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German Pages [525] Year 2014
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VERLAG KARL ALBER
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SCI E N T IA
RE L IG IO
Band 8
Herausgegeben von Markus Enders und Bernhard Uhde Wissenschaftlicher Beirat Peter Antes, Reinhold Bernhardt, Hermann Deuser, Burkhard Gladigow, Klaus Otte, Hubert Seiwert und Reiner Wimmer
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Markus Lersch
Triplex Analogia Versuch einer Grundlegung pluraler christlicher Religionsphilosophie
Verlag Karl Alber Freiburg / München
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Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei) Printed on acid-free paper Originalausgabe Alle Rechte vorbehalten – Printed in Germany © Verlag Karl Alber GmbH Freiburg / München 2009 www.verlag-alber.de Satz und Umschlaggestaltung: SatzWeise, Föhren Inhalt gesetzt in der Aldus und Gill Sans Druck und Bindung: AZ Druck und Datentechnik, Kempten ISBN 978-3-495-48371-8
(Print)
ISBN 978-3-495-86035-9 (E-Book) https://doi.org/10.5771/9783495860359 © Ver
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Meinen Eltern
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Vorwort
Die vorliegende Studie ist eine leicht überarbeitete Fassung meiner im Sommersemester 2008 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität angenommenen Dissertation mit dem Titel »Triplex Analogia – Plädoyer für eine plurale christliche Religionsphilosophie«. Die Studie stellt – ungeachtet ihrer eigentlichen Abfassung in den Jahren 2005 bis 2008 – die Frucht langjähriger Fragestellungen und Überlegungen dar, die bis in meine Jugendzeit zurückreichen, wenngleich erst das Studium der Katholischen Theologie in Bonn und Paris mir das nötige Instrumentarium zu ihrer Ausarbeitung geliefert haben, wofür ich Vielen Dank schulde. Im Besonderen möchte ich dem Betreuer der Dissertation, meinem chronologisch zweiten ›dogmatischen Lehrer‹, Prof. Dr. Michael Schulz, für die bereitwillige Annahme, die vielfältigen Anregungen und die ebenso tolerante wie engagierte und kompetente Begleitung danken. Ebenso danke ich meinem ersten ›dogmatischen Lehrer‹, Prof. Dr. Karl-Heinz Menke, für die Anteilnahme an dem Projekt, für die nicht minder zahlreichen Inspirationen in Vergangenheit und Gegenwart sowie für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herzlich gedankt sei auch den Herausgebern der Reihe Scientia&Religio, Herrn Prof. Dr. Dr. Markus Enders und Herrn Prof. Dr. Bernhard Uhde, für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit sowie Herrn Lukas Trabert und allen Mitarbeitern des Verlags Karl Alber für die kompetente Betreuung. Zu danken habe ich ferner der Studienstiftung des deutschen Volkes, die mir erneut durch ein großzügiges Stipendium ein weitgehend ungestörtes und konzentriertes Arbeiten ermöglicht hat, sowie dem Erzbistum Köln und dem Bistum Fulda für die großzügigen Druckkostenzuschüsse. Ein besonderer Dank gilt weiterhin Herrn Prof. Dr. Joachim R. Söder, meinem wichtigsten philosophischen Lehrer und Gesprächspartner, der die Arbeit intensiv begleitet hat. Wichtige Hinweise verdanke ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. Thomas Marschler. Danken A
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Vorwort
möchte ich schließlich Frau Dipl.-Theol. Michaela Moog für die Sisyphusarbeit des Korrekturlesens. Fulda, Pfingsten 2009
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Inhaltsverzeichnis
Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Ausgangspunkt: Christliche Religionsphilosophie als inneres Implikat des Glaubens – Notwendigkeit, Wesen und Grenzen philosophischer Glaubensverantwortung 1.1.1 Fides quaerens intellectum: Das Christusereignis als Anlass . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Fides quaerens intellectum: Philosophische Vermittlung als Implikat des Glaubens . . . . . . . 1.1.3 Fides quaerens intellectum: Philosophia christiana et religiosa . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zielsetzung: Die dreifache Analogie als Basisprinzip christlicher Religionsphilosophie – Versuch einer Grundlegung pluraler philosophischer Glaubensverantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Methode: Vergleich zweier religionsphilosophischer Paradigmen als Anweg zur systematischen Entfaltung der dreifachen Analogie – Glaubensverantwortung im Dialog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Erster Teil: ›Intuition statt Intention!‹ oder ›Gott jenseits der Begriffe?‹ – Ein religionsphilosophisches Paradigma der neueren Phänomenologie in Frankreich . . . . . . . . . . . . 2. Michel Henrys ›Lebensphänomenologie‹ . . . . . . . . 2.1 Denkansatz: Radikalisierte Phänomenologie . . 2.2 Ontologische Position: Die immanente Selbsterfahrung des ›Lebens‹ als ›Fleisch‹ . . . . . . . . . . . 2.2.1 Der eigentliche Ort aller Erscheinung: Impressionalität und ›Leben‹ . . . . . . . . 2.2.2 Der Ort des ›Lebens‹ und sein Verhältnis zur Exteriorität: ›Fleisch‹ und ›Welt‹ . . . . . . .
14 17 26
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2.2.3 Die ›Geburt‹ als Selbsterfahrung des ›Lebens‹ : ›Inkarnation‹ des Menschen . . . . . . . . . . . Philosophische Gottesvorstellung: Das ›absolute Leben‹ und die ›Inkarnation‹ des Logos . . . . . . . . Erkenntnistheoretische Position: ›Gegenreduktion‹ des ›Welt-‹ zum ›Lebenserscheinen‹ . . . . . . . . . . . . Freiheitstheoretische Position: Autoaffektion des ›Lebens‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Christlicher Monismus? . . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 2.4 2.5 2.6 2.7
3. Emmanuel Levinas’ ›Alteritätsphänomenologie‹ . . . . . . . 3.1 Denkansatz: Humanismus als ›Entneutralisierung‹ des Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Ontologische Position: ›An-archisches Sprechen‹ der Alterität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Philosophische Gottesvorstellung: Die ›Illeität‹ . . . . 3.4 Erkenntnistheoretische Position: Reduktion zur reinen Empfängnis des Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Freiheitstheoretische Position: Freiheit als Verantwortung und ›Geiselhaft‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Kriterienloser Glaube? . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Weitere Vertreter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Jean-Louis Chrétiens ›Phänomenologie des Gebets‹ 4.2 Jean-Yves Lacostes ›Phänomenologie der Liturgie‹ 4.3 Jean-Luc Marions ›Phänomenologie der Gabe‹ . .
. . . .
. . . .
103 109 120 122 134 137 151 157 171 181 194 198 203 206 218 219 221 223
Zweiter Teil: ›Letztbegründung!‹ oder ›Gott im Begriff?‹ – Ein religionsphilosophisches Paradigma der zeitgenössischen katholischen Systematik in Deutschland . . . . . . . . . . . . 227 5. Thomas Pröppers ›Transzendentale Freiheitsanalytik‹ . . . . 230 5.1 Denkansatz: Notwendige Dialektik bzw. ›Ellipse‹ von Glauben und Freiheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . 235
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5.2 Ontologische Position: Selbstwahl der Freiheit als Aufgabe und universales Kriterium . . . . . . . . . . 5.3 Erkenntnistheoretische Position: Der hermeneutische Zirkel und die ›Denkform‹ . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Freiheitstheoretische Position: Transzendentalreduktive Freiheitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Philosophische Gottesvorstellung: Gott als vollkommene und befreiende Freiheit . . . . . . . . . 5.6 Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Gibt es die christliche Denkform? . . . . . . . . . . . 6. Hansjürgen Verweyens ›Unhintergehbare Transzendentaldeduktion‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Denkansatz: Offenbarung als Antwort . . . . . . . . . 6.2 Ontologische Position: Vom ›Staunen‹ zur transzendentallogischen Einklammerung . . . . . . . . . . . . 6.3 Erkenntnistheoretische Position: Der unhintergehbare Begriff letztgültigen Sinns . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Schritt 1: Die paradoxe Elementarstruktur der Vernunft und die Sinnfrage (GLW 6.1 f.) . . . . 6.3.2 Schritt 2: Der Sinnbegriff und seine Implikate (GLW 6.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Schritt 3: Die geschichtliche Evidenz letztgültigen Sinns als ›Offenbarung‹ (GLW Kap. 7) 6.4 Philosophische Gottesvorstellung: ›Unbedingtes Wartenkönnen‹ und ›radikalster Ikonoklasmus‹ . . . . 6.5 Freiheitstheoretische Position: ›Reale Freiheit‹ als Transparenz für Gott und den Anderen . . . . . . . . 6.6 Kurzzusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . 6.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Ein unhintergehbarer Glaubensbegriff? . . . . . . . .
257 266 270 277 283 287 296 300 320 325 327 333 344 349 357 361 364
Dritter Teil: ›Triplex Analogia!‹ oder ›Gott in Begriffen und doch über sie hinaus‹ – Die dreifache Analogie als Basisprinzip pluraler christlicher Religionsphilosophie . . . . . . . . . . . 377 7. Vorarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 7.1 Zwei konträre Paradigmen: Zuspitzende Rekapitulation 381
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7.2 Der Begriff der ›Analogie‹ : Eine abgrenzende Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 8. Triplex Analogia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Analogia entis: Die Wirklichkeit als Relationsgefüge gemäß dem ens/relatum . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Philosophische Herleitung und Formulierung . 8.1.3 Theologische Annotation . . . . . . . . . . . . 8.2 Analogia veritatis: Die Wirklichkeit als Relationsgefüge gemäß dem verum . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Philosophische Herleitung und Formulierung Exkurs: ›Tertium non datur‹ in praedicatione? Gedanken zur scheinbaren Unvereinbarkeit von Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus . 8.2.3 Theologische Annotation . . . . . . . . . . . . 8.3 Analogia libertatis: Die Wirklichkeit als Relationsgefüge gemäß dem liberum . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Philosophische Herleitung und Formulierung . 8.3.3 Theologische Annotation . . . . . . . . . . . .
417 423 424 427 436 438 439 442 454 466 468 468 470 477
Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483
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1. Einleitung
Jedem Anfang wohnt nicht nur ›ein Zauber inne‹ – wie Hermann Hesse in seinem Gedicht Stufen suggeriert –, sondern es heißt zu Recht auch ›Aller Anfang ist schwer‹ – wie schon der Volksmund weiß. Diese Schwierigkeit steigert sich proportional mit der Komplexität des zu Beginnenden und der Dauer seiner Vorbereitung. Dennoch kann, wer sich äußern möchte, nicht nicht anfangen. So sollen die folgenden Ausführungen beginnen mit einer dreiteiligen Einleitung, die Ausgangspunkt (1.1), Zielsetzung (1.2) und Methode (1.3) der vorliegenden Studie präsentieren, so dass der Leser gleich einen ersten Überblick erhält und ein Urteil über das Lohnen der weiteren Lektüre zu treffen vermag. Wo dieses Urteil positiv ausfällt, mag dann in der Tat die Rede vom ›Zauber‹ gerechtfertigt sein.
1.1 Ausgangspunkt: Christliche Religionsphilosophie als inneres Implikat des Glaubens – Notwendigkeit, Wesen und Grenzen philosophischer Glaubensverantwortung »[D]ocet Spiritus sanctus prudentem […], ubi debet incipere: quia a medio, quod est Christus; quod medium si negligatur, nihil habetur«. 1 (Bonaventura)
Der Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit soll im Folgenden anhand der einzelnen Bestandteile des berühmten anselmschen Mottos der ›fides quaerens intellectum‹ in drei Schritten dargestellt werden, nämlich im Hinblick auf den Glauben als initium im engeren Sinne Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron sive illuminatione ecclesiae, I, 1 (V, 329); vgl. die gesamte erste »Collatio« über Christus als »omnium scientiarum medium«: ebd., 329–335. Zur Zitationsweise: Im Allgemeinen wird mit Kurztiteln operiert, die durch Kursivsetzung im Literaturverzeichnis hervorgehoben sind; häufig verwendete Literatur wird anhand eines ebendort aufgeschlüsselten Siglensystems zitiert. Alle Hervorhebungen stammen – soweit nicht eigens markiert – vom jeweiligen Autor, alle Übersetzungen, Ergänzungen in eckigen Klammern und die behutsame Angleichung der Hervorhebungs- und Zitationsweise vom Vf.
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Einleitung
(1.1.1), auf die aus ihm heraus geforderte Suche nach philosophischer Rechenschaft (1.1.2) sowie auf deren Medium, die menschliche Vernunft (1.1.3). 1.1.1 Fides quaerens intellectum: Das Christusereignis als Anlass Diese Studie behandelt die ›Christliche Religionsphilosophie‹, beschreibt zwei Paradigmen ihrer Umsetzung und möchte aufbauend darauf eine dreifache Analogie als ihr inneres Basisprinzip (s. u.) herausarbeiten. Folglich behandelt sie sowohl theologische als auch philosophische Fragen, sie fragt nach dem Verhältnis von Glauben und Denken, von Theologie und Philosophie. Trotz dieser Zweipoligkeit ihres Themas ist sie jedoch eine theologische, findet sie ihren Ausgang und ihre bleibende Bestimmung in der Theologie. Alle christliche Theologie hat aber – mit dem im guten Sinne ›konservativen‹ Bonaventura gesprochen – ihre Mitte und ihren Ausgang in Jesus Christus, durch den der dreifaltige Gott sich »ein für alle Mal« (¥f€pax: Hebr 7,27 u. ö.) den Menschen geoffenbart, d. h. sich selbst als er selbst mitgeteilt hat. So ist das Morphem ›Theo‹ hier in erster Linie als genitivus subiectivus zu verstehen, Theologie also als Rede Gottes zu den Menschen. Diese Rede erstreckt sich durch die ganze Heilsgeschichte hindurch bis zu ihrem Kulminationspunkt im fleischgewordenen Wort Gottes, Jesus Christus. Die göttliche Aufforderung zu hören reicht vom »la9t·V7j3 pm4U7« (Dtn 6,4 u. ö.) des Alten bis zum »¡ ˛cwn ta ⁄koufftw« (Mt 11,15 u. ö.) des Neuen Bundes und verlangt nach dem Bekenntnis als Hörer, nach einem fundamentalen »s’avouer auditeur« (P. Ricœur). 2 Dieser (im weiteren wie engeren Wortsinne) verbalen Initiative Gottes gegenüber kann der Mensch also zunächst nur aufmerksam und andächtig Lauschender sein, kann seine menschliche Theologie (im objektiven Genitiv!) zunächst nur theologia positiva, nur demütige Hörerin des Wortes (Karl Rahner) in der Schrift und der sie auslegenden Tradition sein, 3 oder – um ein anderes Bild menschlichen Erkennens aufzugreifen – die Anschauung oder Betrachtung der Herrlichkeitsgestalt Jesu Christi (Hans Urs v. Balthasar) in seinem »Corpus triforme«. 4 Erst in einem abge2 3 4
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Ricœur, Nommer Dieu, 37 (vgl. ders., Gott nennen, 45). HDW 20. H I 508. Der große schweizerische Theologe unterscheidet hier den »physische[n]
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leiteten Sinn und in bleibender Abhängigkeit von diesem auditus fidei ist menschliche Theologie dann auch intellectus fidei, spekulativkonstruierende Wissenschaft, indem sie das Verständnis des geoffenbarten Wortes bzw. die Betrachtung seiner Gestalt vertieft und es in seiner unübertrefflichen Relevanz für Mensch und Schöpfung erschließt. 5 Von hierher versteht sich, dass die vorliegende theologische Untersuchung über ›Christliche Religionsphilosophie‹ ihren Ausgangspunkt bewusst in der Offenbarung setzt, im Glauben der Kirche, im Dogma. So muss eingangs die grundlegende Differenz zwischen Glauben und (Religions-) Philosophie konstatiert werden. Glaube ist, was seine menschliche und erst recht was seine göttliche Seite anbetrifft (die hier synergistisch zusammenkommen), nicht ›andemonstrierbar‹, also nicht apodiktisch und unter Ausschluss denkmöglicher Alternativen beweisbar, 6 sondern vielmehr ein ganzheitlicher Akt des Menschen im Sinne einer freien, fundamentalen GrundentscheiLeib« Jesu Christi, d. h. den uns realsymbolisch durch die Eucharistie zugänglichen irdisch-menschlichen Leib, den »Schriftleib« in beiden Testamenten und den »Kirchenleib« im Sinne des corpus Christi mysticum neuzeitlichen Verständnisses. 5 Zum Gedanken der zwei Formen von Theologie vgl. neben HDW 20 (s. Anm. 3) auch AE 304; G. L. Müller, Katholische Dogmatik, 15–19. J. Ratzinger (Theologische Prinzipienlehre, 337) führt diese Unterscheidung über Bonaventura und Pseudo-Dionysius auf die aristotelische Unterscheidung von qeologffla und qeologikffi zurück. Der Gedanke der (menschlichen) Theologie als einer untergeordneten Wissenschaft, einer scientia subalternata gegenüber der scientia Dei et beatorum als ihrem Formalobjekt stammt bekanntlich von Thomas von Aquin, vgl. STh I q. 1 a. 2 c. 6 Dennoch ist es eine der grundlegenden Thesen dieser Arbeit, dass der christliche Glaube sich sehr wohl der ausreichend umkehrbereiten (vgl. Anm. 7) Vernunft als die ihr je konvenientere und wahrscheinlichere Lösung alles philosophischen Fragens erwiesen werden kann, sei es positiv konstruierend, begründet etwa auf dem Rücken von Newmans Zustimmungslehre mit ihren konvergierenden Wahrscheinlichkeiten oder im Rahmen der von O. J. Wiertz vorgeschlagenen ›kohärentiellen kumulativen Methode‹ (vgl. Wiertz, Begründeter Glaube?, 285–443, bes. 372–391), sei es in einem indirektapagogisch evidenzierenden Verfahren (zu dieser an V. Hösle angelehnten Beweisform vgl. M. Schulz, Sein und Trinität, 144; ders., Aspekte des Wahrheitsverständnisses in der Systematik katholischer Theologie, 146 f.). Allerdings wird der Erweis der je größeren Plausibilität und Konvenienz des Glaubens – so sind sich die genannten Autoren einig – nie unter Ausschluss des kreatürlichen Freiheitsraumes, d. h. denkmöglicher Alternativen zu leisten sein, also durchaus »mit [sehr] guten Gründen, aber ohne zwingende Argumente« (Werbick, Den Glauben verantworten, 877). Wiertz schlägt in diesem Kontext in Anlehnung an R. Prevost die Kategorie des »informal reasoning« vor als Erinnerung daran, dass Rationalität nicht deckungsgleich mit denknotwendiger Apodiktizität ist (Begründeter Glaube?, 377–383). Insgesamt wird hier der thomanische Gedanke des Konvenienzbeweises zugrunde gelegt. Zum Ganzen vgl. unten, v. a. Kap. 8.2. A
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Einleitung
dung, die stets auch das Moment der Umkehr umfasst. 7 Glauben heißt gleichzeitig Lieben, mitsamt der darin notwendig implizierten Freiheit, so dass der Glaubensinhalt einer – etwa gegenüber einer mathesis universalis – »gesteigerten Notwendigkeit der Liebe« (M. Schulz) folgt, 8 deren potentiell aber durchaus gleichwertige Gewissheit sich erst einem höheren, freien Liebeseinsatz verdankt. 9 Vor diesem Hintergrund ist wohl auch die lehramtliche Position zu verstehen, dass die Vernunft »auf dem Höhepunkt ihrer Suche das, was der Glaube vorlegt, als notwendig zu[gibt]«, wie die in diesem Zusammenhang als wichtigste Referenz zu betrachtende Enzyklika Fides et Ratio Papst Johannes Pauls II. von 1998 konstatiert. 10 Trotz dieser grundsätzlichen Differenz fußt die vorliegende Untersuchung aber auf der Voraussetzung – die auch die gesamte Enzyklika durchzieht –, dass der christliche Glaube eine philosophische Vermittlung aus sich selbst heraus fordert, dass also die Möglichkeit, ja sogar die Notwendigkeit eines solchen philosophischen Unternehmens als Implikat des Dogmas selbst zu betrachten ist. ›Ausgang vom Dogma‹ besagt ferner, dass dem Glauben der Kirche der kriterielle Rahmen (etwa im Hinblick auf Mindestanforderungen und Grenzen) christlicher Religionsphilosophie zu entnehmen ist (vgl. nn. 66 f.). 11 7 Vgl. Ratzinger, Einführung ins Christentum, 44 f. bzw. 64. J. Werbick hebt den Umkehraspekt des Glaubens sehr deutlich hervor durch seine an Fr. Stier angelehnte Übersetzung von Röm 12,2 (»Laßt Euch umgestalten aus der Neuheit des Denkens«) und die daraus abgeleitete Glaubensdefinition als »Sich der Führung des Sich-Gebenden überlassen« (Umkehren?, 115 bzw. 118). 8 M. Schulz, Aspekte des Wahrheitsverständnisses in der Systematik katholischer Theologie, 129. Schulz hebt hier ebf. hervor, dass gerade diese ›Liebesnotwendigkeit‹ die theologische Systematik in die Schranken der Konvenienzargumentation zwinge und so sozusagen deren »Unschärferelation« ausmache. Vgl. hierzu auch ders., Wenn das Salz des Evangeliums »dumm« geworden ist, 48: »Offenbarung als Selbstmitteilung ist das dem Menschen Nötigste; allein […] schon allgemein gilt: Das Entscheidende im Leben ist Geschenk; etwas Entscheidendes wie wahre Liebe ist nur als freies Ereignis denkbar«. 9 Vgl. HDW 132 f. 10 FR n. 42. Von hier ab in der gesamten Einleitung nur noch durch Nummernangabe im Text zitiert. 11 Wegen dieses Ausgangsortes handelt es sich bei vorliegender Studie eher um eine dogmatische als um eine fundamentaltheologische Arbeit, hat die Dogmatik klassischerweise doch stets das eher philosophische Traktat De Deo Uno an den Anfang ihrer Überlegungen gestellt, ohne dabei freilich völlig von ihren genuinen Quellen zu abstrahieren, d. h. von der (nicht ausschließlich, aber dennoch auch) informierenden Offenbarung abzusehen, ist diese doch selbst der Ausgangspunkt ihrer philosophischen Vermittlung. Hier sei nur auf den Aufbau der Prima Pars der STh verwiesen, v. a. die quaestiones 2–
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Ausgangspunkt
In den wenigen voran stehenden Zeilen ist nun schon mehr vorausgesetzt und angerissen als ausgesagt. Das Ausgangsaxiom, dass christliche Religionsphilosophie durch den Glauben gefordert und kriteriell reguliert ist, bedarf näherer Erörterung. Es stellen sich zwei Fragen: ›Was ist hier unter Religionsphilosophie zu verstehen und wie kann sie christlich sein?‹ (1.1.3) und ›Wie ist diese christliche Religionsphilosophie durch das Dogma bestimmt und warum notwendig in ihm impliziert?‹ (1.1.2). Der angegebenen allgemeinen Argumentationsrichtung gemäß müssen diese Fragen in umgekehrter Reihenfolge, also von der Offenbarung, von Christus her beantwortet werden. 1.1.2 Fides quaerens intellectum: Philosophische Vermittlung als Implikat des Glaubens Warum fordert christlicher Glaube um der eigenen Konsistenz willen eine religionsphilosophische Vermittlung und welche Kriterien liefert er für sie? Mangels einer erst im Folgenden und zwar ebenfalls aus der Offenbarung selbst heraus zu eruierenden Definition von christlicher Religionsphilosophie soll die besagte Verwiesenheit des Glaubens zunächst unpräzise als eine solche auf Philosophie bezeichnet werden, oder eben – mit dem Titel der Enzyklika – von fides auf ratio, von Glaube auf Vernunft. 12 26, und den dortigen Umgang mit Autoritätsargumenten, die den Ausgang vom Offenbarungswort markieren; vgl. hierzu G. L. Müller, Hebt das Sola-fide-Prinzip die Möglichkeit einer natürlichen Theologie auf?, 70; Jorissen, Zur Stuktur des Traktates »De Deo« in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin. Thomas selbst expliziert diesen weisheitlichen Charakter seiner Ausführungen gleich zu Beginn in STh I q. 1 a. 6, v. a. ad 1: »[S]acra doctrina non supponit sua principia ab aliqua scientia humana: sed a scientia divina, a qua, sicut a summa sapientia, omnis nostra cognitio ordinatur«. Es geht also in dieser Arbeit weniger um die konkret durchgeführte Glaubensrechenschaft nach außen hin (das wäre Fundamentaltheologie) als um deren Grundlagen, und damit auch um ihre ›principia a scientia divina‹. 12 Wörtlich übersetzt müsste – entgegen der offiziellen deutschen Übersetzung – von Glaube und Verstand die Rede sein. Allerdings scheint der Terminus Vernunft – im Lateinischen intellectus – die gemeinte Sache in der Tat besser auszudrücken, zielt er doch traditioneller Weise (das ist wohl bei aller inhaltlichen Differenz der Definitionen seit Kant unbestritten) auf ein gegenüber dem Verstand übergeordnetes Vermögen ab, auf die höchste Instanz menschlicher Erkenntnis, die dem diskursiven Denken (Verstand) voraus liegt und sich zu ihm verhalten kann, wenngleich die Aktuierung dieses Verhaltens natürlich wiederum nur im diskursiven Bereich, also im Verstand selbst, A
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Einleitung
Der christliche Glaube ist auf die Vernunft des Menschen und die Philosophie als ihre adäquate, verstandesmäßige Betätigungsform zunächst schlicht deshalb angewiesen, weil es ein menschlicher Glaube ist. Christlicher Glaube erfasst alle Dimensionen des Menschen, so eben auch Vernunft und Verstand als integrale Bestandteile des menschlichen Individuums und Möglichkeitsbedingungen menschlicher Intersubjektivität (vgl. n. 13 u. ö.). So ist er als Verstandesgegenstand immer schon diesem gemäß, d. h. (wenigstens auch) intentional und propositional. Der christliche Glauben visiert ein intentum an, einen Verstandesgehalt, der begrifflich repräsentierbar und artikulierbar ist. Es besteht also zunächst einmal selbstverständlich eine epistemologische Verwiesenheit des Glaubens auf die Philosophie, bedarf seine Artikulation (›infra-‹ wie ›interrational‹) doch repräsentierender sprachlicher Zeichen, deren Bedeutung nur philosophisch, d. h. durch das menschliche Denken zu explizieren ist (vgl. etwa n. 65). Ein Glaube, der nicht wenigstens ansatzweise propositional und prädikativ repräsentierbar ist, widerspricht der Vernunftnatur des Menschen, kann also nicht christlicher Glaube sein, da dieser neben seiner unleugbaren symbolischen und geheimnishaft-transbegrifflichen Dimensionen wesentlich auch aus begrifflich artikulierter und vermittelbarer, eben logoshafter traditio 13 besteht. Diese eigentliche banale erkenntnistheoretische Angewiesenheit auf Philosophie, die noch ganz im Rahmen des sogenannten ancilla-Modells verharrt (vgl. n. 77), ist aber sozusagen nur die ›Spitze des Eisberges‹, das unmittelbar ersichtliche Randphänomen eines wesentlich tiefer liegenden Sachverhaltes: Der christliche Glaube ist we-
möglich ist. So erscheint es als nicht abwegig mit der – von W. Welsch (vgl. Unsere postmoderne Moderne, 295–318) in der Postmodernedebatte vertretenen – Unterscheidung der ›einen Vernunft‹ und der ›vielen Rationalitäten‹ zu operieren, behandelt die Enzyklika die legitime Vielfalt der Rationalitätsformen doch unter dem Aspekt der Einheit der einen Wahrheit und der an ihr partizipierenden einen menschlichen Vernunft (vgl. FR n. 4 und die dort angebrachte Unterscheidung der einzelnen philosophischen Strömungen und Systeme von dem philosophischen Denken als solchen, das sich der »eine[n] ›richtige[n] Vernunft‹ verdankt). Vgl. zum Ganzen auch Habermas, Die Einheit der Vernunft in der Vielfalt ihrer Stimmen. 13 Hier ist durchaus an das weite, vierfache Verständnis dieses Begriffes »als inhaltliche Mitte von Offenbarung und Glaube« gedacht, das H. Verweyen entwickelt hat (vgl. GLW 51–56); vgl. auch Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, 33. Zum verweyenschen Begriff der traditio s. 6.1.
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sentlich von der Wahrung des Zusammenhangs von kreatürlicher und göttlicher Wirklichkeit geprägt, er verbindet beide Wirklichkeiten, ohne sie monistisch zu identifizieren oder dialektisch auseinanderzudividieren. Der Glaube vollzieht dieses Zusammenhalten der beiden unterschiedenen und doch nicht völlig getrennten oder trennbaren Wirklichkeiten nach eigenem Selbstverständnis als ›göttlicher Tugend‹ sozusagen ›von oben‹, vom Theologalen her, fordert aber gleichzeitig auch den Nachvollzug des Bandes ›von unten‹, von der kreatürlicher Seite her. Einen Nachvollzug, der seine Spitze in jener bewussten kreatürlichen Besinnung auf den Sinn der Wirklichkeit findet, die den Namen ›Philosophie‹ trägt. Diese in der Geschichte des Christentums keineswegs selbstverständliche, sondern mühsam errungene ›Herausforderung‹ zu philosophischem Nachvollzug des Geglaubten geht so weit, dass sich Philosophie gar als inneres Implikat des Glaubens erweist. Der Glaube erfordert um der eigenen Konsistenz willen und aus sich selbst heraus das philosophische Unternehmen, wie im Folgenden anhand einer dreifachen Argumentation schöpfungs-, offenbarungs- und gnadentheologisch aufgezeigt werden soll. In diesem dreigliedrigen theologischen Bezugs- und auch Reglementierungsrahmen der Philosophie zeigt sich erstmalig das zentrale systematische Ordnungsschema, das sich durch alle Teile dieser Arbeit ziehen wird. (vgl. dazu 1.3). Die grundlegende Aussage des christlichen Glaubens und seines zentralen Zeugnisses, der Hl. Schrift, über das Verhältnis von Gott und Schöpfung als schöpfungstheologischer Bezugsrahmen der Philosophie besagt, dass der dreifaltige Gott nicht allein der exklusive anfängliche Urheber und bleibende Erhalter 14 alles Seienden in seiner naturhaften Vollkommenheit ist (vgl. etwa die Schöpfungsberichte), sondern in seiner Weisheit (vgl. Weish 7,22–8,1 u. ö.) bzw. in Christo 15 (vgl. Kol 1,16) sozusagen auch der Schöpfungsplan und Garant der Ordnung des Kosmos. Diese fundamentale Seins- oder Schöpfungsoffenbarung folgt nicht aus einer womöglich hypertrophen Deduktion gemäß dem scholastischen Axiom ›omne agens agit sibi simile‹, sondern unmittelbar aus dem radikalen Dualismusverbot der Bibel selbst. Sie ist als eine inchoative Weise der Selbstmitteilung zu 14 Thomas von Aquin, De potentia, q. 5 a. 1 ad 2: »Deus non alia operatione producit res in esse et eas in esse conservat«. 15 Vgl. hierzu auch Anm. 23.
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verstehen, 16 als die spurhafte 17 Präsenz des Schöpfers in der Schöpfung, die so zum »Gleichnis Gottes« 18 wird: Biblische Referenzstellen einer solchen natürlichen Theologie sind natürlich v. a. Weish 13,5 und Röm 1,20; zu ergänzen wären etwa – neben den entsprechenden Aufforderungen in 1 Petr 3,15 und Tit 1,9 – Ps 8, Ijob 36,25 und Apg 14,17 bzw. 17,23. 19 Allein muss hier gleich die Einschränkung gemacht werden, dass es jener natürlichen Gottesrede (wiederum im doppelten Sinne des Redens Gottes vermittels der Schöpfung zum Menschen wie des Menschen vermittels der Schöpfung über Gott) an Eindeutigkeit gebricht, dass sie eine indirekte Weise der Kommunikation darstellt, die in weitaus stärkerem Maße als personal-menschliche Kommunikation (etwa in der eigentlichen Offenbarungsgeschichte) ambivalent und uneindeutig bleibt, sodass hier – wie Thomas von Aquin lehrt – auch nur eine indirekte Weise des Rückschlusses auf Gott aus seinen Wirkungen möglich ist. 20 Allerdings mit ihm als gewiss zu konstatieren, dass hier Gottes Existenz, nicht aber sein Wesen erkennbar seien, 21 erscheint erkenntnistheoretisch wie theologisch als problematisch. Erkenntnistheoretisch, weil die Existenzaussage ohne wenigstens rudimentäre essentielle Präzisierung letztlich ihr Objekt verliert (was wohl die Identifikation des Quod omnes dicunt verunmöglicht), 22 und der firme Ausschluss Vgl. M. Schulz, Sein und Trinität, 865. Was hier ›spurhaft‹ im Verhältnis zur eher schwachen levinasschen Kategorie der ›trace‹ (vgl. Kap. 3.3) meint, wird späterer Gegenstand der Untersuchung sein. 18 Vgl. G. Siewerths – im Titel an eine Formulierung an Thomas v. Aquin angelehntes (vgl. De veritate, q. 22 a. 2 ad 2) – einflussreiches Opusculum Das Sein als Gleichnis Gottes und seine entsprechenden Ausführungen bspw. in Das Schicksal der Metaphysik von Thomas von Aquin zu Heidegger oder in Der Thomismus als Identitätssystem. Zur Wirkungsgeschichte Siewerths auf das Denken etwa F. Ulrichs und vor allem v. Balthasars vgl. den sehr ergiebigen Tagungsband M. Schulz (Hg.), Das Sein als Gleichnis Gottes. 19 Zur biblischen Grundlegung natürlicher Theologie vgl. etwa G. L. Müller, Hebt das Sola-fide-Prinzip die Möglichkeit einer natürlichen Theologie auf?, 79–81. 20 Vgl. etwa Elders, Die Metaphysik des Thomas von Aquin in historischer Perspektive, I, 26 f. Letzten Endes sind alle fünf Wege auf diese cognitio ex effectu zurückzuführen, fußen doch – neben den explizit die Wirkursächlichkeit thematisierenden ersten drei Wegen – auch die Wege über Seinshierarchie (4) bzw. die Finalität (5) des Geschaffenen auf einer Betrachtung der Schöpfung als einer Wirkung Gottes. 21 Vgl. etwa Thomas von Aquin, Super Romanos, c. 1 lect. 6; ders., Super De divinis nominibus, c. 7 lect. 4; vgl. G. L. Müller, Hebt das Sola-fide-Prinzip die Möglichkeit einer natürlichen Theologie auf?, 80. 22 G. L. Müller macht in seinem Aufsatz Hebt das Sola-fide-Prinzip die Möglichkeit einer natürlichen Theologie auf? zu Recht darauf aufmerksam, dass Thomas hier zwi16 17
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jeglicher Wesenserkenntnis die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten (im Sinne des hegelschen Aufweises der Aporie absoluter Grenzsetzungen) übersteigt; theologisch aber, weil um der Konsistenz der Offenbarung willen die sachliche Übereinstimmung der ökonomischen Wirkungen Gottes mit seinen immanenten Relationen postuliert werden muss, sodass Gottes Schöpfungsakt seinem Wesen entsprechen, und das Ergebnis seines Schaffens innere Züge dieses Wesens aufweisen muss. 23 Der kategorische Ausschluss einer inchoativen, d. h. durchaus völlig uneindeutigen, ambivalenten und unvollkommenen Selbst- und damit auch Wesensmitteilung des Schöpfers durch die Schöpfung wäre allein von einem dem Geschöpf unangemessenen Metastandpunkt aus möglich. Weiterhin wäre es nicht minder vermessen, dem Menschen die Fähigkeit zuzugestehen, die Schöpfungssignatur durch seine Sünde aufheben zu können: Dies würde einen latenten Dualismus zur Folge haben und den Menschen zum gleichrangigen Prinzip neben Gott stellen. Mit v. Balthasar: »Die Sünde […] kann nicht Gott gleich sein. Sie kann nicht nicht Geschöpf sein. Das ungehorsame Kind, das den Vater verleugnet, kann nicht bewirken, daß dieser Vater nicht mehr sein Vater ist«. 24 Diese Zusammenhänge werden ausführlich im Kontext der analogia entis (vgl. v. a. Kap. 8.1) erläutert werden, hier reicht festzuhalten, dass die Offenbarung eine Schöpfungsoffenbarung impliziert, die eine natürliche Theologie, ein menschlich-philosophisches Andenken Gottes anhand der – im thomanischen Sinne – als actualitas zu verstehenden Wirklichkeit ermöglicht und fordert. Der Begriff ›Andenschen der bloßen Frage »quia est« und der Frage nach dem »propter quid« (als Deduktionsfundament) differenziert (85); vgl. hierzu auch Heinzmann, Thomas von Aquin, 58 f.; McInerny, The logic of analogy, 154 f. Allein bleibt fragwürdig, inwieweit nicht erst die Letztere, aus dem Grund zu erfassen suchende, sondern schon die ›nackte‹ Seinsfrage logisch ohne ein irgendwie essentiell qualifiziertes Subjekt des Prädikats ›seiend‹ überhaupt zu beantworten ist. 23 Hier könnte daher – angesichts der geoffenbarten Schöpfungsmittlerschaft Jesu Christi (vgl. etwa Eph 2,10; 3,11; Kol 1,16; Hebr 1,2) – in analoger und jegliche (ob nun panentheistische oder pantheistische) monistische ›Verspannung‹ von Gott und Welt vermeidender Weise – von einem ›Schöpfungsleib‹ Christi gesprochen werden als Ergänzung zum balthasarschen ›corpus triforme‹, vgl. Anm. 4. Trotz aller Entstellung durch die Sünde kann die göttliche Urheberschaft in der Schöpfung nicht völlig verdeckt werden, sondern es muss zumindest theoretisch eine anfanghafte Gotteserkenntnis aus ihr möglich sein, die freilich ohne die Erleuchtung durch die Offenbarung ambivalent, unvollkommen und erbsündlich belastet bleibt. 24 Balthasar, Analogie und Dialektik, 205. A
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ken‹ unterstreicht dabei gerade die Unvollkommenheit und Ambivalenz dieser natürlichen Gotteserkenntnis, die sich erst im Glauben und dem in ihm inkludierten personalen Liebesakt vollendet, während umgekehrt die analogia entis die konkrete analogia libertatis des Offenbarungs- und Gnadengeschehens erst ermöglicht. So ergibt sich für die gesuchte Religionsphilosophie schöpfungstheologisch zunächst einmal die elementare Grundvoraussetzung – von der später auszugehen sein wird (vgl. Kap. 8) –, dass die Wirklichkeit als ganze wie auch in jedem Bestandteil kraft ihres Geschaffenseins einen seinsbedingten Sinn, eine ›Bedeutung‹ hat. Weiterhin ergibt sich erstens die Forderung (wenigstens des Nichtausschlusses der grundsätzlichen Möglichkeit) einer Besinnung auf das Gesamt der Schöpfungswirklichkeit und somit einer Seinsphilosophie als Suchen nach den Spuren des Schöpfers (vgl. das vehemente Insistieren der Enzyklika, bspw. nn. 66.82 f.97), zweitens ein Dualismusverbot 25 (vgl. bspw. n. 53) und drittens ein Verbot radikaler Skepsis’ bzw. eines absoluten Wahrheitspluralismus 26 (vgl. etwa n. 90). Die oben angeführte Tatsache, dass christlicher Glaube sich menschlich artikuliert, ist keineswegs selbstverständlich, sondern basiert auf dem unerhörten und unfassbaren Geheimnis, dass er als menschlicher doch göttlichen Ursprungs ist, dass Gott durch die Offenbarungsgeschichte hindurch auf menschliche Weise und durch Menschen mit dem Menschen kommuniziert, ja im Höhepunkt der Offenbarung sogar als Mensch (vgl. n. 34), dass er den Menschen somit nicht als bloß passiven Empfänger einer Instruktion betrachtet, sondern ihn aus Liebe als Partner und Adressaten seiner Selbstmitteilung auszeichnet und deswegen auf ihm gemäße Weise verstanden werden möchte (vgl. n. 13). Diese allein aus der Offenbarung bekannte, menschliche und damit eben auch philosophische 27 Vermittlung im Gott-Mensch-Verhältnis hat kriterielle Konsequenzen für die gesuchte Philosophie und bildet ihren offenbarungstheologischen Bezugsrahmen, der freilich auch die theologische Erkenntnislehre umfasst. Dieser Bezugsrahmen verdeutlicht weiterhin, dass die christliche Offenbarung auch aufgrund ihres Inhalts (der exklusiven Hier gilt es etwa Positionen wie jener des aktualistischen, frühen Barth zu begegnen, welche die menschliche Natur als völlig durch die Ursünde zerstört betrachten. 26 Die ›Wahrheit der Welt‹ kann gegenüber der göttlichen keine ganz andere sein, weil sie aus dieser hervorgeht und bleibend an sie zurückgebunden ist. 27 Vgl. FR 30: »[J]eder Mensch [ist; M. L.] auf eine gewisse Art ein Philosoph«. 25
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Schöpferschaft und Erstursächlichkeit Gottes, s. o.) eine Seinsoffenbarung voraussetzt, denn ein schöpfungs-, und somit seinsfernes »reines ›Deus dixit‹ trägt sich nicht in sich selbst«. 28 Die Philosophie darf demzufolge erstens die Möglichkeit der faktisch ergangenen Offenbarung als einer freien und personalen nicht ausschließen, sondern ist umgekehrt geradezu verpflichtet, nach Vorverständnissen für sie zu suchen und aufzuzeigen, dass die geschöpfliche Daseinserfahrung und das sie verarbeitende, sprachlich verfasste Denken des Menschen sich selbst transzendieren, d. h. offen sind für eine mögliche göttliche Selbstmitteilung (vgl. n. 5). Dabei darf sie zweitens aber nicht den Anspruch erheben, die Offenbarung (oder den Glauben) direkt oder aber heimlich als unerlässliche Bedingung der Vernunftkonsistenz beweisen zu können, wie sie drittens auch nicht den Anspruch erheben kann, die Offenbarung (ob nun vorwegnehmend oder erst nach ihrem Ergangensein) begrifflich kommensurieren zu können. In beiden Fällen würde ansonsten der freie und personale Charakter von Offenbarung und Glaube aufgehoben (vgl. etwa n. 15). 29 Die vom Glauben gesuchte Philosophie darf aber viertens – aufgrund der ausgeschlossenen letzten Dialektik von Gott und Welt – auch nicht umgekehrt zu völlig mit der Offenbarung divergierenden Ergebnissen gelangen, sondern müsste eigentlich sogar in der Lage sein, die je größere Konvenienz der gläubigen Wirklichkeitsdeutung zu erweisen. Als dritten und eng mit den offenbarungstheologischen Fragen verbundenen Komplex theologischer Verwiesenheit auf Philosophie 28 G. L. Müller, Hebt das Sola-fide-Prinzip die Möglichkeit einer natürlichen Theologie auf?, 73. Vgl. hierzu die Überlegungen v. Balthasars in dem Aufsatz Gott redet als Mensch: »[D]ie Offenbarungssprache setzt ihrerseits die Sprache der Schöpfung Gottes voraus, eben diese Seinsanalogie [!], und damit die natürliche Gotteserkenntnis oder, religiös ausgedrückt: die naturhafte und existentielle Fühlung der Kreatur mit dem Sein«, bzw. »die Tatsache, daß der gleiche Gott als Schöpfer sich die Gegebenheiten in der Menschengeschichte zum voraus bereitet, derer er sich als Offenbarer bedienen will« (Balthasar, Verbum Caro, 90–93). 29 Dieser Charakter macht es schon unter rein ›menschlichem‹ Gesichtspunkt selbstverständlich, dass der Glaubensinhalt immer das von der Vernunft Erreichbare übersteigt, dass er also immer auch ›mysteria stricte dicta‹ umfassen muss, weil ja schon geschöpfliche Personalität und ihre Vorformen steigender Seinsintimität (vgl. W 99) einen unzerstörbaren Geheimnisraum des Eigenen (vgl. ebd., 126) beinhaltet, was freilich keine Privation, sondern »dieses ewige ›Mehr‹, das allem Seienden eignet« (ebd., 156), bedeutet. Der Geheimnischarakter aller Personalität wird unten näher zu erläutern sein, vgl. das ganze achte Kapitel.
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ist der gnadentheologische Bezugsrahmen zu nennen. Als cooperatio oder Verhältnis ›inklusiver Stellvertretung‹ (K.-H. Menke) zwischen zwei freien Partnern verstanden, setzt das Gnaden- oder Rechtfertigungsgeschehen zunächst einmal die echte Freiheit Gottes und des Menschen voraus, was auf Seiten des Menschen eine Instanz impliziert, die es ihm erlaubt, sich angesichts der Begegnung mit Gottes Gnade und ›Allmacht‹ zu dieser frei verhalten zu können. Wo genau sich jene Begegnung ereignet, ob auf ›ordentlichen‹ oder ›außerordentlichen‹ Heilswegen, darf getrost der göttlichen gratia praeveniens überlassen werden. Fest steht aber, dass der Mensch – um ein weiteres vorbelastetes Wort aufzugreifen – ein ›Vorverständnis‹ davon haben muss, was ihm dort begegnet, weniger als apriorisches Kriterium dafür, was Offenbarung oder authentische Gotteserfahrung ist, oder dass er notwendig auf sie angewiesen ist oder sie zu erwarten hat, 30 sondern um sich ihrer in der Situation des Angesprochenseins selbst überhaupt als einer solchen bewusst werden zu können. Weiterhin muss der Mensch diese Erfahrung zumindest soweit klassifizieren können, dass ihm ein Verhalten, eine verantwortete Stellungnahme möglich bleibt, und sein Glaubensakt somit echter actus humanus 31 sein kann (vgl. n. 13). Hier ist eine noch nicht näher spezifizierte Form von natürlicher Theologie gefragt, irgendein Vorverständnis des Absoluten. ›Natürliche Theologie‹ darf dabei aber natürlich nicht im Sinne der theologischen contradictio in adiecto einer ›natura pura‹ verstanden werden. Faktisch gibt es nur die eine Ordnung der Gnade, faktisch ist die eine menschliche Natur aufgrund des geoffenbarten universalen Heilswillens Gottes ohne Verwiesenheit auf Gnade undenkbar und ohne Gottesgemeinschaft unvollendbar. So steht jeder Mensch ungeachtet seines Erkenntnisstandes immer schon unter dem Anspruch des dreifaltigen Gottes, 32 ohne dass dies Rahners Rede von der Religionsphilosophie als dem Aufweis einer menschlichen Verpflichtung (!), Ausschau nach einer ergangenen Offenbarung zu halten (vgl. HDW 29.47) erscheint hier als zu stark. Die Möglichkeit einer solchen Offenbarung darf nicht kategorisch ausgeschlossen werden, sie muss und wird aber nicht immer schon explizit gedacht sein. 31 An dieser Stelle liegt wohl das überaus berechtigte Grundanliegen der Begründungstheorien von Pröpper (vgl. Essen/Pröpper, Aneignungssprobleme der christologischen Überlieferung, 168; EFV 96.301 u. v. ö.) und Verweyen, (vgl. EV 96; OV 29 f. u. v. ö.); vgl. auch die Beschreibung der jeweiligen Denkansätze, 5.1 bzw. 6.1. 32 Unter dem Anspruch Gottes stehen heißt, durch die zuvorkommende Gnade angesprochen sein, die immer auch eo ipso Gnade Jesu Christi, des Gekreuzigten und Auferstandenen, ist. Hierher erklärt sich die universale Heilsmittlerschaft Christi für alle 30
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ihm allerdings (zeitlich oder wenigstens logisch) vor der Offenbarung bekannt sein muss oder überhaupt in Gänze bekannt sein könnte. 33 Vielleicht wäre es gar besser – und im Rahmen der Philosophie völlig hinreichend, den Terminus ›natürliche Theologie‹ durch ›philosophische Theologie‹ zu ersetzen, weil das Gnadenapriori für die entsprechende Philosophie selbst ja keine konstitutive Rolle spielen muss; theologisch ist dieser Gedanke aber wohl unersetzlich. Aus den genannten Bezugsrahmen ergibt sich also bereits das später zu präzisierende, 34 dreifache theologische Aufgabenschema der Religionsphilosophie, nämlich das »Desiderat einer realistischen Erkenntnistheorie sowie einer Ontologie der menschlichen Transzendenzverwiesenheit«, 35 die als solche v. a. offenbarungs- und Menschen (zu neuerlichen Formen ihrer Infragestellung vgl. Menke, Die Einzigkeit Jesu Christi im Horizont der Sinnfrage), wie auch Rahners Rede vom ›anonymen Christentum‹ (vgl. etwa Schwerdtfeger, Gnade und Welt). Ob der Terminus ›Christentum‹ hier wirklich gelungen oder unentbehrlich ist, spielt dabei eine nachgeordnete Rolle (vgl. etwa H I, 409). 33 Die eine Ordnung, die eine solche der Gnade ist, wird entgegen den barthschen Unterstellungen gerade von E. Przywara (RPhS 295) betont: »[D]arum gibt es real existent keine rein natürliche Religion, keine rein natürliche Moral, keine rein natürliche Kultur, keine rein natürliche Wissenschaft, keine rein natürliche Politik, sondern alles ohne Ausnahme (weil alles zu diesem einen ›so‹ von Gott faktisch ›angeordneteten‹ Menschen gehört) trägt ausdrücklich oder einschließlich, bewußt oder unbewußt, im Höchstmaß oder im Mindestmaß das eine ›Gott in Christo in der Kirche‹ als letzte Form. Real existent gibt es ausnahmslos nur das Entweder-Oder des Ja oder Nein zu dieser Einen Ordnung«. Vgl. hierzu etwa KB 269.310–313; Przywara, Natur und Uebernatur. In diesem Kontext hebt v. Balthasar mit Przywara hervor, dass unbeschadet des einen ordo supernaturalis um der geschöpflichen Freiheit willen an dem Kerngedanken der so umstrittenen rahnerschen Lehre von der ›reinen Natur‹ als »Restbegriff« (ebd., 310; vgl. hierzu v. a. Rahner, Natur und Gnade; ders., Über das Verhältnis von Natur und Gnade) festgehalten werden müsse. Diese formuliert v. Balthasar neu in seinem rein ›formalen‹ Naturbegriff, der den relativen (Rahner), d. h. nicht mehr absoluten (natura pura) Eigensinn der Natur wahrt. Diesen formalen Begriff gewinnt er in Anlehnung an Ripalda (vgl. Ripalda, De ente supernaturali, I d. 1 s. 1.9: »Natura consistit in ea aggregatione rerum, quae ab ordine supernaturali et gratia dividitur«, zitiert nach KB 290; vgl. ebd., 361) durch Subtraktion der Gnade von der einen Ordnung her. Er schreibt, nebenbei eine gelungene Definition des theologischen Naturbegriffs liefernd (ebd., 311): »Der relative Eigen-sinn der Natur ist genügend gewahrt, wenn sie als eine sachlich eigene, besondere und relativ eigenständige Sinnsphäre innerhalb der Gesamtschöpfung angesehen wird […], eine Sphäre von vorläufigem, nicht unmittelbar aus der Gnade abzulesendem, der Gnade vielmehr als Voraussetzung dienendem Sinn«. Zu v. Balthasars ›Natur‹-Konzept vgl. auch ders., Analogie und Natur; zum ganzen Disput um die natura pura vgl. etwa Rulands, Menschsein unter dem An-Spruch der Gnade. 34 Vgl. hierzu v. a. 1.2 u. 1.3. 35 G. L. Müller, Katholische Dogmatik, 34. A
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schöpfungstheologisch begründet und zu ergänzen sind um das in erster Linie gnadentheologische Desiderat einer ausgewogenen (d. h. weder latent monistischen noch dualistischen) philosophischen Freiheitslehre. 1.1.3 Fides quaerens intellectum: Philosophia christiana et religiosa Die zweite präliminär zu bearbeitende Frage zerfällt in zwei Teilfragen, nämlich jenen nach Möglichkeit und Wesen sowohl einer ›christlichen Philosophie‹ (1) als auch einer ›christlichen Religionsphilosophie‹ (2). (1) Zur Frage nach der möglichen ›Christlichkeit‹ von Philosophie ist zunächst einmal zu konstatieren, dass es während der ganzen Geschichte des Christentums faktisch christliche Philosophen gegeben hat, angefangen von Paulus 36 und den neutestamentlichen Schriftstellern über die Apologeten, die Patristik, die verschiedenen Phasen der Scholastik bis in Neuzeit und Gegenwart hinein. Ein wesentlicher philosophischer wie kontroverstheologischer Streitpunkt ist allerdings, ob deshalb auch – wie es faktisch jedenfalls geschieht 37 – von einer ›christlichen Philosophie‹ gesprochen werden kann. 38 Dies ist vehement bestritten worden, am bekanntesten sind vielleicht im philosophischen Bereich die Stellungnahme Heideggers mit den oft zitierten Worten vom ›hölzernen Eisen‹ 39 und theologischerseits das in Ungeachtet der fraglichen Historizität der Areopagrede (Apg 17,19–34) kann sie dennoch emblematisch für den teils philosophischen Grundduktus paulinischen Lehrens stehen. 37 Hier sei nur auf die u. a. von E. Coreth herausgegebene Trilogie Christliche Philosophie im katholischen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts sowie seine Beiträge zur christlichen Philosophie verwiesen. 38 Vgl. zur Entwicklung dieses Terminus H. Schmidingers Aufsatz Zur Geschichte des Begriffs »christliche Philosophie«. 39 Vgl. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, 9; ders., Wegmarken, 66. Die damit verbundene Klassifikation der Theologie als einer Lehre vom Seienden gegenüber der Philosophie als Seinslehre (vgl. ebd., 48 f.) und die aus ihr resultierende Infragestellung der Wissenschaftlichkeit der Theologie (vgl. ebd., 77) unter dem unverhohlenen Anspruch, sie letztlich über sich selbst belehren zu müssen, ist von theologischer Seite durch Verweyen mit Recht als philosophische »Metabasis« zurückgewiesen worden: vgl. OV 26. Als Antwort auf die heideggerschen Anfragen versteht sich etwa Spletts Hölzernes Eisen, im Folgenden wird v. a. in Kap. 8.1.2 auf sie zurückzukommen sein. 36
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seiner Deutlichkeit unübertreffliche Verdikt K. Barths über das ›Unding‹ philosophia christiana. 40 Der genannte Streit um die Möglichkeit einer christlichen Philosophie fand seinen Höhepunkt in den Zwanziger und Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, ausgelöst durch eine innerkatholische Debatte um die These É. Gilsons, der zufolge ›christliche Philosophie‹ nicht nur logisch notwendige Konsequenz der »Révélation génératrice de raison«, 41 sondern auch historisches Faktum sei. 42 Gegenargumente in der langwierigen, v. a. im Rahmen von Kongressen 43 geführten Debatte waren etwa Gilsons Ausdehnung des Begriffes auf eigentlich philosophiekritische Denker wie Bonaventura (so durch P. Mandonnet) oder der Ausschluss aller modernen Philosophie aufgrund der dort fehlenden expliziten Thematisierung christlichen Gedankenguts (M.-D. Chenu). 44 Erste philosophische Reaktionen (v. a. seitens E. Bréhiers, L. Brunschvicgs, G. Gentiles und B. Croces) wiesen den gilsonschen Begriff scharf als Aufhebung philosophischer Autonomie zurück. Schon bald weitete sich der Diskurs über die disziplinären, konfessionellen und nationalen Grenzen hinaus aus, sodass es in der Folge zu einer Fülle unterschiedlichster Stellungnahmen kam, die hier nicht eigens referiert werden können, jedoch um die bereits angeführten Kritikpunkte kreisten. 45 Wenn in dieser Arbeit nun schon im Titel von christlicher Philosophie gesprochen wird (im Übrigen mit FR n. 76), so geschieht dies im vollen Bewusstsein der Problematik dieses Begriffs. Dass er dennoch verwendet wird, liegt zunächst einmal daran, dass – wie K. Jaspers im Kontext dieser Debatte zu Recht feststellt – Philosophie als existentieller Vollzug immer schon einen ›Glauben‹ voraussetzt, 40 Vgl. Barth, Kirchliche Dogmatik, I, 1, 4: »Philosophia christiana ist faktisch noch nie Wirklichkeit gewesen: war sie philosophia, so war sie nicht christiana, war sie christiana, so war sie nicht philosophia«. 41 Gilson, La notion de philosophie chrétienne, 39. 42 Vgl. Schmidinger, Der Streit um die christliche Philosophie in seinem Zusammenhang, 32. 43 Besonders zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die berühmten Tagungen von Paris am 21. März 1931 und Juvisy am 11. September 1933. 44 Vgl. Brito, La »philosophie chrétienne« a-t-elle un avenir?, 515; Schmidinger, Der Streit um die christliche Philosophie in seinem Zusammenhang, 32. 45 Zum ganzen Fragekomplex sei hier verwiesen auf die detaillierten Darstellungen bei Brito (La »philosophie chrétienne« a-t-elle un avenir?), Renard (La querelle sur la possibilité de la philosophie chrétienne) und Schmidinger (Der Streit um die christliche Philosophie in seinem Zusammenhang).
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so wie jede Wissenschaft eine grundlegende Standpunktlichkeit beinhaltet. 46 A fortiori gilt diese Standpunktlichkeit für die Philosophie eines Christen, dessen Glauben nicht ein beliebiges Akzidens seiner Persönlichkeit ist, so dass er neben und unabhängig von diesem Glauben auch noch Philosoph sein könnte. Wenn ein Philosoph Christ ist und dieses Christsein ernstnimmt, 47 so ist seine ganze Weltsicht und somit auch seine Philosophie davon geprägt: Agnostisch kann sie eigentlich nur auf methodischer Ebene sein, 48 eine atheistische Philosophie eines Christen aber ist ein Widerspruch in sich. 49 Christliche Philosophie heißt also erstens ›Philosophie eines Christen‹. Als eine solche muss sie – mit M.-D. Chenu – nicht zwangsläufig christliche Inhalte thematisieren, auch darf sie – mit J. Doré 50 – im Gegensatz zur Theologie auch eine Auswahl aus dem Glaubensgut treffen, ist also zweitens frei in der Wahl ihres Gegenstands. Ungebunden ist sie drittens ebenso in ihrem Argumentationsgang, ihrer autonomen Methodik, wenngleich deren gänzliche Autonomie im Sinne einer völligen Voraussetzungslosigkeit wohl Illusion bleibt. 51 So ist es christlicher Philosophie durchaus möglich, 46 Vgl. Jaspers, Der philosophische Glaube; Schmidinger, Der Streit um die christliche Philosophie in seinem Zusammenhang, 34. 47 Hier genügt wohl ein Verweis auf v. Balthasars ›Ernstfall‹ Cordula. 48 So ist wohl Ricœurs Einschätzung der eigenen Philosophie als ›agnostisch‹ zu verstehen, vgl. SMA 35 f. Bedingt liegt diese Vorsicht in seinem langwierigen Bestreben, das Prädikat des christlichen Philosophen bzw. gar des »crypto-théologien« abzulegen, das ihm seit den Sechziger Jahren anhaftete: vgl. D. Müller, Paul Ricœur, 161 f. 49 Dies gilt wohl auch – bei aller berechtigten Klage über die philosophische ›Besudelung‹ Gottes (Martin Buber) – für die jüdische Philosophie, so dass J. Hanimanns Rede von »Philosophen eines christlich-jüdischen Atheismus – Jankélewitsch, Lévinas, Paul Ricœur, Bernard-Henri Lévy, Alain Finkielkraut« (Beten verboten, 38) als generelle Aussage und vor allem bezogen auf Levinas und Ricœur unsinnig ist. Der Jude E. Levinas versucht zwar, Gott aus dem Zugriff der Philosophie zu befreien, dies ist aber keinesfalls mit einer dezidiert atheistischen Positionierung seiner Philosophie zu verwechseln (vgl. hierzu den Abschnitt 3.3 über Levinas’ philosophische Gotteskonzeption). Ebenso ist der evangelische Christ Ricœur auf methodische Autonomie bedacht, würde aber niemals die Existenz Gottes philosophisch leugnen, was Atheismus ja wohl zur Voraussetzung hätte, vgl. Anm. 48. 50 Vgl. Doré, »C’est moi la vérité«, 42. 51 Vgl. hierzu neben dem genannten Werk Jaspers die grundlegenden Einsichten in den ›hermeneutischen Zirkel‹ u. a. im Gefolge Gadamers. Vielleicht wäre es daher besser, anstatt von ›Autonomie‹ von einer ›methodischen Transparenz‹ der Philosophie zu sprechen, weil jede Methode auf Voraussetzungen beruht, ohne diese immer zu explizieren oder sich ihrer bewusst zu sein, so dass eine völlige autonome Methode des philosophisch denkenden Menschen wohl eher den Charakter einer regulativen Idee haben
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das Christentum oder einzelne christliche Glaubenslehren zu ihrer Prämisse zu erheben, ohne dadurch ihren Status als freies Denken zu verlieren. 52 E. Stein etwa sieht den Einfluss des Glaubens nicht allein darin, Haltung und Tun des Philosophen zu beeinflussen (dies entspräche dem ersten Moment der folgenden komplexen Definition christlicher Philosophie), sondern dem denkenden Subjekt ebenfalls neue Inhalte vorzulegen; 53 ein Gedanke, den sie wohl von J. Maritain übernimmt. 54 Den Status freien Denkens und damit ihren philosophischen Charakter wahrt die christliche Philosophie allerdings nur, wenn sie – mit einer Unterscheidung E. Steins – die herangezogenen Lehren als »Ansätze« (Hypothesen), nicht als »Sätze« (Thesen) behandelt und kennzeichnet. 55 Da das ›Kriterium des Christlichen‹ aber – auf dieser Einsicht basiert diese ganze Einleitung – der Glaube der Kirche ist, muss sich christliche Philosophie, um solche zu sein und zu bleiben, viertens am Glauben als Maß ausrichten, d. h. das eigenständig Erreichte auf ihn hin relativieren und gegebenenfalls zu seinen Gunsten als falsch verwerfen. 56 Diese innere Zielrichtung hebt aber fünftens keineswegs den bleibenden Eigenstand und die dauerhafte Berechtigung der Philosophie auf. An dieser Stelle ist insofern K. Rahners Ansicht abzulehnen, die christliche Philosophie müsse sich als »taufbar« konstituieren, um dann im dreifachen hegelschen Sinne in Theologie hinein »aufgehoben« zu werden, 57 und zwar als
dürfte (vgl. hierzu die Ausführungen zur analogia veritatis, Kap. 8.2). So erfordert die philosophische Methode gerade um der erstrebten Autonomie des Denkens willen eine stete Bemühung um Aufklärung, Transparenz und Begründung der eigenen, expliziten wie impliziten Voraussetzungen. 52 Vgl. Welte, Religionsphilosophie, 62. 53 Vgl. Stein, Endliches und ewiges Sein, 22. 54 Vgl. J. Maritains Buch De la philosophie chrétienne, mit dem er Gilson zur Seite trat, und das E. Brito wie folgt zusammenfasst: »Grâce au christianisme, l’activité philosophique reçoit non seulement des notions nouvelles, mais aussi des renforcements subjectifs« (La »philosophie chrétienne« a-t-elle un avenir?, 517). 55 Vgl. Stein, Endliches und ewiges Sein, 30. 56 Hier muss folgendes theologisches Axiom gelten: Angesichts der von der Offenbarung her zu postulierenden Einheit der Wahrheit kann ein lauteres Ergebnis philosophischen Denkens niemals gleichzeitig zwingend sein und in unvereinbarem Widerspruch zur Offenbarung stehen, die freilich nur im personalen Gesamt des Glaubens der Kirche zugänglich und nicht schlicht und ergreifend mit dem Wortlaut des Dogmas identisch ist (vgl. die Unterscheidung von Aussageform und Aussageintention des Dogmas). 57 Vgl. HDW 40. A
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»fundamentaltheologische Anthropologie«. 58 Echt christliche Philosophie ist vielmehr mit E. Przywara in ihrer »konkret existierenden Gestalt […] in dieser einzig konkret existierenden Ordnung zwischen Erbsünde in Adam und Erlösung in Christo« zu betrachten. 59 Als solche ist sie – sofern sie den Glauben gemäß dem obigen vierten Kriterium als letztes Maß betrachtet, mit Przywaras Worten also unter dem Formprimat der Gnade bzw. des Kreuzes steht – bereits erlöste Philosophie, die nicht eines äußeren Taufakts bedarf. Weiterhin ist der Gedanke von der Aufhebung der Philosophie in Theologie hinein abzulehnen, ist die bleibende Angewiesenheit der Theologie auf philosophische Vermittlung doch erwiesen worden. Der Glaubensakt ist ein stetiger Prozess, der nicht zu einem fixen Abschluss zu bringen ist, von dem ab die Philosophie als Garantin seiner Menschlichkeit und bloßer Anweg obsolet würde. Das endgültige Aufgehen der Philosophie (selbst der ›erlösungsbereiten‹ !) in die Theologie, also der allgemeinen menschlichen Erkenntnis in die Gottesschau ist erst als eschatologischer Vorgang denkbar. 60 So ergibt sich eine fünfgliedrige, weite Definition von christlicher Philosophie 61 als die durch den christlichen Glauben innerlich Ebd., 215. Vgl. AE 306 f.; Terán Dutari, Christentum und Metaphysik, 490. 60 Vgl. Przywaras Hinweis, dass auch die ›erlöste‹ Metaphysik als Philosophie nur vorläufig vollendet bleibt: »Damit aber ist sie, wenngleich ›vorläufig‹ als Philosophie, so doch ›endgültig‹ erst durch Theologie, freilich ›durch‹ Theologie, nicht ›als‹ Theologie (weil bestehen bleibt, daß ihr Formal-Objekt das ›soweit als‹ des Geschöpfes ist« (AE 75). Vgl. zum Ganzen auch Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte, 57: »Wenn der Glaube den philosophischen Gottesbegriff ergreift und [mit E. Brunner; M. L.] sagt ›Das Absolute, von dem ihr irgendwie schon ahnend wußtet, ist der Absolute, der in Christus Jesus spricht (›Wort‹ ist) und angesprochen werden kann‹, so wird damit nicht einfach der Unterschied von Glaube und Philosophie aufgehoben und keineswegs, was bisher Philosophie war, in Glaube umgewandelt. Die Philosophie bleibt vielmehr als solche das andere und eigene, worauf der Glaube sich bezieht, um sich an ihm als dem anderen auszusprechen und verständlich zu machen«. Hinsichtlich des ›eschatologischen Erkenntnisvorbehalts‹ schreibt Ratzinger weiterhin: »Der christliche Glaube verhält sich zur philosophischen Gotteserkenntnis etwa so wie sich die endzeitliche Gottesschau zum Glauben verhält. Es handelt sich um drei Stufen eines einheitlichen Gesamtweges« (ebd., 44). 61 J. Splett (Gotteserfahrung im Denken, 18) definiert sie als ein »Denken, das seine geschichtliche Christlichkeit positiv, bejahend übernimmt«; vgl. ders., Hölzernes Eisen, 29. Da die Christlichkeit hier nur als eine von vielen historischen Bedingtheiten des Philosophierens benannt und jegliche »Dienstbarkeit« (ebd.) der Philosophie gegenüber der Theologie (und ihrer Sache?) abgelehnt wird, ist diese Definition wohl zu allgemein und verfehlt das Spezifikum christlicher Philosophie. 58 59
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(!) regulierte, in Gegenstand wie Methode unabhängige und bleibend eigenständige Philosophie eines Christen. Hier könnte auch in abgeschwächter Weise von einer christlich »orientiert[en]« bzw. »geprägte[n]« 62 Philosophie (M. Schulz) gesprochen werden. Abschließend sei noch ergänzt, dass es aufgrund der immer mehr zu Tage tretenden und (als Signum menschlicher Freiheit) zu bejahenden Pluralität und Diversität menschlicher Denkformen und Rationalitäten bzw. Rationalitätstypen 63 und der ihnen allen gegenüber geforderten christlichen Solidarität (vgl. das »p”n nhma« aus 2 Kor 10,5) nicht nur eine christliche Philosophie geben kann, schon gar nicht eine solche des Lehramts (vgl. n. 49). So ist christliche Philosophie – laut Emerich Coreth – niemals ein erratischer Block, sondern ihr »Begriff gibt vielmehr eine Zielrichtung und Aufgabenstellung an. Es gibt niemals eine einzige, allein gültige Gestalt christlicher Philosophie«. 64 (2) Nach dieser umfassenden Definition christlicher Philosophie kann nun der hier verwendete Begriff christlicher ›Religionsphilosophie‹ bestimmt werden. 65 Das artspezifizierende Merkmal gegenüber dem Gesamt christlicher Philosophie ist der Gegenstandsbereich (Materialobjekt: alles Wirkliche in seiner Gesamtheit) und die Fragerichtung (Formalobjekt: im Hinblick auf das Absolute/Göttliche) der Religionsphilosophie. So wird christliche Religionsphilosophie hier verstanden als jene christliche Philosophie (s. o.), welche versucht, den christlichen Glauben – sei es nun implizit oder explizit – mit der menschlichen Wirklichkeitserfahrung und ihrer Deutung in Sprache, Kultur und Denken zu vermitteln. Dabei ist freilich unausgemacht, ob diese Vermittlung den Glaubensinhalt als Leithypothese an den Anfang stellt und näher zu begründen sucht, oder aber jener propositionale Inhalt lediglich indirekt als Kriterium oder Richtziel fungiert. Ebenfalls ist mit dieser universalen Ausrichtung bei genuin christlicher Standpunktlichkeit die Möglichkeit eines interreligiösen M. Schulz, Sein und Trinität, 1 bzw. 7. Vgl. Anm. 12. 64 Coreth, Sinn und Aufgabe christlicher Philosophie, 405. Vgl. hier Brito, La »philosophie chrétienne« a-t-elle un avenir?, 534: »Il n’y a plus de système parfaitement homogène et englobant de la ›philosophie chrétienne‹«. 65 Es dürfte wohl ein philosophischer Konsens (!) darüber bestehen, dass es keine erschöpfende Definition zu Begriff und Disziplin der ›Religionsphilosophie‹ wie im übrigen schon seiner Bestandteile ›Religion‹ (vgl. Schaeffler, Religionsphilosophie, 20 f.236– 241) und ›Philosophie‹ (vgl. Welte, Religionsphilosophie, 43) gibt. 62 63
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religionsphilosophischen Dialogs eröffnet. 66 Da der philosophisch nachzuvollziehende Glaube seinerseits einen universalen Geltungsbereich beansprucht, d. h. keinen Aspekt der Wirklichkeit auslässt, alles unter dem Blickwinkel seines Ursprungs in Gott und seiner bejahenden oder verneinenden Stellungnahme Gott gegenüber betrachtet, findet die Religionsphilosophie daher ihre höchste Verwirklichung in der philosophie- bzw. menschheitsgeschichtlich bereits vorfindlichen Frage nach dem Ganzen der Wirklichkeit, nach dem Absoluten und dem Kontingenten, in der Frage nach den letzten Gründen, oder aber nach dem ersten. Seit Aristoteles wird die Wissenschaft, welche diese Fragen stellt, deshalb als Erstphilosophie bezeichnet, ab Alexander von Aphrodisias dann als Metaphysik. Schon bei Aristoteles hat die Lehre vom ¤n – n allerdings einen ambivalenten, onto-theologischen Charakter, steht mal der oder das Absolute selbst als Gegenstand im Mittelpunkt ihres Interesses (das Seiende ›im Höchsten‹, das ¤n pl @ ˇ prðtw@ als pr ton kino‰n ⁄kfflnhton), 67 mal die gesamte Wirklichkeit (das Seiende ›im Ganzen‹, also das ¤n kaqlou 68 – was Aristoteles wohl zum Schöpfer dieses Wortes macht). 69 Da das Fragen der Metaphysik alles umfasst, wendet sich diese Wissenschaft aber auch zurück auf das sie ausübende Subjekt, den Metaphysiker, und reflektiert über seine Weise des Erkennens und deren Grenzen, wird also (im kantschen Sinne des Attributs) Transzendentalwissenschaft. 70 Eines der Ziele dieser Arbeit Diese Möglichkeit entspricht dem von St. Grätzel und A. Kreiner in ihrer interreligiös angelegten Religionsphilosophie vorgetragenen Desiderat der philosophischen »Deutung und Überprüfung religiöser Geltungsansprüche« mit dem Ziel, »mittels einer philosophischen Begrifflichkeit die Geltungsansprüche einer religiösen Tradition verstehbar bzw. intelligibel zu machen« (Grätzel/Kreiner, Einleitung, 1). 67 Vgl. Met. Z1, 1028a30 f. resp. ebd., K7, 1064a36; ebd., L6–10, 1071b6–1076a5. 68 Vgl. ebd., G1, 1003a24. 69 Vgl. zum Ganzen Honnefelder, Möglichkeiten und Formen der Metaphysik. Diese irreduzible onto-theologische Ambivalenz der Metaphysik durchzieht J.-F. Courtines eindrucksvolle Studie Inventio analogiae geradezu als Leitfaden, allerdings betrachtet er überraschenderweise das ¤n kaqlou anstatt des ¤n – n als übergeordnete Größe über dem Seienden ›im Höchsten‹ und ›im Ganzen‹ (vgl. ebd., 63 f.), was sich allerdings nur schwerlich textlich begründen lässt. 70 Den entscheidenden geistesgeschichtlichen Übergang stellt allerdings wohl schon lange vor Kant der metaphysische Neuansatz des Kölner Franziskaners Johannes Duns Scotus dar, wie L. Honnefelder wiederholt eindrucksvoll zeigen konnte: vgl. Honnefelder, Ens inquantum ens; ders., Scientia transcendens u. ö. Auf die Frage, inwieweit dieser Neuansatz als »Transformation des klassischen Seinsverständnisses« (vgl. das gleichnamige Werk R. Schönbergers) und vermeintliche Logisierung der Wirklichkeit (vgl. die 66
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ist der Aufweis, dass keine dieser nunmehr drei Weisen von Metaphysik ohne die anderen beiden zu bestehen vermag, dass der doppelte klassische (›transzendental I‹) und der kantsche (›transzendental II‹) ›Transzendental‹-Begriff sich in einer letzten Einheit zeigen und immer auch notwendig aufeinander verweisen, 71 dass »Metaontik« und »Meta-noetik« sich also wechselseitig durchdringen und in diesem Zueinander die »formalste Grundlegung« geschöpflicher Metaphysik darstellen (Przywara). 72 Freilich umfasst das Gesamt christlicher Religionsphilosophie neben dieser hergebrachten und wohl auch weiterhin naheliegendsten Form vielfältige weitere Ausgestaltungen. Um der Systematik willen könnten diese etwa mit der von Richard Schaeffler vorgeschlagenen Fünfteilung religionsphilosophischer ›Typen‹ beschrieben werden. Demzufolge träten der beschriebenen tripolaren Metaphysik (wohl mit Schaefflers drittem Typ »Religionsphilosophie auf der Basis philosophischer Theologie« 73 gleichzusetzen) dann auch notwendig religionskritische, religionsassimilierende, religionsphänomenologische und sprachanalytische Ansätze zur Seite. 74 Feststehen dürfte aber, dass diese Phientsprechenden Vorwürfe in Werk und Gefolge G. Siewerths) als unvereinbar oder aber – dies entspricht der Position dieser Arbeit – als zumindest teilweise komplementär zum Seinsdenken des Thomas von Aquin zu betrachten ist, wird im Folgenden einzugehen sein, vgl. v. a. den Exkurs im dritten Teil. 71 Vgl. Kasper, Der Gott Jesu Christi, 16: »In der Gottesfrage handelt es sich nicht um eine kategoriale, sondern um eine transzendentale Frage in dem doppelten Sinn: eine alles Seiende umgreifende Frage (transzendental im Sinn der scholastischen Transzendentalienlehre) und eine Frage, die die Bedingung der Möglichkeit aller anderen Fragen und Antworten betrifft (transzendental im Sinn der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie)«. Vgl. auch G. Scherers Forderung nach Verbindung beider Begriffe (Erste Philosophie und Sinnbegriff, 72). 72 Vgl. AE 23–28; ähnlich argumentieren etwa E. Coreth (vgl. Hermeneutik und Metaphysik, 450) und B. Weissmahr (vgl. Die Wirklichkeit des Geistes, 144 f.). 73 Schaeffler, Religionsphilosophie, 49–97. R. Schaefflers Darstellung der philosophischen Theologie tendiert freilich – seinem eigenen Ansatz (vgl. etwa Was dürfen wir hoffen?) gemäß – zur transzendentalphilosophischen Variante (davon zeugt etwa die Beschränkung auf sie im zentralen sechsten Kapitel, das als Vergleich der Ansätze und »systematischer Ausblick« – wohl in eine Zukunft ohne ›Onto-Theologie‹ – fungiert: vgl. Religionsphilosophie, 197–250). Abgesehen von dieser Positionierung erscheint sein Buch aber als sehr ausgeglichen und müht sich um wechselseitigen Austausch und Kombination der drei ›jüngsten‹ von ihm ausgemachten Ansätze, nämlich ›philosophische Theologie‹, ›Phänomenologie der Religion‹ und ›Analyse der religiösen Sprache‹ (vgl. Anm. 74). 74 R. Schaeffler benennt diese Typen in seiner Religionsphilosophie freilich etwas anders: »Kritik eines ›vorrationalen Bewußtseins‹« (ebd., 23–28), »Verwandlung von ReA
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losophien, um christliche Religionsphilosophien zu sein, eine grundsätzliche Offenheit für das genannte Formal- und Materialobjekt bewahren und eine christliche Standpunktlichkeit beinhalten müssen. 75 Die Grundform der Religionsphilosophie ist und bleibt aber wohl die Metaphysik. So umstritten dieser Begriff auch sein mag, 76 ist hier an ihm festzuhalten (so auch das nachdrückliche Plädoyer von Fides et Ratio, vgl. nn. 55.82 f.98) in dem weiten Verständnis, das Heinrich Schmidinger seiner Definition von ›Metaphysik‹ zugrunde legt, als einer Wissenschaft »die sich mit Fragen beschäftigt, welche die Wirklichkeit, sofern sie dem Menschen zugänglich ist [transzendental II; M. L.], in ihrer Gesamtheit [transzendental I; M. L.] betreffen«. 77 Angesichts dieser schwachen und offenen Definition, die lediglich den Gegenstandsbereich, nicht aber eine bestimmte Methode oder Kompetenz der Metaphysik bzw. Erstphilosophie festlegt oder behauptet, erübrigt sich wohl das derzeit häufig zu vernehmende Verdikt über das Metaphysische mitsamt seinem postulierten ›Ende‹ und dem Desiderat ›nach-‹ bzw. ›nichtmetaphysischen Denkens‹. 78 ligion in Philosophie« (ebd., 29–48), »Die Phänomenologie der Religion« (ebd., 105– 142) und »Analyse der religiösen Sprache« (ebd., 143–196). 75 Abgelehnt wird hier etwa eine zum Relativismus oder im anderen Extrem zum Strukturalismus verkommene perennierte Hermeneutik oder Sprachanalyse (vgl. etwa Verweyens diesbezügliche Befürchtungen, 6.1) wie auch eine Religionsphänomenologie als neutral-unbeteiligt zusammenstellende ›Bilderbuchphänomenologie‹, vor der schon Husserl und Scheler warnten (vgl. Waldenfels, Einführung in die Phänomenologie, 20). 76 Vgl. etwa Habermas, Nachmetaphysisches Denken; Knapp/Kobusch (Hg.), Religion – Metaphysik(kritik) – Theologie im Kontext der Moderne/Postmoderne; Knapp, Verantwortetes Christsein heute, 34–51. 77 Schmidinger, Metaphysik, 21. 78 Diese Position erscheint nicht nur als geschichtsvergessen, sondern verfällt – mit L. Honnefelder – auch dem Retorsionsargument: »Sie [sc. die Metaphysik; M. L.] muß aber auch die These von der Unmöglichkeit jeder Metaphysik bestreiten und sie ihrer Selbstwidersprüchlichkeit überführen; denn eine solche These muß zwangsläufig Hypothesen bezüglich der Grundbegriffe oder Grundannahmen von Theorien oder Weltsichten enthalten, die selbst den Status von Metaphysik besitzen«: Honnefelder, Möglichkeit und Formen der Metaphysik, 56. Vgl. ders., Die Bedeutung der Metaphysik für Glauben und Wissen, 55: Es »zeigt sich jedoch, daß die [Metaphysik-]Kritik [H. Putnams und W. V. O. Quines; M. L.] selbst noch einmal voraussetzt, was sie bestreitet und damit das Kritisierte nicht zum Verschwinden bringt, sondern vielmehr in ihr Recht setzt«. Natürlich aber darf Metaphysik – und auf dieser Annahme basiert die scharfe Kritik – nicht zu einem vermessenen System unkritisch-deduktionalistischer Gesamterklärung des Wirklichen degenerieren, sondern muss zunächst und bleibend Kritik ihrer selbst bleiben: vgl. etwa ebd., 62 f., dort insbesondere auch die Ausführungen zur kantschen Unterscheidung von ›regressivem‹ und ›progressiven‹ Moment der Metaphysik (vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 438/A 411).
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Christliche Religionsphilosophie wird in ihrer Grundform als eine solche Metaphysik verstanden, wenngleich spezifiziert durch das oben genannte Formalobjekt und – als christliche – stets auch durch das Dogma als dem Leitziel ihres Strebens. Sie fragt so als methodisch unabhängig operierende Philosophie im Hinblick auf den christlichen Glauben und unter seiner Maßgabe nach dem Ganzen der Wirklichkeit (und damit eo ipso auch nach dem erkennenden Subjekt selbst, nach Kultur, Religion und Sprache), nach seinem letzten Grund (d. h. seiner Einheit) wie seiner inneren Vielfalt (d. h. seiner Differenz), um so ihre »vornehmste Aufgabe« zu erfüllen und »Wegbereiterin des Glaubens« (Edith Stein) zu werden. 79
1.2 Zielsetzung: Die dreifache Analogie als Basisprinzip christlicher Religionsphilosophie – Versuch einer Grundlegung pluraler philosophischer Glaubensverantwortung »Dicendum quod dona gratiarum hoc modo naturae adduntur quod eam non tollunt, sed magis perficiunt; unde et lumen fidei, quod nobis gratis infunditur, non destruit lumen naturalis rationis divinitus nobis inditum«. 80 (Thomas von Aquin)
Primäres Ziel dieser Arbeit ist der Versuch einer Grundlegung pluraler christlicher Religionsphilosophie, also der philosophischen Vermittlung des christlichen Glaubens nach Maßgabe und wenigstens immanenter Richtschnur des Dogmas, gemäß der Aufforderung zur ›Rechenschaft vom Glaubenslogos‹ (vgl. 1 Petr 3,15). In diesem Zusammenhang sind die einzelnen Bestandteile der genannten genitivischen Subjektgruppe zu beachten: Die gesuchte Glaubensrechenschaft kann nur in Form echter, d. h. transparenter und methodisch sauberer Philosophie erfolgen, die – trotz ihres umfassenden Material- und Formalobjekts als Religionsphilosophie (s. o.) – hinsichtlich ihres Status und ihres Erkenntnisanspruchs sowohl gegenüber dem christlich ›Theologalen‹ (Offenbarung, Glaube, Theologie), als auch gegenüber dem ›Rationalen‹ (d. h. allen Philosophie- und RationaliStein, Endliches und ewiges Sein, 29. Vgl. hierzu auch G. L. Müllers Aufsatz Hebt das Sola-fide-Prinzip die Möglichkeit einer natürlichen Theologie auf?, der in die Worte der lukanischen Fassung (Lk 3,4–6) der prophetischen Aufforderung Jesajas zur ›Wegbereitung für den Herrn‹ (Jes 40,3–5) einmündet (vgl. ebd., 96). 80 Thomas von Aquin, Super De trinitate, I, q. 2 a. 3 c. 79
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tätsformen) hinreichend bescheiden und dialogfähig bleibt, um sich in den nicht bloß faktisch, sondern notwendig pluralen Kontext der philosophischen Glaubensbegründungen einzuordnen. Dieses abstrakte Gesamtziel konkretisiert sich in zwei Teilzielen: Wie soeben angemerkt wurde, kann es nur eine Vielzahl christlicher Religionsphilosophien in legitimer und begrüßenswerter Pluralität geben, wie ja auch die eine universale Vernunft nur vermittels vieler partikulärer Rationalitäten zugänglich ist. Die vorliegende Untersuchung soll nun weder ein weiteres Glied in der unüberschaubaren Kette religionsphilosophischer Ansätze bilden, noch gar den Versuch unternehmen, diese in ihrer Gänze erschöpfend darzustellen, sondern das Plädoyer für Legitimität und Diversität der je neu zu leistenden Vermittlung des christlichen Glaubens in alle zeitlichen wie räumlichen Kontexte zunächst durch die Darstellung zweier unterschiedlicher Paradigmen christlicher Religionsphilosophie konkretisieren. Auf Grundlage dieser Darstellung – ihren Ergebnissen wie den sich aus ihr ergebenden Problemüberhängen – soll dann zweitens die Eruierung der gemeinsamen Ausgangssituation bzw. eines Basisprinzips aller christlichen Religionsphilosophien versucht werden. Diese Grundlegung wird den Anforderungen sowohl des Glaubens als auch der im doppelten Sinne transzendentalen Situierung des menschlichen Erkenntnissubjekts zu genügen haben. Hierbei wird sich zeigen, dass die theologischen Rahmenbedingungen der Religionsphilosophie durchaus mit einer philosophischen Grundlagenbesinnung korreliert werden können, wie sie in Kap. 8 unternommen werden soll. Die Darstellung zweier unterschiedlicher Paradigmen christlicher Religionsphilosophie wird zwei sehr produktive und in sich vielfältige zeitgenössische Strömungen religionsphilosophischer Glaubensverantwortung präsentieren, die jeweils – wenngleich eine derart starre Klassifikation immer einen Akt der Gewalt darstellt – genügend ›artspezifische‹ Merkmale aufweisen, um zu Paradigmen verdichtet werden zu können: Einerseits die neuere, von Dominique Janicaud in seiner Polemik Le tournant théologique de la phénoménologie française als ›theologisch gekehrt‹ gescholtene französische Phänomenologie um Emmanuel Levinas 81 und Michel Henry, andeIm Aufgriff des Hinweises J. Wohlmuths (vgl. Vorwort des Herausgebers, 12), Levinas habe selbst stets die ursprüngliche Schreibweise seines Namens ohne den accent aïgu bevorzugt, wird in der vorliegenden Arbeit auf die französisierte Form ›Lévinas‹ verzichtet werden; ausgenommen sind anderslautende Titelnotierungen.
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rerseits die transzendentalphilosophischen, sog. ›Letztbegründungs‹-Ansätze der deutschsprachigen katholischen Systematik um Hansjürgen Verweyen und Thomas Pröpper. Die Konfrontation beider Strömungen hat bereits ihren impliziten Niederschlag in der 2008 erschienenen Dissertation von Carsten Lotz gefunden, die allerdings einseitig Partei ergreift. 82 Hier sollen die Paradigmen demgegenüber von möglichst neutraler Warte aus und exemplarisch anhand der vier genannten Denker dargestellt werden. Dabei geraten eine Reihe weiterer Vertreter ins Blickfeld, seitens des phänomenologischen Paradigmas v. a. Jean-Louis Chrétien, Jean-Luc Marion und (von Janicaud noch unbeachtet!) Jean-Yves Lacoste, seitens des transzendentalphilosophischen Paradigmas Klaus Müller 83 sowie die Mitglieder der nach den Wirkungsstätten der beiden Vorreiter benannten ›Freiburger‹ bzw. ›Münsteraner‹ Schulen (v. a. Michael Bongardt, Georg Essen, Magnus Striet und Saskia Wendel). Den französischen Phänomenologen wird dabei aufgrund ihrer geringeren Bekanntheit im deutschsprachigen Raum ein eigenes Kapitel gewidmet werden, während die deutschen Transzendentalphilosophen resp. -theologen die gesamte Arbeit hindurch als randliche Gesprächspartner erscheinen werden. Die systematische Darstellung und Kritik der vier maßgeblichen Ansätze anhand eines an den oben genannten theologischen Bezugsrahmen christlicher Religionsphi82 Vgl. Lotz, Zwischen Glauben und Vernunft. Die etwas zerfaserte Arbeit polemisiert vehement aus der phänomenologischen Perspektive Levinas’ und Derridas gegen die Philosophien Kl. Müllers, Pröppers und Verweyens. Hierbei scheint sie diese allerdings weder detailliert noch theorieimmanent verstehen, sondern kursorisch wie selektiv als theologisch wie philosophisch unangemessen erweisen zu wollen. Bemerkenswert ist, dass auch Lotz den Analogiegedanken in die Debatte einführt, der bei ihm allerdings – wie die Arbeit als ganze – relativ vage bleibt (vgl. ebd., 241–248.360–365), und weniger als vermittelnde Position, denn als Bestätigung der exklusiv phänomenologischen Option betrachtet wird. Ein wesentlicher Hintergrund des Buchs dürfte der langwierige Disput zwischen Lotz’ Doktorvater Th. Freyer und Kl. Müller um die theologische Bedeutung der Subjektphilosophie sein, der vielleicht als erster offener ›Zusammenstoß‹ der beiden Paradigmen zu betrachten ist; vgl. hierzu ebd., 136–143, sowie v. a. Freyer, Menschliche Subjektivität und die Andersheit des anderen; Kl. Müller, Subjekt-Profile. Dargestellt wird dieser Disput auch etwa von W. Sandler (Subjektivität und Alterität). 83 Dieser hat sich freilich methodisch von seinem Lehrer Verweyen emanzipiert und versucht dessen Ansatz einer im Ausgang von der modernen Subjektphilosophie zu leistenden Letztbegründung vermittels analytischer Philosophie zu leisten: vgl. v. a. Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage; zu seinem Verhältnis zu Verweyen vgl. ebd., 21–25 sowie ders., Anerkennung und Ich-Apriori; ders., Philosophische Grundfragen der Theologie, 410–412.
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losophie orientierten Dreierschemas wird neben bewahrenswerten bzw. unbedingt zu bewahrenden Grundintuitionen und Beiträgen beider Paradigmen auch deren mögliche – theologische wie philosophische – Vereinseitigungen und Aporien problematisieren. Insgesamt wird sich dabei in Grundansätzen wie Ergebnissen eine – durch beiderseitige Exklusivitätsansprüche noch aufgesteigerte – diametrale Gegen-Stellung und Unvereinbarkeit der beiden Paradigmen manifestieren, von der aus sich die Frage nach einem allgemein verbindlichen Basisprinzip christlicher Religionsphilosophie in aller Vehemenz und Deutlichkeit stellt: Es erwächst also aus der Darstellung – nicht trotz, sondern aufgrund der Sympathie und dem wissbegierigen Staunen gegenüber beiden Paradigmen – das dringende Desiderat eines Lehrstücks, das beide sowohl miteinander vermittelt, als auch – und gerade hierin – in ihrem Eigenstand und ihrer individuellen Bedeutung bewahrt, sie also sozusagen gemeinsam unterfasst. Die Suche nach jenem Lehrstück soll dann zur Eruierung der gemeinsamen Ausgangssituation und des Basisprinzips aller christlichen Religionsphilosophien führen, das – in freier Anlehnung an das herausragende Werk Erich Przywaras – mit dem ›Struktur-‹, nicht aber ›Ableitungsprinzip‹ der analogia entis identifiziert werden soll. 84 Der so geschichtsträchtige Begriff der Seins- oder eigentlich Seiendenanalogie muss freilich erst einmal von philosophiegeschichtlichen wie kontroverstheologischen Schlacken gereinigt werden und neu, d. h. – auch und gerade gegenüber Przywaras unbändigem System- und Formalisierungswillen – offener, einfacher und philosophisch wie theologisch kompromissfähiger formuliert werden. Hierzu wird zunächst eine Reformulierung des Begriffs der Die Differenzierung zwischen Struktur- und Ableitungsprinzip (vgl. hierzu etwa Gertz, Glaubenswelt als Analogie, 242–245) ist entscheidend für die richtige Beurteilung des Analogiedenkens Przywaras, geht es diesem doch nicht um die Installation eines Übersystems als Deduktionsgrundlage, sondern um den nicht unabhängig von der Offenbarung zu eruierenden Ausgangspunkt kreatürlichen Denkens. Erstmals erscheint die Unterscheidung wohl in Przywara, Ringen der Gegenwart, 725; sachlich findet sie sich wieder im § 8 der AE (203–210) sowie in den Veränderungen der als dritter Band der ›Schriften‹ erschienen und um einen zweiten Teil erweiterten Neuauflage, dem neuen Untertitel des nunmehrigen ersten Teiles sowie in dessen neuem Schlusssatz (zu den Änderungen vgl. AE 5). J. Terán Dutari (Christentum und Metaphysik, 385 f.) hat entgegen vielerlei Kritik (etwa L. B. Puntels) gezeigt, dass diese Veränderungen jedoch keine sachliche Neuerung darstellen, sondern lediglich eine formale Präzisierung angesichts der seit dem Ersterscheinen aufgekommenen Missverständnisse (v. a. seitens Barths).
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Zielsetzung
Analogie als solchem erforderlich sein, die dann nicht allein zur Explikation der recht verstandenen Seiendenanalogie, sondern auch – über Przywara hinaus – zu einer Analogie der übrigen Transzendentalien führen soll. Aus systematischen Gründen – erneut ist auf den dreifachen theologischen Referenzrahmen zurück- und auf das aus ihm zu folgernde dreifache philosophische Untersuchungsschema vorzugreifen – werden hier insbesondere die Transzendentalien verum und aliquid (im Sinne eines liberum) zu behandeln sein, so dass die eine Analogie der konvertiblen Transzendentalien als eine dreifache – als triplex analogia – zu konzipieren sein wird. Im Rahmen dieser Untersuchung wird auf so vielfältige Kontroversen einzugehen sein wie philosophischerseits jene um noetisch-begriffliche gegenüber ontischer Analogie, um Attribution und Proportionalität, um ex- und intrinsische Denomination und die Frage nach ›analogem Begriff‹ und ›analoger Prädikation‹ oder theologischerseits um die Verhältnisbestimmung von analogia entis und analogia fidei, um analogia operationis und relationis, um doxologische oder adventische Analogie und die grundsätzliche Möglichkeit menschlicher Gottesrede überhaupt. Letztlich soll eine schwache und ambivalente, philosophische Transzendentalien-Analogie ›von unten‹ (horizontale Analogie) als eine vielfältige und unüberschaubare, aber ›nach oben‹ (vertikale Analogie) geöffnete Verwiesenheitsstruktur der geschöpflichen Wirklichkeit profiliert werden, 85 die als Relationalität, Logoshaftigkeit und Freiheitlichkeit alles Seienden erscheinen wird. 86 Die85 Diese relative (immer im Verhältnis zur gleichzeitig mitausgesagten Stärke!) Schwäche der Verwiesenheit als eine denkmögliche Alternativen offen lassende Ambivalenz lässt sich zur Erklärung des viel kritisierten ›Dogmas‹ von der natürlichen Gotteserkenntnis des I. Vaticanum heranziehen, wird hier doch von einem stets nur individuellen und ganzheitlichen cognosci, nicht aber von demonstrari (vgl. KB 330) gesprochen, und dieses nur als Möglichkeit (posse), nicht aber als Faktum oder gar Notwendigkeit bezeichnet, vgl. DH 3004: »Deum, rerum omnium principium et finem naturali humanae rationis lumine rebus certo cognosci posse«. Der Antimodernisteneid ergänzt hier allerdings dezidiert ein demonstrari, das freilich nicht weiter definiert wird: vgl. DH 3538. Vgl. zum Ganzen Cramer, Der Gott der bibilischen Offenbarung und der Gott der Philosophen, 17 f.; Kasper, Der Gott Jesu Christi, 96 f.; KB 314–335; RPhS 12 f. 86 M. Schulz hat in seiner Dissertation Sein und Trinität in klassisch transzendentalthomistischer Manier die apriorische Seinsbestimmtheit alles Denkens aufzuweisen versucht, hier soll – freilich mit ähnlichem Ergebnis – der umgekehrte, eher phänomenologische Weg über die ›sich verbergend-entbergende‹ (Heidegger) bzw. ›zu denken gebende‹ (Ricœur) Wirklichkeit beschritten werden. Bei entsprechender Offenheit füreinander lassen sich diese beiden Denkformen oder -richtungen durchaus miteinander
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se schwache analogia entis, veritatis et libertatis als Ausgangsbasis aller Metaphysik und Grundbestimmung menschlichen Denkens – nicht im Sinne eines höchsten Deduktionsprinzips, sondern eher eines tiefsten menschlichen »Fußpunkt[s] von Bewegung« 87 hin zu Gott – soll ferner als notwendiges und bleibendes Implikat der analogia fidei beschrieben werden (so wie im ersten Abschnitt eigentlich schon angerissen ist). Dieser Analogie im kreatürlichen Erfahrungsund Denkhorizont (als horizontaler und potentiell vertikaler) gegenüber kann dann unter inhaltlicher Auffüllung der Transzendenzperspektive ihre Vollgestalt gedacht werden, die in der Tat Schöpfer und Geschöpf umfasst, allerdings – und diesen Sachverhalt hat die größtenteils unberechtigte, wo nicht schlichtweg falsche Przywarakritik übersehen – kein Ergebnis geschöpflicher Metaphysik oder überhaupt menschlicher Denkanstrengung mehr ist, sondern Offenbarungsgegenstand. Diese Vollanalogie, welche die innerkreatürliche Ambivalenzanalogie inkludierend und vereindeutigend umfasst, dieses Gesamt des Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf noch jenseits der analogia fidei, 88 findet letztlich die höchste Verdichtung in vereinbaren, wie bereits O. Muck in seinem Standardwerk über die ›transzendentale Methode‹ im Thomismus des 20. Jahrhunderts konstatierte. So erhebe schon J. Maréchal als Vordenker des Transzendentalthomismus »keineswegs den Anspruch, daß der Ausgang vom phänomenalen Objekt [d. h. letztlich dem Denkakt und seinen transzendentalen Bedingungen] der einzig mögliche sei oder auch der natürliche. Natürlicher nämlich und auch möglich ist das Ausgehen von der spontanen Seinsbejahung der natürlichen Erkenntnis, die als ›Schau‹ und ›Hinnahme‹ des sinnlich-geistig wahrgenommenen realen und wahrnehmbaren Seienden beschrieben werden kann. So geht mit Recht die ›Kritik der Alten‹ vor. Der heutigen Problemlage, zu der die geistesgeschichtliche Entwicklung der Neuzeit geführt hat, entspricht es jedoch besser, den Anspruch der natürlichen Erkenntnis durch eine transzendentale Analyse der apriorischen Möglichkeitsbedingungen des Objektbewußtseins zu rechtfertigen« (Muck, Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart, 135). Ob Mucks abschließende Gegenwartsanalyse auch heute noch gilt – dieser Meinung sind etwa Kl. Müller (Wenn ich »ich« sage, 21–25 u. ö.), Pröpper (EF 12 u. ö.) und Verweyen (GLW 124 u. ö.) –, erscheint allerdings als nicht unumstritten. 87 AE 204. 88 Hier erscheint die durch v. Balthasar (vgl. KB 117.273.390) und G. Söhngen (vgl. Analogia fidei, v. a. 208 u. ö.) Barth als Kompromiss dargebotene und von diesem bereitwillig akzeptierte Kompromissformel einer bloßen ›analogia entis in der analogia fidei‹ als irenische Preisgabe des berechtigten Anliegens von Przywara (vgl. Barth, Kirchliche Dogmatik, II/1, 90: »Wenn das die katholische Analogia-Entis-Lehre wäre, dann müsste ich allerdings meinen früheren Satz, daß ich die analogia entis für ›die Erfindung des Antichrist‹ halte, zurücknehmen«). Zu v. Balthasar vgl. diesbezüglich etwa Gertz, Glaubenswelt als Analogie, 272 f.; Menke, Stellvertretung, 266. Allerdings scheint v. Baltha-
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Zielsetzung
Jesus Christus, der göttliche und menschliche Natur in sich vereint und so als »konkrete[] Analogia Entis« erscheint. 89 Als Erkenntnisbedingung dieser übergreifenden gott-menschlichen Analogie wie auch zur Wahrung des geschöpflichen Eigenstands in der durch die analogia fidei vermittelten Begegnung mit ihr, bedarf es jedoch bleibend der schwachen dreifachen Transzendentalien-Analogie als dem Fundament natürlichen Gottesdenkens, wie es zumindest der Sache nach schon in der Bibel grundgelegt ist. 90 Es ist dabei von vorneherein wie im Laufe der Erarbeitung zu beachten, dass die dreifache Analogie ›von unten‹ nicht als hypertrophes Überprinzip zu verstehen ist, als jener anmaßende »absoluteste Ansatz einer absoluten Metaphysik«, 91 der Przywara zu Unrecht vorgeworfen wurde, sondern als nüchternes, kritisch aufgeschichtetes Basisprinzip und Grundlegung christlich-religionsphilosophischen Denkens überhaupt. Da der Terminus ›Basis‹ diese bloße Grundsar diese Position wie überhaupt seine zwischenzeitlich kritische Haltung gegenüber Przywara (vgl. Gertz, Glaubenswelt als Analogie, 273 f.) später modifiziert zu haben, vgl. Balthasar, Verbum Caro, 93 f.: »Weil der souveräne Gott die Hilfsmittel und materiellen Bedingungen für seine Offenbarung nach freiem Ermessen selbst wählt, kann unsere Theorie auch den strengsten Forderungen der analogia fidei, wie sie Karl Barth vertritt, genügen. Sie vervollständigt diese, ohne sie aufzuheben, durch die Tatsache, daß der gleiche Gott als Schöpfer sich die Gegebenheiten in der Menschengeschichte zum voraus bereitet, derer er sich als Offenbarer bedienen will. Der Raum zwischen der allgemeinen Kulturgeschichte und der religiösen Offenbarungsgeschichte untersteht dem Gesetz der analogia entis (zwischen Schöpfung und Gott), was freilich unseren ersten Gesichtspunkt nicht in Frage stellt«. Der letztzitierte Satz zeugt allerdings ebf. von einer gewissen Diffusität der späteren balthasarschen Position. Przywara jedenfalls zeigte sich tief verletzt durch dieses Missverstehen seitens v. Balthasars, vgl. etwa In und Gegen, 277 f. Zum wechselhaften Verhältnis zwischen Przywara und Söhngen vgl. Gertz, Glaubenswelt als Analogie, 260–265. 89 Balthasar, Theologie der Geschichte, 53; vgl. KB 385. Vgl. auch die Rolle Christi als ›universale concretum‹ und Urbild der analogia entis bei Przywara: etwa RPhS 452; vgl. Terán Dutari, Christentum und Metaphysik, 273. M. Schulz, Aspekte des Wahrheitsverständnisses in der Systematik katholischer Theologie, 132, spricht in Anlehnung an v. Balthasar von einer im letzten christologischen Legitimation der analogia entis. 90 So merkt Papst Benedikt XVI. an, dass der aufmerksame Leser der Hl. Schrift »unversehens auf die Menschlichkeit Gottes stößt, auf den Menschen in der Bibel, auf die analogia entis in der analogia fidei« (Hans Urs von Balthasar, 16), und dass »ein gut Stück Religionsgeschichte in der Bibel selbst, in ihren frühen Teilen zumindest, vorhanden ist […]. Gott redet als Mensch […]. Gott ist in Jesus Christus in das ›Schema Mensch‹ eingegangen (Phil 2,7)« (ebd., 15). Zum philosophischen »Repertoire« der Hl. Schrift vgl. M. Schulz, Aspekte des Wahrheitsverständnisses in der Systematik katholischer Theologie, 134 f. 91 AE 206. A
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bestimmung vielleicht besser auszudrücken vermag als ›Struktur‹, ist ihm hier der Vorzug zu geben. Mit diesem Basisprinzip ist ein philosophischer Grundkonsens anvisiert, der auch die Anforderungen und Bedingungen der theologischen Bezugsrahmen christlicher Religionsphilosophie zu erfüllen vermag. Allerdings darf ›Basis‹ nicht im Sinne einer Festlegung der systematischen Ausgangsprämisse oder der Argumentationsstruktur der unterschiedlichen Gestalten der hiermit grundgelegten philosophischen Glaubensrechenschaft verstanden werden, bleiben diese doch gemäß den obigen Definitionen frei in der Wahl ihres Ausgangspunkts wie ihrer Methodik. Mit dem hiesigen Vorschlag ist allein beansprucht, in Gestalt der dreifachen Analogie – zumindest der Sache, nicht aber zwangsläufig auch der Terminologie nach – einen Grundgedanken zu erreichen, hinsichtlich dessen ein virtueller Konsens aller christlichen Religionsphilosophien als solcher um ihrer philosophischen Konsistenz wie theologischen Angemessenheit willen geboten ist.
1.3 Methode: Vergleich zweier religionsphilosophischer Paradigmen als Anweg zur systematischen Entfaltung der dreifachen Analogie – Glaubensverantwortung im Dialog »Wahrheit ist in der Tat niemandes Besitz als endgiltige [sic! M. L.] und absolute. Wahrheit suchen, das heißt immer, zur Kommunikation bereit sein […]. Der Kampf um Wahrheit in Freiheit ist liebender Kampf«. 92 (Karl Jaspers)
Der Aufbau dieser Untersuchung ist durch ihre doppelte Zielsetzung der Dar- und Gegenüberstellung zweier religionsphilosophischer Ansätze bzw. Denkformen und der aus dieser heraus entwickelten Profilierung der triplex analogia als eines möglichen Basisprinzips christlicher Religionsphilosophie überhaupt bereits vorgegeben. So werden die ersten beiden Teile die Darstellung der zu den zwei Para-
Jaspers, Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, 199. P. Ricœur hat diesen Gedanken des stetigen ›liebenden Kampfes‹ mit verschiedenen philosophischen Positionen zur Beschreibung seines eigenen Denkstils von Jaspers übernommen, vgl. hierzu Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 67. Im Sinne eines derartig konstruktiven und wertschätzenden Dialogs mit unterschiedlichen bis konträren Ansätzen ist auch die Methode dieser Arbeit zu verstehen.
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digmen vereinigten Philosophien zum Gegenstand haben, der dritte aber die Herleitung des erneuerten Analogiebegriffs sowie seine Anwendung und systematische Entfaltung hinsichtlich der drei Seiten der einen Analogie. Die Argumentation wird dabei stets im Spannungsfeld von Theologie und Philosophie stehen. Hierbei wird ein philosophischer Grundduktus vorherrschen, der allerdings gleichzeitig theologisch inspiriert und innerlich reguliert ist, muss eine ›klinische‹ Trennung beider Wissenschaften aufgrund ihres identischen Materialobjekts und vielfältiger methodischer Gemeinsamkeiten doch als unmöglich betrachtet werden, philosophische Voraussetzungslosigkeit aber ohnehin als bloße Utopie. Freilich muss theologische Inspiration, wo sie zur Voraussetzung oder zum Prinzip einer Schlussfolgerung wird, als solche deklariert und als je plausiblere Lösung eines philosophischen Problems begründet werden. Immer wieder wird aber auch dezidiert theologisch geprüft werden müssen, ob und wie das philosophisch Erarbeitete den Kriterien des Glaubens Genüge tut. Um den Übergang zwischen den behandelten Autoren, Inhalten und Disziplinen zu erleichtern, also aus einer systematischen Notwendigkeit heraus, wird im Folgenden wie angekündigt ein dreigeteiltes Untersuchungsschema angewandt, freilich ohne die Prätention der Installation eines Metasystems und in vollem Bewusstsein um Gefahr und Gewalt einer solchen Kategorisierung. Das dreiteilige Schema orientiert sich an der bereits unter 1.1.1 benutzten Einteilung der theologischen Implikations- und Regulationshorizonte bzw. Bezugsrahmen der Religionsphilosophie. So soll – ungeachtet der teils fließenden Grenzen – der Schöpfungstheologie die Ontologie (im unspezifischen Sinne einer – womöglich bloß impliziten – ›Wirklichkeitssicht‹) 93 als philosophisches Pendant und die analogia entis als grundlegende Seite der dreifachen Analogie zugeordnet werden,
93 Aufgrund der historischen ›Vorbelastung‹ des Terminus gilt es zu unterstreichen, dass ›Ontologie‹ hier keineswegs als eine regionale Wissenschaft zu verstehen ist, also etwa jene ›metaphysica generalis‹ Chr. Wolffs, die von speziellen Metaphysiken begleitet wird, auch nicht mit Heidegger als eine Lehre von den Seienden und nicht vom Sein, sondern ganz unspezifisch und weit als eine Besinnung auf das Sein im thomanischen Sinn, auf die actualitas omnium actuum, kurz: auf alles, was ist. Dergestalt hat sie auch nichts mit dem Schreckgespinst einer statischen Substanzontologie zu tun, sondern ist als relationale, dynamische Ontologie (vgl. FR n. 97) offen für Freiheitsgeschehen und Kontingenz; vgl. hierzu auch Kap. 8, v. a. 8.1.
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der Offenbarungstheologie die Erkenntnislehre und die analogia veritatis sowie der Gnadentheologie die Freiheitstheorie und die analogia libertatis. Die systematische Entfaltung im dritten Teil im Besonderen, aber auch die Einleitung und die Darstellung der Ansätze in den ersten beiden Teilen verdanken sich intensivem geistigem Dialog mit einer Reihe weiterer philosophischer und theologischer Gesprächspartner. So sind neben den bereits genannten Vertretern der beiden religionsphilosophischen Strömungen und dem großen ›Denker der Analogie‹ Przywara zunächst vor allem M. Heidegger, P. Ricœur und B. Weissmahr zu nennen, dazu die ›theologischen Metaphysiker‹ 94 H. U. v. Balthasar und G. Siewerth (und in ihrem Gefolge M. Bieler, G. L. Müller und M. Schulz), die Philosophen A. Anzenbacher, J.-F. Courtine, E. Coreth und L. B. Puntel, ferner B. Gertz, E. Naab und J. Terán Dutari mit ihren Przywarastudien sowie natürlich Thomas von Aquin als Schöpfer der (vermutlich!) »philosophiegeschichtlich wichtigste[n] A[nalogie]-Lehre«. 95 Demzufolge wird natürlich auch auf den Thomismus und seinen jahrhundertlangen Kampf um die Analogie einzugehen sein (hier seien nur die vier Exponenten Cajetan, Sylvester von Ferrara, Suárez und Johannes a sancto Thoma genannt), liefert er doch trotz oder vielleicht gerade wegen seiner diesbezüglichen Heterogenität und Gespaltenheit (und eines den divergierenden Positionen zugrunde liegenden Missverständnisses, s. u.) viele entscheidende Fragestellungen und auch die Terminologie der Analogiedebatte. In den beiden ersten Teilen sollen die vier darzustellenden Philosophien nicht bilderbuchartig nebeneinander gestellt, sondern kritisch und systematisch zusammengefasst, eingeordnet und reflektiert werden – jeweils unter Berücksichtigung des größeren Teils der
Hinsichtlich der etwa von M. Enders (Das Sein des Seienden) hervorgehobenen Problematik der Verquickung beider Disziplinen ist zu konstatieren, dass eine explizit von der Offenbarung ausgehende christliche Religionsphilosophie nach obiger Definition durchaus möglich ist, sofern sie ihre materialen Prämissen aus dem Bereich des Glaubens offen expliziert. Hier gilt es wohl stets abzuwägen zwischen größerer Kommunikabilität bei geringerem Gewißheitsgrad und Umfang des Erweisbaren auf der einen und je größerem Gewissheitsgrad und Erweisumfang bei standpunktbedingt geringerer Kommunikabilität. 95 Vgl. Kluxen, Art. Analogie, 221. 94
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Gesamtwerke der behandelten Denker. Methodologischer Leitfaden dieser kritischen, systematischen und vergleichenden Darstellung ist dabei das dreifache Untersuchungsraster aus ontologischer, erkenntnistheoretischer und freiheitstheoretischer Position, das umrahmt wird von einer voraufgehenden, formal individuell abgestimmten Einführung in den jeweiligen Ansatz, einer Kurzzusammenfassung und einer abschließenden, skizzenhaften philosophischen und theologischen Würdigung, welche deutlich die jeweiligen Vorzüge und Beiträge, aber eben auch Probleme, Vereinseitigungen und möglichen Aporien der Ansätze hervorheben soll. Die hierbei zu formulierenden Fragen – so gilt es unbedingt festzuhalten – sind als echte, unentschiedene Fragen und Anregungen zum Weiterdenken zu verstehen, nicht aber als Suggestivfragen oder apodiktische Urteile; mögliche Überspitzungen dienen hier dem Erkenntnisgewinn. Die vier Studien beanspruchen keineswegs, die beschriebenen Philosophien erschöpfend darzustellen (was auf so begrenztem Raume ohnehin eine Vermessenheit darstellte), sondern haben trotz relativer Selbständigkeit ihren genuinen Ort nur im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit. Der Argumentationsgang im dritten Teil ist methodologisch als Kompositum verschiedener philosophischer Stile zu beschreiben, ähnlich der von R. Schaeffler in seiner Religionsphilosophie vorgeschlagenen und angewandten Methodenkombination. 96 Es handelt sich hierbei auf der einen Seite durchaus um einen erstphilosophischmetaphysischen Ansatz, soll doch die Ausgangssituation menschlichen (theologisch gesprochen: geschöpflichen) Denkens und somit auch der Religionsphilosophie als eine ›unhintergehbare‹ 97 beschrieben werden. Aufgrund dieses Postulats einer gewissen Unhintergehbarkeit (zumindest der Sache, nicht unbedingt der sprachlichen Form nach) und der angestrebten Konsensfähigkeit, kann diese Grundlegung aber nur methodisch breit gefächert erfolgen, soll das zu erbauende Fundament vorsichtig aufgeschichtet und kritisch abgesichert werden. Maßgeblich ist dabei eine im weitesten Sinne phänomenologische Grundoption, der Ansatz bei der Wirklichkeit, bei ›den Sachen selbst‹. Phänomenologie darf hier also nicht im Sinne des späten Husserls transzendentalidealistisch als bloße Besinnung auf Gegebenheitsweisen oder ›reine Gebung‹ als solche verstanden 96 97
Vgl. Schaeffler, Religionsphilosophie, v. a. 197–250.281–283. Zur Problematik dieses verweyenschen Terminus vgl. unten, Kap. 6, sowie 8.2.2. A
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werden, 98 sondern eher im balthasarschen Verständnis als empfangendes Vernehmen bzw. – mit Papst Johannes Paul II. – als wahrnehmendes »Verhältnis des Verstandes zur Wirklichkeit« und »Haltung intellektueller Liebe« zu Mensch, Welt und Gott. 99 Als Leitmotiv fungiert dabei die sinngeleitete ›Relationalität alles Wirklichen‹ (als Synonym der analogia entis, vgl. Kap. 8.1), so dass diese Form von Phänomenologie auch – im Aufgreifen eines sprachlich sicherlich nicht sehr gefälligen und philologisch fragwürdigen Begriffs Przywaras – als ›Relationologie‹ bezeichnet werden könnte (vgl. dazu Kap. 7.2). Allerdings muss diese phänomenologische Methode ergänzt werden, nicht allein wegen des Strebens nach breiter Absicherung, sondern aufgrund ihrer eigenen Angewiesenheit auf transzendentale, hermeneutische und analytische Begründungen. 100 Diese Unerlässlichkeit einer methodischen Vielfalt basiert letzten Endes auf der als analogia veritatis zu entfaltenden Relationalität (oder eben Analogizität!) und irreduziblen Prozessualität aller Erkenntnis, aus der sich als Wahrheitskriterium nicht allein die je größere ›Konvenienz‹ einer Erkenntnis zur Weltbeschreibung ergibt, sondern mit ihr auch die je größere Integrativität (vgl. Kap. 8.2). Insofern wird auch dezidiert auf fundamentale Einsichten und Intuitionen der beiden beschriebenen Paradigmen zurückzugreifen sein. Diese kritisch rückversicherte Phänomenologie muss aber eben auch erstphilosophische Züge tragen, also nicht nur indifferent beschreiben, sondern auch deuten. Allerdings wird im Ergebnis klar die Grenze aller (Erst-) Philosophie erkennbar werden, ab der jeder apodiktische ›Beweis‹ (als Ausschluss denkmöglicher Alternativen) ausgeschlossen, und vielmehr eine Entscheidung für oder wider die gläubige Wirklichkeitsdeutung gefordert ist; jene Stelle, wo aus ›natürlicher Ontologie‹ zuVgl. etwa die Ausführungen von C. Beauvais über Husserls »inflexion kantienne« und deren Kritik v. a. durch R. Ingarden und H. Conrad-Martius (Edith Stein et Erich Przywara, 320). 99 Papst Johannes Paul II., Address of John Paul II. to a delegation of the World Institute of Phenomenology of Hanover: »Phenomenology is primarily a style of thought, a relationship of the mind with reality whose essential and constitutive features it aims to grasp, avoiding prejudice and schematisms. I mean that it is, as it were, an attitude of intellectual charity to the human being and the world, and for the believer, to God, the beginning and end of allthings«. Der phänomenologisch geschulte Papst spielt hier wohl auf den spinozischen Topos der amor Dei intellectualis an. 100 Vgl. die entspechenden luziden Ausführungen Schaefflers, etwa Religionsphilosophie, 216–218, und vor allem Przywaras geniale Gegenüberstellung von »Meta-ontik« bzw. »Meta-noetik«, die beide ineinander überführt, vgl. Anm. 72. 98
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nächst eine ›natürliche Theologie‹ werden, und dann der ›übernatürliche‹ Glaube einsetzen kann. 101 Zum Abschluss der methodologischen Vorbemerkungen müssen nun – angesichts der Weite des Aufgabenfeldes ›Christliche Religionsphilosophie‹ und insbesondere des schier unermesslichen Segments der Analogie als dem »klassischen metaphysischen Urgestein«, 102 dessen Bibliographie schon vor Jahrzehnten Forscher zu lähmen drohte, 103 dieser Untersuchung noch einige Einschränkungen vorangestellt werden. Was zum Ersten den Anspruch der Untersuchung anbetrifft, so versteht sie sich dezidiert als Plädoyer und Versuch, d. h. als Diskussionsbeitrag, der notgedrungen vereinfachen, kürzen und systematisieren muss. Daher dürfen die folgenden Ausführungen zu den behandelten Autoren keineswegs als Gesamtdarstellungen, endgültige Klassifizierungen oder gar Überwindungen ihres Denkens verstanden werden. Hier soll nichts mit Hegel ›aufgehoben‹ werden, sondern vielmehr mit dem einzig wahren ›Meister‹ alles Zuträgliche wertgeschätzt und integriert werden (vgl. Mk 9,40parr.). Alle betrachteten Ansätze haben sich bereits als außerordentlich fruchtbar und wichtig erwiesen und sollen hier lediglich miteinander ins Gespräch gebracht und stellenweise auf Optimierungsmöglichkeiten im Hinblick auf einen möglichen, unterfassendintegrierenden Kompromiss hin untersucht werden. Zweitens wird hinsichtlich der bald zweieinhalbtausendjährigen Geschichte der philosophischen Analogielehre keine ›Patentlösung‹ zu offerieren oder auch nur eine Gesamtdarstellung zu leisten sein, 104 es wird allerdings immer wieder auf bestimmte Aspekte und Autoren der wechselhaften Geschichte der Analogie rekurriert werden. Mit Ricœur darf hier Vgl. H I, 160. Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage, 66. 103 Beredte Beispiele liefern hier etwa R. McInerny (The logic of analogy, V: »[A] complete bibliographie in this area would doubtless assume depressing proportions«) und B. Montagnes (La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin, 7: »[S]ujet […] sur lequel on n’aurait déjà, semble-t-il, que trop écrit […] [d’]une bibliographie dont l’ampleur décourageante nous inviterait plutôt à renoncer«). Aus jüngerer Zeit vgl. etwa J. Lonfats fatalistisches Fazit: »Le champs d’investigation [la métaphysique, l’ontothéologie et l’analogie de l’être; M. L.] ainsi ouvert est proprement démesuré« (Lonfat, Métaphysique et ontothéologie, 265). 104 Hier sei nur kurz auf die sehr detaillierte Studie L. B. Puntels verwiesen (Analogie und Geschichtlichkeit). Weitaus komprimierter, aber ebenfalls sehr ergiebig ist der HWP-Artikel Analogie W. Kluxens. Vgl. zu weiterer herangezogener Literatur zur Analogielehre die Einleitung zum dritten Teil, Anm. 3. 101 102
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jedoch daran erinnert werden, dass alles Denken immer schon und notwendig Auswahl ist, ohne deswegen gleich eklektizistisch zu sein. Drittens und letztens wird unbeschadet einiger Diskussionen mit Theologen wie v. a. K. Barth, E. Jüngel und W. Pannenberg keine umfassende Darstellung der protestantischen Sichtweise oder besser Sichtweisen der Analogie (bzw. der Frage nach der Religionsphilosophie überhaupt) geboten werden können, wofür sich ›drüben‹ gewiss besser geeignete Autoren finden lassen dürften. So versteht sich diese Arbeit als ökumenisches Gesprächs- und Kompromissangebot, will also kein fertiges System und mit diesem gleich die Antwort des Gegenübers liefern. Einerseits haben sich die Wogen der Auseinandersetzung zwischen Barth und Przywara um die »Erfindung des Antichrist« 105 zwar mittlerweile geglättet, betrachtet man die Kontroverse beiderseits mittlerweile doch weitestgehend als Missverständnis, 106 und zeugen hoffentlich auch die Ausführungen dieser Arbeit davon, dass die Seiendenanalogie weder eine denkerische Bemächtigung Gottes noch das Einmünden der Theologie in Aporie und Absurdität darstellt. Andererseits scheint aber das letzte ökumenische Wort über die analogia entis (sc. die Sache, nicht aber unbedingt den Begriff!) noch nicht gesprochen, scheint das Thema – wo nicht bloß irenisch unter dem Deckmäntelchen analogia fidei seu relationis seu operationis verhüllt – immer noch von einiger Bedeutung für den interkonfessionellen Dialog zu sein als ein solches, das in das Herz der schmerzlichen Frage nach dem Trennenden weist: auf die Verhältnisbestimmung von Gnade und Natur (bzw. begnadeter und gefallener Natur), von Rechtfertigung und cooperatio, von Unmittelbarkeit und Mittlerschaft. Hierbei geht es keineswegs um das 105 So das wenig zurückhaltende, aus dem Eindruck eines vermeintlich überschwänglichen Gottesbeweises gespeiste Urteil Barths über die Analogielehre, vgl. Barth, Kirchliche Dogmatik, I, 1, XIIIf.: »Ich halte die analogia entis für die Erfindung des Antichrist und denke, daß man ihretwegen nicht katholisch werden kann. Wobei ich mir zugleich erlaube, alle anderen Gründe, die man haben kann, nicht katholisch zu werden, für kurzsichtig und unernsthaft zu halten«. 106 Vgl. etwa Beintker, Die Dialektik in der »dialektischen Theologie« Karl Barths, 250; Bieler, Die kleine Drehung, 324 f.; Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 386 f. und v. a. Mechels, Analogie bei Erich Przywara und Karl Barth. In den Worten v. Balthasars (KB 269): »Mit den beiden Aufstellungen: keine Philosophie als starrer formaler Rahmen, in welchen der Inhalt der Theologie gegossen würde, und Zeichnung jeder konkreten Philosophie vom Ja oder Nein zur übernatürlichen Ordnung der Offenbarung her, dürfte die Absicht Przywaras klar genug abgesteckt sein. Von dem Schreckgespenst der analogia entis, das Barth daraus machte, ist bei ihm schlechterdings nichts zu finden«.
