 (RGBl. Nr. 135   /   1876) ermöglicht.389 Die Existenz des Vereins war an die Bedingung geknüpft, dass der Verein regelmäßig einen Rechenschaftsbericht für die Polizeibehörden erstellen musste. Erst als deutlich wurde, dass der Všehrd eine rein wissenschaftliche Ausrichtung hatte, wurde diese Einschränkung im Jahr 1869 aufgehoben.390 Im Gründungsjahr hatte der Verein 160 Mitglieder. Der Verein pflegte regen Kontakt zu anderen tschechischen Vereinen wie etwa zum Akademický čtenářký spolek391 und zur Právnícka Jednota. Der Verein bemühte sich insbesondere darum, die deutsche Sprache aus den Prüfungen zu verbannen, was ihm auch teilweise gelang. Der Verein besaß eine eigene juristische Bibliothek, deren Grundbestand von Antonín Randa gestiftet worden war. Daneben entwickelte sich der Verein zu einem 387  Otto Peterka, Rechtsgeschichte der böhmischen Länder, Reichenberg 1965, S. 67; Všehrd, Bd. 2, 1920, S. 10. 388  Ján Lučan, Spolek českých právníků Všehrd 130 let na fakultě 1868–1998 (Verband der tschechischen Juristen Všehrd 130 Jahre an der Fakultät 1868–1998). In: Právnická Fakulta Univerzity Karlovy 1348–1998 (Juristische Fakultät der Karlsuniversität 1348–1998), Prag 1998, S. 315. 389  Lučan, Spolek českých právníků Všehrd 130 let na fakultě 1868–1998. In: Právnická Fakulta Univerzity Karlovy 1348–1998, Prag 1998, S. 315. 390  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  4, S. 4. 391  Deutsche Übersetzung: Akademischer Lesekreis.

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der größten Herausgeber juristischer Schriften und organisierte zahlreiche Vorträge und Seminare, die besonders in der Zeit vor der Teilung der Prager Universität im Jahr 1882 eine wichtige Funktion hatten, da sie die Vorlesungen größtenteils ersetzten. Zur Erfüllung der sozialen Pflichten des Vereins wurde im Jahr 1876 der Randa Fond eingerichtet.392 Bedürftige Vereinsmitglieder wurden finanziell unterstützt und mittellosen Studenten Lehrmaterial zur Verfügung gestellt. Der Verein pflegte anfänglich noch freundschaftlichen Kontakt zu seinen deutschen Juristenkollegen, der dann aber mit der Gründung der tschechischen Universität zu schwinden begann. Durch die Teilung der Universität im Jahr 1882 verlor der Verein seine Antriebskraft, der „nationale Moment“ entfiel und damit verbunden auch der nationale Antagonismus des Všehrd.393 Die anfängliche Begeisterung schwand und Gleichgültigkeit machte sich bei den Vereinsmitgliedern breit. Während der Übergangsphase trat die führende Idee des Vereins in den Hintergrund und wurde von keiner neuen ersetzt. Durch den aufkommenden Kampf zwischen den Alttschechen und Jungtschechen394, der bis in den Verein hineingetragen wurde, bekam der Verein einen neuen Aufschwung. Auch auf wissenschaftlicher Ebene kam es zu einer Neubelebung des Všehrd, als dieser im Jahr 1888 den Kalendář českých právníků (Kalender tschechischer Juristen) herausgab.395 In den wöchentlichen Vereinssitzungen wurden praktische Fälle aller Disziplinen vorgetragen und bearbeitet. Zu den prominentesten Teilnehmern der Vortragsreihen gehörte Bohuš Rieger und Antonín Randa. Ab 1892 trat auch Masaryk auf die Bühne, der einen Vortrag über politische Bildung hielt.396 Im Vergleich zur Právnícka Jedno­ ta wandte sich der Verein verstärkt an die Studentenschaft und bemühte sich um die Einführung der tschechischen Sprache in die Zeugnisse der Staatsprüfungen.397 Gleichzeitig setzte sich der Verein für die Errichtung einer Universität in Mähren ein. Ab 1892 wurden die Kämpfe der Alttschechen und der Jungtschechen immer heftiger und rissen auch die Mitglieder398 des Všehrd mit. In den Vereinssitzungen wurden hitzige Debatten geführt, die schließlich so weit ausarteten, dass die Fakultät mit der Kündigung der Vereinsräume im Karolinum drohte, zu der es aber letztlich doch nicht kam.399 Einzelne Studenten zeigten auch antisemitische Tendenzen. So geschah es 392  Všehrd,

Bd. 25, 1993, Heft Nr.  4, S. 6. Bd. 25, 1993, Heft Nr.  4, S. 7. 394  1.  Teil, Kaptitel  1, A.  III.  1. 395  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  7, S. 26. 396  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  7, S. 27. 397  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  7, S. 27. 398  Im Jahr 1892 hatte der Všehrd 507 aktive und 78 zahlende Mitglieder; Všehrd Bd. 25, 1993, Heft Nr.  7, S. 27. Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  7, S. 27. 399  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  8, S. 24. 393  Všehrd,



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auch, dass jene Studenten den Lesesaal besetzten und Artikel jüdischer Autoren aus den Zeitungen rissen.400 Erst mit der Wahl des neuen Vereinsvorstehers Bohuš Gebauer kehrte wieder Frieden in den Všehrd ein und beendete die Reibereien zwischen seinen Mitgliedern. Nach erneuten Unruhen im Jahr 1903 tauschte die Vereinssatzung oppositionelle Mitglieder gegen gemäßigte externe Mitglieder aus und ging jeglicher politische Konfrontation aus dem Weg. Der Verein konzentrierte sich in dieser Phase auf die Aufgabe, die berufliche Stellung der absolvierten Kollegen zu verbessern. Erst ab 1908 nahm der Verein wieder an den politischen Auseinandersetzungen teil. Ausgelöst durch die Reichsratswahlen im Jahr 1911, bildeten sich eine Reihe tschechischer Gruppierungen (Sozialisten, Arbeiter, Kleriker), deren Anhänger sich auch in den Reihen des Vereins ausbreiteten. Die verschiedenen politischen Strömungen hatten auch Einfluss auf den Wissenschaftsbetrieb des Vereins. Die Anhänger der Jungtschechen forderten die Konzentration auf politische Themen und Bücher, die Agrarier unterstützten die technischen Fachgebiete, die Realisten befassten sich mit philosophischen Werken und die Sozialisten mit der Nationalökonomie.401 In dieser politischen Phase entstanden auch eine Reihe neuer slawischer Vereine, deren Aufbau und Organisation oftmals von den Mitgliedern des Všehrd unterstützt wurden. Ab 1908 beschränkte sich das Hauptanliegen des Vereins auf die Reformierung des Prüfungsverfahrens. Auf der Vereinssitzung am 9. November 1908 berieten sich die Mitglieder über einen Antrag an das Dekanat der Prager Juristischen Fakultät, der an das Kultusministerium weitergeleitet werden sollte, wonach die deutsche Sprache aus der zweiten und dritten Staatsprüfung beseitigt werden sollte.402 Die Anträge blieben aber meistens ohne Erfolg und das Kultusministerium gewährte nur minimale Zugeständnisse. Inhaltlich befasste sich der Všehrd zwischen 1893 bis 1899 verstärkt mit den Politik- und Sozialwissenschaften. Zunächst richtete sich sein Blick auf die sozialwirtschaftliche Literatur und später auf die neue Wissenschaft – die Soziologie – die erstmals und für längere Zeit in „Mode“ blieb.403 Von dieser Idee geleitet, gründete der Všehrd im Jahr 1895 eine Bibliothek der Politik- und Sozialwissenschaften. Daneben konzentrierte er sich auf die Herausgabe von Vorlesungsskripten. Anfänglich gestaltete sich die Herausgabe sehr schwierig, da die meisten Professoren dem Verein nicht ihr Vorlesungsmaterial zur Verfügung stellen wollten. Einige zielstrebige Kollegen gaben die Vorlesungsschriften selbst heraus, aber ohne die Autorisierung der 400  Všehrd,

Bd. 25, Bd. 25, 402  Všehrd, Bd. 25, 403  Všehrd, Bd. 25, 401  Všehrd,

1993, 1993, 1993, 1993,

Heft Heft Heft Heft

Nr.  8, S. 24. Nr.  10, S. 7. Nr.  8, S. 26. Nr.  8, S. 28.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Professoren und verlangten später dafür Wucherpreise.404 Der Bedarf an zuverlässigen Vorlesungsskripten wurde dadurch immer dringlicher. Daraufhin wurde während der Vereinssitzung am 15. November 1901 der Beschluss gefasst, die Herausgabe der wichtigen juristischen Vorlesungsskripte an sich zu binden.405 Der Beschluss wurde in den § 1 der Vereinssatzung aufgenommen und der entsprechende Antrag dem Professorenkollegium der Juristischen Fakultät vorgelegt. Danach sollten die Professoren und Dozenten ausschließlich dem Verein das Recht zur Herausgabe ihrer Vorlesungsschriften übertragen. Das Dekanat gab dem Antrag unter der Bedingung statt, dass sich der Verein mit den Professoren über die Modalitäten absprechen müsse.406 Die Herausgabe der Vorlesungsskripten wurde später auch auf deutsche Vorlesungen ausgedehnt, damit sich die Studenten besser auf ihre Staatsprüfungen vorbereiten konnten. Zwischen 1896 bis 1907 war der Verkauf von Skripten fast ausschließlich dem Verein Všehrd vorbehalten, was insbesondere auch daran lag, dass der Verein eine größere Anbindung an die Studentenschaft hatte als etwa die Právnícka Jednota.407 Sie wurden an Mitglieder und auch an Nichtmitglieder verkauft. Im Jahr 1906 entschloss sich der Verein dazu, den Verkauf nur auf die Vereinsmitglieder zu beschränken, was zur Folge hatte, dass die Mitgliederzahl des Vereins in die Höhe stieg. Durch den Verkauf der Skripten konnte sich der Verein eine sichere finanzielle Grundlage aufbauen und war damit in der Lage, unvermögende Mitglieder großzügig zu unterstützen. Um seine Mitglieder über alle aktuellen Fragen informieren zu können, richtete der Verein einen Lesesaal ein, in dem tschechische und deutsche Zeitschriften auslagen. Stets hatte der Verein damit zu kämpfen, dass die Studenten der Fakultät ihr Studium nur zu dem Zweck antraten, einen bestimmten gesellschaftlichen Stand zu erreichen, ohne den Willen, sich am geistigen Aufbau des Staates zu beteiligen. So interessierten sich die meisten Studenten eher für Staatsrecht, Strafrecht und Nationalökonomie als für Rechtsdogmatik. Im Jahr 1907 richtete der Verein einen Studiensaal im Karolinum ein, der aber von den Studenten nur selten genutzt wurde und daher im selben Jahr geschlossen werden musste.408 In den Jahren 1906   /   07 sank die Anzahl der Vorlesungen im Verein so stark, dass der Vereinsvorstand beschloss, Preise für die besten Vorlesungen auszuschreiben, was zur Folge hatte, dass nur so viele Vorlesungen stattfanden, wie Preise ausgeschrieben waren.409 404  Všehrd,

Bd. 25, 1993, Heft Nr.  9, S. 26. Bd. 25, 1993, Heft Nr.  9, S. 26. 406  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  9, S. 26. 407  Bis zum Jahr 1905, konnte der Verein die Herausgabe von 74 Vorlesungsskripten verbuchen; Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  9, S. 26. 408  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  9, S. 27. 409  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  9, S. 27. 405  Všehrd,



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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Insbesondere der Všehrd setzte sich verstärkt für die Reform des Prüfungsverfahrens ein. Im Jahr 1908 stellte das Professorenkollegium des Dekanats – unterstützt vom juristischen Verein Všehrd – einen Antrag an das Kultusministerium. Darin forderten sie die Ablegung aller Prüfungen in beiden Sprachen, weiterhin dass derjenige, der seine Prüfung nur in einer Sprache ablegen wollte, den Nachweis der Kenntnis der zweiten Sprache durch ein Zeugnis des Lektorats nachweisen konnte, gleichgültig ob auf der Juristen- oder Philosophischen Fakultät.410 Dagegen sollte bei der Prüfung zur Aufnahme in den Staatsdienst, jeglicher Sprachtest entfallen. Das Kultusministerium gab hierzu bekannt, dass der Antrag zur Beseitigung der Deutschen Sprache aus den Prüfungen nicht umsetzbar sei, da der Protest der Parlamentarier zu erwarten sei. Nach dieser Entscheidung formierte sich im Jahr 1911 eine Protestversammlung im Karolinum, an der zahlreiche Vereinsmitglieder des Všehrd und andere Angehörige des Professorenkollegiums zugegen waren, u. a Čelakovský und Hoetzel (Redakteur des Právník). Dabei gab der Professorenrat seine Zustimmung zur Petition ab und leitete die Resolution an den Jednotný klub českých poslanců ve Vídni (Klub Tschechischer Parlamentarier in Wien) weiter, um auf deren Unterstützung bauen zu können.411 Nach langem Ringen gab das Kultusministerium das einzige Zugeständnis ab, dass die Prüfungstafeln, die zuvor nur auf Deutsch, nunmehr auch auf Tschechisch beschrieben werden durften.412 Ab 1911 richtete der Verein die ersten Seminare ein. Im Verlauf entstanden das Seminar für Kriminalistik, Zivilistik, Staatswissenschaften, Soziologie, Handelsrecht und Nationalökonomie.413 Während der Kriegszeit wurden einige Vereinsmitglieder eingezogen und die Vereinsräume wurden zum Teil militärisch genutzt. Trotzdem hielt der Verein seinen Betrieb aufrecht und stellte für seine zurückgekehrten Mitglieder finanzielle Mittel zur Verfügung, die aus dem „Randa Fond“ entnommen wurden. Kurz vor der Gründung der Tschechoslowakei mischte sich der Verein zunehmend in die politischen Ereignisse ein, so dass die k. k. Statthalterei schließlich am 22. Dezember 1917 die Auflösung des Všehrd anordnete.414 Als Grund wurde angegeben, dass sich der Verein in einer solchen Weise mit der Politik beschäftigt habe, dass er mit seinem ursprünglichen Vereinszweck im Widerspruch stehe und damit eine Gefahr für die Staatsordnung darstelle. Der Verein, der sich stets als unpolitischer Verein bezeichnet habe, könne sich nunmehr nicht mehr mit seiner ursprünglichen Idee iden410  Všehrd,

Bd. 25, 1993, Heft Nr.  8, S. 26. Bd. 25, 1993, Heft Nr.  8, S. 27. 412  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  8, S. 27. 413  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  10, S. 7. 414  Erlass der k. k. Statthalterei vom 22. Dezember 1917, Nummer 39.637. 411  Všehrd,

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

tifizieren.415 Mit ausschlaggebend für diese Maßnahme waren die vorherigen Ereignisse um den Vereinsvorsitzenden Egon Sallaba, der vor dem ersten Weltkrieg wegen Wechselbetruges angeklagt worden war und sich daraufhin 1904 nach Amerika absetzte und dort einer antimonarchischen Gruppierung anschloss.416 Der Verein distanzierte sich damals von den Vorfällen und ließ ihn daraufhin aus dem Mitgliederverzeichnis streichen.417 Der Verein sah sich hierzu genötigt, da Sallaba weiterhin zu seiner Haltung stand und sich offen gegen den Bestand der österreichischen Monarchie aussprach.418 Der Verein übernahm die Verantwortung für die Vorfälle und musste sich dem Begehren der Prager Statthalterei fügen.419 Die Aufarbeitung der Auflösung erfolgte erst zehn Jahr später in dem Artikel Persekuce von Čada, der im Jahr 1928 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Všehrd publiziert wurde.420 Darin rechnete Čada mit den vergangenen Persekutionsvorgängen der österreichischen Regierung ab: „Die österreichische Regierung hat mit der Auflösung des Vereins ihre Verfolgungstätigkeit gekrönt. Keiner ist in der Lage, sich eine schlimmere Satire auf die österreichischen polizeilichen Organe auszudenken, wie sie selbst. Man kann darauf stolz sein, dass es gerade die Juristen gewesen sind, insbesondere die jüngere Generation, die den Mut gehabt haben, zu ihrer Meinung zu stehen und sie offen auszuprechen. Die damals aus dem Register gestrichenen Mitglieder können heute stolz auf sich sein, da sie sich um die ganze Nation verdient gemacht haben. Mit der Auflösung des Vereins, hat sich der Widerstand nur weiter gefestigt. Die Polizei hat sich gedacht, dass sie mit ihrem Vorgehen jemanden erschrecken könne. Der Verein hat in Wirklichkeit, nur unter anderem Namen, nie zu existieren aufgehört. Ganz im Gegenteil hat man nur noch intensiver gearbeitet und Bücher herausgegeben, wie den ‚Pamatnik‘ zum Andenken des 50 jährigen Bestehens des Všehrd, dem in einer feierlichen geheimen Vereinssitzung gedacht wurde.“421 Seine Ausführungen machen wieder einmal deutlich, wie sehr die tschechischen Juristen darum bemüht waren, dass „Österreichische“ von sich zu schütteln und ihren unermüdlichen Widerstand zu betonen. Zudem ließen sie keine Gelegenheit aus, die Ereignisse in der Monarchie in einem möglichst schlechten Licht darzustellen. 415  Erlass der k. k. Statthalterei vom 22. Dezember 1917, Nummer 39.637; Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  10, S. 11. 416  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  10, S. 11. 417  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr. 10, S. 10; Sallaba wurde aber später nach Auflösung des Vereins, wieder in das Mitgliederverzeichnis des Všehrd aufgenommen. 418  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  10, S. 11. 419  Všehrd, Bd. 25, 1993, Heft Nr.  10, S. 11. 420  Všehrd, Bd. 9, 1928, S. 115. 421  Všehrd, Bd. 9, 1928, S. 115.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 wurde der Všehrd wieder ins Leben gerufen und besteht bis heute fort. Obwohl sich der Verein auch in den 30er Jahren zum größten Teil nur mit juristischen Fachfragen beschäftigte, bedeutete dies nicht, dass er sich aus den entscheidenden poli­ tischen Fragen heraushielt. Die Vereinssitzungen wurden zunehmend zum Ort der schärfsten Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politischen Strömungen. Ungeachtet der Vielzahl der diversen politischen Seiten wurden bei den Wahlen für das Kuratorium im Jahr 1933 nur jeweils zwei Kandidaten der linken Seite, welche unter dem Einfluss der Kommunisten standen, und zwei Kandidaten der rechten Seite zur Wahl aufgestellt.422 Gegen Ende der 20er Jahre wurde der Verein von rechtsgerichteten Mitgliedern beherrscht, die meistens Studenten der Juristischen Fakultät waren.423 Im Jahr 1919 gab der Verein Všehrd erstmals seine eigene tschechische juristische Zeitschrift heraus. Die Zeitschrift, die nach dem Verein benannt wurde, wurde damit zum offiziellen Presseorgan des Vereins. 3. Der Anwaltsverein Spolek českých advokatů v Praze Der Prager Anwaltsverein Spolek českých advokatů v Praze wurde im Jahre 1898 gegründet und nach der Errichtung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 auf das ganze Gebiet ausgeweitet. Die Gründungsmitglieder des Vereins rekrutierten sich aus der ersten Generation der Absolventen der tschechischen Prager Fakultät nach der Teilung im Jahr 1882. Der Verein hatte sich zum Ziel gesetzt, die tschechischen Advokaten Böhmens zu organisieren, ihre Interessen zu vertreten und insbesondere die nationalen und sprachlichen Rechte der tschechischen Advokaten zu verteidigen. Zu seinen Aufgaben gehörte die Förderung der freundschaftlichen Beziehungen unter den Advokaten, Veranstaltung von Vorträgen und die Herausgabe von Büchern und Zeitschriften.424 Zur Förderung dieser Ziele organisierte der Verein Vorlesungen, Tagungen und wissenschaftliche Diskussionsrunden, die sich mit allen juristischen Fragen und Standesangelegenheiten beschäftigten. Zudem suchte der Verein den Kontakt zu den Anwaltskammern, Behörden und gesetzgebenden Körperschaften, um ihnen verschiedene Vorschläge und Anträge zu unterbreiten. Aufnahmebedingung war die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft mit einem festen Wohnsitz in der Tschechoslowakei. Aufnahme und Ablehnung der Mitglieder blieben allein dem Ausschusskomitee des Vereins vorbehalten.425 Zudem schuf sich die Verei422  Všehrd,

Bd. 25, 1993, Heft Nr.  2, S. 4. Bd. 25, 1993, Heft Nr.  2, S. 4. 424  Česká Advokacie, Bd. 1, 1922, S. 1. 425  Česká Advokacie, Bd. 1, 1922, S. 2. 423  Všehrd,

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

nigung mit der Herausgabe der juristischen Zeitschrift Česká Advokacie426 (1922–1940) ihr eigenes Vereinsblatt. Die erste Ausgabe der Vereinszeitschrift erschien im Jahre 1922 und war für ihre Mitglieder kostenfrei. Nach 1918 dehnte der Verein seine Tätigkeit über die ganze Republik aus und nahm 1927 den Namen Jednota československých advokátů (Vereinigung der tschechoslowakischen Anwälte) an. Im Jahr 1938 zählte der Verein 800 Mitglieder und war die größte freie Organisation von tschechoslowakischen Anwälten. Im Gegenzug entstand im Jahr 1935 der Deutsche Anwalts­ verband mit dem Sitz in Bodenbach und im selben Jahr seine Vereinszeitschrift das Deutsche Anwaltsblatt.427 II. Betätigungsfeld der tschechischen Juristen Ab 1848 wurde in Österreich eine umfassende Reichsreform durchgeführt, die dem bürgerlichen Rechtsstaat zum Durchbruch verhelfen sollte.428 Mit der Errichtung der Bezirkshauptmannschaften und der Bezirksgerichte, die unter Alexander Freiherr von Bach (1813–1893)429 zu gemischten Bezirksämtern zusammengelegt wurden, schuf sich der Staat erstmals eigene, bürgernahe unterste Instanzen und eine eigene Verwaltungs- und Gerichtsorganisation, die in ihren Grundzügen bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben ist.430 Für diese neu errichteten Bezirksämter wurden allein in den böhmischen Ländern an die 700 juristisch vorgebildete Beamte benötigt, bei deren Bestellung allerdings weitgehend auf die jetzt überflüssig gewordenen Beamten der alten Magistrate und Patrimonialämter zurückgegriffen wurde.431 Die neu geschaffenen Stellen wurden vorwiegend mit heimischen Kräften besetzt. Das erwies sich schon im Hinblick auf die von Bach geforderte Kenntnis der landesüblichen Sprachen als erforderlich.432 Zudem machte die Neuordnung des Strafverfahrens die Bestellung von Staatsanwälten bei allen Gerichtshöfen im Rang der vergleichbaren Gerichtsräte und Sekretäre erforderlich. 1850 wurde auch die Institution der Notare erneuert, 426  Deutsche

Übersetzung: Tschechische Advokatur. Kapitel  4, D. 428  Helmut Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19.  Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 47. 429  Näheres dazu bei: Christoph Stölzl, Die Ära Bach in Böhmen, München 1971. 430  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 47. 431  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 47. 432  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 49. 427  2.  Teil,



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in Böhmen wurden 135, in Mähren 70 und in Schlesien 19 Notarstellen systematisiert, woraufhin zahlreiche Richter jetzt in die neu geschaffene Berufsgruppe der Notare hinüber wechselten.433 Zunehmend wurde in den böhmischen Ländern die Doppelsprachigkeit für alle Richter und Beamten im ganzen Land verlangt. Bis zur Mitte des 19.  Jahrhunderts amtierten Gerichte und Behörden überwiegend in deutscher Sprache, nur in der untersten Instanz wurde von den Justiziaren, den Magistrat- und Kriminalämtern der tschechischen Städte und Dörfer, die Kenntnis beider Sprachen verlangt.434 Das änderte sich mit der Errichtung der Bezirksgerichte und Bezirkshauptmannschaften. Öffentliche Ämter waren laut Art. 3 des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger, allen Staatsbürgern gleich zugänglich. Im Justizdienst Böhmens standen 1898 Tschechen und Deutsche zueinander in einem Verhältnis von 65 zu 35 Prozent, allerdings überwogen in den höheren Rängen die Deutschen, während bei den Bezirksgerichten der Anteil der Tschechen mit 71 Prozent überwog.435 Vor allem unter dem Richternachwuchs war die Zahl der Tschechen weit höher. Im Jahr 1900 waren unter den 257 Richteranwärtern nur 31 Deutsche.436 Die Aufgliederung der 1356 in Böhmen tätigen Richter im Jahre 1908, ergab genau 1000 Tschechen und 356 Deutsche, der Anteil der Tschechen war also auf 74,5 Prozent angestiegen.437 Ein weiteres großes Betätigungsfeld fanden tschechische Juristen in den 1848 geschaffenen parlamentarischen Vertretungskörperschaften.438 Ein wesentlicher Teil der tschechischen Landtagsabgeordneten setzte sich aus Juristen, in erster Linie unabhängige Advokaten, zusammen. Unter den 25 Juristen, die im böhmischen Landtag von 1861 als Mitglieder oder Anhänger der tschechischen Nationalpartei bezeichnet werden können, befanden sich 16 Advokaten, 4 Richter, 2 Notare, 1 Staatsanwalt und 2 nicht näher bezeichnete Juristen.439 So sprach Masaryk auch von einer Regierung der 433  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 48. 434  Bohuslav Rieger, Zřízení krajské v Čechách (Die Kreisordnung in Böhmen). Bd. 2, Prag 1893, S. 40. 435  Helmut Slapnicka, Das Beamtentum der Böhmischen Länder zwischen Na­ tionalitäten und Parteien 1848–1918. In: Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Ferdinand Seibt, München 1988, S. 158. 436  Max Menger, Der Böhmische Ausgleich, Stuttgart 1891, S. 119. 437  Slapnicka, Das Beamtentum der Böhmischen Länder zwischen Nationalitäten und Parteien 1848–1918. In: Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Ferdinand Seibt, München 1988, S. 158. 438  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 46. 439  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, München 1991, S. 107.

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Advokaten.440 Seit die neue Advokatenordnung von 1868 den schon gelockerten Numerus clausus gänzlich aufgehoben hatte, war die Zahl der tätigen Advokaten im Land sprunghaft angestiegen. Um die Jahrhundertwende gab es in Böhmen bereits mehr als 1000 Advokaten.441 Die wichtigste Neuerung der Advokatenordnung war die Schaffung von Advokatenkammern mit Zwangszugehörigkeit aller im Bezirk ansässigen Standesangehörigen. Damit war ein schon lange bestehender Wunsch der Anwaltschaft nach korporativem Zusammenschluss zur Wahrung der eigenen Rechte in Erfüllung gegangen.442 III. Die Prager Universität Vom Standpunkt der erwachenden, unterdrückten Nationen hatten Schule und Universität einen besonderen Stellenwert, erstens als Mittel der Weitergabe der nationalen Kultur und folglich des nationalen Selbstbewusstseins, und zweitens als Reproduktionsstelle der nationalen Intelligenz, jener selbständigen sozialen Schicht, die den gesamten Bereich der geistigen Produktion vereinte.443 Dabei diente die Universität der Selbstdarstellung der verschiedenen Sprachnationen. In dem Zusammenhang entstand der Wunsch nach einer sprachnationalen Teilung der Prager Universität, die schließlich im Jahr 1882 bewilligt wurde. Im Zuge der Revolution beschlossen die Hörer der Karl-FerdinandsUniversität (Deutsche und Tschechen) am 15. März 1848 eine Petition an den Akademischen Senat, der ihr beitrat und an das Ministerium weiterleitete, mit der sie um Gewährung der Lehr- und Lernfreiheit, um Gleichberechtigung der verschiedenen Glaubensbekenntnisse bei der Einstellung von Lehrkräften, und um Genehmigung der Abhaltung von Vorlesungen in beiden Landessprachen baten.444 Unter dem Druck der explosiven politischen Spannungen gab das Ministerium noch im gleichen Monat den Petitions440  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 55. 441  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 55. 442  Hellmuth Freytag, Die Organisation der wirtschaftlichen und berufsständischen Selbstverwaltung in der Tschechoslowakei, hg. von Richard Schmidt, Leipzig 1934, S. 75. 443  M. N. Kuz’min, Die Teilung der Prager Hochschulen. In: Wegenetz europäischen Geistes, hg. von Richard Plaschka, Wien 1983, S. 115–116. 444  Erich Schmied, Die altösterreichische Gesetzgebung zur Prager Universität. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 16.



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wünschen statt.445 Damit wurde Tschechisch als Lehrsprache genehmigt und Gelehrte evangelischer und jüdischer Konfessionen zugelassen.446 Daraufhin hielt am 5. Juni 1848 der Landesadvokat Josef František Frič an der juridischen Fakultät der Prager Universität die erste Vorlesung in tschechischer Sprache und begann damit sein Kolleg über Gerichtszuständigkeiten und Gerichtsverfahren in Zivil- und Strafsachen.447 Frič (1804–1876) war ein namhafter tschechischer Anwalt (seit 1837 Landesadvokat), Unternehmer und Politiker, der sich insbesondere um die Einführung der tschechischen Sprache im Rechtswesen verdient machte. Bekanntheit erlangte er, als er im Jahr 1849 den Begründer der modernen tschechischen Journalistik, Karel Havlíček Borovský448, verteidigte, der wegen seiner regierungsfeindlichen Artikel angeklagt worden war. Seinen Hauptverdienst erlangte Frič mit der Übersetzung der Allgemeinen Gerichtsordnung und Allgemeinen Konkursordnung von 1781, die zur Grundlage der tschechischen Rechtsterminologie wurde, und an der auch Karel Jaromír Erben, einer der Mitbegründer der Zeitschrift Právník, beteiligt war.449 Mit der Aufhebung der Märzverfassung (1849) und der einsetzenden Epoche des Neoabsolutismus450 wurde in Folge die deutsche Sprache als alleinige Lehrsprache an der Universität wieder angeordnet. Noch wichtiger als die 1848 erfolgte Zulassung tschechischer Vorlesungen war die im Jahr 1861 im Böhmischen Landtag angekündigte Errichtung zweier Extraordinariate für Parallelvorlesungen in tschechischer Sprache. 445  Ministerialerlass

vom 31. März 1848. Schmied, Die altösterreichische Gesetzgebung zur Prager Universität. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 16. 447  Die definitive Genehmigung erfolgte durch Erlass des Staatsministeriums vom 31. März 1848; Helmut Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 62. 448  Borovský (1821–1856) war Philosoph und Herausgeber der revolutionär eingestellten Zeitschriften Národní noviny (Nationale Zeitung) und Slovan (Slawe). Als Kritiker der österreichischen Regierung, ihrem polizeilichem Apparat, ihrer behördlichen Institutionen und der Kirche, wurde er als gefährliche Person eingestuft. Schließlich wurde er im Jahre 1851, aufgrund seiner regierungsfeindlichen Artikel angeklagt und nach Brixen in Tirol überführt. Durch die hiesigen desolaten Verhältnisse erkrankte er an Tuberkulose, wovon er sich auch nach seiner Rückkehr nach Prag im Jahre 1855, nie mehr richtig erholte und 1 Jahr darauf verstarb; Näheres bei Milena Beránková, Československé dějiny žurnalistiky (Geschichte der tschecho­ slowakischen Journalistik), II. Díl (2.  Teil): Česká mladoburžoazní žurnalistika 1782–1849 (Die tschechische kleinbürgerliche Journalistik 1782–1849), Prag 1981, S. 81  ff. und 96  ff. 449  Slapnicka, Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 65. 450  1.  Teil, Kapitel  1, A.  II. 446  Erich

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1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Dem ging eine von Prager Doktoren eingereichte Petition an das Dekanat der Prager juristischen Fakultät voraus, in der die Errichtung eines tschechischen juristischen Lehrstuhls an der Prager Universität gefordert wurde.451 Die Unterzeichner der Petition, waren Persönlichkeiten aus dem politischen und wissenschaftlichen Leben, darunter u. a. Rieger (Begründer der Zeitschrift Sborník věd právních a státních), Thurn-Taxis (Begründer des Právník), Škarda (Redakteur des Právník), Randa, Jeřábek (Herausgeber des Právník) und Čížek (Herausgeber des Samosprávný Obzor). Sie stützten sich dabei auf das kaiserliche Diplom vom 20. Oktober 1860, dass die Gleichberechtigung der deutschen und tschechischen Sprache in allen Bereichen (Verwaltung, Politik, Gericht, Universitäten) garantierte. Für die Umsetzung dieser Ziele verlangten sie die Einrichtung eines tschechischen juristischen Lehrstuhls. Darüber hinaus wiesen sie in ihren Forderungen darauf hin, dass es für den Einzug der tschechischen Sprache in die politischen und juristischen Fächer einer genauen und leichtverständlichen tschechischen Rechtsterminologie bedürfe.452 Schließlich erging am 25. Oktober 1861 die allerhöchste Entschließung zur Errichtung zweier Extraordinariate für Parallelvorlesungen in tschechischer Sprache, und zwar über österreichisches Zivil-, Handels- und Wechselrecht und über Strafrecht und Strafprozessrecht.453 Hier wurde der Gebrauch der tschechischen Sprache ausdrücklich vorgeschrieben und den jeweiligen Professoren zur Pflicht gemacht. Zum Professor für Zivilrecht wurde zunächst Karl Habietinek, der spätere österreichische Justizminister und Präsident des Obersten Gerichtshofs ernannt, der aber die Berufung nicht annahm, sondern auf das deutsche Ordinariat wartete.454 Daraufhin wurde das tschechische Extraordinariat im Jahr 1862 Antonín Randa verliehen, der sich unmittelbar vorher für bürgerliches Recht habilitiert hatte.455 Im Jahr 1868 wurde er zum ersten ordentlichen Professor ernannt, der ausdrücklich mit der Abhaltung von Vorlesungen in tschechischer Sprache beauftragt wurde.456 451  Sborník

věd právních a státních, 1910–1911, S. 351. věd právních a státních, 1910–1911, S. 351. 453  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 63. 454  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 63. 455  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 63. 456  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 63. 452  Sborník



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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Was das Studiensystem angeht, so brachte die im Jahr 1855 unter Unterrichtsminister Leo Thun erlassene neue Studienordnung eine völlige Änderung des rechtswissenschaftlichen Studiums. Thun wollte damit die österreichische Rechtswissenschaft aus dem „Zustand des juristischen Schlafes“457, in dem sie sich seiner Meinung nach seit Erlass des Allgemeinen bürger­ lichen Gesetzbuches im Jahr 1811 befand, aufrütteln und den verlorenen Anschluss an die akademische Entwicklung in Deutschland wiederherstellen.458 Über die philosophische Schule, aus der das österreichische Allgemeine bürgerliche Gesetzbuch hervorgegangen war – die Naturrechtslehre –, sei die Wissenschaft längst hinweggeschritten.459 Er, der überzeugt war, während seiner eigenen rechtswissenschaftlichen Studien an der Prager Universität wegen des „erbärmlichen vormärzlichen Studienplans“460 eine tüchtige juristische Ausbildung versäumt zu haben, erhoffte sich den notwendigen Aufschwung durch die historisch-genetische Methode. Das bisher „auf die positiven Gesetze und auf das trügerische Nebelbild des so genannten Naturrechts“ beschränkte Rechtsstudium sollte seiner Ansicht nach durch die eingehende Behandlung des römischen Rechts, dieser „unerschöpflichen Fundgrube juristischen Scharfsinns“, sowie durch die Einbeziehung des germanischen Rechts, ein neues Fundament erhalten.461 Zu diesem Zweck sah Thuns Studienordnung ein viersemestriges rechtshistorisches Grundstudium vor, das zugleich die Kenntnis des gemeinen Rechts vermitteln sollte. Nach dem neuen Studienplan umfassten die ersten beiden Studienjahre Vorlesungen über Römisches Recht, Deutsches Recht, Rechtsphilosophie und Kirchenrecht.462 Am Ende dieses Studienabschnitts musste eine rechtshistorische Staatsprüfung in Form einer Zwischenprüfung abgelegt werden. Die zweite Studienhälfte sah neben den traditionellen Fächern (Bürgerliches Recht, Straf- und Prozessrecht, Zivilprozess, Handels- und Wechselrecht) auch Vorlesungen über politische Wissenschaften, Nationalökonomie, Verwaltungslehre und Statistik vor.463 Am Ende des Studiums 457  Rede vom 11. Mai 1852; Abdruck bei Hans Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962, S. 305. 458  Karl Lemayer, Die Verwaltung der Österreichischen Hochschulen von 1868– 1877, Wien 1878, S. 26. 459  Rede vom 11. Mai 1852; Abdruck bei Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962, S. 305. 460  Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962, S. 80. 461  Lentze, Die Universitätsreform des Ministers Graf Leo Thun-Hohenstein, Wien 1962, S. 304. 462  Elisabeth Berger, Studium der Staatswissenschaft in Österreich. In: ZNR, Bd. 20, 1998, S. 177. 463  Elisabeth Berger, Studium der Staatswissenschaft in Österreich. In: ZNR, Bd. 20, 1998, S. 177.

100 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

waren eine judizielle und eine staatswissenschaftliche Staatsprüfung abzulegen. Zur Erlangung des Doktorats waren nach der Studienordnung von 1810, vier strenge Prüfungen und eine öffentliche Disputation maßgebend.464 Erst die juridische Rigorosenordnung von 1872 verwirklichte die von Thun vorgesehene Regelung, übereinstimmend mit dem System der Staatsprüfungen, drei mündliche Rigorosen, jedoch keine schriftliche Prüfungsarbeiten und keine Disputationen.465 Die Auswahl der Professoren betrachtete Thun als seine persönliche Aufgabe. Römisches Recht, Deutsches Recht und Kirchenrecht, die drei Säulen des neuen Grundstudiums, sollten nach seinen Vorstellungen von Professoren gelesen werden, die er aus dem Deutschen Reich nach Österreich berief. Sie sollten in erster Linie die Träger seiner in durchaus autoritärer Weise durchgeführten Reform gegen die Professoren der alten Schule sein. Die von Leo Graf Thun eingeführte Studienordnung aus dem Jahr 1855 blieb nach Abänderungen und Ergänzungen in den Jahren 1886 und 1893 im wesentlichen bis 1918 und darüber hinaus bis 1939 bestehen.466 Eine schwierige Situation ergab sich, als die zur Abhaltung tschechischer Vorlesungen verpflichteten Professoren unter Berufung auf die Freiheit des Sprachengebrauchs neben ihren tschechischen Vorlesungen auch deutsche Vorlesungen abhielten, wie z. B. Randa. Der deutschen Seite missfiel die Praxis, dass nunmehr die Tschechisierung der utraquistischen Universität in der Form vor sich ging, dass auch die deutschen Vorlesungen von tschechischen Professoren gehalten wurden – eine Überlegung die den Wunsch nach einer Trennung in zwei von einander unabhängigen Universitäten lauter werden ließ.467 Auch im Böhmischen Landtag, in dem die Tschechen die Mehrheit hatten, wurde am 22. Januar 1866 zum erstenmal der Antrag auf völlige Utraquisierung der Universität gestellt.468 Die Wiener Regierung 464  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 57. 465  Verordnung vom 15. April 1872, RGBl. Nr.  57; Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 57. 466  Erich Schmied, Die altösterreichische Gesetzgebung zur Prager Universität. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 22. 467  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 64. 468  Schmied, Die altösterreichische Gesetzgebung zur Prager Universität. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 18.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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lehnte dies aus überwiegend finanziellen Gründen zunächst ab, machte den Tschechen aber weitgehende Konzessionen, in dem sie die Lehr- und Prüfungsfächer in tschechischer Sprache weiter ausdehnte. Im Studienjahr 1877   /   78 wurden neben 46 deutschen, 13 tschechische Vorlesungen ge­ halten. Alle judiziellen Fächer wurden deutsch und tschechisch gelesen, die rechtshistorischen und staatswissenschaftlichen Fächer ausschließlich deutsch, da sich hierfür keine genügend qualifizierten tschechischen Bewerber gefunden hatten.469 Das hatte aufgrund des Studienplans zur Folge, dass die tschechischen Studenten bei Beginn ihres Studiums ausschließlich deutsche Vorlesungen hören mussten und erst im weiteren Verlauf, ab dem fünften Semester, Vorlesungen in tschechischer Sprache hören konnten.470 Die Lücken wurden planmäßig aufgefüllt. Fast jedes Jahr brachte die Habilitierung eines tschechischen Dozenten: 1871 Zucker für Strafrecht, 1873 Ott für Zivilprozessrecht, 1874 Hanel für deutsche und österreichische Rechtsgeschichte, 1876 Pražák für öffentliches Recht, 1877 Stupecký für bürgerliches Recht, die durchwegs Schüler Randas waren und die mit ihrer Habilitierung die persönlichen Voraussetzungen für die Schaffung einer kompletten tschechischen Juristenfakultät schufen.471 Dadurch erhielt Randa den Ruf als „Professorenmacher“. Unabhängig von der Sprache der Vorlesungen war die Prüfungssprache, die bei den universitären Prüfungen (Rigorosen) als auch bei den theoretischen Staatsprüfungen, zunächst ausschließlich Deutsch war. Als Julius Grégr472, einer der späteren Führer der Jungtschechischen Partei und Herausgeber der Zeitschrift Národní Listy, verlangte 1859 beim Rigorosum tschechisch zu disputieren, wurde er vom Dekan ausgelacht, da seine Mutter Deutsche war und er in einer deutschen Gegend aufgewachsen war.473 Im Jahr 1862 wurde die Ablegung der Rigorosen in tschechischer Sprache 469  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 64. 470  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 64. 471  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 64. 472  Pavla Vošahlíková, Bratři Grégrové a česká společnost v  druhé polovnině 19. století (Die Brüder Grégr und die tschechische Gesellschaft in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts), Prag 1997. 473  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 66.

102 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

ausdrücklich untersagt.474 Der nächste Vorstoß erfolgte erst wieder im Jahr 1866, als Rieger im Böhmischen Landtag die Ablegung aller vorgeschriebenen Prüfungen in tschechischer Sprache forderte. Dabei wurde im Abänderungsantrag unterschieden zwischen der Sprache der Staatsprüfungen, für die ein Gesuch an die Regierung um entsprechende Zusammensetzung der Prüfungskommission ausreichte, und der Rigorosen, die einen Akt der Universität als Korporation darstellten und daher Gegenstand des Einvernehmens zwischen Regierung und Universität waren.475 Das Votum der Fakultät zum Ersuchen des Landtags fiel zwiespältig aus: Das Doktorenkollegium, das damals bereits eine tschechische Mehrheit besaß, war für den Antrag Riegers. Das Professorenkollegium dagegen nahm bezüglich der Staatsprüfungen keine Stellung und schloss sich dem Antrag Herbst (Abgeordneter des Böhmischen Landtags) an, der die Kenntnis der deutschen Sprache „derzeit noch“ für Doktoratskandidaten für unentbehrlich hielt und daher für die Beibehaltung ausschließlich deutscher Rigorosen eintrat.476 Die Frage wurde erst wieder im Dezember 1879 aufgegriffen, als die tschechischen Reichsratsabgeordneten dem Kaiser ein Memorandum überreichten und die Zulassung beider Landessprachen bei Staatsprüfungen und Rigorosen nach Wahl des Studenten bzw. Doktoranden forderten. Einer solchen Regelung bei den Rigorosen stand jedoch entgegen, dass die tschechischen Professoren, die beider Sprachen mächtig waren, alle Kandidaten hätten prüfen können, die deutschen Professoren hingegen, die der tschechischen Sprache größtenteils nicht mächtig waren, von der Prüfung tschechischer Kollegen ausgeschlossen gewesen wären.477 Die kaum zu lösende Frage der Gleichsprachigkeit der Rigorosen sollte später eine entscheidende Rolle bei der Entscheidung für die Teilung der Universität im Jahr 1882 spielen. Mit dem kaiserlichen Entschluss vom 11. April 1881, mit der die Universitätsteilung schließlich genehmigt wurde, wurde die Regierung angewiesen, die Staatsprüfungen so zu gestalten, dass kein Absolvent der tschechischen Universität in den öffentlichen Dienst ohne vollständige Beherrschung der deutschen 474  Ministerialerlass vom 17. Oktober 1862, Z. 10.919; Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 67. 475  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 67. 476  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 67. 477  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 67.



Kap. 1: Kulturelle und politische Voraussetzungen

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Sprache eintreten konnte.478 Nach dem gescheitertem Abänderungsantrag des Abgeordneten Granitsch, trug der Unterrichtsminister der kaiserlichen Entschließung durch einen Erlass479 Rechnung, der für die Hörer beider Prager Universitäten an einer einheitlichen Staatsprüfungskommission für die rechtshistorische, die judizielle und die staatswissenschaftliche Staatsprüfung festhielt und die Ablegung der Prüfungen entweder ausschließlich in deutscher oder aber in deutscher und tschechischer Sprache vorsah. Im zweiten Fall, der nur für die Hörer der tschechischen Universität von Bedeutung war, musste die Prüfung wenigstens aus einem Prüfungsfach, dessen Wahl dem Kandidaten freistand, in deutscher Sprache abgelegt werden.480 So war es üblich, dass bei der rechtshistorischen Staatsprüfung die Teilprüfung aus dem Kirchenrecht in deutscher Sprache abzulegen war. Im Jahr 1889 wurde der Erlass dahingehend geändert, dass lediglich bei der judiziellen und der staatswissenschaftlichen, nicht auch bei der rechtshistorischen Staatsprüfung ein Gegenstand in deutscher Sprache zu prüfen war.481 Diese Regelung blieb für die nächsten dreißig Jahre in Kraft. Die Versuche des Juristenvereins Všehrd, die Abschaffung der deutschen Teilprüfungen durchzusetzen, wurden schließlich aufgegeben, da die Studenten aus den Kreisen tschechischer Abgeordneter darauf hingewiesen wurden, dass dann wohl eine Sprachprüfung als Aufnahmebedingung für den Antritt in den Staatsdienst eingeführt würde, die wahrscheinlich strenger ausfallen würde, als es beim bisherigen Prüfungsmodus der Fall war.482 Der Sprachenstreit führte schließlich im Jahr 1882 unter der Regierung Taaffe zur Teilung der Prager Universität in eine Tschechische und eine Deutsche. Sie wurde mit der Absicht geteilt, jetzt auch den Tschechen, nach Ungarn, Kroatien und Polen, eine gleichberechtigte Universität mit tschechischer Unterrichtssprache einzurichten. Die Teilung der Universität war an erster Stelle eine Prestigesache, namentlich im tschechischen Verständnis als 478  Právník,

Bd. 21, 1882, S. 457. Bd. 21, 1882, S. 537; Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 69. 480  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 69. 481  Verordnungen vom 1. Juli 1889 RGBl. Nr.  106 und vom 2. August 1905, RGBl. Nr.  131; Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts, in: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 69. 482  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 70. 479  Právník,

104 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

nationale akademische Bildungsstätte.483 Die Einzelheiten der Teilung wurden durch das Gesetz vom 28. Februar 1882 (RGBl. Nr.  24) geregelt. § 1 des Gesetzes bestimmte: „Vom Beginne des Wintersemesters 1882   /   1883 an werden in Prag zwei Universitäten bestehen, nämlich die „k. k. deutsche Karl Ferdinands-Universität“ und die „k. k. böhmische Karl FerdinandsUniversität“. In der deutschen Universität ist die deutsche Sprache, an der böhmischen die böhmische die ausschließliche Unterrichtssprache. Der Gebrauch der lateinischen Sprache bleibt jedoch im üblichen Umfange aufrecht. Die beiden Universitäten sind räumlich gesondert und haben getrennte Organisationen.“ Genau genommen handelte es sich nicht um eine Zerstörung der alten Universität und die Errichtung zwei neuer, sondern nach § 5 und § 6 des Gesetzes um eine „Aktivierung“ der tschechischen Universität.484 Auf diesen Aspekt wurde von tschechischer Seite aus viel Wert gelegt, da man die historische Kontinuität der alten tschechischen Universität nicht durchbrechen wollte.485 Keine Schwierigkeiten bereitete die Durchführung des § 2, wonach „ein Professor oder Privatdozent nur einer der beiden Universitäten angehören kann“. Nach § 3 des Gesetzes war das der Prager Karl Ferdinands-Universität oder einzelner Fakultäten derselben derzeit gehörige Vermögen, als ein gemeinschaftliches Vermögen der beiden Universitäten, beziehungsweise der betreffenden Fakultäten, anzusehen.486 Nach der Teilung musste die junge tschechische Universität zunächst einen eigenständigen funktionierenden Lehrbetrieb aufbauen. Zu Beginn des Studienjahres (1882   /   1883) gab es nur eine philosophische und eine juristische Fakultät. Es waren nicht genügend befähigte Lehrkräfte vorhanden, um sogleich alle Fakultäten zu eröffnen.487 Die selbständige tschechische Universität belebte die tschechische wissenschaftliche Bewegung. Einige der in der ganzen Welt verstreuten tschechischen Wissenschaftler kehrten zurück.488 Nach der Teilung der Universität im Jahre 1882 traten 5 ordentliche und 5 außerordentliche Professoren sowie 2 Dozenten auf die tschechische 483  Ferdinand Seibt, Einleitung. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 8. 484  Právník, Bd. 21, 1882, S. 682. 485  Näheres dazu im Aufsatz K otázce historické kontinuity c. k. české KarloFerdinandské univeristy (Zur Frage der historischen Kontinuität der tschechischen Karl-Ferdinands Universität), in: Právník, Bd. 21, 1882, S. 682  ff. 486  Mehr dazu im Aufsatz von Randa Slovo k §. 3 zákona ze dne 28. února 1882 č. 24. ř. z. (Ein Wort über den § 3 des Gesetzes vom 28. Februar RGBl. Nr.  24), in: Právník, Bd. 21, 1882, S. 433  ff. 487  Erich Schmied, Die altösterreichische Gesetzgebung zur Prager Universität. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 20. 488  Teresa Wróblewska, Die Reichsuniversitäten Posen, Prag und Straßburg als Modell nationalsozialistischer Hochschulen in den von Deutschland besetzten Gebie-



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juristische Fakultät über.489 An der deutschen verblieben zehn ordentliche und zwei außerordentliche Professoren sowie drei Privatdozenten. Bald reichten die Kapazitäten aufgrund der steigenden Studentenzahlen nicht mehr aus, so dass neue Stellen geschaffen werden mussten, die mit ausgebildeten juristischen Lehrkräften besetzt werden sollten. Das größte Gewicht lag hierbei auf der Gruppe der Doktoren, die zur nächsten Generation der tschechischen Universitätsprofessoren an der juristischen Fakultät herangezogen werden sollten. Im Studienjahr 1882   /   1882 legten 103 Kandidaten ein Rigorosum ab, davon 26 das rechtshistorische, 37 das judizielle und 40 staatswissenschaftliche.490 Im selben Jahr wurden 21 Kandidaten promoviert, davon 2 mit Auszeichnung.491 Die Teilung der Universität war wieder ein Schritt, der zweifellos zur weiteren Desintegration der Führungsschichten des Landes beitrug.492 Welche Hoffnungen in die neue Generation der tschechischen Juristen gesetzt wurden, zeigte sich in der Rede Randas, die er ein Jahr nach der Teilung der Universität an die neu immatrikulierten Rechtshörer richtete: „Auf dem Gebiet der Wissenschaft und der Sozialmoral, hat der Student – und insbesondere der tschechische Student – als Intelligenznachwuchs und Repräsentant des zukünftigen nationalen Staates eine bedeutende Aufgabe, und ich hoffe, dass auch Ihr diese Aufgabe verstehen werdet und Ihr dieses Vertrauen nicht enttäuschen werdet, das euere Eltern euere Lehrer, die Nation und die Gemeinschaft in euch gesetzt haben.“493 Im Jahr 1882 zählte die tschechische Fakultät bei Vorlesungsbeginn 786 Hörer. Im Jahr 1883 schnellte ihre Hörerzahl auf 1134 empor, während sich die Hörerzahl an der deutschen Fakultät im gleichen Zeitraum von 432 auf lediglich 500 erhöhte. Trotz der Teilung hatte die deutsche Rechtsfakultät immer noch mehr Hörer als die rechtswissenschaftlichen Fakultäten in Heidelberg, Tübingen, Göttingen, Jena oder Straßburg und wurde im deutschen Sprachraum nur von Berlin, München, Leipzig und Bonn übertroffen. Die tschechische Rechtsfakultät war die drittgrößte Österreichs-Ungarns, sie übertraf an Hörerzahl sämtliche Rechtsfakultäten des Deutschen Reiches mit

ten, Toruń 2003, S. 71 (in Folge zit.: Wróblewska, Die Reichsuniveristäten, Toruń 2003). 489  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 56. 490  Právník, Bd. 22, 1883, S. 502. 491  Právník, Bd. 22, 1883, S. 503. 492  Slapnicka, Juristen als Wegbereiter des aufsteigenden Bürgertums des 19. Jahrhunderts in den Böhmischen Ländern, Wien 1988, S. 56. 493  Právník, Bd. 22, 1883, 852, 854.

106 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Ausnahme der Berliner.494 Die Prager Universität war die einzige unter den sieben österreichischen Universitäten, die über einen Ordinarius für allgemeines und österreichisches Staatsrecht verfügte, in Wien gab es nur einen Extraordinarius.495 Bis zur Jahrhundertwende stieg die Zahl der tschechischen Rechtshörer auf rund 1.500 an. Eine große Zahl der Absolventen der Prager Rechtsfakultät drängte nach ihrem Studium in führende Positionen der Verwaltung, Gerichte, Wirtschaft und Politik und legte damit den Grundstein der tschechischen juristischen Gesellschaft. Nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik erklärte die Regierung mit Gesetz vom 19. Februar 1920 die tschechische Universität in Prag zur alleinigen Traditionsnachfolgerin.496 Die tschechische Universität wurde daraufhin zur „Karls-Universität“ und die deutsche Universität in „Deutsche Universität in Prag“ umbenannt. Nur der tschechischen Universität stand nunmehr das Recht zu, den Namen „Carolinum“ zu tragen. Für die Praxis bedeutete dies, dass sie zum alleinigen Besitzer aller Archivalien, Bücherbestände, Insig­ nien, Urkunden und Siegel erklärt wurde.497

Kapitel 2

Das Sprachenproblem: Gleichberechtigung der tschechischen Sprache in der Verwaltung und bei Gericht In der tschechischen politischen Bewegung hatte die Sprachenfrage stets eine Schlüsselrolle eingenommen. Die Anwendung beider Sprachen und die sie betreffenden Forderungen symbolisierten hier die nationale und politische Gerechtigkeit.498 Über den Zusammenhang von Kultur und Sprache 494  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 66. 495  Helmut, Slapnicka, Die Lehre des öffentlichen Rechts an der Prager KarlFerdinand-Universität bis zu ihrer Teilung 1882, in: Bohemia, Jahrbuch des Collegium Carolinum, Bd. 14, 1973, S. 235 (in Folge zit.: Bohemia, Bd. 14, 1973). 496  Schmied, Die altösterreichische Gesetzgebung zur Prager Universität. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 23. 497  Wróblewska, Die Reichsuniveristäten, Toruń 2003, S. 72. 498  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 265; Über die Entwicklung des tschechischen Sprachenrechts zwischen 1627 bis 1901 in: Právník, Bd. 40, 1901, S. 3–18.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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äußert Kirchhof: „Da Kultur ohne Sprache sich nicht entwickeln und Recht ohne Sprache nicht existieren kann, ist Sprache nicht nur ein Kultur- und Rechtsgut unter anderen. Ihre herausragende Bedeutung zeigt sich auch in den vielfältigen grundlegenden Funktionen, die sie für Individuum, die Gesellschaft und Staat erfüllt.“499 Die Sprache bildet die Voraussetzung für mündige Bürger und Bürgerinnen, freie Meinungs- und Willensbildung und zuletzt auch für die Entfaltung der Demokratie.500 Die Anwendung einer gemeinsamen Sprache ist ein bedeutsamer Faktor bei der Stiftung einer nationalen Identität und bei der Staatenbildung, was sich wiederum in dem Verfassungsbegriff „Staatssprache“ niederschlägt.501 Somit gehört die freie Wahl der Sprache und ihr grundsätzlicher freier Gebrauch zu den wichtigsten „identitätsprägenden Merkmalen“502 einer Gesellschaft. Bereits im Jahr 1870 hatte Palacký in Schuselkas503 Wiener Wochenblatt Reform geäußert: „Eine Nation, die ihre Sprache in der Gesetzgebung und Verwaltung nicht einmal in einem freien Staat zur Geltung zu bringen vermag, kann früher oder später auch nicht ihrem nationalen Tod entgehen“. Noch bis 1848 galt die deutsche Sprache als die Universalsprache der Habsburgermonarchie, bzw. allgemeine Geschäftssprache, obwohl sie rechtlich nie zur Staatssprache erklärt wurde.504 Die übliche Verhandlungssprache in den Kammern des Reichsrates war Deutsch. Authentische Gesetze wurden nur auf Deutsch verkündet, ebenso war sie die innere Amtssprache der Zentralämter, Dienst- und Befehlssprache der Armee und der Eisenbahnverwaltung.505 Genauso war das Deutsche die Gerichtssprache beim obersten Gerichts- und Kassationshof sowie beim Reichs- und Verwaltungsgericht.506 Der Konflikt zwischen den Deutschen und Tschechischen Sprachgemeinschaften begann unterschwellig schon ab dem Revolutionsjahr 1848. Vorher funktionierte das Zusammenleben relativ problemlos, man lebte bis dahin miteinander, nach 1848 mit dem aufkeimenden Nationalismus eher nebeneinander, bis es schließlich im Jahre 1897 – ausgelöst durch die Badenischen Sprachenverordnungen – zum Ausbruch der offenen Feindschaft zwischen Deutschen und Tschechen im deutschsprachigen Bereich Teil Böhmens kam, der die Staats499  Paul

Kirchhof, Deutsche Sprache, HStR II, 3. Auflage 2002, § 20, Rn. 1  ff. Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 55. 501  Giovanni Biaggini, Sprache und Kultur- und Rechtsgut, in: DVBL, Heft 17, 2005, S. 1091. 502  Lerke Osterloh, in: GG-Kommentar, hg. von Michael Sachs, 3. Auflage 2002, § 20, Rn. 1  ff. 503  Franz Schuselka (1811–1886), österr. Publizist und Politiker. 504  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 269. 505  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 269. 506  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 269. 500  Stourzh,

108 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

krise zwischen 1897 und 1899 auslöste.507 Die Revolution im Jahre 1848 brachte also den entscheidenden Einschnitt im deutsch-tschechischen Verhältnis. Nach dem von Palacký vorgelegten Entwurf zur Regelung der Nationalitätenfrage508 begannen die Nationalitäten sich langsam voneinander abzusondern. Anfänglich fanden noch gemeinsame Veranstaltungen statt, nach und nach verlief das politische Geschehen aber in national getrennten Bahnen. Die Generation der Patrioten wie Palacký widmeten sich vor allem der Gesellschaftsfähigkeit der tschechischen Sprache. Dazu wurden Theaterveranstaltungen, Bälle und Wohltätigkeitsveranstaltungen nur in tschechischer Sprache organisiert. Mitte der 1840er Jahre gab es auch die ersten tschechischen Geselligkeitsvereine.509 Die nachfolgende Ära Bach (1850–1860) stand im Zeichen der Unterdrückung aller politischen Aktivitäten und Sprachenforderungen der Tschechen. Der Ausgleich von 1867 enttäuschte die Hoffnungen der tschechischen Politiker. Nur Artikel 19 der Dezemberverfassung garantierte das Recht auf Wahrung von Nationalität und Sprache. Er konnte aber aufgrund von festgefahrenen Strukturen in der Verwaltung nicht umgesetzt werden. Mit den ausgearbeiteten Fundamentalartikeln des Kabinetts HohenwartSchäffle (1871), schien der Konflikt zunächst beigelegt. Der Vorstoß scheiterte aber letztlich am Widerstand der Radikaldeutschen und der Jungtschechen. Die Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnungen von 1880 führten vor allem bei den Gerichten zu Neuerungen, die erneute Proteste auf deutscher Seite zur Folge hatten. Für die politischen Behörden in Böhmen bedeuteten die TaaffeStremayrschen Verordnungen die zusammenfassende und verbesserte Normierung des bereits aus dem Jahre 1871 stammenden Erlasses des Innenministeriums, wenn auch mit Bezug auf die politischen Behörden weitgehend auf der vorhergehenden Praxis aufbauend.510 Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 brachten bezüglich der äußeren Amtssprache die Ausdehnung der Zweisprachigkeit auf weitere Bereiche der staatlichen Verwaltung. Für besonderen Zündstoff sorgte hier die Verordnung über die sprach­ liche Qualifikation der Beamten auf dem Gebiet der inneren Amtssprache. Besonders in der Verwaltung erschwerte die Sprachenfrage die staatliche Administration, da jegliche Tätigkeit bis ins kleinste Detail sprachenrecht507  Esther Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachverordnungen von 1897 auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, Marburg 2002, S. 7. 508  Palacký, Gedenkblätter. Auswahl von Denkschriften, Aufsätzen und Briefen aus den letzten fünfzig Jahren. Als Beitrag zur Zeitgeschichte, hg. von Franz Palacký, Prag 1874, S. 169  ff. 509  Kořalka, Tschechen im Habsburgerreich und in Europa 1815–1914, Wien 1991, S. 94. 510  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, S. 125–126.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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lich beurteilt werden musste. Der Sprachenstreit war die Ursache des auf allen Gebieten öffentlicher Wirksamkeit eingetretenen Stillstandes.511 Vom Standpunkt des Sprachenrechts wurde hier zwischen der Sprache des äußeren Dienstes und der Sprache des inneren Dienstes unterschieden. Die äußere Amtssprache war die Sprache, in der die Verständigung zwischen Staatsbürgern und den Behörden zustande kam (Parteienverkehr). Der Parteienverkehr bestand einerseits in Äußerungen von Seiten der Behörde, in Entscheidungen, Urteilen, Beurkundungen, Verfügungen, Befehlen, konstitutionellen Akten und den dieselben vorbereitenden Amtshandlungen, weiter in Edikten und Kundmachungen; andererseits in Äußerungen dritter Personen an die Behörde, etwa schriftlichen Eingaben verschiedener Art, Gesuchen, Klagen, Beschwerden, Anzeigen, mündlichen Erklärungen von Parteien, Zeugen und Sachverständigen.512 Eine besondere Rolle spielte hierbei, dass sich in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts die Elemente der Öffentlichkeit, Mündlichkeit und Unmittelbarkeit immer stärker im Verwaltungsverfahren und im gerichtlichen Verfahren durchsetzten. Die Teilnahme von Laien an Schwurgerichten und sonstigen Institutionen trug zusätzlich dazu bei, dass die ehemals dominierende Stellung der deutschen Sprache langsam untergraben wurde.513 Bei der Sprache des inneren Dienstes wurde zwischen der inneren Amtssprache im engeren Sinne als Sprache der einzelnen Behörde in allen nicht zum Verkehr mit der Öffentlichkeit oder zur Einsicht der Öffentlichkeit bestimmten Fällen514, und der amtlichen Korrespondenzsprache515, der Sprache des amtlichen Schriftverkehrs mit über- und untergeordneten oder auch gleichgestellten Behörden und Ämtern unterschieden.516 Auf dem Gebiet der inneren Dienstsprache kam vorrangig das staatliche Interesse der Einheitlichkeit, Gleichförmigkeit und Einfachheit der Verwal511  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 98. 512  Rudolf Herrmann von Herrnritt, Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 105. 513  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 100. 514  Die innere Amtssprache im engeren Sinne fand sich in Aktenauszügen, amtlichen Bemerkungen, Gutachten, Exposés, mündlichen Verfahren in Referaten, kollegialen Beratungen, Abstimmungen und Beschlüssen wieder; Herrnritt, Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 105. 515  Die Korrespondenzsprache kam besonders in Weisungen, Aufträgen, Bekanntmachungen, Anträgen, Berichten, Anfragen, Auskünfte dieser an jene, dann in verschiedenen Mitteilungen der Behörden anderer Dienstzweige zur Anwendung; Herrnritt, Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 105. 516  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 100.

110 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

tung zur Geltung, die äußere Amtssprache dagegen war mehr durch das Interesse der rechtsuchenden Partei bestimmt und daher mehr der Sprache der verschiedenen Volksstämme angepasst.517 Die sprachliche Einheitlichkeit der inneren Dienstsprache war umso notwendiger, je vielseitiger die Sprache des äußeren Verkehrs war. Die Zentralstellen zeigten demgemäß im inneren Dienst eine streng einheitliche Sprache, im äußeren Dienst dagegen wurden sämtliche Sprachen des Reiches berücksichtigt.518 Bei der Gerichtssprache519 handelte es sich im Wesen nur um eine nationalpolitische Frage. Ihre Lösung war nach der Märzrevolution (1848   /   1849) weit mehr von der jeweiligen politischen Situation als vom Grundsatz der Gleichberechtigung der Nationen abhängig.520 In Bezug auf die Verwendung der Sprache der nationalen Minderheiten vor Gericht war die Situation noch vielfältiger als im Bereich der Verwaltung. Traditionell wurde die Sprache als Gerichtssprache verstanden, die die Geschäftssprache eines Gerichts war, ohne dass scharf zwischen innerer Dienstsprache und Verhandlungssprache bzw. Sprache im Verkehr mit den Parteien, die der Gerichtssprache nicht mächtig waren, unterschieden wurde.521

A. Die Sprachengerechtigkeit in der Ära Bach und die Reformierung der Verwaltung (1848–1860) In der Geschichte des böhmischen Verwaltungswesens stellte das Jahr 1848 eine zweifache Zäsur dar. Erstens brachte es die Verstaatlichung der untersten Instanz der Gerichte und Verwaltungsbehörden, die bis dahin überwiegend in den Händen der Grundherrschaft gelegen hatten. Davor hatte sich der Staat lediglich die Prüfung der Beamten vorbehalten, hingegen ihre Anstellung und Besoldung und die Festlegung ihres Wirkungskreises den Patrimonialverwaltungen überlassen. Von nun an wurde die gesamte Verwaltung und Rechtsprechung einheitlich im ganzen Kaisertum Österreich, von landesfürstlichen, d. h. vom Staat ernannten Beamten und Richtern ausgeübt.522 Damit kamen die staatlichen Ämter erstmals auch unmittelbar 517  Herrnritt,

Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 109. Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 109   /   110. 519  Über die Entwicklung der tschechischen Gerichtssprache zwischen 1627 bis 1899 in: Právník, Bd. 40, 1901, S. 3–18. 520  Vilfan, Die Österreichische Zivilprozessordnung von 1895 und der Gebrauch der slowenischen Sprache vor Gericht, Graz 1970, S. 11. 521  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 140. 522  Slapnicka, Das Beamtentum der böhmischen Länder zwischen Nationalitäten und Parteien 1848–1918. In: Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Ferdinand Seibt, München 1988, S. 149. 518  Herrnritt,



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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mit den Bürgern in Berührung, während bislang zwischen den kaiserlichen Beamten und den Untertanen bestellte Amtmänner, Justitiare, Direktoren oder Verwalter eingeschaltet waren. Die zweite grundlegende Neuerung war die Verwirklichung der territorialen Selbstverwaltung nach den Plänen des Innenministers Franz Graf Stadion.523 Am 17. März 1849 wurde vom Kaiser das provisorische Gemeindegesetz (RGBl. Nr. 170)524 sanktioniert. Das von Stadion ausgearbeitete Gesetz bedeutete mit seinen 117 Paragraphen die Grundlage des Österreichischen Gemeindewesens und gab dabei ein stufenweises System der Selbstverwaltung vor. Es begann mit den Worten: „Die Grundlage eines freien Staates ist die freie Gemeinde“.525 Nach dem Ausscheiden Graf Stadions im Jahr 1849 wurden die Reformen durch seinen Nachfolger Freiherr Alexander von Bach526 fortgeführt. Im selben Jahr übernahm Graf Leo Thun527, ein böhmischer Aristokrat, das Kulturressort. Durch Bachs Reformen wurde das bürokratische Element in den Städten zurückgedrängt und an die Stelle ortsfremder Beamter traten ortsansässige und einheimische Organe.528 Bach schuf mit dem reorganisierten Beamtenkorps eine straff zentralisierte, präzise, allmächtige „Verwaltungsmaschine“, deren exekutive Gewalt durch die reorganisierte Polizei und neugeschaffene Gendarmerie verstärkt wurde.529 Bachs zentralisierendes und egalisierendes Reformwerk geriet zwangsläufig in Konflikt mit den nationalen Kräften, sodass im Laufe des Jahrzehnts Bach zur negativen Symbolfigur des neoabsoluten Staates wurde und sein neoabsolutistisches System bis in die heutige Geschichtsschreibung als „Bach-Absolutismus“ bezeichnet wird.530 Eine neue Etappe in der Entwicklung der Gemeindeverwaltung wurde mit dem Erlass des Silvesterpatentes vom 31. Dezember 1851 eingeleitet, das zu einer gesteigerten Machtfülle des Kaisers führte und die Trennung von 523  Franz Stadion Graf von Warthausen (1806–1853), in den Jahren 1848   /   1849 Innen- und Unterrichtsminister. 524  Das oktroyierte Gemeindegesetz erlangte nie in vollem Umfang Wirksamkeit; die Gültigkeit seiner Bestimmungen blieb nur auf die böhmische und österreichische Ländergruppe beschränkt, aus: Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 31. 525  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 30. 526  Alexander Freiherr von Bach (1813–1895). Unter dem Ministerpräsidenten Felix Fürst Schwarzenberg als Justizminister (1848). 527  Graf Leo Thun (1811–1888). Reformierte das österreichische Bildungswesen; 1.  Teil, Kapitel  1, C.  III. 528  Slapnicka, Das Beamtentum der böhmischen Länder zwischen Nationalitäten und Parteien 1848–1918. In: Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Ferdinand Seibt, München 1988, S. 149. 529  Stölzl, Die Ära Bach in Böhmen, Wien 1971, S. 21. 530  Stölzl, Die Ära Bach in Böhmen, Wien 1971, S. 22.

112 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Justiz und Verwaltung teilweise wieder aufhob. Das Patent beseitigte die Märzverfassung von 1849, die faktisch nie in Kraft getreten war, und beendete damit die erste Epoche des Verfassungslebens in Österreich. Es formulierte neue Grundzüge zur Gestaltung der öffentlichen Verwaltung, die sich von den Prinzipien des liberalen Zentralismus unter Stadion sehr wesentlich unterschieden. Die ursprüngliche Idee Stadions, dass neben den politischen Behörden auf allen Verwaltungsstufen parallel auch die territoriale Selbstverwaltung fungieren sollte, wurde nicht mehr aufgegriffen.531 Das Handschreiben vom 31. Dezember 1851 enthielt die Beilage über die „Grundsätze für organische Einrichtungen in den Kronländern des österreichischen Kaiserstaates“ (RGBl. Nr.  4   /   1852)532. Die Verwaltungsbehörden gliederten sich von nun an in Bezirksämter, Kreisbehörden und Statthaltereien. Als unterste staatliche Verwaltungsbehörde wurden landesfürstliche Bezirksämter eingesetzt, die gleichzeitig auch die Einzelgerichte erster Instanz waren (Punkt 4).533 Über den Bezirksämtern wurden unter den üblichen Landesbenennungen in administrativer Hinsicht Kreisbehörden aufgestellt (Punkt 5). Die Kreisbehörden waren der Landesstelle unterzuordnen, und hatten einen teils überwachenden, teils einen ausübenden und administrativen Wirkungskreis. Über den Kreisbehörden stand in den Kronländern die Statthalterei mit einem Landeschef an der Spitze (Punkt 6). Die Öffentlichkeit der Gemeindeverhandlungen sollte abgestellt werden (Punkt 14). Darüber hinaus wurden die Pressefreiheit und die geltenden Gemeindeverfassungen abgeschafft. Zusammenfassend bedeuteten die Grundsätze nichts Geringeres als die Beseitigung der Gemeindeselbstverwaltung und die erneute Unterordnung der Gemeinde unter die politische Beamtenverwaltung.534 Die fünfziger Jahre waren besonders durch eine abermalige Ausbreitung des deutschen Amtierens gekennzeichnet.535 Nach zehnjähriger Herrschaft eines zentralistischen Einheitsstaates, begann erst wieder mit dem Oktoberdiplom im Jahr 1860 eine in politischer und nationaler Hinsicht neue Epoche. Gleich in zwei Rechtsakten fanden die tschechischen politischen Forderungen (Wenzelsbad-Versammlung536) des Revolutionsjahres Anerkennung: 531  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 47. 532  Die Grundsätze abgedruckt bei Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Wien 1911, S. 211  ff. 533  Adamovich, Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929, S. 5–6. 534  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 47. 535  Klabouch, Die Gemeindeselbstverwaltung in Österreich 1848–1918, Wien 1968, S. 49. 536  1.  Teil, Kapitel  1, A.  II.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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Das Kabinettschreiben des Kaisers vom 23. März 1848537 enthielt das Zugeständnis der gleichberechtigten Anwendung der tschechischen und deutschen Sprache und die Resolution vom 8. April 1848538 ließ die Gleichberechtigung beider Sprachen „in allen Zweigen der Staatsverwaltung und des öffentlichen Unterrichts“ ausdrücklich zu. Dabei wurde zur Ausübung der öffentlichen Ämter und der Gerichtsbarkeit die Kenntnis beider Sprachen verlangt. Bezüglich der Gerichtssprache ordnete die Zirkularverordnung des böhmischen Appellationsgerichts vom 30. Mai 1848 (Z. 9535)539 an: „Sowie es einerseits jedermann freisteht, alle gerichtlichen Eingaben entweder in deutscher oder in böhmischer Sprache zu überreichen, so sind andererseits sämtliche Gerichtsbehörden verpflichtet, die Protokolle über gerichtliche Akten oder mündliche Verhandlungen jeder Art in jener Landessprache aufzunehmen, ebenso alle Erledigungen schriftlicher Eingaben oder gerichtlicher Protokolle wie auch alle richterlichen Erkenntnisse in jener Landessprache hinauszugeben, welcher die Partei mächtig ist, von welcher die schriftliche Eingabe überreicht oder mit welcher das gerichtliche Protokoll auf genommen wurde und für welche die beschlossene Erledigung oder das geschöpfte Erkenntnis bestimmt ist, daher der böhmischen Partei böhmisch und der deutschen deutsch.“ Bezüglich der Gerichtssprache am obersten Gericht bestimmte das Kaiserliche Patent vom 7. August 1850 (RGBl. Nr.  325) in § 27: „Als Geschäftssprache des obersten Gerichts- und Cassationshofes hat in der Regel die deutsche Sprache zu gelten“.540 Schon bereits im Jahr 1850 rückte die Regierung von der Verwirklichung ihrer konstitutionellen Verheißungen wieder ab und begann das Prinzip der sprachlichen Gleichberechtigung weniger ernst zu nehmen. So wurde auch der im März 1850 von dem damaligen Justizminister Schmerling vorgelegte Entwurf, wonach Richter mit den Parteien in jener Sprache verkehren sollten, der sich die Partei bedienten, immer vorausgesetzt, dass es sich um eine landesübliche Sprache handelte und Klagen in den landesüblichen Sprachen angenommen und auch erledigt werden sollten, abgelehnt. Der Ministerrat beschloss darauf hin kein Patent zu erlassen, sondern die Sprachenfrage in der Justiz lediglich durch Ministerial-Instruktionen von Fall zu Fall zu entscheiden. So erging am 23. Mai 1852 (Z. 11.815)541 durch das Justizministerium der Erlass an das Oberlandesgericht und die Generalprocuratur zu Prag, das den Gebrauch der beiden Landessprachen im Strafver537  Alfred

Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  169. Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  165. 539  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  172. 540  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  196. 541  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  213. 538  Fischel,

114 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

fahren regelte, und am 30. Juni 1852 (Z. 8103) der Erlass des Justizministeriums an das k. k. Oberlandesgericht in Prag, „das zur Regelung des Gebrauchs der beiden Landessprachen im civilgerichtlichen Verfahren verfügte, dass im inneren Dienste der Gerichtsbehörden, insbesondere bei Verfassung der Amtsauszüge, Entwerfung der Referate und bei der Berathschlagung, dann im Schriftwechsel mit anderen Behörden sich ausschließlich der deutschen Sprache zu bedienen ist.“ Diese unbeständige Rechtspraxis sollte die österreichischen Rechtsverhältnisse in der Nationalitäten- und Sprachenfrage in immer stärkerem Maße kennzeichnen. Bezüglich der Amtssprache bestimmte die Verordnung des böhmischen Guberniums vom 30. September 1848 (G.  Z. 43.706) an die königlichen Kreisämter, den Prager Magistrat, die königliche Stadthauptmannschaft, an die Vorsteher des Gubernialdepartements: „Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in Böhmen macht es unumgänglich nothwendig, dass alle amtliche Erlässe, welche zur Kenntnis der böhmischen Parteien gelangen sollen, sie mögen allgemeine Bestimmungen oder specielle Verfügungen oder Entscheidungen enthalten, in der böhmischen Sprache ausgefertigt werden. […] Ebenso hat auch das k. k. Kreisamt die Einleitung (Veranlassung) zu treffen, dass alle von demselben ausgehenden Verfügungen, welche böhmische Parteien betreffen, in böhmischer Sprache ausgefertigt werden. Insofern die Concipienten (Conceptsbeamten) solcher Erlässe der böhmischen Sprache nicht so mächtig sind, dass sie das Concept (Entwurf) selbst in dieser Sprache verfassen können, ist die Uebersetzung solcher in deutscher Sprache zu entwerfenden Concepte sogleich durch andere hierzu geeignete Beamte ausfertigen zu lassen. In Ermangelung solcher hierzu vollkommen geeigneter Beamten hat der Herr Kreis-Vorsteher ein im Orte befindliches vertrauenswürdiges Individuum zu wählen und dasselbe unter Zusicherung einer angemessenen Remuneration (Entlohnung) nach Abnahme des Eides zu diesem Geschäfte zu verwenden.“542

B. Sprachenrecht nach dem Oktoberdiplom (1860) Das Oktoberdiplom brachte bezüglich der Sprachenrechtsproblematik keine wesentlichen Änderungen. Der unglückliche Ausgang des Krieges von 1859 und die dadurch bedingte finanzielle Notlage des Staates brachten die Rückkehr zur konstitutionellen Regierungsform. So war im Unterschied zur Aprilverfassung von 1848 und zur Märzverfassung von 1849 weder im Oktoberdiplom noch im Februarpatent von der Gleichberechtigung der 542  Fischel,

Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  176.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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Volksstämme die Rede.543 Nur auf dem Gebiet des Unterrichtswesens544 kam es hinsichtlich der Gleichberechtigung der tschechischen Sprache zu einem Durchbruch. Die Folge war, dass dem Deutschen der Rang einer obligatorischen Unterrichtssprache wieder entzogen wurde.545 Diese Übergehung des Sprachenproblems nahmen die tschechischen Abgeordneten im böhmischen Landtag nicht wortlos hin. So stellte der tschechische Abgeordnete Václav Seidl am 16. April 1861 einen Antrag behufs der „Durchführung der Gleichberechtigung der Landessprachen in den Aemtern“546. Darin beantrage Seidl eine Dreiteilung Böhmens in die Gebiete mit tschechischer, deutscher und gemischtsprachiger Amtsführung. Weiterhin forderte er, dass im ganzen Königreich Böhmen „der Böhme wie der Deutsche auf seine Eingaben in seiner Sprache Entscheidungen jeder Art erhalten“ solle. Die Gleichberechtigung der Sprache solle sowohl im inneren als auch im äußeren Dienst, bei Kollegialberatungen, bei der Korrespondenz und bei der Berichterstattung an höhere Behörden gelten. Darüber hinaus forderte er, dass vom Jahre 1862 an, auch in deutschen Ortschaften kein Beamter angestellt werden solle, welcher beider Sprachen nicht mächtig sei. Der damalige Staatsminister Anton von Schmerling lehnte den radikalen Entwurf – wie nicht anders zu erwarten – ab, hüllte jedoch seine Ablehnung in verfahrensrechtliche Argumente.547 Seidls Entwurf wurde im Aufsatz Naše rovné právo (Unser Gleichberech­ tigungsrecht)548, von der Redaktion des Právník im Jahr 1864 präsentiert. Im Anschluss äußerte die Redaktion ihre Enttäuschung über die Entwicklung des Sprachenrechts seit dem Oktoberdiplom: „Es existieren zahlreiche Gesetze und Verordnungen aus den vergangenen Jahren, in denen die Gleichberechtigung der tschechischen Sprache gegenüber dem deutschen Nachbarn, mit seiner Deutschen Sprache, verankert ist. Die Verordnungen standen zwar auf dem Papier, gelangten aber nur selten ins wirkliche Leben. Es fehlt noch viel, bis die Worte des Kaisers Realität werden. Wir sagen es frei heraus: Vielerorts wird unsere Sprache vernachlässigt und wird nur dann angewendet, wenn es aus Höflichkeit geboten ist. Dabei wird die tschechische Sprache meistens fehlerhaft verwendet, wohingegen man sich 543  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 46. 544  1.  Teil, Kapitel  2, G. 545  Urban, Die tschechische Gesellschaft 1848–1918, Bd. 1, Wien 1994, S. 215. 546  Verhandlungsprotokoll des böhmischen Landtages (Sitzung vom 16. April 1861). 547  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 47. 548  Právník, Bd. 3, 1864, S. 505.

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der deutschen Sprache stets mit Eifer widmet. Dadurch ist der Stil der deutschen Sprache vollkommen. Beides entspricht nicht der Gleichberechtigung der Sprache. […] Wir fragen uns warum die Märzverfassung von 1848 die Gleichberechtigung besser verstanden hat als heute. […] Wie wir erfahren haben, sollen die Behörden ihre Entscheidungen in beiden Sprachen verfassen. Warum so viel Arbeit? Warum werden nicht ausschließlich tschechischsprachige erlassen, so wie es sich die Parteien ausdrücklich wünschen. Dafür gibt es keine zufriedenstellende Antwort. Die derzeitige Gerechtigkeit sieht so aus, dass wir uns mit einfachen Übersetzungen vom deutschen Original zufrieden geben müssen, dabei oftmals in erbärmlicher Ausführung. Wir bestehen darauf, dass die Verfahren in erster, zweiter und dritter Instanz in tschechischer Sprache zu erfolgen haben – anders kennen wir keine Gerechtigkeit. Daher sprechen wir mit den Worten eines deutschen Dichters: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah.549 Wir wissen aber auch, dass es nicht möglich ist über Nacht dass auszubessern, was in den letzten Jahren versäumt wurde. Wir wissen auch, dass in den vergangenen Jahren nicht an Gleichberechtigungsgesetzen gespart wurde, und dass diese Gesetze schon lange auf dem Papier stehen, aber schon lange aus der Realität verschwunden sind. Wir wissen aber auch, dass sich zu wenig tut, obwohl viel mehr möglich wäre.“550 Bereits in der ersten Ausgabe der juristischen Zeitschrift Právník (1861) veröffentlichte Jakub Škarda seinen vierteiligen Aufsatz Česká řeč u soudu (Tschechische Sprache bei Gericht), in dem er die geringe Verwendung der tschechischen Sprache in der Verwaltung und an den Gerichten bemängelte. Der Autor äußerte hierzu: „Es ist schon während der Durchsicht der Grundbücher erschreckend, dass alles in deutscher Sprache verfasst ist, wie ‚irgendwo am Rhein‘. Es ist nicht nachzuvollziehen, dass bei einer überwiegend tschechischsprachigen ländlichen Bevölkerung alle Grundbücher nur in deutscher Sprache vorhanden sind. Bei Anfrage verweisen die verantwortlichen Behördenmitarbeiter meistens auf ihre ‚Instruktion‘, wonach alle Einträge in deutscher Sprache vorzunehmen seien. Ich weiß nicht, woher diese ‚Instruktion‘ überhaupt stammt, da der Kaiser ‚allen seinen Nationen die gleichberechtigte Anwendung ihrer Sprache‘ zugestanden hat. Es ist zudem vorgekommen, dass Urteile die auf Wunsch der Beteiligten in tschechischer Sprache ergangen sind und schließlich zur höheren Instanz gelangten, den ‚Herren‘ nicht gefallen haben und diese wiederum an alle unteren Instanzen die ‚strenge Instruktion‘ zukommen ließen, dass alle tschechischen Urteile, die an die höheren Instanzen weitergeleitet werden sollen, zunächst in die deutsche Sprache zu übersetzen sind. Diese Instruktion be549  Právník, 550  Právník,

Bd. 3, 1864, S. 515. Bd. 3, 1864, S. 506, 513, 515, 516.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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sitzt weiterhin ihre Gültigkeit, als würde das Kaiserliche Diplom vom 20. Oktober 1861 gar nicht existieren. Man muß sich auch fragen, weshalb überhaupt Entscheidungen in beiden Sprachen erscheinen müssen, wo doch laut Minister Lasser, alle Beamten der Obersten Gerichte der tschechischen Sprache mächtig sind. Die zweisprachigen Entscheidungen geben damit ein schlechtes Beispiel für die unteren Gerichte ab. Es ist zudem sehr bedauerlich, dass bei 24 Gerichtsräten am Obersten Gericht in Prag, von denen 23 Tschechen sind, die auch in Böhmen geboren sind, nur einer der tschechischen Sprache mächtig ist. Wie kann es denn angehen, dass die hochgeehrten Richter am tschechischen königlichen Obersten Gericht sich so vor der tschechischen Sprache ekeln. Ich habe ein anderes Verständnis von Gleichberechtigung und fordere, dass die zweite wie auch die dritte Instanz ihre Entscheidungen in tschechischer Sprache treffen mögen.“551 In dem dritten Teil seines Aufsatzes ging Škarda auf den Zustand der tschechischen Sprache in den Behörden und am Gericht ein: „Da stehen einem ja die Haare zu Berge, wenn einem ein behördlicher Bescheid in die Hände gelangt. Der Satzbau ist, von den unzähligen Rechtsschreibfehlern einmal abgesehen, durch die verwendeten Germanismen und anderen Fehltritten so gravierend verunstaltet, dass sich einem die eigentliche Bedeutung des Schreibens nicht mehr erschließt. Die grammatikalischen Fähigkeiten einiger Richter sind zudem teilweise schlechter, als die Kenntnisse eines mittelmäßigen Dorfschülers. Dadurch verlieren die behördlichen Schreiben, wie auch die Behördenmitarbeiter selbst, ihre Glaubwürdigkeit. Ich weiß auch, dass der Beamte allein daran keine Schuld trägt, da die tschechische Sprache schon lange an den Schulen, Universitäten und in den Behörden geächtet ist. Keiner fragt einen Abgänger der juristischen Fakultät nach seinen Tschechischkenntnissen. Dadurch ist ein Schlendrian in den tschechischen behördlichen Bescheiden entstanden, wie in keinem anderen Land der Welt. Der Ursprung dieses Misstandes liegt auch in den sprachlichen Besonderheiten der jeweiligen Sprache. Zum Beispiel kennt die tschechische Sprache keine Geschlechtswörter und auch die Verwendung von Präpositionen ist im Tschechischen eher selten. Es fragt sich auch, warum die Gleichstellung beider Sprachen nur bei der ersten Instanz gilt und nicht genauso bei der zweiten und dritten Instanz. Das Oberste Gericht sieht sich nicht dazu veranlasst, die Entscheidungen in tschechischer Sprache zu erlassen, da dies zudem nur mit der Anwesenheit eines beider Sprachen mächtigen Advokaten möglich wäre. So ist das System Bach dafür mitverantwortlich, dass während der Verhandlungen am Gericht die Protokolle stets in deutscher Sprache beginnen und enden, auch wenn auf Tschechisch verhandelt wurde. Die Verantwortlichen handeln dabei getrost nach dem Motto ‚Kopf 551  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 153–154.