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starre Festhalten am bloßen Begriff oder formalen Konzept einer katholischen ›Analogie‹ gegenüber einer protestantischen ›Dialektik‹ – keine Philosophie darf die Christenheit trennen –, sondern es geht letztlich um materiale Inhalte des Offenbarungs- und Glaubensverständnisses; 107 allerdings können diese Inhalte ihrerseits durchaus bestimmte ›Denkformen‹ bedingen. 108 Der Bedarf an Dialog und Diskussion besteht also in erster Linie hinsichtlich der konkreten Inhalte und erst sekundär hinsichtlich der durch sie bedingten Denkform und muss (so ein wesentliches Anliegen auch der in dieser Arbeit vorgenommenen Begriffsklärung) gerade hinsichtlich der Analogielehre von den immunisierenden Barrikaden formalistischer Terminologien befreit werden. Erst die weitere Kärrnerarbeit an den konkreten Trennungs-›Artikeln‹ wird über die – Gott sei es gedankt – noch offene Frage entscheiden, ob (wie Greshake mit Verweis auf die Analogie insinuiert und gleichzeitig überraschenderweise als sekundär abtut) die Denkformen des Katholischen und des Evangelischen wirklich unvereinbar sind. 109
107 Vgl. etwa KB 394: »[D]ie Unterscheidungslehren der katholischen Kirche – ›das katholische Plus‹ – […] haben ihre Deutung und Rechtfertigung nicht von irgendeiner Philosophie her, auch nicht von der Synthese irgendeiner Philosophie mit der christlichen Theologie, sie haben sie vielmehr, da die Kirche in ihrem Wesen eine übernatürliche Gemeinschaft ist, ausschließlich aus der Offenbarung selbst«. ›Analoges‹ dürfte wohl auch für protestantische ›Unterscheidungslehren‹ gelten, ohne dass hier eine Aussage über den notwendig kirchentrennenden Charakter dieser Lehren ›hüben wie drüben‹ gemacht werden soll. 108 Der Begriff der ›Denkform‹ wird hier in Anlehnung an v. Balthasar im Sinne von »Weltanschauung« und »Denkschematismus« verwendet, vgl. ebd., 201–210, hier 203. Diese Überlegungen sind durchaus kompatibel mit dem gleichnamigen Konzept Pröppers, vgl. hierzu unten, v. a. Kap. 5.1 u. 5.3. 109 Vgl. hier Greshake, Was trennt?. Es ist verblüffend, wie der frühere Freiburger Dogmatiker die tatsächliche Existenz einer fundamentalen Denkformendifferenz affirmiert und diese zugleich dahingehend relativiert, dass sie keineswegs notwendig als konfessioneller Trennungsgrund betrachtet werden müsse (vgl. ebd., 165). Vgl. zum Ganzen auch Jüngels Klassifikation der Analogielehre als konfessionelles »Schibboleth« (Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit, 5).
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Erster Teil: ›Intuition statt Intention!‹ oder ›Gott jenseits der Begriffe?‹ – Ein religionsphilosophisches Paradigma der neueren Phänomenologie in Frankreich Unter ›neuerer französischer Phänomenologie‹ ist hier – wie bereits angemerkt – an jene Positionen gedacht, die Dominique Janicaud in seiner Polemik Le tournant théologique de la phénoménologie française von 1991 als ›theologisch gekehrte‹ Phänomenologien bezeichnet hat. Er richtet sich dabei dezidiert gegen die Philosophien von Jean-Louis Chrétien, Michel Henry und Emmanuel Levinas sowie gegen Jean-Luc Marion, mit dem er sich zusätzlich in der als Fortsetzung des Tournant zu lesenden Studie La phénoménologie éclatée beschäftigt hat. Paul Ricœur, der ebenfalls in Verdacht gerät, wird jedoch weitestgehend – laut Janicaud aufgrund seiner methodischen Gewissenhaftigkeit – von den Anschuldigungen befreit. 1 Janicauds Vorwürfe, die eine fruchtbare Kontroverse 2 auslösten und – um es mit Jean Greisch zu sagen – bei aller polemischen Zuspitzung sicher keine bloßen ›Donquichotterien‹ darstellen, 3 unterstellen einen theologisch motivierten Verrat an der methodisch sauberen Phänomenologie, die unkritische Übernahme theologischer Prämissen bzw. die »Geiselnahme [der Philosophie; M. L.] durch eine Theologie, die ihren Namen nicht kundtun will«. 4 In den genannten Philosophien würde der Logos ausgenutzt, um ihn dann um so effi-
Vgl. Janicaud, Le tournant théologique de la phénoménologie française, 13: »Le tournant théologique est évidemment contenu in ovo dans ce genre d’interrogation [en SMA; M. L.]; mais Ricœur s’est bien gardé de franchir le pas. Ses scrupules [!] méthodologiques l’ont conduit à multiplier les précautions herméneutiques préalables à tout passage de la phénoménlogie à la théologie«. Dieses Urteil ist sicherlich bedingt durch die Vorsicht des späten Ricœur, nicht als Theologe zu erscheinen, vgl. etwa D. Müller, Paul Ricœur, 161 (s. Kap. 1, Anm. 48). 2 Vgl. zu dieser Debatte beispielsweise Courtine (Hg.), Phénoménologie et Théologie; Janicaud, Phenomenology »wide open«. Der vielleicht am vehementesten attackierte Marion verteidigt sich etwa in Eine andere »Erste Philosophie«, 32 f. 3 Vgl. Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 366. 4 Janicaud, Le tournant théologique de la phénoménologie française, 31: »En fait, la phénoménologie a été prise en otage par une théologie qui ne veut pas dire son nom«. 1
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zienter ›zerplatzen‹ zu lassen, 5 werde die strenge und anstrengende Wissenschaftlichkeit der husserlschen Methodik, d. h. die phänomenologische Reduktion, zugunsten einer unkritischen Simplifikation geopfert, die sich mal als reine ›Alteritätsthese‹ (Levinas), mal als ›Autoaffektion‹ (Henry), als bloßer ›Anruf‹ (Chrétien) oder als bloße ›Gebung‹ (Marion) artikuliere und die Schwelle zur Metaphysik und zur (mit Heidegger vehement abgelehnten) Onto-Theologie überschritten habe. 6 Jean Greisch, der die ›Liste der Verdächtigen‹ um Jean-Yves Lacoste erweitert, behandelt die Positionen in seiner dreibändigen Geschichte der Religionsphilosophie und fasst sie unter der Überschrift »Die neuen Horizonte der Phänomenologie« zusammen. 7 Dreierlei sei ihm zufolge allen genannten Philosophien gemeinsam: die kritische Examinierung der Fundamente der Phänomenologie in Gestalt einer fundamentalen Kritik der husserlschen Lehre von der Intentionalität, 8 die unterschiedlich akzentuierte Heideggerkritik und die – entgegen dem ganzen janicaudschen Verdikt sehr wohl berechtigte, ja eigentlich sogar in der Natur der Phänomenologie grundgelegte – Beschäftigung mit dem Theologischen. 9 Bei aller Vgl. ebd., 57: »[E]lle [sc. l’intelligibilité de la transcendance chez Levinas; M. L.] exploite cependant les ressources du logos pour mieux le faire éclater«. Vgl. dazu auch den signifikanten Buchtitel La phénoménologie eclatée der Studie über Marions Étant donné. 6 Vgl. Janicaud, Le tournant théologique de la phénoménologie française, 86–88. 7 Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 241–372: »Les nouveaux horizons de la phénoménologie«. 8 Vgl. ebd., 241. 9 Vgl. ebd., 366 f.: »Le ›tournant théologique‹ qu’il incrime est-il seulement une évolution catastrophique récente, due à quelques hérétiques, qui auraient trahi l’orthodoxie de la phénoménologie husserlienne, ou s’agit-il au contraire d’une possibilité inscrite, dès le départ, dans l’idée même de phénoménologie, comme ›science transcendentale de l’expérience‹?« Die Klassifikation der genannten Ansätze als phänomenologisch dürfte in der Tat von der Antwort auf die Frage abhängen, ob es so etwas wie eine Husserlorthodoxie überhaupt gibt, und – wenn ja – ob diese notwendiges Kriterium aller Phänomenologie sein kann. B. Waldenfels (Einführung in die Phänomenologie, 9) jedenfalls verneint diese Frage mit P. Ricœur, der die phänomenologische Tradition ja ganz im Gegenteil als Geschichte von ›Husserlhäresien‹ beschrieben hat, die obendrein notwendig aus der Werkanlage und dem ganzen Denken des Gründers hervorgingen; vgl. Ricœur, À l’école de la phénoménologie, 156: »L’œuvre de Husserl est le type d’œuvre non résolue, embarrassée, raturée, arborescente; c’est pourquoi bien des chercheurs ont trouvé leur propre voie en abandonnant aussi leur maître, parce qu’ils prolongeaient une ligne magistralement amorcée par le fondateur et non moins magistralement biffée par lui. La phénoménologie est pour une bonne part l’histoire des hérésies husserliennes. La structure de l’œuvre du maître impliquait qu’il n’y eût pas d’orthodoxie husserlienne«. Es bliebe wohl tatsächlich nicht viel von der Phänomenologie als philosophischer Strö5
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Sympathie, die der renommierte Pariser Philosoph und Theologe für die beschriebenen Ansätze hegt, ist er aber doch zu sehr Heideggerianer, um ihr Desiderat eines völligen Umsturzes der Phänomenologie unterstützen zu können, und nimmt deren klassische Vertreter wiederholt in Schutz. 10 Paul Gilbert charakterisiert die französischen Neuansätze schließlich prägnant als Versuch, die Intention durch die Intuition zu erfüllen. 11 Im Vorgriff auf das Folgende wäre allerdings besser von ›Ersetzung‹ der Intention durch die Intuition als von ›Erfüllung‹ zu sprechen, wobei freilich zu klären bleibt, was genau dabei unter beiden Begriffen verstanden wird. 12 Hier sei nur soviel gesagt, dass wohl zwischen einer passiven, impressionalen Intuition (etwa im Sinne der klassischen species sensibilis) und einer eher aktiven, intentionalen Intuition (species intelligibilis) unterschieden werden muss, und dass ›Intuition‹ in einem weiten Sinne als innerliches Gewahrwerden, nicht aber als absolute Evidenz oder spezifische ›Schau‹ zu verstehen ist. Unabhängig davon, ob Janicauds pejorative Klassifikation als ›theologisch gekehrte‹ Phänomenologie den beschriebenen Ansätzen in ihrer Gänze nun gerecht wird oder nicht, steht außer Zweifel, dass sie alle sehr wohl als religionsphilosophisch zu bezeichnen sind, behandeln sie doch jede auf ihre Weise die Frage nach dem Gesamt der mung übrig, wenn strenge Husserltreue (sofern solche angesichts der diversen begonnenen und wieder aufgegebenen Wege im Werk des Meisters überhaupt möglich ist) zu ihrem Maßstab würde; jedoch fragt sich ebenfalls, ob die übrigen von Waldenfels referierten Definitionen der Phänomenologie bei Husserl selbst (›Arbeitsphilosophie‹), Heidegger (›Entdeckung der Möglichkeit des Forschens‹) oder Merleau-Ponty (›Stil‹ bzw. ›in ihr arbeitet es‹) wirklich aussagekräftig und ausreichend differenzierend sind. Im Folgenden wird daher – ohne die grundsätzliche Zuordnung zum Gesamt der Phänomenologie in Frage zu stellen – jeweils nach dem spezifisch Phänomenologischen in den einzelnen Ansätzen und im philosophischen Selbstverständnis ihrer Urheber zu fragen sein. 10 Vgl. etwa Greisch, »Le monde à l’envers«, mit dem skeptischen Untertitel »Quel renversement, de quelle phénoménologie?«. Die polemischen Übertreibungen der Husserl- bzw. Heideggerkritik von Henry und Levinas werden im Folgenden noch zu behandeln sein. 11 Gilbert, L’invention de la »philosophie de la religion«, 71: »la phénoménologie, si centrée sur la question du remplissement de l’intention par l’intuition«. Die Formulierung verdankt sich wohl Greisch, Le buisson ardent, 325; vgl. Kap. 4, Anm. 38. 12 So wendet sich Levinas verbal explizit gegen die Intuition, allerdings verstanden als intellektuelle Intuition mit Adäquationsanspruch, die als solche unter das Verdikt totalisierenden Evidenzstrebens fällt (vgl. DEHH 37–42), während Henry sie konsequent mit aller an die ›Schau‹ und das ›Sehen‹ gebundenen Evidenz als nichtig ablehnt (vgl. erstmals wohl Henry, L’essence de la manifestation, 16–25). A
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Wirklichkeit im Hinblick auf das Absolute. Selbst dort noch, wo sie explizit den Zusammenhang von Religion und Philosophie leugnen 13 und damit gleichzeitig – so wird noch zu zeigen sein – implizit ein Aufgehen der Philosophie in die Religion hinein propagieren, geschieht dies im Rahmen der Philosophie und als Philosophie. Inwieweit es sich um christliche Religionsphilosophien nach obiger Definition (vgl. 1.1.3) handelt, wird noch zu klären sein; freilich nicht im Hinblick auf die Philosophie Levinas’, die als dezidiert jüdische gewürdigt und nicht in prätendierter christlicher Überlegenheit absorbiert werden soll. Dennoch bleibt natürlich auch gegenüber genuin jüdischer Philosophie die hier gestellte Frage möglich und legitim, ob oder wie sie sich für eine christliche Adaption eignet, wozu ja bereits hinsichtlich des levinasschen Denkens zahlreiche Ansätze vorliegen (s. u.). Im vorliegenden ersten Teil sollen nun vor allem die Positionen von Michel Henry und Emmanuel Levinas als die vielleicht profiliertesten, die übrigen aber nur kursorisch und der Vollständigkeit halber präsentiert werden. 14 Dabei werden unterschiedliche und gemeinsame Hintergründe und Abhängigkeiten der Ansätze hervortreten, ihre gründenden Einsichten wie unerlässlichen Beiträge zu jeder christlichen Religionsphilosophie, aber auch ihre philosophieimmanent-gnoseologischen wie theologischen Grenzen und Aporien. Vorweggenommen sei hier nur der vielleicht entscheidende gemeinsame Charakterzug der Ansätze, der sich als ›onto-logisch‹ qualifizieren lässt: Alle Ansätze halten – damit letztlich und teils unbewusst in Heideggers Nachfolge stehend 15 – an einer Onto-logie im In radikaler Weise tut dies wohl wiederum nur Levinas, vgl. etwa »Dieu et la philosophie« in DI 93–127. Dort heißt es z. B.: »Dieu est arraché à l’objectivité, à la présence et à l’être. Ni objet, ni interlocuteur« (ebd., 115). Aber auch Henry leugnet den Zusammenhang zwischen dem Religiösen, der Sphäre des immanenten Lebens und der Philosophie nach herkömmlichem Verständnis, da diese dem ›Welterscheinen‹ unterliege, vgl. 2.3. 14 Die Philosophie Henrys wird gegenüber jener Levinas’ aufgrund des weit geringeren Bekanntheitsgrades ein wenig detaillierter dargestellt werden. 15 Hier ist auf das vielleicht zentrale Element der heideggerschen Umgestaltung der Phänomenologie hinzuweisen, nämlich die – durch seine eigene ›Kehre‹ verstärkte, aber keineswegs erst instaurierte – Denkbewegung vom Sein anstatt von der menschlichen Transzendentalität aus, das Waldenfels gar von Heideggers »Weg durch die Phänomenologie« sprechen lässt (Einführung in die Phänomenologie, 48–52). Vgl. v. a. ebd. 52: »›Dasein‹ läßt sich aber auch lesen als Da-sein, als das Da des Seins selbst, und das ›Dasein‹ des Menschen besagt ›Ek-sistenz‹, ein ›Hinaus-stehen‹ in die Wahrheit des Seins. Die sprachlichen Gewaltsamkeiten zeigen, welche Anstrengungen erforderlich waren, 13
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genitivus subiectivus fest, einer Sprache, einem Reden bzw. einer Signifikation der Wirklichkeit vor aller menschlichen Reflexivität oder gar Sinngebung. Diese prädiskursive Sprache äußert sich freilich mal in engerer Heideggeranlehnung als solche des Seins (oder ›des Lebens‹), wofür Michel Henrys Philosophie das Exemplum liefert, mal unter Verwerfung des heideggerschen Seinsprimats als solche des Seienden (oder ›des Anderen‹) wie im Werk von Emmanuel Levinas. Ungeachtet dieser konzeptionellen Differenzen zeigt sich im gemeinsamen Zug jedoch auch das gemeinsame Anliegen, nämlich die Generalkritik bzw. Revision des vermeintlichen abendländischgriechischen Denkparadigmas mit seinem Primat des theoretisch-intentionalen Weltzugangs in Sinngebung und Intentionalität, jenes Denkens, das letztlich nicht allein Grundlage, sondern auch Zentrum der transzendentalphilosophischen Modelle zur Letztbegründung des Glaubens ist, so dass sich schon im Ausgang deutlich die Kontrapositionierung der beiden philosophischen Paradigmen zeigt.
um die hermeneutische Phänomenologie von dem Verdacht einer bloßen Anthropologie oder gar einer zwitterhaften Transzendentalanthropologie zu befreien und Mittel und Wege zu finden, um den Menschen vom Sein her zu denken und nicht umgekehrt das Sein vom Menschen her«. A
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2. Michel Henrys ›Lebensphänomenologie‹ »[L]’Œil de Dieu nous regarde. C’est l’ivresse sans limites de la vie, l’Archi-jouissance de son amour éternel en son Verbe, son Esprit qui nous submerge. Tout ce qui est abaissé sera relevé […]. L’Archi-gnose est la gnose des simples«. 1
Der französische Philosoph und Literat Michel Henry 2 (1922–2002) gilt als Begründer der sogenannten ›Lebensphänomenologie‹. 3 Grundgelegt hat er diese ›radikalisierte Phänomenologie‹ in seinem ersten, zweibändigen Hauptwerk L’essence de la manifestation von 1963, 4 dessen fundamentalen Einsichten er zeitlebens treu geblieben ist. Die damals entworfenen Thesen wurden in der Folgezeit durch sein ganzes, von erstaunlicher Konsequenz gekennzeichnetes Werk hindurch in verschiedenen philosophischen wie literarischen Sektoren angewandt und entfaltet. Hier ist neben seinen Romanen und dezidiert philosophischen Schriften (bspw. seine Auseinandersetzung mit Husserl und der klassischen Phänomenologie in der Phénoménologie materielle aus dem Jahr 1990) etwa an die Marxismusstudien (Marx von 1976 und Du communisme au capitalisme von 1990), an das Buch über die Psychoanalyse (La généalogie de la psychanalyse von 1985), die Kandinskyinterpretation (Voir l’invisible aus dem Jahr 1988) oder den kulturphilosophischen Essay La Barbarie von 1987 gedacht. Henrys Werk stellte also bereits einen beachtlichen und bei aller Vielfalt doch homogenen Komplex dar, als er – nach eigenen Angaben spät (wohl 1993–1994) und angeregt durch seine philosophische Forschungstätigkeit – begann, sich philosophisch mit dem IPC 374. Zur Biographie Henrys vgl. Thireau-Decourmont, Michel Henry; Vaschalde, Entretien. Eine ausführliche primäre wie sekundäre Bibliographie findet sich in Kühn/Nowotny (Hg.), Michel Henry, 265–286. 3 Zur Lebensphänomenologie vgl. etwa R. Kühns Artikel im Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe (Art. Leben); ders., Die lebens-phänomenologische Gegen-Reduktion; ders., Geburt in Gott; ders., Radicalité et passibilité. Der deutsche Philosoph und Theologe Kühn ist wohl als Vorreiter der Methode im deutschsprachigen Raum zu nennen, hat neben umfangreichen eigenen Veröffentlichungen zum Thema Henrys Werke ins Deutsche übersetzt und ist Mitarbeiter verschiedener lebensphänomenologischer Institute in Deutschland und Österreich. Als Einführung können auch dienen Laoureux, L’immanence à la limite; Waldenfels, Einführung in die Phänomenologie, 72 f. 4 Hier zitiert in der dritten Auflage aus dem Jahr 2003; seit der zweiten Auflage (1990) sind beide Teile in einem Band zusammengefasst. 1 2
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Michel Henrys ›Lebensphänomenologie‹
Christentum zu befassen. 5 So konnte er den schon lange propagierten ›Logos des Lebens‹ mit jenem des ersten Johannesbriefs und des Johannesevangeliums identifizieren, 6 konnte hinter der lange gehegten »Frage nach dem Verhältnis des Lebens zur Welt […] die Frage des Verhältnisses des Lebens zum Lebendigen [i. e. Christus; M. L.]« entdecken. 7 In Folge dieser (allerdings doch recht selektiven) intellektuellen Hinwendung zur christlichen Tradition, nicht allein zum Neuen Testament, sondern auch zu einigen patristischen Autoren, verfasst Henry dann seine religionsphilosophische Trilogie aus C’est moi la vérité. Pour une philosophie du christianisme (1996), L’Incarnation. Une philosophie de la chair (2000) und Paroles du Christ (2002), die er kurz vor seinem Tod vollenden kann. Postum veröffentlicht Jean-Luc Marion die vierbändige Schriftensammlung De la phénoménologie, deren vierter Band (Sur l’ethique et la religion) einige religionsphilosophische Aufsätze Henrys enthält. Die Einordnung des Denkens Henrys in den religionsphilosophischen Kontext dieser Arbeit geschieht also nicht willkürlich, sondern beruht auf der inneren Zielrichtung seines Denkens selbst, vor allem im Spätwerk. Schließlich hat Henry dezidiert beansprucht, so zeigt es ja schon der Untertitel von CMV, eine ›christliche Philosophie‹ geschaffen zu haben. Der aufmerksame Leser seines Werkes könnte sogar zu der Ansicht gelangen (die auch im Folgenden vertreten wird), dass Henry, der es in seinem Werk nie an Radikalität und Anspruchsabsolutheit mangeln lässt, letztlich sogar für sich beansprucht, die Philosophie des Christentums geschaffen oder doch zumindest identifiziert, das ›christliche cogito‹ schlechthin eruiert zu haben. 8 Henrys Bestrebungen haben seitens der französischen ka5 Vgl. Thireau-Decourmont, Michel Henry, 18. Waldenfels (Einführung in die Phänomenologie, 166 f.) beschreibt Henry 1992 gar noch als Kritiker aller historischen Religionsformen. 6 Vgl. Henry, Phénoménologie de la chair, 151. Hier ist bereits auf den teils unkritischen Umgang Henrys mit den Schriften des Neuen Testaments hinzuweisen (vgl. dazu auch Anm. 308), identifiziert Henry doch etwa durchgängig den Evangelisten mit dem Verfasser des ersten Johannesbriefes. 7 Thireau-Decourmont, Michel Henry, 18. 8 Freilich konstatiert Henry, dass keine einzelne Philosophie dem Phänomen des Religiösen aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Bereich des ›Lebens‹ vollkommen gerecht werden könnte (vgl. Henry, Phénoménologie de la chair, 151), allerdings ist hier wohl an die Philosophie im Allgemeinen gedacht, die Henry ja einer Generalkritik unterzieht, nicht an die eigene Philosophie, die ja gerade den Bereich des ›Lebens‹ und damit eo ipso auch jenen der Religion beschreibt bzw. sich aufhebend in ihn einführt, vgl. 2.3.
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tholischen Universitätsphilosophie zunächst ein zwar schwaches, aber doch durchweg positives Echo gefunden, das sich freilich angesichts der hohen Komplexität, philosophischen Exponiertheit und auch aufgrund theologischer Defizite bald wieder relativiert hat. 9 Im Folgenden soll sein religionsphilosophisches Konzept zwar auf Basis des Gesamtwerks, vor allem aber anhand der Trilogie des Spätwerks in (durch die werkimmanente Konsequenz zu rechtfertigender) weitestgehender Synchronie dargestellt werden. Hierbei wird freilich nochmals enger auf das als Hauptwerk zu betrachtende Buch Incarnation. Une phénoménologie de la chair zu fokussieren sein, so dass sich Teile dieses Kapitels geradezu als Auslegung dieser Schrift lesen. Dies liegt darin begründet, dass IPC nicht allein eine gewisse Synthese des Gesamtwerks darstellt, sondern auch dessen entscheidende religionsphilosophische Fortführung. Angesichts der höheren Komplexität und Novität sowie der bisher eher geringfügigen Rezeption des lebensphänomenologischen Ansatzes im deutschen Sprachraum sind die Überlegungen Henrys dabei detaillierter darzustellen als jene von Levinas, Pröpper und Verweyen. Hierbei wird das in der Einleitung dargestellte Dreierschema von ontologischer (2.2), erkenntnistheoretischer (2.4) und freiheitsphilosophischer Positionierung (2.5) zugrundegelegt, dem eine allgemeine Einführung in den Ansatz (2.1) voraufgeht. Das dreifache Untersuchungsraster wird weiterhin im Anschluss an die ontologische Position durch die dort systematisch zu situierende philosophische Gotteslehre Henrys unterbrochen (2.3), um schließlich – nach der Kurzzusammenfassung (2.6) – mit der skizzenhaften philosophisch-theologischen Würdigung abgeschlossen zu werden (2.7).
Ein beredtes Beispiel hierfür ist etwa E. Falque, der Henry im gleichnamigen Aufsatz (Michel Henry Théologien) zunächst nicht nur zum »Theologen« erklärt hat, sondern gleich auch noch zum griechischen und lateinischen Kirchenvater resp. Verfasser einer theologischen Summe (vgl. ebd., 526–529), um sein Urteil dann später zu relativieren und Henrys Denken einer scharfen philosophischen wie theologischen Kritik zu unterziehen, vgl. Falque, Y-a-t-il une chair sans corps?.
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2.1 Denkansatz: Radikalisierte Phänomenologie »Le renouvellement de la phénoménologie n’est possible aujourd’hui qu’à […] la condition que la question qui la détermine entièrement, et qui est la raison d’être de la philosophie, soit elle-même renouvelée. Non point élargie, corrigée, amendée, encore moins abandonnée, mais radicalisée«. 10
Henrys Denkansatz soll hier in insgesamt sieben Schritten beschrieben werden. Zunächst ist auf seine grundlegende, affirmierende Hinwendung zur Phänomenologie hinzuweisen (1), dann aber seine radikale Kritik an Husserl und der ›klassischen‹ Phänomenologie in fünf Punkten zu beschreiben (2–6), von der aus sich dann abschließend ein Verständnis dessen ergibt, was er unter dem als Inbegriff der eigenen Philosophie postulierten radikalisierenden Umsturz der Phänomenologie versteht (7). (1) Hinsichtlich des Ausgangspunktes wie der Methode der henryschen Philosophie ist zunächst festzuhalten, dass sich bei ihm trotz seiner fundamentalen Husserl- und Heideggerkritik doch wiederholt ein dezidiertes Bekenntnis zur Phänomenologie finden lässt. Die alles entscheidende Frage – so erklärt er beispielsweise bereits eingangs der Incarnation – sei jene nach dem »Erscheinen« (apparaître), und Phänomenologie als Wissen oder Wissenschaft von diesem Erscheinen die entscheidende Methode zu ihrer Beantwortung. 11 Dabei setzt er sich jedoch gleich kritisch mit dem berühmten siebten Paragraphen von Sein und Zeit und Heideggers dortiger Übersetzung des Kompositums ›Phänomenologie‹ als aufweisendes Sehen- oder Vernehmenlassen 12 (apophantischer lgo@) des »Sich-an-ihm-selbst-
PhM 6. Vgl. IPC 35–39. 12 Es ist bezeichnend, dass Henry hier das ›Vernehmenlassen‹ unterschlägt und nur das ›Sehenlassen‹ bei Heidegger anführt, wird er später doch diese optische Vorstellung als Inbegriff der ›E-videnz‹ des Welterscheinens kritisieren. In diesem Zusammenhang ist J. Greischs Vorwurf zu erwähnen, Henry habe Heideggers eigene Sichtbarkeitskritik unterschlagen, die Sein und Zeit geradezu »spicke« (»émaille«): vgl. Greisch, »Le monde à l’envers«, 65. Es zeigt sich bereits, dass Henry teils der Versuchung erliegt, dargestellte Ansätze um der Prägnanz der eigenen These willen bewusst zu verkürzen oder zu modifizieren. An dieser Stelle wird auch der von Henry ausgemachte Nexus zwischen Evidenzgedanken und ›klassischem‹ Logos-Begriff deutlich, die er beide (vgl. unten, 2.2.) einer Generalkritik unterziehen wird. 10 11
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zeigende[n]« (fainmenon) auseinander. 13 Heidegger führe das erste, genitivische Morphem des Wortes zu Unrecht auf das griechische Substantiv fainmenon zurück, eigentlicher Gegenstand der Phänomenologie sei nämlich nicht der Inhalt der ›Erscheinung‹ (apparence), das ›Phänomen‹ als solches, sondern in erster Linie ihr Modus, d. h. das ›Erscheinen‹ (apparaître), die ›reine Phänomenalität‹ (phénoménalité pure) als Bedingung der Möglichkeit jeder Erscheinung. Diese Differenzierung, die Husserl mit dem Terminus »Gegenstände im Wie« getroffen, 14 jedoch letztlich ebenfalls nicht umgesetzt habe, ist von fundamentaler Bedeutung für das System Henrys. Analog unterscheidet er – diesmal mit Heidegger und dem § 44 von Sein und Zeit 15 – zwei Arten von Wahrheit, nämlich einen ›vorphänomenologischen‹, naiven Wahrheitsbegriff, der schlicht konstatiere, dass etwas wahr ist, und den phänomenologischen, der nach der Möglichkeitsbedingung frage, unter der sich dieses WahrSeiende dem erkennenden Subjekt überhaupt erst zeigen kann. Diese Bedingung, nämlich das ›Erscheinen‹, betrachtet er wie Heidegger als das »ursprünglichste Phänomen der Wahrheit«. 16 Diese ›Urwahrheit‹ stelle einen Idealfall dar – und jenes Ideal scheint der treibende Impetus des henryschen Denkens zu sein –, nämlich die Möglichkeit eines ›Sich-an-sich-selbst-zeigenden‹, d. h. des Zusammenfalls von ›Erscheinung‹ und ›Erscheinen‹ als Inbegriff des Wahren. Aus dieser Rückfrage hinter das ›Erscheinende‹ nach dem es ermöglichenden ›Erscheinen‹ und dem Desiderat ihres Zusammenfalls speist dich faktisch der gesamte Radikalisierungsansatz Henrys. Um diesen zu verstehen bedarf es einer eingehenderen Beschäftigung mit Henrys Husserlkritik, die in fünf Etappen erfolgen soll. Zunächst ist die henrysche Interpretation der von ihm ausgemachten drei Prinzipien der Phänomenologie Husserls zu betrachten (2), aus denen er die husserlsche Wendung zur Intentionalität ableitet (3). Jene Intentionalitätswende vollziehe sich als Destruktion der ursprünglichen Impressionen im irrealisierenden Zeitflux (4), die HusVgl. Heidegger, Sein und Zeit, 27–39. Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 117 (allerdings mit dem Druckfehler »Gegestände«). Das ›Wie‹ als »Wie ihrer Gebung« (comment de leur donation: IPC 36) bezeichnet für Henry dabei eben das Erscheinen der Gegenstände. 15 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 212–230; Heidegger unterscheidet allerdings differenzierter zwischen ›traditionellem‹ Wahrheitsbegriff und »ursprünglichste[m] Phänomen der Wahrheit«. 16 Heidegger, Sein und Zeit, 220. 13 14
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serl durch sein Hilfskonzept der Wesensschau nicht mehr aufhalten könne (5), und die somit zur Bewusstseinsaporie eines irreellen cogito führe (6), in dem Henry die zentrale Aporie nicht allein der klassischen Phänomenologie, sondern der evidenzverhafteten abendländischen Philosophie überhaupt sieht. (2) Die Darstellung der Husserlkritik Henrys soll mit seiner Interpretation ›der‹ drei husserlschen Prinzipien der Phänomenologie einsetzen, 17 die gemäß dem oben ausgeführten Primat des Phänomenalisierungsgeschehens vor dem Phänomen als solchem und dem Ideal eines Zusammenfalls beider erfolgt. Das (letztlich auf J. F. Herbart zurückgehende) erste Prinzip ›Wieviel Schein, soviel Sein‹ müsse aufgrund der Äquivozität des Wortes ›Schein‹ im Deutschen wie Französischen (apparence) besser als ›Wieviel Erscheinen (apparaître), soviel Sein‹ gefasst werden. Dieser Lehrsatz drücke nicht allein den Vorrang der Phänomenologie vor jeder Ontologie (im Sinne einer spezifischen Disziplin) aus, sondern reduziere das Seiende auf den Bereich des subjektiv Erscheinenden. 18 Bereits an diesem grundlegenden Punkt der Phänomenologie Husserls sieht Henry jedoch ihre entscheidende Schwäche, die dann zu der historischen Fehlentwicklung führen sollte, die er aufzuweisen versucht. Es handelt sich bei dieser Schwäche um die »grundlegende phänomenologische Unbestimmtheit« (indétermination phénoménologique foncière) und Formalität des Erscheinens, über dessen Wesen und Möglichkeitsbedingung Unklarheit herrsche, da der ihn konstituierende »reine phänomenologische Stoff« (matière phénoménologique pure) unbekannt sei. 19 Das heißt, dass im ersten Prinzip unbestimmt bleibe, wie bzw. durch wen sich das Erscheinen selbst phänomenalisiert oder phänomenalisiert wird. Diese an die Grenzen des sprachlich Aussagbaren reichende abstrakte Feststellung wird Henry später mit Blick auf die husserlsche Konzeption der Intentionalität (als Synonym des Erscheinens) negativ konkretisieren, insofern diese nämlich außer17 Vgl. zum Folgenden IPC 39–55; vgl. auch Henry, Quatre principes de la phénoménologie. Dort gilt allerdings Marions Axiom »[D]’autant plus de réduction, d’autant plus de donation« (Marion, Réduction et donation, 302) als eigenes Prinzip, so dass sich die titelgebende Vierzahl der Prinzipien ergibt. Zum Dreierschema vgl. auch Henry, Le christianisme: une approche phénoménologique?, 16–18. 18 ›Subjektiv‹ drückt hier die Phänomenalisierungsinstanz aus, die für Henry nur ein ›Fleisch‹ und damit ein Subjekt sein kann, vgl. Kap. 2.2. 19 IPC 43.
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stande sei, die eigene Phänomenalität zu bewirken und somit auch keine letzte Gewissheit weder über sich noch über das sich in ihr Zeigende zu bieten vermöge. Henry wendet sich anschließend dem von ihm ausgemachten zweiten Prinzip der Phänomenologie zu, der berühmten Maxime ›Zu den Sachen selbst!‹. 20 Seiner Meinung nach spiegeln sich hier erneut die beiden Teile des Begriffes ›Phänomenologie‹ wieder, wobei das ›zu‹ die Methode, den Logos, die ›Sachen‹ hingegen den Gegenstand, das Phänomen, bezeichneten. Eigentlich aber müssten wiederum Gegenstand und Methode der Phänomenologie, eben Erscheinung und Erscheinen letztlich zusammenfallen, wenn unter den ›Sachen‹ nicht mehr vorkritisch der Inhalt der Erscheinung, sondern vielmehr ihr Modus – das Erscheinen – verstanden würde, und sie sich demnach als Erscheinen an sich selbst offenbaren und somit selbst geben könnten. 21 Als drittes Prinzip bezeichnet Henry schließlich Husserls ›Prinzip der Prinzipien‹, den Primat der intuitiven Schau. Hiermit habe Husserl zunächst die intuierte ˜lh 22 bzw. die ›Impression‹ gemeint, also eine impressional-passive Intuition. Demnach affiziere das Phänomen, das ›Sich-an-sich-selbst-zeigende‹ zunächst das Bewusstsein bzw. ereigne sich an ihm. Husserl nenne es daher ›Empfindung‹ oder ›Impression‹, wobei Henry wohl wegen der Betonung der ursprünglichen Affiziertheit des Bewusstseins ausschließlich mit ›impression‹ übersetzt. Gemeint sind hier zunächst einmal Sinneseindrücke wie solche von Farben oder Tönen, von Lust oder Schmerz; es könne sich aber auch um komplexe, rein immanente Verstandesphänomene handeln, so nennt Husserl etwa »ein Urteilsbewusstsein von einem mathematischen Sachverhalt Impression« 23 oder aber auch den »aktuelle[n] Glaube[n]«. 24 Husserl betrachte solche Verstandesinhalte in diesem vorreflexiven Stadium als ›materielle‹ oder ›hyletische‹ Inhalte bzw. »Data der Empfindungen«. 25 Dieser ˜lh/Materia trete dann später als morfffi/Forma die Anschauung bzw. intentionale InVgl. Husserl, Logische Untersuchungen, II/1, 10. Vgl. IPC 44–47. 22 Henry weist selbst an anderer Stelle auf die Problematik dieser husserlschen Terminologie hin, die er als »äquivok« (équivoque) erachtet, schließlich verstehe die klassische Philosophie unter ˜lh die bewusstseinstranszendente Materie: vgl. IPC 83. 23 Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 96. 24 Ebd., 103. 25 IPC 69: »data de sensations« (i. O. teils kursiv). 20 21
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tuition gegenüber, und damit letzten Endes die Intentionalität, weil diese für Husserl das ›phänomenologische Vermögen‹ der Anschauung darstelle, d. h. diese erst zum Erscheinen und damit – für das erkennende Subjekt – ins Sein bringe. 26 Die berühmte Lehre von der Intentionalität besagt (wenigstens in ihrer Endform), dass jedes Bewusstsein immer Bewusstsein von etwas ist, dass jedem Gedanken (bzw. jeder Noesis) als ›intentio‹ stets ein Inhalt (bzw. ein Noema) als ›intentum‹ entspricht, alles Denken also ein Gegenüber, eine VorStellung voraussetzt. Dieses bewusst Intendierte ist dann das, was die Phänomenologie als ›Transzendenz‹ bezeichnet, als »transzendenten Gegenstand« oder auch »intentionales Korrelat«. 27 Beim frühen Husserl erscheine das Bewusstsein nun noch als zweigeteilt in einen impressional-nichtintentionalen (›hyletischen‹) und einen intentionalen Bereich. Im Konkurrenzkampf dieser Bereiche stelle die Empfindung bzw. Impression zumindest teilweise das wichtigere, weil gewissere Element des Bewusstseins dar, wie Husserls Beispiel von der zweigliedrigen Wahrnehmung einer Farbe in den Ideen zeige: Hier steht die ›Empfindungsfarbe‹, als der das Bewusstsein in sich affizierende Farbeindruck neben der ›noematischen Farbe‹, die das Bewusstsein sich vor- bzw. gegenüberstellt. Die Empfindungsfarbe und alle »Empfindungsinhalte des Sensuellen« überhaupt haben als »konkrete Erlebnisdaten […] in sich nichts von Intentionalität«, sind dieser gegenüber also fremd und geben sich selbst als Phänomen. 28 Deswegen ist die Empfindungsfarbe auch für Husserl zunächst noch das Primäre und Reelle gegenüber dem konstituierten Sekundären der noematischen Farbe. Henry glaubt hier an einigen Stellen dieser frühen Schrift Husserls gar eine Konzeption auszumachen, die das Bewusstsein selbst als ursprüngliche ›Autoimpression‹, als sich selbst phänomenalisierende Impression vor aller Intentionalität betrachtet, so wie Henry es schließlich selbst versteht. 29 Allerdings habe jene Denkweise bei Husserl nicht lange angehalten, sei doch die ursprüngliche Unbestimmtheit des Erscheinens, sei die Spannung zwischen ›Erscheinen des Lebens‹ oder Impression und ›Erscheinen der Welt‹ oder Intention schon recht bald zugunsten der intentionalen Schau aufVgl. ebd., 50. Ebd., 50: »corrélat intentionnel […] objet transcendant«. 28 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 192. 29 Vgl. IPC 70. 26 27
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gelöst worden (s. u.), so dass das ›Prinzip der Prinzipien‹ den Wendepunkt in Husserls Denken und den Anfang seiner von Henry vehement abgelehnten Wendung zur Intentionalität als der Fehlentwicklung der klassischen Phänomenologie schlechthin darstelle. (3) Husserls Wende zur Intentionalität habe sich entgegen der anfänglichen phänomenologischen Unbestimmtheit bzw. gar Ambivalenz der Signifikation des ›Erscheinens‹ aus dem ersten bzw. des ›zu‹ aus dem zweiten Prinzip schon sehr früh ereignet – Henry betrachtet die Vorlesungen von 1905 als diesbezüglich entscheidenden Wendepunkt. 30 Hier habe sich »das älteste und am wenigsten kritische Vorurteil« der traditionellen Philosophie durchgesetzt, nämlich die desaströse Reduktion alles möglichen Erscheinens auf das »Erscheinen der Welt« (l’apparaître du monde). 31 Dieses Welterscheinen, dessen Charakteristika später zu betrachten sind (vgl. 2.2.2), ist hier kongruent mit der husserlschen intentionalen Struktur des Bewusstseins. Das dritte Prinzip (sc. die ›Intentionalität‹) sei dabei der Ort, an dem die Intentionalität zur Hegemonie über die Bewusstseinslehre Husserls und damit über die gesamte klassische Phänomenologie gelange, und diese somit auch unter die »Herrschaft des Sehens« gefallen sei. 32 Das Prinzip visiere ursprünglich eine rein impressionale Intuition an, ›degeneriere‹ dann aber hin zu einer intentionalen. Der eigentlich logisch frühere, intuitiv-impressionale, hyletische Bewusstseinsgehalt bedürfe von nun ab zu seiner Phänomenalisierung und damit zum Sein überhaupt einer Anschauung, einer ›distincta et clara perceptio‹. Husserl begreife diese Anschauungen nun in Anlehnung an Leibniz und vor allem an Kant als (transzendentale) Apperzeptionen, d. h. als »intentionale Erlebnisse«. 33 Hier habe sich also zwischenzeitlich der husserlsche Gedanke der ›Sinngebung‹ gegen die vorherige Passivität der Empfindung durchgesetzt; um zu sein, muss die verstandesimmanente Empfindung jetzt erst ein virtuell verstandtranszendierendes Noema werden, muss der Verstand sie sich also zunächst gegenüberstellen im Sinne eines ersten ›AußerSich‹, das Henry der ›Welt‹ zurechnet. Dieses ›Außer-Sich‹ ist VoVgl. ebd., 75. Ebd., 47: »le préjugé le plus ancien et le moins critique […] l’apparaître du monde« (i. O. kursiv). 32 Ebd., 53: »empire du voir«. 33 Husserl, Analysen zur passiven Synthesis, 336. 30 31
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raussetzung jeder Schau als nunmehr einzig möglicher Erkenntnisquelle und Inbegriff der Intentionalität, die Henry konsequenterweise als erste »Distanzsetzung« (mise à distance), als die Bewegung, durch die das Bewusstsein »sich ins Außer-Sich wirft« (se jette hors de soi) und als ein »Sich-beziehen-auf-das-transzendente-Objekt« (un se-rapporter-à-l’objet transcendant) betrachtet. Dieser Selbstüberstieg des Bewusstseins ins Außen würde in der derartig degenerierten Phänomenologie zum Ursprung bzw. zur »Phänomenalisation der reinen Phänomenalität« 34 und somit zum ›ursprünglichsten Wahrheitsphänomen‹ Heideggers. Husserl selbst hat die Intentionalität 35 als »Korrelationsapriori« (im Sinne der Korrelation von Bewusstseinsakt und Gegenstand bzw. Noesis und Noema), das er eigenen Angaben zufolge bereits 1898 bei den Arbeiten an den Logischen Untersuchungen entdeckt habe, kurz vor seinem Tod als das beherrschende Thema seines gesamten Denkens überhaupt bezeichnet. 36 Henry aber macht nun gerade hier den entscheidenden Fehler Husserls fest: Die Impression als materia habe ihren eigenen phänomenologischen Status verloren, sie existiere nicht mehr unabhängig von der Intentionalität, die sie »in-formiert« (in-forme). 37 Diese ontologische Unterordnung der Materie unter die Form ist für Henry bereits das Dilemma des griechischen Phänomenkonzepts und idealtypisch für jegliche Form des Hylemorphismus. Bezogen auf den einzelnen Erkenntnisakt führe dies aber zu einer zirkulären und damit aporetischen Argumentation, zu dem sich schließenden »Zirkel, dem die husserlsche Phänomenologie nie mehr entkommen wird«. 38 Die Bewusstseinskomponenten erforderten sich um ihrer Existenz willen nunmehr nämlich gegenseitig, die Impression setze die sie ins Licht der Schau und damit ins Sein rückende Intentionalität voraus. Umgekehrt, so wendet Henry ein, benötige die Intentionalität aber ebenso eine voraufgehende Impression: Wie sollte es beispielsweise zum Denken einer eo ipso ›noematischen‹ Farbe kommen, wenn dieses nicht durch einen Sinneseindruck ausgelöst worden IPC 50: »la phénoménalisation de la phénoménalité pure«; alle Zitate aus IPC 50 f. Ursprünglich geht die Intentionalitätslehre auf F. Brentano zurück, vgl. Wickler, Art. Intentionalität, 475. 36 Vgl. Husserl, Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie, 169 f. 37 IPC 71. 38 Ebd., 72: »Ainsi se referme le cercle dont la phénoménologie husserlienne ne s’évadera jamais«. 34 35
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und die Farbe dem Bewusstsein vorher als ›Empfindungsfarbe‹ erschienen wäre? Letzteres ergebe sich aus der phänomenologischen Prämisse (oben ›erstes Prinzip‹ genannt), dass jedem Seienden bzw. jeder anvisierten ›Sache‹ vom erkennenden Subjekt nur insofern Sein zugeschrieben werden könne, als sie ihm erscheine, d. h. ›sichan-sich-selbst‹ impressional zeige oder ereigne. Schließlich würden die Intentionalitäten immer schon an den Gegenstand eines Sinneseindrucks herangetragen, der somit als ihr Objekt vorausgesetzt werden müsse. Sie seien daher gegenüber der unmittelbaren Gebung des Gegenstands »noematische Irrealitäten« (irréalité noématique), der Gegenstand selbst in dieser Konzeption ebenfalls irreal, weil er – unabhängig von der Intentionalität ja undenkbar – lediglich ein notwendiger ›idealer Pol‹ des Denkens sei, und zwar spezifisch als »Objektpol« (pôle-objet). 39 (4) Die Wende zur Intentionalität bedinge also eine fundamentale Irrealisierung der sinnlichen Empfindung bzw. der Sinnlichkeit überhaupt. Diese Destruktion der Impression vollzöge sich im irrealisierenden Flux der Zeit, wie ihn die husserlsche ›Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins‹ beschreibe. 40 Ausgangspunkt sei bei jener Analyse die Vorstellung, dass kein Eindruck, keine Impression das Bewusstsein erreichen könne, ohne dabei bereits einer dreifachen intentionalen Überformung zu unterliegen. Um es an Husserls Beispiel des ›Tones F‹ einer Violine zu verdeutlichen, so erscheine dieser eine identische Ton nur zeitlich, d. h. in einem fließenden Übergang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. 41 Mit dem aktuell vernommenen Klang sei untrennbar der Zustand des Tones (konkret etwa: der Schallwelle) vor dem Erreichen des Bewusstseins verbunden. Ebenso werde der Klang im Moment seines Erscheinens bereits wieder zu etwas Vergangenem, entferne sich die Schallwelle bereits erneut, um schließlich vollständig zu erlöschen; für das erkennende Bewusstsein erlische sie freilich schon im Moment ihrer Erscheinung. Husserl bezeichnet nun die drei Intentionalitäten, die das Bewusstsein anwendet, um die Impression in dieser zeitlichen Dreigliedrigkeit wahrzunehmen, als ›Protention‹, i. e. Erwartung der Impression bzw. Voraussicht auf die zukünftige Entwicklung der aktuell wahr39 40 41
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IPC 69. Vgl. zum Folgenden ebd., 75–81. Vgl. ebd., 37.
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genommenen Impression, ›Gegenwartsbewusstsein‹ als die Rezeption der aktuellen Impression und ›Retention‹ als die Erinnerung der ›soeben gewesenen‹ Impression. Primat genießt hierbei die Retention, wobei diese gleichbedeutend mit dem ›Nicht-mehr-Sein‹ der Impression ist, denn – um im Beispiel zu bleiben – der »retentionale Ton ist kein gegenwärtiger, sondern eben im Jetzt primär erinnerter: er ist im retentionalen Bewusstsein nicht reell vorhanden«. 42 Diesen Zustand des Gleitens der Impression ins Nichts bezeichnet Husserl als zeitlichen »Flux«, innerhalb dessen es »prinzipiell kein Stück NichtFluß« mehr geben könne. 43 Aus letzterer Aussage ergibt sich laut Henry die von Husserl selbst durchaus erkannte Problematik der Konzeption, da das präsentische Erscheinen im Flux des inneren Zeitbewusstseins wiederum nur als »ideale Grenze« erscheine, 44 der Erkenntnisgegenstand (die Impression) sich also nie aktuell an sich selbst zeige, sondern im Grunde genommen immer schon in den Zustand des ›nicht-mehr‹ gleite als ideale Grenze »zwischen zwei Abgründen des Nichts«. 45 Was aber sei dann das bleibende Element dieses Flusses, wenn dieser nicht, wie Husserl und Henry einhellig fordern, zur bloßen Beliebigkeit und zum alle Gewissheit wegschwemmenden ›p€nta re…‹ Heraklits verkommen soll? 46 Zunächst scheint Husserl hier erneut der Impression den Vorrang zu geben, die ihrerseits als Konstitutivum des ansonsten bloß ideell-denknotwendigen, aber keineswegs existenten ›Jetzt‹ und damit als jeder Intentionalität vorrangig zu denken sei. Der »Jetztpunkt« sei sogar definiert durch die »ursprüngliche Empfindung« bzw. »Urimpression«. 47 Husserl setze an dieser Stelle also einen material-hyletischen Inhalt des Flux voraus, an dem sich jener ereigne; logisch wie ontologisch Erstes sei also die Impression, während das intentionale Bewusstsein auf sie angewiesen bleibe. Der bloßen Idee ›Jetzt‹ des inneren Zeitbewusstseins werde ein realer Gehalt substituiert. 48 Im gleichen Augenblick jedoch, was diesen eben zum Wendepunkt der vorher noch undeterminierten Phänomenologie mache, trete dann doch wieder die Intentionalität in den Vordergrund, so dass die Im42 43 44 45 46 47 48
Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 31. Ebd., 114. Ebd., 40. IPC 78: »entre deux abîmes de néant«. Vgl. IPC 106. Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 67. Vgl. IPC 79. A
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pression im Flux ›außer-sich‹ gebracht und somit destruiert werde, weil sie sich eben nicht mehr an sich selbst zeige. Husserl, der den Primat der Schau zu wahren gewillt sei, beantworte die Frage nach dem Bleibenden bzw. dem Inhalt im Flux dann nämlich doch mit Hinweis auf dessen ›Form‹, unter der er eben jenen abstrakten und gehaltlosen, dreifachen Horizont der Intentionalitäten verstehe. Retention, Gegenwartsbewusstsein und Protention sind so gleichzeitig im ständigen Fließen begriffen und ihr eigenes bleibendes Fundament, letzten Endes aber auch ihr eigener bloß formaler Inhalt, da die Impression ja ins Außen hinein genichtet worden sei. Die zirkuläre Struktur dieses Begründungsverhältnisses wird hierbei sehr deutlich: Die das Erkannte stets kontinuierlich ins Nichts führenden Intentionalitäten werden durch ihre eigene Struktur oder ›Form‹ begründet, was sie allerdings selbst ebenfalls irrealisiere. (5) Die Vorahnung der Aporizität dieser Bewusstseinskonzeption und damit der gesamten phänomenologischen Methode habe dann Husserls Wende zur Wesensschau und zum Gedanken der ›Gebungals-Bild‹ bedingt. 49 So wie der dreidimensionale Horizont des inneren Zeitbewusstseins durch eine Abstraktion, durch seine eigene leere Form begründet worden sei, so müsse Husserl nun auch die subjektiven Eindrücke als Inhalt und Gegenstand der Intentionalität neu denken. Sehe er doch durchaus die Gefahr, dass die Auflösung der Impression als »bloßes noematisches Korrelat« 50 im Flux, den er ab 1907 dann konsequenterweise als »Heraklitischen Fluß« bezeichnet, 51 die Auflösung auch der einzelnen cogitatio und damit letztlich die Infragestellung bereits der »Möglichkeit einer reinen Bewusstseinsphänomenologie« nach sich ziehen würde. 52 Um dies zu vermeiden würden nun sowohl die Impression als auch die einzelne cogitatio als konkret an ihr vollzogener Verstandesakt ebenfalls durch Abstrakta substituiert. Geschaut werde nunmehr nicht mehr der einzelne subjektive Eindruck, sondern lediglich sein ›Wesen‹, die gleich bleibende Form oder Gattung hinter einer Mehrzahl verschiedener singulärer Phänomene, von denen aus sie durch einen Ideationsprozess erreicht würden. Und auch der einzelne Verstandesakt und seine 49 50 51 52
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Vgl. ebd., 111–121. Ebd., 108: »simple corrélat noématique«. Husserl, Die Idee der Phänomenologie, 47. Ders., Cartesianische Meditationen, 86.
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reale Existenz in ihrer Singularität seien nunmehr von keinerlei Bedeutung mehr. Henry wirft Husserl also vor, alles Singuläre und Partikulare seiner auf Objektivität und Universalität abzielenden Erkenntniskonzeption geopfert zu haben, und nennt dies die »thematische Wende« (virage thématique) 53 Husserls im Sinne eines Gegenstandswechsels vom »ereignishaften und variablen Leben« hin zum »Wesen des universalen transzendentalen Lebens«. 54 Als die beiden Charakteristika dieser Wende bezeichnet Henry zunächst die phänomenologische wie ontologische Ausschaltung der einzelnen cogitatio im ›Schauen der Evidenz‹, das ja eigentlich ihre Gewissheit sichern sollte, und die Schau ihres Wesens. Der dritte und entscheidende Charakterzug sei aber der den anderen beiden zugrunde liegende Wechsel des Erscheinensbegriffes von der Intuition hin zum intentionalen ›Welterscheinen‹ : Der ›Offenbarungsmodus‹ sowohl der einzelnen cogitationes als auch ihres Inhalts sei ausgewechselt, sie offenbarten bzw. phänomenalisierten sich nicht mehr selbst, sondern würden erst durch die Schau gegeben. 55 Wie aber könne die Schau des Wesens irgendeiner singulären Größe (also etwa einer einzelnen cogitatio) evident sein, wenn der Ausgangspunkt des sie konstituierenden Ideationsprozesses, also die Existenz des Singulären, selbst der Schau entzogen und damit irreell wäre? 56 Hier setze Husserl die ›Gebung-als-Bild‹ ein: Anstelle der einzelnen Wirklichkeiten träten ihre Repräsentationen, ihre Bilder bzw. »imaginierten Repräsentanten«. 57 Die freie »Fiktion«, die für Husserl »das Lebenselement der Phänomenologie, wie aller eidetischen Wissenschaft« ausmacht, 58 spricht der in Frage stehenden Einzelwirklichkeit so viele frei geformte Bilder und Bildelemente (z. B. »singuläre Wahrnehmungen, singuläre Vorstellungen, singuläre Erinnerungen«) 59 zu bzw. ab, wie zur Konstitution ihres Wesens nötig seien. Was die Existenz dieser Bilder und Bildelemente selbst anbelangt, so ist sie für PhM 89. IPC 108 f.: »cette vie événementielle et variable, […] l’essence de la vie transcendantale universelle«. 55 Vgl. ebd., 111. 56 Vgl. ebd., 114. 57 Ebd., 115 f.: »représentants imaginaires«. 58 Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 148. 59 IPC 115: »de perceptions singulières, d’imaginations singulières, de souvenirs singuliers«. 53 54
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Husserl unfraglich, denn mit der Schau von etwas sei »ein intentionales Objekt doch evidentermaßen da«, also – mit seinem Beispiel – der »Ritter Sankt Georg« mit der Fiktion seiner selbst. 60 Für Henry indes vermag auch die husserlsche ›Gebung-als-Bild‹ die grundlegende Aporie nicht zu vermeiden. Er wirft zunächst die Frage auf, wie denn ein Bild, das per definitionem Darstellung einer abwesenden Wirklichkeit sei, diese selbst liefern solle, ohne dass sie ihm voraufginge. 61 Zugespitzt auf den Verstandesakt impliziere dies die Frage, wie die ›Gebung-als-Bild‹ der reellen Verstandesakte – in einer kritischen Argumentation, die stets die Frage nach der Möglichkeitsbedingung beinhalte – als möglich gedacht werden könne. Husserl habe die Existenz eines solchen Bildes einfach in einer »naiven, vorkritischen und übrigens hochproblematischen Feststellung« (affirmation naïve, pré-critique et d’ailleurs hautement problématique) postuliert, 62 ohne zu erklären, wie die Substitution des tatsächlichen durch den als Bild gegebenen Verstandesakt funktionieren soll: »Wie und von wo aus ein Bild von etwas formen, von dem man nichts weiß«. 63 Diese als »geniales Palliativ« (palliatif génial) der husserlschen Konzeption zu betrachtende, rein fiktionale Begründung der eidetischen Analyse der ›absoluten Subjektivität‹ münde aber letztlich in die Aporie, weil die Subjektivität sich einer solchen Schau niemals »entblöße« (dérobe). 64 (6) Das husserlsche ›Palliativ Wesensschau‹ bestärkt Henry in seiner Überzeugung von einem Scheitern der klassischen Phänomenologie in der Aporie eines irreellen cogito. 65 Die ursprünglich eigenständigen Impressionen und vor allem die ›Urimpression‹ des ›Jetztpunktes‹ als Gegenstand der Phänomenologie seien nunmehr der ›veräußernden‹ intentionalen Schau in ihrer dreifachen Struktur ausgesetzt, d. h. die einzelnen cogitationes begegneten nur noch als Ergebnis des intentional erwirkten Erscheinens einer bestimmten Impression (so zeige sich z. B. die Empfindungsfarbe erst in Gestalt
Husserl, Die Idee der Phänomenologie, 72 f. Vgl. IPC 118. 62 Ebd., 119. 63 Ebd., 120: »[C]omment, à partir de quoi, former une image de ce dont on ne sait rien?«. 64 PhM 100. 65 Vgl. IPC 102–114. 60 61
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der noematischen Farbe). Wenn aber nun alles Erscheinen sich immer erst einer ins Außen versetzenden Schau verdanke, so fragt Henry, wie steht es dann um das Erscheinen und damit – gemäß der phänomenologischen Prinzipien – um das Sein dieser Schau selbst? Wie erscheint die Intentionalität oder – mit einer bereits aufgeworfenen Frage umformuliert – wodurch entgeht das innere Zeitbewusstsein selbst der irrealisierenden Dynamik des Flux der Intentionalitäten? »Wer hat jemals seine eigene Schau geschaut?«, fragt Henry weiter, wie kann überhaupt etwas gesehen werden, wenn schon die Sicht »versinkt« in der »Nacht« des Nichts? 66 Wie ließe sich die Schau durch ihr Wesen bzw. eine ›Gebung-als-Bild‹ substituieren? Die aporetischen Fragen münden in der verblüffenden Antwort Henrys, dass die Existenz des cogito (dies gilt für das individuelle Subjekt, nicht aber für das ›transzendentale Ich‹) bei Husserl nicht bloß auf dem Spiel stehe, sondern eigentlich schon verloren sei. Das einzelne Ich, um dessen Konstitution es Husserl ja gerade gegangen sei, habe seine Selbstgewissheit verloren bzw. müsse sie – wo noch vorhanden – im Laufe der phänomenologischen Selbstanalyse geradezu ablegen. Husserl, so fährt Henry fort, habe an diesem entscheidenden Punkt Descartes vollkommen missinterpretiert und eine »vollständige Denaturation« (dénaturation complète) seines Cogitobegriffes vollzogen. 67 Für Husserl ist nämlich nicht allein die einzelne cogitatio bei Descartes »durch clara et distincta perceptio gegeben«, sondern das cogito als ganzes wird zur Schau, zum »Schauen, Selbstgegebenes Fassen«. 68 Die Selbstgewissheit des transzendentalen Subjektes verdanke sich so einem Akt des Blickens. 69 In Wahrheit hingegen habe Descartes das cogito gerade von der Evidenz der Schau 66 Vgl. ebd., 55: »Qui a jamais vu sa propre vision? […]. Ce qui est vu peut-il encore être vu si la vision elle-même sombre dans la nuit et n’est plus rien?«; das hier verwendete französische Verb »sombrer« (= versinken) kann hier leider nur ohne seine Anspielung auf das verwandte »sombre« (= Schatten) übersetzt werden; seine Verwendung weist aber auf die sprachliche Versiertheit des Literaten Henry hin. 67 Vgl. IPC 103. 68 Husserl, Die Idee der Phänomenologie, 49 f. 69 Vgl. Husserl, Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie, 95: »Zur Seinsart des Erlebnisses gehört es, daß sich auf jedes wirkliche, als originäre Gegenwart lebendige Erlebnis ganz unmittelbar ein Blick erschauender Wahrnehmung richten kann«. Vgl. ebd., 96: »[S]owie ich auf das strömende Leben in seiner wirklichen Gegenwart hinblicke und mich selbst dabei als das reine Subjekt dieses Lebens fasse […], sage ich schlechthin und notwendig: Ich bin, dieses Leben ist, Ich lebe: cogito«.
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als Manifestationsmodus befreien wollen (vgl. 2.2.1), seine Intuition sei es gewesen, die Aporie und Zirkularität einer solchen, auf dem Prinzip der Schau basierenden Subjektbegründung gesehen und diese auch durch das Konzept des ›radikalen Zweifels‹ aufgedeckt zu haben. Wenn alles Wissen und Erkennen, alle Evidenz und Wahrheit allein der intentionalen Schau entspringen würden, so wäre diese selbst nur zirkulär zu begründen, somit logisch zweifelhaft, phänomenologisch jedoch gar irreell, insofern des Phänomenstatus entblößt. Mit der Intentionalität, die als alles offenbarende Kraft sich selbst nicht offenbaren könne, sei Husserl damit dem »bitteren Schicksal« (l’amer destin) der gesamten klassischen Bewusstseinsphilosophie verfallen, nämlich dem unabschließbaren Regressionsprozess der Bewusstseinsbegründung, der immer neuer ›Bewusstseine‹ bzw. immer neuer Intentionalitäten zur Konstitution der jeweils voraufgehenden bedürfe. 70 Henry bezeichnet diesen Selbstwiderspruch aller Reflexionstheorien auch als unentfliehbaren »Zirkel des Wissens« (cercle de la connaissance). 71 (7) Dieser Krise des husserlschen Ansatzes entspreche eine solche der ganzen traditionellen Phänomenologie, selbst in der vermeintlich selbstheilenden, gerade die Intentionalitätswende des Lehrers anvisierenden Husserlkritik durch Hedwig Conrad-Martius, Roman Ingarden, Alexander Pfänder und Edith Stein. Selbst Heideggers Abgrenzung von Husserl geht Henry nicht weit genug. 72 Der Vgl. IPC 54. PhM 66. 72 Henry beschäftigt sich im vierten Paragraphen von IPC (55–61) dezidiert mit Heideggers Husserlkritik und erklärt sie für (lebens-) phänomenologisch irrelevant. Heidegger habe den entscheidenden Fehler Husserls übersehen und kritiklos übernommen, obwohl er sich selbst als Kritiker der husserlschen ›Intentionalität‹ verstanden habe. Nach Heideggers Meinung vernachlässige Husserl das ›Sein‹ der Intentionalität selbst und verschließe sie so im Bewusstsein »wie in einer Dose« (ebd., 58: »comme dans une ›boîte‹«). Hiermit soll wohl ausgedrückt werden, dass Husserl die eigene Unterworfenheit des ›Daseins‹ als bewusstseinsmächtiger Instanz unter ›Sein und Zeit‹ vernachlässigt und dieses damit weltlos gedacht habe, während die Geworfenheit des Daseins in die Exteriorität für Heidegger doch gerade zentral ist. Für Henry ist diese Kritik Heideggers jedoch unter phänomenologischem Gesichtspunkt irrelevant, da ja erstens der phänomenologische Primat des Erscheinens vor dem Sein weiterhin gelte, und zweitens die Intentionalität als ›Bewusstsein von etwas‹ eo ipso immer schon auf das Außen und damit auf das Sein bezogen sei. Henry unterstellt Heidegger hier offenbar, Erkenntnisund Seinsordnung verwechselt zu haben: Das, was Heidegger die drei ›Ek-stasen‹ der Zeit nannte, sei demnach letztlich identisch mit den drei konstitutiven Intentionalitäten 70 71
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Unterwerfung der Phänomenologie unter den Intentionalitätsprimat gelte es durch einen radikalen »Umsturz« (renversement) zu begegnen, durch eine Rückkehr zu ihrer ursprünglichen Gestalt bzw. ihrem verratenen Anfang, d. h. durch eine impressionsorientierte Gegen-Reduktion. Die alles bestimmende Intentionalität sei erneut durch die Impression zu ersetzen und zwar in ihrer ursprünglichen materiellen bzw. hyletischen Form vor aller verstandesmäßigen Überformung; Husserls frühe Überlegungen zu einer hyletischen Phänomenologie seien daher aufzugreifen. 73 Henrys Kritik an der Phänomenologie gilt pars pro toto für nahezu die gesamte abendländische Philosophie, die ebenfalls – mal ex-, mal implizit – dem Ideal der Intentionalität verfallen sei; hier zeigt sich der enorme Anspruch des henryschen Neuansatzes. Ausgenommen von diesem an Heideggers Rede von der Seinsvergessenheit gemahnenden Vorwurf der Impressions-, Affektivitäts- oder besser – im Vorgriff auf das folgende Unterkapitel – ›Lebensvergessenheit‹ werden nur wenige henrysche Gewährsleute, allen voran der inbrünstig verehrte Landsmann Descartes, dann der chronologischen Reihe nach Tertullian und Irenäus, Meister Eckhart, teilweise Spinoza, Kierkegaard und Maine de Biran. Weiterhin erkennt Henry in der anklagenden Aufdeckung und Überwindung der Lebensvergessenheit die zentrale Aussage des christlichen Glaubens, das ›christliche cogito‹ schlechthin wieder, wie es sich vor allem beim Evangelisten Johannes zeige. Bei aller Radikalität des angestrebten Umsturzes handele es sich also doch nicht um etwas radikal Neues, sondern im Grunde genommen um eine Selbstverständlichkeit, die eben in Vergessenheit geraten sei. So versucht Henry die falschen Selbstverständlichkeiten der ›Lebensvergessenheit‹ zu erschüttern, indem er seine Leser mit schroffen Paradoxen konfrontiert. So deklariert er etwa, dass das ›Leben‹ in der Welt unmöglich, der Biologie unzugänglich und nicht sichtbar des husserlschen inneren Zeitbewusstseins, Protention der Zukunft, Gegenwartsbewusstsein und Retention der Vergangenheit. In ihrem kontinuierlichen Fluss entstehe auch für Heidegger jener »Horizont der Sichtbarkeit« (ebd., 57: »l’horizon de visibilité«), der das ›Erscheinen der Welt‹ bedeute. Dieses ›Erscheinen‹ vollziehe sich als ›Zeitigung der Zeit‹ und – da die Welt eben das ›Außen‹ bedeute – als ›Ins-Außen-kommen des Außen‹. Zugang zum Phänomen gewähre demnach also erneut nur die veräußerlichende Schau des Bewusstseins, die Welt selbst »ist« für Heidegger »mit dem Außersich der Ekstasen da« (Heidegger, Sein und Zeit, 365). Somit sei Heidegger ebenfalls dem griechischen Phänomenkonzept des ›Welterscheinens‹, d. h. dem falschen Primat der veräußernden Schau des Bewusstseins, erlegen. 73 Vgl. etwa PhM 13–59. A
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sei, 74 dass kein Mensch Sohn eines Menschen sei 75 oder auch nur jemals einen Menschen gesehen habe, 76 und dass Gottes Existenz letztlich sicherer und gewisser sei als jene der Welt. 77 Henrys initialer Fundamentalkritik der bisherigen Phänomenologie ist also von Anfang an in Gestalt der Lebensphänomenologie ein konstruktives Gegenmodell beigefügt, seine Suche nach dem Inbegriff des Phänomens als eines ›Sich-an-sich-selbst-Zeigenden‹ ist immer schon staunend ans Ziel gelangt. Das schlechthinnige, sich selbst phänomenalisierende Phänomen, das keines Außens als Phänomenalisierungsinstanz oder auch nur als Rahmen mehr bedürfe, ist das ›Leben‹ als immanente Impression bzw. Affektivität, das er im Spätwerk als ›Fleisch‹ profilieren wird. Er selbst fasst seinen Ansatz – ganz im Sinne der obigen Ausführungen über die Onto-logie im genitivus subiectivus – wie folgt zusammen: »Die Umkehr der Phänomenologie schreibt sich also: Es ist nicht das Denken, das uns Zugang zum Leben gewährt, es ist das Leben, das dem Denken den Zugang zu sich erlaubt«. 78
2.2 Ontologische Position: Die immanente Selbsterfahrung des ›Lebens‹ als ›Fleisch‹ »L’invisible précède tout visible concevable. En sa certitude invincible, dans le pathos de sa chair souffrante ou de sa Joie, il ne lui doit rien. S’il s’agit en lui de la Vie, Dieu est beaucoup plus certain que le monde. Nous aussi«. 79
Henry würde den Gattungsbegriff ›Ontologie‹ für sein philosophisches Modell wohl kategorisch ablehnen und zwar wegen beider Komponenten des Wortes: Einerseits geht es ihm nicht um das ›Sein‹ als eine gegenüber dem ›Leben‹ viel zu abstrakte und äußerliche GröVgl. CMV 42: »Vivre n’est pas possible dans le monde«; vgl. ebd., 52: »[L]a biologie ne rencontre jamais la vie, ne sait rien s’elle, n’en a pas même l’idée«; vgl. ebd., 55: »[N]ous voyons des êtres vivants mais jamais leur vie«. 75 Vgl. ebd., 91: »[A]ucun homme n’est le fils d’un homme, et pas davantage d’une femme«. 76 Vgl. IPC 221: »Personne n’a jamais vu un homme«. 77 Vgl. ebd., 132: »Dieu est beaucoup plus certain que le monde«; vgl. PDC 104. 78 Ebd., 129: »Le retournement de la phénoménologie s’écrit alors: ce n’est pas la pensée qui nous donne accès à la vie, c’est la vie qui permet à la pensée d’accéder à soi«. 79 Ebd., 132. 74
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ße, andererseits lehnt er ja das klassische, intentional-vorstellungsgebundene Logosverständnis ab. Dennoch ist mit seiner Philosophie eine tiefe, im weiten Sinne ontologische Grundentscheidung hinsichtlich der Wirklichkeit verbunden, die den Kern seiner Philosophie ausmacht und im Folgenden als solche dargestellt werden soll. Sein Gedankengang wird in drei Schritten und erneut in enger Anlehnung an IPC rekapituliert werden: Henry entwickelt zunächst seinen Gedanken absoluter Phänomenalität weiter (s. o.) und gelangt so zur Impression und zu seinem immanenten ›Leben‹-Begriff als eigentlichem Ort aller wahren und sicheren Erscheinung (vgl. 2.2.1). Diese Ebene des immanenten ›Lebens‹ bedarf dann zweitens der näheren Explikation hinsichtlich ihres Verhältnisses und ihrer Vermittlung zur Exteriorität, wobei sich der Gedanke des ›Fleischs‹ als genuinen Orts des ›Lebens‹ in Abgrenzung zur ›weltlichen‹ Körperlichkeit ergibt (vgl. 2.2.2). Drittens soll dann abschließend eine kurze Besinnung auf die Entstehungsumstände und die Genese des ›Fleischs‹ erfolgen (vgl. 2.2.3). 2.2.1 Der eigentliche Ort aller Erscheinung: Impressionalität und ›Leben‹ Henrys Husserlkritik mündet in die positive Ersetzung der als unzureichend empfundenen husserlschen Intentionalitätslehre durch eine Besinnung auf die menschliche Impressionalität, die er als ›Leben‹ beschreibt. In diesem ›Leben‹ ereigne sich alle wahre Erscheinung. Bevor dieser Begriff erläutert werden kann (2), ist zunächst das henrysche Plädoyer für die Impression näher zu betrachten (1). Abschließend wird sich dann zeigen, dass er seine Lebenskonzeption tatsächlich schon im cartesianischen cogito verorten zu können glaubt (3). (1) Nachdem Henry in IPC demonstriert hat, wie die husserlsche Phänomenologie die Impression zugunsten der Intention verdrängt hat und somit in der Aporie angelangt ist (s. o.), unternimmt er eine grundsätzliche Rehabilitation der Impression. Sie sei als die ›originäre Impression‹ nämlich das Phänomen schlechthin, weil sie sich stets selbst erfahre, ›sich-an-sich-selbst-offenbare‹ und außerstande sei, jemals in einem ›außer-sich‹ zu erscheinen, also jenem primordialen Außen, das Henry als Welt bezeichnet. In ihrer ursprünglichen »Selbstimpressionalität« (auto-impressionnalité) sei sie nicht bloß A
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ein logisches prae der Apperzeption ihrer selbst, ohne dessen Postulat die Überformung durch die verschiedenen Intentionalitäten in ihrer dreigliedrigen Struktur undenkbar sei, nein, das Attribut ›originär‹ bezeichne einen bleibenden Zustand der Impression, die niemals im Licht der Welt erscheinen könne und daher »a-kosmisch« (a-cosmique) sei. 80 Die originäre Impression sei zwar letztlich nicht Urheber ihres eigenen Erscheinens (und damit wiederum ihres Seins), sei also vielmehr gleichsam zum Erscheinen verurteilt und könne sich selbst nicht entkommen, sei aber dennoch ausschließlich Erfahrung ihrer selbst, Phänomen für sich und an sich. So ist sie laut Henry »Selbstaffektion« (auto-affection), d. h. in gleichem Maße Affizierte und Affizierende. 81 Henry erläutert dies am Beispiel des Leidens: Das Leiden erleide ausschließlich sich selbst, es ›verspüre‹ nichts, sofern ›verspüren‹ die Betroffenheit durch einen äußeren Einfluss bedeutet. Das Leid könne sich selbst nicht entkommen, nicht im Flux irrealisiert werden, in sich kenne es nicht einmal so etwas wie ›Zeit‹. 82 Die originäre Impression, bei Husserl als ›Urimpression‹ ja durchaus geläufig, sei weiterhin im radikalsten Sinne Passivität: Entgegen den drei Intentionalitäten des inneren Zeitbewusstseins, die als passive Synthesen des transzendentalen Ego verstanden werden könnten, ist Henrys Impression unfähig zu jeder Synthese: Sie ist eben gerade ins Erscheinen geworfen und in ihrer reinen ›Impressionalität‹ nichts als Selbstaffektion, sie erfährt nichts als jene Erfahrung, die sie selbst ist. Henry verwendet erneut sein Beispiel: »Das reine Leiden [souffrance] ist sein Erleiden [passion]. Sein Zu-sich-kommen ist sein Leiden«. Es sei deswegen unfähig, vor sich selbst zu fliehen, weil dies eine Bezugnahme zu sich selbst erfordere, ein ›Sich-selbst-gegenüberstellen‹ im »Zusammen-halten [tenir-ensemble] der Schau, der Syn-these, so passiv sie auch sei«. 83 Dieser Sachverhalt bilde aber nur die Kehrseite einer »absoluten Positivität« (positivité absolue, wohl im doppelten Wortsinne), nämlich der vollständigen Identität des Leidens bzw. jeder Impression mit sich selbst als ihrer eigenen Substanz und ihrer eigenen, sie offenbarenden »Parusie« (Parousie). 84 IPC, 82; vgl. zum Ganzen IPC 81–93. Vgl. ebd., 85. 82 Vgl. ebd., 84 f. 83 IPC 88: »La souffrance pure est sa passion. Sa venue en soi-même, c’est sa souffrance […]. L’impossibilité de […] se rapporter à soi […] dans les tenir ensemble d’un voir, d’une syn-thèse, si passive soit-elle«. 84 Ebd., 88 f. 80 81
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(2) Wie lasse sich nun aber, da menschliche Eindrücke doch offensichtlich endlich, stets bloß momenthaft und somit einem ständigen Wechsel unterworfen seien, Husserls These von ihrem Aufgehen im irrealisierenden Flux der Zeit bestreiten? Henry kommt hier zu dem Ergebnis, dass es letztlich die Zeit selbst sei, die einer wesentlichen Irrealität unterliege, da sie die Impression und die Realität niemals zu phänomenalisieren vermöge, wie er anhand von Meister Eckharts Feststellung, wonach das gestrige Ereignis uns eben so fern läge wie ein jahrtausendealtes, und Kafkas Erzählung Das nächste Dorf zu verdeutlichen sucht. Eine ebensolche, irrealisierende Kluft bestehe zwischen Gegenwart und Zukunft, die nach einem Wort Naberts stets zukünftig sei (und bleibe). Die Impression aber gäbe es nur in der Gegenwart, wie die Analyse des Flux gezeigt habe. Wirkliche Gegenwart wiederum aber besitze allein das ›Leben‹. Henry hatte es bereits im Vorwort des Buches als reine Selbsterfahrung definiert, 85 und konstatiert nun, dass es sich als solches jederzeit selbst erfahre und insofern immer präsent sei, also ein ständiges Präsens zeitige. In sich sei es qua ursprünglichster Selbsterfahrung zunächst ausschließliche Selbstaffektion und Pathos und insofern ›transzendental‹, weil es nicht allein die distanzlose Selbsterfahrung in Selbstaffektion, sondern damit zugleich jegliche andere Erfahrung im Sinne einer Fremdaffizierung durch das Außen erst ermögliche. Das so verstandene ›Leben‹ biete nun – gemäß dem Schriftwort – die ›vielen freien Wohnungen‹ (vgl. Joh 14,2) für alles ›Lebendige‹, also auch für die Impression. Die Möglichkeitsbedingung einzelner, nicht mehr originärer Impressionen sei daher ihr Eintritt in das ›Leben‹ als stetige Gegenwart und Selbstimpression, vor und in dem sie sich zu phänomenalisieren vermöchten. 86 Die einzelne Impression drückt sich somit dem Subjekt als originärer Impression bereits präreflexiv und vor aller Intentionalität ein, sie ist »nicht mehr gegeben, sondern gebend«, 87 so dass im Wechsel der Impressionen die Impression schlechthin, nämlich die stets präsentische »pathische Selbstaffektion« (auto-affection pathétique) des ›Lebens‹, erhalten bleibe, die, selbst dem irreellen Flux der Zeit entrissen, auch das Wechselspiel der Einzelimpressionen als ihrer ›Tonalitäten‹ stets vor seiner irrealisierenden Dynamik rette. 88 Jene Grundtonalitäten, unter denen sich 85 86 87 88
Vgl. ebd., 29: »Vivre veut dire s’eprouver soi-même«. Vgl. ebd., 91. PhM 33: »plus donnée mais donnante«. Vgl. IPC 92. A
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alle Einzelimpressionen subsumieren lassen, seien ›Freude‹ und ›Leid‹, die notwendig zum ›Leben‹ gehörten als Dichotomie, d. h. stete Spannung und Wechsel zwischen den Empfindungen des Habens und Seins mit jenen des Begehrens und ›Noch-nicht-seins‹. 89 Ihre tiefste Begründung fänden sie in dem bereits angedeuteten Paradox, dass das ›Leben‹ sich einerseits selbst vorgegeben ist und insofern ›sich selbst erleidet‹, dass dieses Erleiden aber andererseits nicht zu trennen ist von der Freude zu leben. Es bestehe nämlich ein wechselseitiges Bedingungsverhältnis zwischen Leid und Freude, die jeweils das andere als Voraussetzung bzw. Komplement implizierten: Die Freude sei nur möglich einem lebendigen, d. h. einem sich selbst erleidenden Ich, weshalb jedem Freuen immer auch ein Leiden »innewohne« (demeure), während das Leid der Selbsterfahrung immer schon auf die Freude am ›Leben‹ überhaupt hin orientiert sei, so dass man von einer »originären Zusammen-gehörigkeit« (co-appartenance originelle) 90 beider sprechen könne bzw. davon, dass beide in ihrer permanenten »Oszillation« (oscillation) eine Größe konstituierten, 91 nämlich das Pathos bzw. Wesen des ›Lebens‹, dessen »Modalitäten« (modalités) sie seien. 92 (3) Henry führt seine Lehre von der ontologischen Priorität der Impressionalität des originären ›Lebens‹ auf die von ihm ausgemachte cartesianische ›Intuition‹ von der cogitatio als Pathos zurück. Allerdings sei zunächst mit der falschen Deutung des cartesianischen cogito aufzuräumen, die sich nicht allein bei Husserl, sondern bei allen großen ›Cartesianern‹ (so etwa Malebranche, Spinoza und Leibniz) fände und Descartes’ Grundgedanken bis heute verzerre. Das vorausgesetzte ›Ich denke‹ der cartesianischen Argumentation dürfe nicht als intentionaler Denkakt missverstanden werden, sondern drücke die phänomenologische Urthese vom Primat des Erscheinens über das Sein aus: ›Ich denke‹ heiße demnach ›Ich erscheine‹ bzw. ›Ich erscheine mir‹, während das Sein lediglich eine Folgerung daraus sein könne, dies jedoch bloß »in der Sprache der Menschen, die auch jene des Denkens ist«. 93 Jene Folgerung, die Henry lieber als »GewissVgl. PDC 7 f.; Henry, Phénoménologie de la vie, I, 146 f. CMV 252 f. 91 Henry, Auto-Donation, 26. 92 Vgl. ebd., 45 f. 93 IPC 94: »dans le langage des hommes qui est aussi celui de la pensée«. Die logischapodiktische Folgerung des ›ergo‹ ist in der Tat niemals von Descartes selbst getroffen 89 90
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heit« (certitude) verstanden wissen möchte, evoziere nun drei Fragen: Erstens wie diese Erscheinung erscheine, zweitens welcher Art ihr ›phänomenologischer Stoff‹ sei und drittens, warum sie die je eigene sei. Die dritte Frage, jene nach dem ›ego‹, d. h. nach der individuellen Ipseität der Erscheinung, sei von Descartes nur unbefriedigend durch eine bloße Feststellung beantwortet worden, 94 das Fehlen der Begründung der notwendigen Zugehörigkeit eines ›Ichs‹ zu jedem ›primordialen Selbsterscheinen‹ in Descartes’ Konzeption habe aber katastrophale Konsequenzen für das moderne Denken gezeitigt. Henry selbst verweist in diesem Kontext auf seine umfangreichen Analysen der Ipseität und der ›Ur-Ipseität‹. 95 Die zweite Frage hingegen habe Descartes sehr wohl beantwortet und damit erstmals in der Geschichte der Philosophie eine »ebenso radikale wie explizite« (aussi radicale qu’explicite) phänomenologische Definition des Wesens des Menschen gegeben: Demnach sei der Mensch nicht mehr irgendeine erscheinende Sache unter anderen, weil der Stoff, aus dem er gemacht ist, nicht mehr der »Lehm der Erde« (limon de la terre), sondern ein »reiner phänomenologischer Stoff« (matière phénoménologique pure) sei, d. h. dass im Menschen Erscheinungsgehalt und Erscheinen zusammenfielen, der Mensch also sein eigenes Erscheinen sei. 96 Als entscheidend betrachtet Henry jedoch die erste Frage, nämlich jene nach der Art der Erscheinung, und entscheidend sei auch Descartes’ Antwort auf sie, die bereits im Kontext der husserlschen Fehlinterpretation anklang (vgl. 2.1): Der radikale Zweifel des Descartes, der ja seinen Gipfelpunkt in der berühmten Hypothese von der universalen Täuschung durch den ›genius malignus‹ findet, habe von vorneherein die Evidenz der theoretischen Schau bzw. des Sehens und damit des ›Welterscheinens‹ (vgl. 2.2.2) der möglichen Täuschung überführt und somit als Fundament der Selbstgewissheit ausgeschaltet. Als Paradigma dieser generellen ›Disqualifikation‹ des Sehens betrachtet Henry die bekannte cartesiaworden, entstammt dieses doch der lateinischen Übersetzung des auf Französisch verfassten Discours de la méthode, in dem die Folge weniger stark durch »donc« ausgedrückt worden war (vgl. Descartes, Discours de la methode, IV, 1 [32]) und fehlt gänzlich in den Meditationes. 94 Vgl. Descartes, Meditationes de prima philosophia, II, 9 (29): »Nam quod ego sim, qui dubitem, qui intelligam, qui velim, tam manifestum est, ut nihil occurrat, per quod evidentius explicetur«. 95 Vgl. IPC 94 f. Vgl. dazu auch unten, v. a. 2.2.3. 96 Ebd., 95 f. A
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nische Analyse des ›Traums‹, die sowohl in der ersten Meditation als auch in den Passions de l’âme zu finden ist. Henry beruft sich nur auf die zweite Referenz, da Descartes dort dem unter universalem Täuschungsverdacht stehenden Trauminhalt die absolute Gewissheit der durch ihn ausgelösten »Leidenschaft« (passion) entgegenstellt. 97 Jenes Gefühl, etwa die Traurigkeit, könne wie jede Impression nur als absolut evident erscheinen, wenn es sich an sich selbst gebe, was aber wiederum nur fern des ent-äußernden ›Welterscheinens‹ im ›phänomenologischen Stoff‹ einer ›transzendentalen Affektivität‹ möglich sei, eines Pathos, in dem jedes ›Leben‹ erst zu sich selbst komme. Das ›Leben‹ verhelfe der Traurigkeit also erst zur Erscheinung, so dass in der Tat mit dieser als gewiss erfahrenen Impression auch die Gewissheit des ›Lebens‹, des ›sum‹, mitgegeben sei, allerdings eben als impressionale Gewissheit und nicht als die denknotwendige Schlussfolgerung eines ›ergo‹. 98 Wie aber erklärt Henry das Fehlen des Lebensbegriffes bei Descartes und die spätere radikale Missinterpretation von dessen Subjektbegründung? Descartes habe anstelle des Lebensbegriffes jenen der cogitatio verwendet, innerhalb derer es – wie auch im Falle des ›Lebens‹ – keinerlei Distanz, kein Sehen und keine Evidenz geben könne. Die cogitatio, die Descartes auch ›Idee‹ genannt habe, sei somit ebenfalls Selbstoffenbarung und dem Welterscheinen entrissen. 99 Descartes habe zwar paradoxerweise auch von einem ›Sehen‹ der cogitatio gesprochen, damit jedoch eine der intentionalen Schau voraufgehende Wahrheit gemeint: »Ad certe videre videor« besage, 100 dass die veräußernde Schau (videre) nur insofern ›sicher‹ sein könne, als das Subjekt sich selbst als Sehendes und noch vorher als lebend erfahre (videor). Deutlicher erscheint dies in dem andernorts 101 zitierten cartesianischen Lehrsatz »Sentimus nos viVgl. Descartes, Passions de l’1âme, 349:»[M]ais, encore qu’on soit endormi & qu’on resve, on ne sçauroit se sentir triste, ou emeu de quelque autre passion, qu’il ne soit tres-vray que l’ame a en soy cette passion«. 98 Vgl. IPC 96 f. 99 Vgl. ebd., 98. 100 Zitiert nach ebd., 101; Henry bezieht sich hier wohl erneut auf Descartes, Meditationes de prima philosophia, II, 9. Vgl. hierzu auch Phénoménologie de la vie, II, 61 f. Interessant ist in diesem Zusammenhang sicherlich die ähnliche Argumentation des thomanischen Konzepts der reditio ad seipsum, d. h. der Selbstrückbezüglichkeit des Intellekts etwa in De veritate, q. 10 a. 12 ad 7 und STh I q. 16 a. 2; q. 76 a. 1; eine neuere Auslegung der Stellen findet sich bei Obenauer, Rückgang auf die Evidenz, 119–122. 101 Vgl. IPC 168; PhM 110. 97
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dere«. 102 Descartes sei zu dieser Redeweise, d. h. zur Verwendung von ›cogitatio‹ und ›Schau‹ anstatt ›Pathos‹ und ›Impression‹ gezwungen gewesen, da er die beiden letzteren Begriffe mit der res extensa in Verbindung brachte, der Außenwelt des Körperlichen, der er mit Galileo keinerlei Sicherheit zumessen wollte. Diese terminologische, nicht aber inhaltliche Ungenauigkeit sei dann wohl auch Ausgangspunkt des so folgenschweren Missverständnisses geworden. 103 2.2.2 Der Ort des ›Lebens‹ und sein Verhältnis zur Exteriorität: ›Fleisch‹ und ›Welt‹ Wie und wo aber sind nun ›Leben‹ resp. ›cogitatio als Pathos‹ zu situieren? Henry beantwortet diese Frage in drei Schritten: Er hebt ex negativo an, indem er zunächst die extramentale (oder besser: ›extravitale‹) Wirklichkeit als ›Welt‹ beschreibt, die unter der Herrschaft der Intentionalität stehe und so einem eigenen, nichtigen Erscheinensmodus unterliege, der sich durch drei Prädikate beschreiben lässt (1). Von dieser Abqualifikation der ›Welt‹ und ihrer Erscheinensart aus kann dann Henrys Gedanke einer ›Erscheinensduplizität‹ verstanden werden, steht der ›Welt‹ doch das ›Leben‹ mit seiner impressionalen und gewissen Phänomenalität, dem ›Lebenserscheinen‹ entgegen, das Henry vermittels eines völlig eigenen Konzepts des menschlichen ›Fleischs‹ lokalisiert (2). Daran anschließend versucht Henry, dieses ›Fleisch‹ in einer sehr komplizierten Argumentation gegenüber der res extensa abzugrenzen, die hier in einer Folge von fünf Schritten nachvollzogen werden soll, deren letzter die ›Haut‹ als paradoxen Ort des Übergangs zwischen Lebensimmanenz und weltlicher Exteriorität postuliert (3). (1) Das Missverstehen des cartesianischen cogito füge sich logisch in die Lebensvergessenheit der abendländischen Philosophie und den von ihr zugrundegelegten Wahrheitsmodus, das ›Erscheinen der Welt‹, ein. 104 Der philosophische mainstream sei gemäß dem ›Vor102 Descartes, Lettre à Plempius, 413. Henry und der Übersetzer Kühn lokalisieren hier falsch, vgl. IPC 168 bzw. Henry, Inkarnation, 186 f. Vgl. zu diesem Satz und seiner lebensphänomenologischen Deutung auch Henry, Phénoménologie de la vie, II, 61; Kühn, Geburt in Gott, 101. 103 Vgl. IPC 102. 104 Vgl. v. a. IPC 47–55.
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urteil‹ des griechischen Phänomenbegriffes immer schon der Versuchung erlegen, letzte Evidenz in einer veräußernden Schau zu suchen, d. h. in einem Selbstüberstieg des Bewusstseins in eine Voroder Gegenüberstellung, in ein Noema. Dieser Überstieg sei paradoxerweise sowohl als Prozess bewusstseinsimmanent als auch als VorStellung dieses transzendierend, gehe also in gewisser Hinsicht von einer Trennung von Bewusstsein (im Sinne eines originären Selbstbewusstseins), Verstandesakt und Verstandesinhalt aus, wobei das Bewusstsein als Subjekt mittels des Verstandesaktes sich zu einem Verstandesinhalt hin bewege (›übersteige‹). Nur ein derart ins Außen gesetzter Inhalt könne nun Gegenstand einer evidenzverleihenden Schau sein. In dieser Polemik zeigt sich, dass Henry einen ganz eigenen Begriff von ›Welt‹ hat, der nur sehr begrenzt mit klassischen Vorstellungen kompatibel ist, vor allem aber nicht mit der traditionellen Trennung von ›mundus intelligibilis‹ und ›mundus sensibilis‹ übereinstimmt: ›Welt‹ ist für ihn alles, was nicht identisch ist mit dem originären Selbstbewusstsein des transzendentalen Ichs, alles also, was jenes erste ›Außen‹ bildet, das Gegenstandsbereich einer theoretischen Schau sein kann, sei es nun innerhalb der so genannten intelligiblen oder aber der sensiblen Welt, wobei Henry beide in ihrem herkömmlichen Verständnis als Illusion betrachtet. Die Welt ist bei ihm in gewisser Hinsicht das ›Außen‹ selbst, jener Horizont oder »Vordergrund des Lichtes« (avant-plan de lumière), 105 dessen die theoretische Schau bedarf. Der Ausdruck ›Erscheinen der Welt‹ bezeichnet damit die Phänomenalisierung aller Phänomene erst durch die ›ins Außen‹ der Welt (als ihrem einzig möglichen Ort) versetzende theoretische Schau. Henry formuliert nun drei Prädikate des Welterscheinens. 106 Erstens vermag das ›Erscheinen der Welt‹ das in ihm Erscheinende nicht zugänglich zu machen, also die Phänomenalisierung des Phänomens nicht zu leisten. Hierbei ist vorausgesetzt, dass Erscheinen und Erscheinendes in der Welt nicht identisch sind. Von wissenschaftlichem Belang und entscheidend ist für Henry aber gemäß den ›Prinzipien der Phänomenologie‹ nicht der Inhalt des Phänomens, sondern seine Möglichkeitsbedingung (s. 2.1). Henry präzisiert nun, es könne wohl durchaus einen Zusammenfall von Erscheinen und Erscheinendem, also ein sich selbst phänomenalisierendes Phänomen 105 106
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Ebd., 54. Vgl. ebd., 59–61.
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geben, etwas ›Sich-an-sich-selbst-offenbarendes‹ (eben das ›Leben‹), im Bereich des Welterscheinens gelte aber stets die radikale Dissozierung von Erscheinen und Erscheinung.107 Das ›Erscheinen der Welt‹ vermöge deswegen niemals das Phänomen selbst zu geben, weil es dieses immer schon ins Außen setze, und damit in eine ›primordiale Alterität‹, in das ›Andere‹ oder in die ›Differenz‹. Der Horizont der ›Welt‹, der letztlich nichts anderes als das ›Ins-Außen-werfen‹ des Außen sei, bringe das Phänomen in Distanz zu sich selbst und entäußere es so grundlegend und nachhaltig, dass es seinen eigentlichen Ort verliere und exponiert zurückbleibe. Henry zielt hier natürlich vor allem auf die überkommene Vorstellung eines ›transzendentalen Ichs‹ ab, das somit zum Opfer dieser Exposition werde, wie etwa in Gestalt des heideggerschen ›Daseins‹, das nichts anderes mehr als das bloße ›In-der-Welt-sein‹ bedeute. Zweitens stehe das ›Welterscheinen‹ seinem Inhalt vollkommen indifferent gegenüber, es kenne nur das unpersönliche ›Es gibt‹ (il y a) und mache keinen Unterschied, ob diese Bestimmung nun etwas Existierendes oder ein bloßes Phantasiegebilde bezeichnet. Hier erinnert Henry implizit an die husserlsche Vorstellung vom der ›Gebung-als-Bild‹ (s. 2.1): Wenn das Prädikat ›existent‹ nur noch (und zwar unabhängig von der Realität des Bezeichneten) dem Bild zugesprochen werden könne und müsse, dann verkomme die Welt zur »Imago« bzw. zum »ens imaginarium«, das Bezeichnete selbst aber trage im Grunde genommen bereits das »Siegel der Irrealität«. 108 Die Indifferenz des ›Welterscheinens‹ treffe jedoch nicht allein die Frage nach der Realität des Erscheinenden, sondern auch nach seiner Qualifikation: ›Es gibt‹ dann gleichberechtigt nebeneinander »Opfer und Schlächter, Werke der Nächstenliebe und Genozide, Regeln und Ausnahmen« etc., weshalb das ›Welterscheinen‹ von einer »fürchterlichen Neutralität« gekennzeichnet sei. 109 Das dritte Merkmal des ›Welterscheinens‹ ist schließlich als die Konsequenz der ersten beiden zu betrachten: Die Veräußerung und Indifferenz ist Folge einer noch viel tiefer liegenden Ohnmacht, kann das ›Welterscheinen‹ dem ihn ihm erscheinenden Phänomen Vgl. IPC 59 f. Ebd., 120: »sceau de l’irréalité«. 109 Vgl. ebd., 60: »[L’]apparaître du monde éclaire tout ce qu’il éclaire sans faire acception des choses ou des personnes, dans une neutralité terrifiante. Il y a les victimes et les bourreaux, les actes charitables et les génocides, les règles et les exceptions«. Hier liegt eine frappante Parallele zum Gedanken der ›grausamen Neutralität des il y a‹ bei Levinas, vgl. 3.1. 107 108
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doch nicht zur Existenz verhelfen. Heidegger habe beides sehr klar gesehen, sei die Indifferenz bei ihm doch als Folge der ›Angst‹ gegeben, die Ohnmacht hingegen in Gestalt des ›Entbergens‹, welches das Existierende eben nur zu entbergen, nie aber zu realisieren vermöge: Es »öffnet«, aber »macht nicht«. 110 Es sei nunmehr klar, dass die eigentliche Transzendentalität des Ichs, also die Realität des ›Lebens‹, niemals in ein Außen hinein von sich selbst separiert sein könne und darum auch nicht im ›Erscheinen der Welt‹ möglich sei. 111 Mit dieser trügerischen Erscheinungsform ist letztlich auch alle herkömmliche Sprache mit dem Stigma des möglichen Betrugs belegt, da der klassische ›Logos‹ ja immer schon Bezeichnung eines Abwesenden, Repräsentation und Vor-Stellung sei. 112 Das Wort bleibe somit aufgrund seines »referentielle[n] Charakter[s]« eine »leere Signifikation«, die dem Bezeichneten keinerlei Realität zu verleihen vermöge. 113 Mehr noch, alle Sprache unterliege dem radikalen Verdacht, Lüge zu sein, wie Henry mit Blick auf Heideggers Interpretation von Trakls Ein Winterabend feststellt. 114 Diese Unterordnung aller Sprache unter das ek-statisierende Welterscheinen zeige sich auch in der ursprünglichen Synonymie der deutschen Worte ›sagen‹ bzw. ›sagan‹ und ›zeigen‹, deren »kostbare Etymologie« (étymologie précieuse) Heidegger aufgezeigt habe. 115 Dem Primat der Sprache müsse daher ein Primat des Handelns substituiert werden, eines Handelns allerdings vor aller Veräußerung, also in reiner Immanenz. 116 Allein ein solches, transzendentales Handeln sei in der Lage, tatsächlich wirklich und gewiss zu sein und insofern auch Konsequenzen für Heil und Unheil des transzendentalen, ›lebendigen‹ Ich zu zeitigen (vgl. 2.5). Aus der geleisteten Zusammenschau der Charakteristika des 110 So zitiert nach IPC 61. R. Kühn situiert das Zitat etwas grob und ohne Paragraphenangabe in Sein und Zeit, 219 ff., jedoch ist es dort im gesamten Abschnitt bis Seite 226 nicht auffindbar: vgl. Henry, Inkarnation, 72. 111 Zu dieser dreischrittigen Argumentation, die schon in IPC leicht variiert (vgl. ebd., 59–61, i. V. m. ebd., 120 f.), vgl. auch Henry, Auto-Donation, 36 f.; ders., L’Incarnation dans une phénoménologie radicale, 19 f.; PDC 91 f. 112 Vgl. PhM 131. 113 Vgl. PDC 92: »caractère référentiel […] signification vide« (i. O. teils kursiv). 114 Vgl. CMV 273 i. V. m. Heidegger, Unterwegs zur Sprache, 17. Henry betrachtet die Lektüre jenes Gedichtes als Beispiel für den trügerischen Charakter der Sprache: Während des Lesens seien nämlich die genannten Phänomene ›Schnee‹ bzw. ›Abendläuten‹ abwesend, obwohl die Sprache das Gegenteil suggeriere. 115 Vgl. Henry, Phénoménologie de la vie, I, 189. 116 Vgl. CMV 216.
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›Welterscheinens‹ erklärt sich, dass Henry in diesem Kritikpunkt keinen Unterschied zwischen den meisten Philosophien der abendländischen Tradition zu machen gewillt ist, da sie auf dem beschriebenen Welterscheinen basierten und somit allesamt ›Metaphysiken der Repräsentation‹ seien. Insofern beruhten sie auf einem fundamentalen ›gegen‹, ob dieses nun als selbstkonstituierter »Gegenstand« oder als bereits vorfindliches »Gegenüber« (beides dt. i. O.) gedacht werde. Ob die Vorstellung vom ›Sein‹ sich nun mit ›den Griechen‹ (les Grecs) als ›fÐsi@‹, mit Platon als ›§dffa‹, mit Descartes als ›perceptio‹, mit Kant und Leibniz als ›Repräsentation‹ oder mit Nietzsche und der modernen Technik als ›Wille zur Macht‹ zeige, sie bleibe eben immer Vor-Stellung. 117 (2) Von hier aus ergibt sich nun, was Henry unter der ›Duplizität des Erscheinens‹ versteht, nämlich den unversöhnlichen Gegensatz zwischen dem Erscheinensbegriff der ›Welt‹ als der irrealisierenden ›InsAußen-setzung‹ der Phänomene durch die theoretische Schau und jenem des ›Lebens‹. Das ›Lebenserscheinen‹ als Kern der Lebensphänomenologie besage in Abgrenzung zum ›Welterscheinen‹, dass das erkennende Subjekt (denn bei allem Erscheinen geht es ja nur um jenes ›vor dem Subjekt‹, s. o.) sich selbst schon vor allem intentionalen und schauenden Weltzugriff gegeben ist, und zwar insofern es sich zunächst selbst umklammert, sich exklusiv im Sinne der Selbstaffektion an sich selbst offenbart und somit identisch mit dem eigenen Erscheinen ist. 118 Das ›Leben‹, das als ursprüngliche Selbsterfahrung definiert worden ist, sei zeitloses ›ewiges Präsens‹ und ›a-kosmisch‹, da Raum und Zeit bereits ein ›Außer-sich‹ bzw. ein ›Nicht-mehr‹ darstellen, indem es niemals ›Leben‹ geben könne, sondern nur Tod. Das ›Leben‹ sei in seiner ursprünglichen Selbstumarmung unsichtbar für jede Art der Schau (also nicht bloß die intellektuelle), was für den folgenden Teil wichtig sein wird. Weiterhin sei es ›Pathos‹, reine ›Impressionalität‹ oder ›Affiziertheit‹ als ›Autopathos‹, dem jegliche Fremdbestimmtheit unbekannt sei, und reines »Sich-an-sich-selbst-erfreuen« (auto-jouissance). 119 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das so verstandene ›Erscheinen des Lebens‹ für Henry nicht allein die Lösung der letzten Aporie der hus117 118 119
Vgl. Henry, Phénoménologie de la vie, II, 17. Vgl. IPC 123. CMV 44. A
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serlschen Phänomenologie wie aller klassischen Bewusstseinsphilosophie darstellt, sondern weiterhin gar die endgültige Niederlage des Nihilismus bedeutet, da es eine nicht mehr hinterfragbare, weil impressional sichere letzte Wahrheit etabliere. 120 Das cogito wolle »alles [andere; M. L.] aussagen als ›Ich denke‹ (tout dire sauf ›je pense‹), weil cogito und Subjektivität ›die pathetische Unmittelbarkeit des Erscheinens als Selbsterscheinen‹ (l’immédiation pathéthique de l’apparaître comme auto-apparaître) signifizierten«. 121 Die eigene Erscheinenssphäre, die das ›Leben‹ so gegenüber der ›Welt‹ darstellt, bezeichnet Henry ab der Incarnation, die ja den Untertitel Une philosophie de la chair trägt, als »Fleisch« (chair). 122 Er entwickelt diesen Begriff, den er dem Johannesprolog und der patristischen Theologie entnimmt, im zweiten Teil des Buches 123 durch eine umfangreiche und weit verzweigte Phänomenologie der Körperlichkeit. Schließlich muss Henry erklären, wo sich dieses menschliche ›Leben‹ denn überhaupt ereignen soll, in welcher ›Welt‹ es lebt, wo ›Welt‹ bisher in seinem Modell doch geradezu als Inbegriff des bloßen Scheins und der Irrealität fungiert. Im Zusammenhang damit wird er eine komplexe Anthropologie entwickeln, ist der Mensch doch sowohl dem offenkundigen gesunden Menschenverstand wie auch Henrys eigenem Verständnis nach ein Wesen, das zwar essentiell in gewissem Sinn ›a-kosmisch‹ und unsichtbar sein mag, 124 das aber doch irgendwo im Kosmos situierbar sein muss, was eine Form von Körperlichkeit oder zumindest eine körperliche Vermittlung ins Außen der Welt hinein voraussetzt. So unternimmt Henry den im Folgenden darzustellenden Versuch, eine gewissermaßen ›antikopernikanische‹, rein lebensphänomenologische Kosmologie von der Anthropologie her bzw. gar als Anthropologie zu entwerfen, die ihren logischen Ausgang im originären ›Leben‹ des Menschen Vgl. IPC 101. Henry, Phénoménologie de la vie, II, 22 f. 122 Der Terminus wird freilich schon beiläufig in CMV eingeführt, allerdings in divergierenden Bedeutungen: Einmal (CMV 124) bezeichnet er – analog der späteren Verwendung in IPC – die »substantielle Realität« (réalité substantielle) des Lebens des »christlichen, phänomenologisch-transzendentalen Menschen« (l’homme phénoménologique transcendantal chrétien), dann aber (vgl. ebd., 147.160) wird Christus als chair eines jeden Lebenden bezeichnet. Ob hier ein unbeabsichtigter Widerspruch vorliegt, oder nicht vielleicht doch ein Indiz für einen möglichen henryschen Monismus wird später Untersuchungsgegenstand sein, vgl. 2.7. 123 Vgl. IPC 135–238: »Phénoménologie de la chair«. 124 S. Anm. 76. 120 121
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nimmt, das nichts anderes als sein ›Fleisch‹ ist. Erstaunlicherweise wählt Henry den ›mundus sensibilis‹ zum Ausgangspunkt seiner ›Phänomenologie des Fleischs‹, obwohl er ihn doch vorher mit Blick auf Husserl als bloße Illusion bezeichnet hatte, weil er – phänomenologisch – unter dem Generalverdacht stehe, die eigene Realität und jene seiner Gehalte nicht bewirken zu können, wenn nicht gar lediglich vorzutäuschen. Ontologisch jedoch zweifelt Henry nicht an seiner Existenz, wenn er sie an dieser Stelle aufgrund seiner Systematik auch zunächst nur postulieren kann und erst später mit Hilfe der noch zu leistenden Fleischesphänomenologie zu begründen versucht: Jeder reale Körper des ›Universums‹ (das Henry hier zwecks Vermeidung von Missverständnissen anstatt der ›Welt‹ einsetzt), d. h. jeder tatsächlich existierende, konkrete Körper ist demnach mit sensiblen Qualitäten ausgestattet, ja erscheint vordergründig ausschließlich als Summe solcher sensibler Eigenschaften. Allerdings verdanke der einzelne Körper wie auch der gesamte sensible Gehalt der Welt diese Eigenschaften nicht – wie die oben genannte Illusion noch meinte – sich selbst und damit dem ›Welterscheinen‹, so als könnten Dinge in sich selbst als »zart anzufassen, eben oder rau, schneidend, fest wie ein Stein, weich wie Schlamm, trocken oder feucht oder aber flüchtig wie Wasser zwischen unseren Fingern« erscheinen und damit sein. 125 Diese Eigenschaften verdankten sie ja nach den Prämissen der Phänomenologie und dem Erarbeiteten erst ihrer Phänomenalisierung, somit der impressionalen »Wahrnehmung« (sensation) und letzten Endes dem wahrnehmenden ›Leben‹. 126 Es gebe also die äußere sensible Welt, wenn sie ihre eigene Gewissheit und die Gewissheit ihres Gehalts in seiner sensiblen Konkretion auch allein dem ›Leben‹ verdanke, jener ursprünglichen »radikal immanenten Selbstaffektion« des Menschen, die »nichts anderes als unser Fleisch ist«. 127 Das originäre menschliche Pathos ist eben das, was Henry – paradox zur herkömmlichen Verwendung des Begriffes – ›Fleisch‹ nennt. Da dieses ›Fleisch‹ nun unsichtbar (insofern in seiner radikalen Immanenz jeder Veräußerung unfähig) ist, untersucht er es phänomenologisch.
125 IPC 138: »doux au toucher, lisses ou bien rugueux, coupants, solides comme pierre, mous comme de la boue, secs ou humides, ou encore fuyants comme l’eau entre nos doigts«. 126 Vgl. ebd., 139. 127 Ebd., 173: »cette auto-affection radicalement immanente qui n’est autre que notre chair«.
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Diese Untersuchung soll die Vermittlung des ›Fleischs‹ in die äußere Welt hinein erklären, die der ›Welt‹ selbst erst ins Sein verhilft. (3) Die Darstellung der henryschen Verhältnisbestimmung von ›Fleisch‹ und Exteriorität soll wie angeführt in fünf Schritten erfolgen, die außerordentlich komplex sind und eine Fülle neuer Termini und Konzepte mit sich bringen. Die entsprechenden Ausführungen Henrys in kritischer Auseinandersetzung mit Galilei, Merleau-Ponty, Condillac und Maine de Biran sollen hier in ihrer Integrität rekonstruiert werden, auch wenn die hiesige Darstellung wie auch die spätere philosophische Kritik (vgl. 2.7) zu dem Ergebnis kommen wird, dass Henrys Lösungsvorschlag das alte cartesianische Problem des Übergangs zwischen res extensa und res cogitans (resp. ›vivens‹) letztlich nicht behebt, sondern durch die Vervielfältigung der Vermittlungsstufen lediglich verkompliziert und zu verdecken sucht. Zunächst wird seine an Descartes und Husserl angelehnte Kritik an der Körperlichkeitskonzeption Galileis zu betrachten sein, dann seine Herausarbeitung einer fundamentalen Ambivalenz der sinnlichen Dimension des Körpers, die zur Kategorie einer transzendentalen Körperlichkeit führt, welche sich erneut als ambivalent erweisen wird und in ihrer impressionalen Form zu betrachten ist. Von hier aus können dann Henrys ›a-kosmische Kosmologie‹ und seine Ansätze einer positiven Verhältnisbestimmung von ›Fleisch‹ und Exteriorität im Gedanken der ›Lebenswelt‹ betrachtet werden. Abschließend wird dann noch auf das henrysche Konzept der ›Haut‹ als des Übergangs zwischen beiden Erscheinungsorten schlechthin einzugehen sein. Henry beginnt seine Überlegungen zum Verhältnis von ›Fleisch‹ und Exteriorität mit einer Fundamentalkritik an Galileis »Reduktion« (réduction) der Körperlichkeit auf die geometrische Idealität bzw. den »wissenschaftlichen Körper« (corps scientifique), 128 durch die er zugleich die moderne Wissenschaft ins Leben gerufen habe. Galileis Position gehe aus seiner epochemachenden Entscheidung hervor, 129 die sensiblen Dimensionen der Dinge, d. h. letztlich den ganzen ›mundus sensibilis‹, lediglich als Illusion zu betrachten, Vgl. IPC 139–145, hier 141. Vgl. ebd., 140: »[L]’événement décisif que constitue dans l’histoire de la pensée humaine la désagrégation de la conception ancestrale du corps résulte d’une décision intellectuelle«. Henry spricht daher auch von dem von Galilei grundgelegten »l’univers ›réel‹ de la modernité« (ebd., 148). 128 129
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demgegenüber das reale Universum allein aus räumlich ausgedehnten Körpern bestehe, die in ihrer materiellen Konkretion durch verschiedene zugrunde liegende Figuren und Formen qualifiziert seien. Diese Formen gelte es zu erkennen bzw. erst in einem vom Realen ausgehenden, idealisierenden Prozess zu konstruieren, da die Wirklichkeit – obwohl durch sie konstituiert – dennoch hinter dieser idealen, perfekten Form zurückbleibe. Von wissenschaftlichem Interesse sei demnach nicht mehr die Faktizität, sondern die Idealität, während die Geometrie als Wissenschaft von jener Idealität zur philosophischen Königsdisziplin avanciere. 130 Es ist offensichtlich, dass diese Form einer idealisierenden Schau bzw. ›eidetischen Analyse‹ der von Henry beschriebenen Erscheinenskonzeption der ›Welt‹ entspricht. Da nun aber in Galileis Modell alle Individualität Zeichen einer defizienten Verwirklichung der zugrunde liegenden reinen Form sei, substituiere es dem konkreten, sensiblen Körper ein Ideal seiner selbst, das Henry als ›wissenschaftlichen Körper‹ bezeichnet. Die Besonderheit des galileischen Modells gegenüber Vorläufern wie Demokrits Atomismus oder anderen Konzeptionen der Geometrie sei es nun letzten Endes gewesen, diese über das ihr auch von Henry konzedierte »Feld […] der idealen Figuren« (champ des figures idéales), d. h. sozusagen den ›mundus intelligibilis‹, auf die Welt des Materiellen ausgedehnt zu haben. Hierdurch sei die Geometrie und ihr beschränkter Weltzugang zur »einzigen Form alles möglichen Wissens« (l’unique forme de tout savoir possible) erhoben worden, 131 worin eben die radikale Reduktion Galileis auf die theoretische Idealität bestehe. Wie alles Individuelle würden Impressionen und sinnliche Qualitäten somit zum bloßen ›Schein‹, der sich im Bereich des ›Animalischen‹ aus einer gewissen Notwendigkeit der »biologischen Organisation« erklären lasse. Wenn die Tiere, »welche wir sind«, also etwas zu empfinden meinten, sei dies grundsätzlich materiell erklärbar mittels einer idealisierenden Biologie. 132 Wenn nun aber die sensiblen Qualitäten der Dinge, wie Henry ja belegen zu können glaubt, ihnen in der Tat nicht inhärieren, sondern ihre Realität allein im phänomenologisch eruierten ›Leben‹ als dessen ›Modalitäten‹ finden, so wird gleichzeitig mit aller sensibilitas auch das originäre ›Leben‹ Vgl. IPC 139 f. Vgl. ebd., 142 f. 132 Vgl. ebd., 144: »[C]elles-ci [les qualités sensibles; M. L.] ne tiennent à l’organisation biologique de ces animaux particuliers que nous sommes«. 130 131
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durch Galileis Reduktion dem Schein ausgeliefert. Dies zeitige zwei Konsequenzen: Erstens verliere das ›Leben‹ seine Autonomie, d. h. in einem »seinen Ursprung, seine Gründe, seine Gesetzmäßigkeiten« (son fondement, ses raisons, ses lois). 133 Es unterliege heteronomen Bestimmungen, über die es sich selbst keinerlei Rechenschaft zu geben vermöge. Was es zu erkennen und zu empfinden glaube, seien nur mehr bloße Illusionen, die ihm obendrein aufgrund einer von ihm nicht einsichtigen, äußeren Determination vorgegeben seien. So würde, auch hier zeigt sich der Literat Henry, »der Kuss, den die Geliebten austauschen« zu einem bloßen »Bombardement mikrophysischer Partikel« abgewertet. 134 Die zweite Konsequenz betrifft die Welt, die, insofern aller Sensibilität und Impressionalität beraubt, zu einem leblosen und ›blinden‹ Universum verkäme, aus dem sich das ›Leben‹ immer schon zurückgezogen habe. In einer solchen Welt herrsche lediglich »das ewige Schweigen dieser unendlichen Räume« (Pascal), 135 ewiges Schweigen im radikalsten Sinn, da Sprechen und Hören in jenem Wissenschaftsuniversum prinzipiell unmöglich seien. Eine so verstandene Welt sei daher »monströs« (monstrueux) und reines »Inhumanum« (l’inhumain). 136 Descartes und Husserl seien zu recht der Überzeugung gewesen, dass der geometrische Weltzugang Galileis eine sehr fruchtbare Methode darstelle, betrieben beide großen Denker doch ihrerseits ›eidetische Analyse‹, so Descartes in seiner berühmten Analyse des Wachsstückes in den Meditationes, Husserl aber explizit in Gestalt der ›Wesensschau‹. Beide hätten jedoch die Grenzen einer so verfassten Wissenschaft erkannt und Galileis Absolutheitsanspruch daher als Reduktionismus verurteilt. 137 Descartes betreibe gar nach der scheinbaren Übernahme der Voraussetzungen Galileis deren »Gegenreduktion« (contre-réduction), 138 denn nachdem er anhand des Wachsstückes Wesensschau betrieben und somit von dessen sensiblen Qualitäten abstrahiert habe, komme er im Anschluss zu der Galileis Modell kontradiktorisch entgegenstehenden Überzeugung, dass Ebd., 146. Vgl. ebd.: »Le baiser qu’échangent les amants n’est qu’un bombardement de particules microphysiques«. 135 Zitiert nach IPC 147: »[l]e silence éternel de ces espaces infinis«. 136 Ebd., 148. 137 Zur cartesischen Kritik Galileis vgl. IPC 148–152, zu jener durch Husserl ebd., 152– 156. 138 Ebd., 148. 133 134
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anstatt der sensiblen vielmehr die ideale Dimension der Wirklichkeit radikal zu bezweifeln sei, und allein die Impressionen – bei Galilei ja lediglich Epiphänomene des material verstandenen Organismus – Gewissheit zu bieten vermöchten, wie ja bereits die Untersuchung des § 26 der Passions de l’âme und der zweiten Meditation ergeben habe (vgl. 2.2.1). Freilich situiere auch Descartes die sensibilia keineswegs in der objektiven, äußeren Realität der res extensa, sondern in der »Seele« (âme), die sensiblen Qualitäten seien nämlich nichts anderes als cogitationes. Sichere cogitationes existierten aber schließlich nur in der Selbstgebung des absoluten ›Lebens‹ und seien allein dergestalt »Kristalle absoluter Sicherheit« (des cristaux de certitude absolue). 139 Körper könnten demzufolge allein gewiss sein, insofern eine intellektuelle Anschauung ihrer Ausdehnung vorläge, die aber ihrerseits nur als cogitatio und somit als Impression gewiss werden könne. 140 Husserl hingegen betrachte Galieis Modell als unwissenschaftlich, weil es nicht nach Möglichkeitsbedingungen frage: Wenn die reale Welt keine perfekten Verwirklichungen der idealen Figuren bieten könne, wie Galilei ja durchaus einräume, so verdankten diese sich doch wohl einem Ideationsprozess des Bewusstseins, das deswegen als Bedingung ihrer Möglichkeit transzendental zu nennen sei. Anstatt also die Subjektivität auszuschalten, bleibe Galilei (und mit ihm die moderne Wissenschaft) vielmehr stets umgekehrt ihr Gefangener. Diese Bindung an die transzendentale Subjektivität sei die erste Grenze der galileischen Reduktion, die zweite sei die ausgeklammerte sensible Welt selbst: Die idealen Entitäten verdankten sich ja nicht allein einem von der Erfahrung des ›mundus sensibilis‹ ausgehenden Ideationsprozess, sondern hätten nur Sinn, insofern sie als ›Erklärung‹ der ›weltlichen‹ Wirklichkeit taugten. In Folge dessen sei alle geometrische Wissenschaft nicht unabhängig von der realen sensiblen Welt, sondern im Gegenteil nur in Bezug zu ihr denkbar. Henry hält fest, dass die rein geometrisch durchmessbare Welt Galileis, jene »Welt unsensibler Partikel« (monde de particules insensibles), mit dem geleugneten Bezug zur Sensibilität auch jeden Bezug zum Menschen verliere, und somit für ihn zur »unmöglichen Welt« (monde impossible) würde. 141 Auch der galileische Gott würde vor diesem Hintergrund im radikalen Sinn als ›impassibel‹ 139 140 141
Ebd., 150. Vgl. ebd., 150 f. IPC 155. A
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gelten, als allwissender, aber gefühlloser, »fremder« bzw. »seltsamer Gott« (étrange Dieu). 142 Als Fazit fällt Henry das vernichtende Urteil, eine solche Wissenschaft – zumindest sofern absolut als einzig mögliches Wissen vertreten, wie es von der Schule an geschehe – 143 wisse noch weniger von der Wahrheit als »das zurückgebliebenste Kind und der wildeste Wilde«. 144 Nachdem er den ›mundus sensibilis‹ gegen die galileische Reduktion etabliert hat, wendet sich Henry der Analyse des einzelnen sensiblen Körpers zu. Analog zu der betrachteten Duplizität des Erscheinens bestehe demnach auch eine Ambivalenz in der Konzeption des sensiblen Körpers. Als Teil der Welt des primordialen Außen, der das ›Welterscheinen‹ zugeordnet wurde, zeige sich der Körper zunächst als ein Objekt, d. h. als ein »gefühlter Körper« (corps senti) bzw. als »weltlicher Körper« (corps mondain). 145 Jedoch zeige sich hier erneut die Gefahr der »Illusion des mundus sensibilis«, die ja als »grober Realismus« bezüglich des Körpers darin bestehe, ihm die gefühlte sensible Eigenschaft selbst zuzuschreiben, ihn also als ein »weltliches sensibles Objekt« zu betrachten. 146 Dies würde bedeuten, eine Sensibilität zu instituieren, die zugleich impressional wäre, und sich dennoch in der ek-statischen Struktur der ›Welt‹ zeige, was die Phänomenologie des ›Lebens‹ doch explizit ausschließt. Ein sensibler Charakterzug könne dem weltlichen Körper so wenig vom Außen der Welt her zukommen, wie der husserlsche Flux seinen impressionalen Gehalt der eigenen Form verdanken könne. Eine sensible Erscheinung setze zur eigenen Existenz vielmehr immer schon ein Forum wahren Erscheinens voraus, das sie als solche zu rezipieren vermag. Somit ergebe sich logisch die Notwendigkeit, einem ›gefühlten Körper‹ immer schon einen ›fühlenden Körper‹ bzw. »tranzendentalen Körper« (corps transcendantal) als seine Voraussetzung beizugeselEbd., 156. Hier bezieht er sich wohl v. a. und zweifelsohne nicht ohne einige Berechtigung auf das laizistische, teils immer noch von a-christlichen und antiklerikalen Ressentiments geprägte Schulsystem Frankreichs. 144 Ebd., 156: »[É]trange Science, celle qu’on présente aujourd’hui dès l’école comme l’unique savoir véritable et qui, à vrai dire, au terme de son prodigieux développement en sait encore beaucoup moins que l’enfant le plus arriéré ou le primitif le plus primitif«. 145 Vgl. ebd., 156 resp. 158 f. 146 Vgl. ebd., 158 »L’illusion selon laquelle le monde sensible constituerait une réalité autonome […], c’est là le paralogisme de ce qu’il faut bien appeler un réalisme grossier. Or ce dernier […] habite toutes les pensées qui, d’une façon avouée ou non, considèrent le corps comme un objet sensible mondain«. 142 143
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len. Dieser fühlende Körper sei erstens ›transzendental‹, weil er die Möglichkeitsbedingung des gefühlten Körpers darstelle, wegen dieses Status der Bedingung sei er zweitens »Subjektkörper« (corps-sujet) gegenüber dem gefühlten Körper als »Objektkörper« (corps-objet) und drittens apriorisch »subjektiver Körper« (corps subjectif) entgegen dem gefühlten »objektiven Körper« (corps objectif), weil er in Letzterem als dessen Bedingung immer schon mit erscheine. 147 Ist der Subjektkörper in seiner Eigenschaft erwiesen, »nicht mehr Objekt, sondern Prinzip der Erfahrung« zu sein, 148 so sei er damit jedoch noch nicht dem ›Welterscheinen‹ entrissen: Solange er nämlich allein vom weltlich erscheinenden Körper her als Instanz zu dessen Rezeption notwendig postuliert werden müsse, sei er nichts anderes als die husserlsche Intentionalität, nämlich ein Bewusstsein, das notwendig Bewusstsein von etwas außerhalb seiner selbst ist. Rezipieren würde er die weltliche Wirklichkeit mittels der traditionellen Sinne, die aber eben immer schon als »Sinne des Fernen« (sens du lointain) über sich hinaus in das Außen geworfen seien. 149 Somit sei man wiederum der zirkulären Absurdität der husserlschen Phänomenologie erlegen, die Möglichkeitsbedingung einer Wirklichkeit von dieser Wirklichkeit selbst her erklären zu wollen. Bezüglich des Körpers sei dies exemplarisch im späten Denken Maurice MerleauPontys und seiner Verabsolutierung des ›Sensiblen‹ geschehen. In dem postum veröffentlichten, bezeichnend titulierten Werk Le Visible et l’Invisible habe dieser versucht, den menschlichen Körper am Beispiel der Hände in jener Ambivalenz darzustellen. 150 Das Beispiel besagt, dass die eine Hand, wenn sie die andere berühre, im Sinne des ›Subjektkörpers‹ handelnd, fühlend bzw. ›sehend‹ sei, während die andere als ›Objektkörper‹ nur Handlungsgegenstand sei, d. h. gefühlt und ›gesehen‹ werde. Dieses Verhältnis könne jedoch auch vertauscht werden, wobei sich ebenfalls die Eigenschaften exakt vertauschen würden. Der menschliche Körper wird aufgrund dieser Vertauschbarkeit zugleich als ›sehend‹ und ›gesehen‹ betrachtet, als transzendentales Vermögen des Weltzuganges und als weltliches Ding. Damit aber sei Merleau-Ponty wieder in der Aporie angelangt, in der absurden Vorstellung eines ›Fleischs‹ »ähnlich jenem der lebendig Gehäu147 148 149 150
Vgl. IPC 159. Ebd., 160: »[U]n corps qui n’est plus objet de l’expérience, mais son principe«. Ebd., 160 f. Vgl. ebd., 163–166. A
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teten, des Faunes Marsyas oder des Heiligen Bartholomäus […], das kein Fleisch einer Person wäre, sondern nur das der Welt«. 151 Möglichkeitsbedingung und dergestalt Bedingtes müssten doch vielmehr identisch sein, in Henrys Beispiel also die wahrgenommene Haut und der wahrnehmende Faun bzw. Mensch. Der menschliche Körper berge demnach die doppelte Möglichkeit, sich als ›transzendentaler Körper‹ zur weltlichen Sache und als weltliche Sache zum ›transzendentalen Körper‹ zu machen. Tatsächlich sei diese Möglichkeit sogar immer schon aktuell, vereinige der Körper den Menschen laut Merleau-Ponty doch »unmittelbar mit den Dingen durch seine eigene Ontogenese«, 152 verstanden eben als jenes ambivalente Verhältnis zu sich selbst. Ein so auf die reziproke, duale Relation »Fühlend/gefühlt, Berührend/berührbar, Sehend/sichtbar« (Sentant/senti, Touchant/tangible, Voyant/visible) 153 reduzierter Körper entkomme jedoch niemals dem ›Welterscheinen‹, weil er eben als ›sehend‹ erkennende Instanz nicht allein immer schon auf das Gesehene als Außen bezogen, sondern vielmehr ipso facto selbst als äußerlich Gesehenes gedacht werden müsse. 154 Der beschriebene ›transzendentale Körper‹ sei ebenfalls eine ambivalente Größe: Zunächst werde er verstanden als Subjekt des intentionalen Weltzugangs und Ort der menschlichen Sinne als ›Sinne der Ferne‹, begegne dann aber in seiner reversiblen Relation zum ›weltlichen Körper‹ als sächlicher Wirklichkeit und möglichem Gegenstand einer intentionalen Schau. Henry fordert daher eine weitere Unterteilung: Wie die Intentionalität laut der lebensphänomenologischen Analyse des ersten Teiles von IPC die originäre Impressionalität des ›Lebens‹ als Selbstaffektion voraussetzte, setze der als intentional verstandene transzendentale Körper ebenfalls eine Möglichkeitsbedingung seiner selbst voraus, »eine viel ursprüng151 Vgl. ebd., 164: »[C]ette absurdité d’une chair toujours et déjà semblable à celle des écorchés vifs, du faune Marsyas ou de saint Barthélemy […] qui ne serait la chair de personne mais seulement celle du monde«. 152 Merleau-Ponty, Le visible et l’Invisible, 179: »Le corps nous unit directement aux choses par sa propre ontogénèse«. 153 IPC 165. 154 Jenes Problem der zirkulären Konstitution, dass erst aus dem ›Erkennen‹ das ›Erkannte‹ konstituiert wird, ist allerdings wohl schon Merleau-Ponty selbst aufgegangen, der allerdings nicht mehr zu seiner Lösung gekommen ist, wurde sein genanntes Spätwerk doch postum und obendrein als Fragment veröffentlicht: vgl. etwa Schweidler, Maurice Merleau-Ponty, 408.
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lichere Körperlichkeit« (une corporéité beaucoup plus originaire), 155 die ihn vor aller Öffnung zu einem Außen hin in sich selbst begründe. Ein Körper, dem jede Art von Veräußerung unmöglich sei, der eben nicht mehr in einem reversiblen Verhältnis zum weltlichen Körper stehe, sondern logisch absolut von ihm unterschieden werden müsse. Jener Körper sei ebenfalls ›transzendental‹ und zwar in jenem radikalen Sinne, dass er nicht allein Möglichkeitsbedingung des ›mundus sensibilis‹ (hier also des weltlichen Körpers) wie der ›intentionale transzendentale Körper‹ sei (dem ja deswegen das gleiche Attribut zukomme), sondern zugleich fundamentale Bedingung der Möglichkeit bereits dieses intentionalen transzendentalen Körpers. So müsse auch der ›transzendentale Körper‹ verdoppelt werden in einen intentionalen und einen impressionalen, die in ihrer Dualität erneut die beiden phänomenologischen Erscheinensweisen abbildeten. Es ist wohl evident, dass es für Henry allein dem impressionalen Transzendentalkörper zukommt, ein originäres ›Fleisch‹ zu sein. Jener Körper, d. h. jenes »Fleisch unter dem Namen ›Impression‹« (chair sous le nom d’»impression«), 156 sei nichts als ein sich selbst fühlendes und erlebendes, lebendiges ›Fleisch‹, also reine Selbstaffektion. Wo dieser Unterschied missachtet und der transzendentale Körper allein auf seine intentionale Form beschränkt würde, wie bereits beim frühen Merleau-Ponty in seiner Phénoménologie de la perception, habe man zwar einerseits das Subjekt gegen Galilei und seinen inkarnierten Status gegen das leere und formale ›Ich denke‹ Kants verteidigt, es dabei aber andererseits doch wieder zu einer Sache veräußert, zu einem »Objektkörper« und zum »Status eines ›Ob-jektes‹ im Wortsinn, nämlich ›dort-in-eine-Welt-voraus-geworfen‹ zu sein«. 157 Henry geht anschließend in seiner »Analytik des ›Ich kann‹« (Analytique du »je peux«) 158 näher auf das Verhältnis des ›Fleischs‹ als ›impressionalem Transzendentalkörper‹ zum ›intentionalen Transzendentalkörper‹ ein. Letzterer wurde ja beschrieben als Summe der Sinne im klassischen Verständnis (›Sinne der Ferne‹), die immer schon einen Bezug zum Außen implizierten. Das ›Fleisch‹ nun sei insofern Vorbedingung dieser Sinne, als es überhaupt erst die IPC 168 f. Ebd.,174. 157 Vgl. IPC 171: »[U]n corps-objet en effet, ne devant sa manifestation qu’à son statut d’ob-jet – au fait d’être jeté-là-devant-dans-un-monde«. 158 Vgl. ebd., 195–206. 155 156
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Möglichkeit der Intentionalität eröffne, die in der Selbstaffektion des transzendentalen ›Lebens‹ liege. Die Möglichkeitsbedingung des einzelnen Sinnes sei als ein fundamentales »Vermögen« (pouvoir) zu denken, das jeder Aktualisierung immer schon vorausliege und unabhängig von ihr sei: Um etwas aktuell zu berühren, müsse dem transzendentalen Ich daher immer schon das »Berührungsvermögen« (pouvoir-toucher) gegeben sein. Die originäre Körperlichkeit, die »im, ja als Fleisch« (dans la chair, comme chair) existiere, könne damit konsequenterweise zunächst als die Summe jener einzelnen Vermögen verstanden werden. 159 Eigentlich sei sie aber das noch ursprünglichere »Selbstbewegungsvermögen« (pouvoir-semouvoir), das die Vermögen der einzelnen Sinne bedinge und ›bewege‹ und somit Charakteristikum des sich selbst bewegenden Subjekts. 160 Das ›Selbstbewegungsvermögen‹ sei hingegen nicht mehr bedingt, sondern autonom. Henry konstruiert diese Ur-Struktur hinter den Sinnesvermögen, weil jene doch wieder als ›Sinne der Ferne‹ und somit als intentional gedacht werden könnten, womit aber die eigentliche fleischliche Kondition der Vermögen ›weggezaubert‹ (vgl. escamotage) würde. 161 Jenes ursprünglichere ›Bewegungsvermögen‹ hinter den Einzelvermögen der Sinne sei erstmals von Marie-François-Pierre-Gonthier Maine de Biran in seiner Kritik an Etienne Bonnot de Condillacs ›Statue‹ aufgewiesen worden. 162 Condillac habe in seinem Traité des sensations als einer der ersten Denker die Frage nach möglicher Erkenntnis über den eigenen Körper gestellt und dazu eine phänomenologische Reduktion des menschlichen Subjektes auf seine rein impressionale Subjektivität angestellt. Jene auf ihre Eindrücke reduzierte Subjektivität kenne zunächst keinerlei Außen, sondern würde alle ihre Eindrücke nur als Modifikationen ihrer selbst erleben. Wegen dieses fehlenden Außenbezuges habe er sie »seltsam[er]« (étrange) Weise ›Statue‹ genannt. 163 Unter den entweder als freudvoll oder unangenehm empfundenen Eindrücken stoße die Statue mittels des Tastsinnes auf einen ersten Widerstand, nämlich den eigenen Körper, den sie aufgrund seiner UndurchdringlichVgl. ebd., 196 f. Ebd., 198. 161 Vgl. ebd., 197. 162 Vgl. zur – Henry wohl als Vorlage dienenden – merleau-pontyschen Darstellung der Anthropologie Maine de Birans und seiner Kritik an Condillac: Deprun, L’union de l’âme et du corps chez Malebranche, Biran et Bergson, 46–78, hier v. a. 53–57. 163 IPC 200. 159 160
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keit als eine von ihr selbst als reiner Subjektivität unterschiedene Wirklichkeit wahrnehme. Jedoch erfahre sie anschließend, dass dieser Körper ihr zugehöre, sie finde sich in ihm wieder, weil ein doppelter Eindruck entstehe, die tastende Hand nämlich eine impressionale Reaktion, eine ›Antwort‹ auf Seiten des betasteten Körpers auslöse. So gelange die ›Statue‹ geradezu notwendig dazu, Handlungen zu wiederholen, die angenehme Impressionen hervorrufen, und wäre somit gleichsam zur »Selbsterotik« (auto-érotisme) verdammt. 164 Nachdem die ›Statue‹ nun den eigenen Körper als sich zugehörig erfahren habe, treffe ihr Tastsinn auf einen anderen Körper, der zwar ebenfalls Widerstand des eigenen Tastens sei, aber nicht ›antworte‹, und den die Statue somit als fremden vom eigenen Körper unterscheiden müsse. Bei dieser Untersuchung habe Condillac laut Maine de Biran jedoch den Fehler gemacht, das Verhältnis der reinen Subjektivität zur objektiven Tätigkeit der Hand nicht zu problematisieren: Wenn die tastende Hand der Statue die Wirklichkeit des eigenen wie des fremden Körpers erst erschließe, wie könne sie als Instrument des Zugangs zum Körperlichen und körperliche Größe zugleich dann vorher selbst bekannt sein? Und weiter: Wie könne sie bewegt werden, ohne vorher bekannt zu sein? 165 Henry beantwortet die Fragen Maine de Birans auf seine Weise: Hinter der Hand als Synonym des intentionalen Weltzugriffs bzw. ›Berührungsvermögens‹ stehe als ihre originäre Begründung ein immanentes Vermögen des Subjektes, eben das ›Bewegungsvermögen‹, das sich in sich selbst bewegt, in diesem Sinne also Selbstbewegung des ›Lebens‹ ist und insofern auch immer schon im Besitz seiner selbst und selbstevident. Dieses ›Bewegungsvermögen‹ sei ferner aufs Engste mit der Affektivität verbunden, als Selbstbewegung sei es letzten Endes sogar identisch mit der pathischen Selbstaffektion des transzendentalen ›Lebens‹. Dass jede Kraft und jedes wahre Vermögen immer schon pathisch sei, würde ja auch implizit durch die Vorstellung des Triebs ausgedrückt. So wie die Vermögen der einzelnen Sinne (etwas wahrzunehmen oder auch eine Wahrnehmung zu provozieren) von dem originären ›Bewegungsvermögen‹ zu unterscheiden seien, müsse man ferner auch zwei Modelle der ›Erinnerung‹ (mémoire) denken: Die Erinnerung im klassischen Sinne fände sich demnach auf der Stufe der inCMV 258. Henry greift diese Fragen Maine de Birans aus dessen Mémoire sur la décomposition de la pensée auf, vgl. IPC 202. 164 165
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tentionalen Vermögen und sei die Erinnerung eines Körpers an eine bestimmte Affizierung durch eine äußere Ursache bzw. an eine bestimmte Eindrücke evozierende Handlungsweise gegenüber der Exteriorität, die zwar vergangen, aber unter Umständen wiederholbar wäre. Anders formuliert sei sie die Fähigkeit, Vorstellungen der eigenen Vermögen und jener ›Dinge‹ herzustellen und so mit diesen zu verbinden. 166 Jene Erinnerung sei allerdings, im Sinne der husserlschen Retention, immer schon eine ›Ver-nichtung‹ jener Dinge bzw. deren »erste Absenz« (absence première). 167 Die Erinnerung im zweiten und eigentlichen Sinne sei demgegenüber jene des ›Fleischs‹. Da sie einerseits stets präsent und niemals vergangen und andererseits im lebensphänomenologischen Sinne Selbstaffektion, d. h. ausschließliche Erinnerung ihrer selbst und ihres Vermögens (und damit unveräußerbar und jeder intentionalen Schau unzugänglich) sei, könne man sie paradox als »unerinnerliche Erinnerung« (mémoire immémoriale) 168 bezeichnen bzw. – mit einem Begriff J.-L. Chrétiens – als das »Unerinnerliche« (l’Immémorial). 169 Nachdem das ›Fleisch‹ als originäres ›Selbstbewegungsvermögen‹ geschildert wurde, kann Henry nun eine im a-kosmischen ›Fleisch‹ begründete Kosmologie entwickeln, d. h. auf das Verhältnis des ›Fleischs‹ und seiner Bewegung zur umliegenden Welt eingehen bzw. feststellen, worauf die dem transzendentalen ›Leben‹ möglichen Bewegungen wirken, wenn sie die ursprüngliche Selbstaffektion intentional zum Anderen ihrer selbst hin übersteigen. An diesem Punkt seien die meisten traditionellen Handlungstheorien gescheitert, weil sie einen unvermittelten Dualismus zwischen der volitiven Immanenz des Handelns im Subjekt (etwa in der ›Seele‹ oder im ›Bewusstsein‹) und dem äußeren materiellen Prozess der Handlung, also im Letzten einen Leib-Seele-Dualismus gedacht hätten: Hier sei vor allem auch Descartes mit seinem widersprüchlichen Modell der ›Zirbeldrüse‹ gescheitert, vor dessen erkannter Aporie die großen Cartesianer erfolglos geflohen seien, so Malebranche in seinen Okkasionalismus, Spinoza in seinen Parallelismus und Leibniz in seine ›prästabilierte Harmonie‹. 170 Jedoch sei es erneut der Genius Maine 166 167 168 169 170
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Vgl. IPC 206 f. Henry, L’Incarnation dans une phénoménologie radicale, 20. IPC 206–208. Henry, Parole et religion, 143, mit Verweis auf Chrétiens L’inoubliable et l’inespéré. Vgl. IPC 209.
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de Birans gewesen, der im Rahmen der Radikalisierung der phänomenologischen Reduktion Condillacs erkannt habe, dass die ›Seele‹ eben nicht unmittelbar in Beziehung zu den raumzeitlichen Körpern stehe, und dass die Frage nach dem Verhältnis beider gar falsch sei. Henry schließt sich dieser Meinung an und entwirft ein vom ›Fleisch‹ als Ausgangspunkt her konzipiertes Verständnis des Körperlichen im Allgemeinen und der Welt im Besonderen, indem er von der originären Körperlichkeit des ›Fleischs‹ den »organischen Körper« (corps organique) und die »Objekt-Körper« (corps-objets) der Welt – auch den je eigenen ›weltlichen‹ Körper – unterscheidet. 171 Dem ›Bewegungsvermögen‹ bzw. dem transzendentalen, sich selbst erfahrenden ›Leben‹ könnten gemäß der Einsicht Maine de Birans in seiner phänomenologischen Immanenz nur innere Grenzen oder Widerstände vor aller intentionalen Schau oder Repräsentation begegnen. Solch einen Widerstand gegen die Selbstbewegung des ›Lebens‹, der sich schon auf der unsichtbaren Ebene der originären Körperlichkeit resp. des ›Fleischs‹ dem ›Bewegungsvermögen‹ des ›Ich kann‹ entgegensetze, bezeichnet er als »widerstehendes Kontinuum« (continu résistant). Henry unterteilt diesen Widerstand in den ›organischen Körper‹ (corps organique) und den ›Objekt-Körper‹ im »realen Universum« (l’univers réel). 172 Der organische Körper setze dem ›Ich kann‹ keinen absoluten und unüberwindlichen, sondern lediglich einen relativen Widerstand entgegen, der das ›Bewegungsvermögen‹ in seiner Realisierung zwar hindere, aber letztlich durch es bezwungen werde. Auf diese Weise stelle er ihm gegenüber zwar wohl ein gewisses Außen dar, jedoch nicht im Sinne einer intentionalen Schau oder einer raumzeitlichen Anschauung gemäß Kants ›transzendentaler Ästhetik‹, weil dies eine Sinngebung darstellen würde, der Widerstand aber vor jeder möglichen Sinnhaftigkeit oder Idealität in der Selbstbewegung selbst erfahren würde. Da dieser Widerstandskörper der Selbstbewegung inhäriere, nennt Henry ihn in Analogie zum inneren Bereich des herkömmlichen Körpers ›organisch‹. Wichtig ist an dieser Stelle, dass Henry aber nicht allein den ›organischen Körper‹, sondern auch den Körper des ›realen Universum‹ als Widerstand bereits des originären ›Ich kann‹ und nicht erst der intentionalen Einzelvermögen betrachtet, wobei jener Körper – wie der nicht antwortende, fremde Körper bei Condillac – als absoluter Widerstand gedacht wird, 171 172
Ebd., 211. IPC 210 f. A
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den das ›Bewegungsvermögen‹ nicht bezwingen kann. Auch dieser Widerstand ereigne sich noch vor allem intentionalen Weltzugang als eine Affizierung des ›Bewegungsvermögens‹ auf der Stufe des unsichtbaren ›Fleischs‹, bloß dass diese Affizierung nunmehr keine Selbstaffektion mehr darstellt, sondern von außen kommt und absolut ist. Henry kommt so mit Blick auf beide bisher betrachteten Körper zu dem von ihm selbst erneut als ›fremd‹ empfundenen Schluss, dass alle Körperlichkeit entgegen der herkömmlichen Vorstellung ihre Realität zunächst dem sie in unterschiedlichen Graden als Widerstand erfahrenden ›Bewegungsvermögen‹ verdanke. Ihre Realität sei damit nicht jene der ›Welt‹ und ihres Erscheinens, sondern eine unsichtbare, eine Realität auf der Ebene des ›Fleischs‹ : »[D]ie Körper des Universums geben sich originär nur den immanenten Vermögen unserer Körperlichkeit«. 173 Henry situiert die Realität der Welt und ihres Gehaltes also nicht in ihrer äußeren, sondern in ihrer inneren Erscheinung als affizierender, absoluter Widerstand gegen das originäre ›Ich kann‹ bzw. als praktische, nicht räumliche »Grenzen […] unserer Anstrengung« (limites de notre effort). 174 Auf diesem Niveau könnten Körper daher nur im übertragenen Sinne als ausgedehnt gedacht werden, weil ihre Grenzen keine räumlichen, sondern praktische seien, eben ihre Grenzen zum ›Bewegungsvermögen‹ des Menschen. So sei das menschliche Handeln jenes der ›originären Körperlichkeit‹ und ihres Vermögen der Selbstbewegung, das die ›Organe‹ als relative Widerstände bezwinge und am Ende dieses Prozesses auf die Welt als absoluten Widerstand treffe. ›Handeln‹ bedeute dabei das »In-die-Tat-setzen« (mise en oeuvre) eines dem ›Fleisch‹ inhärierenden Vermögens, das dem ›Bewegungsvermögen‹ des ›Ich kann‹ entspringe. 175 In einer so in der Immanenz des ›Fleischs‹ fundierten Handlungstheorie begründe sich nun der oben angeführte Primat der Praxis vor aller Sprache, weil das Handeln nun bereits Teil der menschlichen Selbstaffektion sei und somit der Gewissheit des ›Lebenserscheinens‹ unterliege. Die Welt selbst ›ist‹ nun allerdings nur noch als »Lebenswelt« (dt. i. O.), d. h. existiert nur, wo und insofern sie von menschlichen Subjekten in ihrem ›Fleisch‹ als absoluter
173 Ebd., 213: »[L]es corps de l’univers ne se donnent originairement qu’aux pouvoirs de notre corporéité«. 174 Ebd., 214. 175 Vgl. CMV 211.
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Widerstand wahrgenommen wird, und ihrerseits die Selbstaffektion, die der Einzelne ist, affiziert. 176 In gewisser Hinsicht könne aber auch die äußere Welt oder res extensa als ›Lebenswelt‹ genannt werden, weil es zumindest Spuren des ›Lebens‹ in ihr gebe. Hier drängt sich aber zunächst die Frage auf, wie – vor dem Hintergrund der radikalen henryschen ›Exterioritätskritik‹ aller objektiven, raumzeitlichen Körperlichkeit – der Welt eine Wahrheitsdimension jenseits der universellen Irrealisierung und Täuschung zuzuerkennen ist. Henry versucht diese Frage zunächst bezüglich des je eigenen Körpers zu beantworten. 177 Demnach erscheine die eigene Körperlichkeit dem Menschen auf zwei Arten und sei somit Exempel und Beweis der zwei durch die Lebensphänomenologie unterschiedenen Erscheinensarten. Henry setzt daher dem immanenten ›organischen Körper‹ den ›weltlichen Körper‹ gegenüber, wobei Letzterer eben dem potenziell trügerischen Welterscheinen entstamme und deswegen weniger gewiss sei. Jedoch glaubt Henry einen Dualismus vermeiden zu können, weil es sich doch in beiden Fällen um ein und denselben Körper eines Menschen handele, der uns zwar auf unterschiedliche Weise erscheine, sich aber trotzdem als lebendiger dem inneren ›Leben‹ verdanke. Allerdings sei dieses ›Leben‹ wie auch ›das transzendentale Ich‹ bzw. ›das Fleisch‹ unmittelbar nur auf der Ebene der originären, unsichtbaren Körperlichkeit zugänglich und könne einem weltlichen Körper nicht angesehen werden, weil das ›Leben‹ dazu ›ver-äußerbar‹ sein müsse. So kommt Henry zu dem Schluss, niemand habe jemals einen Menschen gesehen noch den eigentlichen Körper eines Menschen. 178 Das ›Leben‹ könne allerdings anhand von Indizien durch die repräsentierende Vermittlung eines weltlichen Körpers wahrgenommen werden: Der Körper des Anderen unterscheide sich nämlich vom restlichen materiellen Universum, weil er durchaus, weil von einem ›Fleisch‹ bewohnt erfahren werden könne. So zeigten sich etwa am sichtbaren weltlichen Körper des Menschen Auswirkungen von Gefühlen und Impressionen, in seinem Tun aber Handlungsabsichten. Diese Spuren von Vollzügen des immanenten ›Fleischs‹ entbehrten zwar selbst der Gewissheit, weil sie bloß veräußernde Repräsentationen seien, aber sie verwiesen auf die Wirklichkeit des ›Fleischs‹, das 176 177 178
Vgl. IPC 215 f. Vgl. den gesamten § 29 von IPC (ebd., 215–222). S. Anm. 76. A
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hinter ihnen angenommen werden müsse. Durch diese Spuren müsste auch dem Außen bei all seiner potentiellen Irrealität also ein gewisser ›lebensweltlicher‹ Charakter zugesprochen werden: »Weil ich, in meinem Fleisch, das Leben meines organischen Körpers bin, bin ich jenes der Welt. In diesem besonderen, radikalen Sinn ist die Welt eine Welt-des-Lebens, eine Lebenswelt [dt. i. O.; M. L.]«. 179 Zur Exemplifizierung greift Henry hier auf Schelers Analysen des Blicks zurück, indem er unterstreicht, dass der Blick in das Gesicht eines Anderen eben nicht eigentlich auf ein Auge als bloßen Gegenstand, sondern auf einen anderen Blick stoße. Jener Prozess der Wahrnehmung von Spuren des ›Fleischs‹ am weltlichen Körper des Anderen dürfe aber nicht als Konstitution des ›Fleischs‹ des Anderen durch das Subjekt missverstanden werden, so als würde dem Anderen erst mittels eines intentionalen Aktes Sein verliehen. Es sei vielmehr umgekehrt so, dass im Anderen immer schon ein immanentes ›Leben‹ existiere, das sich indirekt durch das irrealisierende Außen des weltlichen Körpers zeige. Analog dazu dürften auch Henrys gesamte Ausführungen, zumal jene über die ›unsichtbaren‹ Strukturen des Menschen, nur als Hilfsmittel betrachtet werden, Begriffe wie ›Leben‹, ›Fleisch‹ etc. seien eben auch nur Vorstellungen und damit als konstituierte sekundär gegenüber dem nicht konstituierten Bezeichneten. Wo aber liegt nun für Henry die Verbindung von organisch-unsichtbarem und weltlich-sachhaftem Körper, wie ist das Verhältnis und der Übergang von Lebenssphäre und res extensa zu denken? 180 Hier konstatiert Henry gegen einen möglichen Dualismusvorwurf, dass der ›organische Körper‹ auf einer ›dritten Stufe‹ identisch mit dem weltlichen Körper sei bzw. sich zu diesem mache: Auf der ersten Stufe sei er der Ort des »Drängens« (poussée) des originären ›Fleischs‹ und seines ›Bewegungsvermögens‹. 181 Dann würde er sich diesem im Sinne des ›relativen Widerstands‹ (bzw. des organischen Körpers) entgegenstellen und in einem dritten Stadium an der ›Grenze‹ der Anstrengung bzw. des ›Drängens‹ zum (immer noch unsichtbaren!) sächlichen Körper machen. Als solcher könne er sich dann 179 IPC 216: »Parce que, en ma chair, je suis la vie de mon corps organique, je suis aussi celle du monde. C’est en ce sens originel, radical, que le monde est le monde-de-la-vie, une Lebenswelt«. 180 Henry thematisiert diese Fragen im § 31 von IPC (ebd., 227–236). 181 Ebd., 232.
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spurhaft und vermittelt im Außen der Welt zeigen. Der weltliche Körper des Subjektes sei somit »bewohnt« (habité), d. h. bedingt und angetrieben durch ein ›Fleisch‹, das ihn vermittels seiner ›originären Körperlichkeit‹ und deren dreifachen Überstiegs konstituiere und anhand von Spuren bleibend in ihm als einem »Leibkörper« (dt. i. O.) erkennbar sei. 182 Dennoch sei jener dem weltlichen Erscheinen unterworfene Körper nicht real, sondern bloß ›irreales noematisches Korrelat‹ und nicht identisch mit dem ›Fleisch‹ oder mit dem Menschen. Auf diese Weise behauptet Henry, nun endgültig den LeibSeele-Dualismus überwunden zu haben, da der äußere, von der Seele absolut getrennte Körper ja gar nicht mehr als reale Bestimmung zum Menschen als psychophysischer Einheit gehöre, sondern die eigentliche körperliche Dimension des Menschen unmittelbar aus seiner seelischen hervorgehe und wie diese unsichtbar sei. 183 Ort des Übergangs in die Welt, Grenzziehung zwischen Immanenz und Transzendenz im phänomenologischen Sinn, zwischen originärer Körperlichkeit und deren bloßer Repräsentanz in der Welt sei die Haut. 184 Man könne von einer Duplizität der Haut gemäß der Erscheinungsweisen reden, auf ihrer Oberfläche seien sinnliche Eindrücke der möglichen Täuschung unterlegen, ›unter ihr‹ ereigneten sich jedoch die Impressionen, d. h. die das transzendentale Ich affizierenden Eindrücke. 2.2.3 Die ›Geburt‹ als Selbsterfahrung des ›Lebens‹ : ›Inkarnation‹ des Menschen Der folgende Abschnitt behandelt Henrys Konzeption der Entstehung des ›Fleischs‹, die er konsequent als ›Sarkogenese‹ bzw. ›Inkarnation‹ beschreibt. Ausgangspunkt ist die Zweideutigkeit des Lebens hinsichtlich der Frage nach seiner Entstehung, die als Selbst- oder als Fremdursprung gedacht werden kann (1). Das in diesem Zusammenhang konzipierte ›absolute Leben‹ kann als Ursprung der Existenz der ›bedingten Leben‹ verstanden werden, was Henry als einen ersten Ebd., 235. Vgl. IPC 250. Es ist freilich strittig, ob nicht schon Husserl den »substantialistischen Geist-Körper-Dualismus« in seinem Modell der »Lebenswelt« überwunden hat, wie dies etwa U. C. Steiner (Über Husserl, 59) mit Verweis auf Husserls Phänomenologische Psychologie behauptet. 184 Vgl. IPC 233 f. 182 183
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Sinn von Inkarnation (incarnation) beschreibt (2). Er wendet sich dann der Genese menschlicher Individualität (›Ipseität‹) zu (3), die er als bedingt durch eine (göttliche) Uripseität betrachtet (4). Bevor dann die Schwelle zur eigentlichen Gotteslehre Henrys im nächsten Unterkapitel zu überschreiten ist, soll noch eine kurze Besinnung auf die nunmehr ersichtlichen Auswirkungen des henryschen Umsturzes auf die Phänomenologie erfolgen (5), die als radikale Aufsprengung des Subjekthorizonts erscheinen. (1) Das phänomenologische ›Leben‹ weist eine Ambivalenz auf, kann es als Autoaffektion doch sowohl reine Aktivität als auch radikale Passivität sein, ›Leben‹ als Urheber seiner selbst oder als Verdanktsein, das sich nicht selbst zu phänomenalisieren vermag. Jenes bedingte ›Leben‹ müsse (entgegen der naiven Meinung E. Finks) als »Selbstgegebenheit« vom absoluten ›Leben‹ als »Selbstgebung« unterschieden werden. 185 Somit ergibt sich eine »Verdopplung der Konzeption des Lebens«, 186 was nicht von ungefähr an das Problem des cartesianischen Substanzbegriffs erinnert. 187 Trotz seines Status der Originarität und anfänglichen Selbstverwiesenheit bzw. Autoaffektion weise das ›Fleisch‹ (und mit ihm das ›Leben‹ des einzelnen transzendentalen Ichs!) ein Defizit auf, nämlich sich nicht selbst hervorgerufen zu haben, sondern sozusagen immer schon ins Sein ›geworfen‹ zu sein. Die ›Verurteilung‹ (vgl. condamnée) 188 dazu, dieses eine spezifische Ich zu sein, d. h. sich weder vom ›Leben‹ noch von der eigenen Ipseität trennen zu können, sei nur die Kehrseite der Medaille, sich als ursprüngliches ›Leben‹ selbst zu erfahren. Selbst das betrachtete ›Bewegungsvermögen‹ des transzendentalen ›Ich kann‹ trage nämlich ein noch ursprünglicheres »Nichtvermögen« (non-pouvoir) in sich, das »Stigma« (stigmate), sich nicht selbst bewirken zu können. 189 Dies ist im doppelten Sinne zu verstehen, insofern das Ich sich weder selbst ›gegeben‹ hat, noch sich selbst im ›Leben‹ erhalten kann. 190 Demgegenüber existiere aber ein ›absolutes Leben‹, das wie jedes ›Leben‹ originäre Selbstaffektion, gleichzeitig
185 186 187 188 189 190
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Henry, Phénoménologie de la vie, I, 111 (dt. i. O.). CMV 208: »dédoublement du concept de vie«. Vgl. dazu Hirschberger, Geschichte der Philosophie, II, 102. PDC 7. Vgl. IPC 247–255, hier v. a. 248. Vgl. PDC 7.
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aber auch radikale »Selbstgebung« (auto-donation) sei, d. h. Urheber und Erhalter seiner selbst und damit ewig. Selbstgebung besage, dass Subjekt, Objekt und Gegenstand der Schenkung in eins fielen, wie es im »absoluten Leben« der Fall sei, das daher als »Übervermögen« (hyper-pouvoir) erscheine. 191 Konsequenterweise sei es ferner absolut notwendig und niemals reine Potentialität, beinhalte allerdings durchaus Möglichkeiten und könne sich wandeln, wie es auch sonst alle Charakteristika des bedingten ›Lebens‹ aufweise, also ebenfalls Pathos, ›Fleisch‹, Offenbarung und Passibilität sei. 192 (2) Das ›absolute Leben‹ nun ›gibt‹ auch dem einzelnen bedingten ›Leben‹ das Sein in einem Vorgang, den Henry als »incarnation« bezeichnet. Diese erste Inkarnation, bei ihm durch die Kleinschreibung von der zweiten (s. unten) abgehoben, betrachtet er als ein »In-einFleisch-kommen«, also als Mensch-werdung im Gegensatz zum »Sich-zum-Menschen-machen« (se faire homme) der zweiten Art von Inkarnation; hierbei ist auf die Problematik der in Frankreich etablierten Übersetzung von Joh 1,14 hinzuweisen. 193 Beide Gestalten der Inkarnation drückten aber eben ein Kommen in ein ›Fleisch‹, und nicht zunächst in einen (weltlichen) Körper aus. Das ›Leben‹ des Ichs sei demnach gegeben durch das absolute ›Leben‹ und in diesem, und unterliege gerade insofern allein dem ›Lebens-‹, nicht aber dem ›Welterscheinen‹. Das absolute ›Leben‹ berge kraft des ursprünglichen ›In-sich-gekommen-seins‹ das Vermögen, ins Leben zu bringen, und aktuiere es in der eigenen phänomenologischen Immanenz als »Zeugung« (génération). Somit sei jedes ›Fleisch‹ gezeugt in der Selbsterfahrung des absoluten ›Lebens‹, sein ›Ins-Fleisch-kommen‹ also nicht bloß Inkarnation, sondern auch »Geburt« (naissance). Henry stellt fest, dass ›Transzendenz‹ vor diesem Hintergrund letztlich die Immanenz des ›Lebens‹ in jedem ›Lebendigen‹ bedeute. 194 Das absolute ›Leben‹ bewirke nun alle Charakteristika und ModalitäAlle Zitate aus IPC 247–255. Zu diesen Überlegungen vgl. ebd., 172–175. 193 Die durch die liturgische Praxis verfestigte französische Übersetzungstradition »s’est fait homme« von Joh 1,14 beruht auf einem sprachlichen Missverständnis: Das Partizip »factum« des lateinischen Textes (Vulgata) kann nämlich nicht allein von facere stammen, sondern auch von fieri, wie es in Joh 1,14 der Fall ist, bietet der griechische Urtext doch das eindeutige »¥gffneto« als Aoristform von »gfflnomai«. Vgl. hierzu auch Blanchard, Michel Henry, 84. 194 Vgl. zum Ganzen IPC 176–179. 191 192
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ten des bedingten ›Lebens‹, als Urpathos sei es Ursprung allen Pathos’, als Urpassibilität jener aller Passibilität etc., so dass die husserlsche Vorstellung von der ständigen Impressionalität des Subjekts, dass nämlich »stetig wieder eine Impression da« sei, 195 letztlich nichts anderes ausdrücke als das ›Zu-sich-selbst-kommen‹ jenes absoluten ›Lebens‹. 196 Da somit die Selbstaffektion des absoluten zu jener des bedingten ›Lebens‹ geworden sei, könne man von einer »Gemeinschaft der phänomenologischen Essenz« beider sprechen, bzw. – im Hinblick auf den theologischen Übertrag (vgl. 2.3) – von einer »Quasiidentität des Wesens« von Gott und Mensch. 197 Da Henry die Genese des transzendentalen ›Fleischs‹ somit als ›Gebung‹ betrachtet, lässt sich seine Ontologie laut Kühn mit dem von C. Bruaire stammenden Begriff als »Onto-do-logie« verstehen, d. h. als Lehre von einem Seienden, dessen Sein/›Leben‹ kein ursprünglicher Besitz ist, sondern Gabe, »eben reines Sichgeben (doeîn)«. 198 (3) Nachdem die Genese des bedingten ›Lebens‹ beschrieben wurde, wendet sich Henry der Erklärung der Ipseität zu, d. h. der Frage, warum jene Genese immer die eines ›Selbst‹ ist, bzw. warum die reziproke Abhängigkeit von ›Fleisch‹ und ›Selbst‹ (bzw. ›Mensch‹ oder ›Ego‹) besteht, die ja schon in Gestalt des doppelten Unvermögens zutage getreten ist, sich weder vom ›Leben‹ noch vom eigenen Selbst trennen zu können (vgl. Abschnitt 1). Henry beantwortet diese Frage zunächst mit dem Hinweis, dass ›Fleisch‹ und Ipseität gleichzeitig durch das absolute ›Leben‹ gewirkt und deswegen letztlich miteinander identisch seien, 199 es also kein ›Fleisch‹ ohne Ipseität, und keine Ipseität ohne ›Fleisch‹ gegeben sein könne. Jedoch sieht er sich später gezwungen, dies näher zu erläutern, könnte sein System doch ansonsten als Versuch missverstanden werden, die Individualität aufzuheben, und dies einerseits wegen der Nähe zu pantheistischen Husserl, Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins, 114. Vgl. IPC 242 f. 197 Vgl. Henry, Parole et religion, 140: »la quasi-identité de l’essence de l’homme et de celle de Dieu«. 198 Kühn, Radikalisierte Phänomenologie, 12. Vgl. zur »donation« bei Henry etwa Phénoménologie de la vie, II, 28 f. Der Ansatz bei der ›Gebung‹ erinnert stark an Marions Phänomenologie der Gabe bzw. Gebung in seinem phänomenologischen ›Zyklus‹, vgl. 4.3. Zur Herkunft des Terminus »Ontodologie« aus der Metaphysik Claude Bruaires vgl. etwa Favraux, La révélation chrétienne suscite la philosophie. 199 Vgl. IPC 178. 195 196
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Konzeptionen oder der irrationalen Lebensphilosophie, 200 andererseits aber deswegen, weil er ja gerade die ›Materie‹ als das Individuationsprinzip der Tradition par excellence 201 aufgrund ihrer lebensphänomenologisch aufgewiesenen Indifferenz und radikalen Andersheit gegenüber aller Individualität ausgeschlossen hat. Wie aber seien nun die Ipseität des einzelnen Ichs und damit auch seine Freiheit denkbar, wenn dieses sich doch nicht selbst ins Leben rufe, sondern sich etwas radikal Anderen verdanke, das ja durchaus auch im Sinne der klassischen Lebensphilosophie als ›irrationales Leben‹ gedacht werden könnte? Allein dann, wenn dieses zeugende ›Leben‹ eben nicht das ›irrationale‹, sondern das ›absolute‹ sei. 202 Jenes absolute ›Leben‹ wiederum vermöchte nur Selbstoffenbarung und »Freude an sich selbst« (jouissance de soi) zu sein, als die es ja definiert worden ist, wenn es sich immer schon ein erstes, originäres ›Selbst‹ als immanentes Gegenüber und phänomenologische Verwirklichung zeuge. Jenes ›erste Selbst‹ sei dem absoluten ›Leben‹ »innerlich und konsubstantiell« (intérieur et consubstantiel), es erfahre sich selbst im absoluten ›Leben‹, das sich seinerseits in ihm liebe. Dieses paradoxe Geschehen des ›Sich-im-anderen-liebens‹ fände sich somit noch vor dem Eintrag jedes Außen vor. 203 (4) Die ›Uripseität‹ nun, oder, um das Bild von der Zeugung anzuwenden, jener ›Ursohn‹, sei der Ort jeder Selbstgebung des absoluten ›Lebens‹ und damit auch jeder Gebung bedingten ›Lebens‹. 204 So stelle er das »Vor-Ego« und das »Vor-Fleisch« dar, durch das und in dem jedes Ego bzw. jedes ›Fleisch‹ erst zu sich komme. 205 So ergebe sich ein gemeinsamer Ursprung aller ›Lebendigen‹ durch die Zeugung in der ersten Ipseität des absoluten ›Lebens‹. Anders als in der Tradition würde der Kontakt zum Anderen nun nicht mehr mittels der Welt 200 Er verweist exemplarisch auf den »anonymen und unpersönlichen« (anonyme et impersonnelle) ›Willen‹ Schopenhauers: ebd., 258. 201 So etwa wörtlich bei Thomas von Aquin, De ente et essentia, c. 1: »[I]ndividuationis principium materia est«; freilich ist hier darauf hinzuweisen, dass Thomas den Individualisierungsträger ›Materie‹ nicht als bloße materia pura betrachtet, sondern komplexer als eine bereits überformte Materie (materia signata), vgl. hierzu ebd.; Heinzmann, Thomas von Aquin, 41 f.; Stein, Endliches und ewiges Sein, 434; Weissmahr, Ontologie, 98. 202 Vgl. IPC 255–263. 203 Vgl. ebd., 350 f. 204 Vgl. ebd., 250. 205 Vgl. ebd., 244: »Avant-ego […] Avant-la chair«.
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und ihres Erscheinens bzw. mittels der einen Vernunft konstituiert, sondern liege diesem trügerischen intentionalen Zugriff immer schon voraus. Das ›Mit-Sein‹ Heideggers fände sich daher entgegen dessen eigener Konzeption bereits vor allem ›Dasein‹ als ›In-derWelt-sein‹, letztlich seien ›Mit-Sein‹ und ›Leben‹ gar identisch aufgrund des gemeinsamen ›Geburtsortes‹ aller transzendentalen ›Iche‹. Hieraus zieht Henry drei Schlüsse: Erstens sei alle menschliche Gemeinschaft a priori ›religiöse‹ im Wortsinne (d. h. ursprünglich ›verbunden‹), zweitens sei sie unsichtbar und drittens paradox insofern raum- und zeitübergreifend. 206 An anderer Stelle bezeichnet er daher die »Gemeinschaft [als] ein a priori«. 207 (5) Diese Konzeption der Gemeinschaft aller Menschen in ihrem permanenten Ursprung führt zur letzten Konsequenz des henryschen Umsturzes der Phänomenologie: Entgegen deren Prinzipien, die lediglich den argumentativen Weg bahnten, und entgegen seinen bisherigen, an ihnen orientierten Analysen gelangt Henry nämlich zum Schluss, dass das Subjekt eben doch nicht die erste und alles andere konstituierende Einheit der Wirklichkeit sei. Die Subjekte im Plural, die Gemeinschaft der Menschen, und darüber hinaus mit ihnen gar die Welt in aller Ambivalenz ihres Erscheinens liegen dem erkennenden Subjekt ontologisch stets voraus: Dies ergibt sich für Henry als Konsequenz aus der Rückverwiesenheit der Fleischesphänomenologie auf jene der Inkarnation, aus der Abhängigkeit also des einzelnen ›Fleischs‹ oder ›Ego‹ vom absoluten ›Leben‹, das ebenfalls Ursprung aller anderen ›Fleische‹ bzw. ›Egos‹ und ihrer ›Lebenswelt‹ ist. 208 Vor diesem Hintergrund erklärt sich nun auch, warum jene anderen Seienden »vor aller Entdeckung und unabhängig von ihr« existierten, 209 d. h. also auch unabhängig von ihrem Erscheinen vor dem Forum des ›Lebens‹ im einzelnen erkennenden Subjekt. Dies war in der phänomenologischen Reduktion noch ausgeschlossen worden (vgl. 2.1), so dass die Erkenntnisordnung als Ordnung der äußeren, intentionalen Repräsentation sich nun endgültig als sekundär gegenüber jener des Seins erwiesen hat, und das ›absolute Leben‹ mit seiner Urintelligibilität an ihre Stelle tritt, das Henry – und hier ist der Übergang zum 206 207 208 209
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Vgl. ebd., 339–354. PhM 175: »La communauté est un a priori«. Vgl. IPC 347. Vgl. ebd., 173: »avant cette découverte et indépendamment d’elle«.
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Philosophische Gottesvorstellung
kommenden Abschnitt zu seiner Gottesvorstellung gegeben – mit dem christlichen Gott identifiziert.
2.3 Philosophische Gottesvorstellung: Das ›absolute Leben‹ und die ›Inkarnation‹ des Logos »[L]’implication de ce procès [de l’auto-génération de la Vie absolue; M. L.] en toute vie et en tout Soi vivant, en toute cogitatio, qu’est-ce donc, dans notre réflexion philosophique, sinon l’intuition de l’essence d’une Vie absolue qui s’apporte elle-même en soi, l’intuition de l’essence de l’immanence, son immanence à tout vivant«. 210
Henrys philosophische Wende zum Christentum geht, wie bereits konstatiert, in erster Linie auf seine Begegnung mit dem Neuen Testament und einigen patristischen Texten zurück. Henry selbst hat seine Philosophie in die christliche Theologie hinein übersetzt, hat einzelne Komponenten des lebensphänomenologischen Gedankengebäudes mit verschiedenen Glaubensgegenständen bzw. gar mit den Personen der Dreifaltigkeit identifiziert. Er rechtfertigt diese vermeintliche Metabasis und seinen Anspruch, eine ›Philosophie des Christentums‹ zu treiben, mit dem von ihm ausgemachten ›christlichen cogito‹ und einer damit verbundenen spezifisch ›christlichen Urintelligibilität‹, die als Bindeglied zwischen christlichem Glauben und Lebensphänomenologie zu betrachten sei. Sein Konzept eines ›christlichen cogito‹ verdankt sich in besonderer Weise der Beschäftigung mit Tertullian und Irenäus, weshalb es zunächst anhand dieser expliziert werden soll (1). Anschließend wird dann auf Henrys Gottesvorstellung einzugehen sein (2) sowie auf deren Konsequenzen für den philosophischen Nachvollzug der Konzepte einerseits der christlichen Protologie und Anthropologie (3) und andererseits der Christologie, Ethik und Soteriologie (4). Abschließend ist dann noch Henrys Lehre von den ›vier gründenden Intuitionen des Christentums‹ zu betrachten (5). (1) Henry greift zur Einführung des ›christlichen cogito‹ auf den ›Kampf‹ der Kirchenväter um die Menschheit Jesu Christi zurück und versucht an ihm aufzuzeigen, dass das Christentum sich bereits in diesem frühen Stadium von der griechisch-hellenistischen Kon210
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zeption der Körperlichkeit im Sinne des griechischen Phänomenbegriffes und von dem ›Welterscheinen‹ distanziert habe. 211 Um die Menschheit Christi und sein ›Ins-Fleisch-Kommen‹ zu verteidigen, hätten die Väter naturgemäß zunächst einmal eine Definition der menschlichen Fleischlichkeit aufstellen müssen, um entgegenstehenden Theorien gnostischer Systeme begegnen zu können. Tertullian beginne seine Polemik De carne Christi gegen Markion daher mit der konkreten Beschreibung der von Letzterem als anstößig empfundenen äußeren Wirklichkeit der Geburt Christi. Damit stelle er zwar bereits einen für das griechische Denken mit göttlicher Würde unvereinbaren Vorgang dar, bleibe aber noch phänomenologisch dem Prinzip des Welterscheinens treu: Das ›Fleisch‹ werde hier definiert durch seine Geburt als ein ›Ins-Außen-kommen‹, 212 ferner durch seine Weltlichkeit als sterblichkeitsgebundenes »irdisches Fleisch« (chair terrestre). 213 Dies seien für Tertullian die notwendigen Voraussetzungen dafür, dass einerseits Christus im Vollsinne Mensch und sterblich gewesen, und seine Inkarnation Beginn und Voraussetzung des Erlösungswerkes ist, und andererseits der christliche Glaube als ganzer nicht bloßer Schein verbleibe. Henry teilt die Vorstellung des ›Ins-Fleisch-kommens‹ als Geburt und bezeichnet diese gleichzeitig als ›Ins-Erscheinen-kommen‹. Deswegen müsse auch die Konzeption von ›Geburt‹ analog dem Erscheinensdualismus unterteilt werden in das bloße Kommen in eine Welt (und damit in einen unsensiblen weltlichen Körper) und das Kommen in das ›Leben‹ und sein Pathos (und damit in ein ›Fleisch‹). Wie seine orthodoxen Mitstreiter sei nun aber auch Tertullian im Rahmen der sich »in der Problematik der Väter [ereignenden; M. L.] entscheidenden Wende« 214 letzten Endes zu einer impressionalen und affektiven Definition des ›Lebens‹ und damit auch des Mensch- bzw. Fleischseins gelangt, jener genuin christlichen Wende, die die endgültige logische Trennung von Körper und ›Fleisch‹ und die Unmöglichkeit ihrer weiteren Verwechslung bewirkt habe. Tertullian vollziehe sie jedoch ohne philosophische Begründung und womöglich unbewusst, wenn er unvermittelt das ›Fleisch‹ Christi als Leidensfähigkeit, ja geradezu als ›Leiden‹ definiere, und damit in Vgl. zum Folgenden IPC 180–195. Vgl. Tertullian, De carne Christi, c.I n. 2: »quia nec natiuitas sine carne nec caro sine natiuitate«. 213 IPC 182; vgl. Tertullian, De carne Christi, c.IX n. 5: »carnis terrenae«. 214 IPC 186: »Alors s’opère dans la problématique des Pères le tournant décisif«. 211 212
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den Worten Henrys »eine der affektiven Grundtonalitäten« (l’une des tonalités affectives fondamentales) 215 des sich selbst erfahrenden ›Lebens‹ anspreche, das als Pathos eben auch Passibilität und Leid sei. Schließlich hatte sich schon die gnostische Kritik an Gottes Menschwerdung vor allem an der Leidensfähigkeit entzündet, die Tertullian als heilsnotwendig ansieht und daher nunmehr ins Zentrum seiner Definition des Menschseins rücke. 216 Auch Irenäus habe das ›Fleisch‹ mittels des Leidens definiert und somit das ›Leben‹ – verstanden nicht als das griechische ›bfflo@‹ sondern als phänomenologisch und transzendental –, der ›Welt‹ als Ort der Fleischesoffenbarung substituiert. Entgegen der Gnosis, die das ›Fleisch‹ Christi als rein intelligibel erachtet habe, um es so zum bloßen Schein zu machen, habe Irenäus erkannt, dass selbst im ›mundus sensibilis‹ der klassischen Definition ein ›Fleisch‹ kraft des eigenen Erscheinungsmodus der Welt nur Schein bleiben würde, wie Henry in der Frage des Erscheinens ja auch keinerlei Unterschied zwischen intelligibler und sensibler Welt zulässt. Irenäus habe nun aufgrund des Offenbarungszeugnisses Christus als das ›Leben‹ betrachtet und folglich das ›Fleisch‹ Christi als von ihm selbst als dem ›Leben‹ stammend. Wie aber könne dies geschehen, wie könne das ›Leben‹ ins ›Fleisch‹ kommen? Irenäus beantworte dies durch einen Umsturz der gnostischen Fragestellung: Die Frage müsse richtiger lauten, ob und wie es denn überhaupt ein ›Fleisch‹ ohne das ›Leben‹ geben könne. Mit Blick auf den zweiten Schöpfungsbericht konstatiere er, dass der weltliche Körper überhaupt erst durch das ›Leben‹ zum ›Fleisch‹ werde, wie der äußerlich vollendete Mensch dort erst durch den Atem Gottes zum ›Leben‹ erwache (vgl. Gen 2,7). Das ›Leben‹ sei also nicht unfähig, ›Fleisch‹ zu werden, sondern vielmehr immer schon die Bedingung allen ›Fleischs‹, und umgekehrt sei das ›Fleisch‹ nicht außerstande, das ›Leben‹ zu empfangen, sondern dessen »phänomenologische Verwirklichung« (effectuation phénoménologique). 217 Ebd., 187. Vgl. Tertullians rhetorische Frage »Sed haec [quod est crucifixus, mortuus, sepultus et ressurectus; M. L.] quomodo uera in illo erunt, si ipse non fuit uerus, si non uere habuit in se quod figeretur, quod moretur, quod sepeliretur et resuscitaretur, carnem scilicet hanc sanguine suffusam, ossibus structam, neruis intextam, uenis implexam?« (Tertullian, De carne Christi, c.V n. 5). 217 IPC 191: »[L]oin que la vie soit incapable de prendre chair, elle est la condition de possibilité de celle-ci. Loin d’être incapable de recevoir la vie, la chair en est l’effectuation phénoménologique« (i. O. kursiv). 215 216
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Jene notwendige Immanenz des sich selbst erfahrenden ›Lebens‹ in jedem ›Fleisch‹ ermögliche nun die ›phänomenologischen Strukturen‹ jenes ›Fleischs‹ als ursprünglicher Körperlichkeit vor allem immer schon ek-statisierenden, sinnenhaften Weltzugang, als impressionalem vor dem intentionalen transzendentalen Körper. Dieser Gedanke einer sich selbst offenbarenden Immanenz des ›Lebens‹ im ›Fleisch‹, für ihn einer der ›unerhörtesten‹ der Geschichte des Denkens, stelle nun eine »Urintelligibilität« (Archi-intelligibilité) dar, das »cogito des Fleischs« (le cogito de la chair) bzw. das »christliche cogito« (le cogito chrétien). 218 Allerdings sei diese Urintelligibilität selbst kein Produkt des Denkens mehr, sondern eben des ›Fleischs‹. Das ›Fleisch‹ vermag nicht zu lügen, weil es sich selbst gegeben sei als die Parusie des Absoluten (eben des ›Lebens‹), das sich seinerseits im ›Urfleisch‹ vollziehe, von dem kein ›Fleisch‹ jemals getrennt werden könne. Irenäus und eigentlich schon der Evangelist Johannes hätten also den ›phänomenologischen Monismus‹ des Welterscheinens überwunden und die letzte und unerschütterliche Selbstgewissheit des Subjekts in der impressionalen Lebenserfahrung gesehen, die darin bestehe, ein ›Fleisch‹ als Ort der originären Selbsterfahrung nicht bloß zu besitzen, sondern zu sein. Das ›Leben‹ erst durch eine theoretische ›ek-statisierende‹ Schau zu erkennen und so mit Heidegger zu konstatieren, dass es als »eigene Seinsart […] wesenhaft nur zugänglich im Dasein« sei, 219 wäre absurd, weil es bedeute, dass der ›Lebende‹ von sich sagen müsse, nicht zu leben, und das ›Fleisch‹ von sich sagen müsse, kein solches zu sein. 220 (2) Was nun die henrysche Gotteslehre betrifft, so ist zunächst einmal ganz lapidar festzustellen, dass Henry jene Größe, die er als ›absolutes Leben‹ bezeichnet, mit Gott gleichsetzt und synonym gebraucht. 221 Hierbei hat er wohl vor allem, auch wenn er dies nicht explizit aussagt, die erste Person der christlichen Trinitätslehre vor Augen. Wie das absolute ›Leben‹ ist Gottvater also gemäß der philosophischen Konzeption derjenige, der sich selbst unbedingt und in
218 Vgl. IPC 189–195, hier v. a. 193. Zum ›christlichen cogito‹ vgl. auch Henry, L’Incarnation dans une phénoménologie radicale, 23. 219 Heidegger, Sein und Zeit, 50. 220 Vgl. IPC 194: »Le vivant doit [dans le cas d’incapabilité de la chair de recevoir la vie; M. L.] dire qu’il n’est pas vivant, la chair qu’elle n’est pas une chair«. 221 Vgl. etwa den § 15 von IPC (ebd., 122–132).
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permanentem Präsens erfährt, in dem nicht allein Erscheinungsinhalt und Erscheinen identisch sind, sondern der sich selbst eigener Ursprung, eigene phänomenalisierende Kraft ist. Als ›Erfahrung seiner selbst‹ ist er reines Sich-genügen, »Selbstoffenbarung« (autorévélation) und »Sich-an-sich-selbst-erfreuen« (auto-jouissance) als Synonym der Liebe. 222 Nun müsse allerdings dem so verstandenen Gott aufgrund seines ›Sich-selbst-erfahrens‹ eine erste Ipseität aneignen, ein erstes Verhältnis, das zwar noch immanent sei, also aller Veräußerung voraufgehe, aber dennoch jene innere, logische Distanz markiere, die der reflexive Akkusativ ›sich selbst‹ immer schon voraussetzt. Das liege daran, dass Erfahrender und Erfahrenes erst bei logischer Unterscheidbarkeit als identisch zu erkennen sind, dass man sich selbst also, freilich vor allem Eintrag eines Außen, als einen anderen liebt. 223 Jenes ›erste Selbst‹ nun lässt sich unschwer mit dem innertrinitarischen Sohn identifizieren, der bereits die immanente Selbstoffenbarung des Vaters ermöglicht und deswegen auch ›Logos‹ bzw. »Logos des Lebens« ist. 224 Dieser erste Sohn des Vaters nun ist notwendig eines Wesens mit ihm und ›gleichewig‹, da er ja immer schon als Ipseität die Möglichkeitsbedingung jener radikal immanenten Selbsterfahrung ist, als die der Vater definiert wurde. Insofern ist er auch ›Sohn‹, da er als erster Gezeugter dem Prozess der Selbstzeugung des absoluten ›Lebens‹ immer schon inhäriert. 225 Gott komme demnach erst im Sohn ›zu sich‹, der als Ipseität dem ›Leben‹ ›konsubstantiell‹ sei. 226 Die Notwendigkeit dieser Tatsache ergebe sich nicht aus einem Gott gleichsam übergeordneten Grund oder einer Metalogik, sondern aus seinem eigenen Wesen heraus. 227 Jene »reziproke phänomenologische Innerlichkeit« (interiorité phénoménologique réciproque) von Vater und Sohn in diesem Zeugungsurprozess sei nun nichts anderes als das, was die christliche Tradition beider »gemeinsamen Geist« genannt habe, 228 der nun als ›Heiliger Geist‹ das 222 Vgl. CMV 44: »L’auto-révélation de la Vie est sa jouissance, l’auto-jouissance primordiale qui définit l’essence du vivre et ainsi celle de Dieu lui-même […]. L’Amour n’est autre que l’auto-révélation de Dieu comprise dans son essence phénoménologique pathétique, à savoir l’auto-jouissance de la Vie absolue«. 223 Vgl. IPC 350 f. 224 CMV 156: »Logos de Vie«. 225 Vgl. ebd., 75. 226 Vgl. IPC 29. 227 Vgl. ebd., 175. 228 Vgl. ebd., 245: »Esprit commun«.
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trinitarische Gottesbild komplettiere. Dieser Geist ist bei Henry weiterhin definiert als »die grenzenlose Trunkenheit des Lebens [= des Vaters; M. L.], die Urfreude seiner ewigen Liebe in seinem Wort [= der Sohn; M. L.]«. 229 Der trinitarische Gott sei dynamisch, undeterminiert und frei zu denken, jedoch niemals »reine Potentialität« (pure possibilité), eben weil er als ›Lebender‹ immer schon zu sich gekommen sei und sich selbst erfahre. Ein derart ›dreieinig‹ als ›absolutes Leben‹, ›Uripseität‹ und ›gemeinsamer Geist‹ verstandener Gott sei aufgrund seines ewigen Sich-selbst-liebens auch als radikale Selbstgenügsamkeit zu verstehen, die essentiell keinerlei Außen (also etwa eine Schöpfung) benötige. 230 (3) Aus Henrys lebensphänomenologischer Gotteslehre ergeben sich umfangreiche Konsequenzen hinsichtlich christlicher Protologie und Anthropologie, die er selbst teils ausführt. Das bedingte ›Leben‹, das der einzelne Mensch als ›Erfahrung seiner selbst‹ bzw. ›Autoaffektion‹ sei, kommt ihm laut Henry – so zeigte ja die Untersuchung (vgl. 2.2.3) – als ›Gabe‹ zu. Als kontingentes Phänomen ist der Mensch nur, weil er immer schon am ›Leben‹ des absolut-notwendigen Phänomens ›Gott‹ in sich partizipiert, das ihn nicht allein ins Leben gerufen hat, sondern auch permanent dort erhält. Die biblische ›Ebenbildlichkeit‹ des Menschen bestehe nun gerade darin, ›lebendig‹, d. h. radikale Selbsterfahrung zu sein. 231 Der Mensch als Adressat jener Gabe des ›Lebens‹ sei daher von allen übrigen Geschöpfen getrennt, er sei eben nicht ›geschaffen‹, sondern ›gezeugt‹. 232 »Geboren werden« (naître) bedeute das Kommen ins Sein als Kommen ›in das Leben‹ und nicht etwa in die Welt bzw. Schöpfung. 233 Jedes transzendentale Ich sei deswegen immer schon »Sohn Gottes« (Fils de Dieu) 234 und zwar spezifisch als »Sohn im Sohn« (Fils dans le Fils) 235 bzw. ›Sohn im Ursohn‹, weil seine eigene, wesenskonstitutive Selbstaffektion allein durch die Selbstaffektion Gottes ermöglicht werde, deren Möglichkeitsbedingung bzw. phänomenologische Aktuierung 229 Ebd., 374: »l’ivresse sans limites de la vie, l’Archi-jouissance de son amour éternel en son Verbe«. 230 Vgl. ebd., 175. 231 Vgl. IPC 370. 232 Vgl. ebd., 263. 233 Vgl. CMV 78 f. 234 Ebd., 129. 235 Ebd., 139.
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der ›Ursohn‹ – Jesus Christus – sei. Anders formuliert ist laut Henry jede bedingte Ipseität, jeder einzelne Mensch in seiner Singularität und Individualität allein ermöglicht durch den Ursohn, durch jene »wesentliche Ipseität«, die »in jedem Sich-selbst-erfahren impliziert und von ihm vorausgesetzt« ist. 236 Henry beschränkt seine Protologie also auf das ›Leben‹ und den Bereich des Lebendigen, den er allerdings nochmals fokussiert auf Gott und Mensch, seien die übrigen von der Biologie als ›lebendig‹ bezeichneten Wesen doch von jener Selbsterfahrung, von jenem ›Sich-lieben‹ und ›Sich-begehren‹ ausgeschlossen, die Henry als Definitionsgehalt des ›Lebens‹ erachtet, weswegen er von Anfang an eine Beschäftigung etwa mit Tieren ablehnt. 237 Die ›Schöpfung‹ nach klassischem Verständnis ist für Henry das ›materielle Universum‹ des ›gefühllosen Körpers‹, 238 der ja schon im Rahmen der ursprünglichen Lebensphänomenologie als dem Welterscheinen unterworfen und damit als potentieller Trug entblößt worden war, weshalb eine phänomenologische Beschäftigung mit ihm unmöglich sei. Wenn es also eine Gewissheit der Schöpfung und einen ihr zukommenden Wert geben könne, dann nur sofern sie als ›Lebenswelt‹, als Ort der freilich immer schon irrealisierenden Spuren des Lebendigen verstanden würde (vgl. 2.2). Der somit von allen anderen Geschöpfen als ›Sohn‹ und ›Lebender‹ unterschiedene Mensch hingegen könne gemäß den Ergebnissen von Lebens- und Fleischesphänomenologie nur vermittelt in der äußeren Welt erscheinen, »in der Leben unmöglich ist«. 239 Seine eigentliche Wirklichkeit befinde sich in seiner immanenten, unsichtbaren Selbsterfahrung als Ort und ›reinem Kristall‹ seines eigenen Erscheinens, d. h. in seinem ›Fleisch‹. Jenes ›Fleisch‹ wie auch die Selbsterfahrung seien jedoch nur in Gott als ›Urfleisch‹ (Sohn) und ursprünglichster, absoluter Selbst-
236 Vgl. ebd., 139: »[A]ucune auto-affection n’est possible qui ne génère en soi l’Ipséité essentielle impliquée en tout ›s’éprouver soi-même‹ et présupposée par lui«. 237 Henry erweist sich erneut als getreuer Schüler Descartes, wenn er – freilich ohne sich selbst explizit zu dieser Meinung zu bekennen – referiert, dass »gewisse Denker, und nicht die geringsten, all diese nichtmenschlichen lebendigen Wesen als Arten von Computern betrachtet« hätten (vgl. IPC 8: »Au point que certains penseurs, et non des moindres, ont considéré tous ces êtres vivants autres que l’homme comme des sortes d’ordinateurs«.), wobei er wohl v. a. an den Vergleich zwischen Tieren und »Automaten« (automates) denkt, den sein Lehrermeister anstellt: vgl. Descartes, Discours de la méthode, p.5 (55). 238 Vgl. IPC 7 f. 239 CMV 42: »Vivre n’est pas possible dans le monde«.
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erfahrung (Gottvater) möglich, so dass christlich verstandene Transzendenz die reziproke Immanenz Gottes und des Menschen bedeute (vgl. oben). Jenes enger nicht zu denkende Verhältnis von Gott und Mensch, zugleich ›Leben‹ des Menschen in Gott wie ›Gott-in-sich-tragen‹ des Menschen, 240 bewirke nun der biblische ›Atem des Lebens‹ (vgl. Gen 2,7), der »gemeinsame Geist« von Vater und Sohn, 241 der schon als dritte Person der Dreifaltigkeit identifiziert wurde. Der Mensch ist nun in der reinen Innerlichkeit seines ›Fleischs‹ nicht allein Selbstaffektion, sondern auch Träger unterschiedlicher Impressionen, die wenngleich möglicherweise von außen stammend (also etwa aus der ›Lebenswelt‹) ihn bereits vor aller ver-äußernden Schau, d. h. vor aller Hinwendung zur Welt affizieren. Diese Impressionen lassen sich unter den beiden Grundtonalitäten des ›Lebens‹ subsumieren, ›Freude‹ und ›Leid‹. Jene beiden Tonalitäten gehören notwendig zum transzendentalen Ich in seiner Selbsterfahrung, da es sich – im Folgenden muss auf den Abschnitt zum henryschen Freiheitsverständnis vorgegriffen werden (vgl. 2.5) – immer schon als könnend und nicht-könnend, als gegeben, aber nicht selbstgegeben, als lebendig, aber bloß bedingt etc. erfahre. Jene Spannung auf der Ebene des ›Fleischs‹, jene letzte Aporie alles menschlichen Selbstverständnisses und Handelns schon vor dem eigentlichen Scheitern (d. h. – theologisch gesprochen – vor dem Sündenfall) ist nicht allein Grund für die Unvollkommenheit oder besser Perfektionierbarkeit des ›Lebens‹ schon im paradiesischen Urzustand, sondern auch Möglichkeitsbedingung der Sünde, wenngleich diese als ›Sprung‹ eben doch – insofern kontingent und frei gewählt – unerklärbar bleibt. Die Sünde nach henryschem Verständnis, ob nun als ›transzendentale Illusion‹, ›Apostasie‹, ›Idolatrie‹ oder anders bezeichnet, ist somit zu verstehen als bewusste und performative Ablehnung des radikalen Abhängigkeitsverhältnisses von Gott im eigenen oder aber im ›Fleisch‹ des Anderen. Als »System des transzendentalen Egoismus« (système de l’égoïsme transcendantal) 242 und performative Leugnung von Existenz und Bedeutung Gottes in der Anbetung des eigenen, vermeintlich unbedingten Vermögens und der durch dieses evo-
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Vgl. CMV 204. IPC 366: »l’Esprit commun«. CMV 213.
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zierten Lustempfindungen gehen der Sünde das ›Vergessen des Lebens‹ sowie ›Angst‹ und ›Sorge‹ voraus. Diese drei (freilich nicht hinreichenden) Bedingungen der Sünde hätten sich im Laufe der Menschheitsgeschichte zu einem ›historischen Millieu‹ aufgestaut, das Henry nun trotz Behauptung der (wenigstens logisch) anfänglichen Unschuld eines jeden ›Fleischs‹ mit der traditionellen Vorstellung der erbsündlichen Verfasstheit des Menschen gleichsetzt. (4) So ist das ›Fleisch‹ als Ort des möglichen Verderbens gedacht, jedoch sei es für das Christentum auch und vorrangig Ort des Heiles und der Erlösung, wie Henry in seinen Überlegungen zu Christologie (Inkarnationslehre im engeren Sinne), christlicher Ethik und Soteriologie ausführt. Grundlegend für ein notwendiges ›Heil‹ ist logischerweise die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen, die Henry als Status der Sünde und der selbst gewählten, künstlichen Trennung vom absoluten ›Leben‹ betrachtet, theologisch also als Abkehr von Gott. Wie ist nun aber jener Mensch, der zwar nicht notwendigerweise, aber faktisch wohl doch immer Sünder ist und sich somit dem Tod ausliefert, Henry zufolge zu retten? Er entwirft zur Beantwortung dieser Frage eine Soteriologie, die eine Mischung aus Inkarnationslehre und christlicher Ethik bzw. Morallehre darstellt, so dass das Heil dem Menschen – theologisch gesprochen – in einem Zusammenspiel von Gnade und eigener Mitwirkung zuteil wird. Dieses Zusammenspiel ist als dreiteilig zu denken, wobei für alle drei Momente gilt, dass sie sich auf der immanenten Ebene des ›Fleischs‹ abspielen: Zunächst muss der Mensch sein Wesen erkennen, d. h. sich des eigenen wie des dieses bedingenden absoluten ›Lebens‹ erinnern, also seine ›Lebensvergessenheit‹ überwinden. Diese Erinnerung erfordert aber schon ein voraufgehendes Wirken Gottes als des absoluten ›Lebens‹, da dieses sich ja nur selbst mitteilen könne. In gewisser Hinsicht geschehe diese Mitteilung in jedem ›Lebenden‹ (= Menschen), vollkommen und hinreichend ereigne sie sich aber erst in der Inkarnation (im Französischen hier mit Majuskel), in der Menschwerdung Jesu Christi als des sich selbst mitteilenden Wortes Gottes, sodass erst die ›Incarnation‹ das Verstehen der ›incarnation‹ ermögliche. Nachdem diese Information, freilich als Modus des impressionalen ›Lebens‹ und somit aller veranschaulichenden Diskursivität vorausliegend, den Menschen affiziert habe, vermöge dieser sich nun in einem zweiten Schritt zu entscheiden, dem ›Lebensvergessen‹ ein ›Selbstvergessen‹ zu substituieren, d. h. sein ›Bewegungsvermögen‹ dazu zu gebrauchen, auf eben A
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dieses zu verzichten. 243 Wo nun der Mensch Gott in sich vermögen und handeln lasse, aktuiere sich in seinem Tun das Übervermögen Gottes, wodurch dieses Tun zur ›Barmherzigkeit‹ werde, zum reinen ›Tun des Vaterswillens‹. 244 Dieses dritte Stadium, jenes der praktizierten Abkehr vom ›Selbstkult‹ führt den Menschen zu seiner ursprünglichen Sohnschaft zurück und sogar über diese hinaus zu einer unbedingten und nicht mehr endlichen Bindung an das absolute ›Leben‹ bzw. an Gott, die einer Wesensgleichheit, einer Identifikation bzw. einer »Deifikation« (déification) gleichkommt, 245 und von Henry auch als »zweite Geburt« (seconde naissance) beschrieben wird. 246 Allerdings setze diese Identifikation nochmals die Inkarnation voraus: Nur wenn der Sohn Gottes zunächst von seiner Seite aus die Identifikation vollzöge und den Prozess des bedingten, menschlichen ›Lebens‹ bis zur Rückkehr zum Vater lebe, wäre der einzelne Mensch in der Lage, dies nachzuvollziehen, indem er sich in jene Prozession des Ursohnes und in seinen ›Leib‹ hineinbegebe. Zum menschlichen ›Leben‹ Jesu Christi gehöre notwendig das ihn definierende Wechselspiel der beiden Grundtonalitäten des ›Lebens‹ bis zur Agonie als dem finalen Übergang des Leids in die ›ewige Freude‹. Theologisch ist dieser Übergang nun mit dem Kreuzestod Christi bzw. mit dem gesamten Geschehen des österlichen ›transitus‹ 247 zu identifizieren. 248 Alle Menschen aber, die sich für die geschilderte Hinwendung zu Gott als dem absoluten ›Leben‹ entschieden, begäben sich damit automatisch in den ›mystischen Leib Christi‹, d. h. in die unsichtbare, weil auf der Ebene des ›Fleischs‹ befindliche Gemeinschaft derer, die sich von Christus und in ihm heiligen und ›vergöttlichen‹ (vgl. déification) ließen. Der Begriff ›mystischer Leib Christi‹ aber bezeichnet in der jün-
243 Diese Entscheidung bleibt jedoch in Henrys Ausführungen erstaunlich unterbestimmt, vgl. 2.5. 244 Vgl. CMV 209–213. 245 IPC 335. 246 CMV 192–215. 247 Der in der johannäischen Theologie grundgelegte (vgl. v. a. Joh 13,1) und aus Ps 120,6 entwickelte augustinische Gedanke des transitus Christi (vgl. Augustinus, Enarrationes in Psalmos CI-CL, 1791) als einheitliches Geschehen von Leiden, Sterben und Auferstehen wird in der vorliegenden Arbeit übernommen von Cantalamessa, Das Ostergeheimnis, 21. 248 Vgl. IPC 358.
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geren Tradition (es wäre absurd, diese Position nicht auch bei Henry zu präsumieren, auch wenn er sie nicht explizit vertritt!) nichts anderes als die Kirche, so dass hier von Ansätzen einer lebensphänomenologischen Ekklesiologie gesprochen werden könnte. 249 (5) Henry behauptet also, dass die Ergebnisse seiner Lebensphänomenologie im christlichen Glauben verwirklicht seien, so dass sie als die Philosophie des Christentums betrachtet werden könne. Der christliche Glaube wie auch die christliche Offenbarung bezeugten nämlich die absolute Wahrheit des ›Lebens‹, die sich nur in der ihr eigenen (impressionalen) Sprache, der ›Sprache des Lebens‹ bzw. des ›Fleischs‹ erschließe, sich aber niemals in der dem Welterscheinen unterworfenen menschlichen (intentionalen) Sprache zu zeigen und deswegen auch niemals zu lügen vermöchte. Der ›Glaube‹ sei nämlich nichts anderes als die sich auf der (fleischlichen) Ebene der Selbstaffektion ereignende »Gewissheit des Lebenden, zu leben« (certitude du vivant de vivre), 250 und dieses ›Leben‹ dem absoluten ›Leben‹ zu verdanken. Die ›Urintelligibilität‹ des Christentums bestehe zusammengefasst aus vier »gründenden Intuitionen«. 251 Die erste Intuition sei identisch mit der Erkenntnis der Erscheinensduplizität, d. h. des Hiatus zwischen dem sicheren, impressionalen und immanenten ›Lebenserscheinen‹ und dem trügerischen, intentionalen und ›ek-statisch‹-tranzendenten Welterscheinen. Bei der zweiten Intuition handle es sich um die Wahrnehmung der ›antinomischen Struktur‹ des bedingten ›Lebens‹, das sich stets als Wechselspiel der beiden Grundtonalitäten ›Freude‹ und ›Leid‹ und damit immer auch paradox als zugleich gegeben/fremdgegeben, könnend/begrenzt, mächtig/ohnmächtig, zufrieden/begehrend etc. erfahre. Die dritte Intuition drücke den Unterschied zwischen absoluter, unbedingter Selbstaffektion des ›Lebens‹ (als auto-donation/Selbstgebung) und relativer, bedingter Selbstaffektion des ›Lebens‹ (als donation/Gegebenheit) aus, während die vierte Intuition sich schließlich auf die essentielle Bedeutung der Ipseität und der Praxis für das ›Leben‹ bezöge, wobei die Ipseität als unauslöschliche Individualität gedacht wird, 249 Vgl. IPC 350–359 zum »corps mystique du christ«; vgl. hierzu etwa Jorissen, Art. Corpus Christi mysticum. 250 CMV 243. 251 Vgl. ebd., 244–252, zu den »[q]uatre intuitions fondatrices déterminant le nouyau essentiel du christianisme«.
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und die Praxis als allein heilsrelevante Instanz einen absoluten Primat gegenüber aller Theorie innehat. So lasse sich das Christentum mit seinen vier Grundintuitionen abschließend einerseits wegen des Praxisprimates als die »Urgnosis« (archi-gnose) der »Einfachen« (simples) bezeichnen und andererseits wegen der Grundtonalitäten als die Seligpreisung aller Leidenden. 252
2.4 Erkenntnistheoretische Position: ›Gegenreduktion‹ des ›Welterscheinens‹ zum ›Lebenserscheinen‹ »[C]’est la dénonciation de la confusion entre le langage de la pensée qui parle de la souffrance, le Logos grec […] et un tout autre langage, non plus celui qui parle de la souffrance, mais celui que parle la souffrance, non plus celui qui parle de la vie, mais celui que parle la vie, le Logos de vie […] en son autorévélation pathétique«. 253
Eine genuine henrysche Erkenntnistheorie herauszuarbeiten, stellt ein schwieriges Unterfangen dar. Zwar beginnen seine Überlegungen zur Reform der Phänomenologie scheinbar erkenntnistheoretisch mit der Frage nach gewisser Wahrheit (vgl. 2.1) als Erscheinung vor dem Subjekt. Auch wird dieses Subjekt dezidiert unter dem Begriff der Transzendentalität als ›transzendentales Ich‹ betrachtet, wobei ›transzendental‹ durchaus im kantschen Sinne als Frage nach Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis seitens des Subjekts zu verstehen ist. 254 Andererseits jedoch wendet sich das ganze philosophische Denken Henrys gegen das ›Welterscheinen‹, weshalb hier auf die entsprechenden Ausführungen zu Henrys Invektiven gegen diese Erscheinensform verwiesen werden kann (vgl. 2.2.2). Mit dem ›Welterscheinen‹ lehnt er – so lautete ja das Ergebnis – jegliche, auch noch so ursprüngliche Exteriorität und damit primordial jede Form von Intentionalität und den ›griechischen Logos‹ ab, d. h. aber letzten Endes bereits die Möglichkeit einer Erkenntnistheorie. Insofern kann die Erkenntnis, die Henry zu finden und zu vermitteln sucht, nicht intentional oder gar propositional sein, letztlich kann es sich überhaupt nicht um einen intentional ›vor-gestellten‹ Denkgegenstand handeln, sondern lediglich um eine affektiv-impressionale Erkennt252 253 254
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Vgl. IPC 372–374. Henry, Phénoménologie de la chair, 153 f. Vgl. ebd., 162 f.
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nis, eben jene des ›Fleischs‹ und seines (›lebens-‹) phänomenologischen Wahrheitsmodus. Jegliche Vorstellung, ob noffima oder intentum, ob species sensibilis (denn auch diese ist bereits Vorstellung) oder species intelligibilis sei immer schon sekundär gegenüber dem ›Leben‹ und unterliege a priori der irrealisierenden oder doch zumindest trügerischen Kraft des ›Welterscheinens‹, das dem Wahrheitsprozess feind ist. Aller weltlicher Logos, alle herkömmliche menschliche Rede sei von einer grundsätzlichen Indifferenz und damit von einer »furchtbaren […] Konsequenz«, 255 jegliches Wort aber eine »leere Signifikation« (signification vide), die absolut unfähig bleibe, das Bezeichnete zu aktuieren. 256 Sehr aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang das zweite Kapitel von CMV, »La vérité du christianisme«. 257 Dort spricht Henry von einer Irreduzibilität der christlichen (und damit für ihn auch lebensphänomenologischen) Wahrheit auf das Denken und auf jede Form des Wissens oder der Wissenschaft, um dann gleich auf der nächsten Seite den entscheidenden Schritt weiterzugehen und jeglichen positiven Zusammenhang von Denken und ›Lebensoffenbarung‹ zu leugnen. Im Gegenteil, der göttlichen Selbstoffenbarung als »Selbstphänomenalisation der reinen Phänomenalität« (l’auto-phénoménalisation de la phénonénalité pure) in der Immanenz des ›Fleischs‹ (hier freilich noch nicht unter diesem Terminus) stünde das Denken geradezu im Weg und müsse ihretwillen weichen. 258 Insofern käme es »im christlichen Heilsprozess«, den Henry ja mit der philosophisch geforderten erinnernden Wiedergeburt im absoluten ›Leben‹ gleichsetzt, zu einer »Außerkraftsetzung des Wissens – jeder Form des Wissens, philosophisch oder wissenschaftlich, intelligibel oder sensibel«. 259 Ein philosophischer Gottesbeweis sei daher unmöglich, letztlich schon deswegen, weil für Henry jeder diskursive, apodiktische Beweis aufgrund seiner intentionalen Struktur unmöglich scheint. 260 Andererseits sei aber jenseits des Welterscheinens (und allenfalls durch dieses verdeckt) Gottes Existenz ohnehin die sicherste Gewissheit, CMV 279: »conséquence terrible«. Vgl. PDC 92. 257 Vgl. CMV 32–45. 258 Vgl. ebd., 38 f. 259 Vgl. ebd., 193. »Or cette mise hors jeu de la connaissance – de toute forme de connaissance, philosophique ou scientifique, intelligible ou sensible – dans le procès du salut chrétien n’est pas gratuite«. 260 Vgl. ebd., 194 f. 255 256
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die keines Beweises mehr bedürfe. 261 Gegenüber dieser einzig entscheidenden Wahrheit sei das ›galileische‹ Wissensideal ein »wissenschaftlicher Reduktionismus« (réductionnisme scientifique), 262 der die moderne Welt in den »Antichrist heute« (Anti-christ aujourd’hui) 263 verwandelt habe und mit Descartes ›gegen-reduziert‹ werden müsse. 264 So versteht Henry seinen Ansatz als ›Gegen-Reduktion‹ 265 alles diskursiv-intentionalen Wissens und Denkens auf die ursprüngliche fleischlich-pathische Ebene der Affektivität und des immanenten ›Lebens‹. Wie alles Philosophische müsse sich demnach auch die Lebensphänomenologie als ein deriviertes ›Sagen‹ letzten Endes in die Affektivität hinein aufgeben, weil sie ihre eigene Illegitimität erkenne, müsse sich der phänomenologische Diskurs über das Religiöse, wie Kühn im Sinne Henrys konstatiert, in die religiöse »Einstellung« hinein aufheben. 266
2.5 Freiheitstheoretische Position: Autoaffektion des ›Lebens‹ »Ce que la phénoménologie de la vie veut alors montrer, c’est que […] la chair n’est autonome. Donnée à elle-même dans l’Archi-passibilité de la Vie absolue, c’est en celle-ci qu’elle puise toutes ses propriétés phénoménologiques«. 267
Der vorangehende Abschnitt zur Gottesvorstellung Henrys hat ja bereits auf die Fragekomplexe Sünde und Erlösung und somit letztlich auf die Frage nach der menschlichen Freiheit bei Henry vorgegriffen, die nun näher beleuchtet werden soll. Zunächst ist die – auf Basis des bisher Erarbeiteten allerdings geradezu selbstverständliche – Feststellung zu machen, dass wirkliche Freiheit im System Henrys natürlich nur auf der Ebene des ›Lebenserscheinens‹, i. e. menschlicher ›Fleischlichkeit‹ zu suchen ist. Im Bereich des ›Welterscheinens‹ und der Intentionalität kann es genauso wenig Freiheit geben wie Wahrheit oder Gewissheit. Diese lapidare Aussage hat natürlich schon sehr 261 Vgl. IPC 132: »Dieu est beaucoup plus certain que le monde« (s. Anm. 77); vgl. PDC 104. 262 CMV 331. 263 Ebd., 337. 264 Vgl. IPC 148–152. 265 Vgl. hierzu auch Kühn, Die lebens-phänomenologische Gegen-Reduktion. 266 Vgl. Kühn, Geburt in Gott, 213. 267 Henry, Phénoménologie de la chair, 177 f.
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weit reichende Konsequenzen, erfordert das landläufige Verständnis von Freiheit doch Entscheidungsfreiheit, d. h. die Auswahlmöglichkeit zwischen alternativen Optionen, die als solche erst intentional vorgestellt werden müssen. Entscheidung erfordert ein Objekt, einen Handlungsgegenstand, den es im Falle der lebensphänomenologischen Freiheit aber aufgrund des Intentionalitätsverbots nicht geben darf. Was also versteht Henry unter Freiheit? Er entwickelt sein Freiheitskonzept in IPC in einem zunächst quasi-hamartiologischen (1) und dann soteriologischen Gedankengang (2), dessen Darstellung schließlich in eine knappe Zusammenfassung seines Freiheitskonzepts münden soll (3). (1) Henrys Konzeption der Sünde als ›Vergessen des Lebens‹ sieht diese als Ergebnis eines Prozesses, der in einer mit Kierkegaard beschriebenen ›Angst‹ seinen Ausgang nimmt und sich über eine Verdopplung der Angst hin bis zu einem dann nur noch als Sprung verständlichen ›Sündenfall‹ ereignet. Die Sünde versteht er dann als bewusste Destruktion des ›Lebens‹ und als todbringend. Henry setzt die Sünde mit der Ablehnung der eigenen Abkünftigkeit und bleibenden Abhängigkeit vom absoluten ›Leben‹ gleich. Nun muss er zunächst dem Einwand vorgreifen, warum das menschliche Subjekt denn nicht immer schon um seinen Status, immanentes ›Leben‹ und ›Fleisch‹ zu sein, wisse. Dies läge in einem originären ›Vergessen des Lebens‹ begründet, 268 das sich von allem herkömmlichen Vergessen dadurch unterscheide, dass es nicht »unbewusste Erinnerung« (souvenir inconscient) sei, sondern aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Erscheinen des ›Lebens‹, d. h. seiner Präreflexivität, niemals Verlust eines einstmals theoretisch Gewussten sein könne. Jenes Vergessen sei insofern »radikal« (radical) als es zum Wesen des ›Lebens‹ selbst dazugehöre; jenes ›Lebens‹, das nach Henry als »unerinnerliche Erinnerung« (mémoire immémoriale) nicht erinnert werden kann, weil dies immer schon den Übergang in das Außen einer Anschauung und damit in die »Scheol der Nichtphänomenalität« (shéol de la non-phénoménalité) bedeuten würde. Wenn das ›Leben‹ sich nun selbst vergäße, so läge das daran, dass es sich selbst in gewisser Hinsicht banal und selbstverständlich sei, so wie etwa analog der gesunde menschliche Körper seinen lebensnotwendigen 268 Die Nähe zum heideggerschen Theorem der ›Seinsvergessenheit‹ dürfte wohl erneut nicht zufällig bestehen.
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Dienst im »Schweigen der Organe« (silence des organes) vollzöge, weshalb die Gesundheit ebenso ›vergesslich‹ wie das ›Leben‹ sei. Allerdings erinnere das ›Leben‹ sich durch sein ›Bewegungsvermögen‹ immer wieder seiner selbst, erfahre jedes Können sich doch stets als sekundär gegenüber der transzendentalen Affektivität mit ihren Tonalitäten ›Freude‹ und ›Leid‹. Vermittelt würde dieses Verhältnis zwischen Selbstaffektion und Vermögen durch das »Streben« (effort), in dem sich das ›Leben‹ seines ureigensten Pathos und damit seiner selbst erinnere. 269 Um jenen Vorgang der Selbsterinnerung des ›Lebens‹ näher zu beschreiben, entwickelt Henry sein Konzept der ›Angst‹, das er Sören Kierkegaard als dem (neben Descartes und Merleau-Ponty) dritten »Erfinder« (l’inventeur) der radikalen Phänomenologie entlehnt. 270 Dieser habe die genialische Intuition gehabt, seine Konzeption der ›Angst‹ mit jener des ›Könnens‹ zu verbinden, so dass auch für ihn eine transzendentale Affektivität jegliches Vermögen bedinge. Die ›Angst‹ sei nämlich, anders als die im fünften Paragraphen von Der Begriff Angst 271 von ihr unterschiedene ›Furcht‹, niemals durch ein wahrnehmbares oder zumindest angenommenes Faktum der Welt bedingt, sondern wirke in der reinen Immanenz des Subjektes. Sie sei dort nichts anderes als das Erschrecken vor den eigenen radikalen Möglichkeiten, vor dem unbegrenzten ›Bewegungsvermögen‹ des ›Ich kann‹. Um dies zu verdeutlichen verwendet Henry das Beispiel eines Mannes am Rande eines Abgrunds in den Bergen oder aber vor einem U-Bahn-Gleis, der sich auf einmal bewusst wird, dass er tatsächlich hinunter springen könnte, wenn er es denn wollte, dass er also mit einem ›Bewegungsvermögen‹ ausgestattet ist, das eine – wörtlich wie übertragen – ›Schwindel erregende Freiheit‹ (vgl. liberté vertigineuse) darstellt. Weniger dramatisch könne dies anhand zweier Besucher eines Balls verdeutlicht werden, die beide den Tanzsaal verlassen hätten und nun nebeneinander auf einem Balkon stünden. Beide könnten nun plötzlich begreifen, dass sie in der Lage wären, die neben die eigene auf das Geländer gelegte Hand des Anderen zu ergreifen. Es sei somit klar, dass bereits der Zustand vor jeder Handlung – den Henry mit Kierkegaard als ›Unschuld‹ bezeichnet – von Alle Zitate aus IPC 263–270. Vgl. zum folgenden Abschnitt ebd., 270–279, hier 272. 271 Eine intensive theologische Analyse von Kierkegaards Angstschrift bietet Bongardt, Der Widerstand der Freiheit. 269 270
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jener erschreckenden ›Angst‹ bewohnt würde, gleichzeitig jedoch den Reiz des Verbotenen aufweise und dem Selbst dergestalt durchaus auch gefalle. Die Unschuld verdanke sich letztlich einer sie definierenden Unwissenheit, sei unsichtbar und unmittelbar pathisch gegeben und somit jene eines ›Fleischs‹. Deswegen vergesse auch sie sich selbst, und würde allein von der ›Angst‹ an sich erinnert, wobei sie freilich erst von der Sünde her, d. h. a posteriori und aus ihrem Gegenteil heraus, identifiziert werden könne. Jene Identifizierung bedeute aber als ›veräußernde‹ Anschauung immer schon das Ende der Unschuld. Bevor Henry jedoch die Aufhebung der Unschuld als kierkegaardschen ›Sprung in die Sünde‹ thematisiert, entwickelt er noch den Gedanken einer »Verdopplung der Angst« (redoublement de l’angoisse) 272 als notwendiger Voraussetzung der Sünde. Die ›Angst‹ des Ichs vor seinem ›Können können‹, vor seinem ›Bewegungsvermögen‹, verdoppele sich nämlich, sobald es die Duplizität des Erscheinens erfahre: Stehe der ›Geist‹, den Kierkegaard als Synthese von Leib und Seele bezeichne, Henry aber schlichtweg als Synonym des ›Lebens‹ identifiziert, doch vor dem Paradox, sich als Geist einem weltlich-objektiven Körper verbunden zu erfahren. Die diesbezügliche Angst basiere auf der Unvorstellbarkeit einer derartigen Synthese und entzünde sich an der Feststellung, nicht allein Züge weltlicher Körperlichkeit aufzuweisen, sondern, ohne es erklären zu können, gar ein weltlich-objektiver Körper zu sein. Die Entdeckung des eigenen Körpers als eines weltlichen Körpers bedeute gleichzeitig das Auffinden der eigenen geschlechtlichen Determiniertheit, die dem ›Geist‹ als »unverständlicher und kontingenter« (plus incompréhensible et plus contingente) erscheine als die übrigen Charakteristika des Leibes, und somit mit seinem eigenen Wesen unvereinbar sei. 273 Jene Entdeckung setze zwar ein intentionales Sehen voraus, zeitige aber Konsequenzen auch für das innere Pathos, und zwar in Gestalt einer nun auch affektiven Disposition, die sich als Scham zeige und nichts anderes als ein Durchgangsstadium der Angst sei. Anders formuliert besteht jene zweite Seite der Angst darin, den Körper als Leibkörper, also als bewohnt von einem unsichtbaren ›Leben‹ zu erIPC 279–284. Ebd., 282. Vgl. hierzu Kierkegaard, Der Begriff Angst, 69: »Das Geschlechtliche ist der Ausdruck für jenen ungeheuren ›Widerspruch‹ […], daß der unsterbliche Geist als Mann oder Weib (genus) bestimmt ist«. 272 273
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fahren, das er in seinen »Bedeutungen« (significations) darstelle, bzw. zu erkennen, dass alles Sensible ›Sensuelles‹ sei, also unsichtbare und immanente Impression. Dies bedeute die vermeinte radikale Möglichkeit, den Gegensatz der im ›Geist‹ vereinten Größen ›Seele‹ und ›Leib‹ durch Berührung der ›Seele‹ im ›Leib‹ überwinden zu können. Diese Erfahrung bezüglich des eigenen Körpers, der laut Henry dabei als »magisches Objekt« (objet magique) erscheint, ist nun auch übertragbar auf den Körper des Anderen, der ebenfalls als von einem ›Fleisch‹ bewohnt erscheint. 274 Es täte sich damit die wiederum bloß vermeinte, erschreckende Möglichkeit auf, den Anderen mittels seines Körpers nicht allein dort berühren zu können, wo er fühlbar sei (vgl. das Gegensatzpaar ›gefühlt/fühlend‹), sondern selbst dort, wo er selbst fühle und sich selbst erfahre, ›unter der Haut‹ des Anderen, in seiner eigenen, geschlechtlich differenzierten Sensualität und damit letztlich in seinem immanenten ›Leben‹ bzw. in seinem ›Fleisch‹. Die so durch die Intuition der Erscheinensduplizität bewirkte Angst verschmelze nun mit jener, die aus der Gewissheit des ›Können könnens‹ stamme und steigere sich dadurch bis zu ihrem absoluten Höhepunkt, der geradezu zwangsläufig jene unbezwingbare »Begierde« (désir) erzeuge, 275 die der Sünde voraufgehe und eben darin bestehe, das eigene ›Fleisch‹ oder jenes des Anderen im objektiven Körper erreichen zu wollen. Jene »beängstigende Welt der Begierde« (monde angoissant du désir) würde gemeinhin als »Erotik« bezeichnet (vgl. Henrys Überlegungen zur condillacschen Statue). Die Aktuierung jener als Begierde verstandenen erotischen Beziehung zu sich selbst oder zum Anderen sei gleichbedeutend mit dem ›Sprung in die Sünde‹ und müsse in ihrem radikalen Versuch, ein ›Fleisch‹ erreichen zu können, notwendig scheitern. 276 Nachdem nun die ›Begierde‹ als erotische Verwiesenheit des Selbst auf den eigenen wie auf den fremden Körper bereits auf der Ebene der Unschuld erwiesen ist, wendet sich Henry der Frage zu, wie denn nun von ihr aus der ›Sprung in die Sünde‹ (saut dans le péché) zu denken sei. Er verneint jedoch die Möglichkeit einer ErAlle Zitate aus IPC 286–288. IPC 290. Das französische Wort désir wird hier bewusst emphatisch mit ›Begierde‹ (frz. eigentlich volupté) übersetzt, weil Henry eindeutig nicht auf ein schwaches Ersehnen, sondern auf sexuelles Verlangen abzielt. Dieses Konzept erweist sich hierin als völlig inkompatibel mit dem ›Ersehnen des Unbedingten‹ (désir de l’infini) in der levinas’schen Philosophie, vgl. dazu 3.1. 276 Vgl. ebd., 290–292. 274 275
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klärung jenes Übergangs zur Tat, sondern konstatiert lediglich, dass paradoxerweise – wie Kierkegaard zu recht erkannt habe – bereits die »Angst vor der Sünde die Sünde hervorbringt«. 277 ›Schuld‹ trägt das ›Fleisch‹ jedoch allein aufgrund des ›Sprungs‹ selbst, die ›Angst‹ sei also in sich noch unschuldig, da sie bereits im Zustand der originären Unschuld des ›Fleischs‹ mitgegeben sei. Insofern könne man auch nicht eigentlich von ›Erbsünde‹ reden, stehe jeder Mensch doch zunächst im Zustand der Unschuld und wie Adam absolut vor der Entscheidung zur Sünde. Wohl sei aber durch die Menschheitsgeschichte ein »historisches Milieu« (millieu historique) entstanden, das die Sünde einerseits durch ein permanentes Steigern der ›Angst‹ (in Folge der realisierten Sünde) und andererseits durch ihre ständige Wiederholung begünstige und das insofern mit Kierkegaard »Sündigkeit« (peccabilité) genannt werden könne. 278 Jene Wiederholbarkeit der Sünde ergebe sich aus dem bleibenden radikalen Vermögen aller ›Fleische‹, die einmal begangene Sünde zu erneuern, so dass sie als zukünftige Möglichkeit erscheine und so zur Möglichkeitsbedingung der Vorstellung ›Zukunft‹ überhaupt werde. Eher beiläufig schließt Henry an dieser Stelle gar, »dass das Sexuelle, hier als die Sünde verstanden, die Zeit geschaffen« habe. 279 Bezüglich des Übergangs zum ›Sprung‹ ließe sich aber trotz dessen wesensmäßiger Unerklärbarkeit dennoch und in Analogie zur bereits von Kierkegaard angeführten biblischen Urgeschichte (hier Gen 3) festhalten, dass die Angst erst in ihrer weiblichen Form der Versuchung zur Sünde erliege. Die ›weibliche Angst‹ sei sensibler als jene des Mannes und damit »geistlich« (spirituellement) überlegen, weil sie das paradoxe »Zeichen des Geistes« (signe de l’esprit) – eben jene beängstigende Spannung zwischen Seele und Körper – eher auffinden könne. 280 Der ›Sprung‹ bestehe nun phänomenologisch zunächst darin, der Begierde nachzugeben, d. h. das eigene oder das ›Leben‹ des Anderen auf die weltliche Körperlichkeit zu reduzieren, dort zu erreichen zu suchen und somit zu profanieren. Jene »Profanation« (profanation) sei als bewusste und aktive Destruktion des ›Lebens‹ angelegt und somit Inbegriff des Nihilismus. Henry identifiziert die 277 278 279 280
Kierkegaard, Der Begriff Angst, 73. Vgl. IPC 292 f. Ebd., 292: »[Q]ue le sexuel entendu ici comme le péché a créé le temps«. Vgl. ebd., 296–299. A
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Profanation als Reduktion der ›Erotik‹ (dem in sich noch unschuldigen Stadium und Synonym von Angst und Begierde) auf die ›Sexualität‹, die ein stets entweder sadistisches oder masochistisches ›Entblößen‹ (vgl. dénude) seiner selbst oder des Anderen bedeute. 281 Die ›Sexualität‹ als Synonym der Sünde (!) könne sich ereignen im Vollzug entweder der genuinen ›Autoerotik‹ (auto-érotisme; vgl. Condillacs Statue), eines dem Partner gegenüber indifferenten Geschlechtaktes (sozusagen die ›Autoerotik zu zweit‹) oder eines Geschlechtsakts aus Zuneigung. All jene Versuche, das (eigene oder fremde) ›Leben‹ zu erreichen bzw. zu objektivieren, seien aufgrund ihrer Situierung im Erscheinensbereich der Welt aber a priori zum Scheitern verurteilt. Henry geht trotzdem intensiv auf das Scheitern von ›Begierde‹ und ›erotischem Verhältnis‹ in der Sexualität ein anhand einer phänomenologischen Untersuchung des Geschlechtsaktes als solchem, des Orgasmus und des vorgetäuschten Orgasmus. Diese Vorgänge verdeutlichten die radikale Niederlage der Begierde nach dem Ergreifen des ›Lebens‹ des Anderen, weil die beiden ›trieblichen Ströme‹ 282 der Partner entgegen ihrer Intention den jeweils Anderen nie am Ort seines Fühlens erreichten, sondern auf halbem Wege scheiterten und wie gegen eine Mauer (im Sinne des »widerstehenden Kontinuums«, s. 2.2.2) brandeten: »Es ist im Inneren des Stroms, dass das Verlangen scheitert, das Vergnügen des anderen dort zu erreichen, wo es sich selbst erreicht, es ist in der Nacht der Liebenden, dass der jeweils andere sich auf der anderen Seite einer Mauer aufhält, die sie für immer trennt«. 283 Der Orgasmus, dessen mögliche Vortäuschung geradezu als Paradebeispiel des trügerischen Welterscheinens und der radikal verborgenen Immanenz der Impressionen dienen könnte, sei somit nicht Vereinigung mit dem Anderen, sondern bedeute vielmehr lediglich den »chronologische[n] Zusammenfall zweier ihre Trennung nicht überwinden könnender Spasmen« (coïncidence chronologique de deux spasmes impuissants à surmonter leur division). 284 Konsequenterweise – so räumt Henry
Vgl. ebd., 311–318, hier v. a. 313. In diesem Sinne ist pulsions aufgrund der Metapher des Fließens hier wohl zu übersetzen. 283 IPC 302: »C’est dans l’immanence de la pulsion que le désir échoue à atteindre le plaisir de l’autre là où il s’atteint lui-même, c’est dans la nuit des amants que, pour chacun, l’autre se tient de l’autre côté d’un mur qui les sépare à jamais«. 284 Ebd. 281 282
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ein – müsse deswegen eigentlich jeder Geschlechtsakt als ›autoerotisch‹ betrachtet werden, jedoch könne ein human vollzogener Akt durchaus mit einem wahren, weil immanent-affektiven Verhältnis – »vielleicht der Liebe« – korrelieren, diese Korrelation bleibe jedoch in jedem Falle akzidentell und zufällig. 285 Solch immanente Verhältnisse seien eben ›erotische‹ gegenüber den bloß ›sexuellen‹ Beziehungen, blieben jedoch analog der »Nacht unseres Fleischs« (nuit de notre chair) in einer Art »Nacht der Liebenden« (nuit des amants) gefangen, 286 d. h. vermöchten nur auf kontingente und sehr ungewisse Weise in der Welt zu erscheinen. Die Sünde als Profanation des ›Lebens‹ eines transzendentalen Ichs auf der Ebene der Welt richte sich damit aber zugleich gegen den Ursprung aller einzelnen ›Leben‹, sei somit todbringende Sünde gegen das absolute ›Leben‹. Insofern sie dem unsichtbaren (absoluten oder durch dieses bedingten) ›Leben‹ Inhalte des ›Welterscheinens‹ substituiere, sei die Sünde ebenfalls »Idolatrie« (idolâtrie), sie vergöttere nämlich sowohl ihre eigenen, vermeintlich in vollkommener Autonomie produzierten Lustempfindungen als auch die ihnen zugrunde liegende Autonomie des eigenen ›Können könnens‹. 287 Insofern erklärt sich, dass Henry die Sünde andernorts auch als »transzendentale Illusion« (illusion transcendantale) bezeichnet, die eben darin bestehe, fälschlicherweise anzunehmen, man stünde selbst am Ursprung des eigenen Seins und alles eigenen Könnens sowie der durch dieses produzierten Lust. Extremfall dieser Illusion sei wiederum die »Autoerotik« (l’auto-érotisme). 288 Wo das Ich sich der Illusion hingebe, wo es also ›Idolatrie‹ bzw. ›Apostasie‹ bzw. ›Selbstkult‹ betreibe, habe es sich bereits ins Welterscheinen hinein ›genichtet‹ und trenne sich von seinem eigenen Ursprung, dem absoluten ›Leben‹. Damit aber wende es sich zugleich indirekt gegen die eigene Existenz wie gegen die eigene Ipseität, es bete seine Ohnmacht, seine Endlichkeit und seinen Tod an. Indem es sich so ›doppelt‹ (in seiner Lust und in seinem Können) selbst vergöttere, führe das Ich sich selbst in den Tod, wenngleich dieser nicht unmittelbar erfolge. Das
285 Ebd., 304: »La relation érotique se double alors d’une relation affective pure, étrangère à l’accouplement charnel, relation de reconnaissance réciproque, d’amour peutêtre«. 286 Ebd., 300. 287 Vgl. ebd., 330. 288 CMV 258 f.
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absolute ›Leben‹ bewahre das bedingte ›Leben‹ und damit die Existenz und Ipseität des Ichs nämlich auch noch im Status der Sünde, es gebe sich ihm »bis in seine Idolatrie hinein« (jusque dans son idolâtrie). Allerdings bleibe das einzelne ›Leben‹ aufgrund dieser selbst gewählten Trennung vom »unversehrbaren« (incorruptible) absoluten ›Leben‹ notwendig bedingtes, d. h. endliches und auf den Tod zulaufendes ›Leben‹. Da nun aber die Sünde allein durch das ›Fleisch‹ gewirkt werden könne, weil sich sowohl die den Sprung hervorrufende Angst als auch das ihn aktuierende Vermögen auf der Ebene des ›Fleischs‹ fänden, und weil weiterhin der aus der Sünde folgende Tod das Ende des immanenten ›Lebens‹ und damit des ›Fleischs‹ bedeute, sei nun eindeutig erwiesen, warum vom ›Fleisch‹ als dem Ort des möglichen Verderbens geredet werden könne. 289 (2) Das ›Fleisch‹ ist für Henry aber auch gleichzeitig – und zwar letztlich aus denselben Gründen – der Ort des möglichen Heiles, was er in seiner lebensphänomenologischen Soteriologie herausstellt. Die Erlösung erscheint hier als Identifikationsprozess mit dem absoluten ›Leben‹, der allerdings erst durch dieses, näherhin durch dessen ›Inkarnation‹ (Incarnation), ermöglicht werde. Das einzelne bedingte ›Leben‹, das sich mittels der Sünde dem Tod ausgeliefert habe, könne diesem nur entfliehen, indem es existentiell, und das heißt für Henry eben im Tun und nicht im Denken oder Reden, vom Selbstkult abkehrt und ausschließlich aus dem absoluten ›Leben‹ zu leben beginnt, 290 indem es also vollzieht, was es essentiell ist, und somit in gewisser Hinsicht eine »Restauration« (restauration) seines Urzustandes vor dem Sprung in die Sünde vornimmt. 291 Jedoch sei ja auch dieser neue Zustand bedingt und korruptibel, insofern er potentiell aufs Neue zum Tod führe. Daher könne eine wirkliche Erlösung erst dort geschehen, wo sich nicht mehr nur Akzeptanz des absoluten ›Lebens‹ im bedingten ereigne, sondern letzten Endes eine »Identifikation« (identification), eine Einswerdung beider. 292 Diese Identifikation müsse allerdings unter unbedingter Wahrung der Ipseitäten in ihrer Individualität und Irreduzibilität geschehen, denn nur so könne »der Mensch dem Nichts 289 290 291 292
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Vgl. zum ganzen Abschnitt IPC 330–335. Vgl. ebd., 334. Vgl. ebd., 352. Vgl. ebd., 335.
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entrissen« werden. 293 Die Identifikation setzt grundsätzlich die Überwindung des Vergessens, die Rückerinnerung an den Status der Sohnschaft, an die immer schon gegebene radikale Gebundenheit des bedingten an das absolute ›Leben‹ voraus. 294 Sie sei ferner durchaus unter Beteiligung des einzelnen Selbst – im Sinne der oben angeführten Läuterung – als Verwirklichung des eigenen Wesens zu denken: Indem das Ich willentlich und in einer bewussten Entscheidung von der transzendentalen Illusion abkehre, d. h. sein ›weltliches Selbst‹ vergesse und sein ›Bewegungsvermögen‹ vollkommen dem Übervermögen des absoluten ›Lebens‹ zuschreibe und unterordne, vermöge es zu seinem Heil beizutragen. 295 In dieser »entscheidenden Transmutation« (transmutation décisive) des eigenen Könnens in das absolute Können, das sich nun seinerseits im Handeln des Selbst realisiere, mache sich das bedingte ›Leben‹ somit zum ausschließlichen Vollzugsorgan des es zuinnerst bedingenden absoluten ›Lebens‹, das nun in der Existenz des Selbst dessen Wesen (eben nichts als Abhängigkeit vom absoluten ›Leben‹ zu sein) aktuiert und realisiert. 296 Diese Läuterung impliziere, dass das Selbst permanent wachse und deswegen prozessual und nicht statisch als ›Substanz‹ oder ›Sache‹ zu denken sei; so erkläre sich auch Husserls Aussage von der stetig wieder da seienden Impression (vgl. 2.2.3). Dieser Prozess stelle demnach auch eine Art Flux dar, aber einen impressional-fleischlichen Fluss durch die sich bedingenden Tonalitäten des reinen Leidens und der reinen Freude. Entgegen dem husserlschen Flux sei er aber bestimmt, weil er »im Geheimen« (secretement) auf eine finale Agonie hin orientiert sei, die als Höhepunkt des Leids den Übergang zu einer grenzenlosen, d. h. unbedingten Freude darstelle. Dies sei nun der
293 Ebd., 354: »Maintenir chacun […] dans l’individualité irréductiblement singulière qui est la sienne […] peut seul arracher l’homme au néant«. Vgl. hierzu auch ebd., 339. 294 Vgl. ebd., 330. 295 Als außerordentlich wichtig für die mögliche christliche Adaption dieses Philosophems erscheint hierbei das voluntative Element der Mitwirkung des Selbst an seinem Erlösungsprozess, welches explizit nur einmal bei Henry zu finden ist, nämlich in dem Ausdruck »auto-transformation de la vie voulue par elle [Hvh. M. L.]«: CMV 209. Allerdings muss auch die stetige henrysche Exhortation zu Lebenserinnerung und Selbstübergabe wohl im Sinne einer Aufforderung an einen freien Willen verstanden werden, um nicht widersinnig zu sein. 296 Vgl. ebd., 213: »Dans l’œuvre de miséricorde, et c’est en quoi elle est une œuvre, s’opère la transmutation décisive par laquelle le pouvoir de l’ego est reconduit à l’hyperpouvoir de la Vie absolue en lequel il est donné à lui-même«.
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Zustand der Identifikation mit dem absoluten ›Leben‹ als Synonym der Erlösung jedes einzelnen Ichs. 297 Wie aber soll dem Selbst dieser Identifikationsprozess möglich sein, wenn es als ›bedingtes Leben‹ doch (u. a.) gerade darüber definiert worden ist, durch den radikalen »Abgrund« (abîme) 298 des fehlenden Vermögens der Selbstgebung vom ›absoluten Leben‹ getrennt zu sein? Dies kann laut Henry nur mit der Inkarnation im zweiten Sinne (Incarnation) erklärt werden. Eine Identifikation des Selbst mit dem absoluten ›Leben‹ sei aber aufgrund des genannten Abgrunds allein durch den ›Ursohn‹ möglich, der ja schon im Prozess des ›Ins-Fleisch-kommens‹ bzw. der Geburt des einzelnen Ichs (incarnation) als Mittlerinstanz zwischen absolutem und bedingtem ›Leben‹ fungierte. Diesem ›Ursohn‹ sei jedes Ich immer schon unmittelbar durch seine Geburt verbunden, es befände sich bereits vor allem ›Bei-sich-selbst-sein‹ in ihm, so dass sich das als ›reziproke phänomenologische Innerlichkeit‹ beschriebene Verhältnis zwischen absolutem ›Leben‹ und Ursohn im Verhältnis des Letzteren zu den Einzelipseitäten wiederhole. 299 Allein der Ursohn nun vermöge die Identifikation zu wirken, weil diese ja zunächst eine »Wieder-geburt« (re-naissance) zum ursprünglichen Status der Sohnschaft bedeute. Diese Wiedergeburt könne aber um der Kontinuität der Ipseität willen nicht von der ersten Geburt derart unterschieden sein, dass sie sich nicht mehr in der Uripseität ereigne; 300 vielmehr müsse der Ursohn selbst den Identifikationsprozess durchlaufen. Damit dieser, in dessen ›Leib‹ (corps) sich jedes Ich ja immer schon befinde, den Prozess des Übergangs vom bedingten zum unbedingten ›Leben‹ wirken könne, müsse er sich aber konsequenterweise seinerseits in ein bedingtes ›Leben‹ hinein vermitteln bzw. ›zeugen‹. 301 Er vermöge dies aufgrund seines Status als lebensspendendes ›Urfleisch‹, dessentwegen Irenäus die Frage nach dem möglichen Zusammenhang von absolutem ›Leben‹ und ›Fleisch‹ ja als Scheinproblem erwiesen hatte (vgl. 2.3). Indem nun der so aus seiner denknotwendigen Präexistenz 302 in ein bedingtes ›Einzelfleisch‹ gekommene Ursohn den gemäß der beiden Grundtonalitäten impressional geprägten Flux eines 297 298 299 300 301 302
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Vgl. IPC 357 f. Ebd., 351. Ebd., 350–352. Vgl. IPC 330. Vgl. ebd., 350–352. Vgl. ebd., 333.
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Freiheitstheoretische Position
bedingten ›Lebens‹ bis zu dem oben geschilderten Übergang von Agonie und Tod durchlebe, wirke er die Erlösung im ›Fleisch‹ und ermögliche somit allen mit ihm als Uripseität verbundenen Einzelipseitäten denselben Übergang. 303 Er ermögliche ihnen diese Verwirklichung ihres Wesens zweifach. Erstens dadurch, dass seine Inkarnation alle vollkommene Erkenntnis der einzelnen ›Iche‹ über das absolute ›Leben‹ und damit über den aufgetragenen Prozess der ›Selbstverwirklichung‹ erst ermögliche, weil sie das ›vergessene Leben‹ wieder in Erinnerung rufe. 304 Zweitens sei die Identifikation allein in ihm möglich, nämlich durch Partizipation an seinem eigenen Weg durch das bedingte ins absolute ›Leben‹. In gewisser Hinsicht sei er es also selbst, der im einzelnen Ich den Übergang lebe, so dass der Prozess des Werdens, den es durchlaufe, »im Tiefsten nichts anderes als der Prozess des absoluten Lebens« selbst sei. 305 (3) Am Ende dieses langen und komplexen Weges durch Henrys phänomenologische Beschreibungen des Menschen, der Ursachen und Entstehung menschlicher Konkupiszenz und Sündhaftigkeit mit der aus ihr resultierenden Sterblichkeit und schließlich deren Überwindung im Erlösungsprozess als Nachvollzug der ›Incarnation‹, ergibt sich so ein ambivalentes Bild menschlicher Freiheit. Einerseits liegt das ›Lebensvergessen‹ sozusagen ›in der Natur der Sache‹, behauptet Henry also eine Naturgegebenheit seines Modells der Erbsünde; andererseits wird das volitive (i. e. freiheitliche!) und zugleich unerklärliche Moment des ›Sprungs in die Sünde‹ hervorgehoben. Ähnliches gilt für die Überwindung dieses heillosen Zustandes: Einerseits ist menschliches Engagement zur Überwindung der ›transzendentalen Illusion‹ und der ›Idolatrie‹ des Selbstkultes gefordert, andererseits wird der Erlösungsvorgang aber dennoch als Vollzug der Uripseität in und an dem einzelnen bedingten ›Fleisch‹ verstanden. Ungeachtet dieser polaren Spannungen kann eine freiheitliche Tat für Henry jedenfalls nur eine ›transzendentale‹ sein, ›transzendental‹ im spezifisch-henryschen Verständnis als im Rahmen des immanenten ›Lebens‹ befindlich, d. h. jenseits bzw. im Vorhinein zu aller intentionalen Repräsentation. Wie dieses Geschehen der transzendentalen Erlösungstat zu verstehen ist, bringt Henry dann andernorts eindeu303 304 305
Vgl. ebd., 334–339. Vgl. PDC 155. IPC 357: »[P]rocès qui n’est autre en son fond que le procès de la Vie absolue«. A
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tig zum Ausdruck: »Allein der Gott kann uns an ihn glauben machen, aber er bewohnt unser eigenes Fleisch«. 306
2.6 Kurzzusammenfassung Henrys Denkansatz hat sich als geprägt von schier unermesslicher Radikalität und Anspruchssättigung erwiesen, geht es ihm doch nicht nur um einen Beitrag zur philosophischen Tradition oder um deren partielle Korrektur, sondern um einen grundlegenden Umsturz und Neuansatz der Philosophie als solcher im Sinne seines Desiderats einer radikalisierten Phänomenologie als einzig veritativer Denkform. Dass er damit schon namentlich eine bestimmte Spielart der philosophia perennis aufgreift und seine Argumentation in ihrer Diktion und auf ihrem Boden beginnt, d. h. in erster Linie in Anlehnung und Abgrenzung zu Husserl, schließt dabei keineswegs seinen Anspruch aus, diese grundlegend zu überwinden und etwas genuin Neues zu schaffen, etwas Neues, das vor ihm zwar ›geahnt‹ worden sei (etwa bei den ›Vätern‹ der Lebensphänomenologie: Descartes, Kierkegaard und Merleau-Ponty, nicht zuletzt aber im ›christlichen cogito‹ beim Evangelisten Johannes, bei Irenäus und bei Tertullian), aber erst im eigenen Werk ins ›rechte Licht‹ gerückt wird. Dieses Neue ist ein Paradox, nämlich die philosophisch-argumentative Darstellung einer unmittelbar einsichtigen, unthematisch-vorsprachlichen Evidenz, der Intuition des immanenten ›Lebens‹ als Inbegriff und einzig gewissem Ort der Phänomenalität, d. h. als einmaligen Zusammenfall von Phänomenalisierungsinstanz und -gehalt. Jenseits dieser unmittelbar-intuitiven, distanzlosen Einsicht gibt es für Henry nur noch unechte, d. h. trügerische und irrealisierende Phänomenalität, die sich bereits in der Intentionalität als Ausdruck der Objektbeziehung der Erkenntnis und damit ihrer Aufspaltung in Subjekt und Objekt zeigt. Henrys Überwindung der bisherigen Philosophie wird so zu einer Fundamentalkritik des vorstellenden Denkens überhaupt zugunsten der reinen Intuition des immanenten ›Lebens‹. Die Annahme dieser unmittelbaren Evidenz konstituiert den Kern von Henrys herausgearbeiteter ontologischer Position. Alle 306 Henry, Parole et religion, 160: »Seul le dieu peut nous faire croire en lui mais il habite notre propre chair«.
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Kurzzusammenfassung
wahrhafte Erkenntnis wird nun aus dem Bereich des Denkens resp. der Intentionalität in jenen des Fühlens resp. der Impressionalität verlegt, die cogitatio wird zur passio bzw. zum Pathos. Die immanente Sphäre des ›Lebens‹ wird dabei als ›Fleisch‹ konzipiert, das als Bezeichnung der reinen Selbstaffektion des ›Lebenden‹ fungiert, einer Selbstaffektion vor jeglichem Differenzeintrag und somit auch notwendig – wie Henry klar sieht – vor allem Bewusstsein. Diesem ›Fleisch‹ als ›Ort‹ des ›Lebens‹ und seinem unmittelbar gewissen und unbedingt wahrhaftigen Erscheinensmodus setzt Henry – im Rahmen der Beschreibung einer grundlegenden Erscheinensduplizität – ein ›Welterscheinen‹ entgegen, das die Lebensimmanenz aufbricht und mit der ersten Intention Differenz und Veräußerung anstelle der Intuition setzt, wobei diese Zerstörung der ›absoluten Phänomenalität‹ automatisch den Verlust der Wahrheit mit sich bringt, und die ›Welt‹ sich – als Gegenbegriff zum ›Fleisch‹ – somit als Ort der Ungewissheit, des Trugs und der Lüge erweist, der niemals wahre Erkenntnis zu gewährleisten vermag. Die transzendentale Leiblichkeit des ›Fleischs‹ beschreibt Henry dann weiter als mehrstufig vermittelt in die veräußerte Materialität der Welt, von der sie allerdings absolut geschieden bleibt. Weiterhin führt er sie auf eine letzte Ursache zurück, verdanken sich die vielen ›Fleische‹ bzw. einzelnen ›Lebenden‹ demzufolge einer ›zeugenden‹ Urimpression, die in ihnen allen west, einem absoluten ›Leben‹, das sie alle ins Leben hineinversetzt (incarnation), ihnen als ›Uripseität‹ Individualität verleiht und sie bleibend in sich am Leben erhält. So ergibt sich schließlich die Priorität der Gemeinschaft vor dem einzelnem ›Leben‹ der ›Fleische‹, die verbürgt ist durch den einen Ursprung und den gemeinsamen ›Lebensort‹ im ›absoluten Leben‹ und in der Uripseität. Mit diesem ›absoluten Leben‹, das allen durch es bedingten (gezeugten) Einzelleben, d. h. allen ›Fleischen‹, als Innerstes und Gewissestes inhäriert, ist bereits Henrys philosophische Gottesvorstellung erreicht, die er – berechtigt durch seinen Gedanken des ›christlichen cogito‹ – mit der ersten Person der Dreifaltigkeit identifizieren zu können glaubt. Dieser gesellt er eine erste Ipseität als Gegenstand der ewigen Selbsterfahrung des absoluten ›Lebens‹ bei, den erstgezeugten Sohn. Beider ›reziproke phänomenologische Innerlichkeit‹ und Freude aneinander erscheint ihm dann schließlich als Heiliger Geist, der freilich nur am Rande erscheint. Entscheidender ist die Rolle des Sohnes, der ›Ur-Ipseität‹, und dies sowohl protologisch und anthropologisch als auch soteriologisch und selbstverständlich A
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christologisch. Die zweite Person der Gottheit fungiert erstens als Schöpfungsmittler und Urbild aller Ipseität sowie als ontische Verbindung zwischen den einzelnen und dem absoluten ›Leben‹, der ihnen ihrerseits die ›reziproke Innerlichkeit‹ erlaube. Zweitens erscheint er als notwendige Erlösungsinstanz für die sündig, d. h. ›lebensvergessen‹ gewordenen und sich so selbst der unmittelbaren Erfahrung des absoluten entblößt habenden bedingten ›Leben‹. Der Erlösungsprozess vollzieht sich als ›Kommen-in-ein-Fleisch‹ durch den ›Ursohn‹ (Incarnation), das mal als Information über die innige Verbindung mit dem Vater akzentuiert wird, mal als ihre Restauration und Neuermöglichung bis hin zur völligen ›Identifikation‹ mit dem absoluten ›Leben‹. Als ›gründende Intuitionen‹ des Christentums erscheinen dabei die Einsichten in die Erscheinensduplizität, die antinomische impressionale Struktur bedingten Lebens, der Unterschied zwischen bedingtem und absolutem ›Leben‹ sowie die zentrale Rolle von Ipseität und Praxis. Die erkenntnistheoretische Position Henrys hat sich bereits aus seinem Ansatz und seiner Ontologie ergeben und besteht aus dem Desiderat der Überwindung und Reduktion alles intentionalen Denkens hin zum unmittelbar impressionalen Erlebnis des eigenen und hierin des absoluten ›Lebens‹. Alle Thematisierung oder Versprachlichung, jeder Begriff, ja jede Vorstellung stellen einen Abfall von dieser intuitiv ›erlebten‹ Wahrheit dar und sind zu verwerfen. Es konnte keine konsistente freiheitstheoretische Position Henrys ermittelt werden. Einerseits beschreibt er in enger Anlehnung an Kierkegaards Angstanalysen die Entstehung der Sünde als einen kontingenten, freiheitsgesteuerten Prozess (›Sprung‹), der in einer Profanation des ›Lebens‹ durch den Überstieg der erotischen Begierde in den Geschlechtsakt bestehe, und fordert die Mitwirkung des infralapsarisch ›Lebendigen‹ am hierdurch erforderlichen Erlösungsvorgang, andererseits betont er gerade die Unvermeidbarkeit des ›Lebensvergessens‹ als Inbegriff der (Ur-) Sünde und konstatiert, dass die Erlösung letztlich doch ausschließlich als Selbstprozess des absoluten ›Lebens‹ im ›Lebendigen‹ zu betrachten sei. Weiterhin kann bei ihm keineswegs von Freiheit im landläufigen Sinn als Fähigkeit zur Wahl zwischen Handlungs- oder Seinsoptionen gesprochen werden, weil eine solche Wahl die (intentionale) ›Vor-stellung‹ von Alternativen erfordern würde, die aber dem Unwahrheitsverdikt gegen alles ›Welterscheinen‹ verfällt. Freiheit kann wie alles Wahre nur auf Ebene des ›Fleischs‹ gedacht werden, ist damit aber eo ipso ›un136
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Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung
bewusst‹ ; Henrys Freiheitsbegriff ist radikal äquivok gegenüber jedem herkömmlichen Verständnis und paradox.