118 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

und Fuß deutsch, und der Körper tschechisch‘. Zudem weiß man, wie wenig Vertrauen die Bürger zu den Behörden haben. Dies wird durch die gängige Gerichtspraxis noch verstärkt. Auch wenn erste Ansätze getan sind, gilt hier immer noch die deutsche Sprache als ‚allein selig machend‘. Die erste und letzte Voraussetzung für die Durchsetzung der tschechischen Sprache am Gericht ist, dass die Verantwortlichen auch in tschechischer Sprache denken. Solange aber ein Richter ‚deutsch denkt‘ und ‚tschechisch schreibt‘, ist es schwierig die Gleichberechtigung beider Sprachen am Gericht durchzu­ setzen.“552 Bei seinen Ausführungen hämmerte Škarda unermütlich auf die starren Strukturen der Behörden ein und zeigte Beispiele dieser Missstände auf. So verlangte er etwa die Beseitigung der ellenlangen deutschen Schriftsätze, die nach seiner Meinung dem Geist der tschechischen Sprache widersprachen.553 Škarda richtete seine Kritik auch gegen die Anwaltskanzleien, in denen zu seinem Missfallen nur Deutsch gesprochen werde. Seiner Ansicht nach hauptsächlich aus Gründen der Bequemlichkeit und darüber hinaus gegen den Willen der Mandanten.554 Der Autor berichtet hierzu: „Bei der Einsicht in die Akten verschiedener tschechischer Landgerichte wurde festgestellt, dass alle Anträge, Protokolle, Bescheide, Erlässe und Entscheidungen in tschechischer Sprache verfasst worden sind. Aber in den Fällen, in denen ein Anwalt sein Gesuch – sei es die Klageschrift oder andere Anträge – auf Deutsch eingereicht hatte, ist alles darauf folgende wieder nur in deutscher Sprache erschienen. Bei der Anfrage bei Gericht haben wir uns sehr darüber gewundert, als diese antworteten, dass bei ihren Gerichten keine deutschen Schriftsätze vorhanden seien, außer sie stammten von einem Anwalt. Es ist daher nachvollziehbar, warum die Behörden bei der Wahl der Sprache oftmals keine andere Möglichkeit haben. Die ablehnende Haltung der Anwälte gegenüber der tschechischen Sprache ist aber unverständlich, da die Anwaltschaft nicht von der Regierung abhängig ist und keine Schwierigkeiten zu befürchten hat, solange sie sich strikt an die Gesetze hält. Oftmals haben Anwälte versucht die Schuld auf die Gerichte abzuschieben, dabei sind sie einfach nur zu bequem um sich den neuen Gegebenheiten anzupassen. Es ist zudem auch ein Zeichen von Geringschätzigkeit und Verachtung, wenn sich Anwälte nicht darum scheren, mit welcher Sprache der Mandant sein Gesuch vorträgt. Die Redaktion des Právník hat sich daher in Zukunft vorgenommen, jeden solchen Fall in der Zeitschrift zu veröffentlichen.“555 552  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 209–211. Bd. 50, 1911, S. 213. 554  Právník, Bd. 1, 1861, S. 316. 555  Právník, Bd. 1, 1861, S. 316–317. 553  Právník,



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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Im letzten Teil seines Aufsatzes wies Škarda freudig auf die zwischenzeitliche Entscheidung des Höchsten Gerichts vom 13. August 1861 (Nr.  5538)556 hin (seiner Ansicht nach als Reaktion auf seinen Aufsatz). Darin wurde das tschechische Oberste Gericht dazu angehalten, von den unteren tschechischen Gerichten keine deutschen Übersetzungen der Urteile mehr zu verlangen: „An dem Urteil kann man sehen, dass der Wunsch nach Gleichberechtigung der tschechischen Sprache auch von den höchsten Stellen anerkannt worden ist. Die Durchsetzung dieser Anweisung wird zum Teil aber auch durch die gängige Neubesetzungspraxis der ländlichen Gebiete erschwert. Hier ist es weiterhin üblich, dass bei den frei gewordenen behördlichen Stellen oftmals ein Beamter eingesetzt wird, der von der tschechischen Grammatik und Rechtsschreibung keine Ahnung hat. Ich fordere daher das Oberste Gericht der tschechischen Krone auf, eine Kommission zu bilden, in der jeder Beamtenbewerber seine Tschechischfähigkeiten unter Beweis zu stellen hat.“557 Im Jahr 1865 erschien im Právník558 ein Beitrag, in dem ein Artikel aus der Zeitschrift Národ wiedergegeben wurde. Der Artikel stand im Zusammenhang mit der Entscheidung des Justizministers Anton Emanuel von Komers vom 11. August 1865, in der das Prager Oberste Gericht dazu angehalten worden war, alles dafür zu tun, um der tschechischen Sprache den Einzug in alle gerichtlichen Angelegenheiten zu ermöglichen. In dem Artikel der Zeitschrift Národ559 hieß es: „Wir sehen in dieser Entscheidung den ersten Beweis dafür, dass sich die Regierung unserer Wünsche angenommen hat. Unsere Hoffnung liegt darin, dass nunmehr der Wall abgerissen wird, der unsere Richter von unserer Nation auf unnatürliche Weise trennte und damit Vorurteile und Misstrauen gegenüber unseren Richtern abgebaut werden können. Es liegt jetzt alles daran, ob der Wille des Ministers durchgesetzt werden kann. Minister Kromers verwies dabei auf die Praxis in Mähren, die zeige, dass die Anwendung der tschechischen Sprache im Gerichtsverfahren ohne Einschränkung möglich sei. Aber die Erfahrungen, die wir bisher in Böhmen gemacht haben, lassen uns ziemlich kalt und wir wollen uns noch nicht darüber freuen, solange wir nicht davon überzeugt sind, dass die Gleichberechtigung bei uns zur Wirklichkeit geworden ist. Wir erinnern daran, dass es bereits vor einem Jahr (10. Januar 1864) einen ähnlichen Erlass gab, bei dem es aber an Durchsetzungskraft fehlte. Zumindest for556  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 315. Bd. 1, 1861, S. 267. 558  Právník, Bd. 4, 1865, S. 541. 559  Národ vom 19. August 1865 (Nr.  225); Artikel: Český jazyk konečně i při soudech dojíti má svého práva (Endlich soll die tschchische Sprache auch an den Gerichten zu ihrem Recht kommen). 557  Právník,

120 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

mell hat man erreicht, dass für die nötigen Übersetzer finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt wurden. Wobei man bei den ganzen Vorschlägen zur Einrichtung eines Übersetzerbüros ganz vergisst, dass jeder Beamter des Obersten Gerichts nach geltendem Recht, eigentlich beider Sprachen mächtig sein müßte. Und so wurde in der Vergangenheit, trotz der Fürsprache des Stellvertreters der k. k. Monarchie, unser Wunsch nach Gleichberechtigung bei Gericht ‚ad calendas graecas‘ gelegt.“ In dem Aufsatz Dojde nyní český jazyk při soudech svého práva (Gelangt diesmal die tschechische Sprache bei Gericht zu ihrem Recht?)560 machte die Redaktion des Právník auf die Benachteilung der tschechischen Sprache vor Gericht aufmerksam: „In den letzten Jahren ist es sogar schon so weit gekommen, dass sich die Beamten gar nicht mehr getraut haben richtig tschechisch zu schreiben, um nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, dass sie Gegner der Regierung seien. Darüber könnten wir eine Reihe von Geschichten schreiben. So kriegt man von den Vorgesetzten oft den Satz zu hören: ‚Sie schreiben ja das Hochböhmische, sind Sie vielleicht auch ein Anhänger der tschechischen Fanatiker?‘. Wie kann denn in solchen Verhältnissen das Gebot der Gleichberechtigung der tschechischen Sprache durchsetzt werden, wenn schon der Verdacht auf jeden fällt, der die Sprache richtig beherrscht. Noch schlimmer ist es, wenn sich ein Gerichtsangestellter offenkundig zu seiner Nation bekennt. Die mildeste Strafe ist hier die Versetzung ‚aus Dienstesrücksichten‘ in die deutsche Provinz. Wobei der Begriff ‚aus Dienstesrücksichten‘ ein sehr dehnbarer Begriff ist.“561 Somit blieben die Hoffnungen, die in das Oktoberdiplom gesetzt wurden, weitestgehend unbefriedigt. Es wurden zwar zahlreiche Zugeständnisse von Seiten der Regierung gemacht, aber es haperte meistens an der Durchführbarkeit. Der nächste Vorstoß zur Gleichberechtigung der tschechischen Sprache wurde erst wieder im Zusammenhang mit dem Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes von 1867 vorgenommen.

C. Das Sprachenrecht und die Anwendung des Art. 19 des österreichischen Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger Das Staatsgrundgesetz brachte einen tiefgehenden Umbau des Kaisertums Österreich. Der Ausgleich mit Ungarn wurde erst nach der Niederlage Österreichs gegen Preußen bei Königgrätz (Hradec Králové) erreicht.562 Un560  Právník,

Bd. 4, 1865, S. 541. Bd. 4, 1865, S. 541–544. 562  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, München 2000, S. 230. 561  Právník,



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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garn schied damit aus dem österreichischen Gesamtstaat aus. Aus Österreich und Ungarn wurde fortab eine Personal- und Realunion zweier selbständiger Staaten, mit je einem Parlament in Wien und Budapest. Mit dem Ausgleich wandelte sich der eben erst wieder ins Leben gerufene differenzierte Föderalismus (1860   /   61) zum Dualismus.563 Für Ungarn wurde die ungarische Verfassung von 1848 wiederhergestellt. Für das Habsburgerreich, d. h. die deutschen, slawischen und verbliebenen italienischen Besitzungen, wurde die Februarverfassung von 1861 wiederbelebt. Der Reichsrat beriet seit Oktober 1867 über die Festigung des konstitutionellen Systems durch weitere Verfassungsgesetze, die im Dezember 1867 verabschiedet und vom Kaiser am 21. Dezember in Kraft gesetzt wurden (RGBl. Nr. 142). Erst mit dem Erlass der Dezemberverfassung nahm die sprachliche Gleichberechtigung konkrete Gestalt an. Im Mittelpunkt des Staatsgrundgesetzes von 1867 stand der Artikel 19, der Verbesserungen im liberalen und nationalen Sinn enthielt und die ausdrückliche Garantie der nationalen Gleichberechtigung aller Völker der Monarchie bestimmte.564 Der Nationalitätenartikel wurde dabei zum meistgenannten Artikel der österreichischen Verfassung bis zum Zusammenbruch des Vielvölkerstaates im Jahr 1918565 und bildete die Grundlage des österreichischen Nationalitäten- und Sprachenrechts. Er stellte für den einzelnen Staatsbürger den Grundsatz der formellen Gleichberechtigung auf. In seiner endgültigen Fassung lautet er wie folgt:566 „Alle Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt, und jeder Volksstamm hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung und Pflege seiner Nationalität und Sprache.“ (Abs. 1) „Die Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben wird vom Staate anerkannt.“ (Abs. 2) „In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffent­ lichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, dass ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält.“ (Abs. 3).

Um die Durchführung dieser Bestimmung kämpften die politischen und nationalen Parteien Österreichs miteinander. Drei Punkte waren umstritten: die Amtssprache der Gerichte und Verwaltungsbehörden, die Befriedigung der nationalen Schul- und Bildungsfragen und die nationale Ordnung der Selbst563  Brauneder,

Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 154. Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 129. 565  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 55. 566  Bernatzik, Die österreichischen Verfassungsgesetze, Wien 1911, S. 426. 564  Prinz,

122 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

verwaltung in den mehrsprachigen Ländern.567 In der Phase von 1876 bis 1918 nahm die Selbstverwaltung einen wichtigen Platz ein. Die Verwaltungswirklichkeit wurde beherrscht durch das Nebeneinander und häufig Gegeneinander der Selbstverwaltungsbehörden und der im engeren Sinne staatlichen Behörden.568 Im Minderheitenrecht wurde zwischen mehreren Sprachen unterschieden, die unterschiedlich großzügig geduldet werden konnten: die Kirchen-, Schul-, Geschäfts- und Gerichtssprache. Diese sollten den nichtdeutschen Volksgruppen garantiert werden. Nunmehr war es Aufgabe des Staates, selbst auch für die untersten Gerichts- und Behördeninstanzen, die Bezirkshauptmannschaften und Bezirksgerichte, Vorkehrungen zu treffen und so zur Verwirklichung des Gleichberechtigungsgrundsatzes beizutragen.569 Jedoch ließ sich die Staats- und Verwaltungspraxis weder in Prag noch in Wien leicht umstellen. Der Anlass für neuen Streit war bereits im Wortlaut des Artikels 19 enthalten. Der Streit ging um das Wort „landesüblich“. Bedeutete es das gleiche wie „Landessprache“ und waren in Böhmen sowohl Deutsch wie Tschechisch Landessprachen, dann waren beide Sprachen „landesüblich“570 und das Tschechische mithin auch in geschlossenen deutschen Sprachgebieten anzuerkennen und zu verwenden. Es gibt diverse Ansichten darüber, warum der Ausgleichsversuch beider Sprachen letztendlich scheiterte. Die einfachste Erklärung ist, dass wenn jeder Österreicher beider Sprachen in Wort und Schrift mächtig gewesen wäre, es zu keinem Konflikt gekommen wäre. Diesen erwünschenswerten „Polyglottismus“ gab es in Österreich aber nicht, und damit fehlte dem Artikel 19 die nötige Voraussetzung. Zudem stand der Kampf um Gleichberechtigung beider Sprachen immer weniger im Vordergrund, sondern die Erlangung der Vormachtstellung in Böhmen.571 Im Ergebnis blieb die innere Dienstsprache, mit wenigen Ausnahmen, überall Deutsch. Die äußere Dienstsprache wurde verschieden geregelt. Dabei blieb die Anwendung des Art. 19 des Staatsgrundgesetzes im Wesent567  Rauchberg,

Bürgerkunde der Tschechoslowakischen Republik, S. 174. Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 55. Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 105. 569  Slapnicka, Das Beamtentum der Böhmischen Länder zwischen Nationalitäten und Parteien 1848–1918. In: Gesellschaftsgeschichte. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Ferdinand Seibt, München 1988, S. 149. 570  Definition des Begriffs „landesüblich“: Darunter wird eine Sprache verstanden, welche wenn auch nicht im ganzen Lande, so doch in einzelnen Bezirken oder Orten des Landes, also im Lande, in Übung steht, üblich ist, das heißt von irgend einer größeren Anzahl von Einwohnern im täglichen Umgange gesprochen wird. Näheres dazu bei: Herrnritt, Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 85. 571  Scharf, Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München 1996, S. 14. 568  Stourzh,



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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lichen der Praxis überlassen, die im Parteienverkehr sehr bald die uneingeschränkte Gleichberechtigung aller landesüblichen Sprachen anerkannte.572 Der Gebrauch der Sprache wurde dabei von der Zugehörigkeit der Partei zu einem der Volksstämme des Landes abhängig gemacht. Diese Regelung wurde namentlich für den sprachlichen Verkehr der Gerichte, mit Rücksicht auf die Bestimmungen der allgemeinen Gerichtsordnung, vielfach angefochten.573 Durch die fehlenden Durchführungsgesetze zu Art. 19 und die dadurch bedingten Widersprüche zwischen speziellen Regelungen und Normen, bot sich der Weg zum Reichsgericht an, um die Feststellung der Verletzung des verfassungsmäßig gewährleisten Rechts auf Wahrung und Pflege der Nationalitäten- und Sprachenrechts zu begehren.574 Folglich lag die ganze Arbeit auf den Schultern der Rechtsprechung. Dieser gelang es, trotz lückenhafter, systematisch deplazierter Bestimmungen, ein ganzes Nationalitätenrecht zu schaffen.575 Das Staatsgrundgesetz war nicht in der Lage, alle Wünsche der Tschechen zu erfüllen. Reichsgesetzliche Regelungen zur Ausführung des Artikels 19 erfolgten kaum. Nicht ohne Grund wurde das Staatsgrundgesetz auch als „Verheißungsgesetz“ bezeichnet, welches zu seiner unmittelbaren Wirksamkeit erst ausführender Normen bedurfte.576 Hierzu äußerte der Autor František Schwarz in seinem Aufsatz Jazykova rovnoprávnost v samospráv­ ném životě (Die sprachliche Gleichberechtigung im Leben der Selbstver­ waltung)577 im Samosprávný Obzor im Jahr 1892: „Die Verfassungsentwicklung dauert jetzt schon ganze dreißig Jahre und berührt fast alle Bereiche des öffentlichen Lebens. Nur in einer Sache ist alles beim Alten geblieben – in der Frage der Gleichberechtigung der Sprache, soweit sie das öffentliche Leben betrifft. Sie ist zwar in den Artikel 19 des Staatsgrundgesetzes aufgenommen worden, der allen Nationen die Gleichberechtigung garantiert, aber ein Gesetz, durch das diese Forderung hätte durchgeführt werden können, ist noch nicht ergangen. Die Regierung ist dieser gesetz­ lichen Festlegung bisher aus dem Weg gegangen.“ Im Ergebnis blieb die Dominanz der deutschen Sprache auch noch nach 1867 bestehen. Die Deutsch-Österreicher in der Staatsverwaltung betrieben dabei in diesem Bereich eine Politik des „quieta non movere“578. 572  Dietmar

Baier, Sprache und Recht im alten Österreich, München 1983, S. 29. Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 116. 574  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 65. 575  Baier, Sprache und Recht im alten Österreich, München 1983, S. 245. 576  Baier, Sprache und Recht im alten Österreich, München 1983, S. 22. 577  Samosprávný Obzor, Bd. 14, 1892, S. 33. 578  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 61. 573  Herrnritt,

124 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Es fällt auf, dass der Právník zwischen 1867 und 1871 keine Aufsätze zum Staatsgrundgesetz veröffentlichte. Die Gründe hierfür schilderte die Redaktion im Jahr 1871 in ihrem Aufsatz Z roku 1870 do roku 1871 (Vom Jahr 1870 bis zum Jahr 1871)579: „Das Jahr 1871 brachte keine Neuerungen für das Recht. Durch die Ereignisse des Krieges trat die Gesetzgebung in den Hintergrund. Aber wir bedauern dies nicht unbedingt. In den Jahren 1868 und 1869 sind so viele Gesetze erlassen worden, die mit der historischen Entwicklung gar nichts gemeinsam haben. Umso mehr gelangen zu uns fremde Gesetze, wie z. B. das Konkursrecht vom 25. Dezember 1868, ohne dass darauf geachtet wird, ob dieses Gesetz in all seinen Teilen überhaupt zu uns passt. Das ist einer der Gründe, warum wir in den letzten Ausgaben des Právník keine Beiträge über die neu herausgegebenen Gesetze aufgenommen haben und uns verstärkt der Rechtspraxis und der Rechtsgeschichte zugewendet haben.“

D. Das Sprachenrecht in der Ära Hohenwart-Schäffle Bis zum Jahre 1871 gab es eine Phase der Verfassungsexperimente, die schließlich ihren Höhepunkt in der kurzen Regierungszeit Hohenwarts (von Februar bis Oktober 1871) fand und die Herausbildung des deutsch-tschechischen Gegensatzes spürbar beschleunigte.580 Das Kabinett sollte als ein über den Parteien stehendes Ministerium die Wende bringen, es begegnete aber in seiner zehnmonatigen Tätigkeit der Verachtung und wurde daher in der liberalen Presse als „Karnevalsministerium“ verspottet.581 1870 gewann Deutschland den Krieg gegen Frankreich und ein Jahr darauf folgte die Gründung des Deutschen Reiches. Die damit einhergehende Entstehung einer neuen Großmacht im europäischen Staatengefüge zwang den österreichischen Kaiser zu einer Bewältigung der instabilen innenpolitischen Lage des Landes. Im Februar 1871 wurde von Graf Karl Sigmund von Hohenwart eine Kabinettsumbildung vorgenommen. Bedeutendster Kopf dieses Kabinetts war der „antipreußische, antiliberale und antizentralistische“ Handelsminister (Nationalökonom) und spätere Wiener Universitätslehrer Albert Schäffle (1831–1903).582 Neuer Unterrichtsminister wurde Josef Jireček (Schwiegersohn des bedeutenden slowakischen Philologen Pavel Josef 579  Právník, 580  Scharf,

Bd. 10, 1871, S. 1. Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München

1996, S. 13. 581  Helmut Rumpler, Parlament und Regierung Cisleithaniens 1867 bis 1914. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band 7. Verfassung und Parlamentarismus, 1.  Teilband, hg. von Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch, Wien 2000, S. 713. 582  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 54.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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Šafařik). Mit Unterstützung der slawisch-konservativen Kräfte (Alttschechen, böhmischer Adel) und dem katholischen Lager, wollte er der wachsenden Macht der deutschen Krone entgegenwirken. Dabei drängten die Tschechen unentwegt auf eine Verbesserung ihrer staatsrechtlichen Position in der Monarchie. Die vom Kaiser eingesetzte Regierung HohenwartSchäffle verabschiedete am 10. Oktober 1871 unter Ausschluss der deutschen Abgeordneten achtzehn Fundamentalartikel, die das Verhältnis des Königreichs Böhmen zu den übrigen Teilen der Doppelmonarchie neu regeln sollten. Das Regierungsprogramm sah dabei eine föderalistische Umgestaltung Österreichs und die Rekonstruktion des böhmischen Königreiches vor. Unterstützt wurde der Gesetzesvorschlag von den Alttschechen unter Palacký und Rieger, was wiederum die Ablehnung durch die kompromissunfähigen Jungtschechen bewirkte. Zentraler Punkt dieses Ausgleichsversuches war der Kompromiss mit den Tschechen, die mit dem Königreich Ungarn gleichgestellt werden sollten. Dieser „Trialismus“ stieß aber bei den Ungarn und den deutschsprachigen Österreichern auf Gegenwehr. Die ungarische Opposition forderte die Änderung der Verfassung in Österreich, die Annullierung des Ausgleichs und die Reduktion des Verhältnisses Österreich und Ungarn auf eine reine Personalunion.583 Die deutschen Liberalen stellten sich von Anfang an gegen die neue Regierung und warfen ihr Verfassungsuntreue vor. Sie inszenierten eine von dramatischen Parolen angeheizte Kampagne, in der ein autonomes Böhmen als „Barbarenstaat“ bezeichnet und mit der Kapitulation vor den „Großmachtplänen“ der Tschechen gleichgesetzt wurde.584 Zu den Fundamentalartikeln wurde am 9. Oktober 1871 ein von Schäffle und dem alttschechischen Politiker František Ladislav Rieger585 ausgearbeiteter Entwurf eines Nationalitätengesetzes586 angenommen, das beide Volksstämme in sprachlicher Hinsicht völlig gleichstellte.587 Danach sollte Böhmen in möglichst homogene deutsche und tschechische Verwaltungsgebiete aufgeteilt werden. In den Teilen, in denen dies nicht möglich war, sollte der Gebrauch der zweiten Landessprache im Verkehr mit den Behörden überall dort anerkannt werden, wo sie die Muttersprache von mindestens einem 583  Helmut Rumpler, Parlament und Regierung Cisleithaniens 1867 bis 1914. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Band 7. Verfassung und Parlamentarismus, 1.  Teilband, hg. von Helmut Rumpler, Peter Urbanitsch, Wien 2000, S. 717. 584  Alfred Knoll, Die Deutschen in Böhmen und der „Ausgleich“. Ein offenes Wort an meine Landsleute, Wien 1871, S. 12–13; Jan Křen: Die Konfliktgemeinschaft, München 1996, S. 149. 585  1.  Teil, Kapitel  1, A.  II. 586  Fischel, Materialien zur Sprachenfrage in Österreich, Brünn 1902, S. 72   /   73. 587  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 55.

126 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Fünftel der Bevölkerung ausmachte (§ 5).588 § 9 des Entwurfes regelte, dass bei landesfürstlichen Behörden im Königreiche Böhmen niemand als Beamter oder Richter angestellt werden dürfe, der nicht beider Landessprachen in Wort und Schrift mächtig sei.589 Darüber hinaus sollte der böhmische Landtag in zwei nationale Kurien geteilt werden, die getrennte Budgets, vor allem für die kulturellen und schulischen Belange jeder Nation, auszuarbeiten hatten (§ 12).590 Die Tschechen betrachteten das Ausgleichswerk, wenn auch mit Vorbehalt, als echte Chance. Bei den Deutschliberalen dagegen stieß der Hohenwartsche „Kronlandföderalismus“ auf erbitterten Widerstand.591 Die Unterordnung unter böhmische Behörden wurde von ihnen als eine ernsthafte Gefahr für das Deutschtum angesehen. Während des Parteitages der Deutschliberalen in Wien hatten diese dem verfassungsfeindlichen Ministerium den Kampf angesagt.592 Schließlich wurde eine modifizierte Fassung ausgearbeitet, die den Ausgleichsgegnern entgegen kam. Sie wich allerdings so stark von der zwischen den Tschechen und der Wiener Regierung ausgehandelten Fassung ab, dass sie einen völligen Umschwung in der Ausgleichspolitik darstellte. Von den Zugeständnissen seitens der Regierung den Tschechen gegenüber blieb nicht mehr viel übrig. Die tschechischen Verhandlungsführer (Rieger, Alois Pražák) lehnten daraufhin erneute Verhandlungen über Form und Inhalt des Ausgleichs ab und erklärten ihn für gescheitert. Damit war wohl die letzte Gelegenheit für eine dauerhafte Lösung mit den Tschechen versäumt worden. Obwohl das Kabinett Hohenwart-Schäffle laut Richard Charmatz nur ein „föderalistisches Zwischenspiel“593 war, hinterließ es im österreichischen Schulwesen deutliche Spuren. Vor allem die Tschechen setzten hohe Erwartungen in den tschechischen Unterrichtsminister Josef Jireček und forderten die Regierung auf, neben den Gymnasien mit deutscher Unterrichtssprache auch ein böhmisches Realgymnasium auf Staatskosten zu errichten.594 Hohenwart stand den Forderungen positiv gegenüber und bald darauf wurde in 588  Alfred

S. 73.

589  Fischel,

Fischel, Materialien zur Sprachenfrage in Österreich, Brünn 1902,

Materialien zur Sprachenfrage in Österreich, Brünn 1902, S. 74. Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 55; Fischel, Materialien zur Sprachenfrage in Österreich, Brünn 1902, S. 74. 591  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 55. 592  Richard Charmatz, Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907, Bd. 1. Die Vorherrschaft der Deutschen, Leipzig 1911, S. 110. 593  Charmatz, Österreichs innere Geschichte von 1848 bis 1907, Bd. 1. Die Vorherrschaft der Deutschen, Leipzig 1911, S. 100  ff. 594  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 55. 590  Burger,



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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mehreren tschechischen Gemeinden die Errichtung von Realgymnasien mit tschechischer Unterrichtssprache angeordnet.595 In der Gesamtbetrachtung führte die Ära Hohenwart und der Konflikt um die Ausgleichspolitik für das deutsch-tschechische Verhältnis zu einem tiefen Einschnitt und trug zu einer weiteren Entfremdung beider Völker bei.596 Das Ausgleichsprojekt führte zu einer „Verhärtung der nationalen Standpunkte“597 und bedeutete einen Wendepunkt im deutsch-tschechischen Verhältnis. Die Auseinandersetzungen um die Fundamentalartikel wurden vorrangig in den Tageszeitungen ausgetragen. Die Zeitungen nahmen während der Regierung Hohenwarts nicht nur direkten Einfluss auf die Entwicklungen, sondern trugen nachhaltig zur Manifestation des deutsch-tschechischen Gegensatzes bei.598 Mit ihrer Berichterstattung über das emotionale Klima in Prag und den immer mehr in den Vordergrund tretenden nationalistischen Inhalt der Kontroverse verschärften die Tageszeitungen zum Teil sogar aktiv die Krise.599 Zur Zeit des Kabinetts Hohenwart-Schäffle verfügte jede der am Streit um die Fundamentalartikel beteiligten Fraktionen über ein eigenes in Prag erscheinendes Blatt, das ihre Interessen und Ansichten widerspie­ gelte.600 Bezüglich der Gerichtssprache enthielten die Fundamentalartikel Bestimmungen über die – bezirksmäßig differenzierte – Amtssprache der Gerichte und – im ganzen Lande wahrzunehmende – Sprachenrechte der Parteien.601 Besondere Bedeutung erlangte der Sprachenkonflikt mit dem Durchbruch der Mündlichkeit des Verfahrens im Strafprozess 1873 (und im Zivilprozess endgültig im Jahr 1895). Diese beiden Neuerungen verstärkten den unmittelbaren Kontakt zwischen Bevölkerung und Gerichten, was zu beträcht­ lichen Folgen für die Entwicklung des Sprachenkonflikts führte. Die Strafprozessordnung von 1873602 legte in § 100 fest, dass Schriften, die in einer „nicht gerichtsüblichen Sprache“ geschrieben und für das Un595  1.  Teil, 596  Scharf,

Kapitel  2, G. Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München

1996, S. 103. 597  Jörg K. Hoensch, Geschichte Böhmens, München 1987, S. 362. 598  Scharf, Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München 1996, S. 105. 599  Scharf, Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München 1996, S. 103   /   105. 600  Scharf, Ausgleichspolitik und Pressekampf in der Ära Hohenwart, München 1996, S. 109. 601  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 157. 602  RGBl. Nr.  113.

128 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

tersuchungsverfahren erheblich seien, durch einen Dolmetscher übersetzt und samt der Übersetzung den Akten beigefügt werden sollten. Zudem ­bestimmten §§ 163, 198 dass im Falle ein Zeuge oder Beschuldigter der Gerichtssprache nicht kundig sei, die Vernehmung des Zeugen oder Beschuldigten entweder mittels Dolmetscher zu erfolgen habe oder aber ohne einen solchen, wenn sowohl der Untersuchungsrichter als auch der Protokollführer der Sprache des Zeugen oder Beschuldigten „zureichend kundig“ seien. Die Strafprozessordnung enthielt aber keinen Satz darüber, in welcher Sprache das Verfahren selbst abgewickelt werden sollte. Somit konnten Verletzungen von Sprachenrechten folglich nur dann geltend gemacht ­werden, wenn sie zugleich Verletzungen prozessualer Parteienrechte darstellten.603 Der Plenarbeschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 19. März 1877 (Z. 364) bestimmte, „dass bei der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof nur die deutsche Sprache als Gerichtssprache zuzulassen, und dass gegen jene Partei, welche nicht in dieser Sprache verhandeln will, wie im Falle des Ausbleibens der Betheiligten oder ihrer Vertreter (§ 34, Gesetz vom 22. Oktober 1875), vorzugehen ist.“604 Genauso wie die Redaktion des Právník den Erlass des Staatsgrundgesetzes im Jahr 1867 ignorierte, so äußerte sie sich auch nicht zu den Fundamentalartikeln aus dem Jahr 1871, so dass beides (zwischen 1872–1882) gar nicht im Právník erwähnt wurde. Im Jahr 1874 ging die Redaktion lediglich auf die neue Strafprozessordnung vom 23. Mai 1873 ein. Erst im Jahr 1879 erschien ein Aufsatz von Václav Trümmel über das Auswanderungsrecht im Zusammenhang mit dem Art. 19 des Staatsgrundgesetzes.605 Die Diskussion um das Staatsgrundgesetz und den Fundamentalartikeln fand vorrangig in der Tagespresse statt.

E. Regierung Taaffe (1879–1897) und die Stremayer’sche Sprachenverordnung Die nächste umfassende Regelung der Sprachenfrage Böhmens erfolgte in der konstitutionellen Ära der Regierung Taaffe. Die Politik des Ministerpräsidenten Eduard Taaffe (1833–1895) zielte darauf, gerade so viele Reformen vorzunehmen, wie zur Sicherung des bestehenden Systems nötig waren. Sein „slawenfreundlicher“ Regierungskurs führte letztlich zu einer fast vier603  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 141. 604  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  371. 605  Právník, Bd. 18, 1879, S. 613  ff.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

129

zehnjährigen Phase innenpolitischer Stabilität (sog. Eiserne Ring: Alttschechen, Jungtschechen und landespatriotische Adelige). Die Phase zwischen 1879–1897 war geprägt durch einen lebhaften Aufstieg des tschechischen Nationalismus, wodurch sich die Deutschen der böhmischen Länder, sowohl in der Gesamtpolitik als auch in Landesfragen, zunehmend in die Defensive gedrängt fühlten. Das erste Zugeständnis an die Tschechen war der Erlass der „Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnung“ für Böhmen und Mähren vom 19. April 1880 (Nr.  14 des Landesgesetzes für Böhmen). Sie wurden von der Regierung ausdrücklich als Durchführung des Art. 19 dargestellt. Die Verordnung betraf die äußere Amtssprache und verfügte, dass alle Behörden ihre Erledigung an die betreffende Partei in der von ihr gewünschten Sprache auszufertigen hatten. Die innere und „innerste Amtssprache“ blieb aber Deutsch.606 Dennoch kam die Verordnung den tschechischen Forderungen entgegen, da von nun an die Beherrschung beider Landessprachen von den Beamten der Länder gefordert wurde. Dies bedeutete für den Großteil der deutschböhmischen Beamten einen zusätzlichen Lernaufwand, da die meisten Tschechen bereits beider Landessprachen mächtig waren. Der Konflikt um die Gleichberechtigung der Sprache kam auch in den Folgezeiten nicht zur Ruhe. Die stetige „Slawisierung“ des Landes schürte das deutsche Verlangen nach einer nationalen Zweiteilung der Länder. Die vordrängenden Tschechen wollten eine solche „administrative Zementierung“ der Sprachengrenzen jedoch nicht hinnehmen, da dies unter anderem auch die Trennung des Steueraufkommens bedeutet hätte.607 Noch bis um die Jahrhundertwende erbrachte die deutsche Minderheit in Böhmen (37%) eine Steuerleistung von 50%, während die tschechische Mehrheit (63%) dagegen nur 43% aufbrachte.608 Um die Gemüter zu beruhigen, versuchte Taaffe Deutsche und Tschechen zu einer Ausgleichskonferenz im Jahre 1890 zu bewegen. Nach zähen Verhandlungen wurde schließlich ein Ausgleichsprotokoll aufgesetzt, welches dem deutschen Wunsch nach einer nationalen Teilung der Kronländerverwaltung sehr entgegen kam. Man einigte sich über eine nationale Abgrenzung der Gerichtsbezirke und über die Schaffung nationaler Kurien im böhmischen Landtag.609 Dabei sollte der Landesschulrat in Böhmen in zwei gesonderte nationale Sektionen gegliedert werden.610 Zentraler Punkt der Vereinbarung war, dass die Bezirks- und Kreisgerichte möglichst die Sprachgrenze berücksichtigen und damit ein606  Kann, Das Nationalitätenproblem der 1964, S. 194. 607  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, 608  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, 609  Kann, Das Nationalitätenproblem der 1964, S. 194. 610  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948,

Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz München 1988, S. 164. München 1988, S. 164. Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz München 1988, S. 165.

130 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

sprachig werden sollten.611 Zudem wurde nach dem Abschluss der ethnischen Gerichtssprengeleinheiten eine Revision der Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnungen von 1880 in Aussicht genommen. Hierbei pochten die Deutschen auf eine Aufhebung der Verordnungen in den neu abgegrenzten und nunmehr rein deutschen Gerichtsbezirken – was aber wiederum die tschechische Seite beunruhigte.612 Für beide Seiten ergab sich jetzt die Notwendigkeit bei ihrer Volksgruppe eine Mehrheit für die Annahme des Ausgleichs zu gewinnen. Auf deutscher Seite gelang dies unter dem Einfluss des deutschböhmischen Liberalen Ernst von Pleners (1841–1923), der sich gegenüber dem deutschnationalen Radikalismus gut zu behaupten wusste.613 Bei den Tschechen gestaltete sich die Annahme des Ausgleichs weithin schwieriger. Taaffes Ausgleichsvorhaben scheiterte letztlich daran, dass man die Beratungen ohne die immer mächtiger werdenden Jungtschechen geführt hatte, die zuvor bei den Landtagswahlen im Jahre 1889 die Mehrheit erzielt hatten. Belastend kam noch hinzu, dass die Alttschechen während der Verhandlungen einen Versuch unternahmen, sich über einen Nationalitätenpakt mit den Repräsentanten der Sudetendeutschen zu einigen, der dann spöttisch auch als Punktation bezeichnet wurde.614 Die Jungtschechen fühlten sich wegen ihres Ausschlusses nicht gebunden und erhoben heftige Einwürfe gegen die nationale Teilung Böhmens. Bei den Ausgleichsdebatten zeigte sich erneut wie weit die Vorstellungen der Alt- und Jungtschechen auseinander gingen. Durch die jungtschechische Agitation büßte František Ladislav Rieger letztlich seine Popularität ein, da er seinen ganzen Einfluss für den Ausgleich einsetzte. Im August 1890 erlangte er von Taaffe das Zugeständnis für die Gewährung der inneren tschechischen Amtsprache für die tschechischen Landesteile.615 Damit versuchte er der jungtschechischen Propaganda den Wind aus den Segeln zu nehmen, was ihm aber nicht gelang. Das Scheitern des Ausgleichs bedeutete somit für ihn das Ende seines politischen Einflusses. Die Jungtschechen lehnten die Pläne einer „Landeszerreißung“ ab.616 Dies führte dazu, dass sich die Beteiligten des Landtages (Alttschechen, Großgrundbesitzer und Adelige) auf eine Vertagung der Ausgleichsberatungen einigten. Nur die Gesetze über den Landeskulturrat (wobei der Präsident dieser Institution auf Druck der Jungtschechen beider Landessprachen mächtig sein musste) und den Landesschulrat konnten ge-

611  Prinz,

Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 166. Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 166. 613  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 167. 614  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 267; Křen, Die Konfliktgemeinschaft Tschechen und Deutesche 1780–1918, München 1996, S. 189. 615  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 169. 616  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 169. 612  Prinz,



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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sichert werden.617 Dies führte wenigstens auf diesem Gebiet zu einer na­ tionalen Beruhigung. Das Scheitern des Ausgleichs war aber nicht nur der jungtschechischen Agitation zu verdanken. Ebenso lehnten die Radikaldeutschen den Entwurf des Ausgleichs ab. Angestachelt wurden sie dabei auch durch diverse tschechische Maßnahmen, wie etwa den Prager Beschluss des Gemeinderates vom 11. November 1891, wonach alle deutschen Firmenschilder und Straßennahmen entfernt werden sollten, um den tschechischen Charakter einer Landeshauptstadt zu betonen.618 Schließlich zwangen die Zusammenstöße zwischen deutschen und tschechischen Nationalisten die Regierung im Jahr 1893 das Standrecht über Prag zu verhängen und brachten somit jegliche weitere Ausgleichsbemühungen der Regierung Taaffe zu Fall.619 Obwohl die Regierung Taaffes oft als „Epoche der Stagnation“ bezeichnet wird – was vermutlich in Bezug auf die Sprachenfrage auch zutreffen mag, so brachte sie doch einen entscheidenden wirtschaftlichen Aufschwung. Die Regierung beseitigte erstmalig das Defizit des Staatshaushaltes und überwand nicht nur die chronische Finanznot der Donaumonarchie, sondern führte auch eine bessere Verteilung der öffentlichen Lasten herbei.620 Die wichtigste Errungenschaft der Regierung Taaffe war die Errichtung einer eigenen Tschechischen Universität neben der deutschen Universität im Jahr 1882621 und die Reform der Gewerbeordnung im Jahr 1883, die für die nordböhmischen Industriegebiete zumindest eine Milderung des Arbeiterelends brachte.622 Bereits im Jahre 1887 folgten die Unfallversicherung und ein Krankenkassengesetz. Die Taaffe-Stremayrsche Sprachenverordnung vom 19. April 1880 brachte Neuerungen vor allem bei den Gerichten, was zu Protesten von deutschböhmischer Seite führte.623 Die Öffentlichkeit interessierte sich für die Regelungen im Bereich der Gerichte stärker als für die der politischen Verwaltung.624 Die Verordnung betraf die äußere Amtssprache der politischen, 617  Prinz,

Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 168–169. Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 170; Über die Anbringung tschechischer Straßennamen in: Samosprávný Obzor, Bd. 14, 1892, S. 33 ff. 619  Kann, Das Nationalitätenproblem der Habsburgermonarchie, Bd. 1, Graz 1964, S. 195. 620  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 160. 621  1.  Teil, Kapitel  1, C.  III. 622  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 160. 623  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 125. 624  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 158. 618  Prinz,

132 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Gerichts- und staatsanwaltlichen Behörden im Königreich Böhmen. Dabei wurde die Verwendung beider Landessprachen im Verkehr der Gerichte mit Parteien und Zeugen bzw. im Strafprozess mit Angeschuldigten und Zeugen für das ganze Land, in Böhmen wie in Mähren, normiert.625 § 1 der Verordnung der Minister des Innern und der Justiz vom 19. April 1880 (RGBl. Nr.  14)626 bestimmte: „Die politischen, Gerichts- und Staatsanwaltschaftlichen Behörden im Lande sind verpflichtet, die an die Parteien über deren mündliche Anbringung oder schriftliche Eingaben ergehenden Erledigungen in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, in welcher das mündliche Anbringen vorgebracht wurde oder die Eingabe abgefaßt ist.“ Nach § 6 haben „alle amtlichen Bekanntmachungen, welche zur allgemeinen Kenntnis im Lande bestimmt sind, in beiden Landessprachen zu ergehen. Lediglich für einzelne Bezirke und Gemeinden bestimmte amtliche Bekanntmachungen haben in den Landessprachen zu erfolgen, welche in den betreffenden Bezirken oder Gemeinden üblich sind.“ Gem. § 7, waren Aussagen von Zeugen in jener Landessprache aufzunehmen, in welcher dieselben abgegeben wurde. Nach § 8 waren „in strafgerichtlichen Angelegenheiten die Anklageschriften, sowie überhaupt die dem Angeschuldigten zuzustellenden Anträge, Erkenntnisse und Beschlüsse für denselben in jener der beiden Landessprachen auszufertigen, deren er sich bedient hat. In dieser Sprache ist auch die Hauptverhandlung zu pflegen, und sind in derselben insbesondere die Vorträge des Staatsanwaltes und des Vertheidigers zu halten und die Erkenntnisse und Beschlüsse zu verkünden. Von den Bestimmungen des vorstehenden Absatzes darf nur insofern abgegangen werden, als dieselben mit Rücksicht auf ausnahmsweise Verhältnisse, insbesondere mit Rücksicht auf die Zusammensetzung der Geschworenenbank unausführbar sind oder der Angeschuldigte selbst den Gebrauch der anderen Landessprache begehrt (…).“ § 9 bestimmte: „In bürgerlichen Rechtsstreiten ist das Erkenntnis sammt Gründen in jener Landessprache auszufertigen, in welcher der Rechtsstreit verhandelt wurde.“ Bezüglich der „innersten“ Sprache bestimmte § 9: „Der Verkehr der politischen, gerichtlichen und staatsanwaltlichen Behörden mit den autonomen Organen richtet sich nach der Geschäftssprache, deren sich dieselben bedienen. Der Verkehr mit den Gemeindebehörden, welche die Functionen der politischen Bezirksbehörde ausüben, wird hierdurch nicht berührt.“ Im zivilgerichtlichen Verfahren galten bis zur Neuordnung der Zivilprozessordnung im Jahr 1895 gesetzliche Normen, die Gebote für die Sprache der Parteien enthielten. Die Normen stammten teilweise noch aus dem spä625  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 158. 626  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  373.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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ten 18. Jahrhundert (wie z. B. § 13 der allgemeinen josephinischen Gerichtsordnung von 1781) und blieben bis zum Jahr 1918 in Geltung. § 13 der Gerichtsordnung von 1781 bestimmte: „Beide Theile sowohl als ihre Rechtsfreunde haben sich in ihren Reden der landesüblichen Sprache zu gebrauchen und aller Weitläufigkeiten, Wiederholungen und Anzüglichkeiten zu enthalten“.627 Für den Bereich der Außerstreitverfahren bestimmte § 4 des Patents von 1845: „Schriftliche Gesuche müssen in einer der bei Gericht üblichen Sprachen geschrieben und hinsichtlich der allgemeinen Erfordernisse der Form nach den Vorschriften der Prozessordnung eingerichtet sein“.628 Besonders umstritten war, inwieweit sich diese Begriffe mit der später in Artikel 19 Abs. 2 festgelegten Landesüblichkeit deckten. Während die nun mit dem Artikel 19 konforme Gerichtsordnung von 1883 für Dalmatien und Istrien, von der Verwendung „einer der landesüblichen Sprachen“ sprach, ergingen für Böhmen und Mähren verschiedene Sprachenverordnungen und in den meisten anderen Kronländern gar keine Festlegungen zur Klarstellung des Sprachgebrauchs vor den Gerichten. Es blieb also umstritten, was unter den von den verschiedenen Gerichtsordnungen verwendeten Begriffen jeweils zu verstehen war. Ein Querschnitt durch den Sprachengebrauch in den verschiedenen Kronländern bei Gericht zeigte, „dass durch unzureichende Normen, verbunden mit einem weiten Ausmaß richterlichen Ermessens und der Stärke nationaler Strömungen ein buntes, vielfältiges, auf keinen einheitlichen Nenner zu bringendes Bild der gerichtlichen Praxis“ bestand.629 Bei einem Rückblick auf die Sprachenfrage bei Gericht äußerte der Sektionschef Theodor Sacken, dass die Sprachenverordnungen gar keine Neuerungen geschaffen hätten, sondern lediglich verstreute, für einzelne Gebiete der Rechtspflege erlassene Verordnungen zusammengefasst- und die bestehende Praxis kodifiziert hätten.630 Eine weitere Verschärfung des Sprachenstreites erfolgte durch eine Reihe von Erlässen des Justizministers Alois Pražák (1820–1901). Am 23. September 1886 verfügte er für die beiden Sprengel Prag und Brünn eine erweiterte Berücksichtigung der tschechischen Sprache bei Gericht. In den Fällen, in welchen oberlandesgerichtliche Erledigungen nur in einer der beiden Landessprachen hinauszugeben waren, durften nunmehr bereits die Referentenanträge und die Entwürfe der Erledigungen in tschechischer 627  Fischel,

Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  45. Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  224. 629  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 149. 630  Sten. Protokolle Herrenhaus, IX. Session, 24. Sitzung vom 24. Mai 1880, 216. 628  Fischel,

134 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Sprache verfasst werden.631 Mit dem Erlass wollte man der ungeheuren Zahl von Übersetzungen aus dem Deutschen ins Tschechische632 entgegenwirken, da diese oft von untergeordneten Beamten hergestellt, immer wieder zu Rechtsirrtümern geführt hatten.633 Die Verfügung bedeutete einen großen Schritt zur Gleichberechtigung der tschechischen Sprache im Gerichtswesen. Pražák äußerte hierzu, dass wenn ein Volk, mit dem man „in dessen Heimatland nur durch einen Dolmetsch spreche“, wie ein Volk „zweiten und dritten Ranges“ behandelt werde.634 Die deutschliberale Opposition im Herrenhaus, die unter der prominenten Führung von Schmerling und Unger stand, warf der Regierung vor, dass sie in die innere deutsche Amtssprache der Gerichte eingreife.635 Die Regierung entgegnete, dass die innere Dienstsprache nicht zu verwechseln sei mit der Gerichtssprache als Sprache des Gerichts gegenüber den rechtsuchenden Parteien. Bei der Debatte um die Sprachenfrage kam zutage, dass weder ein Konsens über den Begriff der Gerichtssprache, noch über die Abgrenzung zwischen innerer und äußerer Amtssprache bestand. In den juristischen Zeitschriften schlug sich das Thema auch entsprechend nieder. Im Jahr 1881 erschien im Právník der Aufsatz Otázka jazyková v  Čechách a na Moravě (Die Sprachenfrage in Böhmen und Mähren)636, worin der anonyme Autor die Entwicklung der tschechischen Sprachenfrage von 1620 bis 1880 beschrieb. Bezüglich der Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnung äußerte er, die Verordnung sei keine Rechtsneuheit.637 Dabei blieb der Ton der Ausführungen nicht immer sachlich. Drei Jahre später erklärte der Autor Jan Vašatý in seinem Aufsatz „Výklad na § 13 ob. řádu soudního“ (Die Interpretation des § 13 der Allgemeinen Gerichtsordnung)638 im Právník: „Bereits die Diktion und der Inhalt der Verordnung zeigen auf den ersten Blick, dass es sich hierbei um ein Almosen für einen jämmerlichen Bettler handelt.“639 Zum überwiegenden Teil bezog sich der Aufsatz 631  Verordnung des Ministers und Leiters des Justizministeriums vom 23. September 1886, Z. 17.520; Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  397. 632  Im Jahr 1865 allein 9000 Übersetzungen. 633  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 161; Beispiele von Rechtsirrtümern: Sten. Prot. Herrenhaus, X. Session, 34. Sitzung vom 7. Mai 1887, 453, 462. 634  Sten. Prot. Herrenhaus, X. Session, 34. Sitzung vom 7. Mai 1887, 451. 635  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 161. 636  Právník, Bd. 20, 1881, S. 253. 637  Právník, Bd. 20, 1881, S. 266. 638  Právník, Bd. 23, 1884, S. 469, 505. 639  Právník, Bd. 23, 1884, S. 512.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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von Vašatý auf die Auseinandersetzungen der Jahre 1880 bis 1883, hier insbesondere auf den Streit über die Auslegung des § 13 der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781, speziell zum Begriff der „Landesüblichkeit“. Zwischen 1885 bis 1900 erschienen im Právník keine weiteren Aufsätze und Stellungnahmen zur Sprachenproblematik der Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnung; genauso in der verwaltungsrechtlichen Fachzeitschrift Samosprávný Obzor640, die zeitgleich mit der Regierung Taaffe im Jahr 1879 erstmals herausgegeben wurde. Es macht den Eindruck, als hätten die Redakteure der beiden – zum damaligen Zeitpunkt einzigen – tschechischsprachigen juristischen Zeitschriften Böhmens das Thema absichtlich übergangen. Dies änderte sich erst wieder mit dem Erlass der Badenischen Sprachenverordnungen im Jahr 1897 und den damit ausgelösten Unruhen. Einen guten allgemeinen Überblick über die Verwaltungspraxis zwischen den 70ern und 90er Jahren gibt der Aufsatz Die österreichische Verwal­ tungsreform641 von Carl Brockhausen, der im Jahr 1924 in der Wissenschaftlichen Vierteljahresschrift zur Prager Juristischen Zeitschrift veröffentlicht wurde: „In der ersten unserer drei Perioden, die von den 70er Jahren bis etwa in die Mitte der 90er reicht, war in der Verwaltung die Erbschaft des alten Systems ziemlich vorherrschend. Die Bürokratie amtierte brav, aber pedantisch, langsam und vielschreibend; kümmerte sich mehr um die Schönheit des Aktes als um die Wünsche des Volkes, und arbeitete am liebsten mit Ausschluß der Öffentlichkeit. […] Um so erstaunlicher ist die Tatsache, daß dieser Staat, welcher das volkstümlichste bürgerliche Gesetzbuch, den fortschrittlichsten Strafprozeß und den mustergültig-modernsten Zivilprozeß hervorgebracht hatte, für das Verwaltungsverfahren sich so unfruchtbar erwies. Erklärlich ist dies allerdings durch die historische Entwicklung des Staates, welcher nicht durch eine große Revolution (1848), sondern durch eine Kompromißarbeit (1867) den Übergang zum Absolutismus zum Verfassungsstaate durchmachte. Das alte Regime hatte Sachlichkeit höher geachtet als Rechtsformen und sich dabei sehr wohl gefühlt und es war in den Zentralstellen keineswegs so erschüttert worden, daß es gezwungen worden war, radikal mit dieser lieb gewordenen Gewohnheit zu brechen. Statt eines geregelten Administrativprozesses gab es nur dürftige, zerstreute und oft widerspruchsvolle Einzelbestimmungen und auch diese waren Gelegenheits- und Verlegenheitsnormen, fast ausschließlich Notbehelfe. […] Es war der österreichische Verwaltungsgerichtshof, der in zäher Arbeit aus den vorhandenen Notbehelfen, gleichsam aus Splittern und Spänen ein fast lückenloses Administrativverfahren gezimmert hat, und zwar in 640  1.  Teil,

Kapitel  3, B. Vierteljahresschrift zur Prager Juristischen Zeitschrift, Jahrgang 4, Heft 4, 1924, S. 138. 641  Wissenschaftliche

136 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

solcher Vollendung, wie es kein noch so geschickter Gesetzgeber vermocht hätte. […] Es war die Lebensaufgabe des Verwaltungsgerichtes, der Willkür der Verwaltung Zügel anzulegen und Schranken aufzurichten, durch welche die widerstrebenden Behörden geschult werden sollten. Es war ein Glück, daß in diesem Gerichtshof nur die Hälfte der Richter aus der Verwaltung hervorgehen durfte, daß die andere Hälfte aus Theoretikern bestand, aus Professoren und Richtern; so kämpften sie von Anfang an als Wächter der Wissenschaft gegen eine wissenschaftslose Praxis.“642

F. Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 Der Zeitraum von 1897 bis 1899 war geprägt durch vier markante Ereignisse, die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, die Gautschen Verordnungen von 1898, die Clary-Aldringschen Sprachenverordnungen von 1899 und das Brünner Nationalitätenprogramm 1899. Zur vollen Schärfe entbrannte der Sprachenstreit durch die Badenischen Sprachverordnungen vom 5. April 1897 (RGBl. Nr.  12, 13)643 des aus dem polnischen Galizien stammenden Ministerpräsidenten Kasimir Graf Badeni (1846–1909). Die Ära Badeni brachte einen Wendepunkt in der mitteleuropäischen Geschichte mit sich. Badeni war ein „Mann des Ausgleichs“, der bei seinem Regierungsantritt die Herstellung des seit Jahren verfolgten Zieles eines Ausgleichs mit den Ungarn versprach. Das Jahr 1897 stand zu Beginn im Zeichen des Wahlkampfes und der veränderten Reichsratszusammensetzung.644 Die Verordnungen, die eine Gleichberechtigung beider Landessprachen versprachen, lösten im Nachhinein eine der größten Staatskrisen aus, die Österreich Ende des 19.  Jahrhunderts erschüttert hat.645 Sie setzten das Signal für das gewaltsame Auseinanderbrechen der beiden Volksstämme.646 Die erste Verordnung (LGBl. Nr. 12)647 bezog sich auf den Gebrauch der Landessprachen bei den gesamtstaatlichen Behörden (des Innern, der Justiz, 642  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur Prager Juristischen Zeitschrift, gang 4, Heft 4, 1924, S. 142. 643  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  417, 418. 644  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachverordnungen von auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, burg 2002, S. 10. 645  Bohemia, Bd. 35, 1994, S. 78. 646  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachverordnungen von auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, burg 2002, S. 9. 647  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  417.

Jahr1897 Mar1897 Mar-



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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des Handels und des Ackerbaus). Schon seit der Taaffe-Stremayrschen Sprachenverordnung des Jahres 1880 musste jeder Bescheid in derjenigen Sprache ergehen, in welcher er mündlich oder schriftlich von den Bürgern beantragt worden war (äußere Amtssprache). Die Badenische Sprachenverordnung ging darüber hinaus und forderte die Gleichstellung der inneren und der „innersten“ Amtssprache, somit auch den Verkehr der Behörden untereinander und mit sich selbst.648 Damit verbunden auch die Sprache bei Gericht, die Sprache der öffentlichen Bücher (Grundbuch), der Formulare, der Straßentafeln und Stempelungen der Post.649 Der Streit um den Sprachengebrauch im öffentlichen Leben ging teilweise so weit, dass bereits um Friedhofsinschriften in einer bestimmten Sprache gestritten wurde.650 Die eigentliche Brisanz der Badenischen Sprachenverordnungen ging von der zweiten Verordnung über die Sprachenqualifikationen der Beamten vom 5. April 1897 (Nr.  13 LGBl.)651 aus. Darin wurde angeordnet, dass innerhalb einer Frist von drei Jahren alle Staatsbeamten Böhmens die Kenntnis beider Landessprachen in Wort und Schrift nachzuweisen hatten. Der Nachweis der Zweisprachigkeit war somit die Grundvoraussetzung für die Anstellung im öffentlichen Dienst. Für den zweisprachigen tschechischen Amtsbewerber war dies von Vorteil, während Deutsche vom öffentlichen Dienst in ihrer eigenen Heimat ausgeschlossen wurden. Die tschechische Bevölkerung war trotz des Sprachenzwangverbotes von 1867 (Art. 19 des Staatsgrundgesetzes) des Deutschen allgemein mächtig, die deutschsprachige Bevölkerung dagegen hatte es versäumt, die zweite Landessprache zu erlernen und sah sich nunmehr ihrer Karrierechancen beraubt.652 Ein Teil der Beamtenanwärter mag von der Erlernung der tschechischen Sprache auch durch die damals verbreitete Auffassung abgeschreckt worden sein, dass es für einen Deutschen eine Entwürdigung bedeutete, die Sprache des „Bedienten-Volkes“ zu erlernen.653 Die Einführung der tschechischen Amtssprache hatte auch für die Innenpolitik Konsequenzen. Die Staatsmaschinerie kam zum Erliegen und verhinderte sämtliche dringend notwendige Refor648  Bohemia,

Bd. 35, 1994, S. 79. Bd. 35, 1994, S. 79; Sprache der Formulare, Straßentafeln, Tafeln in öffentlichen Gebäuden und Poststempeln: Aufsatz von František Schwarz. In: Samosprávný Obzor, Bd. 14, S. 33  ff. 650  Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes Nr. 6221 vom 5. November 1891. Darin wurde das Recht auf freien Sprachengebrauch gem. dem Art. 19 zuerkannt; Karl Gottfried Hugelmann, Das Nationalitätenrecht des alten Österreich, Wien 1934, S. 177. 651  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  418. 652  Bohemia, Bd. 35, 1994, S. 80. 653  Berthold Sutter, Die Badenischen Sprachenverordnungen von 1897, Bd. 1, Graz 1960, S. 86. 649  Bohemia,

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men sowie wirtschaftliche und soziale Gesetzespakete.654 Weil somit die parlamentarischen Staatsgeschäfte nicht mehr erfüllt werden konnten, musste sich die jeweilige Regierung mit der Notstandsgesetzgebung (kaiserlichen Verordnungen) behelfen. In den deutschen Gebieten begann die Vertreibung der tschechischen Mitbewohner durch Kündigung ihres Arbeitsplatzes.655 Die Deutschböhmen sahen in der Verordnung eine Zurücksetzung ohnegleichen. Badeni verteidigte aber weiterhin die Verordnung und stellte sie als eine Fortsetzung der Böhmischen Charte von 1848 dar, welche die vollkommene Gleichstellung der böhmischen Sprache mit der deutschen in allen Zweigen der Staatsverwaltung und des öffentlichen Lebens verkündete.656 Daraufhin äußerte der deutsche radikalnationale Abgeordnete Karl Hermann Wolf (1862–1941)657 im Parlament dass dies die „offenste, frechste Verhöhnung des deutschen Volkes“ sei, die darin bestünde, dass man den Deutschen zumutete, „die Sprache eines kulturell minderwertigen Volkes“ zu erlernen.658 Angefacht wurde die Empörung der Deutschböhmen auch durch eine systematische radikale Presse. Die Situation im Reichsrat wurde als „eine maßlose Verwilderung parlamentarischer Sitten“ bezeichnet.659 Es blieb dabei nicht nur bei verbalen Attacken, eine Lärmorgie begleitete alle Reden, es wurden Tintenfässer geworfen und Messer gezogen.660 Die Attacken wurden immer radikaler und hatten vereinzelt auch einen rassistischen und antisemitischen Einschlag. Während der letzten Parlamentsdebatte am 25. November 1897 wurde Kanzleidirektor und enger Ratgeber Badenis, Heinrich Ritter von Halban Blumenstock, mit den Rufen „Hinaus mit dem Juden Blumenstock! Der ist Schuld an allem“ empfangen.661 Auch auf der Straße zogen deutschradikale Kräfte (um Georg Schönerer662) einen Großteil der deutschen Bürger in den Bann und duldeten dabei keine andere 654  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, Marburg 2002, S. 8. 655  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, Marburg 2002, S. 10. 656  Bohemia, Bd. 35, 1994, S. 82. 657  Abgeordneter des Böhmischen Landtags und Mitglied der Altdeutschen Partei Georg Schönerers. 658  Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, XII. Session, 10. Sitzung, 6. Mai 1897, S. 512. 659  Gustav Kolmer, Parlament und Verfassung in Österreich, Bd. 6, Wien-Leipzig 1910, S. 269. 660  Bohemia, Bd. 35, 1994, S. 85. 661  Stenographische Protokolle des Abgeordnetenhauses, XIII. Session, 32. Sitzung, 27. November 1897, 1827–1828.



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Meinung, obwohl es durchaus auch gemäßigte Stimmen für eine Einigung mit den 62Tschechen gab, die aber völlig ignoriert wurden. Die Deutschradikalen hatten die Bürger der deutschen Gebiete unter ihrer Kontrolle und übten mehr oder minder Terror auf die Bevölkerung aus.663 Dabei ging es dieser Gruppe nicht um einen Ausgleich mit den Tschechen, sondern nur um die gewaltsame „Säuberung“ Deutschböhmens von allem Tschechischen.664 Nach den Tumulten im Parlament und auf den Straßen kam es schließlich zur Rücknahme der Sprachverordnung und zur Abberufung Badenis. Als (tschechische) Reaktionen auf die Badenischen Sprachenverordnungen erschien im Jahr 1898 in der Zeitschrift Právník ein Aufsatz von Vladimír Skála Co znamenají nové jazykové výnosy (Was bedeuten die neuen Sprachenverordnungen)665. Darin äußerte er, dass die Sprachenverordnungen ein großer Fortschritt seien, da die tschechische Sprache jetzt auch zur Behördensprache werde, die von den Beamten angewendet werden müsse. Im Jahre 1898 wurden die Badenischen Sprachenverordnungen durch das Übergangsministerium Gautsch überarbeitet. Die Gautsche Sprachenverordnung (Nr. 16 des Landesgesetzes für Böhmen) sah nun drei Verwaltungseinheiten für Böhmen vor und milderte die vorherigen Sprachbestimmungen ab.666 Bezüglich der „inneren Dienstsprache“ wurden nun deutsche, tschechische und gemischtsprachige Bezirke eingerichtet. Danach sollte nun diejenige der beiden Landessprachen Amts- und Dienstsprache sein, zu der die ortsansässige Bevölkerung sich als zu ihrer Umgangssprache bekannte. Die Beamtenstellen sollten bezüglich der sprachlichen Qualifikation „nach Maßgabe des tatsächlichen Bedürfnisses“ besetzt werden.667 Nur in den sprachlich gemischten Bezirken sollten beide Landessprachen gleiche Geltung haben. Die im Gegensatz zur Badenischen Sprachenverordnung gemilderte Gautsche Sprachenverordnung zeigte eine deutliche Annäherung zur deutschen Seite. Die Situation in den deutschen Gebieten änderte sich aber 662  Georg Schönerer (1842–1921): Österreichischer Politiker, Führer der deutschnationalen Bewegung, radikaler Antisemit und Gegner der katholischen Kirche; näheres bei Brigitte Hamann, Hitlers Wien, Wien 2004, 337  ff. 663  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, Marburg 2002, S. 7. 664  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, Marburg 2002, S. 7. 665  Právník, Bd. 37, 1898, S. 240. 666  Neblich, Die Auswirkungen der Badenischen Sprachenverordnungen von 1897 auf die deutsche und tschechische Bevölkerung des historischen Egerlandes, Marburg 2002, S. 10. 667  Bohemia, Bd. 35, 1994, S. 87.

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nicht wesentlich. Die Deutschnationalen verfolgten weiterhin ihr Ziel, alle Tschechen aus den deutschen Gebieten zu vertreiben und wendeten dabei alle legalen und illegalen Maßnahmen zum Boykott der Tschechen an. Schließlich wurden am 14. Oktober 1899 von der kurzlebigen Regierung Clary (10 Wochen) die Badenischen und Gaut’schen Sprachenverordnungen außer Kraft gesetzt. Das führte wiederum zu einer Woge der Gewalt in Brünn und Prag, da die Tschechen darin eine Missachtung ihrer verbrieften Rechte sahen. Durch die Clary Verordnung (LGBl. Nr.  29)668 wurden die Sprachenbestimmungen wieder so hergestellt, wie sie 1880 in der Regierung Taaffe-Stremayer galten. Diese unzureichende Lösung hatte zur Folge, dass bis 1918 kein Tag verging, an dem nicht der Regierung Beschwerden über die Sprachenpraxis von allen Nationalitäten in Österreich zugingen.669 Auf dem Parteitag im September 1899 beschlossen die Sozialdemokraten ein Grundsatzprogramm zur Lösung der Nationalitäten- und Sprachenfrage der Monarchie im Sinn der Gleichberechtigung der Völker. In diesem sog. „Brünner Nationalitätenprogramm“ forderten sie nichts weniger als die Umbildung der Monarchie in einen demokratischen Bundesstaat autonomer Völker. An der Ausarbeitung des Programms war Victor Adler (1852– 1918)670 maßgebend beteiligt. Das Programm stellte einen Meilenstein in der Entwicklung der Ideen zu einem friedlichen Zusammenleben verschiedener ethnischer Gruppen dar. Es implizierte die Anerkennung des Habsburgerstaates als Nationalitätenbundesstaat. Trotzdem gelang es ihm nicht die Spannungen zwischen Deutschen und Tschechen zu beheben. Die tschechischen Politiker sahen in dem Programm erneut einen Anschlag auf ihre Nation, da in dem Programm von Gleichberechtigung keine Rede war. Lediglich der „Mährische Ausgleich“671 des Jahres 1905 brachte für Mähren eine annehmbare Lösung des Problems. Er hatte die Regelung der Unterrichtssprache nach dem Grundsatz der Nationalitäten zum Inhalt, und die Regelung der Sprache in den Selbstverwaltungsorganen nach dem Grundsatz der Gleichberechtigung zum Inhalt, wobei die Selbstverwaltungskörperschaften ihre Handlungssprache frei wählen konnten.672 Der Landesaus668  Alfred

Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  434. Bd. 35, 1994, S. 88. 670  Er vereinigte im Jahr 1888 die verschiedenen sozialdemokratischen Gruppen Österreichs und gilt damit als Begründer der Soziademokratischen Partei Österreichs (SDAP); Julius Braunthal, Victor und Friedrich Adler. Zwei Generationen Arbeiterbewegung, Wien 1965. 671  Dazu ausführlich Jiří Malíř, Der Mährische Ausgleich – ein Vorbild für die Lösung der Nationalitätenfrage? In: Kontakte und Konflikte, Waidhofen an der ­Thaya 1993, S. 337  ff. 672  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 269. Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 169. 669  Bohemia,



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schuss war grundsätzlich zweisprachig und mit den Staatsämtern verhandelten die Selbstverwaltungsorgane in ihrer Sprache. Zudem wurde der Schutz der Nationalitätenminderheiten in dem Sinne eingeführt, dass in den Gemeinden, in denen mindestens 1  /  5 Einwohner einer anderen Nationalität lebten, die Eingabe in der Sprache der Partei zulässig war und seine Erledigung in dieser Sprache stattfinden musste.673 Bezüglich der Gerichtssprache kam auch in den Folgejahren der Streit um die Sprache der Parteien bei Gericht nicht zur Ruhe. Ein konkreter Fall aus dem Jahr 1897 erregte dabei die meiste Aufmerksamkeit674: Das Bezirks­ gericht in Eger675 (Cheb) hatte die Annahmen von Klagen in tschechischer Sprache verweigert und nahm darüber hinaus auch keine münd­lichen Anfragen auf Tschechisch entgegen. Daraufhin wies das Prager Oberlandesgericht das Egerer Bezirksgericht unter Bezug auf die Badenische Sprachenverordnung vom 5. April 1897 an, die tschechischen Reden eines tschechischen Beklagten tschechisch zu protokollieren. Der deutsche Kläger erhob daraufhin Beschwerde beim Obersten Gerichtshof und bezweifelte die Gesetzmäßigkeit der Badenischen Sprachenverordnung. Der Oberste Gerichtshof gab dem deutschen Beschwerdeführer in seiner Entscheidung vom 3. November 1897 (Nr.  5110) Recht und bezog sich dabei auf den § 13 der josephinischen Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781, wonach nur die gerichts­ übliche Sprache als landesüblich anzusehen sei und notorisch in Eger bloß die deutsche Sprache üblich sei. Die Entscheidung stieß dabei, inmitten der sich ihrem Höhepunkt nähernden Badeni-Krise, auf erbitterte tschechische Kritik. Zu dem Fall erschien im Jahr 1908 im Právník der Aufsatz von Václav Hora O právní stránce jazykové otázky u soudů (Über die rechtlichen Seite der Sprachenfrage bei Gericht)676: „Die Sprachenfrage – dieser wunde Punkt des österreichischen Reiches – hat in letzter Zeit die ohnehin schon unruhigen Wellen unseres öffentlichen Lebens erneut aufgewirbelt. Wir bedauern es, dass es wieder einmal die Gerichte waren, die die Sprachenfrage ins Strudeln gebracht haben. Wir bedauern es aus dem Grunde, weil der Gerichtsstand, der ein Grundpfeiler jeglicher Organisation des Staates und zugleich Bollwerk und Stolz der Bevölkerung sein soll, dadurch in die vordere Reihe des politischen Lebens gezogen wird, obwohl er unpolitisch und ‚über den Seiten‘ stehend sein soll.“ 673  Malý,

Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 269. Fall näheres in: Právník, Bd. 37, 1898, S. 32; Právník, Bd. 47, 1908, S. 125–139; Samosprávný Obzor, Bd. 30, 1908, S. 1. 675  Bei der Wahl des Reichsrates zu Beginn des Jahres 1897 war der deutsch­ radikale Georg Schönerer als Spitzenkandidat im Bezirk Eger vertreten. 676  Právník, Bd. 47, 1908, S. 125. 674  Zum

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Ähnlich äußerte sich der Autor Josef Žalud in der Fachzeitschrift Sa­ mosprávný Obzor im Jahr 1908: „Die Vorgehensweise des Gerichts in Eger bezüglich der Annahme und der Bearbeitung tschechischer Eingaben, muss in jedem Tschechen das Blut zur Wallung bringen.“677 Es zeigte sich, dass eine allgemein anerkannte Regelung des Gebrauchs beider Landessprachen seitens der Parteien vor Gericht und im Verkehr mit den Parteien bis zum Jahr 1918 nicht zu erreichen war.678 Nach den Ereignissen der Badenischen (1897), Gautsch’schen (1898) und der Clary’schen Sprachenverordnungen (1899) wurde schließlich offiziell der vor dem April 1897 bestehende Rechtszustand wiederhergestellt, somit also die Wieder­ herstellung der inneren deutschen Dienstsprache in Böhmen und Mähren. Inoffiziell brach sich die tschechische innere Dienstsprache „via facti“ Bahn in Behörden und Gerichten. Bereits vor dem Erlass der Badenischen Sprachenverordnungen war der Gebrauch der tschechischen Sprache als innere Dienstsprache bei Gericht durchaus üblich.679 Norm und Wirklichkeit lagen oftmals weit auseinander und die innere deutsche Dienstsprache der Gerichte in den tschechischen Gebieten Böhmens wurde immer mehr zu einer Fiktion.680

G. Schulsprache Aufgrund ihrer Mehrsprachigkeit waren die böhmischen Länder vermehrt mit sprachenpolitischen Fragen konfrontiert, so etwa im Rahmen ihrer Kultur-, Bildungs- und Schulsprachenpolitik. Das Tschechische blieb in diesen Kommunikationsbereichen weit hinter der Deutschen Sprache zurück. Besonders im Bildungswesen waren es zuerst die Tschechen, die den bestehenden Vorrang der deutschen Sprache nicht länger hinnehmen wollten. Damals wurde mit dem Ziel der Ausbreitung der deutschen Sprache in den böhmischen Erbländern, mit der Einführung der Schulpflicht im Jahr 1770 durch Joseph II. nur Lehrer mit Deutschkenntnissen zugelassen und an den Universitäten und Gymnasien wurde Latein durch Deutsch ersetzt.681 Erschwerend kam hinzu, dass ein großer Mangel an tschechischen Schulbüchern bestand, die tschechische Sprache noch nicht eine solche Ausbildung hatte und es kaum Lehrer gab, die auf Tschechisch unterrichten konnten. Mit 677  Samosprávný

Obzor, Bd. 30, 1908, S. 1. Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 164. 679  Právník, Bd. 40, 1901, S. 43. 680  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 165. 681  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 262. 678  Stourzh,



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Berufung auf die böhmische Charte von 1848 verlangten die Tschechen nunmehr die Gleichstellung der tschechischen mit der deutschen Unterrichtssprache, was ihnen mit dem Erlass des Unterrichtsministeriums vom 14. April 1848 auch gewährt wurde.682 Zwischen 1848–1860 amtierte der Unterrichtsminister Graf Leo ThunHohenstein. Auf der einen Seite verfügte der konservative und slawophile Politiker zahlreiche Maßnahmen zur Pflege der slawischen Sprachen – so wurden an den Universitäten die ersten Lehrstühle für slawische Philologie geschaffen683 – auf der anderen Seite jedoch – vor allem um den Bedürfnissen des Staates gerecht zu werden – wurde die deutsche Sprache weiterhin stark privilegiert.684 Am 16. Dezember 1854 (RGBl. Nr.  315) erließ er die Bestimmung, dass der Unterricht im Allgemeinen zwar in jener Sprache, welche den Schülern bekannt und geläufig sei, jedoch in den höheren Klassen der Gymnasien vorherrschend in deutscher Sprache zu erteilen sei.685 Die daraus resultierende Privilegierung von deutschsprachigen Schülern und die damit gestiegene Chance für einen höheren Beruf, wurden insbesondere von den Tschechen als „Germanisierungsversuch“ empfunden und vehement abgelehnt.686 Der Thunsche Erlass wurde schließlich durch kaiserliche Entschließung vom 8. August 1859 wieder aufgehoben. Dieser bestimmte, dass in nichtdeutschen Gegenden von der Regel, dass die Unterrichtssprache in den höheren Klassen der Gymnasien überall vorherrschend die deutsche sein müsse, abgegangen werden dürfe, solange garantiert bleibe, dass den Absolventen eines Gymnasiums ausreichende Deutschkenntnisse vermittelt würden.687 Auch wenn die Durchführung des Erlasses noch lange hinausgezögert wurde, stellte er einen Wendepunkt dar, von dem an die ausschließlich deutsche Unterrichtssprache im mittleren und höheren Schulwesen endgültig aufgegeben wurde.688 In der föderalistischen Phase nach 1860 wurde das Ministerium für Kultus und Unterrichtswesen aufgelöst und im Jahre 1864 nach französischem Vorbild durch einen „Unterrichtsrat“ ersetzt, der aber keine Exekutivgewalt 682  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 33. 683  1.  Teil, Kapitel  1, C.  III. 684  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 34. 685  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  227. 686  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 35. 687  Verordnung des Ministers für Cultus und Unterricht vom 8. August 1859. 688  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 35.

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besaß.689 Dies hatte zur Folge, dass die Kronländer zwischen 1860 bis 1867 in der Bildungspolitik immer größere Selbstständigkeit erlangten. Anfang der sechziger Jahre nutzte die Nationalpartei ihren neuen Handlungsspielraum vor allem dazu, in Böhmen ein bedarfsdeckendes dreistufiges Bildungswesen mit tschechischer Unterrichtssprache aufzubauen, – eine Schlüsselfrage der Nationsbildung, die Mitte der achtziger Jahre grundsätzlich gelöst war.690 Im Jahre 1864 erließ der böhmische Landtag ein Gesetz, wonach an Gymnasien mit deutscher Unterrichtssprache die tschechische und an Gymnasien mit tschechischer Unterrichtssprache die deutsche Sprache zum Pflichtlehrgegenstand wurde.691 Dieses von seinen Gegnern genannte „Sprachenzwanggesetz“, erhielt trotz heftiger Proteste am 18. Januar 1866 die kaiserliche Sanktion.692 Das Staatsgrundgesetz von 1867 brachte eine neue Situation des Nationalitätenproblems. Auf die Entwicklung des Unterrichtswesens übte der Artikel 19 den größten Einfluss aus. Dabei befasste sich der Absatz 3 ausschließlich mit der Vermeidung des Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache. Absatz 2 wurde wiederum zur Frage der Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen in Schule, Amt und öffentlichem Leben angerufen. Für die meisten Streitigkeiten sorgte der Absatz 3: „In den Ländern, in welchen mehrere Volksstämme wohnen, sollen die öffentlichen Unterrichtsanstalten derart eingerichtet sein, dass ohne Anwendung eines Zwanges zur Erlernung einer zweiten Landessprache jeder dieser Volksstämme die erforderlichen Mittel zur Ausbildung in seiner Sprache erhält (RGBl. Nr.  142   /   1867).“ Aber bereits am 12. Februar 1868 (Z. 317)693 erging ein Erlass des Unterrichtsministeriums, in welchem alle geltenden Bestimmungen, die sich auf die verpflichtende Erlernung der zweiten Landessprache bezogen, wieder aufgehoben wurden. Ein halbes Jahr später beschloss der böhmische Landtag ein Landesgesetz, in dem der § 4 des Gesetzes „über die Durchführung der Gleichberechtigung der beiden Landessprachen“ vom 18. Januar 1866 außer Kraft gesetzt wurde. Damit wurden die ersten Ansätze einer „Polyglottie“ im böhmischen Unterrichtswesen wieder rückgängig gemacht. 689  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 35. 690  Storck, Kulturnation und Nationalkunst, Köln 2001, S. 18. 691  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 35. 692  Böhmisches Landesgesetz vom 18. Januar 1866 (LGBl. Nr.  1   /   1866); Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 35. 693  Fischel, Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  307.



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Dem Staatsgrundgesetz folgte am 14. Mai 1869 das Reichsvolksschulgesetz (RGBl. Nr.  62)694. Zwei Paragraphen des Reichsvolksschulgesetzes vom 14. Mai 1869 erhöhten das Konfliktpotential zwischen den Nationalitäten. In § 6 wurde bestimmt, dass die Landesschulbehörden innerhalb der durch die Gesetze gezogenen Grenzen über „die Unterrichtssprache und über die Unterweisung in einer zweiten Landessprache entscheiden“ sollte, und zwar nach Anhörung der Schulerhalter (Landesbehörde). Ferner regelte § 59 des Reichsvolksschulgesetzes, dass eine Volksschule „überall dort“ zu errichten sei, „wo sich im Umkreise einer Stunde und nach einem fünfjährigen Durchschnitte mehr als 40 Kinder vorfinden, welche eine über vier Kilometer entfernte Schule besuchen müssen“. Besonderen Zündstoff barg der § 62, wonach die Kosten für Schulerrichtung und Erhaltung primär durch die Ortsgemeinde zu bestreiten waren. Erst wenn die Mittel der Ortsgemeinde für die Bedürfnisse des Volksschulwesens nicht ausreichten, hatte dessen Kosten „das Land zu bestreiten“ (§ 66). Aus der gesetzlichen Pflicht zur Errichtung von Volksschulen einerseits und aus dem durch das Staatsgrundgesetz ausgeschlossenen Sprachenzwang im Schulwesen anderseits hatte sich für die Schulverwaltung die Notwendigkeit ergeben, Schulen mit bestimmter Unterrichtssprache zu errichten, die sog. Nationalitätenschulen (Minoritätsschulen).695 Mit der Ausbildung der Minoritätsschulen entbrannte ein harter Kampf um jedes einzelne Schulkind und führte dazu, dass „jede Schule mit der ‚eigenen‘ Unterrichtssprache als Instrument zur Wahrung und Mehrung des eigenen Besitzstandes, jede Schule mit der ‚anderen‘ Unterrichtssprache als Waffe in der Hand des nationalen Gegners“696 angesehen wurde. In den gemischtsprachigen Gebieten wurde dementsprechend um die Errichtung bzw. Verhinderung von Minderheitenschulen in den Gemeinden zwischen Mehrheits- und Minderheitsbevölkerung, auch aufgrund der entstehenden finanziellen Belastung, heftig gestritten, wozu sich auch die jeweiligen nationalen Interessen gesellten. Die Folge war eine Vielzahl von Rechtsverfahren, die in den Jahren 1884 bis zum Ende der Monarchie vor dem im Jahr 1876 errichteten Verwaltungsgerichtshof ausgetragen wurden. In den Jahren 1884 bis 1886 entwickelte der Verwaltungsgerichtshof immer präziser werdende Grundsätze zum Schutz nationaler Minderheiten im Volksschulwesen und zum Verfahren der Errichtung von Nationalitätenschulen. Im Jahr 1884 berief sich der Verwaltungsgerichtshof erstmals auf den Art. 19 des Staatsgrundgesetzes, um dem Begehren tschechischer Eltern auf Errichtung einer Volksschule mit tschechischer Unterrichtssprache gegen den Widerstand einer mehrheitlich deutschen Gemeinde Nürschan (Nýšany) 694  Fischel,

Das österreichische Sprachenrecht, Brünn 1901, Nr.  326. von Herrnritt, Nationalität und Recht, Wien 1899, S. 92. 696  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 167. 695  Herrmann

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in Nordwestböhmen stattzugeben. Die Gemeinde hatte geltend gemacht, sie könne zur Errichtung einer zweiten Schule solange nicht verpflichtet werden, als die vorhandene Schule ohne gesetzwidrige Überfüllung alle schulpflichtigen Kinder aufzunehmen in der Lage sei. Die Argumente wurden vom Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung zurückgewiesen697, dass in der bereits bestehenden Schule nur die deutsche Sprache als Unterrichtssprache benutzt werde, dies aber nicht dem konstatierten Bedürfnis nach einer Schule mit tschechischer Unterrichtssprache genüge. Folglich erfülle die Schule in Nürschan nicht die Forderungen des Art. 19, Abs. 3. Im Lauf der Zeit stellte der Verwaltungsgerichtshof, anfänglich in seiner Judikatur noch schwankend, dann aber immer konsequenter, folgende Voraussetzungen698 für die Errichtung von Minoritätsschulen auf. Dies waren: a) Die Parteien müssen einem im Lande wohnhaften Volksstamme angehören (Erkenntnis vom 1. Oktober 1898 (Nr. 5129); b) die Errichtung der Minoritätsschule muss besonders verlangt worden sein (Erkenntnis vom 8. Januar 1885, Nr.  2356); c) die Kinderzahl muss nach fünfjährigem Durchschnitt mindestens 40 betragen; d) die nächste Schule mit der angestrebten Unterrichtssprache muss über 4 km weit entfernt sein (Erkenntnis vom 3. Juni 1896, Nr. 9708; 2. März 1898, Nr. 1128). Ein Problem war die Bestimmung der nationalen Zugehörigkeit der Kinder und die Frage nach der Berechnung der Kinderzahl im fünfjährigen Durchschnitt.699 Bezüglich der Zugehörigkeit zu einem Volksstamm bestand die Schwierigkeit, dass in dem böhmischen Landesgesetz nirgends bestimmt war, wie diese nationale Zugehörigkeit festzustellen war. In Ermangelung gesetzlicher Vorschriften entschied der Verwaltungsgerichtshof im Jahr 1881, dass die Frage, welcher Nationalität jemand angehöre, nach allgemeinen Merkmalen zu lösen sei. Entscheidend sei letztendlich, im konkreten Fall den Einzelnen „um seine Nationalität zu befragen und als Angehörigen jener Nationalität zu behandeln, zu welcher er sich selbst bekennt“.700 Weiterhin bestimmte der Verwaltungsgerichtshof in seiner Erkenntnis vom 31. Januar 1890, dass für die Feststellung der Nationalität der Kinder allein die (protokollierte) Willenserklärung der Eltern (bzw. Vormündern) maßgebend sei. Bei der Berechnung des erforderlichen Durchschnitts galt in erster Linie nicht die Unkenntnis der zweiten Landessprache, sondern der Wille der Eltern, ihre Kinder in eine Schule mit der Unterrichtssprache ihres Volksstammes zu senden. Bei 697  V. G. H. Erkenntnis vom 4. Dezember 1884; Samosprávný Obzor, Bd. 7, 1885, S. 124. 698  Über die Voraussetzungen für die Errichtung einer Minoritätsschule vgl. V. G. H. Erkenntnis vom 4. Dezember 1884, Nr. 2314 und vom 31. Januar 1890, Nr. 5123. 699  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 101. 700  V. G. H. Erkenntnis vom 3. Januar 1881.



Kap. 2: Das Sprachenproblem

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Vorliegen eines solchen Begehrens konnten auch Kinder, die eine deutsche Schule erfolgreich besuchten, in die Berechnung für die Errichtung einer tschechischen Schule einbezogen werden.701 Von deutschböhmischer Seite wurden immer wieder die Gegenargumente vorgebracht, dass es unzumutbar sei, für „Nichtsteuerzahler“ und für Kinder von Arbeitern, Tagelöhnern und Dienern eine Schule mit deren Muttersprache errichten zu müssen.702 Zudem wurde die Empörung geäußert, dass in einigen Städten in denen das „zu- und auswandernde Häuflein Tschechen“, welche zusammen an der Gesamtsteuer den allergeringsten Anteil hätten, teilweise gleich zwei Schulen errichtet wurden, „auf Kosten der Deutschen der Stadt“.703 Trotz der zunehmend nationalen Spannungen gab es vereinzelt auch einige deutschböhmische Eltern, die bereit waren, ihre Kinder in Schulen mit tschechischer Unterrichtssprache zu schicken. Im häufigsten Fall waren es Kinder aus Mischehen. Es gab aber auch Eltern, die ihre Kinder so lange in die tschechische Schule schickten, bis sie die zweite Landessprache erlernt hatten.704 Trotz der vielen negativen Auswirkungen des Reichsvolksschulgesetzes, führte es paradoxerweise zu einer höheren Schuldichte und damit auch zu einem höheren Bildungsniveau. Durch das Reichsvolksschulgesetz erfuhr der Unterrichtsstoff an den Volksschulen eine wesentliche Erweiterung. Zu den bisherigen Fächern (Lesen, Schreiben, Rechnen) traten jetzt die sogenannten „Realien“ dazu, die das für die Schüler Wissenswerteste aus Naturgeschichte, Naturlehre, Geographie und Geschichte mit besonderer Rücksichtnahme auf das Vaterland und dessen Vaterland, beinhalteten und damit dem nationalen Zeitgeist entsprachen.705 Das Gesetz bewirkte einen deut­ lichen Bildungsschub und hob das Bildungsgefälle zwischen einzelnen Landesteilen und zwischen den verschiedenen Kronländern der Monarchie auf.706 Letztlich führte es auch zu einem wachsenden Selbstbewusstsein der nichtdeutschen Nationalitäten und zu wachsenden Ansprüchen dieser an das 701  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 172. 702  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 102. 703  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 103; Allgemeines Verwaltungsarchiv: Bestand Verwaltungsgerichtshof, II   /   56 aus 1885. 704  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 103. 705  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 43. 706  Burger, Sprachenrecht und Sprachengerechtigkeit im österreichischen Unterrichtswesen 1867–1918, Wien 1995, S. 44.

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Bildungssystem. Bis auf kleinere Novellierungen blieb das Reichsvolksschulgesetz bis zum Ende der Monarchie unangetastet. In den allgemeinen tschechischen juristischen Zeitschriften Právník und Sborník věd právních a státních wurde das Unterrichtswesen nur am Rande behandelt. Erst in den spezialisierten Zeitschriften wie der verwaltungsrechtlichen Zeitschrift Samosprávný Obzor (1879) und später in der Správní Obzor (1909) erschienen ausführlichere Aufsätze. Die Samosprávný Obzor führte die Rubrik Školství (Schulwesen) ein, in der hauptsächlich Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs publiziert wurden, die aber mit dem Ausscheiden des Herausgebers Karel Čížek im Jahr 1889, eingestellt wurde. Die Správní Obzor hatte die Rubrik Školské a interkonfessijní záležitosti (Schulwesen und interkonfessionelle Angelegenheiten) – in einigen Heften unter dem Titel Správa kultová a školská (Kultur- und Schulverwaltung). Darin erschienen Aufsätze über Fragen zur Feststellung der Nationalität707 und über interkonfessionelle Themen, wie z. B. in den Aufsätzen: Kdo jest oprávněn vyučovati náboženství na soukromých školách obecných a středních (Wer ist berechtigt an den Privat-, Öffentlichen und Mittelschulen den Religionsunterricht zu erteilen)708 und Náboženské vyučování dětí bezkonfessních rodičů (Der Religionsunterricht bei Kindern konfessions­ loser Eltern)709.

Kapitel 3

Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts existierten juristische Zeitschriften nur für den deutschsprachigen Bereich. Der Zeitschriftenmarkt befand sich nach dem Oktoberdiplom und der damit bedingten Lockerung der Pressekontrolle, in einem Prozess des Aufschwungs und der fortschreitenden Differenzierung. Durch die stetig anwachsende Verankerung der tschechischen Sprache in die Verwaltung, Universitäten und Gerichte, wurde der Wunsch nach eigenen tschechischsprachigen Zeitschriften auf dem Gebiet des Rechts immer größer. Bei der Ausbildung der tschechischen juristischen Zeitschriften waren insbesondere rechtspolitische, sprachliche und struktu707  Wie der Aufsatz „Zjištování příslušnosti národnostní“ (Bestimmung der Angehörigkeit zu einer Nationalität). In: Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 251–252. 708  Správní Obzor, Bd. 2, 1910, S. 397–380. 709  Správní Obzor, Bd. 3, 1911, S. 33–34.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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relle Kriterien mitbestimmend. Dazu gehörte auch die fortschreitende Durchsetzung des Rechtsstaats in den staatlichen Institutionen und in der tschechischen Gesellschaft. Das Bürgertum verlangte nunmehr nach Berechenbarkeit und Transparenz staatlichen Handelns.710 Zusätzlich verstärkte der Durchbruch des mündlichen und öffentlichen Verfahrens, der endgültig mit der Strafprozessordnung von 1873 und der Zivilprozessordnung von 1895 gelang, den unmittelbaren Kontakt zwischen Bevölkerung und Gerichten.711 Auch die Publizität der Rechtsprechung trat immer mehr in den Vordergrund und führte beim allgemeinen Publikum zu einer größeren Akzeptanz der Justiz. Vor diesem Hintergrund entwickelten sich zur Verbreitung und Popularisierung des tschechischen Rechts in Böhmen die ersten tschechischen juristischen Zeitschriften. Sie bildeten ein Forum für die Erörterung und Klärung juristischer Probleme und Zusammenhänge und waren ein Spiegel ihrer Zeit.712 Daneben halfen sie bei der Durchsetzung von Gesetzen und trugen zur Professionalisierung der Verwaltung bei. Sicherlich hing die Herausbildung der ersten tschechischen juristischen Zeitschriften auch von individuellen Faktoren, wie der Anwesenheit engagierter Herausgeber und Verleger zusammen, die größtenteils zu der „Funktionselite“ des tschechischen Rechts gehörten. Vor allem die tschechischen juristischen Zeitschriften, die überwiegend nur geringe Auflagen hatten und deren räumliche Verbreitung sich auf das tschechischsprachige Gebiet beschränkte, waren Produkte von Autoren und Verlegern, die hauptberuflich Professoren, Advokaten, Staatsanwälte und Gerichtssekretäre waren und damit die neue juristische Gesellschaft in Böhmen widerspiegelten. Sie erblickten insbesondere in den Zeitschriften das wichtigste Sprachrohr, um ihre Ideen zu verbreiten sowie literarische und wissenschaftliche Kämpfe auf dem Gebiet des Rechts austragen zu können. Zu den bekanntesten tschechischen juristischen Zeitschriften, die vor 1918 herausgegeben wurden, zählten der Právník (1861 bis heute)713, die Samosprávný Obzor (1879–1908)714, die Sborník věd právních a státních (1901–1948)715 und die Správní Obzor (1909–1919)716. 710  Carsten Doerfert, Die Zeitschriften des öffentlichen Rechts 1848–1933. In: Juristische Zeitschriften. Die neuen Medien des 18.–20.  Jahrhunderts, hg. von Michael Stolleis, Frankfurt 1999, S. 421. 711  Stourzh, Die Gleichberechtigung der Nationalitäten in der Verfassung und Verwaltung Österreichs 1848–1918, Wien 1985, S. 141. 712  Dietrich Alexander v. Klaeden, Die deutsche Politik im Spiegel der juristischen Fachpresse 1871–1932, Frankfurt 1995, S. 17. 713  Deutsche Übersetzung: Jurist. 714  Deutsche Übersetzung: Selbstverwaltungsrundschau. 715  Deutsche Übersetzung: Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft. 716  Deutsche Übersetzung: Verwaltungsrundschau.

150 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

A. Právník (1861–1862, 1864 bis heute) Die erste Ausgabe der juristischen Zeitschrift Právník erschien am 8. April 1861. Gründer der Zeitschrift waren Rudolf Thurn-Taxis, Karel Jaromír Erben und Jan Jeřábek. Der Právník war zwischen 1861 und 1879 die einzige tschechische juristische Zeitschrift und war somit der Erstling der tschechischen juristischen Fachliteratur. Im Jahr 1879 kam die Samosprávný Obzor dazu, die aber eine reine verwaltungsrechtliche Zeitschrift war. Als dritte tschechische juristische Zeitschrift erschien im Jahr 1901 die Zeitschrift Sborník věd právních a státních des Herausgebers Bohuš Rieger, die sich überwiegend mit rechtstheoretischen Fragen beschäftige. Der Právník war damit für einige Jahre das einzige Forum für tschechische Rechtsliteratur. Im Jahr 1864 wurde er das Organ der im selben Jahr gegründeten Právnícka Jednota (Juristische Vereinigung)717. Bis ins Jahr 1870 setzte sich die Jednota zum größten Teil aus den Beitragenden und Lesern der Zeitschrift Právník zusammen. Die Gründung der Zeitschrift fiel in eine Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche und Neuerungen, die sich auch im Programm der Zeitschrift widerspiegelten. Der Právník trat als Mitstreiter, Zeuge, Kommentator und Glossator der politischen und gesellschaftlichen Veränderungen der sechziger Jahre auf. Die Herausgabe der ersten Ausgabe wurde am 8. April 1861 in der politischen Zeitung Narodní Listy feierlich verkündet und zeigte, mit welcher Euphorie die tschechische Bevölkerung nationale Vorhaben, wie die Gründung einer eigenen tschechischen juristischen Zeitschrift, unterstützte. Auch die Herausgeber des Právník wurden von der positiven Aufnahme der Zeitschrift mitgerissen und entschlossen sich bereits im zweiten Band die Zeitschrift nicht wie anfänglich alle sieben Wochen erscheinen zu lassen, sondern nunmehr alle fünf Wochen. Folglich erschien die Zeitschrift mit 10 Heften pro Jahr.718 Die tschechische Öffentlichkeit erhielt durch den Právník eine weitere Tribüne im Kampf um ihre politischen Rechte in der österreichischen Monarchie. Nach Ablösung des Bachschen Absolutismus reaktivierte das tschechische Bürgertum ihre politischen Forderungen in allen Bereichen der Gesellschaft. Das Erscheinen der Zeitschrift war eine Spätfolge der Revolution von 1848, die die feudalen Verhältnisse beseitigte und die gesamte Struktur der tschechischen Gesellschaft veränderte. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens spiegelte der Právník den Aufschwung der politischen Bewegung wider, wobei die Zeitschrift das Produkt dieser politischen Gärung war.719 Aus dem Kreis der Mitarbeiter des Právník traten eine Reihe neuer Persönlichkeiten hervor, die 717  1.  Teil,

Kapitel  1, C.  I.  1. Bd. 1, 1861, S. 365. 719  Právník, Bd. 100, 1961, S. 356. 718  Právník,



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

151

zu den Vertretern einer neuen Juristenelite gehörten. Auf keinem anderen Gebiet der sechziger Jahre gab es so viele evidente praktische und aktuelle Fragen wie auf dem Gebiet des Rechts. Der Právník reflektierte die verschiedenen politischen Strömungen des Landes, die bestehende Kluft zwischen den dem Adel angehörigen Konservativen und den Liberalen, später zwischen den Alttschechen und den Jungtschechen. Gleichzeitig spiegelte die Zeitschrift die Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern des Naturrechts und der Historischen Rechtsschule wider. Dabei verschrieben sich die Konservativen der Rechtsgeschichte und die Liberalen dem Naturrecht, wobei beide Seiten zusammen Mitstreiter der tschechischen bürgerlichen Bewegung waren, die eine Ausweitung ihrer nationalen und selbständigen Rechte einforderten.720 In diesem Zusammenhang bekam jede politische Frage auch ihren rechtlichen Aspekt, der in der Zeitschrift aufgenommen wurde. Recht und Rechtstheorie lieferten dabei die Argumente für den Anspruch der politischen Rechte.721 Die Zeitschrift Právník besaß einen oppositionellen Charakter. Durch die politische Gesinnung ihrer Gründer geriet die Zeitschrift von Anfang an unter die Kontrolle der polizeilichen Behörden, was dazu führte, dass sie bereits nach nur zwei Bänden (1861   /   1862) eingestellt wurde und erst wieder im Jahre 1864 von den Redakteuren Škarda722 und Kučera723 neu herausgegeben wurde. Die ersten beiden Bände waren die vielseitigsten, gründlichsten, patriotischsten und „tschechischsten“ Ausgaben des Právník. Es zeigte sich, dass es den Herausgebern der ersten beiden Ausgaben um mehr ging, als um die bloße Herausgabe einer tschechischen juristischen Zeitschrift. Vielmehr hatte die Herausgabe überwiegend einen symbolischen und politischen Charakter. Die Zeitschrift war nicht nur eine „reine Rechtszeitschrift“ sondern auch eine Kulturzeitschrift auf dem Gebiet des Rechts. Programm und Inhalt der Zeitschrift zeigten eine Vereinigung von praktischem Recht, Rechtskultur und Rechtspersönlichkeiten. Der Právník konnte jeden interessieren, der für das Recht und die rechtliche Gestaltung der Demokratie aufgeschlossen war. Die Gründung der ersten tschechischen juristischen Zeitschrift ging von einer um Rudolf Thurn-Taxis versammelten Gruppe junger Juristen aus, die im Februar 1861 eine Petition an das Dekanat der Prager Juristischen Fakultät richteten, in der sie die Errichtung eines tschechischen juristischen Lehrstuhls an der Prager Universität forderten.724 Die Unterzeichner der 720  Právník,

Bd. 100, 1961, S. 353. Bd. 100, 1961, S. 353. 722  1.  Teil, Kapitel  3, A.  III. 723  1.  Teil, Kapitel  3, A.  III. 724  1.  Teil, Kapitel  1, C.  III. 721  Právník,

152 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

Petition waren allesamt bekannte Persönlichkeiten aus dem politischen und wissenschaftlichen Leben, darunter auch die beiden Herausgeber des Právník Thurn-Taxis und Jeřábek, die an zahlreichen politischen Aktionen beteiligt waren, was ihnen auch den Eintrag in den Polizeibericht des Jahres 1860 einbrachte.725 Weitere prominente Unterzeichner waren Rieger (Begründer der Zeitschrift Sborník věd právních a státních), Škarda (ab 1864 Redakteur des Právník), Randa und Čížek (Redakteur der Zeitschrift Samosprávný Obzor). Die Zeitschrift Právník sollte der alten und neuen Generation tschechischer Juristen als öffentliches Forum dienen. Die tschechische Rechtsterminologie befand sich in den sechziger Jahren zum größten Teil noch in den Kinderschuhen. In Anbetracht dessen waren die ersten Ausgaben des Právník sprachlich, grammatikalisch und orthographisch eine Meisterleistung ihrer Gründer. Bei der Untersuchung der Zeitschrift bemerkt man, wie sich die Qualität der Sprache im Laufe der Zeit verbesserte. In den ersten zehn Jahren ihres Bestehens wirkten die Formulierungen holprig und es macht Mühe, den Inhalt der Sätze überhaupt zu verstehen. Die angewendeten Rechtsbegriffe erscheinen oftmals „eingedeutscht“ und künstlich. Die Autoren versuchten ihren Lesern Hilfestellung zu geben, indem sie hinter schwierigen Rechtsbegriffen den deutschen Ausdruck in Klammern setzten.726 Gemeinsam mit Erben, der hauptsächlich für die sprachliche und grammatikalische Richtigkeit des Blattes verantwortlich war727, gelang es Thurn-Taxis, eine zeitgemäße tschechische Rechtsterminologie zu entwickeln, die sich die nachfolgenden tschechischen juristischen Zeitschriften zu Nutze machten. Die Gründer lösten damit ein neues Sprachbewusstsein der tschechischen Juristen aus. Die ersten zehn Bände zeigten den damaligen vorherrschenden Patriotismus der Tschechen. Sie waren durch eine überdimensionale Glorifizierung der tschechischen Geschichte und Kultur geprägt. So begann auch die erste Ausgabe mit einer Aufzählung tschechischer Rechtsliteratur und Rechtsgelehrten aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Die Herausgeber buhlten förmlich um Anerkennung ihres Projektes, mit dem sie der Welt beweisen wollten, dass das tschechische Recht schon immer existiert habe. Sie sahen sich dabei als Nachfolger der „Goldenen Zeit“. Es lässt sich nur schwer erahnen, wie die Arbeit unter den Redakteuren aufgeteilt war und wie sich der Anteil des jeweiligen Redakteurs auf den 725  Právník,

Bd. 100, 1961, S. 354, Fn. 11. der Begriff „přičítatelnost“ in Právník Bd. 2, 1862, S. 16, dahinter in Klammern die deutsche Übersetzung „Zurechnungsfähigkeit“. 727  Vladimír Zapletal, JUDr. Rudolf Kníže Thurn-Taxis. K. 100. výročí narození „Selského Knížete“ 1833 – 25. XI. – 1933 (JUDr. Rudolf Thurn-Taxis zum 100 jährigen Geburtstag des „Bauernfürsten“ Thurn-Taxis 1833 – 25. XI. – 1933), Brünn 1933, S. 24. 726  Z. B.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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Charakter der Zeitschrift auswirkte. Zumindest war Erben (Leiter des Prager Stadtarchivs) für den rechtshistorischen Teil verantwortlich, der besonders in der Anfangsphase der Zeitschrift den größten Platz einnahm. Wiederum bestimmten Thurn-Taxis und Jeřábek die politische und ideologische Linie des Blattes und standen somit für den Geist der Zeitschrift. Zumindest stammten die aus politischer Sicht interessantesten Aufsätze aus ihrer Feder. So ging Thurn-Taxis bereits in seinem ersten Aufsatz Právo přirozené a historické (Naturrecht und Historisches Recht)728 auf Konfrontationskurs mit der herrschenden Historischen Rechtsschule. Darin drückte er seinen Standpunkt zur Problematik der Orientierung des tschechischen politischen Lebens aus.729 Der Aufsatz hatte für die damalige Zeit ketzerische Tendenzen. Die Anhänger der Historischen Rechtsschule, bezeichnete er als „nepraktický archaelogy“ (unpraktische Archäologen) und als „řemeslnické rutinéry“ (handwerkliche Routiniere), was für politischen Zündstoff sorgte.730 Thurn-Taxis sah das Naturrecht als höchstes Prinzip des Lebens an. Daneben setzte er sich für die Ausweitung der Selbstverwaltung ein. Seiner Meinung nach, sei es ein großer Nachteil für das Land, wenn seine Einwohner von der Kanzel aus geführt würden, wie es bei unwissenden nicht erwachsenen Kindern der Fall sei.731 Er war gegen den Großgrundbesitz und befürwortete eine politische Kreisverwaltung. Beide Redakteure Thurn-Taxis und Jeřábek, unterstützten Riegers Ausarbeitung der Juni-Petition aus dem Jahr 1861732. Rieger war ein klarer Anhänger der Historischen Rechtsschule, vielleicht deswegen bemühten sich Thurn-Taxis und Jeřábek darum, eine vermittelnde Position zwischen dem Naturrecht und der Historischen Rechtsschule einzunehmen. In ihrer Einleitung versprachen sie, das Naturrecht wie auch das Historische Recht in ihr Programm aufzunehmen und auch Thurn-Taxis schrieb in seinem Aufsatz Právo přirozené a historické (s. o.), dass es für die Zukunft der Rechtswissenschaft besser wäre, wenn eine Gleichberechtigung zwischen dem Naturrecht und dem Historischen Recht hergestellt werden könnte.733 Die Versuche der Zeitschrift, eine Verzahnung beider Rechtslehren herzustellen, waren aber nicht überzeugend 728  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 18–23. Bd. 100, 1961, S. 354. 730  Právník, Bd. 1, 1861, S. 22. 731  Zdeněk Šikl „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“ (Aufgabe des Fürsten Rudolf Thurn-Taxis im nationalpolitischen Leben zu Beginn der sechziger Jahre des 19.  Jahrhunderts), Dissertation hinterlegt an der Historisch-Philosophischen Fakultät in Prag 1957, S. 59 (in Folge zit.: Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957). 732  1.  Teil, Kapitel  1, C.  III. 733  Právník, Bd. 1, 1861, S. 18. 729  Právník,

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und an mehreren Stellen wird deutlich, dass die Redakteure im Inneren Anhänger des Naturrechts waren, die sie als die „höhere Rechtsidee“ bezeichneten.734 Sie waren sich darüber einig, dass die schwachen Argumente der Historischen Rechtsschule nicht für die Bewältigung der politischen Probleme der sechziger Jahre ausreichend waren.735 Zudem konnte ihrer Ansicht nach der Fortschritt des rechtlichen Gedankenguts nur durch das Naturrecht erreicht werden.736 Die Redakteure, hierbei insbesondere ThurnTaxis, lehnten nicht nur die Historische Rechtsschule ab, sondern auch die Ausübung der Todesstrafe, wie die Aufsätze von Thurn-Taxis im ersten und zweiten Band: O způsobech trestu (Über die verschiedenen Arten der Bestrafung)737, Slovo o teorii polepšen“ (Ein Wort über die Theorien der Besserung)738, O trestní příčitatelnosti (Über die strafrechtliche Zurechnungs­ fähigkeit)739 und Soustavy fysiokratů a socialistů (Das System der Physiokraten und Sozialisten)740 deutlich machten. Thurn-Taxis bezeichnete die Todesstrafe als Überbleibsel einer vergangenen Rechtsvorstellung, die aus einer wahnhaften und unchristlichen Idee zur Abschreckung erwüchse und sich bis in die heutige Zeit gehalten hätte.741 Mit den neuen Ideen des Staats- und Strafrechts seien diese altertümlichen Vorstellungen nicht mehr zu vereinbaren. Die Anwendung der Todesstrafe sei ungerecht und würde dem Menschen im Namen des Gesetzes mehr wegnehmen, als ihm das Recht gewähre.742 Die Gerechtigkeit zeigte sich hier nicht als aufrechterhaltende und belebende Kraft, sondern als obstruktiv und vernichtend. Es wäre eine überaus schöne Vorstellung, wenn die gegenwärtige Landesvertretung im Landtag eine Berichtigung des Strafgesetzbuches vornehmen würde, um damit die Todesstrafe beseitigen zu können. Dies wäre vor der ganzen Welt ein Beweis dafür, dass in diesem Land noch Freiheit und Menschlichkeit vorherrschen.743 Bereits im Jahr 1863 stellten die Gründer des Právník, Rudolf ThurnTaxis, Erben und Jeřábek, die Herausgabe des Blattes ein. Die Ursache der vorzeitigen Einstellung waren administrative Schwierigkeiten, aber auch politische und finanzielle Gründe. Erschwerend wirkte sich aus, dass es den 734  Právník, 735  Právník, 736  Právník, 737  Právník, 738  Právník, 739  Právník, 740  Právník, 741  Právník, 742  Právník, 743  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 4. Bd. 100, 1961, S. 355; Právník, Bd. 1, 1861, S. 4. Bd. 1, 1861, S. 4. Bd. 1, 1861, S. 129–141. Bd. 2, 1862, S. 1–13. Bd. 2, 1862, S. 241–248. Bd. 2, 1862, S. 337–343. Bd. 1, 1861, S. 131. Bd. 1, 1861, S. 131. Bd. 1, 1861, S. 131.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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ersten Herausgebern des Právník nicht gelang, die verschiedenen politischen Strömungen der tschechischen Gesellschaft in der Zeitschrift zu vereinen. Die immer größer werdende Kluft zwischen den verschiedenen politischen Seiten führte zu unüberbrückbaren Differenzen, wobei der hauptsächliche Einstellungsgrund die politische Gesinnung ihres Herausgebers war. ThurnTaxis geriet als Initiator der Zeitschrift aufgrund seiner politischen Haltung vermehrt unter die Kontrolle der österreichischen Behörden. Immer häufiger legte er sich durch seine radikal-demokratischen Forderungen mit den staatlichen Einrichtungen an und verschreckte damit auch einige seiner Anhänger, die gem. § 305 des Strafgesetzes befürchteten, wegen Gutheißung ungesetzlicher Handlungen belangt zu werden.744 Die zunehmende Radikalisierung des linken tschechischen Flügels, dem auch Thurn-Taxis angehörte, wurde durch den polnischen Aufstand745 im Jahr 1863 verstärkt. Im selben Jahr wurde Thurn-Taxis wegen Verstoßes gegen § 305 des Strafgesetzes angeklagt und zur Zahlung von 50 Gulden, 14 Tage Gefängnisstrafe und zur Niederlegung seiner politischen Funktionen verurteilt.746 Seine Entlassung wurde zum nationalen Ereignis. Vor dem Gefängnis versammelten sich 2.000 Menschen und riefen im Chor „Sláva“ (Hoch). Um weiteren Sank­ tionen aus dem Weg zu gehen, verfasste er am 4. Mai 1864 ein Schreiben an den Kaiser, in dem er sich für seine politischen Fehltritte in tiefster Demut entschuldigte.747 Darüber hinaus geriet Thurn-Taxis durch seine finanzielle Unterstützung der polono-sowjetischen Sektion und der Radikaldemokraten in schwere Finanznot.748 Er musste seine Gutshöfe belasten und seinen Stadtpalast verkaufen. Im Jahr 1866 legte er Offenbarungseid ab. Hierzu findet sich in der polizeilichen Relation vom Januar 1866 folgender Vermerk: „Der Fürst ist in seinen Vermögensverhältnissen ganz zerrüttet; ver744  Právník,

Bd. 100, 1961, S. 356. Januaraufstand (1863   /   64) gegen die russische Teilungsmacht; näheres bei: Edward Walewander, Die österreichische Presse und der polnische Januaraufstand, Frankfurt 1991. 746  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 80–81. 747  „Eure K. K. apostolische Majestät! Allergnädigster Herr und Gebieter. Tief gebeugt in der Erkennung der verfehlten Bahn, auf die mich Jugend und Abgang der Erfahrung gebracht haben, fühl ich Reue und das dringendste Bedürfnis meine Zuflucht an den Stufen des Thrones meines allergnädigsten Kaisers ehrfurchtvoll zu machen; indem ich feierlich gelobe Euere Majestät treu und gehorsam zu bleiben. Immer dar will ich zugleich als Sprosse einer der treusten fürstlichen Familien eingedenkt meiner Ahnen ihrem Beispiele folgen und mich so standesgemäß beneigen. Diese feierlichen Versprechungen voraus geschickt bitte ich in tiefster Demuth ­Euere K. K. apostolische Majestät um allerhöchste Gnade und Verzeihung. Jung-Bunzlau am 4. Mai 1864.“ 748  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 191–193. 745  Sog.

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traulichen Mitteilungen zu Folge sollen sich seine Passive über eine Million belaufen“.749 Thurn-Taxis wurde zudem auch beschuldigt, zu anderen europäischen Revolutionären Kontakte zu pflegen. Dies wurde schließlich von den Medien zur „taxisova aféra“ (Taxis-Affäre) aufgebauscht.750 Schließlich musste er alle politischen Aktivitäten für die ultrademokratische Seite einstellen. Durch seinen Rückzug aus dem politischen Leben schwächte sich gleichzeitig die Kraft der Radikaldemokraten ab. Ein anderer Grund für die vorzeitige Einstellung des Právník war die starke wissenschaftliche Ausrichtung des Blattes, wodurch sich die Praktiker nicht genug angesprochen fühlten. Anderen Lesern wiederum ging die „Tschechisierung“ der Zeitschrift zu weit und sie befürchteten, als „ultratschechische Fanatiker“ abgestempelt zu werden.751 Die vielseitige und qualifizierte Vorarbeit ihrer Gründer ließ aber keinen anderen Schluss zu, als die Herausgabe der Zeitschrift fortzusetzen. Als die Zeitschrift nach einjähriger Pause im Jahr 1864 wieder herausgegeben wurde, wurden entscheidende Veränderungen vorgenommen. Die Redaktion wurde ausgewechselt (Škarda, Kučera) und die Zeitschrift bekam eine neue politische Ausrichtung. Es wurden zwar die gleichen Ziele verfolgt, aber im Vergleich zu den ersten beiden Ausgaben nahm die Zeitschrift aus politischer Sicht eine gemäßigte Haltung ein. Dies hatte zur Folge, dass sich die Zeitschrift bei den wichtigsten politischen Fragen bedeckt hielt und die Einmischung in ideologische Themen vermied.752 Trotz der politischen Mäßigung stand der Právník aber deutlich zu den Positionen der Jungtschechen. Gleichzeitig distanzierte sich die Zeitschrift von den Diskussionen über die Historische Rechtschule und das Naturrecht, die in den ersten beiden Ausgaben einen großen Platz einnahmen. Die neue Redaktion bekannte sich aber im Gegensatz zu den Gründern der Zeitschrift einseitig zur Historischen Rechtsschule.753 Für die Redakteure war es ein schwieriger Balanceakt, ihre politischen Ansichten in „linientreue“ Worte zu formulieren, um eine erneute vorzeitige Einstellung zu umgehen und dies insbesondere in einer Zeit, in der sich das politische Umfeld der Zeitschrift deutlich verschärfte. Die Redakteure trennten sich von allen politischen Verbindungen zu radikalen Strömungen, was sich auch an der Wahl des Verlages bemerkbar machte. So wurden die ersten beiden Bände des Právník noch vom Verlag Antonín Renn herausgegeben, der auch andere radikal-demokratische 749  SÚA

PMT T-14, č. j. 31   /   1865 (Diss. S. 192). „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 194. 751  Sborník věd právních a státních, 1910–11, S. 353. 752  Právník, Bd. 100, 1961, S. 356. 753  Právník, Bd. 100, 1961, S. 356. 750  Šikl,



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Blätter verlegte. Der neue gemäßigte Právník des Jahres 1864 wurde dagegen vom jungtschechischen Verlag unter der Leitung von Julius und Eduard Grégr herausgegeben, die zudem auch die politische Zeitung Národní Listy herausgaben.754 Damit verabschiedete sich der Právník von seinem ursprünglich gefassten Ziel, auf radikaler Ebene ein Ratgeber zur Lösung aller politischen, nationalen und sozialen Fragen zu sein, wie ihn eigentlich die ersten Herausgeber gerne gesehen hätten.755 Inhaltlich versuchte sich die Zeitschrift auf die Bedürfnisse des national gesinnten Bürgertums einzurichten. Auch wenn die Redakteure der Zeitschrift vereinzelt konkrete politische Ziele verfolgten, ging ihr Engagement aufgrund der politischen Gegebenheiten nicht über gewisse Grenzen hinaus. Trotzdem gelang es den Redakteuren mit ihrer Zeitschrift, neue Tendenzen in die tschechische nationale ­Politik einzubringen. Im wissenschaftlichen Bereich bildete der Právník ein wichtiges Bindeglied zwischen den tschechischen Professoren und den praktizierenden Juristen – die fast durchwegs ihre Schüler waren.756 Die Gründung der Zeitschrift war die Folge des wissenschaftlichen Aufschwungs der sechziger Jahre. Die tschechische Rechtswissenschaft und Rechtsliteratur befand sich noch in ihren Anfängen, da das gesamte Rechtsleben bis dahin deutsch geprägt war. Es war der Verdienst der Zeitschrift, dass die tschechische juristische Literatur neuen Antrieb bekam, bzw. sich überhaupt entfalten konnte. Im Právník fanden sich die wertvollsten Aufsätze der besten tschechischen Juristen, Forscher und Praktiker, die in Böhmen bis dato überhaupt vorhanden waren. Das Hauptanliegen der Zeitschrift war die Pflege und Förderung der tschechischen Sprache. Dabei setzte sie sich auch für die praktische Umsetzung der tschechischen Rechtssprache ein. Unterstützend erschienen hierzu in den ersten Ausgaben des Právník zahlreiche Musterformulare, Beispiele und Rechtsbegriffe, an denen sich Gerichte und Anwälte orientieren konnten. Neben der Förderung der tschechischen Rechtssprache sah die Zeitschrift ihr Anliegen in der Anerziehung tschechischer juristischer Schriftsteller. Zudem ermöglichte der Právník den zukünftigen Dozenten der Juristischen Fakultät ihre ersten literarischen Arbeiten zu veröffentlichen und stand im ständigen Kontakt zur tschechischen juristischen Fakultät. Seit 1872 saßen in seiner Redaktion ein bis zwei, teilweise auch mehrere Fakultätsmitglieder (Pražák, Hanel, Stupecký, Trakal, Herrmann-Otavský und 754  Právník,

Bd. 100, 1961, S. 356   /   357, Fn. 32. Bd. 100, 1961, S. 357. 756  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882, hg. von Ferdinand Seibt, München 1984, S. 79. 755  Právník,

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Hora).757 Der Právník avancierte dabei zum stetigen Vermittler aller Belange, die das Leben der juristischen Fakultät betrafen, dazu gehörten u. a. personelle Änderungen, Prüfungen, und die Zusammensetzung von Prüfungskommissionen.758 So wurde es auch zur Gewohnheit, dass der amtierende Direktor der juristischen Fakultät seine während der Inauguration gehaltene Vorlesung in der Zeitschrift publizierte.759 Während die Zeitschrift in der Anfangsphase Schwierigkeiten hatte, geeignete Fachaufsätze für ihr Programm zu finden, reichten 20 Jahre später die Rubriken nicht mehr aus, um die Fülle von Aufsätzen in der Zeitschrift unterzubringen.760 Ab 1919 wurde die Zeitschrift Právník mit Unterstützung der Česká Aka­ demie věd a umění, kurz ČAVU, (Tschechische Akademie der Wissenschaft und Kunst)761 herausgegeben.762 Die Mitarbeiter des Právník bildeten eine neue Generation tschechischer juristischer Schriftsteller, die wiederum später ihre eigenen juristischen Blätter gründeten und sich dabei am Právník orientierten. Dies löste eine Renaissance der tschechischen Rechtswissenschaft aus. Neue Rechtszweige formierten sich, die zur Folge hatten, dass eine Fülle neuer spezialisierter juristischer Fachzeitschriften und Standesblätter entstanden. I. Beweggründe der Herausgeber Das Herausgebervorwort des ersten Bandes mit der Überschrift Naše úloha (unsere Aufgabe), gibt Aufschluss über Hintergründe des Unternehmens: „Mit kaiserlichem Diplom vom 20. Oktober 1860 wird allen österreichischen Nationen die Gleichberechtigung garantiert. Die Behörden und Gerichte werden dadurch angehalten, bei allen mündlichen Verhandlungen und schriftlichen Verfahren eine verständliche Sprache zu gebrauchen. Richterliche Beschlüsse, behördliche Bescheide und Eintragungen in öffentliche Bücher sollen in der Sprache erfolgen, die von der jeweiligen Seite verlangt wird. In den tschechischen Gebieten selbstverständlich auch in tschechischer Sprache. Unsere Sprache verfügt diesbezüglich auch über das ‚Recht‘ und die entsprechende ‚Eignung‘. Das ‚Recht‘ aus dem Grunde, weil annähernd sechs Millionen Tschechen sich ihrer bedienen und die ‚Eignung‘, weil unsere Landessprache bereits alle höheren und niedrigen Behörden sowie auch alle Gerichte und die Gesetzgebung durchdrungen hat. Umso weniger 757  Sborník

věd právních a státních, 1910–11, S. 354. věd právních a státních, 1910–11, S. 354. 759  Sborník věd právních a státních, 1910–11, S. 354. 760  Právník, Bd. 50, 1911, S. 213. 761  1.  Teil, Kapitel  1, B.  I. 762  Právník, Bd. 130, 1991, S. 865. 758  Sborník



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kann darüber gezweifelt werden, dass die tschechische Sprache am Gericht und in den Behörden ihre Legitimität erhalten muss. Gerichte, Behörden, Anwälte und Notare sollen nicht nur an ihre ‚allerheiligste‘ Pflicht erinnert werden, die tschechische Sprache anzuwenden, sondern auch daran, dass sie sie auch in tadelloser und fehlerfreier Weise beherrschen müssen. Dabei wird die Fehlerlosigkeit aber nicht nur durch grammatikalische Kenntnisse (wenn auch unvermeidbar) erzielt. Vielmehr besitzt die Rechtswissenschaft wie keine andere Wissenschaft ihre eigene technische Bedeutung und Umsetzung. Zur Aneignung des Rechts ist umso mehr die vollständige Kenntnis der rechtlichen Terminologie erforderlich, die sich jeder Jurist zueigen machen muss. Ferner wollen wir die Wiederbelebung der einstigen tschechischen Rechtswissenschaft feierlich begrüßen und ihr in unserer Zeitschrift einen Ehrenplatz einräumen, da sie lange Zeit in der tschechischen Literatur vernachlässigt und vermisst worden ist. Wir sind der Meinung, dass die Kultivierung der tschechischen Rechtswissenschaft, die sich erst in ihren Anfängen befindet, am ergiebigsten und am schnellsten mit der Herausgabe einer Zeitschrift zu bewältigen ist. Insbesondere die Rechtswissenschaft, die mit dem öffentlichen Leben am meisten verbunden ist, benötigt für ihre Entfaltung und Bedeutung ihr selbständiges Organ. Ein solches Organ soll unsere Zeitschrift Právník sein.“763 II. Biographien der Zeitschriftengründer Rudolf Thurn-Taxis, Jan Jeřábek, Karel Jaromír Erben Die verantwortlichen Herausgeber des ersten Bandes des Právník bildeten nach ihrer Wissenschaftshaltung und nationalem Engagement eine homogene Gruppe, die sich regelmäßig im Stadtpalast Thurn-Taxis traf, um die nächsten Ausgaben der Zeitschrift zu besprechen. Der Begründer der Zeitschrift Právník war der in Prag geborene Rudolf Thurn-Taxis (1833–1904). Die Familie Thurn und Taxis ließ sich im Jahr 1809 in Böhmen nieder und erbte den Besitz des Fürstenhauses Fürstenberg. Rudolf war der jüngste Sohn des human eingestellten Fürsten Karl Anselm von Thurn-Taxis. Rudolf wurde von dem tschechisch-national eingestellten Hauslehrer JUDr. Fr. Schneider erzogen, der ihn in die Nähe des tschechischen Nationalismus brachte. Bereits mit 11 Jahren starb sein Vater Karl Anselm und Rudolf erbte vier Gutshöfe und den Thurn-Taxis Palais in Prag (schuldenfrei).764 Er schrieb sich in der Juristischen Fakultät ein, nahm von Anfang an an allen nationalen Aktionen der Studentenschaft teil 763  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 1–6. „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 44. 764  Šikl,

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und fiel durch sein demonstrativ demokratisches Auftreten auf. Er gehörte einer Gruppe radikaldemokratischer Studenten an, die sich in Kneipen trafen, ihre Ideen austauschten und nationale Veranstaltungen organisierten. Durch sein rebellisches Wesen und seine attraktive Erscheinung wurde er zum Idol der tschechischen Studentenschaft.765 Im Jahr 1857 legte er seine Promotion ab und heiratete zwei Tage später Johanna (Jenny) Ständler.766 Thurn-Taxis wollte sich ursprünglich der Rechtslehre widmen und dachte dabei an eine Dozentur für Rechtsphilosophie und Strafrecht an der Prager Juristischen Fakultät. Er verwarf aber seinen Gedanken, als er heimlich erfuhr, dass der starre konservative Graf Leo Thun diesbezüglich vor anderen „to je marné“ (das ist umsonst) geäußert habe und dass man ihn niemals als Dozenten zulassen werde.767 Anlass für die Ablehnung war seine Dissertation O spůsobech trestů (Über die Arten der Bestrafung)768, in der er sich entschieden gegen die Todesstrafe ausgesprochen hatte: „Der Staat, der eine Todesstrafe benötigt, steht auf dünnen Beinen“. Neben der Todesstrafe lehnte er alle anderen körperlichen Strafen ab. Sein unerfüllter Traum einer Habilitation führte schließlich dazu, dass sich Thurn-Taxis in die Arbeit stürzte und den Aufbau der ersten tschechischen juristischen Zeitschrift vorantrieb. Thurn-Taxis trat immer als Tscheche, Demokrat und Radikaler auf. Soweit es möglich war, mied er die deutsche Sprache und verfasste seine Korrespondenz in tschechischer Sprache.769 Ebenso verzichtete er auf seinen Titel und den Gebrauch des fürstlichen Siegels. Auf seiner Visitenkarte stand lediglich „JUDr. Rudolf Taxis“.770 Thurn-Taxis mied den Kontakt zum Adel und suchte sich seine Freunde in den radikal demokratischen Kreisen (Václav Frič), aber auch aus der Bauernschaft und dem Handwerk.771 Von seiner Familie wurde er als „Schwarzes Schaf“ bezeichnet.772 Durch sein Treiben geriet er zunehmend unter ständige Beobachtung der Polizei. 765  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 39. 766  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 43. 767  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 44–45. 768  Die Arbeit erschien im ersten Band des Právník, 1861, S. 129–141. 769  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 39. 770  SÚA PM 1860–70. 771  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 39. 772  Šikl, „Úloha JUDr Rudolfa knížete Thurna-Taxise v  národním politickém životě na počatku sědesatých let 19. století“, Prag 1957, S. 43.



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Bereits vor der Konzeption der Zeitschrift Právník war er an zahlreichen Projekten beteiligt, die dem Aufbau eines tschechischen Nationalgefühls dienen sollten. Er sammelte Gelder für die Errichtung des tschechischen Nationaltheaters und war Mitglied des notorisch nationalen Akademischen Lese- und Redevereins, der 1848 von dem tschechischen Politiker Anton Springer ins Leben gerufen worden war.773 Er organisierte den tschechischen Ball für die Umělecká Beseda (Künstlerischer Verein), beteiligte sich am Aufbau des tschechischen Nationaltheaters und pflegte Kontakte zu tschechischen Künstlern, wie Bedřich (Friedrich) Smetana. In den 60er Jahren war sein Gutshof im Kreis Jungbunzlau und sein Prager Stadtpalast der Mittelpunkt des tschechischen öffentlichen Lebens. Zu seinem Kreis gehörten junge Radikale und Revolutionäre der 48er Jahre, darunter auch Karel Sabina, der später aus Geldnot einer der wertvollsten Spitzel der Wiener Polizei in böhmischen Dingen werden sollte.774 Als „Fürstlicher Demokrat“ spielte er eine bedeutende Rolle in der nationalen Politik. Im böhmischen Landtag optierte er für die „tschechische Sache“ und war im Gegensatz zu den anderen Mitstreitern völlig tschechisiert. Der radikale Fürst unterhielt enge Beziehungen zu der Jungtschechischen Partei, die sich zuvor von der Alttschechischen Partei Palackýs und Riegers abgelöst hatte. Es gelang ihm jedoch nicht, die Jungtschechen zu einem radikalen Kurs gegen die mit dem Adel und Klerus verbundenen Alttschechen zu bewegen. Legt man das 3-Phasen Modell von Miroslav Hroch775 zugrunde, dann war Thurn-Taxis ein Vertreter der dritten Generation, der die Tschechisierung – im Gegensatz zu seinen Vorgängern Palacký und Rieger – mit Nachdruck verfolgte. Im Jahre 1864 suchte er, vom finanziellen Ruin und vom Zugriff der politischen Polizei bedrängt, durch eine „politische Selbstoffenbarung“ gegenüber den Behörden das Schlimmste von sich abzuwenden und verlor dadurch mit einem Schlag seine Popularität.776 Danach zog er sich aus der aktiven Politik zurück, blieb aber einer der wichtigsten Drahtzieher in allen kulturellen Angelegenheiten Böhmens. Seinen größten Verdienst erlangte er mit der Gründung des Männergesangsvereins Hlahol (Der Schall), dessen erster Vorsitzender er war. Im Jahre 1880 wurde ihm von Professor Antonín Randa der Posten des Generalanwalts für die autonome türkische Provinz Východní Rumelie (Ostrumelien)777 am Obersten Gericht von Plovdive angetragen. Hier war er in erster und zweiter Instanz für alle strafrechtlichen Angelegenheiten zuständig. Am Anfang seiner Amtsführung in Rumelien 773  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, Bd. 45, Wien 1883, S. 91 f. 774  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 110. 775  1.  Teil, Kapitel  1, A. 776  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 111. 777  Südliche Bulgarien.

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hatte er einen schwierigen Stand, da er die dortige Amtssprache (Bulgarisch, Türkisch, Griechisch) nicht beherrschte. Neben seinen täglichen Verhandlungen am Obersten Gericht von Plovdive, arbeitete er an dem Entwurf einer neuen Strafprozessordnung für das östliche Rumelien. Diese trat am 20. Juni 1885 in Kraft und blieb bis zum gewaltsamen Umsturz im Herbst des Jahres 1885 in Geltung. Unter der neuen Regierung wurde er zum Prokurator am Appellationsgericht in Plovdive berufen. Hier hatte er genügend Zeit, um an seinen Aufsätzen zur allgemeinen Strafrechtstheorie in tschechischer Sprache zu arbeiten. Am Anfang der achtziger Jahre schrieb er verschiedene Aufsätze für die juristische Zeitschrift Zákonovědec (Rechtsgelehrter), die in Plovdive herausgegeben wurde.778 Bis zum Jahr 1888 blieb er als Prokurator am Appellationsgericht in Plovdive, bis ihn die zerrütteten Verhältnisse der Justizverwaltung zum Ausstieg aus dem bulgarischen Staatsdienst zwangen. Daraufhin kehrte er im Jahr 1892 nach Böhmen zurück und hoffte einen Teil seiner Güter zurückzubekommen. Dies war aber nicht möglich, da auf dem Anwesen eine Anleihe von 7 Millionen Mark lag. Daraufhin entschloss sich Rudolf Thurn-Taxis, auf seinen Namen zu verzichten und sich seine Apanage auszahlen zu lassen, was ihm und seiner Familie eine lebenslange Rente garantierte.779 Er nannte sich nunmehr Freiherr von Troskov. Der Name leitete sich von der tschechischen Burgruine Trosky ab, von der er schon in jungen Jahren schwärmte und die zuvor auch schon von den Romantikern mystifiziert wurde. Den Namen „Trosky“ (tschechisch: Ruinen) muss die Burg aber erst im Nachhinein durch den Volksmund erhalten haben. Seine fachliche Tätigkeit konzentrierte sich vor allem auf die Rechts­ theorie und das Strafrecht. In seiner Zeitschrift veröffentlichte er juridische, politische und nationalökonomische Artikel. In der ersten Ausgabe des Právník publizierte er die Aufsätze: Právo přirozené a historické (Das natürliche und historische Recht) und O spůsobech trestů (Über die Arten der Bestrafung). Daneben war er als Autor an der Schaffung der tschechischen Nationalenzyklopädie Slovníc naučný von Dr. František Ladislav Rieger beteiligt und schrieb für die ersten Ausgaben der politischen Zeitschrift Národní Listy Abhandlungen über das Verhältnis der Tschechen zum österreichischen und deutschen Reich.780 778  Navrátil, Art. „Rudolf Thurn-Taxis“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 459. 779  Zapletal, JUDr. Rudolf Kníže Thurn-Taxis k. 100. výročí narození „Selského Knížete“ 1833 – 25. XI. – 1933 (JUDr. Rudolf Fürst Thurn-Taxis zum 100 jährigen Geburtstag des „Bauernfürsten“ 1833 – 25. XI. – 1933), Brünn 1933, S. 71. 780  Navrátil, Art. „Rudolf Thurn-Taxis“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 458.



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Der zweite verantwortliche Herausgeber des Právník war der berühmte tschechische Schriftsteller, Dichter, Übersetzer, Archivar und Historiker Karel Jaromír Erben (1811–1870). Zunächst studierte er Philosophie, wechselte dann aber im Jahr 1833 zum Studium der Rechtswissenschaften in Prag.781 Nach seinem Abschluss kam er im Jahr 1837 als unbezahlter Praktikant zum Kriminalgericht nach Prag und trat 1839 beim Finanzamt eine Stelle als Konzipient an, erneut unentgeltlich.782 Die Kanzleiarbeit quälte ihn, und seine Tätigkeit als Konzipient empfand er als völlig nutzlos.783 Im Jahr 1843 trat er schließlich aus dem Staatsdienst aus und beschloss ein Leben als Wissenschaftler zu führen. Dabei hielt er sich durch eine bescheidene Unterstützung der Gesellschaft des Böhmischen Museums und mit privaten Klavierstunden über Wasser.784 Besonders half ihm dabei, dass er schon während seines Studiums durch einen glücklichen Zufall Palacký kennengelernt hatte. Dieser benötigte damals für die Abschrift des vierbändigen Werkes Historie církevní (Kirchengeschichte, um 1626) von Pavel Skála, einige Studenten. Jungmann empfahl ihm seinen ehemaligen Schüler Karel Havlík und dieser wiederum empfahl Erben.785 Beide Studenten hatten damit für mehrere Jahre ausreichend Arbeit und wurden für jede abgeschriebene Seite entlohnt. Im Laufe dieser Arbeit eignete sich Erben einen ausgezeichneten Sprachstil an und wurde zu einem der besten Kenner der tschechischen Sprache. Wegen existentieller finanzieller Schwierigkeiten, Erben hatte zwischenzeitig geheiratet, wendete er sich wiederholt an Palacký, der daraufhin ein gutes Wort für ihn bei den Mitgliedern des böhmischen Landesmuseums einlegte und Erben darauf hin bis ins Jahr 1848 eine Stelle als Mitarbeiter im Nationalmuseum in Prag erhielt.786 Er hatte dabei die Aufgabe, historisches Material in den ländlichen Archiven zu sammeln und zu katalogisieren. So bereiste er ganz Böhmen und lernte Land und Leute seiner Heimat kennen. Im Jahr 1848 bot ihm das Präsidium der Stadt Prag die Stelle als Redakteur der Regierungszeitung Pražské Noviny (Prager Zeitung) an.787 Er nahm an (1848   /   49), und übernahm die Übersetzungs­ arbeiten für die Zeitschrift, woraufhin er in die Wiener Kommission zur Ausarbeitung einer tschechischen Rechtsterminologie berufen wurde788. Zusammen mit einigen anderen Ratsmitgliedern beteiligte er sich an der 781  Antonín

Grund, Karel Jaromír Erben, Prag 1935, S. 17. Dolanský, Karel Jaromír Erben, Prag 1970, S. 50. 783  Aus einem Brief vom 20. Dezember 1843 an seinen Freund Zapov, abgedruckt in: Dolanský, Karel Jaromír Erben, Prag 1970, S. 50. 784  Dolanský, Karel Jaromír Erben, Prag 1970, S. 51. 785  Dolanský, Karel Jaromír Erben, Prag 1970, S. 51. 786  Dolanský, Karel Jaromír Erben, Prag 1970, S. 52   /   53. 787  Dolanský, Karel Jaromír Erben, Prag 1970, S. 95. 788  1.  Teil, Kapitel  1, B.  III. 782  Julius

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Übersetzung des allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches und wurde schließlich im Jahr 1850 zum Sekretär des böhmischen Landesmuseums, und ein Jahr später zum Archivar der Stadt Prag ernannt.789 Zu seinen bekanntesten Werken gehören seine Gedichtssammlung Kytize (Blumenstrauß, 1853, 1861) über alte böhmische Sagen und das fünfteilige, stark romantisch beeinflusste Werk Prostonárodní české písně a říkadla (Volkstümliche böhmische Lieder und Reime, 1864). Als Redakteur des Právník war er hauptsächlich für den historisch-literarischen Teil zuständig. Er versammelte eine Reihe anderer Historiker, darunter Vocel, Hermenegild und Rybička, sowie einige erfahrene Praktiker aus seiner Studienzeit (Antonín Schroll) um sich, die er als Mitarbeiter für den Právník gewinnen konnte.790 Als dann allmählich die ganze Redaktionsarbeit allein auf ihn entfiel, da Thurn-Taxis sehr stark in der Politik eingebunden war und Jeřábek in seiner Kanzlei mit Arbeit überhäuft wurde, fing ihn die ganze Arbeit an zu langweilen, so dass er schließlich seine Redaktionstätigkeit zwei Jahre später aufgab.791 Der dritte Mitbegründer der Zeitschrift Právník war der in Prag geborene Jan Jeřábek (1831–1894), der für den gerichtlichen und anwaltlichen Praxisteil der Zeitschrift verantwortlich war. Er studierte Rechtswissenschaften in Prag, wo er im Jahr 1858 promovierte. Im ersten Band des Právník erschien sein Aufsatz Několik slov o dosavadním vyrovnávání se dlužníků s věřiteli mimosoudním (Einige Worte zum außergerichtlichen Vergleich zwischen den Gläubigern). Neben der Zeitschrift Právník beteiligte er sich als Autor für die Zeitschriften Boleslavana, Obecný listy (Allgemeine Zeitung), Pokrok (Fortschritt) und die Národní Listy. Zudem war er als Mitarbeiter am Konversationslexikon Slovník naučný von František Ladislav Rieger beteiligt. Neben seiner publizistischen und politischen Tätigkeit als Reichsratsabgeordneter war er Direktor der Slavia Bank, Intendant des böhmischen Nationaltheaters und Vorsitzender der Einheit zur Förderung der tschechischen Wissenschaft.792 III. Redakteure und Autoren ab 1864 Nach der vorzeitigen Einstellung des Právník nach nur zwei Bänden kam es im Jahr 1864 zu einer Neuauflage der Zeitschrift. Die neuen He­ rausgeber Jakub Škarda und Jan Kučera gaben der Zeitschrift ein neues 789  Navrátil, Art. „Karel Jaromír Erben“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 93. 790  Grund, Karel Jaromír Erben, Prag 1935, S. 128. 791  Grund, Karel Jaromír Erben, Prag 1935, S. 128. 792  Navrátil, Art. „Jan Jeřábek,“. In: Almanach československyých právníků, Prag 1930, S. 177.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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gemäßigtes Konzept, um nicht wieder mit den Behörden in Konflikt zu geraten. Škarda (1828–1894), der das Blatt bis 1871 leitete, war Anhänger der 48er Revolution und beschäftigte sich seit seiner Jugend mit dem Nationalitätenkampf. Seine juristische Laufbahn begann er als einer der besten Anwälte Prags.793 Im Jahre 1861 wurde er zum Abgeordneten gewählt, diese Stelle behielt er bis zu seinem Tod (1894). Als Abgeordneter war er für national-politische Fragen zuständig, insbesondere auf dem Gebiet des Sprachenrechts.794 Hier setzte er sich für die Gleichstellung des tschechischen und deutschen Rechts auf verfassungsrechtlicher Ebene ein.795 Neben seiner Arbeit796 für den Právník, schrieb er auch Aufsätze für die Národní Listy (Volksblatt) und in die Politik. Seine Liebe galt dem Nationaltheater, dessen Intendant er von 1878–1886 war. Er war ein guter Freund Bedřich Smetanas und übernahm für die Aufführung der „Verkauften Braut“ sämtliche Kosten für die Kostüme.797 Nach seinem Ausscheiden aus der Redaktion des Právník im Jahre 1871, trat im Jahr 1872 der berühmte tschechische Verfassungsrechtler Jiří Pražák (1846–1905) an seine Stelle und redigierte das Blatt bis 1897. Der Sohn eines Architekten habilitierte sich nach seinem Rechtsstudium (1863–1867) an der Prager Universität im Jahre 1875 mit seiner Arbeit über Das Recht der Enteignung in Österreich798. Am meisten lockten ihn die Gratwanderung an der Nahtstelle von privatem und öffentlichem Recht und das Zusammentreffen des materiellen Rechts mit dem Verfahrensrecht.799 Im Jahr 1879 wurde er zum außerordentlichen Professor für österreichisches Öffentliches Recht an der Prager Universität ernannt. Nach der Teilung der Universität im Jahre 1882 wechselte er zur tschechischen juristischen Fakultät über und wurde hier im Jahre 1884 zum ordentlichen Professor für Öffentliches Recht ernannt. In den Jahren 1889   /   90 und 1899   /   1900 war er Dekan der juristischen Fakultät und 1892   /   93 Rektor. 1895 wirkte er als Abgeordneter des böhmischen Landtages und von 1895–1901 als Beisitzer des Landesausschusses. Pražák wurde als einer der größten Kenner des Öffentlichen Rechts geschätzt. Auch über die Grenzen hinaus genoss er einen exzellen793  Navrátil, Art. „Jakub Škarda“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 439–440. 794  Navrátil, Art. „Jakub Škarda“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 439–440. 795  Navrátil, Art. „Jakub Škarda“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 439–440. 796  Eine Aufzählung seiner im Právník erschienenen Aufsätze findet sich in seinem Nachruf im Právník Bd. 34, 1895, S. 33  ff. 797  Navrátil, Art. „Jakub Škarda“. In: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 439–440. 798  Erschienen im Jahr 1877. 799  Bohemia, Bd. 14, 1973, S. 239.

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ten Ruf als juristischer Fachautor. Die Frage der Kompetenzabgrenzung zwischen Gerichten und den Verwaltungsbehörden, behandelte er in seiner zweibändigen, in tschechischer Sprache erschienenen Arbeit Spory o příslušnost mezi soudy a úřady správními800 (Kompetenzstreitigkeiten zwischen Gerichten und Verwaltungsbehörden). Daneben trug er zum Österreichischen Staatswörterbuch von Mischler und Ulbrich bei und schrieb zahlreiche Aufsätze für die tschechische juristische Zeitschrift Sborník věd právních a státních (1901) und für das Österreichische Verwaltungsarchiv (1905).801 Zu seinem Hauptwerk zählt das nur in tschechischer Sprache vorliegende vierbändige Rakouské právo ústavní (Österreichisches Ver­ fassungsrecht)802, dem dann eine umfangreiche Darstellung des österreichischen Verwaltungsrechts Rakouské právo veřejné (Österreichisches öffentliches Recht)803 folgte. Sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Verfassungsrecht an der tschechischen Universität, Jiří Hoetzel, bezeichnete Pražák einst als den konsequenten Vertreter der dogmatischen Richtung des Staatsrechts und hob dabei seinen „puritanischen Positivismus“ hervor.804 Pražák leugente die Existenz eines allgemeinen Staatsrechts, „welches es in Wirklichkeit nicht gibt und das als selbständige Lehre den letzten Überrest der längst verlassenen Naturrechtslehre darstellt.“805 Seine gesamte Rechts- und Staatsrechtsbibliothek vermachte er dem Seminar der Prager Juristischen Fakultät.806 An der Seite Pražáks wirkte von 1875 bis 1901 Josef Stupecký (1848–1907) als einer der führenden Mitherausgeber der Zeitschrift Právník, in der er ebenso wie in der juristischen Zeitschrift Sborník věd právních a státních, zahlreiche zivilrechtliche Aufätze veröffentlichte. Stupecký, der als Sohn eines Schuhmachers geboren war, war einer der bedeutendsten Zivilrechtler damaliger Zeit. Er gehörte zu den Schülern Antonín Randas, der in den 70er und 80er Jahren den juristischen Nachwuchs an der tschechischen Universität ausbildete. Als einflussreicher Funktionär der tschechischen juristischen Fakultät war er stark mit der Entwicklung der tschechischen Rechtskultur und Bildung verhaftet. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit wirkte er an zahlreichen Gesetzesvorla800  2.  Bd.

1883–1886. Art. „Jiří Pražák“. In: Almanach československyých právníků, Prag

801  Navrátil,

1930, S. 355. 802  Právník, Bd. 85, 1946, S. 193–196. 803  6.  Bd. 1895–1906. 804  Jiří Hoetzel: Jiří Pražák. In: Památník spolku českích právníků Všehrd (Gedenkbuch des Vereins tschechischer Juristen Všehrd), Prag 1918, S. 121–122. 805  Hoetzel: Jiří Pražák. In: Památník spolku českích právníků Všehrd, Prag 1918, S. 128. 806  Navrátil, Art. „Jiří Pražák“. In: Almanach československyých právníků, Prag 1930, S. 355.



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gen, Gutachten, Resolutionen und Petitionen mit.807 Im Jahre 1876 habilitierte er sich an der Prager Universität für österreichisches Zivilrecht. 1882 wurde er nach der Teilung der Universität im Jahre 1882 zum außerordentlichen und im Jahre 1889 zum ordentlichen Professor für Zivilrecht ernannt. Im Jahre 1889 und 1898 war er Dekan und im Jahre 1900 Rektor der tschechischen Fakultät. Zu seinen meist geschätzten Werken zählt das Versio in rem. Studie k §§ 1041–1044 obč. zák. herausgegeben im Jahre 1888 (Versio in rem. Studie zu §§ 1041–1044 des Bürgerlichen Gesetzbuches). Er stach besonders wegen seines breiten Wissens über alte tschechische Rechtsquellen hervor.808 Aus seinen detaillierten Archivstudien zum Bürgerlichen Gesetzbuch schöpfte er neue Erkenntnisse die er in seinem nächsten Werk O českých překladech pořízených v  souvislosti s  kodifikací rakouského práva civilního (Über tschechische Übersetzungen im Zusammenhang mit der Kodifikation des österreichischen Zivilrechts, 1903) verarbeitete.809 Besonders hervorzuheben ist sein Bemühen um die Schaffung einer korrekten tschechischen Rechtsterminologie, die sich nicht nur auf der theoretischen Ebene, sondern insbesondere auch in seinem pädagogischen Wirken zeigte.810 Sein Erfolg zeigte sich nicht nur auf dem Gebiet der Pädagogik und Wissenschaft, sondern auch auf dem Gebiet der Volkswirtschaft, wo er an die Tätigkeit seines Mentors Randa anschloss. Wertschätzung verdient auch sein Einsatz bei der Gründung der Gewerbebank in Prag.811 Nach dem Ausscheiden Stupeckýs aus der Redaktion des Právník übernahmen Karel Herrmann-Otavský, Josef Lukáš und Jan Heller die Leitung der Zeitschrift (1902–1906). Karel Hermann-Otavský (1866– 1939) – ebenfalls Zivilrechtler – war der erste Direktor der befreiten Karlsuniversität nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 und repräsentierte den neuen Staat auf zahlreichen internationalen Foren. Otavský beteiligte sich an zivilrechtlichen und handelsrechtlichen Initiativen, aus denen Verträge und Abkommen mit den europäischen Nachkriegsstaaten hervorgingen. Otavský studierte Rechtswissenschaften an der tschechischen Universität, an der er im Jahre 1889 „sub auspiciis imperatoris“ promovierte. Nach seinem Doktorat studierte er zwei Semester an der Ber807  Petra Skřejpková, Art. „Josef Stupecký“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 119. 808  Navrátil, Art. „Josef Stupecký“. In: Almanach československyých právníků, Prag 1930, S. 426–427. 809  Skřejpková, Art. „Josef Stupecký“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 119. 810  Skřejpková, Art. „Josef Stupecký“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 119. 811  Skřejpková, Art. „Josef Stupecký“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 120.

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liner Juristischen Fakultät. Hier besuchte er die Vorlesungen von Prof. Levin Goldschmidt, einer der führenden Wirtschaftsrechtler seiner Zeit, und arbeitete in dessen Seminaren.812 Ferner studierte er auch Rechtsphilosophie sowie vergleichende Rechtsgeschichte bei Prof. Joseph Kohler. Seine Habilitation (1892) war eine Weiterentwicklung von Randas Theorien zum Wertpapierwesen. Im Jahre 1897 wurde er zum außerordentlichen und im Jahre 1904 zum ordentlichen Professor für Zivilrecht ernannt. Otavský trat relativ spät in das akademische Leben ein. Erst im Jahr 1898 wurde er Vorsitzender der staatlichen Prüfungskommission an der Karlsuniversität. Daneben war er Prüfungskommissar bei den Prüfungen der Richteramtsanwärter.813 Das Dekanat übernahm er im Jahre 1904   /   5 und erneut im Jahre 1922   /   23. Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte er durch die Ernennung zum ersten Direktor der tschechoslowakischen Karlsuniversität im Gedenkwürdigen Jahr 1918. Während seines Dekanats setze er sich besonders für die Förderung von mittellosen Studenten ein und beteiligte sich am Ausbau der Juristischen Fakultät. Als Direktor pflegte er den Kontakt zum französischen und deutschen Universitätskreis. Sein Lehrbuch Směnečné právo (Wechselrecht), welches ursprünglich aus den Unterlagen seiner Vorlesungen entstand, diente nicht nur zum Studienzweck sondern hatte auch durch seine Kommentierungen einen entscheidenden Einfluss auf die Gerichtspraxis.814 Otavský zeichnete sich dadurch aus, dass er Neuerungen der Gesetzgebung sofort in seine Vorlesungen einbaute und großen Wert auf die Praktikabilität seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse legte.815 Das Verständnis seiner wissenschaftlichen Arbeit ergab sich aus seinem Verhältnis zu Antonín Randa816. In seinem Buch Všeobecný zákoník obchodní pozdější normy obchodního práva v  zemích historických von 1929 (Das allgemeine Handelsrecht und die späteren Normen des Handelrechts in den geschichtlichen Ländern), füllte er zwar das System seines großen Lehrers aus, hielt sich aber nicht vorbehaltlos an seine Theorien und wendete sich insbesondere in der Praxis von ihm ab.817 Die Gründung des neuen Staates eröffnete ihm ein großes Wirkungsfeld. Er repräsentierte den Staat auf interna812  Skřejpková, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Antalogie Prag 1993, S. 123. 813  Navrátil, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Almanach právníků, Prag 1930, S. 135. 814  Skřejpková, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Antalogie Prag 1993, S. 124. 815  Skřejpková, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Antalogie Prag 1993, S. 124. 816  1.  Teil, Kapitel  3, A.  III. 817  Skřejpková, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Antalogie Prag 1993, S. 124.

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Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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tionalen Konferenzen und Kongressen. Im Jahre 1920 vertrat er die ČSR in Paris bei den Verhandlungen der Konvention zum Anlass der Bearbeitung von Fragen über Eigentum, Recht und Belange der Angehörigen beider Staaten.818 Seine Interessengebiete waren weit gefächert, so vertrat er im Jahre 1928 die ČSR in Rom bei der juristischen Konferenz zur drahtlosen Telegraphie.819 Daneben setzte er sich für das tschechische Zeitschriftenwesen ein, indem er an den Vertragsverhandlungen des parlamentarischen Ausschusses zum Verlagswesen und Autorenrecht mitwirkte.820 Im Jahre 1933 vertrat er den tschechoslowakischen Staat als Richter beim Ständigen Internationalen Gerichthofs in Den Haag. Auch auf dem gesellschaftlichen Parkett machte er sich einen großen Namen. So übernahm er im Jahre 1922 den Vorsitz der Právnická Jednota. Darüber hinaus war er langjähriges Mitglied der tschechischen Association littéraire et artistique internationale in Paris.821 Beim ersten Kongress der tschechischen Juristen im Jahr 1904 trat er als Referent zu Fragen des Autorenrechts auf.822 Seine Aufsätze veröffentlichte er in zahleichen fachlichen, nationalen und internationalen Zeitschriften. Neben dem Právník u. a. in der juristischen Zeitschrift Sborník věd právních a státních (Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft), in der Obchodní listy (Handelszeitschrift), im Österrei­ chischen Patentblatt, in Grünhuts Zeitschrift sowie in der Allgemeinen ös­ terreichischen Gerichtszeitung. Daneben wirkte er auch am Österreichischen Staatswörterbuch von Mischler und Ulbrich, am tschechischen Wörterbuch zum öffentlichen Recht, am Publikationsorgan der tschechischen Akademie der Annales de droit comercial und dem Bulletin de droit tché­ coslovaque mit.823 Otavský schied 1906 aus der Redaktion des Právník aus. Zusammen mit Jan Heller leiteten sie das Blatt von 1902 bis 1906. Auch nach dem Ausscheiden Otavskýs, verblieb Heller noch bis der Redaktion des Právník. Heller studierte Rechtswissenschaften und arbeitete von 1878 bis 1900 als Anwalt in Königgrätz, bis er 1900 nach Prag übersiedelte. Für seinen Aufsatz Právní jednání 818  Navrátil, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Almanach právníků, Prag 1930, S. 134. 819  Navrátil, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Almanach právníků, Prag 1930, S. 134. 820  Navrátil, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Almanach právníků, Prag 1930, S. 134. 821  Skřejpková, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Antalogie Prag 1993, S. 125. 822  Navrátil, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Almanach právníků, Prag 1930, S. 135. 823  Navrátil, Art. „Karel Hermann-Otavský“. In: Almanach právníků, Prag 1930, S. 134.

1919 in in Prag im Jahr na oko

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(Juristisches Handeln im Blickpunkt) von 1874, erschienen im 14. Band (1875) des Právník, wurde er von der Právnická Jednota ausgezeichnet.824 Die Themen seiner Aufsätze waren breit gestreut, so schrieb er u. a. über die Grundlagen des Energierechts, über das österreichische Telefonrecht und über den Effekt großer Kodifikationen auf den Wissenschaftsbetrieb (Právník, 1902). Allein im Právník veröffentlichte er an die 30 Aufsätze. Daneben schrieb er für die Zeitschrift der Notare und die Gerichtshalle, hielt zahlreiche Vorträge in der Právnická Jednota und war Mitglied der Česká Akademie (Tschechischen Akademie).825 Von 1910 bis 1933 wurde der Prozess- und Verwaltungsrechtler Václav Hora (1873–1959) in die Redaktion des Právník aufgenommen. Hora trat an der tschechischen juristischen Fakultät die Nachfolge von Emil Ott an und gehörte zur zweiten Generation der tschechischen Rechtswissenschaftler.826 Seinen Doktortitel erlang er 1896 an der juristischen Fakultät in Prag. Bis zum Jahr 1911 trat er in den Gerichtsdienst. Im Jahr 1907 habilitierte er sich als Privatdozent für österreichisches Verwaltungsrecht und wurde an das Prager Oberlandesgericht versetzt. Im Jahr 1910 ernannte man ihn zum Richter am Kreisgericht.827 Im Jahr 1911 wurde er zum außerordentlichen Professor und im Jahr 1916 zum ordentlichen Professor der tschechischen Universität in Prag ernannt.828 Während seiner gerichtlichen Laufbahn und während seiner Tätigkeit an der juristischen Fakultät widmete er sich insbesondere dem Schutz und der Förderung der tschechischen Sprache.829 Hierbei setzte er sich u. a. für den Gebrauch der tschechischen Sprache in Behörden und am Gericht ein. In seinen Vorlesungen und Aufsätzen prangerte er die unrechtmäßige Unterdrückung der tschechischen Sprache an.830 Bis zur Schließung der Karls-Universität im November 1939, verblieb er an der tschechischen Universität. Nach der Befreiung nahm er seinen Dienst wieder auf und setzte seine Vorlesungen bis zum Jahr 1946 fort. Als Achtzigjähriger wurde er im Jahr 1952 als einer der ersten Juristen zum Ratsmitglied der Česká akade­ 824  Navrátil, Art. „Jan Heller“. In: Almanach československyých právníků, Prag 1930, S. 130. 825  Navrátil, Art. „Jan Heller“. In: Almanach československyých právníků, Prag 1930, S. 131. 826  Ladislav Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132. 827  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132. 828  Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Bd. 3, N–SCH, München 2000, S. 680. 829  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132. 830  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132.



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mie ernannt.831 Das wissenschaftliche Profil von Hora zeichnete sich durch sein langjähriges Interesse am inländischen und österreichischen Zivilprozessrecht aus.832 Seine Gelehrsamkeit nutzte er für seine Beratertätigkeiten im Rahmen der tschechisch-ungarischen Unifizierungsmaßnahmen des Ministeriums.833 Ohne Unterbrechung publizierte er in juristischen – wie auch in diversen anderen Zeitschriften – kleinere Aufsätze, Polemiken und Betrachtungen über theoretische, praktische und legislative Probleme.834 Allein 23 Jahre war er für den Právník tätig. Hier erschien u. a. sein Aufsatz O právní stránce jazykové otázky u soudu (Über die juristische Seite der Sprachenfrage bei Gericht, 1908). Daneben schrieb er Aufsätze für die Sborník věd právních a státních, war Mitarbeiter beim tschechischen Lexikon für öffentliches Recht und hielt regelmäßig Vorträge für die Právnická Jedno­ ta.835 Genauso wie bei Otavský ließen seine Arbeiten oftmals den Einfluss seines Lehrers Antonín Randa erkennen.836 Ab 1933 trat Jiří Hoetzel (1874–1961) der Redaktion des Právník bei. Hoetzel war seit 1916 Staats- und Verwaltungsrechtler an der Prager Universität. Er trat in die Fußstapfen seines Vorgängers Professor Jiří Pražák, dem Begründer des tschechischen Verwaltungsrechts, der zwischen 1872– 1897 Redakteur des Právník war. Hoetzel widmete Pražák eins seiner grundlegenden Werke Strany v rakouském řizení správním (Die Parteien im österreichischen Verwaltungsverfahren, 1911). Nach seinem Rechtsstudium an der Prager juristischen Fakultät wirkte er als Konzipient und später als Vizesekretär am tschechischen Landesverwaltungsausschuss. Von Anfang an zog es ihn aber in die Rechtswissenschaft. Seine erste große Studie Nauka o správních aktech (Die Lehre über Verwaltungsakte, 1907) zeigte bereits sein theoretisches Talent.837 Im Jahr 1908 habilitierte er sich, 1912 wurde er zum außerordentlichen und im September 1918 zum ordentlichen Professor für Verwaltungsrecht an der Prager juristischen Fakultät ernannt. Daneben war er Mitglied der staatlichen Prüfungskommission für Rechtsge831  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132. 832  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132. 833  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132; 2.  Teil, Kapitel  1, A.  IV. 834  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 132. 835  Navrátil, Art. „Václav Hora“. In: Almanach československyých právníků, Prag 1930, S. 144. 836  Soukup, Art. „Václav Hora“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 133. 837  Karolina Adamová, Art. „Jiří Hoetzel“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 223.

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schichte und Staatsrecht, von 1925–1926 Dekan der Prager Juristischen Universität und Mitglied der Česká Akademie pro vědy, slovesnost a umění ČAVU (Tschechische Akademie für Wissenschaft und Kunst) sowie Mitglied in internationalen wissenschaftlichen Gesellschaften. In den ersten Jahren der tschechoslowakischen Republik arbeitete er als Rechtsberater im Innenministerium, war Vorsitzender der Gesetzgebungskommission und beriet die Regierung in rechtlichen Fragen. Seinen Hauptverdienst erlangte er mit der Erarbeitung des Entwurfs der ersten tschechoslowakischen Verfassung (1920). Zu diesem Thema veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze im Právník und im Sborník věd právních a státních.838 Hoetzel schrieb eine Reihe exzellenter Arbeiten, wie z. B. sein Werk Záruky a exekuční prostředky v  rakouském právu správním (Die Garantien- und Exekutionsmittel im österreichischen Verwaltungsrecht, 1915), das mit dem Randa-Preis der Tschechischen Akademie für Wissenschaft prämiert wurde.839 Im Jahr 1924 veröffentlichte die Zeitschrift Všehrd seinen Aufsatz Soudní kontroly veřejné správy (Die gerichtlichen Kontrollen des Verwaltungsrechts) und im Jahr 1934 brachte er sein Lehrbuch Československé správní právo (Tschechoslowakisches Verwaltungsrecht) heraus.840 Hoetzels Arbeiten waren weitgehend auf der positivistischen Methode aufgebaut und ließen den großen Einfluss von Pražák und Otto Mayer erkennen.841 Mit dem Namen Hoetzel stand auch die juristische Zeitschrift Správní Obzor (Verwaltungsrundschau)842 in Verbindung, die im Jahr 1909 vom Klub der Konzeptbeamten der böhmischen Krone gegründet wurde. Daneben arbeitete er für das Österreichische Staatswörterbuch von Mischler und Ulbrich und war Mitredakteur am Slovník veřejného práva československého (Handbuch des tschechoslowakischen öffentlichen Rechts).843 Während seiner wissenschaftlichen und päd838  Ústavní listina Československé republiky (Die Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik). In: Sborník věd právních a státních, Bd. 20, 1920, S. 1–25; Meze nařizovací moci podle československé ústavní listiny (Die Schranken der Verfügungsgewalt nach der tschechoslowakischen Verfassungsurkunde), Právník, Bd. 62, 1923, S. 23–35; Příspěvky k výkladu ústavní listiny (Beiträge zur Herausgabe der tschechoslowakischen Verfassungsurkunde), Sborník věd právních a státních, Bd. 25, 1925, S. 134–147; Ku vzniku ústavní listiny. Několik vzpomínek (Einige Erinnerungen zur Entstehung der Verfassungsurkunde), Právník, Bd. 67, 1928, S. 558–563. 839  Adamová, Art. „Jiří Hoetzel“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 223. 840  Adamová, Art. „Jiří Hoetzel“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 223. 841  Adamová, Art. „Jiří Hoetzel“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 223. 842  1.  Teil, Kapitel  3, D. 843  Adamová, Art. „Jiří Hoetzel“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 223.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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agogischen Arbeit galt sein Interesse hauptsächlich dem Prozessrecht, was ihm einen Ruf als Gestalter des modernen Verwaltungsverfahrens einbrachte. Nach 1945 hatte er nicht mehr die Gelegenheit, in den Wissenschaftsbetrieb wesentlich einzugreifen. Jedoch blieben die Ergebnisse seiner langjährigen wissenschaftlichen Arbeit, die sich zumeist aus seiner präzisen Kenntnis über die Grundzüge des nationalen öffentlichen Rechts ergaben, stets im Bewusstsein der tschechischen Rechtskultur verankert.844 Hoetzel beschrieb einst in seinem Aufsatz Ku vzniku ústavní listiny (Zur Entstehung der Verfassungsurkunde) im Právník (1928) sein Mitwirken am tschechischen Verfassungsentwurf als „štěstí svého života“ (Glück seines Lebens). Dazu erklärte er, dass er es nicht bedauere, dass ihn die Arbeiten zum Entwurf aus seiner akademischen Berufung herausgerissen hätten. Und er wisse auch, dass er von der Kritik verschont geblieben wäre, wenn er weiter auf dem ruhigen Boden der Akademie geblieben wäre.845 Die Autoren der ersten Ausgabe des Právník bildeten einen Querschnitt durch die tschechische juristische Gesellschaft des Jahres 1861. Sie waren Wissenschaftler und Praktiker, die in ihrem Bereich eine besondere Kompetenz und Reputation besaßen. Für die erste Ausgabe des Právník konnten 25 Beitragende gewonnen werden, davon in erster Linie Professoren (5) und Richter (6). Auffallend ist, dass von den fünfundzwanzig Mitwirkenden des ersten Bandes, nur ein einziger hauptberuflich als Anwalt (Jakub Škarda) tätig war. Die anderen Berufsgruppen verteilten sich auf Staatsanwälte, Lehrer, Archivare, Gerichtssekretäre, Adjunkten und Verwaltungsbeamte.846 Für die Herausgabe der juristischen Zeitschriften war es zudem wichtig, prominente Autoren zu gewinnen, die über ein unabhängiges Urteilsvermögen verfügten, und mit deren Namen geworben werden konnte. Einer der prominentesten Autoren der Zeitschrift Právník war Antonín Randa (1834–1914). Randa galt als einer der bedeutendsten tschechischen Rechtswissenschaftler des 19.  Jahrhunderts, der für einige Jahrzehnte die Weiterentwicklung der tschechischen und österreichischen Zivilistik beeinflusste.847 Besonders in der ersten Phase der Zeitschrift demonstrierte Randa sein vielseitiges Können. Seine Vorliebe galt insbesondere der slawischen Rechtsgeschichte und der Volkswirtschaftslehre. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften in Prag, München und Paris habilitierte er sich 1860 844  Adamová, Art. „Jiří Hoetzel“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 224. 845  Právník, Bd. 67, 1928, S. 558. 846  Právník, Bd. 1, 1861, „Obsah“ (Inhaltsverzeichnis). 847  Petr Kreuz, Art. „Antonín Randa“. In: Juristen. Ein biographisches Lexikon von der Antike bis zum 20.  Jahrhundert, hg. von Michael Stolleis, München 1995, S. 511.

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für Österreichisches Zivilrecht mit der Abhandlung über Die Lehre von dem Besitze nach österreichischem Recht. Als im Jahr 1862 an der Prager Universität zwei tschechischsprachige Lehrstühle eingerichtet wurden, wurde Randa, nicht ohne Diskussionen, zum außerordentlichen Professor für Bürgerliches, Handels- und Wechselrecht ernannt. Die starren Verhältnisse des überwiegend deutschen Kollegiums führten dazu, dass Randa, der zum damaligen Zeitpunkt bereits ein über die Grenzen hinaus anerkannter Wissenschaftler war, nicht vom Professorenkollegium der Universität zum ordentlichen Professor vorgeschlagen wurde.848 Erst durch die Bemühungen des damaligen Dekans Habětínka wurde Randa schließlich im Jahr 1868 in der zweiten Runde (die erste kam „zufällig“ nicht zustande) zum ordentlichen Professor gewählt.849 Als man ihm im Jahr 1871 die Nachfolge von Joseph Unger an der Wiener Universität anbot, nachdem Unger im selben Jahr ins Ministerium eingetreten war, blieb er zur Freude seiner Hörer der Prager Universität treu.850 Randa wurde am 16. November 1876 mit dem kaiser­ lichen Orden der Eisernen Krone 3. Klasse ausgezeichnet.851 Im Jahr 1879 wurde er zum Mitglied in das Staatsgericht berufen, wechselte im Jahr 1881 in das Reichsgericht und wurde schließlich im selben Jahr zum Mitglied des Herrenhauses.852 Unmittelbar nach der Teilung der Prager Universität im Jahr 1882 trat Randa auf die neu gegründete tschechische Universität über, an der er ein Jahr darauf einstimmig zum Rektor gewählt wurde. Randa hatte großen Einfluss auf den Aufbau des tschechischen Juristenstandes. Er war Gründungsmitglied und erster Vorsitzender der Právnická Jednota (Juristischer Verein) und als solcher Herausgeber der Zeitschrift Právník, in der er zwischen 1861 und 1914 an die 70 Beiträge aus allen Rechtsgebieten publizierte und ihr damit auch ein internationales Ansehen verschaffte. Er ließ den „Randa Fond“ einrichten, der dazu diente mittellose Studenten zu unterstützen. Im Jahre 1908 wurde er zum Präsidenten der Königlichen Böhmischen Gesellschaft der Wissenschaften (ČAVU) berufen. In wissenschaftlicher Hinsicht kennzeichnete ihn der rechtsvergleichende Ansatz, der nach seinem Tode wieder in Vergessenheit geriet.853 848  Hanuš Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu. K čtyřicetiletému jubileu doktorskému (Über sein Leben und seine Auszeichnungen zum 40sten Jubiläum seines Doktorats), Prag 1898, S. 7 (in Folge zit.: Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898). 849  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 7. 850  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 7. 851  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 8. 852  Hans Hoyer, Art. „Antonín Randa“ 1834–1914. In: Juristen in Österreich 1200–1980, hg. von Wilhelm Brauneder, Wien 1987, S. 192 (in Folge zit.: Hoyer, Art. „Antonín Randa“ 1834–1914. In: Juristen in Österreich 1200–1980, Wien 1987). 853  Hoyer, Art. „Antonín Randa“ 1834–1914. In: Juristen in Österreich 1200– 1980, Wien 1987, S. 190.