2.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Christlicher Monismus? »[L]’une des thèses les plus inouïes formulées par la pensée humaine, l’interprétation de la chair comme portant inéluctablement en soi une Archi-intelligibilité, celle de la Vie en laquelle elle est donnée à ellemême, en laquelle elle est faite chair […], c’est le cogito de la chair ou, si l’on préfère, le cogito chrétien«. 307
Henrys philosophisches System, denn so muss man dieses außerordentlich stringente und komplexe Gedankengebäude wohl nennen, ist aufgrund seiner Hermetik nur sehr schwer von außen zu beurteilen; hätte Henry mit seiner Verurteilung des griechischen Logos-Ideals und Erkenntnismodells uneingeschränkt recht, so wäre alle positive wie negative Kritik gar von vorneherein obsolet. Dennoch sollen im Folgenden – in disziplinärer Separation, die Henry selbst in seinen Werken so nicht kennt 308 – philosophisch wie theologisch einige VorIPC 193. Der Leser Henrys sieht sich von vorneherein mit dem Problem konfrontiert, dass der Autor in seinen Ausführungen verschiedene Disziplinen zu vermischen liebt, so vor allem Philosophie, die davon logisch getrennte Phänomenologie und Theologie. Man ist jedoch geneigt dazu, der von Henry selbst genannten Dreierzahl zumindest noch die Poesie hinzuzufügen, leiden Stringenz und Klarheit seiner Gedankenentwicklung doch oftmals zugunsten einer gefälligen und künstlerischen Form, an sprachlichem Überschwang und etwas ›blumiger‹ Weitschweifigkeit. Henry gesteht diese Vermischung am Ende der Einleitung zu IPC durchaus ein und verspricht deswegen, im Laufe des Werkes anzuführen, in welchem Verstehenshorizont er sich jeweils bewegt (vgl. IPC 32). Allerdings löst er dieses Versprechen nicht in ausreichendem Maße ein, sondern wechselt oftmals abrupt und nicht allein innerhalb eines Paragraphen, sondern gar innerhalb eines Abschnitts die ›Register‹ : Das beste Beispiel hierfür ist die Konzeption der ›Erlösung‹ des ›bedingten Lebens‹ resp. des ›Sohnes‹, deren logische Unterteilung in ein philosophisches (2.5) und ein theologisches Konzept (2.3) ausgesprochen schwer zu leisten und letztlich ein nachträglicher Ordnungsversuch dessen ist, was Henry vor allem im § 46 von IPC (330–339) vielleicht mit Absicht ein wenig unklar und verworren lässt. Allerdings rechtfertigt sich sein scheinbar nachlässiger Umgang mit den Erkenntnisordnungen durch ihren ja ohnehin mit genereller Relativierung einhergehenden postulierten ›Welterscheinensstatus‹. Methodisch gesehen gibt es nämlich für Henry keinerlei Unterschied zwischen Theologie und Philosophie, handelte es sich bei beiden doch um logische Systeme, um ›Denkbewegungen‹, die ausgehend von grundlegenden Gewissheiten seriell weitere Evidenzen produzierten und in ein Wechselspiel 307 308
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züge seines Denkens festgehalten wie auch einige kritische Anfragen formuliert werden. Philosophisch hervorzuheben ist sicherlich zunächst einmal die Originalität des henryschen Ansatzes, der einen überaus produktiven Dialog mit der philosophischen Tradition darstellt, sich bewusst in bestimmte Traditionen stellt und doch über sie hinausgehend Neues schafft. So hat er den Mut, mit seinem System Neuland zu betreten und sich – wenigstens bezüglich des philosophischen ›mainstreams‹ – brächten, um so zu neuen Ergebnissen zu gelangen (vgl. ebd., 362 f.). Dass ihr Status dabei für Henry ein in phänomenologischer Hinsicht unvollkommener bleibt, ist verständlich, da sie sich doch beide auf konzeptueller Ebene bewegen, d. h. sich einer Theorie, einer ek-statisierenden, intentionalen Vor-Stellung verdankten und somit dem Welterscheinen unterlägen. Insofern nun ist alles auf philosophischem oder theologischem Wege Eruierte letztlich auch dem Verdacht ausgesetzt, bloßer Schein zu sein. Absolute Evidenz kann es für beide Disziplinen nur in ihrem Fundament geben, das für Henry letztlich dasselbe ist, die eine unhintergehbare Wahrheit, das »verum index sui« (latein. i. O.), d. h. philosophisch formuliert die ›Sprache des Lebens‹, bzw. theologisch die ›Selbstoffenbarung Gottes‹ (vgl. ebd., 361 f.). Denn während die Philosophie mit Descartes mittels des absoluten Zweifels auf die Evidenz der ursprünglichen Selbsterfahrung des transzendentalen Ichs als ihre Grundlage und Möglichkeitsbedingung zurückgeführt worden sei, fuße die Theologie ihrerseits auf der absoluten Evidenz des göttlichen Wortes, das sich dem Einzelnen immanent mitteile. Henry versteht vor diesem Hintergrund die Heilige Schrift, ohne dies freilich zu artikulieren, mit v. Balthasar als bloßes »Wort Gottes, welches das Wort [i. e. Christus; M. L.] bezeugt« (Balthasar, Verbum Caro, 11). Das »Schriftwort« ist für ihn also »ein von Gott inspiriertes Zeugnis von jenem Lebenswort, dem totalen Christus, Haupt und Leib« (ebd., 51), das zwar aufgrund seiner ›weltlichen‹ Sprache stets zweifelhaft bliebe, jedoch Ausdruck und Spur der Selbstmitteilung Gottes als des absoluten Lebens sein könne. Entsprechend unkritisch ist denn auch der Umgang Henrys mit Schriftzitaten, die seine diversen philosophischen Werke nur so überfluten. Fernab aller historisch-kritisch problematisierenden Exegese zieht er Schrift- und vor allem Herrenworte überall dort zur Stützung seiner jeweiligen These heran, wo ihm dies opportun erscheint, ohne hierbei irgendwelche Fragen nach Authentizität, Verfasserschaft, Aussageintention etc. zu stellen: Neben der Fülle von als solchen nicht hinterfragten Herrenworten sei als Beispiel lediglich Henrys kommentarlose Gleichsetzung des Evangelisten Johannes mit den Verfassern sowohl der Johannesbriefe als auch der Apokalypse genannt. So sehr dies den gewissenhaften Theologen ärgern mag, ist dennoch darauf hinzuweisen, dass auch ein derartiger Umgang mit der Bibel als »Steinbruch […] passender Sätze« (ebd., 166) durch Henrys System gerechtfertigt wird, ist die Bibel doch ohnehin wie jeder Text dem radikalen Zweifel unterworfen und daher letztlich nichts als ein Fundus für den Menschen, alles Wirkliche als allein ›fleischlich‹ und so unmittelbar von Gott Erfahrenes in menschliche Rede zu kleiden, in der es spurhaft aufzuscheinen vermag. Vgl. hierzu auch Kühn, Phänomenologische Urchristologie und inkarnatorische Bezeugung, 34. Y.-M. Blanchard mahnt Henry also mit Recht, die Bibel nicht als bloßes »reservoir« zu benutzen, vgl. Blanchard, Michel Henry, 89.
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auch ein wenig ins Abseits zu begeben. Henry entdeckt dabei wohl mit Recht in weiten Teilen der Denkgeschichte eine gewisse Überbewertung des logisch-wissenschaftlichen Weltzugriffs, die letzte innere Zirkularität von dessen Begründung und sein Unzureichen im Rahmen der Weltbeschreibung. Ausgehend von einer phänomenologieinternen Debatte stößt er seinen Leser dabei auf einen allgemeinen Sachverhalt, auf eine Sphäre der Innerlichkeit und unsichtbaren Affektivität jenseits der rein naturwissenschaftlichen Anthropologie und Kosmologie, auf seine eigene ›Lebendigkeit‹. Die logische und auch zeitliche Priorität dieser Sphäre des ›Lebens‹ dürfte dabei in der Tat nur schwerlich durch die ›immer schon zu spät‹ kommende sinngebende Intentionalität des Menschen widerlegt werden. So weist Henry jeglichen hypertrophen Allzuständigkeitsanspruch der Naturwissenschaft zurück und überführt eine biologistisch-naturalistische Deutung des Menschen mitsamt jeder von ihr postulierten Widerlegung menschlicher Subjektivität und Willensfreiheit des Reduktionismus und einer letztlich sekundären Frage- und Aufgabenstellung. Gegenüber solchen Verkürzungen betont er die Intimität und letzte Geheimnishaftigkeit menschlichen Lebens 309 und liefert so einen durchaus tragfähigen Menschenwürdediskurs. 310 Auf der anderen Seite unterstreicht Henry jedoch auch, entgegen einer möglichen Überbetonung des cogito und seiner Freiheit, deren Abkünftigkeit und innerste Passivität, beschreibt er doch – so Kühn – die Subjektivität eher im Akkusativ als mich (moi) denn als nominatives Ich (je). 311 Damit vermeidet er sowohl die zirkuläre Aporizität reflexionstheoretischer Subjektbegründungen 312 als auch die kontrafaktische weltkonstituierende Stellung des Subjekts oder transzendentalen Ichs klassischer ›Egologien‹, 313 was ihn in erstaunliche Nähe zu 309 Vgl. etwa Thireau-Decourmont, Michel Henry, 15–17. Henry selbst führt dort seinen Gedanken, dass jedes Leben heimlich sei, interessanterweise auf seine Erfahrungen in der Résistance zurück. Weiter attestiert er auch der eigentlichen Kultur ein zunehmendes Abwandern in die Heimlichkeit des »Underground«, vgl. La Barbarie, 241–247. 310 Vgl. bspw. Henry, Le christianisme, une approche phénoménologique?, 28 f. Henry zufolge stellen die demokratischen Werte und die Menschenrechte nur einen »ersatz« (dt. i. O.) des ursprünglichen »unendlichen Wertes der Person« dar, der sich in der Zeugung durch das absolute Leben begründe und so Resultat der Lebensphänomenologie sei. 311 Vgl. Kühn, Geburt in Gott, 15. 312 Dies gemahnt an die von D. Henrich aufgegriffene fichtesche Widerlegung der Reflexionstheorie; vgl. hierzu etwa Wendel, Affektiv und inkarniert, 246. 313 Vgl. etwa Kühn, Geburt in Gott, 44.
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Siewerths einflussreicher Kritik des ›abendländischen Geschicks der essentialistischen Seinsvergessenheit‹ bringt. 314 Ferner vermag Henry auf dem Niveau des ›Lebens‹ und seiner ›Zeugung‹ zugleich mit dem cogito auch Intersubjektivität und Alterität zu denken, und dies streng reziprok und ohne die etwa bei Levinas wahrnehmbare problematische Tendenz zur Asymmetrie. Hiermit verbunden ist die henrysche Rehabilitation des Gedankens der species sensibilis als eines Selbstvollzugs des Erkannten im Erkennenden 315 wenigstens im menschlich-fleischlichen Bereich, die es dem Erkannten erlaubt, sich vor und in bleibender Unabhängigkeit von aller intentionalen Vereinnahmung durch den Erkennenden als impressionale Intuition an diesem zu ereignen. Dennoch stellen sich – gerade angesichts der vernichtenden Kritik, mit der Henry nicht wenige andere Philosophen überzieht – einige Fragen hinsichtlich der Konsistenz und der Dialogfähigkeit der henryschen Lebensphänomenologie: (1) Verfällt Henrys System nicht doch letztlich und im Tiefsten dem Monismus? Wie erklärt er etwa den Widerspruch zwischen der propagierten wesenhaften Einheit mit dem einen absoluten ›Leben‹ bei gleichzeitig behaupteter irreduzibler Existenz einzelner Ipseitäten (Individuen) sowohl im ›Naturzustand‹ als auch im Stadium der erlösenden Identifikation? 316 314 Vgl. etwa Siewerths Das Schicksal der Metaphysik. Es sind generell – unschwer zurückführbar auf die verbindende Nähe zum Meisterdenker Heidegger – große Ähnlichkeiten des siewerthschen Ansatzes einer theologischen Metaphysik mit Henrys Lebensphänomenologie festzustellen. Neben der Fundamentalkritik der Intentionalitätslehre wegen ihres vermeintlich überzogenen Konstitutionsanspruches verbindet beide auch die positive Bewertung der Affektivität und prädiskursiven Erkenntnis, die Profilierung einer (der Sache, nicht dem Namen nach) impressionalen Intuition und die Überzeugung von der – im doppelten Sinne zu verstehenden – Positivität des Seins (Siewerth) bzw. ›Lebens‹ (Henry) als Ausgangsbasis alles menschlichen Denkens und Tuns. 315 Vgl. Cirne-Lima, Der personale Glaube, 69–72; GIW 377 f. Hierin ist bereits ein wesentlicher Aspekt der unten als analogia veritatis zu konzipierenden Erkenntnisrelation erreicht (vgl. 8.2). 316 Die Monismusfrage dürfte die Gretchenfrage des ganzen lebensphänomenologischen Ansatzes bei Henry wie auch seinen Schülern (hier ist vor allem an Kühn gedacht) sein. Gelingt es Henry wirklich, sich von Spinoza zu lösen, dem seine erste größere Abhandlung gewidmet war (vgl. Henrys 1942–1943 verfasste Diplomarbeit, die in dem gleichnamigen Buch Le bonheur de Spinoza eine späte Veröffentlichung erfahren hat, vgl. ebd., 9–148), oder hat J.-M. Longneaux recht mit seiner Behauptung, Henrys Werk sei im letzten »spinozistisch« (Longneaux, Études sur le spinozisme de Michel Henry;
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(2) Worin besteht daran anschließend die behauptete Freiheit der einzelnen Ipseitäten, wo doch alle Intentionalität als durchgängige Voraussetzung landläufiger Freiheitsvorstellungen verwerflich und sündhaft ist? Wieweit ist die einzelne Freiheit wirklich im Erlösungsgeschehen und erst recht darüber hinaus involviert und gewahrt, wenn Erlösung doch als Vollzug des absoluten ›Lebens‹ und Identifikation mit diesem beschrieben wird? (3) Wie kann es überhaupt auf der Ebene des ›Fleischs‹ als einzig gewisser und wirklicher Dimension ein Handeln geben; was ist eine ›transzendentale Tat‹ und ist sie nach Henrys Konzeption nicht allein ders., Kann man materiale Phänomenologie betreiben, ohne Spinozist zu sein?, v. a. 79). Henry nähert sich auch beträchtlich dem von ihm verehrten Meister Eckhart an, wenn er auf der Ebene des ›Fleischs‹ bedingtes und unbedingtes, göttliches Leben in ›reziproker phänomenologischer Innerlichkeit‹, d. h. in einem unmittelbaren Partizipationsverhältnis denkt und beiden dasselbe Wesen (essence), nämlich dasselbe Leben zuordnet (vgl. etwa Henry, Parole et Religion, 159 f.; IPC 351); vgl. hierzu Eckhart von Hochheim, Meister Eckharts Predigten, 342 f.: »Nû mac got alzemâle un kan, und dar umbe sô hât got dich im alzemâle glîch gemachet und ein bilde sîn selbes. Aber im glîch wîset ein vremde und ein verre. Nû enist zwischen dem menschen und gote noch vremde noch verre; und dar umbe enist er im nîht glîch, mêr: er ist im alzemâle glîch und daz selbe [!], daz er alzemâle ist«. Im Erlösungsgeschehen, das er gerne mit Eckharts Merksatz ›Gott gebiert mich als sich und sich als mich‹ (vgl. Eckhart von Hochheim, Meister Eckharts Predigten, 109: »er gebirt mich sich und sich mich und mich sîn wesen und sîn natûre«; vgl. z. B. IPC 354) umschreibt, läßt Henry bedingtes und absolutes Leben dann miteinander in einem Identifikationsvorgang verschmelzen, den er geradezu hegelianisch als Prozess des zu-sich-selbst-kommenden absoluten Lebens betrachtet: »Dans la mesure où il est l’Incarnation réelle du Verbe, le Christ édifie d’abord chaque soi transcendental vivant en son Ipséité originaire, qui est celle de la Vie absolue, il le joint à lui-même. En donnant chaque Soi à lui-même, il lui donne de s’accroître de soi dans un proces d’auto-accroissement continu qui fait de lui un devenir (le contraire d’une ›substance‹ ou d’une ›chose‹) – procès qui n’est autre en son fond que le procès de la Vie absolue« (IPC 357; vgl. CMV 209). Er behauptet zwar, dass in dieser Konzeption die »radikale Originalität« des Christentums, sc. die Irreduzibilität der Individualität, gewahrt sei, jedoch bleibt diese fraglich und wird paradoxerweise im »Wesen« des Individuums (vgl. IPC 354: »par essence«) begründet, das er ja vorher gerade als identisch mit dem göttlichen bezeichnet hatte. Hier sei auch an ein problematisches Zitat aus CMV erinnert, demzufolge Christus das ›Fleisch‹ des Christen sei: »[J]e ne suis par ma propre chair. Ma chair, ma chair vivante est celle du Christ« (CMV 147). Aus den Schriften R. Kühns sei hier exemplarisch nur ein Zitat herausgegriffen, demzufolge es zu verstehen gelte, »daß die gegen-reduktive ›Übergabe‹ an das Leben gerade keinerlei ›Kluft‹ zu überwinden hat, sondern solche Übergabe als ›Sprung‹ gerade in meiner Selbstaffektion die Erprobung (épreuve) des Lebens [i. e. des absoluten, göttlichen Lebens; M. L.] selbst erfährt« (Kühn, Die lebens-phänomenologische Gegen-Reduktion, 37 f.). A
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dem absoluten ›Leben‹ (= Gott), nicht aber der absolut passiven Selbstaffektion des menschlichen ›Fleischs‹ möglich? 317 (4) Überwindet Henry wirklich – wie er ja selbst glaubt – jeglichen Dualismus zwischen Leib und Seele bzw. Materie und Geist oder bietet er nicht letztlich eine Scheinlösung für dieses Problem, indem er Leiblichkeit und Materialität neu definiert und ihr herkömmliches Verständnis schlichtweg für phänomenologisch irrelevant erklärt? Ist Henrys Schilderung des Übergangs von immanenter zu äußerer Welt stringent und nachvollziehbar, und wird er Letzterer durch die generelle Abqualifizierung als ›trügerisch‹ gerecht? Unterbestimmt er nicht den Einfluss der äußeren Konstitution und Bedingtheit des ›Fleischs‹ ? 318 317 Henrys Konzeption einer ›transzendentalen Tat‹ findet sich der Sache nach etwa in IPC 215–222. Dort erklärt er, dass alles eigentliche Handeln sich nur auf Ebene des ›Fleischs‹ vollziehen kann, also als ein solches des ›transzendentalen Körpers‹, und die Welt dabei allenfalls die absolute Grenze unserer Mühen sein könne. Einzig entscheidend sei der Vorgang in der ›Lebenswelt‹, ein möglicher Einfluss auf die Außenwelt sei irrelevant und allenfalls ein irrealisierender Ausdruck der inneren Tat, so dass – analog zu den beiden Erscheinensarten – auch von einer Verdopplung des Tatbegriffs gesprochen werden könne (vgl. auch Henry, Le christianisme, une approche phénoménologique?, 29 f.). Andernorts bezeichnet er die Annahme einer äußeren Auswirkung menschlichen Handelns dann auch in aller Deutlichkeit als völlig unverständlich und als eine der zentralen Aporien der philosophischen Tradition (vgl. Henry, Phénoménologie de la chair, 180). Es fragt sich allerdings, ob Henry hier nicht ein weiteres Mal um der Prägnanz der eigenen These willen zu weit geht, lässt sich diese vermeintliche Aporie doch nicht anders denn als selbstverständlich betrachten und ist Voraussetzung jeglichen menschlichen Tuns, so etwa auch des Schreibens philosophischer Bücher (vgl. Frage 5). Weiterhin ist zu fragen, was eine solche rein unsichtbare und vor allem Bewusstsein und aller Intentionalität liegende Tat denn überhaupt bewirken soll und wie sie etwa von reiner Animalität, Determiniertheit oder auch lebensphilosophischer Irrationalität unterschieden werden kann. Henrys Konzept bietet keine überzeugenden Antworten mehr auf diese Fragen und erübrigt weiterhin auch jegliche Ethik, da eine solche ja sowohl eine Vorstellung des Gesollten erfordert, als auch ein Außen, in dem es realisiert werden kann; Henrys Ethik beschränkt sich ja nicht umsonst auf das Sichvergessen hinein ins absolute Leben, dessen Urheberschaft obendrein umstritten bleibt. 318 Henry denkt den Übergang von Immanenz zu Exteriorität freilich wesentlich differenzierter als sein Meister Descartes mit dem Modell der Zirbeldrüse, wie die Betrachtung seiner ziselierten Phänomenologie der Körperlichkeit gezeigt hat. Dennoch bleibt hier der letzte Übergang der verschiedenen ›transzendentalen‹ zum ›weltlichen‹ Körper ungeklärt und wird durch die Rede von der ambivalenten Rolle der Haut eher noch verunklart. Henry gelingt es nicht, eine wirkliche reziproke Beeinflussung von Lebensimmanenz und ›Welt‹ überzeugend darzustellen, geschweige denn ein Zusammenspiel beider; letzten Endes bleibt die bloße Existenz des äußeren Körpers mit der gesamten
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(5) Wie begegnet Henry dem Vorwurf des performativen Selbstwiderspruchs, inwiefern entgeht die ja durchaus intentional und diskursiv vorgetragene Lebensphänomenologie selbst dem von ihr postulierten irrealisierenden ›Welterscheinen‹, und wie ist Henrys fundamentale Kritik etwa der Philosophien Husserls und Heideggers angesichts dieser eigenen (und im Philosophischen überhaupt unvermeidbaren) ›Evidenzverhaftung‹ gerechtfertigt? 319 Welt radikal zweifelhaft. E. Falque wirft Henry hier zu Recht vor, dass er es sich mit seiner Konzeption zu leicht mache, und den unleugbaren Sachverhalt, dass es kein ›chair‹ ohne ›corps‹, kein ›Fleisch‹ ohne (weltlichen) ›Körper‹ gibt, zu verdrängen suche zugunsten der einfacheren Beschränkung auf die bloße Innerlichkeit (vgl. den bezeichnender Weise mit der rhetorischen Frage Y-a-t-il une chair sans corps? betiteteln Aufsatz, v. a. 123–126). Henrys von Falque beobachteter »letzter Rettungsversuch« (ebd., 120 f.: ultime tentative pour sauver) der weltlichen Körperlichkeit, der dem Welterscheinen doch eine gewisse »Effektivität« (effectivité) zubilligt, münde allerdings in das endgültige Scheitern der Erklärung der Weltwirklichkeit, da diese ›Effektivität‹ unmittelbar im Anschluss daran eben doch wieder als Irrealisierung geschildert werde (vgl. IPC 308). Henry selbst behauptet, den klassischen Dualismus durch die Verdopplung der Körperlichkeit überwunden zu haben, denke er doch immer schon in Gestalt des ›Fleischs‹ eine Verbindung von Lebensimmanenz und transzendentaler Körperlichkeit (vgl. Henry, Phénoménologie de la chair, 181); dass hier weiterhin letztlich derselbe Abgrund hin zur Materie klafft und nur verschoben ist, leugnet er dabei schlichtweg. 319 Hier drängt sich der Vergleich mit der ›Leiter‹ des wittgensteinschen Tractatus geradezu auf, den etwa J. Greisch (vgl. »Le monde à l’envers«, 72) in diesem Zusammenhang zieht: Bei logischer Konsequenz kann Henry am Ende der eigenen Argumentation eigentlich nicht anders, als die eigenen Untersuchungen als notwendigen, aber durch das Erarbeitete selbst widerlegten und überholten Anweg zu betrachten und zu verwerfen, sie also – mit Wittgenstein – nach dem erfolgreichen Besteigen gleichsam als nunmehr unnötige Leiter zurückzulassen und umzustoßen; vgl. Wittgenstein, Tractatus logicophilosophicus, 6.54 (115): »Meine Sätze erläutern dadurch, daß sie der, welcher mich versteht, am Ende als unsinnig erkennt, wenn er durch sie – auf ihnen – über sie hinausgestiegen ist (Er muß sozusagen die Leiter wegwerfen, nachdem er auf ihr hinaufgestiegen ist.)«. Inwieweit ein solches Verfahren legitim zu nennen ist und ob es nicht vielmehr die Konsistenz der gesamten Theorie in Frage stellt, dürfte dabei aber doch umstritten sein. Im Übrigen ist zu fragen, ob im lebensphänomenologischen Ansatz wirklich – wie Kühn behauptet – die verfemte parmenideische Gleichsetzung überwunden ist, es also »keinen originären Pakt mehr zwischen Denken/Sein bzw. Erkenntnis/ Heil gibt« (Kühn, Geburt in Gott, 35), oder ob dieser Pakt nicht in der neuerlichen Unmittelbarkeit und Identität von Leben (Sein) und Affektivität fortbesteht, einer Affektivität, die dann eben doch wieder denkerisch eingeholt wird. Jene philosophische Beschreibung und Erfassung der Lebensmanifestation vollzieht sich jedoch in intentionaler Weise, so dass in Henrys Werk entgegen Janicauds Vorwurf (Le tournant théologique de la phénoménologie française, 64–70) durchaus eine Methode anwest, die allerdings bedenklich an die andernorts von ihm selbst verurteilte erinnert. Vor diesem Hintergrund darf sicherlich nach der uneingeschränkten Berechtigung der henryschen Husserl- und Heideggerkritik gefragt werden, etwa im Hinblick auf seine ontologische A
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(6) Kann es daran anknüpfend überhaupt eine philosophische Besinnung auf die reine Affektivität ohne eine positive Rolle des Intellekts geben? Erfordert das ›nihil in intellectus‹-Axiom nicht auch immer schon die umgekehrte Formel (Ratzinger), bzw. jede Manifestation eine Konstitution? Ist eine rein intuitive Metaphysik ohne erkenntnistheoretische Rückversicherung gerechtfertigt? 320 (7) Erlaubt und ermöglicht Henrys Philosophie den Dialog mit anderen Positionen oder immunisiert sie sich gegen jede Form von Kritik wie Gespräch; hat ein weiterer philosophischer Diskurs und Dialog in diesem Konzept also noch Sinn? Eine theologische Kritik 321 des philosophischen Denkens Henrys mag zuerst als disziplinärer Übergriff und Anmaßung erscheinen, ist alInterpretation der zunächst methodologisch zu verstehenden phänomenologischen ¥pocffi der husserlschen intentionalen Sinngebung oder der heideggerschen ›evidenzverhafteten‹ Fundamentalontologie; vgl. hierzu etwa Copoeru, Konstitution und Manifestation; Greisch, »Le monde à l’envers«; Sepp, Der phänomenologische Urspung des Absoluten bei Husserl und Michel Henry. 320 H. Schmidinger nennt in seiner Metaphysik (vgl. 350 f.) zwei notwendige Bedingungen für die Vertretbarkeit metaphysischer Annahmen oder Postulate, d. h. nach seiner Metaphysikdefinition (vgl. ebd., 21) solcher Hypothesen, welche die Gesamtheit der Wirklichkeit betreffen (was Henrys Thesen ja wohl eindeutig für sich beanspruchen): Erstens müssten diese interdisziplinär kommunikabel sein (vgl. hierzu die anschließende Frage 6), zweitens aber – da sie doch selbst primär eine heuristische Funktion aufwiesen (vgl. ebd. 344) – vor der Erkenntniskritik gerechtfertigt werden. Freilich lässt sich mit guten Gründen bestreiten, dass alle heutige Philosophie in erster Linie Hermeneutik sein müsse, bzw. das Denken sich in einem »hermeneutischen Zeitalter« bewege (vgl. Greisch, L’âge herméneutique de la raison), dennoch kann eine Philosophie, die nicht wenigstens Ansätze einer erkenntnistheoretischen Selbstvergewisserung hinsichtlich eigener Voraussetzungen und Reichweite beinhaltet, heute redlicherweise nicht mehr vertreten werden. Henry kann leicht behaupten, dass nichts ohne die Sinne in den Intellekt gelange, er bleibt doch die Antwort schuldig, wie denn die Sinneserkenntnis selbst eine bewusste und rationale sein kann (denn als solche formuliert er sie ja als Philosoph); mit J. Ratzinger (Theologische Prinzipienlehre, 365) ist ihm also vorzuhalten, dass das ›aristotelische‹ nihil in intellectu sine sensu stets der Ergänzung um das ›platonische‹ nihil in sensu nisi per intellectum bedarf. I. Copoeru macht denn auch zu Recht darauf aufmerksam, dass Henry tendenziell den umgekehrten Fehler des späten Husserls in der Erkenntnisfrage begehe, nämlich die Spannungseinheit KonstitutionManifestation zugunsten der Letzteren aufzusprengen (vgl. Copoeru, Konstitution und Manifestation, 159–163). Freilich sei dies exakt der Fehler des frühen Husserls und Heideggers nach seiner ›Kehre‹ gewesen, nämlich die illusorische »Vorstellung eines nahtlosen Bezugs zum Ontischen« (ebd., 163). 321 Die folgenden Ausführungen sind freilich nicht die ersten dieser Art, so dass hier auf
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lerdings zweifach zu rechtfertigen: Erstens trennt Henry die Disziplinen selbst bewusst nicht (vgl. Anm. 308) und zweitens erhebt er ja dezidiert sehr weitreichende theologische Ansprüche für sein System (vgl. etwa den Gedanken des ›christlichen cogito‹). Als außerordentlich positiv ist dabei aus theologischer Sicht seine Bemühung hervorzuheben (die sich mit dem zentralen Anliegen von FR deckt), den christlichen Glauben und das philosophische Denken miteinander zu korrelieren und eine Vereinbarkeit beider anzustreben, um so allen Menschen durch seine Religionsphilosophie einen intellektuellen Verstehenszugang zum Christentum zu erlauben. 322 Henrys Systemwille versucht sich dabei an nahezu allen theologischen Bereichen und liefert philosophische ›Übersetzungen‹ zahlreicher zentraler Theologumena: So bietet er innovative und teils sehr fruchtbare Interpretationsmuster für theologische Anthropologie und Hamartiologie (bspw. hinsichtlich der göttlichen Ebenbildlichkeit des Menschen, aber auch der Erbsünde und ihrer Konsequenzen oder auch hinsichtlich der Würde und des Geheimnisses menschlicher Personalität), für Christologie und Soteriologie (Schöpfungsmittlerschaft Christi, Inkarnation und Erlösung in und durch Christus), Gnadenlehre (Unsichtbarkeit und Prävalenz der Gnade 323 und – wenigstens partiell gedachte – Kooperation im Gnadengeschehen), für Ekklesioeine Reihe theologischer Kritiker rekurriert werden kann: Hier sei zunächst nur die sehr scharfsinnige und präzise Kritik von J. Doré hervorgehoben, deren sechs Teilmomente sich wie folgt zusammenfassen lassen: 1. Ausfall jeglicher theologia crucis, 2. unkritische Exegese, 3. Doketismusnähe, 4. Schöpfungsmissachtung, 5. insuffiziente Pneumatologie und 6. Schweigen über die Kirche (Vgl. Doré, »C’est moi la vérité«, 39 f.). Vgl. aber auch die übrigen Beiträge des von Ph. Capelle herausgegebenen Tagungsbands Phénoménologie et christianisme chez Michel Henry. 322 So hebt etwa J. Greisch hervor (vgl. »Paroles du Christ«, 210). 323 Vgl. etwa die allerdings ein wenig voreilige Feststellung J.-L. Souleties bezüglich des henryschen ›Fleischs‹ und seiner Beziehung zu Christus als dem ›Leben‹ : »N’est-ce pas ce que la théologie cherche à dire en parlant de la grâce à l’intérieur de laquelle chacun et le monde sont toujours déjà pris. Le Don opère sa propre acceptation et le Don n’est rien d’autre que Dieu lui-même en tant qu’il se donne dans son être propre, ce qui exclut que la grâce soit un objet du monde« (Souletie, Incarnation et théologie, 138). Souletie zieht hier – wie Ph. Capelle (Phénoménologie et vérité chrétienne, 51) – eine Parallele zu v. Balthasars Wahrheitsschrift mit ihrer Beschreibung der (im letzten ebenfalls unsichtbaren) Personalität und Innerlichkeit als Ort des Wahrheits- und möglichen Heilsgeschehens. Dieser Vergleich dürfte allerdings angesichts der orthodoxen Protologie v. Balthasars und seiner Vorstellung verschiedener (Seins-) Stufen der Innerlichkeit und ihrer bleibenden Verbundenheit mit der materiellen Welt angesichts Henrys latentem Dualismus und Anthropozentrismus mehr Trennendes als Gemeinsames ergeben. Natürlich ist die ungeschaffene Gnade – wie Souletie betont – nicht ›von der Welt‹, aber A
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logie (unsichtbarer ›mystischer Leib‹ und Communio sanctorum) und schließlich gar für die Trinitätslehre an. Allerdings zeigt sich gerade an letztgenannter Stelle bereits exemplarisch die Hypertrophie seines Anspruches, liefert er doch nicht nur in guter augustinisch-richardischer Tradition Analogien und Verstehenshilfen für die Dreifaltigkeit, sondern führt im letzten einen – freilich ›lebensphänomenologischen‹ – Beweis für die einzelnen göttlichen Personen durch, so dass sie dem Subjekt gewisser werden als die es umgebende Welt. Demzufolge lassen sich doch eine Reihe theologischer Anfragen formulieren, natürlich mit der vorgeschobenen Einschränkung, dass Henry trotz der in seinem Werk vorherrschenden und offen eingestandenen Disziplinenkonfusion als Philosoph schreibt und in keiner Weise ›indiziert‹ werden soll: (1) Kann Henry angesichts der gedachten radikalen und distanzlosen Immanenz Gottes im Geschöpf überhaupt noch eine göttliche Transzendenz resp. eine Trennung von Gott und Schöpfung denken? Verfällt er nicht weiterhin – freilich unter monistischen Vorzeichen – dem trinitätstheologischen ›error Abbatis Ioachim‹ ? Kann es einen jeglicher Differenz entblößten ›christlichen Monismus‹ geben? 324 dennoch wirkt sie ›in der Welt‹ und diese Wirkung darf nicht auf irgendeine menschliche Innerlichkeit reduziert werden. 324 Die Frage bezieht sich vor allem auf die stark monismusverdächtigen Passagen des henryschen Werks, die von ›essentieller‹ Identität bzw. »Ko-Naturalität« (co-naturalité: IPC 332) Gottes und des Menschen sprechen und Gott letzten Endes (und zwar ausschließlich!) mit dem ›absoluten Leben‹ identifizieren, das allen bedingten Leben (den Menschen) inhäriere und sie miteinander verbinde. Da nun alles aktive, heilsrelevante ›wirkliche Handeln‹ (i. e. Handeln auf Ebene des ›Fleischs‹) allein dem absoluten Leben möglich sei, nicht aber dem zu absoluter Passivität verurteilten Menschen, und der Erlösungsvorgang gar als Selbstwerdungsprozess dieses absoluten Lebens beschrieben wird, erhärtet sich der anfängliche Monismusverdacht, nähert sich Henrys Denken bedenklich dem Pantheismus Spinozas oder auch Eckharts. Kühn verteidigt dann auch konsequent Eckhart gegen die lehramtliche Zensur durch Papst Johannes XXII.. (vgl. DH 950–980; Kühn, Geburt in Gott, 225). Henry ist den Aufweis einer wirklichen Vereinbarkeit dieser Lehre mit der gleichzeitig postulierten ›christlichen‹ Unaufhebbarkeit einzelner menschlicher Individualität schuldig geblieben. Die Univozität des Lebensbegriffs verunklart – wie G. Dufour-Kowalska zu recht anmerkt (Die phänomenologische und die christliche Offenbarung Gottes, 232) – die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch. Weiterhin, und dies stünde im Falle des tatsächlichen Monismus ohnehin außer Frage, wiederholt Henry durch seine Lehre von der ›reziproken phänomenologischen Innerlichkeit‹ als Verhältnisbeschreibung sowohl von Vater und Sohn als auch von Sohn und erlöster Menschheit auf gewisse Weise die durch das IV. Lateranense (mittels der Analogielehre!) zensurierte Irrlehre Joachim von Fiores (vgl. DH 803–
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(2) Wie lässt sich die mit Henrys monistischen Tendenzen verbundene Abwertung alles ›Weltlichen‹ bzw. Körperlichen und seine tendenzielle Gleichsetzung von Sexualität und Sünde (vgl. 2.2.2) mit der christlichen Lehre von der guten Schöpfung und der Leib-Seele-Einheit des Menschen vereinbaren? Entgeht er wirklich der Versuchung des Dualismus, und ist seine Ersetzung der ›Schöpfung‹ durch die ›Zeugung‹ legitim? 325 (3) Sind seine Christologie und Soteriologie vor diesem Hintergrund orthodox? Welchen Wert und welche Rolle misst er Christi ›weltlicher‹ Leiblichkeit, seinem Leiden und Kreuzestod zu? 326 808): Auch dieser hatte die beiden Verhältnisse gleichgesetzt, jedoch nicht um die Verhältnisglieder im letzten monistisch in eins fallen zu lassen, sondern um die innertrinitarischen Relationen im Gegenteil in tendenziell tritheistischer Weise aufzulockern. 325 Hier ist auf die Überlegungen zur vierten philosophischen Anfrage und die dort eruierte Fraglichkeit des henryschen Lösungsansatzes für die Dualismusproblematik zu verweisen. Christliche Protologie vermeidet jeglichen Dualismus, für sie gibt es nicht zwei voneinander unabhängige Welten des Innen und Außen, von denen eine gut und bewahrenswert, die andere aber wenigstens ontologisch minderwertig, wenn nicht gänzlich zu verwerfen wäre. Henrys extreme Abwertung des Außen lässt sich wohl nur schwerlich mit dem Prinzip der ›creatio ex nihilo‹ und der mit jener göttlichen Allursächlichkeit verbundenen, wenigstens anfänglichen Gutheit alles Geschaffenen verbinden. Gutes wie Böses entstammen gleichzeitig personaler Innerlichkeit und wirken doch stets auch auf das ›Außen‹, das sie umgekehrt wiederum zu beeinflussen, freilich aber nicht zu determinieren vermag (vgl. das Konzept der analogia libertatis, 8.3). Henrys Beschränkung alles göttlichen Schöpfungshandels auf die ›Zeugung‹ bedingten Lebens, d. h. menschlicher Interioritäten stellt dabei nicht allein eine der jüdisch-christlichen Schöpfungsvorstellung unzulässige, radikale Anthropozentrierung des Kosmos dar, sondern geht darüber hinaus auch mit einer verkürzten Anthropologie einher, die die ›weltliche‹ Leiblichkeit und Materiegebundenheit als integralen Bestandteil des Menschen in seiner psycho-phyischen Einheit ausblendet. So gibt es christlich eigentlich kein ›chair‹ ohne dazugehörigen ›corps‹ (vgl. Falques Aufsatz Y a-t-il une chair sans corps?), sind erscheinende Seele und Leib vielmehr gleichursprünglich (vgl. etwa H I, 18). 326 Blanchard wirft zu Recht die Frage auf (vgl. Michel Henry, 85), inwieweit Henry überhaupt an eine geschichtliche und nicht bloß an eine transzendentale Inkarnation Christi denke. Angesichts der unbefriedigenden Lösung des Dualismusproblems ist der Doketismusvorwurf in der Tat nicht so leicht von der Hand zu weisen, wie es etwa Ph. Capelle tut (Phénoménologie et vérité chrétienne, 50 f.). Vgl. hierzu auch Falque, Y a-t-il une chair sans corps?, hier v. a. 132 f. Falque beharrt mit Tertullian auf dem »Staub« (le limon) als Konstitutivum des Menschen, von dem im zweiten Schöpfungsberichts die Rede ist (vgl. Gen 2,7: tq5p5). Aber die »Bühne der Geschichte« (la scène de l’histoire: Blanchard, Michel Henry, 85) bleibt bei Henry nicht allein hinsichtlich der Inkarnation unterbelichtet, auch irdisches Leben wie Leiden und Kreuzestod Jesu nehmen keinen zentralen Platz im System ein, dessen Fokus sich ausschließlich auf die Innerlichkeit A
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(4) Ist angesichts der stark monistischen Züge der Kosmologie und des Erlösungsprozesses eine wirkliche geschöpfliche Freiheit und Mitwirkung gewahrt (vgl. die ersten beiden philosophischen Anfragen)? Ist angesichts dessen noch eine sichtbare Kirche denkbar und, sofern dies der Fall sein sollte, auch nötig und heilsrelevant? (5) Wahrt Henrys Ansatz die formale und material-inhaltliche Freiheit der Offenbarung und kann er der besonderen Offenbarung in Jesus Christus mehr als einen bloß instruktionstheoretisch-katalysatorischen Status zuerkennen? Welche Rolle spielt für ihn die Schrift? Ist Henry womöglich Gnostiker? 327 der menschlichen Beziehung zu Christus richtet. Eine Heilsbedeutung des Kreuzesopfers könnte daher allenfalls in einer fleischesimmanenten Hingabe des Sohnes liegen, nicht aber in der im Credo bekannten leiblichen Dimension. Das Kreuz rückt so in die Nähe eines bloßen Symbols, wobei das Leiden Christi in bedenklicher Weise spiritualisiert wird. 327 Henry erklärt mehrfach in erfreulicher Offenheit und Deutlichkeit, dass jegliche (besondere) Offenbarung Gottes nicht allein in Korrelation zur inneren, jedem Menschen kraft Partizipation am absoluten Leben gegebenen Offenbarung stehen, sondern letztlich mit ihr identisch sein muss.Vgl. etwa Henry, Phénoménologie de la chair, 166, wo er hinsichtlich der Bibel, und d. h. pars pro toto hinsichtlich der geschichtlichen Offenbarung überhaupt, erklärt »[C]’est la parole de la Vie qui dans la Bible emprunte le langage des hommes pour s’adresser à eux«, um dann rhetorisch zu fragen: »Les Écritures disent-elles autre chose que cette naissance transcendentale de tout individu singulier dans la Vie de son unique Père, sa condition de fils?«; vgl. hierzu auch Henry, Parole et religion, 136. Henry hatte schon in seiner Habilitationsschrift erklärt: »La phénoménologie est plutôt une critique de toute révélation« (L’essence de la manifestation, 55; vielleicht erklärt sich hierher B. Waldenfels’ Diktum von dem ›absolut religionskritischen‹ Henry, vgl. oben, Anm. 5). Diese Position erscheint angesichts der angenommenen Selbstoffenbarung Gottes in der ›fleischlichen‹ Innerlichkeit allerdings nur als konsequent: Die allgemeine ist bereits die besondere Offenbarung, alles Geschichtliche bestenfalls Katalysator dieser transzendentalen Größe. Aber wird hier nicht ein philosophisches Gedankengebäude anstelle der Offenbarung gesetzt, erliegt die Konzeption nicht der von Rahner beschriebenen Versuchung »ein Schema abstrakter Metaphysik stillschweigend zur norma non normata dafür zu machen, was, wie und wer Gott sein ›darf‹« (Schriften zur Theologie, Bd. VIII, 173)? So schreibt etwa auch Kühn (Geburt in Gott, 83) folgerichtig, die Offenbarung sei »die Selbstphänomenalisierung des Lebens als die Selbstoffenbarung Gottes, sofern Gott nichts anderes als das ›Leben‹ im Sinne ununterbrochener, absoluter Selbstaffektion ist«, und zieht daraus die Schlussfolgerung: »Wäre Christus historisch nie bezeugt worden, oder hätte ihm niemand geglaubt, […] er wäre nicht weniger die bleibende Offenbarung des ›Wortes Gottes‹, was es mit dem Einspringen in das Leben und dessen spezifischen Logos der Gegenreduktion zu verstehen gilt« (ebd. 84). Angesichts solcher Konsequenz lässt sich der Gnosisvorwurf P. Claviers sehr wohl nachvollziehen: Auch wenn die Lebensphänomenologie eine soteriologische Bedeutung der Offenbarung in Christus nicht explizit ausschließt, so
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(6) Gibt es angesichts dessen noch einen Unterschied zwischen der – lebensphänomenologisch aufgeklärten – inneren Lebensgewissheit und dem Glauben? Verschmelzen Philosophie und Theologie bei konsequenter Durchführung des Systems nicht zu einem neuartigen, doppelten Fideismus? Sind Henrys und Kühns Kurzformeln des Christlichen nicht Verkürzungen? 328 wird diese doch stark herabgemindert, und ihre Erkenntnis oder der Glaube an sie als völlig heilsirrelevant erklärt. Dass diese Position erst recht offenbarungstheologisch verheerende Folgen hat, dürfte auf der Hand liegen. Clavier schreibt also mit einigem Recht: »M. Henry semble s’installer dans une posture gnostique […]. Ce que Dominique Jannicaud [sic! M. L.] a appelé le tournant théologique de la phénoménologie française comporte donc cette orientation gnostique de mise hors circuit du monde« (Clavier, Un tournant gnostique de la phénoménologie française? 312 f.). Der Gnosisverdacht wird weiterhin durch die typische Verwerfung des Alten Testaments genährt, vgl. etwa Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 357. 328 Der Henry und seinen Anhängern wenigstens stellenweise zu unterstellende ›doppelte‹ Fideismus ist zu verstehen als zweifache Immunisierung des Glaubens gegen jegliche kritische Anfrage, einmal als Offenbarungspositivismus (Fideismus in klassischer Form), dann aber auch als ›hermetische Abriegelung‹ eines philosophischen Gedankengebäudes bei gleichzeitig behaupteter unbedingter Evidenz. Dieser ›doppelte Fideismus‹ der Lebensphänomenologie ist im Rahmen christlicher Religionsphilosophie aus theologischen Gründen in der vorliegenden Form unannehmbar: Wie in der Einleitung dargelegt kann diese nämlich keineswegs auf philosophische Vermittlung – und das heißt eben Dialog und Kontroverse – verzichten, ist christliche Glaubenserfahrung stets auf den Nachvollzug in Wort und Dialog angelegt (vgl. Brague, Was heißt christliche Erfahrung?, 494), steht der Glaube jedem irrationalen Intuitionismus entgegen (vgl. etwa Splett, Gotteserfahrung im Denken, 28). Henry verurteilt – so die richtige Einschätzung P. Claviers – durch seinen intuitionistischen Kurzschluss der praeambula die außerchristliche Welt zur Idolatrie (vgl. Clavier, Un tournant gnostique de la phénoménologie française?, 314?). Weiterhin lässt sich der Glaube als personales Geschehen nicht einfachhin in Erkenntnis auflösen, da dies sowohl der personal-geheimnishaften Integrität und Freiheit Gottes als auch jener des Menschen zuwiderliefe. So impliziert ›Glaube‹ nach christlichem Verständnis immer auch einen Verlust an ›Erkenntnissicherheit‹ zugunsten der »lichten Sicherheit« (Balthasar, Gotteserfahrung biblisch und patristisch, 505) der personaler Übereignung, so wie die ›Liebe‹ Gottes nicht »Gleichwesenhaftigkeit, sondern […] freien göttlichen Willen und Gnade« bedeutet (DufourKowalska, Die phänomenologische und die christliche Offenbarung Gottes, 240). Weiterhin widersprechen die geforderte absolute Kongruenz der allgemeinen mit der besonderen Offenbarung wie auch die unmittelbare, vollkommene Evidenz der Ersteren dem Gedanken einer freien, göttlichen Selbstmitteilung. Vor diesem Hintergrund ist die von Kühn (Geburt in Gott, 91) aufgestellte ›Kurzformel‹ des Christentums unzureichend, wenn nicht falsch: »Der Kernsatz des Christentums lautet nämlich: Gott offenbart sich […]. Er sagt ihnen [sc. den Menschen; M. L.] nicht irgendeinen Glaubensinhalt, der nur für Eingeweihte zu entbergen oder zu entziffern wäre, sondern ›Er sagt sich‹ als die Selbstphänomenalisierung des Lebens, die jedem Lebendigen als solchem eignet«. Auch Henrys Definition des proprium christianum als Gedanken des UrA
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Bei aller Kritik im Grundsätzlichen wie im Detail bleibt Henrys Versuch einer religionsphilosophischen Explikation des Christentums jedoch ein philosophisch wie theologisch faszinierendes, ungemein innovatives und in mancherlei Grundintuition unbedingt zu bewahrendes Unternehmen, das in folgende – durchaus orthodox verstehbare – Spitzenaussage mündet: »Die Wahrheit des Christentums ist, dass Derjenige, der sich Messias nannte, wirklich dieser Messias wahr, der Christus, der Sohn Gottes, geboren vor Abraham und vor aller Zeit, der das ewige Leben in sich trägt, das er mitteilt, wem er will, bewirkend, dass das, was ist, nicht mehr sei, oder aber das, was tot ist, lebe«. 329
sprungs aller Ipseität aus der ›Uripseität‹ vermag nicht zu überzeugen, vgl. Henry, Phénoménologie de la chair, 163. Natürlich steht außer Zweifel, »daß es keine menschliche Subjektivität ohne Gott als ihr Prinzip gibt« und dass dies Teil des »christlichen Logos« ist (Dufour-Kowalska, Die phänomenologische und die christliche Offenbarung Gottes, 236), allein erschöpft sich dieser nicht darin. 329 CMV 13: »La vérité du christianisme est que Celui-là qui se disait le Messie était vraiment ce Messie, le Christ, le Fils de Dieu né avant Abraham et avant les siècles, porteur en lui de la Vie éternelle, qu’il communique à qui bon lui semble, faisant que ce qui est ne soit plus ou bien que ce qui est mort soit vivant«.
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3. Emmanuel Levinas’ ›Alteritätsphänomenologie‹ »Visage comme à-Dieu, naissance latente du sens […]. Régime de l’autrement qu’être […]. La signification, l’à-Dieu, le-pour-l’autre – concrets dans la proximité du prochain – ne sont pas une quelconque privation de la vision, une intentionnalité vide, une pure visée; il sont la transcendance«. 1
Eine kurze Einführung in das Werk des litauisch-französischen jüdischen Philosophen Emmanuel Levinas (1906–1995) 2 scheint angeDI 253. Die beiden Hauptwerke AQE und TI werden jeweils zweifach zitiert, zunächst mit der Seitenangabe aus der Originalausgabe, dann mit der entsprechenden Angabe aus der Taschenbuchausgabe (»Lp« = Livres Poches); offensichtliche Druckfehler in einer Ausgabe werden stets zugunsten der richtigen Textversion unterdrückt. Zur hier bevorzugten ›akzentfreien‹ Schreibweise des Namens Levinas vgl. Kap. 1, Anm. 82. 2 Zur ebenso bewegten wie bewegenden Biographie des Denkers vgl. etwa seine eigenen Ausführungen in Form eines »inventaire disparate« in dem kurzen und seltsam unpersönlichen Rechenschaftsbericht Signature (DL 405–412, dort v. a. 405 f.; der ganze Aufsatz wird ausführlich kommentiert von Stegmaier, Levinas, 25–69) sowie die einschlägigen Monographien von M.-A. Lescourret und S. Malka (beide: Emmanuel Lévinas). Auf kleinem bzw. kleinstem Raum finden sich Übersichten zu Leben und Werk auch etwa bei B. Casper (Denken im Angesicht des Anderen), Miething (Art. Levinas) und Sirovátka (Ethik als Anspruch der Heiligkeit, 387–396). In vorliegender Untersuchung wird bewusst auf die Parallelsetzung von Leben und Werk zu dessen ›Erklärung‹ verzichtet, obwohl sich eine solche geradezu aufdrängt. So ließe sich leicht ein Zusammenhang zwischen der zunehmenden Radikalisierung des ethischen Neuansatzes Levinas’ nach dem Zweiten Weltkrieg und der Schoah ziehen, ließe sich die Jahreszahl ›1941‹ (vgl. HAH 45: »1941! – trou dans l’histoire – année où tous les dieux visibles nous avaient quittés, où Dieu est véritablement mort ou retourné à son irrévélation«.) oder die Ortsangabe ›Auschwitz‹ als »das bestimmende ›Datum‹« (Freyer, Zeit – Kontinuität und Unterbrechung, 15) der levinasschen Philosophie ausmachen. Dennoch soll hier aus Gründen der Pietät das Unerklärliche nicht selbst zur Erklärung dienen, und Levinas’ unbeschreibliches und ganz persönliches Leid, von dem die hebräische Widmung von AQE zeugt (AQE V/Lp 5; übersetzt etwa in Henrix, Einführung, 12), nicht zur Deutung seines Werks herangezogen werden. W. N. Krewanis Ansicht zu diesem Problemfeld geht allerdings wohl zu weit: »Der Respekt vor den traumatischen Erfahrungen, die in ihnen [den levinasschen Texten; M. L.] sichtbar werden, verbietet es im Prinzip, mit ihnen wie mit beliebigen anderen Texten umzugehen, über die diskutiert wird und die in Frage gestellt werden können« (Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 44). Dass Levinas selbst – laut der persönlichen Erfahrung Krewanis und anderer – nicht diskutiert und seine Thesen nicht weiter inhaltlich erläutert hat, ja vielleicht gar »kein Mensch des Dialogs« (ebd.) gewesen ist, ändert doch nichts am aufklärerischen und verständniserheischenden Anspruch seines Denkens, der sich im philosophischen Diskurs 1
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sichts dessen beachtlichen Umfangs und Detailreichtums, a fortiori aber mit Blick auf die enorme Fülle an Sekundärliteratur 3 von vorneherein eine contradictio in adiecto darzustellen und ohnehin andernorts und aus berufeneren Federn bereits erfolgt zu sein, dennoch kann sie hier nicht gänzlich ausbleiben: Levinas hat in seinem langjährigen Denken und Publizieren in Kontinuität und Wandel eine ganz eigene Philosophie entwickelt, die als ›Phänomenologie der Alterität‹ herausgearbeitet werden soll. 4 Levinas’ philosophischer Denkweg erstreckt sich über den Zeitraum von 1930 (dem Erscheinungsjahr der ersten größeren Publikation, seiner Dissertation Théorie de l’intuition dans la phénoménologie de Husserl) bis in die 90er Jahre hin. Unter den Veröffentlichungen dieser langen Schaffenszeit finden sich unzählige Aufsätze (hier seien nur exemplarisch drei wichtige Schlüsselaufsätze genannt: Le temps et l’autre von 1947, Liberté et commandement von 1953 und Le Moi et la Totalité von 1954), dazu mehrere Aufsatzsammlungen (so z. B. die vielfach neu aufgelegten und erweiterten En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger von 1949, Difficile liberté von 1963, Humanisme de bewähren soll und muss. Das Standardwerk zur primären wie sekundären Bibliographie Levinas’ ist Burggraeve, Emmanuel Levinas; eine Aktualisierung liefert P. Fabre (Bibliographie d’Emmanuel Levinas). 3 Hier muss im Rahmen dieser Untersuchung naturgemäß eine starke Auswahl getroffen werden, als maßgebliche Referenzen sind daher die folgenden Arbeiten hervorzuheben: Funk, Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas; Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich; Stegmaier, Levinas; Strasser, Jenseits von Sein und Zeit; Taureck, Emmanuel Lévinas zur Einführung; Wiemer, Die Passion des Sagens; Wolzogen, Emmanuel Levinas; sowie die Sammelbände: Chalier/Abensour (Hg.), Emmanuel Lévinas; Greisch/Rolland (Hg.), Emmanuel Lévinas; Henrix (Hg.), Verantwortung für den Anderen; Wohlmuth (Hg.), Emmanuel Levinas. Eine breite Übersicht über die internationale Levinasforschung bietet in vier voluminösen Bänden Katz (Hg.), Emmanuel Levinas; zur Religionsphilosophie vgl. hier v. a. den dritten Band: Levinas and the question of religion. Es überrascht allerdings, dass es in dieser nützlichen und sprachlich (allerdings unsinniger Weise auf Englisch) vereinheitlichten Aufsatzsammlung für unnötig erachtet wird, einen deutschen Vertreter unter die leading philosophers (vgl. den Untertitel) im Gefolge Levinas’ aufzunehmen, wie J. Wohlmuth mit leichtem Befremden konstatiert (Emmanuel Levinas im Spiegel der internationalen Rezeption, 370). 4 Der Terminus stammt von Levinas selbst, vgl. TA 14: »la phénoménologie de l’altérité et de sa transcendance«. Er nennt sein Philosophieren etwa auch »[P]hénoménologie […] de la socialité« (EN 175), »Phénoménologie de l’idée de l’Infini« (DI 11, i. O. kursiv) oder »Phänomenologie des Antlitzes« (Levinas, Totalität und Unendlichkeit, 7). Es wird freilich noch zu klären sein, was er unter Phänomenologie versteht und wie er sich gegenüber deren klassischen Vertretern positioniert; vgl. hierzu unten, Kap. 3.1, v. a. Anm. 71.
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l’autre homme von 1972 und Entre nous von 1991) und schließlich zahlreiche Monographien (etwa das hauptsächlich in deutscher Kriegsgefangenschaft verfasste De l’existence à l’existant von 1947, sowie die drei Hauptwerke Totalité et Infini, seine Habilitationsschrift aus dem Jahr 1961, Autrement qu’être ou au-delà de l’essence, von 1974 und De Dieu qui vient à l’idée von 1982). 5 Die Liste beschränkt sich auf die wesentlichen Referenzen dieser Untersuchung und ist bei weitem nicht vollständig, spart sie doch etwa Levinas’ diverse Interviews, Konferenzen und Diskussionen, vor allem aber auch seine Bibel- und Talmudkommentare aus. Das Denken des großen Humanisten speist sich aus verschiedenen Quellen, so namentlich aus der letztgenannten, dem jüdischen Erbe. 6 Dieses setzt sich Die beiden letztgenannten können allerdings ebenfalls als Aufsatzsammlungen betrachtet werden, wenngleich Levinas sie als abgeschlossene Monographien qualifiziert und in eine Reihe mit TI stellt (vgl. Lévinas, Totalität und Unendlichkeit, 7 f.). J. Rolland bezeichnet TI und AQE als Levinas’ einzige »organisch aufgebaute große Bücher« (grand[s] livre[s] organiquement bâti[s]: Rolland, L’Ambiguïté comme façon de l’autrement, 427), was freilich angesichts der losen Aneinanderreihung der Studien in AQE auch bestritten werden kann. Alle Daten in diesem Abschnitt beziehen sich auf die jeweilige Erstveröffentlichung. 6 Dieser Hintergrund, hier weniger als biographischer, denn als ideengeschichtlicher von Interesse, besteht in erster Linie aus der ostjüdischen Sozialisation Levinas’ im Geiste der Mitnaggdim zwischen halaskischer Gelehrsamkeit und chassidischer Mystik, sodann aber auch aus seinen Pariser Studien bei dem geheimnisvollen, »angesehenen Meister« (maître prestigieux: DL 405) Chouchani, und ist von immenser Wichtigkeit für das Verständnis seines Denkens; vgl. hierzu etwa Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 30–34, sowie C. Chaliers Monographie zum Thema (Lévinas). Levinas setzt sich vielfach auch mit jüdischen Philosophen auseinander, so in erster Linie mit Franz Rosenzweig, wie etwa das verblüffende Eingeständnis in TI zeigt (XVI/Lp 14): »L’opposition à l’idée de totalité, nous a frappé dans le Stern der Erlösung de Franz Rosenzweig, trop souvent présent dans ce livre pour être cité«. Zu Levinas’ Adaption der rosenzweigschen Existenzphilosophie, die laut R. Funk (vgl. Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 41) jedoch nicht wesentlich über die Totalitätskritik hinausgehe und auch nicht übertrieben werden solle, vgl. etwa Casper, Illéité, 282–287; Görtz, Totalität und Transzendenz; Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 21–29. Weitere jüdisch-philosophische Gesprächspartner sind etwa der ›große Apostat‹ Spinoza, Hermann Cohen und Martin Buber (der evangelisch getaufte Edmund Husserl sei hier einmal ausgenommen). So gesteht St. Strasser, verdienstvoller Autor der ersten größeren deutschsprachigen Publikation über Levinas (Jenseits von Sein und Zeit), etwa mündlich ein, die Bedeutung der spezifisch jüdischen Schriften Levinas’ gegenüber den vermeintlich rein philosophischen in seinem Standardwerk unterschätzt zu haben (vgl. Henrix [Hg.], Verantwortung für den Anderen, 88 f.), während W. N. Krewani an der seiner Meinung nach von Levinas selbst gewählten strengen Trennung beider Textkorpora festhält (vgl. Es ist nicht alles unerbittlich, 44). Eine derartig sortenreine Unterscheidung dürfte angesichts der unzähligen biblischen Topoi und Typoi in Levinas’ phi5
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bei ihm zusammen aus der hebräischen Bibel, der rabbinischen Tradition und (sofern eine solche tatsächlich als eigenes Genre des Philosophischen gelten kann) der jüdischen Philosophie. Ein weiterer wichtiger Hintergrund seines Denkens ist die Phänomenologie, die er spätestens in seinem Freiburger Studienjahr 1928/1929 kennen lernte und in Frankreich maßgeblich mitverbreitet hat. 7 Alles in allem ist Levinas’ Denken wohl – in einem weiteren Sinne als dem christlichen – insgesamt als Religionsphilosophie zu bezeichnen, kreisen seine Gedanken doch stets nicht allein um das Humanum, sondern auch – oder besser gesagt gerade darin – um das rechte Verständnis von Religion, 8 Transzendenz und Gott. Auch losophischen Schriften wie auch ihrer teilweise religiösen Inspiration unmöglich sein. Den Zusammenhang zwischen seiner Philosophie (hier vertreten durch die zentrale Kategorie der visage) und der hebräischen Bibel hebt Levinas etwa in seiner Polemik gegen Simone Weils verinnerlichtes Bibelverständnis hervor: »Pour nous, le monde de la Bible n’est pas un monde de figures, mais de visages. Ils sont entièrement là et en relation avec nous. Le visage de l’homme – c’est ce par quoi l’invisible en lui est visible et en commerce avec nous« (DL 199). 7 Vgl. neben seiner genannten Doktorarbeit vor allem auch seine zusammen mit G. Peiffer besorgte Übersetzung der Cartesianischen Meditationen (Husserl, Méditations cartésiennes). D. Janicaud übersieht in seiner Polemik diese wesentliche Rolle Levinas’ für die französische Husserlrezeption geflissentlich, behauptet er doch, diese habe mit fünfzigjähriger (sic!) Verspätung 1939 durch einen Sartreaufsatz begonnen und sei stark simplifizierend gewesen (vgl. Janicaud, Le tournant théologique de la phénoménologie française, 8). Tatsächlich ist Sartre – wie auch zahlreiche weitere ›große‹ französische Philosophen des 20. Jahrhunderts, etwa Merleau-Ponty, Derrida, Ricœur u. a. – erst durch Levinas auf Husserl aufmerksam geworden. So schreibt er etwa: »[J]e vins à la phénoménologie par Levinas« (Situations IV, 192); vgl. hierzu auch Lévy, Le siècle de Sartre, 173. Interessant ist in diesem Zusammenhang ebenfalls die ›Levinaswende‹ des späten Sartre, vgl. ebd., 745–751, v. a. 747: »Ce dernier Sartre est lévinassien«. Weiterhin erscheint Levinas’ Dissertation weder ein halbes Jahrhundert zu spät (andernfalls müsste bereits 1880 von einer husserlschen Phänomenologie gesprochen werden können, gemeinhin aber werden die Logischen Untersuchungen von 1900–1901 oder gar erst die Ideen von 1913 als Geburtsstunde betrachtet), noch kann sie einfach als ›simpel‹ abgetan werden. So schreibt etwa Ricœur (À l’école de la phénoménologie, 167): »Le livre [ThI; M. L.] tout simplement fondait les études husserliennes en France«. Er verweist darauf, dass es wiederum Levinas war, der nach dem Zweiten Weltkrieg den Franzosen das »phänomenologische Feld« (le champ phénoménologique) wiedereröffnet habe, dieses Mal freilich im Rahmen einer dezidiert kritischen Auseinandersetzung mit den Ansätzen Husserls und Heideggers (vgl. ebd.). 8 B. H. F. Taurecks mit zwei Stellen (!) belegte These, Levinas habe mit seinem Vorbild F. Rosenzweig die Vorstellung, ja gar das Wort ›Religion‹ »[e]liminier[en]« wollen (Emmanuel Lévinas zur Einführung, 37 f.) ist angesichts der unzähligen positiven Verwendungen des Wortes als Ausdruck der ethischen Beziehung und des authentischen Menschseins unhaltbar. Freilich unterlegt Levinas ihm eine genuine Signifikation, die
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seine Forderung nach einem gewissen formalen Atheismus in der Metaphysik zur Beschreibung des menschlichen Naturzustands der Separation erklären sich nur vor dem Hintergrund der Suche nach angemessenem Sprechen von der Deitas und haben nichts mit explizit-materialem Atheismus zutun, den Levinas gerade als Inbegriff der allenthalben verurteilten Totalitätsphilosophie betrachtet. 9 So bedarf die Heranziehung des levinasschen Œuvres im Rahmen der vorliegenden Untersuchung zur Rechtfertigung wohl nur noch des erneuten Hinweises, dass es ihr nicht um christliche Vereinnahmung, noch weniger aber um Korrektur eines jüdischen Denkansatzes geht, sondern um die Frage, inwieweit christliche Religionsphilosophie durch dieses Denken infragegestellt ist und was sie von ihm zu lernen vermag. Abgesehen davon, dass Levinas faktisch bereits stark in christlicher Religionsphilosophie und Theologie rezipiert worden ist 10 – und zwar in teils ungenügend kritischer und reflektierter Weise –, 11 hat er selbst auch immer wieder den interreligiösen philonoch zu behandeln sein wird (vgl. 3.3). An beiden von Taureck genannten Stellen behandelt Levinas bestimmte Ausdrucksformen von Religion, vgl. Lévinas, Hors sujet, 80; DL 243. Zum levinasschen Konzept von ›Religion‹ vgl. etwa Casper, Hermeneutische »Phänomenologie der Religion« und das Problem der Vielfalt der Religionen, 73–78, sowie unten, 3.3. 9 Vgl. DEHH 232.263.297. Vielleicht ist auch HAH 34 in diesem Sinne zu verstehen. Zu den von Levinas unterschiedenen (und stark unterschiedlich bewerteten!) Arten des Atheismus vgl. unten 3.3. 10 So vor allem im angelsächsischen Sprachraum und den Niederlanden, mehr und mehr aber auch in der deutschsprachigen Wissenschaft. Chr. v. Wolzogen sieht sich deswegen gar zu dem Desiderat veranlasst, den ›wahren Levinas‹ hinter der theologischen ›Erbaulichkeitsdeutung‹ freizulegen (vgl. Wolzogen, Emmanuel Levinas, 16). Die theologische Rezeption in der deutschsprachigen Dogmatik hat sich vor allem – Vorreiter war hier wohl der ehemalige Bonner Dogmatiker J. Wohlmuth (vgl. etwa Emmanuel Levinas und die christliche Jesusinterpretation; Emmanuel Levinas und die Theologie; Herausgeforderte Christologie) – mit der Erschließung des levinasschen Werkes für die Christologie beschäftigt. Dies lag insofern nahe, als Levinas sich dezidiert mit Themen wie Inkarnation und Stellvertretung beschäftigt, und so nicht allein neue Verstehensmodelle geschaffen, sondern auch relevante Anfragen an die Christologie aufgeworfen hat. Vgl. hierzu auch Anm. 255. 11 So wird die Kompatibilität christlicher Inhalte mit dem levinasschen Denken teils unter Aussparung des genuinen christlichen Propriums herbeizuführen versucht (wie es etwa Th. Ndayizigiye in L’anthropologie biblique sous l’éclairage de la philosophie de l’altérité selon Emmanuel Levinas praktiziert, indem er eine rein ethische christliche Anthropologie und Schöpfungslehre ohne jegliche ontologische und sogar ohne wirkliche christologische Konnotation verfasst), teils unter Gleichsetzung christlicher und levinasscher Termini (hier bieten sich natürlich Begriffe wie ›Inkarnation‹, ›Stellvertretung‹ etc. geradezu an; als Beispiel eines solchen Versuches sei der freilich sehr vorsichA
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sophischen Diskurs praktiziert und sich dabei gar wiederholt auf »unsere gemeinsame jüdisch-christliche Spiritualität« oder »Weisheit« berufen. 12 Die folgenden Ausführungen können sich aufgrund des stetigen Wandels der levinasschen Philosophie (vgl. 3.1) und aufgrund der Präsenz religionsphilosophischer Überlegungen in allen Teilen des Werks nicht auf eine bestimmte Schrift beschränken, 13 wenngleich ein besonderer Schwerpunkt freilich auf AQE liegen wird als der womöglich »endgültige[n], seither nicht mehr widerrufene[n] Gestalt« 14 (Krewani) seines Denkens. Die Untersuchung folgt erneut dem siebengliedrigen Schema aus Denkansatz (3.1), ontologischer, erkenntnistheoretischer und freiheitstheoretischer Position (3.2 u. 3.4 f.) sowie Kurzzusammenfassung und philosophisch-theologischer Würdigung (3.6 f.). Der Abschnitt zu Levinas’ philosophischer Gottesvorstellung wird aus systematischer Konvenienz wie im Falle Henrys im Anschluss an die Darstellung der ontologischen Position eingeschoben werden (3.3).
tige Vorschlag Th. Freyers in seinem Aufsatz Nähe – eine trinitätstheologische Schlüssel-»kategorie«? genannt, das Verhältnis von immanenter und ökonomischer Trinität mittels der levinasschen Vorstellung der proximité zu beschreiben). Eindeutig zu weit gehen A. Peperzaks an Levinas’ Konzept einer ›Religion für Erwachsene‹ (s. u.) angelehnte Entmythologisierungsforderungen nach »einer radikalen Reinigung unserer [christlichen, M. L.] Praxis und Überzeugung« (Peperzak, Die Bedeutung des Werkes von Emmanuel Levinas für das christliche Denken, 77), die nicht allein Theologumena wie opus operatum, gratia praeveniens et cooperans und unio hypostatica als mythologische Relikte ablehnt, sondern auch noch in der firmen Deklaration mündet, »daß der Geist des Christentums kein griechischer« sei (ebd., 85 f.). 12 Vgl. DEHH 282: »notre spiritualité judéo-chrétienne«; vgl. EN 65: »la sagesse judéochrétienne«. 13 Wie es etwa J. C. Kestering (Die Differenzerung des dialogischen Elements im jüdisch-christlichen Denken Emmanuel Levinas’ und Hans Urs von Balthasars) bezüglich TI (vgl. ebd., 13) mit verheerenden Konsequenzen für seine ansonsten (d. h. vor allem hinsichtlich der Ausführungen zu v. Balthasar) lesenwerte Studie praktiziert; hier fehlt etwa vollkommen die Betrachtung von Levinas’ Gottesbild. 14 Krewani, Rez. zu E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 84.
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3.1 Denkansatz: Humanismus als ›Entneutralisierung‹ des Denkens 15 »La première question métaphysique n’est plus la question de Leibniz: ›Pourquoi y a-t-il quelque chose et non plutôt rien?‹ mais ›Pourquoi y a-t-il du mal et non pas plutôt du bien?‹ […] C’est la dé-neutralisation de l’être ou l’au-delà de l’être. La différence ontologique est précédée par la différence du bien et du mal«. 16
Emmanuel Levinas’ Philosophie stellt einen ›Wandel in Kontinuität‹ dar, eine »Philosophie auf dem Weg« (philosophie en marche), 17 sodass es schwierig ist, seinen Denkansatz, seine Denkform oder sein Anliegen für die drei Phasen seines Werks 18 auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Oben wurde der gesamten Philosophie bereits mit ihrem Urheber die Bezeichnung ›Phänomenologie der Alterität‹ gegeben, was aber zeichnet dieses jahrzehntelange Projekt aus? Bei aller Verkürzungsgefahr, die das Genre ›Kurzformel eines Denkens‹ 19 mit sich bringt, soll hier als Einstieg eine solche versucht werden: Levinas’ Philosophie in ihrem spannungsreichen Verlauf und ihrer anhaltenden inhaltlichen wie sprachlichen Fortentwicklung lässt sich demnach beschreiben anhand des Leitfadens einer grundlegenden ›Entneutralisierung‹ 20 des Denkens, vor allem hinsichtlich des Humanum, der Transzendenz und der Zeit. Die drei Stadien des levinasschen Werkes sollen daher im Folgenden (in freier Anlehnung an Krewanis Eintei-
15 In diesem Abschnitt, der eine Art ersten Gesamtaufrisses der levinasschen Philosophie darstellen soll, wird naturgemäß vieles vorweggenommen, das in den folgenden Teilkapiteln näher erläutert werden wird. Dabei lassen sich leider weder einige Redundanzen in diesen, noch manche proleptische Überforderung in jenem vermeiden. 16 AQE 150/Lp 186. 17 Strasser, Antiphénomenologie et phénoménologie dans la philosophie d’Emmanuel Lévinas, 101. 18 In Anlehnung an St. Strasser (Emmanuel Levinas, 221 f.) und W. N. Krewani (Es ist nicht alles unerbittlich, 89 f.) wird hier von einer Dreiteilung der Werkphasen ausgegangen, vgl. unten. 19 Freilich sind bereits solche ›Kurzformeln‹ versucht worden, vgl. etwa C. Chalier (Lévinas, 10), die ebenso berechtigt wie verkürzt die Suche nach dem »Sinn des Menschlichen« (le sens de l’humain) als Werkinhalt ausmacht; vgl. auch Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 89: »Die Offenbarung eines anderen, und zwar als ein zeitliches Geschehen«; Wolzogen, Emmanuel Levinas, 20 f.: »Levinas’ wichtigstes, und vielleicht einzigstes [sic! M. L.], Thema, die Asymmetrie der ethischen Beziehung«. 20 Levinas verwendet den Terminus »dé-neutralisiation« zur Beschreibung seines Ansatzes etwa im Vorwort zur zweiten Auflage von EE (ebd., 11).
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lung) 21 als solche der ›erotischen‹, der ›ethico-erotischen‹ und der ›ethischen‹ Entneutralisierung des Denkens beschrieben werden. Diese Beschreibung deckt sich im Prinzip mit Levinas’ Charakterisierung des eigenen Denkwegs als solchem »vom Sein zum Seiendem und vom Seienden zum Anderen« (de l’existence à l’existant et de l’existant à autrui). 22 Die folgenden Überlegungen gliedern sich nach den drei Phasen (1–3), deren Beschreibung eine kurze Besinnung auf Levinas’ Sicht der Phänomenologie folgen soll (4). (1) Schon in seiner Doktorarbeit formuliert Levinas den Verdacht, die Phänomenologie Husserls und mit ihr das ganze abendländische Denken in seinem letztlich durchweg adäquationstheoretischen Hauptstrom, als dessen End- und Höhepunkt der Göttinger Philosoph zu betrachten sei, 23 habe das menschliche Leben durch den Primat des theoretischen Weltzugriffs ›neutralisiert‹. 24 Hier nimmt er bereits Henrys (u. a.) Fundamentalkritik an der husserlschen Intentionalität voraus, überforme diese doch die Intuition (hier also des menschlichen Lebens) in einem intellektualistischen Intuitionismus und schalte sie so in ihrer konkreten Gestalt zugunsten einer allgemeinen Vorstellung aus. 25 Bereits in diesem frühen Stadium seines Denkens, das noch die eigene Position gegenüber dem frisch vom Meister Erlernten sucht, zeigt sich schon Levinas’ Sorge um den Menschen als Individuum und irreduzibles, personhaftes Geheimnis. Diese Sorge wird er in der damit begonnenen ersten Phase seines Philosophierens – noch stark unter dem Einfluss Heideggers 26 – im Vgl. Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 89 f. DL 407. Zur Übersetzung von existence bzw. existant mit ›Sein‹ bzw. ›Seiendes‹ ist anzumerken, dass Levinas sie selbst mit dem französischen être bzw. étant identifiziert, diesen aber aufgrund größerer »Euphonie« vorzieht: vgl. TA 24. Freilich könnte dieser Sachverhalt auch bereits als symptomatisches Indiz dafür gedeutet werden, dass es Levinas – bereits in den frühen, noch ontologisch formulierenden Phasen seines Werkes – in erster Linie, wenn nicht ausschließlich um das spezifische Seiende ›Mensch‹ geht; vgl. hierzu auch Anm. 49. 23 Diese Ansicht äußert er freilich erst sehr viel später explizit, vgl. DI 233: »Pour Husserl – et pour toute la vénérable tradition philosophique qu’il achève ou dont il explique les présupposés – la ›prestation de sens‹ se produit dans une pensée, entendue comme pensée de …«. 24 Vgl. ThI 221 f.: »Mais, en vertu du primat de la théorie, Husserl ne se pose pas la question de savoir comment cette ›neutralisation‹ de notre vie […], qui est néanmoins un acte de cette dernière, comment s’y trouve-t-elle fondée?« 25 Vgl. z. B. ThI 219. 26 Levinas erkennt damals schon sehr deutlich das eigene Dilemma, dem ›Klima‹ der 21 22
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Rahmen der Ontologie 27 behandeln und anhand der ontologischen Differenz explizieren als die Befreiung des Seienden aus der Umklammerung durch das Sein. Es geht ihm dabei um die ontische wie ontologische Abgrenzung und Eigenständigkeit des existant gegenüber dem exister, wobei er Ersteres als separierte »Hypostase« profiliert, Letzteres aber als das unpersönliche und damit unmenschliche heideggerianische »Es gibt« (il y a). 28 Levinas beschränkt sich hier aber nicht auf die Heideggerkritik, verurteilt er doch nicht allein die ontologische Vorordnung des Seins vor dem Seienden, sondern überhaupt dessen Denken vom (verbalen) Wesen her, das weitere Teile der Tradition präge: Das Einzelseiende dürfe demnach nicht mehr Philosophie Heideggers entkommen zu wollen, ohne letztlich ohne sie auskommen oder ›vorheideggerianisch‹ denken zu können, vgl. EE 19. R. Funk (vgl. Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 200) verweist in diesem Zusammenhang auf O. Marquard, der jede philosophische Auseinandersetzung mit Heidegger letztlich in diesem Dilemma verfangen sieht; vgl. Marquard, Drei Bemerkungen zur Aktualität Heideggers, 243: »[M]an kann Heidegger nicht kritisieren, ohne auf ihn zurückzukommen. Wenn das zutrifft, ist Heidegger – bewußt oder unbewußt – aktuell«. 27 Vgl. etwa TA 17: »Les analyses que nous allons entreprendre ne seront pas anthropologiques, mais ontologiques«. 28 Vgl. hierzu bspw. EE 140. Später (etwa im wichtigen zweiten Vorwort zu EE) wird er das »il y a« noch wesentlich drastischer der »schrecklichen Neutralität« (horrible neutralité: DL 407) bzw. eines »öden, aufdringlichen und schrecklichen Charakter[s]« (caractère désertique, obsédant et horrible: EE 11) bezichtigen und jeweils das Fehlen der eigentlich im deutschen ›Geben‹ enthaltenen Konnotation der Großzügigkeit in diesem Seinskonzept beklagen. Krewanis mit Verweis auf AQE 209/Lp 255 f. vorgebrachte Ansicht, Levinas habe seine Position zum »il y a« im Spätwerk radikal modifiziert und es aus einem »Gegenstand des Grauens« zur »Präsenz des Anderen« gemacht (Krewani, Rez. zu E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 188), ist schwerlich zu teilen, nicht allein weil das »il y a« hier ganz in der klassischen levinassschen Diktion als »schrecklich« (horrifiant) beschrieben wird bzw. als »untolerierbares Brummen« (bourdonnement intolérable: AQE 208/Lp 254), »anonymes Säuseln« (bruissement anonyme), »Durcheinander« (remue-menage) oder »Verstopfung« bzw. »Stau« (encombrement: AQE, 209/Lp 255), sondern auch weil es bereits im Frühwerk – wie Krewani ja erst der späten Stelle unterstellt – durchaus als Voraussetzung, als negativer Hintergrund der Befreiung erscheint. Der Bindestrich im Wörtchen »é-cœurant« (dt. »ekelhaft«; Krewani meint in der neuen Schreibweise eine Betonung »auf dem Herzen, das jemandem herausgerissen wird« ausmachen zu können: Rez. zu E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 188) erscheint wohl nicht als ausreichendes Indiz für eine positive Interpretation des »il y a« in AQE. J. Rolland konstatiert in seiner Einleitung zur Évasion vorsichtiger, dass der bleibende »Horror des il y a« (l’horreur de l’il y a: Rolland, Sortie de l’être par une nouvelle voie, 71) in AQE zu einer »Bedingung« (condition) der ethischen Intrige würde, sodass Letztere nunmehr als »Entneutralisierung des Es gibt« (déneutralisation de l’il y a: ebd.) beschrieben werden könne. Zu dem parallelen Konzept Henrys vgl. oben, 2.2.2. A
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wie bisher als bloßes Partizip des Verbs ›sein‹ verstanden werden, sondern müsse nominal als Substantiv begriffen, d. h. vom Beherrschten durch das Sein sozusagen zu dessen Herrscher gemacht werden. 29 An dieser Stelle scheint allerdings eine gewisse Konfusion zwischen Ontik und Ontologie vorzuliegen, d. h. es bleibt fraglich, ob Levinas tatsächlich eine Aussage über das ›Sein als solches‹ treffen möchte, oder nicht vielmehr nur über das philosophische Konzept des Seins. 30 Analog bleibt die Frage offen, wie denn die angedeutete Befreiung des Seienden, die Levinas mal als Begegnung mit der Transzendenz und der Weiblichkeit (als ihren Inbegriff oder Katalysator, vgl. etwa EE), mal als »Flucht« bzw. »Ausgang« aus dem Sein beschreibt (vgl. De l’évasion), zu verstehen ist: Geht es um die Überwindung eines totalitären Seinskonzepts oder um die Überwindung des eigenen Seins, d. h. – polemisch formuliert – um einen wörtlich zu nehmenden ›philosophischen Suizid‹ ? 31 Fest dürfte jedenfalls stehen, dass es Levinas in dieser ersten Phase seines Denkens um die Befreiung des Seienden – und für Levinas damit gleichbedeutend des Subjekts – als solchem, sc. im Singular geht, und dass die Alterität hierbei nur als Medium der endgültigen Befreiung des bereits voraufgehend aus dem Totalitätszusammenhang des Seins gelösten, separierten Subjekts dient. Deswegen kann dieses Stadium, etwa von Vgl. EE 140 f. Zur Dialektik von Verbal- und Nominalform bei Levinas vgl. Dirscherl, Identität jenseits der Totalität, 142; Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 303.334; Llewelyn, Appositions of Jacques Derrida and Emmanuel Levinas, 168–170. Levinas schreibt sich hier freilich etwas eigenwillig in die klassische Debatte um ens ut nomen seu participium ein. 30 Hier seien nur exemplarisch drei Stellen aus Levinas’ De l’évasion gegenüberstellt: Im ontischen Sinne zu verstehen sind etwa Aussagen wie »Ce n’est donc pas de l’être que le besoin est nostalgie; il en est la libération […]. Il est processus et processus de sortie de l’être« (ebd., 109 f.) oder »Aussi l’évasion est-elle le besoin de sortir de soimême, c’est-à-dire de briser l’enchaînement le plus radical, le plus irrémissible, le fait que le moi est soi-même« (ebd., 98); für die ontologische Sichtweise spricht eindeutig die drei Seiten später vorzufindende, beiläufige Einschränkung, das Bisherige beziehe sich ausschließlich auf den Seinsbegriff: »Après ce que nous venons de dire de la notion de l’être il est clair que […]« (ebd., 101). Diese Konfusion scheint zum Teil in der Sekundärliteratur übersehen und übernommen worden zu sein, vgl. etwa die nicht problematisierenden Ausführungen J. F. Gouds über den Zusammenfall von ›esse‹ und ›interesse‹ (vgl. Goud, Emmanuel Levinas und Karl Barth, 99), oder auch jene Krewanis über die »Identität« von ›Sein‹ und ›Schuld‹ beim frühen Levinas (vgl. Krewani, Der Wandel des Seinsbegriffs bei Emmanuel Lévinas, 281). 31 Den Levinas freilich ausschließt, weil er kein Ausweg sei: vgl. De l’évasion, 97: »Recherche d’une sortie, mais point nostalgie de la mort, car la mort n’est pas une issue comme elle n’est pas une solution«. 29
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ThI bis zu den Vorlesungen von 1946/1947 (TA stellt dabei freilich schon den Übergang zum Neuen dar) mit Krewani als jenes der »erotische[n] Transzendenz« 32 bezeichnet werden, wobei ›Eros‹ zu verstehen ist als tendenziell egoistisches Bedürfnis bzw. Streben des Subjekts, die Seinsneutralität (im ontischen wie ontologischen Sinne) zu überwinden. Diese Transzendenz ereignet sich vornehmlich physisch-sexuell als geschlechtliche Übereignung an das ›Weibliche‹ und als die daraus resultierende Fruchtbarkeit und Vaterschaft. 33 Daher könnte (in Anlehnung an obige Kurzformel) diese Schaffensphase auch als solche einer ›erotischen De-neutralisation des Seins‹ bezeichnet werden. Die Zeitkonzeption dieser Phase (stark konträr zur späteren) plädiert für die Installation eines synchronen Präsens des Subjekts gegenüber dem haltlosen Zeitfluss der neutralen Zeit des ›il y a‹ und eröffnet dem Subjekt die Zukunft der Transzendenz. (2) Bereits im Schlüsselaufsatz TA kündet sich jedoch die zweite Phase des levinasschen Denkens, die sich vor allem im ersten Hauptwerk TI manifestiert, mit ihren Charakteristika an: Die sozusagen noch subjektzentrische, wenngleich bereits ›alteritätssensible‹ (vgl. die Gedanken der Fruchtbarkeit und Vaterschaft) Konzeption der frühen Jahre bricht (und hier läge die biographische Deutung natürlich sehr nahe!) nach dem Zweiten Weltkrieg an der radikalen Frage nach der Alterität auf, an der ethischen Verpflichtung nicht mehr des Subjekts gegenüber dem eigenen oder gar dem unpersönlichen ›Sein an sich‹, sondern gegenüber dem Sein des Anderen. Hier entwickelt Levinas sein bekanntes Konzept der »Nähe« (proximité) 34 des Anderen und der umstürzenden Begegnung mit seinem »Antlitz« (visage). 35 Die Konfrontation mit der Alterität erwecke im Subjekt eine Idee, die Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 91–190. Vgl. dazu etwa TA 77–89. 34 Levinas spricht zunächst von der »unreduzierbare[n] Relation von Angesicht zu Angesicht« (le face à face, relation irréductible; vgl. etwa TI 52 f./Lp 78–80), die er später schlicht als die »Nähe« (la proximité) bezeichnet: vgl. etwa AQE 102–124/Lp 129–155. 35 Vgl. etwa TI 161–231/Lp 203–284. Freilich kann hier auch mit »Gesicht« übersetzt werden, etwa mit Verweis auf die im Deutschen dem Französischen analoge Zugehörigkeit beider Nomen zum Wortfeld ›Sehen‹ (etwa visage – viser – voir gegenüber Gesicht – Sicht – Sehen), wie dies etwa Th. Wiemer in seiner AQE-Übersetzung handhabt (vgl. Krewani, Rez. zu E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 190 f.). Allerdings vernachlässigt dies Levinas’ sonstige Kritik an jeglichem Sichtbarkeits- und Sehenstopos. Das deutsche ›Antlitz‹ scheint weiterhin gerade aufgrund seiner verfremdenden Überholtheit wie auch seiner nahezu ausschließlichen Weiterverwendung im 32 33
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mehr enthalte, als sie fassen könne, die cartesianische ›Idee des Unendlichen‹ (l’idée de l’Infini). Das Subjekt existiere zunächst wiederum als Hypostase, d. h. herausgelöst aus dem totalisierenden Seinszusammenhang, es existiere in und als Separation von jenem partizipationslogisch gedachten Gesamt. Dieses Existieren als Getrenntsein oder Gegenüberstehen darf jedoch nicht im Sinne einer intentionalen Leistung der Hypostase oder als sinn- oder gar weltkonstituierendes Tun verstanden werden; es ereignet sich vielmehr in Gestalt einer passiven Vorfindlichkeit in einer Welt des Genusses, dem unpersönlichen ›Elementale‹ (l’elemental), das die ›Bedürfnisse‹ (besoins) der Hypostase immer schon befriedigt, oder, in umgekehrter Perspektive, in dem die Hypostase ›badet‹ (baigne) oder schwelgt. Das Ich (moi) des schwelgenden Subjekts ist so gleichzeitig »atheistisch« (athée) insofern von der Gottheit unterschieden, radikal »bei sich« (chez soi), »getrennt« (séparé) vom restlichen, ›zuhandenen‹ Weltzusammenhang, »glücklich« (heureux), insofern schwelgend und – insofern nicht causa sui – »geschaffen« (créé). 36 Diesem Ich begegnet nun unvermittelt der Andere als ›visage‹ und weckt in ihm die ›Unendlichkeitsidee‹, die also geschichtlich vermittelt und keineswegs wie bei Descartes ›idea innata‹ ist. 37 Diese Idee lässt sich fassen einerseits in Abgrenzung zur Intentionalitätsvorstellung als eine intentio, die ihrem intentum völlig unangemessen ist und es nicht umfasst, andererseits in Abhebung vom egoistischen »Bedürfnis« (besoin) als Einbruch eines per Definition unstillbaren und unthematischen »Sehnen[s]« (désir). 38 Dieses Sehnen strebe nach einem Unreligiös-mystischen Kontext als überaus geeignet, den Transzendenzcharakter der levinasschen Kategorie ›visage‹ wiederzugeben. 36 Vgl. TI 121/Lp 158: »Etre moi, athée, chez soi, séparé, heureux, créé – voilà des synonymes.« Zum Problem des Atheismus bei Levinas vgl. 3.3. 37 Zur Unendlichkeitsidee vgl. etwa TI XV/Lp 12, wo Levinas sie definiert als die »schlechthinnige Inadäquation« (l’inadéquation par excellence) und als ›Über-seine-Kapazität-hinaus-enthalten‹ (Contenir plus que sa capacité); vgl. auch TI 18–23/Lp 39–45; v. a. 22/Lp 43 u. ö. Weitere wichtige, wenngleich wesentlich später verfasste Referenzstellen sind der Aufsatz Sur l’idée de l’infini en nous (EN 227–230) sowie die schöne Definition im Vorwort von DI (ebd., 13): »[U]ne pensée qui pense plus qu’elle ne pense«; vgl. auch La philosophie et l’idée de l’infini. Zur Unendlichkeitsidee bei Levinas vgl. Mosès, L’Idée de l’infini en nous; zu seinem cartesianischen Erbe im Allgemeinen vgl. Beavers, Levinas behind the Horizons of Cartesianism. 38 Vgl. zum Verhältnis von besoin und désir etwa TI 3–5/Lp 21–24; R. Funk übersetzt désir etwas pathetisch, aber hierin vielleicht gerade nahe dem levinasschen Stil mit »Sehn-Sucht«: Funk, Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 427. Zu Henrys divergierender, sexueller Konzeption des désir vgl. oben 2.5.
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erreichbaren, nämlich dem Anderen als solchen bzw. nach der Güte als dem »Sein für den Anderen« (être pour autrui). 39 Daher kann Levinas das Ersehnte auch mit der platonischen Idee des »Gute[n] jenseits des Seins«, des ⁄gaqn ¥pffkeina t»@ o'sffla@ (vgl. Politeia VI, 509b) identifizieren. Von hierher erscheint die im ganzen Werk geforderte Entneutralisierung des Denkens nun dezidiert als eine solche gegenüber dem ›Anderen‹, der mehr ist als bloßer ›autrui‹, d. h. bloßes alter ego, sondern völlig verschieden von dem ihn wahrnehmenden Subjekt. Der Andere ist Einbruch der Transzendenz, ist der ›Heilige‹ und der (gegenüber dem Subjekt) Ganz-andere. Hier zeigt sich erstmals die für die weitere Philosophie Levinas’ entscheidende Ungleichgewichtung, die radikale Asymmetrie zwischen Subjekt und Anderem, die jeglichen Perspektivenwechsel wie auch jeden die Beziehung überschauenden Metastandpunkt verbietet. 40 Der unendliche Anspruch des Anderen besteht zunächst einmal negativ in der von ihm ausgehenden Verunmöglichung des Tötens, dem dekalogischen »Du wirst/darfst nicht töten« (Tu ne tueras point/Tu ne commettras pas de meurtre). 41 Diese Verunmöglichung sei freilich – sonst wäre sie kein Gebot – ethisch, nicht absolut zu verstehen. 42 Positiv zeige sich der Anspruch bzw. das im Subjekt geweckte ›Ersehnen‹ als innerer Drang, dem Anderen zu helfen und als Auslöser einer Ethik der Gabe. Da diese Ethik nun bereits unmittelbar mit dem Antlitz des Anderen gegeben sei, ist sie als eine metaphysische zu qualifizieren, d. h. hier als aller menschlichen Sinngebung vorausgehend. Die Kernthese von TI besteht nun in der Abhebung dieser metaphysischen Ethik des Antlitzes von der klassischen Ontologie und in der Forderung, entgegen der üblichen Rangordnung der Ethik den Primat gegenüber der Ontologie einzuräuTI 281/Lp 340. Insofern ist Levinas’ Metaphysik nicht nur die womöglich einzige, die nur ein Mann verfassen konnte (wie Derrida angesichts der eindeutigen Zuordnung von Weiblichkeit zur Transzendenz wie Vaterschaft und Sohnsein zum Subjekt in Violence et métaphysique, 228, völlig zu Recht anmerkt), sondern vielleicht auch die einzige, die jedes ›Ich‹ nur für sich selbst zu entwickeln vermag. Allerdings rückt dies den ganzen Ansatz in den Verdacht performativen Selbstwiderspruchs, weil Levinas doch selbst für andere Subjekte argumentiert und schreibt; vgl. hierzu 3.7. 41 Vgl. etwa Lévinas, Éthique et Esprit, 21–23; TI 172–175/Lp 215–220 u. ö. Ricœur fasst diesen Gedanken Levinas’ gewohnt genialisch in die Formel: »Chaque visage est un Sinaï qui interdit le meurtre« (SMA 388). 42 Vgl. Lévinas, Éthique et Esprit, 22: »L’impossibilité de tuer n’est pas réelle, elle est morale«. 39 40
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men. 43 Unter Ontologie versteht Levinas dabei jede Philosophie, ja jedes menschliche Selbstverhältnis, das darauf abzielt, das eigene Sein theoretisch einzuholen, um so dem conatus essendi, dem Streben nach Seinserhalt, Genüge zu tun. Solche ›egoistische‹ Ontologie sei – so erklärt sich der Titel des Werkes, der als ausschließende Alternative zu verstehen ist – stets eine Unterordnung der Unendlichkeit (jener des Anderen, aber auch der Unendlichkeit an sich, die Levinas hier freilich noch nicht Gott nennt, vgl. unten 3.3) unter die Totalität des eigenen Weltdeutens und -besitzens. Levinas’ Philosophie zeigt sich an dieser Stelle erstmals als eine dezidierte Neukonzeption der Subjektivität: Das Subjekt wird aus dem idealistisch-›ontologischen‹ Zusammenhang herausgelöst und so gegenüber der – freilich auch für Levinas berechtigten – postmodernen Kritik am transzendentalen Idealismus rehabilitiert. 44 Die Zeit wird auch in TI nicht als objektiver Fluss gedacht, sondern als subjektive Zukunfts- und Transzendenzermöglichung. Sie ist jedoch nicht mehr eine individuelle Größe für das Ich, sondern deckungsgleich mit seiner Beziehung zum Anderen – wie es dann die Kernaussage des ›Übergangsaufsatzes‹ TA sein wird. 45 Das Ziel der Zeit ist also nicht mehr allein die ›Erlösung‹ des Subjekts, sondern in erster Linie die Gerechtigkeit und Güte für den Anderen, also die zeitliche »Verunendlichung« (infinition) 46 des Guten. Da diese Perspektive aber weiterhin das Wohl des Subjekts selbst in Gestalt der aus der frühen Philosophie beibehaltenen Konzeptionen der erlösenden Weiblichkeit, der Fruchtbarkeit und der Vaterschaft umfasst, kann dieses Mittelstadium levinasschen Denkens in der Tat als eine Vgl. etwa TI 12–18/Lp 32–39 u. ö., hier v. a. 17/Lp 38: »L’être avant l’étant, l’ontologie avant la métaphysique – c’est la liberté (fût-elle celle de la théorie) avant la justice. C’est un mouvement dans le Même avant l’obligation à l’égard de l’Autre«. 44 Dies unterstreicht Levinas selbst bereits im Vorwort zu TI (vgl. XVI/Lp 11); vor diesem Hintergrund und angesichts etlicher Belege aus der älteren Sekundärliteratur (etwa beim ›Altmeister‹ Strasser, vgl. Emmanuel Levinas, 259 f.; ders., Jenseits von Sein und Zeit, 67–69 u. ö.) erscheint G. Schwinds Behauptung zweifelhaft, dass die levinassche Subjektapologie erst in der neueren Sekundärliteratur (er verweist vor allem auf S. Sandherrs Studie Die heimliche Geburt des Subjekts) entdeckt worden sei (vgl. Schwind, Das Andere und das Unbedingte, 317). Hier muss allerdings betont werden, dass es Levinas nicht um eine allgemeine Theorie der Subjektivität, sondern stets um konkrete Subjekte geht, vgl. etwa Kl. Müller, Subjekt-Profile, 173, mit Verweis auf Esterbauer, Transzendenz-»Relation«, 79. Auf diesen Sachverhalt verweist schon Strasser, Emmanuel Levinas, 259. 45 Vgl. TA 17: »Le but de ces conférences consiste à montrer que le temps n’est pas le fait d’un sujet isolé et seul, mais qu’il est la relation même du sujet avec autrui«. 46 Vgl. z. B. TI 257–261/Lp 313–318. 43
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Mischform verstanden werden, als ›ethico-erotische Entneutralisierung‹. (3) Der Übergang zur dritten Phase des levinasschen Denkens lässt sich anhand der teils vehementen Kritik der beiden ersten Stadien seines Werkes erläutern, ohne freilich einen bloßen Reflex auf diese darzustellen. In den beiden vielleicht bekanntesten Kritiken der zweiten Werkphase, nämlich jenen von J. Derrida 47 und J.-L. Marion, 48 ging es vor allem um die widersprüchliche Einstellung zur Ontologie: Einerseits würde diese massiv abgelehnt, andererseits aber doch zur Begründung und als sprachlicher Rahmen beibehalten, also – mit Derrida gesprochen – der unvermeidbare Nexus zwischen ›griechischem‹ und ›jüdischem‹ Denken geleugnet, aber implizit aufrechterhalten, bzw. – mit Marion – die ontologische Differenz bloß umgekehrt, nicht aber überwunden. Levinas bezeichnet diese Probleme in erster Linie als sprachliche: Habe er doch inhaltlich schon in TI den Rahmen der Ontologie verlassen wollen, was ihm sprachlich freilich noch nicht gelungen sei. 49 Der Schritt der Abwendung von oder – besser gesagt – der Aufsprengung der klassischen Ontologie wird deshalb nun auch in der philosophischen Sprache nachvollzogen: Levinas’ vormals elegantes ›Akademiefranzösisch‹ weicht einem expressiven Stil, die Form wird dem Inhalt nachträglich angeglichen. 50 Levinas greift zum rhetorischen Mittel der Hyperbel, er erhebt die Übertreibung zur zentralen philosophischen Ausdrucks47 Vgl. v. a. Derrida, Violence et métaphysique. Zum komplizierten und für beide fruchtbaren Verhältnis Levinas-Derrida vgl. etwa Llewelyn, Appositions of Jacques Derrida and Emmanuel Levinas, dort v. a. den Aufsatz Jewgreek or greekjew; Stegmaier, Die Zeit und die Schrift; sowie natürlich Derridas Grabrede auf seinen Freund und Weggefährten (vgl. Derrida, Adieu à Emmanuel Lévinas). 48 Vgl. v. a. Marion, L’idole et la distance, 278 f. Marion hat sich freilich später selbst korrigiert, vgl. Marion, Note sur l’indifférence ontologique. 49 Vgl. EE 12 f.; DL 412; Lévinas, Totalität und Unendlichkeit, 8. Vgl. hierzu die sehr ähnlichen Überlegungen Heideggers bzgl. der noch ontologieverhafteten Sprache von Sein und Zeit bzw. des Humanismusbriefes etwa in Wegmarken, 313. Der vorliegenden Untersuchung der levinasschen Philosophie, die ja nicht umsonst einen Abschnitt zu Levinas’ ›ontologischer Position‹ (vgl. 1.2.2) beinhaltet, liegt allerdings die Überzeugung zu Grunde, dass er in allen Stadien (d. h. selbst noch in jenem des ›Autrement‹ gegenüber dem Sein) metaphysische Aussagen über die Wirklichkeit gemacht und somit in einem weiteren Sinne (vgl. Kap. 1.3) Ontologie betrieben hat. 50 Vgl. etwa Krewani, Rez. zu E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 189. Zum levinasschen Stil überhaupt vgl. Wiemer, Die Passion des Sagens, hier v. a. 22 mit weiteren Referenzen.
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form. 51 Abgesehen von dieser sprachlichen Zuspitzung treibt Levinas sein Denken in der bereits kurz nach der Abfassung von TI anbrechenden dritten und letzten Phase aber auch inhaltlich dem Gipfel zu, indem er es kontinuierlich radikalisiert. 52 Die Ontologiekritik führt ihn dazu, angelehnt an den platonischen Gedanken des ¥pffkeina ein Denken »jenseits der Seiendheit« (au-delà de l’essence) oder »anders als das Sein« (autrement qu’être) zu konzipieren und somit auch den Rahmen der ontologischen Differenz endgültig hinter sich zu lassen: Diese Differenz, selbst sofern zugunsten des Seienden gewendet, unterliege einer radikalen Amphibolie bzw. Ambiguität beider Komponenten, die so letztlich doch immer wieder auf das unpersönliche Sein zurückfielen, 53 die Differenz kraft ihrer Analytizität Er selbst äußert sich zu dieser Stilradikalisierung etwa in AQE 231/Lp 281); vgl. hierzu auch SMA 388 f.; Wiemer, Die Passion des Sagens, 209–217. H. H. Henrix unterstreicht diesbezüglich auch die Bedeutung der Metapher für die levinassche Sprache und verweist auf Krewani, der das Werk des Denkers als ganzes als Metapher bezeichnet habe (vgl. Augenblick ethischer Wahrheit, 27 f.); vgl. hierzu auch Wiemer, Die Passion des Sagens, 185–187. 52 In diesem Zusammenhang ist von St. Strasser erstmalig von einer Kehre in Levinas’ Denken zwischen TI und AQE gesprochen worden (vgl. Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, 219–251, v. a. 223). Ähnlich sehen dies (teils abgeschwächt) etwa M. M. Olivetti (Philosophische Fragen an das Werk von Emmanuel Levinas, 45) und A. F. Beavers (Levinas beyond the Horizons of Cartesianism, 69), während R. Funk (Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 57–61) die Kehrethese radikal ablehnt, W. N. Krewani sie hingegen zugunsten des dreiphasigen Modells modifiziert (s. o.). Ungeachtet der unleugbaren Radikalisierung zwischen TI und AQE kann jedoch, entsprechend den obigen Ausführungen, von einem steten Wandel der levinasschen ›Philosophie auf dem Weg‹ gesprochen werden, so dass die Vorstellung einer einzelnen, zeitlich womöglich exakt fixierbaren Kehre unzutreffend ist. Im Übrigen stellt der Übergang von der ersten zur zweiten Phase des Denkens durch die Einführung der ethischen Alterität wohl einen mindestens ebenso bedeutsamen Fortschritt dar, wie Levinas unterstreicht, wenn er TA im Vorwort zur Neuauflage als »die Geburtsstunde und die erste Formulierung« (la naissance et la formulation première) eines »Hauptgegenstand[s]« (sujet principal) seines Denkens bezeichnet (TA 8). Allerdings können beide phaseneinleitenden Umbrüche – wie ja hier geschehen – auch als logische Fortentwicklungen begriffen werden, was durch den – schon beim Vorbild Heidegger etwas schillernden – Kehrebegriff nur verdunkelt würde. Das zweite Hauptwerk als bloße Modifikation und Neuformulierung des ersten abzutun (vgl. Fischer, Ethik und Gottesfrage, 402) dürfte allerdings zu einer übermäßigen Vereinfachung und Verzerrung der Gesamtphilosophie Levinas’ führen. 53 Vgl. AQE 8.49–55/Lp 19.67–74 u. ö.; vgl. auch Dirscherl, Identität jenseits der Totalität, 142; Krewani, Diachronie und Schöpfung, 43; ders., Es ist nicht alles unerbittlich, 297; Wiemer, Die Passion des Sagens, 154–175. Levinas glaubt, diese Amphibolie auch in der Sprache ausmachen zu können, da diese ebf. zwischen Verbalisierung und Nominalisierung oszilliere und Ersterer erliege; so spricht er von einer »Amphibolie der Aus51
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also zur Identität verkomme. 54 Levinas versucht so, die ›Seiendheit‹ bzw. das (verbale) Wesen (essence oder als substantiviertes Verb besser noch essance) 55 aus seinem Denken zu verbannen, wobei freilich wieder unklar bleibt, ob dies ontisch oder – was wohl doch gemeint ist – ontologisch zu verstehen ist. 56 Das neue Stadium, als dessen zentraler Ausdruck und Quintessenz somit schon rein begrifflich AQE betrachtet werden muss, ist gleichzeitig ein solches der ›ethischen Entneutralisierung‹ des Denkens: Es rückt die Alterität in den Bereich der Transzendenz und steigert damit gleichzeitig die Verhältnisasymmetrie zwischen dem Anderem und dem Subjekt ins Extrem. Dieses wird nun buchstäblich als »Subjektion« (sujétion) 57 gedacht, d. h. nicht mehr als ursprünglich eigenständige, wenngleich noch präreflexive Hypostase. Es wird also entgegen dem zweiten Stadium nicht mehr zwischen Person- und Subjektwerdung differenziert, 58 sondern der Mensch wird erst durch die ›Nähe‹, also durch die Begegnung mit der ethisch unbedingt gebietenden Alterität zum Mensch. Das Subjekt ist gegenüber dem Anderen ursprünglich ausgeliefert, es steht primordial im Akkusativ (als moi oder besser noch als soi), nicht im Nominativ (je), weil es erst durch den ›Anruf‹ (appel), oder besser die »Anklage« (vgl. frz. accusation) 59 des Anderen zum Subjekt wird. Als ›inkarniertes‹ Wesen ist es herausgelöst aus dem Weltzusammenhang und auf sich zurückgeworfen (vgl. den Gedanken der »Rekurrenz«/récurrence), 60 um vor aller Freiheit und Entscheidung Verantwortung für den Anderen zu tragen, um sein unersetzlicher sage« (l’amphibologie du dit: AQE 7/Lp 17; vgl. ebd. 58/Lp 78), welcher das ursprüngliche »Sagen« (dire) zum Opfer falle (vgl. auch Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 303). Zur Dialektik von ›Sagen‹ und ›Aussage‹ vgl. auch 3.2. 54 Vgl. Krewani, Rez. zu E. Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 186. 55 Vgl. etwa AQE IX/Lp 9. 56 Die bleibende Unklarheit bedingt etliche ontisch zu verstehende Sätze wie die lapidare Erklärung: »Esse est interesse« (ebd., 4/Lp 15); vgl. auch Anm. 30. 57 Vgl. etwa ebd., 163/Lp 201; zur Übersetzung vgl. Olivetti, Philosophische Fragen an das Werk von Emmanuel Levinas, 43. 58 Diese Unterscheidung greift terminologisch auf einen Gedanken D. Henrichs zurück, vgl. Freyer, Menschliche Subjektivität und die Andersheit des anderen, 3. Analog differenziert R. Funk zwischen »Subjekt-werdung« und »Sub-jektivierung« (vgl. Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 366–391). 59 AQE 140/Lp 174. Es ist überhaupt interessant zu beobachten, wie sich Levinas mehr und mehr jurisdiktionellem Vokabular annähert, vgl. Funk, Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 286 f. 60 AQE 130–139/Lp 162–173. Vgl. dazu unten, 1.2.2. A
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Stellvertreter, ja um seine »Geisel« (otage) zu sein. 61 Der Gedanke einer Erlösung oder wenigstens irgendeiner Form tröstender Teleologie wird dem Subjekt verweigert und alles Streben danach für verwerflich erklärt. Levinas fordert hier eine Agape ohne Eros ein, 62 »die Unterwerfung« (assujetissement; vgl. erneut den Wortstamm!) unter den Anderen als den »strenge[n] Namen der Liebe« (le nom sévère de l’amour). 63 Dem Subjekt wird nun keine Zeit mehr eingeräumt, 64 vielmehr setzt sich endgültig die Diachronie als ständige Durchbrechung des Präsens gegen die synchronisierenden zeitlichen Intentionalitäten des Subjekts gemäß der husserlschen Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins durch. Die Diachronie als eine ganz andere Zeit, ein »Unerinnerliches« (immémorial) 65 bzw. – mit einem Wort Paul Valérys – ein »profundes, nie ausreichend vergangenes Vergangen« (profond jadis, jamais assez jadis) 66 ist identisch mit der Inanspruchnahme des Subjekts durch die ebenfalls unvordenkliche Alterität. In dieser Werkphase, als deren Anfang vielleicht schon der Aufsatz La trace de l’autre von 1963 zu betrachten ist, 67 thematisiert Levinas nun auch explizit die Gottesfrage, die freilich schon vorher stets im Hintergrund stand. 68 Gott erscheint hier nämlich als mögliche Quelle der unvordenklichen Verantwortung, die Heiligkeit des Anderen kommt von Gott her, das Antlitz des Anderen steht in seiner Spur. Daher überrascht es nicht, dass die in den folgenden Abschnitten dieser Arbeit zu leistende religionsphilosophische Untersuchung der Alteritätsphänomenologie Levinas’, der nicht weiter vorgegriffen werden soll, sich maßgeblich auf diese Phase beziehen wird.
S. Anm. 104. Vgl. DI 113; AQE 157/Lp 195 spricht schon von der »nicht-erotischen Nähe« (proximité non érotique). Dies steht in augenscheinlichem Gegensatz zu dem von Papst Benedikt XVI. in seiner Antrittsenzyklika entwickelten christlich-analogen Verhältnis von Eros und Agape, vgl. hierzu auch unten, Anm. 262. 63 EN 181. 64 Diesen Gedanken rezipiert etwa Verweyen, vgl. unten, Kap. 6, Anm. 8. 65 AQE 13 f.157/Lp 25 f.195; DEHH 299; EPP 99. Levinas verwendet diesen von J.-L. Chrétien geprägten Terminus meist adjektivisch, Ausnahmen bilden etwa AQE 48/Lp 66 und DI 117. 66 Vgl. etwa DEHH 277; HAH 64; das Zitat entstammt Valérys Cantique des Colonnes. 67 DEHH 261–282; dieser Meinung ist etwa Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 287. 68 So betont Funk (Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 60 f.) gegenüber der vermeintlich ›atheistischen‹ TI-Interpretation von St. Strasser. 61 62
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(4) Nach diesem notgedrungen groben und oberflächlichen Schnelldurchlauf durch das Gesamtwerk bleibt hinsichtlich des levinasschen Denkansatzes eine letzte Frage wenn nicht zu beantworten, so doch zu formulieren und zu kommentieren, nämlich jene nach seiner disziplinären Zuordnung zur Phänomenologie und dementsprechend auch nach seiner Methode. 69 Gemäß dem oben Angeführten über die ausgeschlossene ›Husserlorthodoxie‹ 70 kann es dabei nicht darum gehen, die Zugehörigkeit objektiv zu verifizieren oder falsifizieren, vielmehr soll Levinas’ eigene Sicht und Selbstpositionierung zur husserlschen Methode thematisiert werden, wie es ja auch schon hinsichtlich Michel Henrys geschehen ist. Für Letztgenannten nimmt die Phänomenologie freilich einen viel zentraleren Ort in Grundansatz und Systematik des Denkens ein (vgl. 1.1) als für Levinas, der die Phänomenologie lediglich als eine Quelle unter anderen bezeichnet hat. Ferner ist schon angeklungen und wird noch deutlicher werden, wie stark Levinas die husserlsche Intentionalitätslehre als transzendentalen Idealismus und Inbegriff des zu überwindenden, abendländisch-griechischen Theorieprimats betrachtet und ablehnt. Weshalb also bezeichnet er dennoch die eigene Philosophie als Phänomenologie? Dies hängt wohl eng mit seinem Denkansatz der Entneutralisierung des Denkens zusammen: Weil Levinas das menschliche Subjekt als ethisch verantwortlich und insofern frei denkt, teilt er das Grundanliegen der husserlschen Phänomenologie, die Subjektivität gegen reduktionistisch-positivistische zeitgenössische Konzeptionen (also zur Zeit Husserls v. a. des Psychologismus und Historismus) zu verteidigen. Weiterhin befürwortet er aus ähnlichen Gründen, nämlich um der Geheimnishaftigkeit und Heiligkeit der menschlichen Person als Erkenntnisobjekt willen, auch Husserls zentrale Einsicht, dass das Verstandesobjekt unterschieden werden muss von seiner Gegebenheitsweise, mitsamt den daran anknüpfenden Forderungen nach Überwindung der natürlichen Einstellung als Weg ›zu den Sachen selbst‹. 71 Die anderen beiden von Henry ins Feld Vgl. hierzu auch den Abschnitt über Levinas’ erkenntnistheoretische Position, 3.4. Vgl. die Einleitung zum erster Teil, Anm. 9. 71 Unter Levinas’ zahlreichen Stellungnahmen zur Phänomenologie sei hier zunächst die für die eigene Methode entscheidende Definition der husserlschen Phänomenologie aus der Dissertation hervorgehoben: »Cette étude de la conscience dans la réflexion, Husserl l’appelle phénoménologie [dazu merkt er u. a. an; M. L.: ›Phénoménologie signifie science des phénomènes. Phénomène ne s’oppose pas ici à la chose en soi, mais désigne tout ce qui apparaît à la conscience, tout ce qui peut devenir objet de l’intuition‹]. 69 70
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geführten Prinzipien der Phänomenologie (s. o.) dürfte er allerdings wohl ablehnen, weil jedes auf seine Weise die Alterität theoretisch aufheben würde: ›Wieviel Schein, soviel Sein‹ widerspricht radikal seiner Ansicht, dass der Andere in seiner Wesenheit gar nicht erscheint, sondern nur spurhaft in seinem Antlitz, während Levinas den Intuitionsprimat aufgrund dessen vermeintlicher Kommensuration des Anderen und seiner Zugehörigkeit zum abgelehnten Sehensideal verwirft. Aus beiden Gründen lehnt Levinas auch ab, die alles entscheidende Wirklichkeit des Antlitzes ›Phänomen‹ zu nennen, zumindest aber weigert er sich, sie auf die Phänomenalität einzuschränken. Das liegt daran, dass das Phänomen für ihn aufgrund des rahmengebenden Intentionalitätsprimats bloßer Schein ist, ›Sein ohne Sein‹. 72 Die ganz eigene, nichtphänomenale Erscheinungsart des Antlitzes führt bereits ins Herzstück der levinasschen ontologischen Konzeption, d. h. seiner Wirklichkeitsdeutung, die nun zum Gegenstand der Untersuchung wird.
C’est une étude purement descriptive de la conscience, qui essaie de ne rien réduire, et de respecter le sens interne de la vie et la spécificité de toutes ses modifications. En résumé, la théorie de la connaissance devient phénoménologie chez Husserl, et se présente sous forme d’une ›prise de conscience‹ (Selbstbesinnung) de la vie cognitive elle-même« (ThI 185 f.). Zu ergänzen ist dies um die Definition der phänomenologischen Reduktion (ebd., 209): »La réduction phénoménologique est, précisément, la méthode à l’aide de laquelle nous retournons à l’homme véritablement concret; grâce à elle, nous découvrons le champ de la conscience pure, où nous pourrons pratiquer l’intuition philosophique«. Interessant ist hierbei zu beobachten, dass die zweifache Rückkehr ›zu den Sachen‹ und zum konkreten Menschen dabei durchaus noch als ›Intuition‹ gedacht wird. Weitere Stellen zur Phänomenologie sind etwa AQE 230 f./Lp 280 f.; DEHH 155–172; DI 139 f.; TI XVI/Lp 13; Lévinas, Totalität und Unendlichkeit, 11. D. Janicaud (Le tournant théologique de la phénoménologie française, 26.) unterstreicht zu Recht, dass Levinas am Beginn des Vorworts zur deutschen Ausgabe nur von »phänomenologischem Einfluß« (Lévinas, Totalität und Unendlichkeit, 7) auf TI und somit – pars pro toto – auf seine ganze Philosophie spricht, die sich eben aus verschiedenen Quellen speist, vgl. Anm. 6. 72 Vgl. etwa TI 156.187/Lp 197 f.233 f. u. ö.
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Ontologische Position
3.2 Ontologische Position: ›An-archisches Sprechen‹ der Alterität »[L]e hors-de-Moi absolu – Autrui – me concerne. Or, dans la ›préhistoire‹ du Moi posé pour soi, parle une responsabilité. Le soi est de fond en comble otage, plus anciennement que Ego, avant les principes. Il ne s’agit pas pour le Soi, dans son être, d’être. Au delà [sic! M. L.] de l’egoïsme et de l’altruisme, c’est la religiosité de soi«. 73
In diesem Abschnitt soll Levinas’ ontologische Position im weiten Sinne des Begriffes erläutert werden, wobei Ontologie bei ihm ja im genitivus subiectivus, als Rede des Seienden, und zwar doppelt – als solche des ›Antlitzes‹ des Anderen zum Erkenntnissubjekt wie des menschlichen Subjekts vor aller Erkenntnis zum Anderen – zu verstehen ist. Bevor dies jedoch geschehen kann, besteht evidenterweise Rechtfertigungsbedarf hinsichtlich der Ontologie als Problem: Ist ›Ontologie‹ nicht seit der zweiten, endgültig aber seit der dritten Phase des levinasschen Denkens der Inbegriff jener Art des Philosophierens, die er vehement und oft invektiv ablehnt, und stellt dieser Abschnitt angesichts dessen nicht eine Usurpation der Alteritätsphänomenologie und ihre Unterwerfung unter die Zwänge eines womöglich zu starren methodologischen Rasters dar? Hierzu ist zu sagen, ganz im Sinne der oben zur Metaphysik geäußerten Ansichten, dass auch eine gegenüber der Ontologie als expliziter Seinsreflexion kritische Position Aussagen über die Wirklichkeit trifft, also ontologische Implikationen enthält. Wenn Levinas also etwa deklariert, dass jegliches Seinskonzept eine Vergewaltigung der Person des Anderen darstellt, dass kein Denken und kein Gedanke jemals menschlicher Würde adäquat sein können, so ist dies eine metaphysische Aussage über die Wirklichkeit, und somit im weitesten Sinne Ontologie. Diese ist – so wird anhand der im achten Kapitel zu entfaltenden dreifachen Analogie zu zeigen sein – eben nicht zwangsläufig essentialistisch, sondern vermag als relationale durchaus reale Differenz und vor allem auch personale Proprietät und Geheimnishaftigkeit zu denken. Vor diesem Hintergrund wäre J. Greischs gegen Levinas’ Ontologiekritik eingewandte Frage »Löst der ontologische Diskurs notwendigerweise die ethische Intrige der Alterität auf?« 74 zu verneinen, und vielmehr umgekehrt zu fragen, 73 74
AQE 150/Lp 186. Greisch, Éthique et ontologie, 33: »Le discours ontologique dissout-il nécessairement A
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ob sich die ethische Intrige überhaupt außerhalb eines ›ontologischen‹ Diskurses formulieren lässt. Die Untersuchung der ontologischen Position soll in inhaltlicher Anlehnung an AQE erfolgen, wobei Levinas’ nicht nur in dieser späten Phase oft zu Ausschweifung und spiralförmiger Redundanz neigende Gedankenführung 75 anhand der folgenden, aufeinander aufbauenden Fragentrias gegliedert werden soll: Was oder wer ist das menschliche Subjekt als vermeintlicher Anfang und Ausgang des Denkens (1)? Inwiefern geht ihm die Alterität konstituierend voraus und inwieweit lässt sie sich beschreiben (2)? In welchem Kontext steht die unmittelbare Begegnung zwischen Alterität und Subjekt, wie ist ihr Umfeld, wo liegt ihr Ursprung (3)? (1) Zur Beantwortung der ersten Frage nach der Subjektkonzeption von AQE ist zunächst summarisch festzuhalten, dass der Levinas der späten Philosophie entgegen der ursprünglichen hypostatischen Konstitution und Aktivität des Menschen als schwelgendem Einzelwesen nunmehr das Moment der Passivität der Menschwerdung in den Vordergrund rückt. In der früheren Philosophie, die hier als überwundener Hintergrund mitbedacht werden muss, zeichnet Levinas in subtilen phänomenologischen Deskriptionen das Bild einer »Ökonomie« (économie), 76 die logisch wie zeitlich-faktisch dem Einbruch der »Exteriorität« (exteriorité) 77 des Antlitzes vorausgeht. Demnach lebt die Hypostase als ein wesentliches (verbales) »Leben von …« (vivre de …), das sich in blindem Egoismus den eigenen »Bedürfnissen« (besoins) nachgebend die Welt zur »Nahrung« (nourriture) und zur »Freude« (jouissance) macht. Diese Hypostase finde sich zwar vor, habe nicht selbst das Sein gewählt oder sich gar in es hineinversetzt, sei aber dennoch zufrieden und (mangels Einsicht freilich nur rudimentär) freier Herr ›ihrer‹ Welt; ihr fehle nichts. Erst die im Antlitz des Anderen begegnende Alterität bzw. Exteriorität eröffne (in) ihr die Vorstellung einer Transzendenz in Gestalt der
cette intrigue éthique de l’altérité?« Zu dem geschilderten Dilemma Levinas’, ontologische Prämissen zu machen und gleichzeitig jede Ontologie ablehnen zu müssen vgl. unten 3.7, v. a. Anm. 248. 75 Strasser (Jenseits von Sein und Zeit, 219) bezeichnet den Stil von AQE daher zu Recht als »barock«. 76 Vgl. etwa TI 79–158/Lp 109–200. 77 Vgl. etwa ebd., 159–225/Lp 201–277.