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Zu seinen bekanntesten Werken zählen „Der Besitz nach österreichischem Rechte mit Berücksichtigung des gemeinen Rechtes, des preußischen, französischen und sächsischen Gesetzbuches“ (1865) und das Soukromé právo obchodní rakouské (Österreichisches Privathandelsrecht, 1875), durch das er Weltruhm erlangte. Seine heimischen und internationalen Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung und Lob, von deutscher Seite aus wurde er sogar als „druhý Savigny“ (zweiter Savigny) tituliert.854 Sein erstes tschechischsprachiges Werk erschien im Jahr 1871: Právo vlastnické dle rakous­ kého práva v pořádku systematickém (Das Eigentumsrecht nach österreichischem Recht systematisch geordnet).855 Durch seine systematische und monographische Arbeitsweise in den Aufsätzen Právo vlastnictví (Eigen­ tum)856 und Držba (Über den Besitzverlust)857 schaffte er einen neuen Zugang zur österreichischen Rechtsdogmatik.858 Randa war der Ansicht, dass die Rechtsdogmatik an die historische Entwicklung angelehnt sei und im organischen Zusammenhang mit den Rechtsinstituten des Privatrechts stehe, ohne dabei den praktischen Zweck aus den Augen zu lassen.859 Seine Werke basierten teilweise auf den Grundlagen alttschechischer Quellen.860 Einen Namen als Rechtshistoriker machte sich Randa durch sein Werk Přehled vzniku a vývinu desk čili knih veřejných, hlavně v  Čechách a na Moravě (Übersicht über die Entstehung und Entwicklung der Tafeln oder öffentlichen Bücher, insbesondere in Tschechien und Böhmen) aus dem Jahr 1870. In seinem Werk versuchte Randa zu beweisen, dass die ältesten und grundlegendsten öffentlichen Bücher der österreichischen Länder nicht auf deutschem Recht basierten, wie von den meisten österreichischen Schriftstellern (Nippel, Stubenrauch, Unger, Krainz) angenommen, sondern auf dem Fundament der alttschechischen Landestafeln, die schon in der „temná doba“ (dunkle Zeitalter) des Mittelalters existierten, aufgebaut waren.861 Hierbei war es kein Zufall, dass gerade diese grundbuchhistorische Arbeit die erste Nutzanwendung seiner historisch-genetischen Methode war.862 Sein Aufsatz Die rechtliche Behandlung des Grundwassers in den neuen Landeswasser­ rechtsvorlagen (1914) stellte ein Musterbeispiel interner Rechtsvergleichung

854  Dvořak,

Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 9–10. Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 11. 856  Právník, Bd. 10, 1871, S. 37, 73, 145, 325, 361. 857  Právník, Bd. 20, 1881, S. 505, 541. 858  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 11. 859  Právník, Bd. 28, 1889, S. 826. 860  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 11. 861  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 13. 862  Hans Hoyer, Art. „Antonín Randa“. In: Juristen in Österreich 1200–1980, Wien 1987, S. 191. 855  Dvořak,

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dar.863 Seine durch ihn begründete historisch-genetische Rechtsmethode versuchte er auch an den juristischen Nachwuchs weiterzugeben, in dem er sich dafür einsetzte, dass die Prager Habilitanden mehrjährige Auslandsstudien unternahmen.864 Er war Mitarbeiter der berühmten tschechischen Wörterbücher Riegrův slovník (Riegers Lexikon, 1859–1874) und Ottův slovník naučný (Ottos Konversationslexikon, 1888–1909). Neben der Zeitschrift Právník publizierte er regelmäßig Beiträge in den Zeitschriften Grünhuts Zeitschrift für Privat und öffentliches Recht, Kritische Vierteljahresschrift, Österreichische Vierteljahresschrift und Siebenhaars Archiv für Wechsel­ recht und Handelsrecht in Leipzig.865 Seine Werke erhoben ihn zu einem der führenden europäischen Rechtsgelehrten. Mit den bekanntesten europäi­ schen Juristen pflegte er regelmäßige Korrespondenz, darunter Persönlichkeiten wie dem damaligen Präsidenten des Reichsgerichts Josef Unger, mit dem er auch freundschaftlich verbunden war. Er war an der Vorlage zahlreicher mitteleuropäischer Gesetze und Gutachten beteiligt, darunter auch am schweizerischen Zivilgesetzbuch.866 Zudem war er Verfasser des Gesetzesentwurfes zum Internationalen Privatrecht, auf dessen Fundament angesehene europäische Wissenschaftler (Gustav Walker) aufbauen konnten. Er war Anhänger der systematischen Rechtsauslegung und zog damit viele damalige tschechische Rechtsgelehrte in seinen Bann.867 Er war der Lehrer einer ganzen Generation tschechischer Juristen. Neben Grünwald und Frič gelang es ihm, die Schwierigkeiten der tschechischen Rechtsterminologie zu überwinden und die Sprache an der Juristischen Fakultät salonfähig zu machen. Zu Anfang musste er sich die Kenntnis der tschechischen Sprache zunächst selbst durch das eifrige Studieren alter tschechischer Schriften aneignen. Grosses Ansehen genoss Randa als Mitglied des Herrenhauses, während dieser Zeit setzte er sich stets für die Belange seines Volkes ein. In den tschechischen Universitätsannalen wird er als der Schöpfer der tschechischen juristischen Fakultät genannt. Randa war es, der sich am eifrigsten für die Verabschiedung eines Gesetztes zur Errichtung einer eigenen Fakultät bemühte. In dem Zusammenhang hielt er kurz vor der Teilung der Universität (1882), eine seiner bekanntesten Reden im Herrenhaus868, worin er sich an die deutschen Gesandten wendete, die sich zusammen mit dem akademischen Senat (überwiegend mit deutscher Besetzung) gegen die Er863  Hans Hoyer, Art. „Antonín Randa“. In: Juristen in Österreich 1200–1980, Wien 1987, S. 191. 864  Hans Hoyer, Art. „Antonín Randa“. In: Juristen in Österreich 1200–1980, Wien 1987, S. 191. 865  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 14–15. 866  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 16. 867  Dvořak, Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 16. 868  Abgedruckt im Právník, Bd. 21, 1882, S. 135, 169, 202.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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richtung einer eigenen Fakultät stellten. Für Randa bedeutete die Errichtung einer eigenen tschechischen juristischen Fakultät den Sieg für das tschechische Recht seiner Nation. Er beendete seine Rede mit den Worten, dass er nicht bestreite, dass die tschechische wissenschaftliche Literatur gravierende Lücken aufweise. Man möge ihr daher 30, 40 Jahre geben, damit die tschechische Literatur in der Reihe der wissenschaftlichen Literatur der kleineren Kulturstaaten seinen Platz finden könne. Dabei verstehe es sich von selbst, dass Professoren wie auch Hörer sich nicht nur auf die tschechische Literatur beschränken werden, sondern auch weiterhin die reichhaltige deutsche Literatur in Anspruch nehmen werden. Er könne nicht nachvollziehen, wie der vorherige Redner davon ausgehen könne, dass die tschechische Nation keinen Anspruch auf die Errichtung einer eigenen Universität habe, wenn doch kleinere Kulturländer wie Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen dieses Recht besäßen. Noch dazu habe er persönlich bisher von keinem anerkannten deutschen Wissenschaftler Bedenken gegen eine solche Errichtung vernehmen können, nur in den politischen Zeitungen habe er darüber gelesen. Durch die eindringliche Rede Randas wurde schließlich der Gesetzesentwurf zur Teilung der Universität angenommen und umgesetzt. Anerkennung erlangte Randa auch durch seine Mitwirkung an der Verabschiedung der neuen Zivilprozessordnung im Jahr 1895 (RGBl. Nr.  110–113).869 Zudem war er einer der Hauptinitiatoren und Fürsprecher für die Gründung einer mährischen Universität in Brünn. Insbesondere für die beiden Berufsstände der Richter und Advokaten war Randa stets ein eifriger Berater und Verteidiger. Zudem setzte er sich für den Erhalt der Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der österreichischen Gerichte ein. In dem Zusammenhang veröffentlichte er in den Jahren 1896   /   97 in diversen deutschen juristischen Zeitschriften einige kritische Aufsätze zum Gesetzentwurf über die Besetzung, innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte.870 IV. Ziel und Zweck Ziel und Zweck des Právník erschließen sich aus dem Vorwort zum vierten Band (1865): „Das gesetzte Ziel unserer Zeitschrift ist die Kultivierung aller Fachbereiche der Rechtswissenschaft, die Unterstützung der tschechischen Gerichtspraxis und insbesondere die Förderung der Amtsführung in tschechischer Sprache. Dabei soll zwischen den Juristen eine wissenschaftliche und juristische Bewegung ausgelöst werden und somit bewirken, dass der Beruf des Juristen nicht nur als bloßes Gewerbe zum Geldverdienen angesehen wird. Weiterhin werden wir uns dafür einsetzen, dass bei uns die 869  Dvořak, 870  Dvořak,

Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 21. Dr. Antonín Randa. O životě a jeho významu, Prag 1898, S. 23.

178 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

notwendige Korrektur des Gerichts-, Anwalts- und Notarwesens vollzogen wird, damit wir endlich eine mündliche Verhandlung mit unabhängigen Richtern erhalten, die nicht von der Gefälligkeit ihrer Vorgesetzten und ihrer materiellen Not abhängig sind. Dazu sollen die Gehälter der Richter erhöht und den derzeitigen Verhältnissen angepasst werden. Zudem werden wir auf die Mängel und Unzulänglichkeiten unserer Gerichtseinrichtungen aufmerksam machen. Diesbezüglich wollen wir insbesondere die Unsitten des Juristenstandes aufdecken, die die Entfaltung des Advokatenstandes behindern.“871 V. Programm Zum Programm des Právník heißt es im Herausgebervorwort des ersten Bandes (1861): „Mit unserer Zeitschrift wollen wir alle rechtswissenschaftlichen Gebiete behandeln, demnach im weitesten Sinne auch das Natürliche und Historische Recht. Daneben wollen wir uns mit dem inländischen und ausländischen Recht auseinandersetzen, wobei der Schwerpunkt unseres Unternehmens auf der tschechischen Rechtspraxis liegen soll, wodurch insbesondere die amtliche Ausübung der tschechischen Sprache gefördert werden soll. Zudem wollen wir unsere Leserschaft mit einer vereinfachten Methode zur Übersetzung deutscher Formulare vertraut machen, dies soll soweit möglich mit Hilfe der juristischen Terminologie und Phraseologie erzielt werden. Darüber hinaus werden wir uns den aktuellen Fragen ­widmen, insofern sie ein rechtliches Fachgebiet betreffen. Unser Blatt wird sich zudem mit den führenden Werken der rechtlichen Literatur auseinandersetzen, hierbei insbesondere mit den ausländischen und einheimischen Werken.“872 Das ursprünglich von Thurn-Taxis, Jeřabek und Erben konzipierte Programm des Blattes änderte sich, nachdem der Právník nach nur zwei Bänden vorübergehend eingestellt wurde und erst wieder im Jahr 1864 von einer neuen Redaktion mit Škarda und Kučera herausgegeben wurde. Die neuen Herausgeber des Blattes verlagerten ihren Schwerpunkt von der Rechtsdogmatik auf die Rechtspraxis. Damit wurde das weit gefächerte Programm der ersten beiden Ausgaben deutlich verkürzt. Rechtstheoretische Fragen wurden nur noch dann behandelt, soweit sich aus ihnen Erkenntnisse für das neue Recht ableiten ließen. Im ersten Teil erschienen allgemeine Aufsätze zur Rechts- und Staatswissenschaft. Im nächsten Teil wurden praktische Fälle aus dem Zivil- und Strafrecht behandelt sowie aktuelle rechtliche Fragen erörtert. Der letzte Abschnitt war den Neuigkeiten aus den Gerichten vorbehalten. Jedem Heft wurden Auszüge aus dem tschechischen Amtsan871  Právník, 872  Právník,

Bd. 4, 1865, S. 1–2. Bd. 1, 1861, S. 1–6.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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zeiger und der Wiener Zeitung beigefügt. Hieraus erhielt der Leser Informationen über die Gründung neuer Firmen, Konkursverfahren und über alle freien juristischen Stellen.873 Für die Herausgeber der Zeitschrift war es schwierig, den Balanceakt zwischen der Rechtsdogmatik und der Rechtspraxis erfolgreich umzusetzen. Nicht immer konnte die Zeitschrift den Wünschen gerecht werden. Als der Právník im Jahr 1877 einen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte des römisch-kanonischen Prozesses in den böhmischen Ländern (von Emil Ott) publizierte, wurde die Zeitschrift mit einer Flut von Leserbriefen konfrontiert, in denen sich die Leser über die Publizierung solcher Arbeiten beschwerten, da sie nichts zur Rechtspraxis beitragen würden.874 Mit der Gründung der Právnická Jednota im Jahre 1864 stieg die Zeitschrift Právník zum Organ des Vereins auf. Aus diesem Anlass musste das Programm des Právník dem Konzept der Právnická Jednota angepasst werden. Da sich der Verein die Pflege der Rechts- und Staatswissenschaft zum Ziel gesetzt hatte, nahm die Zeitschrift ab 1865 vermehrt auch Aufsätze über die Staatswissenschaft in ihr Programm auf, um somit dem Charakter der Organisation gerecht zu werden.875 VI. Erwartungen der Hausgeber; Leserschaft und Abonnenten Welche hohen Erwartungen die Redaktion an die Zeitschrift Právník stellte, zeigte sich im Resümee Redakce k  čtenářstvu (Redaktion an den Leser)876 des ersten Bandes: „Mit diesem Band endet die erste Ausgabe des Právník. Wir unternahmen dies in einer Ära der „wissenschaftlichen Zeitschrift“, in der das nationale und literarische Leben enger als je zuvor mit der Politik verbunden ist. Zu diesem Anlass haben wir der Rechtswissenschaft in der tschechischen Literatur einen Ehrenplatz eingeräumt, mit der einzigen Hoffnung, dass die Rechtswissenschaft die Entfaltung der tschechischen Literatur weiter vorantreiben möge. Kaum hatten wir das Programm und die Richtung unserer Zeitschrift festgelegt, kündigte sich von allen Seiten rege Anteilnahme an. Anfänglich wurden wir durch das tschechische, mährische und schlesische Beamtentum unterstützt, das zweifellos neben den Anwälten und Notaren den Kern unserer Gesellschaft bildet. Umso mehr sind wir von der Gleichgültigkeit unserer Rechtsstudenten berührt. Jeder Kritiker wird uns bestätigen können, dass hierzulande juristische Phraseologie und Terminologie lange Zeit vernachlässigt worden sind. Wir 873  Právník,

Bd. 3, 1864, věd právních 875  Právník, Bd. 4, 1865, 876  Právník, Bd. 1, 1861, 874  Sborník

S. 3   /   4. a státních, Bd. 38, 1942, S. 63. S. 1–2. S. 364–366.

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hoffen, dass wir dem historischen Andenken und der tschechischen Rechtsgeschichte genügend Platz in unserer Zeitschrift eingeräumt haben. Unser Hintergedanke war dabei die Entwicklung einer tschechischen Rechtsterminologie und ihre Anpassung an die derzeitigen Verhältnisse. Aus dem Grund haben wir uns zur Veranschaulichung mit den Werken unserer ‚alten‘ Rechtsgelehrten auseinandergesetzt und in unsere Artikel miteinbezogen. Dies gilt insbesondere für das wertvolle Unikum ‚Das Landesrecht der böhmischen Krone‘, das den Schlüssel zum alten böhmischen Recht bildet und von den einstigen Juristen in die Praxis umgesetzt wurde. Dies zeigt die Bedeutung dieser Schriften, die nicht nur der Ausbildung einer tschechischen Terminologie und Phraseologie dienen, sondern auch wertvolle Materialien zum historischen tschechischen Recht liefern. Wir konnten dem praktischen Recht anfänglich keinen großen Platz in unserer Zeitschrift einräumen, da wir zunächst nur solche Aufsätze in unser Programm aufgenommen haben, die hauptsächlich das ursprüngliche und alte tschechische Recht behandeln. Dieser Teil soll aber durch die wachsende Erfahrung unserer Mitarbeiter von Ausgabe zu Ausgabe erweitert werden. Mit Freude konnten wir beobachten, dass die beigefügten Formularvordrucke den Wünschen unserer Leser entsprochen haben. Darüber hinaus erhielten wir zur Unterstützung von einigen Rechtsanwaltskanzleien und Notariaten zahlreiche Vorlagen, Formulare und Gerichtserlässe. Wir hoffen, dass die Beteiligung unserer Leserschaft weiter ansteigen wird und sich alsbald mit den Zahlen der Abnehmer ähnlicher Unternehmen messen lassen kann. Die von Tag zu Tag wachsende Unterstützung des gelesenen juristischen Schrifttums, sind uns dafür Beweis genug. Wir bedanken uns auch herzlich bei unseren Mitarbeitern für ihre Unterstützung und Anteilnahme. Wir bitten sie inständig, dass sie uns weiterhin mit ihren wertvollen Kräften zur Verfügung stehen und dass sie sich nicht von der tschechischen Terminologie abschrecken lassen, die ihnen bisher viele Schwierigkeiten bereitet hat. Unsere Redaktion wird sich diesbezüglich ausführlich mit der sprachlichen Richtigkeit auseinandersetzen. Im nächsten Jahr können wir unseren Mitarbeitern für jeden eingegangenen Beitrag ein ordentliches Honorar zusichern.“877 Auch das Vorwort zum ersten Band gab Aufschluss über die hohen Erwartungen der Redaktion: „Die Gründung des Právník hat sich unter den bestehenden Umständen als schwierige Aufgabe erwiesen, somit erhoffen wir uns, dass dieses Unternehmen durch die vielseitige Unterstützung und die Beteiligung des juristischen Publikums gefördert wird, ohne das wir das angestrebte Ziel gewiss nicht erreichen können. Allerdings glauben wir fest an ein gutes Gelingen, da sich bereits bei der Bekanntmachung unserer Zeitschrift in den behördlichen Blättern, eine Vielzahl von staatlichen Mit877  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 364–366.



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arbeitern aus allen ‚Ecken und Enden‘ angekündigt haben.“878 Die Erfüllung ihrer Ziele erhoffte die Redaktion durch die gezielte Anbindung der Leserschaft zu erreichen: „Wir werden uns dabei bemühen, allen Wünschen und Erwartungen des juristischen Publikums gerecht zu werden. Wir sind uns darüber bewusst, dass die Verwirklichung unserer Ziele eine gewisse Zeit benötigen, auch wenn wir uns bemühen werden ihre Vollkommenheit zu erreichen“.879 Der Právník hatte am Ende des Jahres 1861 an die 700 Abnehmer, wie sich aus einem Briefwechsel zwischen dem Herausgeber Erben und Schroll ergab.880 Die politische Zeitung Národní Listy hatte vergleichsweise zur damaligen Zeit 4100 Abonnenten. Die Zahlen zeigen, dass sich der erste Band einer gewissen Popularität erfreute. Danach pendelten sich die Zahlen bis zum Jahr 1870 auf rund 330 Jahresabonnenten ein. Nach der Gründung der Tschechoslowakei schoss die Zahl der Abonnenten deutlich in die Höhe. Die Zeitschrift war das wichtigste Organ, um die Juristen über die neuen Staatsorgane, Gesetze und Verordnungen zu informieren. Die Abnehmerzahlen waren auch stark von äußeren Faktoren abhängig. Durch die Gründung neuer juristischer Zeitschriften, insbesondere der Fachzeitschriften, verteilten sich die Leser auf diverse andere Blätter. So beschwerte sich der Herausgeber Lukaš im Jahr 1923 über die schwindende Zahl der Abnehmer des Právník, insbesondere der Richter.881 So sank etwa zwischen 1921 und 1923 die Zahl der Abnehmer von 2000 auf 1900, was sicherlich damit zusammenhing, dass im Jahr 1920 die Richterzeitschrift Soudcovské Listy herausgegeben wurde. Bis zum Jahr 1929 stieg die Zahl der Abnehmer dann wieder auf 2000.882 In den ersten beiden Bänden des Právník waren die Abnehmer auf Rechtswissenschaftler und Praktiker gleichmäßig verteilt. Mit der Zunahme der praktischen Ausrichtung der Zeitschrift, schwanden die Zahlen der Rechtswissenschaftler. Die Publizierung rechtsphilosophischer und rechtshistorischer Aufsätze war mehr oder weniger eine Liebhaberei einzelner Redakteure und wurde nur von wenigen Lesern wahrgenommen. Ansonsten gab die Zeitschrift nur vereinzelt Auskunft über ihre Leserschaft. So erklärte die Redaktion im Jahr 1865: „Die Verhältnisse waren für uns nicht gerade günstig. Mitarbeiter und Abnehmer mussten gefunden werden, wobei die Abnehmerzahl eher spärlich ist.“883 „Durch die Senkung unserer Preise, hat 878  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 5. Bd. 1, 1861, S. 5. 880  Právník, Bd. 100, 1961, S. 355. 881  Všehrd, Bd. 5, 1924, S. 240. 882  Právník, Bd. 22, 1934, S. 690. 883  Právník, Bd. 4, 1865, S. 1. 879  Právník,

182 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

sich die Zeitschrift einen Zugang zu unseren angehenden Juristen verschaffen können, somit also zu den Mitgliedern der Juristischen Vereinigung Všehrd.884 VII. Fachgebiete und Aufsätze Die Zeitschrift Právník war eine Universalzeitschrift, die sich mit allen juristischen Fachgebieten und aktuellen Themen auseinandersetzte: 1. Rechtsphilosophie Die Zeitschrift entstand in einer Phase, in der der Sieg der Historischen Rechtsschule gegenüber dem Naturrecht bereits abgeschlossen war. Die Herausgeber der Zeitschrift versuchten aus diesem festgefahrenen Zustand auszubrechen, indem sie das Naturrecht wieder ins Gespräch brachten und den Vorstoß unternahmen, es zu rehabilitieren. Die verspäteten Anhänger des Naturrechts träumten von einem ewigen und unveränderlichen Naturrecht, dessen Lehren sie aus dem Historismus und der Philosophie Hegels zogen und es als regulatives Prinzip oder als Rechtsidee mit variablem Inhalt verstanden, darüber hinaus als vernünftig und realistisch.885 Dabei verstanden sie das geltende Recht als gleichberechtigtes, natürliches und verständliches Wissensgebiet.886 In dieser geistigen Atmosphäre entstand das Programm der ersten beiden Bände des Právník. Die stark naturrechtliche Orientierung der Zeitschrift, die überwiegend auf die schwärmerischen Ideen ihres Herausgeber Thurn-Taxis zurückzuführen sind, war nur von kurzer Dauer. Der schon oft zitierte Aufsatz von Taxis Právo pŕirozené a historické (Das Naturrecht und das Recht der historischen Rechtsschule), war letztendlich nur ein Schwanengesang auf die in seinen Augen „wahre Rechtsidee“. Der Autor beklagt das Nichtvorhandensein rechtsphilosophischer Arbeiten und bezeichnet dies als „smutný zjev“ (traurige Erscheinung). Die Redaktionsübernahme durch Škarda und Kučera im Jahr 1864 führte zu einer langen Stagnation der rechtsphilosophischen Beiträge. Bis auf ein paar Anläufe und Bemerkungen konnten die Autoren nicht mehr an die Überzeugungsversuche ihres Herausgebers Thurn-Taxis anschließen, wobei viele auch nicht den Mut dazu hatten oder in Trägheit verfielen. Die Abwendung von der Rechtsphilosophie lag aber nicht nur allein an der Redaktion der Zeitschrift, sondern entsprach auch dem damaligen Zeitgeist. Nach einer kurzen Phase, die von einer optimistischen Haltung gegenüber der Rechts884  Právník,

Bd. 10, 1871, S. 89. věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 90. 886  Sborník věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 90. 885  Sborník



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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philosophie geprägt war, folgte eine lange Periode der Gleichgültigkeit. Erst am Anfang des 20.  Jahrhunderts mehrten sich die Stimmen, die auf die Unzulänglichkeiten der Begriffsjurisprudenz aufmerksam machten. Ihre Skeptiker bemängelten insbesondere ihre Methoden, die dem Tempo der kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklung nicht mehr gerecht sei.887 Auslöser der Welle war der Aufsatz von Hermann Kantorowicz888 „Der Kampf um die Rechtswissenschaft“ (unter dem Pseudonym Gnaeus Flavius) aus dem Jahr 1906, der eine Hinwendung vom reinen Rechtspositivismus zur sozialen Wirklichkeit hin auslöste. Um Kantorowicz, einen der maßgeblichen Führer der Freirechtslehre, gruppierte sich eine Reihe Radikaler, die seine Ideen weiterentwickelten und überarbeiteten; teilweise mit eigenartigen Methoden, was schließlich dazu führte, dass sich die Bewegung in mehrere Fraktionen aufteilte, deren einzige Gemeinsamkeit die Ablehnung des Begriffs „Jurisprudenz“ war. Der Aufsatz von Kantorowicz fesselte auch die Aufmerksamkeit der tschechischen Juristen. In der Besprechung PseudoGnaeus Flavius a křísení přirozeného práva (Pseudo-Gnaeus Flavius und die Wiederbelebung des Naturrechts)889 von Jan Heller im Právník (1906), wurden die Ideen Kantorowicz zurückgewiesen, was in den tschechischen juristischen Kreisen zwar auf Zustimmung stieß, aber keine großen Diskussionen hervorrief. Erst nach zehn Jahren entbrannten wieder die Diskussionen um den Aufsatz von Kantorowicz, wenn auch in gemäßigter Weise. In dem Aufsatz Nauka o právních pramenach a novější spory o ní (Die neuen Diskussionen über die Lehre der alten Rechtsquellen)890 von Weyr im Právník (1913), lehnte dieser die Freirechtslehre ab, gleichzeitig gab er aber zu, dass sie zu einer Vertiefung der rechtlichen und methodologischen Wissenschaft geführt habe. In den übrigen Aufsätzen wurden Begriffe wie ­noethisch, philosophisch und methodologisch noch nicht einmal erwähnt. Erst ab dem 20. Jahrhundert begann die Rechtswissenschaft mit der Bereinigung der methodologischen Grundlagen der Wissenschaftsforschung. Was aber letztendlich, wenn auch verspätet, davon übrig blieb, war die Rückkehr zur Rechtsphilosophie. Diese neu erweckte Rechtsphilosophie war aber mit der alten nicht identisch, die durch die Begriffe Naturrecht und Vernunft geprägt war. Letztendlich führte die neue Ausrichtung zu einer Revision und zu einer kritischen Betrachtung der Rechtswissenschaft.891 Die Rechtsphiloso887  Sborník

věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 92. in: Karlheinz Muscheler, Relativismus und Freirecht ein Versuch über Hermann Kantorowicz, Heidelberg 1884; Monika Frommel, Hermann Ulrich Kantorowicz (1877–1940). Ein streitbarer Relativist. In: Streitbare Juristen: eine andere Tradition, Krit. Justiz (Hg.), Baden Baden 1988, S. 243  ff. 889  Právník, Bd. 45, 1907, S. 787, 823. 890  Právník, Bd. 52, 1913, S. 585. 891  Sborník věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 92. 888  Näheres

184 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

phie war fortan geprägt durch die Begriffe Erkenntnis (Noethik) und Methodologie.892 So wurde sie auch von den Normativisten aufgenommen, die aus ähnlichen Gründen wie ihre Vorgänger, gegen die herrschende Lehre antraten und gleichfalls die reformierten methodologischen Ziele betrachteten, dabei aber einen anderen Weg einschlugen. Ihr philosophisches Potential war aber weitaus differenzierter als das ihrer Vorgänger, ihre Ideen disziplinierter und formal präziser. Die Streitigkeiten zwischen der herrschenden Lehre und ihren Kritikern, wurden in zahlreichen Beiträgen über mehrere Jahre hinaus im Právník ausgetragen.893 Kernpunkt der Streitigkeiten war die Haltung der Normativisten gegenüber dem Dualismus zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht, der zu den wichtigsten Eckpfeilern der herrschenden Lehre zählte. Die Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Positionen wurden mehr oder weniger verdeckt als offen im Právník ausgetragen und verlagerten sich später in die Zeitschrift Sborník věd právních a státních. Die Diskussionen führten somit auch zu einer ideologischen Trennung der tschechischen juristischen Zeitschriften, wobei sich der Právník stets seine ursprüngliche Orientierung bewahrte. Auch wenn die rechtstheoretischen Aufsätze nur einen geringen Teil der Zeitschrift ausmachten und vorwiegend das praktische Recht dominierte, war der Právník ein empfindlicher Resonanzboden für die verschiedensten geistigen Strömungen der tschechischen Rechtswissenschaft. Bei der Betrachtung der rechtsphilosophischen Themen in den Bänden I, XI, XIV (Thurn-Taxis, Max Wellner), dann später in den Bänden LII (Weyr), LXXIV, LXXVI (Čermák) fällt auf, wie sich die Einstellungen der Autoren zur Rechtsdogmatik im Lauf der Zeit wandelten. Die Garde, die sich hauptsächlich an der historischen Rechtsschule orientierte, wurde schließlich von einer Gruppe abgelöst, die sich von den Theorien ihrer Vorgänger (Randa) abwendeten. Weyr, der seine Ideen fast ausschließlich dem Právník zur Verfügung stellte, übertrug sie später in die von ihm gegründete Brünner Zeitschrift Časopis pro právní a státní vědu (Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft, 1918–1948).894

892  Sborník

věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 94. in den folgenden Aufsätzen in Bd. 52, 1913: Hoetzels Rezension über Spiegels Gesetz und Recht (S. 691); Weyers Rezension über Kelsens Aufsatz Zur Lehre vom öffentlichen Rechtsgeschäft (S. 686); Hoetzel in Právo soukromé a právo veřejné (Privatrecht und Öffentliches Recht) (S. 725); Hoetzels Bemerkungen über die Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht in Bd. 53, 1914, S. 298. Weyers Anmerkungen über Otto Mayers správní akt (Verwaltungsakt) in Bd. 54, 1915, S. 785. Havelka über Weyers Právní řízení (Rechtsverfahren) in Bd. 68, 1929, S. 78. 894  Sborník věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 63. 893  Wie



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2. Rechtsgeschichte In der Anfangsphase der Zeitschrift Právník publizierten ihre Herausgeber zahlreiche historische Aufsätze. Während im ersten Teil aktuelle Rechtsthemen behandelt wurden, war der ganze zweite Teil der alttschechischen Literatur vorbehalten. Die Rubrik Články historické (historische Artikel), wurde zur Wiederbelebung der einstigen ruhmreichen tschechischen Vergangenheit in das Programm der Zeitschrift aufgenommen. Ihre Herausgeber waren bei der Auswahl der historischen Aufsätze stets darum bemüht, den Eindruck zu erwecken, als wäre die tschechische Kultur auf einem schon immer vorhandenen, nur im verborgenen liegenden, historischen Fundament aufgebaut. Die Konzentrierung auf die tschechische Geschichte hing zum Teil auch damit zusammen, dass einer der ersten Redakteure der Zeitschrift, Karel Jaromír Erben, ein anerkannter tschechischer Rechtshistoriker war. Da die tschechische Rechtswissenschaft in der Gründungsphase der Zeitschrift, im Vergleich zur deutschen und österreichischen, noch sehr unterentwickelt war, stand den Herausgebern nicht genügend Material zur Verfügung. Es ist zu vermuten, dass die Publikation der alttschechischen Literatur zum Teil auch als „Lückenfüller“ diente. Die Leser der Zeitschrift, die größtenteils praktizierende Juristen waren, interessierten sich nur wenig für den historischen Teil, der immerhin die Hälfte der Zeitschrift ausmachte. Die große Menge an Veröffentlichungen von historischen Aufsätzen, wurde zunehmend zu einer Belastung für die Zeitschrift. Auch wenn die Veröffentlichung der alten Quellen von den meisten Juristen als überflüssig empfunden wurde, darf nicht übersehen werden, dass sich darunter einige tschechische Meisterwerke befanden, wie etwa der Vertrag des heiligen Wenzel aus dem Jahr 1517. Mit der veränderten Redaktion des Jahres 1864, trat die Publikation alttschechischer Literatur immer mehr in den Hintergrund, da mittlerweile auch viele Aufsätze in der von Palacký gegründeten Zeitschrift Archiv Český (1840–1872) veröffentlicht wurden.895 Einen letzten Vorstoß unternahm der Rechtshistoriker und Archivar der Stadt Prag, Jaromír Čelakovský, mit dem Abdruck von einzelnen Auszügen aus historischen Werken, insbesondere zum böhmischen Stadtrecht und über die Geschichte böhmischer Gerichte, hier z. B. den Aufsatz Ze starých památek soudních (Aus den alten Gerichtserinnerungen) im Jahr 1871. Aber das Interesse der Leserschaft konnte nicht mehr zurück gewonnen werden. Nachdem der Historiker Jaromír Haněl im Jahr 1875 aus der Redaktion ausschied, wurde die Rubrik Články historické (Historische Aufsätze) ganz eingestellt und es wurden nur noch vereinzelt rechtshistorische Aufsätze veröffentlicht. Die meiste Aufmerksamkeit erhielten historische Aufsätze über das Verwaltungsrecht. Ein Grund hierfür war 895  Sborník

věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 81.

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das Versprechen des Oktoberdiploms, welches den Nationen der Habsburgermonarchie auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts mehr Autonomie gewähren sollte und hierbei an die Grundzüge des alten tschechischen Staatsrechts anknüpfte.896 Diese Erkenntnisse wurden gleich in zahlreichen Aufsätzen verarbeitet, darunter auch in dem Aufsatz von Hugo Toman O společném sněmování zemi koruny české od Ferdinanda I. Až do Marie Teresie (Über den Generallandtag der böhmischen Krone von Ferdinand dem I. bis Maria Theresia).897 Über die Wurzeln des tschechischen Staatsrechts erschienen die Aufsätze von Brandl Několik základních pojmů státního práva českého aus dem Jahr 1870 (Einige grundlegende Abhandlungen zum tschechischen Staatsrecht),898 worin er die Begriffe Land, Sprache, Krone und Königreich anhand von historischen Dokumenten beschreibt und sein Aufsatz Jakou úlohu má plni­ ti historie práva českého (Welche Aufgabe hat die tschechische Rechtsgeschichte zu erfüllen) aus dem Jahr 1871,899 in dem sich der Autor zur Historischen Rechtsschule bekannte und im Fortsetzungsteil Právo, pravda, zákon, soud, cuda, vóle, svoboda, osoba (Recht, Wahrheit, Gesetz, Gericht, Tugend, Wille, Freiheit und Person),900 zum Ergebnis kommt, dass das ursprüngliche tschechische Recht agrarischen Ursprungs war. Nach einigen Jahren erschien im Jahr 1893 der Aufsatz von Bohuš Rieger Příspěvek k  dějinám českého kurfirství a arcičíšnictví (Beitrag zur Geschichte der tschechischen Kurfürsten und deren Erzmundschenk)901, in dem er sich mit der Stellung des böhmischen Königs im deutschen Reich beschäftigte. Im Jahr 1898 erschien Riegers letzter im Právník veröffentlichter Aufsatz Snahy o českou konsituci v  r. 1848 (Die Bemühungen einer tschechischen Konstitution im Jahr 1848)902. Darin beschrieb er im Ausklang des 19.  Jahrhunderts die Verfassungsentwicklung seit 1848. Ein weiterer Schwerpunkt der historischen Aufsätze lag auf der Geschichte der alten tschechischen Gerichte und ihrer Gerichtsorganisation. Damit befasste sich insbesondere V. Brandl in seinem neunteiligen Aufsatz (127 Seiten!) aus dem Jahr 1869 Staročeské řízení soudní (Alttschechische Gerichtsorganisation)903 und davor schon Hermenegild Jireček in seinem Aufsatz O starých soudech slovanských v  zemi české (Über alte slawische 896  Sborník

věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 82. Bd. 9, 1870, S. 649. 898  Právník, Bd. 9, 1870, S. 109. 899  Právník, Bd. 10, 1871, S. 115, 187, 222, 259. 900  Právník, Bd. 10, 1871, S. 187. 901  Právník, Bd. 32, 1893, S. 1. 902  Právník, Bd. 37, 1898, S. 457. 903  Právník, Bd. 8, 1869, S. 189, 225, 592, 621, 662, 696, 735, 772, 807. 897  Právník,



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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Gerichte auf tschechischem Boden).904 In die Gruppe der Beiträge zur Geschichte der tschechischen Gerichte, reihte sich auch der Aufsatz von Jaroslav Demel O moderních zásadách ve starém právu českém (Über die modernen Grundzüge im alten tschechischen Recht)905 aus dem Jahr 1907, worin er wertvolle Dokumente aufführt und dazu behauptet, dass die Grundzüge, die seinerzeit als modern erachtet wurden, bereits im alten tschechischen Gerichtswesen und in den Landtafeln Gültigkeit gehabt hätten, wie zum Beispiel das Prinzip der Publizität und Legalität. Alle drei Aufsätze zeigen wieder deutlich, wie die Autoren des Právník sich darum bemühten, der tschechischen Rechtskultur einen alten Ursprung „anzudichten“. Nur selten erschienen im Právník Aufsätze zum alttschechische Privatrecht. Hierbei überwogen rechtsvergleichende Aufsätze, oder Aufsätze über die Herkunft zivilrechtlicher Fachbegriffe, wie zum Beispiel der Aufsatz von Erazim Wocel Postavení ženského pohlaví v  právu českém (Die Stellung des weiblichen Geschlechts im tschechischen Recht).906 Darin verglich der Autor verschiedene zivilrechtliche tschechische mit römischen und germanischen Normen. Wertvolle Beiträge brachte die Zeitschrift auf dem Gebiet der Rezeptionsgeschichte hervor. An erster Stelle der Aufsatz von Haněl O vlivu práva německého v Čechách a na Moravě (Über den Einfluss des deutschen Rechts in Böhmen und Mähren)907 aus dem Jahr 1874. Weiterhin der Aufsatz von Emil Ott Působení práva církevního na rozvoj řízení soudního vůbec a v  zemích českých zvláště (Der Einfluss des Kirchenrechts auf die Entwicklung der Gerichtsordnung allgemein und insbesondere auf die der deutschen und böhmischen Länder).908 Insgesamt wurden in den siebziger und achtziger Jahren an die 40 Aufsätze zur Rechtsgeschichte im Právník veröffentlicht. Ab den neunziger Jahren nahm die Zahl der Aufsätze zur Rechtsgeschichte rapide ab. Dadurch dass zeitgleich immer mehr rechtshistorische Fachzeitschriften und Bücher herausgegeben wurden, entfiel der Bedarf an einer eigenständigen Rubrik für Rechtsgeschichte. Der Právník wurde somit ab dem 20.  Jahrhundert zu einem Organ des geltenden Rechts und der Rechtspraxis. Obwohl die Aufsätze zur Rechtsgeschichte von den meisten Lesern nicht wahrgenommen wurden, war die Grundüberlegung der Veröffentlichung rechtshistorischer Aufsätze auf längere Sicht betrachtet nicht umsonst. Durch die ausdauern904  Právník,

Bd. 1, 1861, S. 245, 310. Bd. 46, 1907, S. 261. 906  Právník, Bd. 1, 1861, S. 77. 907  Právník, Bd. 13, 1874, S. 38, 109, 145, 253, 289, 325, 361, 408, 445, 469. 908  Právník, Bd. 16, 1877, S. 1. 905  Právník,

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den Bemühungen ihrer Herausgeber und Autoren, wurde der Právník zu einem organischen Teil der tschechischen Rechtskultur.909 Besonders in den sechziger bis achtziger Jahren war die Zeitschrift das einzige Organ, in dem Rechtshistoriker ihre Aufsätze veröffentlichen konnten. Die Aufsätze trugen damit auch zum nationalen Bestand des tschechischen Staates und zur Entfaltung einer tschechischen Rechtskultur bei. 3. Zivilrecht Die Dominanz der zivilrechtlichen Themen in der Zeitschrift hing mit der Mitwirkung Randas zusammen, der bis zu seinem Tod im Jahr 1914 der „Patron“ der Zeitschrift war. Neben Randa wurde die Zeitschrift für Josef Stupecký910 und Jan Heller zur Tribüne ihrer rechtlichen Arbeiten. Zu der jüngeren zivilistischen Generation gehörte Karel Herrmann Otavský911 und Emanuel Tilsch912, die ihre Arbeiten im Právník, aber auch in der Sborník věd pavních a státních (1901) veröffentlichten. Es galt in der Zeit als Privileg, ein Mitarbeiter der Zeitschrift Právník zu sein, daher gab es kaum einen Zivilrechtler, der nach der Entstehung der anderen tschechischen juristischen Zeitschriften seine Tätigkeit für den Právník einstellte. Die Mitwirkung an der Zeitschrift bedeutete einen Prestigegewinn und wirkte sich dementsprechend auch positiv auf die Karriere ihrer Mitarbeiter aus. Von 1861 bis 1941 erschienen im Právník an die 330 Aufsätze zum Zivilprozessrecht, darunter auch zahlreiche Entscheidungen.913 Besonders in den Jahren 1895 und 1896 war das Prozessrecht eines der dominierenden Themen der Zeitschrift, was damit zusammenhing, dass am 1. August 1895 die neue Zivilprozessordnung (RGBl. Nr.  110–113) erlassen wurde. Am meisten trugen hierbei die beiden Prozessualisten Tilsch und Hora bei. Tilschs Beiträge bildeten später die Grundlage für das Werk Der Einfluss der Zivilprozessgesetze auf das materielle Recht (Wien 1901). 4. Strafrecht Die ganzen Jahre hindurch widmete der Právník dem Strafrecht große Aufmerksamkeit. Teilweise machten strafrechtliche Beiträge den Großteil eines Bandes aus. Die meisten Aufsätze beschäftigten sich mit dem 909  Sborník

věd právních a státních, Bd. 38, 1942, S. 89. Kapitel  3, A.  III. 911  1.  Teil, Kapitel  3, A.  III. 912  1.  Teil, Kapitel  3, A.  III. 913  Sborník věd právních a státních, Bd. 42, 1941, S. 65. 910  1.  Teil,



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Presse(straf)recht. Dazu erschienen bis zum Jahr 1942 an die 200 Beiträge.914 Aufsätze zum Strafprozessrecht erschienen im Vergleich dazu seltener. Das änderte sich erst mit dem Durchbruch der Mündlichkeit im Strafprozess im Jahr 1873. Der Schwerpunkt der Zeitschrift lag aber eindeutig auf dem materiellen Strafrecht. In dem Zusammenhang erschienen zahlreiche Beiträge, in denen Strafrechtsreformen und Gesetzesvorlagen915 diskutiert wurden. Dadurch dass die Zeitschrift für lange Zeit die einzige Bühne der tschechischen Rechtswissenschaft war, entwickelte sie sich zur ersten Anlaufstelle für Strafrechtler, die ihre Erstlingswerke publizieren konnten. František Storch916 und August Miřička917 gehörten zu den bekanntesten Strafrechtlern, die im Právník ihre Aufsätze und Vorlesungen publizierten. Besonders in der Zeit um die Jahrhundertwende, bekam die Zeitschrift vermehrt einen praxisnahen Charakter. In dieser Phase publizierten die Redakteure über­ wiegend Zusammenfassungen strafrechtlicher Gerichtsentscheidungen. Zur gleichen Zeit erschien die Zeitschrift Sborník věd právních a státních (1901). Sie spezialisierte sich auf die Publikation ausführlicher rechtshistorischer Aufsätze und sollte damit die Arbeit des Právník erleichtern, da dieser mit der Veröffentlichung praktischer Beiträgen völlig ausgelastet war.918 Zahlen zur Kriminalstatistik wurden meistens in der Rubrik Deník (Tagesmeldungen) präsentiert. Daneben erschienen zahlreiche Berichte über nationale und internationale Konferenzen, die sich hauptsächlich mit Fragen zur Kriminalpolitik auseinandersetzten.919 Besonders in den ersten zehn Jahren beschäftigte sich der Právník mit der dogmatischen Verarbeitung des positiven Rechts. Zu den anderen Fachgebieten des Právník zählten u. A. Strafrechtstheorien, Strafrechtsschulen, internationales Strafrecht und Militärrecht (Storch). Daneben trug die Zeitschrift entscheidend zur Entwicklung der tschechischen Strafrechtsterminologie bei.

914  Sborník

věd právních a státních, Bd. 42, 1941, S. 71. Bd. 61, 64, 65, 67–69, 76. 916  Näheres bei: Antalogie české právní vědy, hg. von Petra Skřejpková, Ladislav Soukup, Prag 1993, S. 173; Seine Rektoratsrede O významu nynějších snah a směrů posivitivistických ve vědě práva trestniho (Über die Bedeutung der derzeitigen Tendenzen und posititivistischen Ströhmungen in der Strafrechtslehre) vom 23. November 1904, abgedruckt im Právník, Bd. 43, 1904, S. 785  ff. 917  Soukup, Art. „František Storch“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 178. 918  Sborník věd právních a státních, Bd. 42, 1941, S. 72. 919  Právník, Bd. 68, 69, 72, 74, 77. 915  Právník,

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5. Öffentliches Recht Der Právník war in erster Linie, zumindest in den Anfangsjahren, der Rechtsgeschichte und dem Zivilrecht verschrieben. Auf diesen beiden Gebieten lag das Hauptgewicht der Zeitschrift, wobei auch zahlreiche Beiträge zum Verwaltungsrecht erschienen sind. Den größten Platz nahmen hier die Beiträge des Verwaltungsrechtlers Jiří Pražák920 ein, der von 1892 bis 1897 Redakteur des Právník war. In der ersten Phase befaßten sich seine Aufsätze hauptsächlich mit der Zwangsenteigung. In Erinnerung blieb insbesondere seine Inaugurationsrede O úkolech vědy práva veřejného (Über die Aufgaben des öffentlichen Rechts)921 am 19. November 1892 an der Prager Universität. Er trat in einer Zeit auf, in der große Streitigkeiten um die Methode des Staatsrechts geführt wurden.922 Der Právník band viele Verwaltungsrechter aus Wissenschaft und Praxis an sich, die mit ihren Aufsätzen den literarischen Anspruch der Zeitschrift begründeten. Darunter auch viele Aufsätze zu entlegenden Themen des öffentlichen Rechts, wie z. B. zum Wasserrecht und zum Jagdrecht. Nicht umsonst wird behauptet, dass sich im Právník die fachliche Nomenklatur entwickelt hat.923 6. Verschiedenes a) Zehn Jahre Tschechoslowakei Im 67. Band des Právník (1928) erschienen zahlreiche Aufsätze, die an das zehnjährige Bestehen des tschechoslowakischen Staates erinnerten: Ku vzniku ústavní listiny“ (Zur Entstehung der Verfassungsurkunde, Hoetzel); Unifikační práce v  prvem desítiletí republiky (Die Vereinheitlichung im ersten Jahrzehnt der Republik); Nejvyšší soud v prvém desítiletí republiky (Das Oberste Gericht im ersten Jahrzehnt der Republik, Cícha); Nejvyšší správní soud; Vzpomínka na jeho zřízení a dnešní stav. (Das Oberste Verwaltungsgericht. Erinnerung an seine Errichtung und seinen heutigen Stand, Emil Hácha); Soudnictví před deseti lety a dnes (Das Gerichtswesen vor zehn Jahren und Heute, Krcha); Přednášková činnost Právnické Jednoty v  Praze v  desítiteltí 1918–1928 (Die Vorlesungstätigkeiten der Právnická Jednota in den zehn Jahren 1918–1928). Auch die Redaktion publizierte einen Erinnerungsaufsatz unter dem Titel „1918–1928“. Darin verwies sie auf die Errungenschaften der letzten zehn 920  1.  Teil,

Kapitel  3, A.  III. im Právník, Bd. 31, 1892, S. 757–764. 922  Sborník věd právních a státních, Bd. 42, 1941, S. 75. 923  Sborník věd právních a státních, Bd. 42, 1941, S. 75. 921  Abgedruckt



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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Jahre, sparte dabei aber auch nicht mit Kritik: „So müssen wir selbst auch eingestehen, dass es vor zehn Jahren in einigen Bereichen besser aussah als heute.“924 Die meiste Kritik ernteten die Arbeiten zur Vereinheitlichung der Gesetze: „Die Unifizierungsarbeiten sind nicht einfach, es geht um die Vereinheitlichung von Grundprinzipien und Vorschriften, die sich in zwei verschiedenen Teilen desselben Staatsgebietes eingebürgert haben, die weder als selbstverständlich noch als einzig richtig bezeichnet werden dürfen. Wir sehen ein, dass die Unifizierungsarbeiten in den wichtigsten Bereichen, insbesondere im Privatrecht, Strafrecht und im Prozessrecht, in zehn Jahren gar nicht zu bewerkstelligen sind.“925 „Zu den ursprünglichen Gesetzen wurden zahlreiche Ergänzungen erlassen. Durch spätere Ergänzungen wurden wiederum die vorherigen neuen Ergänzungen wieder aufgehoben, so dass eine Unübersichtlichkeit entstanden ist, die den Juristen die Orientierung erschwert. Dazu kommt noch, dass einige Gesetze nur für eine bestimmte Zeit erlassen worden sind, dann teilweise aber wieder verlängert worden sind und das hat sich regelmäßig wiederholt. So wundert man sich nicht, dass der Anwalt in Ungewissheit gerät, ob nun dieses oder jenes gilt. Will er Sicherheit haben, muss er mehrere Bände von Gesetzessammlungen durcharbeiten.“926 In dem Aufsatz Ku vzniku ústavní listiny (Zur Entstehung der Verfassungsurkunde) erinnerte der Autor Hoetzel an die Verfassungsarbeiten aus dem Jahr 1918:927 „Wir müssen zugeben, dass wir im Bereich der Gesetzgebung fast keine erfahrenen legislativen Praktiker zur Verfügung hatten und dass die republikanische Staatsform eine andere Behandlung der verschiedenen Fragen verlangte, als zuvor in der Habsburgermonarchie. Aus rechtlichen Gesichtspunkten waren wir an die Vorgaben des Vertrages von Saint-Germain vom 10. September 1919 (Nr.  508   /   1921) gebunden, deren einzelne Bestimmungen teilweise den Eindruck vermittelten, als sei unser Staat eine kulturlose Kolonie. Im verfassungsrechtlichen Komitee gestalteten sich einige Verhandlungen als sehr schwierig. Es wurde bis zum Umfallen gearbeitet und es wurden viele Nächte angesetzt, da mit eiligem Tempo gearbeitet werden musste. Der erfreuliche Teil dieser Verhandlungen war aber die Tatsache, dass alle Seiten die Freude verband, dass wir uns nach 300 Jahren unsere eigene Verfassung geben konnten. Auf eine Sache will ich gesondert aufmerksam machen. Es betrifft unsere Verfassungsurkunde, die angeblich eine gebundene Wählerliste eingeführt hätte. Derjenige, der das behauptet, kennt die Dokumente nicht. Es wurde sogar über mich ge924  Právník,

Bd. 67, Bd. 67, 926  Právník, Bd. 67, 927  Právník, Bd. 67, 925  Právník,

1928, 1928, 1928, 1928,

S. 554. S. 555. S. 556. S. 559.

192 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

schrieben, dass ich diese Listen eingeführt hätte. Es wäre für mich sicherlich sehr schmeichelhaft gewesen, wenn ich geahnt hätte, dass man mir eine solche Macht zutraute. Als der Wählerrat die gebundene Kandidatenliste in das Abgeordnetenhaus einführte, verweigerte ich es, als Vorsitzender der legislativen Sektion des Innenministeriums, diese Vorlage zu unterschreiben. Ich tat diesbezüglich alles was in meiner Macht stand. Ich sehe in diesen Kandidatenlisten wirklich direkt ein Unglück für den ganzen Staat. Neben der Verfassungsurkunde ergingen noch zahlreiche andere Gesetze. Nicht alle Vorschläge stammten aus meiner Feder (so hatte ich überhaupt nichts mit dem Sprachengesetz zu tun). Die Gesetze zum Schutz der Minderheiten stammten von Laštovka. Dieser befürchtete, dass unsere tschechoslowakischen Staatsbürger weniger Rechte haben könnten als die Angehörigen der Minderheiten. […] Man wird es mir nicht nachtragen, wenn ich sage, dass mich am allermeisten der § 1 der Verfassungsurkunde beeindruckt. Der da lautet: ‚Lid je jediný zdroj veškeré státní moci v  republice československé‘ (Das Volk ist der einzige Ursprung jeglicher Staatsgewalt in der tschechoslowakischen Republik)“.

B. Samosprávný Obzor (1879–1908) Die Samosprávný Obzor928 zählte zu den ersten tschechischen juristischen Fachzeitschriften. Der Wandel der juristischen Berufe in Böhmen bewirkte die Ausdifferenzierung neuer juristischer Disziplinen (Notariatsrecht, Arbeitsrecht, Kommunalrecht) und eröffnete damit den Weg zur Gründung juristischer Spezialzeitschriften. Im Laufe der Zeit erschienen die übrigen Spezialzeitschriften: Správní Obzor (1909)929, České Právo (1919)930, Soud­ covské Listy (1920)931, Česká Advokacie (1922)932, Veřejná Správa (1931)933 und die Právní Prakse (1936)934. In den neu gegründeten Fachblättern konnten sich die juristischen Berufsstände Gehör verschaffen und exklusiv darin publizieren. Den Anstoß für die Gründung der Samosprávný Obzor gab die Neuorganisation der Verwaltung im Jahr 1868. In Durchführung der Verfassung von 1867, als Österreich den definitiven Übergang vom zentralistischen Absolu928  Deutsche 929  Deutsche 930  Deutsche 931  Deutsche 932  Deutsche 933  Deutsche 934  Deutsche

Übersetzung: Übersetzung: Übersetzung: Übersetzung: Übersetzung: Übersetzung: Übersetzung:

Selbstverwaltungsrundschau. Verwaltungsrundschau. Tschechisches Recht. Richterblätter. Tschechische Advokatur. Die öffentliche Verwaltung. Rechtspraxis.



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tismus zum Verfassungsstaat vollzog, wurde im Jahre 1868 (RGBl. 44) die „Einrichtung der politischen Verwaltungsbehörden“ grundlegend neu geregelt, wonach die Verwaltung: „in allen Instanzen von der Rechtspflege getrennt zu führen ist“.935 Das Organisationsgesetz befasste sich nicht mit den Ministerien, an denen kaum etwas verändert wurde, sondern mit der Verwaltung in den Ländern und Bezirken. Den Statthaltern wurde eine größere Selbständigkeit, den Bezirkshauptmannschaften größere Bedeutung und ein erweiterter Wirkungskreis eingeräumt. Den größten Einfluss bekamen aber die neu geschaffenen Gerichte, das Reichsgericht (1869) und vor allem der Verwaltungsgerichtshof (1876). Das neue Verwaltungsorganisationsgesetz von 1868 gliederte den cisleithanischen Staat in insgesamt 14 Verwaltungsgebiete. An die Stelle der Bezirksämter traten nun wieder die Bezirkshauptmannschaften, ein gesamtstaatliches Organ, mit einem vom Innenminister ernannten Bezirkshauptmann an der Spitze.936 Neben den allgemeinen Verwaltungsbehörden existierten noch eine Reihe von Spezialbehörden, z. B. die Schulbehörden, Bergbehörden sowie die Finanzbehörden.937 In der lokalen Selbstverwaltung der Länder traten keine wesentlichen Änderungen ein. Nur die berufliche Selbstverwaltung wurde durch die Einführung der neuen Advokaten- (1868) und Notarordnung (1871) weiter ausgebaut. Auch auf rechtsstaatlichem Gebiet brachte die Verwaltungsreform einen bedeutenden Fortschritt. Nach der Bestimmung des Staatsgrundgesetzes vom 21. Dezember 1867 über die richterliche Gewalt konnte jemand, der behauptete durch eine „Entscheidung oder Verfügung einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein“938, nunmehr seine Ansprüche vor dem 1876 errichteten Verwaltungsgerichtshof im öffentlichen mündlichen Verfahren gegen einen Vertreter der Verwaltungsbehörde geltend machen.939 Im Unterschied zum 1869 eingerichteten Reichsgerichtshof kam den Erkenntnissen des Verwaltungsgerichtshofes im Falle der Feststellung einer Rechtsverletzung auch eine kassatorische Wirkung zu, weshalb der Weg zum Verwaltungsgerichtshof oftmals dem Weg zum Reichsgericht vorgezogen wurde. Beide Institutionen trugen wesentlich zur Entwicklung eines modernen Verwaltungs- und Verwaltungsverfahrensrechts bei und beeinflussten die zu­ nehmend auch für die Praxis bedeutungsvolle Verwaltungsrechtswissen-

935  Brauneder, 936  Lehner,

Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, S. 173. Österreichische Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte, Linz 1992,

S. 221. 937  Brauneder, Österreichische Verfassungsgeschichte, Wien 2003, 174. 938  Art. 15 Abs. 2 des Staatsgrundgesetzes über die richterliche Gewalt. 939  Ernst C. Hellbling, Die Landesverwaltung in Cisleithanien. In: Die Habsburgermonarchie 1848–1918. Verwaltung und Rechtswesen, Bd. 2. Verwaltung und Rechtswesen, hg. von Adam Wandruszka, Peter Urbanitsch, Wien 1975, S. 218.

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schaft.940 Die Fülle des von der Verwaltung zu bewältigenden Materials erforderte ein entsprechend spezialisiertes Blatt. I. Herausgeber und Mitarbeiter Vor diesem Hintergrund erschien 1879 die erste Ausgabe der Samosprávný Obzor. Ihr Herausgeber Karel Čížek (1833–1894), war wie die meisten tschechischen Juristen dieser Zeit Anhänger der nationalen Tabor-Bewegung (Tábory), die seit Anfang der sechziger Jahre der Manifestation und Steigerung des nationalen Bewusstseins der Tschechen diente.941 In dieser Zeit verfasste er zahlreiche Deklarationen und Festreden und setzte sich vor allem für die „Solidarität aller Tabormitglieder gegen die Einführung einer Persekution“ ein.942 Mehrmals wurde er wegen aufrührerischer Schriften zu Freiheits- und Geldstrafen verurteilt. Čížek blieb von 1879 bis 1889 Redakteur der Samosprávný Obzor, die er mit seinem Fachwissen über das Selbstverwaltungsrecht und die politische Verwaltung bereicherte. Sein Nachfolger František Schwarz (1840–1906) leitete die Redaktion von 1890 bis 1900. Nach einem abgebrochenen Studium der technischen Wissenschaften und der Volkswirtschaftslehre widmete sich Schwarz seiner journalistischen und politischen Karriere. Im Zuge der Liberalisierung nach 1860, die dem geistigen Leben einen freien Aufschwung ermöglichte, wendete er sich der Staatswissenschaft zu und wurde im Jahr 1861 Mitarbeiter der politischen Zeitschrift Čas (Zeit).943 Ende 1864 schickte ihn der Club der tschechischen  Abgeordneten nach Pilsen, um dort das politische Blatt Plzeňske Noviny (Pilsner Zeitung) zu gründen. Pilsen lag damals in einem für nationale Agitationen bisher teilnahmslos gebliebenen Gebiet. Dies sollte geändert werden.944 Ebenso wie sein Vorgänger Čížek, blieb auch Schwarz von einer Haftstrafe für Pressevergehen nicht verschont.945 Ende des Jahres 1865 erhielt er den Ruf als Sekretär der Pilsner Kreisvertretung, welchen er auch annahm, dabei aber dem politischen Journalismus entsagen musste, ohne jedoch das publizistische Gebiet ganz aufzugeben. Im Jahr 1868 trat 940  Wilhelm Brauneder, Studien I: Entwicklung des Öffentlichen Rechts, Frankfurt 1993, S. 304. 941  Prinz, Geschichte Böhmens 1848–1948, München 1988, S. 114. 942  Navrátil, Art. „Karel Čížek“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 69. 943  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Bd. 32, S. 290. 944  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Bd. 32, S. 290. 945  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Bd. 32, S. 290.



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er eine Reise in die Schweiz an, wo im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern das „Self-Gouvernment“ am weitesten entwickelt war.946 Seine Forschungsergebnisse präsentierte er später in seinen zahlreichen Aufsätzen zum Selbstverwaltungsrecht. Zwischen 1883–1889 und 1892– 1906 war Schwarz Abgeordneter des böhmischen Landtags und von 1891 bis 1903 des österreichischen Reichsrats und setzte sich in dieser Funktion für die Durchsetzung von Reformen des Selbstverwaltungsrechts ein.947 Die Mitarbeiter der ersten Ausgabe waren Jaromír Čelakovský, Karel Čižek, Vilem Reichert, Jakub Škarda, František Schwarz und Rudolf Wunsch. Einer der prominentesten Mitarbeiter der Samosprávný Obzor war der tschechische Rechtshistoriker Jaromír Čelakovský (1846–1914). Sohn des berühmten tschechischen Dichters František Ladislav Čelakovský. Seine Habilitation für Rechtsgeschichte der böhmischen Länder erfolgte im Jahr 1883 an der Prager Universität. Im Jahr 1886 wurde er zum außerordentlichen und im Jahr 1889 zum ordentlichen Professor der Prager Universität ernannt. Neben seiner editorischen Tätigkeit als Herausgeber der ersten beiden Bände (1886, 1892) der Sammlung böhmischer Stadtrechtsquellen (Codex iuris municipalis regni Bohemiae, 3 Bd.), verfasste Čelakovský die erste moderne Gesamtdarstellung der Rechtsgeschichte Böhmens, die er ursprünglich für Ottos Konversationslexikon schrieb, dessen juristischer Redakteur er ab 1888 war.948 Abgesehen von seiner Schrift Das Heimfallrecht auf das frei vererbliche Vermögen in Böhmen (1882), veröffentlichte Čelakovský seine Arbeiten hauptsächlich in tschechischer Sprache und wurde daher von der deutschen Rechtswissenschaft kaum zur Kenntnis genommen.949 Čelakovský gehörte zu den führenden Persönlichkeiten des politischen und juristischen Lebens in Böhmen. Er war Anhänger der Freisinnigen Partei (Jungtschechen), von 1878 bis 1890 Abgeordneter im Böhmischen Landtag, von 1907 bis 1911 Reichsratsmitglied und Mitbegründer des Juristenvereins Všehrd. In seiner politischen Funktion widmete er sich vor allem dem Nationalitätenproblem, speziell den Sprachen-, und Minderheitenschulen. Dabei setzte er sich insbesondere für die Errichtung evangelischer Schulen ein.950 Neben seiner Herausgebertätigkeit für 946  Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 1874, Bd. 32, S. 290. 947  Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Bd. 3, N–SCH, München 2000, S. 801. 948  Slapnicka, Die Prager Juristenfakultät in der zweiten Hälfte des 19.  Jahrhunderts. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, hg. von Ferdinand Seibt, München 1984, S. 78. 949  Helmut Slapnicka, Rechtsgeschichte als Lehrgegenstand an den Prager Universitäten. In: Die böhmischen Länder zwischen Ost und West. Festschrift für Karl Bosl, hg. von Ferdinand Seibt, München 1983, S. 198. 950  Navrátil, Art. „Jaromír Čelakovský“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 60.

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die Samosprávný Obzor war er von 1871 bis 1886 einer der Redakteure der jungtschechischen Zeitung Národní Listy, für die er zahlreiche Artikel zum tschechischen Schulwesen schrieb.951 Den Großteil seiner rechthistorischen Aufsätze publizierte er in den Zeitschriften Právník, Časopis Českého Musea (Zeitschrift des Böhmischen Museums), Čas (Zeit) und Osvěta (Kultur). Die Autoren des Samosprávný Obzor waren überwiegend Praktiker, hierbei größtenteils Stadtsekretäre und Adjunkten. II. Anliegen und Ziele Anliegen und Ziele der Samosprávný Obzor werden im Vorwort zum ersten Band knapp zusammengefasst: „Wir haben uns zur Aufgabe gemacht, das Vordringen der Selbstverwaltung in unser öffentliches Leben zu fördern und zu vervollständigen. Das Anliegen unserer Zeitschrift ist die Pflege der lange Zeit vernachlässigten Verwaltungsrechtslehre. Weiterhin wollen wir unsere Staatsbürger und Landkreise darüber informieren, wie sie sich selbst verwalten können, ohne sich dabei ausschließlich auf die vorgegebenen Gesetze beschränken zu müssen. Daneben wird sich unser Blatt mit den unterschiedlichsten Bereichen des öffentlichen Lebens des In-, und Auslandes auseinandersetzen. Wir wollen uns dabei nicht nur auf Böhmen beschränken sondern auch die Entwicklung der Selbstverwaltung in Mähren und Schlesien mit in unser Programm einbeziehen. Diesbezüglich haben wir auch die Zuversicht, dass sich unsere mährischen und schlesischen Autoren mit uns in Verbindung setzen werden, um somit den regionalen Unterschieden der Selbstverwaltung besser gerecht werden zu können. Mit unserer Zeitschrift soll ein wissenschaftliches und dauerhaftes Werk der tschechischen Literatur geschaffen werden. Diesbezüglich benötigen wir von Seiten der Selbstverwaltungskörperschaften die notwendige Akzeptanz und Unterstützung sowie von Allen, die sich im praktischen und literarischen Leben mit den wichtigen Fragen der Selbstverwaltung und Autonomie befassen.“952 III. Inhalt Inhaltlich gliederte sich die Samosprávný Obzor in die Rubriken: Veřejná správa vůbec (Die Öffentliche Verwaltung im Allgemeinen, z. B. Polizeirecht, Gesundheitsrecht, Rentenrecht, Wirtschaftsrecht, Bergbaurecht, Wasserrecht); Svézákonnost a samospráva (Selbstgesetzgebung und Selbst951  Navrátil, Art. „Jaromír Čelakovský“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 61. 952  Samosprávný Obzor, Bd. 1, 1879, S. 1–2.



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verwaltung, z. B. Organisation der Landkreise und das Wahlrecht), Školství (Schulwesen), Záležitosti berní a finanční (Angelegenheiten des Steuer, – und Finanzrechts), Publikace zákonů a nařízení (Publikation von Gesetzen und Verordnungen), Nálezy c. k. správního soudu (Entscheidungen des Verwaltungsgerichts des Königreichs Böhmen), Drobností (Kleinigkeiten) und Literatura.953 IV. Aufsätze Die Aufsätze der Samosprávný Obzor waren sehr spezialisiert und bezogen sich meistens auf einen bestimmten Fall, eine bestimmte Entscheidung oder ein bestimmtes Gesetz. Die Rubrik Školství (Schulwesen) bestand z. B. wesentlich nur aus Entscheidungen. Zum Teil erschienen auch einzelne Bände, die sich überwiegend nur mit einem speziellen Rechtsgebiet auseinandersetzten, z. B. im Jahr 1885 mit dem Wasserrecht. Die Beiträge Čížeks machten den Großteil der Zeitschrift aus, aus seiner Feder stammten u a.: O významu veřejné správy (Zur Bedeutung der öffentlichen Verwaltung, 1879)954, O státním organismu (Zum staatlichen Organismus, 1880)955 und O řízení správním (Zum Verwaltungsverfahrensrecht, 1886   /   1887   /   1888). In der Rubrik Drobnosti erschien ab dem Jahr 1886 regelmäßig eine Übersicht über die Tätigkeiten des tschechischen Parlaments des jeweiligen letzen Jahres. Im Jahr 1887 erschien der Aufsatz Mohou býti všichni lidé stejně bohati? (Können alle Menschen gleich wohlhabend sein?)956 und ein Jahr später im Jahr 1888 in der Rubrik Svézákonnost a samospráva Čižeks Aufsatz O donucovachích pracovnách (Über Zwangsarbeit)957. In dem Aufsatz Naše úkoly (Unsere Aufgaben)958 aus dem Jahr 1890 erklärte die Redaktion, dass die Selbstverwaltung der natürlichste Beweis einer glücklichen Staatsentwicklung sei: „Es liegt auf der Hand, dass eine Stabilisierung der politischen Verhältnisse in Österreich zu einer Erweiterung der Selbstverwaltung führt. Unsere Aufgabe dabei ist es, dass wir den Boden für eine solche Entwicklung vorbereiten und uns darum kümmern, dass sich unsere kompetenten Kreise mit den Theorien der Selbstverwaltung beschäftigen und sie ins Leben miteinbeziehen.“959 Anlässlich der Gründung der Akademie pro vědy, slovesnost a umění (ČAVU) im Jahr 1890 erschie953  Samosprávný 954  Samosprávný 955  Samosprávný 956  Samosprávný 957  Samosprávný 958  Samosprávný 959  Samosprávný

Obzor, Obzor, Obzor, Obzor, Obzor, Obzor, Obzor,

Bd. 1, 1879, S. 2. Bd. 1, 1879, S. 4–9. Bd. 2, 1880, S. 97  ff. Bd. 9, 1887, S. 126  ff. (Autor unbekannt). Bd. 10, 1888, S. 41, 78, 118. Bd. 12, 1890, S. 1  ff. Bd. 12, 1890, S. 1, 3.

198 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

nen in der Samosprávný Obzor im Jahr 1891 die während der Feierlichkeiten gehaltenen Gründungsreden. Die Redaktion kommentierte das Ereignis mit den Worten960: „Wir sehen in der Akademie die Verkörperung der geistigen Einheit unserer Nation. Die Dezentralisierung des geistigen Lebens, wie sie insbesondere in einem vielsprachigen Staat wie Österreich gegeben ist, muß bei der Gründung einer solchen Akademie zwangsläufig dazu führen, dass sich dieselbe Dezentralisation auch ihren Weg in die anderen Lebensbereiche bahnt, also auch in das Verwaltungsrecht.“ Im Jahr 1892 erschien der Aufsatz Jazyková rovnoprávnost v  samsoprávném životě (Die sprachliche Gleichberechtigung im selbstverwaltungsrechtlichen Leben)961 von Schwarz, worin er sich auch mit der sprachlichen Gleichberechtigung in Form von Straßenschildern, Gemeindetafeln und Poststempeln beschäftigte. In dem Aufsatz Úkoly nového sněmu v oboru veřejné samosprávy (Die Aufgaben des neuen Parlaments auf dem Gebiet der Selbstverwaltung)962 aus dem Jahr 1895, gab die Redaktion der Samosprávný Obzor Auskunft über die damaligen Verhältnisse der Selbstverwaltung: „Es steht fest, dass die Entwicklung des Selbstverwaltungskörpers von drei Faktoren abhängig ist: 1. Von einer unabhängigen und starken Wirtschaft; 2. Von einer Bezirksvertretung, die den Willen und die Möglichkeiten zur Erfüllung ihrer Aufgaben besitzt und die 3. ihre Tätigkeiten nach den Wünschen der Bevölkerung ausrichtet. Jeder der die heutigen Verhältnisse aufmerksam verfolgt, kann sich die Frage, ob diese Bedingungen in Böhmen derzeit vorliegen, selbst beantworten.“963 Anlässlich des 100jährigen Geburtstags Palackýs erklärte die Redaktion im Jahr 1898, dass Palacký die Wichtigkeit der Selbstverwaltung für seine eigene Entwicklung erkannt und ihr seine ganze Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Als Betreiber eines Blattes, das sich mit derselben befasste, habe man die Verpflichtung, eines solchen Mannes zu gedenken.964 Im Jahr 1900 verließ Schwarz die Redaktion der Zeitschrift, blieb aber weiterhin ihr treuer Mitarbeiter. Ab 1900 bis zur Einstellung der Sa­ mosprávný Obzor im Jahr 1908 wurde die Redaktion von František Kurka geleitet. Nach dem 26. Band im Jahr 1904 sollte die Zeitschrift eingestellt werden, was aber leztendlich noch einmal abgewendet werden konnte. Daraufhin erschien im Jahr 1905 der Aufsatz Vstup do nové činnosti (Der Eintritt in die neue Tätigkeit)965 von František Schwarz. Darin erklärte er, 960  Samosprávný 961  Samosprávný 962  Samosprávný 963  Samosprávný 964  Samosprávný 965  Samosprávný

Obzor, Obzor, Obzor, Obzor, Obzor, Obzor,

Bd. 13, Bd. 14, Bd. 17, Bd. 17, Bd. 20, Bd. 27,

1891, 1892, 1895, 1895, 1898, 1905,

S. 33. S. 33  ff. S. 225  ff. S. 226. S. 33. S. 1.



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199

dass er sehr erfreut darüber sei, dass die Zeitschrift Samosprávný Obzor, die im Zuge der neuen politischen Verhältnisse966 eingestellt werden sollte, als Forum für Praktiker wie auch Theoretiker weiterhin bestehen bleibe. Im selben Jahr erschien der Aufsatz K vládní studii o reformě samosprávny (Über die Regierungsstudie zur Reform der inneren Verwaltung)967 von Velinský. Die von der Regierung Koerber im Jahr 1904 veröffentlichten „Studien über die Reform der inneren Verwaltung“968 stellten einen Angriff gegen die Selbstverwaltung und die Landesautonomie dar, womit die zentrale Staatsgewalt selbst die Initiative zum Umbau des liberalen Staates ergriff. Die Studie präsentierte vor allem die Unzulänglichkeiten der Selbstverwaltung. Ihren Organen wurde dabei mangelnde Objektivität, eigennützige Motive, niedrige Qualifikation, finanzielles Unvermögen und verschwenderische Wirtschaft vorgeworfen.969 Hinsichtlich der Veröffentlichung der Studie erklärte der Autor, dass er sich die Einberufung einer Sitzung erhofft hätte, in der die Ergebnisse der Studie diskutiert und in der auf die nahende Gefahr für die Selbstverwaltung und die ganze tschechische Nation hingewiesen worden wäre. In den großen Tageszeitungen hätte man zwar dieses so wichtige Thema – dass über Sein oder Nichtsein entscheide – aufgegriffen, aber der ganze tschechische Rest in all seinen Bestandteilen, sei ruhig und gleichgültig geblieben, als ob es sich hier um nichts Wichtiges handelte970. Im letzten Band der Samosprávný Obzor im Jahr 1908 erschien der Aufsatz Z dějin okresní samosprávy (Zur Geschichte der Gemeindevertretun­ gen)971 von Karel Adámek, in dem der Autor auf 62 Seiten die Entwicklung der Gemeindevertretung von 1866 bis ins Jahr 1908 schilderte. Im selben Band erschien unter der Rubrik Směs (Verschiedenes) der Beitrag Proti cikánům (Gegen Zigeuner)972. Darin wurde der Inhalt einer an den Landtag der böhmischen Krone gerichteten Petition der Bezirksbehörde Jičín (Jitschin), wiedergegeben. In der Petition vom 29. August 1907 wurde die Regierung dazu aufgefordert, „eine schnelle Lösung gegen das Banditentum der Zigeuner zu finden und dieses soziale Übel endgültig an der Wurzel zu packen und zu entfernen“. Die Unterschreiber der Petition verlangten eine „im Interesse der Sicherheit und Ordnung schnelle Beseitigung der Zigeunerumtriebe“, da die bisherigen Gesetze für eine Lösung des Problems nicht 966  Rücktritt

der Regierung Koerber (Ernest von) am 27. Dezember 1904. Obzor, Bd. 27, 1905, S. 12  ff. 968  Abgedruckt in Alois von Czedik, Zur Geschichte der k. k. österreichischen Ministerien 1861–1916, 4.  Bd., Teschen-Wien-Leipzig 1917–1920, S. 420–424. 969  Samosprávný Obzor, Bd. 27, 1905, S. 14. 970  Samosprávný Obzor, Bd. 27, 1905, S. 12. 971  Samosprávný Obzor, Bd. 30, 1908, S. 101, 129, 193. 972  Samosprávný Obzor, Bd. 30, 1908, S. 27. 967  Samosprávný

200 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

geeignet seien. Das Abschiebegesetz vom 27. Juli 1871 (Nr.  88) sei zu träge und könne durch die Bezirksbehörden nicht umgesetzt werden. Die Unterschreiber der Petition forderten, dass die Lösung des Problems den Ländern überlassen werden solle und verwiesen hierbei auf die Verhältnisse in Preußen und Ungarn, die ihre eigenen Gesetze für ihre Länder erlassen hätten, da eine Lösung der Zigeunerfrage im Rahmen der Reichsgesetzgebung nicht möglich sei.973 V. Einstellung Von Anfang an hatte die Zeitschrift mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen, worauf die Redaktion bereits im zweiten Band aufmerksam machte: „Wir haben uns an alle Bezirksvertretungen, Städte, Funktionäre und Selbstverwaltungsorgane mit der Bitte um Unterstützung und Weiterempfehlung der Samosprávný Obzor gewendet. Von vielen Seiten haben wir großzügige Hilfe erhalten. Trotzdem konnten nicht so viele Abnehmer gefunden werden, um auch nur die nötigsten Unkosten tragen zu können. So haben wir am Ende des letzten Bandes darauf aufmerksam gemacht, dass wir unter diesen Umständen gezwungen sein werden das Blatt einzustellen. Daraufhin erhielten wir viele Briefe, in denen wir eindringlich darum gebeten wurden wenigstens noch ein Jahr durchzuhalten. Die Bitten haben wir erhört und uns dazu entschlossen, dass Blatt weiter erscheinen zu lassen, mit der Hoffnung, dass unsere Selbstverwaltungsorgane unser vielversprechendes Projekt nicht im Stich lassen werden. Zu diesem Anlass wenden wir uns erneut an alle Bezirksvertretungen mit der Bitte um Unterstützung des einzigen Blattes, das sich mit der reinen Selbstverwaltung auseinander­ setzt.“974 Ähnlich lautete es in dem Artikel Pozvání ku předplacení (Einladung zum Abonnement) aus dem Jahr 1886: „Die Samsoprávný Obzor ist kein gewinnbringendes Unternehmen, ganz im Gegenteil steht sie jedes Jahr vor großen Opfern und ihre Herausgeber bemühen sich, dieses für die Selbstverwaltung so wichtige Blatt so weit wie möglich zu erhalten.“975 Trotz anhaltender finanzieller Schwierigkeiten erschienen insgesamt dreißig Bände der Samsoprávný Obzor. Zur Einstellung der Zeitschrift kam es schließlich im Jahr 1908: „Unsere Zeitschrift, um die sich in den letzten Jahren ein großer Kreis von Mitarbeitern versammelt hat, konnte in den Zeiten, in denen nahezu täglich der Aufstieg der Selbstverwaltung verkündet 973  Samosprávný

Obzor, Bd. 30, 1908, S. 28. Obzor, Bd. 2, 1880, S. 32. 975  Samosprávný Obzor, Bd. 8, 1886, S. 1. 974  Samosprávný



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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wird, nicht die Anzahl von Abnehmern erreichen, die nötig gewesen wäre, um die Herausgabe der Zeitschrift ohne Defizit bewältigen zu können. Somit blieb uns nichts anderes übrig, als die endgültige Einstellung der Sa­ mosprávný Obzor bekannt zu geben. Die Einstellung ist ein neuer Beleg dafür, wie weit der Weg von der Phrase zur tatsächlichen Arbeit ist.“976

C. Sborník věd právních a státních (1901–1943 und 1946–1948)977 I. Gründer und Redakteure Im Jahr 1901 erschien der erste Band der juristischen Zeitschrift Sborník věd právních a státních, die überwiegend eine rechtstheoretische Zeitschrift war und somit keine Konkurrenz zum Právník darstellte. Gründer der Zeitschrift war der Verwaltungsrechtler Bohuš Rieger (1857–1907)978. Institutionell war die Zeitschrift an zwei außeruniversitäre Einrichtungen angebunden: Auf der einen Seite an die Právnická Jednota und auf der anderen Seite an die Akademie pro vědy, slovesnost a umění (ČAVU). Obwohl Bohuš Rieger aus einer der bekanntesten tschechischen Politikerfamilien stammte, entschied er sich für die wissenschaftliche Laufbahn. Mit der Politik beschäftigte er sich nur, wenn es unbedingt notwendig war oder wenn es die Verpflichtung seiner Familie gegenüber erforderte.979 Trotz allem brachte er es auf dem Gebiet der tschechischen Rechtsgeschichte zu einer außergewöhnlichen Karriere. Er studierte Rechtswissenschaften an den Universitäten in Prag, Straßburg und Halle. Nach seiner Promotion an der Prager Juristischen Fakultät im Jahre 1880 folgten Studienaufenthalte in Paris, Berlin und Wien. In Berlin fing er an, sein Studium der tschechischen Verwaltungsgeschichte zu widmen. Er krönte seine Forschungsarbeit mit dem Werk České zřízení krajské (Kreisordnung in Böhmen; Teil I. 1889 und Teil II. 1892–93), für das er elf Jahre lang in den Wiener Archiven recherchierte.980 Schließlich habilitierte er sich im Jahr 1889 für Geschichte und Theorie des öffentlichen Rechts an der tschechischen Universität in Prag und wurde hier 1893 zum außerordentlichen und im Jahr 1899 zum ordentlichen Professor für österreichische Reichsgeschichte so976  Samosprávný

Obzor, Bd. 30, 1908, S. 384. Archiv für Rechts- und Staatswissenschaft. 978  Sohn von František Ladislav Rieger und Enkel Palackýs. 979  Karel Malý, Art. „Bohuš, Svobodný Pán Rieger. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 25. 980  Malý, Art. „Bohuš, Svobodný Pán Rieger. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 25. 977  Übersetzung:

202 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

wie Verfassungs- und Verwaltungsrecht ernannt.981 In seiner literarischen Produktion verband er sein Interesse für Rechtsgeschichte mit dem theoretischen Studium der Selbstverwaltung. Geprägt durch seinen familiären Hintergrund, sah er den tschechischen Staat nicht nur als historischen, sondern auch als zukünftigen Staat an.982 Seine Ansichten verbreitete er in seinen literarischen Werken wie z. B. die Ústavní dějiny Rakouska (Österreichische Verfassungsgeschichte, 1903) und Říské dějiny rakouské (Österreichische Reichsgeschichte, 1898) In seinem Werk O vedoucích myšlenkách naší samosprávy (Über die Leitgedanken unserer Selbstverwaltung, 1902) zeigte sich seine Abneigung gegenüber dem Wiener Zentralismus und der Wunsch nach einer Wiederherstellung des tschechischen Staates.983 Politisch gesehen war B. Rieger Demokrat; ab dem Jahr 1905 war er Abgeordneter des böhmischen Landtages in der Kurie der Großgrundbesitzer. Bei den Verhandlungen zur Einführung eines allgemeinen Wahlrechts im Jahr 1907 lehnte er die Legitimität des Reichsrates als höchstes gesetzgebendes Organ ab. Diese Haltung war der Auslöser zahlreicher studentischer Demonstrationen gegen B. Rieger. Trotz allem machte er sich an der Prager Juristischen Fakultät einen großen Namen. Zu seinen Verdiensten zählte der Ausbau der Prager Juristischen Fakultät sowie die Gründung und Finanzierung der Zeitschrift Sborník věd právních a státních. Damit öffnete er die Tür für die nachfolgende Juristengeneration an der Prager Fakultät, insbesondere den jungen Dozenten, die er bei der Publikation ihrer Habilitationen großzügig unterstützte.984 Nach dem Tode Riegers im Jahr 1907 übernahm der Rechtshistoriker Karel Kadlec (1865–1928)985 bis zum Jahr 1928 die Redaktion des Sborník věd právních a státních und von 1929 bis 1943 Jiří Hoetzel986. II. Ziel und Inhalt Die ursprüngliche Konzeption der Zeitschrift Sborník věd právních a státních erschließt sich aus dem Doslov redakce (Nachwort der Redaktion). Danach sollte die Zeitschrift zur Pflege aller an der Fakultät vertretenen 981  Malý, Art. „Bohuš, Svobodný Pán Rieger. In: Antalogie české Prag 1993, S. 25. 982  Malý, Art. „Bohuš, Svobodný Pán Rieger. In: Antalogie české Prag 1993, S. 25. 983  Malý, Art. „Bohuš, Svobodný Pán Rieger. In: Antalogie české Prag 1993, S. 26. 984  Malý, Art. „Bohuš, Svobodný Pán Rieger. In: Antalogie české Prag 1993, S. 26. 985  Näheres bei: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 37. 986  1.  Teil, Kapitel  3, A.  III.

právní vědy, právní vědy, právní vědy, právní vědy,



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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rechtlichen und staatlichen Fachgebiete bestimmt sein.987 Inhaltlich gliederte sich die Zeitschrift Sborník věd právních a státních in die Rubriken Články (Aufsätze), Literatura und Zprávy (Nachrichten), wobei der redak­ tionelle Schwerpunkt der Zeitschrift auf den Literaturbesprechungen lag. Die Sborník věd právních a státních war eine kulturelle Rechtszeitschrift, die nicht für Praktiker bestimmt war. Da der Právník durch seine wachsende Praxisorientierung seinen kulturellen Anspruch zunehmend verloren hatte, musste eine Zeitschrift gegründet werden, die diesen Spezialbereich abdecken konnte. III. Autoren und Aufsätze Die Beitragenden der ersten Ausgabe der Sborník věd právních a státních lesen sich wie das „Who is Who“ der tschechischen Rechtswissenschaft. Neben B. Rieger waren es u. a. Randa, Pražák, Čelakovský, Hermann-Otavský und Stupecký, die gleichzeitig auch für die Zeitschrift Právník tätig waren. Die Sborník věd právních a státních ermöglichte ihnen die Veröffentlichung ihrer rechtstheoretischen und rechtshistorischen Aufsätze, die sich zuvor bei den zumeist praxisorientierten Lesern des Právník keiner Beliebtheit erfreut hatten. Von den 16 Aufsätzen des ersten Bandes widmeten sich allein schon 4 der Rechtsgeschichte. Darunter der Aufsatz von Karel Kadlec Základní otázky slovanských právních dějin (Grundfragen der slawischen Rechtsgeschichte). Aber auch Aufsätze zu aktuellen Fragen kamen in der Zeitschrift nicht zu kurz. In der ersten Ausgabe veröffentlichte Jiři Pražák seinen Aufsatz Slovo k reformě řízení správního, I a II (Ein Wort über die Reform des Verwaltungsverfahrens, I und II)988. Anlass hierfür waren die auf dem Prager Anwalts­ kongress im Jahre 1884 erstellten „Drei Gutachten über die Reform des ­Administrativ-Verfahrens“ des Wiener Anwalts Ludvik Brunstein. Darin wurde die vollständige Reorganisation der Verwaltungsbehörden sowie die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit in allen Instanzen verlangt.989 Anlässlich des 70sten Geburtstags Randas erschien im Jahr 1904 ein Sonderband der Sborník věd právních a státních. Die in der Zeitschrift publizierten Aufsätze waren teilweise bis zu 65 Seiten lang, wie z. B. im Jahr 1905 der Aufsatz O uherském právu manšelském (Über das österreichische Eherecht) von Kamil Henner und im gleichen Heft der Aufsatz von Jan Krčmář über das Institut de droit international und seine Arbeit für das internationale Privatrecht (64 Seiten) und hätten in dieser Form im Právník nicht erscheinen können. Der erste in der Sborník 987  Sborník

věd právních a státních, Bd. 1, 1901, S. 368. věd právních a státních, Bd. 1, 1901, S. 52, 369. 989  Sborník věd právních a státních, Bd. 1, 1901, S. 53. 988  Sborník

204 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

věd právních a státních erschienene Aufsatz von František Weyr (1909) befasste sich nicht mit einem rechtstheoretischen Thema, sondern mit einer statistischen Studie zur Erwerbstätigkeit von Frauen.990 Im nächsten Band erschien Weyrs Habilitationsvortrag O trestní pravomoci politických úřadů (Über die strafrechtlichen Befugnisse der politischen Behörden).991 Auch Hans Kelsen veröffentlichte 1914 seinen Aufsatz Sociologická a právnická idea státní (Die soziologischen und juristischen Ideale des Staates)992. Nach der Gründung der Tschechoslowakei erschien im Jahr 1920 Jiří Hoetzels Aufsatz Ústavní listina Československé republiky (Die Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik)993 und im nächsten Band der Aufsatz Ústavní listina Československé republiky a vliv cizích ústav (Die Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik und der Einfluss ausländischer Verfassungen)994 von Bohumil Baxa. Auffällig ist, dass gerade in dieser bewegten Phase wenig Aufsätze über die staatlichen und rechtlichen Veränderungen erschienen sind, während sich die übrigen juristischen Zeitschriften fast ausschließlich damit beschäftigten. Nach 1920 erschienen im Sborník věd právních a státních dagegen wieder vermehrt rechtshistorische Beiträge und Aufsätze zum internationalen Recht. Von den im Jahr 1924 publizierten 11 Aufsätzen, widmeten sich allein 4 dem ausländischen Recht. Bevorzugt erschienen Aufsätze zum russischen Recht, darunter auch zur russischen Rechtsgeschichte und über russische Rechtsschulen.995 Nach dem Tode Kadlecs im Jahr 1929 übernahm Hoetzel bis 1943 die Redaktion der Zeitschrift, was zu einer Änderung der Ausrichtung führte. Rechtshistorische und rechtstheoretische Aufsätze traten mehr in den Hintergrund und es erschienen vermehrt Aufsätze zum Wirtschafts-, und Steuerrecht. In Bezug auf das internationale Recht ging der Blick nach wie vor in Richtung Russland. Im Jahr 1932 erschien der Aufsatz Mrtvý obsah moderních demokra­ tických ústav von Weyr (Der tote Inhalt moderner demokratischer Verfassungen)996, in dem er erklärte: „Hier und da beginnt sich die Verfassungspraxis von den ehemaligen demokratischen Idealen zu lösen. Man spricht viel von der Krise der Demokratie, die sich angeblich nicht bewährt 990  Sborník

věd právních a státních, Bd. 9, 1908–1909, S. 150. věd právních a státních, Bd. 10, 1909–1910, S. 93. 992  Sborník věd právních a státních, Bd. 14, 1914, S. 69; in einer Übersetzung von Karel Engliš. 993  Sborník věd právních a státních, Bd. 20, 1920, S. 1. 994  Sborník věd právních a státních, Bd. 21, 1921, S. 1. 995  Im Jahr 1925 befassten sich von den insgesamt 14 Aufsätzen 3 mit dem russischen Recht; im Jahr 1927 erschien im Sborník věd právních a státních von J. Spektorskij der Aufsatz Tři školy v  ruské státovědě (Drei Schulen im russischen Staatsrecht), die metaphysische Schule von Čičerin, die politische von Gradovsky und die soziale von Korkunov, S. 38  ff. 996  Sborník věd právních a státních, Bd. 32, 1932, S. 819, 831. 991  Sborník



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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habe, und ruft nach neuen Formen. Auch der ‚Demos‘ selbst ist schon nicht mehr zufrieden mit der Demokratie, wenn sie in ihrer traditionellen Gestalt auftritt und fordert dabei, dass die parlamentarische Demokratie ersetzt würde durch eine modernisierte ständische Ordnung (Österreich!), wobei die nähere Durchführung dieses Projektes allerdings äußerst unklar bleibt; manchmal scheint es, als ob der von den bisherigen Erfahrungen enttäuschte Demos fähig wäre, seine ‚kratie‘ freiwillig aufzugeben und sie auf einen ‚starken Einzelnen‘ zu übertragen, damit dieser endlich Ordnung schaffe“. Im Jahr 1934 erschien im Sborník věd právních a státních eine Zusammenstellung aller Aufsätze zum Verfassungs- und Verwaltungsrecht, sowie zum Internationalen Recht, die im Jahr 1932 in allen auf dem Gebiet der Tschechoslowakei erschienenen Zeitschriften publiziert wurden.997 Im Jahr 1938 publizierte Kamil Kalousek seinen Aufsatz Jest Československá republiky právním pokračovatelem státu Českého? (Ist die Tschechoslowakische Republik der rechtmäßige Rechtsnachfolger des tschechischen Königreiches?)998. Im Jahr 1943 wurde die Zeitschrift vorübergehend eingestellt und erst ­wieder nach zweijähriger Pause im Jahr 1946, unter der Redaktion von Čechrák, Matějka, Štajgr und Saturník, ohne Hoetzel, der im Jahr 1943 ausgeschieden war, herausgegeben. Der erste Band nach der Neuauflage der Zeitschrift begann mit dem Aufsatz Několik poznámek k  tvorbě normových ohnisek (Einige Bemerkungen zur Entstehung normativer Brennpunkte)999 von Jan Krčrmář und der Aufsatz von Alfred Meissner Právní kontinuita (Rechtskontinuität)1000. IV. Kriegsjahre und Einstellung In den Kriegsjahren wurde die Zeitschrift Sborník věd právních a státních vorübergehend eingestellt (1943) und erst 1946 wieder herausgegeben. Zur Neuauflage der Zeitschrift im Jahre 1946 verkündete die Redaktion: „Die von uns sehnsüchtig erwartete Befreiung unseres Vaterlandes, ermöglichte uns nach langer erzwungener Unterbrechung, die Neuauflage unserer Zeitschrift Sborník věd právních a státních. Wobei die Fortsetzung der Zeitschrift, als Ausdruck der Wiedergeburt der Tschechoslowakischen Republik auf dem Gebiet der Rechtstheorie verstanden werden soll.“1001 Die Zeitschrift wurde aber schließlich nach nur drei Bänden im Jahre 1948 endgültig eingestellt. 997  Sborník

věd právních a státních, Bd. 34, 1934, S. 161. věd právních a státních, Bd. 38, 1938, S. 77. 999  Sborník věd právních a státních, Bd. 46, 1946, S. 2. 1000  Sborník věd právních a státních, Bd. 46, 1946, S. 15. 1001  Sborník věd právních a státních, Bd. 46, 1946, S. 1. 998  Sborník

206 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

D. Správní Obzor (1909–1919) I. Anliegen und Ziele Die erste Ausgabe der Spezialzeitschrift Správní Obzor1002 erschien im Jahr 1909 und wurde von dem Klub Konceptního Úřednictva Zemského Výboru Království Českého (Klub der Beamtenkonzipienten des Landesausschusses der böhmischen Krone) herausgegeben. Ein Jahr zuvor wurde die erste tschechische verwaltungsrechtliche Zeitschrift Samosprávný Obzor (1879–1908)1003 eingestellt. Die Redaktion sah den Niedergang ihrer Vorgängerzeitschrift als Anreiz für die Gründung einer neuen öffentlich rechtlichen Zeitschrift. In ihrem Vorwort Úkoly Správního Obzoru (Aufgaben der Správní Obzor) erklärte die Redaktion, dass es notwendig sei, eine eigene Zeitschrift zu gründen, die sich ausschließlich mit dem Verwaltungsrecht beschäftige, da die Beamtenschaft der Landesausschüsse, die Selbstverwaltung und die öffentliche Verwaltung an einem gesellschaftlichen Manko leide, nämlich der Unkenntnis des öffentlichen Rechts.1004 Somit habe sich die Redaktion zur Herausgabe der Správní Obzor entschieden, um dieser Unzulänglichkeit abzuhelfen. In erster Linie werde sich die Zeitschrift um die genaue und verlässliche Darstellung der öffentlichen Verwaltung bemühen. Aufgabe der Zeitschrift sei die Beobachtung der Rechtspraxis und die Wiedergabe wertvollen theoretischen Materials. Gegebenenfalls werde die Zeitschrift auch auf nötige Reformen aufmerksam machen und hierzu Vorschläge unterbreiten.1005 Weiterhin werde sich die Správní Obzor mit der vernachlässigten Landesgesetzgebung befassen und eine vergleichende Untersuchung der Selbstverwaltung und des Staatsrechts vornehmen, wobei der Schwerpunkt auf der Selbstverwaltung liegen werde. Zudem eröffne die Zeitschrift den Verwaltungsrechtlern die Möglichkeit ihre Werke zu publizieren und ihr Wissen einzubringen. Weiterhin habe sich die Redaktion vorgenommen in einer eigenen Rubrik die wichtigsten verwaltungsrecht­ lichen Gerichtsentscheidungen zu präsentieren und kritisch zu hinterfragen. In den übrigen Rubriken werde man sich mit der neuen Gesetzgebung befassen, verwaltungsrechtliche Tatsachen präsentieren und schließlich in der letzten Rubrik literarische Werke besprechen, insbesondere solche der tschechischen und österreichischen Literatur.1006

1002  Deutsche

Übersetzung: Verwaltungsrundschau. Kapitel  3, B. 1004  Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 1. 1005  Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 1. 1006  Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 2. 1003  1.  Teil,



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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II. Herausgeber und Autoren Redigiert wurde die Zeitschrift von dem Verwaltungsrechtler Jiří Hoetzel, der durch seine vielen Beiträge für den Právník und den Sborník věd právních a státních bereits großes Ansehen genoss. Als weiterer prominenter Autor der Správní Obzor konnte František Weyr gewonnen werden, der die Zeitschrift mit seinen staatsrechtlichen und philosophischen Beiträgen bereicherte. Bereits im ersten Band (1909) erschien sein Aufsatz Žaloba pro odepřenou ­spravedlnost (Klage gegen die versagte Gleichberechtigung)1007 und im Jahr 1911 die beiden Aufsätze O statistice kompetenci (Über die statistische Kom­ petenz)1008 und Změny v  territoriální organisaci veřejné správy v  Čechách 1848 až 1910 (Veränderungen in der territorialen Organisation der Öffent­ lichen Verwaltung in Böhmen zwischen 1848 bis 1910)1009. Weyr wurde im Jahr 1879 als Sohn eines aus Prag stammenden Mathematik-Professors in Wien geboren. In seinem Elternhaus wurde tschechisch gesprochen. Nach dem frühen Tod seines Vaters zog die Familie nach Prag, nachdem die Mutter den Direktor eines Prager Gymnasiums geheiratet hatte.1010 Er studierte Rechtswissenschaften an der Tschechischen Universität in Prag, wurde 1904 promoviert und habilitierte sich 1909 für österreichisches Verwaltungsrecht. Im selben Jahr nahm er die ihm angebotene Stelle in der Statistischen Landeskanzlei in Prag an. Zwischen 1909–1912 war er gleichzeitig an drei Stellen tätig: In der Statistischen Landeskanzlei, an der Juristischen Fakultät der Prager Universität als habilitierter Privatdozent und an der Technischen Hochschule Prag als Dozent.1011 An der Technischen Hochschule hielt er eine vierstündige Vorlesung über Öffentliches Recht. Diese Lehrtätigkeit bereitete ihm mehr Freude als seine Vorlesungen vor den „blasierten Studenten“, und das obwohl er sich in dieser Rolle gerne mit der eines Zeichen- und Turnlehrers an einem Gymnasium verglich.1012 Im Jahr 1912 wurde ihm eine neue Stelle als Professor an der Tschechischen Technischen Hochschule in Brünn angeboten, die er schließlich annahm. Parallel hierzu fiel seine Begegnung mit Hans Kelsen, der eine enge Zusammenarbeit beider Juristen und eine persönliche Freundschaft folgte.1013 Weyr charakterisierte Kelsen als einen Professor, dem an einem ein1007  Správní

Obzor, Bd. 1, 1909, S. 41. Obzor, Bd. 3, 1911, S. 45  ff. 1009  Správní Obzor, Bd. 3, 1911, S. 334  ff. 1010  Miloš Večeřa, František Weyr, Brünn 2001, S. 297. 1011  Večeřa, František Weyr, Brünn 2001, S. 298. 1012  Helmut Slapnicka, Autobiografien dreier tschechischer Rechtslehrer: František (Franz) Weyr, Vladimír Kubeš, Viktor Knapp. In: ZNR, Bd. 25, 2003, S. 64. 1013  Večeřa, František Weyr, Brünn 2001, S. 298. 1008  Správní

208 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

zigen Tag mehr einfällt als einem durchschnittlichen Kollegen in dreißig Jahren.1014 In Brünn, wo er ausschließlich in tschechischer Gesellschaft verkehrte, erlebte Weyr den Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Er wurde zum Armeedienst verpflichtet, der Hochschule gelang es jedoch bald, ihn wieder freistellen zu lassen.1015 In den Jahren 1918   /   19 war er Mitglied der ersten tschechoslowakischen Nationalversammlung und maßgeblich an der Verfassung von 1920 beteiligt.1016 Zusammen mit Karel Engiš – dem späteren Finanzminister der Tschechoslowakischen Republik – war er entscheidend an der Errichtung der zweiten tschechischen Universität – der Masaryk-Universität in Brünn – beteiligt. An der im Anschluss errichteten Juristischen Fakultät der Masaryk-Universität wurde Weyr zum ordentlichen Professor ernannt und zu deren ersten Dekan gewählt.1017 Durch die Begründung der Brünner Schule des normativen Rechts hat Weyr die Juristische Fakultät in der Zwischenkriegszeit auf eine völlig eigene Weise geprägt, sodass der Ruf der Hochschule über die Grenzen der Republik reichte.1018 Bis auf seine Tätigkeit für die revolutionäre Nationalversammlung zur Gestaltung der Verfassung hatte er für Politik nicht viel übrig. Er stellte fest, dass die Rolle der Politik überschätzt werde, dass vielfach rhethorische Leistungen den Ausschlag geben würden und diese Form der Demokratie eigentlich eine Herrschaft der Redner sei. Ähnlich verhielt es sich auf dem Gebiet der Kommunalpolitik. Hier gehörte er seit 1918 der Verwaltungskommission der Stadt Brünn an, deren Aufgabe es war, die Stadtverwaltung aus deutschen Händen zu übernehmen und den deutschen Einfluss zu beseitigen. Bei der Umbenennung der Straßennamen in Brünn, die sich damals sprachlich kaum von irgendeiner rein deutschen Stadt unterschied, setzte er sich für die Beibehaltung der Goethe- und Schillerstraße ein.1019 Ein Jahr vor der Einstellung der Správní Obzor gründete Weyr die Brünner Zeitschrift Časopis pro právní a státní vědu (Zeitschrift für Rechtsund Staatswissenschaft, 1918–1948). Weyr schrieb zahlreiche Abhandlungen zum tschechoslowakischen Verfassungsrecht. Darunter seine Werke: Soustava československého práva stát­ ního (System des tschechoslowakischen Staatsrechts, 1921), Československé 1014  Slapnicka, Autobiografien dreier tschechischer Rechtslehrer: František (Franz) Weyr, Vladimír Kubeš, Viktor Knapp. In: ZNR, Bd. 25, 2003, S. 65. 1015  Večeřa, František Weyr, Brünn 2001, S. 298. 1016  Petr Kreuz, Art. „František Weyr“. In: Juristen. Ein biographisches Lexikon; von der Antike bis zum 20.  Jahrhundert, hg. von Michael Stolleis, München 2001, S. 670. 1017  Večeřa, František Weyr, Brünn 2001, S. 298. 1018  Večeřa, František Weyr, Brünn 2001, S. 299. 1019  František Weyr: Paměti (Erinnerungen), Bd. 2: Za republiky (Zur Zeit der Republik) 1918–1938, Brünn 2001.



Kap. 3: Anfänge der tschechischen juristischen Fachpresse

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právo ústavní (Tschechoslowakisches Verfassungsrecht, 1937) und zum Verwaltungsrecht Československé právo správní (Tschechoslowakisches Verwaltungsrecht, 1922).1020 III. Aufsätze Insbesondere zur Sprachenproblematik veröffentlichte die Správní Obzor zahlreiche Aufsätze. Bereits im ersten Band erschienen die beiden Aufsätze Boj jazykový v  uřadování samosprávném (Der Sprachenstreit in den Verwaltungsbehörden)1021 von František Havrda und der Aufsatz O kom­ petenci k  úpravé otazký jazykové (Die Kompetenz zur Regelung der Sprachenfrage)1022 von Egon Zeis. Im zweiten Band (1910) erschien, erneut aus der Hand Havrdas, der Aufsatz Jazyková praxe samosprávná a potřeba zákonné úpravy (Sprachenpraxis in der Selbstverwaltung und die Notwendigkeit ihrer gesetzlichen Regelung)1023 und im Jahr 1911 sein Aufsatz K otázce zákonné úpravy jazykové otázky při úřadech samosprávných (Zur Frage der gesetzlichen Regelung der Sprachenfrage in den Selbstverwaltungs­ behörden)1024. Ein weiterer Schwerpunkt der Zeitschrift war die Präsentation von Reformvorschlägen. Hierzu erschien im ersten Band der Aufsatz Hoetzels Obnova správního řízení dle práva rakouského (Die Erneuerung des Verwaltungsverfahrens nach österreichischem Recht)1025, im Jahr 1910 der Aufsatz O reformě českého zákona honebního (Zur Reform des Jagdrechts) von Jaroslav Fiala, im Jahr 1911 der Aufsatz K reformé zákona o právu vodním (Zur Reform des Wasserrechtsgesetzes) von R. Krejčí und im Jahr 1919 der Aufsatz Reforma správny politické (Zur Reform der politischen Verwaltung)1026 von Karel Laštovka. Ein Jahr nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1918 erschien der Aufsatz Do práce! (An die Arbeit)1027, in der die Redaktion der Správní Obzor erklärte: „Mit Freude eröffnen wir den elften Band unser Zeitschrift Správní Obzor. Unsere Republik hat das Recht, von uns die größte Kraftanstrengung zu verlangen. Jeder von uns muss sein Scherf1020  Kreuz, Art. „František Weyr“. In: Juristen. Ein biographisches Lexikon; von der Antike bis zum 20.  Jahrhundert, hg. von Michael Stolleis, München 2001, S. 670. 1021  Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 12. 1022  Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 151, 194. 1023  Správní Obzor, Bd. 2, 1910, S. 41, 93, 149, 217. 1024  Správní Obzor, Bd. 3, 1911, S. 1, 54, 103. 1025  Správní Obzor, Bd. 1, 1909, S. 85, 129, 173, 217. 1026  Správní Obzor, Bd. 11, 1919, S. 18. 1027  Správní Obzor, Bd. 11, 1919, S. 1.

210 1. Teil: Tschechische juristische Zeitschriften zwischen 1861 und 1918

lein dazu beitragen. Dabei dürfen die Bürger der Republik nicht nur ihre Rechte betonen, sondern müssen sich auch ihrer Pflichten für den Staat bewusst werden und den Zauber des Wortes ‚unser‘ verstehen. Aber die Verpflichtung ruft uns auch in Erinnerung, dass unser Staat in seinem Organismus nicht vollkommen gesund ist! Mit ganzer Kraft hat sich unsere Zeitschrift darum bemüht das Niveau des Verwaltungsrechts anzuheben. Wir würden uns freuen, wenn unsere Zeitschrift die repräsentative verwaltungsrechtliche Revue unseres Staates und zum Spiegel der Leistungsfähigkeit unserer Verwaltungsbehörden werden würde.“ IV. Einstellung Im Jahr 1919 erschien der letzte Band der Správní Obzor. Nach Angaben der Redaktion war der Grund für die vorzeitige Einstellung die unerträg­ liche Preiserhöhung für Papier, die in keinem Verhältnis zu den Honoraren stünde.1028

1028  Správní

Obzor, Bd. 11, 1919, letzte Seite.

2. Teil

Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918 Kapitel 1

Die Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 und ihre Entwicklung bis ins Jahr 1938 Am 28. Oktober 1918 gab der Nationalausschuss in Prag die Gründung der Tschechoslowakischen Republik bekannt. Die Provisorische Verfassung wurde am 13. November 1918 verkündet. Nach der Verfassung war der tschechoslowakische Staat eine Republik mit einem von der Nationalversammlung gewählten Präsidenten and der Spitze. Die festgelegte Präsidentschaftsrepublik war eng an das französische Vorbild angelehnt. Der Staat entstand auf dem Gebiet der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie aus den Böhmischen Kronländern einerseits (Königreich Böhmen, Markgrafschaft Mähren, Herzogtum Schlesien) und aus Teilgebieten des ehemaligen Königreichs Ungarns (Slowakei, Karpato-Ukraine) andererseits.1 Die endgültige Verfassung der Tschechoslowakischen Republik wurde am 29. Februar 1920 verabschiedet, sie baute die Existenz des tschechoslowakischen Staates auf zwei ideelle Grundlagen: die eine war die Demokratie, die andere das Prinzip der Unverletzbarkeit der Versailler Gebietsordnung von 1919.2 Im Vergleich zu den anderen osteuropäischen Nachbarstaaten war die Tschechoslowakei entwickelter, industrialisierter und bürgerlicher. Die Bürgerrechte und Freiheiten wurden von der Verfassung in dem Umfang garantiert, wie es in den damaligen westlichen Demokratien üblich war, was insbesondere dazu führte, dass die ČSR in den dreißiger Jahren, als eine „Oase der Demokratie“ in Mitteleuropa bezeichnet wurde.3 1  Karin Schmid, Vladimír Horský (Hrsg.), Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht. Einführung zu den Verfassungstexten von Zdeněk Jičínský und Vladimír Mikule, Berlin 1995, S. 10 (in Folge zit.: Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht). 2  István Bibó, Die Misere der osteuropäischen Kleinstaaterei, Frankfurt 1992, S. 33. 3  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 10.

212 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Die gesetzgebende Gewalt übte die aus zwei Kammern bestehende Na­ tionalversammlung aus, die auch den Präsidenten der Republik wählte. Die Verfassung war demokratisch ausgearbeitet und hatte formal-rechtlich bis zum Jahre 1948 Bestand. Aus der Existenz starker nationaler Minderheiten (23,4 % Deutsche, 5,6 % Ungarn, 3,4 % Ruthenen, 0,6 % Polen) ergaben sich große politische Probleme.4 Die Beziehung zwischen den Tschechen und den Slowaken versuchte die Verfassung durch die Konstruktion eines „tschechoslowakischen Volkes“ zu lösen.5 Der erste Präsident der ČSR, Masaryk, äußerte nach der Entstehung der Tschechoslowakei den Gedanken, dass 50 Jahre nötig sein würden, bis sie zu einem fest verankerten demokratischen Staat würde, einer Art mitteleuropäischer Schweiz, in der die Bürger in einer Gemeinschaft zusammenleben, ohne auf die Nationalität zu achten.6 Die Geschichte gewährte dem neuen Staat jedoch nicht so viel Zeit. Die Ersetzung der Monarchie durch die Republik brachte viele Änderungen mit sich, die besonders in der Rechtsordnung ihren Ausdruck fanden. In dem neuen Staatengebilde mussten wichtige staatsrechtliche Entscheidungen getroffen werden. Die ersten zu lösenden Grundfragen waren die Festlegung der Staatsgrenzen, die Verabschiedung einer neuen Verfassung und die Vereinheitlichung der Gesetze. Durch die Verfassung sollte die komplizierte Nationalitätenfrage geklärt und das Staatsangehörigkeits- und Minderheitenrecht neu geregelt werden. Dabei bildete die rechtliche Stellung der nationalen Minderheiten den Gegenstand völkerrechtlicher Verträge und Verpflichtungen. Rechtsgrundlage der nationalen Minderheiten in der ČSR wurde der Vertrag zwischen den Ententemächten und der Tschechoslowakei vom 10. September 1919 (Saint-Germain Vertrag)7. Dieser Vertrag bestätigte ausdrücklich die Anerkennung der Tschechoslowakischen Republik und verpflichtete sie gemäß Art. 1 zur Einhaltung der Grundbestimmungen über die Minderheiten, die weiter in den Artikeln 2–8 des Vertrages enthalten waren.8 Die Bestimmungen der Artikel 2–8 wurden schließlich auch im sechsten Hauptstück der tschechoslowakischen Verfassung vom 29. Februar 1920 4  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 10. 5  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 10. 6  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 11. 7  Nr.  507 Slg. v. 1921. 8  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 271.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   213

(Nr.  121 Slg.)9 aufgenommen.10 Die konkrete Frage nach der Regelung der Staatsbürgerschaft wurde durch bilaterale Verträge zwischen der Tschechoslowakischen- und Österreichischen Republik sowie dem Deutschen Reich geregelt.11 Der neue Staat war ein kompliziertes Nationalitätengebilde, dessen Rechtsordnung sieben Nationalitäten und Kulturgruppen unter ein Dach bringen musste (Tschechen   /   Slowaken, Deutsche, Ungarn, Polen, Ukrainer, Juden und andere). Damit waren nationale Spannungen vorhersehbar.12

A. Staatsgründungsprobleme I. Ausarbeitung einer Verfassung Die Grundlage der staatlichen Ordnung der Tschechoslowakischen Republik bildeten die Rezeptionsnormen und die sogenannte provisorische Verfassung. Letztere war ihrem Wesen nach eine Improvisation, die einerseits zu schnell und andererseits auf eine untypische Weise entstanden war.13 Die provisorische Verfassung galt bis zum 29. Februar 1920, als die neue Verfassung von der Nationalversammlung verabschiedet wurde und schließlich am 6. März desselben Jahres in Kraft trat (Nr.  121 Slg.). Diese wurde wegen der fast informellen Verabschiedung der vorherigen als die erste Verfassung der Ersten Tschechoslowakischen Republik bezeichnet.14 Die gemeinsam von Professor Jiří Hoetzel und Alfréd Meissner erarbeitete Verfassung hatte mehrere Vorbilder, wie die amerikanische Verfassung von 1787, die belgische von 1831, die österreichische von 1867 sowie die drei Verfassungsgesetze der französischen Dritten Republik.15 Zudem ließen sich auch schweizerische, englische und deutsche Einflüsse nachweisen. Die juristischen Zeitschriften berichteten ausführlich über die neue Verfassung. So 9  Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 130  ff. 10  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 272. 11  Bilateraler Vertrag zwischen Österreich und der Tschechoslowakei (ÖGBl. 163   /   1921); Übereinkommen zwischen Österreich, Ungarn, Italien, Polen, Rumänien, SHS-Staat und der Tschechoslowakei vom 6. April 1922 (ÖBGBl. 175   /   1924). 12  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 270. 13  Petra Skřejpková, Umwandlungen der tschechoslowakischen Rechtsordnung 1918–1938. In: Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, hg. von Tomasz Giaro, Frankfurt am Main 2007, S. 212–213 (in Folge zit.: Skřejpková, Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, Frankfurt 2007). 14  Skřejpková, Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, Frankfurt 2007, S. 213. 15  Skřejpková, Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, Frankfurt 2007, S. 214.

214 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

erschien im Sborník věd právních a státních im Jahr 1921 der Aufsatz Ús­ tavní listina československé republiky a vliv cizích ústav (Die Verfassung der Tschechoslowakischen Republik und der Einfluss fremder Verfassungen)16 von Bohumil Baxa: „Es erschien schwierig die neue tschechische Verfassung auf nationalen juristischen Grundlagen aufzubauen, da die Revolution die Durchtrennung der bestehenden Gesetze verursacht hatte. Weder die tschechischen noch die österreichischen Rechtsgrundlagen konnten ein Vorbild für eine neue Verfassung sein. Ganz im Gegenteil galt auch hier die Parole odrakoustit (entösterreichern). Es war daher vonnöten die neue tschechische Verfassung nach ausländischen Mustern zu entwickeln. Der Staat verwandelte sich über Nacht von einem unterdrückten zu einem freien und ließ dabei politische wie auch verfassungsmäßige und parlamentarische Traditionen vermissen.“ Auch wenn die tschechoslowakische Verfassung zum größten Teil auf amerikanischen und französischen Grundlagen basierte, waren auch deutsche Einflüsse deutlich erkennbar. Der Ordinarius für römisches Privatrecht an der Deutschen Universität in Prag, Egon Weiß, urteilte diesbezüglich in der damaligen traditionellen Terminologie: „Die Verfassungsurkunde, die ohne Beteiligung der Deutschen zustande gekommen ist, enthält dennoch überwiegend germanisches Rechtsgut. Ihre Hauptquellen sind außer der Weimarer Verfassung die Verfassung der Vereinigten Staaten von Nordamerika und die österreichischen Staatsgrundsätze von 1867, während römische Einflüsse, wie sie die französische Verfassung verkörpert, erst in zweitem Rang stehen.“17 II. Festlegung der Staatsgrenzen Die Festlegung der Staatsgrenzen war eine der ersten zu lösenden Grundfragen nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik. Nach 1919 wurden der tschechoslowakischen Republik zahlreiche Gebiete zugesprochen, einschließlich solcher mit erheblichen nationalen Minderheiten, was später zu vielen Schwierigkeiten führen sollte. Die Grenzziehung wurde einerseits durch Friedensverträge, andererseits durch bilaterale Verträge zwischen der Tschechoslowakei und ihren Nachbarstaaten geregelt.18 Die Grenze zu Deutschland hatte im Versailler Vertrag vom 28. Juni 1919 (Nr.  217 Slg. v. 1921)19 ihre Grundlage; die österreichisch-tschechoslowa16  Sborník

věd právních a státních, Bd. 21, 1921, S. 1–39. Egon Weiss, Die tschechoslowakische Gesetzgebung. In: Prager Tagblatt vom 28. Oktober 1928. 18  Malý, Sprache – Recht – Geschichte, Heidelberg 1991, S. 271. 19  Leo Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 96. 17  Prof.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   215

kische Grenze wurde durch den Vertrag von Saint-Germain (Nr.  507 Slg. v. 1921 GS) festgesetzt.20 III. Trennung von Staat und Kirche Die nationalen und republikanischen Ereignisse der Jahre 1918   /   19 brachten gleichzeitig eine antikirchliche Bewegung mit sich, für die die Trennung von Kirche und Staat eine besondere Rolle spielte. Die Aussage Masaryks „Wir haben mit Wien abgerechnet, wir werden auch mit Rom abrechnen“ wurde zur Richtschnur für die Kirchenpolitik des neuen Staates.21 Gleich in den ersten Monaten der neuen Republik wurden entscheidende Änderungen vorgenommen. Darunter u. a. die Einführung einer fakultativen Zivilehe, die Befreiung vom Religionsunterricht und die Entfernung der Kruzifixe aus den Schulen.22 In der Unabhängigkeitserklärung vom 18. Oktober 1920 erklärte Masaryk, eine klare Trennung von Kirche und Staat nach dem französischen Vorbild von 1905 anzustreben. Dies war eine alte Lieblingsvorstellung Masaryks, die er schon vor dem Krieg hegte. Nach seinen Wünschen sollte die Religion das werden, was sie für Jan Hus gewesen war, nämlich eine Frage des Gewissens, und nicht eine Frage des politischen Charakters.23 Während sich das Revolutionsparlament zunächst passiv verhielt und zu den großen kirchenpolitischen Fragen keine Stellung nahm, brodelte es aber in der tschechischen Bevölkerung, die deutlich ihre Abneigung gegen den von Österreich aufgezwungenen Katholizismus zeigte. Im November 1918 jährte sich das Datum der Schlacht am Weißen Berg, welche sich im Bewusstsein der Tschechen als Anfang einer 300 Jahre dauernden politisch-nationalen Entmündigung verankert hatte, die Hand in Hand mit der Gegenreformation, d. h. mit der erzwungenen systematischen Rekatholisierung der böhmischen Länder einherging.24 In dem Zusammenhang 20  Skřejpková, Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, Frankfurt 2007, S. 201. 21  Zitat aus: Helmut Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei 1919–1945. In: Handbuch der Geschichte der Böhmischen Länder, Bd. 4, hg. von Karl Bosl, Stuttgart 1970, S. 41 (ohne Nachweis). 22  Helmut Slapnicka, Die böhmischen Länder und die Slowakei 1919–1945. In: Handbuch der Geschichte der Böhmischen Länder, Bd. 4, hg. von Karl Bosl, Stuttgart 1970, S. 41–42. 23  Mirek Podivinský, Kirche, Staat und religiöses Leben der Tschechen in der Ersten Republik. In: Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, hg. von Karl Bosl und Ferdinand Seibt, München 1982, S. 232 (in Folge zit.: Podivinský, Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, München 1982). 24  Podivinský, Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, München 1982, S. 229.

216 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

kam es am 3. November 1918, ein paar Tage nach der Unabhängigkeitserklärung der Tschechoslowakischen Republik, zu einer Massenkundgebung auf dem Prager Altstädter Ring, in deren Verlauf die Marienstatue, die als Fremdkörper und Überbleibsel des alten Regimes angesehen wurde, mit Stricken niedergerissen wurde, sodass schließlich allein die Husstatue stehen blieb.25 Für die evangelische Kirche schufen die antikatholischen Ressentiments im Staat eine günstige Ausgangsbasis und so kam es schließlich im Dezember 1918 zum Zusammenschluss der evangelischen Kirchen. Die evangelischen Theoretiker waren der Überzeugung, dass erst durch eine Rückkehr zur Reformation und zur religiösen Struktur in der Zeit vor dem Weißen Berg, das tschechische Volk imstande sein werde, eine eigene Kultur zu schaffen und eine eigene nationale Identität zu entwickeln.26 Im Hinblick auf die praktisch-politischen Schritte in Richtung Trennung von Kirche und Staat, trat bald eine gewisse Ernüchterung ein. Schließlich rang sich die Regierung dazu durch, die angekündigte Trennung von Kirche und Staat in die neue Verfassung mit aufzunehmen. § 121 des Regierungsentwurfes bestimmte hierzu: „Zwischen Staat und Kirche soll der Zustand der Trennung eingeführt werden.“ Der endgültige Wortlaut vom 29. Februar 1920 ging der ganzen Frage aus dem Weg und beschränkte sich auf die Feststellung: „Die Freiheit des Gewissens und des Bekenntnisses ist gewährleistet“.27 Somit wurde das Thema taktisch umgangen und die Fragen blieben weitgehend unbeantwortet. Welche Gedanken über die Trennung von Staat und Kirche kursierten zeigt der im Právník erschienene Aufsatz Odluka státu a církve (Trennung von Staat und Kirche)28 von Kamil Henner: „Unser Staat übernahm die alten Gesetze und versuchte bisher die kaiserlichen Gesetze zu bewahren, die möglich sind. Es fragt sich nun auf wen diese Gesetze übergangen sind? Auf die Regierung oder den Präsidenten? Bisher hat sich unsere Verfassung noch gar nicht über das Kirchenrecht geäußert, weder von Seiten der Regierung, noch vom Präsidenten. In der Zeit, in der Theorie und Praxis über die eine oder andere Meinung diskutieren, nutzt die Kurie die provisorischen Verhältnisse aus. Das haben wir bei der Einsetzung des Prager Erzbischofs gesehen, die anders war als die früheren Nominierungen. Diese unfertigen Verhältnisse haben dann zu radikalen Ideen geführt, wie zum Beispiel im Eherecht. Was soll jetzt werden. Von vielen Seiten vernimmt 25  Podivinský, Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, München 1982, S. 229. 26  Podivinský, Kultur und Gesellschaft in der Ersten Tschechoslowakischen Republik, München 1982, S. 231. 27  Fundstelle: Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 202. 28  Právník, Bd. 59, 1920, S. 1, 8–9.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   217

man: Konkordat. Aber wir haben gesehen, dass das Konkordat das Kind der Koordination ist und Koordination ist die verjüngte Hierokratie. Lässt sich unsere Geschichte wie die Zeiger einer Uhr zurückdrehen? Die Evangelische tschechische Brüdergemeinschaft hat sich nicht gegen eine Trennung ausgesprochen. Die Resolution, dass die Schule von der Kirche getrennt werden solle, wurde bereits angenommen. Gewiss möchte aber keiner eine gewaltsame Trennung, sondern jeder möchte eine gut durchdachte Lösung, denn alles was mit Gewalt aufgebaut hat, reißt man auch gerne wieder ab.“ IV. Vereinheitlichung der Gesetzgebung Bis zur Gründung der Tschechoslowakei galt für die westliche Staatshälfte (die ehemaligen Kronländer Böhmen, Mähren und Schlesien) das österreichische Recht und in der östlichen Staatshälfte (Slowakei und der Karpatenukraine) das ungarische Recht.29 Nach der Staatsgründung der Tschechoslowakei war man bemüht, die Vielfalt der verschiedenen Rechtsordnungen so schnell wie möglich zu beseitigen und im ganzen Staatsgebiet ein einheitliches Recht aufzubauen, um somit die neu erworbene Souveränität rechtlich zu untermauern.30 Für die Rechtsvereinheitlichung (unifikace prá­ va) wurde dafür ein eigenes „Ministerium für die Vereinheitlichung der Gesetzgebung und Verwaltung“ geschaffen.31 Über die Hintergründe der Unifizierungsarbeiten des Ministeriums für Vereinheitlichung erschien im Jahr 1920 im Právník der Aufsatz Unifikácia (Unifizierung)32 des Slowaken A. Ráth. Darin erklärte er: „Unbestritten ist, und das fühlen wir alle, dass man zur Herbeiführung einer Einheit des Staates, die Trennung der Republik in zwei Teile, nämlich in den ehemaligen österreichischen und jetzt tschechischen Teil, und in den ehemaligen ungarischen und jetzt slowakischen Teil, aufgeben muß. Ungereimtheiten und Chaos, die täglich in der Rechtspraxis auftreten, schreien nach Verbesserungen. […] Unsere Aufgabe ist dabei, eine legislative Arbeit zu organisieren und dafür die besten Köpfe unseres Landes zu vereinen, damit aus unseren Händen vollkommene Gesetze ergehen, die in der Lage sind, die österreichischen und ungarischen zu ersetzen. […] Wir müssen unseren neuen Gesetzen einen neuen Geist geben und eine neue bewegende Kraft, damit unser Recht den Grundstein und das Gerüst unseres neuen Lebens 29  Slapnicka,

Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 15. Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 18. 31  Errichtet durch Gesetz vom 22. Juli 1919 (Nr.  431 Slg.), durchgeführt mit Regierungsverordnung vom 29. Dezember 1921 (Nr.  501 Slg.). 32  Právník, Bd. 59, 1920, S. 153–159, 202. 30  Slapnicka,

218 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

errichten kann. Unser Schicksal hat uns in 5 Jahren weiter gebracht – als Papinian, Ulpian und Justinian vor dem Krieg. Deswegen müssen wir neue Wege suchen, da wir heute andere Vorstellungen davon haben was honeste vivere, neminem laedere, suum cuique tribuere bedeuten. […] Unsere Jurisprudenz hatte deutsche und ungarische Quellen. Für unsere tschechischen und slowakischen Juristen, Advokaten und Richter war es einfacher, nach dem fertigen deutschen Gesetzestext zu greifen und nach dem sehr guten deutschen Kommentar. So konstatieren wir, dass wir von der deutschen und ungarischen Jurisprudenz abhängig sind. Ein anderes Thema ist die Dürftigkeit des vorhandenen Materials. Das Justizministerium in Wien hat keine Rücksicht auf die tschechische Welt genommen. Wir wurden niemals zu ihren Gesetzesarbeiten hinzugezogen. Jetzt haben wir jeden Tag neue Gesetze, die wir alleine applikieren, sowie alleine erklären müssen und wir können dabei nicht mehr die österreichischen Kommentare zu Rate ziehen und noch nicht einmal die Entscheidungen des Gerichts- und Kassationshofes. Zwei Aufgaben warten auf uns: Die Verarbeitung einer großen Masse an Gesetzen, und darüber hinaus neue Gesetze aus dem Staub der Erde und aus den wenigen Grundlagen schaffen. Aus höheren slawischen Gesichtspunkten muss eine Bereinigung vorgenommen werden. Denn das Recht ist eine Synthese aller Seelen einer Nation. Weder der österreichische noch der ungarische Gesetzgeber hat jemals auf unsere ethischen slawischen Grundsätze Rücksicht genommen, dagegen gaben sie ihren Gesetzen einen türkischen, mongolischen, ungarischen und deutschen Charakter. Wir können aber auch nicht mit einem Schlag alle österreichischen und ungarischen Gesetze von uns werfen, weil unsere Juristen dadurch jegliche Orientierung verlieren würden. Damit aber dieser Dualismus verschwindet, muss bei uns dieser ‚Ungarismus und Germanismus‘ eingestellt werden. […].“ Im Vergleich zu den anderen Nachfolgestaaten fällt auf, dass die Tschechoslowakei nur wenige Änderungen an dem übernommenen Normenbestand vornahm und bei den Reformen teilweise schonender vorging als Österreich selbst. Bezüglich der Verwaltungsgesetzgebung behielt die Tschechoslowakei mehr bei als die Republik Österreich.33 Nach und nach wurde deutlich, dass die zum Teil aus Prestigegründen und Nationaleifer beseitigten österreichischen Normen doch über klare Vorteile verfügten und so kehrte man in vielen Bereichen wieder zu den ursprünglichen Verhältnissen zurück und änderte sie nur dort, wo eine Anpassung aufgrund der neuen staatsrechtlichen Gegebenheiten nötig war.34 So verwundert es nicht, dass der Ordinarius für bürger­ liches Recht an der Prager tschechischen Universität Jan Krčmař, zu Recht äußerte, dass man während der Beratungen zur Vereinheitlichung des Bürger33  Slapnicka, 34  Slapnicka,

Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 42. Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 45.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   219

lichen Gesetzbuches oftmals zu dem Ergebnis gekommen sei, dass der bisherige Text besser und vollständiger gewesen sei, als das was man an seiner Stelle zu setzen versucht habe.35 Die Kodifikation des tschechoslowakischen bürgerlichen Gesetzbuches war ein Musterbeispiel dafür, mit welcher Sorgfalt das Erbe des alten Österreich in die Gesetzgebung der Nachfolgestaaten übernommen wurde.36 Das ABGB genoss bei den tschechischen Juristen hohes Ansehen. Anlässlich des 100 jährigen Jubiläums erschien im Právník ein Aufsatz Randas über die Revision des ABGB.37 Im Vergleich zu den großen Kodifikationen, dem Preußischen Landrecht und dem Code Civil, könne man auf das ABGB stolz sein. Zu den Vorteilen, die das ABGB besonders auszeichneten, gehöre seine klare allgemein verständliche Sprache und endlich auch seine übersichtliche – wenn auch nicht tadellose – Systematik. Das seien alles Vorteile, die das ABGB besonders gegenüber dem Preußischen Landesrecht den Vorzug geben, dessen Weitläufigkeit und Kasuistik der wissenschaftlichen Verarbeitung Schwierigkeiten bereitete. Die Nachteile des ABGB seien seine überzogene Ausführlichkeit, in den Grundlagen und wie auch seiner Struktur, die ermüdende Verweisung auf zusammengehörige Paragraphen, manchmal auch Unklarheit und Ungenauigkeit. Bei den Gesprächen mit Joseph Unger habe dieser nicht nur einmal verkündet, dass er auch heute noch dem ABGB gegenüber dem neuen deutschen Gesetz den Vorzug geben würde. Nach Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 blieben nach Art. 2 des Gesetzes vom 28. Oktober 1918 (Nr.  11 Slg.) die nachstehenden Prozessgesetze in Geltung: die Zivilprozessordnung samt Einführungsgesetz vom 1. August 1895 (RGBl. Nr. 110–113) und das Gerichtsorganisationsgesetz vom 27. November 1896 (RGBl. Nr.  217). Die Versuche einer Zivilprozesskodifikation, woran seit 1922 gleichzeitig eine Prager und eine Pressburger Kommission arbeiteten, scheiterten.38 Somit blieb die österreichische Zivilprozessordnung von 1895–1986 bis auf ein paar unbedeutende Änderungen in Kraft.39 In den Jahren 1914, 1915 und 1916 wurden Teilnovellen des ABGB ausgearbeitet, die den neuen staatlichen Verhältnissen 35  Slapnicka,

Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 45. Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 32. 37  Randa, K revisi rak. všeob. občanského zákonníka (Zur Revision des österreichischen Bürgerlichen Gesetzbuches) in: Právník, Bd. 50, 1911, S. 215. 38  Hierzu Aufsatz von Hora, Přípravné práce ku sjednocení civilního řádu soudního (Vorbereitungsarbeiten zur Vereinheitlichung der Zivilprozessordnung) in: Právník, Bd. 61, 1922, S. 296–310. 39  Reformversuch aus dem Jahr 1933, dazu Aufsatz von Drápal in: Právník, Bd. 72, 1933, S. 137, 174; Zum tschechoslowakischen Zivilprozessrecht in: Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 13, 1932, S. 133  ff. 36  Slapnicka,

220 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

angepasst wurden, im Ganzen aber eine Fortführung der alten Kodifikation waren.40 Der Ausbruch des zweiten Weltkrieges machte schließlich alle Unifizierungsarbeiten zunichte. Auch nach der Gründung der Tschechoslowakischen Republik galt die österreichische juristische Literatur weiterhin als Vorbild. Die Werke ihrer wichtigsten Vertreter (Adolf Merkl, Hans Kelsen) wurden weiterhin in die tschechische Sprache übersetzt und erschienen regelmäßig in den einschlägigen tschechischen juristischen Zeitschriften. Noch im Jahre 1936 wurden in den Entscheidungen des Obersten Gerichts der Tschechoslowakei am häufigsten die österreichischen Kommentare – von Klang, Neumann und Staub-Pisko – zitiert, während die tschechischen Werke erst nach längerem Abstand folgten.41 Der literarische Austausch zwischen den Juristen der Nachfolgestaaten blieb auch durch die alle zwei Jahre stattfindenden deutschen Juristentage erhalten. Mit der Errichtung des tschechoslowakischen Staates verlor die Wiener Zeitung ihre Funktion als Amtsblatt. An ihre Stelle trat nun die Pražké Noviny (Prager Zeitung).42 V. Aufbau einer neuen Verwaltung Zu den wichtigsten Aufgaben der neuen Republik gehörte die Reformierung und Demokratisierung der Verwaltung. Dabei scheiterten viele Versuche schon aufgrund von politischen Machtkämpfen. Realisiert wurde die Ein­ führung einer demokratischen Wahlordnung im Jahr 1919 (Nr.  75 Slg.), der Erlass der Gemeindeordnung im selben Jahr (Nr. 76 Slg.), der zufolge die Gemeindeorgane aus der Gemeindevertretung, dem Gemeinderat, dem Bürgermeister und den Kommissionen bestanden43 und das Gesetz vom 14. Juli 1927 (Nr.  125 Slg.) über die Organisation der politischen Verwaltung, das in der Öffentlichkeit auf großen Widerstand stieß. Die Diskussionen zogen sich durch alle deutschen und tschechischen juristischen Zeitschriften. Der Tenor war von deutscher und von tschechischer Seite aus relativ einstimmig. Kritisiert wurde insbesondere, dass die demokratische Republik aus dem absolu­ tistischen Österreich das sog. Prügelpatent (RGBl. 96) aus dem Jahr 1854 übernommen habe. In der Senatssitzung der Nationalversammlung am 23. Februar 1927 äußerte der damalige Senator Carl Heller44 diesbezüglich, dass 40  Slapnicka,

Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 32. Österreichs Recht ausserhalb Österreichs, Wien 1973, S. 41. 42  Prager Archiv, 1919, Bd. 1   /   I, S. 252. 43  Skřejpková, Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, Frankfurt 2007, S. 204–205. 44  Carl Heller (1872–1944) Jurist, seit 1919 Mitglied des Parteivorstandes der DSAP. Von 1920 bis 1938 Senator im Prager Parlament, seit 1935 Vizepräsident des 41  Slapnicka,



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   221

die  Verschärfung des Prügelpatentes dazu führe, dass sich Gendarmen und Polizisten zum Herrn über die Freiheit der Menschen machten, indem man ihnen Rechte einräume, wie in keinem anderen Land der Welt, mit Ausnahme dem von manchen Herren so sehr gepriesenen Italien.45 Die alten österreichischen Gesetze seien durch ihre „Kautschukbestimmungen“ berüchtigt gewesen. Im Vergleich zum neuen Entwurf des Prügelpatents seien aber die alten österreichischen Gesetze wie Eisen und Stahl.46 Eine weitere wichtige Aufgabe der Verwaltung nach der Gründung der Tschechoslowakei war die Umbenennung der deutschen Orts- und Straßenbezeichnungen. Dahinter stand wieder der Gedanke, sich von allem Deutschen zu trennen, da unter den Bedingungen des Nationalitätenkampfes eine Ortsbezeichnung neben dem rein informativen Wert in der Regel auch eine nationalpolitische Aussage beinhaltete.47 Die rechtliche Grundlage für die Umbenennung schuf ein besonderes Gesetz über Städte-, Gemeinde-, Ortschafts- und Straßennamen (Nr.  266   /   1920 Slg.). Es folgten regelrechte „Umtaufexzesse“48. Masaryk äußerte sich gegenüber den Ereignissen abschätzig und bezeichnete eine „nationale Politik mit Fahnen und Tafeln“ als Krähwinkelei.49 VI. Errichtung neuer Gerichte 1. Das Oberste Gericht in Brünn Durch das Gesetz vom 2. November 1918 (Nr.  5 Slg.) wurde die Errichtung des Obersten Gerichts in Brünn geregelt. Dieses Gesetz schloss in mehrfacher Hinsicht an das Statut des früheren Obersten Gerichts und Kassationshofes in Wien (kaiserliches Patent vom 7. August RGBl. 325   /   1850) an.50 Das Gesetz vom 2. November 1918 fand in richterlichen wie in wissenschaftlichen Kreisen wenig Beifall. In seinem Aufsatz Poznámky Senats. Rechtsberater der Partei. Mitglied des deutschen Juristentages. 1938 Emigration nach Dänemark. Befreundet mit dem Politiker Josef Seliger; näheres in: Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, Bd. 1, A–H, Wien 1979, S. 588. 45  Protokoll der 62. Senatssitzung vom 23. Februar 1927. 46  Protokoll der 62. Senatssitzung vom 23. Februar 1927. 47  Jaroslav Kučera, Minderheit im Nationalstaat. Die Sprachenfrage in den tschechisch-deutschen Beziehungen 1918–1938, München 1999, S. 298. 48  Es wurden insbesondere die Straßennamen entfernt, die an die Mitglieder des ehemaligen Herrschergeschlechts erinnerten. 49  ANM, NL Sobota, Karton 13, Aufzeichnung über ein Teegespräch beim Präsidenten der Republik am 7. Juli 1924. 50  Právník, Bd. 67, 1928, S. 579.

222 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

k  zákonům ze dne 2. November 1918 č. 3–5 sb. z. a nař. českoslov. státu (Anmerkungen zu den Gesetzen des 2. Novembers 1918 Sg. Nr.  3–5)51 urteilte Václav Hora über das neue Gesetz: „Die vielen Mängel und Unzulänglichkeiten des Gesetzes sind damit zu erklären, dass es in einer unruhigen Zeit entstanden ist und große Eile geboten war. Zudem hat bei den Verantwortlichen ein Mangel an Erfahrung bestanden.“ 2. Das Oberste Verwaltungsgericht in Prag Im Jahr 1918 wurde als oberste Instanz das Oberste Verwaltungsgericht mit Sitz in Prag errichtet. Es stand im Sinne der österreichischen Tradition als höchster Garant der Gesetzmäßigkeit des Verwaltungshandels. Der ursprünglich erwogene Aufbau eines Systems von unteren Verwaltungsgerichten wurde nicht verwirklicht. In dem Zusammenhang erschien im Jahr 1918 im Právník der Beitrag Nesrovnalosti (Ungereimtheiten) worin sich der anonyme Verfasser die Frage stellte, warum das Oberste Verwaltungsgericht den Epitheton „nejvyšší“ (höchste) trage, obwohl es gar keine niedrigeren Gerichte gebe.52 Ein solcher Beisatz sei demnach nicht richtig und es würde seiner Ansicht nach ausreichen, dass Gericht nur als Verwaltungsgericht zu bezeichnen. Eine der bekanntesten Entscheidungen des Obersten Verwaltungsgerichts erging am 26. Oktober 1935 (Nr.  18602)53 und stand im Zusammenhang mit dem Gesetz vom 25. Oktober 1933 (Nr.  201 Slg.) betreffend die Einstellungen der Tätigkeit und die Auflösung politischer Parteien.54 Im Zusammenhang mit dem genannten Gesetz erschien im Jahr 1934 im Právník der Aufsatz Rozpouštění politických stran a zastavování jejich činnosti (Die Auflösung der politischen Parteien und ihrer Bestrebungen) von Hoetzel worin er erklärte, dass das neue Gesetz an vielen Stellen auf großen Widerstand gestoßen sei.55 Dem Gesetz werde vorgeworfen, dass es undemokratisch und sogar nicht verfassungsgemäß sei. Beängstigend sei, dass noch nicht einmal die Eingriffe in die Rechte der öffentlichen Angestellten so eine Ablehnung erfahren hätte. Dieses Ungleichgewicht hänge 51  Právník,

Bd. 57, 1918, S. 389–398. Bd. 57, 1918, S. 433. 53  Abgedruckt in: Právník, Bd. 75, 1936, S. 110  ff. 54  Abgedruckt in: Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung, Bd. 15, 1933, 1235–1245. Auf der Grundlage des Gesetzes hatte die Regierung am 11. November 1933 die Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei (DNSAP) aufgelöst und begründete dies damit, dass durch die Tätigkeit der DNSAP in erhöhtem Maße die Integrität und Sicherheit der Tschechoslowakischen Republik bedroht werde. 55  Právník, Bd. 73, 1934, S. 1. 52  Právník,



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   223

damit zusammen, dass die Parteien im Staate großes Ansehen genössen. Der Übergriff auf die politischen Parteien werde von vielen Seiten als gefähr­ liche Politik angesehen. Man könne den Gesetzgebern unterstellen, dass sie zum Schutz des Staates gehandelt hätten. Eine solche Schutzfunktion könne aber wahrscheinlich nur über ein Verfassungsgesetz erreicht werden.56

B. Nationalitätenprobleme I. Staatsangehörigkeitsrecht 1. Rechtslage vor dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 Nach dem Zerfall Österreichs ergab sich die Notwendigkeit, die Staatsbürgerschafsverhältnisse neu zu regeln. Das Staatsangehörigkeitsrecht der ČSR wurde durch den Minderheitenschutzvertrag vom 10. September 1919 (Nr.  508 Slg. v. 1921) und durch die Friedensverträge von Saint-Germain, Trianon und Versailles geregelt.57 Die staatsrechtliche Regelung erfolgte durch das Verfassungsgesetz vom 9. April 1920 (Nr.  236 Slg. v. 1920)58, durch das die bisherigen Bestimmungen über den Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft und des Heimatrechts in der tschechoslowakischen Republik ergänzt und abgeändert wurde. Schwierigkeiten ergaben sich aus den Verschiedenheiten zwischen den Staatsangehörigkeitssystemen der einzelnen Länder, die zu doppelten Staatsbürgerschaften oder zur Staatenlosigkeit59 führten. Zur Lösung des Problems von Statutenkollisionen fand zwischen dem 13. März bis zum 21. April 1930 in Haag eine Konferenz zur Kodifikation des Völkerrechts statt. Als Ergebnis der Konferenz wurde am 12. April 1930 die Haager Konvention beschlossen, die aber von vielen Seiten mit Skepsis betrachtet wurde. Über die Konvention äußerte Heinrich Rauchberg in seinem Aufsatz Das neue Gesetz über die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft in der Prager juris­ 56  Právník,

Bd. 73, 1934, S. 12. Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 656. 58  Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 657. 59  Die Staatenlosigkeit konnte zum Teil auch schon durch rein zivilrechtliche Umstände eintreten, z. B. durch Eheschließung oder durch Eheauflösung und hatte in manchen Fällen ruinöse Folgen. Staatenlose standen nämlich nicht unter dem Schutz der mannigfaltigen Verträge, die die meisten Staaten zugunsten ihrer Staatsanghörigen geschlossen hatten. Vgl. Juristenzeitung für das Gebiet der tschechoslowakischen Republik, Bd. 8, 1927, S. 159. 57  Epstein,

224 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

tischen Zeitschrift im Jahr 1938: „Die Konvention hat zwar unsere Erwartungen enttäuscht. Ihr Wert besteht hauptsächlich darin, daß sie überhaupt zustande gekommen ist, die Kodifikationskonferenz60 vor einem eklatanten Fiasko bewahrt hat und dazu beigetragen hat, den Kodifikationsgedanken aus einer ihm abholden Zeit in eine bessere Zukunft hinüber zu retten. So dürftig auch der Inhalt der Kodifikation ist, so bedeutet sie wenigstens den Anfang des internationalen Zusammenwirkens auf einem Gebiet, wo die Übereinstimmung der Interessen beiweiten überwiegt über allfällige Gegensätze und wo weitere Fortschritte möglich sein werden, wenn dereinst die Staaten aus der gegenwärtigen Psychose des Hasses, der unbeschränkten Selbstsucht und des gegenseitigen Misstrauens heraus zur Selbstbesinnung gelangt sein werden.“61 2. Rechtslage nach dem Münchner Abkommen vom 29. September 1938 a) Staatsangehörigkeitsrecht im Sudetenland Nach dem Münchner Abkommens vom 29. September 1938 und der damit verbundenen Abtretung der sudetendeutschen Gebiete an das Deutsche Reich wurde das Staatsanghörigkeitsrecht für die Bewohner des Sudetenlandes durch den „Vertrag zwischen dem Deutschen Reiche und der TschechoSlowakischen Republik über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen“ vom 20. November 1938 (Nr.  300 Slg.)62 geregelt. Im Jahr 1938 konnten nur deutsche Volkszugehörige aufgrund ihres Heimatrechts die deutsche Staatsangehörigkeit erwerben. Wer als „deutscher Volkszugehöriger“ galt wurde in dem RdErl. D. RMdI v. 29. März 1939 (RMBliV S. 785) bestimmt. Die darin verwendeten Begriffe „deutscher Volkszugehöriger“ und „Volksdeutscher“ bezeichneten gleichmäßig die Zugehörigkeit zum deutschen Volk; sie unterschieden sich dadurch, dass der Ausdruck „deutscher Volkszugehöriger“ sowohl deutsche wie auch fremde Staatsangehörige umfasste, während unter „Volksdeutschen“ nur deutsche Volkszugehörige fremder Staatsanghörigkeit verstanden wurden.63 Deut60  Zur Kodifikationskonferenz vom 13. März bis zum 21. April 1930 näheres in: ZÖR, Bd. 10, 1931, S. 481. 61  Prager juristische Zeitschrift, Jahrgang XVIII, Nummer 8, 1938, S. 233. 62  Abgedruckt im Prager Archiv, Bd. 20, 1938, S. 1441. 63  Gem. § 1 des deutsch-tschecho-slowakischen Staatsanghörigkeits- und Options­ vertrages vom 20. November 1938 (RGBl. II S. 895) und Art. 2 des Erlasses des Führers und Reichskanzlers über das Protektorat Böhmen und Mähren vom 16. März 1939 (RGBl. I S. 489); abgedruckt in: Prager Archiv, Bd. 21, 1939, S. 159.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   225

scher Volkszugehöriger war, wer sich selbst als Angehöriger des deutschen Volkes bekannte, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Tatsachen wie Sprache, Erziehung, Kultur usw. bestätigt wurde. Personen artfremden Blutes, insbesondere Juden, konnten niemals deutsche Volkszugehörige sein, auch wenn sie sich bisher als solche bezeichneten.64 Am 12. Februar 1939 wurde durch VO des RMdI (RGBl. I 205) im Sudetenland das deutsche Reichs- und Staatsangehörigkeitsrecht vom 22. Juli 1913 eingeführt. Damit wurden die bisherigen Bestimmungen über das Heimatrecht gegenstandlos. b) Staatsangehörigkeitsrecht im Protektorat Böhmen und Mähren Ab dem 15. März 1939 besetzten deutsche Truppen die nach Abtretung des Sudetenlandes der ČSR noch verbliebenen, überwiegend von Tschechen bewohnten Teile Böhmens und Mähren-Schlesiens. Das Gebiet wurde als „Protektorat Böhmen und Mähren“ zu einem Bestandteil des Deutschen Reiches erklärt. Der Erwerb der deutschen Volkszugehörigkeit im Protektorat Böhmen und Mähren wurde durch die VO des Innern vom 20. April 1939 (kundgemacht im RGBl. I Nr.  77 vom 25. April 1939) geregelt. Darin wurde folgendes verordnet:65 „Die früheren tschecho-slowakischen Staatsanghörigen deutscher Volkszugehörigkeit, die am 10. Oktober 1938 das Heimatrecht in einer Gemeinde der ehemaligen tschecho-slowakischen Länder Böhmen und Mähren-Schlesien besessen haben, erwerben mit Wirkung vom 16. März 1939 die deutsche Staatsanghörigkeit, sofern sie diese nicht bereits auf Grund des § 1 des deutsch-tschechoslowakischen Staatsanghörigkeits- und Optionsvertrages vom 20. November 1938 (RGBl. I, S. 895) mit Wirkung vom 10. Oktober 1938 erworben haben.“ Die tschechischen Volkszugehörigen im Protektorat Böhmen und Mähren wurden unter den Voraussetzungen der VO der Regierung des Protektorats vom 11. Januar 1940 (Nr. 19 Slg.) Angehörige des Protektorats Böhmen und Mähren. Sie waren im Verhältnis zu Deutschland zwar nicht Ausländer, sondern Inländer, aber auch nicht deutsche Staatsangehörige, sondern Inländer mit besonderer Rechtsstellung, da das Protektorat als Bestandteil des Deutschen Reiches galt.66 64  s. o.

65  Abgedruckt

in: Prager Archiv, Bd. 21, 1939, S. 158. Schmied, Das Staatsangehörigkeitsrecht der Tschechoslowakei, Frankfurt 1974, S. 17. 66  Erich

226 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

II. Minderheitenrecht Durch die Festlegung der Grenzen und die völkerrechtliche Anerkennung der ČSR entstanden auf ihrem Territorium weitreichende Gebiete, die von andersnationalen Bevölkerungsgruppen als jenen der tschechischen oder slowakischen Nationalitäten bewohnt waren. Die Minderheitenfrage war in gewissem Maße eine Frage des Völkerrechts im Sinne der einschlägigen Friedensverträge, vor allem des Friedensvertrages von Saint-Germain.67 Die neue Bodenverteilung und die damit in Verbindung stehenden Enteignungen, trafen die Bevölkerung der Minderheiten in ihrem Lebensnerv und bedrohten ihre Existenz. Die neuen Staaten sträubten sich lange gegen die Unterzeichnung der Verträge, da sie darin eine Beschneidung ihrer Nationalisierungstendenzen sahen. Der Widerstand blieb aber erfolglos, da die Großmächte damit argumentierten, dass von der Behandlung der nationalen Minderheiten in Zentral-Europa die Aufrechterhaltung des Friedens in ganz Europa abhing.68 Bei Verletzung dieser Bestimmungen sollten verschiedene internationale Instanzen (Schiedsgerichte, Völkerbundssekretariat, Völkerbundsrat und der Ständige Gerichtshof in Haag) angerufen werden können.69 Es lag auf der Hand, dass jede Minderheit das Interesse daran hatte, ihre Beschwerde durch den Ständigen Internationalen Gerichtshof prüfen zu lassen.70 Doch die zahllosen Beschwerden gegen die neuen Staaten verschwanden oftmals, so dass die Minoritäten praktisch schutzlos waren und die Minderheitenschutzverträge so gut wie nur auf dem Papier bestanden. Diese Missstände stachelten natürlich die deutsch-tschechischen Feindseligkeiten weiter auf. Dazu äußerte der Autor Erwin Loewenfeld in seinem Aufsatz Der Rechtsschutz der Minderheiten vor dem Völkerbunde in der Zeitschrift für öffentliches Recht im Jahr 1926: „Die leitenden Staatsmänner in den Staaten, die die aufgezwungenen Minderheitenschutzverträge dauernd gröblich verletzen, haben geglaubt, politisch klug zu handeln, in dem sie jede Erörterung der Minderheitenbeschwerden beim Völkerbund verhindert haben, und der Rat des Völkerbundes erwies sich als zu nachgiebig, besonders gegenüber den Polen und den Tschechen […]. Das wird sich rächen. Die brutale Unterdrückung der Minderheiten und die rücksichtslose 67  Milan Kocích, Zu den völkerrechtlichen Aspekten des Schutzes der nationalen Minderheiten in der ČSR vor dem Münchener Diktat, in: Právněhistorické studie, Bd. 21, 1978. S. 83. 68  Loewenfeld, Der Rechtsschutz der Minderheiten vor dem Völkerbunde, in: ZÖR, Bd. 5, 1926, S. 282. 69  Loewenfeld, Der Rechtsschutz der Minderheiten vor dem Völkerbunde, in: ZÖR, Bd. 5, 1926, S. 282. 70  Loewenfeld, Der Rechtsschutz der Minderheiten vor dem Völkerbunde, in: ZÖR, Bd. 5, 1926, S. 286.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   227

Verletzung ihrer Rechte und Rechtsgefühle hat die Leidenschaft schon jetzt zu einer Siedehitze gesteigert, die zu Explosionen führen muss. […] Dann werden weit radikalere Forderungen von Seiten der Minderheiten gestellt und wohl auch durchgesetzt. […] Der Rat des Völkerbundes aber wird es zu spät bedauern, gerechte Beschwerden und die gemäßigten Forderungen der Minderheiten auf Gehör kaltlächelnd mit eisigem Schweigen zurückgewiesen zu haben.“71 III. Sprache und Sprachenpolitik in der Tschechoslowakei Als am 28. Oktober 1918 in Prag der tschechoslowakische Staat ausgerufen wurde, war die Frage der Sprachenvielfalt und der damit zusammenhängende Minderheitenschutz besonders prekär.72 Masaryk bemühte sich anfänglich um eine friedliche Lösung des Sprachenproblems. Im Mai 1919 suchte er zur Propagierung seiner Anschauungen eine Aussprache mit tschechischen Journalisten, denen er erklärte: „Man wird den Deutschen alles geben, was ihnen von Rechts wegen gebührt, und man darf nicht die österreichische Methode der nur durch äußere Umstände erzwungenen Konzessionen übernehmen“.73 Weiterhin äußerte er: „Ich habe den Wunsch, daß die Sprachenfrage ganz aus dem Parlament und dem öffentlichen Leben verschwindet. […] Wir haben uns z. B. (in Österreich) darüber geärgert, daß auf den Banknoten keine Rücksicht auf die tschechische Sprache genommen wurde. Unsere Banknoten bekommen auch einen deutschen Text […]. Ich kann nur wiederholen, daß ich mir ehrlich wünsche, daß wir mit den Deutschen in Frieden leben.“ Bezüglich der Gleichberechtigung der Sprachen, vertrat er aber doch eine Vorzugstellung der tschechisch-slowakischen Sprache. Hierzu erklärte er:74 „Im demokratischen Staat, der bedeutende nationale Minderheiten hat, sind alle Sprachen Staatssprachen – eine ist aber primus inter pares (der erste unter gleichen), weil die Einheitlichkeit der Zentralverwaltung das erfordert […].“75 Die für die Tschechoslowakei als einen von mehreren Nationalitäten bewohnten Staat politisch so außerordentlich wichtige Sprachenfrage wurde durch den § 129 der Verfassungsurkunde und durch ein eigenes, von dem 71  Loewenfeld, Der Rechtsschutz der Minderheiten vor dem Völkerbunde, in: ZÖR, Bd. 5, 1926, S. 291. 72  Skřejpková, Modernisierung durch Transfer zwischen den Weltkriegen, Frankfurt 2007, S. 217. 73  Tomáš G. Masaryk, Cesta demokracie, Bd. 1 (1918–1920), Prag 1933, S. 128. 74  Ferdinand Peroutka, Budování Státu (Aufbau des Staates), Bd. 2 (1919), Prag 1934, S. 1561–1562. 75  Masaryk, Cesta demokracie, Bd. 1, S. 128.

228 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

zitierten Paragraphen als Bestandteil der Verfassungsurkunde erklärtes Gesetz (daher Verfassungsgesetz) vom 29. Februar 1920 (Nr.  122 Slg.), geregelt.76 In diesem Gesetz wurde gleich eingangs in § 177 die tschechoslowakische Sprache mit Berufung auf Art. 7 des Vertrages von Saint-Germain als die Staats- beziehungsweise offizielle Sprache der Republik erklärt. Diese Formulierung war bei den parlamentarischen Verhandlungen Gegenstand ausführlicher Debatten und Streitigkeiten. Der Streit entbrannte um die Formulierung „Staatssprache“ oder „offizielle Sprache“. Es gab Parteien, welche die direkte Erklärung derselben als „Staatssprache“ ohne weitere Zutaten verlangten, andere wieder wollten eine dem authentischen Text des Vertrages von Saint-Germain möglichst genau angepasste Bezeichnung (la ‚langue officielle‘).78 Die Nationaldemokraten wehrten sich gegen die in ihren Augen „unwürdige“ Wendung „offizielle Sprache“ und sahen darin eine „syphilitische Nationslosigkeit.“79 Ihr Hauptvertreter Karel Kramář (1860–1937)80 äußerte hierzu: „Auf mich wirkt das Wort ‚offiziell‘ geradezu erniedrigend. Wir reden von der Muttersprache, der Sprache unseres tschechoslowakischen Staates, und gleich für den Titel haben wir kein tschechisches Wort. Ich fühle darin Nichtachtung, Unterschätzung und geradezu Verweisung der tschechischen Sprache ins Ausgedingte.“81 Um die Wogen zu glätten, änderte man den Entwurf zunächst auf „Offizielle (Staats-)Sprache“. Auch diese Variante konnte Kramář nicht überzeugen: „Uns ist die Staatssprache, die offene, stolze, klare Staatssprache ohne Klammern und fremde Interpretationen das Zeichen der Freiheit und Selbständigkeit. […] Darum muß ich sagen, dass es direkt erniedrigend ist, wenn man im Ausschussentwurf die Staatssprache in der Klammer vorfindet. Nichts Schrecklicheres konnte man überhaupt ausdenken!“82 Um eine erneute Eskalation zu verhindern, wurde nun die Reihenfolge geändert und die anstößige Klammer gestrichen. Im endgültigen Wortlaut lautete es dann in § 1: „staatliche, offizielle Sprache der Republik“.83 Diese „lächerlichen 76  Franz Weyr, Das Verfassungsrecht der Tschechoslowakischen Republik, in: ZÖR, Bd. 2, 1921, S. 1. 77  Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 260. 78  Franz Weyr, Das Verfassungsrecht der Tschechoslowakischen Republik, in: ZÖR, Bd. 2, 1921, S. 35. 79  Peroutka, Budování Státu, Bd. 2 (1919), Prag 1934, S. 1557 und 1566. 80  Walter Goldinger, Artikel „Karel Kramář“, in: ÖBL 1815–1950, Bd. 4 (KnolzLan), Wien 1969, S. 202. 81  Peroutka, Budování státu, Bd. 2 (1919), Prag 1934, S. 1566–1567. 82  Peroutka, Budování státu, Bd. 2 (1919), Prag 1934, S. 1566–1567. 83  Brügel, Tschechen und Deutsche 1918–1938, München 1967, S. 132; Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 260.



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   229

Auseinandersetzungen um leere Worte“ zeigte eindrucksvoll, „wie durch die Aufpeitschung nationalistischer Instinkte“ höhere Interessen zerstört wurden und eine deutsch-tschechische Verständigung erschwert wurde.84 Die „offizielle Sprache der Republik“ war gem. § 1 des Sprachengesetzes 1. mit gewissen, den Minoritätenschutz betreffenden Ausnahmen, die Amtssprache aller Gerichte, Ämter, Anstalten, Betriebe und Organe der Republik, 2. die Hauptsprache der Staats- und Banknoten, 3. die Kommando- und Dienstsprache der Armee.85 Damit war die Vorrangstellung der tschechischen und slowakischen Sprache besiegelt, was von deutscher Seite als Bruch des Gleichheitsgrundsatzes der Verfassung angesehen wurde. Die Regelungen des Sprachenrechts empfanden die meisten Deutschen als einen Racheakt für die sprachliche und gesellschaftliche Zurücksetzung der Tschechen in der Habsburgmonarchie und fühlten sich schlechter gestellt als vormals die Tschechen im alten Österreich. Im Sprachengesetz sahen sie „eindeutig den Geist der Unduldsamkeit gegenüber der Minderheit.“86 Von tschechoslowakischer Seite aus, sah man dass natürlich ganz anders, wie der Aufsatz Nutnost novelisovat jazykové předpisy (Die Notwendigkeit einer Reformierung der Sprachenregelungen)87 aus dem Jahr 1929 zeigte. Der anonyme Autor äußerte hierin: „Es ist schon interessant, dass gerade in den Ländern, die vom deutschen Geist belastet sind, so ein Wirbel um die Sprachenfrage gemacht wird. Dies hängt wohl damit zusammen, dass das germanische Element tiefgreifender und vitaler ist, als das der anderen Nationen. Gerade dieser Geist ist aber dafür verantwortlich, dass die Argumente in Bezug auf die Sprachenfrage immer zerreißen. In unseren Gebieten ist die Sprachenfrage über 1100 Jahre alt. Daher ist es hierzulande heikel, wenn sich der deutsche Geist mit dem slawischen trifft. Die Slawen sind sich immer darüber bewusst, dass der Verlust der eignen Sprache mit dem Verlust der eigenen Nationalität zusammenhängt. Sie haben schlechte Erfahrungen mit ihren Brüdern im Westen gemacht. […] Wir verstehen nicht, warum man um das Sprachenrecht der Ausländer so einen Lärm macht. Ein Ausländer bleibt immer ein Ausländer und muß die Gesetze immer so annehmen, wie sie ihm gegeben werden. Auf dem Gebiet des Privatrechts kann man die Ausländer den Staatsbürgern gleichstellen. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts, ist es aber notwendig, dass sich der Ausländer dem Heimatrecht anpasst, so auch auf dem Gebiet des Sprachenrechts. Es ist ganz natürlich, dass man in Frankreich den Autoritäten gegenüber franzö84  Brügel,

Tschechen und Deutsche 1918–1938, München 1967, S. 132. Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 260. 86  Hugelmann, Das Nationalitätenrecht des alten Österreich, Wien 1934, S. 423. 87  Všehrd, Bd. 10, 1929, S. 266. 85  Epstein,

230 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

sisch spricht, in Deutschland deutsch usw. und dies wird dort auch überhaupt nicht beanstandet. Jeder Ausländer muß sich den Gepflogenheiten und den Gesetzen des Staates anpassen, dessen Gast er ist.“ Der Aufsatz zeigt deutlich, dass die Diskussion um das Sprachenrecht für den tschechischen Normalbürger nicht nachvollziehbar war, da er ganz selbstverständlich von der Vorrangstellung der tschechoslowakischen Sprache ausging. Der umstrittenste Paragraph des Sprachengesetzes vom 29. Februar 1920 (Nr.  122 Slg.) war der § 2. Schon der Entwurf des Gesetzes gestaltete sich als schwierig. Der erste Regierungsentwurf stand unbestreitbar auf der Idee, dass die Sprachenbegünstigungen des § 2 nur auf die tschechoslowakischen Staatsbürger beschränkt bleiben sollten. Daher lautete die ursprüngliche Gesetzestextierung „von den Staatsangehörigen“, wurde dann aber nach dem sich der Verfassungsausschuss dazu entschied, die Vorteile auch auf andere Staatsbürger auszuweiten, in „von den Angehörigen der Sprache dieser Minderheit“ geändert.88 Der Streit über die Frage, ob die Privilegien des Sprachenrechts, die Minderheitensprachen vor tschechoslowakischen Behörden, Gerichten und Ministerien zu gebrauchen, allen Angehörigen der sprachlichen Minderheit gewährt werden sollten, fand sich insbesondere in der Praxis der Gerichte wieder. Das Oberste Gericht in Brünn vertrat den Standpunkt, dass Ausländern dieses Sprachenrecht nicht zustehe, während das Oberste Verwaltungsgericht in Prag in ständiger Rechtsprechung seit dem Jahr 1921 das Sprachenrecht ohne Rücksicht auf die Staatsbürgerschaft allen Angehörigen der sprachlichen Minderheiten zuerkannte. Die Judikatur des Obersten Gerichts in Brünn wurde dementsprechend von deutscher Seite stark kritisiert. Hierzu erschien im Jahr 1928 im Právník der Aufsatz Nejvyšší soud a snaha o rozšíření výsady jazykových menšin na cizince (Das Oberste Gericht und die Bemühungen um eine Ausweitung der Rechte der sprachlichen Minderhei­ ten)89 vom damaligen Präsidenten des Obersten Gerichts, August Popelka, der sich gegen die deutsche Kritik zu verteidigen versuchte. Zu anfangs zitierte er einen Auszug aus der Deutsche Zeitung Bohemia vom 19. Juni 1928 (Nr.  144) in dem es hieß: „Laien und Juristen stehen dem Vorgehen des Obersten Gerichtes verständnislos gegenüber“. Im Anschluss folgten Popelkas Ausführungen zu den Ereignissen: „Die Judikatur des Obersten Gerichts wird seit Monaten von selbsternannten Ausländerschützern scharf angegriffen, die bei ihrem kriegerischen Zug auch nicht vor listiger Verschwiegenheit bis zu betrügerischer Erfindungen zurückschrecken. Wir können aufgrund unseres Rufes im Ausland diese Geschehnissen nicht mit Schweigen aus der Welt schaffen. Diese Rüge darf nicht ohne eine solide 88  Prager

Juristische Zeitschrift, Jahrgang I, Nummer 9, 1921, S. 292. Bd. 67, 1928, S. 489.

89  Právník,



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   231

Begründung und ohne eine überzeugende Richtigstellung stehen gelassen werden.“ Untermalt wurden die Ausführungen von weiteren Auszügen aus der Deutsche Zeitung Bohemia. Wie etwa der Artikel vom 17. Juni 1928 (Nr.  143) mit der Überschrift: „Der Sprachentrotz des Obersten Gerichts. Gegen das Justizministerium, gegen das Sprachengesetz, und gegen das Oberste Verwaltungsgericht.“ Darin hieß es: „Die Entscheidung zerstört nicht nur das Sprachengesetz, sondern auch – was das Oberste Gericht übersieht – die Staatsverträge, die das Ziel verfolgten die bestehende Lücke zwischen der tschechoslowakischen Republik und dem deutschen Reich zu schließen. Die Diskrepanz zwischen dem Obersten Gericht und dem Obersten Verwaltungsgericht wird dabei auf dem Rücken der Bürger ausgetragen“. Popelka wehrte sich entschieden gegen diese Unterstellungen und erklärte hierzu: „Es ist die Sache des Justizministeriums, ob es und wie es auf eine solche angedeutete Vergewaltigung der Unabhängigkeit des Obersten Gerichts reagieren wird, dessen Unberührbarkeit durch böse Lästereien zerstört wird. Dazu fallen mir die stolzen Worte Bismarcks ein: ‚Diese Kalumnien reichen nicht an die Höhe meiner Verachtung‘, die er auf dem damaligen deutschen Reichstag von sich gab.“90 Das Oberste Verwaltungsgericht verfolgte seine ausländerfreundliche Linie bis ins Jahr 1936. Eine umstürzende Situation erfolgte mit dem Plenarbeschluss vom 9. November 1936 und durch die neue sprachenrechtliche Judikatur91, die anhand dieses Plenarbeschlusses erklärte, dass das Sprachenrecht nur den tschechoslowakischen Staatsbürgern, nicht aber den Aus­ ländern zustehe. Als Argument führte das Fachplenum des Obersten Verwaltungsgerichts Zweckmäßigkeitsgründe an.92 Diese Entscheidung bedeutete einen neuen Rückschlag für den deutsch-tschechischen Versöhnungsprozess. Für den meisten Zündstoff sorgte die in § 2 Abs. 2 enthaltene sog. 20-Prozent-Klausel93, die bestimmte, dass wenn in der kleinsten Einheit der staatlichen Administrative, dem Gerichtsbezirk, mehr als 20 Prozent der Staatsbürger deutscher (oder ungarischer, polnischer) Volkszugehörigkeit lebten, mussten Gerichte, Behörden und andere Organe der Republik schriftliche oder mündliche Anträge in dieser Sprache entgegennehmen. Die 90  Právník,

Bd. 67, 1928, S. 508. des Obersten Verwaltungsgerichts vom 4. Dezember 1936

91  Erkenntnis

(44.460   /   34). 92  Prager juristische Zeitschrift, Jahrgang XVII, Nummer 10, 1937, S. 313. 93  Text: Epstein, Verfassungsgesetze der Tschechoslowakischen Republik, Reichenberg 1923, S. 262. Die 20-Prozent-Klausel war keine Prager Erfindung, sondern wurde von älteren österreichischen Entwürfen übernommen. Das erste Mal ist sie in Franz Josephs ‚Septemberskript‘ vom 12. September 1871 aufgetaucht; Brügel, Tschechen und Deutsche 1918–1938, München 1967, S. 135.