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›Unendlichkeitsidee‹ als unsaturierbarem ›Sehnen‹ (désir). Erst hier werde die Hypostase/Person zum Subjekt und wirkliche Freiheit möglich, erst hier könne die Person sich zum eigenen Egoismus verhalten und ethisch handeln, sodass Genese (›Subjekt-werdung‹) und Entfaltung (›Sub-jektivierung‹) des Subjekts zwei zu unterscheidende Etappen der Humanisation darstellen. 78 Diese werden nun in der späten Philosophie in eins aufgehoben: Der Mensch sei nicht zunächst passiv Person, um dies später aktiv einzuholen, er wird (!) auf einmal zu beidem: Das Subjekt ist nicht ursprünglich-transzendentale Aktivität und Selbst- oder gar Weltsetzung, sondern passive ›Unterwerfung‹ bzw. Geworfensein, d. h. ›inkarniert‹ im levinasschen Sinne, der eben mehr umfasst als die ›bloße‹ Leibbindung der Seele. 79 Es ist auf sich selbst, auf das soi, dem kein wählendes moi vorausgeht, zurückgeworfen (vgl. récurrence), es steht von vorneherein in Bezügen, ist in der dritten Person, bevor es sich selbst reflexiv darauf besinnt. »Die anfängliche Rekurrenz des selbst« bestehe nun darin, dass das Selbst, bevor es ›ich‹ sagen oder denken könne, »auf sich zurückgedrängt, am Fuß der Mauer, auf sich zurückgekrümmt in seiner Haut, unwohl in seiner Haut, in sich schon außer sich« sei. 80 Insofern steht das Selbst dem Weltzusammenhang weiterhin separiert entgegen, aber diese Separation ist nicht mehr Ausdruck des ›Lebens von …‹ und des Genusses, sondern eher Fluch und Verdammung, Auslieferung an die unpersönliche Macht des ›grausam-neutralen‹ il y a. 81 Levinas lehnt radikal nicht allein jede Reflexionstheorie des Bewusstseins ab, sondern überhaupt jede theoretische Selbstvermittlung, die für ihn immer an den zeitlichen Modus des Präsens gebunden und synchronisierend ist. Das Subjekt finde sich vielmehr immer schon als soi vor und könne diese Begebenheit weder thematisch einholen, noch aus einem Gesamtzusammenhang des Seins heraus erklären, noch den eigenen zeitlichen Anfang erfassen: Dieser Anfang liege als ›Rekurrenz‹ in der (chrétienschen) ›immemorialen/unerinnerlichen‹ Vergangenheit. So erscheint schon die husserlsche PhäVgl. Anm. 58. Zur levinasschen Inkarnationsvorstellung mit ihren Implikaten der Kenosis, ›Rekurrenz‹ und ›Stellvertretung‹, die allesamt freilich nur das menschliche Subjekt, keineswegs aber einen hypostatisch mit Gott geeinten Menschen avisieren, vgl. Anm. 259. 80 TI 132/Lp 164: »[L]a récurrence pré-alable du soi-même […], d’emblée acculée à soi, au pied du mur, ou tordu sur soi dans sa peau, mal dans sa peau, en soi déjà hors de soi«. 81 Vgl. AQE 207–210/Lp 253–256; das il y a ist ein Relikt der ganz frühen Philosophie, vgl. oben 3.1. 78 79
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nomenologie des inneren Zeitbewußtseins als ein, ja vielleicht als der Inbegriff des abgelehnten Selbstvergewisserungsstrebens: Das Subjekt versuche sich mittels seiner zeitlichen Synthesen der Re- und Protention und des Gegenwartsbewusstseins selbst zu be- und ergreifen und die Passivität seines sinnlich-impressionalen ›Erlebens‹ (vécu) von der ›Ur-Impression‹ (proto-impression) an in aktive Intentionalität zu überführen, in einer Art doppelten »Wiedereinholung« (récupération) der Zeit und seiner selbst. 82 Diese »zeitliche Modifikation« alles Erlebens und der eigenen Identität durch die Intentionalität betrachtet Levinas als Denken alles Wirklichen vom Verb ›sein‹, vom (verbalen) Wesen, also der titelgebenden ›essence/essance‹ her. 83 Jene Verbalisierung ist gleichbedeutend dem Versuch, sich selbst als ein Seiendes zu etablieren; einem Versuch, der allerdings von vorneherein zum Scheitern verurteilt ist, denn das Subjekt ›ist‹ kein ›Seiendes‹ mehr, keine Hypostase, es ist nicht mehr Träger seiner Identität. 84 Als soi existiert es vielmehr als ein ursprüngliches »Sagen«, ein nicht allein vorsprachliches, sondern schon vorbewusstpräreflexives »Reden« (dire), das ihm selbst unverfügbar ist und durch die thematische »Aussage« (dit) seines Denkens und Sprechens niemals eingeholt werden kann, sondern allenfalls verraten. 85 Dieses dire bezeichnet auf eine Weise, die »[f]rüher [ist] als die verbalen Zeichen, die es konjugiert, früher als die linguistischen Systeme und die semantischen Facettenreichtümer«, 86 früher als alle Intentionalität, Theorie und Apophansis. 87 Was aber ist nun die Bedeutung, der
Vgl. ebd., 39–43/Lp 55–60; v. a. 43/Lp 59 f.: »Le temps de la sensibilité chez Husserl est le temps du récupérable. Que la proto-impression ne soit pas perte de conscience […] exclut du temps la diachronie dont la présente étude essaie de faire valoir la signification derrière la monstration de l’être. Variant dans son identité et identique dans sa différence – retenue, remémorée ou reconstruite – […] l’impression se temporalise et s’ouvre à elle-même«. Zur Ambivalenz und intentionalen Überformung der husserlschen Urimpression vgl. auch DEHH 168.206–225. Erneut sticht hier die Parallele zu Henrys Kritik der husserlschen Intentionalisierung der Urimpression ins Auge, vgl. 2.1. 83 Vgl. AQE 43/Lp 60: »La modification temporelle n’est ni un événement, ni l’action, ni l’effet d’une cause. Elle est le verbe être«. 84 Vgl. AQE 132/Lp 164 f. 85 Vgl. dazu den Teil zur Erkenntnistheorie, 3.4. 86 AQE 6/Lp 17: »Antérieur aux signes verbaux qu’il conjugue, antérieur aux systèmes linguistiques et aux chatoiements semantiques«. In diesem Abschnitt zeigt sich eindrucksvoll, wie Levinas gleichzeitig das Vokabular des saussureschen Strukturalismus aufgreift und ihn radikal bekämpft. 87 Vgl. ebd., 58–61/Lp 78–81. 82
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Inhalt des dire, und wie lässt sich von hierher die Konstitution des bewussten Subjekts denken? (2) Der vorangehende Satz ist eine Paraphrase der obigen zweiten Frage nach Alterität und Subjektkonstitution. Das dire als Synonym der apriorischen Ausgesetztheit des inkarnierten Subjekts ist – deswegen wählt Levinas ja dieses Bild aus dem Symbolfeld zwischenmenschlicher Kommunikation – ein ›Sagen‹ gegenüber der Alterität, eine ›Exposition‹ vor dem Anderen, und dies eben nicht mehr in indifferenter Neutralität, sondern in, oder besser noch als Verantwortung: Es ist das »originäre – oder präoriginäre – Sagen der Verantwortung […]. Sagen, das heißt dem anderen nahen, ihm [freilich vor aller transzendentalen Sinngebung; M. L.] ›Bedeutung borgen‹ […]. Das Sagen ist sicher Kommunikation, aber insofern Bedingung jeglicher Kommunikation, insofern Ausgesetztsein«. 88 Das ›Sagen‹ der Verantwortung, und damit das Subjekt in seinem ›Ausgangszustand‹ könne aber nur Antwort sein, wovon schon das Wort ›Verantwortung‹ bzw. ›responsabilité‹ zeuge. Das Subjekt, und hier erreicht die Argumentation ihren vielleicht entscheidenden Punkt, existiert also ›sagend‹ als Antwort, in gewisser Weise als ›Echo‹ 89 auf den unvordenklich voraufgehenden, diachronen »Anruf« (appel) des Anderen. 90 Von hierher erklärt sich auch die grammatikalische Akkusativbeugung des levinasschen Subjekts (s. o.). Auch der anrufende Andere erscheint somit als dire, das »mir« meine Antwort, mein ›Sagen‹ geradezu »entreißt« (m’arrache). 91 Hier greift Levinas nun auf die schon klassischen Lehren seiner Alteritätsphänomenologie über die Erscheinensart des Antlitzes des Anderen zurück: Die Erscheinung des Anderen als ›ursprüngliches Sagen‹ darf nicht phänomenal gedacht werden, weil Phänomenalität ja – wie beschrieben – intentionale Vermittlung voraussetzt, und das Phänomen zu einer Größe ohne eigene Wirklichkeit, ohne extramentale Subsistenz, zum ›Sein ohne Sein‹ degradiert. In dieser Hinsicht ist das Antlitz einerseits weniger als ein Phänomen, weil es nicht deutlich und eindeutig ›vor Augen tritt‹ und sich der Thematisierung 88 Ebd., 60 f./Lp 80–82: »[D]ire originel – ou pré-originel – de la responsabilité […]. Dire, c’est approcher le prochain, lui ›bailler signifiance‹ […]. Le Dire est communication certes, mais en tant que condition de toute communication, en tant qu’exposition«. 89 Vgl. ebd., 134/Lp 167. 90 Ebd., 68/Lp 90. 91 Ebd., 98/Lp 124.
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verfügbar macht, andererseits aber auch mehr, weil es von sich selbst her und unmittelbar bedeutet. 92 Diese »Nicht-Phänomenalität des Antlitzes« (non-phénoménalité du visage) 93 ›erweckt‹ das Subjekt, das nur durch den ›Anruf‹ bzw. die ›Anklage‹ existiert, also sozusagen ›wesentlich‹ Verantwortung ist: »Das Selbst ist nicht aus seiner eigenen Initiative hervorgegangen […]. Das Selbst hypostasiert sich anders: es verflechtet sich unlöslich in eine Verantwortung für die anderen«. 94 Die Bindung an die Alterität, die Levinas hier durch das bereits eine intrinsische Verflechtung implizierende Verb se nouer 95 ausdrückt, ist als essentiell zu verstehen: So spricht er auch von »Entkernung« (denoyautement 96 bzw. dénucléation 97 ) des transzendentalen Subjekts. Die Alterität ist so schon vor der Bewusstwerdung in das Subjekt eingeschrieben, dessen erste ›erweckende‹ und entscheidende Frage eben nicht mehr die Seinsfrage in ihrer hamletschen oder leibnizschen Form ist, sondern die Frage nach der Verantwortung für das Sein des Anderen. 98 Die menschliche »Psyche« (psychisme, undifferenziert als Seele oder Bewusstsein) ist nicht mehr radikal separiert, um sich nachträglich zur Welt verhalten zu können, sondern sie ist – vermittelt durch ihre Leibbindung – immer schon ›Ausgesetztsein‹ (exposition) an den Anderen. So ergibt sich Levinas’ Definition der ›Inkarnation‹ als der Vgl. summarisch etwa TI 168–187/Lp 211–233. AQE 113/Lp 142. 94 Ebd., 133 f./Lp 166 f.: »Le soi-même n’est pas issu de sa propre initiative […]. Le Soimême s’hypostasie autrement: il se noue indénouable dans une responsabilité pour les autres«. Andernorts (ebd., 97/Lp 123) spricht er von einer unlösbaren Verflechtung (nœud indénouable). 95 Die Wortgruppe um das reflexive Verb ›se nouer‹ wird hier und im Folgenden um der Lesbarkeit willen mit ›verflechten‹ übersetzt, wörtlich müsste es ›verknoten‹ heißen. Entscheidend ist jedenfalls der essentielle, nicht-akzidentielle Charakter der ausgedrückten Beziehung. 96 Vgl. ebd., 113/Lp 142. 97 Ebd., 180/Lp 221; DI 57.113 u. ö.; vgl. auch AQE 81/Lp 105. Th. Wiemer übersetzt diesen Neologismus als »Kernspaltung« (Lévinas, Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, 120 u. ö.), was der Terminus allerdings weder etymologisch noch aus seinem Verwendungskontext heraus nahe legt; Krewani ist vorsichtiger und deutscht den Terminus ein (vgl. Diachronie und Schöpfung, 50: »Denukleation«). Andernorts verwendet Levinas aber auch das französische Äquivalent zur ›Kernspaltung‹, »fission du noyau« (AQE 63/Lp 84; eigentlich lautet der terminus technicus freilich fission nucléaire) zur Beschreibung der innersten Öffnung des Subjekts auf die Alterität hin. Freilich bleiben beide Vorstellungen problematisch und gefährden die Identität des solcherart ›entkernten‹ oder ›gespaltenen‹ Subjekts. 98 Vgl. DI 201; EPP 107–109. 92 93
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»Verflechtung […] in einer Intrige, die größer ist als die Selbstapperzeption; eine Intrige, in der ich mit den anderen verflochten bin vor dem Verflochtensein mit meinem Körper«. 99 Doch die Alterität affiziert nicht nur die Leiblichkeit des Menschen, sie ist vielmehr ebenfalls Krisis der Psyche selbst und ›Krankheit‹ der Identität. 100 Ja, Levinas geht soweit, die ›entkernte‹ Psyche gleichzusetzen mit dem »Andere[n] in mir« und die Alterität als Prinzip der »Beseelung« (animation) und als »Pneuma« (pneuma) zu bezeichnen, 101 bzw. als »Erwählung« (élection) oder »Inspiration« (inspiration) der Verantwortlichkeit: »Die Identität des selbst im ›ich‹ kommt ihm ohne sein Dazutun von außen zu, wie eine Erwählung oder wie die Inspiration, als Einzigkeit eines Vorgeladenen. Das Subjekt ist für den anderen; sein Sein schwindet dahin für den anderen; sein Sein erschöpft sich in Bedeutung«. 102 An dieser Stelle wird besonders deutlich, dass es Levinas – wie schon die Besinnung auf seinen Denkansatz bei der Entneutralisierung des Denkens im Hinblick auf das Gesamtwerk gezeigt hat – keineswegs um eine vermeintlich postmoderne Auflösung oder Verabschiedung, sondern im Gegenteil um die Neukonstitution oder Restitution des Subjekts als einmalige und unersetzliche Entität geht; aber eben nicht mehr als einer solchen, die ihren Wert aus sich selbst heraus bezöge oder gar selbst zu stiften vermöchte (vgl. hierzu auch unten 3.7). Levinas bietet ein alternatives, passives Modell der Subjektivität, indem er zugleich die klassische Subjektkonzeption des »Ursprungsein[s]« (être origine) ablehnt. 103 Das restituierte Subjekt 99 AQE 96/Lp 123: »[L]e noeud de l’incarnation dans une intrigue plus large que l’apperception de soi; intrigue où je suis noué aux autres avant de l’être noué à mon corps«. Vgl. ebd., 94/Lp 120, wo Levinas die Sinnlichkeit mit der Aussetzung an den anderen schlichtweg gleichsetzt: »La sensibilité est exposition à l’autre«. 100 Vgl. ebd., 181/Lp 222 mit biblischem Verweis auf Hld 5,8. 101 Vgl. ebd., 87/Lp 111. 102 Ebd., 67/Lp 88: »L’identité du même dans les ›je‹ lui vient malgré soi du dehors, comme une élection ou comme l’inspiration, en guise de l’unicité d’assigné. Le sujet est pour l’autre; son être s’en va pour l’autre; son être se meurt en signification«. Vgl. zur Inspiration v. a. ebd., 179–181/Lp 220–222. Diese Vorstellung einer Subjektwerdung bzw. Identitätsvermittlung allein durch die Alterität gemahnt an entsprechende Überlegungen Pannenbergs (etwa in seiner Anthropologie in theologischer Perspektive), von denen sich Pröpper distanziert, vgl. Kap. 5, Anm. 10. 103 Vgl. AQE 98/Lp 125: »Ici [sc. autant pour la psyche des anciens que pour la conscience des modernes; M. L.] le sujet est origine, initiative, liberté, présent. Se mouvoir soi-même ou avoir conscience de soi, c’est en effet se référer à soi, être origine«.
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verdankt seine Stellung völlig der Verantwortungs- und Stellvertretungsfunktion (substitution) dem Anderen gegenüber, so dass es letztlich mit dieser identisch ist: Der Mensch existiert als Verantwortung für den anderen und dessen Fehler, als ein »Hier bin ich« (me voici), als »Geisel« (otage) und »Sühne« (expiation) des Anderen. 104 Vier Aspekte sind hinsichtlich dieser essentiellen Geiselhaft, für die ›Verantwortung‹, ›Sühne‹, ›Nähe‹, ›Vorladung‹ etc. als Synonyme verwendet werden, anzumerken: Als essentielle ist sie erstens – hierauf wird noch näher einzugehen sein (vgl. 2.4) – keineswegs als Heteronomie oder Versklavung zu betrachten, sondern als wesenhaft gut und dem Subjekt sozusagen als Eigenstes entsprechend. 105 Zweitens muss sie konkret und real verstanden werden, keineswegs als bloß symbolisch oder ideell: Die Verantwortung für den Anderen äußert sich in der leiblichen Konkretion des Alltags, sie fordert buchstäblich ›gefüllte Hände‹ 106 sowie ein permanentes ›Sich-das-Brotstück-aus-dem-Mund-reißen-lassen‹. 107 Die Exposition vor dem Anderen ist gleichbedeutend einer sich der Verletzung aussetzenden Haut 108 bzw. – wohl in stiller biblischer Referenz (vgl. etwa Jes 50,6; Klgl 3,30) – der dem Schlag hingehaltenen Wange. 109 Ein dritter Aspekt sei hier nochmals hervorgehoben, nämlich die Tatsache, dass die Verantwortung aus der unvordenklichen Vergangenheit stammt, d. h. ›an-archisch‹ 110 ist und dem Subjekt apriorisch und somit auch – und dies ist wohl entscheidend – vor aller Entscheidung vorausgeht
104 Vgl. die AQE-Abschnitte »Le soi« (139–144/Lp 173–179) und »La substitution« (144–151/Lp 179–188). 105 Zur Frage nach Auto- und Heteronomie bei Levinas vgl. den entsprechenden Abschnitt 3.5. Fest steht für Levinas jedenfalls schon seit TI (vgl. 146/Lp 186), dass der Andere im Gegensatz zum Subjekt nie Willkürfreiheit oder Usurpator ist, sondern Lehrer und Meister. Seine ›Lehre‹ widerspricht nicht der Vernunft des Subjekts, weil sie diese erst stiftet: vgl. ebd., 178/Lp 223. So schuldet das Subjekt ihm auch, sich von ihm widerspruchslos verletzen zu lassen: vgl. DI 134. 106 Vgl. hierzu schon TI 147/Lp 187; in DL 45 bezeichnet Levnias – im Encyclopaedia Universalis-Artikel Judaïsme – die Einsicht, dass es keine wirkliche Annäherung »mit leeren Händen« (à mains vides) geben könne, als proprium judaicum. 107 Vgl. AQE 93/Lp 119, oder auch die – nicht nur im Französischen – etwas sperrige Bindestrich-Nominalisierung »Das-sich-selbst-für-den-Anderen-im-dem-Anderendas-Brot-seines-Mundes-Geben-entrissen-sein« (l’être-arraché-à-soi-pour-un-autredans-le-donner-à-l’autre-le-pain-de-sa-bouche): ebd., 99/Lp 126. 108 Vgl. ebd., 113/Lp 143; HAH 104. 109 Vgl. ebd., 63/Lp 83. 110 Vgl. ebd., 125–130/Lp 156–162 u. ö.
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und niemals frei von ihm gewählt wird. 111 Deswegen kann Levinas in die Reihe der Synonyme der Geiselhaft auch den Begriff »Besessenheit« (obsession) einführen, der alles subjektive Anfang- bzw. ArchéSein (explizit auch jenes der fichteschen ›Setzung‹) ad absurdum führt. 112 Als viertes und letztes Charakteristikum des Verhältnisses von Subjekt und Alterität sei dessen Asymmetrie herausgestellt: Schon in seiner früheren Philosophie vertrat Levinas die Ansicht, dass die Relation des ›Ich‹ zu dem ihm begegnenden Anderen keine reziproke sei. Eine Symmetrie der Intersubjektivität, eine reversible Ich-DuKorrelation, wie sie vor allem der Personalismus (etwa eines Martin Buber) denkt, kann für Levinas der Radikalität und völligen Transzendenz der Alterität nicht gerecht werden. Ein solches Denken setze vielmehr immer schon einen gemeinsamen Horizont, eine umfassende Perspektive voraus und sei so eine subtile Strategie des totalisierenden Subjekts, durch die ›Hintertür‹ doch wieder alles vom Eigenen her zu denken und zu umgreifen. Eine wirkliche ›Nähe‹ oder ›Begegnung‹ sei so unmöglich, weil der Andere letztlich nur der Selbstidentifikation dienen würde. So ist der Andere für Levinas – in AQE nicht minder als z.B in TI – der ›Heilige‹, der völlig Transzendente, gegenüber dem das Subjekt nur Verpflichtungen, aber keine Rechte hat, nicht einmal das Recht der kritischen Hinterfragung der Ansprüche des Anderen auf ihre Rechtmäßigkeit oder Angemessenheit. Das Subjekt muss sich dem Anderen gegenüber als völlig kriterienlos erkennen und seine Geiselhaft akzeptieren, und darf dabei – diesmal im Gegensatz zur früheren Philosophie (s. o.) – nicht einmal mehr als nachgeordnetes Ziel die eigene Lust oder gar Erlösung anvisieren, es muss ›erosfrei‹ lieben. (3) Der Gedanke der Asymmetrie und die Überzeugung von der Heiligkeit des Anderen führen indirekt zum Komplex der dritten Frage, nämlich jener nach Umfeld und Ursprung der unmittelbaren Begegnung von Subjekt und Alterität. Diese kann nun präzisiert werden einmal als die Frage nach der Denkbarkeit menschlicher Intersubjek111 Vgl. ebd., 66/Lp 87: »Or, la responsabilité pour autrui ne saurait découler d’un engagement libre, c’est-à-dire d’un présent«. Es ist interessant zu beobachten, dass Levinas die landläufige Vorstellung der Freiheit immer an den – von ihm strikt abgelehnten – zeitlichen Modus des Präsens bindet. 112 Vgl. etwa ebd., 127/Lp 159.
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tivität zwischen mehr als zwei Individuen: Wie hat sich das Subjekt bei fehlender Symmetrie, Übersicht und Kriteriologie gegenüber mehreren Anderen zu verhalten, oder – mit Levinas formuliert – was bedeutet das Auftauchen der Kategorie des menschlichen ›Dritten‹ für die gesamte Konzeption? Der zweite Aspekt der Ausgangsfrage betrifft den Ursprung von Heiligkeit resp. Transzendenz und des wechselseitigen ›Sagens der Verantwortung‹ : Inwiefern integriert die Gesamtkonzeption den ganz offensichtlich vorhandenen Gedanken der schöpferischen Deitas, oder – wiederum mit Levinas – des göttlichen ›Dritten‹ ? Angesichts dieser Neuformulierung ist wohl eindeutig, dass dieser zweite Teilaspekt der Frage eindeutig dem bereits angekündigten Themenkomplex der levinasschen Gotteslehre zugehört und daher im Anschluss zu behandeln sein wird (vgl. den folgenden Abschnitt). Vorher sei allerdings noch auf den menschlichen ›Dritten‹ eingegangen, der zwar stets nur (und zwar im Verlauf des levinasschen Denkens zunehmend) am Rande der Alteritätsphänomenologie erscheint, ohne den die Konzeption jedoch unvollständig wäre: »In den Augen des Anderen schaut mich der Dritte an«, so schreibt Levinas, und nennt auch gleich die – so wird zu zeigen sein – zweifache Konsequenz, der zufolge »die Sprache Gerechtigkeit ist«. 113 Das heißt, dass sich schon in der vermeintlich geschlossenen Intimität der ›Nähe‹ bzw. ›Begegnung‹ von Subjekt und Anderem, die Perspektive der Öffentlichkeit und der Menschheit als ganzer einschreibe. 114 Die doppelte Konsequenz daraus sei nun, dass wegen dieser Öffentlichkeit und der durch sie hervorgerufenen Komplikation des bis dahin eindeutigen Geiselverhältnisses überhaupt erst die Notwendigkeit einer thetischen Sprache, eines dit gegenüber dem dire entsteht. So schreibt Levinas an einer Stelle sogar – und in deutlicher Spannung zu seiner These von der Subjekterweckung durch den Anruf des ›Antlitzes‹ (s. o.) 115 –, dass das Bewusstsein erst durch die Anwesenheit des ›Dritten‹ entstehe. 116 Die zweite Konsequenz ist die Gerechtigkeitsforderung: Gerechtigkeit erscheint TI 188/Lp 234: »Le tiers me regarde dans les yeux d’autrui – le langage est justice«. Vgl. ebd.: »Tout ce qui se passe ici ›entre nous‹ regarde tout le monde, le visage qui le regarde se place en plein jour de l’ordre public […]. L’épiphanie du visage comme visage ouvre l’humanité«. 115 Diese Spannung löst sich freilich, wenn die Epiphanie des Anderen und das Auftreten des Dritten streng synchron gedacht werden, wie einige Stellen in der Tat nahelegen. 116 Vgl. AQE 203/Lp 249. 113 114
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nun nicht mehr als universales ›suum cuique‹, sondern lediglich als Interessenausgleich zwischen dem Anderen und dem Dritten. Das unilaterale Verhältnis des Subjekts zum Anderen erfordert ausschließlich die Kategorie der Güte als Ausdruck der bedingungsund kriterienlosen Hingabe des Subjekts. Wo nun aber Subjekt, Anderer und Dritte(r) zusammenkommen, d. h. in der Gesellschaft oder im Staat, ist der Gerechtigkeitsausgleich – wenn auch als notwendiges und stets zu kontrollierendes Übel – unumgänglich. Die Gerechtigkeit erfordere somit etwas, das Levinas vorher vehement abgelehnt hat: eine gewisse Synchronisation bzw. die »Gleichzeitigkeit der Repräsentation« (la contemporanéité de la représentation). 117 Die Gerechtigkeit wie die Gesellschaft und der Staat mit seinen Institutionen erhalten Sinn und Berechtigung nur als Möglichkeitsbedingungen der ethischen Güte, die sich allein in der ›Nähe‹ ereignet. 118 Ungeachtet dessen – und hierfür sei das Judentum bzw. der Staat Israel das Paradigma – bleibe aber der Primat des Guten gegenüber dem Gerechten und das Desiderat eines Reiches der Güte bestehen. 119 Dieses Reich der Güte stellt sozusagen Levinas’ immanente Eschatologie dar, deren spezifischer ›Messianismus‹ – und hierin ist erneut ein Übergang zum kommenden Abschnitt zu sehen – nur ein innerweltlich-menschlicher sein kann.
3.3 Philosophische Gottesvorstellung: Die ›Illeität‹ »Trace d’une relation avec l’illéité qu’aucune unité d’aperception n’embrasse, m’ordonnant à la responsabilité. Relation – ou religion – excédant la psychologie de la foi et de la perte de foi – elle m’ordonne d’une façon an-archique […] sans jamais se faire […] présence«. 120
In diesem Abschnitt soll Levinas’ Gottesvorstellung vor allem anhand von Schriften der Spätphilosophie erläutert werden. Neben AQE und dem sich schon durch seinen Titel aufdrängenden DI 121 AQE 202/Lp 247. Vgl. ebd., 202–205/Lp 247–250. 119 Levinas’ Terminologie ist hier – wie auch häufig andernorts – allerdings nicht immer einheitlich: Oft unterdrückt er die ›Güte‹ und erhebt die ›Gerechtigkeit‹ zum Ideal, dem er gegenüber der ›Freiheit‹ den Primat einräumt; vgl. etwa TI 17/Lp 38. Zu Levinas’ Ausführungen über den gerechten Staat vgl. etwa DL 143–147. 120 AQE 214/Lp 261. 121 Vgl. v. a. den vormals selbständigen Aufsatz »Dieu et la philosophie«: DI 93–127. 117 118
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wird hier insbesondere auf die einschlägigen Aufsätze Énigme et phénomène, La trace de l’autre, Un Dieu homme? und Une religion d’adultes Bezug genommen. Die Argumentation erfolgt in sechs Schritten: Zunächst ist dem Vorurteil zu begegnen, Levinas’ Philosophie sei atheistisch (1). Anschließend wird seine doppelte Antwort auf die Frage nach dem ›Ort‹ einer möglichen Gottesbegegnung in der Welt zu betrachten sein, die eine negative Abgrenzung von falschen Lokalisierungen (2) und die positive Ortsbestimmung umfasst (3). Im Anschluss daran können dann die Gottesnamen der levinasschen Philosophie vorgestellt und nachvollzogen werden (4), bevor schließlich sein Begriff der Religion (5) und seine Stellung zur faktischen Religiosität zu betrachten sind (6). (1) Zunächst muss also auf die weit verbreitete Ansicht eingegangen werden, Levinas entwickle eine dezidiert atheistische oder a-religiöse Philosophie: Levinas kennt zwei positive Verstehensweisen des ›A-theismus‹, die jedoch nichts mit dem landläufigen Sinn einer expliziten, matierialen Gottesleugnung zu tun haben. Da ist zunächst der ›A-theismus‹ der vorethischen menschlichen Hypostase der mittleren Philosophie (also v. a. von TI) zu nennen, dessen Bedeutung sich darin erschöpft, die ontische Trennung von der Gottheit auszudrücken, um somit eine partizipationslogische Verschmelzung von Gott und Welt zu verhindern. Hier scheint Levinas sogar den Gedanken einer anima naturaliter atheistica zu vertreten, allerdings stellt er ebenfalls fest, dass dieser ›A-theismus‹ jeglicher Affirmation oder Negation des Göttlichen vorausliege und den Glauben als »Anhängen« (adhésion) im Gegensatz zur Partizipation keineswegs ausschließe. 122 Doch auch wenn dieser hypostatische Ausgangszustand des Menschen in der späten Philosophie wegfällt, hält Levinas doch an dem Desiderat der Überwindung der Partizipationslogik fest, so dass hier der ›Atheismus‹ als ontische Trennung vom ›Schöpfer‹ auch für das inkarnierte Subjekt behauptet wird: Aufgrund der ›Uner122 Vgl. etwa TI 29 f./Lp 52: »On peut appeler athéisme cette séparation si complète que l’être séparé se maintient tout seul dans l’existence sans participer à l’Être dont il est séparé – capable éventuellement d’y adhérer par la croyance. La rupture avec la participation est impliquée dans cette capacité. On vit en dehors de Dieu, chez soi, on est moi, égoïsme. L’âme – la dimension du psychique – accomplissement de la séparation, est naturellement athée. Par athéisme, nous comprenons ainsi une position antérieure à la negation ou à l’affirmation du divin, la rupture de la participation à partir de laquelle le moi se pose comme le même et comme moi«.
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innerlichkeit‹ seiner ›Rekurrenz‹ ist das Subjekt zwar »Kreatur, aber Waise von Geburt an oder atheistisch insofern zweifelsohne in Unkenntnis ihres Schöpfers, denn, wenn sie ihn kennte, würde sie auch ihren Anfang erschöpfen«. 123 Ein zweiter legitimer und unerlässlicher ›A-theismus‹ betrifft – die Konsequenz zeichnete sich in den beiden letzte Zitaten ab – nicht mehr menschliches Sein, sondern Denken: Levinas hebt die Vorzüge eines metaphysischen Atheismus gegenüber jedem mythischen Verschmelzungsdenken hervor, das immer totalisierend sei und wahre menschliche ›Nähe‹ und ethische Verantwortung verunmögliche. 124 Dem Mythos gegenüber wird die Atheismusfähigkeit des Menschen gerade als Ausdruck seiner Würde und gar als »große Ehre« (grande gloire) für den Schöpfer profiliert. 125 Konsequent ist daher auch Levinas’ rigorose Kritik der Vorstellung eines numinös-religiösen, sächlichen »Heiligen« (sacré) zugunsten des menschlich-personalen »Heiligen« (saint). 126 Metaphysischer Atheismus im Sinne der Überwindung der Prätention eines überschaubaren Partizipationsverhältnisses zwischen Gott und Welt sei alle Mal besser als der Mythos und erscheint Levinas geradezu als Voraussetzung wahrer Religiosität, monotheistischen Glaubens und jeglicher göttlicher Offenbarung. 127 Es bleibt festzuhalten, dass beide Formen dieses formalen ›A-theismus‹ keine explizite Gottesleugnung anvisieren, sondern im Gegenteil – in Anlehnung an das kantsche Wort vom ›Platzbekommen für den Glauben‹ 128 – nur der rechten Religiosität zum Durchbruch zu helfen suchen. Weiterhin ist 123 AQE 133/Lp 165 f.: »Creature, mais orpheline de naissance ou athée ignorant sans doute son Créateur, car si elle le connaissait elle assumerait encore son commencement«. 124 Vgl. TI 50/Lp 76: »L’athéisme du métaphysicien – signifie positivement que notre rapport avec le Métaphysique est un comportement éthique et non pas la théologie«. 125 Vgl. DL 30 f.: »L’affirmation rigoureuse de l’indépendance humaine […], la destruction du concept numineux du sacré, comportent le risque de l’athéisme. Il doit être couru. À travers lui seulement l’homme s’élève á la notion spirituelle du Transcendant. C’est une grande gloire pour le Créateur que d’avoir mis sur pied un être qui l’affirme après l’avoir contesté et nié dans les prestiges du mythe et de l’enthousiasme; c’est une grande gloire pour Dieu que d’avoir créé un être capable de le chercher […] à partir de l’athéisme […]; l’athéisme vaut mieux que la piété vouée aux dieux mythiques«.Vgl. auch Anm. 153. 126 Vgl. DL 28–31. 127 Vgl. TI 50/Lp 75: »[L]a foi épuré des mythes, la foi monothéiste, suppose elle-même l’athéisme métaphysique. La révélation est discours. Il faut pour accueillir la révélation un être apte à ce rôle d’interlocuteur, un être séparé. L’athéisme conditionne une relation véritable avec un vrai Dieu kaq3 a't«. 128 Kant, Kritik der reinen Vernunft, B XXX. Vgl. hierzu auch etwa Röd, Ist der Gott der Philosophen tot?, 44 f.
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unbedingt festzuhalten, dass die levinassche Philosophie durchaus religiöse Züge trägt und einen explizit-materialen Atheismus genauso als neutralisierend-totalisierende Vergewaltigung menschlicher Wirklichkeit versteht und ablehnt wie den Mythos. 129 (2) Wo ist nun aber der ›Ort‹ der Gottvorstellung in der levinasschen Philosophie, wo erscheint Gott ihr zufolge im menschlichen Denken? Diese Frage nach dem phänomenologischen Ort göttlicher Manifestation muss zunächst in der vorliegenden Formulierung zurückgewiesen werden: ›Erscheinen‹ im Sinne der Phänomenologie kann Gott Levinas zufolge gerade nicht, weil ja alle Phänomenalität dem subjektiven Sehens- und Intentionalitätsprimat unterliege und so keine personhafte Interiorität vermitteln könne, d. h. eine Erscheinung kaq3 a't verhindere. Dies gilt bereits hinsichtlich der (menschlichen) Transzendenz des Anderen, a fortiori aber hinsichtlich Gottes, da Levinas diesen in der kabbalistischen Tradition des ›Zimzum‹ als radikale Transzendenz denkt. 130 Der Schöpfungsakt wird demnach deistisch als contractio Dei verstanden, 131 als ein Sichzurückziehen des Schöpfers im Moment der Kreation in völlige Separation und Transzendenz; der dem göttlichen Sein zuzuschreibende Sinn sei demnach äquivok gegenüber dem Sinn kreatürlichen Seins. 132 Vor dem Hintergrund dieser radikalen göttlichen Transzendenz ist schon deutlich, dass Levinas – bei aller wiederholt geäußerten Sympathie gegenüber dem Christentum – dessen zentralen Gedanken der Menschwerdung Gottes (›Inkarnation‹ im klassischen Wortsinn) in Un Dieu homme? ablehnen muss. 133 Wenn Gott aber dennoch in irgendeiner Weise in dieser Welt erfahrbar sein soll – und daran hält Levinas etwa mit biblischer Insinuation fest 134 – so kann diese Anwesenheit paradoxerweise nur in der Erfahrung seiner Abwesenheit bestehen, als ein »Bedeuten« (signifier) jenseits der 129 Vgl. DEHH 297: »Le phénomène, l’apparition en pleine lumière, la relation avec l’être assurent l’immanence comme totalité et la philosophie comme athéisme«. Vgl. auch Anm. 9. 130 Vgl. Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 116 f. Zum Gedanken des ›Zimzum‹ resp. ›Tzimtzum‹ (›Einengung‹ oder ›Kontraktion‹) aus der lurianischen Kabbalah vgl. etwa Jacobs, Art. God, hier v. a. 294. 131 Vgl. Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 208–210. 132 Vgl. TI 53/Lp 79. 133 Vgl. dazu auch 3.7., v. a. Anm. 259. 134 Vgl. etwa DEHH 290 f.: »Un Dieu s’est révélé sur une montagne ou dans un buisson inconsommable ou s’est fait attester dans des Livres«.
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phänomenalen Erscheinung.135 Levinas schafft hierfür die Kategorie der »Spur« (trace). 136 Gott ist demnach in der Welt erfahrbar als Spur, wobei diese Spur als uneindeutig zu begreifen ist, als durch und durch ambivalente und geheime Spur (vgl. den Aufsatz Énigme et phénomène), die nicht zur einheitlichen Signifikation ausreicht, sondern allenfalls durch begleitende sprachliche Explikation signifizieren könne. Levinas sucht ausdrucksstarke Bilder, um die zeichenhafte Schwäche und Ambivalenz der Spur zu beschreiben: Sie ähnele der Spur im Sand, die nicht Teil eines Weges sei, dem Klingeln an der Tür, vor der niemand stehe, 137 dem sartreschen »Loch in der Welt« (trou dans le monde), 138 der vom Jäger untersuchten Fährte des Wildes, dem archäologischen Relikt untergegangener Zivilisationen oder der ohne Absicht am Tatort hinterlassenen Spur des spuren-verwischenden Täters. Der Urheber der Spur wollte keine Spur hinterlassen und somit auch nichts aussagen. Die Spur entstammt der unvordenklichen Vergangenheit, sie ist Hinterlassenschaft des – im doppelten (räumlichen wie zeitlichen) Wortsinne – »vorbeigegangenen« (passé) 139 Gottes und in ihrer Ambiguität 140 Ausdruck der göttlichen Unaufdringlichkeit, seiner »diskreten, nicht sensationellen, nicht gewalttätigen Einladung« (Strasser). 141 Um dieser personalen Diskretion und Intimität willen muss die Spur denn auch alles denkerische Zugreifen, jeglichen Gottesbeweis verunmöglichen und ad absurdum führen: »Das Unendliche widerspräche sich in dem Beweis, den das Endliche von seiner Transzendenz führen wollte, es vereinigte sich mit dem Subjekt, das sie erscheinen ließe. Es verlöre hierbei seine Herrlichkeit. Die Transzendenz ist es sich schuldig, den eigenen Beweis zu unterbrechen«. 142 Jede Gewissheit gegenüber Vgl. DEHH 278: »signifier sans faire apparaître«. Vgl. etwa Levinas, La trace de l’autre. 137 Vgl. DEHH 290. Levinas spielt vermutlich an auf Ionescos La cantatrice chauve (7. Szene, 33–43); vgl. auch DEHH 283. 138 DEHH 276. Levinas bezieht sich hier wohl auf Sartres Le diable et le bon Dieu, 2. Akt (238): »Tu vois ce trou dans la terre? C’est Dieu encore. Le silence c’est Dieu. L’absence c’est Dieu. Dieu c’est la solitude des hommes«. 139 Vgl. DEHH 278 f. 140 Vgl. etwa AQE 15/Lp 27: »La trace laissée par l’Infini n’est pas le résidu d’une présence, sa luisance même est ambiguë«. 141 Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, 211. 142 Vgl. AQE 194/Lp 238: »L’Infini se démentirait dans la preuve que le fini voudrait donner de sa transcendance, entrerait en conjonction avec le sujet qui la ferait apparaître. Il y perdrait sa gloire. La transcendance se doit d’interrompre sa propre démonstration«; 135 136
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dem Anderen wie gegenüber Gott sei das Evidenz lediglich vorgaukelnde »Werk einer einsamen Freiheit« (l’œuvre d’une liberté solitaire). 143 Wahre Kommunikation hingegen beinhalte »das Risiko und die Gefahr der Transzendenz« als eine »Öffnung der Evidenz«, als eine grundlegende Verunsicherung um der Intimität der Innerlichkeit willen, sodass nunmehr von einer »positiven Großzügigkeit der Unsicherheit« gesprochen werden könne. 144 Demgemäß muss jegliche ›Erscheinung‹ Gottes zur Wahrung der eigenen persönlichen Interiorität ambivalent bleiben, und kann nur – wie Levinas ebenfalls in Un Dieu homme? hervorhebt – in selbstgewählter »Niedrigkeit« (humilité) erfolgen. 145 Dabei ist festzuhalten, dass Levinas jegliche Form ›natürlicher Theologie‹ oder Religiosität ablehnt. 146 So ist die von ihm konzipierte ›Spur‹ der göttlichen Selbsterniedrigung keineswegs mit jener ›Schöpfersignatur‹ vereinbar, von der etwa Röm 1,19 f. spricht, und die Thomas von Aquin durch das Bild des im artificiatum abgebildeten artifex ausdrückt, 147 denn schon menschliches – wiederum a fortiori aber auch göttliches – Tun ist (wie alles Sächliche) für Levinas ambivalent und somit kein ausreichender Ausdruck der Interiorität des Persönlichen, die sich nur im dire personaler Begegnung und ›Nähe‹ bzw. im ›Antlitz‹ auszudrücken vermag. 148 Die Kreatur trägt zwar eine Spur des Schöpfers an sich, kann sich aber vgl. ebd. 196/Lp 240: »[L]’Enigme sépare l’Infini de toute phénoménalité, de l’apparoir, de la thématisation, de l’essence. Dans la re-présentation l’Infini se démentirait sans ambiguïté«. 143 DEHH 246. 144 Vgl. EN 66 f.: »Une telle ouverture, de toute évidence […] ne signifie pas la présence de soi à soi de la certitude, c’est-à-dire un séjour ininterrompu dans le même – mais le risque et le danger de la transcendance. Vivre dangereusement, ce n’est pas le désespoir, mais la générosité positive de l’Incertitude«. 145 Vgl. ebd., 66. 146 Vgl. etwa TI 33.269 f./Lp 56.325–327. 147 Vgl. SCG II c. 24 n. 5: »Comparantur igitur omnes res creatae ad Deum sicut artificiata ad artificem«. 148 Vgl. etwa TI 150/Lp 191: »Par les œuvres seulement le moi n’arrive pas au dehors; s’en retire ou s’y congèle«. Vgl. auch DEHH 281: »Cette position dans la trace […] ne commence pas dans les choses, lesquelles, par elles-mêmes, ne laissent pas de trace […]. Tout dans les choses est exposé, même leur inconnu: les traces qui les marquent font partie de cette plénitude de présence, leur histoire est sans passé«. Beide Stellen legen nahe, dass Gegenständen allenfalls dann eine signifizierende Valenz beizumessen sei, wenn ihnen eine expressiv-sprachliche Explikation durch den jeweiligen Urheber beigesellt ist. Vgl. zum Ganzen auch die Ergebnisse des erkenntnistheoretischen Teils zur ›Ambivalenz‹ bei Levinas, 3.4.
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aufgrund der Unvordenklichkeit ihrer Erschaffung nicht an sie erinnern. 149 Von hier aus versteht sich von selbst, dass Levinas jegliche ›Onto-Theologie‹ ablehnt und – mit M. Buber – »einen vom Sein unbefleckten Gott« (un Dieu non contaminé par l’être) 150 sucht. (3) Wo ist die Spur Gottes dann aber zu finden, wenn sie nicht deckungsgleich ist mit der Schöpfung? Im Grunde genommen liegt die Antwort nahe: Gott als ›Heiligkeit‹ schlechthin muss dort gesucht werden, wo Levinas die Heiligkeit intramundan situiert, nämlich in der Alterität. Gott ›erscheint‹ und ›signifiziert‹ anders als die herkömmliche Phänomenalität, er tritt als göttlicher Dritter in die Beziehung von Subjekt und Anderem ein, oder besser gesagt, ist ihr unvordenklicher Ursprung und Schöpfer. Gottesbegegnung – dies dürfte der zentrale Gedanke der levinasschen Religionsphänomenologie sein – ist nur durch und als Beziehung zum Anderen/Nächsten möglich. 151 Der erste Satz über Gott sei nicht der Eröffnungsvers des Credo, sondern das »Hier bin ich« (me voici) der ethischen Nähe, 152 die »Herrlichkeit« (gloire) Gottes sei daher das ethisch handelnde menschliche Subjekt. 153 Diese ›Nähe‹ zum Anderen zeigt sich nunmehr als »Intrige zu dritt« (intrigue à trois), als ein Verwiesenheitsdreieck von Ich, Du und göttlichem Dritten, 154 das sich von allen drei Ecken her beschreiben lässt: Der Andere in seiner Transzendenz und
Vgl. AQE 133/Lp 165; vgl. Anm. 123. Etwa ebd., X/Lp 10. 151 Vgl. DL 31: »En ressentant la présence de Dieu à travers la relation avec l’homme. La relation éthique apparaîtra au judaïsme comme relation exceptionnelle: en elle, le contact avec un être extérieur, au lieu de compromettre la souveraineté humaine, l’institue et l’investit«. Vgl. TI 50 f./Lp 76 f.: »La dimension du divin s’ouvre à partir du visage humain […]. Autrui n’est pas l’incarnation de Dieu, mais précisément par son visage, où il est désincarné, la manifestation de la hauteur où Dieu se révèle«. N. Fischer schreibt daher zu Recht von Levinas’ »Gottdenken aus der Beziehung zum Anderen« (Die Gottesfrage als Aufgabe der Metaphysik, 226 f.). 152 Vgl. DI 123. 153 Vgl. AQE 179–194/Lp 220–238. Diese Formulierung ist wohl angelehnt an Irenäus’ berühmtes Diktum »[G]loria enim Dei vivens homo« (Irenäus von Lyon, Adversus Haereses, lib.IV c. 20 n. 7). Vgl. auch die ähnliche Formulierung in DL 30 f. (s. Anm. 125). 154 Vgl. DEHH 300; vgl. auch etwa Je ˛ draszewski, Freiheit als Verantwortlichkeit für den Anderen, 119 f. Die Denkfigur des göttlichen Dritten steht freilich etwas in Spannung zu dem ja ebenfalls mit der unmittelbaren ethischen Beziehung gegebenen menschlichen Dritten (s. o.). Levinas versucht selbst eine Klärung der beiden »tertialités« in AQE (191/ Lp 234). 149 150
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Heiligkeit ist – und hierin, nicht in einer Abbildhaftigkeit besteht für Levinas die biblische Ebenbildlichkeit des Menschen – die Spur Gottes bzw. steht als Spur (seiner selbst) in der Spur Gottes. 155 Er steht in der Spur der Unvordenklichkeit und radikalen Transzendenz des göttlich Dritten, weil er aus ihr stammt und von ihr her zum Subjekt kommt, 156 und partizipiert so auch an Gottes Geheimnishaftigkeit. 157 Das Subjekt geht seinerseits, indem es im Sichaufopfern auf den Anderen zugeht, ebenfalls immer schon auf den göttlichen Dritten zu. Gottesbeziehung ist dabei nie intentional-abstrakte Erkenntnis – eine solche betrachtet er als »Chimäre« (chimère) –, sondern immer Annäherung und Beziehung. 158 Der göttliche Dritte schließlich schreibt sich in die ›Nähe‹ von Subjekt und Anderem ein, indem er das Subjekt auf den Anderen weist bzw. in Verantwortung für den Anderen nimmt, was Levinas durch den Gedanken der »Erwählung« (élection) 159 ausdrückt. Gleichzeitig aber entzieht er sich – essentiell »Geheimnis« (Énigme) – einer unmittelbaren »Korrelation« (corrélation) mit beiden. 160 (4) Levinas formuliert von diesem Kerngedanken ausgehend verschiedene Gottesnamen – oder ›Nichtnamen‹ –, unter denen als bekanntester vielleicht die späte, bereits im letzten Zitat aufgetauchte 155 HAH 69: »Le Dieu qui a passé n’est pas le modèle dont le visage serait l’image. Être à l’image de Dieu, ne signifie pas être l’icône de Dieu, mais se trouver dans sa trace […] qui n’est pas un signe«. Vgl. Anm. 252. 156 Vgl. etwa DEHH 277: »L’au-delà dont vient le visage est la troisième personne«. 157 So kann Levinas denn auch formulieren, dass jedes ursprüngliche Sprechen im Sinne des dire Geheimnis sei: »Tout parler est énigme« (DEHH 296). Vgl. hierzu den Aufsatz Énigme et parole von Valavanidis-Wybrands, v. a. 393. 158 Vgl. DL 147: »C’est à partir de là [sc. de la relation éthique; M. L.] qu’on peut retrouver un sens à l’amour de Dieu, à sa présence, à ses consolations. L’ordre éthique n’est pas une préparation, mais l’accession même à la Divinité. Tout le reste est chimère«. 159 Vgl. etwa AQE 163/Lp 201; DI 200; EPP 101 f., wobei die élection aber nicht so verstanden werden darf, als ob der Erwählte sich nun Rechenschaft über sie ablegen, oder sie gar wählen könnte: vgl. HAH 87. 160 Vgl. DEHH 330 f.: »Le Désir ou la réponse à l’Énigme ou la moralité est une intrigue à trois: le Moi s’approche de l’Infini en allant généreusement vers le Toi, encore mon contemporain, mais qui, dans la trace de l’Illéité, se présente à partir d’une profondeur du passé, de face, qui m’approche […]. La relation avec l’Infini n’a donc plus la structure d’une corrélation intentionnelle […]. Le visage ne peut apparaître comme visage – comme proximité interrompant la série – que s’il vient énigmatiquement à partir de l’Infini et de son passé immémorial. Et l’Infini […] sollicite à travers un visage, terme de ma générosité et de mon sacrifice. Un Tu s’insère entre le Je et le Il absolu. La corrélation est brisée«.
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Formulierung ›Il‹ bzw. ›Illeität‹ fungiert. 161 Strasser macht – zu Recht – drei weitere »Denkinstrumente« zur Annäherung an den Gottesgedanken bei Levinas aus, den dynamischen Unendlichkeitsbegriff der Infinition (der Güte), die radikale zeitliche Abgelöstheit oder »Ab-solutheit« und die ›spurhafte‹ Präsenz. 162 Der Begriff der Illeität vereinigt jedoch diese ethischen, temporalen bzw. phänomenologischen Aspekte, sodass es hier genügen dürfte, ausführlich auf ihn allein einzugehen. Levinas verwendet diese eigene Wortschöpfung erstmals in La Trace de l’autre, wo er beschließt, den ›göttlichen Dritten‹, die unvordenkliche, unendliche und radikal transzendente Deitas, die sich aller Phänomenalität als ¥pffkeina t»@ o'sffla@ bzw. ›Jenseits des Seins‹ entzöge, mit dem Pronomen ›Il‹ zu bezeichnen. Dieses – schwächer als jedes eindeutig identifizierende Nomen – konnotiere nicht nur positiv die präsumierte Personalität Gottes, sondern wahre gleichzeitig negativ dessen völlige Entzogenheit und ›irréctitude‹ gegenüber jeder menschlichen Denkbewegung: Gott lasse sich weder in das zweipolige Wechselspiel von Transzendenz und Immanenz integrieren, noch in seiner Personalität durch die Verstehenskategorien ›Sich‹ oder ›Ipseität‹ einholen. »Das Pronomen Il drückt exakt ihre [der dritten Person; M. L.] unausdrückbare, d. h. aller Offenbarung wie jeder Auflösung entkommene und – in diesem Sinn – absolut unumfassbare oder absolute Unumkehrbarkeit aus, eine Transzendenz in einer ab-soluten Vergangenheit. Die Illeität der dritten Person ist die Bedingung der Unumkehrbarkeit«. 163 Die zitierten Sätze zeugen von Levinas’ angestrengtem und auch den Leser anstrengenden Versuch, die Sprachentzogenheit der Illeität sprachlich mitauszusagen. Etwas deutlicher wird er in Énigme et phénomène: »Diese Weise zu bezeichnen, die weder daraus besteht, sich zu ent- noch sich zu verbergen, völlig fremd dem Versteckspiel der Erkenntnis, diese Weise, den Alternativen des Seins zu entkom161 Vgl. hierzu v. a. den hervorragenden Aufsatz von B. Casper (Illéité); M. Faessler bietet eine nahezu umfassende Übersicht über das Vorkommen der Termini bei Levinas (En découvrant la transcendance avec Emmanuel Lévinas, 33). Im Rahmen dieser Untersuchung soll auf eine Übersetzung des Neologismus Illeität etwa durch »Erheit« verzichtet werden; J. Becker übersetzt mit »Jeweiligkeit« (Becker, Emmanuel Levinas, 91). 162 Vgl. Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, 211. Strasser geht freilich im Folgenden (212 f.) auch auf die Illeität ein. 163 DEHH 277 f. [= HAH 65]: »Le pronom Il, en exprime exactement l’inexprimable irréversibilité, c’est-à-dire déjà échappée à toute révélation comme à toute dissimulation – et dans ce sens – absolument inengloblable ou absolue, transcendance dans un passé ab-solu. L’illéité de la troisième personne est la condition de l’irréversibilité«.
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men – wir verstehen sie unter dem Personalpronomen der dritten Person, unter dem Wort Il«. 164 Die grammatikalische Schwäche dieses levinasschen ›Gottesnamens‹ entspricht der angestrebten Schwäche und Armut des Gotteskonzepts: Es geht Levinas nicht um eine Gotteslehre oder einen Gottesbeweis, es geht ihm nur um die ethische Verantwortung, die (erneut mit einem weiten Seinsbegriff) der Seins-, nicht aber der Erkenntnisordnung nach göttlichen Ursprungs ist. Die ethische Intrige wird so zur religiösen, denn sie verbindet indirekt mit dem aller Theorie und aller Aussagbarkeit (dit) entzogenen Absoluten, »das wir Illeität genannt haben«. 165 (5) Im Zusammenhang der Religiosität der ethischen ›Intrige‹ ist auf Levinas’ philosophischen Begriff der ›Religion‹ hinzuweisen, der ihn geradezu zum Desiderat einer »Erwachsenenreligion« führt. 166 Diese entbehre aller Verheißungen und lasse sich aufgrund des Teleologieausfalls dem Anderen nicht vorschlagen oder predigen. 167 Er betrachtet den Terminus ›Religion‹ durchaus wörtlich als Rückbindung 164 DEHH 298: »Cette façon de signifier qui ne consiste ni à se dévoiler, ni à se voiler, absolument étrangère au cache-cache de la connaissance, cette façon de sortir des alternatives de l’être – nous l’entendons sous le pronom personnel de la troisième personne, sous le mot Il«. 165 AQE 188/Lp 230: »que nous avons appelé illéité«. 166 Vgl. Une religion d’adultes: DL 24–42. Die levinassche Erwachsenenreligion gemahnt in vielem an Kants (u. a.) Desiderat einer »Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft« (vgl. etwa die gleichnamige Schrift), vor allem hinsichtlich der praktisch-ethischen, deontologischen Ausrichtung und der zurückgewiesenen theonomen Grundlegung der Ethik. Levinas sieht sein Denken ungeachtet der eingestandenen Sympathie für den kantschen Primat der Praxis und des ethischen Sollens dennoch weitgehend in Widerspruch zu dem transzendentalen Idealismus des Königsberger Meisters. Dessen Lehre von den apriorischen Synthesen des transzendentalen Subjekts erscheint ihm geradezu als Inbegriff des abgelehnten Intentionalismus, als Denken du pareil au même (vgl. 1.2.4): »Le kantisme où la vérité ne s’ouvre pas sur l’exteriorité« (DEHH 191; vgl. ebd., 201). Zu seinem ambivalenten Verhältnis zu Kant gibt Levinas die folgende Auskunft im ›Conditionnel I‹, d. h. im unwahrscheinlichen (!) Bedingungsfall: »Si on avait le droit de retenir d’un système philosophique un trait en négligeant le détail de son architecture […] nous évoquerions ici le kantisme: trouver un sens à l’humain sans le mesurer par l’ontologie, sans savoir et […] en dehors de la mortalité et de l’immortalité, le révolution copernicienne est peut-être cela« (HAH 90). 167 Vgl. EN 183: »Religion qu’il est certes impossible de proposer à autrui et, par conséquent, impossible de prêcher. Contrairement à celle qui se nourrit de représentations, elle ne commence pas dans la promesse«. Zu erwähnen ist auch der anschließende Gedanke, dass diese versprechenslose Religion vielleicht am ehesten der »schwierigen Frömmigkeit« (piété difficile) des 20. Jahrhunderts nach den zahlreichen Völkermorden und dem Holocaust entspreche (vgl. ebd., 183 f.).
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des Subjekts an den Anderen, die sich als Unterwerfung (sujétion) vollziehe, und definiert ihn unterschiedlich, etwa als die »spirituelle Optik« (l’optique spirituelle) für die Ethik, 168 als ursprüngliche, ethisch gebietende Sprache (dire) 169 oder auch als Gerechtigkeit im Sinne eines universalen Rechts zu solch ursprünglicher Sprache. 170 Jedoch ist in jeder dieser Definitionen heimlich der Gottesbezug mitgegeben, die »Beziehung vom Sein hier unten zum transzendenten Sein«, 171 die sich aber aller intentionalen Übersicht oder Konzeptualisierung entzöge und somit paradoxerweise als »Beziehung ohne Beziehung« (relation sans relation) zu denken sei. 172 Religion ist dabei weiterhin als ›Rückbindung‹ an die Wahrheit zu verstehen – natürlich jene der Wirklichkeit, nicht jene der Repräsentation: »In meinem religiösen Sein bin ich in der Wahrheit«. 173 Hieraus folgt Levinas’ striktes Verbot jeglicher religiösen Irrationalität und jedes spirituellen Überschwangs in DL, in dessen Zusammenhang er seine philosophischen Überlegungen zur ›Religion‹ rekapituliert: »Vernunft und Sprache stehen außerhalb der Gewalt. Sie bilden die spirituelle Ordnung! Und wenn die Moral die Gewalt wirklich ausschließen soll, dann muss ein tiefes Band Vernunft, Sprache und Moral verbinden. Und wenn die Religion mit dem spirituellen Leben ineinsfällt, muss sie wesentlich ethisch sein. Unvermeidlich ist eine Spiritualität des Irrationalen ein Widerspruch«.174 Wahrhaft religiöse Erfahrungen seien demnach »Beziehungen zwischen Intelligenzen, Beziehungen am Tageslicht des Bewusstseins und des Diskurses«.175 Die levinasTI 51/Lp 76. Vgl. LC 57. 170 Vgl. TI 274/Lp 332. 171 Ebd., 52/Lp 78: »la relation entre l’être ici-bas et l’être transcendant«. Man beachte die durch und durch ontologische Sprache des ersten levinasschen Hauptwerks. 172 Vgl. ebd., 52/Lp 79. Vgl. zu diesem Paradox etwa Schrijvers, Ontotheological turnings?, 233. 173 TI 231/Lp 284: »Dans mon être religieux, je suis en vérité«. Dies kann freilich auch mit »bin ich wahrhaftig« bzw. »wirklich« übersetzt werden, allein spielt diese Unterscheidung eine nachgeordnete Rolle, wenn ›Wahrheit‹ eben als jene der Wirklichkeit begriffen wird. 174 DL 19: »Raison et langage sont extérieurs à la violence. L’ordre spirituel, c’est eux! Et si la morale doit véritablement exclure la violence, il faut qu’un lien profond rattache raison, langage et morale. Et si la religion coïncide avec la vie spirituelle, il faut qu’elle soit essentiellement éthique. Inévitablement un spiritualisme de l’Irrationnel est une contradiction«. 175 DL 19: »rapports entre intelligences, rapports situés dans le plein jour de la conscience et du discours«. Inwieweit sein eigenes Konzept von Religion allerdings dieser 168 169
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sche Religion umfasst die Kategorie des Messianismus und damit verbunden jene der Stellvertretung und weist so eine eigene Eschatologie auf. Allerdings ist diese rein weltimmanent, ethisch und präsentisch zu denken: ›Messias‹ sei immer nur das einzelne Subjekt, das kraft seiner Geiselhaft auch der alleinige Stellvertreter für den oder besser für alle Anderen ist. 176 Der »messianische Friede« (paix messianique) als Inbegriff des »Eschatologischen« (l’eschatologique) ruft stetig zur Verantwortung und ist in seiner Verwirklichung als endgültiger Bruch mit dem totalisierenden Weltzugriff und als Infinition des Guten zu denken. 177 Eine göttliche Intervention schließt Levinas hierbei aus, weil sie nicht allein mit der radikalen Transzendenz der Illeität unvereinbar, sondern ihre Postulierung letztlich auch immer eine subtile Strategie des Subjekts wäre, sich seiner unvertretbaren Verantwortung und Erwählung zu entziehen: »Ich-Sein, das heißt immer eine Verantwortlichkeit mehr zu haben […]. Das Ich ist derjenige, der, vor jedem Entschluss, erwählt ist, die ganze Verantwortung der Welt zu tragen. Der Messianismus, das ist jener Höhepunkt im Sein – Umkehrung des ›in seinem Sein beharrenden‹ Seins –, der in mir beginnt«. 178 Das göttliche Urteil über die Geschichte – für Levinas durchaus eine Kategorie – ereigne sich vielmehr präsentisch durch bzw. in Gestalt des Antlitzes des Anderen. 179 (6) Abschließend ist hier noch auf Levinas philosophische Sichtweise der Religionen im klassischen Verständnis und ihrer Theologien einzugehen: Sowohl die traditionellen Religionen als auch (sofern vorhanden) ihre Theologien beurteilt und kritisiert Levinas von seinem Diskursivität angesichts des Intentionalitätsverdikts noch Genüge zu leisten vermag, erscheint fraglich, vgl. auch unten, 3.7. 176 Vgl. etwa den Talmudkommentar Textes Messianiques in DL 89–139, hier v. a. 129: »Le Messie, c’est moi, Être moi, c’est être Messie. On vient de voir que le Messie c’est le juste qui souffre, qu’il a pris sur lui la souffrance des autres«. 177 Vgl. hierzu etwa TI X-XIV/Lp 6–11. Vgl. v. a. auch EN 179–182, wo Levinas die Infinition des Guten als reine Zukunft und – freilich immanentes – »À-dieu« (hier etwa »auf Gott zu«) profiliert. Derrida wird diesen Gedanken in seiner gleichnamigen Grabrede auf Levinas aufgreifen, vgl. Derrida, Adieu à Emmanuel Lévinas, 26 f. 178 EN 71: »Être moi, c’est toujours avoir une responsabilité de plus […]. Le moi est celui qui, avant toute décision, est élu pour porter toute la responsabilité du Monde. Le messianisme, c’est cet apogée dans l’Être – renversement de l’être ›persévérant dans son être‹ – qui commence en moi«. Vgl. auch den ganzen Aufsatz Un Dieu homme?. Laut Krewani entstammt der levinassche Gedanke der Allverantwortung des Subjekts der Tradition der Mitnaggdim; vgl. Krewani, Es ist nicht alles unerbittlich, 329. 179 Vgl. etwa TI 220–225/Lp 272–277.
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eigenen, soeben dargestellten ethischen Verständnis von ›Religion‹ her: Allen wirft er – freilich in unterschiedlicher Vehemenz – vor, evidenzverhaftet zu sein, d. h. hier, die göttliche ›Illeität‹ in ihren Repräsentationen tendenziell einholen und verfügbar machen zu wollen und so die ethische Verantwortung des Menschen zu schwächen. Dies gilt im stärksten Maße sicher für die mythosverhaftete archaische Religiosität, ebenfalls aber sowohl für die sie zu überwinden glaubende philosophische Theologie der Griechen als auch für Glaubenspraxis und theologische Reflexion der großen Weltreligionen. 180 In dieser Hinsicht lehnt er denn auch konsequent den halevi-pascalschen Gegensatz von ›Philosophen- und Glaubensgott‹ als nachrangig ab, weil dieser gerade das eigentliche Problem, nämlich jenes der Thematisierbarkeit Gottes, außer acht lasse. 181 Die Theologie – selbst in ihrer dialektischen Form 182 – muss sich von ihm vorhalten lassen, letztlich als Disziplin eine contradictio in adiecto darzustellen, ›Verrat‹ (trahison) an Gott zu sein, 183 ja die ethische Beziehung zur Transzendenz Gottes gerade zu zerstören. 184 Ihre Mittel dazu seien etwa Vorstellungen wie göttliche Stellvertretung, Gnade oder eine jenseitsorientierte Eschatologie. Jegliche Religion wie Theologie – so eine singuläre Spitzenaussage –, die sich nicht auf eine zwischenmenschliche Beziehung zurückführen lasse, bleibe primitiv. 185 So ha180 Ein Beispiel dieser – hinsichtlich der Weltreligionen freilich zurückhaltend formulierten – Kritik stellt etwa der Vorwurf dar, sie entwickelten ihre Eschatologie als bloße ›Vervollständigung‹ der philosophischen Evidenzen, vgl. TI X/Lp 7. 181 Vgl. DI 96 f.; vgl. Funk, Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas, 91; Taureck, Emmanuel Lévinas zur Einführung, 14 f. 182 Vgl. DI 103. Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass sein Denken etwa hinsichtlich der Transzendenzbetonung durchaus in die Nähe der dialektischen Theologie rückt (vgl. z.B Gouds vergleichende Arbeit Emmanuel Levinas und Karl Barth und die Vorgängerstudie Smith, The argument to the other). Für Levinas unterliegt sie allerdings der namensgebenden Unsitte aller ›Theo-logie‹, das Göttliche an den Logos zu binden und so eo ipso zu kommensurieren. 183 Vgl. AQE 193/Lp 236. 184 Vgl. ebd., 155/Lp 192: »Ainsi le langage théologique détruit la situation religieuse de la transcendance. L’Infini se ›présente‹ an-archiquement; la thématisation perd l’anarchie qui, seule peut l’accréditer. Le langage sur Dieu sonne faux ou se fait mythique, c’est-à-dire ne peut jamais être pris à la lettre«. Weitere Stellen zur Theologiekritik sind etwa ebd., 6/Lp 16 f.; DI 167 f.; EN 182; HAH 89; TI 269/Lp 325 f. Interessant im Hinblick auf die vorliegende Studie ist auch Levinas’ Verurteilung des »logos univoque des théologiens«: AQE 196/Lp 240; vgl. hierzu unten, 7.1. 185 Vgl. TI 52/Lp 78: »Tout ce qui ne peut se ramener à une relation interhumaine représente, non pas la forme supérieure, mais à jamais primitive de la religion«.
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be sich auch die »Monstrosität des Hitlerismus« im »evangelisierten Europa« mit seiner »christlichen Metaphysik« ereignen können, da dieses auf »den Primat des übernatürlichen Heils gegenüber der irdischen Gerechtigkeit« vertraut habe. 186 Levinas findet neben diesen teils überharten Worten aber auch solche der Bewunderung und der Rechtfertigung der Religionen, die er als unersetzlich 187 und als »Trost« (consolation) betrachtet, 188 denen er als solchen aber keinen Platz in der Philosophie einräumen möchte. Was für Levinas demgegenüber wahre Philosophie auszeichnet, soll der folgende Abschnitt klären.
3.4 Erkenntnistheoretische Position: Reduktion zur reinen Empfängnis des Anderen »Quelle est cette pensée autre qui – ni assimilation, ni intégration – ne ramènerait pas l’absolu dans sa nouveauté au ›déjà connu‹ et ne compromettrait pas la nouveauté du neuf en le déflorant dans la corrélation entre pensée et être […]? Il y faudrait une pensée […] où ne seraient plus légitimes les métaphores même de vision et de visée«. 189
Um die Erkenntnistheorie Levinas’ zu beschreiben eignet sich am besten der von ihm selbst konstruierte Gegensatz zwischen den Typoi ›Odysseus‹ und ›Abraham‹. 190 Odysseus, für Levinas Idealtypos des griechisch-abendländischen Intellekts bzw. der ›Ontologie‹, stehe für die totalisierende Denkbewegung der theoretischen Intentionalität. So wie die Odyssee – die Reise des griechischen Abenteurers, der die halbe Welt durchstreift (dass dies nicht ganz freiwillig 186 Vgl. DL 225: »Mais que la monstruosité de l’hitlérisme ait pu se produire dans une Europe évangelisée a ébranlé dans l’esprit juif ce que la métaphysique chrétienne pouvait avoir de plausible pour un juif habitué á un long voisinage avec le christianisme: le primat du salut surnaturel par rapport à la justice terrestre«. 187 Vgl. EN 65: »[R]ien ne peut remplacer la religion«. Levinas bezeugt gerade der christlichen Religion großen Respekt, vgl. dazu unten, 2.7. 188 Vgl. DI 137: »La consolation est une fonction tout à fait différente; elle est religieuse«; vgl. ebd. 152: »Alors que les consolations sont la vocation de la religion«. Dies ist – ob bewusst oder unbewusst – eine bemerkenswerte Gegendarstellung zu Boethius’ De consolatione philosophiae: Die Philosophie darf Levinas zufolge eben keinen ›Trost‹, sondern nur die nackte Verantwortung lehren. 189 DI 9. 190 Zum Typos ›Odysseus‹ vgl. etwa AQE 102/Lp 129; DEHH 266 f. DL 23; HAH 43; TI 249/Lp 304; zum Antitypos ›Abraham‹ vgl. z. B. DEHH 266 f.
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geschieht, blendet Levinas hier wohlweislich aus), um dann doch wieder nach Hause zurückzukehren – ist auch die Intentionalität ein (Denk-)Weg »vom Ähnlichen zum Selben« (du pareil au même), 191 ein stetes Heimweh und Einheitsstreben, 192 ein Durchstreifen der Welt, um sie auf das Eigene zurückzuführen und zu reduzieren. Angefangen von den Vorsokratikern bis zur husserlschen transzendentalen Subjektivität reiche dieser hypertrophe Anspruch des Subjekts, den Sinn der Welt erschöpfen zu können, also alles Erkenntnisnötige bzw. -werte bereits in sich zu tragen: Ob dies sich nun als transzendentale Sinngebung nach außen oder innerlich als bloß monadologisch-mäeutische Selbstbesinnung nach dem delphischen Motto Gnðqi seautn ereigne, in jedem Fall handle es sich um zeitliche Synchronisation und theoretische Repräsentation. 193 Levinas identifiziert diese Denkform als jene des parmenideischen Axioms, das nicht bloß Entsprechung, sondern strenge Identität von Denken und Sein im erkennenden Subjekt beanspruche. So ziele überhaupt jede adäquationstheoretische Wahrheitsauffassung auf eine Einheitskonzeption ab, die der Pluralität und Geheimnishaftigkeit der Wirklichkeit unangemessen sei: »Das Wissen [im Rahmen der Sein-Erkenntnis-Korrelation; M. L.] ist Re-präsentation, Rückkehr zur Präsenz, wo nichts anderes zu bleiben vermag«. 194 Solches ›Be-greifen‹ 195 der Welt entstamme dem verwerflichen und die Alterität zerstörenden Seinserhaltungsstreben, dem spinozischen conatus essendi als schlechthinnigem Antipoden der levinasschen Philosophie. 196 Dem191 Vgl. etwa TI 265/Lp 321 f.; vgl. auch DI 213: »On n’apprend que ce que l’on sait déjà«. 192 Vgl. TI 268/Lp 325. 193 Vgl. das diesbezüglich bereits sehr deutliche TI, etwa 60–62/Lp 87–89; 102/Lp 136: »Le corps est une permanente contestation du privilège qu’on attribue à la conscience de ›prêter le sens‹ à toute chose«; ebd., 22/Lp 43: »Mais l’enseignement ne revient pas à la maïeutique«. 194 EPP 71: »Le savoir est re-présentation, retour à la présence, rien ne saurait y rester autre«. Vgl. zu Levinas’ Ablehnung der Adäquationstheorie auch etwa DI 233–241. 195 Levinas verweist auf die im Deutschen und Französischen analoge etymologische Verwurzelung von ›Begreifen‹ bzw. ›comprendre‹ im Bedeutungsfeld der Inbesitznahme, vgl. etwa TI 135/Lp 173. Er erweitert diesen Gedanken durch die Redeweise von einer ›main-tenance‹ (etwa: In-der-Hand-Halten) als Etymologie zu ›maintenant‹ (jetzt), was erneut den schon sprachlich implizierten Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Präsensmodus aufweist: vgl. DI 235. 196 Vgl. etwa DI 30, wo Levinas den ›conatus‹ mit der Haltung gleichsetzt, vom Anderen nichts als vorgeformte Begriffe zu übernehmen: Die ethische Haltung gegenüber dem Anderen ereigne sich demnach »contrairement à tout conatus essendi, à toute connais-
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gegenüber steht der Antitypos ›Abraham‹ als Ausdruck des wirklich zur Alterität aufbrechenden, die eigene Evidenzbeheimatung aufgebenden, ›ethischen‹ Subjekts. Die ›Erkenntnis‹ des Anderen vollzöge sich nun eben nicht mehr als distanziert-unbeteiligtes ›Sehen ohne gesehen zu werden‹, 197 als ›Bewusstsein von …‹, sondern als Empfängnis und ethisches Engagement. 198 Die beiden Typoi stehen für die zwei möglichen Formen menschlicher Erkenntnislehre, die Levinas unterscheidet, wobei er freilich nachdrücklich für die zweite optiert. Seine Gnoseologie erstrebt die Verwirklichung des Desiderats der ›ethischen Entneutralisierung‹ im Rahmen eines ›abrahamschen‹ Aufbruchs, eben im wörtlich-praktischen Sinne als ethische Bewegung zum Anderen hin und theoretisch als Überwindung totalisierender und somit falscher Evidenzen. Die falsche Evidenz schlechthin ist dabei die durch den Typos ›Odysseus‹ dargestellte Ontologie, sie ist jene neue ›natürliche Einstellung‹ der transzendentalsubjektiven Sinngebung, 199 die es phänomenologisch zu reduzieren gelte. Diese levinassche Phänomenologie, die sich freilich deswegen auch als »Anti-Phänomenologie« (Casper, 200 Strasser 201 ) beschreiben ließe, sucht freilich keine neue apophantische Evidenz, sondern erstrebt durch die Reduktion die Freilegung der ursprünglichen Bezeichnungsebene des Personalen, die oben als dire bezeichnet wurde. Levinas’ Erkenntnistheorie ist so die phänomenologische Reduktion sance n’accueillant d’autrui que des concepts«. Zur levinasschen Spinozarezeption vgl. etwa Hundeck, »Conatus essendi« und »inkarniertes Subjekt«. 197 Diese und ähnliche Formulierungen verwendet Levinas sehr häufig zur Beschreibung der Intentionalität, die er in der mythischen Gestalt des Gyges personifiziert. Jener griechische Sagenkönig besaß Platon zufolge (vgl. Politeia II, 359b-360d) einen unsichtbar machenden Ring, mittels dessen er die Herrschaft erlangte. Intentionalität erscheint so als totalisierendes ›Sehen, ohne selbst gesehen zu werden‹. Vgl. hierzu etwa AQE 185/Lp 227; DI 122; TI 62/Lp 90. 198 Vgl. etwa AQE 113/Lp 142: »La proximité […] supprime la distance de la conscience de … Le prochain s’exclut de la pensée qui le cherche et cette exclusion a une face positive: mon exposition à lui«. Zum Gedanken der Empfängnis vgl. TI 22/Lp 43: »C’est donc recevoir d’Autrui au-delà de la capacité du Moi«. 199 Vgl. etwa schon ThI 221 f. Die Redeweise ist freilich nicht als Aussage über einen etwaigen menschlichen ›Naturzustand‹ zu verstehen, ist dieser für Levinas doch gerade von unvordenklicher Verantwortung und Geiselhaft geprägt und nicht von Totalisierung und Gewalt; vgl. etwa seine Ablehnung der hobbesschen Bellum omnium-Theorie: TI 172–175/Lp 215–220, v. a. 174/Lp 218. 200 Casper, Illéité, 276. 201 Vgl. Strasser, Antiphénomenologie et phénoménologie dans la philosophie d’Emmanuel Lévinas.
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des dit als der ontologisch-intentionalen Theorie zum dire der ursprünglichen Onto-Logie, der vorthematischen Rede des personal Seienden. 202 Hier zeigt sich erneut Levinas’ ambivalente Selbsteinschreibung in die phänomenologische Tradition: Er betreibt zwar Intentionalanalyse, allerdings letztlich als Fundamentalkritik und Reduktion alles Intentionalen. 203 Philosophie sei so zu verstehen nicht mehr als »ein Versuch, im Ausgang von der Evidenz zu leben, sich der Meinung der Nächsten wie den Illusionen und Phantasien der eigenen Subjektivität zu widersetzen«, 204 sondern als ein Dienst am Nächsten und damit auch an der transzendenten Deitas, in deren Spur dieser stehe. So definiert Levinas die Philosophie in der Spätphase seines philosophischen Schaffens als »Liebe der Wahrheit […], Metaphysik« (amour de la vérité […], métaphysique) 205 bzw. – in Inversion der Komponenten des griechischen Terminus 206 – als »Weisheit der Liebe im Dienst der Liebe« (sagesse de l’amour au service de l’amour); 207 die Philosophie ist somit nicht mehr auf die Immanenz zu beschränken. 208 Er muss dabei freilich eingestehen, dass die Philosophie bei dieser Aufgabe selbst auf den ›griechischen‹ Logos angewiesen ist, dass sie zur Beschreibung des ›jüdisch‹ Unbeschreiblichen eben doch auf Thematisation und dit angewiesen ist. 209 »Der 202 Vgl. AQE 69/Lp 91: »La remontée vers le Dire est la Réduction phénoménologique où l’indiscriptible se décrit«. 203 Vgl. DI 139 f. 204 TI XII/Lp 9: »[U]ne tentative de vivre en commençant dans l’évidence, en s’opposant à l’opinion des prochains, aux illusions et à la fantaisie de sa propre subjectivité«. 205 DL 410. 206 Vgl. hierzu etwa Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, 360. 207 AQE 207/Lp 253. Vgl. hierzu auch das deutsche Vorwort zu TI (Lévinas, Totalität und Unendlichkeit, 12). 208 Vgl. DI 100, wo er die abgelehnte husserlsche Synchronisation als ›Immanenzphilosophie‹ bezeichnet. 209 Levinas gesteht diese von Derrida beschriebene Dialektik der beiden Denkformen schon früh selbst ein, vgl. etwa die bei Derrida (Violence et métaphysique, 226) auszugsweise und ohne exakte Quellenangaben zitierten DL-Passagen: »L’identité juive s’inscrit dans ces vieux documents. On ne peut l’annuler en ignorant ces pièces d’identité, comme on ne peut la ramener à son expression la plus simple, sans entrer dans le discours du monde moderne. On ne saurait refuser les Écritures sans savoir les lire, ni museler la philologie sans philosophie, ni arrêter, si besoin était, le discours philosophique, sans philosopher encore« (DL 81 f.). »[I]l faut recourir – j’en suis convaincu – au médium de toute compréhension et de toute entente, où toute vérité se réfléchit – précisément à la civilisation grecque à ce qu’elle engendra: au logos, au discours cohérent de la raison, à la vie dans un État raisonnable. C’est là le véritable terrain de toute entente« (ebd., 246).
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Philosoph muss aber zur Sprache zurückkehren, um das Pure und Unsagbare – und sei es nur sie verratend – zu übersetzen«. 210 Hier greift jedoch erneut sein Hilfskonstrukt des menschlichen ›Dritten‹ : In der ›Nähe‹ bedürfe die Unmittelbarkeit der Signifikation zwischen Geisel-Ich und Heilig-Anderem keiner Explikation, erst die (freilich den Anderen schon begleitende) Erscheinung des Dritten bedinge die Notwendigkeit eines synchronen sprachlichen Vergleichs, einer Thematisierung (vgl. oben). Das philosophisch Erreichte bleibt jedoch fraglich bzw. dem irreduzibel geheimnishaften Erkenntnisobjekt unangemessen. Dem eigenen dit, das hinsichtlich des dire immer schon einen Abfall oder gar Verrat darstellt, muss stets auch ein skeptisches dedire folgen. 211 So bleibt für Levinas ein gemäßigter Skeptizismus hinsichtlich des eigenen Denkens als Haltung des ›Sich-je-neu-Infragestellenlassens‹ und ›Nichtfertigwerdens‹ »legitimes Kind der Philosophie« (enfant légitime de la philosophie), das auch eine sich omnipotent gebärdende ›Ontologie‹ mit ihrer totalitären Retorsionslogik nicht zum Schweigen bringen könne. 212 Scheitern muss solche Ontologie nicht zuletzt deswegen, weil sie für Levinas auf einem falschen Freiheitsverständnis fußt, wie der kommende Abschnitt zeigen wird.
3.5 Freiheitstheoretische Position: Freiheit als Verantwortung und ›Geiselhaft‹ »La responsabilité pour autrui […] n’a pas attendu la liberté où aurait été pris l’engagement pour autrui. Je n’ai rien fait et j’ai toujours été en cause: persécuté. L’ipséité, dans sa passivité sans arché de l’identité, est otage. Le mot Je signifie me voici, répondant de tout et de tous«. 213
Levinas’ Philosophie – das haben die obigen Ausführungen gezeigt – ist der Versuch einer Rehabilitation des Subjekts als ethisch Verantwortlichem. Wie jede wirkliche Ethik setzt daher auch die Alteritäts210 HAH 106: »Mais au langage il faut que le philosophe revienne pour traduire – ne fût-ce qu’en les trahissant – le pur et l’indicible«. 211 Vgl. v. a. AQE 195–207/Lp 239–256; DI 255; TI XVIII/Lp 16. 212 Vgl. ebd., 9.210–218/Lp 20.256–266; DI 267–270, hier v. a. 268: »La réfutation du scepticisme – que nous avons évoqué [sic! M. L.] comme modèle – elle aussi, opère au sein d’une rationalité propre au savoir de l’être, propre à l’ontologie dont le régime est déjà établi«. 213 AQE 145/Lp 180 f.
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phänomenologie in all ihren Stadien menschliche Freiheit als Bedingungsmöglichkeit ›guten‹ Handelns voraus. Was nun aber ihre spezifische Freiheitsvorstellung ausmacht, so lässt diese sich erneut ex negativo entwickeln: Levinas lehnt jede transzendentale Freiheitskonzeption ab, die von einer ursprünglichen Selbstwahl oder (mit Fichte) Selbstsetzung des Subjekts ausgeht. Die »endliche Freiheit« (liberté fini) 214 sei nicht das erste, eine radikal als eigener Ursprung gedachte Freiheit sei angesichts der völlig unerklärlichen Verbindung von Vernunft und Animalität im Menschen »lächerlich« (dérisoire). 215 Vor aller Freiheit stehe vielmehr das nicht selbstgewählte Geworfensein in die Existenz, die ›passivste Passivität‹ 216 der Inkarnation: Wer dies vergesse, »räsoniert im Namen der Freiheit des Ichs, als ob ich an der Schöpfung der Welt teilgenommen hätte und als ob ich nur für eine Welt verantwortlich sei, die aus meinem freien Willen hervorgegangen ist«. 217 Nicht einmal das Sich-Abfinden mit Geworfensein und Tod bzw. das ›Sein-zum-Tode‹ stelle eine Form absoluter Freiheit dar, denn sowohl die ungewiss-unverfügbare Zukunft als auch Hunger und Durst ›lachten‹ über sie. 218 In dieser passiven Vorfindlichkeit entstehe nun Freiheit als Proprium des Menschen, in der frühen und mittleren Philosophie noch in zwei – wenigstens logisch unterschiedenen – Schritten als Personund Subjektwerdung (wenngleich der ›im Elementale badenden‹ Person nur eine gewisse, vorbewusste Freiheit eingeräumt wurde), in der späten Philosophie als das eine Ereignis der Menschwerdung. Der Mensch ist aus dem partizipationslogischen Gesamt der Wirklichkeit herausgelöst (vgl. den Gedanken der séparation), er besitzt »die
Vgl. AQE 156–166/Lp 194–205. Vgl. LC 36: »C’est l’union incompréhensible de la raison et de l’animalité, union sous-jacente à leur distinction, qui rend dérisoire l’autonomie«. Die Unfähigkeit der idealistischen Philosophie, dieses incomprehensibile zu erklären, betrachtet Levinas in seinem frühen und weitsichtigen Aufsatz Quelques réflexions sur la philosophie de l’hitlérisme sogar als eine Voraussetzung des Erfolgs der »Philosophie« des Nationalsozialismus, in der die fraglich gewordene Freiheit in Machtphilosophie und der ideelle Universalismus in Expansionsstreben umschlage. 216 Vgl. etwa AQE 18.61/Lp 30.81. 217 Ebd., 156/Lp 194: »[On] raisonne au nom de la liberté du moi, comme si j’avais assisté à la création du monde et comme si je ne pouvais avoir en charge qu’un monde sorti de mon libre arbitre«. 218 Vgl. TI 218/Lp 269: »L’insécurité du lendemain, la faim et la soif, se rient de la liberté«. 214 215
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Würde einer Ursache« (une dignité de cause), 219 um jene Verantwortung zu tragen, die seiner Freiheit unvordenklich vorausgeht und die Levinas auch mit den Synonymen Geiselhaft, vorbewusstem Gehorsam, Entkernung etc. beschreibt. Das Subjekt lebt ja sozusagen als jene Verantwortung, jenes ursprüngliche ›Sagen‹ (dire) bzw. jene ›Sprache‹ (langage) der Verantwortung, die aber trotz ihrer dezidiert praktischen Ausrichtung noch nicht als Handlung zu verstehen ist. 220 Wenn nun das Subjekt sozusagen wesentlich Gehorsam gegenüber der Heiligkeit des Anderen ist, wenn es als Bindung an den Anderen existiert (vgl. den Gedanken des denoyaument bzw. der dénucléation), so kann wahre Freiheit nur darin bestehen, dem eigenen Wesen zu entsprechen, ist die völlige Heteronomie der asymmetrischen Unterwerfung unter den Anderen eigentlich als Autonomie, als Vollzug der eigenen Wesensbestimmung zu begreifen. Wahre Heteronomie, auch für Levinas ein negativum, kann nur mehr in unbewusstem Handeln aus trieblicher Neigung bestehen. 221 Dies schließt jedoch nicht die Möglichkeit einer bewussten Entscheidung gegen das Gute aus, wie ja schon das ›Nichttötungsgebot des Antlitzes‹ von Levinas als moralisches, nicht aber absolutes beschrieben worden war. Die Separation erlaube also das malum morale, »das separierte Wesen kann sich in seinem Egoismus einschließen […]. Und diese Möglichkeit, die Transzendenz des Anderen zu vergessen – ungestraft jegliche Gastlichkeit (das heißt jede Sprache) aus seinem Haus zu verbannen […] – bezeugt die absolute Wahrheit, die Radikalität der Separation«. 222 Allerdings weigert sich Levinas, der neutralen Separation des Subjekts das Prädikat ›Freiheit‹ zuzusprechen: Freiheit beginne erst dort, wo die Separation in ein »positives Ereignis« (évènement positif) gewandelt würde, d. h. in reine Möglichkeitsbedingung ethischen 219 DL 24. Überraschender Weise greift Levinas hier explizit die thomanische Zweitursachenlehre auf. 220 Vgl. TI 180/Lp 225: »La thèse présentée ici consiste à séparer radicalement langage et activité, expression et travail, malgré tout le côté pratique du langage, dont on ne saurait sous-estimer l’importance«. 221 Vgl. LC 37: »La vraie hétéronomie commence lorsque l’obéissance cesse d’être conscience obéissante, lorsqu’elle devient penchant. La suprême violence est dans cette suprême douceur«. Freilich bezeichnet Levinas die Infragestellung durch den Anderen manchmal auch als Heteronomie, vgl. AQE 68/Lp 90; DEHH 244. 222 TI 147 f./Lp 188: »[L]’être séparé peut s’enfermer dans son égoïsme […]. Et cette possibilité d’oublier la transcendance d’Autrui – de bannir impunément de sa maison toute hospitalité (c’est-à-dire tout langage) […] – atteste la vérité absolue, le radicalisme de la séparation«.
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Tuns. 223 Freiheit ist somit für ihn nicht die Fähigkeit, radikal Anfang – ⁄rcffi – sein zu können, nicht das ›Ich denke, also kann ich‹ der ›ontologischen‹ Machtphilosophie, 224 sondern die Übernahme der eigenen, wesentlichen Stellvertretung für den Anderen. Diese Übernahme ist unbedingt und unmittelbar vom Subjekt gefordert, es gibt ihr gegenüber keine Besinnung, keine Kriterien, keine Güterabwägung mehr, weil diese Synchronie und Vergleich, also eine Symmetrie zum Anderen voraussetzen würden, wo doch nur Asymmetrie herrschen könne: »Jeder von uns ist schuldig vor allen für alle und für alles, und ich mehr als die anderen«, so deklariert er mit Dostojewskis Romanfigur ›Aljoscha Karamasoff‹. 225 Angesichts dessen bleibt dem Subjekt lediglich die Wahl, sich ohne Zögern zu unterwerfen und so zur bedingungslosen ›Güte‹ (bonté) für den Anderen zu werden, oder aber seine wesensgemäße Bestimmung und ›Erwählung‹ (élection) zu verfehlen. Levinas spricht von einer »Inversion« der Intentionalität 226 bzw. von einer ›Umkehrung der Freiheit‹, 227 das Subjekt ist nicht mehr Willkürfreiheit, sondern Belehrter, seine Freiheit ist kein Können mehr, sondern wesentlich ›Nichtmehr(anders)können‹. 228 Wie vollzieht sich aber die bewusste Übernahme der Verantwortung? Die Übernahme ist unmittelbare Folge der ›Scham‹ (honte) 229 für die eigene Existenz angesichts der durch sie gefährdeten Existenz des Anderen. Diese Scham wird durch die Begegnung und somit durch den Anderen ausgelöst, so dass Levinas davon sprechen kann, dass der Andere die Freiheit des Ichs »in Bewegung setzt«. 230 Die Vgl. TI 148/Lp 188. Vgl. TI 16/Lp 37: »›Je pense‹ revient à ›je peux‹ […]. L’ontologie comme philosophie première, est une philosophie de la puissance«. 225 DI 134 f.: »Chacun de nous est coupable devant tous pour tous et pour tout et moi plus que les autres«. Vgl. auch DI 119; EN 174. Das Zitat wird im Roman zwar in der Tat von Aljoscha berichtet (vgl. DI 134), stammt jedoch von einem gewissen Markéll, dem Bruder des ›Staretz Sossima‹, und lautet in deutscher Übersetzung: »[E]in jeder von uns ist vor allen an allem schuldig, ich aber bin es mehr als alle anderen« (Dostojewski, Die Brüder Karamasoff, 471 [VI, 2]). 226 Vgl. AQE 60/Lp 80: »l’inversion de son intentionnalité«. 227 Vgl. DEHH 240: »[L]a structure de ma liberté […] se renverse totalement«. 228 Vgl. die öfters auftauchenden Redeweisen von der Herausforderung (défi) bzw. gar dem Scheitern des »Könnenkönnens« (pouvoir [de] pouvoir): etwa DEHH 240; TI 172/ Lp 215. 229 Zur Kontinuität dieses Terminus in der levinasschen Philosophie vgl. Krewani, Der Wandel des Seinsbegriffs bei Emmanuel Lévinas, 281; Rolland, Annotations, 144. 230 Vgl. LC 46: »La face, le visage, est le fait qu’une réalité m’est opposée […] ontologi223 224
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Übernahme der Verantwortung ist also ein in doppelter Weise ambivalentes Geschehen: Erstens ist es zwar eine wirkliche willentliche Veränderung, die auch unterbleiben kann, gleichzeitig aber doch nur die Übernahme dessen, was das Subjekt kraft des ursprünglichen dire bereits essentiell ist. Zweitens ist sie zwar Tat des Subjekts, bedarf aber dennoch wiederum des voraufgehenden Anstoßes durch die Alterität, die ihr eine gewisse Notwendigkeit verleiht: »Ich bin [nicht ›werde‹ ; M. L.!] Zeugnis – oder Spur oder Herrlichkeit – des Unbedingten, durch das Brechen des schlechten Schweigens, welches das Geheimnis des Gyges beherbergt. Heraus-kehrung der Interiorität des Subjekts: es machte sich sichtbar, bevor es sich sehend machte«. 231 Genauso mehrdeutig ist auch die Frage nach menschlicher Schuld, die freilich nur eine solche des Subjekts sein kann; 232 teils spricht Levinas von einer sozusagen existentiellen Schuld des Menschen, der ›Scham‹ oder dem »schlechten Gewissen« (mauvaise conscience) 233 angesichts der Existenz des Anderen, noch vor aller Freiheit und Schuld im Sinne moralischer ›Anrechenbarkeit‹ (vgl. culpabilité), 234 teils aber von einem akthaften, »begangenen Fehler« (faute commise) gegenüber dem Anderen. 235 So bleibt am Ende der levinasschen Ethik eine gewisse Ambivalenz der Freiheitsvorstellung bestehen: Das System beharrt sowohl auf der ethischen Verantwortlichkeit menschlicher Aktivität als auch auf der ursprünglichen Passivität als bleibendem Prägemal des inkarnierten Subjekts und oszilliert somit stetig zwischen diesen beiden Polen. So erklärt sich auch seine folgende, ebenso paradoxe wie kryptische Feststellung bezüglich des ethischen Geschehens (der intrigue): »An-archische Intrige, denn sie ist weder die Kehrseite irgendeiner Freiheit, irgendeines freien, in einer Gegenwart oder einer wieder erinnerbaren
quement opposée […]. Je veux dire que cette opposition ne se révèle pas en heurtant ma liberté, c’est une opposition antérieure à ma liberté et qui la met en marche«. 231 DI 122: »[J]e suis témoignage – ou trace, ou gloire – de l’Infini, en rompant le mauvais silence qui abrite le secret de Gygès. Extra-version de l’intériorité du sujet: il se rendrait visible avant de se faire voyant«. Aus dem Kontext des Zitats wird ersichtlich, worin dieses Sich-sichtbar-machen besteht, nämlich in dem dire als Bedeuten vor allem bewussten, thematischen dit. Zur Sagengestalt Gyges vgl. oben Anm. 197. 232 Vgl. Anm. 105. 233 Vgl. etwa DI 258–265. 234 Vgl. DI 249; EPP 87: »Mauvaise conscience ou timidité, sans culpabilité, mais accusée; et responsable de sa présence même«. 235 DL 33.
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Kurzzusammenfassung
Vergangenheit übernommenen Engagements, noch eine sklavische Entfremdung«. 236
3.6 Kurzzusammenfassung Levinas’ Denkansatz hat sich erwiesen als das Desiderat einer grundlegenden ›Entneutralisierung‹ des Denkens gegenüber dem Menschen in seiner je individuellen, irreduziblen und nicht thematisierbaren oder gattungshaft bestimmbaren Geheimnishaftigkeit und Würde. Dieses Desiderat entwickelt sich im Laufe der drei beschriebenen Werkphasen von der Betrachtung des aus der Neutralität des grausam-unpersönlichen il y a zu befreienden einzelnen Seienden bzw. Subjekts (›erotische‹ Phase), über eine mittlere Phase der Vermittlung zwischen dem nunmehr auch ethisch herausgeforderten Subjekt und dem ihm begegnenden, ethisch gebietenden Anderen (›ethico-erotische‹ Phase) bis zum absoluten Primat des ›heiligen‹ und je wichtigeren Anderen gegenüber dem in Geiselhaft genommenen, völlig dem Gebieten der Alterität ausgesetzten Subjekt der späten levinasschen Philosophie (›ethische‹ Phase). Levinas bezeichnet seine Philosophie dabei als vielfältig inspiriert, neben den starken, sowohl Motive und Denkformen als auch Grundüberzeugungen betreffenden jüdischen Zügen dieses Denkens (und seiner auch expliziten Zugehörigkeit zur jüdischen Tradition etwa durch Talmudkommentare), bekennt Levinas sich als Phänomenologe. Allerdings ist seine Selbsteinschreibung in die phänomenologische Schule, analog jener Henrys, nur als radikale Kritik zu verstehen: Zwar wendet auch er sich gegen die alle Heiligkeit des Wirklichen vergewaltigende ›natürliche Einstellung‹, sieht jedoch den aus dieser Kritik resultierenden Weg ›zu den Sachen selbst‹ unvollendet, ja eigentlich sogar verraten in der Intentionalitätslehre Husserls und dessen im Spätwerk zunehmendem Transzendentalidealismus. Die ›Sachen selbst‹, das zu befreiende Wirkliche, das Levinas aufgrund seiner Geheimnishaftigkeit und bleibenden Entzogenheit nicht mehr ›Phänomen‹ nennen will, entdeckt Levinas im Menschen, den es je neu von dem verstellenden Zugriff der gleichmacherischen und kommensurierenden In236 AQE 134/Lp 167: »Intrigue an-archique car elle n’est ni l’envers de quelque liberté, de quelque libre engagement pris dans un présent ou dans un passé remémorable, ni une aliénation d’esclave«.
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tentionen zu befreien gilt und der so, gegenüber dem ihn denkenden Subjekt, stets asymmetrisch und der ganz Andere bleibt, der unmittelbar durch sein ›Antlitz‹ (visage) und somit vor und unabhängig von aller intentional-begrifflich zu leistenden Rechenschaft ›gebietet‹. Zu dieser konzeptuellen Asymmetrie des Anderen tritt auch eine temporale Entzogenheit hinzu, ist doch auch die zeitliche, klar nach Vergangenheit, Gegenwart (als zentraler Bezugsgröße) und Zukunft ordnende, synchronisierende Intentionalität als Zusammenspiel von Retention, Gegenwartsbewusstsein und Protention abzulehnen zugunsten der fundamental inkommensurablen ›Diachronie‹ der Begegnung mit dem Anderen. So hat sich die levinassche ontologische Position als die Annahme eines diachronen, unthematisch-präreflexiven und somit auch vorbewussten Sprechens (dire) des Wirklichen gezeigt, demgegenüber jegliche thematische Aussage (dit) sekundär und minderrangig sowie stets im Verdacht der Verstellung und des Verrats an der nunmehr verbalisierten Eigensprache des Wirklichen bleibt. Dieser Primat des Unbewussten zeitigt dann auch radikale Konsequenzen hinsichtlich der Subjektkonstitution, ist doch das Subjekt nicht mehr als bewusste Selbstsetzung denkbar, sondern nur noch als Setzung durch die immer schon ›sprechende‹ und ›gebietende‹ Alterität, der es von vorneherein ›ausgesetzt‹ (vgl. den Gedanken der exposition) und bis ins Innerste hinein apriorisch verpflichtet ist, was Levinas gar von der ›Entkernung‹ (dénucléation) des Subjekts schreiben lässt. Die ethische ›Intrige‹ zwischen Geisel-Subjekt und Heilig-Anderem wird dann vervollständigt durch den sog. ›menschlichen Dritten‹, der die Eindeutigkeit des ethischen Herrschaftsverhältnisses aufbricht und zum ›notwendigen Übel‹ eines Interessenausgleichs (freilich nur zwischen Anderem und menschlichen Drittem!) und einer thematischen Gerechtigkeitsordnung führt. Die Frage nach der Herkunft des reziproken ›Sagens der Verantwortung‹ in der ethischen ›Intrige‹ ist als Übergang in die philosophische Gotteslehre Levinas’ gewählt worden. In diesem Zusammenhang wurde zunächst der Atheismusvorwurf an Levinas entkräftet, bedeutet ›A-theismus‹ für ihn doch etwas ganz anderes als die in seinem Werk vehement verurteilte explizite Gottesleugnung, sondern lediglich die ontische Trennung des Geschöpfs vom Schöpfer, den Ausschluss einer unmittelbaren, nicht schöpfungsvermittelten Gottesevidenz sowie wohl auch jeder – notwendig zum Scheitern verurteilten – begrifflichen Verfügbarmachung Gottes. 204
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Kurzzusammenfassung
Gotteserfahrung ist für Levinas also stets schöpfungsvermittelt und niemals so klar und eindeutig, dass Gottes Geheimnishaftigkeit nicht gleichzeitig erhalten bliebe. Diese Erfahrung, dies dürfte nicht überraschen, situiert er nun exklusiv im Anderen, der ja schon als immanenter Hort der Heiligkeit konstituiert worden ist. Gott erscheint somit als der transzendente Urheber (der Heiligkeit) des Anderen, der spurhaft – d. h. verborgen und radikal ambivalent – in dessen ›Antlitz‹ aufleuchtet, oder vorsichtiger gesagt (Levinas legt einen weiteren ›Zaun um das Gesetz‹): Der Andere steht als Spur in der Spur Gottes, Religion oder Gottesbegegnung ist ethische Beziehung zum Anderen oder sie ist nicht authentisch; Gott selbst bleibt von ihr exemt, er bleibt der völlig Transzendente (vgl. die jüdische ›Zimzum‹-Lehre), der allenfalls mit dem ›Un-Namen‹ der ›Illeität‹ benannt werden kann. Die erkenntnistheoretische Position von Levinas wurde beschrieben als die vollkommene Reduktion des ethisch verbotenen intentionalen Weltzugriffs zugunsten des bewussten Nachvollzugs der (ontisch ohnehin gegebenen) völligen Ausgesetztheit an den Anderen. Der die Welt nach dem Prinzip ›vom Ähnlichen zum Gleichen‹ (du pareil au même) durchstreifende, nur wieder die eigene Heimat erstrebende und einheitsversessene ›Odysseus‹ muss dem differenzfähigen, mutig zu Neuem aufbrechenden und dabei alle vorausschauende Planung fallen lassenden ›Abraham‹ weichen. Die levinassche ›Anti-Phänomenologie‹ fordert die Aufgabe des Strebens nach Bewältigung des Wirklichen, um diesem zu ermöglichen, ungezwungen und frei bedeuten und seine unthematische Sprache sprechen zu können. Die Philosophie wird zur Hörerin dieser Sprache, zur ›Weisheit der Liebe‹ und so letzten Endes zum reinen Dienst. Levinas’ freiheitstheoretische Position ist von einer fundamentalen Ambivalenz geprägt: Die wahre Freiheit des Menschen besteht für ihn ganz kantianisch in recht verstandener Autonomie, d. h. der Folgeleistung gegenüber dem eigenen ›Wesensgesetz‹, das Levinas aber nicht in der Vernunft, sondern vielmehr in der Verantwortung für, ja mehr noch, der völligen apriorischen Ausgesetztheit und Geiselhaft gegenüber dem Anderen besteht. So ist die wahre Freiheit im Letzten gleichbedeutend mit völliger Heteronomie, mit der Aufgabe der eigenen Handlungs- und Seinsmöglichkeiten zugunsten des ethischen Befehls des Anderen. Unwahr und verwerflich hingegen ist alle Freiheit, die – ganz im Sinne des landläufigen Freiheitsverständnisses – auf der abwägenden Gegenüberstellung und Wahl zwischen verA
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schiedenen Handlungs- und Seinsalternativen basiert. Das levinassche Konzept der ›Schuld‹ schwankt demnach zwischen einer auf Ebene der unechten Freiheit situierten ›schlechten Tat‹ am Anderen (einer faute commise als akthaft begangenem Fehler) und eines dem Subjekt als solchem kraft seiner bloßen Existenz eignenden, apriorischen Sich-verfehlt-habens und Schuldigseins gegenüber dem Anderen.
3.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Kriterienloser Glaube? »Quelqu’un échappa au thème. Le premier dire dépasse ses propres forces et sa propre raison. Le dire originel est délire […]. La pensée cohérente force au discours cohérent. Mais par là-même [sic! M. L.] elle comprend l’extravagance qu’elle combat et déjà reconnaît son énigme. Ce premier dire […] c’est Dieu«. 237
Levinas’ beeindruckende, ungeheuer einflussreiche 238 und sicherlich lange noch nicht bewältigte Philosophie ist ähnlich jener Michel Henrys nur schwerlich von einem externen Standpunkt zu beurteilen. Dennoch ist aber – entgegen etwa der Meinung Krewanis 239 – eine solche einordnende Kritik und Diskussion erforderlich und soll hier erneut in einem philosophischen und einem theologischen Teil vonstatten gehen. Philosophisch 240 ist festzuhalten – und dies ist schon eine ganze Menge –, dass die levinassche Alteritätsphänomenologie allem Anschein nach in ihrer Radikalität 241 etwas genuin Neues in die PhilosoDEHH 329 f. W. Stegmaier spricht von einer philosophischen Beeinflussung durch Levinas etwa bei Blanchot, Jabès, Derrida, Sartre, Lyotard, Ricœur, Todorov, Greisch, Marion, Woityla/Papst Johannes Paul II., Vattimo, Agamben, Bauman und ZˇZˇizˇzˇek (vgl. Levinas, 22), wobei diese Liste sicherlich noch beliebig zu erweitern wäre. 239 Vgl. Anm. 2. 240 Eine umfassende philosophische Würdigung Levinas’ wäre wohl nicht einmal in einer umfangreichen Monographie zu leisten und kann daher hier nur als kümmerliches Fragment erfolgen. Sehr interessant und wichtig wäre in diesem Zusammenhang die im vorliegenden Teil nicht leistbare intensive Betrachtung der wechselseitigen Beeinflussungen von Levinas und Derrida (vgl. hierzu etwa die Sammlung vergleichender Studien von Llewelyn) bzw. Levinas und Ricœur. 241 J. Greisch sieht gerade in dieser Radikalität das eigentliche Novum der levinasschen Philosophie und drückt es als Modifikation der augustinischen Innerlichkeitsformel aus, 237 238
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phiegeschichte eingetragen hat: die unbedingte Betonung der philosophischen Inkommensurabilität nicht eines allgemeinen Prinzips oder einer Gattung ›Mensch‹, sondern des jeweilig konkreten menschlichen Gegenübers. So scheut sich Levinas nicht, der eigenen wie aller Philosophie eine absolute Grenze zu setzen, und zwar eine Grenze, die nicht noch einmal überschaubar, nicht im Ganzen des Systems doch wieder – eben als Grenze – integrierbar wäre. Nein, die Transzendenz und das sie eröffnende Antlitz des Anderen stellen einen apriorischen Überfall für das Erkenntnis- und Handlungssubjekt dar, den dieses nie adäquat nachvollziehen oder begreifend umfassen und integrieren kann. Mit Casper: »[I]nmitten der so [sc. intentional; M. L.] erschlossenen oder jeweils wieder neu erschlossenen Welt zeigt sich ein ›Seiendes‹, welches das von meinem ego ausgehende Welterschließen immer schon gesprengt hat: Der Andere«. 242 Jenseits der beschreibbaren Welt des aristotelischen tde ti (›Diesda‹) bzw. der scholastischen quidditas erscheint eine dem Denken unerschöpfliche Größe, eine irreduzible ›quisnitas‹. 243 Ungeachtet der Frage, ob diese Einsicht wirklich eine philosophische, ja ob sie überhaupt eine Einsicht oder nicht vielmehr eine intuitive, ontologische Grundüberzeugung ist, stellt sie eine wichtige Anfrage an die gesamte philosophische Tradition. Levinas’ Infragestellung gängiger Evidenzen darf nicht als bloßer Reflex auf bestimmte, weltgeschichtlich noch so exemplarlose Ereignisse des 20. Jahrhunderts verstanden werden, auch wenn sie in ihrer tatsächlichen Form vielleicht erst in diesem (katalysatorischen?) Kontext formuliert werden konnte. Sie muss viel grundsätzlicher und universaler gesehen werden als eine, vielleicht gar die eindrücklichste philosophische (d. h. hier im formalen bzw. methodischen Sinne ›a-theistische‹) Formulierung der biblischen, jüdisch-christlichen Anthropologie mit ihrer impliziten Kritik aller hypertrophen Philosophie. Levinas deklariert einen Menschenwürdediskurs, 244 der zwar auf biblischer Grundlage steht und diese nicht negiert, sich aber von theologischer Sprache, Vorstellungswelt und Begründung fernhält und den Menschen etwas sein lässt, das er auch nach christlichem Verständnis bleibt, nämlich irreder zufolge nun ›der Andere dem Subjekt innerlicher‹ sei als es sich selbst (vgl. Greisch, Éthique et ontologie, 29). 242 Casper, Denken im Angesicht des Anderen, 23. 243 Levinas spricht von »quiddité« und »quis-nité«, vgl. AQE 31/Lp 46. 244 Explizit vgl. etwa EN 215–219. A
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duzibles personales Geheimnis. Mit dieser ethisch begründeten Generalkritik der abendländischen Philosophie geht aber auch eine methodologische einher, die den Erkenntnisausgang vom Subjekt her unter dem Schlüsselwort der Intentionalität problematisiert und als letztlich naive, teilweise sogar böswillig-totalitäre Usurpation durch das transzendentale Ich beschreibt. Vielleicht verstellt das erkenntnisobligatorische gadamersche ›Vorurteil‹, verstellen die Eidetik Platons, die apriorische Synthesis Kants oder die Wesensschau Husserls ja tatsächlich mehr Wirkliches, als ihre Urheber einzugestehen bereit sind. Hat die Philosophie der Einheit bzw. Identität mit dem griechischen Logoskonzept vielleicht wirklich zu unkritisch den Vorrang vor der Alterität und Diversität des Wirklichen eingeräumt? Diese durchaus berechtigte Frage als den neuralgischen Punkt der Ansätze der ›Nouvelle Phénoménologie‹ als erster gestellt zu haben, ist wohl das bleibende Verdienst von Emmanuel Levinas. Im historischen Kontext der Postmoderne stellt sein »subjekttheoretischer Coup« (M. Schulz) 245 der Subjektrehabilitation durch Entmachtung und Inpflichtnahme weiterhin ein beachtliches Novum dar. 246 Nichtsdestoweniger stellen sich hinsichtlich des Werkes aber auch eine Reihe gravierender, philosophischer Anfragen: (1) Ist die behauptete unbedingte Würde und Transzendenz des Anderen als Kernaussage des levinasschen Denkens eine philosophische Einsicht oder eine metaphysische Grundentscheidung? Lässt sich überhaupt mit einem philosophischen Ansatz ins Gespräch kommen, der seine basalste Grundlage nicht mehr argumentativ begründen möchte und sich gar gegen die Begründungsfrage immunisiert, indem er sie als ›totalisierend‹ abtut? Führt die behauptete Asymmetrie des ethischen Verhältnisses nicht notwendig in eine dezisionistische Sackgasse? 247 245 M. Schulz, Der Beitrag von Emmanuel Levinas zum jüdisch-christlichen Dialog, 152. 246 Zu Levinas’ kritischer Positionierung zum postmodernen Relativismus vgl. etwa Freyer, Emmanuel Levinas und die Moderne, 13; Dirscherl, Identität jenseits der Totalität, 137. Beide Autoren lehnen die Zuordnung Levinas’ zur Postmoderne aufgrund seiner Rehabilitation des Subjekts wie seiner ausschließlichen Beschäftigung mit der ›Alterität‹, nicht aber der ›Pluralität‹ ab. Dass Letztere für ihn überhaupt kein explizites Thema sei, stimmt freilich nicht, vgl. etwa TI 30/Lp 53; vgl. auch die wiederholte positive Stellungnahme zum Pluralismus etwa in TI 195–201.281–284/Lp 242–250.340– 343 u. ö. 247 W. N. Krewani hat durchaus recht, wenn er von einer gewissen Selbstimmunisie-
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Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung
(2) Steckt Levinas hier nicht in dem – von ihm selbst ja durchaus an einigen Stellen ansatzweise eingestandenen – Teufelskreis eines ›performativen Selbstwiderspruchs‹ ? Fußen seine eigenen Ausführunrung und Begründungsverweigerung durch Levinas spricht (vgl. Anm. 2): Levinas spricht hier über ihm buchstäblich ›Heiliges‹, das er keinem Diskurs mehr auszuliefern bereit ist. Vielleicht liegt in der Tat an dieser Stelle seine größte argumentative Schwäche, die denn auch zu den teils vehementen Ablehnungen etwa seitens Janicauds geführt hat. Die behauptete Heiligkeit des Anderen und die Transzendenz Gottes als ihr Ursprung verkommen letztlich zu einem bloßen individuellen Entschluss und verlieren aufgrund der mangelnden Kommunizier- und Evidenzierbarkeit tendenziell ihre universale Geltung. B. Waldenfels geißelt denn auch konsequent die Inkonsistenz eines solchen »Anspruch[s] ohne möglichen Einspruch« (vgl. Waldenfels, Einführung in die Phänomenologie, 119); J.-L. Chrétiens tautologischer Erklärungsversuch (La dette et l’élection, 273: »A moins d’être incohérente, une éthique de l’asymétrie se doit d’être une éthique asymétrique«.) vermag hier nicht zu überzeugen. Es bleibt schwer einzusehen, warum das Ich mit seinen Pflichten derart in Asymmetrie zum Anderen steht, dass es ihm gegenüber selbst nicht Anderer mit den entsprechenden Rechten sein kann. Umgekehrt erscheint es ebenso problematisch und geradezu als neuer Inbegriff der Gewalt, dem Anderen die Ich-Perspektive mit der ihr eignenden Verpflichtung vorzuenthalten (vgl. Derrida, L’écriture et la différence, 184). P. Ricœur teilt dieses Bedenken (vgl. Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 437) und ergänzt es um den Hinweis darauf, dass das Ich ja in sich selbst bereits Alterität enthalte. Es dürfte eine der Kernaussagen von SMA sein, die sich nicht umsonst bereits im Titel spiegelt, dass das menschliche Subjekt nicht allein der Alterität des anderen Menschen gegenübersteht, sondern schon in sich in Gestalt der Körperlichkeit und der durch das Gewissen ausgedrückten inneren Differenz Alterität umschließt (vgl. etwa SMA 369), also nicht nur idem (stetige ontische Dauer), sondern auch ipse (stetige personhafte Wandlung) ist (vgl. etwa ebd. 12 f.). Diese Alterität im Subjekt ist für Ricœur Grundvoraussetzung dafür, dass es Alterität außerhalb des Subjekts selbst überhaupt wahrzunehmen vermag, was wiederum unerlässliche Bedingung einer wahrnehmbaren Affektion durch den Anderen sei. So merkt er trefflich an: »Toute la philosophie d’E. Lévinas repose sur l’initiative de l’autre dans la relation intersubjective. A vrai dire, cette initiative n’instaure aucune relation, dans la mesure où l’autre représente l’extériorité absolue au regard d’un moi défini par la condition de séparation. L’autre, en ce sens, s’ab-sout de toute relation. Cette irrelation définit l’extériorité même« (ebd., 221). Die Relation zum Anderen bedarf nicht allein der Affektion durch diesen, sondern auch ihrer Erkenntnis durch das Subjekt, der ethische Weg des Anderen zum Subjekt müsse sich mit dem gnoseologischen Weg des Subjekts zum Anderen kreuzen (vgl. ebd., 387–393). Das Fehlen dieser Kreuzung bei Levinas scheint J. Becker zu übersehen, wenn er den hermeneutischen Zirkel Gadamers und die levinassche Alterität für kompatibel erklärt und beide als »Offensein zum ganz anderen hin« bezeichnet (Becker, Begegnung – Gadamer und Levinas, 103). Auch St. Strasser erinnert daran, dass jedes Verhältnis zweier Differenten als solches stets auch eine Form von Einheit, eine Synchronie und Symmetrie voraussetzt (vgl. Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, 240). Dies drückt schon v. Balthasar aus, wenn er – freilich gegenüber dem Personalismus – anmerkt, dass die Alterität zwischen Personen (schon aus Gründen logischer Stringenz) ihre Natur- bzw. Gattungseinheit nicht ausschließen könne (vgl. A
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gen über das ›Jüdische‹ denn nicht ihrerseits auch auf dem ›Griechischen‹ und seinem Logos? Erliegt er damit nicht selbst implizit dem – philosophisch womöglich unvermeidlichen – Primat der Theorie, den er in seinen teils holzschnittartigen Invektiven gegen Husserl und Heidegger anprangert? 248 (3) Lässt sich in philosophischer Redlichkeit und Stringenz eine Metaphysik ohne erkenntnistheoretische Rückversicherung, ja unter expliziter Ablehnung aller Gnoseologie vertreten? Verfällt ein derartiger Ansatz nicht von vorneherein dem Verdacht, naiv und unkritisch zu verbleiben? 249 (4) Wie lässt sich angesichts der Unvordenklichkeit der Geiselhaft und Verantwortung noch wirkliche Freiheit des Subjekts dieser gegenüber denken, vor allem in Anbetracht der levinasschen Überzeugung, Freiheit sei gleichbedeutend mit Verantwortungsübernahme? Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe, 29 f.). So wertvoll Levinas’ Asymmetriegedanke und seine übrigen hyperbolischen Zuspitzungen (vgl. 3.1) als heuristische Prinzipien zur Erkenntnis der Geheimnishaftigkeit und unbedingten Würde des Anderen auch sein mögen, sie bleiben dennoch logisch problematisch und blenden die Menschlichkeit und Würde des Subjekts selbst tendenziell aus. 248 Levinas selbst räumt diese Gefahr des Selbstwiderspruchs (in der sich ja auch Henry befindet) etwa in AQE (vgl. ebd. 195–207/Lp 239–253) ein, versucht sie aber durch die Konzeption des stets zu widerrufenden (de-dire) Ausgesagten (dire) zu beheben und seine theoretischen Ausführungen durch das Hilfskonzept ›Gerechtigkeit‹ als notwendigem Übel (vgl. oben) zu rechtfertigen. Die Überzeugungskraft dieser Lösung verbleibt jedoch fraglich und mit ihr die Berechtigung der vernichtenden Kritik an der ›Intentionalitätsphilosophie‹. Derrida etwa legt konsequent den Finger in diese Wunde, indem er Levinas’ ambivalente Einstellung zum philosophischen Logos brandmarkt (vgl. Anm. 209) und seine überzogene Husserl- und Heideggerkritik entlarvt; eine Husserlapologie gegenüber Levinas findet sich etwa bei Janicaud (vgl. Le tournant théologique de la phénoménologie française, 27 u. ö.), eine solche Heideggers durchzieht als ein Leitfaden R. Funks Sprache und Transzendenz im Denken von Emmanuel Lévinas. Die latente Verwurzelung des levinasschen Denkens in der griechischen Philosophie, namentlich jener Platons deckt J.-M. Narbonne (Levinas et l’héritage grec) auf; S. Sandherr spricht von der schwierigen Situierung Levinas’ zwischen ›Jerusalem‹ und ›Athen‹, vgl. Eine Religion für Erwachsene, 107. 249 Zur Notwendigkeit einer solchen gnoseologischen Rückversicherung vgl. die entsprechende Anfrage an Henrys Philosophie, 2.7. Janicauds Vorwurf, die phänomenologischen Deskriptionen Levinas’ verblieben in einer erstaunlichen Naivität (vgl. Le tournant théologique de la phénoménologie française, 29 f.), lässt sich wohl nur hinsichtlich dieses Mangels an methodologischer Grundlegung nachvollziehen, auf den ja auch Ricœurs Kritik abzielte, vgl. Anm. 247.
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Wie kann Letztere frei geschehen, wenn sie keine Kriterien erheben und zugrunde legen darf? Ist angesichts der Theorie von der ›Kernspaltung‹ bzw. ›Entkernung‹ durch die Verantwortung die Identität des Subjekts überhaupt gewahrt? (5) Wie ist angesichts der behaupteten unmittelbaren Evidenz der menschlichen Verantwortung für alle und alles die Herkunft des Bösen zu erklären? Was verhindert die Möglichkeit einer »Infinition des Bösen« (Strasser)? 250 Ist das Einzelsubjekt nicht völlig überfordert, die Infinition des Guten selbst zu leisten? Ist der Andere wirklich immer der Gute, oder – mit Ricœur – bedarf es nicht vielmehr eines Kriteriums, um den Henker vom Meister unterscheiden zu können? 251 (6) Kann daran anschließend realistischer Weise überhaupt von Lebbarkeit und Effizienz dieser Ethik, die alle Hoffnung auf fremde Unterstützung und Kooperation ausschließt, ausgegangen werden? Birgt diese apriorische Überforderung, dem Einzelnen das ›Heil der Welt‹ aufzubürden, nicht die Gefahr des ›vorprogrammierten‹ Scheiterns bzw. des Umschlags in Frustration und Ablehnung? Aus theologischer Sicht ist die levinassche Religionsphilosophie mit einigem Recht sehr positiv aufgefasst und rezipiert worden, wenngleich dies wohl teilweise zu unkritisch vonstatten gegangen ist. Levinas’ Denken ist biblisch inspiriert und nicht allein in Vielem mit der christlichen Sichtweise Gottes, des Menschen und ihres Verhältnisses kompatibel, sondern versetzt sogar in die Lage, diese neu philosophisch-argumentativ zu artikulieren. Levinas liefert einen philosophischen Diskurs, der nicht allein Gottes Personalität und Freiheit, seine Weltentzogenheit und Transzendenz, sondern ebenfalls (ungeachtet der völligen Separation) sein Schöpfersein, seine Güte und Menschenfreundlichkeit betont. Der Mensch erscheint in der levinasschen Philosophie in seiner biblischen Würde, die Levinas so eindrucksvoll wie vielleicht kein zweiter betont und verteidigt, die Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, 378. Vgl. SMA 391: »[N]e faut-il pas joindre à cette capacité d’accueil une capacité de discernement et de reconnaissance […]? Et que dire de l’Autre, quand il est bourreau? Et qui donc distinguera le maître du bourreau? le [sic! M. L.] maître qui appelle un disciple, du maître qui requiert seulement un esclave?«. 250 251
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er aber gleichzeitig aufs Engste an seine – ebenfalls biblisch bezeugte – ethische Verantwortlichkeit bindet. Der Mensch ist göttliches Ebenbild 252 als der Andere, der gegenüber dem Subjekt den völlig transzendenten Gott vertritt bzw. in seiner Spur steht und ihn so bezeugt. Der Personalität des Anderen haftet damit eine inkommensurable Geheimnishaftigkeit an, die – dies korreliert ebenfalls mit der christlichen Anthropologie und Theologie – keineswegs Privation, sondern ein grundlegend positives, »ewige[s] ›Mehr‹« (v. Balthasar) ist. 253 Gleichzeitig ist der Mensch als Ich aber auch Ebenbild der göttlichen Güte und Allverantwortung, ist er Stellvertreter für alle anderen, ist die ganze Welt seiner Obhut anvertraut und überantwortet. Der Mensch ist – so die Quintessenz des levinasschen Aufsatzes Un Dieu Homme? – ›Gottmensch‹ in der Erniedrigung seiner apriorischen inkarnierten Gestalt (die gleichzeitig Rekurrenz/ Zurückgeworfensein auf sich selbst wie Verschenktsein/Hingabe für die anderen bedeutet) und in der bewussten ethischen Übernahme dieses Je-mehr der Verantwortung. Das Verhältnis des Menschen zu Gott schließlich ist – so ein weiterer theologisch relevanter Gedanke von Levinas – ein solches des Glaubens; eines Glaubens, den er scharf von jeglichem beweisbaren Wissen abhebt wie auch von der nüchternen Berechnung eines mythosverhafteten Do-ut-des-Prinzips. Gottes transzendente Geheimnishaftigkeit ist nochmals größer als jene des anderen Menschen und selbst einer möglichen visio beatifica absolut irreduzibel. 254 Seine Spuren in der Welt sind mindestens ebenso ambivalent wie die Äußerungen des anderen Menschen, beide bleiben 252 Zur eigenwilligen levinasschen Interpretation des biblischen Ebenbildlichkeitsgedankens vgl. Freyers Aufsatz Der Mensch als »Bild Gottes«?. 253 H I, 156; vgl. ebd., 155: »Hier wird zum erstenmal ahnbar, daß das Geheimnis eine bleibende Eigenschaft der Wahrheit selbst ist. In der leeren Dialektik zwischen Sein und Erscheinung war das Geheimnis nur in der Form der Unverständlichkeit, der Undurchsichtigkeit vorhanden. Jetzt erscheint es als Qualität der durchsichtigsten Offenbarung«. Hierzu ist freilich bereits anzumerken, dass v. Balthasars Überlegungen über die positive Aenigmativität der Schöpfung alle sie konstituierenden und mit je verschiedenen Graden der Innerlichkeit versehenen Strukturen betrifft, also auch Natur und Tierwelt, deren Integration bei Levinas – genau wie bei Henry – unterbleibt. Vgl. hierzu die Überlegungen zum Transzendentale liberum, v. a. 8.3. 254 Vgl. Rahners Aufsatz Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie, hier v. a. 58: »Wenn Gott auch in der visio beatifica der Unbegreifliche bleibt, wenn diese Unbegreiflichkeit gerade das ist, was unmittelbar gesehen wird […], dann erhält doch der Begriff des Geheimnisses einen, obzwar nicht dem üblichen widersprechenden, so doch anderen und so erst ursprünglichen Inhalt«.