232 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Erledigung (Beantwortung) hatte dann zweisprachig (deutsch-tschechisch) zu erfolgen. In der Praxis konnte das Sprachengesetz nicht immer einheitlich durchgesetzt werden. Maßgebend für das Sprachenrecht war auch immer die sprachliche Qualifikation des Gerichtsbezirkes, in dem der Ausländer seine Gesuche, bzw. Meldungen, einbrachte.94 Eine der wichtigsten Entscheidungen zur Praxis der „20 Prozent Klausel“ erließ das Oberste Verwaltungsgericht am 5. Oktober 1921 (Nr.  12.285)95, die in den juristischen Kreisen für großen Aufruhr sorgte. Die eifrigsten Protagonisten waren Ludwig Spiegel und der tschechische Zivilprozessrechtslehrer Václav Hora. Zunächst erschien im Jahr 1921 im Právník der Aufsatz K otázce jazykového práva cizozemsců v  československé republice (Zur Frage über das Sprachenrecht der Ausländer in der tschechoslowakischen Republik)96 von Hora, worin er sich kritisch gegenüber der ausländerfreundlichen Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts äußerte: „Die Entscheidung zeigt, dass Ausländer beim Kontakt mit tschechischen Gerichten und Behörden eine beträchtliche Erleichterung genießen. Sie ist ein Beweis für die Unbefangenheit des Obersten Verwaltungsgerichts und zeigt, dass die Unterstellungen der Gegenseite stets unbegründet waren. Durch die Entscheidung rückt der tschechoslowakische Staat weit vor alle anderen Staaten, von denen keiner Fremden gegenüber so wohlwollend auftritt. Die Sache soll aber auch von der anderen Seite untersucht werden. Es stellt sich die Frage, ob das Entgegenkommen gegenüber den Ausländern, für unsere eigenen Staatsangehörigen und für unseren eigenen Staat Nachteile mit sich bringt. […] Wir wollen uns anschauen zu welchen Auswirkungen die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtshofes für unsere eigenen Staatsbürger, nämlich den Tschechen und Slowaken, führen wird. Die Sache wird durch folgendes Beispiel verdeutlicht: Wenn ein Tscheche in Reichenberg von einem Wiener eine deutsche Klage erhält, so muß er sich, wenn er nicht deutsch versteht einen Dolmetscher nehmen. Das bedeutet also, dass der dem Ausländer gewährte Vorteil auf Rechnung unseres eigenen Menschen geht und ihm wird die rechtliche Situation ganz unzweifelhaft verschlimmert. Wir gehen noch einen Schritt weiter. Die Entscheidung des Gerichts ist an den Begriff ‚Sprachangehöriger‘ angelehnt. Dieser Ausdruck ist für die Sprachenpraxis sehr gefährlich. Was ist das ein ‚Sprachangehöriger‘? Der Begriff beschränkt sich nicht nur auf Ausländer, er erzählt nichts über Nationalität und auch nichts über Muttersprache. Dieser Ausdruck erinnert sehr stark an den Begriff ‚obcovací řeč‘ (Verkehrs-, 94  Prager

juristische Zeitschrift, Jahrgang XV, Nummer 16, 1935, S. 603. in Sbírka nálezů nejvyššího správního soudu ve věcech administrativních (Entscheidungssammlung des Obersten Verwaltungsgerichts), Bd. III, Prag 1922, S. 738. 96  Právník, Bd. 60, 1921, S. 367. 95  Abgedruckt



Kap. 1: Gründung der Tschechoslowakei und ihre Entwicklung bis 1938   233

Umgangssprache), eine jämmerliche Erinnerung an Österreich und an all das Übel, das damit in Verbindung stand. Dadurch wird der Grundsatz, an dem wir alle ohne Unterschied der Parteien festgehalten haben, daß sich ein Tscheche und Slowake im ganzen Staatsgebiete an die Gerichte und Behörden in seiner Sprache wenden kann, eigentlich begraben. […] Müssen gerade wir es sein, die einen Grundsatz verlassen, den alle anderen Staaten so zähe festhalten, nicht aus leerem Egoismus, sondern in gerechter Rücksichtnahme auf die eigenen Angehörigen, welche durch ihr Gut und Blut eigentlich den ganzen Staat halten?“ Als Reaktion auf den oben genannten Aufsatz Horas erschien im Jahr 1922 in der Prager juristischen Zeitschrift der Beitrag Das Sprachenrecht der Ausländer97 von Ludwig Spiegel, worin er zu Horas Ausführungen Stellung bezog: „Die Person des Verfassers (Hora) und der Charakter des Organs, dessen er sich bedient, macht unserer Zeitschrift die Stellungnahme zu seinem Artikel förmlich zur Pflicht. Horas Ausführungen, dass die Tschechoslowakei mit dieser Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts vor alle anderen Staaten rücke, halte ich für vollständig verfehlt. Gerade umgekehrt meine ich, daß die Staaten, wenn einmal eine Sprache im behördlichen Verkehr Inländern gegenüber verwendet wird, zwischen In- und Ausländern nicht unterscheiden. Man darf doch nicht glauben, daß die vergiftete Atmosphäre, in der wir leben, auch im Ausland zu finden ist. Denken wir nur an das alte Österreich! Haben etwa die südtirolischen Gerichte gefragt, ob derjenige, der eine italienische Klage überreicht, ein Österreicher oder ein Reichsitaliener ist? Kümmert sich überhaupt ein Staat um die Staatsbürgerschaft des Klägers? […] Es ist schwer, keine Satire zu schreiben. Begreift der schlichte Bürger wirklich nicht, daß ein Dresdner in Reichenberg deutsch klagen kann, während es ein Engländer verwehrt ist, englisch zu klagen? Ich glaube, auch die Reichenberger Tschechen werden Verständnis dafür haben, daß die deutsche Sprache in ihrem Wohnort anders gewertet wird als die englische. […] Den deutschen Ausländern die Verwendung der deutschen Sprache bloß deshalb zu versagen, weil den Franzosen die Verwendung der französischen Sprache nicht zugestanden werden kann, wäre in der Tat eine sonderbare Gerechtigkeit. Außer mit den angeblich benachteiligten Staaten hat der Verfasser auch Mitleid mit seinen eigenen Mitbürgern, da diese sich einen Dolmetscher nehmen müssten. Man sollte meinen, daß der Bedauerte in Reichenberg überhaupt nicht leben kann, wenn er nicht einigermaßen deutsch versteht. […] Auch mir gefällt das Wort ‚Sprachenangehöriger‘ nicht, denn man gehört nicht einer Sprache, sondern einer sprachlichen Gruppe (Minderheit oder Mehrheit) an, aber der Sinn des Worts ist ja vollkommen klar und kann durch rabulistische Erörterungen nicht ver97  Prager

juristische Zeitschrift, Jahrgang II, Nummer 2, 1922, S. 33.

234 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

dunkelt werden. […] Die Angriffe Horas auf die Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichts sind somit durchaus hinfällig.“ Die praktischen Auswirkungen des Sprachengesetzes waren übrigens nicht groß, wie aus folgenden Zahlen deutlich wurde: Nach einer Statistik aus dem Jahr 193898 hatten von 3.231.688 tschechoslowakischen Bürgern deutscher Nationalität 299.728 oder 9,5 Prozent kein Sprachenrecht, d. h. diese in einer vorwiegend tschechischen Umgebung lebenden Deutschen mussten sich im Verkehr mit den staatlichen Behörden der tschechischen oder slowakischen Sprache bedienen. Dagegen unterlagen mehr als 90 Prozent der Deutschen keinen Beschränkungen des Gebrauchs der deutschen Sprache, wenn sie mit einem Amt oder Gericht zu tun hatten. Im Großteil des deutschen Siedlungsgebietes, nämlich in 105 Gerichtsbezirken, erhielten die Petenten oder Kläger rein deutsche Erledigungen.99 Der weitaus größte Teil der Sudetendeutschen, von den Staatsangestellten einmal abgesehen, kam sein ganzes Leben lang grundsätzlich ohne Tschechischkenntnisse aus.100 Auf den ersten Blick sahen die Zahlen für die deutsche Seite relativ günstig aus. Trotzdem kann eine gewisse Diskriminierung nicht verdeckt werden. Der Tscheche und Slowake konnte sich überall in seiner Sprache an die Behörden wenden, der Deutsche nicht. Das entscheidende Argument gegen die tschechoslowakische Sprachenpraxis war, dass sie sich so gar nicht „entösterreichert“ hatte, sondern aufgrund ihrem starren Beharren auf Vorschriften dem gesunden Menschenverstand oft zuwiderhandelte und damit dem Staat keinen Gewinn brachte.101 Jegliche weiteren Versuche zur Regelung des Sprachenproblems wurden mit der Abtretung der Grenzgebiete durch die Tschechoslowakei infolge des Münchner Abkommens vom September 1938 und mit der Okkupation des tschechischen Reststaates im März 1939 beendet. Der Beschluss der Regierung vom 25. Juli 1939 (Nr.  18.377   /   39 M. R.) über den Sprachengebrauch im Protektorat Böhmen und Mähren bestimmte schließlich: „Der amtliche Verkehr der Organe des Protektorats mit den Organen des Reiches erfolgt in deutscher Sprache“ (Abs. 1).102 Ein Jahr später wurden die bis dahin geltenden Sprachengesetze mit Erklärung des Reichsprotektors vom 22. August 1940 für ungültig erklärt. 98  Werner Glück, Sprachenrecht und Sprachenpraxis in der Tschechoslowakischen Republik nach dem Stande von 1938, Halle 1939, S. 53, 62. 99  Brügel, Tschechen und Deutsche 1918–1938, München 1967, S. 134. 100  Kučera, Minderheit im Nationalstaat. Die Sprachenfrage in den tschechischdeutschen Beziehungen 1918–1938, München 1999, S. 307. 101  Brügel, Tschechen und Deutsche 1918–1938, München 1967, S. 134. 102  Beschluss abgedruckt in: Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung „Das Recht des Protektorats“, Bd. 21, Prag 1939, S. 1040.



Kap. 2: Die politischen Ereignisse nach 1938

235

Es kann festgehalten werden, das das tschechoslowakische Sprachenrecht der Zwischenkriegszeit ein Normensystem bildete, dass auf dem Prestigegedanken einer Vorrangstellung der Sprache des Mehrheitsvolkes aufgebaut war. Trotzdem trug die Sprachenregelung den Bedürfnissen der Massenkommunikation angesichts der komplizierten Siedlugsverhältnisse relativ gut Rechnung. Durch die Festlegung einer Staatssprache, die die übrigen landesüblichen Sprachen automatisch als Minderheitensprachen qualifizierte, brachte gerade das Sprachenrecht die unterschiedlichste Stellung der einzelnen ethnischen Gruppen der Staatsbürger zum Ausdruck.103 Dies führte zu einer Aufteilung zwischen dem „Staatsvolk“ und den „Übrigen“, wodurch ihr unterschiedliches Verhältnis zum Staat sowie ein ungleiches Maß an Einfluss impliziert wurde.

Kapitel 2

Die politischen Ereignisse nach 1938 Durch das Münchner Abkommen, das am 29. September 1938 ohne Beteiligung der Tschechoslowakei von den damaligen vier Mächten, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, geschlossen wurde, war die ČSR gezwungen, nahezu ein Drittel ihres Gebietes an Deutschland abzutreten. Dies leitete den Niedergang der Ersten Republik und schließlich den vollständigen Verfall der ČSR ein.104 Der damalige Präsident, Eduard Beneš, trat am 5. Oktober 1938 von seinem Amt zurück und ging kurz darauf ins Ausland. Am 22. November 1938 verabschiedete das Parlament der geschrumpften „Zweiten Republik“ die Verfassungsgesetze über die Autonomie der Slowakei bzw. der KarpatoUkraine. Mit einem weiteren Verfassungsgesetz wurde die Verfassungsänderungsbefugnis dem Präsidenten der Republik, seit dem 30. November 1938 Emil Hácha (1872–1945)105, und die gesetzgebende Gewalt der Regierung übertragen.106 103  Kučera, Minderheit im Nationalstaat. Die Sprachenfrage in den tschechischdeutschen Beziehungen 1918–1938, München 1999, S. 309. 104  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, Berlin 1995, S. 11. 105  Näheres bei Tomáš Pasák, JUDr. Emil Hácha: (1938–1945), Prag 1997. 106  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, Berlin 1995, S. 11.

236 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Der Zeitraum vom 30. September 1938 bis zum 4. Mai 1945 wurde später durch Verfassungsdekret des Präsidenten der Republik als „Zeit der Unfreiheit“ erklärt, so dass die Vorschriften und folglich auch die oben aufgeführten Verfassungsgesetze aus dieser Zeit, nicht als Bestandteil der tschechoslowakischen Rechtsordnung angesehen wurden.107 Am 14. März 1939 rief das Parlament der Slowakei einseitig einen „selbständigen und unabhängigen slowakischen Staat“ aus. Am Tag darauf wurden die böhmischen Länder von deutschen Truppen und die Karpato-Ukraine von ungarischen Truppen besetzt. Am 16. März 1939 verkündete Hitler in Prag seinen Erlass über die Errichtung des „Protektorats Böhmen und Mähren“.108 Das Protektorat war in Wahrheit Bestandteil des Deutschen Reiches, ihm sollte jedoch eine gewisse Autonomie gewährt werden. In der Realität wurde bereits am 21. März 1939 die Arbeit des Parlaments und wenig später die der Landesvertretung und ihrer Organe eingestellt. Der Reichsprotektor hatte praktisch unumschränkte Machtbefugnisse: Er bestätigte Kabinettsmitglieder, durfte selbständig Verordnungen erlassen, konnte sein Veto nicht nur bei Rechtsvorschriften, sondern auch bei konkreten administrativen Entscheidungen und Gerichtsurteilen einlegen. Zugelassen war eine einzige politische Partei. Dieser Zustand dauerte bis zum 5. Mai 1945 an.109 Zur gleichen Zeit entstand im Ausland schrittweise, mit Präsident Beneš an der Spitze, ein provisorisches Gebilde der Tschechoslowakischen Republik, das ausdrücklich seine konstitutionelle und rechtliche Kontinuität mit der Ersten Republik erklärte. Am 15. Oktober 1940 erließ der Präsident ein Verfassungsdekret über die provisorische Ausübung der gesetzgebenden Gewalt, welches ihm gestattete, in der Übergangszeit die gesetzgebende Gewalt in Form von Dekreten auszuüben.110 Neben dem Präsidenten entstand im Ausland auch eine Regierung; Beratungsgremium sowie Hilfskontrollorgan war der Staatsrat. Einige Funktionen der Verwaltungsgerichtsbarkeit nahm ein so genannter Rechtsrat wahr. Für die nachfolgenden Verfassungsdekrete wurde später die Bezeichnung „Londoner Verfassung“ verwendet. Nach der Befreiung wurden die Dekrete des Präsidenten von der Provisorischen Nationalversammlung nachträglich gebilligt.111 107  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in Berlin 1995, S. 11. 108  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in Berlin 1995, S. 11. 109  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in Berlin 1995, S. 12. 110  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in Berlin 1995, S. 12. 111  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in Berlin 1995, S. 13.

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Kap. 2: Die politischen Ereignisse nach 1938

237

Während des Krieges wurde das tschechoslowakische Staatsgebilde im Ausland, mit Präsident Beneš an der Spitze, von vielen Staaten der AntiHitler-Koalition als legitime tschechoslowakische Regierung anerkannt und das Münchner Abkommen von einem Teil der Alliierten für nichtig erklärt. Die tschechoslowakische Armee im Ausland nahm an der Seite von Alliierten aktiv an den Kämpfen teil, und die Tschechoslowakei wurde eines der Gründungsmitglieder der UNO. Nach Kriegsende wurde die Tschechoslowakei in ihren Grenzen vor 1938 wiederhergestellt; die Karpato-Ukraine wurde durch Vertrag an die Sowjetunion abgetreten.112 Der Aufsatz von Bohumil Nýdl aus dem Jahr 1938 Základy nationálněsocialistické nauky právní (Die Grundlagen der nationalsozialistischen Rechtslehre)113 im Právník zeigte, dass auch einige Tschechen dem Nationalsozialismus nicht abgeneigt waren. Der Autor bezog sich dabei auf das Werk Grundzüge der Nationalsozialistischen Rechtslehre von Rudolf Bechert (1938). Er stellte dabei die einzelnen Kapitel des Werkes vor und resümierte schließlich: „Die Verhältnisse aus denen die zweite Republik erwachsen ist, insbesondere auch die neue politische Orientierung, führt uns zu der Überzeugung, dass unsere juristische Öffentlichkeit mit den Grundlagen vertraut gemacht werden sollte, auf denen das heutige juristische Leben im deutschen Reich gegründet worden ist.“ Und weiter im Text: „Es liegt nicht an uns die fremden Muster blind zu übernehmen, aber wir sollten aus ihnen das Neue und Gute für uns herausziehen. Auch der unbefangene Beobachter muß zugeben, dass in dem nationalsozialistischem Rechtskonzept sehr viel Gutes steckt. Wenn wir aber unser grausames Schicksal glücklich überwinden wollen, dann müssen wir das Interesse des Staates über alle anderen Interessen stellen. Auch wir, und gerade wir, brauchen heute ein echtes und ehrliches nationales Gefühl für eine nationale Gemeinsamkeit. Um dieses Ziel zu erreichen bedarf es einer gründlichen Anpassung des Denkens und der Rechtsordnung. So soll es in unseren Herzen lauten: Salus rei publicae suprema lex esto!“114

112  Schmid, Das Ende der Tschechoslowakei 1992 in verfassungsrechtlicher Sicht, Berlin 1995, S. 13. 113  Právník, Bd. 78, 1938, S. 1, 100. 114  Právník, Bd. 78, 1938, S. 112.

238 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Kapitel 3

Die neugegründeten tschechischen juristischen Zeitschriften nach 1918 Die Gründung der Tschechoslowakei hatte entscheidende Auswirkungen auf die tschechische Zeitschriftenlandschaft. Mit der Staatsgründung ging eine Flut neuer Gesetze und Verordnungen einher, da innerhalb kürzester Zeit alle wichtigen Lebensbereiche neu geregelt werden mussten. Die praktische, tadellose Anwendung dieser Menge von in kurzer Zeit erlassenen Bestimmungen, stellte eine große Anforderung an die juristischen Einrichtungen dar. Durch die veränderten staatlichen Gegebenheiten wurden die alten, wie auch die neuen tschechischen juristischen Zeitschriften mit neuen Themen aus Politik und Gesellschaft konfrontiert. Die Zeitschriften wurden zunächst hauptsächlich dafür genutzt, um den neuen politischen Einrichtungen eine Bühne zu geben. Sie entwickelten sich dadurch zur ersten Anlaufstelle für die Belange der tschechoslowakischen Juristen. Die Zeitschriften verloren allerdings oftmals ihren kulturellen Anspruch und wurden zum reinen Informationsinstrument. Im Zuge der Bewältigung der neuen Rechtsfragen, entstand eine Flut neuer tschechischer juristischer Zeitschriften: (1) Všehrd (benannt nach dem tschechischen Juristen Viktorin Kornel von Všehrd, 1920–1941) (2) České Právo (Tschechisches Recht) 1919–1948 (3) Soudcovské Listy (Richterblätter) 1920–1943 (4) Česká Advokacie (Tschechische Advokatur) 1922–1940 (5) Veřejná Správa (Die öffentliche Verwaltung) 1931–1938 (6) Právní Prakse (Rechtspraxis)1936–1948 Zeitgleich erschien im Jahr 1919 das erste tschechoslowakische Verordnungsblatt Věstník ministerstva vnitra republiky československé115 (Mitteilungen des Ministeriums des Innern für die tschechoslowakische Republik). In dem Zusammenhang veröffentlichte der Právník im selben Jahr den Aufsatz Ruch časopisecký v oboru právním (Der Zeitschriftenboom im Rechtsbereich). Darin wurden die neu gegründeten juristischen Blätter von der Redaktion vorgestellt und erörtert. Der alte österreichische Věstník habe nach Ansicht der Redaktion „so gar nichts mit juristischer Literatur gemeinsam“ gehabt.116 Lobend äußerte sich die Redaktion über das neue Programm des Věstník, das der weiteren „Entösterreicherung“ der politischen Verwal115  Erscheinungsverlauf 116  Právník,

von 1919–1938 und von 1945–1949. Bd. 58, 1919, S. 164.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

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tung diene.117 Die Redaktion des Právník hieß alle neuen juristischen Zeitschriften willkommen und äußerte den Wunsch „mögen die neuen muttersprachlichen juristischen Blätter mehr Aufmerksamkeit in den juristischen tschechischen Kreisen erhalten, als die deutschsprachigen juristischen Zeitschriften Wiens“ und hoffte hierbei, dass nun endlich, dass Interesse an juristischer Literatur steigen werde.118 Die Redaktion des Právník nahm die Gründung ihres „lang ersehnten“ tschechoslowakischen Staates mit Begeisterung auf. So widmete einer der Mitherausgeber des Právník, Václav Hora, dem Ereignis in der Ausgabe des Jahres 1919 einen zehnseitigen „glühenden“ Aufsatz mit der Überschrift Na prahu nové doby (Neue Zeiten über Prag)119. Darin erklärt er, dass das vergangene Jahr für das tschechische Volk ein „Jahrhundertdenkmal“ sei, da es nach jahrelanger Knechtschaft und Unterdrückung endlich die Freiheit und die Unabhängigkeit erlangt habe.120 Zum Gedeihen des tschechoslowakischen Staates bedürfe es einer gerechten und gründlich ausgearbeiteten Rechtsordnung und tüchtiger Organe höchster Ebene. Um sich dieser Aufgabe bewusst zu werden, müsse man sich die Bedingungen vergegenwärtigen, in denen der tschechische Jurist im Österreichischen Staat lebte und arbeitete. In einem Staat, in dem der tschechische Jurist nicht in der Lage gewesen sei seine juristischen Fähigkeiten zu entfalten und in dem sich die Minderwertigkeit ausgebreitet hatte.121 Gleichgültig wie er sich angestrengt habe, so blieb er doch im Dienste der Fremden, die ihm Richtung und Funktion zuwiesen. Nur vereinzelt sei es vorgekommen, dass ein tschechischer Jurist bis in die Amtsstuben vordringen konnte, aber nie in dem Ausmaß wie Angehörige deutscher Nationalität.122 Alle anderen seien zurückgesetzt worden und konnten darüber hinaus froh sein, wenn sie nicht von gleichwertigen oder gar von minderwertigen Anwärtern übersprungen worden seien. Der tschechische Jurist habe somit seine Pflichten nur noch verbittert und ohne Idealismus erfüllen können und dadurch seien im „alten Staat“ eine Reihe von talentierten tschechischen Juristen letztlich „versauert“.123 Selbst die Anstellung an der Universität habe den tschechischen Juristen keinen Anreiz vermitteln können. Die universitäre Laufbahn bedeutete für einen tschechischen Juristen Anstrengung, Selbstüberwindung und Kosten verbunden mit der Aussicht einer jahrelangen Dozentur, wäh117  Právník, 118  Právník, 119  Právník,

120  Právník, 121  Právník, 122  Právník, 123  Právník,

Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58,

1919, 1919, 1919, 1919, 1919, 1919, 1919,

S. 164. S. 165. S. 1. S. 1. S. 2. S. 2. S. 3.

240 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

rend er sich seinen Lebensunterhalt mit Nebenbeschäftigungen verdienen musste.124 Dies habe bedauerlicherweise zahlreiche begabte tschechische Juristen abgeschreckt. Ein weiteres schmerzliches Kapitel für die tschechische Rechtswissenschaft sei zudem die ablehnende Haltung gegenüber tschechischsprachigen Aufsätzen gewesen. So habe auch hier die Devise gelautet „bohemica sunt, non leguntur“.125 Schmerzlich sei hierbei die Tatsache, dass die wissenschaftlichen Arbeiten zum größten Teil noch nicht einmal von ihren eigenen Landsleuten gelesen worden seien. Die Leserschaft der wissenschaftlichen Texte sei hierbei nur auf eine Handvoll begrenzt gewesen. Die Tatsache, dass das tschechische Volk im Umfeld eines fremden Staates leben musste, habe dazu geführt, dass in ihm nicht das Bewusstsein geweckt werden konnte, dass das Recht eine lebendige Materie ist, welches mit dem Leben so vereint ist, dass es einen von der Geburt bis zum Tode begleitet.126 In Zukunft werde es nötig sein, die Gesetzgebung den neuen Gegebenheiten und der Demokratie anzupassen.127 Zudem sei auch die Beseitigung der alten Rechtsnormen vonnöten, insbesondere in den Bereichen, die explizit die Anwendung von tschechischen Regelungen erfordern.128 Die Fähigkeit zur Gestaltung einer neuen Rechtsordnung setze nicht nur eine weite Fernsicht im Bereich der Rechtspraxis voraus, sondern ebenso eine hohe rechtstheoretische Bildung. Hierbei sei einzugestehen, dass sich besonders in diesem Bereich die ungünstigen Auswirkungen der ehemals stiefmütterlichen Behandlung der Österreichischen Administration zeigte.129 Durch die Tatsache, dass das Land in der Vergangenheit nur über eine Universität verfügte und den jeweiligen Fächern jeweils nur eine ordentliche Professur zugewiesen worden sei, fehle es nun an geeigneten akademischen Kräften, die an der neuen Gesetzgebung beteiligt werden könnten.130 Um diese Schwierigkeiten überwinden zu können, seien zweierlei Dinge nötig: Auf der einen Seite sollten „unsere Theoretiker“ ihr Wissen in den Dienst des Staates und in die Gesetzgebung einbringen. Auf der anderen Seite, sollten sich „unsere Praktiker“ um eine weitmöglichste theoretische Weiterbildung in allen juristischen Bereichen bemühen. Um alle führenden Positionen besetzen zu können, müsse man auch eine ausreichende Auswahl an Kräften besitzen. Dabei dürfe nicht vergessen werden, dass man nicht mehr über das „österreichische“ Justizwesen und die „österreichische“ Verwaltung sprechen werde, sondern über das „tschechische“ Gerichts- und 124  Právník, 125  Právník, 126  Právník, 127  Právník, 128  Právník, 129  Právník, 130  Právník,

Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58, Bd. 58,

1919, 1919, 1919, 1919, 1919, 1919, 1919,

S. 3. S. 3. S. 5. S. 6. S. 6. S. 7. S. 7.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

241

Verwaltungswesen.131 Der Aufbau des tschechischen Rechtswesens sei nur möglich, wenn Praxis und Theorie zusammen arbeiteten. Dies sei besonders in diesen Zeiten vonnöten, in denen noch viele soziale und wirtschaftliche Reformen anstehen.132 Zudem müsse man eine Reform des Studienwesens in Angriff nehmen und hierbei darauf achten, dass Rechtsstudenten während ihres Studiums den Sinn und die Bedeutung des Rechts erlernten.133 So könne es nicht angehen, dass die meisten Juristen das Studium nur aus dem Grunde aufnehmen, um sich ihre „Brötchen“ verdienen zu können, ohne dabei den tieferen Sinn des Rechts zu verstehen. Solche „halbe Juristen“ werde der neue Staat aber nicht brauchen. Es werde daher die Aufgabe der Prüfungskommissionen sein, solche halbherzigen Juristen nicht ins Leben zu entlassen.134

A. Všehrd (1920–1941) Die erste Ausgabe der Zeitschrift Všehrd wurde im Jahr 1920 von dem Juristenverein Všehrd, der, wie bereits ausgeführt, bereits im Jahr 1868 gegründet worden war, herausgegeben. Verein und Zeitschrift waren nach dem tschechischen Juristen Viktorin Kornel von Všehrd benannt, dem Verfasser der Neun Bücher über die Rechte, die Gerichte und Landtafeln des Landes Böhmen.135 Im Vergleich zu den übrigen juristischen Zeitschriften konzentrierte sich der Všehrd nicht nur auf seine Leser in Prag, sondern wollte die Studierenden aller tschechoslowakischen Universitäten ansprechen und hierbei als Kontaktforum dienen. Ihre Herausgeber besetzten überwiegend auch Lehrstühle an der Masaryk Universität in Brünn (Čada, Neubauer). Ihr Herausgeber Rudolf Rauscher war zum Zeitpunkt der Begründung selbst noch Student (24-jährig). Die Zeitschrift war somit als Zeitschrift von Studenten an Studenten konzipiert. Zu ihrem Erscheinen verkündete die Redaktion im ersten Band: „Mit der Gründung unserer eigenen Vereinszeitschrift ging unser lang ersehnter Traum in Erfüllung. Viele Male wurde darauf hingearbeitet, aber immer wieder haben unüberwindbare Belastungen, insbesondere die technischen 131  Právník,

Bd. 58, 1919, S. 8. Bd. 58, 1919, S. 8. 133  Právník, Bd. 58, 1919, S. 9. 134  Právník, Bd. 58, 1919, S. 9. 135  Das Werk stellte an der Wende vom 15. zum 16.  Jahrhundert den ersten Versuch einer Vereinheitlichung des Rechts dar; obwohl es in der Praxis oft genutzt wurde, wurde es nie zum offiziellen Gesetzbuch. 132  Právník,

242 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Voraussetzungen nach der Kriegszeit, die Realisierung unseres Projektes durchkreuzt.“136 I. Redakteure und Mitarbeiter Redakteur der Zeitschrift Všehrd war der Rechtshistoriker Rudolf Rauscher (1896–1941), der Verfasser zahlreicher Studien zur Geschichte des Landesrechts in Böhmen und Ungarn sowie zur slawischen Rechtsgeschichte.137 Rauscher studierte an der juristischen Fakultät in Prag, an der er im Jahre 1921 promovierte. Zwischen 1921–1922 unternahm er eine Reise zu den juristischen Fakultäten von Krakau, Lemberg, Warschau und Posen.138 Rauscher war ein eifriger Analytiker, der immer wieder nach neuen Forschungsgebieten suchte. Mit der gleichen Leidenschaft kam er seinem Lehrauftrag nach. Er wuchs zwischen Büchern auf und wurde zu einem der ersten Assistenten der Prager Juristischen Fakultät nach 1920.139 Im Jahr 1923 habilitierte er sich in Prag für Rechtsgeschichte und wechselte im Jahr 1926 als außerordentlicher Professor für öffentliche und private Rechtsgeschichte Mitteleuropas an die Universität Komenský in Pressburg (Bratislava), an der er im Jahr 1930 zum ordentlichen Professor ernannt wurde.140 In Pressburg organisierte er ein Seminar für mitteleuropäisches Recht und gründete daneben ein unabhängiges slowakisches Institut, welches zum Vorbild vieler anderer Institute wurde, wie z. B. für das Ost-Europa-Institut in Breslau.141 Ende 1938 verließ er Pressburg und wechselte an die Juristische Fakultät in Brünn, wo er sich, wie vormals in der Slowakei, rasch in das mährische Recht einarbeitete.142 Zu seinen bekanntesten Werken gehören Slovenské právní dějiny v  rámci dějin práva ve střední Evropě (Slowakische Rechtsgeschichte im Rahmen der Rechtsgeschichte Mitteleuropas, 1927) und Přehled dějin právních pramenů na Slovensku (Übersicht zur Geschichte der Rechtsquellen in der Slowakei, 1930).143 In dem von František Čáda verfassten Nachruf auf Rauscher erinnerte dieser an die 136  Všehrd,

Bd. 1, 1920, S. 1. Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Bd. 3, N–SCH, München 2000, S. 390. 138  Navrátil, Art. „Rudolf Rauscher“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 370. 139  In memoriam Rudolf Rauscher, in: Všehrd, Bd. 22, 1941, S. 290. 140  Navrátil, Art. „Rudolf Rauscher“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 370. 141  In memoriam Rudolf Rauscher, in: Všehrd, Bd. 22, 1941, S. 290. 142  In memoriam Rudolf Rauscher, in: Všehrd, Bd. 22, 1941, S. 290. 143  Navrátil, Art. „Rudolf Rauscher“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 370–371. 137  Biographisches



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

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Anfangsjahre der Zeitschrift Všehrd, als man mit den Gepflogenheiten der Verlagsdruckereien noch nicht vertraut war. So habe man z. B. für den Umschlag des ersten Bandes nur die Namen der Autoren angegeben, im Glauben, dass der Verlag die Namen der Redakteure ergänzen werde. Im Ergebnis sei das Deckblatt des ersten Bandes nur mit den Namen der Autoren erschienen, so dass das Ganze wie ein Nekrolog gewirkt habe.144 Nach dem Ausscheiden Rauschers im Jahr 1921, übernahm der damals 26-jährige František Čáda bis zur Einstellung der Zeitschrift im Jahr 1941 die Leitung der Redaktion. In Prag studierte er von 1914–1918 an der Juristischen Fakultät, von 1919–1921 an der Philosophischen Fakultät und zur gleichen Zeit auf der Hochschule für Archivwesen. Wie auch schon sein Vorgänger Rauscher war Čáda Rechtshistoriker. Im Jahr 1923 wurde er zum Dozenten an der Prager Juristischen Fakultät für tschechoslowakische Rechtsgeschichte und im Jahr 1926 zum außerordentlichen Professor für mitteleuropäische Rechtsgeschichte an der Juristischen Fakultät in Brünn ernannt.145 Daneben war er Mitglied der staatlichen Prüfungskommission für Rechtsgeschichte. Zu seinen bekanntesten Werken zählen České právní knihy v  době předhusitské (Alte tschechische Rechtsbücher aus vorhussitischer Zeit, 1928) und Soupis české literatury právnické a státovědecké (Verzeichnis der tschechischen Rechts- und Staatsrechtsliteratur, 1922).146 Allein im ersten Band der Zeitschrift Všehrd erschienen von ihm 27 Artikel (davon 20 Rezensionen), darunter auch die Aufsätze Glossa k  zákonů o snízení věku zletilosti (Glosse zum Gesetz für die Herabsenkung der Volljährigkeit) und Nové znaki (Neue Wappen), die sein vielseitiges Wissen verdeutlichen. Neben Čáda bildeten Karel Novák und Zdeněk Neubauer bis zur Einstellung der Zeitschrift im Jahr 1941 den festen Kreis der Redaktion. Neubauer (1901–1956) studierte Rechtswissenschaften an der Universität in Brünn und promovierte im Jahr 1923 an der Prager Juristischen Fakultät. Ab 1924 wirkte er als Beamter der allgemeinen Pensionsersatzkasse in Brünn. Im Jahr 1928 habilitierte er sich an der Prager Universität über Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht der Tschechoslowakei. Seit 1930 war er Dozent für Verfassungsrecht an der Masaryk Universität in Brünn, dort seit 1935 ordentlicher Professor. Daneben ernannte man ihn zum Mitglied der Prüfungskommission für Staatsrecht.147 Neubauer war einer der bekanntesten

144  In

memoriam Rudolf Rauscher, in: Všehrd, Bd. 22, 1941, S. 289. Art. „František Čáda“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 370–371. 146  Navrátil, Art. „František Čáda“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 370–371. 147  Navrátil, Art. „Zdeněk Neubauer“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 307. 145  Navrátil,

244 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Vertreter der Brünner Schule der reinen Rechtslehre.148 Zu seinen bekanntesten Werken gehören Sociální pojištění pro stránce procesní (Die Sozialversicherung aus prozessualer Sicht, 1927), gemeinsam mit František Weyr Ústavní listina Československé republiky (Die Verfassungsurkunde der ČSR, 1931), Pojem státního území (Der Begriff des Staatsgebietes, 1933), Státověda a theorie politiky (Staatswissenschaft und Theorie der Politik) und Ústava moderní demokracie (Verfassung der modernen Demokratie).149 Seine Artikel erschienen auch im Právník, in der Brünner Zeitschrift Časopis pro právní a státní vědu (Zeitschrift für Rechts- und Staatswissenschaft) und in der Moderní stát (Moderne Staat). Daneben arbeitete er als Mitarbeiter am tschechoslowakischen Wörterbuch für Öffentliches Recht.150 II. Anliegen der Zeitschrift Die Zeitschrift Všehrd bemühte sich darum, den Kontakt zu den Studierenden und den Absolventen der Masaryk Universität in Brünn herzustellen und zu pflegen.151 Programm und Anliegen der Zeitschrift werden im Vorwort der Herausgeber zum ersten Band folgendermaßen zusammengefasst: „Unsere Zeitschrift wird sich mit allen wichtigen Fragen auf dem Gebiet der Rechtsund Staatswissenschaft befassen. Daneben wird sich unser Blatt mit allen ­unsere Organisation betreffenden Standesangelegenheiten auseinandersetzen. Unsere Zeitschrift soll aber in keiner Konkurrenz zu den Zeitschriften Právník oder Sborník věd právních a státních stehen. Vielmehr wollen wir die be­ stehende Lücke schließen, dass unserem juristischen Nachwuchs bisher zum Debütieren und zur Erörterung von Standesbelangen, kein geeignetes Organ zur Verfügung stand, da der Právník und die Sborník věd právních a státních als rein wissenschaftliche Zeitschriften zu charakterisieren sind. Zugleich ist  uns bewusst, dass der Krieg viele soziale Abscheulichkeiten zwischen uns hervorgerufen hat, die wir nun mit unserem Vorhaben bewältigen möchten. Dabei wird es unsere Aufgabe sein, unsere Leser über alle den Juris­ tenstand betreffenden Neuigkeiten zu informieren und ihm einen Überblick über alle juristischen und staatsrechtlichen Fachgebiete zu verschaffen. Diesbezüglich wollen wir unsere Leser über alle Neuigkeiten auf dem Büchermarkt informieren und fachliche Fragen beantworten.“152 148  Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Bd. 3, N–SCH, München 2000, S. 31. 149  Biographisches Lexikon zur Geschichte der Böhmischen Länder, hg. im Auftrag des Collegium Carolinum, Bd. 3, N–SCH, München 2000, S. 31. 150  Navrátil, Art. „Zdeněk Neubauer“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 307. 151  Všehrd, Bd. 1, 1920, S. 1. 152  Všehrd, Bd. 1, 1920, S. 1.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

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III. Inhalt und Adressaten Inhaltlich gliederte sich der Všehrd in drei Rubriken. Der erste Teil enthielt juristische und staatswissenschaftliche Beiträge aus dem In- und Ausland. Die zweite Rubrik, Literatura, gab Auskunft über den in- und ausländischen Büchermarkt. Im dritten Abschnitt Zprávy (Nachrichten) wurden Seminare und Sitzungen des Vereins Všehrd angekündigt, sowie alle Standesbelange der Studierenden besprochen und Nachrichten der Redak­ tion veröffentlicht.153 Die Adressaten des Všehrd waren in erster Linie die Mitglieder des Juristenvereins Všehrd. Im Vergleich zur Zeitschrift Právník, die vor allem auf die Bedürfnisse von Berufspraktikern und Rechtswissenschaftlern ausgerichtet war, beschränkte sich die Zeitschrift Všehrd auf den juristischen Nachwuchs und die Studentenschaft. IV. Aufsätze In der ersten Ausgabe der Zeitschrift Všehrd dominierte das Thema „Frauenstudium“. Der emanzipatorische Schritt hierzu war der Aufsatz Stu­ dium žen na právnické fakultě pražské university (Das Frauenstudium an der Prager Juristischen Fakultät)154 von der Verfasserin Jarmila Veselá über den Zugang von Rechtsstudentinnen an die Prager Juristische Fakultät. Darin erklärte sie: „Das Dekanat der Prager Fakultät hat darauf hingewiesen, dass ab dem 8. November 1918 auch Frauen als ordentliche Zuhörerinnen an der Prager Universität zugelassen seien und ausweislich unter denselben Bedingungen wie ihre männlichen Kommilitonen studieren dürfen. Faktisch wurde dies durch den Umsturz und die Abkoppelung von Österreich möglich. Jeder fortschrittlich denkende Mensch kann so eine Entscheidung nur begrüßen. Die Emanzipationsfrage wird aber nicht anders aufgefasst als zuvor, als es jedem „ehrbaren Bürger“ bei dem Gedanken an eine emanzipierte, rauchende, nicht auf ihr Äußeres achtenden Frau, kalt über den Rücken fuhr. Es bleibt zu wünschen, dass den Frauen nach dem Abschluss ihres Studiums der Weg zu allen Berufen eröffnet wird, zu denen auch die absolvierten Juristen Zutritt haben. Fraglich ist nur, ob Frauen hierfür eine Garantie haben. In der Tschechoslowakischen Republik sind Frauen auf politischer Ebene gleichberechtigt – sie haben das Wahlrecht. Daraus kann abgeleitet werden, dass Frauen gleichberechtigt sind und zu allen Berufen freien Zugang haben. Dies könnte aber auch mit einer extensiven Interpolation erzielt werden, wonach „Bürger“ auch „Bürgerin“ bedeuten würde. Wir dürfen uns dabei nicht nur auf den Interpretationsweg verlassen, sondern 153  Všehrd, 154  Všehrd,

Bd. 1, 1920, „Obsah“ (Inhaltsverzeichnis). Bd. 1, 1920, S. 23.

246 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

müssen gleichzeitig auch die rechtliche Gleichberechtigung von Frauen fordern, entweder durch die gesetzliche Interpretation des Begriffs „Bürger“ oder durch ein Gesetz, dass ihnen den Zugang zu den entsprechenden Berufen garantiert. Genaugenommen ist der Zutritt von Frauen an die Juristische Fakultät noch nicht verbindlich geregelt. Nur bei der Philosophischen und der Medizinischen Fakultät bestehen Beschlüsse, wonach den Frauen der Zugang zu den jeweiligen Universitäten gewährt wird. Noch im Jahr 1878 war der Zutritt von Frauen an die Universitäten grundsätzlich verboten (Beschluss vom 5. Mai 1878 Nr.  5385 des Reichsgesetzes). Ein Jahr später wurde mit dem Beschluss vom 23. März 1879 Nr.  7155 den Frauen der Zutritt zur Philosophischen Fakultät gewährt. Erst im Jahr 1900 erlangten Frauen durch den Beschluss vom 3. September Nr.  146 des Reichsgesetzes auch den Zutritt zur Medizinischen Fakultät. Daher ist es notwendig, dass das Unterrichtsministerium einen speziellen Erlass für das Rechtsstudium von Frauen an der Juristischen Fakultät – oder einen allgemeinen Beschluss für die Gleichberechtigung von Männern und Frauen an allen tschechoslowakischen Bildungseinrichtungen – erlässt.“ Anderer Ansicht dagegen war der Autor Kryšpín, der in seinem Aufsatz O právnickém studiu žen (Über das Rechtsstudium der Frauen)155 erklärte: „Ihre Passivität und ihre Feinfühligkeit sind die größten Hindernisse bei der Ausübung ihres Berufes. Eine Frau steht nicht über ihren Gefühlen, vielmehr ist sie ihr Opfer. Diese Eigenschaft schmälert die wichtigste Obliegenheit einer Juristin, nämlich die Wahrung der Objektivität und die Unterordnung ihrer Gefühle vor dem Verstand. Daher ist es fraglich, ob eine Frau die Aufgaben eines Richters oder eines Geschworenen gedeihlich erfüllen kann.“ Im selben Band erschien der Aufsatz Popularisumje právo (Wir popularisieren des Recht)156 von Rudolf Franzl, worin er auf die Unbeliebtheit des tschechischen Rechts im Volk aufmerksam machte. Von vielen werde der Ausdruck „Recht“ als sophistische Sünde empfunden, ausgedacht von abgehobenen Advokaten, mit vielen trockenen langweiligen Paragraphen. Die Trennung von Österreich habe dem Land viel Nutzen gebracht, dies könnte aber noch gesteigert werden, wenn sich die Haltung gegenüber dem Recht verbessern würde. Hierfür benötige man ein tiefes Rechtsbewusstsein in allen gesellschaftlichen Schichten. Man sage, dass die tschechischen Juristen keine Fähigkeiten zur Staatsgründung besäßen, dies könne aber nur in den untersten Gesellschaftsschichten der Fall sein, die man aber vor den Augen der ganzen Welt, schon längst hinter sich gelassen habe. 155  Všehrd, 156  Všehrd,

Bd. 1, 1920, S. 38. Bd. 1, 1920, S. 34.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

247

In dem Aufsatz Několik poznámek a úvah o společenském životě práv­ nického dorostu (Einige Bemerkungen und Überlegungen über das gesellschaftliche Leben des juristischen Nachwuchses)157 aus dem Jahr 1920, machte der Autor Luděk Kettner auf die unzureichende Ausbildung der tschechischen Juristen, im Vergleich zu den Deutschen, aufmerksam. Er be­ gründete dies zunächst damit, dass die deutschen Studenten von den österreichischen Behörden vor der Gründung der Tschechoslowakischen Republik mehr Zuwendungen erhalten hätten als die tschechischen Studenten. Während man den deutschen Studenten großzügige Stipendien gewährt habe, mussten die tschechischen mit schmalen staatlichen Subventionen auskommen und dabei in unzumutbaren Räumlichkeiten studieren.158 Die Zeiten hätten sich aber geändert und nun sei man selbst dazu gezwungen, sich im Ausland zu präsentieren. Diese Aufgabe falle insbesondere den tschechischen Juristen zu. Wie viel gesellschaftliche Präsenz und politisches Taktgefühl auf dem internationalen Parkett bedeuten, habe man in der Vergangenheit unzählige Male gesehen. Diesen gesellschaftlichen Takt, beherrsche aber nur ein ganz kleiner Kreis der tschechischen Intelligenz und Juristen und müsse daher dringend nachgeholt werden, insbesondere von denen, deren Aufgabe es in Zukunft sein werde, den tschechischen Staat interna­ tional wie auch zu Hause zu repräsentieren. Die andere Frage sei aber, wie der tschechische Jurist dieses Taktgefühl erlangen solle. Nur wenige Juristen genössen den Luxus ein Mitglied der höheren tschechischen Gesellschaft zu sein und dies nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern auch durch ihre Unbeholfenheit und Unerfahrenheit auf dem gesellschaftlichen Parkett. Daher würden viele Vertreter des juristischen Lebens, um nicht das Ansehen des tschechischen Staates in der Öffentlichkeit zu mindern, solche Veranstaltungen lieber gar nicht erst besuchen.159 Wie solle aber der tschechische Staat diese Unzulänglichkeiten vermeiden, wenn der tschechische Juristennachwuchs die meiste Zeit in verqualmten Kaffeehäusern verbringe und sich mit anderen Dingen beschäftige.160 Im Jahr 1920 erschien der Aufsatz Židovské právo (Jüdisches Recht)161 von František Friedmann. Den Anstoß hierzu gab die Konferenz vom 24. April 1920 in San Remo, in deren Anschluss Großbritannien ein Palästina-Mandat erhielt. Das Mandat diente dazu, auf ihrem Territorium eine Heimstätte für das jüdische Volk zu errichten. Der Autor erklärte hierzu: „So wie alle neu gegründeten Nationalstaaten bemühen sich natürlich auch 157  Všehrd,

Bd. 1, Bd. 1, 159  Všehrd, Bd. 1, 160  Všehrd, Bd. 1, 161  Všehrd, Bd. 1, 158  Všehrd,

1920, 1920, 1920, 1920, 1920,

S. 58. S. 58. S. 58. S. 59. S. 143.

248 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

die Juden darum, dass ihr zukünftiger Staatsrat allen Ansprüchen eines modernen fortschrittlichen Staates gerecht wird und dabei zugleich eine Weiterführung der alten nationalen Traditionen vollzieht.“ Im Anschluss folgte eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten jüdischen Rechtsgrundlagen. Abschließend erklärte Friedmann: „In neuster Zeit wurde über das jüdische Recht meistens in den Fachzeitschriften berichtet, insbesondere in den rechtsvergleichenden, in denen in den letzten zwanzig Jahren viele grundlegende Arbeiten und Monographien veröffentlicht worden sind. Das von den zionistischen Juristen erneuerte Studium des jüdischen Rechts fängt an sich zu verbreiten. Dabei liegt ihr Fokus hauptsächlich auf Palästina. Daneben wurde auch in Moskau von ausgezeichneten Juristen und Gelehrten eine Juristische Gesellschaft errichtet, die eine hebräische juristische Zeitschrift und wissenschaftliche Monographien herausgibt. An den Universitäten, an denen im letzten Jahr ordentliche Vorlesungen für jüdische Geschichte und Literatur eingeführt worden sind, widmet man sich jetzt auch verstärkt dem jüdischen Recht. In der nicht jüdischen Welt findet dieses Studium hauptsächlich an den englischen Universitäten statt, was im Anbetracht des Britischen-Mandats in Palästina verständlich ist. An vielen der Universitäten sind jüdische Gesellschaften gegründet worden, die durch ihre Kurse und Vorlesungen die Kenntnis des jüdischen Rechts im Kreise ihrer Mitglieder erweitert haben.“162 Der zweite Band des Všehrd (1921) war eine Jubiläumsausgabe zum vierhundertsten Todestag seines Namensgebers Viktorin Cornelius aus Všehrd und bildete somit eine Ausnahme zu der sonst wenig rechtshistorischen Ausrichtung der Zeitschrift. In dem Zusammenhang erschienen die Aufsätze Poslední kapitoly životopisu Všehrdova (Das letzte Kapitel im Lebenslauf Všehrds)163 von František Čáda, Systematika díla Všehrdova (Die Systematik seiner Werke)164 von Rudolf Rauscher und Mravní názory M. Viktorina Kornela ze Všehrd (Über die moralischen Ansichten des Viktorin Cornelius aus Všehrd)165 von Bohuslav Šejhar. Im Jahr 1923 erschien in der Rubrik Zprávy (Nachrichten) erneut ein Aufsatz zum Frauenstudium. Der Autor, Karel Novák, berichtete darin über die in diesem Jahr erstmals abgehenden Absolventinnen und Doktorandinnen der Prager Juristischen Fakultät: „Es stellt sich nun die Frage, welche beruflichen Aussichten die Absolventinnen erwarten. Man muß zugeben, dass die Frauen-Rechtsdoktorinnen keine günstigen Aussichten haben, zumindest werden sie nicht so aufgenommen, wie sie es gerne hätten. Ich bin der 162  Všehrd,

Bd. 1, Bd. 2, 164  Všehrd, Bd. 2, 165  Všehrd, Bd. 2, 163  Všehrd,

1920, 1921, 1921, 1921,

S. 146. S. 4. S. 10. S. 16.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

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festen Überzeugung, dass aus unseren Kolleginnen nach einer gewissen Weile, Richterinnen, Administrativ-, und Finanzbeamtinnen werden. Dies ist nicht ihr Verdienst, sondern vielmehr sind es die Auswirkungen der sozialen Verhältnisse. Ich will damit sagen, dass sich Frauen in alle sogenannten Männerberufe reindrängen werden und zwar aus dem Grund, weil die Zeit dafür reif ist. Heutzutage treibt das harte Leben die Frauen dazu, sich nach den Berufen umzusehen, für die sie sich früher nicht gemeldet hätten. In den Zeiten, in denen die Hoffnungen auf eine Vermählung und somit auch auf eine Versorgung bei vielen Frauen ihre Wahrscheinlichkeit verliert, müssen Frauen oftmals für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen. Die Männer sind sich dabei der Konkurrenz bewusst und dies ist der Hauptgrund für ihr ablehnendes Verhalten.“166 Zum internationalen Vergleich erschien im selben Band der Aufsatz Ženy a právnické povolání (Frauen und Juristenberufe)167 von Anděla Kozákova, in dem sie die Verhältnisse in den anderen europäischen Staaten, darunter Frankreich, England, Schweden, Dänemark und Amerika schilderte. Obwohl sich die Zeitschrift Všehrd überwiegend mit aktuellen Themen befasste, die den juristischen Nachwuchs betrafen, wurden auch nicht selten rechtstheoretische Aufsätze publiziert. Im Jahr 1923 erschien der Aufsatz Právní moc v theorii a praxi správního práva (Die Rechtskraft in der Theorie und Praxis im Verwaltungsrecht)168 von Adolf Procházka. Darin prä­ sentierte der Autor die Ansichten der wichtigsten Hauptvertreter der Rechtskraftlehre, darunter u. Adolf Merkl, František Weyr, Edmund Bernatzik und Jiří Hoetzel. Die Praxis des tschechischen Verwaltungsgerichtshofes gehe seiner Ansicht nach mit den meisten Anschauungen der genannten Theoretiker konform. Am meisten nähere es sich aber den Ansichten Hoetzels.169 Im Jahr 1925 erschien der rechtshistorische Aufsatz Kelsenova konstrukce logické formy právní normy (Kelsens formallogische Konstruktion der Rechtsnorm)170 von Theodor Uhde. Darin verglich er die verschiedenen Positionen von Kelsen und Weyr zur Frage der Konstruktion der Rechtsnorm: „Dank Weyr hat Kelsens Konstruktion der Rechtsnorm Kritik erfahren. Bei Weyr wird das Problem viel einfacher, klarer, und – last not least – nach normativem Verständnis auch vorteilhafter gelöst. Im Unterschied zu Kelsen, bemüht sich dieser nicht um ein objektives Verständnis des Rechts. Kelsens Konstruktion des Rechts als Wille des Staates, ist sehr schöngeistig, aber für das normative Verständnis auch sehr gefährlich. Bei Weyr ist das 166  Všehrd,

Bd. 4, Bd. 4, 168  Všehrd, Bd. 4, 169  Všehrd, Bd. 4, 170  Všehrd, Bd. 6, 167  Všehrd,

1923, 1923, 1923, 1923, 1925,

S. 138. S. 199. S. 81 S. 85. S. 155.

250 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Problem des Inhalts und der Form der Rechtnorm im Ganzen viel einfacher. Was ist der Inhalt einer Rechtsnorm? Der Inhalt ist etwas (ein Zustand), das (der) so sein soll. Derjenige der jenen Zustand herbeiführen will, der gemäß der Norm sein soll, ist ein Subjekt der Verpflichtung. Die Verpflichtung allein ist eine Relation zwischen dem Subjekt der Verpflichtung und der Norm.“171 Der achte Band (1927) des Všehrd stand im Zeichen des neuen Gesetzes vom 14. Juli 1927 (Nr.  125 Slg.) über die Neuorganisation der politischen Verwaltung.172 Hierzu nahm der Autor František Šlemr in seinem Aufsatz Kritické poznámky k  reformě veřejné správy (Kritische Anmerkungen über die Reform des Verwaltungsrechts)173 Stellung: „In allen bisherigen Reformversuchen unseres Verwaltungsrechts, kann man fremde Einflüsse erkennen, aber leider nur die falschen. (…) Leider haben wir keine Rechtswissenschaft, die sich mit der Entwicklung des Rechts beschäftigt. Nur die Normative Rechtsschule widmet diesem Zweig etwas mehr Aufmerksamkeit. Ein Fehler der Selbstverwaltung ist, dass sie nicht den Unterschied zwischen Beschlussfassung und Vollzug kennt. Man darf hierbei nicht vergessen, dass die Selbstverwaltung in den böhmischen Ländern zum größten Teil nur ein Provisorium ist. Die Reorganisierung der Verwaltung nach dem Umsturz hat letztlich dazu geführt, dass anstelle der Bezirkvertretungen und Bezirksbehörden, die Kreisverwaltungskommissionen getreten sind, die dadurch zu einer politischen Institution par excellence geworden sind. Es geht uns nicht um die Bedeutung der Politik, sondern um die Rechtsstellung, und daher verkünden wir, dass es ein legislativer und administrativer Fehler wäre, wenn man dem ganzen einfach nur einen anderen Namen geben würde, Alles aber beim Alten bliebe. Kurz und gut sollte man sich an den Satz: ‚agir est le fait d’un seul, délibérer le fait de plusieurs‘ halten.“ Anlässlich des sechzigsten Geburtstages des Vereins Všehrd erschien im Jahr 1928 der Aufsatz Šedesat let našeho Všehrdu (Sechzig Jahre unseres Vereins Všehrd)174 von Jaromír Basch: „Heute am 6. Mai 1928 ist es sechzig Jahre her, dass der Verein tschechischer Juristen Všehrd gegründet wurde und damit der Grundstein zur Organisation unserer jungen Juristengeneration gelegt wurde. Er ist in einer Zeit entstanden, in der unsere Nation keine eigenständige politische Organisation errichten durfte. Es wurden kulturelle-, später wirtschaftliche Organisationen gegründet, die ein Bollwerk für den Kampf um politische Unabhängigkeit sein sollten. So entstand im Geiste der Taborbewegung der sechziger Jahre, u. A. auch der Verein 171  Všehrd,

Bd. 6, 1925, S. 165. Kapitel  1, A.  V. 173  Všehrd, Bd. 8, 1927, S. 233. 174  Všehrd, Bd. 9, 1928, S. 225. 172  2.  Teil,



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

251

Všehrd, der die jungen tschechischen, damals noch an der deutschen Universität studierenden Juristen, vereinen sollte. Der Verein Všehrd sollte dabei ein „Aufbereiter“ tschechischer Juristen sein und den Nachwuchs für den Aufbau eines eigenständigen tschechischen Staates ausbilden. In Zukunft sollte mehr darauf geachtet werden, dass der Verein nicht auf einen Vereinsklüngel reduziert wird.“ Im selben Band erschien der Aufsatz Vývoj jazykového práva v  našich zemích (Die Entwicklung des Sprachenrechts in unseren Ländern)175 von Kazimír Čakrt, worin der Autor die Geschichte des böhmischen Sprachenrechts von 1848 bis ins Jahr 1928 beschrieb: „Das Sprachenrecht können wir als eine Zusammenfassung von Normen definieren, die die Beziehungen zwischen Bürgern, Staat und staatlichen Organisationen regeln. Daher gehört es auch zum öffentlichen Recht. In den sogenannten nationalen Staaten, in denen es nur sprachliche Minderheiten gibt, zählt man es zum Minderheitenrecht. Daraus folgt, dass das Sprachenrecht nur in sprachlich gemischten Nationalstaaten existiert. Ein bildliches Beispiel hierfür ist Frankreich vor dem Versailler Vertrag, nach der Einverleibung des Elsaß. Nationalität und Sprachenrecht müssen dabei aber nicht unbedingt identisch sein, wie man am Beispiel Israel sieht. Unser Sprachenrecht ist auf der Grundlage der Idee der großen Französischen Revolution entstanden. Aber auch bei uns kennt man sprachliche und nationale Gesetze, die noch aus den Alten Zeiten stammen – wie etwa das ‚Kutnohorský dekret‘ (Kuttenberger Dekret, 1409) sowie josefinische und theresianische Gesetze.“176 Im Jahr 1929 gab der Redaktionsrat des Všehrd anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Tschechoslowakei einen kurzen Überblick über die Tätigkeiten auf dem Gebiet des Rechts. Hierzu erschienen die Aufsätze Naše zákonodárství a správa (Unsere Gesetzgebung und Verwaltung)177 von Zdeňek Neubauer, Normy procesního práva na území ČSR. v  desetiletí v  1918–1928 (Die Normen des Prozessrechts auf dem Boden der ČSR in den Jahren 1918–1928)178 von Jan Procházka, Deset let naší sociální poli­ tiky (Zehn Jahre unserer Sozialpolitik)179 von Alois J. Jindřich, Naše právnícké fakulty (Unsere juristischen Fakultäten)180 von Rudolf Rauscher und im Jahr 1930 der Aufsatz Deset let ústavní listiny (Zehn Jahre Verfassungsurkunde)181 von Zdeňek Neubauer. 175  Všehrd, 176  Všehrd, 177  Všehrd, 178  Všehrd, 179  Všehrd, 180  Všehrd, 181  Všehrd,

Bd. 9, 1928, S. 65, 111. Bd. 9, 1928, S. 65, 111. Bd. 10, 1929, S. 1. Bd. 9, 1928, S. 18. Bd. 10, 1929, S. 36. Bd. 9, 1928, S. 44. Bd. 11, 1930, S. 177.

252 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Mit der Gründung der Tschechoslowakei kamen auch auf die tschechischen Doktoren neue Aufgaben zu. In dem Zusammenhang erschien im Jahr 1930 der Aufsatz Collegium doctorum182 von Jaromír Sedláček. Darin hieß es: „Wir haben die Universität so übernommen, wie sie der dynastische Staat geschaffen hat, halbabsolutistisch und halbkonstitutionell. Die Universitäten, und in erster Linie die juristischen Fakultäten, sollten dabei der Erziehung staatlicher Beamten dienen. Von ihnen wurde erwartet, dass sie die Diener der Dynastie werden. Die Universität ist nicht dafür da, damit sie Zertifikate erteilt. Die Universität ist das Palladium der Wissenschaft und der nationalen Kultur. Heute sind wir unabhängig und haben uns zu einer parlamentarischen Demokratie bekannt, das heißt, dass niemand mehr über uns steht, der für uns denkt und handelt. Unabhängigkeit bedeutet nicht Ungebundenheit, sondern vielmehr große Verantwortung. Das tschechische Parlament erließ eine Reihe neuer Gesetze, die zum Teil unvollkommener waren als noch zu Zeiten der absolutistischen Monarchie. In einer parlamentarischen Demokratie steht der Jurist einer größeren Aufgabe gegenüber als in einer absolutistischen Monarchie. Die Probleme steigen dadurch, dass die Gesetze in einer Demokratie formell und materiell vollkommener sein müssen als in einem Obrigkeitsstaat. Die Schwierigkeit liegt darin, eine Balance zwischen Ethik und Verpflichtung aufrecht zu halten. Dadurch besteht die Gefahr einer geistlosen Routine. Eine Dynastie kann sich mit Routine abfinden, nicht aber ein demokratischer Staat. Die Universität darf sich auch nicht von politischen Strömungen beeinflussen lassen. Sicherlich ist eine Universität nicht immer gegen politische Zugriffe immun, doch würde ein solcher Eingriff ein sicheres Grab für die Universität bedeuten. Auf der anderen Seite ist eine Universität auf eine finanzielle und moralische Unterstützung durch den Staat angewiesen. Zu den Mitgliedern der Universität gehören nicht nur die Professoren, sondern auch Studenten und Doktoren. Die Doktoren werden hierbei oftmals vergessen. Sie sind im Universitätsbuch eingetragen und haben das Versprechen abgegeben, der Universität stets zur Verfügung zu stehen. Doch verlassen viele von ihnen nach ihrer Ausbildung die Universität, ohne sich dabei bewusst zu werden, dass sie ein Teil der Universität sind. Ein Vorschlag ist, dass man die Praktiker von der Universität isoliert und ihnen spezielle fachliche Schulen zur Verfügung stellt, die sie zu praktischen Routiniers ausbilden, nicht aber zu Juristen, die die Rechtswissenschaft pflegen und die sich dem Recht verschrieben haben. Dort, wo dieses Zusammengehörigkeitsbewusstsein fehlte, sah man den Niedergang der Universitäten, wie zum Beispiel in Frankreich und Österreich. In England und Deutschland dagegen blühten die Univer­ sitäten auf, da jede von ihnen – juristisch gesprochen – ihre eigene akade182  Všehrd,

Bd. 8, 1927, S. 233.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

253

mische Kommune entwickelt hat. Unsere kleine Nation kann einzig allein nur mit seiner Kultur bestechen und braucht hierfür Universitäten, die mehr noch als im alten Österreich mit dem wissenschaftlichen Wandel Schritt halten können.“183 Im Jahr 1934 publizierte Bohuslav Ptáček seinen Aufsatz Masarykův pojem demokracie (Masaryks Demokratiebegriff)184. In dem Kapitel Masa­ ryk – filosof hieß es dazu: „Masaryk ist in seiner Philosophie in erster Linie ein Christ. Er ist mit der europäischen Kultur erzogen worden, die auf dem Christentum errichtet worden ist. Er baut auf die Erfahrungen der Geschichte, entwickelt seine eigene Weltansicht und wird dabei von der tschechischen Reformation, der großen französischen Revolution und der Aufklärung beeinflusst.“ Nach der Machtergreifung in Deutschland durch die Nationalsozialisten wurden die rechtlichen Veränderungen einer kritischen Beurteilung vom demokratischen Standpunkt unterzogen – so auch von der damals noch demokratischen Tschechoslowakei. Im Zusammenhang mit der Verschärfung des deutschen Strafrechts nach 1933 erschien dazu im Jahr 1935 der Aufsatz Nacionálněsocialistické trestní právo německé (Das Nationalsozialistische Deutsche Strafrecht)185 von Erich Olšar: „In Deutschland ist mit dem Antritt des nationalsozialistischen Regimes, der individualistische Staat liquidiert und durch einen autoritären Nationalstaat ersetzt worden, der dem neuen Strafrecht strenge Auflagen auferlegt hat. Die nationalsozialistische Revolution vom März 1933 empfinden die deutschen Juristen als kulturhistorische Evolution. Dabei ging es um die Frage, ob man sich zum liberalen oder zum autoritären Strafrecht bekennt. Mit anderen Worten, ob man die bisherige Strafrechtsreform fortsetzt oder diese aufgibt und ein neues Strafrecht auf einer neuen Grundlage schafft. Heute scheint es, als sei diese kriminalpolitische Antithese gelöst. Die staatspolitische Entwicklung des heutigen Deutschlands verlangt nach einer Kriminalpolitik mit einem autoritären Strafrecht. Wobei die Annäherung an die Formen eines autoritären Strafrechts auch als Rückschritt gedeutet werden kann – so etwa argumentieren deutsche Kriminalisten. Dabei gilt in der kriminalistischen Situation des heutigen Deutschlands das breite Motto: Autoritär-reaktionäres oder autoritär-soziales Strafrecht? Oder mit anderen Worten: Reaktionäre Restauration oder nationalsozialistischer Neuaufbau des Strafrechts? Und die Ant­ wort lautet: Neuaufbau.“ Im Anschluss präsentierte der Autor eine Zusammenfassung der wichtigsten Eckdaten der deutschen Strafrechtsgeschichte ab 1871, mit seinen vermischten Ideen Feuerbachs, Mittermaiers, Hegels 183  Všehrd,

Bd. 8, 1927, S. 233. Bd. 15, 1934, S. 256. 185  Všehrd, Bd. 16, 1935, S. 13, 52. 184  Všehrd,

254 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

und Stahls, bis ins Jahr 1935. Dabei zeichne sich das neue deutsche Strafrecht durch die folgenden Punkte aus: „An erster Stelle der Schutz der Nation, daraus ergibt sich: 1. Schutz der staatlichen Ordnung; 2. Schutz der Rasse und der Nationalität; 3. Schutz der Familie; 4. Schutz des nationalen Besitzes. An zweiter Stelle der Schutz des Bürgers. Daraus folgt: 1. Schutz des Einzelnen; 2. Schutz der Arbeitskraft; 3. Schutz des Wirtschaftsbetrie­ bes.“186 Am Ende resümiert Olšar: „Deutschland kehrt damit in seiner kulturellen Entwicklung um einige Jahrhunderte zurück. Daher kann man nicht von einem fortschrittlichen deutschen Strafrecht sprechen. Man sagt, dass das Strafrecht der geistige Spiegel des nationalen Lebens sei, dies gilt in erhöhtem Maße auch für das heutige Deutschland.“187 In der Rubrik Zprávy (Nachrichten) erschien im Jahr 1935 der Aufsatz Rozhlas a právníci (Der Rundfunk und die Juristen)188 von Horka. Darin erklärte er: „Die Bedeutung des Rundfunks ist für die Unterrichtung und Informierung von großer Bedeutung. Es sind lebendige Zeitungen, die schon heute über 620.000 Zuhörer189 verfügen. Daher empfehlen wir unseren Kollegen die Verfolgung des Rundfunks, als eines der wichtigsten kulturellen Repräsentanten.“ Darauf hin erschien ein Jahr später die Rubrik Právní novinky z  rozhlasu (Juristische Neuigkeiten aus dem Rundfunk)190 und im Jahr 1937 der Aufsatz Mezinárodní právní otázky rozhlasové (Internationale Rechtsfragen zum Rundfunkwesen)191 von Zdeněk Morávek. Anlässlich der Abdankung des Staatspräsidenten Masaryk am 14. Dezember 1935 erschien im Jahr 1936 der Aufsatz Abdikace presidenta republiky (Die Abdikation des Präsidenten der Republik)192 von Zdeněk Neubauer. Darin erklärte er, dass man in den letzten Tagen ein historisches Ereignis erlebt habe, nämlich die Abdankung des Präsidenten. In der Geschichte habe es eine unüberschaubare Anzahl von regierenden Monarchen gegeben, davon aber nur wenige, die freiwillig auf ihren Thron verzichtet hätten und Fälle von Abdikationen von Präsidenten seien noch seltener vorgekommen. Beim ersten Präsidenten der Republik sei es dazu noch eine persönliche, wie auch politische Sondersituation gewesen und im Vergleich zu den anderen historischen Vorfällen, auch eine einzigartige. Die ganze Problematik der Resignation eines Oberhauptes habe im Allgemeinen und in dem kon186  Všehrd,

Bd. 16, 1935, Bd. 16, 1935, 188  Všehrd, Bd. 16, 1935, 189  Im Jahr 1938 waren S. 102. 190  Všehrd, Bd. 17, 1936, 191  Všehrd, Bd. 18, 1937, 192  Všehrd, Bd. 17, 1936, 187  Všehrd,

S. 16. S. 58. S. 20. es bereits 1 Million Zuhörer; Všehrd, Bd. 19, 1938, S. 27. S. 105. S. 137.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

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kreten Fall eine interessante und geradezu dramatische psychologische Seite, auf der anderen Seite aber auch eine rechtliche.193 Im Jahr 1937 erschien in der Rubrik Zprávy der Beitrag Letošní němec­ ký  „Juristentag“ nebude? (Gibt es in diesem Jahr keinen deutschen „Juristentag“?)194. Darin schilderte der Autor (mit den Initialen vr.): „Die deutschen Juristen in der Tschechoslowakei halten jedes Jahr ihren Juris­ tentag ab. Dieses Jahr sollte er in Brünn stattfinden. Derzeit aber tritt die  Henleinpartei SdP gegen den diesjährigen Juristentag an. Sie behauptet, dass sich dabei überwiegend deutsche Juristen der Tschechoslowakei organisieren würden. Derzeit organisiert die Partei ihr eigenes Juristentref­ fen, dass von der Führungselite der SdP genehmigt worden ist. Es wird interessant sein zu sehen, wer nun letztendlich zu diesem Juristentreffen gehen wird.“ Im Aufsatz von Josef Kepert Ochrana německé krve (Der Schutz des deutschen Blutes)195, bezog dieser Stellung zu den Nürnberger Gesetzen vom 15. September 1935, welche die antisemitische Ideologie auf eine rechtliche Grundlage stellen sollten. Leider seien diese Ideen nicht, wie anfangs von den Beobachtern der deutschen Bewegung angenommen, ein Mittel zur Überzeugung der Massen, sondern vielmehr eine fatale revolu­ tionäre Vorstellung, die von ihren Trägern jovial belächelt worden sei. Das Reichsflaggengesetz bringe dies unverschleiert zutage, welches vom Symbol des gebrochenen Kreuzes gekennzeichnet sei. Die Farben des alten Deutschlands, schwarz-weiß-rot, seien nur noch ein dekoratives Element. Vom selben Geiste wie das Reichsflaggengesetz seien das Reichsbürgergesetz und das Blutschutzgesetz. Diese weitreichenden Gesetze seien die Realisierung der grundlegendsten Forderung der Träger dieser Gesetze, nämlich das Deutschland zu einem Staat reiner Rasse werde, indem ein Mensch, durch dessen Adern fremdes Blut fließe, stets als ein Fremder angesehen und von Leid geplagt sein werde. In seinen Ausführungen zum Blutschutzgesetz äußerte Kepert: „Ich werde mich nicht mit einer Beurteilung dieser namhaften Rassentheorien beschäftigen, deren Vertreter sich eine sichere Unterscheidung der verschiedenen nordischen Rassen zutrauen, und deren Gegner dies in Anbetracht der Tatsache einer tausendjährigen rassischen Vermischung ausschließen. Ich behaupte nur, dass es bei dem Problem ganz einfach nur um den Kampf der reinen Rasse geht, reduziert auf einen radikalen Antisemitismus.“196 193  Všehrd,

Bd. 17, Bd. 18, 195  Všehrd, Bd. 19, 196  Všehrd, Bd. 19, 194  Všehrd,

1936, 1937, 1938, 1938,

S. 137. S. 308. S. 22. S. 22.

256 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Nach Kriegsausbruch machte die Redaktion im Jahr 1939 in einer fünfzeiligen Anmerkung die Leser auf die aktuellen Umstände aufmerksam: „In diesen außergewöhnlichen Zeiten, in denen sich die Verhältnisse täglich ändern, so dass für Überlegungen keine Zeit mehr bleibt, sind wir dazu genötigt, uns eher den rechtstheoretischen Fragen zu widmen und weiter über neue Rechtsnormen zu informieren, so wie es die Kriegsverhältnisse verlangen. Wir bitten dabei unsere Leser diese Neuorientierung unserer Arbeit anzuerkennen und entschuldigen uns für die die unzähligen technischen Unzulänglichkeiten.“197 Anlässlich des 60sten Geburtstags Weyrs erschien im Jahr 1939 der Aufsatz Vědecká osobnost Františka Weyra (Die wissenschaftliche Persönlichkeit František Weyr)198 von Vladimír Kubeš und im selben Jahr ein kurzer Beitrag zum Tode Fritz Sanders199 am 3. Oktober 1939, worin die Redak­ tion nach einigen lobenden Worten erklärte: „In seinen wissenschaftlichen Arbeiten störten ein wenig die extreme Kompliziertheit seiner Ausdrucksweise und die Einführung zahlreicher Termini.“200 Während der Kriegszeit erschien im Jahr 1940 der Aufsatz O zlepšení osudu raněných a nemocných ve válce (Über die Verbesserung des Schicksals der Verletzten und Kranken im Krieg)201 von Bohumil Kučera: „Die Organisation zur Verbesserung des Loses der Verletzten und Kranken, ist in der neuen Zeit zu einer wichtigen edelmütigen internationalen Rechtsinstitution geworden und hat dabei eine mannigfaltige Entwicklungsgeschichte hinter sich. Schon im Altertum, wenn es sich nicht um Barbaren handelte, wurde die Verpflichtung anerkannt, Personen zu schonen, die auf dem Schlachtfeld verletzt worden waren. Mit dem Fortschritt der Zivilisation wurde das Prinzip „hostes, dum vulnerati, fratres“ geltend gemacht. Der ausgezeichnete Internationalist Lueder äußerte hierzu, dass es ein langer Weg von einer negativen Pflege der Verletzten und Kranken einer feindlichen Armee, zur Durchsetzung einer positiven Pflege sei. Dies wurde insbesondere auch dadurch erschwert, dass die Pflege um den Staat und seiner Armeen zum Teil sehr unterentwickelt war.“ Im Anschluss folgte ein Überblick über die wichtigsten Verträge und Konferenzen zum Schutze der Kriegsverletzten vom Ende des 14.  Jahrhunderts bis ins Jahr 1929. Allein zwischen 1581 bis 1864 habe es an die 300 solcher Verträge – angelehnt an das Prinzip des Humanismus – gegeben. Die letzte Vertragsrevision zur 197  Všehrd,

Bd. 20, 1939, Bd. 20, 1939, 199  2.  Teil, Kapitel  4, A. 200  Všehrd, Bd. 20, 1939, 201  Všehrd, Bd. 21, 1940, 198  Všehrd,

S. 291. S. 157. S. 333. S. 1, 40.



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Verbesserung des Loses der Verletzten und Kranken habe am 27. Juli 1929 während des Genfer Abkommens stattgefunden.202 V. Abnahme und Einstellung der Zeitschrift Im Jahre 1920 belief sich die Zahl der Abnehmerschaft der Zeitschrift Všehrd auf nahezu 1400.203 Einer solch großen Abnehmerschaft konnte sich kaum eine andere tschechische juristische Zeitschrift rühmen. Die Zeitschrift Všehrd wurde im Jahre 1941 ohne Nennung von Gründen mit dem 22. Band eingestellt. Neben den erschwerten Bedingungen während der Kriegszeit, hing es vielleicht auch damit zusammen, dass ab dem 1. Januar 1941 neue Regeln für die Druckereien galten, wonach Artikel, wenn möglich auf der Maschine geschrieben sein mussten, und für handschriftliche Eingaben ein Aufschlag berechnet wurde.204 Diese Regelung erfolgte im Zuge der allgemeinen Einstellungswelle des Jahres 1941, die vordergründig mit der Papierknappheit und dem Personalmangel zusammenhing.205

B. České Právo (1919–1948) Die Zeitschrift České Právo206 erschien erstmals im Jahr 1919 als Organ des Spolek notářů československých (Organisation Tschechoslowakischer Notare). Bis auf kleinere Novellierungen galt in der neu gegründeten Tschechoslowakei weiterhin die österreichische Notariatsordnung aus dem Jahr 1871. Als Sitz der vereinigten Notarenkammern bestimmte die Regierungsverordnung vom 30. Dezember 1920 Pressburg.207 Eine Änderung lag insbesondere darin, dass sich nun mehrere Notarenkollegien benachbarter Gerichtssprengel zwecks Errichtung einer gemeinschaftlichen Kammer zusammenschließen konnten. Die Gründung der Tschechoslowakei verursachte eine Aufwärtsentwicklung des tschechoslowakischen Notariats. Zu dieser positiven Entwicklung trugen das wachsende Bedürfnis der rechtsuchenden Bevölkerung nach Beurkundung und Beratung sowie die Zunahme des Verkehrs auf den Gebieten des Grundbuchrechts bei. Anliegen und Hintergründe der České Právo werden im Vorwort zum ersten Band bekannt gegeben: 202  Všehrd,

Bd. 21, 1940, S. 3. Bd. 1, 1920, S. 140. 204  Všehrd, Bd. 22, 1941, S. 29. 205  Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, München 2002, S. 309. 206  Deutsche Übersetzung: Tschechisches Recht. 207  Freytag, Die Organisation der wirtschaftlichen und berufsständischen Selbstverwaltung in der Tschechoslowakei, Leipzig 1934, S. 87. 203  Všehrd,

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„Die Oktoberrevolution befreite die tschechoslowakische Nation und ihre rechtliche Entfaltung von dem harten Joch der österreichischen Herrschaft. Hätten die zentralen Mächte obsiegt, so hätte dies für uns die endgültige Durchsetzung des deutsch-österreichischen Rechts in Böhmen bedeutet. Der tschechische Jurist wäre dadurch noch härter als zuvor in den Dienst der Fremden gestellt worden. Hoffnungsvoll hat sich auf den österreichischen Ruinen die Wiedergeburt des selbständigen tschechoslowakischen Staates entwickelt. Nunmehr legen wir unseren Juristen die verlockende und verantwortungsvolle Aufgabe in die Hand, die juristische Entfaltung der Republik auf den rechten Weg zu bringen und damit zu den Gestaltern eines modernen tschechischen Rechts zu werden. Dabei lässt sich die Übernahme der österreichischen Rechtsordnung nicht vermeiden, da sie sich bereits in unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Leben eingelebt hat. Wir müssen uns von der Schmach befreien, dass in unserem Land nur deutschsprachige Gesetze galten, die ausschließlich verspätet und meistens in einer stillosen und unvollständigen Übersetzung zu uns gelangten. Als wahres tschechisches Recht bezeichnen wir das Recht, in welchem sich auch der tschechische Geist widerspiegelt. Wobei sich der tschechische Geist nicht nur in den Künsten und in der Philosophie widerspiegelt, sondern auch in allen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Angelegenheiten.“208 Geleitet wurde die Zeitschrift von dem Zivilrechtler Emil Svoboda (1878–1948). Bereits vor seiner Promotion im Jahr 1905 an der Prager Universität trat er im Jahr 1903 eine Stelle als Konzipient am Landgericht in Prag an. Später wechselte er zum Magistrat der Stadt Prag, wo er in der Abteilung für die Sanierung des Prager Ghettos tätig war.209 Während dieser Tätigkeit sammelte er wertvolles Material für sein späteres Werk O reálním dělení domů v  obvodu bývalého pražkého Ghetta (Über die reale Hausteilung im Bezirk des ehemaligen Prager Ghettos, 1909), auf deren Grundlage ihm später die venia legendi für österreichisches Privatrecht an der tschechischen technischen Hochschule in Prag verliehen wurde. Im Jahr 1912 habilitierte er sich für österreichisches Privatrecht an der Prager Universität und wurde ein Jahr später zum außerordentlichen, ab 1919 zum ordent­ lichen Professor für Rechtswissenschaften an der tschechischen technischen Hochschule ernannt. Den Ruf als ordentlicher Professor für Privatrecht im Jahr 1921 an die neu errichtete Komenský Universität in Pressburg nahm er nicht an.210 Ab 1924 wirkte er als ordentlicher Professor für Privatrecht an 208  České

Právo, 1. Jahrgang, Nr.  1, 1919, S. 1. Art. „Emil Svoboda“. In: Antalogie české právní vědy, Prag

209  Skřejpková,

1993, S. 142. 210  Skřejpková, Art. „Emil Svoboda“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 142.



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der Juristischen Fakultät in Prag. Im gleichen Zeitraum hielt er Vorlesungen über die Geschichte der Rechtsphilosophie. In den Jahren seiner pädagogischen Arbeit, bildete er eine Reihe junger Rechtswissenschaftler aus. Vor seiner Tätigkeit für die České Právo schrieb er ab 1906 Artikel für die Zeitung Národní Listy (Volksblatt), wobei er sich für die Ausweitung des inneren Widerstandes gegen Österreich, und ab 1916 bis zum Umbruch, für eine Erweiterung der kulturellen Demokratie einsetzte.211 In der České Prá­ vo veröffentlichte er hauptsächlich kritische Beiträge zur aktuellen Rechts­ praxis und war daneben auch für den Právník und die Sborník věd právních a státních tätig.212 Inhaltlich gliederte sich die České Právo in die Rubriken Pojednání (Abhandlungen), Rozhodnutí nejvyššího soudu (Entscheidungen des Obersten Gerichts) Rozhodnutí nejvyššího správního soudu (Entscheidungen des Obersten Verwaltungsgerichts), Ze dne (Vom Tage), Jmenování (Nominierungen), Přeložení (Versetzungen) und Uprázdněná a nově zřízená místa notářská (Freigewordene und neu eingerichtete Notariatsstellen).213 In der České Právo wurden insbesondere spezielle Fragen zum Notariatswesen behandelt und aktuelle Entscheidungen abgedruckt. Ein großes Gewicht lag auf den Fragen zum Eherecht und zum Grundbuchwesen. Aufsätze zum Staats- und Verwaltungsrecht waren eher seltener. Zum Sprachenrecht erschien im zweiten Jahrgang der Aufsatz Jazykový zákon a notářstvo (Das Sprachengesetz und das Notarwesen)214 von Jaroslav Čulík. Darin wies er auf die Schwierigkeiten des Sprachengesetzes im Zusammenhang mit dem Notarwesen hin: „Gegen das Sprachengesetz vom 29. Februar 1920 (Slg. Nr.  122) haben sich bereits viele Seiten geäußert. Mir geht es dabei darum zu beurteilen, was für einen Einfluss das Gesetz auf das Notarwesen hat. Ich frage mich dabei insbesondere, ob sich der § 1 des Gesetzes auch auf die Notare bezieht. Der § 1 spricht von Gerichten, Behörden, Anstalten, Unternehmen und Organen der Republik. Es fragt sich, ob der Notar unter diese Begriffe subsumiert werden kann. Es fällt ins Auge, dass er weder eine Anstalt noch ein Unternehmen ist. Er ist auch kein Organ, da er vom Staat unabhängig, darüber hinaus selbständig und unabsetzbar ist.215 Vielmehr ist er eine Privatperson. Ich habe das Gefühl, dass die Notare bei der Ausarbeitung des Sprachengesetzes vergessen worden sind. Der Notar 211  Navrátil, Art. „Emil Svoboda“, in: Almanach československých právníků, Prag 1930, S. 430. 212  Skřejpková, Art. „Emil Svoboda“. In: Antalogie české právní vědy, Prag 1993, S. 143. 213  České Právo, 1. Jahrgang, Nr.  1, 1919, „Obsah“ (Inhaltsverzeichnis). 214  České Právo, 2. Jahrgang, Nr.  1, 1920, S. 4, 27, 38. 215  České Právo, 2. Jahrgang, Nr.  1, 1920, S. 28.

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ist kein Staatsorgan und die Notarkammer keine öffentliche Korporation, somit ist das Sprachengesetz für beide unanwendbar. Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als die Sprachenfrage mit Blick auf die Notare und die Notarkammern zu ändern. Entweder mit einem eigenen Gesetz oder mit einer extensiven Auslegung des Sprachengesetzes. Es zeigt sich wieder einmal, dass die übereilte Beschließung wichtiger Gesetze weder Vorteile für die Bevölkerung noch für den Staat bringen. Daraus folgt, dass man bei der Entwicklung wichtiger Gesetze erst einmal die Praktiker anhören sollte. Hätte man das in diesem Fall angewendet, wäre es nicht zum lapsus calami gekommen.“ Nach der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 1948 wurde das gesamte Kultur- und Staatsgeschehen der von der UdSSR diktierten Ideologie untergeordnet. Im Zuge dieser Bewegung wurde auch das tschechoslowakische Notariatswesen umstrukturiert, woraufhin die České Právo im Jahr 1948 mit dem 28. Band eingestellt wurde.

C. Soudcovské Listy (1920–1943) I. Herausgeber Die Fachzeitschrift Soudcovské Listy216, erschien erstmals im Jahre 1920 als Organ des Svaz Československých Soudců (Verband tschechoslowakischer Richter). Redigiert wurde die Soudcovské Listy von den Gerichtsräten Jaromír Červenka (1875–1931) und Karel Krcha. Červenka war maßgeblich am Aufbau der tschechoslowakischen Richterorganisation in den einzelnen Landkreisen beteiligt. Diese ländlichen Organisationen gaben schließlich im Jahre 1919 den Anstoß zur Gründung der landesweiten Richterorganisation Svaz Československyých Soudců (Verband tschechoslowakischer Richter). Ab April 1919 begann Červenka mit der Herausgabe der ersten tschechoslowakischen Richterzeitschrift Československý Soudce (Tschechoslowakische Richter), die damit zum Organ der tschechoslowakischen Richterschaft wurde und ab dem 1. April 1920 in Soudcovské Listy umbenannt wurde.217 Nach dem Tode Červenkas im Jahr 1931 wurde Krcha zum alleinigen Redakteur der Zeitschrift. Krcha war ein furchtloser Verteidiger der Richterschaft und für seine scharfen Kritiken bekannt. Dabei überschritt er oft Grenzen, sodass er von den anderen Mitarbeitern der Zeitschrift gebremst werden musste.218 Besonders in den ersten zehn Jahren der Zeitschrift, als die literarischen Beiträge nur spärlich eintrafen, musste Krcha einige Bände 216  Deutsche

Übersetzung: Richterblätter. Listy, Bd. 20, Nr.  5, 1939, S. 151. 218  Soudcovské Listy, Bd. 20, Nr.  5, 1939, S. 151. 217  Soudcovské



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fast ausschließlich mit eigenen Artikeln füllen, die er mit unterschiedlichen Initialen signierte, um nach außen den Eindruck zu erwecken, dass die Zeitschrift über viele Beitragende verfügte.219 Der Zensur begegnete er stets mit einem humorvollen Lachen, obwohl sie ihm, wie er einmal berichtete, bezüglich der Themenauswahl die besten Rosinen aus dem Kuchen herausgenommen habe.220 Bei der Annahme von Beiträgen junger Autoren bewahrte er stets Haltung und forderte dabei von den anderen Redakteuren, ihre Artikel nicht gleich abzulehnen, auch wenn sie unvollkommen waren und vor einer strengen Kritik sicherlich durchgefallen wären. Oft half er nach, indem er die Form in Ordnung brachte oder dem Inhalt die richtige Richtung gab.221 Vor dem Hintergrund des Jahres 1939 entschloss er sich, freiwillig in den Ruhestand zu gehen und die Leitung der Redaktion aufzugeben. Dazu erklärte er: „Die ganzen Veränderungen der bestehenden Verhältnisse, zu denen auch der Umbau der Richterorganisation gehört, haben mich zu dem Entschluss gebracht, den Redakteurposten für die jüngere Generation frei zu machen. Ich spüre zwar weder eine physische noch geistige Belastung, trotzdem scheint es mir, dass es nicht klug wäre in einer Position zu verbleiben, für die bei den gegebenen Verhältnissen rüstige Kräfte, vermutlich auch andere Mentalitäten, gebraucht werden.“222 Nach dem Ausscheiden Krchas übernahm der stellvertretende Prokurator aus Prag (XVI), Stanislav Čáslavský, im Mai 1939 die alleinige Redaktion der Soud­ covské Listy, womit die Zeitschrift einen starken Rechtsruck vollzog. II. Anliegen der Zeitschrift Unter der Überschrift Kolegové (Kollegen)223 kündigte die Redaktion die Soudcovské Listy als treuen Berater des Richterstandes und als verbindendes Organ aller Mitglieder richterlicher Vereinigungen an: „Die Soudcovské Listy ist ein unpolitisches und unparteiisches Standesorgan, das sich mit den Belangen des Richterstandes auseinandersetzt und ein waches Verständnis für das öffentliche Leben aufbringt, ohne dabei die Augen vor den gegenwärtigen Bedürfnissen zu verschließen. Um unser Ziel erreichen zu können, wollen wir in unserer Zeitschrift neben organisatorischen Mitteilungen und standesrechtlichen Beiträgen auch kritische Gutachten hervorbringen und dazu die fachkundige Literatur mit einbeziehen. Jeder Richter muß sich darum bemühen, seinen Anteil in schriftlicher oder finanzieller Form zum 219  Soudcovské

Listy, Listy, 221  Soudcovské Listy, 222  Soudcovské Listy, 223  Soudcovské Listy, 220  Soudcovské

Bd. 20, Nr.  5, 1939, S. 151. Bd. 20, Nr.  5, 1939, S. 151. Bd. 20, Nr.  5, 1939, S. 151. Bd. 19, Nr.  12, 1938, S. 368. Bd. 1, Nr.  1, 1920, S. 1.