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dem Erkenntnissubjekt entzogen, unbeweisbar und unerschöpflich. Dass diese gewisse Anachronie und Transzendenz des Göttlichen in christlicher Theologie und Frömmigkeit – vor allem hinsichtlich theologisch ›unsauberer‹, mythologischer Interpretationen der hypostatischen Union – nicht immer durchgehalten wurde und wird, 255 beweist nicht, dass der Gedanke dem Neuen Testament fremd wäre. 256 Das Verhältnis zu Gott funktioniert nach Levinas weiterhin nur als Hingabe, die sich ihrerseits nur in der absoluten Konkretion der menschlichen Nähe und des Dienstes am Nächsten ereignen kann und so immer Hingabe an den Anderen ist. Dieser Gedanke deckt sich mit der christlichen Überzeugung, dass fides und caritas nicht voneinander zu trennen sind oder separat zu existieren vermöchten (vgl. etwa Mt 25 oder auch den Jakobusbrief), dass die Gotteserfahrung also stets Sendung zum Anderen hin impliziert. 257 Levinas treibt den Gedanken der Hingabe allerdings so weit, dass sie zu einer absoluten wird, die buchstäblich die Aufgabe jeglichen berechnenden Kalküls beinhaltet, jedes Kriteriums und jeder noch so bescheidenen Hoffnung auf göttlichen Beistand oder Erlösung. Hier zeigt sich also bereits eine erste der wesentlichen Grenzen christlicher Adaptation des levinasschen Denkens, die nun noch in Frageform umrissen werden sollen: (1) Wie lassen sich die in der Tradition des ›Zimzum‹ gedachte völlige göttliche Transzendenz und die biblisch bezeugte Weltzugewandheit des Gottes Israels (und a fortiori des Gottes Jesu Christi) miteinander vereinbaren? Stellt die ›Zimzum‹-Lehre nicht den bereits philosophisch, erst recht aber theologisch problematischen Versuch dar, nun doch definitive Aussagen über Gott zu treffen und so einen Metastandpunkt einzunehmen? Woher weiß das Erkenntnissubjekt über255 Vgl. M. Schulz, Der Beitrag von Emmanuel Levinas zum jüdisch-christlichen Dialog, 158: »In den jüdisch-christlichen Dialog ist also ein dezidiert chalkedonensisches Inkarnationsverständnis einzubringen, das frei ist von mythologischen Konnotationen sowie Gottes Transzendenz und Geheimnishaftigkeit unverkürzt wahrt«. 256 Dies behauptet etwa Dupuy, Exégèse et philosophie dans l’œuvre d’Emmanuel Lévinas, 232. 257 Vgl. Brague, Was heißt christliche Erfahrung?, 496: »Der Mitmensch, zu dem ich gesendet bin, ist also nicht eine Ergänzung meiner Gotteserfahrung, er ist ebenso wenig ein Ersatz dafür. Die Sendung zu ihm hin ist die Erfahrung Gottes […]. In der Tat […] wird jetzt die Erfahrung selbst zur Sendung«. Vgl. hierzu auch K.-H. Menkes Theorie von der inklusiven Stellvertretung, bspw. oben, 1.1.2.
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haupt von diesem Gott, wenn radikal differente Entitäten doch nicht voneinander wissen? 258 (2) Anschließend daran ist zu fragen, woher Levinas das sichere Wissen nimmt, dass Gott sich nicht selbst mitteilen kann, sondern allenfalls spurhaft im Anderen erscheint? Besteht hier nicht eine radikale Unvereinbarkeit mit dem Konzept eines ›Offenbarungsgottes‹ ? Was gibt Levinas die Gewissheit, eine göttliche Inkarnation in der Welt als unmöglich ausschließen zu können? 259 (3) Läuft das levinassche Denken nicht Gefahr, theologisch als offene und zugespitzte Neuauflage des Pelagianismus verstanden zu werden? Ist es theologisch gerechtfertigt, dem einzelnen Menschen die eigene Erlösung und noch dazu jene der ganzen Welt aufzuerlegen? Entsprechen Levinas’ Reduktion der erlösungsbedürftigen Welt auf den Menschen bzw. seine asymmetrische Ethik der biblischen Kosmologie und Anthropologie? 260 258 Ähnlich wie schon im kantschen Denken kann die philosophische Behauptung völliger göttlicher Transzendenz auch bei Levinas durchaus auch als anmaßender und selbstwidersprüchlicher Metastandpunkt erscheinen anstatt als Ausdruck philosophischer Abstinenz und bescheidenen Denkens; vgl. die hegelsche Kantkritik. 259 Die Vorstellung einer möglichen göttlichen Inkarnation in dieser Welt ist einer der beiden zentralen Kritikpunkte, die Levinas am Christentum hegt (vgl. die beiden Teile des Aufsatzes Un Dieu homme?, dessen zweite Kritik die Satisfaktionslehre betrifft, s. Frage 3). Eine Inkarnation Gottes widerspräche seiner radikalen Transzendenz und sei angesichts der göttlichen Offenbarung im Nächsten auch unnötig, vgl. DL 223: »Le Divin ne peut se manifester qu’à travers le prochain. L’Incarnation, pour le juif, n’est ni possible ni nécessaire«. Mit der Ablehnung einer inkarnatorischen Offenbarung scheint Levinas aber gleichzeitig jede unmittelbare Offenbarung Gottes in der Welt abzulehnen, die über die höchstgradig ambivalente, spurhafte Präsenz des völlig kontrahierten Schöpfergottes im Antlitz des Anderen hinausgeht; in diesem Zusammenhang dürften allerdings die Mehrzahl der alttestamentlichen Texte ihren Offenbarungswert einbüßen. Auch zeigt sich hier die natürliche Grenze aller christologischen Levinasrezeption, die wohl über das Entmythologisierungspotenzial zur Reinigung des chalkedonischen Dogmas (vgl. Anm. 255) wie über gewisse neue Interpretationsmöglichkeiten von ›Kenosis‹ und Stellvertretung nicht hinausgehen dürfte; zur christologischen Relevanz des levinasschen Denkens vgl. auch etwa Faessler, Humilité du signe et kénose de Dieu; Poorthuis, Asymmetrie, Messianismus, Inkarnation; Wohlmuth, Emmanuel Levinas und die christliche Jesusinterpretation. 260 M. Faessler etwa interpretiert Levinas’ »Erwachsenenreligion« im Sinne einer ›inklusiven Stellvertretung‹ (Menke), die er erstaunlicherweise als Proprium gerade des nichtkatholischen Christentums bezeichnet: Hier läge die Möglichkeit »de réenoncer le mot Dieu […] et de le faire réentendre à titre de témoignage rendu à la gloire de l’Infini
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(4) Wird die letzte Frage aber nicht durch das System selbst in Gestalt seiner stark ambivalenten Freiheitskonzeption wieder relativiert? Besteht nicht eine elementare Fragwürdigkeit wahrer kreatürlicher Freiheit, wenn doch dem Subjekt keine Wahl, keine symmetrischsynchronisierende Abwägung mehr erlaubt wird, sondern Freiheit gleichbedeutend mit übernommener universaler Verantwortung ist? Bedingt dies nicht eine durch die Hintertür eingeführte und Levinas’ Intentionen konterkarierende Prädestination? 261 par la dignité messianique de l’ipséité du sujet. Or la voie ainsi ouverte dans le contexte de la tradition juive, peut également s’ouvrir dans celui de la tradition chrétienne, à condition que l’on n’identifie pas cette dernière avec sa seule expression catholique […]. Sa [Christi; M. L.] résurrection et l’attente de sa parousie ne sont pas une ontologisation imaginaire de l’au-delà, mais l’ouverture de l’Histoire à sa messianité telle qu’elle prend corps dans l’ipséité du sujet revêtu d’obéissance éthique par l’en-deçà de son ›en Christ‹ […]. Si chaque chrétien n’est pas Messie, il est dans le monde en mission de messianité« (Faessler, Dieu, autrement, 419 f.). So richtig und trefflich diese Beschreibung des christlichen (warum aber nicht katholischen?) Stellvertretungskonzepts auch sein mag, der Vergleich mit der levinasschen substitution ist zurückzuweisen, da Levinas keine göttliche Stellvertretung und Erlösung vorsieht, die eine menschliche cooperatio inkludieren könnte. Die Alteritätsphänomenologie stellt vielmehr eine Form exklusiver Stellvertretung des einzelnen Subjekts dar, dem keinerlei göttliche Assistenz beigesellt ist. C. Chalier glaubt einen rabbinischen Hintergrund dieser levinasschen Selbsterlösungslehre im Midrasch Tachuma ausmachen zu können (vgl. Ontologie et mal). Es unterbleibt weiterhin – wie schon im henryschen Denken – die Integration subhumaner Strukturen der Schöpfung auch in das Erlösungsgeschehen, was dem biblischen (wenigstens neutestamentlichen) Glauben widerspricht (vgl. etwa Röm 8,19–22; Kol 1,17). Hinsichtlich der asymmetrischen Beschreibung des Verhältnisses von Subjekt und Objekt ist zu fragen, ob sie nicht die biblisch gerechtfertigte Form von Selbstliebe als Voraussetzung und Äquivalent der Nächstenliebe missachtet (vgl. etwa Peperzak, Passages, 425 f.) und die Schöpfungs- und Erlösungsgemeinschaft der Menschheit verdeckt. Den intrinsisch-notwendigen Zusammenhang von Selbst- und Nächstenliebe beschreibt etwa Thomas von Aquin: »Dilectio enim quae est ad alios, provenit in homine ex dilectione hominis ad seipsum, inquantum ad amicum aliquis se habet sicut ad se« (SCG lib. 3 c. 153 n. 2). Vgl. auch STh I q. 60 a. 4 ad 2. 261 Die levinassche Forderung nach Verzicht auf alle Kriterien hat wiederholt philosophische wie theologische Kritik auf sich gezogen. So hat etwa K.-H. Menke in seiner an Verweyens GLW angelehnten Kritik bei aller Sympathie gegenüber Levinas wiederholt dessen Freiheitsbegriff getadelt, der für eine christliche Gnadenlehre unzureichend sei; vgl. z.B Das Kriterium des Christseins, 212: »Doch so erhellend die phänomenologischen Ausführungen von Levinas für eine am Bundesgedanken abgelesene Gnadenlehre auch sein mögen, die Frage lässt sich kaum verdrängen, ob die von ihm vorgetragene Behauptung, die wahre Autonomie sei die Heteronomie, mehr als eine unausgewiesene Behauptung ist«; vgl. auch ders., Die Einzigkeit Jesu Christi, 116: »Levinas bleibt in der Phänomenologie stecken. Er beschreibt, wie Menschen da, wo sie sich vom Antlitz des Anderen beanspruchen lassen, gegen alle Widerstände zum Tun des Guten befähigt werA
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(5) Entspricht die Forderung nach blindem, kriterienlosem Glauben und absoluter, a-teleologischer Hingabe wirklich dem biblischen Zeugnis? Ist die menschliche Vernunftbegabung vor diesem Hintergrund überhaupt noch als Teil einer durchweg guten Schöpfung zu integrieren, und warum wenden sich die alttestamentlichen Autoren dann an menschliche Einsicht und Weisheit und reden gar von einer göttlichen? Tut Levinas der ursprünglich-hergebrachten menschlichen Religiosität nicht Gewalt an, indem er sie durchweg als Idolatrie brandmarkt? Ist die Leugnung, ja das Verbot jeglicher Korrelation von Eros und Agape nicht Ausdruck einer maßlosen Überforderung? 262 (6) Wie lassen sich mit Blick auf den radikalen levinasschen Eschatologieausfall und Immanentismus die biblische Eschatologie und die zentrale alttestamentliche Kategorie der Verheißung integrieren, wie auch die (schon alttestamentlichen) Jenseitsvorstellungen? Ungeachtet dieser kritischen Vorbehalte haben christliche Religionsphilosophie und Theologie doch manches von dem jüdischen Meister zu lernen, der sich intensiv und stets gleichermaßen respektvoll-anerkennend wie kritisch mit dem Christentum und seiner Doktrin auseinandergesetzt hat. 263 Zu lernen gibt Levinas dem christlichen Denken v. a. hinsichtlich seiner eigenen Grenzen und der stets – und den; aber er begründet nicht, warum sie dabei keiner Täuschung erliegen«. Die von Verweyen aus der Logik seines eigenen Ansatzes heraus vorgetragene Kritik an Levinas, die sich unter dem Stichwort des Vorwurfs der Kriterienlosigkeit zusammenfassen lässt, entfaltet in aller Breite G. Schwind (vgl. Das Andere und das Unbedingte), der Levinas dann auch konsequent mit den Verdikten der fideistischen Immunisierung und des ›philosophischen Suizids‹ belegt (vgl. etwa ebd., 318 f.); vgl. hierzu auch Wendel, Bild des Absoluten werden, v. a. 170 f. Ungeachtet der möglichen Einseitigkeit dieser und anderer Kritiken bleibt Levinas’ Freiheitskonzeption jedenfalls stark ambivalent und hinterfragbar, und Ricœurs Frage in der Tat berechtigt, wie dem Subjekt angesichts des Kriterienverbots überhaupt eine Unterscheidung zwischen gut und böse, zwischen dem »Meister« (maître) und dem »Henker« (bourreau) möglich sein solle (s. Anm. 251). 262 Diese Fragen weisen bereits in das Herz der Frage nach der Analogie, die Papst Benedikt XVI. etwa im Verhältnis von Eros und Agape walten sieht, vgl. etwa Enzyklika Deus caritas est, nn. 3–8. 263 Eine sehr gute Übersicht über Levinas’ fruchtbares Verhältnis zum Christentum wie auch dessen realistische Grenzen liefert Goud, Emmanuel Levinas und Karl Barth, 215– 223; vgl. etwa auch Malka, Lévinas, 214–217.225–236. Levinas hebt hervor, ihm habe vor allem der Hinweis J. Madaules einen neuen Zugang zum christlichen Denken ermöglicht, dass auch dieses eine bleibende messianische Erwartung kenne und die jüdi-
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das heißt hier nicht allein im Ergebnis, sondern auch und gerade im philosophischen Argumentationsgang – zu wahrenden, unbedingten Souveränität und Würde sowohl des menschlichen Gegenübers und Adressaten als auch seines göttlichen Denkgegenstands: »[D]ie Absetzung und Neusituierung des Subjekts bleiben nicht ohne Bedeutung: Nach dem Tod eines gewissen, die Hinterwelten bewohnenden Gottes, entdeckt die Stellvertretung der Geisel die Spur – unaussprechliche Schrift – dessen, der immer schon vergangen – immer ›il‹ – in keinem Präsens aufgeht, und dem die ›Seiende‹ bezeichnenden Namen nicht mehr entsprechen, noch die Wörter, in denen ihr Wesen widerhallt – der aber, Pro-Nomen, alles, was einen Namen trägt, mit seinem Siegel prägt«. 264
sche Zukunftsorientierung daher keineswegs ablehne, vgl. Lévinas, Amitié judéochrétienne. 264 AQE 233/Lp 284: »[L]a destitution et la dé-situation du sujet ne restent pas sans signification: après la mort d’un certain dieu habitant les arrière-mondes, la substitution de l’otage découvre la trace – écriture imprononçable – de ce qui, toujours déjà passé – toujours ›il‹ – n’entre dans aucun présent et à qui ne conviennent plus les noms désignant des êtres, ni les verbes où résonne leur essence – mais qui, Pro-nom, marque des son sceau tout ce qui peut porter un nom«. A
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4. Weitere Vertreter »Chacun d’entre eux défend une conception originale de la phénoménologie qui, chez certains, aboutit à une véritable refondation de celleci […]. Leurs positions sont au cœur de la controverse concernant le ›tournant théologique‹ de la phénoménologie française«. 1
Der Vollständigkeit des ›Panoramas‹ halber sollen hier noch kurz die religionsphilosophischen Konzepte dreier weiterer verdienstvoller und nicht minder innovativer Denker der neueren französischen Phänomenologie vorgestellt werden. Es versteht sich dabei, dass diese Vorstellung aufgrund des begrenzten einzuräumenden Platzes nur stark verkürzt und holzschnittartig erfolgen kann. Von daher dürfen die folgenden Abschnitte nicht als legitime Einführungen in die Philosophien, sondern lediglich als Aufweis gewisser Übereinstimmungen und Analogien und als Beleg für die Vielfalt des beschriebenen Paradigmas verstanden werden. Mit den ›theologisch gekehrten‹ Phänomenologien Henrys und Levinas’ teilen die drei zu behandelnden philosophischen Ansätze die gattungsbildenden Spezifika der grundlegenden Kritik und Erneuerung der Phänomenologie unter dem Leitmotiv der Ersetzung der Intention durch die Intuition (Gilbert) bzw. der Rückkehr zu einer prädiskursiven Unmittelbarkeit des Sinns. 2 Auch sie vertreten (wenigstens implizit) eine Onto-Logie (gen. subi.) vor aller Ontologie (gen. obi.), der gegenüber der Mensch primordial, d. h. vor allem denkerischen Weltzugriff, ausgesetzt ist. Wie bei Henry und Levinas wird auch hier diese unauslotbare und propositional inkommensurable Erfahrung in Beziehung zum Göttlichen gesetzt, betreiben Jean-Louis Chrétien (* 1952), Jean-Yves Lacoste (* 1953) und Jean-Luc Marion (* 1946) – freilich in einem weiteren Sinne als Friedrich Heiler und Gerardus van der Leeuw – eine ›Phänomenologie der Religion‹, und zwar explizit der christlichen Religion. Alle drei lehren in Paris und im angloamerikanischen Raum, wo ihre Ansätze auch die bisher umfangreichste theologische Resonanz gefunden haben.
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Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 242. Vgl. die Einleitung zum zweiten Teil, Anm. 11.
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Jean-Louis Chrétiens ›Phänomenologie des Gebets‹
4.1 Jean-Louis Chrétiens ›Phänomenologie des Gebets‹ 3 »[L]’orant prie pour savoir prier, et d’abord pour apprendre qu’il ne le sait pas, et il rend grâces de sa prière comme d’un don de Dieu. On ne peut être tourné vers Dieu qu’en priant, et on ne peut prier qu’en étant tourné vers Dieu«. 4
Jean-Louis Chrétiens Denken speist sich nicht allein aus der Phänomenologie, sondern vor allem auch aus älteren Quellen, was angesichts seiner Professur für antike Philosophie freilich nicht überrascht. So entwickelt er in einer Synthese aus griechischen (vor allem neuplatonischen) und patristischen (vor allem augustinischen) Seelenkonzeptionen auf der einen und Einsichten der Phänomenologie auf der anderen Seite die zentrale Kategorie seines Denkens, »die nackte Stimme« (la voix nue). 5 Die ›nackte Stimme‹ ist zunächst zu begreifen als das menschliche Persongeheimnis, als die vor allem innerlich gedachte unbegreifliche und unvordenkliche (vgl. seinen wirkmächtigen Begriff des immémorial) Einheit von Leib und Seele. Die Seele ist hierbei als immer schon ergehende Äußerung des Leibes zu verstehen, als »jenes Wort, das der Leib in jedem Moment zu sagen beginnt, aber niemals vollendet«. 6 Die apriorische Exposition des Menschen wird so als ein Sprechen des eigenen Seins vor aller Intentionalität, vor allem Denken und vor aller freien Entscheidung gedacht, in einer ursprünglichen und unschuldigen Unmittelbarkeit oder Nacktheit, die es wieder zu erlangen gelte. Diese inkarnatorische Exposition des Subjekts besteht in erster Linie gegenüber dem Anderen, das Subjekt sei so immer schon (durch die Alterität) »verletzte Sprache« (parole blessée). 7 Wie beim späten Levinas existiert das Subjekt nur durch diese Verletzung, es ist Sprache, die durch einen Anruf der Alterität entstanden ist, der sie exzesshaft übersteigt. 8 3 Als Kurzeinführung in Chrétiens Religionsphilosophie können dienen: Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 246–266; Grosos, L’irréversible excès. Der Begriff ›Phänomenologie des Gebets‹ stammt von Chrétien selbst und ist der Untertitel seines Aufsatzes La parole blessée. 4 Chrétien, L’arche de la parole, 34. 5 Vgl. sein gleichnamiges Hauptwerk. 6 Chrétien, La voix nue, 14: »[C]e verbe que le corps à tout instant commence de dire, mais n’achève jamais«. 7 Vgl. Chrétien, L’arche de la parole, 23–54; vgl. ders., La parole blessée. 8 Vgl. Grosos, L’irréversible excès, 235: »L’excès de l’appel donne, nous donne à être nous-mêmes«.
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Weitere Vertreter
»Jede menschliche Stimme antwortet, jede Eröffnung besteht in Leiden und Passion unter einer älteren Stimme, die sie nur hört, indem sie ihr antwortet, die ihr voraufgeht und sie übertrifft«. 9 Die ethische Aufgabe schlechthin sei daher darin zu sehen, das eigene Ausgesetztsein zu begreifen und in der Offenheit für den Anderen, in einem »gastgebenden Sagen« (parole hospitalière) 10 nachzuvollziehen. So könne die Sprache das werden, was sie eigentlich unsichtbar bereits ist, nämlich bergende »Arche« (arche) und »Verheißung« (promesse) für die Menschen. 11 Weiterhin und im Tiefsten sei die menschliche Ausgesetztheit aber zu verstehen als Antwort auf den Exzess des göttlichen Anrufs bzw. als Exposition vor Gott. Diese ließe sich konsequenterweise am ehesten im Gebet nachvollziehen als dem Inbegriff des durch den Gesprächspartner verletzten Sprechens: »Die Sprache [des Gebets; M. L.] ist Beute ihres Adressaten. Sich an Gott messend ist das Gebet eine Sprache, die immer schon ihr Maß verloren hat, das Vermögen, sich selbst zu messen und sich vollständig zu wissen; sie trägt, wie jede Sprache der Liebe, das Gewicht des SichGebens, das heißt des Sich-Verlierens, unter ihm zusammenbrechend; sie erleidet den anderen, indem sie sich sich selbst entreißt«. 12 Dieses Erleiden des (absoluten) Anderen bezeichnet er als »Theopathie« (théopathie). 13 Die Überantwortung an den anderen, die Levinas als ›Entkernung‹ bezeichnet, ereignet sich Chrétien zufolge also als Gebet: Gott lehrt den betenden Menschen das Beten als den religiösen Akt schlechthin, durch Entkernung und innerlichste Einwohnung wird er ihm innerlicher als er selbst (vgl. den augustinischen interior-Gedanken) und stiftet so die Wahrheit. 14 Es bleibt aber – ebenfalls genau wie bei Levinas – fragwürdig, ob diese Überantwor9 Chrétien, La voix nue, 7: »Toute voix humaine répond, toute inauguration est en souffrance et en passion sous une voix antérieure qu’elle n’entend qu’en lui répondant, qui la précède et qui l’excède«; vgl. ders., L’appel et la réponse, 15–44, bspw. 15: »l’appel comme origine de la parole«. 10 Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 254. 11 Vgl. die entsprechenden Buchtitel. 12 Chrétien, La parole blessée, 59: »La parole est en proie à son destinataire. En se mesurant à Dieu, la prière est une parole qui a toujours déjà perdu la mesure, le pouvoir de se mesurer elle-même et de se savoir complètement, elle porte en s’écroulant sous lui, comme toute parole d’amour, le poids de se donner, c’est-à-dire de se perdre, elle souffre l’autre en se déprenant de soi«. 13 Etwa Chrétien, L’Appel et la Réponse, 38. 14 Zum chrétienschen Gebetskonzept als »lutte pour la vérité« vgl. Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 257–260.
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Jean-Yves Lacostes ›Phänomenologie der Liturgie‹
tung einen willentlichen Akt des Subjekts darstellt oder nicht vielmehr immer schon dem Menschen als Menschen zukommt, was etwa Chrétiens von Franz von Baader übernommene Definition des Menschen als »betendes Seiendes« (être orant) nahelegt. 15 Tatsächlich, so kommentiert Greisch, wird in dieser Konzeption des Gebets alle Initiative in »Erleiden« (épreuve) umgewandelt, so dass von einem rein ›theopathischen‹ Wesen des Religiösen bei Chrétien gesprochen werden kann, 16 was freilich wiederum in gewisser Spannung zur christlichen Freiheitslehre steht.
4.2 Jean-Yves Lacostes ›Phänomenologie der Liturgie‹ 17 »Le contre-sens apparent qui confond la présence de l’Absolu et sa parousie est imposé à la liturgie, et impose alors à celle-ci d’être le possible lieu mondain du plus grand bonheur«. 18
Jean-Yves Lacostes Phänomenologie der Liturgie gleicht stark dem Konzept Chrétiens, wenngleich sie einen anderen methodischen Weg einschlägt und vor allem andere philosophische Schwerpunkte setzt, sich nämlich in erster Linie der Auseinandersetzung mit Heidegger verdankt. Lacoste entlarvt die ambivalente Verortung des ›Daseins‹ im heideggerschen Denken: Auf der einen Seite – beim Heidegger von Sein und Zeit – die negativ konnotierte Geworfenheit in die ›Welt‹ als ›Unzuhause‹, auf der anderen – beim ›gekehrten‹ Heidegger etwa in Der Ursprung des Kunstwerks – das atavistische frohe Schwelgen auf der ›Erde‹. Auch das bei Lacoste analog zu Levinas apriorisch exponierte Subjekt erkennt seine Positionierung gegenüber der Umwelt als mehrdeutig, d. h. sowohl als wesentliches »Nichtzuhausesein« (n’être-pas-chez-soi) bzw. »Unbehaustheit« (non-domiciliation) 19 und »ontologische Armut« (pauvreté ontologique) 20 als auch als Beheimatung und Freude. Positiv und sinnhaft erscheine dem Subjekt seine Situation in der Welt vor allem dann, wenn es sie sich intentional planend unterwerfe. Allein könne diese Chrétien, La parole blessée, 62. Vgl. Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 261. 17 Zur Einführung vgl. etwa Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 266–291; Schrijvers, Jean-Yves Lacoste. 18 Lacoste, Expérience et absolu, 75. 19 Lacoste, Expérience et absolu, 13. 20 Schrijvers, Jean-Yves Lacoste, 92. 15 16
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Planung das Subjekt nicht aus der grundlegenden Ambivalenz seiner Vorfindlichkeit befreien, also keinen letzten Sinn gewähren. Die somit ersehnte Befreiung von der Mehrdeutigkeit des Seins und unbedingten Sinn vermöchte allein die absolute Zukunft des Lebens coram Deo zu gewähren. 21 Diese absolute Zukunft nun sei aber gerade dadurch gekennzeichnet, nicht mehr intentional planbar zu sein. Zugang zu ihr und damit Ausgang aus der ambivalenten Geworfenheit gewähre daher das zweckfreie, nicht intentional-planende Handeln. Der Inbegriff solchen Handelns ist für Lacoste die (christliche) Liturgie, vor allem in Gestalt der eucharistischen Feier. Sie wird zu einer sinngebenden Aussetzung an das Göttliche vor aller menschlichen Sinngebung und gleichzeitig zur einzigen Möglichkeit, »den ethischen Sinn unserer Faktizität strikt zu begründen«. 22 Hierzu ist festzuhalten, dass das liturgische das topologische und temporale Moment der menschlichen Situation in der Welt unterwandert, 23 aber nicht aufhebt: Es gehe nicht um eine (räumliche oder zeitliche) Entrückung oder umgekehrt um eine theophanische Aufladung der irdischen Wirklichkeit. 24 Auch ist die liturgische Begegnung nicht als göttliche Unmittelbarkeit zu verstehen, sondern wesentlich als »Nicht-Erfahrung« (non-expérience), 25 in der sich die ›ontologische Armut‹ des Menschen spiegelt. Entscheidendes Moment der liturgischen Feier sei vielmehr, dass »wir bestreiten, wenn wir zu beten versuchen, dass das In-der-Welt-Sein alle Gründe unseres Seins einnimmt«, 26 d. h. den Sinn menschlichen Seins erschöpft. Diesem menschlichen Sich-überantworten als einem »Exodus« (exode) folge dann die göttliche (!) Gabe der »Bekehrung« (conversion) gemäß der imago Christi und der »Sendung« (mission), so dass sich in diesen drei Termini Lacostes gesamte Liturgiekonzeption spiegelt. 27 Die lacostesche Phänomenologie fordert also letztlich den Verzicht auf philosophisch-theoretischen Sinndiskurs zugunsten der praktischen Sinnerfahrung in der Liturgie als der Aussetzung an eine göttliche Vgl. hierzu Schrijvers, Ontotheological turnings, 224. Lacoste, Expérience et absolu, 86: »de fonder en rigueur le sens éthique de notre facticité« (i. O. kursiv). 23 Vgl. Lacoste, Expérience et absolu, 30: »subversion du topologique par le liturgique«. 24 Vgl. Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 275. 25 Lacoste, Expérience et absolu, 49–66. 26 Vgl. Lacoste, Expérience et absolu, 54: »Nous contestons, lorsque nous tentons de prier, que l’être-dans-le-monde détienne toutes les raisons de notre être«. 27 Vgl. Schrijvers, Jean-Yves Lacoste, 77–86. 21 22
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Jean-Luc Marions ›Phänomenologie der Gabe‹
Sinngebung, die es dann erlaube, »die Kontingenz [sc. die Welt; M. L.] besser zu bewohnen und sie besser mit Sinn zu versehen«. 28
4.3 Jean-Luc Marions ›Phänomenologie der Gabe‹ 29 »Mais le phénomène saturé excède les catégories (comme les principes) puisqu’en lui l’intuition outrepasse le concept«. 30
Die Religionsphänomenologie 31 Jean-Luc Marions hebt – bei aller Nähe im Gesamtkonzept – anders an als jene von Chrétien und Lacoste: Sie beginnt nicht beim inkarnierten Subjekt und seiner Exposition, sondern fragt umgekehrt nach dem Objekt dieses Subjekts, nach dem Erfahrungsgegenstand und weiter nach seiner Gegebenheitsweise. Marion betreibt – ähnlich wie Henry – eine dezidierte Grundlagenrevision der klassischen Phänomenologie, um »den [vermeintlich verstellten; M. L.] phänomenologischen Ansatz als solchen frei[zu]legen«. 32 So nimmt seine Beschreibung des allen behandelten Philosophien gemeinsamen unmittelbar-intuitiven Ergriffenwerdens durch Sinn ihren Ausgang von der Untersuchung der Phänomenalität als solcher, von einer »Korrektur […] des gemeinen Begriffes des Phänomens«. 33 Er beschreibt drei verschiedene Arten phänomenologischer Reduktion, denen ebenso viele Gebungs- bzw. Phänomenarten entsprächen, die jeweils anhand ihrer Zuordnung von Intention und Intuition, d. h. subjektiver Konstitution und objektiver Affizie28 Lacoste, Bâtir, habiter, prier, 557: »mieux habiter la contingence et de mieux la rendre sensée«. 29 Eine erste Kurzeinführung in das Denken Marions bieten etwa: Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 291–334; Wohlmuth, Zur Phänomenologie Jean-Luc Marions. 30 Marion, Étant donné, 280. 31 Marions umfangreiches und vielseitiges Schaffen umfasst freilich auch andere philosophische Bereiche, die allesamt religionsphilosophische Relevanz aufweisen, hier aber nicht behandelt werden können. So unterscheidet Greisch (Le buisson ardent, 291 f.) etwa drei »angles distincts« im marionschen Denken, neben dem phänomenologischen »cycle« (der Trilogie von Réduction et donation, Étant donné und De surcroît) als letztem (!) Bereich stünden die historischen Arbeiten (vor allem zu Descartes und dem Cartesianismus) und die eher systematischen (etwa L’Idole et la Distance oder auch Dieu sans l’être). 32 Marion, Réduction et donation, 9: »dégager la démarche phénoménologique comme telle«. 33 Marion, Étant donné, 277: »une correction […] de la définition commune du phénomène«.
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rung, zu unterscheiden sind. 34 Als erstes ist die Rede von der cartesianischen Reduktion auf die cogitatio, der das »intuitionsarme« (pauvre en intuition) Phänomen zugehöre; hier ist wohl etwa an reine Verstandeskonstrukte, wie etwa logische Gesetze gedacht. Zweitens spricht Marion von der existentialen Reduktion Heideggers, die zu einem Phänomen »nach allgemeinem Verständnis« (de droit commun) führe, dass – sozusagen als Mittleres zwischen Konstitution und Affizierung – die Adäquation von Intention und Intuition durchaus nicht ausschließe, aber auch nicht notwendig bedinge. Als dritte und letzte Reduktion ist dann schließlich sein eigener Ansatz der Reduktion auf die reine Gebung (d. h. Affizierung) zu verstehen, der – mit dem bruaireschen Begriff 35 – als ›Ontodologie‹ bzw. als ›Phänomenologie der Gabe‹ bezeichnet werden kann, weil er das Sein als Gegebenheit und Gabe versteht. Von hierher erklärt sich auch das von Marion neu aufgestellte, vierte Prinzip der Phänomenologie: »Wieviel Reduktion, soviel Gebung« (autant de réduction, autant de donation). 36 Die ontodologische Reduktion führt Marion zufolge zu einem ausschließlich sich-selbst-gebenden, (mit Intuition) »gesättigten« (saturé) Phänomen. 37 Mit Greisch: »[D]ie Intuition überschwemmt die Erwartung der Intention«. 38 Die Sättigung, die Marion im dritten Werk seiner phänomenologischen Trilogie auch als das »Überhinaus« (de surcroît) beschreibt, jener »Exzess der Intuition über die Signifikation oder das Konzept« (Greisch) 39 wird für ihn so zum Phänomenalitätsparadigma schlechthin: Das gesättigte Phänomen stellt »die kohärente und konzeptuelle Verwirklichung der brauchbarsten Phänomendefinition [dar]: es allein erscheint wirklich als es selbst, aus eigenem Antrieb und von sich selbst her […], weil es allein ohne die Grenzen eines Horizonts und ohne Reduktion auf ein Ich erscheint«. 40 Saturierte Phänomene wiesen Vgl. zum Ganzen Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 322–325; dorther stammen auch die folgenden Zitate. 35 Vgl. Kap. 2, Anm. 198. 36 Marion, Réduction et donation, 303. Marion kann dabei auf Henrys Rezeption dieses vierten Prinzips verweisen, vgl. Marion, Eine andere »Erste Philosophie« und die Frage der Gegebenheit, 23. 37 Vgl. etwa Marion, Le phénomène saturé, 126. 38 Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 325: »[L]’intuition submerge l’attente de l’intention«. 39 Greisch, Le buisson ardent et les lumières de la raison, 326: »l’excès de l’intuition sur la signification ou le concept«. 40 Marion, Le phénomène saturé, 124: »[L]’accomplissement cohérent et conceptuel de 34
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vier negative Charakterzüge auf, sie seien »nicht anvisierbar« (invisable), »unerträglich« (insupportable), »nicht bedingt« (inconditionné) und »irreduzibel auf das Ich« (irréductible au Je). 41 Marion nennt als Beispiele – jeweils in eigenwilliger Zuordnung zu den vier übergeordneten Urteilsfunktionen der kantschen Kategorientafel – das »Ereignis« (évènement) als saturiertes Phänomen aus dem Bereich der Quantität, das »Idol« (idole) als Qualität, das (menschliche) »Fleisch« (chair) als Relation und die »Ikone« (icône) als Modalität. 42 Es gebe also eine Pluralität saturierter Phänomene, allerdings sei diese gestuft zu denken. So findet Marion geradezu klassisch via eminentiae zum Gedanken einer »Sättigung der Sättigung« (saturation de saturation) und eines möglichen »id quo nihil manifestius donari potest«. 43 Dieses ›meistsaturierte Phänomen‹ identifiziert er mit der Offenbarung in Jesus Christus: »Es bleibt ein letzter denkbarer, wenngleich extremer Zusammenhang zwischen saturiertem Phänomen und Horizont: Dass kein Horizont noch eine Kombination von Horizonten die Absolutheit des Phänomens tragen können, weil dieses sich nämlich als absolut gibt, das heißt frei von jeder Analogie mit den Phänomenen nach allgemeinem Verständnis […]. Kurzum, ein derart gesättigtes Phänomen, dass die Welt es nicht akzeptieren kann. Gekommen unter die seinen, aber die seinen haben ihn nicht erkannt«. 44 Marion liefert also eine phänomenologische Denkfigur zum Verständnis einer möglichen, nicht zu Herleitung oder gar Beweis der ergangenen christlichen Offenbarung, so dass ihm eigentlich nicht vorgeworfen werden kann, uneingestandene theologische Voraussetzungen zu machen. Allerdings dürfte seine Lehre von den saturierten Phänomenen und die ihr zugrunde liegende gabetheoretisch-›ontodologische‹ Wirklichkeitsbeschreibung auf dezidierten metaphysischen Grundentscheidungen beruhen. la définition la plus opératoire du phénomène: lui seul apparaît véritablement comme soi-même, de soi-même et à partir de soi-même […], puisque lui seul apparaît sans les limites d’un horizon ni la réduction à un Je«. Vgl. auch Marion, Étant donné, 316. 41 Marion, Le phénomène saturé, 12. 42 Vgl. Marion, Étant donné, 323. 43 Ebd., 338 f. 44 Marion, Le phénomène saturé, 118: »Il reste cependant un dernier rapport pensable, quoiqu’extrême, entre phénomène saturé et horizon: qu’aucun horizon ni aucune combinaison d’horizons ne tolèrent l’absoluité du phénomène, précisément parce qu’il se donne comme absolu, c’est-à-dire libre de toute analogie avec les phénomènes de droit commun […]. Bref, un phénomène à ce point saturé que le monde ne saurait l’accepter. Venu parmi les siens, les siens ne l’on pas reconnu«. A
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Zweiter Teil: ›Letztbegründung!‹ oder ›Gott im Begriff?‹ – Ein religionsphilosophisches Paradigma der zeitgenössischen katholischen Systematik in Deutschland
Seit Ende der 80er Jahre hat sich in Teilen der deutschsprachigen Fundamentaltheologie und Dogmatik eine Gegenbewegung zu der vermeintlich universalen und omnipotenten hermeneutischen Ausrichtung der philosophischen Glaubensrechenschaft etabliert. In Abgrenzung zu der als postmodern-relativistisch und insofern mit der Vernunftvermittlung des christlichen Glaubens als eines ›letztgültigen‹ Sinns unvereinbar empfundenen Hermeneutik ist hierbei ein neues religionsphilosophisches Paradigma entstanden, das sich als genuine Erstphilosophie und ›Letztbegründung‹ gegenüber den stets nur begrenzten und perennierenden hermeneutischen Begründungen versteht. Das vernünftige Rede-und-Antwort-Stehen für die christliche Hoffnung (vgl. 1 Petr 3,15) unter Wahrung der Einzigartigkeit der göttlichen Offenbarung in Christus erscheint diesem neuen Denken bloß dort möglich, wo auch die menschliche Vernunft dieses ›ein-für-allemal‹ wirklich und endgültig erreicht, in einer Gewissheit, die ihr niemand mehr zu nehmen vermag, derer sie sich also ebenso ›letztgültig‹ vergewissert hat. Dieser Vergewisserung dürfen Offenbarung und Glaube nicht als etwas Fremdes gegenüberstehen, nicht als extrinsezistisch konzipierte ›Geheimlehren‹, sondern als absolut sinnvoll und absolut relevant. Wo aber der Glaubensgegenstand die Grenzen des Denkens dennoch übersteigt, müssen jene Begrenzungen als solche einsichtig und als notwendig erkannt werden. Gleichzeitig sind sich die Verfechter dieses Paradigmas ebenfalls über das Apriori der geschichtlichen Offenbarung einig, die als Katalysator der ursprünglichen Vernunftmöglichkeiten aber wenigstens aposteriorisch verstanden werden muss, um human vertretbar zu sein. Hintergrund dieser Forderungen einer umfassenden Vernunfteinsicht in den christlichen Glauben ist hierbei das neuzeitliche Autonomieverständnis, für das alle Vertreter dieses Denkens in enger Anlehnung an Aufklärung und Deutschen Idealismus A
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Zweiter Teil: ›Letztbegründung!‹ oder ›Gott im Begriff?‹
eintreten. Sehr bewusst sind sie sich dabei ihres ›Exotendaseins‹ 1 im Horizont der zeitgenössischen philosophischen und theologischen Landschaft, und sie scheuen nicht deren Generalkritik. Als maßgebliche Vertreter dieses Letztbegründungsansatzes werden nun gemeinhin drei Denker genannt – freilich jeweils zu ergänzen um eine Reihe von Schülern –, nämlich Klaus Müller, Thomas Pröpper und Hansjürgen Verweyen. 2 Im vorliegenden Kapitel werden jedoch ausschließlich die beiden Letztgenannten eigens zu behandeln sein, und zwar nicht etwa aus pragmatischen Erwägungen heraus – etwa weil beide bereits miteinander verglichen worden sind –, 3 sondern aufgrund der systematisch-inhaltlichen Feststellung, dass Pröppers und Verweyens Transzendentalphilosophien viel mehr Gemeinsames eignet und sie so gemeinsam unter ein auch material bestimmbares Paradigma fallen, während die Gemeinsamkeiten mit Müllers sprachanalytischem Ansatz 4 weniger weit reichen Vgl. etwa Kl. Müller, Wieviel Vernunft braucht der Glaube, 79, mit der impliziten Selbsttitulation als »Ontosaurier philosophicus«. 2 Diese Trias erscheint etwa in den jeweiligen Ausführungen der ›Protagonisten‹ der Letztbegründung selbst wie aber auch in der Sekundärliteratur; vgl. z. B. den von J. Valentin und S. Wendel herausgegebenen Sammelband Unbedingtes Verstehen?!; hier etwa 7 (Einleitung). 3 Hier sind v. a. die Studien von P. Platzbecker (Radikale Autonomie vor Gott denken) und Kl. Obenauer (Rückgang auf die Evidenz) zu nennen. Letzterer allerdings beansprucht keinen neutralen Vergleich beider Denker zu leisten, sondern sie vom Standpunkt des eigenen (neuthomistischen) Ansatzes aus zu kritisieren und durch eine sehr komplexe Argumentation das verborgene ontologische Fundament des Letztbegründungsdenkens in Gestalt einer zugrunde liegenden, ›absolut unproblematischen‹ »letztvergewissernde[n] Evidenz von An-sich-Sein« aufzuzeigen (ebd., 85). Obenauers Arbeit liefert dabei eine recht umfangreiche, wenn auch teils einseitige philosophische und theologische Kritik der Ansätze (Letztere mündet im Vorwurf der Unterbestimmung der Offenbarung durch beide, vgl. ebd., 321.346 f.!) und wird daher v. a. im Rahmen der kritischen Würdigungen zu konsultierten sein. 4 Das Hauptwerk des religionsphilosophischen Ansatzes Kl. Müllers dürfte seine – bezeichnenderweise bei Verweyen verfasste – Habilitationsschrift Wenn ich »ich« sage sein, vgl. aber auch etwa seine Aufsätze Das etwas andere Subjekt; Konstrukt Religion; Subjektivität und Theologie; Subjektprofile u. a. Aus einer sehr detaillierten und umfangreichen Kenntnisnahme der – v. a. anglo-amerikanischen – Sprachphilosophie heraus (hier sind etwa Castañeda, Chisholm, Nozick und Shoemaker zu nennen; wichtige Ausnahmen bilden die Deutschen Frank und Henrich) gelangt Müller zu der ›letztgültigen‹ Einsicht in die sprachlogische Unhintergehbarkeit selbstbewusster Subjektivität, da die indexikalische Funktion des jeweiligen ›Ichs‹ mitsamt ihrer Basisindikatoren nicht austauschbar sei, was gleichzeitig eine präreflexive Vertrautheit des Subjekts mit sich selbst impliziere (vgl. Wenn ich »ich« sage; hier v. a. 562–564, die eine Zusammenfassung ›von a bis t‹ liefern). Die so eruierte Irreduzibilität der individuellen Subjektivität 1
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Zweiter Teil: ›Letztbegründung!‹ oder ›Gott im Begriff?‹
und im Wesentlichen den Bereich des Formalen betreffen. Nichtsdestoweniger steht Müller als ›Chronist‹ 5 sowie kritischer Wegbegleiter und Gesprächspartner der beiden stets im Blickfeld der Ausführungen dieses Teils. Worin also besteht nun die Gemeinsamkeit der pröpperschen und der verweyenschen Letztbegründung im Rahmen der philosophischen Glaubensrechenschaft? Ohne dem Folgenden vorzugreifen, sei hier nur – entsprechend dem Titel dieses Teils – auf die transzendentalphilosophische Ausrichtung der beiden Erstphilosophien verwiesen, die umfangreiche Folgen hinsichtlich der Voraussetzungshorizonte, des Verlaufs und der Ergebnisse hat. Dieser Zusammenhang expliziter und impliziter Voraussetzungen und deren Folgerungen wird dabei als ›Strukturgesetz‹ transzendentaler Philosophie im Gefolge Kants und Fichtes beschrieben und problematisiert werden (vgl. v. a. 5.2 u. 6.2). Hier sei nur so viel gesagt, dass Pröpper wie Verweyen nicht das Sein resp. das Seiende als solches ›sprechen‹ lassen, wie es in der französischen Philosophie der Fall war, sondern ausgehend von der Selbstbesinnung des Subjekts, d. h. transzendentalanalytisch, transzendentaldeduktiv einen Sinnbegriff für die Wirklichkeit zu eruieren beanspruchen, der unhinterfragbar ist. Dieser wiederum dient dann als Ausgangspunkt und in ihren Augen einzige rational verantwortbare Möglichkeit des Gottdenkens. Ungeachtet der unterschiedlichen Ansprüche hinsichtlich der Reichweite der erstphilosophischen Reflexion wie ihrer Grundlegung – diese Unterschiede sind freilich Gegenstand einer überaus fruchtbaren Kontroverse zwischen den beiden Theologen wie auch zwischen ihren Schülern geworden und werden im Folgenden eine große Rolle spielen – beanspruchen beide, einen, ja vielleicht den unwiderruflichen, ›letztgültigen‹ Gottesbegriff gefunden zu haben. Wie dieser im jeweiligen Fall lautet, und welche Schritte in seinem Vorfeld wie Gefolge zu unternehmen sind, sollen die beiden folgenden Kapitel zeigen (vgl. Kap. 5 f.).
als Ausdruck auch ihrer Unverfügbarkeit und Freiheit/Autonomie dient nun als Gültigkeitskriterium jeglicher philosophischen Wirklichkeitsdeutung und Erklärung weltlicher Kontingenz. Von Pröpper und Verweyen unterscheidet sich Müller aber nicht nur in dieser sprachanalytischen Ausrichtung der Erstphilosophie, sondern v. a. auch darin, dass er es mit der Erhebung dieses Kriteriums bewenden lässt, ohne selbst ein abgeschlossenes religionsphilosophisches Gesamtkonzept vorzulegen. 5 Vgl. hierzu etwa Kl. Müller, Der Streit um Begründungsfiguren, 19–22; ders., Philosophische Grundfragen der Theologie, 405–413. A
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5. Thomas Pröppers ›Transzendentale Freiheitsanalytik‹ »[Es] ergibt sich die fundamentaltheologische Aufgabe einer Anthropologie, die den Menschen als das Wesen versteht, das in seiner Freiheit von Gott unterschieden und doch für ihn ansprechbar ist, d. h. in Gottes Offenbarung seinen Sinn finden würde. Nicht um Gottes Selbsterweis zu ersetzen, sondern den durch ihn begründeten Glauben als möglich und sinnvoll zu zeigen und sein Verständnis von Gott zu bewähren«. 1
Der deutsche Dogmatiker Thomas Pröpper (* 1941) hat in seiner relativ kurzen akademischen Schaffenszeit einen besonderen Schwerpunkt auf die philosophische Glaubensvermittlung und die – ebenfalls philosophisch zu verantwortende – theologische Grundlagenreflexion gelegt. Hierbei ist ein von beachtlicher Stringenz geprägter zweipoliger Ansatz entstanden, der sowohl die innere Struktur der Dogmatik als Glaubenshermeneutik zu reformieren als auch einen neuen Impuls für die aus theologischen Gründen gebotene Religionsphilosophie zu geben sucht. 2 Der Ansatz, letztlich in allen Veröffentlichungen des verblüffend umfangsarmen Werkes 3 wenigstens implizit enthalten, hat – nicht zuletzt dank der regen Lehrtätigkeit des EF 110. Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte wird hier nach der zweiten Auflage anhand des Sigels EF zitiert, Zitationen der ersten Auflage werden eigens gekennzeichnet (1 EF). 2 Bislang existiert keine Monographie zum pröpperschen Denken und seinem Ansatz, allenfalls kürzere Zusammenfassungen und Hinweise in den Büchern seiner Schüler sowie in den Beiträgen der in dichter Folge erschienenen beiden Festschriften Dogma und Denkform (2005, hg. v. Kl. Müller u. Striet) und Freiheit Gottes und der Menschen (2006, hg. v. Böhnke u. a.). Die bislang ausführlichste zusammenhängende Darstellung der pröpperschen Religionsphilosophie wie ihrer Konsequenzen für die Theologie liefert wohl Platzbecker Radikale Autonomie vor Gott denken, hier v. a. 89–132. Kürzere bzw. extrem kurze und verdichtete Einführungen finden sich etwa bei Fößel, Freiheit als Paradigma der Theologie?, 223–228; Menke, Kann ein Mensch erkennbares Medium der göttlichen Selbstmitteilung sein?, 52–57; Obenauer, Rückgang auf die Evidenz, 37 f.318 f.; Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 40–52; Timmermann, Ästhetische Implikationen in Thomas Pröppers Offenbarungstheologie, 192–199. 3 Eine umfassende Bibliographie liegt nun vor in der zweiten Pröpper-Festschrift Freiheit Gottes und der Menschen, 535–538. Die Herausgeber verweisen im Vorwort ebenfalls auf den – heutzutage sicherlich ungewohnten – geringen Umfang des Werkes bei gleichzeitig zu konstatierender beachtlicher Prägnanz, vgl. Böhnke u. a., Vorwort der Herausgeber, 6: »Allen Quantitätsanforderungen aktueller akademischer Evaluationen Hohn sprechend, ist gerade seine [sc. des bisherigen pröpperschen Werkes; M. L.] prägnante Konzentration ein Grund seiner Wirksamkeit«. 1
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Thomas Pröppers ›Transzendentale Freiheitsanalytik‹
Urhebers – eine weite Verbreitung gefunden und ist nach und nach durch die Schüler Pröppers auf die meisten dogmatischen Traktate übertragen und für ihre jeweiligen Fragestellungen fruchtbar gemacht worden. 4 Das pröppersche Werk hebt im Jahre 1976 an mit der theologisch-philosophischen Abhandlung Der Jesus der Philosophen und der Jesus des Glaubens, die zwei Jahre später bereits ins Französische übersetzt wird. Laut der Bibliographie legt Pröpper drei weitere Monographien vor, die freilich nicht zwangsläufig als solche betrachtet werden müssen: Zunächst ist hier sein Buch Gottes Ja – unsere Freiheit (1983) zu nennen, das eigentlich eine Predigtsammlung darstellt. Als nächstes erscheint die genuine Monographie Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte (1985), Pröppers Soteriologie, aufgrund deren zweiter, wesentlich erweiterter Auflage (1988) 5 er im Jahr 1986 promoviert wurde. 2001 folgt dann schließlich Evangelium und freie Vernunft, das mit Ausnahme des Vorworts, dreier kurzer Einführungen und eines bis dato unveröffentlichten Vortrags 6 als Aufsatz- bzw. Artikelsammlung zu betrachten ist. Pröppers Werk umfasst weitere wichtige Artikel und Aufsätze (v. a. den Beitrag zur 1993 erscheinenden Festschrift seines Lehrers Walter Kasper, Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik), sowie wesentliche (Mit-) Herausgeberschaften (etwa bezüglich Festschriften für Metz und Verweyen und der zusammen mit Kl. Müller verantworteten Reihe ratio fidei). Der Darstellung des pröpperschen Ansatzes wird natürlich wiederum das Gesamtwerk zugrunde gelegt, jedoch mit besonderem Schwerpunkt auf EF (als dem Kernstück bzw. der ersten und umfassendsten Formulierung des Ansatzes) und auf den Beiträgen in EFV, die zur weiteren Darstellung, methodologischen Vertiefung und Anwendung des Ansatzes dienen. Zur Herausarbeitung und zur ErEine Übersicht über die wichtigsten Arbeiten der ›Münsteraner Schule‹ bietet etwa Essen, Abschied von der Seelenmetaphysik, 209 f. 5 Die Änderungen der zweiten Auflage bestehen in der teilweisen Ausfaltung der Argumentation, in der Ergänzung weiterführender Anmerkungen und in geringfügigen Umstellungen im ursprünglichen Text (so fasst er etwa einige Fußnoten zu Rahner zum Kapitel 4c zusammen, vgl. EF 123–137: »Zu Karl Rahners Philosophie und Theologie der Offenbarung«). Besonders wichtig ist aber die Erweiterung um die fünfzehn Exkurse, auf die im Folgenden besonders einzugehen ist. Auch trägt die Neuauflage dezidiert dogmatisches Gepräge, während die Erstauflage sich noch als fundamentaltheologisches Werk verstand, vgl. hierzu auch Anm. 82. 6 Vgl. Pröpper, Gott hat auf uns gehofft … (EFV 300–321). 4
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Thomas Pröppers ›Transzendentale Freiheitsanalytik‹
läuterung der (v. a. theologischen) Konsequenzen des Ansatzes werden auch die wichtigsten Arbeiten der Pröpperschüler, insbesondere G. Essens und M. Striets, heranzuziehen sein, da sie sich unmittelbar aus ihm ergeben und ihn sozusagen durch die dogmatischen Traktate ›durchdeklinieren‹. Die Brillanz und der stets offen bekundete, starke Einfluss des Lehrers zeigt sich hierbei K.-H. Menke zufolge in der Tatsache, dass alle großen Dissertationen der ›Münsteraner Schule‹ bereits in Pröppers Dissertation EF, und zwar genauer in den Exkursen der zweiten Auflage, »angedacht« und vorentworfen seien. 7 Pröppers Religionsphilosophie steht in engem Zusammenhang mit seiner Theologie, sucht er doch nach einem einheitlichen philosophischen Leitprinzip für die Glaubensrechenschaft sowohl hinsichtlich der eigentlichen theologischen Explikation des Glaubensinhalts als auch hinsichtlich seines durch diesen selbst geforderten autonom philosophischen Möglichkeits- und Relevanzaufweises. Jenes Prinzip glaubt Pröpper im Gedanken der Freiheit ausgemacht zu haben, die somit zum Co-Prinzip der Theologie, d. h. zu ihrem zweiten hermeneutischen Schlüssel bzw. organisierenden Zentrum avanciert wie auch zum Ausgangsaxiom und Hauptgegenstand jeglicher mit dem Glauben zu vereinbarender Philosophie. Eine solche Philosophie legt er dann selbst vor als transzendentalphilosophische Freiheitsanalytik im Gefolge Hermann Krings’, seines »Lehrer[s] durch Schriften«. 8 Weitere philosophische Gesprächspartner sind dabei etwa Duns Scotus, Ockham, Kant, Fichte, Schelling, Schleiermacher, Kierkegaard, Apel, Henrichs, Heinrichs und überraschenderweise auch Levinas. 9 Vgl. Menke, Sünde und Gnade, 40: »Was ich seinerzeit [gemeint ist wohl seine Rezension zu 1 EF in der ThRv von 1987; M. L.] nicht erkannt habe, hat sich mir bei einer neuerlichen Lektüre des großen Werkes ›Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte‹ deutlich erschlossen. Die angehängten Exkurse sind bereits der Versuch, auf dem Rücken des freiheitsanalytischen Ansatzes eine Reformulierung aller zentralen Kapitel der Dogmatik anzuregen. Dort sind fast alle großen Dissertationen der so genannten Pröpper-Schule zumindest angedacht oder als Desiderate postuliert«. 8 So die als Widmung gedachte Anmerkung in EFV IX. P. Platzbecker hat natürlich Recht mit dem Hinweis, Pröppers Beschäftigung mit der Freiheit als zentralem Thema habe schon vor seiner Kringsrezeption eingesetzt und seine wesentlichen Umrisse gewonnen (Platzbecker verweist dabei v. a. auf Pröppers Thesen zum Wunderverständnis, vgl. Radikale Autonomie vor Gott denken, 95), jedoch findet Pröpper erst in der kringsschen Philosophie die adäquate Denk- und Sprachform für seinen Ansatz (vgl. 5.1). 9 So die von ihm selbst gebotene Auflistung in EFV 16. Auf die jeweils – abgrenzend wie aufgreifend – rezipierten Gedanken wird im Folgenden an der jeweiligen Stelle des pröpperschen Denkens verwiesen werden. Seine Auseinandersetzung mit Levinas scheint jedoch bisher mehr Desiderat als Faktum zu sein und nicht über den Hinweis 7
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Innertheologisch setzt er sich dabei insbesondere von den – seiner Meinung nach mit einem defizienten Freiheitsbegriff operierenden – anthropologischen Vermittlungsversuchen Pannenbergs und Rahners ab. 10 Auch konfrontiert er sein Denken – spätestens ab etwa 1994 11 – stark mit den Letztbegründungsversuchen Verweyens. 12 auf die levinasschen Konzepte der intersubjektiven Selbstbewusstseinsvermittlung und Sollensverpflichtung hinauszugehen, deren Letzterer freilich als geltungstheoretisch unzureichend betrachtet wird, vgl. EFV 206.305. E. Dirscherl glaubt in seinem Aufsatz Spiritualität und Denken im Dialog mit der Subjektphilosophie von E. Levinas – bei gleichzeitigem nüchternen Eingeständnis »einer anderen philosophischen Option« im eigenen, an Levinas orientierten Denken (ebd., 193) – eine Parallele zwischen Pröpper und Levinas in Gestalt des Gedankens der Unmittelbarkeit der göttlichen Nähe ausmachen zu können, den Pröpper bezüglich der Ökonomie vertrete (ebd., 193 f. bzgl. EFV 218) und der als unmittelbare Evidenz und Intuition der als heilig empfundenen Alterität Levinas’ Denken bestimme (vgl. ebd., 197–200). Angesichts der doch massiven Unterschiede hinsichtlich der Bestimmung der Voraussetzungen dieser Evidenz auf Seiten des erkennenden Subjekts scheint hier aber wohl doch die Unähnlichkeit zu überwiegen, trifft die unmittelbare Intuition den Menschen laut Levinas doch völlig unvorbereitet und bleibend inkommensurabel, während Pröpper ihm doch die zumindest aposteriorische Kapazität des Nachvollzugs und der begrifflichen Einholung einräumt. Hierauf ist zu insistieren, trifft diese Differenz doch das Herz der in der vorliegenden Arbeit vollzogenen Gegenüberstellung der beiden Paradigmata. Tragfähiger erscheint da schon die von Dirscherl in seinem Beitrag zur ersten Pröpper-Festschrift im Rahmen der Verweyenkritik eruierte Parallele der bleibenden Fraglichkeit der irdisch-zeitlichen Realisation des Guten mit ihren eschatologischen Konsequenzen (vgl. Dirscherl, Die Frage nach dem Guten jenseits des Seins, hier v. a. 24 f.). Sein Lehrer J. Wohlmuth zeigt seinerseits am Zeitkonzept bei aller deklarierten Sympathie für den Freund Pröpper die elementare Differenz zwischen der synchronisierenden Transzendentalphilosophie und der diachroniebetonten levinasschen Phänomenologie auf (vgl. Wohlmuth, Zeit und Freiheit), die sich schon in der unterschiedlichen Rangordnung der beiden titelgebenden Konzepte zeigt, nämlich »Freiheit und Zeit« (ebd., 137–143) bei Pröpper gegenüber »Zeit und Freiheit« (ebd., 143–153) bei Levinas. 10 Vgl. EFV 16 f. Zu seiner Pannenbergkritik vgl. v. a. EFV 153–179 (Das Faktum der Sünde und die Konstitution menschlicher Identität). Pröpper wirft dem großen protestantischen Theologen vor, in seiner Anthropologie in theologischer Perspektive das formale Unbedingtheitsmoment menschlicher Freiheit zu missachten, was sünden- wie identitätstheoretisch zu einer Unterbestimmung der Rolle des Subjekts führe, dessen Sündigkeit und Identität dann nur mehr als alteritäts- bzw. sozialvermittelt zu denken seien. Pannenberg selbst hat eine deftige Replik zu diesem Artikel verfasst (vgl. Pannenberg, Sünde, Freiheit, Identität), in der er erstens die einschränkende Bedingtheit der erbsündlich ›vorbelasteten‹ menschlichen Freiheit, zweitens aber erneut die Prozessualität und Sozialvermittelheit der Identitätbildung betont (vgl. ebd. i. V. m. ders., Anthropologie in theologischer Perspektive, v. a. 173–217). Jene soziale Vermittlung hebt Pannenberg sogar noch stärker hervor als G. H. Mead in dessen Werk Mind, self and society, weil ihm zufolge nicht erst das reflexe ›me‹, sondern schon das vermeintlich ursprünglichere ›I‹ erst durch die äußerlich beeinflusste Modifikation der ursprünglich A
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Die strenge Freiheitsorientierung als Denkansatz verdankt sich einem komplexen Zueinander theologischer und philosophischer Argumente, das als sachnotwendige Dialektik von Glauben und Freiheitsprinzip unter 5.1 beschrieben werden soll. Anschließend wird Pröppers religionsphilosophisches Denken zu entfalten sein, und zwar zunächst hinsichtlich der vorausgesetzten, (im weiten Wortsinne) ontologischen Sichtweise der Wirklichkeit und der hieraus resultierenden Grundoption für die Transzendentalphilosophie (5.2). Der Abschnitt 5.3 soll sodann die erkenntnistheoretischen Implikationen des pröpperschen Denkens unter dem Leitmotiv der ›Denkformanalyse‹ behandeln (5.3). Unter 5.4 wird dann schließlich die pröppersche Freiheitsanalyse als eigentlicher Kern seiner Religionsphilosophie dargestellt werden, aus der sich auch seine philosophische Gottesvorstellung ergibt (5.5). Auf Grundlage all dessen können dann abschließend die Kurzzusammenfassung und die skizzenartige Würdigung vorgenommen werden (5.6 f.).
›ich-losen‹ Selbstvertrautheit entsteht (vgl. ders., Anthropologie in theologischer Perspektive, 213–216; ders., Sünde, Freiheit, Identität, 294–296). Pröppers ähnlich gelagerte Rahnerkritik findet ihre größte Verdichtung im genannten neuen Abschnitt 4c der 2. Auflage von EF (123–137). 11 In diesem Jahr beginnt die Auseinandersetzung zwischen Pröpper und Verweyen mit einem Vortrag Pröppers auf einer Akademietagung der Erzdiözese Freiburg zu Verweyens Ansatz am 24. April (Platzbecker irrt sich hier um ein Jahr, vgl. Radikale Autonomie vor Gott denken, 15 f.), der zusammen mit der anschließenden Antwort Verweyens (Glaubensverantwortung heute) in der Theologischen Quartalsschrift veröffentlicht wurde. Hier ist festzuhalten, dass Pröpper Verweyen vor dieser ›ersten Kontaktaufnahme‹ wenigstens in seinen Veröffentlichungen zu ignorieren scheint, kommt EF (1988) doch gänzlich ohne Verweis auf Verweyen aus, dessen wohl wichtigstes Werk GLW (1. Auflage 1991!) freilich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorliegt. Verweyen seinerseits greift in GLW sehr wohl häufig auf EF zurück. Zum weiteren äußeren Rahmen des Dialogs beider vgl. Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, 15 f. 12 Zur Debatte der beiden vgl. die genannte Vergleichsstudie Platzbeckers (Radikale Autonomie vor Gott denken). Die gegenseitigen Kritikpositionen werden sich im Folgenden an verschiedenen Stellen der Darstellung zeigen.
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5.1 Denkansatz: Notwendige Dialektik bzw. ›Ellipse‹ von Glauben und Freiheitsprinzip »Die Entschiedenheit, mit der ich für die theologische Aufnahme des transzendentalen Freiheitsdenkens plädiere […], hat nicht nur philosophische Gründe. Sie ist ebenso sehr von der Zuversicht bestimmt, daß gerade die Wahl dieses Denkens auch den spezifischen Erfordernissen entspricht, die […] aus der Bestimmtheit der Wahrheit resultieren, deren Inhalt sie [die Hermeneutik des Glaubens; M. L.] zu explizieren und […] zu vergegenwärtigen hat«. 13
Pröppers Denkansatz soll hier in vier Schritten und – aufgrund der durchgehend starken Stringenz – in weitestgehender Synchronie dargestellt werden, allein wesentliche Ergänzungen oder Modifikationen werden dabei als solche hervorzuheben sein. Gemäß der Systematik der ersten beiden Monographien (JDP und EF) wird die Beschreibung des pröpperschen Denkwegs ihren Ausgang bei seiner Erhebung des aktuellen Stands der abendländischen Freiheitsgeschichte nehmen, die für ihn sowohl die konkrete menschliche Lebenswirklichkeit (die Faktizität oder Entwicklungsstufe der Freiheit) wie auch die Philosophie (das Denken der Freiheit) umfasst (1). Hierbei wird sich sowohl eine grundlegende Ambivalenz des status quo der Freiheitsgeschichte zeigen, der von unhintergehbaren Errungenschaften wie problematischen Tendenzen gekennzeichnet ist und so eine wesentliche Herausforderung für das christliche Denken darstellt, als auch seine – ebenfalls positive wie negative – Bedingtheit durch die Geschichte des Christentums und ambivalente Positionierung ihr gegenüber, die doch für ihn mitverantwortlich zeichnet. 14 In einem zweiten Schritt wird dann angesichts dieses dialektischen Verhältnisses von Christentum und Freiheitsgeschichte Pröppers zentrale Bestimmung des Christlichen zu betrachten sein, die er knapp als ›Grundwahrheit‹ profiliert, und die den über alle historische Kontingenz hinausgehenden, intrinsischen Nexus von christlichem Glauben und Freiheitsprinzip aufzuzeigen sucht (2). In einem dritten Schritt werden daran anschließend die von Pröpper gefolgerten KonEFV 5. Diesen Gedanken einer christlichen (Mit-) Verantwortung für die Entstehung der Moderne und die aktuelle Ausprägung menschlicher Lebenswirklichkeit in ideell-theoretischer wie praktischer Hinsicht mitsamt der ethischen Folgerung, diese nicht sich selbst überlassen zu dürfen, betont v. a. Kl. Müller (vgl. etwa Wenn ich »ich« sage, 559 u.ö); er findet sich aber der Sache nach auch bei Verweyen (vgl. etwa GLW 47). 13 14
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sequenzen für die Dogmatik beschrieben, die er dergestalt durch zwei fundamentale Prinzipien, nämlich nicht allein durch die ›Grundwahrheit des Glaubens‹, sondern auch durch das Prinzip der ›Freiheit‹ bestimmt sieht; dabei wird beider Zusammenhang (in Anlehnung an Schleiermachers Zuordnung von Theologie bzw. Christologie und Philosophie bzw. Anthropologie) als ›Ellipse‹ gedacht. Aus dieser elliptischen Struktur folgt dann auch Pröppers Dreiteilung der Aufgaben der Dogmatik als ›Hermeneutik des Glaubens‹ (3). Hierbei werden sich zwei genuin philosophische Aufgaben zeigen, deren Umsetzung als Religionsphilosophie die folgenden Unterkapitel detailliert zeigen sollen, nämlich die philosophisch-autonomen, freiheitstheoretischen Aufweise der Möglichkeit und der unbedingten Relevanz der Grundwahrheit des Glaubens. Gleichzeitig wird als erste, genuin theologische Aufgabe die Glaubenshermeneutik als Hermeneutik der analogia fidei ersichtlich werden. Da diese aber ebenfalls unter der elliptischen Kriteriologie steht, sollen schließlich viertens die ›theologieimmanent-dogmatischen‹ Konsequenzen des pröpperschen Doppelansatzes bei Glauben und Freiheit bei ihm und seinen Schüler betrachtet werden (4). (1) Zunächst ist Pröppers Ausgangsdiagnose einer grundlegenden Ambivalenz des aktuellen Stands der Freiheitsgeschichte in faktischer wie konzeptueller Hinsicht und einer vergangenen wie andauernden christlichen Verantwortung für diese Geschichte zu behandeln. Pröpper rechtfertigt diesen phänomenologischen Ausgang seiner theologischen Überlegungen in den beiden genuinen Monographien zunächst nicht eigens, regulative Leitidee dürfte dabei aber beide Male ein Gedanke sein, den er später (1993) in FPD formuliert: So sei Gott mit Pannenbergs »Nominaldefinition« von vorneherein als »alles begründende und bestimmende Wirklichkeit« zu betrachten und somit die Theologie auf die Gesamtwirklichkeit als (einen) Untersuchungsgegenstand verwiesen, 15 freilich mit der Präzisierung FPD 172 f. Pröpper spricht in diesem Zusammenhang von der »theologischen Unverzichtbarkeit« dieses methodischen Leitaxioms und verweist auf Pannenberg, Wissenschaftstheorie und Theologie, 304 f. Pannenberg selbst spricht dort (vgl. auch ebd., 385) allerdings nur von »der alles bestimmenden Wirklichkeit« (ebd., 304), so dass das kausale Attribut ›alles begründend‹ als pröppersche Ergänzung zu verstehen ist, was freilich kurios erscheint angesichts seiner ansonsten – mit Ausnahme einer freilich in Spannung zum restlichen Denken stehenden, an Schleiermacher angelehnten Argumentation – vehementen Ablehnung kausalitätstheoretischer Verfahren (vgl. unten 5.5).
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»sub specie Dei seipsum revelantis«, wie er andernorts unterstreicht. 16 Pröppers erstes Werk beginnt so, seinen Worten nach um Dialog anstelle bloß »monologischer Apologetik« bemüht, 17 in der Auseinandersetzung mit einer Vielzahl säkularer, philosophischer Christologien oder besser ›Jesulogien‹, wobei schon der etwas sperrige Untertitel von JDP von der Fülle an Gesprächspartnern zeugt. Dieser erste, sozusagen als Phänomenologie der zeitgenössischen intellektuellen Jesussicht zu verstehende Angang unter dem bezeichnenden Titel »Jesus und die gegenwärtigen Wege des Humanismus«, 18 basiert auf einem entsprechenden Seminar W. Kaspers 19 und wirft ein signifikantes Licht auf den kritischen Stand der allgemeinen Verhältnisbestimmung von Freiheit/Humanismus und Christentum: Die »reichen Züg[e] der Humanität«, 20 die in den verschiedenen dargestellten Philosophien zu finden seien, ließen sich als »Säkulariate« 21 des christlichen Glaubens verstehen; einerseits basierten sie explizit auf ihm oder aber verdankten sich zumindest teils der Auseinandersetzung mit ihm – dies zeige die weite Verbreitung der (wenn auch meist zur bloßen Chiffre degenerierten) Gestalt Jesu –, andererseits entwickelten sie jedoch die eigenen Konzeptionen menschlicher Freiheit und Würde gerade als Überwindung des Christlichen, v. a. der kirchlichen Christologie und des realen Verlaufs der Freiheitsgeschichte im kirchlichen Einflussbereich. Die Person Jesu gerate so geradezu zum Trennungsgrund zwischen Glauben und Humanismus, obwohl sie doch eigentlich, so das grundlegende Plädoyer dieses ersten Pröpperbuchs, Anlass zu Verständigung sein könnte. 22 Die ambivalente Position der beschriebenen Philosophien hinsichtlich der Person Jesu ist jedoch – so dass Ergebnis der vertiefenden Analyse in EF über die »Dialektik der Freiheitsgeschichte« 23 – 16 EFV 96; Pröpper/Striet, Art. Theodizee, 1397. In EFV 73 spricht Pröpper von der Wirklichkeitsbetrachtung »sub ratione Dei seipsum revelantis«. 17 JDP 10. 18 JDP 19–94. 19 Vgl. JDP 7. 20 JDP 114. 21 JDP 10. 22 Vgl. JDP 14 u. ö. Hierzu legt er bereits in diesem frühen Stadium durch den zweiten Teil eine Konzeption des christlichen Glaubens vor, die zur Vermittlung beitragen soll und gegenüber dem Gesamtentwurf des Ansatzes in EF als Vorstadium zu betrachten ist. 23 EF 139–156.
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lediglich Epiphänomen eines in Extension wie Intension viel weiter reichenden Problems, nämlich eines Grabens zwischen christlichem Glauben und neuzeitlichem Denken bzw. neuzeitlicher Realität überhaupt. Zu diesem Graben, dessen Ursachen auf beiden Seiten zu suchen seien, habe die neuzeitliche Philosophie zumindest beigetragen, da sie sich – wie auch die von ihr untrennbare faktische Freiheitsgeschichte – teils explizit im Widerspruch und als »Antithese« zum Glauben (der soteriologischen Ausrichtung von EF gemäß hier als »Erlösungsglaube«) entwickelt habe. 24 Die Extremposition einer antithetischen Gegenüberstellung, vertreten etwa durch H. Blumenbergs ›Säkularisierungsthese‹, 25 werde der Korrelation von Freiheitsgeschichte und Christentum aber ebenso wenig gerecht wie ihr Pendant auf der Gegenseite, die undifferenzierte Neuzeitverdammung seitens mancher christlicher Denker. Auf der anderen Seite gehe Pannenbergs sehr optimistische Verhältnisbestimmung aber wohl doch zu weit, die Neuzeit monokausal als unmittelbare Auswirkung des Christentums zu betrachten. 26 Die Frage nach der »[c]hristlichen Legitimität« 27 der Neuzeit sei nur differenziert zu beantworten, da es neben den bewahrenswerten und – positiv wie negativ – christlich beeinflussten Errungenschaften hinsichtlich Humanität und Freiheit eben auch Fehlentwicklungen der Neuzeit gebe. Die Degenerationstendenzen neuzeitlicher Freiheit beträfen sowohl ihre Praxis/Faktizität bzw. die »faktische Selbstbestimmung der Freiheit« 28 als auch ihre Theorie bzw. die »Krise der Emanzipation«. 29 Die praktischen Fehlentwicklungen bewirkten eine weitreichende Defizienz der tatsächlichen Verwirklichung der Freiheit und bestünden in der Verabsolutierung des Subjekts in Folge des Autonomiegedankens und der daraus folgenden Logik der egoistischen Selbstbehauptung, des reinen Nutzenkalküls und der Instrumentalisierung des Anderen: »Der theoretischen Isolierung des autonomen Subjekts entspricht der praktische Wille, seine Bedürfnisse aus sich selbst zu bestimmen. Jedes Andere wird seinem Selbstbezug einge-
Vgl. EF 140. Vgl. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit; vgl. hierzu EF 141 f. 26 Vgl. EF 142. Pröpper verweist hier auf Pannenbergs Gottesgedanke und menschliche Freiheit. 27 Ebd., 140–143. 28 Ebd., 143–146. 29 Ebd., 146–151. 24 25
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ordnet, unter die Hinsicht des Nutzens gerückt«. 30 Theoretische Reflexe dieses Prozesses seien etwa Spinozas Ethik, der hobbessche Leviathan oder manche Schriften des jungen Fichte. So zeuge der Tatsachenbefund der Freiheitsgeschichte durchaus von einem partiellen Scheitern der faktischen Selbstbestimmung der Freiheit in der Neuzeit, da sie sich streckenweise dem nietzscheanischen ›Willen zur Macht‹ und somit »dem Gesetz der Selbstbehauptung und Angst« bzw. der »Idee totaler Selbstbestimmung« ergeben habe, was den Theologen Pröpper gar von verobjektivierter Sünde sprechen lässt. 31 In theoretisch-konzeptueller Hinsicht offenbarten sich diese Fehlentwicklungen als Aporien, welche die Emanzipation in eine tiefe Krise führten: Der doch eigentlich zentral intendierten Freiheit widersprächen die Verselbständigung der hergestellten (v. a. mechanischen) Systeme (Pröpper spricht hier vom »Tod des Subjekts«), der Verlust des eigentlichen Emanzipationsziels (nämlich der Freiheit aller), die überforderungsbedingte Entmutigung (»metaphysischer Pessimismus«) und der Verlust eines einheitlichen Sinns (»Sinnkrise« bzw. gar »Sicheinrichten im Klima des Zynismus«). 32 An anderer Stelle fasst er die Probleme des status quo knapper mit drei Schlagworten zusammen, nämlich »Individualisierung«, »definitive[r] Pluralismus« und »Erlebnisgesellschaft«. 33 Problematisch sei allerdings ausschließlich die »gegenwärtige kritische Situation«, nicht aber der »prinzipielle Anspruch des Freiheitsdenkens«. 34 Die praktisch wie theoretisch vollzogene Verabsolutierung und Isolation menschlicher Freiheit sei der (gerade auch theologischen) Kritik bedürftig, nicht aber der Gedanke ihrer Unbedingtheit, den es zu wahren gelte und der sich – der folgende Abschnitt entwickelt diesen Gedanken – als elementar auch für den christlichen Glauben zeigen wird. So seien zwei unhintergehbare Errungenschaften des neuzeitlichen Denkens zu nennen, nämlich die genannte Einsicht in die Unbedingtheit menschlicher Freiheit – die Pröpper als einzige Möglichkeit einer nichtzirkulären Rede von Letztbegründetem betrachtet 35 – und die auf ihr aufbauende HumaEbd., 143. Vgl. ebd., 146. Zur pröpperschen Konzeption von Schuld und Sünde vgl. Abschnitt (4). 32 Vgl. EF 147–150. 33 Vgl. EFV 33–36. 34 EF 171. 35 Vgl. hierzu unten 5.2, v. a. Anm. 136. 30 31
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nität als Streben nach universaler Umsetzung des Freiheitsgedankens. Beide Vorzüge genügten aufgrund ihrer Übereinstimmung mit christlichen Grundüberzeugungen eigentlich schon als fundamentaltheologische Argumente für die theologische Auseinandersetzung mit dem neuzeitlichen Freiheitsdenken und für die Unterstützung ihres vielfältigen Einsatzes zur Befreiung des Menschen. 36 Hinzu kommt für Pröpper aber zum einen noch die historische Verantwortung des Christentums für die ambivalente Geschichte der Freiheit gerade in der Neuzeit: »Die theologische Rede […] kann glaubwürdig und zugänglich nur werden, wenn sie die gegenwärtige Situation unverstellt wahrnimmt, als Aufgabe erkennt und die Folgen der eigenen Tradition nicht verleugnet«. 37 Zum anderen sei die neuzeitliche Humanität aber auch ihrerseits bleibend auf das Christentum angewiesen, basiere sie doch auf der christlichen Hoffnung und verkomme bei Verleugnung dieser Voraussetzung zum blochschen ›Zechen auf fremde Kreide‹, 38 das die eigene Zuversicht nicht mehr zu rechtfertigen vermöge. Diese unleugbare faktische Korrelation von Freiheitsgeschichte und christlichem Glauben erfordere eine echte, nicht bloß »taktisch-apologetisch[e]« Solidarisierung mit dem an den Aporien der eigenen Freiheit leidenden modernen Menschen, die Förderung seines humanistischen Engagements und den christlichen »Beitrag zu[] [seiner; M. L.] Menschwerdung«. 39 So fasst Pröpper bereits in JDP mit Blick auf den unter dem generellen Absurditätsverdacht leidenden Humanismus Camus’ zusammen: »Christlicher Glaube hat wahrhaftig keinen Anlaß, solche Äußerungen mit besserwisserischer Genugtuung zu hören. Dennoch [?] weisen sie auf die Sache, für die er eintreten muß. Wenn es stimmt, daß er einmal einen entscheidenden Einfluß auf die Freiheitsgeschichte ausübte, kann ihm ihr weiteres Schicksal nicht gleichgültig sein«. 40 (2) Abgesehen von dieser faktisch-kontingenten, historischen Verquickung des Christentums mit Theorie und Praxis der ambivalenten Freiheitsgeschichte sieht Pröpper aber einen notwendigen, intrinsischen Nexus zwischen beiden, der letztlich darin bestehe, dass die Vgl. EF 179–182. EF 33 (1. These). Diese Solidaritätsforderung deckt sich wie erwähnt mit entsprechenden Überlegungen Kl. Müllers und Verweyens, vgl. Anm. 14. 38 Vgl. Bloch, Das Prinzip Hoffnung, III, 1361; vgl. EF 118 f.; EFV 37. 39 EF 33 (1. These). 40 JDP 12. 36 37
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Freiheit irreduzibles Implikat und Wesenskriterium des Glaubens sei. Er entwickelt diesen Gedanken bereits weitläufig im zweiten Teil von JDP, bringt ihn aber erst in EF zur letzten begrifflichen Verdichtung. Zunächst bestimmt er dazu – wissenschaftstheoretisch begründet durch den »wahrnehmenden Charakter« der Theologie gegenüber der Offenbarung 41 – die Basis der Theologie. Diese zieht sich als »Grundwahrheit«, 42 »Basisaussage« 43 oder »Grundbegriff« 44 der Theologie bzw. als »Grundereignis«, 45 »Kurzformel«, 46 »wesentliche ›Sache‹« 47 oder »Grunddatum« 48 des Glaubens durch nahezu alle pröpperschen Schriften und findet – wenngleich ebenfalls in JDP grundgelegt 49 – ihre ›klassische‹ Formulierung erstmals in EF. 50 Zitiert sei sie hier nach der vielleicht prägnantesten Anordnung: »[D]aß es die wesentliche Bedeutung der Geschichte Jesu ausmacht, der endgültige Erweis der unbedingt für die Menschen entschiedenen Liebe und als solcher Selbstoffenbarung Gottes zu sein«. 51 Diese Grundwahrheit nehme die notwendige Rolle des wissenschaftsbegründenden Prinzips der Theologie ein, 52 da es kein Denken ohne 41 Diese erkenntnistheoretische Notiz reicht er in EF freilich erst im Rahmen der Entfaltung seiner Soteriologie nach (vgl. EF 194), obgleich sie bereits in der theologischen Begründung der Entscheidung für das Freiheitsparadigma greift, vgl. ebd., 173–182. 42 So die häufigste Variante, vgl. etwa Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 165; EFV 6–13.45.58.201.250 u. ö.; FPD 177–183 u. ö. 43 EFV 279. 44 So schon EF 255, wobei hier freilich noch vom »soteriologischen Grundbegriff« die Rede ist. FPD spricht vom »Grundbegriff ihrer [sc. der Dogmatik; M. L.] Wahrheit« (181). 45 EFV 247. 46 Ebd., 72. 47 Ebd., 58. 48 Ebd., 45. 49 Vgl. die dortige erste These mit der Überschrift »Selbstoffenbarung Gottes in Leben und Geschick Jesu« (JDP 100–105). 50 EF 172: »Wenn die Soteriologie, wie das zweite Kapitel gezeigt hat, die Geschichte Jesu Christi in ihrer Bedeutung für uns thematisiert und diese darin erkennt, daß Gott sich selbst als Liebe geoffenbart hat, dann ist sie […] in Kategorien der Freiheit zu explizieren«. Vgl. hierzu auch schon die dritte und vierte These des Buches (EF 60 bzw. 69). 51 EFV 201(= EFV 6).73. Vgl. Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 165; EFV 6.45.58.73.247.279; FPD 177. Auch Pröppers Schüler zitieren diesen Hauptgedanken oft und an zentraler Stelle, vgl. etwa Bongardt, Der Widerstand der Freiheit, 338–341; Essen, Die Freiheit Jesu, 260–270; Striet, Offenbares Geheimnis, 213 u. ö. 52 Pröpper vermeidet hier den klassischen Begriff des ›Formalprinzips‹. Dies hängt wohl
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Denkform geben könne. 53 Als die orientierende Mitte sei sie der Bestimmungs-, nicht aber der Deduktionsgrund aller theologischen Aussagen. 54 Freilich stünde auch dieses Prinzip als Abstraktion vom kirchlichen Glaubensbewusstsein und »faktisches Apriori« der Dogmatik im hermeneutischen Zirkel und müsse sich daher je neu in seiner Funktion der Begründung und kriteriellen Orientierung theologischer Erkenntnisse bewähren. 55 Pröpper beschreibt die eingeforderte Bewährung des Grundbegriffs mal als zweifache, nämlich hinsichtlich seiner Eignung für ein integrales und konsistentes Verständnis der historisch-kritisch erreichbaren Erkenntnisse über das Leben Jesu und für die stringente Begründung der Endgültigkeit der göttlichen Selbstoffenbarung in Jesus Christus, 56 mal als vierfache (ergänzt um die Fragen nach seiner möglichen Funktion als hermeneutischer Schlüssel auch der Tradition und nach seiner kirchlichen Rezipierbarkeit). 57 Da diese Bewährung aber schon einen Gegenstand der dogmatischen Arbeit selbst darstellt, die hier nur kriteriell grundgelegt werden soll, ist der Grundbegriff Pröpper zufolge zunächst nur als regulative Idee und somit als bewährt vorauszusetzen. Wichtig und von hermeneutischer Bedeutung für das Folgende ist dabei vor allem die zentrale Rolle der Liebe in dem solcherart postulierten Bestimmungsgrund der Theologie, denn in ihr glaubt Pröpper das Verbindungsglied zwischen christlichem Glauben und Prinzip bzw. Geschichte der Freiheit erkennen zu können: Wenn der Glaube die Liebe zum Inhalt habe, so müsse diese auch seine Form bestimmen bzw. »der wesentliche Inhalt des Glaubens an die Form seines freien Gegebenseins gebunden« sein, sollten beide nicht in einen Wesenswiderspruch geraten. 58 Dies liege daran, so ein Axiom Pröppers, damit zusammen, dass er – so im Folgenden – den hypothetischen Charakter dieses Prinzips, sein Verbleiben im hermeneutischen Zirkel wie auch seine je neu zu leistende Bewährung betont und eine Deduktion aus ihm heraus verbietet, was in der Tat kaum mit dem thomanischen Konzept der scientia Dei et beatorum zu vereinbaren ist. 53 Vgl. hierzu FPD 181; zu den entsprechenden Überlegungen zur Denkform vgl. den erkenntnistheoretischen Teil, 5.3. 54 Vgl. v. a. FPD 177–183. 55 Vgl. FPD 177. 56 Vgl. EFV 7 f.; FPD 180 f. 57 Vgl. EFV 201. 58 EF 38. Die Forderung nach Übereinstimmung von Form und Inhalt der göttlichen Selbstmitteilung, des Glaubens bzw. des Heils durchzieht das gesamte Werk, vgl. etwa auch Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 165; EF 61.69.122.236–238.255; EFV 10; FPD 186 f. Im dritten Kapitel von JDP sprach Pröpper
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dass Liebe nur als und im Geschehen wahr sei: »Schon menschliche Liebe, so ehrlich und tief sie auch sein mag, kann doch – da sie wesentlich frei ist – für den anderen, den sie meint, Wahrheit erst werden, indem sie in Freiheit sich äußert und wahrnehmbar macht: sich realisiert«. 59 Weiterhin habe Liebe zur unerlässlichen Voraussetzung die Freiheit der Beteiligten. So impliziere der Glaube – weil er inhaltlich Liebe sei – sowohl das freie Ergehen der Offenbarung als Selbstmitteilung auf Seiten Gottes als auch die Möglichkeit seiner freien Annahme auf Seiten des Menschen. Dieser geradezu syllogistische Zusammenhang von Glaube und Freiheit zeige sich darüber hinaus auch in Schrift und Tradition, nämlich sowohl in den biblischen Freiheitskonzeptionen, als auch in der katholisch-synergistischen Konzeption des Gnaden- bzw. Rechtfertigungsgeschehens. Pröppers Überlegungen zur Freiheitskonzeption bzw. gar Freiheitstheologie in Schrift 60 und Tradition haben ihren Niederschlag v. a. in seinem NHThG-Artikel Freiheit gefunden, 61 durchziehen aber wie so oft das ganze Werk. Im Alten Testament sei demnach bereits das gott-menschliche Verhältnis als ein solches der Freiheit beschrieben worden, zunächst hinsichtlich der Schöpfung als völlig freiem und analogielosem Handeln Gottes 62 zur Installation menschlicher Freiheit gemäß dem scotischen Schöpfungsaxiom des »vult habere alios [liberos; M. L.] condiligen-
noch von der »Entsprechung von Inhalt und Gestalt der Offenbarung« (JDP 110–125; Hvh. M. L.), meinte aber wohl bereits dasselbe. Bei der von Pröpper eingeforderten notwendigen Korrelation von Inhalt und Form setzen etwa die ästhetischen Überlegungen E. Timmermanns ein (vgl. Ästhetische Implikationen in Thomas Pröppers Offenbarungstheologie). 59 EFV 9. 60 Auch H. Krings hat bereits versucht, seine Freiheitsphilosophie biblisch zu fundieren, vgl. System und Freiheit, 179. Hierbei erschien ihm das Alte Testament als Geschichte des Freiheitskommerziums von erwählendem Jahwe und frei antwortendem Volk Israel, das Neue Testament aber als Offenbarung des göttlichen Liebesentschlusses für die Menschen und des damit verbundenen doppelten Liebesgebots, das letztlich identisch sei mit dem Gebot zum Selbstentschluss der transzendentalen Freiheit. Ob diese äußerst kurzen und holzschnittartigen Zusammenfassungen der Schrift gerecht werden, oder diese nicht vielmehr zur Bestätigung der eigenen Theorie ›benutzt‹ wird, erscheint dabei aber als fraglich. 61 Vgl. EFV 103–128, hier v. a. 107–114. 62 Auf die ›Analogielosigkeit‹ des Schöpfungshandelns pocht Pröpper etwa in seinem LThK-Artikel zur Allmacht Gottes, vgl. EFV 288–293, hier 288. Vgl. zu den Konsequenzen den Abschnitt 4 dieses Unterkapitels. A
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tes«, 63 dann aber auch im Laufe der alttestamentlichen Heilsgeschichte als bleibende, trotz aller Sündenverstrickung im Kern erhaltene Verantwortung des menschlichen Subjekts als Partner Gottes. 64 Hierin zeige sich bereits die Unterscheidung von formaler (trotz Sünde bewahrter) und materialer (infralapsarisch-eingeschränkter) Freiheit, die sich dann »[e]rst recht« – Pröpper verweist nur kursorisch auf Niederwimmers Standardwerk – im Neuen Testament erkennen lasse. 65 Beiden Teilen der Schrift eigne ebenfalls der Gedanke der Freiheit als eines Heilsgutes und der daraus resultierenden Gleichsetzung von Heilsgeschichte und Freiheits- resp. Befreiungsgeschichte. 66 Als besonders paradigmatisch dürften hierbei die Rolle der Freiheit in Jesu Botschaft und die paulinische »Freiheitstheologie« gelten. 67 In Letzterer sei – bei aller positiv hervorzuhebenden Betonung der universalen Befreiungstendenz – in Gestalt der Gleichsetzung von wirklicher Freiheit und Gnade freilich schon der Same für die theologischen Determinationslehren etwa eines Augustinus oder Luthers zu sehen. Auch der große Gnadenstreit wurzele in dieser Problematik, jedoch zeigten die durchaus berechtigen Anliegen beider Positionen (der Gnadenprimat des Thomismus-Bañezianismus wie auch die cooperatio des Molinismus) die zentrale Bedeutung des Freiheitsdenkens für Glaubens- und Rechtfertigungsgeschehen und somit das Unzureichen einer sachontologischen Beschreibung (vgl. Abschnitt 4). Der – mit Pesch formulierte 68 – Trienter Gedanke des ›Freiheitsrests‹ und der gewahrten Subjekteinheit von Sünder und Gerechtfertigtem und somit die katholische cooperatio-Lehre (und die diesbezügliche lehramtliche Tradition) stellten nochmals eindrucksvoll die Unausweichlichkeit der Kategorie für die theologische Argumentation dar. 69 (3) Pröpper schließt dann konsequent – im Rahmen eines äußerst nachdrücklichen Plädoyers –, die Freiheit müsse aufgrund ihrer esHier zitiert nach EF 97; vgl. Ord. lib. III d. 32 q. 1 n. 6 (XV, 433): »vult habere alios diligentes«. 64 Vgl. EFV 107. 65 Vgl. ebd. i. V. m. Niederwimmer, Der Begriff der Freiheit im Neuen Testament, 89. 66 Vgl. etwa EF 12. 67 Vgl. EFV 108 f. 68 Vgl. etwa EF 175. Pröpper bezieht sich dabei auf Peschs Frei sein aus Gnade, hier v. a. 150. 69 Vgl. EFV 109. 63
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sentiellen Implikation im Glauben als philosophisches Co-Prinzip der Dogmatik bzw. – vermittelt über die ›theologische Hermeneutik‹ – der Theologie als ganzer 70 betrachtet werden. Das Freiheitsprinzip erscheint hierbei sogar noch zentraler als der von G. Greshake betonte Communio-Begriff, 71 weil es diesen überhaupt erst fundiere. 72 So ergibt sich, dass Pröpper das Freiheitsdenken als die sowohl der Glaubenswahrheit als auch dem neuzeitlichen Reflexionsstand angemessene »Denkform« 73 betrachtet. Er sieht die christliche Theologie somit in Anlehnung an das Desiderat Schleiermachers in einer notwendigen Ellipse 74 zwischen dem Glaubenszeugnis (›Grundwahrheit des Glaubens‹) und der menschlichen Freiheit, zwischen genuiner Offenbarungstheologie und philosophischer Anthropologie oder auch »theologische[r] Urteilskraft« und »philosophische[m] Wahrheitsgewissen[]«. 75 Schleiermacher selbst habe diese Ellipse letztlich zugunsten der Anthropologie aufgelöst, 76 der ihm dies vorwerfende Barth das umgekehrte Extrem gewählt. 77 Die Theologie komme aber – eben aufgrund des Glaubensinhalts als erstem Zentrum der Ellipse selbst – nicht ohne die menschliche Freiheit und ihre theoretische Integration aus. Auf der anderen Seite sei aber auch die frei ergangene Offenbarung als Glaubensinhalt in ihrer historischen Unableitbarkeit vor einer Auflösung in das Denken bzw. vor notwendiger Deduktion zu schützen und bleibe so ebenfalls irreduzibles Formprinzip der Theologie: »Wie aber, wenn nun die Wahrheit des Glaubens wesentlich eine geschichtlich gegebene ist und von diesem Ursprung her maßgeblich bestimmt? Auch ich würde [wie Verweyen; M. L.] die Praxis des Glaubens […] als die fundamentale Dimension im Prozeß der Überlieferung ansetzen, zugleich aber darauf insistieren, daß sie in Bekenntnis und Erinnerung ihren ermöglichenden Grund doch von sich selbst unterscheidet, und deshalb jedes inhaltlich bestimmte Zeugnis der Tradition am historisch erreichbaren Wissen über die 70 Zu Pröppers weitreichenden Ansprüchen hinsichtlich des eigenen Fachs vgl. Anm. 82. 71 Vgl. etwa Greshake, Communio – Schlüsselbegriff der Dogmatik. 72 Vgl. hierzu FPD 185; vgl. auch Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, 102. 73 Der pröppersche Denkformbegriff wird zentral im Rahmen seiner erkenntnistheoretischen Position zu behandeln sein, vgl. 5.3. 74 Vgl. hierzu die Ausführungen in EFV 3; FPD 183. 75 FPD 175. 76 Vgl. ausführlich EFV 146–151. 77 Vgl. EFV 3.
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Geschichte Jesu zumindest zu bewähren ist und gegebenenfalls eben auch korrigiert werden muß«. 78 Pröpper besteht also auf dem historischen Apriori des Ergangenseins der Offenbarung. So zeigt sich seine Dogmatik als doppelpolig, wobei die Pole sich mit ihren beiden Prinzipien bzw. Bestimmungsgründen identifizieren lassen, dem Grundbegriff der Glaubenswahrheit und der Freiheit. Die solchermaßen durch zwei Prinzipien bestimmte Dogmatik versteht Pröpper nun als »theologische Hermeneutik oder Hermeneutik des Glaubens« im doppelten Wortsinne als Lehre vom »Verstehen und Auslegen« wie auch als deren konkreten Vollzug. 79 Sie ist also nicht allein um die explizierende Vermittlung des Glaubensinhalts bemüht, sondern vorher schon um die stetige eigene Rechtfertigung und wissenschaftliche Grundlagenreflexion, die Pröpper freilich durch die Ausarbeitung der beiden Prinzipien und durch ihre kontinuierliche Bewährung zu leisten beansprucht. Die explizierende Vermittlung der Glaubenswahrheit betrachtet er dabei als dreifache Rechenschaft, deren Schema das Aufgabenspektrum der Dogmatik abdeckt: Die Dogmatik müsse die Glaubenswahrheit zunächst in ihrem geschichtlichen Ursprung als Offenbarung (Jesus Christus) und in ihrem inneren Zusammenhang erhellen (sozusagen der Aufweis der analogia fidei). Sie müsse sodann die theoretische Möglichkeit des Geglaubten und seine Vereinbarkeit mit dem übrigen menschlichen Wissen erweisen (›Möglichkeitsaufweis‹) und anschließend noch konstruktiv seine wirklichkeitserhellende und -beeinflussende Kapazität, kurzum seine unbedingte Relevanz für den Menschen aufzeigen (›Relevanzaufweis‹). 80 Die letzten beiden Aufgaben könnten als die philosophischen Aufgaben der Dogmatik betrachtet werden und müssten als solche – wenigstens sachlich gesehen – als erste behandelt werden, bevor dann die »quaestio facti« und die innere Explikation des Glaubens als genuin theologische folgen könne. 81 EFV 194. Vgl. EFV VII. 80 Zur Trias der Aufgaben der Dogmatik vgl. EFV 72–92 (Zur theoretischen Verantwortung der Rede von Gott) sowie FPD 173. Hier sind die drei Aufgaben prägnant gegenübergestellt: »Rechenschaft verlangt die Wahrheit des Glaubens also 1. hinsichtlich ihrer Begründung in dem von ihr selber als Offenbarung bezeugten geschichtlichen Ursprung, 2. hinsichtlich ihrer theoretischen Möglichkeit und ihrer Vereinbarkeit mit dem nichttheologischen Wissen sowie 3. hinsichtlich ihrer universalen, alle Menschen angehenden und sie beanspruchenden Wirklichkeit«. 81 Vgl. EFV 74 f. 78 79
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Etwas schwierig erscheint in diesem Zusammenhang freilich die Abgrenzung einer derart weit gefassten Dogmatik von den anderen theologischen Disziplinen und namentlich von der Fundamentaltheologie als dem genuin philosophischen Akt der Theologie. Pröpper bestreitet aber, »einer übermütigen Lust zur dogmatischen Grenzüberschreitung« zu erliegen und begründet seine weitreichenden Ansprüche damit, dass alle beschriebenen Aufgaben unmittelbar zur Grundlagenreflexion der Dogmatik auf ihre philosophischen Implikationen gehörten. 82 Was nun die Durchführung der beiden philosophischen Aufgaben der Dogmatik anbetrifft, also den Möglichkeits- und den Relevanzaufweis der Grundwahrheit des Glaubens (theologisches Prinzip) gemäß der Freiheit (philosophisches Prinzip), so stellen sie in dieser Bipolarität den Inhalt der eigentlichen pröpperschen Religionsphilosophie dar und werden Gegenstand der folgenden Unterkapitel sein. Vorher ist hier aber noch auf die als erste Aufgabe betrachtete, immanenttheologische Hermeneutik des Glaubens einzugehen, also die pröppersche Dogmatik im engeren Sinne, die wiederum von beiden Formprinzipien bestimmt wird und somit aufgrund des zweiten Prinzips Freiheit eben auch auf Pröppers philosophischen Überlegungen fußt. (4) Die eigentliche Dogmatik Pröppers, d. h. die genuin theologische Hermeneutik des Glaubens hinsichtlich seines letztgültigen Ursprungs in der Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus wie seiner inneren Stringenz (analogia fidei) kann hier nur in groben Zügen umrissen werden. 83 Leitgedanke ist dabei wiederum die zweifache Bestimmung der dogmatischen Arbeit durch die Formprinzipien ›Grundbegriff des Glaubens‹ und ›Freiheit‹, wobei das Spezifikum und ›Schulbildende‹ dieser Dogmatik sicherlich in der Fokussierung auf die Freiheit zu sehen ist. Hier sollen nur kurz die wichtigsten Beiträge zu verschiedenen dogmatischen Traktaten am systemati-
82 So schreibt er in den Präliminarien eines (n. b.!) vor Sozialethikern gehaltenen Vortrags: vgl. EFV 57–71 (Autonomie und Solidarität), hier 58. Das etwas schillernde Verhältnis von Dogmatik und Fundamentaltheologie im pröpperschen Denken lässt sich auch anhand von EF verdeutlichen, das er zunächst als fundamentaltheologisches Werk verfasste, um es dann in der zweiten Auflage zu einem dogmatischen umzugestalten, vgl. hierzu v. a. die veränderte Einleitung zum zentralen siebten Kapitel (EF 171 f. gegenüber 1 EF 88). 83 Vgl. ausführlicher etwa Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, 117–132.
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schen Leitfaden 84 der einzelnen Bestandteile des pröpperschen Grundbegriffs des Glaubens angedeutet und um den Verweis auf die Ausfaltungen ›in der Schule‹ ergänzt werden. Pröpper hat die Grundwahrheit des Christentums ja darin bestimmt, »daß es die wesentliche Bedeutung der Geschichte Jesu ausmacht, der endgültige Erweis der unbedingt für die Menschen entschiedenen Liebe und als solcher Selbstoffenbarung Gottes zu sein«. 85 Im Folgenden wird daher auf die Aspekte Liebe, Selbstoffenbarung, Geschichte Jesu, wesentliche Bedeutung und Endgültigkeit einzugehen sein. Die Rede von der »unbedingt für die Menschen entschiedenen Liebe […] Gottes« als erstes Element des Glaubensgrundbegriffs greift die Kernaussage der pröpperschen Soteriologie auf, die das Kreuz nicht mehr als Ziel oder Ursache der göttlichen Liebe betrachten möchte, sondern die göttliche Liebe als Entelechie und in völliger Gratuität denkt: Gottes Liebe habe »keinen Grund als sich selbst und kein Ziel als sich selbst und den anderen, den Menschen, dessen Leben sie will und dessen Gemeinschaft sie sucht. Sie ist wirklich ganz umsonst. Mit dem Letzten habe ich das tragende Motiv meiner Auffassung von Erlösung genannt«. 86 Die Vorstellung, dass Gottes Liebe den freien Menschen als Ziel anvisiert und sich ihm frei gewährt, hat für Pröpper weitreichende Konsequenzen. Neben der evidenten Bedeutung für die Gotteslehre ist so zunächst die Schöpfungslehre zu nennen, die nicht mehr mit (sach-) ontologischen Kategorien der Partizipation und Analogie zu explizieren sei, 87 da auf diese Weise kein freies Bestimmungsverhältnis zwischen Gott und Mensch und somit überhaupt keine wirkliche menschliche Freiheit mehr zu denken wäre. Herkunft dieser pröpperschen Analogiekritik dürfte erneut die Philosophie Hermann Krings’ sein. 88 Das Denken eines partizipativen oder analogen Verhältnisses von Schöpfer und Geschöpf laufe Das mag etwas gezwungen erscheinen, kann jedoch auch zur Verdeutlichung sowohl der Universalisierungstendenz wie auch der beachtlichen Stringenz und des inneren Zusammenhangs des Freiheitsansatzes dienen. Die Idee einer Gesamtdarstellung anhand der systematischen Entfaltung der Elemente des Grundbegriffs verdankt sich Pröpper selbst, der sie freilich nur rudimentär durchführt, vgl. etwa EFV 7–10. 85 EFV 201; vgl. Anm. 44. 86 EF 100. 87 Vgl. etwa EFV 90 f. 88 Vgl. etwa Krings, System und Freiheit, 164–166. Hier ist allerdings auf einen frühen (1964!) Aufsatz Krings’ in der Rahner-Festschrift Gott in Welt hinzuweisen, der sich noch sehr positiv mit der Analogie beschäftigt hat und gar eine grundlegende transzendentale Analogizität allen menschlichen Sprechens im Sinne einer analogia proportio84
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allein auf eine naturnotwendige Kausalität hinaus und verunmögliche das Denken der Freiheit beider. 89 Die Schöpfung als creatio ex nihilo lasse sich widerspruchsfrei nur freiheitstheoretisch denken, wobei der gerne angeführte scotische Leitgedanke des »vult habere alios condiligentes« 90 ergänzt werden kann um Pröppers eigenes Axiom für ursprüngliche (creatio) wie andauernde (creatio continua) Schöpfung: »Daß Gott sich selbst in Freiheit dazu bestimmt hat, sich von der Freiheit des Menschen bestimmen zu lassen«. 91 Das Verhältnis Gott-Mensch sei so in Ursprung wie weiterem Verlauf nicht als einbahniges »Vermittlungsverhältnis« zu begreifen, sondern als reziprokes »Bestimmungsverhältnis«. 92 Magnus Striet wird diese Überlegungen schließlich in aller Breite in seiner Habilitationsschrift zur negativen Theologie explizieren. 93 Ihre Konsequenzen für die nalitatis vertritt, vgl. Krings, Wie ist Analogie möglich?; vgl. hierzu auch unten, v. a. 8.2 u. den anschließenden Exkurs. 89 Vgl. zu diesen schöpfungstheologischen Überlegungen etwa Pröpper, Allmacht Gottes (hier v. a. EFV 291–293); ders., Gott hat auf uns gehofft … (hier v. a. EFV 316–321); ders., Zur vielfältigen Rede von der Gegenwart Gottes und Jesu Christi (hier v. a. EFV 247 f.). 90 S. Anm. 53. 91 EF 178. Fast identisch spricht er in EFV von der Denkbarkeit einer Geschichte, »in der Gott sich selbst dazu bestimmt, sich von menschlicher Freiheit bestimmen zu lassen« (ebd., 292). Vgl. hierzu auch Kreutzer, Der monistische Grundzug der Symboltheorie, 101 f. 92 Pröpper verwendet die Dialektik von (teleologischer) ›Bestimmung‹ (einer bereits in sich subsistenten Größe auf eine andere hin) und (genetischer) ›Vermittlung‹ (einer bloß potentiellen Größe zur eigenen Subsistenz) meist im Zusammenhang von Vernunft und Offenbarung (vgl. etwa EFV 96.192 f.), sie kann aber wohl auf das gesamte GottMensch-Verhältnis ausgedehnt werden. 93 Striets Habilitationsschrift Offenbares Geheimnis entfaltet Pröppers Vorwürfe gegenüber analogietheoretischen Verhältnisbeschreibungen von Gott und Mensch in Schöpfung und Geschichte im Hinblick auf die negative Theologie Pseudo-Dionysius’ und ihr beobachtetes Fortbestehen im Denken des Thomas von Aquin. Hierbei glaubt er, die ontologieverhaftete Argumentation der tres viae letztlich mit der via negationis, d. h. mit radikal negativer Theologie gleichsetzen zu müssen. Diese Gleichsetzung sei dadurch bedingt, dass die Partizipation als fundamentales Schlussprinzip der Analogie aufgrund ihrer Verspannung von Gott und Welt theologisch unzureichend sei, weil jeder Rückschluss von der Wirkung auf die Ursache eine Naturnotwendigkeit der Verursachung voraussetze (vgl. ebd., 152 f.). Darüber hinaus sei die Analogie schon bei Pseudo-Dionysius – bedingt durch die völlige, philosophisch, nicht aber offenbarungstheoretisch fundierte Transzendierung Gottes – als »Teilnahme an einem ›Unteilnehmbaren‹« (ebd., 66) logisch widersprüchlich. Die Gottesprädikate verkämen so in Ermangelung einer möglichen Analogizität tendenziell zu äquivoken Aussagen (vgl. etwa ebd., 105), so dass die Vernunft am Ende ihres Bemühens zu der theologisch absolut inakzepA
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theologische Anthropologie leuchten unmittelbar ein: Der Mensch sei in seiner Freiheit als unbedingt und als autonomer Partner Gottes zu betrachten, seine Freiheit könne nicht identisch sein mit seiner Gottesbeziehung, sodass die Ablehnung Gottes – wie Pröpper Rahners und Pannenbergs Ansätzen wohl zu Recht unterstellt – zu einem ontologischen Selbstwiderspruch des Menschen verkäme. Weiterhin liegt hier der pröppersche Standpunkt in der Erbsündenlehre begründet. 94 Er erklärt zunächst mit P. Hünermann 95 (bzw. dessen Schüler H. Hoping), 96 dass die Erbsünde wie alle Sünde nur als freies Geschehen und Freiheitsbestimmung verstanden werden könne, nicht aber ontologisch als Defizit der menschlichen Natur. Er lehnt dann aber beider Lösung in Gestalt einer »transzendental-geschichtliche[n]« 97 Freiheitstat ab, da sie letzten Endes als unausweichliche Begleiterscheinung der Selbstkonstitution doch nur eine verschleierte Naturbestimmung des Menschen bleibe und so nicht mehr zwischen Ursünde, Erbsünde und Erbsünde-Affirmation differenziert werden könne. Pröpper hütet sich – der zentrale Text hierzu
tablen thomanischen Folgerung gelange: »[I]llud est ultimum cognitionis humanae de Deo quod sciat se Deum nescire« (Thomas von Aquin, De potentia, q. 7, a. 5, ad 14; vgl. Striet, Offenbares Geheimnis 60). Striet plädiert daher mit Scotus und dem ihn deutenden L. Honnefelder dafür, von der (transzendental-) logischen Univozität der Allgemeinbegriffe auszugehen, nicht zur Deduktion, sondern zur aposteriorischen Einholung des kontingent von Gott über sich selbst Geoffenbarten. Die damit aufgeworfenen Anfragen an die Analogielehre werden später zu behandeln sein und die Ausführungen des dritten Teils dieser Arbeit als kritisches Gegenüber kontinuierlich begleiten. Hier ist aber bereits der unverhohlene Monismusvorwurf an Thomas zurückzuweisen, der auf der mit Pröpper geteilten Überzeugung basiert, Partizipation könne nur als notwendige Verspannung göttlicher und menschlicher Wirklichkeit gedacht werden, welche dann zur Aufhebung menschlicher Freiheit führe. Striet behauptet an dieser Stelle zu unrecht, dass laut Thomas »Gott allen Seienden subsistierendes Sein« sei (ebd., 104): Erstens kennt die thomanische Ontologie keine unmittelbare Seinsverleihung durch Gott, sondern betrachtet diese als vermittelt durch den geschaffenen actus essendi, und zweitens spricht Thomas dem Einzelseienden sehr wohl eine eigene Subsistenz zu (dies zeigt etwa schon sein Personbegriff!), vgl. hierzu unten, 7.2 u. 8.1.2 (v. a. Anm. 44). Striets Ausführungen greifen den letzten Abschnitt seiner Dissertation auf (vgl. Das Ich im Sturz der Realität, 286–306). 94 Eine sehr profunde Darstellung und Fortentwicklung von Pröppers (u. a.) Erbsündenkonzeption und Hamartiologie bietet etwa Knop, Sünde – Freiheit – Endlichkeit, hier v. a. 306–360. 95 Vgl. v. a. Hünermann, »Erlöse uns von dem Bösen«; ders.; Erlöste Freiheit. 96 Vgl. v. a. Hopings freilich erst nach EF erschienenes Buch Freiheit im Widerspruch. 97 EF 284, mit Verweis auf Hünermann, Erlöste Freiheit, 11.
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ist vermutlich der letzte Exkurs von EF 98 – das Faktum der Universalität des Bösen erklären zu wollen, möchte die Erbsünde jedoch eher mit seinen Überlegungen zu der – als Sündenfolge zu betrachtenden – paradoxen Situation der Konstitution menschlicher Freiheit als mit ihrem Konstitutionsakt selbst identifizieren. 99 Eindeutiger ist da aber seine allgemeine Hamartiologie: Die menschliche Schuld als freigewähltes Zurückbleiben hinter dem eigenen Wesensgesetz könne aufgrund des Freiheitsprinzips nur in dem Maße als Sünde betrachtet werden, in dem der Mensch um die göttliche Offenbarung und die mit ihr einhergehenden Verheißungen wisse. Er greift hier v. Balthasars Gedanken der »Analogie der Sünde« auf. 100 Die Offenbarung setze demnach die Sünde nicht voraus, sondern offenbare sie überhaupt erst als solche, weil »Gottes Heil also mehr als Erlösung von der Sünde bedeutet und überdies die Offenbarung ein Bewußtsein von ihr nicht voraussetzt, sondern die Sünde als solche erst aufdeckt«. 101 Wie das Zitat bereits insinuiert, sei es nun möglich, einen positiven Sinn göttlicher Selbstoffenbarung als Selbstmitteilung jenseits des bloß negativen der Sündebewältigung zu erkennen und mit der östlichen soteriologischen Tradition eine natürliche (›translapsarische‹) Erlösungsbedürftigkeit als unbedingte Angewiesenheit auf die ›Vergöttlichung‹ des Kosmos zu denken. 102 Darüber hinaus werde erst hier eine nicht-heteronome und nicht-zirkuläre Rede von Schuld und Sünde möglich, die angesichts der (teilweise durchaus berechtigten) neuzeitlichen Krise des Sündenbewusstseins absolut unumgänglich sei. 103 Auch würde hinsichtlich Schuld und Sünde durch den Gedanken einer autonomen Verpflichtung auf das eigene Wesen und dessen Verwirklichung ein Perspektivwechsel möglich, der nicht mehr primär von der Übertretung eines Verbots, sondern von der Nichterfüllung eines Gebots her argumentiere. 104 Natürlich ist die EF 283–285. Vgl. zum Ganzen Menke, Sünde und Gnade. Zum pröpperschen Modell der Konstitution wirklicher Freiheit vgl. 6.4. 100 Vgl. den zehnten Exkurs von EF (262–264) mit Verweis auf TD III, 153; vgl. ebd., 154–168; EFV 167. 101 EF 64 f. 102 Vgl. hierzu ebd., 71–74.90 f. 103 Vgl. etwa EFV 20; FPD 188. 104 Ohne diese Perspektivumkehrung könne das Christentum die Welt getrost ihrem ›Schicksal‹ überlassen, dürfe einem Karl Marx aber auch nicht die Berechtigung abgesprochen werden, eine Welt ohne das ›illusorische‹ Glück der Religion einfordern: vgl. EF 21. Zum ganzen Komplex der pröpperschen Hamartiologie vgl. v. a. auch EF 199–207. 98 99
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soteriologische Betrachtung der göttlichen Liebe und der durch sie gewahrten menschlichen Freiheit für Pröpper auch schon der Schlüssel jeder möglichen Gnadenlehre. Entgegen der sachontologisch nicht mehr lösbaren Aporie des Gnadenstreits ermögliche sie, die cooperatio von Gott und Mensch freiheitstheoretisch als göttliche (bzw. in Christus gottmenschliche) Befreiung der menschlichen Freiheit, als stellvertretende Ermächtigung zur Antwort, also – mit Menkes, von Pröpper freilich nicht explizit angeführtem Terminus – als ›inklusive Stellvertretung‹ zu denken. 105 Bezüglich der Offenbarungstheologie ist schließlich festzuhalten – gefolgert aus dem Gedanken der Offenbarung Gottes als Liebe – dass Offenbarung insofern nur frei geschenkt und frei annehmbar zu denken als ein Geschehen unter Menschen ergehen muss, wie Liebe ja auch nur als geschehende wirklich wird. 106 Dies hat freilich zusammen mit dem Gedanken inklusiver Stellvertretung nicht nur christologische (s. u.), sondern auch unmittelbare ekklesiologische Auswirkungen: Christsein sei nur möglich aufgrund der bleibenden Vermittlung der göttlichen Selbstoffenbarung als menschliches, freilich durch den Heiligen Geist vermitteltes Geschehen (d. h. durch andere Christen) und könne sich aufgrund der Inklusion in die Sendung dann selbst nur kirchlich vollziehen. Der Gedanke der »Selbstoffenbarung Gottes« bietet Anknüpfungspunkte für die Gotteslehre, für die explizite Trinitätslehre und die Pneumatologie, zuerst aber birgt er eine christologische Aussage: Analog zum Geschehen wirklicher Liebe, in dem der Liebende nicht irgendetwas, sondern sich selbst mitteile, komme auch eine Selbstoffenbarung nur dort zustande, wo der bzw. das Offenbarte wirklich im Offenbarer zugegen ist. 107 Hieraus ergebe sich die Konsequenz, dass in Jesus als Selbstoffenbarung Gottes dieser selbst anwesend sein müsse, Jesus also wesentlich zu Gott gehöre und daher – gemäß der chalkedonischen Formel – auch eine göttliche Natur aufweise. Im Umkehrschluss gelte aber auch, dass Gott sich allein durch die Menschwerdung als er selbst offenbaren könne, so dass die Inkarnation zumindest aposteriorisch einen notwendigen Status erhält: »Zugleich aber läßt sich – wenigstens post factum – begreifen, daß ihre [der göttlichen Liebe; M. L.] Unbedingtheit auch anders als durch die Vermittlung eines Menschen nicht offenbar werden konn105 106 107
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Vgl. hierzu etwa ebd., 67. Vgl. zu diesem zentralen Gedanken Pröppers etwa EFV 250. Vgl. hierzu EFV 45; FPD 180 f.
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te«. 108 Auch bietet dieser Gedanke der Selbstoffenbarung bereits einen möglichen »Einstieg in die Trinitätslehre«, da der Mensch Jesus ja nicht als schlichtweg identisch mit Gott gedacht, sondern »im striktesten Sinn Realsymbol Gottes« sei. 109 Der Heilige Geist werde verstehbar als bleibende Vermittlung der Selbstoffenbarung, deren »vollständige[r] Begriff« erst ergänzt um die »Selbstpräsenz« durch den Geist, also die perennierte Selbstgegenwart Gottes und Jesu Christi auch nach dem historischen Christusgeschehen durch die Geistsendung erreicht sei. 110 »Erst als Zusammenkunft der Selbstbestimmung Gottes für uns in der Geschichte Jesu und der Selbstgegenwart Gottes im Geist wäre also Gottes Selbstoffenbarung zureichend verstanden«. 111 Der Ausdruck »Geschichte Jesu« verweist auf zwei weitere wichtige Aspekte der Christologie Pröppers, nämlich seine Betonung der menschlichen Freiheit Jesu wie sein Plädoyer für eine einheitliche Gesamtsicht des Christusgeschehens. Erstens komme die Selbstoffenbarung Gottes in der Lebenswirklichkeit des freien Menschen nur an aufgrund der autonomen Einstimmung der Freiheit des Menschen Jesus von Nazareth: »[A]ls Liebe Gottes wird dieses Geschehen offenbar, indem Jesus, der diese Liebe auf menschliche Weise verwirklicht, sein Handeln mit Gottes eigenem Tun identifiziert, und Gott seinerseits dadurch, daß er den getöteten Zeugen seiner Liebe vom Tode erweckt, sich mit Jesus und also auch dem Gott identifiziert, den Jesus verkündet und für sein Tun in Anspruch genommen hatte«. 112 Dass diese Identifikation auf Seiten Jesu eine menschliche (und somit auch innerhalb der Bedingungen des Menschseins) bleibt, wird der folgende Abschnitt über das Stichwort »wesentliche Bedeutung« zeigen; die hierdurch bedingte bleibende Hinterfragbarkeit und Ambiguität dieser Identifikation hat allerdings weitreichende Konsequenzen für das Gesamtgefüge christlicher Glaubensrechenschaft. Georg Essen faltet den Zentralgedanken der menschlichen Freiheit Jesu und der Universalität der Freiheitskategorie auch in der EFV 253. Ebd., 253. Auf die Möglichkeit einer philosophischen Annäherung an die Trinitätslehre vom kringsschen Leitgedanken der Freiheit als Kommunikationsbegriff verweist etwa auch Oeing-Hanhoff, vgl. Freiheit als »Wiedergeburt im göttlichen Geist«, 276– 280. 110 Vgl. EFV 256 f. 111 EFV 7. 112 EFV 250 f. 108 109
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Thomas Pröppers ›Transzendentale Freiheitsanalytik‹
Christologie in Richtung der Inkarnationstheologie aus und versucht hier – unter Vermeidung sowohl ›ontologischer‹ Konzepte als auch der monophysitischen Anhypostasierung menschlicher Freiheit – eine Neubestimmung der hypostatischen Union als formelle Identität der Freiheit des ewigen Logos und des Menschen Jesus. 113 Die Selbstoffenbarung Gottes in Jesus Christus kann zweitens – nicht zuletzt aufgrund der äußeren Ambivalenz des irdischen Handelns und des scheinbaren Scheiterns Jesu – nur im Gesamtzusammenhang des Christusgeschehens gesehen werden, wie die zweite Hälfte des obigen Zitats schon impliziert. Mit Pannenberg fasst Pröpper dieses einheitliche Geschehen von der Empfängnis Jesu bis zu seiner Auferweckung, Himmelfahrt und Geistsendung als »Leben und Geschick Jesu« zusammen. 114 Besondere Emphase legt er dabei freilich auf die Untrennbarkeit von Leben (Lehre) und Sterben auf der einen und Auferweckung auf der anderen Seite. Es gelte zwar, dass Gottes Selbstoffenbarung nicht ohne Jesu irdisches Wirken und seine Hingabe am Kreuz denkbar sei, dennoch bedürfe dieses ambivalente Geschichtsfaktum der Bestätigung durch den göttlichen Hoheitsakt der Auferweckung als endgültige Rechtfertigung von Person und Lehre
113 Vgl. Essen, Die Freiheit Jesu, hier v. a. 295. Essen profiliert seinen freiheitstheoretischen Ansatz in der Christologie als Reformulierung der neuchalkedonischen Enhypostasielehre unter Wahrung und kritischen Integration sowohl der berechtigten »alexandrinischen Intuition« (ebd., 121; die Formulierung übernimmt Essen von A. Grillmeier) der personalen Subjekteinheit als auch des antiochenischen Beharrens auf der Integrität beider Naturen. Beiden Positionen glaubt er gerecht werden zu können durch die eng an Pröppers und Krings’ Freiheitsanalyse angelehnte Beschreibung des Verhältnisses von Gott (Vater) und Jesus als eines reziproken Bestimmungsverhältnisses, als die Bestimmung dazu, nicht ohne den jeweils anderen sein zu wollen. Der Mensch Jesus finde dabei einen unendlichen Gehalt seiner Selbstverwirklichung, nämlich dieselbe innertrinitarische Fülle, die auch der Logos finde, weshalb beider Sichöffnen für Gehaltlichkeit, beider Freiheit formell identisch zu denken sei. Bei aller Wucht des Entwurfs bleiben freilich Fragen hinsichtlich der von Essen in Anspruch genommenen Wahrung der ontologischen Aussageintention der Enhypostasie, stimmt der Mensch Jesu der vollkommenen Bestimmung durch Gott ihm zufolge doch (mit einem entkontextualisierten Zitat v. Balthasars: vgl. TD II, 2, 171 f.) »unvordenklich« zu (ebd., 293): Hier ist wenigstens anzufragen, ob erstens diese doch wohl zeitlich zu verstehende ›Unvordenklichkeit‹ eine Präexistenz auch der menschlichen Natur Jesu insinuiert, und ob zweitens die hypostatische Union als wechselseitige Bestimmung nicht doch eine wenigstens logische ›Situation‹ erfordert, in der sich zwei autarke Handlungssubjekte füreinander entscheiden, was aber doch wohl nicht sein kann, denn aus zwei unabhängigen ›Hypostasen‹ kann schlechterdings nicht eine werden. 114 Vgl. z. B. EF 39 i. V. m. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, 47–69.
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Denkansatz
Jesu, womit Pröpper sich deutlich gegenüber der verweyenschen Überlegungen zur Auferstehung (!) positioniert. 115 Die Formulierung »wesentliche Bedeutung« der Geschichte Jesu verweist auf die Konsequenzen von Pröppers philosophischer Symbol- bzw. Realsymboltheorie des menschlichen Handelns. 116 Nicht allein hinsichtlich Jesu irdischem Handeln, sondern auch hinsichtlich der bleibenden menschlichen Vermittlung der göttlichen Selbstoffenbarung in Kirche und Glaubenspraxis ist demnach festzuhalten, dass die sich in ihnen darstellende ›unbedingt für den Menschen entschiedene‹ göttliche Liebe an die menschliche Bedingtheit ihrer Darstellung gebunden bleibt. Daher ist sie aufgrund der wesentlichen Ambivalenz aller menschlichen Vollzüge selbst nur symbolisch zugänglich: zwar gegenwärtig und wirkmächtig als Realsymbol, aber eben als Symbol uneindeutig und inchoativ. Hier ergeben sich sowohl christologische und ekklesiologische Anknüpfungspunkte als auch die Grundzüge der von Pröpper angestrebten theologischen Handlungstheorie. Um diese kurz zu umreißen: Christliches Handeln in der kirchlichen Gegenwart wie auch in Gestalt der Überlieferungsgeschichte wird so zur geistbestimmten symbolischen Darstellung der befreienden göttlichen Liebe und deren endgültiger Manifestation im Christusgeschehen, das dadurch auch heute seine universale befreiende Effizienz erreichen kann. 117 115 Vgl. hierzu die oftmals wiederholte und von Verweyen (vgl. »Auferstehung«: ein Wort verstellt die Sache, 111 f.; Glaubensverantwortung heute, 297; jeweils i. V. m. FPD 180) wohl tatsächlich missverstandene Formel: »Ohne Jesu bestimmtes Menschsein wäre Gott nicht als Liebe, ohne seine Bereitschaft zum Tod nicht der unbedingte Ernst dieser Liebe und ohne seine Auferweckung nicht Gott als ihr wahrer Ursprung offenbar geworden« (EF 197; bis auf Nuancen identisch sind EF 228, EFV 8 u. FPD 180; vgl. auch EFV 195). Die Missinterpretation – kurz gefasst die Verwechslung einer notwendigen mit einer hinreichenden Bedingung – wird aufgedeckt von H. Kessler (vgl. Sucht den Lebenden nicht bei den Toten, 448–450) und Pröpper selbst (vgl. EFV 212 f.). Verweyen verfolgt hier wohl das Ziel, die eigene Theorie von der unmittelbaren, wenigstens de iure hinreichenden Evidenz des Erfolgs Christi bereits in Anschauung des Kreuzes auch bei Pröpper nachzuweisen: »Wenn schon mit dem Abschluß des Lebens Jesu ›die unwiderrufliche Entschiedenheit‹ der Liebe Gottes offenbar war – was bedarf es dann noch der Auferweckung?« (Verweyen, Glaubensverantwortung heute, 297). Da Verweyen Pröppers diesbezügliche Position ansonsten richtig versteht (vgl. etwa GLW 345 f.), musste ihm die falsch verstandene Aussage als Widerspruch erscheinen. 116 Vgl. dazu auch unten 5.4. 117 Zu Pröppers »Theorie gläubiger Praxis« vgl. das achte Kapitel von EF (220–224) sowie EFV 21.258–261; zu seinen überlieferungstheoretischen Überlegungen vgl. v. a. den Aufsatz Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung,
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Das auf den ersten Blick durchweg positive Attribut »endgültig« für den durch die Geschichte Jesu erbrachten Erweis der göttlichen Liebe birgt für Pröpper gleichzeitig eine Einschränkung, sozusagen einen ›eschatologischen Vorbehalt‹. Das mit der Selbstoffenbarung Gottes im Christusgeschehen erreichte Heil sei zwar endgültig, unwiederholbar und vollkommen hinreichend zur Erlösung des Kosmos, allein sei damit die Erlösung noch nicht vollendet. 118 Die ungeachtet ihrer bereits verwirklichten Endgültigkeit erst mit der Parusie zu erwartende vollendete Erlösung steht somit im Zentrum der pröpperschen Eschatologie und damit auch seiner Beschäftigung mit der Theodizeefrage. Im Gegensatz etwa zu Verweyen betont Pröpper die durch die Vernunft nicht aufhebbare, bleibende Geheimnishaftigkeit und Verborgenheit der Überwindung des Leids, die allein dem Glauben offenbar sei und sich erst am Weltende in ihrer Evidenz zeigen werde: »[W]as bleibt denn anders, als uns an den Gott zu erinnern, der sich aus dem menschlichen Leid nicht heraushielt […]? Und was anders, als für seine Liebe, die sich in Jesu Auferweckung bewährte, dann auch die Möglichkeit offen zu halten, daß sie die Leiden der Geschichte doch noch zu versöhnen, sich selber doch noch zu rechtfertigen vermag? Und doch ist es kein Wissen, daß auf diese Option setzt, sondern die Hoffnung des Glaubens«. 119
hier etwa 176: »Dies aber bedeutet, daß das durch das geschichtliche Offenbarungshandeln Gottes eröffnete Freiheitsgeschehen als das eigentliche Kontinuum der Glaubensüberlieferung zu begreifen ist«. 118 Diese Unterscheidung von »Endgültigkeit« und noch ausstehender »Vollendung« des in Christus gekommenen Heils entwickelt Pröpper in seinem Artikel »Daß nichts uns scheiden kann von Gottes Liebe …«, hier v. a. 47–49. 119 An diesem Gedanken entzündet sich Verweyens Vertröstungsvorwurf, vgl. hierzu unten etwa 6.4, v. a. Anm. 194. T. R. Peters unterstützt Pröpper hinsichtlich der undenkbaren diesseitigen Versöhnung, richtet aber im Gegenteil die Frage an ihn, ob nicht selbst die Hoffnung auf jenseitige Wiedergutmachung zu weit gehe angesichts der Theodizee der ›Opfer der Geschichte‹, und Gott so doch unbegreiflich bleibe: »Hat nicht der Glaube, so möchte ich zurückfragen, mit dieser ›Wunde‹ zu leben, die nichts anderes als die uneinholbare Geschichte und der unbegreifliche Gott der Geschichte ist? Muss sie nicht auch im Denken ertragen werden, weil die endliche Vernunft vor dem dunklen Geheimnis des Leidens ohnmächtig ist und verstummen muss, wenn sie vernünftig sein will und nicht vermessen? – Weil das Unlösbare ungelöst bleiben muss, ist Erlösung in den Grenzen der Endlichkeit stringent nicht zu denken« (Peters, Endlichkeit und Vollendung, 190). Vgl. zum Ganzen auch Pröppers zusammen mit M. Striet verfassten LThK-Artikel über die Theodizee.
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Ontologische Position
5.2 Ontologische Position: Selbstwahl der Freiheit als Aufgabe und universales Kriterium »Also bleibt endlicher Freiheit für ihr Denken nur der Weg, das Wunder ihres Sich-selbst-Gegebenseins zu übernehmen und sich zu sich selbst zu entschließen, sich auf die Gesetze ihres Wesens zu besinnen und sich am Ende ihrer Einsicht um so bereiter für die begegnende Freiheit Gottes und der Menschen zu öffnen«. 120
Die der pröpperschen Philosophie zugrunde liegende Wirklichkeitssicht, d. h. seine (im weiten Wortsinne zu verstehende) ontologische Position soll im Folgenden in drei Schritten behandelt werden: einem kurzen Blick auf seine Sichtweise der Ontologie im klassischen Sinne als Lehre von Sein und Seiendem (1), dann einer Zwischenbesinnung auf die Elemente und das Strukturgesetz des von ihm gewählten Grundparadigmas transzendentaler Philosophie (2) und der Beschreibung von dessen konkreter Umsetzungs- bzw. Erscheinungsweise im Denken Pröppers (3). (1) Pröpper betrachtet die Ontologie als Lehre vom Sein zwar durchaus als eine philosophie- wie theologiegeschichtlich bedeutsame Denkform, 121 sieht sie – so zeigte sich bereits in der obigen Darstellung seiner Überlegungen zur Schöpfungstheologie – aber in einem nicht behebbaren Widerspruch zu seinem eigenen, wie überhaupt jedem echten Freiheitsdenken seit der ›kopernikanischen Wende‹ der Philosophie. Die Beschreibung der Wirklichkeit als Zusammenspiel von Sein und Seiendem komme nicht über eine sächliche Sichtweise hinaus, sei also – bei Pröpper geradezu ein Schimpfwort – ›Sachontologie‹ und habe verheerende Konsequenzen für die philosophische Gotteslehre: Alles seinstheoretische Denken verfalle letztlich der ›Onto-Theologie‹, 122 d. h. der Versächlichung Gottes vermittels der klassischen philosophischen Gotteseigenschaften, die dem christliEF 282. So betrachtet er die ›ontologisch-spekulative‹ Denkweise im Laufe der Dogmengeschichte etwa hinsichtlich der Entfaltung der frühen Christologie (vgl. etwa JDP 106 f.) durchaus als notwendige Etappe zur Klärung des Glaubens, allein gelte es heute, diese überholten Sprach- und Denkmodelle zu reformulieren, wie er etwa mit Blick auf die Transsubstantiationslehre als ›Paradebeispiel‹ einer denkformgebundenen Theorie expliziert, vgl. hierzu etwa EFV 264 f. 122 Pröpper zieht diese Parallele zu Heideggers Generalkritik der traditionellen Metaphysik etwa in JDP 135 f. 120 121
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chen Gottesbild absolut unangemessen seien. Weiter komme in diesem Denken die je eigene Freiheit als das dem Menschen einzig zugängliche Unbedingte nicht allein nicht in den Blick, sondern sei durch die partizipationslogisch-monistische Verschränkung von Gott und Welt letztlich sogar aufgehoben. 123 Mit der genannten Qualifizierung der Freiheit als unbedingt ist schon ein zentrales Element von Pröppers eigener Wirklichkeitssicht (›Ontologie‹ im weiteren Sinne) erreicht. Diese ist nicht mehr am Sein orientiert, sondern an menschlicher Freiheit und Erkenntnis, kurzum also am transzendentalen Subjekt: »Die Sinnfrage, wie sie hier verstanden sein soll [d. h. als Ausgangspunkt transzendentaler Philosophie; M. L.], setzt die Frage nach jener Totalität [des Seins; M. L.] sowie nach den allgemeinen Bestimmungen des Seienden zwar voraus, transzendiert sie aber noch einmal. Sie richtet sich auf den Sinn der Wirklichkeit überhaupt und den absoluten Sinn eben des Wesens, das in solcher Weise nach ihm zu fragen vermag. Sie geht auf den Sinn von Sein und Existenz in ihrer Faktizität«. 124 Pröpper optiert im Gefolge seiner maßgeblichen philosophischen Gewährsleute Fichte und Krings also für eine spezifische Spielart der Transzendentalphilosophie als Besinnung auf das menschliche Subjekt und die Bedingungen seines Weltzugangs. (2) Mit Pröppers Entscheidung für das genannte philosophische Grundparadigma geht eine ›ontologische‹ Wirklichkeitssicht einher, 125 die hier als viergliedriges Strukturgesetz der transzendentalphilosophischen ›Letztbegründung‹ beschrieben werden soll. Dieses Strukturgesetz lässt sich nachvollziehen als Zusammenhang von zwei wesentlichen Postulaten und einer doppelten Folgerung hinsichtlich der Reichweite der Philosophie, wobei diese vier Elemente nicht allein als einzelne, sondern gerade auch in ihrem als unmittelbar einsichtig und logisch-notwendig angesehenen Zusammenhang weitreichende ontologische Aussagen über die Gesamtwirklichkeit darstellen: Diese Art der Transzendentalphilosophie setzt an beim Postulat der Unbedingtheit der freien menschlichen Vernunft als ein-
Vgl. zu dieser Ontologieschelte etwa EFV 247 f. JDP 135. 125 Dies würde Pröpper selbst wohl nicht bestreiten, betont er doch zusammen mit G. Essen, dass jede menschliche Denkform notwendig eine bestimmte, formale wie auch inhaltliche Auslegung der Wirklichkeit mit einschließt: vgl. Kap. 5.3, v. a. Anm. 150. 123 124
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ziger unumstößlicher Gewissheit (erstes Postulat). Weiter wird die exklusive Alternative vorausgesetzt, dass die Welt nur entweder tragisch und absurd oder aber jener Vernunft völlig begrifflich erschöpfbar sein kann (zweites Postulat). Auf dieser Basis sind dann Transzendentalanalyse und -deduktion möglich, welche – bei Option wider die Absurdität – die potentiell vollständige, begriffliche Bestimmung des Wirklichen hinsichtlich seiner – verwirklichten oder noch ausstehenden – Möglichkeiten (erste Folgerung) und transzendental bedingten Notwendigkeiten (zweite Folgerung) erlauben. Dieses Verfahren der ›Machtsicherung der Vernunft durch Zuständigkeitseinschränkung‹ 126 versteht sich als bescheidene Philosophie, sowohl aufgrund der Nichtbeweisbarkeit der beiden Postulate als auch aufgrund des hieraus folgenden, bloßen Möglichkeitscharakters der Folgerungen, der als das genuin ›Kritische‹ den Vorzug gegenüber dem metaphysisch-ontologischen Wirklichkeitsschluss ausmache. (3) Pröppers Umsetzung dieser ontologischen Grundpositionierung soll hier anhand der vier Elemente des genannten Strukturgesetzes dargestellt werden. Erstens legt seine Adaption des ersten Postulats den Schwerpunkt weniger auf den unbedingt gewissen Vernunft-, als auf dem Freiheitsgedanken. 127 Schon sein erstes Buch ist vom Gedanken der Unbedingtheit der menschlichen Freiheit (erstes Postulat) geprägt, unterstreicht ihm gegenüber aber tendenziell noch sehr stark die intersubjektive Konstitution wirklicher Freiheit. 128 Ab EF ist er dann jedoch aufgrund seiner Kringsrezeption in der Lage, das Unbedingtheitsmoment menschlicher Freiheit als ›formale Unbedingtheit‹ zu profilieren. Dieses Freiheitsmodell – dessen Darstellung freilich erst im entsprechenden Abschnitt 5.4 erfolgen wird – als Ausgangspunkt seiner Philosophie begründet Pröpper unterschiedlich, mal (mit Krings) ethisch, 129 mal retorsiv, 130 mal pragmatisch 126 Vgl. EF 107: »[D]ie Selbstkritik der Vernunft sichert ihre Macht, indem sie ihre Zuständigkeit einschränkt«. 127 Vgl. hierzu etwa die von ihm selbst als pleonastisch beschriebene (vgl. EFV VIII) Kombination »freie Vernunft« im Titel von EFV. 128 Vgl. v. a. JDP 138–141. 129 Vgl. EF 182 f.; FPD 183 u. ö. Vgl. Krings, System und Freiheit, 10: »Sofern die […] Elemente der Humanität und der Moralität als möglich sollen gedacht werden können, ist Freiheit notwendig als der unbedingte Grund gedacht«. 130 Vgl. EFV 15.27. Freiheit als Spezifikum aller menschlicher Vollzüge als solcher sei demnach auch noch im Akt ihrer expliziten Bestreitung vorausgesetzt.
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durch die Alltagserfahrung: »Für die Annahme ihrer Wirklichkeit aber kann es genügen, daß wir uns Freiheit alltäglich unterstellen, sie durch retorsive Argumente verteidigen und uns ihrer reflektierend vergewissern können«. Wichtig ist aber bei allen Begründungsversuchen der wissenschaftlich-theoretisch nicht zu bewältigende Hypothese-Status der unbedingten Freiheit: »Denn sie läßt sich nun einmal nicht beweisen (jedenfalls nicht auf objektiv-wissenschaftliche Weise). Wohl aber läßt sich ›beweisen‹, in reflektierender Besinnung einsehen, daß sie sich nicht beweisen läßt«. 131 Freiheit sei also per definitionem nicht ›andemonstrierbar‹, sondern müsse sich jeweils selbst praktisch wählen in einem Akt, den Pröpper im Anschluss an Kierkegaard als »Selbstwahl« oder »absolute Wahl« der eigenen Freiheit beschreibt. 132 Dieser freie Entschluss der Freiheit bzw. Vernunft für die eigene Existenz und Konsistenz lasse sich auch in Fichtes berühmtem Diktum von der Auswirkung der jeweils gewählten Philosophie auf die eigene Existenz wiedererkennen. 133 Es ist hier wichtig zu betonen, wie wenig mit diesem Gedanken der Unbedingtheit menschlicher Freiheit beansprucht wird, nämlich weder ein metaphysisches Deduktionsprinzip noch irgendeine inhaltlich gefüllte Größe, sondern letztlich nur die konsistente Vernunft überhaupt, 134
131 Beide Zitate aus EFV 59. M. Striet schließt sich diesem pragmatischen Argument an: »Nun gibt es aber Freiheit. Wer, der einmal auf sich selbst aufgemerkt hat, wollte dies bestreiten?« (Antimonistische Einsprüche im Namen des freien Gottes und des freien Menschen, 126). Seine Position hinsichtlich der darüber hinausgehenden theoretischen Beweisbarkeit von Freiheit scheint aber etwas unklar zu sein, erklärt er doch einerseits, dass die »Wirklichkeit menschlicher Freiheit« durchaus »philosophisch ausweisbar« sei, um dies dann gleich wieder mit der Bedingung einzuschränken, dies erfordere die vorherige Einnahme des »Standpunkt[s] der Freiheit« (ebd., 126 f.). Vgl. zum Ganzen auch unten 5.4. 132 Vgl. hierzu die Ausführungen in EFV 91; FPD 191. Pröpper bezieht sich hier auf Kierkegaards Schrift Entweder – Oder; vgl. auch EF 269; EFV 120.207. Erstmals wird die Parallele zwischen der kringsschen Freiheitskonzeption und der kierkegaardschen Selbstwahl wohl von A. Pieper gezogen (vgl. Die Wahl der Freiheit als die Freiheit der Wahl). 133 Vgl. Fichte, Erste Einleitung in die Wissenschaftslehre, 434: »Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist«; vgl. hierzu EF 269. 134 Vgl. Baumgartner, Freiheit als Prinzip der Geschichte, 313: »Durch die Idee der Freiheit wird nichts begriffen und nichts erreicht, durch sie wird ausschließlich Vernunft selbst gedacht […]. Freiheit ist daher weder Deduktionsgrund für Handlungsziele noch letzter Zweck, Ideal und Endziel der Geschichte«.
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und zwar als transzendentale Regel (-setzung). 135 Pröpper macht daher seine ganze Philosophie von der praktischen Annahme dieses grundlegenden Postulats abhängig und erkennt hierin ihre wesentliche Differenz zur unkritischen bzw. vorkritischen Metaphysik. Weiterhin behauptet er – erneut mit Krings –, im Gedanken der Unbedingtheit menschlicher Freiheit die einzige Möglichkeit eruiert zu haben, eine unbedingte, letztgültige Wahrheit bzw. Geltung zu erreichen: »Angesichts der gegenwärtigen Situation der Vernunft […] bietet die Aktualisierung jener Selbstreflexion mit ihrem Rückgang auf die formale Unbedingtheit der Freiheit […] die vielleicht noch einzige Chance für eine Kritik, die nicht nur humanes Interesse, sondern auch einsichtige Geltung beanspruchen kann«. 136 Ohne diese Bedingung könne eine unbedingte Bedeutung Gottes oder der Offenbarung nicht mehr rational vertreten werden: »[I]ch sehe keinen anderen Weg […]. Wenn es nicht etwas Unbedingtes im Menschen selbst gäbe und dieses Unbedingte, eben die Freiheit, nicht aktualisiert werden könnte, dann gäbe es auch keine Möglichkeit, daß die Frage nach Gott ihn unbedingt angehen könnte«. 137 Weiterhin sei auch nur bei geleistetem Rekurs auf Unbedingtes im Menschen selbst die jede letztgültige Wahrheit notwendig begleitende absolute Verpflichtung nichtzirkulär und nichtheteronom zu begründen: Ohne diese unbedingte Grundvoraussetzung blieben nur die Alternativen eines grundsätzlichen Relativismus (im Sinne der ›transversalen Vernunft‹ Welschs)138 oder aber des unkritischen Denkens, wie Pröp135 Vgl. hierzu etwa Krings, System und Freiheit, 58–68, v. a. 65 f., wo Krings die »transzendentale Freiheit« als »transzendentale Metaregel« bezeichnet. 136 EFV 77. Zugrunde liegt dem wohl implizit das kringssche Axiom: »Die transzendentale Bedingung der Legitimität []einer Geltung – und erst durch das Moment der Legitimität ist der Begriff der Geltung voll konstituiert – beruht in dem Bezug auf ein Unbedingtes« (System und Freiheit, 61 f.). Auch Krings bezieht dieses natürlich auf die transzendentale Freiheit als »[d]as Moment des Unbedingten in der praktischen Freiheit« (ebd., 61; Hvh. M. L.). 137 EFV 32. Vgl. auch die als »Generalthese« des Vortrags Zur theoretischen Verantwortung der Rede von Gott deklarierte Formel: »Ohne den Rekurs auf ein Unbedingtes, das im Menschen selbst vorausgesetzt werden darf, wäre weder die jeden Menschen unbedingt angehende Bedeutung der Selbstoffenbarung Gottes begründet vertretbar noch überhaupt der Gottesgedanke in autonomer Einsicht bestimmbar« (EFV 77). 138 Vgl. EFV 35.77. Pröpper kritisiert den fundamentalen Relativismus dieses Konzepts einer ›sich tummelnden‹ Vernunft, die Freiheit negativ verabsolutiere, zur Beliebigkeit degradiere und somit auch von jeglichem universal verbindlichen Sollen dispensiere. Zur »transversalen Vernunft« vgl. Welsch, Unsere postmoderne Moderne, hier v. a. 295–318.
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per es etwa – aufgrund der aus der dritten cartesianischen Meditation übernommenen Zirkularität der philosophischen Gottes- und Ethikbegründung – in den Religionsphilosophien Pannenbergs, Rahners und Verweyens ausmacht. 139 Was nun zweitens die weitere Voraussetzung dieser Konzeption von Transzendentalphilosophie betrifft, die exklusive Alternative von Absurdität oder Vernunftkommensurabilität der Wirklichkeit (zweites Postulat), so wird sie von Pröpper nur randlich thematisiert. Fest steht jedenfalls, dass auch dieser (vom ersten Postulat abhängigen) Voraussetzung bloß postulatorischer Charakter zukommt: So impliziere die angenommene Unbedingtheit der Vernunft, dass ihr nichts in der subjektexternen Welt prinzipiell unzugänglich sein dürfe, ohne dass beide der Absurdität oder wenigstens der Tragik verfielen. Hierbei denkt der Theologe Pröpper natürlich in erster Linie an theologische ›Geheimnis-Bastionen‹, die zu schleifen und durch die »prinzipiell uneingeschränkte Sinnerhellung des Glaubens« zu ersetzen seien: »Glaubenszumutungen, die mit der Vernunft nicht kompatibel wären, würde ich nicht akzeptieren«. 140 Pröpper unterstreicht jedoch gerade im Hinblick auf den Glauben, dass die Vernunftkonsistenz bzw. -transparenz des Wirklichen wie die freie Vernunft selbst unbeweisbar bleibe und sich ebenfalls einem die Wirklichkeit interpretierenden Vernunftentschluss verdanke: So sei etwa auch die göttliche Selbstmitteilung in Jesus Christus und ihre bleibende Gegenwart im Geist ein ambivalentes Geschichtsfaktum, das keinen eindeutigen, apodiktischen Beweis erlaube. Über die Transparenz des Wirklichen für die Verwirklichung des Vernünftigen bzw. für den absoluten Sinn sei – hieran reibt sich etwa Verweyen 141 – keineswegs schon denkerisch zu entscheiden: Sie könne (und müsse) zur Konsistenzbewahrung menschlichen Denkens wie Handelns pragmatisch vorausgesetzt und kraft christlicher Hoffnung auch als Zukunft erwartet werden, bleibe aber dennoch ambivalent und radikal fragwürdig. So schreibt er etwa schon in JDP: »So zeigt sich, daß der Mensch auf seine letzten Fragen mit verschieden Sinnentwürfen antworten kann, zwischen denen – wenn sie den unabweisbaren theoretischen Mindestanforderungen genügen – die Entscheidung aus
139 140 141
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Vgl. hierzu etwa EFV 16 f.87 f. EFV 208 f. Vgl. etwa Verweyen, Glaubensverantwortung heute, 299; vgl. auch unten, 6.1.
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theoretischen Gründen allein nicht mehr gefällt werden kann«. 142 Im Kontext der Theodizeefrage ergänzt er, dass jeder Mensch vor der Entscheidung stehe, mit Guardini hoffend nach zukünftiger Sinntransparenz zu fragen, 143 oder diese Frage mit Dostojewskis ›Iwan Karamassow‹ 144 zu verneinen: »Ob wir nämlich Gottes Liebe die Möglichkeit, sich selbst zu rechtfertigen und aller Zustimmung zu gewinnen, noch zutrauen oder aber diese Möglichkeit, mit Berufung auf die Unaufwiegbarkeit des Leidens und die Unversöhnbarkeit der Schuld, für bereits definitiv und zwar negativ entschieden ansehen wollen. Beide Optionen werden sich, gerade auch praktisch, verantworten müssen«. 145 Dass sie sich aber verantworten müssen, dass also auch die Annahme der Vernunft- bzw. Sinnkonsistenz Postulat bleibt, liegt für Pröpper notwendig in der Ambivalenz des Wirklichen begründet. Die unmittelbare Konsequenz dieses zweiten Postulats ist nun drittens die Überzeugung von der Vernunft als Möglichkeitskriterium der Wirklichkeit (erste Folgerung), sofern gegen deren Absurdität optiert wird. Diese Überzeugung besagt, dass die menschliche Vernunft aufgrund der vorausgesetzten Vernunftbestimmtheit alles Wirklichen dessen Möglichkeitsrahmen konstruktiv oder – angesichts vorhandener Faktizität – rekonstruierend entwerfen kann. Hierbei geht sie stets von einer transzendentalen Analyse des unbezweifelbar Gegebenen, also ihrer selbst aus, um sich von hier aus selbst deduktiv zu transzendieren. Dieser stets in Verstandesakten, d. h. begrifflich-intentional zu verstehende Selbstüberstieg vollzieht sich als transzendental-apriorische Deduktion entweder potentiell-
JDP 141. Gemeint ist hier wohl die folgende, von W. Oelmüller überlieferte Aussage des »todkranke[n] Guardini«: »Er werde sich im Letzten Gericht nicht nur fragen lassen, sondern auch selber fragen; er hoffe in Zuversicht, daß ihm dann der Engel die wahre Antwort nicht versagen werde auf die Frage, die ihm kein Buch, auch die Schrift selber nicht, die ihm kein Dogma und kein Lehramt, die ihm keine ›Theodizee‹ und Theologie, auch die eigene nicht, habe beantworten können: Warum, Gott, zum Heil die fürchterlichen Umwege, das Leid der Unschuldigen, die Schuld?« (Oelmüller, Philosophische Fragen und Antwortversuche angesichts der Widerfahrnisse von Leiden, 84). 144 Pröpper hat hier wohl das Kapitel über die »Empörung« Iwan Karamasoffs vor Augen (vgl. Dostojewski, Die Brüder Karamasoff, 384–401 [V,4]), auf das auch Verweyen Bezug nimmt, vgl. unten, Kap. 6.4, v. a. Anm. 194. 145 EFV 275. Vgl. hierzu auch die obigen Ausführungen über den ›eschatologischen Vorbehalt‹ in der Theologie, Kap. 5.1. 142 143
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zukünftiger oder aber als »Nach-Denken« 146 bzw. transzendentalaposteriorische Deduktion bereits bestehender extramentaler Sachverhalte. Pröpper interessiert sich eher für den aposteriorischen Nachvollzug, da es ihm doch um den Möglichkeits- und Relevanzaufweis des geglaubten Faktums der christlichen Offenbarung geht, wie er ihn in Gestalt seiner Freiheitsphilosophie ja auch versucht (vgl. unten 5.4). Pröpper betont auch in diesem methodologischen Zusammenhang die wesentliche Bescheidenheit solch transzendentalen Denkens, gehe es ihm doch eben nur um Möglichkeiten, keineswegs aber um die Faktizität der gedachten Sachverhalte als solche. Ihren Höhepunkt erreicht die Möglichkeitsreflexion über die Wirklichkeit – ob nun rein konstruktiv oder rekonstruierend – aber in notwendigen Folgerungen aus ihren Postulaten, in der transzendentalen Deduktion unhintergehbar notwendiger Wirklichkeiten. Hierbei handelt es sich um deduzierte Inhalte, ohne deren Existenz die freie Vernunft sich selbst und die Welt nicht mehr als konsistent zu denken vermöchte, wodurch beide der Absurdität verfielen. Pröpper beschränkt sich hier – dezidiert in Abgrenzung von Verweyens seiner Meinung nach zu »weitreichende[n] erstphilosophische[n] Ansprüche[n]« 147 – auf »Minimalbestimmungen« 148 hinsichtlich des EF 276. EFV 189. Dieser Vorwurf einer Reichweitenüberschreitung der Erstphilosophie im verweyenschen Ansatz kann als Fazit der pröpperschen Verweyenkritik bezeichnet werden. Pröpper formuliert diesen Vorwurf in seinem ersten Verweyenaufsatz Erstphilosophischer Begriff oder Aufweis letztgültigen Sinnes zwar nur in Frageform, jedoch dürfte diese Frage in Anbetracht des Gesamts der Vorwürfe wohl als rhetorisch zu verstehen sein. Neben der genannten Überstrapazierung der Reichweite der Transzendentalphilosophie und der dadurch bedingten Formalität und »Umwegigkeit« wirft er Verweyens Ansatz zweitens den cartesianischen ›Fehlschluss‹ auf die Gottesexistenz vor, die den Rahmen transzendentalen Denkens eindeutig verlasse. Drittens unterbewerte Verweyen die Unbedingtheit der Freiheit. Dies habe eine Subordination der Ethik unter die gelungene philosophische Sinnversicherung zur Folge, die bildtheoretische Vermittlung (Bedingtheit!) der menschlichen Freiheit durch das Unbedingte und die zirkuläre, nichtautonome Begründung von Moral und Gottesvorstellung. Pröppers Vorwürfe gipfeln viertens in der Behauptung, Verweyen liefere – eben aufgrund der überzogenen Begründungsansprüche – nicht nur einen Sinnbegriff, sondern letztlich einen Sinnaufweis, weil die Offenbarung nicht mehr als mögliche freie Bestimmung menschlicher Freiheit gedacht werde, sondern letztlich als deren in der Bewusstseinskonstitution immer schon ergangene Vermittlung zu sich selbst (vgl. zu diesen Vorwürfen EFV 189– 193). Im Anschluss stellt er noch einige problematische offenbarungstheologische Konsequenzen dieses Ansatzes heraus, so die tendenzielle Vorherbestimmung der geschichtlichen Offenbarung durch den autonom erreichbaren Sinnbegriff (beispielsweise in der Frage nach der Auferweckung Jesu), die darin grundgelegte Abkehr von der historisch146 147
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Ontologische Position
denknotwendigen bzw. (in der von Verweyen eingeführten Terminologie) ›letztgültigen‹ Sinns. Hier ist nun der genuine Ort der philosophischen Gottesvorstellung Pröppers zu sehen, die unter 5.5 eingehend zu behandeln sein wird. Im Rahmen der Untersuchung seiner ontologischen Position ist zunächst nur festzuhalten, dass Pröpper die Gottesidee (als Idee einer formal und material unbedingten Freiheit, s. u.) als notwendige, konsistenzrelevante Schlussfolgerung aus dem Postulat der freien Vernunft des Menschen betrachtet, so dass die Vernunft bei Nichtexistenz dieses von ihr gedachten Gottes der Absurdität anheimfiele. Ob dies der Fall sei, bleibe allerdings – Pröpper erstrebt keinen Gottesbeweis – theoretisch nicht mehr zu entscheiden: »Damit ist nun freilich weder die Existenz Gottes bewiesen noch eine Metaphysik des Absoluten eröffnet, wohl aber der Gedanke Gottes […]. Sinnvoll ist diese Idee Gottes, weil in ihr gedacht wird, worauf sich die menschliche Freiheit kraft der Unbedingtheit ihrer Form richtet; ja sie darf, sofern die in unbedingter Weise bejahte menschliche Freiheit implizit schon als sinnvoll bejaht ist, sogar als notwendige Idee gelten«. 149
kritischen Überprüfung der Sinntheorie am historischen Offenbarungsgeschehen und den letztlich auch als Folge überzogener autonomer Sinnbestimmung zu verstehenden Eschatologie- und Hoffnungsausfall (vgl. EFV 193–196). Zu Verweyens unmittelbarer Antwort auf diese Vorwürfe vgl. etwa Glaubensverantwortung heute. Pröpper wiederholt seine Kritik jedoch implizit in seiner Replik (Sollensevidenz, Sinnvollzug und Offenbarung): Zwar spreche sich Verweyen nun eindeutiger für den hypothetischen, reinen Möglichkeitscharakter des erstphilosophischen Sinnbegriffs aus, diese Hypothese sei bei ihm aber mit der »vollzogenen Ausgangserfahrung« unbedingter, wechselseitiger Anerkennung überwunden. Weiterhin folge hieraus eine unzulässige »Gleichsetzung von Sollens-, Sinn- und Gotteserfahrung« (ebd., 204). Verweyen behandelt die pröpperschen Anfragen wie auch seine eigene Kritik an dessen Ansatz an unterschiedlichen Stellen der dritten Auflage von GLW sowie in BET, vgl. hierzu Kap. 6. Eine erschöpfende Darstellung findet die ganze Debatte zwischen Pröpper und Verweyen wie bereits angemerkt bei Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, dessen sehr versöhnliches Fazit jedoch etwas irenisch erscheint, vgl. ebd. 236; vgl. hierzu ders., »Freiheit als Prinzip aller Erscheinung«. 148 Zu diesem v. a. hinsichtlich der Bestimmung des als möglich zu erweisenden Gottes (vgl. 5.5) verwendeten pröpperschen Terminus vgl. etwa EFV 18.75.90 u. ö. 149 EF 191. A
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5.3 Erkenntnistheoretische Position: Der hermeneutische Zirkel und die ›Denkform‹ »Denkformen sind bereits – mögen sie auch noch so verschiedene Grade der Klarheit, Konsistenz und Formalisierung aufweisen – bestimmte Auslegungen der Gesamtwirklichkeit, die dann als Vorverständnis bei allem weiteren Verstehen von Wirklichem fungieren«. 150
Pröppers erkenntnistheoretische Position soll in drei Schritten dargestellt werden. Zunächst wird seine grundlegende Sicht des hermeneutischen Zirkels um die Pole ›Gegebenes‹ und ›Denkform‹ und das daraus folgende Desiderat einer grundlegenden ›Denkformanalyse‹ zu betrachten sein (1), bevor seine methodologischen Konsequenzen aus dieser Theorie anhand der beiden genannten Komponenten der Erkenntnis dargestellt werden können (2). Abschließend ist kurz auf Pröppers Begriffstheorie einzugehen (3). (1) Pröpper liefert in Gestalt seiner Denkformanalyse 151 eine ausgewogene Erkenntnistheorie, die menschliches Denken (ob nun in Theologie oder Philosophie) in einem hermeneutischen Zirkel sieht. Für ihn besteht dieser Zirkel aus dem Erkenntnisobjekt als dem zu verstehenden faktisch ›Gegebenen‹ und dem Vorverständnis auf Seiten des Erkenntnissubjekts als der jeweiligen ›Denkform‹. Schon in JDP macht Pröpper deutlich, dass menschliches Denken keinen unmittelbaren Zugang zu (hier historischen) extramentalen Fakten habe, also keine neutrale Erkenntnisinstanz darstelle, sondern die ErFPD 174 (= EFV 13). Vgl. hierzu v. a. auch Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 169. 151 Zentrale Textpassagen hierzu sind etwa EF 68 f.253–259; EFV 245 f.; FPD 173 f. Angeregt ist die pröppersche Terminologie wohl durch K. Lehmanns Aufsatz Die dogmatische Denkform als hermeneutisches Problem; vgl. hierzu Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 169. Als Schwerpunkt behandelt dieses Thema der zusammen mit G. Essen als Antwort auf K.-J. Kuschels christologisch ausgerichtete Neuauflage der ›Hellenisierungsthese‹ (vgl. etwa Kuschel, Geboren vor aller Zeit) verfasste Aufsatz Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung. Zur Rezeption der pröpperschen Denkformanalyse bei seinen Schülern vgl. etwa Essen, Historische Vernunft und Auferweckung Jesu, 394–403; Striet, Offenbares Geheimnis, 152–154. Th. P. Fößel übergeht diese expliziten erkenntnistheoretischen Überlegungen Pröppers, wenn er ihm gegenüber eine »transzendentale Erkenntnistheorie« einklagt (vgl. Freiheit als Paradigma der Theologie?, 250 f.), allerdings entbehrt sein Einwand nicht völlig der Berechtigung, nimmt Pröpper die eigene Freiheitsanalyse doch implizit von dieser Lesart des hermeneutischen Zirkels aus, vgl. 5.7. 150
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kenntnisgegenstände immer schon durch die eigene Denkform modifiziert rezipiere. 152 Die Denkform fungiere dabei – so verdeutlicht er später – als organisierende Mitte und Zusammenhalt der Einzelerkenntnisse und bewirke so einen erkenntnisnotwendigen »Entlastungseffekt«. Es sei jedoch ein Trugschluss zu glauben, dass sich die Denkform dabei bloß formal auswirke, sie trage vielmehr auch inhaltliche Aspekte mit sich und verändere so das Erkannte, weshalb ein Denkformwechsel das Gedachte auch modifiziere: Entscheidend ist für ihn, »daß man Denkformen nicht als bloß leere, inhaltlose Formen auffaßt […]. Zwar sind sie gegenüber der Konkretheit der jeweils neu begegnenden einzelnen Gehalte […] allgemein und formal; insofern ist der Ausdruck Denkform durchaus berechtigt. Doch […] bilden sie dennoch ein Gefüge von Gehalten […]. Denkformen enthalten, genauer: sie sind bereits bestimmte Auslegungen der Wirklichkeit«. 153 Diese Gehaltlichkeit der Denkform – wie auch ihr oftmals unbewusster Status – zeugten aber auch von einer umgekehrten apriorischen Beeinflussung des Erkenntnissubjekts durch sein vermeintlich passives Objekt. Die beschriebene wechselseitige Abhängigkeit von ›Gegebenem‹ und ›Denkform‹ sei das unüberwindliche Grundgesetz menschlicher Erkenntnis, bedürfe nun aber im Rahmen kritischen Denkens der Aufdeckung und kritischen Integration, dem hermeneutischen Zirkel müsse mit einer begründungstheoretischen Sensibilität und steten Analyse der eigenen Denkform begegnet werden. Hierbei sei je neu zu klären, inwieweit die aktuelle Denkform dem Erkenntnisgegenstand gerecht werde und ihn erschließe, oder aber ihn aufgrund mangelnder Flexibilität eher verdecke. So sei die Denkform – abgesehen von der selbstverständlichen Prüfung ihrer Einheit, Konsistenz und Kohärenz – dahingehend »kritisch zu prüfen, ob ihre hohe hermeneutische Integrationskraft, die sie durch beharrliche Konstanz und Stabilität erreichte, für die unableitbar vorgegebene Wahrheit und ihr eigenes Bestimmtwerden durch sie noch genügend offen« sei, 154 oder nicht doch vielmehr der 152 Vgl. etwa JDP 106 f. Sehr interessant ist im Hinblick auf Pröppers spätere exklusive Option für die Denkform der Freiheit das folgende Zitat in diesem Abschnitt: »Die möglichen Reflexionsrichtungen der Christologie lassen sich nicht apriori bestimmen, sondern hängen von der Situation ab, in der christliche Verkündigung auftritt« (JDP 107). 153 Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 169. Vgl. zum Gedanken der Auswirkung des Denkformwechsels auf den Erkenntnisgegenstand auch etwa EFV 245 f. 154 Essen/Pröpper, Aneignungsprobleme der christologischen Überlieferung, 173.
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Gefahr erliege, »sich gegen jegliche Innovation abzuschotten« und »anderes als anderes nicht mehr wahrnehmen« zu können. 155 Hinsichtlich der theologischen Arbeit sei ein besonderer Schwerpunkt auf die Wahl der Denkform zu legen, da gerade die Wahrheit des Glaubens sich entgegen der landläufigen ›naiven‹ Meinung nicht mit einer beliebigen Denkweise erschließen und vermitteln lasse, sondern ihre Vermittlung (sc. ihre Form) dem Inhalt angemessen sein müsse. 156 (2) Hiermit ist schon die Frage aufgeworfen, wie Pröpper die beiden Pole des hermeneutischen Zirkels für das eigene Denken bestimmt. Das ursprüngliche Gegebene der menschlichen Erkenntnis ist ihm zufolge die freie Vernunft des Menschen in ihrer irreduziblen Unbedingtheit. Mit dieser Wahl seines Primärgegenstands ist freilich auch schon das Denken selbst vorherbestimmt, das zunächst Besinnung der Vernunft auf sich selbst und die eigenen Möglichkeitsbedingungen sein muss, eben Transzendentalphilosophie nach kantschem Verständnis. Dieses Paradigma ergänzt Pröpper gemäß seinem Schwerpunkt (dem Vorrang der Freiheit vor der Erkenntnis, s. o.) aber noch um den zusätzlichen Verweis auf die Zentralität der Freiheit, so dass die von ihm verwendete (wie überhaupt die einzige der christlichen Religionsphilosophie angemessene) 157 Denkform »nur das Denken der Freiheit und dieses nur transzendental« sein könne. 158 Die erste Bewegung des Denkens sei also die transzendentalreduktive Analyse der Freiheit auf ihre notwendigen Bedingungen als »begriffliche[] und logisch kontrollierte[] Zurückführung eines Gegebenen auf ein Nichtgegebenes, ohne welches das erste nicht als möglich gedacht werden kann«. 159 Auf Basis dieser Rückbesinnung auf das Proprium der eigenen Freiheit ist nun im pröpperschen Ansatz – er selbst expliziert diesen Zusammenhang nicht eigens – die kritisch fundierte Ebd., 169. Vgl. zu Pröppers häufiger Schelte des theologischen Denkformenpluralismus etwa EFV 14.76; im Kern kommt dieser Gedanke jedoch in jeder Passage zur Denkform vor, vgl. die Auflistung in Anm. 151. 157 Vgl. zu dieser ›Monokultur‹ auf dem Feld religionsphilosophischer Glaubensrechenschaft und ihrer Problematik unten 5.7. 158 FPD 183 (= EFV 15). M. Striet ratifiziert dies ausdrücklich: »Aus theologischen Gründen kann somit die gesuchte Denkform keine andere als die der Freiheit sein« (Offenbares Geheimnis, 152). 159 EF 182. 155 156
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Selbsttranszendenz des Subjekts auf die Faktizität des Wirklichen als zweitem Erkenntnisgegenstand möglich. Dieser Selbstüberstieg menschlicher Erkenntnis vollzieht sich dabei im Rahmen einer Transzendentaldeduktion, d. h. eben als zweifache Erschließung der Möglichkeiten des Wirklichen, sei es nun als Produktion fiktiver Wirklichkeit oder als virtueller Nachvollzug der Möglichkeit und Vereinbarkeit gegebener historischer Fakten mit den Gesetzen der eigenen Transzendentalität als bleibendem Maßstab gewisser und kritischer Erkenntnis. Es ist wiederum evident, dass es Pröpper mit seiner christlichen Religionsphilosophie v. a. um die zweite Variante geht, will er doch das historisch gegebene Faktum der Offenbarung vor der freien Transzendentalität des Menschen als möglich, d. h. überhaupt als legitimen Erkenntnisgegenstand, und als unbedingt bedeutsam, d. h. als erkenntnisbereichernd und -fördernd erweisen (s. o.). (3) Das letztgenannte Zitat zur Transzendentalanalyse (vgl. Anm. 159) bekundet bereits den begrifflichen Status der angestrebten Erkenntnisse. Pröpper liefert keine eigenständige Begriffstheorie, bietet aber doch einige knappe Hinweise. JDP ist noch von einer gewissen Skepsis gegenüber dem teils überzogenen neuzeitlich-aufklärerischen Begriffsoptimismus geprägt, der den Begriff über die Wirklichkeit stelle. 160 Hierin könnte noch eine implizite Kritik der Univozität zu sehen sein, die später aber wegfällt. So wendet sich Pröpper ab EF wiederholt mit Krings gegen die via eminentiae vollzogene »Extrapolation« ontologischer Begriffe auf die Transzendenz, die er der metaphysischen Tradition der Analogielehre unterstellt, und beklagt in diesem Zusammenhang die aus diesem ›unzulässigen Überstieg‹ resultierende Begriffsmodifikation und -insuffizienz der analogen Prädikation. 161 So folgert er dann schließlich – allerdings erst auf einem 1999 gehaltenen Vortrag –, 162 dass mit der theologisch unerlässlichen Revision, ja Verwerfung des antiken metaphysischen 160 Vgl. JDP 113, wo von einer »neuzeitliche[n] Dominanz des Begriffs über alle Wirklichkeit« die Rede ist. Dies ist eine interessante Parallele zu den univozitätskritischen frühen Ausführungen Krings’, vgl. Anm. 88. 161 Vgl. EF 191; EFV 124. 162 Vgl. Pröpper, Gott hat auf uns gehofft … (EFV 300–321); hier 317: »Daß Duns Scotus die Eigenständigkeit analoger Prädikation zwischen univoker und äquivoker Aussageweise bestritt und seinerseits auf der Unentbehrlichkeit univoker Allgemeinbegriffe, fundamental des Seinsbegriffs, als Basis jeder theologischen Theoriebildung insistierte, das leuchtet mir (genauso wie Wolfhart Pannenberg) wohl ein«.
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Erbes (s. o.) Scotus und Pannenberg darin zu folgen sei, im Rahmen philosophischer wie theologischer Gotteslehre an der Univozität der Allgemeinbegriffe festzuhalten. So ist Pröppers zentraler ›Allgemeinbegriff‹ der Freiheit – freilich ohne dass er dies eigens konstatieren würde – durchweg als univok zu verstehen und findet bei seiner Applikation auf die göttliche Transzendenz lediglich eine epithetische Modifikation, 163 wobei seine Epitheta (›vollkommen‹ bzw. ›formal und material unbedingt‹) freilich erneut begrifflich klar fassbar bleiben. Diese begriffslogische Schlussfolgerung zieht dann auch Striet explizit in Offenbares Geheimnis, indem er nachdrücklich für die scotische Univozität optiert und die Eigenschaften Freiheit, Persönlichkeit und Liebe univok dem Wesen Gottes zuspricht. 164 Alle Differenz zwischen Gott und Mensch könne demzufolge »in bestimmter Weise gedacht und gesetzt« 165 und durch die Ergänzung (in sich bestimmter) Disjunktionen zu den univoken Allgemeinbegriffen ausgedrückt werden.
5.4 Freiheitstheoretische Position: Transzendentalreduktive Freiheitsanalyse »Für die Verantwortung und Explikation dieser Wahrheit [sc. der Grundwahrheit des christlichen Glaubens; M. L.] beanspruche ich eine transzendentale Analytik der Freiheit, da sie mir wegen ihres Rückgangs auf die Instanz der formal-unbedingten Freiheit für eine erstphilosophische Hermeneutik des Glaubens ausreichend und zugleich zur Erschließung seines Inhalts besonders geeignet erscheint«.166
Die Freiheitsanalytik als Kern des religionsphilosophischen Beitrags Pröppers findet eine erste umfassende Entfaltung in EF, 167 weitere wichtige Stellen sind v. a. die – freilich leicht vereinfachende – Vorlesung Wenn alles gleich gültig ist … 168 und die beiden teilidentischen Aufsätze über die Freiheit als Prinzip der Dogmatik (FPD) 169 bzw. der Theologie (Freiheit als philosophisches Prinzip theologi163 164 165 166 167 168 169
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Vgl. hierzu den Abschnitt 5.5. Vgl. v. a. Striet, Offenbares Geheimnis, 245–250. Ebd., 247. EFV 202. Vgl. EF 182–194 (Abschnitt 7b). Hier v. a. EFV 27–32. Hier v. a. FPD 183–190.
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scher Hermeneutik); 170 eine Kurzfassung bietet Pröpper selbst in seinem zweiten Verweyenaufsatz. 171 Der Gedankengang – von Pröpper mal sechs-, mal siebenschrittig dargeboten 172 – soll im Folgenden in drei Etappen wiedergegeben werden: Zunächst wird das von Pröpper beschriebene Ausgangsphänomen der formalen Unbedingtheit menschlicher Freiheit dargestellt und seine daraus entwickelte viergliedrige Definition der formalen Freiheit. Ein zweiter Schritt wird die Verwirklichungsbedingungen der formalen Freiheit aus ihrer Definition heraus entwickeln und zum Gedanken der materialen Bedingtheit menschlicher Freiheit gelangen. Drittens wird dann das von Pröpper ausgemachte unlösbare Dilemma zwischen formaler Unbedingtheit und materialer Bedingtheit herauszuarbeiten sein, dessen auf den ersten Blick aporetische Struktur dann zum Ausgangspunkt eines postulatorischen Gottesgedankens werden kann (vgl. 5.5). Dieser Gottesgedanke gehört freilich als Möglichkeitsund Relevanzaufweis christlichen Glaubens als eigentliches Ziel zur pröpperschen Religionsphilosophie hinzu, sodass deren Darstellung erst mit dem folgenden Unterkapitel vollständig sein wird. Pröppers Religionsphilosophie fußt in weiten Teilen auf der Freiheitsanalytik seines »Lehrer[s] durch Schriften« 173 Hermann Krings in dessen wirkmächtigem Aufsatzband System und Freiheit. 174 (1) Der Ausgangspunkt der pröpperschen Freiheitsanalyse ist das Phänomen der formalen Unbedingtheit menschlicher Freiheit, wie es Krings’ Basisaxiom entspricht: »Ausgangspunkt war das Postulat, Hier v. a. EFV 15–21 (Abschnitt 3). Vgl. EFV 202. 172 Hierzu ist zu sagen, dass die sechs (EF 182–194) bzw. sieben (EFV 27–32) Schritte jeweils an den beiden letzten Stellen bereits den Möglichkeits- und Relevanzaufweis des Glaubens enthalten, der hier erst im folgenden Unterkapitel behandelt werden soll. Die vorigen vier bzw. fünf Schritte sollen hier jedoch etwas stärker strukturiert und zu drei Denketappen verdichtet werden. 173 Vgl. Anm. 8. 174 Pröpper rezipiert hieraus v. a. den HPhG-Artikel Freiheit und den Aufsatz Freiheit. Ein Versuch Gott zu denken. H. Krings’ Hauptwerk Transzendentale Logik erscheint nur einmal als Vergleichsreferenz (vgl. EFV 87); ebensolches widerfährt seinem zusammen mit E. Simon verfassten HPhG-Artikel Gott (vgl. EF 182.190). Im Folgenden werden nur kurze Verweise auf die entsprechenden Passagen in System und Freiheit gegeben werden, nicht aber eine umfassende Kritik der pröpperschen Kringsrezeption zu leisten sein. Alles in allem ist aber zu konstatieren, dass Pröpper die teils divergierenden und Krings’ eigener Aussage zufolge »zweifellos einen hohen Vermittlungsgrad« (System und Freiheit, 98) aufweisenden Argumentationen vereinfacht und synthetisiert. 170 171
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Freiheit als ein Unbedingtes anzuerkennen«. 175 Dass dieses Phänomen nicht beweisbar, sondern allenfalls retorsiv, ethisch oder pragmatisch aufweisbar ist und sich selbst nur einem Freiheitsentschluss, einer Selbstwahl im kierkegaardschen Sinn verdankt, ist bereits Ergebnis der Untersuchung der ontologischen Position Pröppers gewesen (vgl. 5.2). Der retorsive Aufweis behauptet ja – frei nach Maréchals Retorsionsargument –, dass selbst der die Freiheit leugnende Mensch für diesen Leugnungsakt die eigene Freiheit in Anspruch nimmt und implizit voraussetzt; Freiheit wird so zum Kennzeichen menschlicher Akte als solcher. Ethisch erscheine die unbedingte Freiheit und Autonomie des Menschen als absolute Grundvoraussetzung einer sinnvollen Sollensverpflichtung und somit der Humanität überhaupt; pragmatisch dürfe sie als Alltagserfahrung vorausgesetzt werden. Wie nun aber ist diese unbedingte und irreduzible Freiheit näher zu definieren, wenn man doch, um »mit diesem Anfang auch etwas anfangen zu können, […] einen klaren Begriff« von ihr braucht? 176 Pröpper knüpft hier zunächst an den Gedanken der Selbstwahl an: »Schon das System der eigenen Individualität ist durch Freiheit als transzendentale Handlung gesetzt«. 177 Diese ›transzendentale Tat‹ 178 der Selbstsetzung könne mit Krings als ein allem sonstigen Handeln als dessen Bedingungsmöglichkeit vorausgehendes »Sich-Öffnen« für die Differenz bei gleichzeitigem Rückbezug auf sich selbst beschrieben werden. 179 Später wird Pröpper diese Beschreibung der unbedingten Freiheit des transzendentalen Selbstentschlusses in einer viergliedrigen Definition fassen als »unbedingtes Sichverhalten, grenzenloses Sichöffnen und ursprüngliches Sichentschließen: als Fähigkeit der Selbstbestimmung«. 180 Krings, System und Freiheit, 27. EFV 28. 177 EF 184. 178 H. Krings definiert die ›transzendentale Handlung‹ gegenüber der ›empirischen‹ wie folgt: »Dieses letztere, ausgezeichnete Handeln, dessen einziger Inhalt die Bestimmung der empirischen Handlung ist und insofern als ein Handeln des Handelns bezeichnet werden kann, heißt transzendentales Handeln. In ihm ist das empirische Handeln ›nach rückwärts‹ überschritten und seine Bestimmtheit gesetzt. Das empirische Handeln ist insofern nicht kausal, sondern transzendental bestimmt. Durch die transzendentale Handlung setzt sich der Handelnde in ein Verhältnis zum eigenen Handeln. Er bestimmt die Bestimmtheit seines Handelns« (System und Freiheit, 106). 179 Vgl. EF 184. Pröpper verweist hier auf Krings’ System und Freiheit, 115 f. 180 FPD 184. Weitestgehend identisch sind EFV 15.28.60.79.202. EFV 28 spricht von »spontane[m] Sichverhalten« und EFV 60 ergänzt »die ursprüngliche Fähigkeit zur Dis175 176
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Allerdings liege schon in dem zusammenfassenden Begriff der »Fähigkeit der Selbstbestimmung« das Ungenügen dieser Definition begründet: Mit dieser transzendentalen Freiheit sei nämlich lediglich die Fähigkeit, nicht aber die Wirklichkeit der Freiheit erreicht, weil diese nämlich eines gehaltlichen Zielobjekts ihrer Selbstbestimmung bedürfe: Erst in der Affirmation eines Gehaltes der eigenen Selbstbestimmung, eines materiellen Objektes für Öffnung, Verhalten und Entschluss gelange die Freiheit zur Wirklichkeit. Man könne so von einer Formalität dieser Freiheit sprechen »insofern, als sie das wirkliche Handeln und seinen Gehalt zwar bestimmt, doch für sein Dasein nicht aufkommen« könne, ebenso von einer – insofern alles Handeln als eigenes und sittliches qualifizierend – »formellen« oder aber auch »abstrakten« Freiheit. 181 Diese Freiheit verbleibe ohne ihre effektive Selbstbestimmung durch einen materialen Gehalt bloß »gehaltlos und leer« bzw. identisch mit dem nichtexistenten mathematischen Punkt, dessen bloße Idealität Kierkegaard Descartes vorhalte. 182 (2) Zur Verwirklichung der formal-unbedingten Freiheit des Menschen, d. h. zur Konstitution ›wirklicher Freiheit‹ bedürfe es also ihrer ›Bestimmung‹, d. h. Festlegung auf einen konzisen, ihr adäquaten Gehalt. Paradoxerweise eröffne sie dabei – transzendentallogisch gesehen – erst die Möglichkeit dieses Gehalts, während er sie zugleich umgekehrt material bedinge. 183 Um den Gehalt definieren zu können, entfaltet Pröpper zunächst näher den Selbstbestimmungsgedanken: So sei die transzendentale Freiheit als formale Selbstbestimmung »1. das durch sich Bestimmbare, 2. das (durch die Affirmation eines Inhalts) sich Bestimmende und 3. in ihrer formalen Unbedingtheit auch der Maßstab der wirklichen Selbstbestimmung«. 184 Aus der tanzierung«. Diese Änderungen sind aber wohl – wie auch die übrigen kleineren Änderungen und Umstellungen – als sekundär zu betrachten. Pröpper modifiziert hier die entsprechenden Ausführungen Krings’, der etwa von »transzendentale[m] Entschluss[] oder […] urspüngliche[m] Sichöffnen« (System und Freiheit, 173) schreibt. 181 Vgl. EF 183 f. 182 Vgl. ebd., 185. Pröpper zitiert Kierkegaards Ausführungen über Descartes’ »mathematische[n] Punkt, der gar nicht da ist« nach Anz, Philosophie und Glaube bei S. Kierkegaard, 181. Auch Verweyen zitiert diese Passage (vgl. GLW 144), allerdings anhand einer in der ZThK erschienen Fassung des Aufsatzes mit den Seitenangaben der auch von Pröpper benutzten ersten Ausgabe in H.-H. Schreys Sammelband Sören Kierkegaard. 183 Vgl. EF 185. 184 FPD 184. Diese Passage ist weitestgehend identisch mit EFV 15.60.79.202. Der GeA
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letztgenannten ›Autokriteriologie‹ der formal-unbedingten Freiheit hinsichtlich der eigenen Selbstbestimmung resp. der »Unbedingtheit des eigenen Wesens als Kriterium ihrer Selbstverwirklichung« 185 folge nun, dass sie sich nur an einem Bestimmungsgehalt verwirklichen könne, der ebenso wie sie unbedingt sei, d. h. an anderer Freiheit. Die zu ihrer Verwirklichung als »existierender«, »materialer, wirklicher oder inhaltsvoller Freiheit« 186 erforderliche Selbstbestimmung zeigt sich so – in Anlehnung auch an Fichtes Aufforderungslehre 187 – als unbedingte Anerkennung anderer Freiheit. Diese unbedingte Anerkennung des Anderen sei aber noch nicht die hinreichende Bedingung der Verwirklichung der einzelnen formalen Freiheit, sondern bedürfe aufgrund der ebenso unbedingten Freiheit ihres Gehalts umgekehrt auch der Anerkennung, des ›Nicht-sich-entziehens‹ des Anderen. Mit Hegel könne formuliert werden: »Sie anerkennen sich gegenseitig sich anerkennend«. 188 Dies habe zur Folge, dass der Intersubjektivitätsbegriff notwendig mit jenem der Subjektivität verbunden sei und menschliche Freiheit sich in ihrer Faktizität – also transzendentalgenetisch – der Vermittlung durch den Anderen verdanke. 189 Hieraus ist zu folgern, dass materiale Freiheit, d. h. verwirkdanke, dass die unbedingte Freiheit nur selbst Maßstab einer angemessenen Selbstbestimmung sein kann, ist ebenfalls bereits bei Krings formuliert, vgl. System und Freiheit, 174: »Doch welcher Inhalt ist der Form der transzendentalen Freiheit angemessen […]? Der den transzendentalen Entschluß erfüllende Gehalt muß die Dignität der transzendentalen Freiheit selber haben. Der erfüllende Inhalt der Freiheit kann, sofern er ihr der Form und Dignität nach nicht nachstehen soll, kein anderer sein als Freiheit«. Vgl. auch ebd., 62.123. 185 EFV 29. 186 EF 183 f. 187 In dieser Inanspruchnahme des frühen Fichte zur Begründung der intersubjektiven Vermittlung sieht sich Pröpper mit Verweyen einig: vgl. EFV 203. Zu seiner Rezeption des fichteschen Aufforderungsgedankens vgl. EF 117.186 (i. V. m. Fichtes Grundlage des Naturrechts nach Prinzipien der Wissenschaftslehre, 39); EFV 33. 188 Hegel, Phänomenologie des Geistes, 147; vgl. EF 187. 189 Vgl. ebd., 186. In dieser Selbstvermittlung durch den Anderen sehen Pröpper und Verweyen zu Recht eine Übereinstimmung miteinander sowie mit den Subjektkonstitutionstheorien der fichteschen ›Naturrechtslehre‹ und der levinasschen Alteritätsphilosophie. P. Platzbecker spricht in diesem Zusammenhang durchaus berechtigterweise mit Krings von »Freiheit als Kommunikationsbegriff«, behauptet jedoch, dass hierunter »[d]ie Konstitution von Intersubjektivität im Vollzug der Freiheit« zu verstehen sei (Radikale Autonomie vor Gott denken, 101). Hier scheint die transzendentalgenetische Vermittlungsrichtung genau umgekehrt und mit der transzendentallogischen verwechselt worden zu sein. Auch bei Krings liegt eine gewisse Unklarheit vor, spricht er doch an einer Stelle (System und Freiheit, 125) von einer transzendentallogischen, nicht allein
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lichte formal-unbedingte Freiheit sich Pröpper zufolge als bedingt durch den sich ihr entziehen könnenden Gehalt zeigt. Der folgende Abschnitt wird eine zweite Bedingtheit bzw. Beschränkung der verwirklichten Freiheit aufzeigen, die darin besteht, dass sich die transzendentale Freiheit auch nur im Maße ihres jeweiligen Gehaltes zu bestimmen vermag. Bevor dies betrachtet werden kann, ist noch zu ergänzen, dass Pröpper die reziproke Anerkennung menschlicher Freiheiten als solcher in zwei Schellingzitaten mit der Liebe identifiziert, wobei diese hier – wie auch andernorts – seltsam unterbestimmt bleibt. 190 Anerkennung als Liebe bedeute aber natürlich mehr als eine erneut bloß formale Respektierung der Freiheitsgrenzen des Anderen, sondern die Darstellung und Realisation des »Seinsollen[s]« des Anderen und das positiv-konstruktive ›Zuspiel‹ neuer Möglichkeiten zu seiner Selbstbestimmung; 191 »Anerkennung will das Sein der anderen Freiheit«. 192 Das anfanghafte Gelingen einer derart befreienden, unbedingten Liebesanerkennung ist für den Theologen Pröpper denn auch der Inbegriff des Wunders, 193 das sich in Jesu Liebe vollende und ihn so zum »Wunder schlechthin« mache. 194 (3) Um ›wahr‹ zu sein, müsse die intersubjektive Anerkennung sich freilich in konkreten Akten vollziehen, die sie kraft ihrer materiellen Ausdehnung symbolisch vermittelten. Pröpper setzt hier die krings(wie Pröpper und Verweyen) transzendentalgenetischen Priorität des Begriffs der Intersubjektivität bzw. des Freiheitskommerziums, was jedoch in Spannung zu seinem ansonst streng autonomen Ansatz bei der logischen Selbstursprünglichkeit des Subjekts steht. 190 Vgl. EF 187. Es überrascht, dass Pröpper nirgends eine formale Liebesdefinition liefert, ist diese doch von zentraler, systematisch vielleicht entscheidender Bedeutung sowohl im theologischen Bestimmungsgrund der Glaubenswissenschaft (sc. der Grundwahrheit, vgl. oben) als auch hinsichtlich dessen Weiterbestimmung zum philosophischen Bestimmungsgrund. Indirekte Definitionen finden sich etwa in JDP: Liebe erscheint so seitens Gottes als ›absolute Annahme‹ (vgl. JDP 112) bzw. ›absolute und bedingungsfreie (»umsonst«) Anerkennung‹ (vgl. JDP 139). Liebe zwischen Menschen bestehe darin, »sich auch gegenseitig in unbedingter Weise Grund und Ziel ihrer Freiheit zu sein« (JDP 141). In EF erklärt er die Liebe – ebenfalls ohne formale Definition – zum Inbegriff aller Aspekte der christlichen Heilsvorstellung, vgl. EF 255. 191 Vgl. ebd., 188. 192 EFV 29. 193 Vgl. ebd., 237: »Wunder im engeren Sinn […] sind Ereignisse, die dem Menschen Liebe als absoluten Sinn seines Seins offenbaren. Nur eine andere Freiheit, die sich selber zur Liebe bestimmt, kann einem Menschen den Sinn bieten, der seiner eigenen Freiheit in ihrer formellen Absolutheit entspricht und ihr Halt gibt«. 194 Ebd., 242. A
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sche Systemkategorie bzw. deren ›transzendentalhistorische‹ Fortbestimmung bei Baumgartner und dem eigenen Schüler Essen voraus, ohne explizit auf sie einzugehen. 195 Er begnügt sich mit der Symbolstruktur menschlicher Freiheitsakte: Die »symbolische Dignität« konkreten menschlichen Handelns führe aber zu der zweiten Bedingtheit und damit auch schon zum Grunddilemma menschlicher Freiheit, das diese zunächst geradezu als aporetisch erscheinen lasse. 196 Nach Pröppers bereits in JDP 197 angedeuteten und in seinen Thesen zum Wunderverständnis 198 weiterentwickelten Symboltheorie eignet menschlichem Handeln gerade in seiner Symbolstruktur (und damit potentiellen Medialität für die gesuchte unbedingte Anerkennung) der Charakter der Zweideutigkeit und Ambivalenz, genauso wie auch eine wesentliche Vorläufigkeit. Symbole realisierten als Realsymbole (die Pröpper natürlich vornehmlich interessieren) zwar, was sie verwirklichten, aber nur anfanghaft oder vorläufig – eben symbolisch –, und d. h. notwendigerweise auch uneindeutig und interpretationsbedürftig. So stünde selbst das ›Wunder schlechthin‹ des Lebens und Handelns Jesu (s. o.) unter einer fundamentalen, durch sein Scheitern noch verstärkten »Fraglichkeit«. 199 Das Dilemma der Freiheit sei also, dass sie zu ihrer eigenen Verwirklichung auf eine vollkommene, eben material-unbedingte Umsetzung der universalen wechselseitigen Anerkennung menschlicher Freiheiten als notwendiges Desiderat aus der eigenen formalen Unbedingtheit angelegt sei, ohne diese selbst erreichen zu können. Sie müsse zur ei195 Krings’ Aufsatzband ist ja der Dialektik von System (!) und Freiheit gewidmet, wobei das System eben als die realgeschichtliche Auswirkung, als das durch Freiheit geschichtlich Gesetzte, gleichzeitig aber auch seinerseits als Bedingung der Freiheit erscheint, so dass beide in notwendiger Zirkularität stehen. H. M. Baumgartner greift diese Gedanken auf und bestimmt sie fort zu seiner »transzendentalen Historik«, die Geschichte als »Freiheitsgeschehen«, freilich aber nicht als reines »Geschehen der Freiheit« im spekulativen Sinne zu deuten unternimmt (vgl. etwa Baumgartner, Freiheit als Prinzip der Geschichte, hier v. a. 314–321). G. Essen versucht diese Einsichten in seiner Dissertation Historische Vernunft und Auferweckung Jesu für die historische Reflexion der Theologie fruchtbar zu machen und das historische Ostergeschehen in einer gemischten transzendentalen Methode aus kringsscher Freiheitsanalyse, der transzendentalphilosophisch artikulierenden ›Offenbarungstheologie‹ Pröppers und eben Baumgartners Transzendentalhistorik zu deuten, vgl. etwa ebd., 410. Vgl. auch ders., »Letztgültigkeit in geschichtlicher Kontingenz«. 196 Vgl. EF 188 f. 197 Vgl. JDP 110–125, hier v. a. 115–120. 198 Vgl. v. a. EFV 234–244 (Abschnitt III). 199 Ebd., 242.
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genen Konstitution notwendig anerkennend handeln und dabei in Gestalt der Vollendung dieser Anerkennung mehr voraussetzen, als sie selbst zu leisten imstande wäre. Dieses Grundparadox menschlicher Freiheit könnte nun in der Tat als Aporie betrachtet werden (die Option ›Ivan Karamassows‹, vgl. 5.2) oder aber postulatorisch gelöst werden. Die zweite Möglichkeit (als Option Guardinis) ist nun der Ausgangspunkt der philosophischen Gotteslehre Pröppers.
5.5 Philosophische Gottesvorstellung: Gott als vollkommene und befreiende Freiheit »Es ist die Stelle erreicht, an der sich die Ansprechbarkeit der menschlichen Freiheit für einen Gott zeigt, von dem sie sich wie Freiheit von anderer Freiheit unterscheidet und über dessen Wirklichkeit sie im Denken nicht mehr verfügt«. 200
Auf Basis des eben geschilderten – transzendentalreduktiv und somit philosophisch autonom erhobenen – Dilemmas menschlicher Freiheit entfaltet Pröpper nun seine transzendentale Deduktion, die den christlich behaupteten freien und transzendenten Gott – post factum revelationis – als Denkmöglichkeit erweist (Möglichkeitsaufweis), zusammen mit den weiteren Bestimmungen des geoffenbarten christlichen Glaubens als postulatorische Lösung der immanenten Aporie der Freiheit fortbestimmt und somit gleichzeitig als höchst bedeutsam erweist (Relevanzaufweis). Pröpper folgt hierin wiederum Krings, der lapidar konstatiert, dass »[e]ine transzendentale Analytik der Freiheit [dazu führt; M. L.], einen Begriff von Gott zu denken«, 201 und dies in dem bezeichnend als »Versuch Gott zu denken« untertitulierten Aufsatz zu entfalten sucht.202 Die Darstellung der philosophischen Gotteslehre Pröppers und ihrer vielfältigen Konsequenzen wird hier vierfach unterteilt: Zunächst wird der reine Möglichkeitserweis des geglaubten Gottes beschrieben (1), dem zweitens eine kausalitätsorientierte Lesart in Anlehnung an Schleiermacher folgt (2). Drittens wird die philosophisch nachvollzieh-, aber ebenfalls nicht beweisbare und unbedingt für die Freiheitsverwirklichung bedeutsame Signifikation der göttlichen Selbstoffenbarung 200 201 202
EF 190. Krings, System und Freiheit, 171. Vgl. Krings, Freiheit. Ein Versuch Gott zu denken. A
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im Gesamtgeschehen des ›Lebens und Geschicks‹ 203 Jesu Christi (und in ihrer bleibenden geistgewirkten Gegenwart und Vermittlung!) zu betrachten sein (3). Viertens und letztens sollen dann noch die von Pröpper hervorgehobenen Erträge des eigenen religionsphilosophischen Ansatzes betrachtet werden, um dessen Darstellung zu vervollständigen (4). (1) Pröpper entwickelt seinen freiheitstheoretischen Gottesbegriff im fünften 204 bzw. sechsten Schritt 205 seiner Argumentation (s. o.). Das Dilemma menschlicher Freiheit, sich als formal-unbedingte nur vermittels bedingter Gehalte realisieren bzw. die vom eigenen Wesen her auferlegte Anerkennung des unbedingten Seinsollens des Anderen nur symbolisch-bedingt umsetzen zu können, führe die Vernunft zum »Gedanke[n] Gottes«: Das Dilemma wäre nämlich nur dann lösbar und Freiheit als ganze somit wirklich sinnkonsistent denkbar, wenn eine vollkommene Freiheit existierte, die sowohl formal als auch material unbedingt sei. So ergibt sich der pröppersche Gottesbegriff konsequent als »Idee einer allen Gehalt und sich selbst unbedingt eröffnenden Freiheit, d. h. einer Freiheit, die als Einheit von unbedingtem Sichöffnen und unvermittelter Fülle des Inhalts nicht nur formal, sondern auch material unbedingt wäre und insofern vollkommen genannt werden könnte«. 206 Erst die Existenz einer solchen Freiheit würde die für eine unbedingte Anerkennung erforderliche vollkommene Offenheit ermöglichen und den Sinn dieses stets nur angestrebten Verhältnisses der Liebe gewährleisten und verwirklichen. Diese Idee sei zwar lediglich transzendental – berge also keine Wirklichkeits-, sondern bloß eine Möglichkeitsaussage –, könne aber als notwendiges Postulat zur Wahrung der Vernunftkonsistenz angesichts des beschriebenen Dilemmas betrachtet werden. Gott erscheint hier zunächst eben nur ›minimalbestimmt‹ als vollkommene Freiheit, die sich von menschlicher Freiheit »wie Freiheit von anderer Freiheit« unterscheide und als vollkommen freie keinen naturnotwendigen Nexus zur Schöpfung aufweise. Diese Gottesidee sei die Vgl. oben Anm. 114. Vgl. EF 190 f. 205 Vgl. EFV 30. 206 EF 190. M. Striet übernimmt diesen Gottesbegriff in Offenbares Geheimnis, 247, als »die philosophisch erreichte Minimalbestimmung des möglichen Gottes als die von Welt und Mensch unterschiedene freie Wirklichkeit«; vgl. auch Bongardt, Der Widerstand der Freiheit, 102 f.; Essen, Die Freiheit Jesu, 251. 203 204
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»Stelle«, an welcher der Mensch für eine mögliche Offenbarung Gottes ansprechbar sei, so dass, wenn sich Gott in Jesus als Liebe mitgeteilt habe – wie die Grundwahrheit des Glaubens ja behauptet –, dies der Vernunft nicht nur grundsätzlich denkmöglich sei, sondern ihr zuallererst ein letztlich konsistentes Denken ihrer selbst erlaube. 207 »In der Idee Gottes wird also die Wirklichkeit gedacht, die sich menschliche Freiheit voraussetzen muß [!], wenn das unbedingte Seinsollen, das sie im Entschluß zu sich selbst und anderer Freiheit intendiert, als begründbar und somit möglich gedacht werden soll […]. Entweder ist das absoluten Sinn für die menschliche Freiheit Verbürgende selbst Freiheit (und zwar absolute, aller Wirklichkeit mächtige und zur Liebe entschlossene Freiheit) oder es ist kein letzter, der Freiheit gemäßer Sinn und ihr Dasein absurd«. 208 Ungeachtet der Kontingenz und Unersetzbarkeit der Entscheidung für oder wider diesen Gottesgedanken und damit auch für oder wider die Konsistenz der eigenen Vernunft, sei er aber jedenfalls als denkmöglich erweisbar. Dieser Erweis komme ganz ohne die metaphysische »Extrapolation« ontologischer Begriffe aus, sondern bediene sich allein der Begriffe »Offenbarung und freie Mitteilung [und Freiheit überhaupt, wie wohl ergänzt werden darf; M. L.] als primäre[r] Prädikate für den Gottesbegriff«. 209 Die genannte »primäre« Prädizierbarkeit der genannten Begriffe auf Gott muss wohl als univok verstanden werden (vgl. 5.3). (2) Ergänzt wird dieser eher finalitätsorientierte pröppersche Gottesbegriff an anderer Stelle 210 und in einer an Schleiermachers Der christliche Glaube angelehnten Argumentation um eine kausale ›Lesart‹ : Das Dilemma wirklicher Freiheit bzw. die »abgründige Faktizität der Vernunft« 211 könne auch als Synthese von Selbständigkeit und Abhängigkeit resp. »Selbsttätigkeit und Empfänglichkeit« verAlle Zitate aus EF 190 f. EFV 18. Auch H. Krings bezeichnet die Idee Gottes als vollkommener Freiheit als Notwendigkeit des (praktischen, nicht aber theoretischen!) Denkens vgl. System und Freiheit, 177 f. 209 EF 191. Vgl. Krings, System und Freiheit, 176. 210 Vgl. hierzu Pröppers Aufsätze Schleiermachers Bestimmung des Christentums und der Erlösung (v. a. EFV 146–152) und Zur theoretischen Verantwortung der Rede von Gott, (v. a. EFV 88–92). Die Texte stammen von 1988 und 2001, sind also nicht als ›frühere‹ Position abzutun. 211 EFV 147. 207 208
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standen werden. Da diese paradoxe »Funktionseinheit« sich nun aber zweitens weder auf die Welt noch auf den Menschen selbst zurückführen lasse, könne drittens Gott als ihr Urheber postuliert werden. 212 Dieser dürfe freilich nicht mit Schleiermachers ›schlechthinnigem Abhängigkeitsgefühl‹ unmittelbar-intuitiv evident sein, sondern könne wiederum nur den Status eines transzendentalphilosophischen Postulats einnehmen. Der große protestantische Theologe missachte aber die formale Unbedingtheit menschlicher Freiheit, indem er sie als Zusammenfall und »Gleichsetzung von Kontingenz- und Gottesbewußtsein« beschreibe, 213 was letzten Endes die Auflösung seiner Theologie in die Anthropologie bedinge (vgl. oben 5.1). Der geschilderte kausale Argumentationsgang steht trotz mancher Nähe dennoch etwas in Spannung mit dem eigentlichen pröpperschen Ansatz, der ja eher final und deduktiv argumentiert und ontologische Kausalitätserwägungen ablehnt. Im Aufsatz Zur theoretischen Verantwortung der Rede von Gott nimmt er überraschenderweise die Stelle des Möglichkeitsaufweises des Glaubens ein, den Pröpper sonst ja für seine obige freiheitstheoretische Deduktion (vgl. Abschnitt 1) beansprucht. Auch spricht er hier von »drei Grundtypen des neuzeitlichen Gott-Denkens«, den anselmisch inspirierten (›das ontologische Argument‹), den cartesianischen und eben den schleiermacherschen.214 In dieser Frage besteht wohl Klärungsbedarf, kann Pröppers transzendentaler Ansatz doch weder mit dieser kausalitätslogischen Argumentation noch mit einem der beiden anderen Typen identifiziert werden. (3) Die absolute Relevanz der göttlichen Selbstoffenbarung als Liebe wie ihrer bleibenden Gegenwart in der Welt durch das Wirken des Heiligen Geistes und die von ihm ermöglichte christlich-kirchliche Praxis könne nun philosophisch nachvollzogen werden als Befreiung der menschlichen Freiheit zur ›christlichen‹, d. h. wahren Freiheit, wie Pröpper in seinem letzten Argumentationsschritt er-
Vgl. ebd., 89. EFV 148. 214 Vgl. ebd., 82–92 (Abschnitt 3). Pröpper ordnet Verweyen zusammen mit Rahner und Pannenberg hier erneut dem cartesianischen Modell zu, das den notwendigen Gottesschluss nicht mehr aus dem Inhalt der Gottesidee ziehe (wie noch das ›ontologische Argument‹ Anselms), sondern aus ihrem bloßen Vorhandensein im menschlichen Geist: vgl. ebd., 86–88. 212 213
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klärt. 215 Das Gesamtgeschick Jesu werde von seinem Abschluss, der Auferweckung, her sichtbar als endgültige, formal wie material vollkommene Verwirklichung der Freiheit bzw. Liebe, so dass von hier aus die Konsistenz und Sinnhaftigkeit der eigenen Freiheit als gewährleistet erachtet bzw. erhofft werden dürfe. Pröpper beschreibt diese Erfahrung andernorts mit Gotthard Fuchs als »kategorischen Indikativ« der göttlichen Zuwendung, 216 der jedem rational verantwortbaren Imperativ vorauszugehen habe. Zugleich mit dieser Retrospektion berge die Grundwahrheit des Glaubens aber auch – angesichts der Differenz zwischen ihrer Endgültigkeit und Vollendung (s. o.) – die prospektive Zuversicht einer zukünftigen Vollendung der Liebe. So ermögliche der Glaube es den Menschen, auf das göttliche Unterfangensein des eigenen Anerkennungshandelns setzen und so angstfrei und »von ihrem intendierten, aber unverfügbaren Ziel« herkommend ›anfangen‹ zu können mit der Realisierung der Liebe als ihres eigenen Wesensgesetzes. 217 Erst hier finde das Vertrauen auf die Verwirklichung des Selbst-nicht-mehr-zu-gewährleistenden, das jeder menschliche Anerkennungsakt – gemäß dem vielzitierten MarcelWort ›Tu ne mourras pas‹ 218 – impliziere, seinen letzten Grund. Eine solche, ganz aus der göttlichen Liebeszuwendung in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft agierende Freiheit könne nun »soteriologisch[]« als »christliche Freiheit« bestimmt werden: »Sie ist eben die durch Gottes geschichtliche Selbstbestimmung für die Menschen zuvorkommend bestimmte und aus ihr kraft des Geistes sich selbst bestimmende menschlich-geschöpfliche Freiheit, die zugleich Verheißung ihrer Treue, Vergebung der Sünde und Befreiung aus der Sündenmacht ist«. 219 Pröpper betont wiederum, dass hiermit keinerlei ontologische Aussage über die Wirklichkeit der Offenbarung gemacht, sondern lediglich, wie er etwas sperrig formuliert, »ihre BeDer sechste in EF (vgl. ebd., 191–194) bzw. der siebente in EFV (vgl. ebd., 31). Vgl. EF 202. G. Fuchs entwickelt den Gedanken des stets apriorischen »kategorischen Indikativs« des göttlichen Heilshandelns in seinem Aufsatz Glaubenserfahrung – Theologie – Religionsunterricht, vgl. v. a. 197–204. 217 Vgl. EF 193. 218 Pröpper zitiert dieses Wort häufig nach der deutschen Übersetzung (vgl. Marcel, Das ontologische Geheimnis, 79: »›Einen Menschen lieben‹, so sagt eine Gestalt meiner Stücke, ›heißt: du aber wirst nicht sterben‹«.) und verweist in diesem Zusammenhang (vgl. EF 192) auch auf H. Peukerts Gedanken der anamnetischen Solidarität als retentionalanamnetische Fortentwicklung, vgl. hierzu Peukert, Wissenschaftstheorie – Handlungstheorie – Fundamentale Theologie, v. a. 273–282.301 f. 219 EFV 21. 215 216
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deutung für eine Möglichkeit, Mensch zu sein, dargelegt« sei. 220 Im Fall der geschichtlichen Offenbarung scheint also – die sehr vorsichtige Formulierung zeugt davon – anders als im Fall des Möglichkeitsaufweises des Gottesbegriffs nicht unbedingt eine Denknotwendigkeit vorzuliegen. Dennoch unterstreicht Pröpper, dass es auch hinsichtlich der göttlichen Selbstmitteilung in Offenbarung und geistgeprägter kirchlicher Gegenwart entscheidend sei, ob der Mensch diese (wie den Gottesbegriff überhaupt) als solche anzuerkennen bereit ist, da ihm erst dadurch ein wirklich verantworteter und konsistenter Sinnvollzug möglich würde: »Ob die genannte Voraussetzung [sc. die Annahme der Sinnkonsistenz der freien Vernunft und der Wirklichkeit; M. L.] gemacht werden kann«, was ja nur vermittels des Gottesbegriffs und seiner philosophisch nachvollzogenen Fortbestimmung durch die Offenbarung möglich sei, »ist nämlich […] ein durchaus schon jetzt virulentes Problem«. 221 (4) Abschließend ist hier noch kurz auf die Erträge dieser transzendental ausgerichteten Religionsphilosophie einzugehen, die Pröpper selbst hervorhebt. Hierzu werden die beiden entsprechenden Listen herangezogen, die er in den Aufsätzen Freiheit als philosophisches Prinzip theologischer Hermeneutik und Sollensevidenz, Sinnvollzug und Offenbarung vorlegt. 222 Pröpper zählt insgesamt sechs verschiedene durch seine Religionsphilosophie eröffnete Vorteile bzw. Möglichkeiten auf. 223 An erster Stelle sei die transzendentalphilosophische Reformulierung der als Synthesis von Bedingtheit und Unbedingtheit bzw. »Spontaneität und Angewiesenheit auf Gegebenes« beschriebenen Ambivalenz endlicher Freiheit zu nennen, die bereits zur »Minimalbestimmung« einer alles begründenden Transzendenz gelange. 224 Jene Transzendenz könne weiterhin als Freiheit gedacht EF 193. EVF 31. 222 Vgl. EFV 17–21.202. Der letztgenannte, zweite ›Verweyenaufsatz‹ Pröppers bietet eine Dreierliste (vgl. EFV 202), deren Argumente sich weitgehend mit den Argumenten zwei bis vier der längeren Liste in dem Freiheitsaufsatz decken. Ein besonderer Schwerpunkt in Sollensevidenz, Sinnvollzug und Offenbarung liegt dabei auf dem Hinweis, dass erst der eigene Ansatz eine wahrhaft autonome Grundlegung der Ethik ermögliche. Dies liegt wohl in Pröppers Verweyenkritik begründet, da er diesem ja gerade vorwirft, eine bloß zirkuläre und vom gelungenen Sinnaufweis abhängige Ethikbegründung zu bieten, vgl. ebd., 199 f. 223 Alle Zitate im folgenden Abschnitt stammen aus EFV 17–21. 224 Vgl. hierzu auch ebd., 298. 220 221
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werden, da dies dem eigenen Kontingenzbewusstsein entspräche. Pröpper glaubt so philosophisch autonom die Möglichkeit eines Schöpfungsvorverständnisses eröffnet zu haben, ohne die Freiheit wie Pannenberg und Rahner bereits von ihrem Ziel her erklären zu müssen. Zweitens sei nun in Gestalt des Gedankens der vollkommenen Freiheit eine autonom erhobene und doch tragfähige Gottesidee ermöglicht, der bei behaupteter Vernunftkonsistenz gar notwendiger Charakter zukäme. Dank dieser autonomen Denkbarkeit Gottes wahre der eigene Ansatz drittens die menschliche Freiheit auch angesichts des Offenbarungs- und Gnadengeschehens und vermöge somit auch das Axiom ihrer unbedingten Achtung durch Gott zu integrieren. Viertens erlaube der Ansatz eine wirkliche Wertschätzung der menschlichen Autonomie auch in ethischen Fragen, wobei die Möglichkeit einer ›Finalisierung‹ der Autonomie hin zur Theonomie freilich offen bleibe. Der fünfte Vorzug sei in der »Leistung« der Freiheitsanalyse für die philosophische Rechenschaft von Glauben und Offenbarung zu sehen, die nunmehr in Inhalt und Form einheitlich als ›Liebe‹ gedacht werden könnten. Weiterhin sei die intersubjektive Konstitution wirklicher Freiheit mittels der Symbolkategorie denk- und durch den Gedanken der »christliche[n] Liebe« theologisch erhellbar. Sechstens und letztens böte der eigene Ansatz schließlich durch die (Symbol-) »Theorie gläubiger Praxis« als »darstellenden Handelns« ein neues Denkmodell für kirchliche Tradition und Glaubensüberlieferung (vgl. hierzu auch 5.1).
5.6 Kurzzusammenfassung Pröppers Denkansatz konnte als von einer grundlegenden Bipolarität gekennzeichnet erwiesen werden, oszilliert er doch in je unterschiedlicher Gewichtung zwischen den Polen Freiheit und (christlichem) Glauben, zeigt zunächst die – aus Glaubensperspektive – ambivalente Geschichte von Theorie und Praxis der Freiheit mit ihren Errungenschaften wie Fehlentwicklungen auf und gelangt dann über die Feststellung der historisch-kontingenten Berührung beider Größen zum Gedanken ihrer notwendig-intrinsischen Dialektik und reziproken Verwiesenheit bzw. ›Ellipse‹. Der christliche Glaube, so zeigt Pröpper vermittels dessen ›Grundwahrheit‹, ist aufgrund seines essentiellen Nexus mit dem Konzept ›Liebe‹ analytisch aus sich selbst heraus und um den Preis der eigenen Konsistenz auf die FreiA
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heit aller Beteiligten angewiesen, so dass dieser ein ebenbürtiger Rang neben der Glaubenswahrheit eingeräumt werden muss. Die Freiheit ist aber vornehmlich Thema der Philosophie, die in der Neuzeit in Gestalt der formalen Unbedingtheit menschlicher Freiheit eine unhintergehbare Einsicht liefert, welche es erlaubt, die solcherart verstandene Freiheit zum zweiten, genuin philosophischen Prinzip zunächst der Dogmatik (als Pröppers eigener Disziplin), dann aber auch der Theologie als Reflexion auf den christlichen Glauben als ganzer zu erheben. So ist im Rahmen der Beschreibung des Denkansatzes auch die Auswirkung dieser Verdoppelung der formalprinzipiellen Bestimmung der Theologie auf die Dogmatik dargestellt worden, wie sie sich in Pröppers und seiner Schüler Beiträgen zu nahezu allen dogmatischen Traktaten zeigt. Hier sei vor allem auf die Abwendung von ontologischen Kategorien zugunsten einer strikt freiheitstheoretischen Neuformulierung der Soteriologie (vgl. v. a. Pröppers Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte), Schöpfungslehre (vgl. v. a. Striets Offenbares Geheimnis) und Christologie (vgl. v. a. Georg Essens Die Freiheit Jesu) verwiesen, deren teilweise sehr weitreichende Konsequenzen oben nur angerissen werden konnten. Neben dieser (nunmehr doppelt kriteriell bestimmten) genuin theologischen, inneren Hermeneutik des Glaubens stellen sich der Dogmatik laut Pröpper in Gestalt des Möglichkeits- und Relevanzaufweises zusätzlich zwei dezidiert philosophische Aufgaben, die er mit seinem religionsphilosophischen Modell zu erfüllen sucht, das wesentlich auf der transzendentalphilosophischen Freiheitsanalyse beruht. Pröppers (im weiten Verständnis der vorliegenden Arbeit) ontologische Position besteht im Wesentlichen aus seiner fundamentalen Option für die Transzendentalphilosophie und innerhalb dieser für das Letztbegründungsparadigma, das oben als komplexes Gefüge zweier postulatorischer Grundvoraussetzungen und zweier notwendiger Folgerungen beschrieben worden ist. An Stelle der (aufgrund ihrer vermeintlich sächlich-statischen Verengung und daraus folgenden onto-theologischen Verobjektivierung Gottes abzulehnenden) klassischen Ontologie setzt er einen betont ›kritischen‹ und ›bescheidenen‹ transzendentalphilosophischen Weltzugang, der zunächst bloß die (letztlich cartesianische) Selbstgewissheit der Vernunft als Bewusstsein der formalen Unbedingtheit der eigenen Freiheit voraussetzt (1. Postulat) sowie die Überzeugung, dass die umgebende Welt dieser vernünftigen Struktur völlig entsprechen 284
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muss, um beide konsistent miteinander vereinbaren zu können und vor der Absurdität zu bewahren (2. Postulat). Diese Voraussetzungen – hierin liegt die transzendentalphilosophische ›Bescheidenheit‹ – werden als Postulate und damit als unbeweisbar angesehen, implizit und performativ aber wohl doch als selbstevident, da ihre Leugnung der (selbstwidersprüchlichen) Vernunftoption für die Absurdität gleichkäme. Auf Basis dieser Postulate sind dann zwei Folgerungen möglich: Erstens eine mit der Annahme der Vernunftkommensurabilität des Wirklichen anzunehmende, apriorische und grundsätzliche begriffliche Einholbarkeit aller faktischen oder möglichen Wirklichkeit durch die Vernunft (1. Folgerung) sowie zweitens die Einsicht in durch die Postulate bedingte, absolute Notwendigkeiten des Wirklichen (2. Folgerung). Allerdings hat sich im Laufe der Untersuchung gezeigt, dass Pröpper nur eine solche Notwendigkeit einzuräumen bereit ist, nämlich die Gottesidee (s. u.). Innerhalb des pröpperschen Werkes konnte in Gestalt seiner Überlegungen zur Denkformanalyse eine gewissenhafte erkenntnistheoretische Position ausgemacht werden. Er beschreibt den hermeneutischen Zirkel zwischen Vorverständnis resp. Zugangsweise des Erkenntnissubjekts und gegenständlicher Wirklichkeit des Erkenntnisobjekts als Zusammenhang von ›Denkform‹ und ›Gegebenem‹ und macht deutlich, dass kein Objekt neutral erkannt werde, sondern stets schon überformt durch die Denkform, die somit auch inhaltliche Implikate enthält bzw. bedingt. Pröpper stellt diese Überlegungen im Kontext seines Plädoyers für die nachhaltige Einführung des Freiheitsprinzips in die theologische Wissenschaft an, deren Gegenstand (vgl. die ›Grundwahrheit‹ des Glaubens) eben nur eine freiheitstheoretische Denkform angemessen sei. Es sind ferner Ansätze einer Begriffstheorie bei ihm zu erkennen, die um des (viergliedrigen) Letztbegründungsanspruchs und um der (formalen) Unbedingtheit menschlicher Freiheit willen eine univoke Ausrichtung aller Begriffe fordert, wodurch eine eindeutige Verwendung des Freiheitsprädikats in der praedicatio in divinis möglich wird. Den Kern der pröpperschen Religionsphilosophie bildet seine in enger Anlehnung an die Philosophie Hermann Krings’ entwickelte freiheitstheoretische Position, die als transzendentale Freiheitsanalyse bezeichnet werden kann und wie angeführt von dem Postulat der Unbedingtheit menschlicher Freiheit ausgeht, das sich retorsiv, ethisch und pragmatisch auf-, allerdings nicht beweisen lasse. Auf dem Weg von der viergliedrigen Bestimmung des Wesens der FreiA
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heit aus gelangt Pröpper über die allen Definitionen der Freiheit eignende Objektbeziehung zur Annahme einer materialen Bedingtheit der Freiheit aufgrund ihrer Abhängigkeit von einem Gehalt ihres Sichöffnens, ihrer Selbstbestimmung etc. Demzufolge könne endliche Freiheit nur als formal unbedingt, müsse aber gleichzeitig als material bedingt durch ihren Gehalt betrachtet werden; die wirkliche Freiheit sei also ein Kompositum aus Bedingtem und Unbedingtem. Auch die Genese solch realer Freiheit erweist sich dabei als paradox, da formal-unbedingte Freiheit und materialer Gehalt sich wechselseitig erst ermöglichen. Aufgrund dieser paradoxen Struktur der realen Freiheit in ursprünglicher wie faktischer Konstitution auf der einen und ihres Charakters als Selbstbestimmung auf der anderen Seite ergebe sich nun das Streben der Freiheit nach einem ihr adäquaten Gehalt. Da sich die Freiheit aber ihrer formalen Unbedingtheit bewusst sei, könne nur Unbedingtes einen ihr angemessenen Gehalt darstellen, weshalb sie immer schon auf andere Freiheit als Zielpunkt der Selbstbestimmung hin angelegt sei; die Selbstverwirklichung der Freiheit vollziehe sich als unbedingte Anerkennung der anderen Freiheiten. Allerdings steckt Pröpper die Grenzen dieser für die Freiheit essentiellen Anerkennungspraxis sehr eng ab, sie bleibe stets vielfältig bedingt, weil die menschliche Praxis laut seiner Handlungstheorie wesentlich symbolisch ist und somit uneindeutig und ambivalent bleibt. In diesem Dilemma der unbedingten Angewiesenheit menschlicher Freiheit auf etwas von ihr selbst nicht mehr zu Realisierendes (die unbedingte Anerkennung aller Freiheiten) sieht Pröpper nun den eigentlichen Ort der Gottesfrage zwischen den Optionen ›Ivan Karamassows‹ als Verzicht auf die Lösung des Dilemmas und Selbstaufgabe in die letzte Absurdität hinein und jener Guardinis, der gerade hier die Hoffnung auf Gott situiere. Die ›Option Guardinis‹ ist natürlich bereits jene der philosophischen Gotteslehre Pröppers, der zufolge das beschriebene Grunddilemma endlicher Freiheit nur durch die um der Vernünftigkeit der Welt willen notwendige Annahme der Existenz einer formal und material unbedingten Freiheit gelöst werden kann. Mit diesem Gottesbegriff, dem er andernorts eine traditionellere kausale Argumentation hinzufügt, glaubt Pröpper, die Möglichkeit und absolute Relevanz des christlichen Glaubens philosophisch erschlossen zu haben und die göttliche Selbstgegenwart in Offenbarung und Kirche ›vernünftig‹ nachvollziehen zu können. 286
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Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung
5.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Gibt es die christliche Denkform? »Denn es ging mir gewiß nicht um theologische Konsequenzmacherei und erst recht nicht um so etwas wie eine Anstiftung zur Selbstbespiegelung unserer gottebenbildlich erschaffenen Freiheit – es ging allein um das kohärente Verstehen und die Rechenschaft des Glaubens«. 225
Zur philosophischen Würdigung des pröpperschen Denkens ist eingangs sicherlich die Einheitlichkeit und – im positiven Sinne – Einfachheit seiner Philosophie hervorzuheben, die sich ganz auf ihr zentrales Sujet, die Unbedingtheit menschlicher Freiheit und deren Analyse konzentriert und das ›hochvermittelte‹ (s. o.) kringssche Freiheitsdenken vereinfacht. Dabei fungiert die Freiheit auch als methodisches Formalprinzip der Philosophie, als orientierende Mitte und Gültigkeitskriterium der philosophischen Argumentation. Diese thematische wie methodische Konzentration und Stringenz stellen ein deutliches Indiz der begründungstheoretischen Gewissenhaftigkeit Pröppers dar, nicht allein hinsichtlich seiner Theologie, sondern auch seiner philosophischen Ausführungen: Er strebt – trotz seiner kritisch-nüchternen Analyse der menschlichen Erkenntnisgrenzen – nach Letztbegründung, nach unhintergehbaren Einsichten. Hierbei scheut er sich nicht, gegen den wenigstens in weiten Teilen relativistischen philosophischen Zeitgeist anzugehen. Er tritt ein für die Einheitlichkeit und Konsistenz menschlicher Vernunft und versucht, deren Leugner des performativen Selbstwiderspruchs zu überführen. Mit diesem Kampf um die Vernunft verbindet er sein zentrales Plädoyer für die – wenigstens transzendentallogische – Unhintergehbarkeit der formalen Freiheit des Menschen. Pröpper stellt sich so gegen jeglichen modernen wie postmodernen Positivismus und tritt für die besondere Stellung und Würde des Menschen ein. Seine Philosophie ist, um diesen Gedanken zu vertiefen, eine engagierte Philosophie, die zur Humanisierung der ›Freiheitsgeschichte‹ beitragen und die befreiende Dimension des Christentums aufzeigen möchte – nicht allein innerkirchlich bzw. für den Bereich der christlichen Glaubenspraxis, sondern über diesen hinaus für alle Menschen, weil alle auf diese Befreiung wesentlich hingeordnet seien. Doch vielleicht liegt in diesem Befreiungsanspruch, der sich auch auf die Irrwege der Frei225
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heitsgeschichte in der Philosophie erstreckt, schon der Kern der folgenden philosophischen Anfragen, die sich zusammenfassen lassen in der Frage, ob der von Pröpper geforderte und praktizierte Exklusivismus der transzendentalphilosophischen Freiheitsphilosophie nicht selbst in der Gefahr steht, zu einer Hegemonie, sozusagen zum ›Diktat des Freiheitsdenkens‹ zu verkommen, und ob nicht auch diese Denkform in praxi die Wirklichkeitswahrnehmung einschränkt und unnötig begrenzt. (1) Sind Pröppers implizite ontologische Voraussetzungen – also nicht allein die transzendentalphilosophischen Postulate als solche, sondern auch ihre als denknotwendig erachteten Folgerungen – einerseits ausreichend als solche bewusst und andererseits ›letztbegründet‹ und unhinterfragbar? 226 (2) Geht der Anspruch der pröpperschen wie anderer Transzendentalphilosophie nicht zu weit, den ›vernünftigen‹ Möglichkeitsrahmen der Wirklichkeit – bei Voraussetzung der Sinnkonsistenz der menschlichen Vernunft und der Wirklichkeit – notwendig abstecken zu kön226 Natürlich ist hervorzuheben, dass Pröpper sein grundlegendes Postulat der Unbedingtheit menschlicher Freiheit und der Einheit der Vernunft durchaus als solches deklariert und diese trotz der vielfältigen für sie sprechenden Argumente als unbeweisbar erklärt. Schwieriger wird es dann allerdings hinsichtlich der als zweites Grundpostulat des von Pröpper verwendeten Paradigmas von Transzendentalphilosophie bezeichneten exklusiven Alternative zwischen Tragik und völliger Vernunftkommensurabilität der Wirklichkeit: Wird hier erstens nicht subkutan (!) doch immer schon mit Guardini für die Vernünftigkeit der Welt optiert, die Welt also als Gottes ›vernünftige‹ Schöpfung geglaubt? Sind hier also womöglich doch uneingestandene christliche Grundentscheide wirksam? Und ist zweitens eine Vernünftigkeit der Welt undenkbar, die tiefer und weiter reicht als jene des Menschen und nicht schlichtweg mit ihr identisch ist? Ähnlich problematisch erscheint auch der als notwendig betrachtete Übergang zu den beiden Folgerungen: Folgt aus der Annahme der unbedingt freien und konsistenten Vernunft des Menschen und der ›Vernünftigkeit‹ der Wirklichkeit notwendig, dass die menschliche Vernunft das Kriterium schlechthin für die Wirklichkeit darstellt und sie en détail zu erkennen, begrifflich zu fassen und zu verstehen imstande ist? Die zuletzt aufgeworfenen und ähnliche Anfragen (auch im Folgenden) lassen sich vielleicht nicht letztlich beantworten, allein lassen sie sich auch nicht durch den bloßen Verweis auf die transzendentalphilosophische Bescheidenheit abtun. Kl. Obenauer macht (mit Verweis auf DH 3017) zu Recht darauf aufmerksam, »daß das vernunftautonom nicht Erreichbare bzw. nicht in der Weise evidenter Einsicht Nachvollziehbare mitnichten deckungsgleich ist mit dem Vernunft-Widrigen« (Rückgang auf die Evidenz, 315 f.). Vgl. hierzu auch O. J. Wiertz’ Überlegungen zum »informal reasoning« Prevosts (s. Kap. 1, Anm. 5), sowie v. Stosch, Transzendentaler Kritizismus und Wahrheitsfrage, 90 f.
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nen? Ist hier ein wahrhaft transzendenter Gott überhaupt noch denkbar, oder wird die ›Onto-Theologie‹ womöglich durch eine – freilich subtilere, letztlich aber weit anspruchsvollere – ›Dynamico-Theologie‹ ersetzt, die nicht Gottes Existenz, dafür aber schon im logischen Vorhinein seine Seinmöglichkeiten im Falle der Existenz notwendig zu beschreiben vermag? Ist die bei Pröpper als notwendig affirmierte Freiheit der göttlichen Selbstmitteilung ausreichend gewahrt, wenn die Offenbarung begrifflich vorherbestimmbar und als notwendig zur Wahrung der Vernünftigkeit der Schöpfung erkannt ist? 227 (3) Daran anknüpfend: Sind die zur einen Wirklichkeit geeinten Differenzen in Welt und Kosmos wirklich univok begrifflich fassbar und durch binäre Unterscheidungsmerkmale (wie frei-unfrei, bedingtunbedingt, formal-material) erschöpfend beschreibbar? Wird hier nicht die Vielfalt des Wirklichen (von Gott als ›alles begründender und bestimmender Wirklichkeit‹ ganz zu schweigen) unter-, die universelle kriteriologische Funktion und Kapazität der Vernunft aber überschätzt? 228 (4) Ist es legitim und auch zielführend, die transzendentale Dimension des Menschen rein transzendentallogisch und damit unabhängig von ihrer Faktizität zu betrachten und gleichzeitig zum universalen Kriterium zu erheben? Ist diese transzendentale Struktur völlig unabhängig von ihrer Genese und ihrer faktischen Einbindung in vielfältige Bedingtheiten zugänglich und kann sie angesichts dessen 227 Die häufig hervorgehobene ›Bescheidenheit‹ des an Kant und Fichte orientierten transzendental-philosophischen Denkens, das Pröpper ja selbst als ›Machterhalt durch Zuständigkeitseinschränkung‹ beschreibt (s. o.), erscheint teils doch als fraglich. Zuständig zeigt sich diese Philosophie – wenigstens ab dem Ausschluss eines unerkennbaren ›Dings an sich‹ bei Fichte – nämlich doch für die gesamte Wirklichkeit und somit auch für Gott, allerdings stets nur hinsichtlich deren Möglichkeit, nicht Wirklichkeit. Dabei avanciert die Vernunft tendenziell – bei Voraussetzung ihrer Konsistenz und der Vernünftigkeit der Welt, die oft implizit als evident erachtet und vorausgesetzt werden – zum universalen Metakriterium, das noch vor aller Wirklichkeit bereits alle Möglichkeit erfasst. 228 Diese Frage zielt – wie die übrigen auch – prospektiv auf die Ausführungen im dritten Teil der vorliegenden Arbeit ab und retrospektiv auf die nicht gänzlich unberechtigten Invektiven der französischen Phänomenologen gegen eine derartig allzuständige und ihre Gegenstände erschöpfend erfassende menschliche Vernunft, sowie gegen einen das Wirkliche in seiner Vielfalt und auch seiner Würde kommensurierenden Begriff.
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überhaupt als (formal) unbedingt betrachtet werden? Ist – überspitzt formuliert – eine völlig von der integralen Wirklichkeitsbeschreibung abgelöste Logik wirklich möglich und erkenntnisförderlich? Oder stellt sie den Versuch dar, die eigene Denkform aus dem hermeneutischen Zirkel herauszuheben? 229 (5) Ist – abgesehen von diesem in seiner Unbedingtheit sicherlich nicht unhinterfragbaren Ausgangspunkt – der weitere Verlauf der Argumentation Pröppers uneingeschränkt denknotwendig? Ist etwa der Schluss von der formal-unbedingten Freiheit auf andere Freiheit als einzig adäquaten Gehalt der Selbstbestimmung wirklich unumgänglich? Lässt sich hierin weiterhin eine unbedingt gültige, inhaltliche Ethik fundieren? Steht hier nicht doch vielleicht der – mit Verweyen von Levinas übernommene – Gedanke der phänomenalen Erfahrung des Antlitzes des Anderen als Ursprung der Ethik im Hintergrund und bildet das eigentliche, und nicht bloß das katalysatorische Schlussprinzip? Oder liegen hier unterschwellig – wie Th. P. Fößel insinuiert – uneingestandene theologische Eintragungen vor? 230 (6) Ist Pröppers Philosophie in ihrer durchgängigen und exklusiven Option für die Transzendentalphilosophie, ja mehr noch, für eine spezifische, inhaltlich, räumlich und zeitlich begrenzte Spielart der Transzendentalphilosophie, die Freiheitsanalytik, ausreichend dialogfähig und kommunikabel gegenüber anderen Philosophien, oder werden diese von vorneherein als entweder inkompatibel mit Humanismus und Christentum oder aber als inkonsistent disqualifiziert? Könnte hier nicht das Vergessen oder die Missachtung des Großteils der Philosophie (schon des Abendlands!) unterstellt werden, bzw. –
229 Ähnliche Anfragen richtet etwa auch E. Simons gegen die kringssche Freiheitsanalytik, vgl. Transzendentalphilosophie und Sprachpragmatik, 71; hier sei zunächst nur auf die Überlegungen zur analogia veritatis (Kap. 8.2) verwiesen. 230 Hier ist zu fragen, inwieweit die philosophische ›Neutralität‹ des Schlussverfahrens nicht doch in manchem bloßes Postulat bleibt und sich nicht ›heimlich‹ theorieexterne (seien es nun theologische oder andere) Schlussfolgerungen in die Argumentation einschreiben. Zu Verweyens Anfrage hinsichtlich der Notwendigkeit des pröpperschen Schlusses auf andere Freiheit als einzig adäquatem Gehalt der formal unbedingten Freiheit vgl. unten 6.5. Zu Th. P. Fößels Anfragen zur ausreichenden Unterscheidung der »Diskursebenen« von Philosophie und Theologie im pröpperschen Denken und zu seinem Verdacht einer theologischen Funktionalisierung der Transzendentalphilosophie vgl. Fößel, Freiheit als Paradigma der Theologie?, 229–234.
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mit Ratzingers spitzer Formulierung – die irrige Annahme, die Philosophie beginne erst mit Kant? 231 Theologisch ist Pröppers Religionsphilosophie im Kontext der Ausführungen von Fides et Ratio sehr zu begrüßen: Hier wird durch einen Theologen die menschliche Vernunft stark gemacht, und dies nicht in Konfrontation mit dem Glauben, sondern zu seiner besseren, zeitgemäßeren Vermittlung. Diesbezüglich ist zu würdigen, dass Pröpper das wohl in der Tat bestehende ›Schisma‹ zwischen dem praktischen wie theoretischen Selbstverständnis der Neuzeit und dem christlichen Glauben offensiv angeht. Dabei wagt er die Rezeption und Auseinandersetzung mit komplexer Philosophie, die er dennoch auf einfache Weise zu vermitteln weiß. Seine Dogmatik und die beiden zu ihr gehörigen philosophischen Aufgaben der Glaubensrechenschaft erscheinen in erfreulicher Einheitlichkeit, die beiden Prinzipien bzw. roten Fäden ›Selbstoffenbarung Gottes als Liebe‹ und ›Freiheit‹ lassen sie aus einem Guss erscheinen und erleichtern so maßgeblich die ›Hermeneutik des Glaubens‹, ungeachtet deren konstant hohen wissenschaftlichen Reflexionsniveaus. Die wichtigen Beiträge Pröppers und seiner Schüler zur Soteriologie und vielen anderen Traktaten verdanken sich maßgeblich dieser philosophisch wie theologisch stringenten Vermittlungsbemühung. Pröppers Gewissenhaftigkeit und Umsicht in der wissenschaftstheoretisch-hermeneutischen Fundierung der Theologie ist sicherlich ebenfalls eine theologisch hervorzuhebende Folge seines philosophischen Ansatzes. Jedoch mag auch hier bereits wieder der Übergang zu den nunmehr theologischen Anfragen liegen, die mit einem solch stringenten und damit gleichzeitig notwendig pauschalisierenden und vereinfachenden Ansatz gegeben sind. (1) Geht Pröppers den eigenen Aussagen nach bescheidener und lediglich auf Möglichkeiten und Minimalbestimmungen abzielender Anspruch nicht doch zu weit darin, den Möglichkeitsrahmen Gottes transzendentallogisch und damit apriorisch bestimmen zu wollen, selbst wenn diese Aktuierung der Vernunftkapazitäten sich auch erst 231 Vgl. Ratzinger, Schriftauslegung im Widerstreit, 34: Man kann »nicht auf die Einsichten der großen Glaubenden [und Denkenden, wie wohl ergänzt werden darf; M. L.] aller Zeiten verzichten und so tun, als ob die Geschichte des Denkens im Ernst erst mit Kant beginne«.
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aposteriorisch aus der sie katalysierenden Offenbarung ergeben mag? Ist Gott nicht – bei aller ›Vernünftigkeit‹ – größer als die Vernunft? 232 (2) Ist die Offenbarung Gottes wirklich frei und gratuit, wenn die Sinnkonsistenz menschlicher Vernunft und der Welt als ganzer unbedingt von ihr abhängt und – hier liegt der entscheidende Punkt – der Mensch diesen Sachverhalt sogar notwendig einzusehen vermag? 233 (3) Ist es theologisch akzeptabel, Gott auf einen – wenn auch minimalen, seinsneutralen und existenzausklammernden – Begriff zu bringen, einen Begriff der noch ursprünglicher als Gott zu sein scheint und eine Gott und Mensch zumindest logisch verbindende Quasi-Gattung schafft? Wie entgeht die begriffliche Univozität in der Gottesprädikation (›Freiheit‹, ›Selbstmitteilung‹ etc.) der Subreptionsgefahr? Bleibt noch Raum für einen je größeren Gott, wenn selbst dessen Differenz vom Geschöpf sich vermittels disjunkter Epitheta eindeutig ausexplizieren lässt? Ist diese univoke Extrapolation womöglich ungleich unbescheidener als die via eminentiae gewonnene, begrifflich uneindeutige der analogen Prädikation? 234 232 Hier geht es um die ganz elementare und ursprüngliche theologische Entscheidung zwischen – mit den ›Opponenten‹ Anselm und Thomas gesprochen – rationes necessariae oder rationes convenientiae in der philosophischen Glaubensrechenschaft, wobei in der vorliegenden Arbeit zugunsten Thomas’ plädiert wird: vgl. unten, v. a. Kap. 8.2. Wie weit die im pröpperschen Ansatz begründete notwendige Einsicht in die Seins- und Handlungsmöglichkeiten Gottes reicht, mag M. Striets Artikel Spekulative Verfremdung mit seinen unzähligen, mit »muss« oder »nur dann« eingeleiteten, apodiktischen Notwendigkeitsaussagen belegen. 233 Wenn laut Pröpper erst die Offenbarung als Selbsterweis und (in Christo) menschlich-symbolischer Vollzug einer ›vollkommenen Freiheit‹ die freie Vernunft des Menschen vor der Absurdität bewahrt, ist zu fragen, inwieweit hier nicht doch nachträglich eine Notwendigkeit in die Offenbarung eingeschrieben wird, die deren – von Pröpper doch stets vehement betontes – freies und unverfügbares Ergehen indirekt konterkariert. Ist dem Menschen die Überschau dieses notwendigen Zusammenhangs wirklich möglich, oder wird hier nicht doch mehr Theologisches vorausgesetzt als zugegeben? Den Vorwurf der Gefährdung der Offenbarungs- und Gnadengratuität erhebt etwa Kl. Obenauer in aller Vehemenz gegenüber Pröpper und Verweyen, vgl. Rückgang auf die Evidenz, 306–318. 234 Hier steht natürlich die ganze, fiktive Kontroverse zwischen Thomas und Duns Scotus um Analogie und Univozität im Hintergrund, die den gesamten dritten Teil dieser Arbeit beschäftigen wird, v. a. aber den entsprechenden Exkurs. Pröppers Lösung scheint hier voll mit dem scotischen Denken zu kongruieren, in dem das Sein – mit kantschen
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(4) Kommt das christliche Denken mit einer einzigen Denkform aus, wie es Pröpper selbst doch in seiner ersten Monographie bestritten hat? Sind wirklich alle wesentlichen Aspekte und Implikationen der Dogmengeschichte erschöpfend im Freiheitsdenken zu reformulieren und in ihrer integralen Intension zu bewahren, ist nicht vielmehr ihre ontologische Explikation in der alten Kirche bei aller unleugbaren Problematik mehr als bloß Relikt einer abgegoltenen, hellenisierenden Phase, sondern eine sachintrinsische Notwendigkeit? Sind etwa die Sachgehalte von ›Schöpfung‹ und ›hypostatischer Union‹ vermittels des Gedankens einer unbedingten, absolut selbstursprünglichen Freiheit erschöpfend zu reformulieren? 235
Worten formuliert – kein ›Prädikat‹ mehr ist und rein logische Begriffe für ›Wesenheiten‹ unabhängig von deren tatsächlicher Existenz möglich werden, so eben auch für Gott. Die menschliche Vernunft erkennt so unter dem Vorbehalt seiner Existenz notwendig (Elemente von) Gottes Essenz. Th. P. Fößel spricht in diesem Zusammenhang entgegen Pröppers eigenem Terminus (›Minimalbestimmung‹, s. o.) gar von einer logisch-apriorischen, philosophischen »Maximalbestimmung« Gottes im freiheitsanalytischen Denken, das »durch die Offenbarung fortbestimmbar«, aber nicht mehr »umbestimmbar« sei (Fößel, Freiheit als Paradigma der Theologie?, 248). 235 Pröpper hat ja in JDP auf die Unmöglichkeit hingewiesen, eine ›letztgültige‹ Denkform für die Christologie zu finden (vgl. Anm. 152), später scheint diese Ansicht jedoch zugunsten der universalen Funktion der freiheitstheoretischen Denkform revidiert worden zu sein. Ungeachtet der zweifelsfreien Verdienste und auch Vorzüge einer solchermaßen ›aus einem Guss‹ konzipierten Theologie, ist hier zu fragen, inwieweit dieses (wie jedes) geschlossene System nicht Folgeprobleme nach sich zieht und die dargestellte Wirklichkeit möglicherweise mehr verstellt als erhellt bzw. unbedingt zu bewahrende Aspekte der Tradition tendenziell gefährdet. In diesem Zusammenhang (einige Vorzüge wie Probleme zeigten sich ja etwa in den Anmerkungen 93 bzw. 113), ist wohl auf einer irreduziblen Pluralität theologischer Denkformen und ›Sprachspiele‹ und ihrer je neuen argumentativen Bewährung zu beharren. Weiterhin ist wohl auch nicht an den vielerorts unbeliebten ›ontologischen‹ Formulierungen der frühen (wie auch späteren) Dogmengeschichte vorbeizukommen, ohne deren Intuitionen wenigstens teilweise zu verfehlen. Th. P. Fößel etwa (vgl. Freiheit als Paradigma der Theologie?, 241–246) fordert gegenüber Pröppers Exklusivoption für die freiheitstheoretische Denkform eine relationale, nichtrelativistische Pluralität der philosophischen Denkformen der Theologie ein, die Ausdruck der bis »in das Eschaton« (ebd., 246) zu leistenden Aufgabe der Übersetzung des christlichen Glaubens in die Geschichte mit ihren verschiedenen Denkweisen sei, die so als echte loci theologici erkennbar würden. Weiterhin stellt er die Frage nach der Plausibilität der Behauptung der Freiheit als einzig adäquater Denkform des Glaubens, da sich dieser dann doch in Ermangelung transzendentalen Freiheitsdenkens 1700 Jahre lang falsch verstanden und in seiner elementaren »dogmengeschichtlichen Selbstvergewisserung« (ebd., 244) in Tradition und Schrift fehlentwickelt haben müsse. A
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(5) Kann das Freiheitsprinzip wirklich auf die gleiche Ebene gehoben werden, wie das klassische Formalobjekt der Theologie, die geglaubte scientia Dei et beatorum? Liegt nicht vielmehr eine grundsätzliche ›Asymmetrie von philosophischer und theologischer Prüfkompetenz‹ (Werbick) vor, deren Nivellierung gar den Wissenschaftsstatus der Theologie in Frage stellen könnte? 236 (6) Ist eine unhintergehbare begriffliche Fassung der Glaubenswahrheit denkbar und durch das Freiheitsprinzip als apriorisches Kriterium bestimmbar, oder muss sie nicht vielmehr je neu glaubend und betend aus Schrift, Tradition und kirchlichem Glaubenszeugnis vom ›in alle Wahrheit einführenden‹ (vgl. Joh 16,13) Geist Gottes erbetet und empfangen werden? Muss Pröppers Definition der Grundwahrheit des Glaubens als solche nicht notwendig hinter jener lebendigen Wirklichkeit zurück- und somit defizitär bleiben, was freilich für jede Eineindeutigkeit beanspruchende, begriffliche Einholung Gottes und seines Handelns gelten würde? Besteht hier nicht der geheime, eben so verständliche wie unerfüllbare Wunsch, ein für alle Mal mit dem schwierigen Erkenntnisgegenstand der Theologie fertig zu werden und ihn zu ›bändigen‹ ? 237 Die aufgeworfenen Anfragen sind – wie schon in den vorherigen und im folgenden Kapitel – als echte und offene Fragen zu verstehen, also im Sinne von Tendenzaufweisen und Rückfragen angesichts möglicher Einseitigkeiten und Verkürzungen. Sie zeugen davon, dass Pröppers Denken außerordentlich fruchtbar ist und stets zum (Weiter-) Denken herausfordert. In diesem Sinn soll hier abschließend nochmals Pröpper selbst das Wort erteilt werden, der seinen ersten Aufsatz über Verweyens Ansatz mit Worten beschließt, die auch un236 Zu J. Werbicks Anfragen an die Letztbegründungsmodelle in seinem Buch Den Glauben verantworten vgl. Kap. 6.7. Vgl. auch Th. P. Fößels einschlägigen Aufsatz Freiheit als Paradigma der Theologie?. 237 Vgl. hierzu etwa die auf Rahner bezogenen, aber wohl allgemeingültigen Ausführungen J. Ratzingers über das Genre der ›Kurzformeln des Glaubens‹ (vgl. Theologische Prinzipienlehre, 127–136), deren hermeneutische Bedeutung zwar sehr hoch anzusiedeln sei, die aber stets hinter dem unbedingt zu würdigenden, eigenen »Sprachspiel« des Glaubens bzw. der Kirche als seinem genuinen »Sprachsubjekt[]« zurücktreten müssten. Besser spräche man daher von je begrenzter »Typisierung von Denkzusammenhängen im Bereich des Glaubens«, die als solche stets dem Glaubenssymbol nachgeordnet sein müssten (vgl. ebd., 135 f.).