262 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Gelingen der Zeitschrift beizutragen. In finanzieller Hinsicht kann dies nur durch den Beitritt in die Richterorganisation erreicht werden, was auch die ehrenhafte Verpflichtung eines jeden tschechischen Richters ist und von jedem intelligenten Richter erwartet werden kann. Jede einfache Tageszeitung versteht heute, dass die eigentliche Kraft in der Organisation liegt. Selbst in der kurzen Zeit ihres Bestehens weist die Organisation bereits erste Erfolge auf, wie etwa die Erhöhung des Richtergehalts und die verfassungsmäßige Anerkennung der richterlichen Unabhängigkeit. Jedes Verbandsmitglied erhält die Zeitschrift umsonst und bildet damit das Band zwischen allen Verbandsmitgliedern. Eine erfolgreiche Organisationsarbeit ist heute ohne die Zeitschrift nicht mehr möglich. Aus wirtschaftlichen Gründen wird unser Blatt vorerst einmal im Monat erscheinen. Wir hoffen aber, dass wir die Auflage unserer Zeitschrift im nächsten Jahr steigern können. Auf unserer Hauptversammlung anlässlich des Kostenaufwandes der Zeitschrift, wurde schließlich der Monatsbeitrag von 1 Krone auf 5  Kronen erhöht. Wir hoffen, dass dies den heutigen Gehaltsverhältnissen entspricht, in denen der organisierte Arbeiter täglich 1 Krone bezahlt und unsere deutschen Kollegen sogar 1 % ihres Monatsgehalts an diverse Organisationen abführen. Ohne ausreichende finanzielle Mittel lassen sich unsere Ziele nicht erreichen, denn Erfolg kann nur durch bestimmte Opfer erkauft werden. Heutzutage reichen Enthusiasmus und selbstlose Aufopferung unserer Kollegen nicht mehr aus. Jeder von euch ist zur gemeinsamen Arbeit verpflichtet, um seine materielle Position zu verbessern, aber auch um ohne persönliche Ambitionen an der Stärkung des allgemeinen Prestiges des Richterstandes mitzuwirken. Um unsere Organisation weit möglichst zu stärken, sollen die nichtorganisierten Kollegen zum Beitritt in die Organisation bewegt werden. Dazu sollen in den Gebieten eines jeden Kreisgerichts Kreisverbände errichtet werden oder zumindest in allen größeren Gerichten Vertrauensmänner gewählt werden, die den Kontakt zur Hauptstelle herstellen sollen. Zur Propagierung der Zeitschrift soll sie an alle Nichtmitglieder, Advokaten und Notare verteilt werden und darüber hinaus auch im Präsidium der einzelnen Gerichte ausliegen, wie vormals die Juristischen Blätter und die Gerichtszeitung.“ III. Inhalt Als Organ des Svaz Československých Soudců, befasste sich die Zeitschrift überwiegend mit aktuellen Themen, die die tschechoslowakische Richterschaft betrafen. Inhaltlich gliederte sich die Soudcovské Listy in die Rubriken Články odborné (Fachliche Aufsätze), Články stavovské (Aufsätze über Standesangelegenheiten) und Referáty ze schůzí (Sitzungsreferate). In der ersten Rubrik erschienen fachliche Aufsätze zum allgemeinen Recht,



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darunter zum Sprachenrecht, Eherecht, Strafrecht und Internationalen Recht. Im zweiten Teil informierte die Redaktion den Leser über alle Angelegenheiten der Richterorganisation Svaz Československých Soudců, dabei über Richtergehälter, Wählbarkeit von Richtern und Personalia. Im dritten Abschnitt erschienen Aufsätze aus anderen juristischen Zeitschriften, die einen richterlichen Bezug aufwiesen. Die letzte Rubrik war den Vereinsnachrichten vorbehalten, worin der Leser über stattgefundene Vereinssitzungen, Wahlen, Beschlüsse und über die Aufnahme von neuen Mitgliedern informiert wurde.224 IV. Aufsätze Während der ersten Republik befasste sich die Zeitschrift überwiegend mit den dienstlichen Belangen der Richter und mit neuen Gesetzen und Entscheidungen. Die Aufsätze waren dabei eher sachlich und politisch neutral gehalten. Erst nach der Übernahme der Redaktion im Jahr 1939 durch Stanislav Čáslavský, und dem damit einhergehenden Rechtsruck der Zeitschrift, wurden die Aufsätze propagandistisch. Bereits in der Ausgabe des Jahres 1939 spürt man die Zurückhaltung und Angst der Autoren. Einige von ihnen hatten auch völlig naive Vorstellungen, wie der Aufsatz Soudcovs­ ká neodvislost v  protektorátě (Über die richterliche Unabhängigkeit im Protektorat)225 von K.  K. (keine näheren Angaben) zeigte: „Auch im autoritären Deutschland wird die richterliche Unabhängigkeit anerkannt und gefordert. Wir sind uns sicher, dass wir auch im Protektorat Böhmen und Mähren, nach ihrer Integration in das großdeutsche Reich, auch weiterhin diese Forderung geltend machen werden, und zwar mit der selben Kraft, wie in den letzten zwanzig Jahren.“ Ab 1940 wurden in der Zeitschrift nur noch „linientreue“ Aufsätze publiziert. Hervorzuheben sind insbesondere die Beiträge Významné události válečné a hospodářské za uplynulý měsíc (Wichtige Kriegs- und Wirtschaftsereignisse des vergangenen Monats), die die Redaktion der Soudcovské Listy ab 1941 in ihr Programm aufgenommen hatte und die am Anfang eines jeden Heftes standen. Zum größten Teil wurden in dieser Sparte Aussagen des Führers und anderer Politiker wiedergegeben, überwiegend aus Artikeln verschiedener Tageszeitungen und über die politische und wirtschaftliche Situation sowie über Siege, Militäroffensiven und Kriegsverluste berichtet. Zur Verdeutlichung werden im Anschluss einige Auszüge aus der Rubrik zwischen 1941 bis 1943 zusammengefasst: 224  Soudcovské Listy, Bd. 1, Nr.  1, 1920, „Obsah ročníků I.“ (Inhaltsverzeichnis des ersten Bandes). 225  Soudcovské Listy, Bd. 20, Nr.  11, 1939, S. 325.

264 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Im Jahr 1941: „Für die Tschechen ist es wichtig, dass sie verstehen, dass die konsequente Trennung von den Juden und den arischen Nationen auch für sie eine Überlebensfrage ist, weil der generelle Kampf gegen das Judentum ein Kampf ganz Europas ist.“ Und im selben Jahr226: „Die tschechische Nation hat die reichsdeutsche Denkweise verstanden. In den letzen zwei Jahren hat auch das tschechische Volk bewiesen, dass es des Vertrauens des Reiches würdig ist. In diesen zwei Jahren hatten wir viele Gelegenheiten uns davon zu überzeugen, dass es um eine neue Ordnung geht, für die das großdeutsche Reich kämpft, legitimiert durch eine tausendjährige Geschichte.“227 Im Januar 1942 gab die Redaktion den Aufruf des Staatspräsidenten Hácha wieder, worin er um Kleiderspenden für deutsche Soldaten bat: „Ich erwarte, dass jeder von euch einige entbehrliche und abgelegte Wintersachen aus Wolle oder Fell spendet: Genauso wie die Angehörigen des deutschen Staates müsst ihr, im Sinne von Aufopferung und Entsagung, auch die Sachen spenden, von denen ihr euch nur schwer trennen könnt.“ Im selben Jahr hieß es:228 „Der Führer erhielt anlässlich seines 53. Geburtstags von der tschechischen und mährischen Bevölkerung ein Geschenk, dass ein Ausdruck unseres ehrlichen Willens und unserer Bereitschaft zur aktiven Teilnahme am Kampf des deutschen Volkes ist. Das Geschenk, das im Namen der ganzen Bevölkerung des Protektorats, am 20. Mai dem SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich übergeben wurde, ist ein moderner und vollständig ausgestatteter Sanitätszug für 280 Verletzte. Heydrich nahm das Geschenk entgegen und versprach Meldung beim Führer zu machen.“229 Bereits im nächsten Heft im Juni 1942, berichtete die Redaktion über das auf Heydrich verübte Attentat, vorneweg ein schwarzumrandetes ganzseitiges Foto von ihm.230 Im darauffolgenden Jahr 1943, verkündete die Redaktion: „Zum ersten Jahrestag des Attentates auf SS-Obergruppenführer Heydrich, erließ die Regierung des Protektorats eine Regierungsproklamation an das tschechische Volk, deren Fassung am 26. Mai 1943 dem Vertreter des Reichsprotektorats, Staatssekretär SS-Gruppenführer K. H. (Karl Hermann) Frank, verkündet wurde. Die Proklamation erinnert an die schwarzen Stunden und den innigen Schmerz über das gemeine Verbrechen, dessen Anzettler Beneš war. Nur durch die Großherzigkeit unseres Führers wurde dem tschechischen Volk erneut die Möglichkeit gewährt sich zu beweisen. Und unsere Nation 226  Soudcovské

Listy, Listy, 228  Soudcovské Listy, 229  Soudcovské Listy, 230  Soudcovské Listy, 227  Soudcovské

Bd. 22, Bd. 22, Bd. 23, Bd. 23, Bd. 23,

Nr.  3, Nr.  3, Nr.  5, Nr.  1, Nr.  6,

1941, 1941, 1942, 1942, 1942,

S. 97. S. 65. S. 105. S. 1. S. 130.



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265

hat nicht enttäuscht. Man schloss sich unserem Präsidenten Hácha an und schwor dem Reich Treue zu halten. Man unterstützte die Wehrmacht bei ihrem Sieg über den Bolschevismus und das Judentum. Als treue Nation haben wir nur eine Wahl: Hinter Adolf Hitler bis in die Zukunft stehen, die uns Tschechen Ruhe und Glück bringen wird. Beim Empfang der Protektoratsregierung wurde dem Staatssekretär der Beschluss mitgeteilt, dass sich die tschechische Bevölkerung seit dem Tag des Attentats von den Aufrührern abgewendet habe. Bei der Gelegenheit informierte uns der Staatssekretär über die genauen Umstände des Attentats und welche Rolle Beneš bei dieser Schandtat hatte. Am 3. Juni 1942 wurde das Radiogramm von Beneš übermittelt, worin er sich bei den niederträchtigen Mördern für ihre Einsatzbereitschaft innigst bedankte“.231 Die Zeitschrift Soudcovské Listy wurde schließlich 1943 trotz ihrer Verneigung vor den Machthabern mit dem 24. Band eingestellt. Es ist zu vermuten, dass die kriegsbedingte Papierknappheit dazu geführt hat.

D. Die beiden Anwaltsblätter: Česká Advokacie (1922–1938) und Právní Prakse (1936–1948) Nach der Gründung der Tschechoslowakei wurde die Advokatenordnung aus dem Jahr 1868 (RGBl. Nr.  96) übernommen und blieb bis 1948 in Geltung. Der Wirkungskreis des Anwaltsverbandes erweiterte sich nach der Staatsgründung auf das ganze Gebiet der Tschechoslowakei. Zur Unterstützung und Repräsentation des Verbandes gründeten diese ihre eigenen Standesblätter, wie die Česká Advokacie und die Právní Prakse. I. Česká Advokacie Die Česká Advokacie (Tschechische Advokatur) wurde erstmals 1922 als Organ des Spolek Advokátů Československých v Praze232 (Verband tschechoslowakischer Anwälte in Prag, seit 1898) herausgegeben.233 Die Mitglieder des Vereins erhielten die Zeitschrift kostenlos. Der Schwerpunkt der überwiegend praxisorientierten Česká Advokacie lag auf dem Privat-, Arbeits- und Wirtschaftsrecht. Zur Zeitschrift gehörte eine Beilage mit gerichtlichen Entscheidungen. 231  Soudcovské

Listy, Bd. 24, Nr.  6, 1943, S. 85. Kapitel  1, C.  I.  3. 233  Über den Herausgeber der Zeitschrift, Evžen Polan, konnte kein biographisches Material gefunden werden. 232  1.  Teil,

266 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Inhaltlich gliederte sich die Zeitschrift in die Rubriken Články (Aufsätze), Hlídka rozhodnutí (Übersicht über die neuste Rechtsprechung), Ze spolku (Aus dem Anwaltsverband), Z komory (Aus der Anwaltskammer), Různé (Verschiedenes), Otázky tarifní (Fragen zum Tarifrecht) und Literatura.234 Themenschwerpunkte der ersten Ausgabe waren die Vereinheitlichung des Gerichtsverfahrens, die Reform des Bürgerlichen Rechts: Familienrecht, der Entwurf zum neuen Strafgesetzbuch: Allgemeiner Teil, sowie die Reform des Zivilprozessverfahrens.235 Die Zeitschrift hatte mit starken Anlaufschwierigkeiten zu kämpfen. Bereits im ersten Band richtete die Redaktion einen Appell an ihre Leserschaft: „Die Redaktion wendet sich an ihre Leser mit der Bitte, dass diese nicht vergessen, dass ein Standesblatt die Grundlage seiner Existenz verliert, wenn es von den Mitgliedern des Standes nicht ausreichend unterstützt wird. In dem Zusammenhang ist es wichtig, dass die Mitglieder der Anwaltschaft ausreichend Beiträge beisteuern, damit das Blatt stets aktuell ist und die Interessen der Mitglieder aufnehmen kann. Leider waren die bisherigen Aufrufe wirkungslos, so dass sich die Hauptarbeit auf einen kleinen Kreis konzentriert und sich ein regelmäßiger Kontakt zwischen Redakteuren und Leserschaft nicht entwickeln konnte. Wir sehen, wie sehr sich der Richterstand um sein Standesblatt bemüht, und es mit zahlreichen interessanten Artikeln – fachliche, wie auch organisatorische – füllt, und seine Leserschaft über die neusten Entscheidungen informiert. Und dann wundern wir uns, dass beim Advokatenstand kein solches Standesbewusstsein vorhanden ist. Wenn sich alle unsere Standesmitglieder nur einen Bruchteil ihrer Zeit um das Organ kümmern würden, dann wäre unser Blatt weitaus umfangreicher als viele andere Fachzeitschriften.“236 Bereits in der zweiten Ausgabe erhöhte die Redaktion die Auflage der Zeitschrift, um sie zu Agitationszwecken auch unter den Nichtmitgliedern zu verbreiten.237 Es kann davon ausgegangen werden, dass die Maßnahmen zur Propagierung der Zeitschrift erfolgreich waren, da sie schließlich noch15 weitere Bände fortbestand und erst aufgrund der Ereignisse nach 1938 eingestellt wurde. II. Právní Prakse (1936–1948) Im Jahre 1936 erschien unter dem Titel Právní Prakse (Rechtspraxis) der erste Band der Monatszeitschrift der tschechoslowakischen Anwälte. Die Zeitschrift wurde bis zu ihrer Einstellung im Jahr 1948 von den bei234  Česká

Advokacie, Advokacie, 236  Česká Advokacie, 237  Česká Advokacie, 235  Česká

Bd. 1, Bd. 1, Bd. 1, Bd. 1,

1922, 1922, 1922, 1922,

„Obsah“ (Inhaltsverzeichnis). „Obsah“. S. 10. S. 9.



Kap. 3: Die neugegründeten juristischen Zeitschriften nach 1918

267

den Anwälten Koblížek und Pužman redigiert. Anliegen der Zeitschrift war die Information der Leserschaft über alle aktuellen Fragen zur anwaltlichen Rechtspraxis: „Was den ersten Band unserer Zeitschrift betrifft, so haben wir ihn ganz der Rechtspraxis gewidmet, zumal sich zwischen 1936 und 1937 viel getan hat, wie z. B. die Steuerrechtsreform, Novellierung der Zivilgerichtsordnung, Auswirkungen der tschechoslowakischen Währungsreform (Valutaklausel), das Getreidemonopol und der Zusammenbruch der großen Versicherungsanstalt. Diesen aktuellen Fragen haben wir in unserer Zeitschrift die größte Aufmerksamkeit geschenkt, um unseren viel beschäftigten Leser jederzeit zusammenfassend über alle wichtigen Angelegenheiten sachlich und professionell zu informieren. Dabei haben wir erkannt, wie wichtig die Aufarbeitung der Judikatur des höchsten Gerichts für die Rechtspraxis ist. Wir hoffen, dass wir unseren Leser davon überzeugen können, dass unsere Inhaltsauswahl nicht zufällig je nach eingegangener Post getroffen wurde, sondern vielmehr das Resultat einer zielbewussten Arbeit und eines straffen Programms ist. Schwierige Aufgaben erwarten uns auch im nächsten Jahr, wenn es heißt unseren Leser schnellstmöglich und am übersichtlichsten über die anstehenden großen Kodifikationen zu informieren.“238 Ab 1945 wurde die Právní Prakse als Organ der Tschechischen Anwaltskammer herausgegeben. Der letzte Band der Právní Prakse erschien im Jahr 1948. Danach wurde die Zeitschrift mit dem Právník zusammengelegt. Diesbezüglich verkündete die Redaktion im letzten Band: „Im Rahmen der Neuorganisation unseres ganzen politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Lebens, vereinigen wir uns mit der Zeitschrift Právník. Die Zeitschrift Právník soll dabei von der gemeinschaftlichen Redaktion beider Zeitschriften redigiert werden. Inhaltlich soll die Zeitschrift mit neuen Rubriken bereichert werden, wobei die Seitenzahl von bisher 32 auf 48 Seiten erweitert werden soll.“239

E. Veřejná Správa (1931–1938) Mit der Herausgabe der Veřejná Správa (Die öffentliche Verwaltung) im Jahr 1931 bekam die Tschechoslowakei ein weiteres Fachblatt. Zum Redaktionsrat der Zeitschrift gehörten u. A. Josef Ehlich, Jiří Hoetzel, Václav ­Joachim, Vratislav Kalousek und František Weyr. Inhaltlich war die Veřejná Správa in vier Themenbereiche untergliedert: Aufsatzteil, Auswertung der Entscheidungen des Obersten Verwaltungsgerichts und des Obersten Gerichts, Literatur und Verschiedenes (an dieser Stelle wurden neue Gesetze, 238  Právní 239  Právní

Prakse, Bd. 1, 1936, S. 320. Prakse, Bd. 12, 1948, S. 300.

268 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Verordnungen und Bekanntmachungen – soweit sie das öffentliche Recht betrafen – vorgestellt, sowie alle Termine von juristischen Kongressen und Tagungen verkündet).240 Eingeleitet wurde die erste Ausgabe der Veřejná Správa mit dem Aufsatz Čo očakávam od nového odborného listu (Was erwarte ich von der neuen Fachzeitschrift)241 von Juraj Slávik (von 1929– 1932 Minister des Inneren): „Mit Begeisterung begrüße ich die Initiative zur Herausgabe einer Fachzeitschrift für die öffentliche und insbesondere politische Verwaltung. Die politischen Behörden, als Grundelement des Verwaltungsrechts, erhielten durch die Verwaltungsreform aus dem Jahr 1927 endlich eine einheitliche Organisation auf dem gesamten Staatsgebiet. Die Einführung der Landesverfassung in allen Landesteilen ermöglichte den wesentlichen organisatorischen Umbau der politischen Verwaltung und der Selbstverwaltung. Dies führte wiederum zu einem auf einer einheitlichen Grundlage basierenden inneren Aufbau des Staates. Die primäre Aufgabe unseres Blattes ist die Förderung einer einheitlichen Rechtspraxis, um somit die Beschleunigung des behördlichen Verfahrens zu ermöglichen.“ Zudem hieß es im Geleitwort der Redaktion242: „Unsere Zeitschrift will auf den bewährten Spuren der Správní Obzor (1909–1919) wandeln, die vor zwei Jahrzehnten, unter der Redaktion von Professor Dr. Hoetzel erstmals herausgegeben wurde, leider aber nach dem Umbruch eingestellt wurde. Dies lässt sich durch die damaligen Verhältnisse erklären, als der Aufbau des neuen Staates, die Zusammenarbeit aller anerkannten Kenner des Verwaltungsrechts erforderte, insbesondere weil der Redakteur der Zeitschrift zum Vorsitzenden des Gesetzgebungsausschusses im Innenministerium berufen worden war. Auch unsere Zeitschrift will in erster Linie der Rechts­ praxis dienen und dabei die Kenntnis des geltenden Rechts erweitern und vertiefen. In erster Reihe wollen wir uns mit den allgemeinen aktuellen Fragen beschäftigen. Besondere Aufmerksamkeit wollen wir dabei der Judikatur widmen, namentlich des Obersten Verwaltungsgerichts. Der große Umbruch der zwischen den Anfängen des Správní Obzor und der heutigen Zeit lag, hat zu einer Wiedererlangung unserer Eigenstaatlichkeit geführt. Dies zeigt sich insbesondere auch auf dem Gebiet des Verwaltungsrechts. Auf der einen Seite durch eine neue Gesetzgebung und zweitens durch den Zusammenschluss von Normen aus dem geltenden Recht. Der unabhängige Staat macht es möglich, dass unsere Leute verantwortungsvolle und führende Positionen in der öffentlichen Verwaltung besetzen können, insbesondere in den Zentralbehörden, zu denen wir in der Vergangenheit kaum Zutritt hatten.“ 240  Veřejná

Správa, Bd. 1, 1931, „Obsah“ (Inhaltsverzeichnis). Správa, Bd. 1, 1931, S. 1. 242  Veřejná Správa, Bd. 1, 1931, S. 3–4. 241  Veřejná



Kap. 4: Deutsche Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei

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Die Veřejná Správa wurde im Jahre 1938 eingestellt. Im Abschlussartikel Na rozloučenou (Zur Verabschiedung)243 des Herausgebers Vaclav Joachim, erklärte dieser nüchtern: „In Folge der Abtretung eines beträchtlichen Anteils unseres Staatsgebietes an unsere Nachbarländer und durch die Unabhängigkeit der Slowakei, ist ein erheblicher Teil unserer Abonnenten weggefallen. Zudem war die Herausgabe unserer Zeitschrift in der ganzen Zeit ihres Erscheinens stets mit finanziellen Opfern verbunden. Es wird jedoch darüber verhandelt, ob eine Verschmelzung mit einer ähnlichen Zeitschrift vorgenommen werden soll, um somit eine Erneuerung der Zeitschrift, wenngleich in anderer Form, zu ermöglichen.“ Diese Verschmelzung wurde aber nicht mehr realisiert.

Kapitel 4

Deutsche juristische Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei Die Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 wurde von den dort lebenden Deutschen mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Die breite Masse stand ihr skeptisch oder mehr oder weniger gleichgültig gegenüber. Die Kritik richtete sich meistens nicht gegen den neuen Staat als solchen, sondern gegen einzelne Gesetze und Verordnungen. Erst als die ersten Auswirkungen der Gesetzgebung für die deutsche Bevölkerung spürbar wurden, verschärfte sich auch der Ton in den deutschen juristischen Zeitschriften und steigerte sich bis ins Jahr 1938 und darüber hinaus. Die politischen Ereignisse des Jahres 1938 hatten teilweise gravierende Auswirkungen auf die inhaltliche und personelle Ausgestaltung der deutschen juristischen Zeitschriften. Die kritischen Töne der Autoren verstummten zunehmend und es machte sich eine Lethargie breit. Letztlich gab es für die Redakteure nur zwei Möglichkeiten: Entweder man passte sein Programm den neuen politischen Gegebenheiten an, oder man umging die aktuellen Fragen und konzentrierte sich auf praxisorientierte oder rechtstheoretische Aufsätze. Einige Zeitschriften gingen dazu über, den Großteil der Zeitschrift mit der Wiedergabe neuer Gesetze und Entscheidungen zu füllen. In der Realität konnten die meisten deutschen juristischen Zeitschriften ­ihren Betrieb nach 1938 nicht mehr aufrecht halten. Davon betroffen waren die Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik 243  Veřejná

Správa, Bd. 8, 1938, S. 396.

270 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

(1920–1938), die Prager juristische Zeitschrift (1921–1938) und das Deut­ sche Anwaltsblatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1935–1938). Die einzige Zeitschrift, die darüber hinaus bestehen blieb, war das Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919–1942), ab 1943 Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft (1943–1944), das sich mit dem Recht des Protektorats befasste.

A. Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1920–1938) Die in Brünn und Prag herausgegebene Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik erschien erstmals im Jahr 1920 und wurde von den deutschen Juristen Franz Freudenfeld, Hugo Fux, Emil Hogenauer, Robert Mayer und Hans Melzer geleitet. Die Herausgeber der Zeitschrift sahen ihr Anliegen darin, dem deutschen Juristen in der tschechoslowakischen Republik infolge der staatsrechtlichen Änderungen eine Fachzeitschrift für die Erörterung juristischer Themen und fachlicher Angelegenheiten zur Verfügung zu stellen.244 Auch in den deutschen juristischen Zeitschriften war das Sprachengesetz eines der am meisten diskutierten Themen. Dazu erschien in der ersten Ausgabe der Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Re­ publik der Aufsatz Gesetzwidrigkeit der Sprachenpraxis245 von Herrmann Warnsdorf: „Das Sprachengesetz vom 22. Februar 1920 Z. 122 lastet mit drückendster Schwere auf den Deutschen der Republik. […] In den nachfolgenden Erwägungen soll nicht politisch gegen das Gesetz angekämpft werden. Diese Aufgabe obliegt dem ganzen deutschen Volk durch seine gesamten Parlamentsvertreter und durch seine politischen Organisationen. Nur vom Standpunkt des Juristen, dessen einzige Aufgabe es ist, sich auf gesetzmäßigem Boden zu bewegen und die Lösung aller Fragen im Einklang mit den Gesetzen zu suchen, will ich die Gesetzwidrigkeit der bestehenden Praxis nachweisen. Man hat uns die Möglichkeit der Bekämpfung der Sprachenpraxis vor Richtern und Gerichtshöfen benommen und hat uns auf die bloße Aufsichtsbeschwerde beschränkt und daß in verschiedenen Konventikeln und Versammlungen, worüber sogar die Zeitungen berichtet haben. Die Mitglieder einzelner Gerichte haben sich verpflichtet, das Sprachengesetz schon anzuwenden, noch bevor die Durchführungsverordnungen erschienen sind. Damit wurde ein unzulässiges Bestimmungselement in die 244  Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 3, 1922, S. 1. 245  Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 1, 1920, S. 200.



Kap. 4: Deutsche Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei

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Judikatur eingeführt und die Unabhängigkeit des Richters im Judizieren beschränkt.“ Im Jahr 1922 erschien Weyrs Aufsatz Der Geltungsbereich der zukünftigen Gauverfassung246, worin er auf gewisse Mängel der Gauverfassung vom 29. Februar 1920 Nr.  126 Slg.247 aufmerksam machte: „Auch der gute Homer schläft bisweilen – dieser Satz gilt bildlich insbesonders vom Gesetzgeber. Kein Gesetzeswerk ist gänzlich von redaktionellen und anderen Fehlern frei und es wäre daher unbillig, wenn man vom tschechischen Gesetzgeber, der überdies ein sogenannter ‚revolutionärer‘ war und daher im Vergleiche zu dem gemächlichen Arbeitstempo normaler Gesetzgeber in Hast und Unruhe arbeiten musste, absolute Fehlerlosigkeit verlangen wollte.“ Im Jahr 1928 erschien in der Juristenzeitung für das Gebiet der Tsche­ choslowakischen Republik der Aufsatz Zur Frage der Sprachenrechte der Reichsdeutschen und Österreicher in der Tschechoslowakischen Republik248 von Felix Stein. Darin ging es erneut um die Diskrepanz zwischen dem Obersten Verwaltungsgericht und dem Obersten Gericht bezüglich des Sprachenrechts: „In der Sprachenfrage der Ausländer hatte das Justizministerium im August 1927 seine Praxis mit jener des Obersten Verwaltungsgerichtes in Einklang gebracht und die Ausländereigenschaft einer Partei für belanglos erklärt. Von da ab bedienten sich die deutschen Ausländer vor den in Frage kommenden Gerichten wieder ihrer Sprache. Ihre Eingaben wurden auch angenommen und auch deutsch erledigt. Vom Obersten Gericht allerdings nicht, doch war dies zunächst kein Grund zur Beunruhigung; denn schon im September 1927 wurde eine Beschwerdeerledigung seines Präsidiums bekannt, worin erklärt war ‚dass es dem Obersten Gerichte obgelegen hätte, die Revision in deutscher Sprache anzunehmen‘. Eine so bestimmt lautende Erklärung eines derart maßgebenden Faktors erfüllte die Parteien mit der Zuversicht, dass sie vom Gebrauch der deutschen Sprache in den den deutschen Inländern gesteckten Grenzen in Zukunft keinesfalls mehr Rechtsnachteile zu besorgen haben werden. Als aber etwa im März die ersten wieder deutsch geführten Ausländerrechtssachen zur Erledigung durch die III. Instanz kamen, fanden sich die Parteien in dieser Zuversicht getäuscht. Das Oberste Gericht forderte von in Deutschland oder Österreich domizilierenden Rechtsmittelerwerbern Erklärungen über ihre staatliche Zugehörigkeit, stellte den Ungehorsam oder den Mangel der tschechoslowakischen Staatsangehörigkeit unter die Sanktion der Zurückweisung des 246  Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 3, 1922, S. 79. 247  2.  Teil, Kapitel  1, A.  V. 248  Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 9, 1928, S. 158   /   159.

272 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Rechtsmittels als zur Verhandlung ungeeignet und ließ der Androhung der Sanktion deren Ausführung folgen, wenn sich der Rechtsmittelerwerber nicht fristgemäß äußerte oder sich als Ausländer bekannte. Trotz obangeführter Präsidialerledigung hatten die dagegen ergriffenen Beschwerden erst beim Justizministerium Erfolg. Damit ist die von der Divergenz in den Auffassungen der beiden höchsten Gerichte über die Sprachenrechte der Ausländer ausgegangene Justizkrise in ein überaus ernstes Stadium getreten. Es droht die Vermehrung der Zahl der Konflikte zwischen Gerechtigkeit und Rechtsprechung weit über das unvermeidliche Mindestmaß hinaus und Diskreditierung unserer Rechtssprechung im Ausland.“ Ab 1935 wurde die Zeitschrift unter Mitwirkung von Fritz Sander, Ernst Swoboda, Egon Weiß und Wilhelm Weizsäcker herausgegeben. Die neuen Mitwirkenden waren Universitätsprofessoren der Deutschen Universität in Prag, die sich langsam zu einem kämpferischen Zentrum des Deutschtums entwickelte. Durch ihre betont politischen und nationalsozialistischen Lehrinhalte, wurden die Beziehungen zwischen der deutschen und der tschechischen Universität immer schwächer.249 Die aktuellen Lehrprogramme der Deutschen Universität in Prag wurden allmählich den im Reich geltenden Universitätsrichtlinien angepasst. Dabei nutzten die Professoren ihre Position aus, um ihre Lehrstätte zu einem wichtigen Instrument für die Verbreitung des Deutschtums zu machen.250 Obwohl der überwiegende Teil der neuen Mitwerkenden, nämlich Sander, Swoboda und Weizsäcker, dem Nationalsozialismus nahe standen, und das obwohl Sander selbst Jude war, kann nicht behauptet werden, dass die Ju­ ristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik nach 1935 einen Rechtsruck vollzog. Die Zeitschrift bewahrte sich ihre politische Neutralität und wurde ihrem wissenschaftlichen Anspruch weiter gerecht. Natürlich gab es in der Zeitschrift auch kritische Töne, die sich z. B. gegen neue Gesetze, Gesetzesentwürfe und Entscheidungen richteten, aber dieselben wurden überwiegend auch von tschechischer Seite aus geäußert. Der Grund für die gemäßigte Haltung der Zeitschrift könnte vielleicht daran gelegen haben, dass die ursprünglichen Herausgeber nach wie vor für die Zeitschrift tätig waren und Weiß251 ebenfalls Jude war. Einer der neuen Mitwirkenden der Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik war Fritz Sander (1889–1939), ein Schüler 249  Wróblewska,

Die Reichsuniveristäten, Toruń 2003, S. 72. Die Reichsuniveristäten, Toruń 2003, S. 73. 251  Egon Anton Weiß (1880–1953). Seit 1924 außerordentlicher Professor an der Deutschen Universität in Prag, seit 1933 bis 1940 ordentlicher Professor (Bürger­ liches Recht, Griechisches und Römisches Recht), aus: Horst Göppinger, Juristen jüdischer Abstammung im „Dritten Reich“, München 1990, S. 366. 250  Wróblewska,



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und später dezidierter Gegner von Hans Kelsen. Sander studierte von 1907 bis 1911 Rechtswissenschaften in Wien, wo er 1912 zum Dr. jur. promoviert wurde und sich 1920 bei Hans Kelsen mit einer Schrift über „Die transzendentale Methode der Rechtsphilosophie und der Begriff des Rechtsverfahrens“ für Allgemeine Staatslehre, Rechtsphilosophie und deren Geschichte habilitierte.252 Im Jahr 1921 war Sander außerordentlicher Professor und zwischen 1926 bis 1931 ordentlicher Professor an der deutschen Technischen Hochschule in Prag. Zwischen 1931 bis 1939 war er Professor für Allgemeine Staatslehre, tschechoslowakisches Verfassungsrecht, Verwaltungslehre und Verwaltungsrecht an der Deutschen Universität in Prag, 1933   /   34 Dekan.253 Bekanntheit erlangte Sander insbesondere durch die Kontroverse mit Kelsen. Von der Normativen Schule seines Lehrers Kelsen, deren Anhänger er ursprünglich war, entfernte er sich später und wurde zum Begründer einer soziologischen Rechtsschule.254 Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler eskalierte, als Sander gegen Kelsen Plagiatsvorwürfe erhob, die aber schließlich von der Disziplinarkammer der Wiener Universität als „vollkommen unbegründet“ zurückgewiesen wurden.255 1925 wurde der Streit beigelegt, als Sander eine öffentliche Erklärung abgab, worin er den Vorwurf des Plagiates zurückzog.256 An der Deutschen Universität in Prag wurde Sander zum völkischen Nationalisten, was angesichts seiner jüdischen Herkunft nur schwer nachvollziehbar war.257 Trotz der Vorgeschichte hatte Kelsen stets Nachsicht für die höchst widersprüchliche Natur Sanders, dessen Verhältnis zu seinem früheren Lehrer ein typisches Beispiel von Hassliebe war.258 Auf der einen Seite suchte Sander stets die Nähe zu Kelsen und überhäufte ihn mit Bewunderung, auf der anderen Seite war es Sander, der die Berufung Kelsens nach Prag zu verhindern versuchte – und das obwohl er seine eigene Ernennung nach Prag Kelsen zu verdanken hatte.259 Die im Jahr 1936 erschienene „Stellungnahme des Senates der Deutschen Universität in Prag zu dem Gesetzentwurf, durch welches das Gesetz vom 13. Februar 1919, Nr.  79 Slg. d. G. und V. über das Dienstverhältnis der Hochschullehrer geändert und ergänzt wird“, ist ein Beispiel dafür, dass es in den deutschen und tschechischen juristischen Zeitschriften durchaus vie252  Horst

Dreier, Art. „Fritz Sander“. In: NDB, Bd. 22, München 2005, S. 420. Art. „Fritz Sander“. In: NDB, Bd. 22, München 2005, S. 420. 254  Helmut Slapnicka, Art. „Fritz Sander“. In: ÖBL, Bd. 9, Wien 1988, S. 411. 255  Métall, Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien 1969, S. 40. 256  AÖR, Bd. 49, 1926, S. 156 (Fn. 4). 257  Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, München 2002, S. 297. 258  Métall, Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien 1969, S. 40. 259  Métall, Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien 1969, S. 40, 68. 253  Dreier,

274 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

le Themen gab, die von beiden Seiten gleichermaßen beurteilt wurden. Im vorliegenden Fall ging es um den Entwurf eines Hochschulermächtigungsgesetzes zur Frage der Autonomie der Hochschulen. Deutsche wie auch tschechische Juristen sahen in dem Entwurf eine Beschneidung der Rechte der Hochschulen, die der Politik Eingang in das Gebiet der Hochschule eröffnete und der Willkür freien Raum ließ. Zur gleichen Frage erschien auch ein Jahr später in der tschechischen juristischen Zeitschrift Všehrd ein Aufsatz260, in dem die gleichen Kritikpunkte aufgegriffen wurden, wie auch in der Stellungnahme des Senats der Deutschen Universität in Prag, in der es hieß: „Die Autonomie unserer Hochschulen bildet eines der Ruhmes­ blätter der Gesetzgebung unserer Republik, denn erst durch das Gesetz vom 13.  Februar 1919, Nr.  79 Slg. d. G. u. V., hat sie ihre Vollendung gefunden. Sie ist in dieser Gestalt ein Denkmal aus der ersten Regierungszeit des ersten Präsidenten, das von der geistigen Größe Masaryks zeugt und unseren Hochschulen, die zu den vornehmsten Kulturträgern des Staates gehören, die in friedlichem Zusammenwirken zum Aufstieg der Gesamtheit unserer Nation wesentlich beigetragen haben, jenes Mindestmaß an Wirkungsfreiheit gewährt, das nach der Auffassung Masaryks die unentbehrliche Voraussetzung für die Erfüllung ihrer hohen wissenschaftlichen Ziele und ihrer kulturellen Aufgaben bildet. Der neue Entwurf aber gibt gleichmütig diese stolzen Errungenschaften preis, die einen kostbaren Besitz der Gesamtheit unserer Bevölkerung wegen der durch sie im Sinne der Verfassungsurkunde gewährleisteten Freiheit, Lehre und Forschung darstellen. Das gilt von allen Abschnitten dieses Entwurfes. Auch die wichtigen in den aufrechtbleibenden Bestimmungen des Gesetzes enthaltenen programmatischen Sätze werden durch diese Änderung ihre praktische Bedeutung verlieren und von dem stolzen Bau unserer geltenden Hochschulordnung wird nur ein Trümmerhaufen übrig bleiben. Kaum jemals waren aufrechte Charaktere so notwendig wie in unserer Zeit der allgemeinen Erschütterungen und der Erschließung immer neuer Wissensbereiche. Umso notwendiger ist es, die Freiheit der vornehmsten Lehrstätten nicht zu zerstören, sondern dieses kostbare Vermächtnis einer ruhmvollen Vergangenheit entsprechend den ausdrücklichen Geboten der Verfassungsurkunde mit aller Sorgfalt aufrecht zu erhalten.“261 In dem Aufsatz von Johann Jarolim Zwei Beiträge zur Neuordnung des öffentlichen Rechts der Tschechoslowakischen Republik262 aus dem Jahr 1938 nahm dieser eine Bewertung der Vorschläge Sanders für eine Revi­ 260  Všehrd,

Bd. 18, 1937, S. 27. für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 17, 1936, S. 177, 181. 262  Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, Bd. 19, 1938, S. 170–172. 261  Juristenzeitung



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sion  der Verfassungsurkunde der Tschechoslowakischen Republik vor, die Sander für den sechsten Deutschen Juristentag ausgearbeitet hatte. Das bereits im Jahr 1933 gedruckte Gutachten wurde aber erst im Jahr 1938 der Öffentlichkeit übergeben. Das hing wohl damit zusammen, dass die Regierung zum damaligen Zeitpunkt an einem Nationalitätenstatut arbeitete, um die deutsch-tschechischen Belange in ein ideales Gleichgewicht zu bringen. Dazu sollten die Rechte der nationalen Minderheiten in der Tschechoslowakei festgestellt und demgemäß ein Umbau der staatlichen Einrichtungen herbeigeführt werden. Über Sanders Vorschläge zur Reform der tschechoslowakischen Verfassung äußerte Jarolim: „Da es hauptsächlich um die Befriedigung der nationalen und kulturellen Interessen der völkischen Minderheiten geht, behandelt Prof. Sander in längerer Auseinandersetzung zunächst das Wesen der Gemeinschaft, die er als eine solche Gemeinschaft erklärt, deren Gründe den Gemeinschaftern durch das gemeinsame HineinGeboren-Sein in eine gleiche menschliche Umwelt, zugehörig worden sind. Sander ist der Auffassung, daß sich der Gedanke der Demokratie mit dem des Liberalismus nicht vereinigen läßt. Nach Sander besteht das Wesen der Demokratie darin, dass nur die dem ganzen Staate unbedingt gemeinsamen Angelegenheiten von einem Zentralparlamente entschieden werden. Eine derartige Demokratie, in der jede Nation in gewissen Angelegenheiten zur Herrschaft in gewissen Gebieten eines Staates berufen wird und keine Nation sich in Lebensfragen der Entscheidung einer anderen Nation unterwerfen muß, ist es allein, die mit den Interessen nationaler Minderheiten vereinbarlich ist. Kampf um die Rechte der nationalen Minderheiten bedeutet also vor allem Kampf gegen die egalitäre Demokratie. Sander beschränkt sich aber nicht bloß auf eine Kritik unserer Verfassungseinrichtungen und ihre bisherige Anwendung im politischen Leben. Denn er will nicht bloß niederreißen, sondern vielmehr aufbauen und macht darum sehr interessante positive Vorschläge für einen Neuaufbau des tschechoslowakischen Staates unter anderem mit dem Ziele der Herbeiführung eines echten und dauernden nationalen Friedens. Mögen auch nicht alle Vorschläge allgemeinen Beifall finden, vielmehr einigermaßen romantisch klingen; seine Ausführungen über die Trennung der Regierung von der Exekutive, über die neue Gliederung der Tschechoslowakei nach den Grundsätzen der Aufteilung aller nationalen Funktionen auf den gesamten Staat (Reich) und auf die Teile des Staates (Länder), also Ablehnung einer bloßen kulturellen Autonomie, über die Organisation des Gesamtstaates, über die Selbstständigkeit nationaler Länder und deren Recht der selbständigen Gesetzgebung für gewisse Angelegenheiten, über Rechte der nationalen Minderheiten in den einzelnen selbständigen Ländern, über die Verwaltung und Verwaltungsrechtsprechung und Kontrolle der gesetzgebenden Körperschaften, über den Vollzug der von ihnen beschlossenen Gesetze, über die Kontrolle der Gültigkeit der

276 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Gesetze, über das Staatsgericht und die sprachenrechtlichen Grundsätze, endlich über die Verfassungsgesetze, wonach mit Rücksicht auf den großen Umfang des Materials von einer Verfassungsurkunde abzusehen und jede verfassungsrechtliche Materie in einem besonderen Verfassungsgesetze niederzulegen ist. Alle diese Ausführungen sind von besonderer anziehender Kraft auf den aufmerksamen Leser, mögen sie auch manchen mit Rücksicht auf die derzeitigen konkreten Verhältnisse in der Tschechoslowakei und der sie umschließenden Nachbarstaaten als utopisch erscheinen.“ Das bemerkenswerte an dem Aufsatz ist, dass sich die Redaktion der Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik, zu der Sander gehörte, erst dann mit den Vorschlägen über die Reform der tschechoslowakischen Verfassung beschäftigte, als es für derlei Überlegungen längst zu spät war. Auch Sander muss zu dem damaligen Zeitpunkt (Juli 1938) gewusst haben263, dass die Realisierung des Nationalitätenstatuts aufgrund des bevorstehenden Einmarsches der Wehrmacht nicht mehr möglich sein würde. Die „luftleere Rezension“ konnte somit gar keine Wirkung mehr entfalten, da der Zug bereits abgefahren war. Im September 1938 verlangte das Prager Schulministerium von den deutschen Hochschullehrern in Prag und Brünn eine Unterschrift unter eine Erklärung gegen die großdeutschen Forderungen des Führers der Sudetendeutschen Partei Konrad Heinlein. Die meisten Köpfe der Zeitschrift, darunter Wilhelm Weizsäcker und Ernst Swoboda, unterschrieben die Erklärung nicht und flüchteten aus Angst vor Repressalien nach Wien, woraufhin die Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik im Jahr 1938 eingestellt wurde. Der Rechtshistoriker Wilhelm Weizsäcker floh im September 1938 nach Wien, kehrte aber bereits im Februar 1939 nach Prag zurück und wirkte in höchsten Funktionärsstellen im Sinne der nationalsozialistischen Ost- und Südosteuropaforschung.264 Der überzeugte Nationalsozialist Ernst Swoboda (Professor für Bürgerliches Recht)265, der vor seiner Verhaftung geflohen war, unterrichtete ab 1939 an der Wiener Universität. Fritz Sander floh zunächst im Jahr 1938 nach Schweden, kehrte aber bereits 263  Hierzu Rudolf Métall in: Hans Kelsen. Leben und Werk, Wien 1969, S. 73: „Sander ließ sich nämlich zu dem Bekenntnis seiner Verbindung mit den nationalsozialistischen Organisationen in der Tschechoslowakei herbei und erklärte Kelsen auch, daß die Annexion des Sudetenlandes durch das nationalsozialistische Deutschland eine schon 1936 beschlossene Sache sei, die in nicht allzu ferner Zeit erfolgen würde.“ 264  Monika Glettler, Prager Professoren 1938–1948 zwischen Wissenschaft und Politik, Essen 2001, S. 20. 265  Ernst Swoboda (1879–1950) wurde dem politischen Stab Konrad Henleins zugeteilt. Swoboda war Sturmbannführer SA und Mitglied des Sudetendeutschen Freikorps Bayern. Näher bei: Gernot Heiß, Willfährige Wissenschaft: die Universität Wien 1938 bis 1945, Wien 1989, S. 213, 313.



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im Oktober 1938 nach Prag zurück, wo er am 3. Oktober 1939 verstarb (möglicherweise Selbstmord).266 Bei seiner Einäscherung hielt Wilhelm Weizsäcker (damals Dekan der Juristischen Fakultät der Deutschen Universität) die Gedenkrede, und würdigte Sander als treuen Kampf- und Weggenossen, der schon früh, als „noch viele von liberal-demokratischen Traumbildern umgaukelt waren“267, in dem Lager gestanden habe, in dem man heute stehe. Sander und er selbst, so Weizsäcker, hätten nach der nationalsozialistischen Machtergreifung im Reich den „Kern des Widerstandes“ unter den Prager Rechtswissenschaftlern gebildet und gemeinsam den „Kampf um die Deutscherhaltung der Fakultät“ geführt.268 Überdies habe Sander sich stets um den „Rechtskampf der Sudetendeutschen“ außerordentlich verdient gemacht. Am 2. August 1939, war der Prozess, die Prager Universität in eine nationalsozialistische Hochschule zu verwandeln, abgeschlossen. Von nun an wurde sie offiziell vom Berliner Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung verwaltet. Zu Beginn an war sie durch einen politisch-ideologischen Charakter geprägt. Ab diesem Zeitpunkt gab es keinen Platz mehr für geistige und weltanschauliche Differenzierung oder für irgendeinen Pluralismus.269 Die Tschechische Universität wurde im Novem­ ber 1939 geschlossen. Bereits zuvor, nämlich am 4. September 1939, wurde das Carolinum gezwungen, dem Rektor der deutschen Universität – jetzt deutsche Karls-Universität genannt – die historischen Universitätsinsignien zu überreichen.270

266  Seine Flucht nach Schweden beurteilte der damalige Münchner Dekan der Juristischen Fakultät, Mariano San Nicolo (Professor für Römisches und  deutsches Bürgerliches Recht), schon am 5. Oktober 1938 folgendermaßen: „Sander, für den  ich hier interveniert hatte, und dessen Sache sehr gut stand, hat den Blödsinn ­begangen, zunächst nach Schweden abzudampfen und kommt morgen angeb­ lich  hierher; auch reichlich spät. Vielleicht kann ihm die SdP helfen.“ San Nicolo an Weizsäcker, 5. Oktober 1938. AAVČR, Nachlass Weizsäcker, Korrespondenz, Kart.  7. 267  AAVČR, Nachlass Weizsäcker, Karton 7, Nr.  128. 268  Glettler, Prager Professoren 1938–1948 zwischen Wissenschaft und Politik, Essen 2001, S. 405. 269  Wróblewska, Die Reichsuniveristäten, Toruń 2003, S. 179. 270  Wróblewska, Die Reichsuniveristäten, Toruń 2003, S. 75.

278 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

B. Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919–1942), ab 1943 Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft (1943–1944) Das Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung wurde erstmals im Jahr 1919 von Ludwig Janowitz, Otto und Friedrich Gellner herausge­ geben. Ab 1939 wurde der Titel auf Das Recht des Protektorats erweitert und die Leitung übernahm Franz Hufty. Im Jahr 1942 entschied sich der Herausgeber der Zeitschrift, das Prager Archiv auf eine breitere Grundlage zu stellen. Danach sollte das Rechts- Verwaltungs- und Wirtschaftsleben in Böhmen und Mähren in systematischer Darstellung behandelt und erläutert werden. Daraufhin wurde der Titel der Zeitschrift im Jahr 1943 auf Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft abgeändert. Hufty holte sich hierbei die Unterstützung des damaligen Rektors der Deutschen Karlsuniversität Friedrich Klausing (1887–1944)271, dessen Sohn Hauptmann Friedrich-Karl Klausing (1920–1944) in das Hitlerattentat vom 20. Juli 1944 verwickelt war und am 8. August 1944 hingerichtet wurde. Als Professor Friedrich Klausing von den Vorfällen erfuhr, erschoss er sich wohl wissend, dass man die „ganze Sippe der Attentäter vernichten würde“.272 Kurz darauf wurde das Prager ­Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft eingestellt. Das Prager Archiv bestand zwischen 1919 und 1942 fast ausschließlich aus einer Sammlung neuer Gesetze und Entscheidungen des Obersten Gerichts und des Obersten Verwaltungsgerichts sowie aus Bemerkungen zu Entscheidungen. Beiträge zu aktuellen Zeitfragen wurden nicht publiziert. Dies änderte sich erst nach der Umgestaltung der Zeitschrift im Jahr 1943. Im Geleitwort273 des 26. Bandes im Jahr 1944 erklärte Karl Hermann Frank (Deutscher Staatsminister für Böhmen und Mähren): „Seit der Umgestaltung des Prager Archivs in eine Monatsschrift für Recht, Verwaltung und Wirtschaft ist nunmehr ein halbes Jahr verstrichen. Wie die erschienenen Hefte beweisen, hat die Zeitschrift in glücklicher Verbindung von bewährter Tradition und Ausrichtung auf die aktuellen Zeitfragen eine Form gefunden, die in ihr einen wertvollen Beitrag zur Bewältigung der in Böhmen und Mähren erwachsenden Aufgaben erblicken lässt. Vom Standpunkt der einheitlichen Führung dieses Raumes begrüße ich es besonders, dass das Prager Archiv durch eine breitere Zielsetzung bemüht ist, die verschiedenen Berei271  Näheres bei: Bernhard Diestelkamp, Drei Professoren der Rechtswissenschaft in bewegter Zeit: Heinrich Mitteis (1889–1952), Franz Beyerle (1885–1977), Friedrich Klausing (1887–1944), Stuttgart 2000. 272  Glettler, Prager Professoren 1938–1948 zwischen Wissenschaft und Politik, Essen 2001, S. 233. 273  Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 26, 1944, S. 1.



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che des öffentlichen Lebens dem gegenseitigen Verständnis zu erschließen. Ich freue mich feststellen zu können, dass dieser Weg mit Erfolg bestritten worden ist und daß weiterhin auch führende Männer des tschechischen Volksteils sich als Mitarbeiter zur Verfügung gestellt haben. Der mit dem vorliegenden Heft beginnende sechsundzwanzigste Jahrgang des Prager Archivs fällt in eine Zeit, da der Krieg der Kontinente sich seinem Höhepunkt nähert. Das Protektorat Böhmen und Mähren wird hierbei entsprechend seiner Stellung als ein Kerngebiet und wichtiges Glied des Großdeutschen Reiches alles daransetzen, um den Sieg des Reichs und damit dem Aufbau eines neuen Europa näherzukommen. Im Rahmen dieses Kriegseinsatzes soll – so hoffe und erwarte ich – auch das Prager Archiv seine Pflicht erfüllen.“ Gleich nach der Umstellung im Jahr 1943 konnte ein prominenter Autor „gewonnen werden“, nämlich der damalige Staatspräsident Emil Hácha274, der seinen Aufsatz Gedanken eines ehemaligen Verwaltungsrichters275 veröffentlichen ließ. Der Aufsatz erschien vor dem Hintergrund der damals geführten Diskussion um den Fortbestand der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Es war vorauszusehen, dass diese – auf dem Höhepunkt des staatsrecht­ lichen Liberalismus im 19.  Jahrhundert entstandene – Gerichtsbarkeit unweigerlich mit dem NS-Staat in Konflikt geraten würde.276 Hinter der Debatte um die Zukunft der Verwaltungsgerichtsbarkeit standen die Konflikte zwischen dem „Normenstaat“ und dem „Maßnahmestaat“, Staat und Partei, Parteikanzlei und Reichsinnenministerium, Verwaltung und Verwaltungsjustiz.277 Dabei zielten die konsequenten Vertreter eines revolutionären Aktivismus auf Abschaffung aller die „Tat“ hemmenden Normen und Einrichtun274  Hácha (1872–1945) promovierte im Jahr 1895 an der Prager Juristischen Fakultät und schloss sein Studium mit besonderer Auszeichnung ab. Im Jahr 1916 wurde er zum Mitglied des Verwaltungsgerichtshofs in Wien ernannt. Nach der Gründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 war Hácha an der Errichtung des Obersten Verwaltungsgerichts in Prag maßgeblich beteiligt, wo er im Jahr 1919 zum Zweiten, im Jahr 1925 zum Ersten, Präsidenten ernannt wurde. Daneben publizierte er in zahlreichen juristischen Zeitschriften, wie etwa im Právník und in der Samospravný Obzor. Zu seinen bekanntesten wissenschaftlichen Werken zählt das Lexikon des tschechoslowakischen Verwaltungsrechts, an dem auch Hoetzel und Weyr beteiligt waren. Als unparteiischer Kandidat, der ohne machtpolitische Ambitionen war, wurde er am 30. November 1938 zum Präsidenten der Tschechoslowakei gewählt. Näheres bei Tomáš Pasák, JUDr. Emil Hácha: (1938–1945), Prag 1997. 275  Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 165. 276  Michael Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus. In: Justizalltag im Dritten Reich, hg. von Bernhard Diestelkamp und Michael Stolleis, Frankfurt am Main 1988, S. 26. 277  Michael Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus. In: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Festschrift für Christian-Friedrich Menger, hg. von Erichsen, Hoppe, v. Mutius, Köln 1985, S. 58.

280 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

gen.278 Andere wiederum bemühten sich nachzuweisen, dass Verwaltungsgerichtsbarkeit und NS-Staat keineswegs einen Widerspruch darstellten.279 Auch Hácha, der nach den Ereignissen des 15. März 1939280, als „Marionette der Okkupanten“ galt, versuchte diese „Illusion eines fortexistierenden Rechtsstaates“281 – wenigstens nach außen hin – zu bewahren, wie sein Aufsatz im Prager Archiv verdeutlicht: „Es war nicht von vornherein völlig klar, welchen Standpunkt die nationalsozialistische Staatsführung in der Frage der Verwaltungsgerichtsbarkeit einnehmen werde. Einen einheitlichen Standpunkt gab es nicht einmal in der juristischen Theorie, welche sich in einer Reihe beachtenswerter Arbeiten mit dieser Frage beschäftigte. […] Nur für den, der keine Gelegenheit hatte, die ganze Entwicklung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verfolgen, konnte es vielleicht eine Überraschung bedeuten, daß diese Institution im Reiche nicht nur nicht beseitigt, sondern im Gegenteil vom Gesichtspunkte der Rechtsvereinheitlichung aus vervollkommnet wurde. […] Die Institution der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist zwar von dem Gedanken des sog. Rechtsstaates abgeleitet, bedeutet aber nicht seine konsequenteste oder vielleicht radikalste Durchführung. […] Der Hauptgrundsatz der Verwaltungsgerichtsbarkeit, nämlich der Grundsatz der Überprüfung der administrativen Tätigkeit durch besondere Gerichte, bei der Änderung der Anschauungen über das Verhältnis des Einzelnen zum Staate, musste nicht notwendig fallen und ist, wie wir sehen, auch nicht gefallen.“282 Daneben thematisierte Hácha in seinem Aufsatz die Errichtung des Reichsverwaltungsgerichts, das am 3. April 1941 durch Führererlass geschaffen283 und als „das wichtigste Ereignis, das der Krieg auf dem Gebiet der deutschen Verwaltungsrechtspflege gebracht hat“284 gefeiert worden 278  Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus. In: Justizalltag im Dritten Reich, Frankfurt 1988, S. 27. 279  Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus. In: Justizall­ tag im Dritten Reich, Frankfurt 1988, S. 27. 280  Hácha wurde am 14. März 1939 zu Verhandlungen mit Hitler nach Berlin bestellt und von diesem und Göring derart unter Druck gesetzt, dass er schließlich nach einem Schwächeanfall der Besetzung seines Landes durch deutsche Truppen zustimmte. 1945 wurde er in Lány in Untersuchungshaft genommen, wo er einige Wochen später im Gefängniskrankenhaus starb. Näheres bei Tomáš Pasák, JUDr. Emil Hácha: (1938–1945), Prag 1997. 281  Stolleis, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus. In: Justizall­ tag im Dritten Reich, Frankfurt 1988, S. 37. 282  Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 165, 166. 283  RGBl. 1941, I, 201. 284  H. Reuss, Zuständigkeit und Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit, DR, 1942, S. 1345.



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war. In seinen Ausführungen zum Reichsverwaltungsgericht versuchte Hácha insbesondere auf die positiven Seiten des neuen Organs hinzuweisen. Hierbei verwies er auf den § 7 des Führererlasses, der bestimmte: „Die Mitglieder des Reichsverweisungsgerichts sind bei der Sachentscheidung keinen Weisungen unterworfen. Sie haben ihre Stimme nach ihrer freien, aus dem gesamten Sachstand geschöpften Überzeugung und nach der von nationalsozialistischer Weltanschauung getragenen Rechtsauslegung abzugeben“. Hierbei sei der Hinweis auf die Weltanschauung ein Ausdruck der neuen Auffassung des öffentlichen Dienstes überhaupt, nach welcher die Hingabe an den leitenden Staatsgedanken die Voraussetzung der erfolgreichen Ausübung öffentlicher Funktionen bilde.285 Wie aus den Erkenntnissen des Reichsverwaltungsgerichts hervorgehe, fasse das Gericht die Sache nicht so auf, dass hier etwa das Prinzip der völlig freien Rechtsfindung eingeführt worden wäre, sondern das Gericht betrachte als den Ausgangspunkt seiner Tätigkeit auch weiterhin die formulierte gesetzliche Vorschrift.286 Hácha stellte bei der Durchsicht der Entscheidungen fest, dass das Reichsverwaltungsgericht den Ausdruck „subjektives Recht“, welcher bei den Haupttypen der mitteleuropäischen Verwaltungsgerichtsbarkeit ein zentraler Begriff sei, fast gar nicht gebrauche.287 Bei der Auseinandersetzung um Fortbestand oder Ende des subjektiv-öffentlichen Rechts gab es „nationalsozialistische Angreifer, vehemente Verteidiger sowie in der Mitte die große Anzahl derer, die das subjektiv-öffentliche Recht zwar nicht ganz eliminieren, es aber gleichzeitig durch immanente Gemeinschaftsbindungen seines liberalen Charakters entkleiden wollten“288. Hácha äußerte diesbezüglich in seinem Aufsatz: „Die Zurückhaltung gegenüber dem Begriff des öffentlichen subjektiven Rechtes findet ihre Erklärung in dem Standpunkt der neuen Theorie bezüglich des Wesens der Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sie ist nicht mehr ausdrücklich auf dem Begriff öffentlicher subjektiver Rechte aufgebaut, sondern auf anderen Vorstellungen, z. B. auf dem Gedanken der Aufrechthaltung der objektiven Rechtsordnung.“289 Aus seinen abschließenden Bemerkungen wird noch einmal deutlich, dass auch Hácha die Fassade eines intakten Rechtsstaats aufrecht halten will (muss): „Schon aus diesen wenigen Streifzügen auf dem Gebiet der Tätigkeit des Reichsverwaltungsgerichtes geht hervor, daß die vereinheitlichte Reichsverwaltungsgerichtsbarkeit auf einer festen Grundlage beruht und daß wir auf eine gedeih285  Prager 286  Prager

167.

287  Prager

Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 166. Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 166– Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 167. Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 3, München

288  Stolleis,

2002, S. 363. 289  Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 167.

282 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

liche Entwicklung derselben hoffen können. Für einen ehemaligen langjährigen Verwaltungsrichter ist dies eine überaus erfreuliche Feststellung“.290 Die Grundsatzfragen zur Verwaltungsgerichtsbarkeit blieben in Háchas Aufsatz weitgehend ausgeklammert, da er als angepasster und integerer Staatsmann den Anschein eines intakten liberalen Rechtsstaates vorgeben musste. In der Realität verlor die Verwaltungsgerichtsbarkeit zunehmend ihr geistiges Profil, indem sie ihre eigentliche Aufgabe, den Individualrechtsschutz, verleugnete.291 Ein weiterer Prominenter der sich nun mit dem NS-Regime arrangierte war der damalige Justizminister Jaroslav Krejčí (von 1939–1945), dessen Aufsatz Rechtsangleichung in Böhmen und Mähren292 im Jahr 1943 im Prager Archiv erschien: „Rechtsvorschriften sind ein Spiegel der Zeit ihrer Entstehung, die Rechtsbildung ist zwangsläufig mit den politichen Verhältnissen des Staates verbunden. Die Auflösung der Tschecho-Slowakischen Republik und die Eingliederung der böhmisch-mährischen Länder in das Großdeutsche Reich konnten nicht ohne Einfluß auf die Rechtsordnung in den unter den Schutz des Reichs getretenen Gebieten stehen. Andererseits ist die in einem Raume geltende Rechtsordnung, deren Bestandteil manchmal auch Vorschriften von ehrwürdigem Alter bilden, immer durch die historische Entwickung bedingt und steht mit den sozialen und kulturellen sowie mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des betreffenden Raumes in einem so engen Zusammenhang, daß es schon aus praktischen Gründen unmöglich erscheint, selbst bei einer tiefgreifenden politischen Umwälzung die geltende Rechtsordnung auf einen Schlag durch eine neue zu ersetzen. Auch bei der Errichtung des Protektorats Böhmen und Mähren waren offensichtlich diese Gründe sowie die Rücksichtnahme auf die dem Protektorat verbürgte Autonomie für die grundsätzliche Rezeption der bisher geltenden Rechtsordnung ausschlaggebend. Wenn wir nun im fünften Jahre des Protektorats die Erebnisse der Tätigkeit auf dem Gebiete der Rechtsangleichung überblicken, müssen wir vor allem in Betracht ziehen, daß seit der Errichtung des Protektorats nicht einmal ein halbes Jahr verflossen war, als das Reich gezwungen wurde, zur Waffe zu greifen. Die vorläufige Einstellung aller nicht kriegswichtigen Aufgaben wirkt sich natürlich auch auf die Rechtsan­gleichung hemmend aus. Doch muß schon das, was in dieser Richtung bereits geleistet worden ist, als ein bedeutungsvoller Beitrag zum Hineinwachsen des Protektorats in den Großdeutschen Raum gewertet werden, denn, wenn es auch nicht immer eine endgültige Lösung der zu bewältigen290  Prager

Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 167. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus. In: System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes, Köln 1985, S. 63. 292  Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 81. 291  Stolleis,



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den Probleme und Aufgaben bringt, bildet es wenigstens eine verläßliche Grundlage für die weitere Entwicklung, die nach der Beendigung des Krieges zu erwarten ist.“ Im selben Band erschien anlässlich des 5. Jahrestages des Münchner Abkommens der Aufsatz von E. Albrecht (ehemaliger Gesandter) Die völ­ kerrechtliche Bedeutung des Münchner Abkommens vom 29. September 1938293: „Am 1. Oktober jährte sich zum fünften Mal der Tag, an dem die Tschechoslowakische Regierung mit der Räumung des Sudetenlandes begann, die zu seiner endgültigen Vereinigung mit dem Deutschen Reich führte. Den Lesern wird noch in Erinnerung sein, wie die internationalen Verhandlungen, die in der zweiten Hälfte des Monats September 1938 über die Lösung der sudetendeutschen Frage geführt wurden, sich dramatisch zuspitzten und, als die Aussicht auf eine friedliche Lösung angesichts der tschechischen Widerstände bereits zu schwinden schien, zu der Entspannung der Lage durch das Münchner Abkommen vom 29. September 1938 führten. Es ist nicht Aufgabe der folgenden Zeilen, den Gang der Verhandlungen im Einzelnen darzustellen und alle dabei in irgendwelchem Zusammenhang aufgetretenen Gesichtspunkte zu würdigen. Es handelt sich vielmehr darum, den rechtlichen Sinn des internationalen Vorgangs in seiner Gesamtheit zu finden und festzustellen. Dies kann durch folgende Formel geschehen: Das Recht der Sudetendeutschen, selbst über die Regierung, der sie unterstehen wollen, und über ihre Staatszugehörigkeit zu bestimmen, wurde anerkannt, und auf Grund des einmütigen Willens seiner Bewohner die Vereinigung des Sudetenlandes mit dem Deutschen Reich vollzogen.“ Daneben erschien im Jahr 1943 der Aufsatz Die geschichtlichen Grund­ lagen des böhmisch-mährischen Rechtsraumes294 des bereits erwähnten Rechtshistorikers Wilhelm Weizsäcker: „Der 16. März 1939 hat in der an langsamen Übergängen wie plötzlich eintretenden Wandlungen überreichen Geschichte und Rechtsgeschichte unseres Raumes einen neuen Zeitraum begonnen, der bei aller grundlegenden Wandlung der Dinge an die Vergangenheit auf engste anknüpft. Vielleicht steht die grundlegende Wandlung mit der Wiederanknüpfung an die Vergangenheit sogar in ursächlicher Verbindung; denn der unmittelbare vorangehende Zustand der ‚Tschechoslowakischen Republik‘ hat weder als Demokratie noch als Republik noch in ihrer Eigenschaft als nominell unabhängiger Staat noch in ihrer Einbeziehung der Slowakei an die Vergangenheit des tschechischen Volkes richtig anschließen können“. 293  Prager 294  Prager

Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 121. Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 25, 1943, S. 1.

284 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Im letzten Band erschien der Aufsatz Zum Moskauer ‚Abkommen‘ vom 12. Dezember 1943295 des Staatsrechtlers und Spezialisten für Minderheitenrechte Hermann Raschhofer (Professor an der Deutschen Karls-Universität Prag), worin es um den tschechoslowakisch-sowjetischen Freundschaftsvertrag ging, der die enge Zusammenarbeit beider Staaten nach der Kriegszeit bestimmte und zwischen Beneš und Stalin geschlossen wurde: „Das Abkommen ist der für eine Emigration typische Versuch, sich in Verhältnisse einzuschalten, die außerhalb ihrer Einflussmöglichkeiten liegen und hierzu Mittel anzuwenden, über die sie nicht verfügen. Das letztlich Unverbindliche ist ein Strukturelement solcher ‚Verträge‘. Von Moskau aus charakterisiert es sich als diplomatischer Schachzug zur Präparierung des mitteleuropäischen Terrains als bolschewistisches Sprungbrett. Dazu wird die angebliche ‚Freundschaft‘ mit der ‚Tschechoslowakei‘ herausgestellt. Die tschechoslowakische Republik verfügte über genügende Erfahrungen mit ihren angeblichen Freunden. Dabei existierte sie damals wirklich. Ist die Vermutung so unwahrscheinlich, daß der Osten das Beispiel des Westens nicht auf seine Weise sollte wiederholen können?“ Daneben erschienen im letzten Band die staatsrechtlichen Aufsätze Sinn und Bewährung der staats­ rechtlichen Gestalt des Protektorats Böhmen und Mähren296 von Hans Heinrich Lammers (Reichsminister und Chef der Reichskanzlei) und der Aufsatz Staatensukzession und Rechtsordnung des Protektorats297 von Jaroslav Krejčí (Vorsitzender der Regierung und Justizminister in Prag). Das Prager Archiv war zwischen 1919 und 1942 ein reines Informationsblatt, das über neue Gesetze und Entscheidungen berichtete, und daher für den politisch interessierten Leser eher uninteressant war. Erst nach der Umstrukturierung im Jahr 1943 beschäftigte sich die Zeitschrift auch mit den rechtspolitischen Fragen und wurde somit lebendiger. Durch die neuen Herausgeber war die Zeitschrift nun vollständig nationalsozialistisch geworden, auch wenn sie z. B. im Vergleich zum Deutschen Anwaltsblatt für das Ge­ biet der Tschechoslowakischen Republik298 nicht ganz so radikal war.

C. Prager Juristische Zeitschrift (1921–1938) Im Jahr 1921 erschien der erste Band der Prager Juristischen Zeitschrift, die im Auftrag der deutschen Juristenfakultät und des deutschen Juristenvereins in Prag herausgegeben wurde. Herausgeber der Zeitschrift waren Robert Mayr-Harting, Ludwig Spiegel, Karl Fuchs und Franz Wien-Claudi. 295  Prager

Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 26, 1944, S. 53, 58. Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 26, 1944, S. 105. 297  Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft, Bd. 26, 1944, S. 412. 298  2.  Teil, Kapitel  4, D. 296  Prager



Kap. 4: Deutsche Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei

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Einmal im Monat erschien sie mit der Wissenschaftlichen Vierteljahres­ schrift. Die Prager juristische Zeitschrift zählte zu den politisch gemäßigten deutschen juristischen Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei. Dies lag unter anderem daran, dass ihr Herausgeber Mayr-Harting eine regierungsfreundliche Politik betrieb und Kontakte zu tschechischen Politikern pflegte, wofür er auch häufig von seinen deutschen Kollegen angegriffen wurde. Bereits im Jahr 1918 plädierte er für eine deutsche Mitwirkung im neu entstandenen tschechoslowakischen Staat, während viele andere deutschböhmische Politiker noch für einen Anschluss der sudetendeutschen Gebiete an die Republik Österreich eintraten.299 Obwohl er durch die SteinherzAffäre300 ins Zwielicht geriet, war er doch ein Gegner der aufkommenden Henlein-Bewegung und lehnte als Mitglied der „Deutschen Christlichen Volkspartei“ eine Zusammenarbeit mit dieser konsequent ab, was aber nichts daran änderte, dass er ein Antisemit war. Als Direktor der Deutschen Universität in Prag (1921   /   1922) war er an zahlreichen internen Machenschaften beteiligt, die sich gegen die Ernennung von jüdischen Professoren an der Deutschen Juristischen Universität in Prag richteten.301 Während des Pro299  Robert Luft, Art. „Mayr-Harting“. In: Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 16, Berlin 1990, S. 570. 300  Im Jahr 1922 sollte Samuel Steinherz zum Rektor der Deutschen Universität in Prag gewählt werden. Bisher war es an der DU üblich, dass immer dem dienstältesten Professor, die akademische Würde des Rektors der Universität gebührte, so dass die Wahl im Grunde nur noch formell war. Als nun Professor Steinherz an die Reihe kam, entbrannte ein Streit, da es bis dahin an der DU Usus war, falls zum Rektor ein Jude gewählt werden sollte, dieser die Wal nicht annehmen durfte und dafür von der Regierung einen hohen Orden erhielt. Auch wenn für derartige antisemitische Praktiken in der Tschechoslowakei kein Platz war, hielten doch einige nationalkonservative Mitglieder der Professorenschaft an der Tradition fest. Dem Wahlgremium gehörte der damalige Rektor Mayr-Harting an, der seine warnende Stimmte gegen die Wahl erhob und auf die Folgen, die das Rektorat Steinherz mit sich bringen würde verwies. Er unterbreitete zudem den Vorschlag, dass Steinherz nach einstimmig erfolgter Wahl abdanken sollte. Die Protestbewegung gegen Steinherz kann als Auftakt zur Radikalisierung des Hochschullebens gesehen werden. Die Affäre brachte eine neue Qualität in die Politisierung des Hochschullebens und stärkte den deutschnationalen, antisemitischen Teil der Studentenschaft; Glettler, Prager Professoren 1938–1948, Essen 2001, S. 73–74. 301  Archiv der Präsidentschaftskanzlei (KPR), sign.: T 12   /   25. Vermerk vom 20. Juli 1921: Darin bat Mayr-Hartin eindringlich darum, dass man bei der Ernennung eines Professors für deutsches Recht an die DU (zur Debatte standen: Kisch, Goldmann, Baron Kinzberg und Hugelmann) einen Christen wählen solle, da an der DU derzeit nur 6 christliche Professoren tätig seien. Dies sei nicht nur sein alleiniger Wunsch, sondern auch der seiner christlichen Kollegen und Studenten; Archiv der Präsidentschaftskanzlei (KPR), T 1981   /   21, Vermerk vom 12. Februar 1923: Darin erklärte Mayr-Harting bezüglich der Ernennung des außerordentlichen Professors Egon Weiß (ab 1935 Herausgeber der Juristenzeitung für das Gebiet der tschecho-

286 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

tektorats lebte er zurückgezogen in Prag. Nach dem 2. Weltkrieg konnte er aufgrund der Intervention des Staatspräsidenten Beneš als einer der wenigen Deutschen bis zu seinem Lebensende in Prag – mit tschechoslowakischer Staatsbürgerschaft und staatlicher Pension – verbleiben.302 Der erste in der Prager Juristischen Zeitschrift erschienene Aufsatz Die Sprache der Gesetze303 von Ludwig Spiegel, befasste sich kritisch mit dem Kundmachungsgesetz vom 13. März 1919 (Nr. 139 Slg.): „In diesem Gesetz (§ 3) heißt es: ‚Neben dem tschechischen Wortlaut, welcher der authentische ist, erscheint die Sammlung der Gesetze und Verordnungen auch in amtlicher slowakischer und deutscher Übersetzung.‘ Seither gibt es also drei Ausgaben der Sammlung, eine tschechische, eine slowakische und eine deutsche. Die tschechische Ausgabe enthält den authentischen Text, die beiden anderen Ausgaben enthalten bloß amtliche Übersetzungen. Die tschechische Sprache nimmt also hier die gleiche Stellung ein, wie bei den österreichischen Reichsgesetzen die deutsche. Geradeso wie die Wiener Gesetze vom Parlament in deutscher Sprache beschlossen wurden, werden jetzt die Prager Gesetze in tschechischer Sprache beschlossen. Eine Änderung des Rechtszustandes wurde nun aber teils herbeigeführt teils angebahnt durch die Bestimmungen des Sprachengesetzes und der parlamentarischen Geschäftsordnung über die ‚tschechoslowakische Sprache‘. Damit wurde dem Sprachenrecht eine doppelte Gleichung zugrunde gelegt. Die eine lautet: ‚Tschechisch + slowakisch = tschechoslowakisch‘; die andere ‚tschechisch  =  slowakisch‘. Die zweite führt zu bedeutsamen Folgerungen. Wird eine deutsche Eingabe tschechisch erledigt, so ist die Erledigungssprache von der Gesuchssprache verschieden, widerfährt dieses Schicksal einer slowakischen Eingabe, so sprechen beide Schriftstücke dieselbe Sprache. Bei folgerichtiger Durchführung dieses Grundsatzes könnte jeder Beamte nach Belieben die eine oder andere Sprache verwenden, das Sprachengesetz verordnet aber den Gebrauch des Tschechischen im ehemals österreichischen und preußischen Gebiet, des Slowakischen in der Slowakei (§4). Dagegen stehen die parlamentarischen Geschäftsordnungen (Ges. v. 15 April 1920, Z. 325 und 326 Slg.) vollständig auf dem Boden der Gleichheit beider Sprachen. Slowakische Anträge und Entwürfe sind genau so ‚tschechoslowakisch‘ abgefasst wie tschechische. Es besteht darum heute kein rechtliches Hindernis für die Nationalversammlung, Gesetze in slowakischer Sprache zu beschließen. Ja es ist sogar geschäftordnungsmäßig slowakischen Republik) an die DU, dass dieser ein getaufter Jude sei, was nicht unbedingt von gutem Charakter zeuge. 302  Robert Luft, Art. „Mayr-Harting“. In: Neue Deutsche Biographie, hg. von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 16, Berlin 1990, S. 570–571. 303  Prager Juristische Zeitschrift (in Folge zit.: PJZ), Jahrgang I, Nr.  1, 1921, S. 1.



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zulässig, slowakische Abänderungsanträge zu tschechischen Gesetzen anzunehmen und umgekehrt. Auf solche Weise kann es geschehen, dass in einem und demselben Gesetz einzelne Paragraphen oder Worte der tschechischen, andere wiederum der slowakischen Sprache entnommen werden. Daß ein tschechoslowakisches Gesetz in diesem Sinne (teilweise tschechisch und teilweise slowakisch) ein Übelstand ist, bedarf keiner Ausführung. An Buntscheckigkeit lässt also der gegenwärtige Zustand der Gesetzgebung nichts zu wünschen übrig.“ Im selben Band erschien der Aufsatz Sollen wir slawisches Recht studieren?304 von Friedrich Schöndorf (Leiter der juristischen Beratungsstelle des Osteuropa-Instituts, Breslau): „Es scheint, daß bei uns, wenigstens auf rechtlichem Gebiete, nach wie vor nur Interesse für den Westen oder für räumlich und zeitlich ganz entfernte Völker besteht. Das Recht unserer slawischen Nachbarn bleibt außerhalb unseres Gesichtskreises. Emsig studiert man das römische Recht und die Papyri, das babylonische Recht und das der Neger, es erscheinen zahlreiche Arbeiten über französisches und englisches Recht, sowie das Recht des Islams. Nur das Recht der Russen und Polen – von Bulgaren und Südslaven schon ganz abgesehen – wird stiefmütterlich behandelt und bleibt eine terra incognita. Es mag dahingestellt bleiben, was die Ursache dieser wirtschaftlich, politisch und wissenschaftlich beklagenswerten Tatsache ist – es spielen hier wohl Tradition, Unterschätzung der slawischen Kultur und ihres Rechtselementes, sowie der Unkenntnis der in Betracht kommenden Sprachen die Hauptrolle. Einen unentbehrlichen Bestandteil bildet das slawische Recht für die rechtshistorische Forschung. Es wurde in der Literatur bereits darauf hingewiesen, dass ohne Eindringen in das slawische Recht weder eine genügende Charakteristik des arischen Rechts – im Gegensatz zum semitischen, mongolischen usw. – noch ein vollständiges Verständnis mancher westeuropäischer Rechts­ tatsachen möglich ist.“ Ab dem Jahr 1935 übernahm der Strafrechtler und Universitätsprofessor Edgar M. Foltin die Redaktion der Prager Juristischen Zeitschrift. In seinem Aufsatz Was will die Prager Juristische Zeitschrift305 gab er eine kurze Zusammenfassung über die Aufgaben und Ziele der Zeitschrift: „In erstere Linie soll die PJZ. durch engste Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis an der Durchdringung, Handhabung und Weiterbildung des tschechoslowakischen Rechtes mitwirken. In diesem Sinne dient sie der Wissenschaft und der Praxis als Sprachrohr. Als deutsches Fachorgan ist die PJZ. berufen, insbesondere deutschen Juristen Gelegenheit zu bieten, auch zu Fragen der Rechtsgestaltung und zu Standesfragen das Wort zu ergreifen 304  PJZ, 305  PJZ,

Jahrgang I, Nr.  4–5, 1921, S. 141, 143. Jahrgang XV, Nr.  1, 1935, S. 1–3.

288 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

und damit an der rechtlichen Gestaltung der Republik vom deutschen Standpunkt aus mitzuwirken. Eine bescheidenere, aber nicht minder wichtige Aufgabe der PJZ. ist es, die Praxis mit dem rasch flutenden juristischen Leben in steter Verbindung zu halten. Wieviele unserer Juristen sitzen draußen in der Provinz von Bibliotheken, Nachschlagewerken und Zeitschriftensammlungen wie abgeschnitten. Dem überarbeiteten und dem isolierten Praktiker, der gleichwohl nicht stehen bleiben will, geht die PJZ. in gleicher Weise an die Hand. Die PJZ. verfolgt weiter das Ziel, dem deutschen Juristen die Arbeit seiner tschechischen und slowakischen Kollegen zu erschließen, indem sie über diese Literatur wenigstens auszugsweise laufend berichtet. Endlich will die PJZ. Brücken zwischen dem Inland und Ausland schlagen. Unsere Juristen will sie über die wichtigsten Vorgänge vor allem in den Nachbarstaaten orientieren, wobei sie bestrebt ist, vor allem das zu bringen, was auch für unsere Praxis von besonderer Bedeutung ist. Sie ist bestrebt, insbesondere die Verbindung mit der deutschen Wissenschaft und Praxis des Auslandes aufrecht zu erhalten. Je mehr wirtschaftliche Schwierigkeiten den Praktiker zwingen, den Bezug auslandsdeutscher Zeitschriften und Fachwerke einzuschränken, desto mehr ist gerade die PJZ. dazu berufen, die Jurisprudenz vor der großen Gefahr geistiger Isolierung und damit Versteinerung zu bewahren. Breiten Raum gibt die PJZ. unserer Rechtsprechung, da eine offizielle deutsche Sammlung der Entscheidungen der Obersten Gerichte nicht existiert.“ Inhaltlich gliederte sich die Zeitschrift ab 1935 in die Rubriken Artikel, Rechtsreform, Rechtssprechungsübersichten, Neuste Rechtssprechung, Aus­ landsschau, Mitteilungen, Tagungen, Zeitschriftenschau, Literatur und Per­ sonalnachrichten.306 Im Jahr 1936 erschien der Aufsatz Verfassungsrechtliche Betrachtungen anlässlich des Präsidentenwechsels307 des Privatdozenten Franz Adler. Der Aufsatz stand im Zusammenhang mit dem am 14. Dezember 1935 erfolgten Verzicht Masaryks auf sein Präsidentenamt, in dessen Folge Beneš von den zur Nationalversammlung vereinigten beiden Kammern des Parlaments zum neuen Präsidenten der Republik gewählt wurde. Die Schwierigkeit des Präsidentenwechsels bestand darin, dass der Verfassungsurkunde der Tschechoslowakei, wie manchen anderen Verfassungen auch, eine zusammenfassende Bestimmung über die Erledigung des Präsidentenamtes fehlte und die verschiedenen Erledigungsgründe daher aus den sonstigen Vorschriften der Verfassung (über die Dauer des Präsidentenamtes usw.) entnommen werden mussten. Nach einer ausführlichen Analyse verfassungsrechtlicher Gesichtspunkte resümierte der Autor schließlich: „Viel wichtiger als diese verfas306  PJZ, 307  PJZ,

Jahrgang XV, Nr.  1, 1936, S. 3–4. Jahrgang XVI, Nr.  7, 1936, S. 194.



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sungsrechtlich gewiß nicht uninteressanten Momente ist aber, daß auch hinsichtlich der Vorschriften der Verfassungsurkunde über die Rechte und Befugnisse des Präsidenten der Republik und die Ausübung dieser höchsten Staatsfunktion jene Traditionen erhalten werden, mit welchen sie Masaryk erfüllt hat, damit dem Amte das Ansehen und die Bedeutung gewahrt bleiben, welche ihm der erste Präsident der Tschechoslowakischen Republik dank seiner Autorität in beinahe zwei Dezennien seiner Präsidentschaft verliehen hat.“ Wie in der Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Re­ publik wurde auch in der Prager Juristischen Zeitschrift der Entwurf eines Hochschulermächtigungsgesetzes stark kritisiert, der nach Ansicht der Redaktion nichts weiter als eine Beschneidung der Universitätsautonomie bedeute: „Wenn die Pflege der Wissenschaft nicht verdorren soll, wenn unsere Hochschulen den Hochstand, den sie in ihrer ruhmvollen Vergangenheit sich erworben haben, erfolgreich verteidigen sollen, dann muß ihnen auch die Möglichkeit gegeben werden, nach rein wissenschaftlichen Grundsätzen für die Erneuerung des Lehrkörpers Sorge zu tragen. Durch eine dauernde Ermächtigung des Ministeriums zu Änderungen im Verordnungswege muß das Verhältnis zwischen Ministerium und Hochschulen eine grundlegende Änderung erfahren, denn dadurch wird dem Ministerium ein Einfluss auf die Entschließungen der Hochschulen in allen Einzelfragen in einem bisher unbekannten Maße eröffnet. Die Sorge vor immer neuen grundsätzlichen Änderungen und die daraus sich ergebende Notwendigkeit einer ständigen Abwehrstellung muß ein Element der Unruhe in das Räderwerk unseres Hochschulbetriebes tragen, das die Voraussetzungen ja für eine ruhige und ersprießliche Lehr- und Forschungstätigkeit allmählich untergraben und zur größten Schädigung der Gesamtheit führen müßte.“308 Im Jahr 1937 veröffentlichte die Prager Juristische Zeitschrift die öffentlich-rechtlichen Themen des achten Deutschen Juristentages vom Mai 1937. Eines der wichtigsten Themen auf dem Juristentag waren die Ermächtigungsgesetze des Jahres 1933. Mit den katastrophalen Auswirkungen der Wirtschaftskrise und dem Umbruch im Deutschen Reich im Jahre 1933, schien es notwendig, die schwerfällige Gesetzesmaschine der Verfassungsurkunde durch eine leichtere Möglichkeit der Erlassung von Rechtssätzen zu ersetzen und dies sah man in einer umfassenden Ermächtigung der Regierung zur Ausübung einer außerordentlichen Verordnungsgewalt, Gesetz (Slg. Nr.  95) vom 9. Juni 1933.309 Rudolf Schranil kommentierte die Zulässigkeit solcher Ermächtigungen in der Prager Juristische Zeitschrift mit den Worten: „Wenn die Ermächtigungsgesetze auch keine Ungeheuerlich308  PJZ, 309  PJZ,

Jahrgang XVI, Nr.  8, 1936, S. 225, 228, 234. Jahrgang XVII, Nr.  10, 1937, S. 296.

290 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

keiten darstellen, wie vielfach behauptet, so stellen sie doch eine Einrichtung dar, welche mit der Verfassungsurkunde nicht im Einklang steht und auch in keinem anderen Verfassungsgesetz eine Stütze hat. Wenn sie auch manch Brauchbares gestiftet haben, so sollen sie nicht verteidigt werden. Sie sind ein Quell für eine unkontrollierte und unkontrollierbare Machtentfaltung. Es wohnt allen weiteren Ermächtigungen etwas Unheimliches an, das Unheimliche einer Machtquelle hinter verschlossenen Türen, welche mit der demokratischen Staatsauffassung nicht im Einklang steht.“310 Im Jahr 1938 stellte die Prager Juristische Zeitschrift ihr Erscheinen ein. Ihre Aufgabe wurde von den Zeitschriften des „Altreichs“, insbesondere von der Parteizeitschrift Deutsches Recht (Berlin) übernommen.311 • Beilage: Wissenschaftliche Vierteljahresschrift Einmal im Monat erschien die Prager Juristischen Zeitschrift mit der Wissenschaftlichen Vierteljahresschrift, in der zahlreiche rechtstheoretische Abhandlungen namhafter Rechtstheoretiker erschienen sind. Im ersten Band dieser Jahresschrift erschien der Aufsatz Kelsens Rechtslehre312 von Ludwig Spiegel, in dem er sich auf grundsätzliche Weise mit dem Fundament der Lehre Kelsens, der Trennung von Sein und Sollen, auseinandersetzte: „Seit langem empfinde ich schon das Bedürfnis, mich über die Rechtsphilosophie Hans Kelsens in einer Abhandlung zu äußern. Kelsens faszinierende Persönlichkeit hat ihm zahlreiche literarische und namentliche Lehrerfolge verschafft, um die ihn jeder Fachgenosse beneiden kann. In Wien gibt es eine Kelsenschule und in der Tschechoslowakei wirbt ihr Brünner Professor Weyr neue Anhänger. Unter solchen Umständen ist es gewiß am Platze, die Kelsenschen Anschauungen kritisch zu prüfen, und da es sich dabei um theoretische Grundlegung der Rechtswissenschaft handelt, so ist vielleicht ein neues wissenschaftliches Organ die richtige Stätte für ein solches Unternehmen. Ein Grundpfeiler der Kelsenschen Rechtlehre ist die Unterscheidung von Sein und Sollen. Neben den strengen Anforderungen der Normund insbesondere der Rechtslogik hat die Lehre Kelsens noch einen zweiten Grundpfeiler, nämlich ein auf die Spitze getriebenes Einheitsbedürfnis. Die vorstehende Übersicht ist natürlich nicht erschöpfend und vielleicht wird Kelsen seine Anschauungen auch nicht richtig wiedergegeben finden. Denn es ist nicht leicht, aus einem so weitausgreifenden System gerade das Bezeichnende herauszuheben, noch auch, eine Theorie, die man selbst nicht 310  PJZ,

Jahrgang XVII, Nr.  10, 1937, S. 298. Jahrgang XVIII, Nr.  18–22, 1938, S. 606. 312  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang I, Heft I   /   II, 1921, S. 1. 311  PJZ,



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für richtig hält, klaglos darzustellen. Kelsen hat selbstverständlich von vornherein Widerspruch vorausgesehen und auch solchen erfahren und er lässt es demgegenüber nicht an apologetischen Ausführungen fehlen. Nennt man seine Theorie formalistisch, so bekennt er sich zu der Anschauung, daß allgemeine, für alle Rechtsordnungen gültige Begriffe nur nach rein formaler, vom Inhalt abstrahierender Methode konstruiert werden könnten. Wirft man ihm vor, daß er die Wirklichkeit nicht berücksichtigt, so verweist er darauf, daß er sich nur mit Normen beschäftigt, also mit der Welt des Sollens, die mit der des Seins logisch unvereinbar ist. Hält man aber gar keine Auseinandersetzungen für ‚zu logisch‘, so nimmt er diesen Einwand geradezu als Lob auf. Ja er kehrt den Spieß um, indem er denjenigen, die ihm auf dem Gebiete der strengen Logik nicht folgen wollen oder könnten, den Vorwurf der Denkfeigheit macht. Sitzt der Hieb? Ich glaube, Kelsen missversteht, was man ihm vorhält. Selbstverständlich wird niemand verlangen, er solle etwas von der logischen Strenge nachlassen, selbstverständlich darf niemand schließen: Heute wird es regnen, also wird es nicht naß sein. Insoweit die Logik überhaupt in Betracht kommt, ist sie unerbittlich. Aber wenn man eine Theorie als ‚zu logisch‘ hinstellt, so will man sagen, daß sie fälschlich meint, mit den Mitteln der Logik allein brauchbare Ergebnisse zu erzielen. Was fördert die Rechtstheorie zutage? Entweder eine Normtheorie, die nur den Unter- oder Überbau der Rechtswissenschaft darstellen kann – das Wort von der Kritik der reinen juristischen Vernunft ist nicht so übel, nur ist eben juristische Erkenntnistheorie noch nicht oder nicht mehr Jurisprudenz – oder das andere Extrem: öde, pedantische Auslegung von Paragraphen ohne Rücksicht darauf, ob sie, so wie sie lauten, ins Leben gedrungen seien oder dringen könnten. Damit kommen wir zu der Haupt- und Kernfrage, ob die Rechtsnorm der Welt des Sollens oder der des Seins angehören. Man sollte meinen, dass der Gegensatz von Sein und Sollen, auf welchem Kelsen seine ganze Lehre aufbaut, als ein absoluter gedacht ist, so daß irgend eine Erscheinung nur entweder der einen oder der anderen Welt angehören kann. Merkwürdigerweise erklärt aber Kelsen den Gegensatz für einen relativen und er führt auch gleich einen bezeichnenden Beleg dafür an: Der Wirklichkeit gegenüber sei die Rechtsnorm ein Sollen, der Gesetzespolitik gegenüber, welche lehrt, welches Recht gelten soll, könne man vom ‚Sein des Rechts‘ sprechen. So gelangen wir eigentlich zu drei Welten, der des Seins, der des Sollens und – wie ich sie nennen würde – der des Sollenseins. […] Sieht man näher zu, so kann sich auch Kelsen (naturam si expellas furca!) der Rücksichtnahme auf die Rechtswirklichkeit nicht ganz entschlagen. Aber während wir anderen, um Kelsens Wort zu gebrauchen, den Mut haben, auf die Wirklichkeit zu schauen, wagt er es nur, nach ihr zu schielen und zu blinzeln. […] Indessen ist Kelsen nicht nur ein grundgescheiter Mann, sondern auch ein noch im alten Stil ausgebildeter Jurist

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und das bewahrt ihn sicherlich vor den ärgsten Verirrungen und Ausschreitungen. Aber schon wächst eine Kelsenschule heran, die, wie es ja häufig vorkommt, den Meister noch zu übertrumpfen sucht. Schon gibt es Panjuristen, denen selbst Kelsens juristisches Denken noch nicht ‚rein‘ genug ist, und im Hinblick darauf scheint mir eine rechtzeitige Warnung dringend notwendig zu sein. Mögen sich die Normlogiker vor Augen halten, daß sie unfruchtbaren Boden bebauen, daß ein Sieg ihrer Richtung die Rechtswissenschaft nicht fördern, sondern zum Erstarrungstode führen würde, mögen sie sich überzeugen lassen, daß, wenn irgend jemand, so der Normlogiker, jenem Wesen gleicht ‚auf dürrer Heide von einem bösen Geist im Kreis herumführt und rings umher liegt schöne, grüne Weide‘!“ Diese Sicht entsprach übrigens weitgehend der deutschen Rechtsphilosophie und Staatsrechtslehre, die gerade umgekehrt wie Kelsen darauf setzten, die Wirklichkeit nicht auszuschließen sondern stärker einzubeziehen. Im selben Band veröffentlichte ein anonymer Autor, der sich selbst als „ein Jurist der alten Generation“ bezeichnete, seinen Aufsatz Zur Frage der interkonfessionellen Gesetzgebung im tschechoslowakischen Staate313: „Wir verwerfen aus vollster Überzeugung den von den Urhebern der interkonfessionellen Gesetze Österreichs und Ungarns noch als unbestreitbares politisches Dogma behandelten Grundsatz, daß die staatliche Kirchenhoheit auch einen Rechtstitel für eine (angeblich pflichtmäßiger Sorge um die Erhaltung des sonst ‚gefährdeten‘ Friedens unter den Konfessionen entspringende) staatliche Kontrolle des Konfessionswechsels und der religiösen Kindererziehung begründe. Es ist selbstverständlich, daß wir die unserem grundsätzlichen Standpunkte widerstrebenden Bestimmungen des die interkonfessionellen Verhältnisse regelnden österreichischen Gesetzes vom 25. Mai 1868 durch eine Reformgesetzgebung ersetzt sehen möchten, welche der Kirche wie der Familie die ihr gebührende Freiheit gewährt. […] Eine solche Reform ist, wie das Beispiel einer Reihe europäischer Staaten beweist, möglich ohne daß deshalb die Trennung von Kirche vom Staate durchgeführt werden müßte. […] Die Novelle vom 15. April 1920 (Slg. Nr.  277) hat einen Rechtszustand geschaffen, der gerade die Gewissensfreiheit der regelmäßig des meisten Schutzes Bedürftigen der Vergewaltigung preisgibt und der – um unsere Meinung durch euphemistische Fremdwörter wiederzugeben – monströse Singularität der Gesetzgebung dieses Staates bezeichnet werden darf. […] Ein Gesetz, welches den Eltern – oder gar gesetzlichen Vertretern – gestatten würde, das Religionsbekenntnis des unmündigen Kindes jederzeit nach freier, souveräner Willkür zu ändern oder dessen Konfessionslosigkeit zu bestimmen, existiert sonst unseres Wissens in keinem anderen 313  Wissenschaftliche

S. 22.

Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang I, Heft I   /   II, 1921,



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Kulturstaate der Welt. Abgesehen von jenen Fanatikern des Unglaubens, die intoleranter sind als jede positive Religion, und deren Denkweise Josef Unger am besten charakterisiert hat, als er ihnen das ‚Unglaubensbekenntnis: Es gibt keinen Gott, und ich bin sein Prophet“ in den Mund legte, dürfte niemand, der sich die Konsequenzen eines solchen Gesetzes vor Augen hält, sich mit demselben befreunden können.314 […] Wir vermissen in der Novelle jene Rücksicht auf die religiösen Gefühle und die Gewissensfreiheit Unselbständiger und Schutzbedürftiger, welche die ‚vormärzliche‘ Gesetzgebung selbst dann nicht außer acht gelassen hat, wenn es sich um die Wahrung von Vorrechten der herrschenden Staatsreligionen handelte. […] Die Novelle zum interkonfessionellen Gesetz ist also wohl zu den unglücklichsten Entgleisungen der Legislative zu zählen, welche die mit einer vordem unerhörten Eilfertigkeit betriebene gesetzgeberische Tätigkeit der ersten Nationalversammlung zu verschulden hat315.“ Im Jahr 1922 erschien der in einem versöhnlichen Ton gehaltene Aufsatz Die Verfassung der deutschösterreichischen Republik316 von Adolf Merkl: „Die Deutschen des vormaligen, nun schon mehr als drei Jahre der Geschichte angehörenden Österreich waren zwar der letzte Volksstamm, der das sinkende Schiff des kaiserlichen Österreich verlassen hat, aber sie sind zugleich der Volksstamm, welchen die Fahrt auf dem zunächst ungewohnten und für viele auch unbegehrten Schiffe der Eigenstaatlichkeit vielleicht am weitesten von ihrem Ausgangspunkte weggeführt hat. Die alte Tradition wurde in dem zunächst Deutschösterreich benannten Nationalstaat wie in fast keinem sonstigen Teile des alten Österreich verlassen, das vormalige Recht gerade hier am stärksten gewandelt und vollends die neue Verfassung unserer Republik, mutet in ihren meisten Teilen als völlige Umkehrung der alten Verfassung an. […] Die übrigen auf dem Boden der österreichischungarischen Monarchie entstandenen Nationalstaaten haben wohl alle vor  ihren seinerzeitigen Staatsgenossen vielerlei voraus und haben das mehr  oder weniger berechtigte Bewusstsein, aus einem Kerker in die paradiesische Freiheit entflohen zu sein; aber in bezug auf die Verfassungseinrichtungen kann sich mit der deutschösterreichischen doch wohl nur die tschechoslowakische Republik vergleichen. Es würde jeder der neu gewordenen oder gewachsenen Nationalstaaten nur gewinnen, wenn er von Deutschösterreich, von dem ja auch manches andere übernommen wurde, verschiedene beispielgebende Staatseinrichtungen übernehmen wollte, und 314  Wissenschaftliche

Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang I, Heft I   /   II, 1921,

315  Wissenschaftliche

Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang I, Heft I   /   II, 1921,

316  Wissenschaftliche

Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang II, Heft I, 1922,

S. 36. S. 40. S. 1.

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Deutschösterreich würde vom Geiste seiner Verfassung seinen ehemaligen Staatsgenossen gerne geben, am liebsten aber gewiß der tschechoslowakischen Schwesterrepublik, der es durch so vielerlei geographische Berührungen, wirtschaftliche Beziehungen, kulturelle Zusammenhänge und Bande des Blutes und der Sprache trotz staatlicher Grenzen unzertrennlich verbunden ist.“ Darüber hinaus wurden in der Wissenschaftlichen Vierteljahresschrift zur Prager Juristichen Zeitschrift die Aufsätze Die theoretische Philosophie als Wissenschaftslehre317 von Felix Kaufmann (1922) und im Jahr 1923 der Aufsatz Gesetz und Verordnung. Die erste Entscheidung des tschechoslowa­ kischen Verfassungsgerichtes318 von Franz Adler veröffentlicht. Im darauffolgenden Jahr (1924) erschienen die Aufsätze Merkels Rechtslehre319 von Fritz Sander, Grundfragen des Rechts320 von Rudolf Laun, Die völkerrecht­ lichen Grundrechte321 von Heinrich Rauchberg, Böhmische und ungarische Rechtsgeschichte322 von Otto Peterka und Zu den geistesgeschichtlichen Grundlagen der historischen Rechtsschule323 von Egon Weiß; ein Jahr später (1925) die wissenschaftlichen Abhandlungen Schutz des Wissen­ schaftlichen Eigentums324 von Robert Mayr und Tschechoslowakische Ge­ setzgebung und Rechtsgeschichte325 von Wilhelm Weizsäcker. Mit der Übernahme der Prager Juristischen Zeitschrift durch die Zeitschriften des Deutschen Reichs, insbesondere vom Deutschen Recht (Berlin) im Jahr 1938, wurde die Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur Prager Juristischen Zeitschrift eingestellt.326 317  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang II, Heft III–IV, S. 124. 318  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang III, Heft III–IV, S. 114. 319  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang IV, Heft I, S. 16. 320  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang IV, Heft II–III, S. 39. 321  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang IV, Heft II–III, S. 69. 322  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang IV, Heft II–III, S. 75. 323  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang IV, Heft II–III, S. 91. 324  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang V, Heft I, S. 18. 325  Wissenschaftliche Vierteljahresschrift zur PJZ, Jahrgang V, Heft IV, S. 140. 326  PJZ, Jahrgang XVIII, Nr.  18–22, 1938, S. 606.

1922, 1923, 1924, 1924, 1924, 1924, 1924, 1925, 1925,



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D. Deutsches Anwaltsblatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1935–1938) Das Deutsche Anwaltsblatt war die „Monatschrift des Deutschen Anwaltsverbandes mit dem Sitze in Bodenbach“ und das „Unabhängige Blatt der Deutschen Advokaten in der Tschechoslowakischen Republik“. Geleitet wurde die Zeitschrift von den Advokaten Eugen Th. Leicht, Rudolf Klein und Rudolf Herzog. Im überschwänglichen Geleite327 der Zeitschrift heißt es: „Als Obmann unseres Verbandes der deutschen Provinzadvokatur in Böhmen gebe ich diesem neu geschaffenen Organ des Verbandes meine Empfehlung an alle Kollegen mit. Sie mögen dieses Blatt mit gutem Willen und warmen Herzen empfangen als einen Boten des Verbandes zu den einzelnen Kollegenschaften und zu jedem einzelnen Kollegen, dessen Sendung dahin geht, Botschaft zu bringen, den Kontakt zu fördern, an unserem Einvernehmen zu bauen, für unsere Ziele zu werben, Kämpfer heranzuziehen und aus der Menge unserer Berufsangehörigen eine feste, zähe, disziplinierte, einheitliche Organisation bauen zu helfen. An allen Orten und jedem einzelnen Kollegen soll das Ziel unseres Wirkens und Kämpfens sichtbar werden: Die Reinheit unseres Standes, das Ansehen der Advokaten, eine zureichende und würdige Existenz und Zusammenhalt aller für dieses Programm! Die Zeiten sind vorbei, in denen der Advokat im Glashause sitzen durfte, um zu warten, bis bei ihm Glück und Erfolg vierspännig vorfuhren. Hart ist die Zeit für unseren Stand. Unsere Stimme im Kampfe um unsere Rechte soll gehört werden, beim Gesetzgeber, bei der Regierung, draußen vor der Welt und nicht zuletzt in unseren eigenen Kreisen. Geschlossen, ein fester Block, müssen wir sein, damit wir wuchtig und mit aller Autorität stehen hinter unserer Kammer und seinem Ausschusse im Kampf um Gegenwart und Zukunft unseres Standes.“ Im anschließenden Vorwort328 des Blattes heißt es weiter: „Was wollen wir mit der Herausgabe des Blattes erreichen? Wir haben nicht die Absicht, den bisher bestehenden hauptsächlich auf wissenschaftlicher Grundlage mit mehr oder minder praktischer Zweckbestimmung aufgebauten juristischen Zeitschriften eine neue gleicher Art hinzuzufügen. Wir wollen vielmehr für die im Deutschen Anwaltsverbande vereinigte Kollegenschaft und für die Kollegen im übrigen Staatsgebiete ein den laufenden fachlichen und beruflichen Bedürfnissen des Anwaltsstandes rechnungstragendes Blatt schaffen, welches dazu bestimmt ist, der Kollegenschaft wichtige, interessierende und nützliche Mitteilungen zugehen zu lassen. Wir wollen zwar wissenschaftli327  Deutsches 328  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 1, 1935, S. 1. Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 1, 1935, S. 1.

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che und theoretische Artikel keineswegs ausschließen, doch soll auch hierin in erster Reihe dem Bedürfnis der anwaltlichen Praxis gedient werden.“ Die Rubriken der Zeitschrift verteilten sich auf: Kammernachrichten, Mitteilungen des Verbandes, Berichte der Untergliederungen, Bearbeitung wichtiger aktueller Standesfragen, kurze Bekanntgabe und Besprechung für die Anwaltspraxis und den Kanzleibetrieb wichtiger Gesetze und Verordnungen, Fristenkalender in Steuer- und Gebührensachen, Berichterstattung über Gebühren- und Steuerfragen der täglichen Praxis, Veröffentlichung von Entscheidungen, Verordnungen, Erlassen usw., die für die Anwaltspraxis von Bedeutung waren und die Behandlung der Alters- und Invaliditätsversicherung.329 In der Rubrik Sprechsaal wurden Leserbriefe veröffentlicht. Im Jahr 1936 wurde zusätzlich die Sparte Scheinwerfer eingerichtet, laut Schriftleitung „zur besseren Beleuchtung des Terrains des öffentlichen Lebens. Hier soll alles besehen werden, was uns Advokaten nicht restlos gefällt, hier soll sachliche Kritik an den Ursachen der unerträglichen unangenehmen Erfahrungen geübt werden.“330 Die Auswahl der Aufsätze spiegelte deutlich die angespannte wirtschaftliche Lage des Landes und ihre Auswirkungen auf den deutschen Juristenstand wider. In jedem Band erschienen Aufsätze zum Armenrecht und über die Tätigkeit und Verfolgung der „Winkeladvokaten“. Die einströmenden jungen Juristen konnten auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Verhältnisse keine Arbeit finden und gerieten immer weiter in Not. Den Überfluss der Anwälte versuchte man durch die Einführung des Numerus clausus zu begegnen. Doch blieben die Erfolge aus und die Maßnahme führte zu noch mehr Missgunst in den Reihen der Anwälte. Die Ursache der Misere sah man in der Tätigkeit der „Winkeladvokaten“, also der Laienadvokaten, die für weniger Geld arbeiteten und in den Augen der deutschen Anwälte den „richtigen“ Advokaten die Arbeit wegnahmen. Einen weiteren Grund für die Verarmung des Anwaltsberufes sah man in der allgemeinen staatlichen Entwicklung, die nach Ansicht der deutschen Juristen dem freien Anwaltsberuf in jeder Richtung Schaden zugefügt habe. Viele Beispielsfälle wurden hierfür angeführt und besonders in der Rubrik Scheinwerfer vorgetragen und auseinandergenommen. Gleich der erste Aufsatz der Zeitschrift im Jahr 1935 Der Anwalt hat zu kämpfen331 von Rudolf Klein, machte die Armut der Advokaten zum Thema: „Mensch sein, heißt ein Kämpfer sein. Diese Sentenz, einst nur mit einem metaphysischen und ethischen Inhalt erfüllt, hat in unseren Tagen einen viel weiter reichenden praktisch-nüchternen Sinn erhalten. Den Men329  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 1, 1935, S. 2. Anwaltsblatt, Jahrgang 3, Folge 2, 1937, S. 24. 331  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 1, 1935, S. 2–3. 330  Deutsches



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schen unserer Zeit ist der Kampf zur Pflicht, zur Lebensaufgabe, zur Tagesarbeit geworden. Es gibt kaum mehr jemanden in der menschlichen Gemeinschaft, der ausserhalb dieses Kampfes steht und stehen darf. Jeder Staat, jedes Volk, jeder Beruf, jeder Mensch, alle stehen im Kampf um Verbesserung, um Erhaltung der Bedingungen ihres Daseins. Die Zeit des laissez faire, laissez passer ist für lange vorüber. Mitten in diesem Kampfe steht der Anwalt. Sein Beruf ist der Kampf. […] Dieser Kampf beginnt schon mit dem Eintritt in den Beruf. Nach jahrelangem, oft unter schweren Opfern und Entbehrungen vollstrecktem Studium sucht der junge Jurist einen seiner Bildung entsprechenden Arbeitsplatz. Bei der zunehmenden Verengung des Lebensraumes, […] wendet die große Menge der jungen deutschen Juristen ihre Blicke dem freien Berufe der Advokatur zu. ‚Und wenn er nichts zu leben hat, dann wird der Mensch ein Advokat‘, sang einst ein Spottvers. Aus jedem Scherz wird heute bitterer Ernst. Der Ernst zeigt sich schon bei der Bewerbung um einen Konzipienten. Fast jeder Advokat weiß davon zu erzählen, wie oft er von Verwandten, Freunden und Klienten um eine Stelle für einen Konzipienten angegangen wird, um jedes Gehalt, ja ohne Gehalt. […] Die Advokatur ist eben ein Verlegenheitsberuf geworden. Ein Kollege sagte einmal resigniert: Früher kam auf 2000 Einwohner ein Advokat, bald wird es umgekehrt sein. Wir sehen also schon den Beginn der advokatorischen Laufbahn im Zeichen des Kampfes. Die Überfüllung des Anwaltsberufes ist eine der Hauptursachen seines Niederganges. […] Es ist ein unfroher, mit Unlust geführter Kampf; denn er bedroht die Fundamente der Advokatur, die Freiheit des Berufs. […] Zu den gefährlichsten Feinden des Advokaten gehören die Winkelschreiber aller Schattierungen, mögen sie nun in der primitiven Gestalt des gewöhnlichen Winkeladvokaten, des Rechtberaters, in der organisierten Form der Schutzvereine, in der Gestalt der Inkassobüros oder im Amtskleide des Gerichts- und Finanzbeamten auftreten. Das ganze Heer dieser illegalen Parteienvertreter bedroht in immer höherem Maße das Arbeitsfeld der Advokaten, zum Schaden der Bevölkerung und zum Schaden der Rechtsprechung. Seit der Zuschrift des Ministeriums des Innern an das Justizministerium vom 4. Juli 1934, in welcher die Verfolgung der Winkelschreiber durch ein selbständiges Gesetz verlangt wird, ist wieder mehr als ein Jahr verflossen, ohne daß das Gesetz erschienen wäre. Wenn auch die Advokatenkammern ihre Bemühungen um Regelung dieser brennenden Frage fortsetzen, so kann doch nur der nachhaltige Druck der geeinigten, organisierten Anwaltschaft diesen Bemühungen die notwendige Stoßkraft verleihen. […] Dem Winkelschreiber gesellt sich der Schädling im eigenen Hause zu, der Advokat, der den Winkelschreiber deckt, der über den geringen eigenen Vorteil den schweren Schaden übersieht, der dem Berufsstande zugefügt wird. Die Advokatenkammer für Böhmen hat in den in der Plenarversammlung des Jahres 1932 beschlos-

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senen Richtlinien jede Verbindung des Advokaten mit einem Winkelschreiber als unzulässig erklärt. Die Kammer muß also auch in jedem ihr zur Kenntnis gebrachten Verstoß gegen ihren Beschluß energisch einschreiten und die Kollegenschaft hat die Pflicht, sie durch schonungslose Kontrolle und Anzeige zu unterstützen. Den Schädlingen in den eigenen Reihen darf kein Pardon gegeben werden. […] Aber eins ist gewiss: Die Trägheit der Geister und der Herzen ist jenes Übel, mit dem wir im eigenen Lager vor allem anderen zu ringen haben. Die Indolenz, die Teilnahmslosigkeit, die Gleichgültigkeit der Kollegen gegenüber dem eigenen Berufsinteresse hat einen reichlich gemessenen Teil der Schuld an der bedrohlichen Lage des Anwaltsstandes. Gegen sie soll sich unsere Arbeit in erster Reihe wenden. Aber der einzelne allein vermöchte nichts, selbst wenn er wollte. Nur die geschlossene, geeinigte Front aller Berufsgenossen, nur die Organisation hat die Kraft zu erfolgreicher Tätigkeit. Ihr sollen die Blätter dienen!“ Der nächste Beitrag Zum Problem der Justizkrise332 von Josef Sander, zeigte ganz offen, wie die Redaktion der Zeitschrift gegenüber dem tschechoslowakischen Staat und seiner Einrichtungen stand: „Wenn man das Sprichwort: Je weniger man von einer Frau spricht, desto besser ist sie, auf die Justiz anwendet, so kommt man zu dem Ergebnisse, daß bei Frau Justitia etwas nicht in Ordnung sein muß, da über sie in letzter Zeit gerade genug gesprochen und geschrieben wurde. An dem Krankenbette der Pa­ tientin stehen die Professoren und Aerzte und beraten, wie man der Kranken wieder auf die Beine helfen könne, einige Ratschläge sind jedoch noch nicht einmal einer Erwähnung wert. Denn wenn man zur Beschleunigung des zivilrechtlichen Verfahrens vorschlägt, die Berufungsinstanz abzuschaffen, so gleicht dies dem Rezept, dem verhungerten Patienten strenges Fasten zu verordnen. Es kann sich nicht einzig und allein um die Beschleunigung des zivilrechtlichen Verfahrens handeln, obwohl zugegeben wird, daß dieser Wunsch begründet ist, sondern es handelt sich in erster Reihe um die in ihrer Auswirkungen bedenkliche Tatsache, daß das Niveau der richterlichen Entscheidungen in den letzten Jahren zu sinken scheint.“ In der zweiten Folge der Zeitschrift wandte sich die Verwaltung des Anwaltsverbandes an ihre Kollegen und forderte sie eindringlich zur Bestellung des Blattes auf: „Wenn auch Sie der Ansicht sind, dass das Blatt notwendig ist, dann unterziehen Sie sich selbst der geringen Mühe das Deutsche Anwaltsblatt AUSDRÜCKLICH ZU BESTELLEN. Wir erwarten  Ihre Bestellung.“333 Weiter heißt es im Aufruf zur Mitarbeit!334: „Das 332  Deutsches 333  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 1, 1935, S. 4. Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 2, 1935, nach dem Deckblatt,

nicht paginiert. 334  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 1, Folge 2, 1935, S. 1.



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Deutsche Anwaltsblatt wendet sich an den weiteren Kreis der deutschen Kollegenschaft und ruft ihn zur Mitarbeit auf. […] Bisher mußte sich der Aufbau des berufständischen Gedankens auf gruppenweise Zusammenfassung in größeren Orten beschränken, aber gerade dieser Zusammenschluss hat die Bedeutung und Macht eines organisierten Auftretens erwiesen. Dieser Gedanke soll nunmehr auf weiteste Grundlage gestellt und bis in die kleinen Orte unseres Arbeitsgebietes hinausgetragen werden. Der vor kurzer Zeit ins Leben gerufene Deutsche Anwaltsverband hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Idee zur propagieren. Aber nur durch ein Organ ist es möglich, dem Gedanken Widerhall und einen Sammelpunkt zu verschaffen, welcher in der immer bedrohlicher werdenden Lage des Standes zur Kraftquelle wird. Alle Berufsstände haben sich organisiert, fast jede Organisa­ tion hat ihre Standeszeitung, nur der deutsche Anwalt hat ihrer bisher entraten. Es geht um das Wohl und Wehe jedes Einzelnen von uns; darum ist jeder berufen und verpflichtet, nach seinen Kräften Mitarbeit zu leisten. […] Unsere finanziellen Mittel sind begreiflicherweise für den Anfang bescheiden; wir betrachten vorerst für die ersten 6 Monatshefte Ihre Mitarbeit als Ehrensache und kollegiale Pflicht, die Sie gerne leisten werden, weil sie gewiß Freude und Genugtuung an dem Wachsen unseres Blattes haben werden.“ Nach dem ersten Erscheinungsjahr zog die Redaktion eine Bilanz des vergangenen Jahres und berichtete voller Lob über die Erfolge der Zeitschrift: „Mit diesem Heft bechließt das Deutsche Anwaltsblatt sein erstes Erscheinungsjahr. Wir gestehen offen, daß wir bei Aufstellung des geistigen Voranschlags das Interesse unserer Kollegen nicht allzu hoch in Rechnung stellten. Sahen wir doch bei den Vorarbeiten für die Schaffung einer Organisation, wie schwer es war, das Standesbewußtsein der Advokaten wach zu rütteln und wach zu erhalten. […] Heute dürfen wir mit freudiger Genugtuung feststellen, daß die Idee sich als richtig, die Skepsis sich als unrichtig erwiesen hat. Nicht nur, daß der Bezieherkreis beständig gewachsen ist, daß er sich über den provinziellen Bezirk hinaus auch auf die Hauptstädte erstreckt und ihm tschechische und ausländische Kollegen angehören. […] Es kam uns vor allem darauf an, die grauenhafte Verödung unseres Standes, die sowohl in der wirtschaftlichen wie auch in der psychischen Ebene um sich zu greifen droht, entgegenzuwirken. Es galt die allgemeine Mutlosigkeit, die Lethargie und Apathie und die Untätigkeit in Standesdingen zu bekämpfen. […] Wir wurden nicht müde, unsere Stimme zu erheben und die Forderungen des Anwaltsstandes Ausdruck zu geben. […], so waren wir es, die diese Forderung nach Befreiung der Pensionsbezüge von Steuern und Abgaben erstmals erhoben und mit Nachdruck vertreten haben. Wir traten unverzüglich an die Seite der mährischen Advokatenkammer, als zu Ende des vorigen Jahres wegen des bekannten

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Konzipientenbeschlusses335 gegen sie eine heftige Agitation mit nationalistischer Färbung entfacht wurde und stärkten durch eine Sonderausgabe ­ihre Position.“336 Im Jahr 1937 lautete es im Geleitwort zum neuen Jahre337: „Der Eintritt in das neue Jahr mag einen Augenblick besinnlicher Rückschau und einen Blick auf die Zukunftsaufgaben rechtfertigen. Ein Jahr schwerer Not unseres Standes und dabei entschlossenen Ringens um unsere Rechte liegt hinter uns allen […]. Manche Gefahren wurden gemildert und abgewehrt, vor allem aber wurde endlich das Verhältnis für die Gemeinsamkeit unseres Schicksals geweckt und gestärkt und es wurde ein Band gesponnen, welches uns Anwälte von Westen nach Osten, von Norden nach Süden, im ganzen Lande einander auf dem Boden unseres Berufslebens näher gebracht hat. […] Große und schwere Aufgaben stehen uns bevor. Die Versicherung, die Advokatenordnung, die Kräftigung unserer Standesjustiz bezeichnen unseren künftigen Weg, die Besserung der Grundlagen auskömmlicher Existenz und damit der Erhaltung der Reinheit und Ehre unseres Standes, unsere Zukunftshoffnungen!“. Im Zuge der Anwaltsarbeitslosigkeit im Lande, erschien im Jahr 1937 in der Rubrik Scheinwerfer der Aufsatz Der Fragekasten-Unfug338. Darin hieß es: „Fast jede große Tageszeitung, aber auch Wochenblätter und kleine Provinzzeitungen haben sich einen sogenannten Fragekasten zugelegt, der auch Ratgeber, Briefkasten oder sonst wie heißen mag. Das ist ja für jene, die kein Konversationslexikon oder keinen Reiseführer haben recht wichtig, wäre aber sonst uninteressant und belanglos. Die Zeitungen sind aber nach und nach dazu übergegangen, Auskünfte, welche die Schriftleitungen nicht aus dem Redaktionsärmel schütteln können und zu deren Erteilung sie auch nicht so ohne weiteres berechtigt sind: nämlich Auskünfte in Rechtssachen, zu erteilen. Und weil guter Rat in Rechtsachen angeblich teuer ist, hat der juristische Briefkastenonkel alle Hände voll zu tun, auch dann, wenn sein Rat nicht eben viel wert sein mag. […] Nicht genug damit, daß die Advokaten durch diese Briefkastenonkelei von ihrer regelmäßigen konsultativen Praxis in immer stärkerem Maße ausgeschaltet werden, haben manche Zeitungen und Fachblätter damit begonnen, ‚Beratungsstellen‘ einzurichten. […] Denken wir doch einen Augenblick darüber nach, ob dieser gefähr­ 335  Um der Anwaltsflut entgegenzuwirken erließ die mährische Advokatenkammer am 12. April 1935 einen Beschluss, wonach die Advokaten nur solche Konzipienten aufnehmen sollten, welche die judizielle und staatswissenschaftliche Staatsprüfung mit mindestens gutem Erfolg abgelegt hatten; näheres dazu in: Juristenzeitung für das Gebiet der tschechoslowakischen Republik, 1935, S. 134. 336  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 2, Folge 9, 1936, S. 1. 337  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 3, Folge 1, 1937, S. 1. 338  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 3, Folge 3, 1937, S. 44.



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licher Unfug wirklich mit jenem fatalistischen Gleichmut hingenommen werden muß, der dem Advokaten schon zur zweiten Natur geworden ist und den er auch in dieser Frage bewahrt. Zweifellos gehört es nicht zum Wesen eines Zeitungsbetriebes, juristische Anfragen ihrer Bezieher mündlich oder schriftlich zu beantworten. Es ist mehr als fraglich, ob die Zeitung bei ihrem Ansuchen um Bewilligung zur Herausgabe auch angeführt hat, daß sie Rechtsauskünfte erteilten oder Rechtsgutachten abgeben wolle. […] Die Zeitungen überschreiten somit ihren Wirkungskreis, auch wenn sie kein Entgelt verlangen oder erhalten. […] In welchem Maße uns diese Einrichtung der Brief- und Fragekästen schädigt, ist statistisch nicht zu erfassen, auch deshalb nicht, weil unsere Schädlinge so viele sind, daß wir nicht mehr wissen, wer uns am meisten schadet. […] In Deutschland ist es den Zeitungen untersagt, Rechtsfragen zu beantworten. Auch die französischen Zeitschriften geben keine Rechtsauskünfte. Solle es nicht auch hier möglich sein, es mit Hilfe der Kammern und der Organisation durchzusetzen, daß die Zeitungen die Erteilung von Rechtsauskünften, die, weil zu knapp, ­ohnehin meist unzulänglich sind, ganz einzustellen?“ In dem Aufsatz Organisation339 des Jahres 1937 blickte die Redaktion auf fünf Jahre Verbandsarbeit zurück: „Es wurde jedem klar, daß die Zeit der freien Ortsvereinigungen, der nur auf dem Papiere stehenden Verbände vorbei ist, daß Debattierklubs und Tischgesellschaften, bei denen jeder seinen Fall vom Vormittag den anderen auftischte, nicht genügen, um Standesfragen und Wirtschaftsinteressen wirksam nach außenhin zu vertreten. […] Die Fühlung mit den mährisch-schlesischen Kollegen und ihren Organisa­tionen wurde aufgenommen. Leider gelang es nicht, zur Zusammenarbeit zwischen unserem Deutschen Anwaltsverbande und dem Verband Deutscher Rechtsanwälte in Böhmen, Sitz Prag, zu kommen. Welche Beweggründe den Prager Verband dazu bestimmt haben, einer werktätigen und zum Besten der Gesamtheit der Kollegen gedachten Kooperation ablehnend gegenüberzustehen, ist eigentlich niemals klar geworden. Durchdrungen von der Ueberzeugung, daß auch die Deutsche Kollegenschaft Prags an die Gesamtorganisation der Deutschen Advokatur angegliedert werden muß, sei es in welcher Form immer, wird der Deutsche Anwaltsverband in kurzer Zeit für die Prager Kollegen eine Untergliederung in der Hauptstadt schaffen, um auch deren Interessen mit der notwendigen Durchschlagskraft vertreten zu können und dabei ihre durch die Hauptstadt bedingten besonderen Interessen zu berücksichtigen.“ Im Juni 1938 erschien der begeistert nationalsozialistische Beitrag Neue Zeiten – neue Aufgaben340: „Um den deutschen Advokaten hat sich eine 339  Deutsches 340  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 3, Folge 7   /   8, 1937, S. 97–98. Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 6, 1938, S. 1.

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Wandlung vollzogen, dieser Personenkreis ist zu einer völkischen Einheitlichkeit zusammengewachsen, die es bisher nicht gab. Die Gemeindewahlen, die in ihren Etappen soeben ihren rühmlichen Abschluß gefunden haben, haben das dokumentiert, was längst eine Tatsache geworden war: das Sudetendeutschtum ist eine geschlossenen Einheit im Staate mit einem einheitlichen politischen Willen und Ziel, auf einem einheitlichen öffentlich-rechtlichen Weg. […] Ist es nicht ein herrlicher Gedanke zu wissen, daß nunmehr mancher kleinliche Hader und kleinliche Streitereien, die zu vertreten uns niemals die reine Freude gebracht haben, nun im Geiste der Volksgemeinschaft von selbst unterdrückt werden […]. Wir freuen uns, daß wir deutschen Advokaten in der Verfechtung unserer Volksrechte, und dazu gehören auch die kleinlichen Sprachenrechtsfragen, einen einheitlichen Widerhall finden werden […]. Es wird die beklagenswerte Erscheinung, wie sie vereinzelt vorkam, nicht mehr auftauchen, daß nämlich ein Deutscher bei Akten des Ermessens der Staatsgewalt, so bei Konzessionsansuchen, Gnadengesuchen und ähnlichen ‚supplicationes‘ sein Deutschtum vorsichtigerweise hin­ ter ein in tschechischer Sprache geschriebenes Gesuch versteckte und dabei besonders den Rechtsanwalt bevorzugte, der ein Häkchen über einem Buchstaben seines Namenswortlautes sein eigen nennen konnte.“ In der Septemberausgabe des Jahres 1938 schieden die Redakteure Rudolf Klein und Rudolf Herzog aus dem Redaktionsrat der Zeitschrift aus. Ab diesem Zeitpunkt nannte sich die Zeitung Sudetendeutsches Anwaltsblatt und wurde vom verbliebenen Redakteur Eugen Th. Leicht weitergeführt. Die neue Ausgabe begann mit dem Geleitwort Wir danken unserem Füh­ rer341: „Wir danken unserem Führer für die beispiellose historische Tat der Befreiung unseres sudetendeutschen Volkes, durch die er uns nicht nur nach unserem heißen Wunsche eingegliedert hat in unser geliebtes Deutsches Reich, sondern uns auch von den unvermeidlich scheinenden letzten Kriegsund Schreckensregimen einer unerträglich gewordenen Fremdherrschaft, vor der das Recht sich schon längst bescheiden zurückgezogen hatte, mit einer starken Hand glücklich bewahrt hat.“ In diesem „geschichtlichen Augenblick“ hatte Reichsminister Dr. Hans Frank an seine „Deutschen Rechtswahrer“, folgenden Aufruf erlassen342: „Das ewige Recht der Völker vollstreckend hat unser Führer die geschichtliche Tat der Heimholung unserer ostmärkischen Volksgenossen mit der Wiedervereinigung des Sudetenlandes mit dem Deutschen Reich gekrönt. In diesem weltgeschichtlich unvergleichlich großartigen Augenblick deutschen Erlebens kann der Nationalsozialistische Rechtswahrerbund sein zehnjähriges Bestehen feiern. Am 11. Oktober 1928 hat der Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei 341  Deutsches 342  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 9   /   10, 1938, S. 1. Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 9   /   10, 1938, S. 1–2.



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Adolf Hitler in einem schon damals viel beachteten Aufruf die Gründung des Bundes Nationalsozialistischer Deutscher Juristen bestätigt und die deutschblütigen Juristen und Volkswirte aufgerufen, sich diesem Bund zur Unterstützung des Kampfes der Bewegung um die Freiheit des deutschen Volkes und zur Durchsetzung des nationalsozialistischen Parteiprogramms anzuschließen. Diesem Ruf des Führers der NSDAP folgten bis zur Machtübernahme durch den Nationalsozialismus nur etwas über tausend Juristen. Aber das war angesichts der damaligen Justizzustände in Deutschland schon ein uns Nationalsozialisten überraschender und nützlicher Erfolg. War doch diese damals sich zusammenfindende Schar nationalsozialistischer deutscher Juristen eine wahrhaft fanatische Rechtskämpfergarde des Führers, deren Geist der nationalsozialistischen Bewegung in der Zeit des schwersten Kampfes wertvollste Rechtsdienste zu leisten vermochte, die den Tausenden und aber Tausenden wegen ihres Kampfes für die NSDAP verfolgten Parteigenossen vor den Gerichten Hilfe leistete und das rechtspolitische Wollen der Partei in allen Ausstrahlungen mit energischer Tatkraft und ideeller Entschlossenheit vorwärtstrieb. Ungebrochen hat sich dieser kämpferische Geist der Gründer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes allen reaktionären Versuchen gegenüber in der Kampfzeit der Bewegung durchgesetzt. Er war es, der dem deutschen Volk nicht zuletzt die Hoffnung gab, daß aus der Durchsetzung des nationalsozialistischen Parteiprogramms he­ raus die Rechtszustände unseres Volkes wieder der Größe unseres völkischen Rechtsgewissens gerecht werden würden, eine Tat, die dann auch die unselige Kluft zwischen Justiz und Volk endlich einmal schließen sollte. […] heute steht der Jurist nicht mehr abseits, in ständisch-akademischen Zirkeln über volksfremde Abstraktionen brütend, sondern mitten im großen Erlebnis der kameradschaftlichen nationalsozialistischen Volksgemeinschaft unseres durch Adolf Hitler freigewordenen Deutschtums. Denkmethoden und Praxisübungen, während langer 300 Jahre eingefilzt, lassen sich in 10  Jahren nicht in allen Auswirkungen beseitigen. Die Aufgabe des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes wird daher auch künftig sein, den Kampf um die Befreiung des deutschen Rechts und der deutschen Rechtspraxis von allen undeutschen und insbesondere jüdischer Verfallserscheinungen lebendig zu erhalten.“ Das Anwaltsblatt wurde nach 1938 verstärkt als Instrument für eine gezielte Indoktrination missbraucht. Für den verbliebenen Redakteur Eugen Th. Leicht war das Deutschtum oberstes Gebot, und so wurde die Zeitschrift auch nur für das „Wohl des nationalsozialistischen Reiches“ genutzt. Dabei bedienten sich die Autoren der Zeitschrift hauptsächlich der nationalsozialistischen Terminologie und der von den Parteifunktionären vorgegebenen Diktion, wie auch die einzelnen Artikel der Zeitschrift verdeutlichen.

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Im September 1938 erschien etwa der Aufsatz Zur Judenfrage beim Rechtsanwalt343: „Die Frage des jüdischen Rechtsanwaltes finden wir bei unserer Einkehr in die Reihen unserer deutschen Rechtsanwaltskollegen bereits gelöst vor. Mit dem 27. September 1935 erschien die 5. VO zum Reichsbürgergesetz, von welcher Dr. Noack in der Jur. Wochenschrift Heft 45 in dem Aufsatze ‚Die Entjudung der deutschen Anwaltschaft‘ sagt, daß diese Verordnung diese Entjudung beendet hat. Noack gibt einen interessanten Ueberblick mit einigen Ziffern: Zum Jahre 1933 waren in Deutschland (ohne Österreich) 4.500 jüdische Anwälte bei einer Gesamtzahl von rund 19.200 Anwälten. In Wien waren vor dem Anschluss 1.750 jüdische und nur 450 arische Anwälte. Unsere Verhältnisse im sudetendeutschen Gebiet liegen in der Mitte und rohen Schätzungen zufolge war hier nicht ganz die Hälfte aller Advokaten Juden. War durch frühere Verfügungen nur eine beschränkte Zurücknahme der Zulassung möglich, und ein Zuwachs jüdischer Anwälte unmöglich gemacht worden, so war dennoch zu Beginn des Jahres 1938 im Altreich, wie Noack berichtet, jeder 10. Rechtsanwalt ein Jude. Dieser untragbare Zustand ist nun durch gänzliche Beseitigung der Juden aus der Anwaltschaft im Altreich und in Österreich mit dem 30. November 1938 bzw. mit dem 31. Dezember 1938 (Österreich) beseitigt worden. Jüdische Interessen können in der Folge nur mehr von den neugeschaffenen ‚jüdischen Konsulenten‘ vertreten werden. Diese sind weder Rechtswahrer noch Rechtsanwälte, wenn auch die Regelung ihrer Tätigkeit und zwar nur rein äußerlich der Advokaten ähnelt. Für die Zulassung sind eine Reihe besonderer Erfordernisse aufgestellt worden und es werden den jüdischen Konsulenten bestimmte formelle Pflichten auferlegt: Er unterliegt der Aufsicht des Landesgerichtspräsidenten, in dessen Bezirk er seinen Sitz hat. Von den Einnahmen aus ihrer Berufstätigkeit verbleiben den jüdischen Konsulenten die Barauslagen, eine Unkostenpauschale und ein je nach den Monatseinnahmen gestaffelter Prozentsatz der übrigen Einnahmen. Die weiteren Beträge sind an die von der RRAK344 verwaltete Ausgleichsstelle abzuführen, aus welcher Unterhaltszuschüsse an frühere ausgeschiedene Rechtsanwälte gewährt werden. Die jüdischen Advokaten haben es vorgezogen, das Gebiet zu verlassen und damit auf die Ausübung ihres Berufes im nationalsozialistischen Staate zu verzichten, so daß das Problem Jude als Rechtsanwalt in unserem Gebiete schon kein Problem mehr ist. Die jetzige Zeit hat uns arischen Rechtsanwälten blitzartig zu erkennen gegeben, wie sehr der jüdische Advokat mit Aufträgen von Volksgenossen bedacht war. Diese suchen nun wohl oder übel den arischen Rechtsanwalt auf und es wäre verfehlt, ihnen einen Vorwurf machen zu wollen, daß sie früher glaub343  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 9   /   10, 1938, S. 131.

344  Reichsrechtsanwaltskammer.



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ten, daß Rechtsangelegenheiten wirklich erfolgreich nur von einem Juden besorgt werden können. Es darf nicht übersehen werden, daß das Rechtsleben auch ein anderes war, daß der Advokat alten Stils als bloßer Parteieninteressenvertreter auf dem Boden der Demokratie am besten gedieh und daß es gerade darauf ankam, mit ausgeklügelten Methoden Vorteile zu erringen ohne Rücksicht auf das Gemeinwesen. Fähigkeiten hierzu hat man vor allem dem jüdischen Advokaten zugetraut und er hat diese Art des Vertrauens auch gerechtfertigt. Wir erinnern uns noch der Zeiten, da wir dann und wann in die Fallstricke gerieten, die uns gestellt wurden und wo wir zu zweifeln begannen, ob nicht doch der ehrliche Advokat der schlechtere Advokat sei. Daß in solchen Zeiten vom Advokaten dieser Art Tüchtigkeit verlangt wurde, die man bei dem jüdischen Advokaten und einigen Nachahmern fand, und daß daher wie wir jetzt sehen, so viele, viele arische Interessen von jüdischen Advokaten behandelt und misshandelt worden sind, lag nicht an den Menschen, sondern an dem Geist einer Dank unserem großen Führer auch für uns überwundenen Zeit.“ Im Zusammenhang mit der Sudetendeutschen Ergänzungswahl vom 4. Dezember 1938 erschien der Aufruf An alle Kameraden Rechtsanwälte!345: „Alle Volksgenossen haben am 4. Dezember 1938 ihre völkische Pflicht zu erfüllen, die Rechtsanwälte haben hierbei in der ersten Reihe zu stehen. Unser Dank an den Führer ist durch Leistung abzustatten. Jeder Rechts­ anwalt ist verpflichtet, sich seiner zuständigen Parteienstelle mündlich oder schriftlich zum Einsatz im Wahlkampf zur Verfügung zu stellen. In den Kanzleien der Kameraden Rechtsanwälte sind die Wahlplakate anzuschlagen, ist die Zeitung ‚Wahlruf‘ aufzulegen und für die Verbreitung der Flugblätter Sorge zu tragen. Dieses Werbematerial ist durch jeden Kameraden bei der zuständigen Dienststelle der Partei sofort anzufordern.“ Weiterhin richtete die Schriftleitung an die deutschen Kollegen den Aufruf346: „Rechtsanwälte im befreiten Sudetenland, stattet euren Dank dem Führer ab und gebt ihm am 4. Dezember euer Ja! Tut auch eure Pflicht als führende Männer in der Gemeinschaft unseres Volkes und belehret in diesen Tagen jeden, der zu euch kommt und wo ihr eure Stimme hören lassen könnt, daß es die selbstverständliche Pflicht eines jeden Sudetendeutschen ist, dieses kleine Scherflein zu dem unendlichen Danke unseres Sudetendeutschen Volkes beizusteuern, nämlich ihm sein Ja zu geben. […] Die Gemeindewahlen gaben uns dann zum ersten Male wieder Gelegenheit, sozusagen schriftlich zu geben, was wir wollen: deutsch sein, Nationalsozialisten sein. Damals aber saßen in unseren schönen deutschen Gauen volks345  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 11, 1938, nach dem Deckblatt, nicht paginiert. 346  Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 11, 1938, S. 1.

306 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

fremde Herren mit ihrem Anhang, der einen nicht völlig deutschen Charakter unserer Heimat vortäuschen sollte. Trotzdem war das Wahlergebnis überwältigend, schon damals war sich jeder Deutsche seiner Pflicht gegenüber dem Führer bewusst und wir Sudetendeutschen sind nicht die schlechtesten Deutschen. Wir haben am eigenen Leibe verspürt, was Fremdherrschaft heißt und die Tschechen haben es verstanden, auch dem in nationalen Dingen lauen Zeitgenossen gründlich beizubringen, daß er ein Deutscher ist. Die Verfolgungszeit, die sich bis zur Rechtlosigkeit und Vogelfreiheit jedes Sudetendeutschen verdichtete, hat ein Massenbekenntnis zur deutschen Sache aufgezeigt, das beispiellos dasteht. […] Welchen Dankt begehrt der Führer? Kein Opfer, keine Mühe, nur ein Wort will er von uns hören, das Wort Ja, das wir am 4. Dezember aussprechen sollen. Alles hat der Führer für Dich getan! Nun erfülle auch Du deine Pflicht! Gib ihm am 4. Dezember Dein Ja!“ In der Novemberausgabe des Jahres 1938 erschien im Sudetendeutschen Anwaltsblatt ein Aufsatz über die Rechtsanwaltstagung in Bodenbach vom 19. und 20. November 1938. Der Aufsatz gab die Rede des damaligen Präsidenten der Reichsrechtsanwaltskammer Neubert wieder, die während der Tagung vorgetragen wurde347: „[…] Der Umbruch des Rechts hat zunächst das Verfassungsleben ergriffen, hat das Staatsrecht ergriffen, er ist in das Strafrecht vorgestoßen und greift langsam in das unendlich weite Gebiet des bürgerlichen Rechtes ein, denn was hier geschaffen wird, das soll Bestand haben für Dauer und es soll reifen, damit es Bestand hat. Nun haben wir also im Reich Normen, die neu geschaffen sind und von sich aus neuen Geist atmeten, und Normen, die nicht geändert sind, und in diese gilt es hineinzugießen einen neuen Geist, um auch diese Normen für das Volksleben erträglich zu machen.“ Im Zusammenhang mit dem am 20. November 1938 (Nr.  300 Slg.)348 geschlossenen „Vertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Tschechoslowakischen Republik über Staatsanghörigkeits- und Optionsfragen“ erschien in der Dezemberausgabe des Jahres 1938 der Aufsatz Der deutschtschecho-slowakische Staatsbürgerschaftsvertrag von Eugen Th. Leicht: „Von der Abtrennung eines Teiles eines Staates und dem Anschluß dieses Teiles an einen anderen (Gebietsabtretung), werden Menschen und Dinge betroffen. […] Die Trennung von Grund und Boden geschieht durch Ziehung einer geographischen Linie, welche im eigentlichen Sinne als Trennungsstrich zu bezeichnen ist und Enklaven vermeidet. Damit ist für die Aufteilung der Staatsbürger gar nichts getan, weil die Menschen nicht orts347  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 11, 1938, S. 134. in: Prager Archiv, Bd. 20, 1938, S. 1441.

348  Abgedruckt



Kap. 4: Deutsche Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei

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gebunden sind wie eben Grund und Boden, sondern freizügig. […] Die Stufenfolge in der Stärke der Beziehungen zu geographischen Orte wäre etwa: Aufenthaltsort, Wohnsitz, Geburtsort, Heimatsort. […] Nun kommt aber für den Anschluß des Sudetengebietes an Deutschland noch ein anderes Moment in Betracht, das ist das völkische. Hatte der sogenannte Friede von Versailles angeblich die Absicht, Völker zusammenzufassen, so wurde dies bezüglich des Sudetengebietes erst in München durchgeführt. Dabei gab es aber nur einen Anlaß und einen Wegweiser, das war die Zusammenfassung des deutschen Volkes. Daher ist die Trennungslinie, welche auf der Landkarte gezogen wurde, wie vielleicht nie zuvor eine Volksgrenze oder eine Sprachgrenze. Und diese Grenze ging wieder auf den Aufenthalt der Menschen im Jahre 1910 zurück. So wie sich also die Menschen völkisch damals verteilt hatten nach ihrer Freizügigkeit und nach allen maßgebenden Bedingungen, so wurde nach dem Mehrheitsgrundsatz die Linie gezogen. Also nicht die Teilung des Landes, sondern die Heimkehr der Menschen war das primäre. Daher auch nicht die traditionelle Grenze längs der Gebirge und Fülle, sondern quer durch das Land – den Menschen nach, wie sie wohnten. […] Diese nach der Volkszugehörigkeit der jeweiligen Ortsbewohner gezogene Landesgrenze bedingte nun eine weitere Einordnung der Menschen. […] Dadurch gelangen wir fast selbstverständlich zu dem Grundsatz der Aufteilung der Menschen nach dem Wohnsitz an einem bestimmten Tage. Ergibt sich dadurch eine Scheidung in zwei große Gruppen, so haftet ihr immer noch völkisch ein Fehler an; es werden in der einen wie in der anderen Gruppe noch genug Menschen sein, die nicht zu ihr gehörend und zwar aus völkischen Gründen: Tschechen im Sudetenland, Deutsche in der Tschecho-Slowakei.“ Zur Veranschaulichung der Folgen des Vertrages vom 20. November 1938 präsentierte Leicht folgenden Fall: „Jemand sei in Prag geboren, ebenso seine Eltern und drei seiner Großeltern, während eine seiner Großmütter aus Eger gebürtig ist. Er selbst sei Tscheche. Trotzdem wird er deutscher Staatsangehöriger werden, wenn er am Stichtag (10. Oktober 1938) im Sudetengebiet gewohnt hat. Mag auch dieser Fall absurd aussehen, er ist es nicht mehr als andere Fälle, die einem Juristen immer wieder begegnen, wenn er die letzten Spitzen der Gesetzesanwendungen zusammensucht. Spricht man da manchmal von Härten des Gesetzes, so würde der Härteausgleich hier in der Optionsmöglichkeit liegen. Man darf nicht übersehen, daß der Wohnsitz das Hauptkriterium ist und man dem Gekränkten auch sagen könnte: es ist seine Schuld, denn er hätte ja auch ebenso gut seinen Wohnsitz im nichtdeutschen Gebiet aufschlagen können und sollen, wenn er die Deutschen nicht mag.“349 349  Deutsches

Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 12, 1938, S. 150.

308 2. Teil: Tschechische und deutsche juristische Zeitschriften nach 1918

Die Dezemberausgabe des Jahres 1938 beinhaltete eine Beilage mit den neuen Richtlinien für die Ausübung des Anwaltsberufes350 die von der Reichs-Rechtsanwaltkammer aufgestellt wurden. Darin hieß es einleitend: „Der Rechtsanwalt ist der berufene, unabhängige Vertreter und Berater in allen Rechtsangelegenheiten. Sein Beruf ist kein Gewerbe, sondern Dienst am Recht […].“ Vergleicht man die deutschen und die tschechischen juristischen Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei, so stellt man fest, dass sich die behandelten Themen kaum unterschieden. Es kam häufig vor, dass bestimmte Gesetze oder Verordnungen von deutscher, wie auch von tschechischer Seite kritisiert wurden und damit ein Verbundenheitsgefühl entstand, wie z. B. bei der Reform der politischen Verwaltung aus dem Jahr 1927.351 Nur auf dem Gebiet des Sprachenrechts gingen die Meinungen der deutschen und tschechischen Autoren meistens auseinander. So standen die deutschen juristischen Zeitschriften natürlich auch hinter dem ausländerfreundlichen Obersten Verwaltungsgericht in Prag, während das Oberste Gericht in Brünn von den tschechischen Zeitschriften Unterstützung fand.352 Allgemein hielten sich aber die deutschen juristischen Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei mit harter Kritik gegen den Staat und seine Einrichtungen, zumindest bis ins Jahr 1938, zurück und man begegnete den tschechischen „Konkurrenzzeitschriften“ und den tschechischen Autoren stets mit Respekt. Selbstverständlich gab es auch Ausnahmen, wie der Streit zwischen Václav Hora und Ludwig Spiegel über die Praxis der 20-ProzentKlausel im Sprachenrecht zeigte.353 Aber selbst hier blieben die Kontrahenten noch relativ sachlich. Die scharfen deutsch-tschechischen Auseinandersetzungen wurden vorwiegend in den tschechoslowakischen Tageszeitungen ausgetragen.

350  Richtlinien (A–K) für die Ausübung des Anwaltsberufes, aufgestellt von der Reichs-Rechtsanwaltskammer (Ausgabe 1938); als Beilage in: Deutsches Anwaltsblatt, Jahrgang 4, Folge 12, 1938. 351  Wie z. B. in dem Aufsatz von Šlemr in: Všehrd Bd. 8, 1927, S. 233, in dem er die gleichen Argumente wie Janka im Prager Archiv, Bd. 9, 1927   /   II, S. 1539 vorbrachte. 352  2.  Teil, Kapitel  1, B.  III. 353  2.  Teil, Kapitel  1, B.  III.

3. Teil

Einstellung und Lebensdauer der tschechischen und deutschen juristischen Zeitschriften Die meisten juristischen Zeitschriften Böhmens wurden zwischen 1938 und 1948 eingestellt. Im Jahre 1938 waren es zunächst die deutschen juristischen Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei. Dazu gehörten u. a. die Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1919), die Prager Juristische Zeitschrift (1921) und das Deutsche Anwalts­ blatt (1935, ab September 1938 Sudetendeutsches Anwaltsblatt). Eine Ausnahme bildete das Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919–1942, ab 1943 Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft), das sich mit dem Recht des Protektorats befasste und erst im Jahre 1944 eingestellt wurde. Als nächstes stellten zwischen 1939 und 1943 drei tschechische juristische Zeitschriften ihr Erscheinen ein: Im Jahre 1938   /   1939 die Česká Advo­ kacie (1922), 1941 die Zeitschrift Všehrd (1919) und im Jahre 1943 die Soudcovské Listy (1920). Die nächste Einstellungswelle folgte im Jahre 1948, als drei weitere tschechische juristische Zeitschriften aufgeben mussten: Die Sborník věd právních a státních (1901), die České Právo (1919) und die Právní Prakse (1936). Die Einstellungen der Zeitschriften ergaben sich zum größten Teil aus den politischen Veränderungen zwischen 1918 bis 1948, den schlechten wirtschaftlichen Bedingungen, aus mangelnder Fachkenntnis und durch eine geringe Abonnentenzahl. Nur einige Zeitschriften wie etwa die Právní Prakse, Veřejná Správa und die Samosprávný Obzor, machten genauere Angaben zu den jeweiligen Einstellungsgründen. Somit können bezüglich der anderen Zeitschriften nur Vermutungen angestellt werden. Nach der Schließung der tschechischen Hochschulen und der Begründung des Protektorats Böhmen und Mähren, veränderten sich die Umstände erheblich zu Ungunsten der tschechischen Wissenschaft und Forschung.1 Zudem wurden die Seminarbibliotheken den entsprechenden deutschen Instituten zur 1  Wilhelm von Weizsäcker, Die wissenschaftliche Arbeit an der Rechtsgeschichte der Böhmischen Länder – Einst und Jetzt, in: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum, Bd. 1, 1960, S. 30.

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3. Teil: Einstellung der tschechischen und deutschen Zeitschriften

Verwaltung übergeben. Im Verlauf des Krieges unterlag die schriftstellerische Betätigung immer größeren Einschränkungen. Einige tschechische Rechtswissenschaftler (Čada, Rauscher, Vaněček) setzten ihre Forschungstätigkeit fort, arbeiteten aber meist nur über Fragen des altböhmischen Rechts und über ältere Rechtsquellen.2 Nach 1938 versuchten einige Herausgeber die Einstellungen durch Zusammenlegung einzelner tschechischer juristischer Zeitschriften zu umgehen. Dazu erschien im Jahr 1939 im Právník der Aufsatz Slučování práv­ nických časopisů (Zusammenlegung der juristischen Zeitschriften)3. Darin hieß es zusammenfassend: „Die territoriale Verkleinerung unseres Staates und die Herabsenkung des Lebensstandards führten unvermeidlich zur Senkung der Abnehmerzahlen der tschechischen juristischen Zeitschriften, von denen einige auch von den Angehörigen der Minderheiten abgenommen wurden. Die Anzahl unserer tschechischen juristischen Zeitschriften ist relativ stattlich, so dass Anfang Dezember des vergangenen Jahres einige Herausgeber zu einer Informationsveranstaltung über die Bedingungen und Möglichkeiten einer Zusammenlegung der juristischen Zeitschriften zusammentrafen. Die spontane Zusammenlegung der auf der Veranstaltung vertretenen Zeitschriften fand aber unter den Anwesenden keinen Anklang. Zur Fortsetzung ihrer Zeitschriften entschieden sich die Herausgeber der Zeitschriften České Pravo (1919–1948) und Soudcovské Listy (1920–1943). Es läßt sich nicht überschauen welche Nachteile von einer Verkleinerung der Publikationsmöglichkeiten ausgehen werden und ob nicht die Gefahr der Einseitigkeit besteht, insbesondere in den kritischen Rubriken. Es ist bedauerlich, dass durch die Zusammenlegung Zeitschriften zerstört werden, die sich einen besonderen Stand in der Nationalkultur aufgebaut haben. Zudem ist es auch schwierig, zwei Zeitschriften zusammenzulegen, deren finan­ zielle Voraussetzungen ganz und gar verschieden sind. Daher ist es nicht empfehlenswert in der derzeitigen zerrütteten Situation ins andere Extrem zu verfallen.“ Insbesondere in der Kriegszeit machte die große Papierknappheit es notwendig, den Umfang der Zeitschrift zu beschränken oder sie ganz einzustellen. Wegen der ständig steigenden Kosten für Papier wurde es nach 1945 fast unmöglich, Neuauflagen der juristischen Zeitschriften herzustellen.

2  Weizsäcker, Die wissenschaftliche Arbeit an der Rechtsgeschichte der böhmischen Länder – Einst und Jetzt, in: Bohemia. Jahrbuch des Collegium Carolinum, Bd. 1, 1960, S. 30. 3  Právník, Bd. 78, 1939, S. 59.

Schlussbetrachtung Bei der Gesamtbetrachtung wird deutlich, dass die gesamte tschechische Kultur größtenteils auf deutschem Gedankengut aufgebaut war. So waren die Vorbilder der tschechischen Vordenker und Auslöser der tschechischen Wiedergeburt (Dobrovský, Palacký), die bedeutendsten deutschen Philosophen, nämlich Kant, Herder und Hegel. Sinnbildlich hierfür war, dass auch die erste tschechische juristische Zeitschrift, der Právník, von dem deutschen Adeligen Rudolf Thurn-Taxis herausgegeben wurde, der tschechischer war als die meisten tschechischen Nationalisten. Bei der Auswertung der ersten tschechischen juristischen Zeitschriften stellt man fest, dass sie oftmals zur Konstruktion eines tschechischen „Wirgefühls“ benutzt worden sind und die Herausgeber besonders darum bemüht waren, ein „ehrwürdiges Alter“ der tschechischen Kultur zu bezeugen. Insbesondere die Redaktion des Právník setzte große Anstrengungen daran, auf die historischen Rechte Böhmens aufmerksam zu machen. Alttschechische Schriften und Verträge wurden wiedergegeben1 und die Legendenbildung um einzelne Persönlichkeiten aus der tschechischen Geschichte gefördert. Damit wurde auf eine halb sagenhafte Vergangenheit zurückgegriffen, um die Wiederherstellung des tschechischen Rechtsstaates und die nationalen Bestrebungen Böhmens begründen zu können (Umgestaltung Österreichs in ein föderalistisches Staatengebilde). Die Zeitschrift spiegelte damit den vorherrschenden böhmischen Landespatriotismus wieder und rief dabei zur Rückbesinnung auf die stolze Vergangenheit der slawischen Völker auf2. Viele alte Handschriften und Werke alter Rechtswissenschaftler wurden hierzu herangezogen, vereinzelt auch über Gebühr gelobt oder gar gefälscht (Hanka), um somit eine ruhmreiche nationale Vergangenheit der Tschechen beweisen zu können. Es wurde somit zum Teil eine historische Vergangenheit konstruiert, die sich nach strengen historischen Kriterien nicht halten ließ, aber in das allgemeine Klima einer Mystifizierung des Slawismus, hineinpasste. Die ersten juristischen Zeitschriften waren folglich auch Plattformen einer literarischen Renaissance, die versuchte, an die „Goldene Zeit“ anzuschließen, um den nationalen Anspruch begründen zu können. 1  Wie z. B. der St. Wenzelsvertrag aus dem Jahr 1517, Auszüge aus den Neun Büchern des böhmischen Landesrecht aus dem Jahre 1508 von Viktorin Cornelius aus Všehrd. 2  Hoensch, Geschichte Böhmens, München 1987, S. 317.

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Schlussbetrachtung

Von den Deutschen wurde die tschechische Nationalbewegung und das sich auf ihre eigene Geschichte und Kultur besinnende tschechische Volk anfänglich nur belächelt und sie versuchten deren Ansprüche auf ein eigenständiges kulturelles und staatlichen Lebens bereits im Ansatz zu widerlegen. Sie weigerten sich, die tschechische Kultur als gleichrangig zu betrachten und empfanden sie als etwas völlig Widersinniges und jeder fortschrittlichen Entwicklung Feindliches.3 So bezeichneten sie das slawische Volk verächtlich als „Zunft neuentdeckter oder neuzuentdeckender Völker slawischen Stammes oder als neu- oder wiedergeborene Völker.“4 Das tschechische Ansinnen bezeichneten sie als „neues Modegeschrei“ nach eigner Nationalität.5 Das deutsch   /   tschechische Verhältnis war stets von der These der „deutschen Vaterschaft“6 geprägt. Schon Palacký erkannte in seinem Werk Dějiny národu českého v  Čechách a na Moravě (Die Geschichte der tschechischen Nation in Böhmen und Mähren)7, dass die tschechische Geschichte als „Geschichte des Übernehmens und Zurückweisens deutscher Art und Ordnung“ anzusehen ist. Ähnlich dazu äußerte Masaryk: „Unsere Denker schöpfen aus der deutschen Literatur. […] Unsere Erwecker fanden ihre philosophischen Grundlagen in der deutschen Philosophie. […] Trotz allem Enthusiasmus für die Russen und alle Slawen, trotz allem Widerstreit gegen die Deutschen, bleiben die Deutschen dennoch unsere tatsächlichen Lehrer.“8 Trotzdem muss hervorgehoben werden, dass die Tschechen, auch wenn sie ihre Inspiration grundsätzlich von den Deutschen übernommen hatten, doch in der Lage waren, ihre eigene Note mit einzubringen, sei es in der Politik und in der Kultur. Nach der Gründung der Tschechoslowakei galt für alle Lebensbereiche das allgemeine Motto „odrakouštění“ (Ent-Österreicherung). Auch im Rechtsleben versuchte man sich von den alten „aufgedrängten“ Gesetzen zu trennen oder sie den tschechischen Verhältnissen anzupassen, wozu die 3  Maria Lammich, Das deutsche Osteuropabild in der Zeit der Reichsgründung, Boppard am Rhein 1978, S. 20–21. 4  H. Rückert, Nordeuropäische Volksart und Volkspoesie, in: GB, Bd. 2, 1873, S. 443. 5  H. Rückert, Nordeuropäische Volksart und Volkspoesie, in: GB, Bd. 2, 1873, S. 441. 6  Křen, Die Konfliktgemeinschaft. Tschechen und Deutsche 1780–1918, München 1996, S. 48. 7  Hrsg. von Josef Kalousek, Bd. 1, Prag 1876, S. 12. 8  Tomáš G. Masaryk, Česká otázka: Snahy a tužby národního obrození (Die tschechische Frage: Bestrebungen und Sehnsüchte der nationalen Wiedergeburt), Prag 1969.



Schlussbetrachtung

313

Regierung eine Kommission zur Vereinheitlichung einberief. Diese Arbeiten wurden ausgiebig in den tschechischen juristischen Blättern diskutiert. Nach anfänglichen Bemühungen mussten sich die verantwortlichen Juristen eingestehen, dass die österreichischen Gesetze besser waren als die neuen Entwürfe, so dass man schließlich den Großteil der österreichischen Gesetze, bis auf wenige Änderungen, übernahm. Nach 1918 wurden die neu entstandenen tschechischen Einrichtungen, Gesetze usw. zum Ausgangspunkt der deutsch-tschechischen Auseinandersetzungen. Von nun an wurde auch von deutscher Seite um die Erstgeburt im Namen des politischen Prestiges gekämpft. Dies bedeutete lediglich eine Umkehrung der Vorzeichen in den generellen, nur nach einigen Umständen variierten Bahnen des Nationalitätenkampfes, den die neue tschechoslowakische Regierung trotz mancher Einsicht in die essentiellen Mängel einer solchen Politik nach dem österreichischen Beispiel nicht zu vermeiden wusste.9 Bereits nach zehn Jahren trat eine Ernüchterung ein und vielen tschechischen Juristen wurde bewusst, dass die österreichischen Gesetze auch durchaus ihre Vorzüge gehabt hatten, wie etwa das ABGB. Viele tschechische juristische Zeitschriften zogen nach diesen ersten zehn Jahren Bilanz und verarbeiteten ihre Ergebnisse in zahlreichen Aufsätzen. Für den tschechoslowakischen Staat kam nun erschwerend hinzu, dass er seine Unzulänglichkeiten nicht mehr auf Österreich abwälzen konnte. Obwohl sich die tschechoslowakische Regierung zu Anfangs noch um ein gutes Verhältnis zu den Deutschen bemühte, blieb doch auch in der Phase zwischen 1918–1938 das Prinzip der „Zweischneidigkeit“ bestehen. Der tschechoslowakischen Regierung gelang es durch ihre Sprachen- und Staatsangehörigkeitspolitik nicht, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen herzustellen und damit eine nationale Übereinstimmung zu erreichen. Dieses gespannte und facettenreiche Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen lässt sich im verkleinerten Maßstab in den juristischen Zeitschriften gut ablesen. Mit Bedauern stellt man bei der Auswertung der Zeitschriften abschließend fest, dass das Zusammenleben beider Nationen, gleich unter welchen Vorzeichen, auf politischer Ebene in der Epoche des Nationalismus nie richtig funktionierte. Im Gegenzug standen ihre Angehörigen – als Einzelmenschen – gar nicht in so einer verbissenen Feindschaft gegenüber, wie es den Anschein haben mag. So zeigt sich, dass auch zwischen den deutschen und tschechischen Juristen Kontakte menschlicher und wissenschaftlicher Natur bestanden, wie die Freundschaft zwischen Kelsen und Weyr bezeugt. Daneben gab es eine 9  Ferdinand Seibt, Einleitung. In: Die Teilung der Prager Universität 1882 und die intellektuelle Desintegration in den böhmischen Ländern, München 1984, S. 8.

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Schlussbetrachtung

Reihe anderer Autoren, die regelmäßig in deutschsprachigen und tschechischen Zeitschriften publizierten. Rückblickend wird deutlich, dass das Zusammenleben mit den Deutschen auch viele Erfolge und fruchtbaren Anregungen brachte, die zu großen kulturellen Leistungen der Tschechen führten, zu denen auch die tschechischen juristischen Zeitschriften zählen.

Quellen- und Literaturverzeichnis I. Quellen 1. Tschechische juristische Zeitschriften vor 1918 Právník (1861–1862, 1864 bis heute) Samosprávný Obzor (1879–1908) Sborník věd právních a státních (1901–1943, 1946–1948) Správní Obzor (1909–1919) 2. Tschechische juristische Zeitschriften nach 1918 Všehrd (1920–1941) České Právo (1919–1948) Soudcovské Listy (1920–1943) Česká Advokacie (1922–1938) Právní Prakse (1936–1948) Veřejná Správa (1931–1938) 3. Deutsche juristische Zeitschriften auf dem Gebiet der Tschechoslowakei Juristenzeitung für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1920–1938) Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung (1919–1942), ab 1943 Prager Archiv für Recht, Verwaltung und Wirtschaft (1943–1944) Prager Juristische Zeitschrift (1921–1938) Deutsches Anwaltsblatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik (1935– 1938) II. Sekundärliteratur Adamovich, Ludwig: Grundriss des Tschechoslowakischen Staatsrechtes, Wien 1929. Arndt, Veronika: Die Fahne von Saaz: Konrad Henlein in seiner Zeit, Magdeburg 1998.

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Stichwortverzeichnis ABGB  219, 313 Alttschechen  48, 56, 68, 88, 125, 129, 130, 151, 161 Alttschechische Partei  48, 161 Amtssprache  22, 80, 107, 109, 110, 114, 121, 127, 129, 131, 134, 137, 162, 229 Badenische Sprachenverordnungen  107, 135–139, 142 Böhmische Brüder  38 Böhmische Charte  34 Böhmisches Staatsrecht  33 Brünner Schule  72, 86, 208, 244 Čas  21, 22, 46, 58, 194, 196 Časopis Českého Musea  26, 31, 196 Časopis pro právní a státní vědu  184, 208, 244 Časopis pro vědu právní a státní  87 ČAVU  67, 68, 70, 71, 83, 158, 172, 174, 197, 201 Česká Advokacie  18, 93, 94, 192, 238, 265, 266, 309 Česká akademie  48, 67, 158, 170, 172 České Právo  18, 192, 238, 257, 258, 259, 260, 309 ČSR  169, 211, 212, 223, 225, 226, 235, 244, 251 Deutsches Anwaltsblatt für das Gebiet der Tschechoslowakischen Republik  19, 270 Dezemberverfassung  49, 52, 108, 121 Dualismus  45, 121, 184, 218 Ermächtigungsgesetze  289 Evangelische tschechische Brüdergemeinschaft  217

Februarpatent  37, 52, 114 Frankfurter Nationalversammlung  43 Freirechtslehre  183 Fundamentalartikel  48, 125, 127 Gautsche Sprachenverordnung  139 Gerichtssprache  107, 110, 113, 122, 127, 128, 134, 141 Gesellschaft des Böhmischen Museums  163 Goldene Zeit  23, 26, 152 Henlein-Bewegung  285 Historische Rechtsschule  29, 71, 151, 153, 154, 156, 182, 186 Hlahol  54, 161 Hlas  60 Hochschulermächtigungsgesetz  274, 289 Hussiten  46 Hussitismus  38, 39 Jednota  82–84, 85, 86, 87, 88, 90, 94, 150, 170, 179 Jungtschechen  56, 88, 108, 125, 129, 130, 151, 156, 161, 195 Jungtschechische Partei  48, 60, 101, 161 Juristentag  255, 289 Juristische Fakultät in Brünn  242 Kabinett Hohenwart-Schäffle  126 KČSN  66, 67 Kelsenschule  290 Komenský Universität in Pressburg  258 Kommission für slawische juridischpolitische Terminologie  75, 78



Stichwortverzeichnis

Königinhofer Handschriften  28, 41 Kremsierer Entwurf  36 Londoner Verfassung  236 Mährischer Ausgleich  140 Märzverfassung  36, 97, 112, 114, 116 Masaryk Universität  85, 86, 241, 243, 244 Matice Česká  41 Minderheiten  110, 145, 192, 212, 214, 226, 227, 230, 251, 275, 310 Minderheitenrecht  122, 212, 226, 251 Minderheitenschutzvertrag  223 Münchner Abkommen  18, 223, 224, 235, 237, 283 Museumszeitschrift  42 Národ  57, 59, 119 Národní Listy  28, 48, 56, 60, 101, 157, 162, 164, 165, 181, 196, 259 Národní Noviny  32 Nationalitätenfrage  36, 44, 65, 108, 140, 212 Nationaltheater  81, 165 Nationsbildung  20, 21, 22, 31, 49, 50, 63, 66, 144 Naturrecht  29, 44, 151, 153, 156, 182 Neoabsolutismus  37, 49, 66, 97 Normative Rechtsschule  71 Nürnberger Gesetze  255 Oberste Verwaltungsgericht  190, 222, 230, 231 Oktoberdiplom  17, 50, 51, 54, 112, 114, 115, 120, 148 Ottův slovník naučný  55, 73, 176 Panslavismus  45 Pillersdorf’sche Verfassung  35 Positivismus  71, 166 Prager Archiv für Gesetzgebung und Rechtsprechung  18, 222, 234, 270, 278, 309

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Prager Juristische Fakultät  83, 85, 87, 89, 160, 166, 201, 242, 245, 248, 279 Prager Juristische Zeitschrift  19, 284, 286, 287, 289, 290, 309 Právní Prakse  18, 192, 238, 265, 266, 267, 309 Právnická Jednota  69, 71, 81–87, 169, 170, 174, 179, 190, 201 Právník  17, 18, 29, 30, 40, 47, 56, 60, 66–72, 78–85, 91, 97, 98, 103–106, 110, 115–120, 124, 128, 134, 135, 139, 141, 142, 148–166, 169, 171–173, 175–191, 196, 201, 203, 207, 216, 217, 219, 221–223, 230–232, 237–241, 244, 245, 259, 267, 279, 310, 311 Pražské Noviny  163, 220 Pressefreiheit  35, 112 Pressegesetz  61, 63 Protektorat Böhmen und Mähren  224, 225, 234, 263, 279 Rechtsterminologie  16, 17, 48, 73, 74, 76, 79–81, 97, 98, 152, 163, 167, 176, 180 Rechtsvereinheitlichung  85, 217, 280 Regierung Taaffe  103, 128, 131, 135, 140 Reichsverwaltungsgericht  281 Samosprávný Obzor  18, 68, 98, 123, 131, 135, 137, 141, 142, 146, 148–150, 152, 192, 194–201, 206, 309 Sborník věd právních a státních  18, 30, 47, 67, 71, 84, 98, 148–150, 152, 156, 158, 166, 171, 172, 179, 182–186, 188, 189, 190, 201–205, 207, 214, 244, 259, 309 Schlacht am Weißen Berg  21, 40, 215 Selbstverwaltung  48, 51, 96, 111, 112, 122, 123, 153, 193, 196, 197, 199, 200, 202, 206, 209, 250, 257, 268 Silvesterpatent  37, 52 Slovník naučný  48, 59, 72, 164 Sokol  54

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Stichwortverzeichnis

Soudcovské Listy  18, 181, 192, 238, 260–265, 309, 310 Spolek Advokátů Československých v Praze  265 Spolek československých advokatů v Praze  81 Spolek českých advokatů v Praze  93 Spolek notářů československých  257 Sprachenfrage  37, 106, 108, 113, 125, 126, 128, 131, 133, 134, 140, 141, 171, 209, 221, 227, 229, 234, 235, 260, 271 Sprachengesetz  192, 229, 231, 232, 259, 270, 286 Sprachenrecht  73, 74, 113, 114, 120, 124–126, 128, 132–134, 136, 137, 140, 143–147, 229–235, 251, 259, 263, 286, 308 Správní Obzor  18, 148, 149, 172, 192, 206–210, 268 Staatsangehörigkeitsrecht  18, 223, 225 Staatsgrundgesetz  14, 95, 120–124, 128, 137, 144, 145, 193 Staatssprache  107, 228, 235 Steinherz-Affäre  285 Sudetendeutsches Anwaltsblatt  19, 302, 309 Sudetenland  224, 225, 305, 307 Svaz Československých Soudců  260, 262

Taaffe-Stremayrsche Sprachenverordnung  108, 129, 130, 134, 135, 137 Taxis-Affäre  156 Teilung der Prager Universität  64, 73, 84, 88, 96–98, 100–104, 106, 157, 174, 195, 313 Tschechisierung  63, 65, 100, 156, 161 Umělecká Beseda  55, 161 Unifizierung  217 Unterrichtssprache  103, 115, 126, 140, 143–145 Veřejná Správa  18, 192, 238, 267–269, 309 Verwaltungsgerichtshof  128, 135, 145, 147, 193 Věstník  238 Vormärz  51, 79 Všehrd  18, 29, 60, 63, 81, 82, 87–93, 103, 166, 172, 181, 182, 195, 229, 238, 241–257, 274, 308, 309, 311 Wenzelsbad-Versammlung  32, 112 Zákonovědec  162 Zensur  27, 35, 50, 60, 62, 261