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ter seinem eigenen, keine Kontroverse scheuenden Werk stehen könnten: »Ich breche hier ab und schließe mit der Hoffnung, daß meine Anfragen trotz aller Kritik als Ausdruck meines Respekts wahrnehmbar waren. Und daß sie eine Diskussion anstoßen mögen, die uns gemeinsam weiterbringt«. 238
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6. Hansjürgen Verweyens ›Unhintergehbare Transzendentaldeduktion‹ »Wenn etwas mich bis ins innerste Mark meiner Existenz hinein beansprucht, so muß ich wenigstens prinzipiell in der Lage sein, das, was da mit Absolutheitsanspruch an mich herantritt, vor dem kritischen Auge meiner Vernunft auch als unhinterfragbar gültig zu erkennen«. 1
Das Denken des deutschen Fundamentaltheologen und Philosophen Hansjürgen Verweyen 2 (* 1936) kreist durch seine ganze, verhältnismäßig bewegte akademische Biographie hindurch – auch in dezidiert theologischen Fragen, wie etwa der bzw. den ›Auferstehungsdebatten‹ 3 – um die philosophische Glaubensrechenschaft, um die rechte Zuordnung von Glaube und Vernunft bzw. Theologie und Philosophie. 4 Hierbei hat der vielseitig interessierte und gebildete RatzingerBET 96. Vgl. die ähnliche Formulierung in GLW 63: »Erst wenn die Vernunft aus eigener Autonomie den Begriff eines unhinterfragbar gültigen Sinns für menschliche Existenz so gefasst hat, daß nichts mehr ihr diesen Begriff zu zerstören vermag, kann sie ehrlich sagen, dass sie bis ins Mark hinein von einer erfahrenen letztgültigen Wahrheit überzeugt ist. Aus dem Glauben an eine ›ein-für-allemal‹ ergangene Offenbarung ergibt sich also die Forderung an die autonome philosophische Vernunft«. Gottes letztes Wort wird hier nach der dritten Auflage anhand des Sigels GLW zitiert, Zitationen der ersten Auflage werden eigens gekennzeichnet (1 GLW). 2 Eine ausführliche Biographie Verweyens liegt nicht vor, ein kurzer Überblick ist aber etwa bei Alferi, »Glaube und Vernunft« zu finden; sehr knapp fällt auch die biographische Notiz bei Ebenbauer (Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen, 11) aus. 3 Zu der Auseinandersetzung Verweyens mit H. Kessler, Pröpper u. a. um das rechte Verständnis von Auferstehung bzw. Auferweckung vgl. etwa Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, 303–372, sowie unten 6.4; zur Auseinandersetzung mit G. Lüdemann vgl. v. a. die von Verweyen herausgegebene Quaestio Disputata (Osterglaube ohne Auferstehung?), die dortige Einführung sowie seinen eigenen Beitrag »Auferstehung«: ein Wort verstellt die Sache. 4 So begründet beispielsweise M. Kim seine methodologische Einschränkung: »Die vorliegende Arbeit […], beansprucht nicht, alle von Verweyen behandelten Themen zu berücksichtigen, auch wenn die Behandlung dieser Themen bei Verweyen in einem engen Zusammenhang mit dessen Konzeption einer Ersten Philosophie steht. Zu denken wäre etwa an die heftigen Diskussionen zum Osterglauben oder zur Theodizeeproblematik […]. Auch wenn Verweyens diesbezügliche Beiträge argumentativ unmittelbar verbunden sind mit seinem erstphilosophischen Denken und eigentlich erst von dort her erschlossen werden können« (Kim, Auf der Suche nach dem Unbedingten, 20 f.). Im Rahmen der vorliegenden Arbeit werden diese Debatten ebenfalls nur am Rande und im Sinne der Exemplifikation zu behandeln sein. 1
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und Lobkowiczschüler in seinem umfangreichen Werk 5 verschiedene Wege eingeschlagen und ist schließlich – in kritischer Weggemeinschaft etwa mit dem bei ihm habilitierten Klaus Müller und mit Thomas Pröpper – zu einem der Vorreiter der Letztbegründungsbestrebungen in der deutschsprachigen Systematik geworden, zu denen er seinen eigenen ›erstphilosophischen‹ Ansatz beigesteuert hat. Dieser Ansatz, so wird zu zeigen sein (vgl. 6.1) erweist sich gewissermaßen als Summarium des gesamten Denkwegs Verweyens – angefangen mit seiner theologischen Dissertation Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes (1969), über die philosophische Habilitationsschrift Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre (1975), weitere systematische Vorarbeiten (etwa Christologische Brennpunkte von 1977 oder sein Anselmbuch Nach Gott fragen von 1978) und eine Reihe von Schlüsselaufsätzen (vor allem der 1981 erschienene Aufsatz Fundamentalphilosophie – Hermeneutik – Erste Philosophie sowie Fundamentaltheologie: zum »status quaestionis« von 1986). Systematisch entfaltet hat er ihn schließlich in dem wohl als Hauptwerk zu betrachtenden fundamentaltheologischen »Grundriß« Gottes letztes Wort von 1991, dessen dritte und vollständig überarbeitete Auflage von 2000 auch einige Präzisierungen und Modifikationen hinsichtlich des erstphilosophischen Ansatzes beinhaltet. Weiterhin ist das im Kontext der Auferstehungsdebatte 1997 verfasste Buch Botschaft eines Toten? als erneute Pointierung und an den Fachfremden adressierte ›vulgarisation‹ 6 des Ansatzes von groEine Übersicht über die wichtigsten Publikationen Verweyens findet sich – zumindest für den Zeitraum bis 1995 – in der u. a. von G. Larcher herausgegebenen VerweyenFestschrift Hoffnung, die Gründe nennt, hier 271–277; als Ergänzung bis 2003 kann etwa Fößel, Gott – Begriff und Geheimnis, 967–972, hinzugezogen werden. Zur Einführung in das Gesamt der verweyenschen Fundamentaltheologie bieten sich die genannte Studie von Th. P. Fößel sowie P. Ebenbauers Dissertation Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen an, die freilich vor dem vermutlichen relativen Abschluss der verweyenschen Religionsphilosophie in der dritten Auflage von GLW erschienen ist; eine profunde Monographie zu Verweyens Philosophie liefert Kim, Auf der Suche nach dem Unbedingten. Als kürzere Übersichten und für einen ersten Einstieg bieten sich etwa an: G. M. Hoff, Die prekäre Identität des Christlichen, 488–517; Menke, Die Einzigkeit Jesu Christi, 112–125; ders., Kann ein Mensch erkennbares Medium der göttlichen Selbstmitteilung sein?, 46–52; Obenauer, Rückgang auf die Evidenz; 38 f.338 f.; Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 27–49; Platzbecker, Radikale Autonomie vor Gott denken, 32–88. 6 Vgl. BET 5: »Darum habe ich mich […] um einen Zugang auch für solche bemüht, die ihr Glauben und Hoffen zwar durchaus kritischem Fragen aussetzen, aber weder Zeit noch Lust haben, dafür zunächst einmal Sprachkurse in theologischem Parteichinesisch 5
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ßer Bedeutung wie auch das in zeitlicher und sachlicher Nähe zur dritten Auflage von GLW erschienene, schmale Bändchen Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft aus dem Jahr 2000. Verweyen ist ein stark dialogischer und hochgradig integrativer Denker, greift im Laufe seines Werkes auf etliche philosophische und literarische Gewährsleute unterschiedlichster Provenienz zurück und sucht ihre Lehren in sein Denken zu integrieren: Philosophisch geprägt zeigt und bekennt er sich zunächst von der siewerth-balthasarschen Erkenntnismetaphysik, 7 dann von der Erstphilosophie eines Augustinus, Anselm und Descartes, weiterhin vom Idealismus des frühen und der Bildmetaphysik des späten Fichte, von der Immanenzmethode Blondels und der transzendentalthomistischen Maréchal-Schule, vom Denken Levinas’ in seiner »machtvollen Gestalt« 8 und nicht zuletzt auch durch seine Weggefährten Kl. Müller und Pröpper. Die Philosophien Anselms, Blondels und Fichtes sucht er dabei auch als Herausgeber und Übersetzer weiter zu verbreiten. Als (freilich nicht ausschließlich) literarische Gesprächspartner würdigt Verweyen in erster Linie Camus und Dostojewski, weiterhin Angelus Silesius, Borchert und Claudel. Der solchermaßen vielfältig inspirierte verweyensche Ansatz versteht sich als konkrete Einlösung der im Ersten Petrusbrief (1 Petr zu belegen«. O. J. Wiertz nennt BET daher auch »Volksausgabe« (Rez. zu H. Verweyen, Botschaft eines Toten?, 602) bzw. »Landkarte« (ebd., 604) zu GLW. 7 Mit dieser phänomenologischen Metaphysik und ihrer dezidierten Kritik (u. a.) des Transzendentalthomismus beschäftigt sich Verweyen vor allem in seiner Dissertation. Später hat er die im ›Staunen‹ aufleuchtende Evidenz der ›exemplarischen Identität‹ zwar relativiert (vgl. etwa GLW 78: »Diese Evidenz [die Einsicht in die metaphysische Tragweite des Kausalprinzips; M. L.] entspringt dem Akt der ›Bewunderung‹, des Staunens […]. Nun wird – und das macht zu einem nicht geringen Teil das ›Schicksal der Metaphysik‹ […] aus – Naturveränderung seit langem aber kaum noch als ein solches Zusammenspiel von Akt und Potenz erfahren«.), aber sie doch nie aufgegeben. Die Staunensevidenz erscheint so noch in der vermutlichen Endgestalt des Ansatzes in GLW, wo Verweyen sie im Rahmen der Transzendentalgenetik integriert, vgl. etwa ebd., 119 f.138.189 f.192. Daher wird das ›Staunen‹ im Verlauf der vorliegenden Darstellung immer wieder begegnen. 8 GLW 170. Verweyen greift insgesamt wohl drei Gedanken aus der Philosophie Levinas’ auf: die Verwurzelung des Menschen in der Sensibilität (vgl. bspw. GLW 167 f.), das Antlitz des anderen als Anruf (vgl. GLW 313) und den damit verbundenen ›Zeitentzug‹ für das Subjekt (vgl. etwa Verweyen, Glaubensverantwortung heute, 300; GLW 184). Wie schon bei Pröpper scheint auch bei Verweyen ein gewisser Eklektizismus in der Rezeption des ›modischen‹ Denkers Levinas vorzuliegen, der einzelne Versatzstücke aus der levinasschen Philosophie aufgreift, sie aber ihres wesentlichen Kerns beraubt, der durch das im ersten Teil beschriebene Grundparadigma gekennzeichnet ist.
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3,15) formulierten Forderung nach – wie Verweyen hinsichtlich des dort erwähnten lgo@ mit einigem Recht interpretiert: philosophischer – Rechenschaft (⁄pologffla) des Glaubens hinsichtlich der durch ihn evozierten Hoffnung. Diese Rechenschaft ist vor dem Forum der präsumierten einen menschlichen Vernunft zu leisten und dient nicht allein zur Wahrung der eigenen Autonomie im unbedingten Glaubensengagement, sondern versteht sich darüber hinaus als sowohl dem anderen, sinnsuchenden Menschen als auch dem zu bezeugenden Gott gegenüber geschuldet, was Verweyen anhand des biblischen Doppelgebots der Liebe erläutert. 9 Sie vereinigt zwar sehr unterschiedliche philosophische wie literarische Strömungen und Denkformen in sich, kann jedoch – so wird zu zeigen sein – als ein überwiegend transzendentalphilosophischer Ansatz verstanden werden, der zur Wahrung der universalen Vernunftkonsistenz nach subjektintrinsischen Möglichkeitsbedingungen eines universalen Sinnbegriffs und dessen geschichtlicher Erfüllung durch die Offenbarung fragt. Das Grundanliegen Verweyens, das im folgenden Abschnitt (6.1) zu behandeln sein wird, ist es dabei, die Offenbarung in Jesus Christus als die Antwort schlechthin auf die menschliche Sinnfrage zu profilieren. In diesem Teil wird auch auf Entwicklungen und die verschiedenen Beeinflussungen im Laufe des Werkes einzugehen sein. Entsprechend der (v. a. im späteren Denken) zunehmend transzendentalphilosophischen Ausrichtung des Ansatzes wird der Schwerpunkt der Darstellung auf Verweyens erkenntnistheoretischer Positionierung (6.3) liegen, aus dem sich dann unmittelbar der Abschnitt zu seiner philosophischen Gottesvorstellung ergeben wird (6.4). Weiterhin wird wiederum das Verhältnis des behandelten Denkers zur Ontologie (6.2) sowie zum philosophischen Konzept der Freiheit (6.5) zu betrachten sein, bevor abschließend die Kurzzusammenfassung und die skizzenhafte philosophisch-theologische Würdigung vorgenommen werden können (6.6 f.).
Vgl. hierzu FHE 365; GLW 63–70; NGF 27. Verweyen unterlässt es allerdings, die erstgenannte reflexive Zielrichtung der Rechenschaft mit dem ebenfalls (impliziten) biblischen Gedanken der rechten Selbstliebe in Verbindung zu bringen (vgl. SCG lib. 3 c. 153 n. 2; s. Kap. 3, Anm. 260), der für ihn problematisch bleibt: vgl. hierzu GLW 174; vgl. auch unten, 6.7.
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6.1 Denkansatz: Offenbarung als Antwort »Die philosophische Frage nach der Möglichkeit von Offenbarung stellt den Glaubenden zugleich vor die Notwendigkeit, Christum so zu predigen, daß er auch noch der kritischsten (oder verzweifeltsten) Frage als die Antwort vernehmbar wird«. 10
Die Überlegungen zu Verweyens Denkansatz unterteilen sich in die weitestgehend synchron vorzunehmende systematische Darstellung des Denkansatzes selbst, die in vier Einzelschritten behandelt (1–4) und aufgrund ihrer Komplexität anschließend kurz zusammengefasst werden sollen (5), sowie eine skizzenartige Nachzeichnung der diachronen Entwicklung des verweyenschen Denkens anhand einiger wesentlicher Texte (6). Die synchrone Darstellung wird zuerst die theologisch begründete Hinwendung des Fundamentaltheologen Verweyen zur Philosophie betrachten (1), dann seine Entscheidung für eine spezifische Form der Philosophie erläutern (2), den von ihm ausgemachten autonom-philosophisch nachzuvollziehenden (Glaubens-) Inhalt definieren (3) und hieraus die beiden methodischen Fragerichtungen Verweyens herleiten (4). (1) Zunächst ist zu klären, wie Verweyen die eigene Religionsphilosophie im Horizont seines theologischen Fachs, der Fundamentaltheologie, verortet. Zunächst spricht er meist von zwei Aufgaben der Fundamentaltheologie, nämlich den vor dem Forum der einen menschlichen Vernunft zu leistenden Aufweisen sowohl der Sinnhaftigkeit (bzw. gar Notwendigkeit) der christlichen Offenbarung als auch ihres faktischen Ergangenseins. 11 In seinem Hauptwerk GLW hat er dieses Aufgabenpaar in kritischer Rezeption der klassischen drei fundamentaltheologischen demonstrationes zu dem Ternar »… vernehmbar? … ergangen? … gegenwärtig?« 12 ausgeweitet, also sozusagen um die demonstratio catholica, den Erweis der bleibenden, kirchlich vermittelten Gegenwart des in Christus ergangenen Heils, ergänzt. Die einzelnen Aufgaben hat er je verschiedenen OV 33. Vgl. hierzu etwa Verweyen, Aufgaben der Fundamentaltheologie, 205; ders., Fundamentaltheologie: zum »status quaestionis«, 321. Pröppers Theorie von den drei Aufgaben der Dogmatik (!) steht in verblüffender Analogie hierzu, nur dass er den Sinnhaftigkeitsaufweis der Glaubenswahrheit unterteilt in den Erweis ihrer Möglichkeit und ihrer unbedingten Relevanz, vgl. 5.1. 12 GLW 24 u. ö. 10 11
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Dimensionen der Vernunft zugeordnet, den Sinnhaftigkeits-, Notwendigkeits- oder Vernehmbarkeitsaufweis der ›philosophischen Vernunft‹, den Faktizitäts- oder Ergangenseinserweis und den Gegenwärtigkeitsaufweis aber in erster Linie der ›historischen Vernunft‹. 13 Dabei räumt er jedoch gleich die Artifizialität dieser Aufteilung der einen Vernunft ein, indem er eine gewisse, wenigstens kriterielle Allzuständigkeit der ›philosophischen Vernunft‹ behauptet. Seine Religionsphilosophie – und mithin auch ihre hiesige Darstellung – bewegt sich so in erster Linie im Kontext des Vernehmbarkeitsaufweises (also der genuinen ›philosophischen Vernunft‹), ragt aber weit in den Bereich der Fragen nach Ergangensein und Gegenwart des Christusereignisses hinein, ohne dass dabei stets die abstrakte Trennung der Vernunftbereiche einzuhalten wäre. Als Zielvorstellung und Hauptaufgabe der verweyenschen Religionsphilosophie im Rahmen der Fundamentaltheologie kann es daher – in Prolepse des weiteren Verlaufs dieses Abschnitts – angesehen werden, einen kriteriellen Rahmen zu entwerfen, der es der rein ›philosophischen Vernunft‹ erlaubt, eine ›ergangene‹ und ›gegenwärtige‹ Offenbarung als grundsätzlich ›vernehmbar‹ für die ›historische Vernunft‹ und als mit der Vernunftkonsistenz vereinbar zu erkennen. Dabei ist zunächst offen gelassen (und mit Blick auf die Faktizität von Menschheits- und Heilsgeschichte wohl auch stark zu bezweifeln), ob ein solcher kriterieller Rahmen der Offenbarung notwendig chronologisch vorausgehen muss oder erst durch sie selbst, als bloß logische Voraussetzung ihrer Erkenntnis, evoziert wird. 14 Keineswegs geht es Verweyen dabei aber – so wird er nicht müde zu betonen – um einen Gottesbeweis oder eine Deduktion christlicher Offenbarung, sondern lediglich um den transzendentalen Erweis der Möglichkeit von Offenbarung, 15 d. h. um den Nachweis der Vereinbarkeit der geglaubten christlichen Offenbarung mit den aus theologischen Gründen (auch
13 Zur Dialektik von philosophischer und historischer Vernunft vgl. etwa Fundamentaltheologie: zum »status quaestionis«, 322; GLW 35. 14 Diese Selbstevokation der eigenen Rezipierbarkeit durch die Offenbarung, so wird das Folgende zeigen, kann allerdings für Verweyen nicht in extrinsischer Instruktion oder Aufladung, sondern nur in der mäeutischen Freilegung der wahren menschlichen Rationalität bestehen. 15 So lautet schon die Zielstellung von OV, vgl. dort etwa 32 f. Zur transzendentalphilosophischen ›Selbstbeschränkung‹ Verweyens vgl. 6.2.
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und gerade ihr gegenüber) unersetzlichen Axiomen der menschlichen Freiheit und Vernunftkonsistenz. 16 Diese beiden theologischen Grundvoraussetzungen der verweyenschen Religionsphilosophie lassen sich zusammenfassen in der elementaren Formel, dass christlicher Glaube – was seine menschliche, zustimmungsbezogene Dimension anbetrifft 17 – aufgrund intrinsisch-wesentlicher Implikationen nur als eine in freier Vernunftautonomie nachvollzogene völlige Überzeugung möglich ist. Die Glaubensüberzeugung muss frei erreicht werden – und das heißt eben auch aufgrund autonom-philosophischer Vernunfteinsicht –, weil nur dies der christlichen Anthropologie mit ihrem Vernunftoptimismus und Freiheitstopos genüge leiste. 18 Verweyen wendet sich also von Anfang an gegen jeglichen Extrinsezismus in der philosophischen Glaubensbegründung, wie er ihn etwa bei Thomas von Aquin und im Thomismus ausmachen zu können glaubt: Dem Aquinaten eigne eine grundlegende Skepsis gegenüber der Vernunft und ihrer Reichweite, die ihm lediglich die stets bloß ›ad hoc‹ und defensiv zu führende Widerlegung möglicher Gegenargumente erlaube, nicht aber den positiv-konstruktiven Erweis der Vernünftigkeit und des inneren Zusammenhangs der gesamten Offenbarung. Letztlich bliebe ihm so zur Absicherung nur mehr die Einführung des extrinsischen Wunderbeweises – dessen Problematik heute wohl unbestreitbar sei –, und somit die Sackgasse des (wenigstens restlichen) 16 Vgl. GLW 9: »Aber ›philosophische Glaubensbegründung‹«, so fragt er angesichts vermeintlicher Missinterpretationen von GLW im Vorwort zur dritten Auflage, »[w]as um Himmels willen berechtigt zu dieser Interpretation? In diesem ›Grundriß‹ [wie in Verweyens Religionsphilosophie überhaupt; M. L.] ging und geht es weiterhin allein darum, den ausschließlich im Hören des Wortes gründenden Glauben an die Letztgültigkeit der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus als eine solche Überzeugung rational zu verantworten, die es nicht nötig hat, auch noch so minimale Reservate des ›reinen Glaubens‹ der kritischen Vernunft gegenüber zu errichten und einzuzäunen«. 17 Verweyen teilt durchaus die klassische Sichtweise von den drei Dimensionen des Glaubensakts (rationale ›Glaubwürdigkeitserkenntnis‹, Gnadenwirken, freie Zustimmung), auch wenn er ihre Komponenten in manchem modifiziert und die Gewichtung zuungunsten des Gnadenlichts verschiebt, vgl. etwa GLW 294 mit Verweis auf DH 3009 f. u. Kunz, Glaubwürdigkeitserkenntnis und Glaube, 414–449. 18 Zur Zuordnung von Freiheit und Vernunftautonomie bei Verweyen vgl. unten 6.5. P. Platzbecker ist sicherlich in gewissem Maße zuzustimmen, dass die Freiheit bzw. die Offenbarung als Befreiung den gemeinsamen Ausgang der Philosophien Pröppers und Verweyens bilde (vgl. »Freiheit als Prinzip aller Erscheinung«, 23–25). Allerdings ist dies bei Verweyen – wie beschrieben – lediglich implizit der Fall, und eine Rückführung seines Ansatzes auf die Freiheit als einzige Grundintuition irreführend.
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Fideismus. 19 Diese bei Thomas selbst grundgelegte fideistische Tendenz verhärte sich dann im latenten Extrinsezismus des Thomismus und des Neuthomismus so stark, dass ihn nicht einmal der sich expli19 Entscheidende Stellen zu dieser an M. Seckler (vgl. v. a. Seckler, Aufklärung und Offenbarung; ders., Theologie als Glaubenswissenschaft) orientierten Negativbeurteilung der thomanischen Zuordnung von Glauben und Vernunft sind NGF 12–28; Verweyen, Einleitung (1994), 23–28; GLW 217–222; vgl. auch ders., Anthropologische Vermittlung der Offenbarung, 150. Verweyens Kritik richtet sich in doppelter Weise gegen Thomas’ Überzeugung vom »duplex veritatis modus« (SCG lib. 1 c. 3 n. 2): Zum einen wirft er ihm vor, die praeambula in den beiden großen Summen rein glaubensneutral zu behandeln und den ›fundamentaltheologischen‹ Ansatz Anselms (den Verweyen ja etwa in NGF 12–15 darstellt) so zu verlassen. Hierbei erreiche er einerseits zuviel, nämlich den philosophisch unhintergehbaren (Existenz-!)Beweis Gottes, andererseits aber auch zu wenig, weil hier nur ein philosophischer »Sockelbetrag« (GLW 25) erreichbar sei, über dem sich der christliche Glaube als unerreichbares ›zweites Stockwerk‹ erhebe (vgl. GLW 41). Mit diesem ›andererseits‹ ist schon der zweite zentrale Kritikpunkt erreicht: Thomas’ Religionsphilosophie setze nicht nur falsch an, sondern reiche auch nicht weit genug, da sie keine positive Einsicht in die Glaubensgeheimnisse erlaube und diese daher durch – mit dem I. Vat. gesprochen (DH 3009) – »externa […] argumenta« zu belegen genötigt sei (vgl. Verweyen, Fundamentaltheologie: zum »status quaestionis«, 323; ders., Art. Praeambula fidei, 480), nämlich durch »Wunder und erfüllte Weissagungen« (GLW 221). Hinzu trete dann wohl noch die (allerdings rein negativ und reaktiv zu verstehende) autonom-philosophische Widerlegung möglicher Gegenargumente gegen einzelne Glaubensinhalte, die aber nur »bestimmte Wahrscheinlichkeitsgründe« vorzubringen vermöge (ebd.); vgl. zum Ganzen auch Kim, Auf der Suche nach dem Unbedingten, 110–115. Die beschriebene Thomaskritik ist sicherlich nicht unhinterfragbar, zunächst hinsichtlich des völlig ›glaubensneutralen‹ Status der praeambula, die ja zumindest unter Anführung von Autoritätsargumenten aus Schrift und Tradition entwickelt werden (vgl. Kap. 1.1.1, Anm. 11). Hinsichtlich Verweyens Kritik an den rationes convenientiae gegenüber dem Idealbild der anselmschen rationes necessariae ist zweitens mit Blick auf das Folgende anzumerken, dass die tendenziell erkenntnisskeptischere Position des Aquinaten durchaus gute – und zwar auch theologische!– Gründe für sich beanspruchen kann: vgl. Kap. 8.2. Weiterhin erscheint ihre verweyensche Generalkritik doch etwas überzogen, räumt Thomas doch, wie Verweyen selbst zugibt, die potentielle Widerlegung jeglicher (!) dem Glaubensinhalt widersprechender Argumente ein, vgl. GLW 221: »Alle ihr [sc. der Stimmigkeit der Offenbarung; M. L.] entgegenstehenden Behauptungen, die als Wahrheiten der natürlichen Vernunft ausgegeben werden, müssen sich als nichtig entlarven lassen, da von Gott nichts gegen die natürliche Vernunft offenbart wird«; vgl. auch Verweyen, Der Weltkatechismus, 33. Dass Thomas eine positive, religionsphilosophische Konstruktion des Glaubens vermittels von Konvenienzargumenten in SCG lib. 1 c. 8 aus pragmatischen Argumenten ablehnt (vgl. GLW 221: »damit die Gegner nicht meinen, der christliche Glaube sei auf solch schwache philosophische Argumente gestützt«), heißt nicht, dass er sie als unmöglich erachtet. Zu der in der Tat vorhandenen Problematik und das Unzureichen einer bloß reaktiven ›Ad-hoc-Apologetik‹ vgl. etwa Werbick, Den Glauben verantworten, 852 f. Kl. Müller spricht hier in Abgrenzung von N. Wolterstorff von einer unbedingt abzulehnenden Inversion der theologischen Geltungsdiskurse, die nicht mehr konstruktiv zu
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zit zur ›anthropologischen Wende‹ und Immanenzmethodik bekennende sogenannte Transzendentalthomismus überwunden habe. Dies zeige sich darin, dass die Maréchalschule nicht allein die transzendentale Reduktion unzureichend weit durchgeführt (s. u.), sondern letzten Endes sogar gänzlich verlassen habe, um in Gestalt des rahnerschen ›Übernatürlichen Existenzials‹ zur bloßen Transzendentaltheologie zu verkommen. 20 Für Verweyen sind solche theologischen ›Anleihen‹ an die Vernunft oder ›Aufladungen‹ der ›reinen Transzendentalität‹ des Menschen von außen allerdings nicht mit dessen Autonomie zu vereinbaren, weshalb er sich nachdrücklich zu jener ›optimistischen‹ Tradition der Verhältnisbestimmung von Glaube und Vernunft bekennt, die er bei Anselm von Canterbury und hinter diesem bei Augustinus zu finden vermeint. Demzufolge dürfe das ›remoto Christo‹ christlicher Religionsphilosophie – im Sinne des Prologs zum anselmschen Cur Deus homo – formal lediglich als subjektiver Antrieb des gläubigen Denkers und inhaltlich allenfalls als katalysatorische Freilegung der ursprünglich tätigen menschlichen Rationalität verstanden werden: »Was sich bei Augustinus als grundsätzliche Möglichkeit andeutete, wird bei Anselm zum systematischen Programm: der philosophisch zwingende Aufweis des Sinnrasters, in dem sich christliche Offenbarung der Vernunft erschließt […]. Im Anselmschen Fragehorizont geht es also […] um ein philosophisches Fragen, das sich erst aufgrund der Gnadeninitiative Gottes befreit weiß, durch die aufgehäuften Schichten selbstverschuldeter Unerleuchtetheit hindurch zu dem ursprünglichen, allen Menschen gemeinsamen Boden von Rationalität zurückzufinden«. 21 Die so befreite Vernunft gelange dann von sich aus und anhand von rationes necessariae zur Erkenntnis der vermeintlichen Glaubensgeheimnisse. 22 begründen, sondern nur noch defensiv Einwände zu widerlegen beanspruchten; vgl. hierzu Kl. Müller, Der Streit um Begründungsfiguren, 11 f.; ders., Wieviel Vernunft braucht der Glaube, 83–88, mit Verweis auf Wolterstorff, Can belief in God be rational if it has no foundations?. 20 Vgl. etwa Verweyen, Glaubensverantwortung heute, 288 f. Raffelt/Verweyen, Karl Rahner, 40–50. 21 GLW 217 f.; vgl. auch Einleitung (1982), 11 f.; Einleitung (1994), 25 f. Etwas problematisch ist in diesem Zusammenhang, dass Verweyen hier Augustinus’ und Anselms Überzeugung von der »Hörfähigkeit« (GLW 217) der Vernunft auch bezüglich des Trinitätsgeheimnisses zu affirmieren scheint, die er vorher (vgl. GLW 156) jedoch bestritten hatte; vgl. hierzu auch Anm. 184. 22 Verweyen lehnt die Redeweise von Glaubensgeheimnissen im Plural ab: vgl. Der
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(2) Wie aber ist die so – aus theologischen Gründen – autonom philosophisch zu eruierende Einsicht in den Glaubensinhalt hinsichtlich ihrer Gewissheit zu qualifizieren, welches Philosophiekonzept muss hier zugrunde gelegt werden? Verweyen unterstreicht, dass der Glaube als vollständige ›Überzeugung‹ der Vernunft von einem letzten Sinn nicht mit dem landläufigen Bedeutungsgehalt des deutschen Wortes ›glauben‹ verwechselt und so geradezu als Gegenteil zu ›wissen‹ konzipiert werden dürfe. Viel besser erhalten sei die ursprüngliche Signifikation der Glaubens-Überzeugung im englisch-französischen ›conviction‹ und dem zugrunde liegenden lateinischen ›convincere‹, dessen Etymologie noch von »Kampf und Sieg über die Vernunft« zeuge, 23 einem Kampf, der erst dann ende, wenn eine Einsicht die Vernunft endgültig auf ihrem eigenen Gebiet ›besiegt‹ habe und so zu einer unwiderruflichen Überzeugung geworden sei: »Bin ich von der Wahrheit des in Jesus Christus ergangenen endgültigen Wortes Gottes tatsächlich bis in die Tiefe meiner Existenz hinein überzeugt, dann habe ich die Gewißheit, daß mir diese Wahrheit keiner mehr nehmen kann«. 24 Keineswegs ausreichend zu dieser Gewissheit sei jegliche Form eines bloßen Wahrscheinlichkeits-, Konvergenz- oder Konvenienzaufweises wie Verweyen etwa gegenüber Newmans Lehre vom ›illative sense‹ betont. 25 Der geforderte absolute Gewissheitsgrad über einen letzten Sinn ist ihm zufolge – und dies könnte als ein philosophisches Grundaxiom der Religionsphilosophie Verweyens bezeichnet werden – nur möglich durch Eruierung eines unhintergehbaren Begriffs letztgültigen Sinns. 26 Diese Unhintergehbarkeit einer Erkenntnis, die impliziert, dass sich die Vernunft nach Weltkatechismus, 36. Ob der Glaube oder sein Gegenstand als solcher aber als Geheimnis zu betrachten sind, bleibt hierbei unklar, jedenfalls scheint Verweyen nirgendwo eine positive Definition dieses Geheimnischarakters zu geben. Er parallelisiert die anselmsche Argumentation anhand der rationes necessariae mit dem religionsphilosophischen Anliegen Fichtes, vgl. etwa Einleitung (1998), XXXIf. 23 NGF 28. Vgl. hierzu CB 56; FHE 369 f.; ders., Aufgaben der Fundamentaltheologie, 210. 24 FHE 369. 25 Zu Verweyens Auseinandersetzung mit Newman vgl. etwa Verweyen, Aufgaben der Fundamentaltheologie, 212; ders., Fundamentaltheologie: zum »status quaestionis«, 331 f.; GLW 294–298. Die newmansche Zustimmungslehre und der pascalsche Wettgedanke, auf den Verweyen sie zurückführt (vgl. GLW 297 f.), wird eine wesentliche Rolle im Rahmen der analogia veritatis spielen, vgl. Kap. 8.2. 26 Vgl. die in Anm. 15 angeführten Passagen zur ›conviction‹, die alle in das Plädoyer zur Eruierung eines nicht mehr hintergehbaren Sinnbegriffs münden. A
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dem Erreichen dieser Einsicht nicht mehr ohne sie zu denken vermag, betrachtet Verweyen als Charakteristikum der Erstphilosophie. Etwas uneindeutig bleibt dabei allerdings, ob die Unhintergehbarkeit nun eine faktische, lediglich eine begriffliche oder beides zugleich ist, wobei freilich die meisten Belege von Letzterem zeugen. 27 Erst mit einem solcherart irreduziblen philosophischen Ergebnis sei demnach der vom Ersten Petrusbrief geforderten Rechenschaftspflicht (s. o.) ausreichend entsprochen: »Der christliche Glaube verträgt sich also nicht nur mit einer schlechthin autonomen Vernunft, sondern er fordert sie zu einer von ihr selbst zu erbringenden letztgültigen Leistung auf«. 28 Wer die Möglichkeit dieser letzten, unerschütterlichen Erkenntnis leugne, verfalle automatisch theologisch dem Fideismus 29 und philosophisch dem relativistischen Pluralismus/Dilettantismus oder gar dem Fundamentalismus, der nur beider Kehrseite darstelle. 30 Die Erstphilosophie ist aber nicht allein um der (vom Glauben beanspruchten) unhintergehbaren Gewissheit willen gefordert, sonHier ist zu fragen, inwieweit Verweyen wirklich einen Begriff zu konstruieren beansprucht, der in sich nicht mehr hinterfragbar ist, d. h. nicht bloß hinsichtlich des in kontingenter Weise durch ihn ausgesagten, nicht-kontingenten Inhalts. In der Regel spricht er in dieser Weise von einem unhintergehbaren Begriff, konzediert aber – in Auseinandersetzung mit der Kritik O. J. Wiertz’ (vgl. Rez. zu H. Verweyen, Botschaft eines Toten?) – dennoch einmalig eine »faktisch möglicherweise nie ganz aufzuhebende Korrekturbedürftigkeit« aller menschlichen Begriffe (GLW 72). Diese potentielle faktische Fallibilität auch des an dieser Stelle »erstphilosophisch« genannten unhintergehbaren Sinnbegriffs dürfe aber nicht mit der schlechten Unendlichkeit der »prinzipiellen Hinterfragbarkeit« hermeneutischer Sinnermittlung verwechselt werden, stehe der erstphilosophische Begriff doch außerhalb des hermeneutischen Zirkels. Kurios ist in diesem Zusammenhang auch die andernorts behauptete Existenz gleich mehrerer solcher »unhinterfragbar gültigen« Begriffe (GLW 159). 28 Verweyen, Aufgaben der Fundamentaltheologie, 210. 29 Vgl. GLW 63: »Eine philosophische Anschauung, derzufolge [sic! M. L.] es prinzipiell unmöglich ist, einen kritisch nicht mehr hintergehbaren Begriff von letztgültigem Sinn zu ermitteln, entzieht der christlichen Glaubensverantwortung den Boden. Der Glaube geriete bei einer solchen Sichtweise in einen unüberbrückbaren ›duplex modus veritatis‹, in ein bloß fideistisches Festhalten an dem christlichen ›ein-für-allemal‹«. 30 Vgl. etwa BET 96 f.: »Wer zwar mit aller Kraft glaubt, aber der Auffassung ist, daß es so etwas wie eine Verantwortung des ›Grundes unserer Hoffnung‹ (vgl. 1 Petr 3,15) durch rational unhintergehbare Argumente prinzipiell nicht gibt, der entscheidet sich implizit für den Fundamentalismus. Fundamentalismus ist – neben seinem Zwillingsbruder, dem Oberflächenpluralismus – eine der Hauptformen der schwächlichen Vernunft, die dem Anderen und Fremden nicht mit wirklichem Freimut zu begegnen vermag«. 27
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dern auch zur systematischen Grundlegung und Rechtfertigung der ethischen Folgerungen aus dieser Gewissheit. Noch ungeachtet der konkreten Sollensformulierung Verweyens, die erst aus dem eruierten Sinnbegriff abzuleiten ist (s. u.), erscheint ihm nämlich das Postulat eines mit jedem unhintergehbaren Sinnbegriff notwendig mitgegebenen und daher allein erstphilosophisch zu legitimierenden unbedingten Sollens unausweichlich: Wenn die Vernunft erstphilosophisch auf einen nicht mehr hinterfragbaren Sinnbegriff stoße und sich ohne diesen nicht mehr zu denken vermöchte, dann stünde sie – um der eigenen Konsistenz willen – unter dem Sollen, diesen Sinnbegriff zu verfolgen und umzusetzen. Die Verwirklichung dieses Sollens stelle allerdings keine Notwendigkeit, also kein ›Müssen‹ dar, sondern bleibe die freie Entscheidung einer sich auf sich selbst verpflichtenden Freiheit. 31 Das hier geforderte ›unbedingte Sollen‹ unterscheide sich also von unausgewiesenen ethischen Forderungen gerade durch die in der völligen Überzeugung vom Sollensgegenstand (dem Sinnbegriff) bestehende Gewährleistung menschlicher Autonomie, die das Sollen zur Aufgabe einer freien Selbstverpflichtung mache: »Sollen im strengen Sinn kann der Mensch nur, was durchgehend vernünftig ist«. 32 Menschliche Vernunft könne sich nur bei Verwirklichung dieses Sollens konsistent erhalten, allerdings müsse sie dies nicht: »Der Entschluß zu solcher Konsistenz ist ein Akt der Freiheit, den niemand der Vernunft andemonstrieren kann«. 33 Die Erstphilosophie aber bewahre dem im unbedingten Sollensbegriff geforderten ›unbedingten‹ Engagement durch den Erweis seiner Notwendigkeit für die Vernunftkonsistenz die ethische Vertretbarkeit. Ohne diese Einholung durch die Vernunft verkämen die Sollensevidenz zum bloßen Intuitionismus und die freie Sollenserfüllung zum Dezisionismus. 34 Angesichts dessen erklärt sich denn auch die Prävalenz der Erstphilosophie über die Hermeneutik im verweyenschen Denken. Gemäß seiner »genialen Verhältnisbestimmung hinsichtlich der gegenseitigen Verwiesenheit« 35 (Ebenbauer) von Erstphilosophie und Vgl. GLW 159; s. auch unten 6.5. GLW 186. 33 Ebd. 34 Vgl. etwa ebd., 187. 35 Ebenbauer, Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen, 220. Zur verweyenschen Verhältnisbestimmung von Hermeneutik und Erstphilosophie vgl. FHE sowie GLW 58–72 (Kap. 3). 31 32
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Hermeneutik stellen diese nun die beiden philosophischen Instrumente der Fundamentaltheologie dar, die den Vernehmbarkeitsaufweis des Glaubens angesichts der menschlichen Sinnfrage in intensiver (Erstphilosophie) bzw. extensiver (Hermeneutik) Hinsicht zu leisten haben. 36 Die auferlegte universale Kommunizierung der christlichen Offenbarung und damit – philosophisch gesprochen – des letztgültigen Sinns, d. h. ihre je neue Übersetzung in alle geschichtlichen und geographischen Kontexte menschlichen Lebens hinein, begründet die Notwendigkeit eines unabschließbaren hermeneutischen Prozesses. Dabei stehe die Hermeneutik jedoch – eben aufgrund ihrer prinzipiellen Unabschließbarkeit – in der Gefahr, menschliche Erkenntnis zu relativieren und bloß noch kontextbezogen zu artikulieren. Dies würde die Verantwortung eines letztgültigen Sinnanspruchs wie auch die Unbedingtheit eines durch ihn geforderten ganzheitlichen Engagements verunmöglichen, wodurch die Hermeneutik im Ernstfall ihr Ausgangsanliegen der universalen Kommunikation verfehlte, damit gleichzeitig ihr eigenes Fundament aushöhlte und letztlich zum Relativismus verkäme. Daher bedürfe die Hermeneutik – nicht nur jene des Glaubens, sondern die Hermeneutik als philosophisches Konzept überhaupt – der propädeutischen Unterstützung und Untermauerung durch eine den letzten Sinn verbürgende Erstphilosophie. Diese sei jedoch lediglich als »ancilla hermeneuticae« 37 zu verstehen, als bescheidener Fundierungsbeitrag zur ansonsten in der Tat allzuständigen Hermeneutik. Eine ›Magd‹, deren Funktion sich allein darin erschöpfe, einen unhintergehbaren Sinnbegriff zu eruieren, um der Hermeneutik so gleichzeitig die Legitimation und den zentralen Übersetzungsinhalt zugleich zu liefern, »das Skelett für den lebendigen Verstehensprozeß«. 38 Dass es Verweyen dezidiert um das erstphilosophische Erreichen eines letztgültigen Sinnbegriffs geht, also mit anderen Worten um die Möglichkeitsbedingungen der Erkenntnis dieses Sinns, und dass er die Seinsmetaphysik zunehmend skeptisch sieht, erklärt seine im Werkverlauf steigende Präferenz der Transzendentalphilosophie im
Verweyen nennt sie auch die beiden »philosophische[n] Aufgaben« (GLW 61) der Fundamentaltheologie, was jedoch werkdiachron zu Spannungen mit ihren zwei resp. drei grundsätzlichen »Aufgaben« führen könnte (vgl. oben, Anm. 11), so dass diese Titulation hier der Übersichtlichkeit halber beiseite gelassen wird. 37 BET 115; GLW 61. 38 Ebd., 28. 36
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kantisch-fichteschen Sinne, deren Konsequenzen später noch näher zu beleuchten sein werden (vgl. v. a. 6.2). Er entscheidet sich somit für den bewusstseinslogischen Zweig der erstphilosophischen Tradition 39 – dem erneut Augustinus und Anselm, vor allem aber auch Descartes und Fichte zuzurechnen sind. Allerdings weist Verweyens Denken über eine radikale transzendental-philosophische ›Orthodoxie‹ hinausreichende, ›extrakritische‹ Theorieelemente auf, kennt er doch – vor allem im frühen, aber auch noch im späteren Werk – ebenfalls Bedingungen der gesuchten Erkenntnis, die außerhalb des Subjekts, also auf der Objektseite liegen. Diese Bedingungen analysiert er im Gefolge der siewerth-balthasarschen Erkenntnismetaphysik bzw. Ästhetik und anhand literarisch verarbeiteter Sinnerfahrungen im Rahmen transzendentalphänomenologischer Überlegungen. In dieser, im Spätwerk freilich etwas relativierten Ausweitung der transzendentalen Frage über die Grenzen der genuinen Transzendentalphilosophie hinaus zeigt sich deutlich der dialogische Charakter seines Denkens. Ferner dürfte hierin wohl auch die Erklärung für Verweyens Changieren zwischen den philosophischen Methoden und – wenigstens noch in OV – zwischen scholastischem und kantschem ›Transzendental‹-Begriff zu sehen sein, 40 das etwas plakativ als Schwanken zwischen den philosophischen Optionen v. Balthasars und Rahners beschrieben werden könnte, wie er es selbst im Rückblick indirekt nahelegt. 41 (3) Worüber aber verlangt nun der christliche Glaube eine erstphilosophisch zu fundierende absolute Gewissheit seitens des Gläubi39 Hier ist auf die Dreiteilung der Paradigmen erster Philosophie bei Müller zu verweisen: vgl. Kl. Müller, Wieviel Vernunft braucht der Glaube?, 88–94. Neben dem bewusstseinsphilosophischen stehen hier das ältere ontologisch-metaphysische und das jüngere transzendentalpragmatisch-diskurstheoretische Paradigma. Die müllersche Dreiteilung erstphilosophischer Paradigmen ähnelt der Unterscheidung dreier Perioden der Logik durch E. Tugendhat (vgl. ders./U. Wolf, Logisch-semantische Propädeutik, 7–16, v. a. 7 f.). 40 Auf die zunehmende Abkehr Verweyens vom scholastischen zugunsten des kantschen ›Transzendental‹-Begriffs verweist bspw. Scherer, Erste Philosophie und Sinnbegriff, vgl. dort v. a. 72. 41 Vgl. hierzu Verweyens Aufsatz Die Bedeutung Hans Urs von Balthasars für die Erneuerung der Fundamentaltheologie, der von beider »Recht« (ebd., 392–394) wie beider Grenzen spricht und in dem Desiderat mündet, mit den »erschreckend großen Schuhen« v. Balthasars »in den Spuren Karl Rahners« voranzuschreiten (vgl. ebd., 400).
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gen, oder – anders formuliert – was ist der Inhalt der autonom-philosophisch nachzuvollziehenden Glaubensüberzeugung? Zu ihrer Formulierung müssen zunächst die zwei Hauptthemen Verweyens herausgearbeitet werden, um deren Korrelation sein ganzes Denken kreist. Jene Pole bilden die von Verweyen als unbedingt und absolut konsistent vorausgesetzten Wirklichkeiten der christlichen Offenbarung auf der einen und des Menschen als Gattungswesen auf der anderen Seite. 42 Beide lassen sich bei ihm zu Typoi verdichten: Die letztgültige Offenbarung des dreifaltigen Gottes ist das Christusereignis, das Verweyen im anspruchsgeladenen Titel seines Hauptwerks als »Gottes letztes Wort« bezeichnet. 43 In GLW bringt er diesen zentralen christlichen Glaubeninhalt selbst auf den (analogen!) Begriff in Gestalt einer vierfachen traditio als inhaltlicher Zusammenfassung für das »eine, analoge Ereignis göttlicher Selbstmitteilung«. 44 Der Terminus besage demnach zugleich die ›Auslieferung‹ eines Menschen bzw. des Gerechten durch andere (traditio I), die ›Auslieferung‹ des eigenen Sohnes durch Gott (traditio II), die ›Selbsthingabe‹ Christi (traditio III) und die ›Überlieferung‹ im Sinne des dt. Wortes ›Tradition‹ als geschichtliche Vermittlung (traditio IV). 45 Angesichts der relativ späten Einführung dieser Konzeption im verweyenschen Werk, ihrer Komplexität und ProbleIm Aufsatz FHE spricht Verweyen freilich von den beiden Polen Gott und Mensch, zwischen denen der »christliche Begriff universaler Kommunikation« oszilliere (ebd., 377). 43 Zu diesem überaus »anspruchs-vollen« Titel äußert sich etwa Fößel, Gott – Begriff und Geheimnis, 170. 44 GLW 26. 45 Vgl. Aufgaben der Fundamentaltheologie, 207 f.; GLW 52. An der erstgenannten Stelle verweist Verweyen auf M. Blondel als Hintergrund der eigenen traditio-Konzeption (zu Blondels Traditionsbegriff vgl. seine Schrift Histoire et Dogme, hier v. a. 200– 228; zur Rezeption durch Verweyen vgl. auch Glaubensverantwortung vor der historischen Vernunft, 279 f.), während er diesen Hinweis in GLW unterdrückt. Dort verweist er auf die diesbezüglichen Arbeiten W. Popkes (v. a. Christus traditus; Art. paradffldwmi) und fundiert den Begriff mit diesem vornehmlich biblisch. Als vierfache avanciert die traditio bei Verweyen zum Kernprinzip des Christentums und zum Metaprinzip für Theologie und christliche Religionsphilosophie. Er bezeichnet sie als »inhaltliche Mitte von Offenbarung und Glaube« (GLW 51–56), im Christusereignis ergangene »Ermöglichung letztgültigen Sinns« (ebd., 201–210) und »Grundgestalt letztgültiger Offenbarung und ihrer Vermittlung« (ebd., 298–307). Vgl. hierzu auch P. Ebenbauer, der die übergeordnete Rolle des Traditionsprinzips über beide Disziplinen bestätigend aufgreift, indem er sie sowohl als »Substrat neutestamentlicher Christologie, Soteriologie und Ekklesiologie« (Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen, 56–63) als auch als »Sinngestalt letztgültiger Offenbarung« (ebd., 63–65) beschreibt. 42
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matik als stark mehrdeutiges Metaprinzip von Theologie und christlicher Religionsphilosophie, 46 sowie aufgrund größerer Praktikabilität soll der Offenbarungspol bei Verweyen hier jedoch zunächst seinen emblematisch verdichteten Ausdruck im Typos ›Jesus Christus‹ finden. Der Mensch mit seinen gattungsspezifischen Charakteristika – vor allem der ›paradoxen Elementarstruktur‹ seiner Vernunft und der aus ihr resultierenden radikalen Sinnfrage (s. u.) – ist dargestellt im Typos des camusschen Sisyphos, 47 dem unter der augenscheinlichen Absurdität und Ausweglosigkeit seines vermeintlich von zynischen Göttern auferlegten Daseins leidenden, urwüchsigen Menschen. Diese beiden Typoi ermöglichen nun die folgende Formulierung für die theologisch vorausgesetzte, aber erstphilosophisch zu rechtfertigende christliche Glaubensüberzeugung: Jesus Christus (pars pro toto: die gesamte personale, instruktive wie performative Selbstoffenbarung Gottes im Christusereignis) erscheint dem Sisyphos (sc. dem radikal nach Sinn fragenden und zweifelnden Menschen in der paradoxen Elementarstruktur seiner Vernunft) als die Antwort schlechthin. (4) Aus dieser Formulierung des erstphilosophisch einzuholenden, letztgültigen Anspruchs des christlichen Glaubens ergeben sich nun – oben durch die Kursivsetzung angedeutet – zwei wesentliche Fragerichtungen, 48 die das verweyensche Denken aller Phasen prägen: Nämlich die Frage nach dem möglichen letztgültigen Antwortstatus der Offenbarung bezüglich der radikal durchgehaltenen menschlichen Sinnfrage (die Frage nach der menschlichen Transzendentalität zu Gott hin) und die Frage nach der Fähigkeit dieser Offenbarung, als solch letztgültige Antwort in der geschichtlich-sinnlichen Wirklichkeit des Menschen zu erscheinen (die Frage nach der Sinntransparenz der menschlichen Lebenswelt im Hinblick etwa auf eine göttliche Offenbarung). Was die menschliche Transzendentalität anbetrifft, so fragt Ver46 Vgl. hierzu 6.4 und 6.7. Verweyen selbst räumt die Gefahr eines Missverstehens des Begriffs ein, wenn er seiner Einführung die Beteuerung vorausschickt, dass es sich hierbei um »kein Spielen mit einem äquivoken (griechisch-) lateinischen Terminus« handle (GLW 26). 47 Vgl. Camus, Le mythe de Sisyphe. 48 Vgl. hierzu etwa die entsprechende Unterscheidung bei Kim, Auf der Suche nach dem Unbedingten, 22.87.263.282 u. ö.
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weyen, wie die Offenbarung in Christus als die Antwort schlechthin für den Menschen erwiesen werden kann. Dieses Desiderat impliziere zwei Bedingungen: Erstens könne die menschliche Sinnfrage nicht von einem Metastandpunkt her überschaut, definiert und dann (etwa von der vorausgesetzten christlichen Antwort) von oben herab deduziert, sondern nur im radikalen Mitvollzug der existentiellen Frage des Sisyphos beantwortet werden. Der christliche Denker stehe, auch wenn er die universale Antwort gefunden zu haben glaube, nicht außerhalb der menschlichen Gattung und ihrer Erkenntnisgrenzen und müsse daher die eigene Gewissheit durch die radikale Sinnfrage des anderen Menschen erschüttern lassen bzw. diese universale Infragestellung auf Seiten des anderen sogar erst – remoto Christo – mäeutisch-katalysatorisch wachrufen: »Der Ausgangspunkt der vom Glauben entworfenen Philosophie hat die äußerste Frage zu sein, vor die sich der Glaubende durch den begegnenden Menschen gestellt sieht; und wo die Frage selbst nicht mehr zur Ausdrücklichkeit gelangt […], muß die aus dem Glaubenslicht entworfene Philosophie diese Frage aufzudecken suchen«. 49 Mehr noch, der Gläubige muss die Frage des anderen – wie es schon das biblische Nächstenliebegebot nahelege – zur eigenen Frage machen: »Die Fragestellung [verbal; M. L.] erhält eine besondere Gestalt in der Begegnung mit dem Nichtglaubenden. Auch und gerade er stellt Fragen, die zu meinen eigenen werden müssen, soll er in diesem Fragen nicht aus meiner Liebe herausfallen […]. Ich muß die Fragen des Nichtglaubens als meine eigenen gestellt haben, will ich dem anderen so begegnen, wie es das Gebot der Liebe fordert«. 50 Die zweite Bedingung des Erweises der Offenbarung als Antwort schlechthin auf die menschliche Sinnfrage ist die autonom-philosophische Erreichbarkeit des unhintergehbaren (Vor-) Begriffs einer solchen Antwort, mit dem sie dann im Falle ihres Ergehens identifiziert werden kann. Dieser rein philosophische Sinnbegriff als Vermittlung von menschlicher Sinnsuche und offenbartem Sinn ist erforderlich, um eine wirklich menschliche Antwort auf die menschliche Sinnfrage zu finden und so einen neuen Extrinsezismus zu vermeiden, der – mit Schillebeeckx formuliert 51 – OV 89. Ebd., 24; vgl. auch etwa NGF 27; FHE 365. 51 Vgl. etwa (schon den problematisierenden Untertitel von) E. Schillebeeckx’ Aufsatz Het correlatie-criterium: »Christelijk antwoord op een menselijke vraag«. M. Bieler formuliert diesen Gedanken zutreffend so: »Theologische Antworten machen philosophische Fragen und Antworten keineswegs überflüssig« (Die kleine Drehung, 332). 49 50
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in dem Kategorienfehler der theologischen Beantwortung einer philosophischen Frage bestünde: »[D]ie Sinnannahme darf keine Fremdbestimmung von außen bleiben. Dann wäre nämlich nicht ich restlos von der Letztgültigkeit überzeugt; ich würde eine solche lediglich ›an-nehmen‹. Bloß Angenommenes ist, von mir her gesehen, aber prinzipiell ebenso von außen umstoßbar, wie es für mich eine Bestimmung von außen bleibt. ›Von mir aus‹ bliebe so […] unausgemacht, ob sich Christus am Ende nicht doch als ein ›vorletzter Guru‹ herausstellen könnte«. 52 Damit die Bewegung der menschlichen Transzendentalität und ihre Suche nach dem unhintergehbaren Sinnbegriff aber transzendentalgenetisch überhaupt erst in Gang kommt, und die transzendentallogisch bzw. -deduktiv erreichte Formulierung des Sinnbegriffs nicht in der Absurdität prinzipieller Unerfüllbarkeit verbleibe, müsse zweitens eine Transparenz des sinnlich-zeitlich Begegnenden, also der menschlichen Lebenswelt, für Sinnverwirklichung bzw. verwirklichten Sinn möglich und denkbar sein. Die menschliche Erstphilosophie fußt für Verweyen auf einer solchen Erfahrung der Transparenz für unbedingten Sinn, die er mit dem alle Philosophie in Gang setzenden ›Staunen‹ bzw. der Epoché identifiziert: Ohne diese anfängliche Einheitserfahrung unterbliebe nicht allein der Schritt des Menschen in die Philosophie, sondern überhaupt die Entfaltung seines Bewusstseins. 53 Weiterhin bliebe der erstphilosophisch ermittelte Sinnbegriff absurd und hinsichtlich seiner Sollensverpflichtung ethisch unverantwortbar und dezisionistisch, wenn nicht eine innerweltliche, d. h. sinnlich-geschichtliche Verwirklichung des universalen Sinns denkbar wäre. Die so zu erweisende mögliche Transparenz des Sinnlich-Geschichtlichen für den letztgültigen Sinn ist dann natürlich auch der Anknüpfungspunkt für den Ergangenseinsund Gegenwärtigkeitsaufweis der Offenbarung. Zum philosophischen Erweis des Ergangenseins wird Verweyen seine im Ausgang von den drei ›Osterthesen‹ formulierte Theorie der Osterevidenz liefern, zum Gegenwärtigkeitserweis aber seine ›Hermeneutik des Zeugnisses‹ entwickeln (vgl. unten, 6.4 bzw. 6.3.3).
GLW 63. Zu Verweyens Position hinsichtlich der Rolle dieser Einheitserfahrung und der Intersubjektivität im Rahmen der Bewusstseinskonstitution vgl. 6.3.3. 52 53
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(5) Zusammenfassend lässt sich Verweyens Ansatz also etwa wie folgt formulieren: Die Fundamentaltheologie ist aufgrund der beiden theologischen Voraussetzungen der Universalität der Offenbarung (›Jesus Christus‹) und der im Offenbarungs- und Glaubensgeschehen zu wahrenden Autonomie und Vernunftkonsistenz des Menschen (›Sisyphos‹) darauf angewiesen, eine methodisch autonome Religionsphilosophie zu entfalten. Diese Religionsphilosophie hat in Gestalt eines allein erstphilosophisch aus der menschlichen Transzendentalität heraus zu ermittelnden, unhintergehbaren Sinnund Sollensbegriffs ein Kriterium dafür zu entwickeln, wie die – in ihrer sinnlich-geschichtlichen Transparenz als möglich erwiesene – faktisch ergangene und im Zeugnis der Kirche vergegenwärtigte Offenbarung als solche von jedem Menschen als ›Gottes letztes Wort‹ und letztgültige Antwort auf die eigene radikale Sinnfrage identifiziert werden kann. 54 Dass Verweyen einen solchen Sinnbegriff findet und wie er lautet (vgl. 6.3) soll hier ebenso wenig vorweggenommen werden wie der von dort her eruierte philosophische Gottes- und Christusbegriff (vgl. 6.4). (6) Abschließend ist noch eine kurze Überschau über die wesentlichen Etappen des verweyenschen Werks zu liefern, ohne die den Ansatz betreffenden Fragestellungen nochmals zu vertiefen oder hinsichtlich der verschiedenen philosophischen Positionierungen Verweyens dem Folgenden vorgreifen zu wollen. Schon Verweyens theologische Dissertation Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes kreist um das Thema philosophischer Glaubensbegründung und sucht nach den (im doppelten Sinne) ›transzendentalen‹ Ähnliche, nur unwesentlich weniger ›sperrige‹ Kurzfassung bieten Th. P. Fößel (Gott–Begriff und Geheimnis, 176) und M. Kim (Auf der Suche nach dem Unbedingten, 282). St. Orths mit Blick auf 1 GLW 46 eruierte Kurzformel des Ansatzes ist sicherlich übersichtlicher und einer ersten Annäherung dienlich, jedoch längst nicht erschöpfend, vgl. Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 27: »[D]as Ziel, vor dem ›Forum philosophischer Vernunft‹ einen Begriff letztgültigen Sinns zu entwickeln, mit dem die Theologie vor dem ›Forum historischer Vernunft‹ überprüfen kann, ob eine endgültige Offenbarung Gottes ergangen ist«. Dasselbe dürfte gelten für H. G. Türks Zusammenfassung in zwei Sätzen: »(1) Absoluter, letztgültiger Sinn besteht in der Interpersonal-Einheit der freien Subjekte, in der sich Erscheinung des Absoluten manifestiert. (2) Letztgültiger Sinn-in-Geschichte erschließt sich dem Sich-Öffnen für die vom Sinnträger ausgehende objektive Evidenz und wird vermittelt im (traditio im Sinne von Hingabe einschließenden) Zeugnis« (Türk, Offenbarung letztgültigen Sinnes und philosophische Vernunft, 24). 54
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Möglichkeitsbedingungen von Offenbarung. Diese werden (wohl mehr unbewusst als absichtlich) in Analogie zur zweifachen Bedeutung des Transzendentalen schon hier anhand der doppelten Fragerichtung nach der Transzendenz des Menschen auf Gott hin und der Transparenz der menschlichen Lebenswelt für die Erscheinung/Erfahrung letztgültigen Sinns untersucht. Die Arbeit versteht sich dabei einerseits als Weiterentwicklung der siewerth-balthasarschen Metaphysik der Erkenntnis und andererseits als Kritik des Transzendentalthomismus. So führt Verweyen die transzendentalphilosophischen Ausgangspunkte der Letzteren (also das ›Urteil‹ bei Maréchal und Lotz und die ›Frage‹ bei Coreth und Rahner) wie auch den radikalen philosophischen Zweifel als sekundäre, ›abkünftige‹ 55 Vernunftvollzüge auf die mit den Ersteren postulierte, ursprüngliche Einheitserfahrung der Vernunft im Staunen zurück, die den ›begegnenden Anderen‹ immer schon in der siewerthschen ›exemplarischen Identität‹ mit seinem absoluten Seinsgrund erlebe. Verweyen selbst hat angesichts dieser Reduktion der transzendentalphilosophischen Fragestellung auf ein ursprüngliches Faktum später von ›Transzendentalphänomenologie‹ bzw. von einem sich schon im »grässliche[n]« Gesamttitel spiegelnden »Dilemma« zwischen Ontologie und Transzendentalphilosophie in OV gesprochen. 56 Später wird er im Rahmen seiner zunehmenden Wendung zur Transzendentalphilosophie das Staunen zwar in seiner ontologischen Valenz relativieren, aber dennoch in GLW, genauer im Rahmen des ersten, transzendentalphänomenologischen Anlaufs seiner Eruierung der paradoxen Elementarstruktur menschlicher Vernunft (vgl. GLW 6.2.1) wie auch im Rahmen seiner transzendentalgenetischen Überlegungen (vgl. GLW Kap. 7), beibehalten. Die (philosophische!) Habilitationsschrift Verweyens Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre behandelt Fichtes Rechts- und Moralphilosophie und tangiert somit nur randlich religionsphilosophische Fragestellungen. Allerdings wird die verweyensche Auseinandersetzung mit Fichte, die hier grundgelegt ist, in ihrem zweifachen Ansatz (beim ›frühen‹ und beim ›späten‹ Fichte) von großer Bedeutung für die sich entwickelnde Religionsphiloso55 Vgl. OV 159: »Es hat sich nicht nur die Abkünftigkeit des Zweifels, sondern auch die von Frage und Urteil gegenüber einer vorausgesetzten ursprünglicheren Weise der Offenbarkeit des begegnenden anderen gezeigt«. 56 Vgl. BET 101.
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phie Verweyens werden. Vor allem unterstreicht Verweyen schon in diesem frühen Stadium die von ihm später aufgegriffene fichtesche Überwindung des (vermeintlich) solipsistischen Idealismus, die er in der frühen Interpersonallehre und ihrem dreistufigen Modell der (wenigstens auch) intersubjektiven, durch das ›Nicht=Ich‹ 57 vermittelten Subjektkonstitution erkennt. 58 Die christologische Relevanz der verweyenschen Religionsphilosophie wie auch umgekehrt die Verwurzelung seines Denkens in der Christologie tritt dann deutlich in der Studie Christologische Brennpunkte zum Vorschein: Verweyen beschäftigt sich hier wie in OV mit der Frage nach der möglichen Transparenz der sinnlich-geschichtlichen Welt für die Erscheinung absoluten Sinns und konkretisiert diese nun auf das Christusereignis, d. h. die Inkarnation und den bereits hier als Einheit gedachten transitus 59 Christi hin. Den in diesem Zusammenhang immer wieder neu postulierten lessingschen ›garstigen Graben‹ zwischen relativer Geschichts- und absoluter Vernunftwahrheit glaubt Verweyen überwinden zu können durch die hier erstmals und noch rudimentär vorgetragenen Überlegungen zur ›Osterevidenz im Gekreuzigten‹ 60 und zur ›Zeugnishermeneutik‹. 61 Weiterhin formuliert er in dieser Schrift erstmals die Forderung nach einem unhintergehbaren (»unanfechtbar[en]«) Sinnbegriff zur Wahrung menschlicher Vernunftkonsistenz. 62 Verweyen legt großen Wert auf diese Schreibweise, um zu verdeutlichen, dass dem Anderen bei Fichte tatsächlich auch der ›Ich‹-Charakter zugesprochen wird, er also kein ›Nicht-Ich‹ ist; vgl. z. B. GLW 171. Zur verweyenschen Verteidigung Fichtes gegen den etwa von v. Balthasar und Barth aufgeworfenen Vorwurf der Missachtung der Intersubjektivität vgl. etwa GLW 303 f.; Verweyen, Recht und Sittlichkeit in J. G. Fichtes Gesellschaftslehre, 258 f. 58 Vgl. etwa ebd., 31–35.258 f. 59 Zum Gedanken des ›transitus‹ vgl. oben, Kap. 2, Anm. 247. 60 Vgl. etwa CB 114: »Die hier vertretene These besagt nur, daß jene, die in den Erscheinungsberichten keinen ausreichenden Grund für ihren Osterglauben zu sehen vermögen, damit keineswegs notwendig auf einen weniger festen geschichtlichen Boden zurückgeworfen sind, vielmehr in jener innersten Mitte aller Christologie ihren Stand finden können, die den ersten wie den letzten Jüngern die Lebensmächtigkeit der Liebe Gottes in Jesus zu beweisen vermag: seine in der Anbetung Gottes durchgehaltene äußerste Entmachtung«. 61 Vgl. ebd., 53–64. Zu beiden Lehrstücken vgl. 6.4. bzw. 6.3.3. 62 Vgl. ebd., 56: »Das bedeutet aber, daß dem adäquaten Erkennen der ›Sache Jesu‹ ein genau bestimmbares Philosophieren entspricht. Es gilt, ohne Rückgriff auf Erfahrungsdaten und je begrenzte Sprachhorizonte aufgrund der allgemeinen Struktur der menschlichen Vernunft einen universalen Begriff von Sinn philosophisch unanfechtbar 57
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Verweyens ein Jahr später vorgelegtes und bereits lange geplantes 63 Anselmbuch Nach Gott fragen ist als Ausweitung und Explizierung der in OV zugrunde gelegten ›optimistischen‹ Verhältnisbestimmung von Vernunft und Offenbarung konzipiert. Anselms Gottesbegriff im Proslogion – mehr noch sein Konzept der durch den Glauben nicht geheimniskrämerisch eingegrenzten, sondern vielmehr freigesetzten und ermächtigten ursprünglichen Rationalität des Menschen – wird von Verweyen gemäß dem Untertitel als »Anleitung« christlicher Religionsphilosophie profiliert. Hinsichtlich der methodischen Vorgehensweise Anselms lobt Verweyen den remoto Christo angestrengten Ansatz bei der autonomen Fragestruktur des Menschen, der keine Angst vor rationalistischer Auflösung des Glaubensinhalts kenne, sondern auf der unbedingt zu bejahenden (s. o.) Grundüberzeugung der völligen philosophischen Nachvollziehbarkeit des Glaubensinhalts beruhe. 64 Verweyen parallelisiert die Argumentation Anselms im zweiten und dritten Kapitel mit der fünften resp. dritten Meditatio de prima philosophia Descartes’, wobei er die an den jeweils erstgenannten Stellen vorgetragenen Gottesbeweise in ihrem ontologischen Überstieg auf die Wirklichkeit ablehnt zugunsten der geradezu transzendentalphilosophischen Selbstbescheidung, die Proslogion III und Meditatio III vornähmen, wenn sie die bloße Denknotwendigkeit eines – insofern existent – notwendig existenten Gottes aufwiesen, ohne den die menschliche Vernunft sich selbst nicht konsistent zu denken vermöchte. 65 Auch Anselms philosophischer Gottesbegriff des ›AQM‹ könne so – befreit von jeglichem ›ontologischen Überschritt zur Wirklichkeit‹ – als Denknotwendigkeit übernommen werden, wie es dann indirekt im Rahmen der Eruierung des unhintergehbaren Sinnbegriffs in GLW auch geschehen wird. Nach NGF folgt ein längerer Zeitraum ohne neue Monographien, in dessen Verlauf sich Verweyen – abgesehen von vielfältigen Herausgeberschaften und Übersetzungen – vor allem durch einige wichtige Aufsätze zu Wort meldet, die als Vorarbeiten seines Grundrisses GLW zu betrachten sind. Unter diesen zahlreichen Texten, in herauszustellen, jene Sinnfrage nämlich, die ich in der Selbstmitteilung Gottes durch Jesus endgültig beantwortet weiß«. 63 Vgl. die entsprechende Ankündigung in OV 30. 64 Vgl. NGF 12–28. 65 Vgl. ebd., v. a. 64–66. A
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denen das in den ersten Büchern grundgelegte und anfanghaft verwirklichte religionsphilosophische Projekt zunehmend präzisiert wird, ist vor allem der Beitrag Fundamentaltheologie – Hermeneutik – Erste Philosophie hervorzuheben, der neben einem Gesamtüberblick über die bisherigen Bestandteile des Projekts erstmals die von nun an elementare Differenzierung zwischen Hermeneutik und Erstphilosophie als den beiden ›philosophischen Instrumenten der Fundamentaltheologie‹ 66 einführt und so deren spätere Verhältnisbestimmung in GLW ermöglicht. Weiterhin sind die Aufsätze Aufgaben der Fundamentaltheologie und Fundamentaltheologie: zum »status quaestionis« zu nennen, in deren Ersteren er sein Modell der vierfachen traditio einführt. Im Jahr 1991 erscheint schließlich Verweyens als ›Grundriss‹ der Fundamentaltheologie konzipiertes Hauptwerk Gottes letztes Wort, das hier nur kurz besprochen werden soll, da es dem gesamten Kapitel 6 zugrunde liegt: In drei großen Teilen wendet sich Verweyen den Problemen der Vernehmbarkeit, des historischen Ergangenseins und der ekklesialen Gegenwart der christlichen Offenbarung zu, deren »inhaltliche Mitte« er dabei ja als vierfache traditio definiert (s. o.). Der religionsphilosophische Kern des Werkes findet sich im ersten Teil von GLW, weil dort der zentrale, unhintergehbare Sinnbegriff autonom philosophisch eruiert und dann hinsichtlich seiner Verwirklichungsbedingungen in der raumzeitlichen Welt untersucht wird. Das restliche Werk ordnet sich in seinen verschiedenen Teilen um diesen zentralen Kern als Höhepunkt und kriterielles Raster. Besonders hervorzuheben sind dabei noch Verweyens Präzisierungen hinsichtlich seiner nunmehr anhand des traditio-Begriffs aufgezäumten Zeugnishermeneutik (v. a. 1 GLW Kap. 14 f.) und seine Osterthesen (1 GLW Kap. 17), die Gegenstand einer der beiden ›Auferstehungsdebatten‹ geworden sind. Verweyen hat seinen Ansatz in den 90er Jahren v. a. auf die kritischen Anfragen Kl. Müllers und Pröppers hin überarbeitet (vgl. hierzu v. a. seine Antwort auf Pröppers Vorwürfe in der ThQ im Jahr 1994) und in den beiden Monographien Botschaft eines Toten (hier v. a. auch im Hinblick auf die Auferstehungsdebatte) und Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft weiter präzisiert, die so zu Vorarbeiten zur dritten Auflage von GLW wurden, in der er seine Religionsphilosophie durch einige inhaltliche Umstellungen und Neu66
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Vgl. Anm. 36.
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strukturierungen, 67 Aussparungen 68 und durch Ergänzung einer ›radikalisierten‹ Subjektreflexion (vgl. GLW 147–150 [= 6.2.2]) zum Abschluss gebracht hat. In jüngeren Publikationen (so erstmalig in seinem Beitrag zur Pröpper-Festschrift Dogma und Denkform) wendet er sich nun etwa dem im eigenen Denken »bislang sträflich vernachlässigt[en]« 69 Schelling und dessen Trinitätsspekulation zu. 70 2005 erscheint seine Geschichte der Religionsphilosophie, Philosophie und Theologie, 2007 Joseph Ratzinger – Benedikt XVI., seine kritische Hommage an den zum Papst gewählten Doktorvater, 2008 seine Einführung in die Fundamentaltheologie, in der er auch den eigenen religionsphilosophischen Ansatz nochmals skizziert. Zwei Jahre zuvor stellte Verweyen in seinem Beitrag zur Lehmann-Festschrift Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes personifiziert durch v. Balthasar und Rahner sozusagen die beiden Affinitäten oder grundlegenden Phasen des eigenen Denkens einander gegenüber, die ihn immer noch faszinierende intuitive Erkenntnismetaphysik und ihre kritisch-transzendentale Infragestellung. 71
So v. a. innerhalb des Kapitels 6 der Neuauflage (1 GLW Kap. 8), in dem nun – mit der Terminologie M. Kims formuliert – der »progressive« und der »regressive« Teil der Transzendentalreduktion umgetauscht worden sind, vgl. Kim, Auf der Suche nach dem Unbedingten, 229–232. Verweyen selbst kommentiert diese Umstellung in GLW 155. 68 So v. a. das siebte Kapitel der ersten Auflage (1 GLW 204–232: »Lösungsversuche: ein geschichtlicher Exkurs«), das in der dritten völlig ausgelassen wurde. Dieser »methodische Exkurs« (ebd.) erscheint Verweyen bei der Revision als »zu knapp und pauschal« um beibehalten werden zu können, er habe ihn zum Teil aber in überarbeiteter Form in Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft neu vorgelegt (vgl. GLW 150). 69 Verweyen, Offenbarungsglaube und Ikonoklasmus, 4. 70 Vgl. ebd., v. a. 8–15; vgl. hierzu auch Essen, Die philosophische Gottesfrage als Aufgabe der Theologie. 71 Vgl. Verweyen, Die Bedeutung Hans Urs von Balthasars für die Erneuerung der Fundamentaltheologie. 67
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6.2 Ontologische Position: Vom ›Staunen‹ zur transzendentallogischen Einklammerung »[A]lle Aussagen, die […] über die Existenz eines absoluten Seins oder ein unbedingt verpflichtendes Sollen gemacht werden, sind rein hypothetischer Natur. Sie behaupten weder eine Wirklichkeit noch eine (Real-)Möglichkeit, sondern lediglich die (transzendentallogische) Notwendigkeit von etwas unter der Voraussetzung, daß […] eine letztgültige Offenbarung rational verantwortbar bzw. […] Vernunft als ohne Widerspruch vernünftig erkennbar sein soll«. 72
Von einer ontologischen Position Verweyens zu reden ist ähnlich schwierig wie schon bei Henry, Levinas und Pröpper, wendet er sich doch ebenfalls kritisch gegen den mit der ›Ontologie‹ als klassischer philosophischer Disziplin verbundenen beweisenden Denkausgriff auf das ›wirkliche‹ Sein. Jedoch beinhaltet auch seine Philosophie – so gilt es hier zu zeigen – eine grundlegende Sichtweise der Gesamtwirklichkeit (›Ontologie im weiten Sinne‹). Zunächst ist nochmals kurz auf die Anfänge des verweyenschen Denkens zu rekurrieren, die ja dezidiert »ontologische« Erwägungen anstellen (vgl. schon den Untertitel von OV), sowie nach deren Relikten in der späteren Philosophie zu fragen (1). In einer zweiten Etappe wird dann die Selbstabgrenzung Verweyens von aller ›unkritischen‹ Ontologie und Metaphysik zu betrachten sein, die sich als apriorische, transzendentallogische Einklammerung und Reichweitenbegrenzung der philosophischen Resultate erweist (2). Anschließend wird noch zu fragen sein, inwieweit nicht doch auch beim reifen, ›kritischen‹ Verweyen – abgesehen von im engeren Sinne ›ontologischen‹ Restbeständen – eine umfassende, implizit vorausgesetzte Wirklichkeitssicht vorliegt, die sich als (im weiten Sinn) ›ontologische‹ Position beschreiben ließe. Diese wird sich mit dem schon bei Pröpper (vgl. 5.2) ausgemachten viergliedrigen ›Strukturprinzip‹ des von beiden verwendeten Paradigmas transzendentaler Philosophie identifizieren lassen (3). Es ist allerdings bereits hier darauf hinzuweisen, dass diese transzendentalphilosophische ontologische Positionierung als Voraussetzung und Ausgang des (späten) verweyenschen Denkens in Spannung steht zu dessen Ergebnis, nämlich der bildontologischen Wirklichkeitsdeutung (die erst in Abschnitt 6.3.2 zu betrachten sein wird). 72
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(1) Die Untersuchung der verweyenschen Wirklichkeitssicht soll chronologisch bei seiner Dissertation 73 anheben, die ja ganz im Sinne ihres Titels – bei aller transzendentalphilosophischen Fokussierung der subjektiven Erkenntnisvoraussetzungen der Offenbarung – ein ontologisches, metaphysisches Werk ist. 74 Dies liegt darin begründet, dass hier der siewerthsche Gedanke der im ursprünglichen Staunen immer schon begegneten exemplarischen Identität von Sein und Seiendem als zentrale Erkenntnisbedingung betrachtet wird: »Wir wollen hier […] den Augenblick des Staunens als Einblick in die Identität des begegnenden anderen mit seinem absoluten und unendlichen Grund thematisch machen als die ursprüngliche Wahrheit der menschlichen Vernunft […]. Nur auf diese Weise scheint es mir möglich, die Frage nach der ›Möglichkeit von Offenbarung‹ hinreichend zu klären«. 75 Verweyen geht in diesem frühen Stadium seines Denkens also noch – ganz analog den oben beschriebenen phänomenologischen Ansätzen – von einer ursprünglichen, d. h. aller menschlichen Intentionalität und Aktivität zuvorkommenden, sinnlich vermittelten Ansprache des Menschen durch die Wirklichkeit resp. das Sein des Seienden aus, explizit 76 sogar von einer solchen durch die sächliche Wirklichkeit: »Das Wesen [sc. das Seiende; M. L.] gewährt vielmehr ungehindert den Durchblick in sein Sein, das sich unbedingt und ohne Grenze zeigt«. 77 Relikte dieser frühen Sichtweise finVgl. dazu auch oben, 6.1. M. Kim etwa scheint in dieser Frage etwas zu schwanken: Einerseits spricht er durchaus von einem metaphysisch-ontologischen Charakter des Werkes (vgl. Auf der Suche nach dem Unbedingten, 27.33), der sich etwa in der »Überblendung« von Transzendentalphilosophie und Hermeneutik zeige (vgl. ebd., 190), andererseits konzediert er OV aber durchaus einen immanentkritischen Status, erstens weil der Überstieg des Denkens, »nicht auf, aber in« den absoluten Seinsgrund abziele, d. h. als subjektinterne Argumentation zu verstehen sei (vgl. ebd., 133), und weil Verweyen hiermit zweitens keinen Beweis des Transzendenten bzw. Gottes liefere (vgl. ebd., 33.140). 75 OV 181. 76 Vgl. ebd., 199–203. Verweyen begründet hier seine methodische Einschränkung auf das Naturschöne zuungunsten der Interpersonalität und wendet sich dabei explizit gegen den siewerthschen Gedanken einer Subjektwerdung durch die ursprüngliche Einheitserfahrung in der Begegnung mit dem ›Mutterlächeln‹ ; vgl. OV 169 f.: Dieser Gedanke scheitere angesichts der Denkbarkeit und anzunehmenden Existenz eines Kindes, »dessen erster Aufblick nicht in ein Lächeln der Mutter, sondern in das kalt abweisende Gesicht von Erwachsenen fällt«. Freilich wird er später auf dieses Konzept Siewerths aus der Metaphysik der Kindheit (vgl. etwa OV 28 f.62) zurückkommen, vgl. unten, 6.3.3. 77 OV 177. Verweyen erweist sich in OV geradezu als Heideggerianer, wenn er fordert, dass diese exemplarische Identität nicht mit Siewerth methodisch an den Anfang gesetzt 73 74
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den sich eigentlich überall dort, wo Verweyen weiterhin vom ›Staunen‹ schreibt, das als Folge und Ausdruck der apriorisch-unmittelbaren, aller ›Domestizierung‹ durch den intentionalen Ausgriff vorausgehenden Sinnbegegnung des Subjekts erscheint: »Frage und Urteil [sc. die Intentionalität; M. L.] sind abkünftig vom Akt des Staunens, wo sich der Seinsgrund selbst im Seienden so zur Geltung bringt, daß er alle vorgefertigten kategorialen Entwürfe und vorgefaßten Sprachregelungen sprengt […]. In seine [sc. des Subjekts; M. L.] Erinnerung hat sich eingeschrieben, daß das Sein selbst im Seienden zur Sprache kam«. 78 Allerdings beschränkt er diese sinnlich vermittelte Erfahrung im Spätwerk zunehmend auf die Interpersonalität und fügt ihr ein aktives Moment seitens des Subjekts hinzu in Gestalt einer nichtkategorialen, sinnlichkeitsfundierten ›Intentionalität vor aller (husserlianisch verstandenen) Intentionalität‹. 79 (2) Bereits in seinem Anselmbuch beginnt Verweyen aber – wohl bedingt durch die zwischenzeitlich intensivierte Beschäftigung mit dem Idealismus (s. o.) – sich die transzendentalphilosophische Generalkritik des ontologischen Wirklichkeitsausgriffs zu Eigen zu machen. Er lobt dabei den in seiner rein transzendentallogischen Stringenz und Brillanz absolut bewahrenswerten anselmschen Gottesbegriff im 3. Kapitel des Proslogion, 80 wirft Anselm aber – ganz im Sinne der Reichweitenbegrenzung der ›kopernikanisch gewendeten‹ kantschen Vernunft – vor, im zweiten Kapitel einem ›metaphysischen Schwächeanfall‹ erlegen zu sein, also einen ontologischen Überstieg auf wirkliche, extramentale Existenz zu vollziehen und Gott so beweisen zu wollen: »Ist damit aber auch schon die wirkliche Existenz jenes Wesens [d. h. jenes wenn existent, so notwendig existenten ›AQM‹ des c.3; M. L.] erwiesen, wie Anselm in seinem ersten Beweisgang [sc. c.2; M. L.] behauptet? Nein, evident ist lediglich eine verwirrende werden dürfe, sondern erst aus dem Zweifel heraus reduktiv konstruiert werden müsse, weil ihr Vergessen zum ›Schicksal der Metaphysik‹ dazugehöre: vgl. ebd., 161. 78 So schreibt er 1997 (!) in BET 103. Verweyen wird den Gedanken einer sinnlich vermittelten, apriorischen Begegnung mit Sinn und Einheit vor allem im Rahmen der Transzendentalgenetik in Gestalt der intersubjektiven Selbstbewusstseinskonstitution wiederholen; vgl. unten, 6.3.3. 79 Vgl. dazu 6.3.1. 80 Vgl. BET 19: »Den Schluß Anselms vom Begriff Gottes auf seine Existenz halte ich zwar mit vielen anderen für fehlerhaft. Sein Gottesbegriff aber genügt auch den schärfsten Anforderungen, die sich vom modernen Denken her stellen«.
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Ontologische Position
Notwendigkeit der Vernunft«. 81 Diese Vernunftnotwendigkeit stehe aber weiterhin unter dem sisyphosschen Absurditätsverdacht, d. h., dass die Übereinstimmung der Wirklichkeit mit dem Denknotwendigen entgegen Anselms Annahme keineswegs sicher, sondern bleibend zweifelhaft sei. 82 Ergo könne philosophisch allenfalls eine Aussage darüber getroffen werden, wie das Sein oder die Wirklichkeit gestaltet sein müssten, um die Konsistenz menschlicher Vernunft zu bewahren. Andersherum formuliert, die Vernunft gelange nicht zur Erkenntnis der Faktizität des Wirklichen, sondern lediglich seiner Möglichkeiten unter der nicht ›andemonstrierbaren‹ (s. u.) Voraussetzung der Vernunftkonsistenz: »Im Unterschied zu einer metaphysischen bzw. ontologischen Argumentation geht es aber eben nur um einen Begriff, nicht um die Erschließung von Wirklichkeit. D. h., alle Aussagen […] sind rein hypothetischer Natur. Sie behaupten weder eine Wirklichkeit noch eine (Real-)Möglichkeit, sondern lediglich die (transzendentallogische) Notwendigkeit von etwas unter der Voraussetzung, daß (in theologischer Perspektive) eine letztgültige Offenbarung Gottes rational verantwortbar bzw. (in philosophischer Perspektive) die mir als unaufhebbar erscheinende Widersprüchlichkeit der Grundstruktur meiner Vernunft als ohne Widerspruch vernünftig erkennbar sein soll«. 83 Die Philosophie erfährt so eine apriorische, transzendentallogische Einklammerung ihrer Ergebnisse. (3) Verweyens gedankliche Entwicklung nähert sich so dem oben beschriebenen vierfachen Strukturgesetz der transzendentalphilosophischen ›Letztbegründung‹ : Die einzige, über allen Zweifel erhaben ›wirkliche‹ Größe ist das jeweilige transzendentale Ich, das freie, denkende Subjekt oder cartesianische cogito (erstes Postulat): »Erst im Durchgang durch diese letzte Infragestellung von Gewißheit [sc. den ›radikalen Zweifel‹ bei Descartes; M. L.] wird die unerschütterliche Evidenz des ›cogito/sum‹, des in seiner bewußten Wirklichkeit durch keine Vernunft zu unterhöhlenden Denkens gewonnen«. 84 Alles, was dieses Ich nun subjektimmanent-transzendentallogisch – reduktiv-analytisch wie deduktiv – als Bedingungen wie Folgerungen der eigenen Vernunftkonsistenz zu erkennen vermag, steckt den Möglichkeitsrahmen der subjektexternen Wirklichkeit ab (erste Fol81 82 83 84
NGF 45. Vgl. ebd., 46. GLW 155 (s. Anm. 72). Ebd., 141. A
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gerung), ohne diese in ihrer Faktizität vorauszusetzen oder gar zu beweisen: »Das ist dann kein ›ontologisches‹ Argument mehr, kein unzulässiger Schritt vom bloß gedachten zum wirklichen Sein, sondern Schritt innerhalb einer Wirklichkeit [sc. der unbezweifelbaren eigenen Vernunft des Subjekts; M. L.], die ihre eigene Struktur enthüllt«. 85 Die Anwendung dieser vernunftintrinsischen Möglichkeitserwägungen auf die Wirklichkeit bedürfe dabei freilich – und hierin bestehe wesentlich ihr ›bescheidener‹ Charakter 86 – der weder ersetzbaren noch ›andemonstrierbaren‹ individuellen Entscheidung des einzelnen transzendentalen Ichs, die völlige Übereinstimmung von Vernunft und Wirklichkeit als einzige Möglichkeit universaler Vernunftkonsistenz und einer vernunftbestimmten Welt voraussetzen zu wollen (zweites Postulat); allerdings verbliebe im Falle des Ausbleibens dieser Entscheidung als Alternative lediglich der Relativismus: »Wer die Frage nach der Möglichkeit eines ›Sinns im Ganzen‹ für im wesentlichen entschieden oder wenigstens entscheidbar hält, impliziert ein Urteil der Metaphysik [!], ein universal gültiges Urteil über Sein überhaupt […]. Die Frage nach der Möglichkeit eines ›Sinns im Ganzen‹ überhaupt für falsch gestellt oder wenigstens für nicht entscheidbar zu halten, ist wesentliches Charakteristikum des Agnostizismus«. 87 Verweyen präzisiert und radikalisiert den Gedanken der transzendentalphilosophischen Eruierung des Möglichkeitsrahmens der Wirklichkeit, indem er die begrifflich eindeutige Vernunftkommensurabilität alles möglichen Seins fordert: Wenn Welt und Vernunft konsistent zu denken seien, könne in der Welt nichts für den Menschen Relevantes existieren, von dem die autonome Vernunft des Menschen nicht – zumindest potentialiter – einen transzendentallogischen Vorbegriff zu bilden vermöge. Auch gelangt er zu der Schlussfolgerung, dass es denknotwendiges Seiendes gibt, ohne dessen unbeweisbare Existenz sich die Vernunft nicht mehr als konsistent zu denken vermöge (zweite Folgerung). Dies ist schließlich der systematische Ort seines letztgültigen Sinnbegriffs, der aus ihm abgeleiteten Begriffe des unbedingten Sollens und der Sinn-Realisierung, sowie der philosophischen Gottesvorstellung Verweyens, die NGF 66. Auch Verweyen unterstreicht – wie Pröpper – häufig die Bescheidenheit transzendentalphilosophischen Denkens, vgl. etwa BET 112. 87 FHE 380. 85 86
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Erkenntnistheoretische Position
allesamt den Status einer Denknotwendigkeit beanspruchen und nun zu behandeln sind.
6.3 Erkenntnistheoretische Position: Der unhintergehbare Begriff letztgültigen Sinns »Damit mich als freies sittliches Wesen eine letztgültige Offenbarung Gottes unbedingt in Anspruch nehmen kann, muß ich zunächst einmal prinzipiell imstande sein, philosophisch autonom einen unhinterfragbar gültigen Begriff von Sinn zu bilden«. 88
Zunächst ist hier eine Rechtfertigung vonnöten, inwieweit der nun darzustellende Kernbestand der verweyenschen Religionsphilosophie als ›erkenntnistheoretische Position‹ klassifiziert werden kann. Selbstverständlich verfolgt Verweyen mit seinem Denken ein weiter reichendes Ziel als die bloße Entwicklung einer Epistemologie, also die Erklärung des Zustandekommens einzelner menschlicher Erkenntnisse oder des Verstehens überhaupt philosophisch. Verweyen geht es ja, so zeigt die obige Darstellung seines Ansatzes (6.1), um die erstphilosophische Erhebung und den Möglichkeitserweis eines unhintergehbaren Sinnbegriffs, der dann zur Identifikation der Offenbarung als universaler Antwort auf die menschliche Sinnfrage dienen kann. Nun konzipiert er seine Erstphilosophie aber in weiten Zügen bewusst als Transzendentalphilosophie und beschränkt sich so auf die Analyse der Bedingungsmöglichkeiten der postulierten (s. 6.2) Vernunftkonsistenz, fragt also nach der Entstehung, dem inneren Zusammenhang und der Vereinbarkeit menschlicher Erkenntnisse. Das Zentrum der verweyenschen Religionsphilosophie, die erstphilosophische Eruierung und der Möglichkeitserweis des unhintergehbaren Sinnbegriffs findet sich im ersten Teil von GLW, spezieller im sechsten 89 und siebten 90 Kapitel, die hier daher den hauptsächlichen Untersuchungsgegenstand bilden. Die Kapitel lassen sich in drei Sinneinheiten oder Schritte unterteilen, die in der ersten Auflage noch jeweils einem Kapitel (Kapitel 6–9 unter Aussparung von Kapitel 7) 91 entsprachen, während das neue Kapitel 6 nunmehr die beiden 88 89 90 91
GLW 154. Ebd., 133–185: »Die Frage nach Kriterien für Letztgültigkeit«. Ebd., 186–195: »Die Möglichkeit geschichtlicher Offenbarung«. Vgl. Anm. 92. A
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ersten Einheiten umfasst und Kapitel 7 die dritte bildet. Zunächst geht es um die unbezweifelbare Existenz und paradoxe Elementarstruktur menschlicher Vernunft als Fundament des späteren Sinnbegriffs und die daraus formulierbare universale Sinnfrage des Menschen als seine Voraussetzung. Dieser erste Schritt und Ausgangspunkt umfasst die Abschnitte GLW 6.1 und 6.2, ist mit Ausnahme der ergänzten ›radikalen Subjektreflexion‹ (GLW 6.2.2) weitestgehend 92 deckungsgleich mit dem alten Kapitel 6 93 und soll hier unter dem Titel »Paradoxe Elementarstruktur der Vernunft und Sinnfrage« (6.3.1) behandelt werden. Die zweite und größte Sinneinheit, der Abschnitt GLW 6.3, behandelt die eigentliche Herleitung des unhintergehbaren Sinnbegriffs und die Möglichkeitsbedingungen seiner aktuellen resp. zukünftigen Verwirklichung, stellt so eine Fortentwicklung des alten Kapitels 8 94 dar und wird hier unter der Überschrift »Der Sinnbegriff und seine Implikate« (6.3.2) behandelt. Den dritten und letzten Bestandteil des philosophischen Kerns von GLW bildet schließlich Kapitel 7, das weitestgehend identisch mit dem alten neunten Kapitel ist. 95 Hier geht es sowohl um Offenbarung im weiteren Sinn als Erfahrung (d. h. bereits ergangene Verwirklichung) unbedingten Sinns in sinnlich-geschichtlicher Konkretion, als auch um die spezielle, christliche Offenbarung: Zum Erweis der Möglichkeit der Letzteren sei nämlich zunächst die Faktizität der Ersteren zu erweisen, was Verweyen im Aufweis der »interpersonalen Konstituierung des Ichs als Sollen« (GLW 7.2: 188–191) gewährleistet sieht. Jener dritte und letzte Schritt soll unter dem Schlagwort »Die geschichtliche Evidenz letzten Sinns als ›Offenbarung‹« (6.3.3) abgehandelt werden. Die drei Schritte werden sich dabei zeigen als Wechsel von grundlegender Transzendentalreduktion (auf die Elementarstruktur menschlicher Subjektivität; Schritt 1), 96 darauf aufbauender Transzendentaldeduktion (des unhintergehbaren SinnVerweyen fasst 1 GLW 6.1 und 6.2 leicht verändert zu GLW 6.1 zusammen und spart dabei den Abschnitt über Hermann Krings in 1 GLW 194 f. (6.1[2]) aus. 93 1 GLW 182–203: »Der Ausgangspunkt der Reflexion auf letztgültigen Sinn«. 94 Ebd., 233–255: »Der Begriff letztgültigen Sinns«. 95 Ebd., 256–267: »Die Möglichkeit geschichtlicher Offenbarung«. 96 Verweyen selbst differenziert (vgl. GLW 147) die transzendentalreduktive Rückfrage nach dem Subjekt und seiner Sinnfrage in den bereits in der ersten Auflage vorliegenden »platonisch-neuplatonisch gefärbten […] transzendentalphänomenologisch[en]« Teil (= GLW 6.2.1) und die hinzugefügte Argumentation aus »radikaler Subjektreflexion« (= GLW 6.2.2). 92
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Erkenntnistheoretische Position
begriffs; Schritt 2) und erneuter Transzendentalreduktion (auf die bereits ergangene Sinnoffenbarung als Konstitutivum menschlicher Subjektivität; Schritt 3). 6.3.1 Schritt 1: Die paradoxe Elementarstruktur der Vernunft und die Sinnfrage (GLW 6.1 f.) Der erste Schritt auf dem Weg zum universalen Sinnbegriff – die transzendentalreduktive Absicherung der Subjektivität in ihrer paradoxen Elementarstruktur und die damit einhergehende Erhebung der allen Menschen gemeinsamen Sinnfrage – teilt sich erneut in drei Teile, die sich an den drei Unterkapiteln GLW 6.1, GLW 6.2.1 und GLW 6.2.2 orientieren und gemäß deren Reihenfolge Verweyens Besinnung auf die unleugbare Evidenz des cogito (1) sowie seine ›transzendentalphänomenologische‹ (2) und ›radikal subjektlogische‹ (3) Besinnung auf die unmittelbar evidente Einheitsprägung des Subjekts behandeln. (1) Der Ansatz nimmt seinen Ausgang ex negativo in GLW 6.1 (»Zur Tragweite transzendentalpragmatischer ›Letztbegründung‹«), befasst Verweyen sich doch zunächst mit der Kritik an Apels und Kuhlmanns Transzendentalpragmatik. Es mag verblüffen, dass Verweyen so an den Anfang des eigenen Ansatzes die negative Kommentierung eines anderen setzt, allerdings erklärt sich dies aus seiner Überzeugung, dass Apels Denken den einzigen ernstzunehmenden Versuch erstphilosophischer Letztbegründung innerhalb der zeitgenössischen Philosophie darstellt, den es daher zunächst zu kommentieren gelte. Weiterhin versucht er gerade anhand der von ihm ausgemachten Fehler der Transzendentalpragmatik erste Grundlagen des eigenen Ansatzes zu formulieren, wobei v. a. die am Ende stehende Unausweichlichkeit der cartesianischen Einsicht in die Evidenz des ›cogito, ergo sum‹ zu nennen ist. Dieser positiv-konstruktive Bestandteil des Abschnitts 6.1 zeigt sich vielleicht noch etwas deutlicher in der Gliederung der ersten Auflage, in der jenem Evidenzaufweis menschlicher Subjektivität noch ein eigenes Unterkapitel gewidmet war. 97 Vgl. 1 GLW 190–195 (6.2): »Das transzendentale Subjekt der Reflexion«, das neben dem ausgesparten Passus über Hermann Krings auch den heutigen Abschnitt 6.1(5) beinhaltete.
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Apel weite die in der Maréchalschule grundgelegte retorsive Untersuchung von Frage und Urteil aus, indem er beide als Sprechhandlungen behandle. Allerdings grenze er sich gleichzeitig vom Transzendentalthomismus ab, da er dessen Hauptargument des mit den genannten Vernunftvollzügen notwendig einhergehenden Wahrheitsanspruchs als metaphysisches Relikt einklammere und durch die notwendige Affirmation der ›idealen Kommunikationsgemeinschaft‹ ersetze. Apel erreiche dabei aber selbst bestenfalls den Status einer »regional eingeschränkten Letztbegründung« 98 und »kaum den […] einer ›Ersten Philosophie‹«, 99 weil er den in seinem Konzept implizierten Unbedingtheitsbegriff nicht ausreichend erhelle und die kommunikativen Vernunftvollzüge weder auf ihren Ursprung, dem Staunen als ursprünglicher Einheitserfahrung, noch auf ihre letzte, allein aposteriorisch im Durchgang durch den Zweifel zu erkennende Bedingungsmöglichkeit, das unhintergehbare cogito, zurückführe. Entgegen dem apelschen Vorwurf des (methodischen) Solipsismus gegenüber der idealistischen Philosophie, vermöge die cartesianische Tradition (etwa in Gestalt der intersubjektiven Subjektkonstitution bei Fichte und schon bei Descartes selbst) 100 durchaus Intersubjektivität zu integrieren, ohne diese aber – wie Apel – gegen die Irreduzibilität der »unerschütterliche[n] Evidenz des ›cogito/sum‹« 101 als erstem Ort der Unbedingtheit und anfänglichen Einheitserfahrung des Subjekts auszuspielen, die den eigentlichen Unbedingtheitsausgriff von Frage und Urteil erst ermöglichten. Verweyen ratifiziert so en passant die aus dem Zweifel herausgebildete und so vermeintlich diesem enthobene Grundlegung menschlicher Subjektivität bei Descartes und fasst sie mit den beiden Bedeutungen des englisch-französischen ›conscience‹ als ›Bewusstsein‹ und ›Gewissen‹. Dieses unbezweifelbare cogito werde so – um Verweyens Bild aufzugreifen – zu einer rein transzendentalen und vom bühnenbildnerischen Überbau der Transzendentalpragmatik »leergefegte[n] Bühne« für alles GLW 135. Ebd., 138. 100 GLW 140 f.: »Was den Urheber der ›cartesianischen Reflexion‹ selbst angeht, so war diesem das Problem der Vermitteltheit des Denkens durch andere Vernunft (wenn auch nicht, wie Fichte, durch eine menschliche Kommunikationsgemeinschaft) durchaus bewußt«. Verweyen verteidigt wiederholt diese intersubjektive Aufsprengung des idealistischen Denkens und wirft etwa v. Balthasar vor, sie im Werk Fichtes übersehen zu haben, was dieser ihm auch brieflich zugestanden habe (vgl. ebd., 303 f.; oben, Anm. 57). 101 Ebd., 141. 98 99
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»Welttheater« und somit auch – totum pro parte – für die Eruierung letztgültigen Sinns. Gleichzeitig proklamiert Verweyen bereits hier die paradoxe Elementarstruktur menschlicher Vernunft, da dem aufgrund der ursprünglichen Einheitserfahrung gleichzeitig mit dem cogito gegebenen »Vorgriff auf ein Unbedingtes« 102 als Charakteristikum menschlicher Transzendentalität allem Anschein nach nur die Erreichbarkeit bedingter Größen gegenüberstehe. Diese Elementarstruktur stehe so in ihrer Paradoxie unter dem Absurditätsverdacht des ›Sisyphosfluchs‹. (2) Die beiden folgenden Teilschritte versuchen nun, diese paradoxe Elementarstruktur zu fundieren und näher zu untersuchen, um so die eine und universale Sinnfrage des Menschen formulieren zu können. Den ersten Angang hierzu bildet die bereits in der ersten Auflage von GLW unternommene platonisierend-transzendentalphänomenologische 103 Bestimmung des »Problem[s] Mensch« anhand der Besinnung auf die apriorische Vorstellung der vollkommenen Einheit oder des Punktes im Abschnitt GLW 6.2.1 (»Das ›Problem Mensch‹ am Leitfaden des mathematischen Punkts«). Verweyen sieht das menschliche Denken von vorneherein geprägt durch die »Kategorie« der Einheit, d. h. der unvermittelten Idee einer unhintergehbaren ›Eins‹, wie sie sich im Gedanken des Punkts, des absolut unteilbaren Atoms oder auch des anselmschen ›AQM‹ zeige: »In der Tat vermögen wir nichts wahrzunehmen, vorzustellen, zu denken oder zu tun, ohne von der Kategorie […] des Einen Gebrauch zu machen«. 104 Ob die durch diese Prägung hervorgerufene Vernunftbewegung auf die ›Eins‹ hin nun das Kleinste (Punkt, Atom) oder Größte (AQM) anvisiere, sie stelle eine Notwendigkeit des Bewusstseins dar, dessen apriorische Prägung durch die Vorstellung unbedingter Einheit sich gerade darin zeige, dass es selbst Einheit nur synthetisch zu produzieren vermöchte. Verweyen sieht diese Überzeugung von der regulativen ›Richterfunktion‹ (vgl. die augustinische Dialektik von iudicari und iudicare) und dem ›Angeborensein‹ (vgl. Descartes’ idea innata) einer Idee bzw. von der »Macht der reinen Form über die menschliche Vernunft« 105 schon in den ontologischen GottesbeweiEbd. (i. O. kursiv). So ja Verweyens eigene Qualifikation dieses Teils in der dritten Auflage, vgl. oben, Anm. 96. 104 Ebd., 143. 105 GLW 98. 102 103
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sen bei Augustinus, Anselm und Descartes am Werk. 106 Das transzendentale Faktum der Prägung durch die Einheitskategorie stelle dabei aber kein ontologisches Präjudiz dar: Weder könne mit den Vertretern des ›ontologischen Arguments‹ der metaphysische Gottesbeweis erbracht, noch mit Platonismus und Plotinismus die ›Eins‹ objektiv idealistisch hypostasiert, noch umgekehrt in einem subjektiven Idealismus das Subjekt selbst zur reinen ›Eins‹ erhoben werden (Verweyen verweist hier auf Kierkegaard), vielmehr drücke sich im Gedanken der absoluten Einheit oder In-komplexität lediglich eine transzendentale Funktionalität des Bewusstseins aus. Diese Funktionalität bedinge die paradoxe Elementarstruktur der Vernunft, da sie sich durch unbedingte Einheit geprägt und doch zu ihrer Verwirklichung außerstande erweise. Hieraus lasse sich dann auch die menschliche Sinnfrage als die Frage nach einer »jeglichen Zwiespalt überwindende[n] Einheit« identifizieren. 107 (3) Den letzten Teilschritt auf dem Weg zur Erhebung der Paradoxie menschlicher Vernunft mit ihrer universalen Frage nach Sinn stellt nun die Neubesinnung auf das »›Problem Mensch‹ als Ergebnis radikaler Subjektreflexion« dar, wie Verweyen sie im neuen Unterkapitel GLW 6.2.2 liefert. Er erläutert, er habe diesen rein subjektintrinsischen Aufweis von Elementar- und Fragestruktur aufgrund des mangelnden Verständnisses seiner platonisierenden Einheitsargumentation seitens der Rezipienten eingeschoben. Dieses Missverstehen beruhe wohl auf dem bereits von Blondel angeprangerten neuzeitlichen Infinitesimalkalkül, 108 das keine idealen ›reinen Formen‹ mehr kenne, sondern alle Vollkommenheit lediglich über den infiniten (!) Regress bzw. Progress steter Annäherung (via Differential- oder Integralrechnung) dächte. Philosophisch sieht Verweyen dieses Kalkül und die auf ihm fußenden Verfahren der Mathematik resp. Naturwissenschaft jedoch in einem »evidenten Widersinn« gefangen. 109 Mehr noch als dieses mangelnde neuzeitliche Verständnis gegenüber dem Idealismus dürfte Verweyen aber wohl die Kritik seitens seiner 106 Vgl. ebd., 89–101 (4.3): »Das transzendentallogische Argument«; v. a. ebd., 91–93; 96–101. Verweyen verweist auch dezidiert auf diese strukturelle Analogie, vgl. GLW 147. 107 Ebd., 146. 108 Vgl. Blondel, L’action, 45–102 (Teil III, erster Schritt); vgl. hierzu auch Verweyen, Einleitung (1974), 34–37. 109 GLW 147.
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Mitstreiter im Rahmen der theologischen Letztbegründungsbestrebungen, in erster Linie also Pröppers und Kl. Müllers, zur Ergänzung der ›radikalisierten‹ Subjektreflexion bewogen haben, 110 da diese ihm vorgeworfen hatten, das Unbedingte in Gestalt der idealen Einheit subjektextern und somit heteronom zu verorten, anstatt das cogito selbst in seiner Unbedingtheit zu betrachten. 111 Verweyen legt nun eine dreiteilige Subjektreflexion dar, die an Fichtes berühmten Dreischritt aus der Wissenschaftslehre erinnert und – wie Verweyen anmerkt – beim »geraden Gegenteil der Einheit […], nämlich dem anderen«, 112 also bei der Differenz anhebt. In jedem menschlichen Vernunftakt sei als Implikat enthalten, dass das erkennende Subjekt anderes als anderes wahrnehme. Aus dieser Einsicht ergebe sich die paradoxe Elementarstruktur der Vernunft als »Ich-Setzung-in-Differenz« 113 in einer dreigliedrigen Folgerung, nämlich als Synthese (3) einer idealistischen (1) und einer realistischen Position (2) hinsichtlich der Erkenntnis der Differenz: 1. In der Erkenntnis des anderen als anderen erfahre sich das jeweils erkennende Subjekt als unersetzlich, als unbedingte Einheit und unbegrenzter Ausgriff (Standpunkt des Idealisten): Unersetzlich erweise sich das Subjekt deshalb, weil niemand ihm die je eigene Erkenntnis der Differenz ›abnehmen‹ (im doppelten Wortsinne von ›übernehmen‹ und ›wegnehmen‹) könne. 114 Die eigene, uneingeschränkte Einheit sei weiterhin notwendige Mitsetzung jeder Erkenntnis eines anderen als anderen, während dieser/ dieses andere zwar als Grenze des Subjekts erscheine, aber als im Denken begriffene Grenze die Unendlichkeit des Ausgriffs menschlicher Transzendentalität nicht beschränke. 2. Die Erkenntnis des anderen als anderen vermöge aber nicht die Differenz von Subjekt und anderem aufzuheben (Standpunkt des Realisten): Einerseits beeinträchtige die Erkenntnis des anderen dessen Eigenstand nicht, da sie 110 So konzediert Verweyen etwa Pröpper in Offenbarungsglaube und Ikonoklasmus, 4–8. 111 Vgl. etwa EFV 189 f.; Kl. Müller, Anerkennung und Ich-Apriori, 54 f. Hier ist allerdings anzumerken, dass schon in Verweyens Einheitsargumentation die Unhintergehbarkeit, also wenigstens relative Unbedingtheit des cogito als conscience inbegriffen ist (und bereits in der ersten Auflage war), so dass die Kritik ein wenig überzogen erscheint. 112 GLW 148. 113 Ebd., 149. 114 Hier ist wohl eine Parallele zu Kl. Müllers sprachanalytischem Letztbegründungsversuch durch die lexikalische Unersetzbarkeit des ›kleinen Ichs‹ oder ›Ich-Pols‹ zu sehen, vgl. Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage; vgl. hierzu auch oben, Einleitung zweiter Teil, Anm. 4.
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ihn ja gerade in seiner Andersheit hervorhebe. Andererseits stehe auch die Selbsterkenntnis des Subjekts in der Differenz von Erkennendem und Erkanntem, so dass dieses schon in sich selbst eine unhintergehbare Alterität beinhalte, die sich im schwachen, deklinierten ›mich‹ der reflexiven Erkenntnis gegenüber dem starken ›Ich‹ des Erkenntnissubjekts zeige. 115 Das Ich sei so mitsamt seiner Intentionalität »von der Wurzel her unterwandert« 116 und geradezu ›verspottet‹ durch eine ihm zugehörige, aber doch unverfügbare Alterität. 117 Diese Unterwanderung zeige sich auch – wie Verweyen hier nur anmerkt – in der Sinnlichkeit des Subjekts mit ihrer eigenen, nichtkategorialen Intentionalität (vgl. dazu 6.3.2). 3. So erweise sich die Erkenntnis des anderen als des anderen aufgrund ihrer irreduziblen Pole des Ichs (Erkenntnissubjekt) und des anderen (Erkenntnisobjekt) als Ausdruck der augenscheinlich widersprüchlichen Elementarstruktur der Vernunft, die mit Einheit vertraut sei und sie anstrebe, sie aber nur in ununterdrückbarer Differenz zu setzen vermöchte. Hierin zeige sich die universale Sinnfrage als Frage bzw. als »absurd erscheinende[s] Verlangen« 118 nach einer universalen, die Differenz (nicht bloß begrifflich) umgreifenden Einheit. Verweyen liefert in BET – sozusagen als Synthese der beiden Annäherungen in GLW 6.2 eine Neudefinition der Elementarstruktur als Trias von Subjekt, Alterität und Idee des (bzw. »eines«) Unbedingten. 119
115 Verweyen greift hier auf die französischen Termini ›je‹ und ›moi‹ zurück, was sprachlich unnötig ist, da die verwendeten deutschen Begriffe den Sachverhalt ebenfalls ausdrücken (einziger, hier aber wohl kaum relevanter Unterschied dürfte die Einschränkung des dt. ›mich‹ auf den Akkusativ sein, während das frz. ›moi‹ auch den Dativ abdeckt). Hintergrund ist hier wohl die – bei Verweyen allerdings nicht behandelte – Herkunft der Beschäftigung mit dieser Dialektik der unterschiedlichen Formen des Personalpromomens in der frankophonen Sprachphilosophie; interessant ist der ausbleibende Bezug zur meadschen Differenzierung zwischen ›me‹ und ›I‹ und ihrem theologischen Aufgriff etwa bei W. Pannenberg (vgl. oben, 5.1). Eine wichtige Parallele zu Verweyens Ausführungen über die sich schon sprachlich artikulierende innersubjektive Alterität ist – schon der Titel zeugt davon – Ricœurs Soi-même comme un autre. 116 GLW 149. 117 Diese Formulierung erinnert stark an Levinas’ Aussage, dass die Zukunftsunsicherheit, der Hunger und der Durst die Freiheit ›auslachten‹, vgl. Kap. 3, Anm. 218. 118 GLW 150. 119 Vgl. BET 30.
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6.3.2 Zweiter Schritt: Der Sinnbegriff und seine Implikate (GLW 6.3) Verweyens transzendentaldeduktive Erarbeitung des Sinnbegriffs in GLW 6.3 umfasst zwei Abschnitte, die sich mit den beiden Fragerichtungen nach der Transzendentalität des Menschen auf unbedingten Sinn hin und der Transparenz der Wirklichkeit für dessen Verwirklichung korrelieren lassen: erstens die eigentliche Deduktion des unhintergehbaren Sinnbegriffs und des in ihm implizierten Sollensbegriffs in GLW 6.3.1–6.3.3 (1) und zweitens die ihr beigesellte Frage nach den Bedingungen sinnlich-geschichtlicher Realisierbarkeit beider Begriffe und nach ihrem ›Realisierungsbegriff‹ in GLW 6.3.5–6.3.7 (2). Die beiden Teile werden getrennt von einer kurzen, exkurshaften Abgrenzung Verweyens vom Monismus (GLW 6.3.4), die auch hier eingeschoben werden soll. (1) Die transzendentale Deduktion des universalen und unhintergehbaren Sinnbegriffs (GLW 6.3.1–6.3.3) besteht aus dem Ausschluss einer metaphysischen Lösung des menschlichen Sinnproblems (GLW 6.3.1), der Einführung des bildlogischen Sinnbegriffs (GLW 6.3.2) und dem daraus resultierenden Sollensbegriff (GLW 6.3.3). Verweyen hebt hier – wie bereits erwähnt – an mit dem Verbot einer metaphysikverhafteten, ontologischen Beantwortung der Sinnfrage (GLW 6.3.1). Diese unter GLW 6.2 eruierte allgemein-menschliche Frage zielte ja ab auf eine uneingeschränkte, unbedingte Einheit zur Lösung des zentralen Problems der menschlichen Vernunft, jenes als paradoxe Elementarstruktur klassifizierten »Widerspruch[s] zwischen Unbedingtheit und Bedingtheit, der an der Wurzel seines [sc. des Menschen; M. L.] Verlangens nach Glück nagt«. 120 Verweyen übernimmt zunächst Auguste Comtes ›Drei-Stadien-Gesetz‹ um aufzuzeigen, dass die Sinnfrage in chronologischer Ordnung zuerst religiös-mythisch, dann metaphysisch und schließlich naturwissenschaftlich-positivistisch beantwortet worden sei. Da die religiöse Antwort (und die Theologie als ihr wissenschaftlicher Niederschlag) im Rahmen der genuin philosophischen Glaubensverantwortung ja methodisch ausgeschlossen werden muss (vgl. 6.1), blieben so scheinbar nur die Antworten des Positivismus und der Metaphysik übrig. Der naturwissenschaftlich-mathematische Positivismus scheide aber sofort wieder aus, da er zwar zur Erhellung des Alteritätspols 120
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der Elementarstruktur der Vernunft beitragen könne (etwa durch Psychoanalyse etc.), sich die irreduzible Einheit des Ichs und mit ihr die Elementarstruktur als ganze aber nicht ›von unten‹, d. h. aposteriorisch-induktiv, sondern allein apriorisch und transzendental erklären ließen. 121 Das Paradox ›menschliche Vernunft‹ könne vielmehr – und hier greift Verweyen geradezu beiläufig dem eigentlichen Kern seines Sinnbegriffs vor – allein durch eine Argumentation ›von oben‹ nachvollzogen werden als apriorische »Prägung« 122 der Vernunft durch eine absolut differenzmächtige, unbedingte Einheit. Dieses Postulat stehe in Analogie zum Gedanken der apriorischen Vernunftbestimmung in den transzendentallogischen Gottesbeweisen (vgl. 6.3.1), dürfe jedoch nicht, und allein darum geht es Verweyen hier zunächst, als Existenzbeweis des Unbedingten, also als Gottesbeweis verstanden werden, wie es in der Metaphysik der Fall wäre. Die Metaphysik als »philosophische Theologie« 123 im Gefolge Platons, die sich völlig von menschlicher Religiosität abgetrennt habe, sei aus insgesamt drei Gründen ungeeignet zur Beantwortung der menschlichen Sinnfrage: Erstens basiere sie auf der genannten ontologischen Existenzannahme und erläge so einem naturalistischen Fehlschluss. 124 Zweitens sei auch sie außerstande, die unhintergehbare Irreduzibilität und Unabhängigkeit des Subjekts zu erklären, und drittens liefere sie keine akzeptable Antwort auf die Theodizeefrage, da sie den »Götterfluch des Sisyphos« keineswegs aufhebe, sondern im Gegenteil als solchen zementiere. 125 Nach dieser, erneut ex negativo operierenden Annäherung an den Sinnbegriff (als Novum der dritten Auflage) folgt nun in Um121 Verweyen erteilt so jeder positivistischen Verkürzung menschlicher Subjektivität etwa in der zeitgenössischen ›brain-mind‹-Debatte eine klare Absage, da diese nicht auf die freie Vernunft als ihre eigene Möglichkeitsbedingung reflektiere, vgl. ebd., 152. 122 Ebd. 123 Ebd., 151. 124 Zwar könne Kants Einschränkung der Reichweite des Kausalprinzips auf die ›Welt der Erscheinungen‹ durchaus bestritten werden, allerdings entbehre der Existenzschluss auf eine solche transzendente causa in der Tat der philosophischen Legitimation, vgl. ebd., 152 f. 125 Vgl. zum Ganzen ebd., 151–153. Verweyen verweist zum Abschluss dieses Unterkapitels auf das Metaphysikdesiderat in Fides et Ratio (vgl. v. a. FR 83), das sich aber keineswegs auf eine historische Form von Metaphysik beziehe, sondern dem bereits eine erstphilosophische Argumentation genüge, die – wie etwa bei Blondel (und bei Verweyen selbst, wie wohl ergänzt werden darf) – auch nicht- bzw. nachmetaphysisch sein könne.
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stellung der Anordnung in der ersten Auflage mit dem Abschnitt GLW 6.3.2 die Einführung der für den Sinnbegriff zentralen Kategorie des ›Bildes‹. Nach einigen wiederholenden Vorbemerkungen hinsichtlich der Notwendigkeit des Sinnbegriffs wie des Verbots seiner metaphysisch-ontologischen Ausdehnung über den Vernunftbinnenraum hinaus auf die Wirklichkeit wendet sich Verweyen der im vorherigen Abschnitt en passant angedeuteten apriorischen Prägung der Vernunft durch unbedingten Sinn zu: Die menschliche Vernunft könne sich angesichts ihrer paradoxen Elementarstruktur nur als konsistent denken, wenn ihre Prägung durch die unbedingte Einheit als Äußerung dieses Unbedingten selbst verstanden würde: »Wenn sie [sc. die Elementarstruktur; M. L.] überhaupt erklärbar sein soll, dann nur durch die Äußerung eines in jeder Hinsicht unbedingten einen Seins, das zugleich der Differenz mächtig ist«. 126 Eine solche Äußerung des Unbedingten in das Bedingte hinein entzöge sich aber ebenso den Erkenntnisfähigkeiten des Subjekts wie der aus der geforderten Differenzfähigkeit zu postulierende »Raum für Differenz« innerhalb jenes absoluten Seins. 127 Beides – innerabsolute Differenz wie Äußerung ins Bedingte hinein – lasse sich nur anhand des Bildbegriffs denken. Verweyen verweist hier – in Ergänzung zur ersten Auflage – zunächst auf den biblischen und ostkirchlich-ikonographischen Bildbegriff (e§kðn), der die völlige Transparenz einer sinnlichgeschichtlichen Wirklichkeit (Christi bzw. der ›authentischen Ikone‹) für Gott besage. Mit Blick auf die paulinisch-deuteropaulinische Übertragung des Begriffs auf Christus (2 Kor 4,4 u. Kol 1,13 ff.) fragt Verweyen gar, ob sein eigener Sinnbegriff, der in diesem Kontext die erste Formulierung findet, bereits neutestamentlich bezeugt sei: »Steht hier schon eine philosophisch-theologische Reflexion im Hintergrund, der zufolge alles Sein außerhalb Gottes nur als sein Bild oder aber als Möglichkeitsbedingung zu diesem Bild verstanden werden kann?« 128 Als weiteren Gewährsmann betrachtet Verweyen aber erneut Anselm von Canterbury, dessen innertrinitarischer Bild- bzw. Wortbegriff (›verbum aut imago‹) 129 zu der genialen, rein apriorischen Definition eines Bildes oder Wortes durchstoße, dessen Wesen GLW 155. Vgl. unten Anm. 184. 128 GLW 156. 129 Vgl. Anselm von Canterbury, Monologion, c.XXXVIII (I, 56): »Verbum namque hoc ipsum quod verbum est aut imago«. 126 127
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sich ganz darin erschöpfe, eben ›Bild‹ oder ›Wort‹ zu sein: »Wo ein Bild wirklich reines Bild ist, haben wir ein etwas vor uns, dessen ganze Substanz in Relation aufgeht und so eine absolute Einheit trotz unauflöslicher Differenz darstellt«. 130 Bei Übertragung dieses Bildbegriffs auf Welt und Mensch würden diese nun als Bilder des Absoluten verständlich, so dass ihr vermeintlich paradoxes Einheitsstreben als »Ringen um Ausdruck« geradezu als Existential erscheine. 131 Anselms Bildbegriff berge jedoch – zumindest im trinitätstheologischen Zusammenhang 132 – auch ein Defizit, da im ›wahren‹ Bildbegriff notwendig auch Freiheit impliziert sei. Aufgrund der ansonsten unüberwindlichen »Sperrigkeit der ›Ausdrucksmaterie‹« 133 sei erst ein solches Bild vollkommen, das sich als freies Subjekt dazu entschließe, die eigene Wesensbestimmung als Bild zu erfüllen: »Ein Bild im eigentlichsten [sic! M. L.] Sinn kann nur im Akt einer Freiheit entstehen, die sich selbst ihrem inhaltlichen Sein nach ganz in diesen Ausdruck, in dieses ›verbum aut imago‹, hineingibt«. 134 So ließen sich die Absolutheit des Unbedingten und die Existenz und Freiheit des Bedingten miteinander in Vernunftkonsistenz vereinbaren, indem – und hierin ist der Grundbestand des verweyenschen Sinnbegriffs zu sehen – Welt und Mensch nicht mehr als Subsistenzen, als in sich stehende Seiende neben dem Absoluten bzw. Gott verstanden würden, sondern ausschließlich als dessen Bild, also als »Erscheinung des absoluten Seins«. 135 Verweyen hatte diesen Gedanken in der ersten Auflage anhand Fichtes später Wissenschaftslehre entwickelt, in der dritten verzichtet er jedoch auf den Einzelbeleg, sondern spricht allgemein – und zwar nur in der Anmerkung (!) – von ›enger Anknüpfung‹ an Fichte. 136 130 Verweyen, Einleitung (1982), 15 (= ders., Einleitung [1994], 31 f.); vgl. auch Kim, Auf der Suche nach dem Unbedingten, 198. 131 Vgl. GLW 157: »Die Grundverfaßtheit des Daseins ist geradezu ein Ringen um Ausdruck«. 132 Anders sei dies in Anselms De veritate, vgl. GLW 157; Verweyen, Einleitung (1982), 20 f. 133 BET 41. 134 GLW 158. 135 Ebd., 159. 136 Vgl. ebd., 158. Er erklärt dies mit dem Hinweis, er habe schon in der Erstauflage keine Fichteinterpretation liefern und durch die Auslassung den Text verständlicher machen wollen; auf eine mögliche Beeinflussung durch die Kritik an seiner Fichtedeutung geht er nicht ein. Das entscheidende Fichte-Zitat in der ersten Auflage dürfte das folgende sein: »Soll nun das Wissen dennoch seyn, und nicht Gott selbst seyn, so kann es,
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Aus diesem Grundbestand des Sinnbegriffs in Gestalt der Abbildhaftigkeit des Bedingten gegenüber dem Unbedingten (Bild-sein) folgt nun (GLW 6.3.3) seine Erweiterung zu einem unbedingten Sollensbegriff (Bild-werden). 137 Der Freiheit der bedingten Wirklichkeit sei es aufgetragen, sich selbst augmentativ zum Bild des Unbedingten zu machen und so das eigene Wesen zu erfüllen. Dieser Selbstvollzug von Welt und Mensch dürfe aber aufgrund beider Freiheit nicht als ›Müssen‹, sondern lediglich als ›Sollen‹ verstanden werden, über dessen Wirklichkeit an dieser Stelle freilich noch nicht zu entscheiden sei (sondern erst im siebten Kapitel von GLW!). Jedoch zeigten sich bereits hier Konsequenzen für das Konzept menschlicher Freiheit, die niemals bloße Wahlfreiheit, sondern streng transzendental und unbedingt zu denken sei (vgl. 6.5). Die formale Sichtweise der Freiheit als unbedingt bliebe so durch den Gedanken der aufgetragenen Bildwerdung voll gewahrt. Sie bedürfe aber – so Verweyens hier vorgetragene, zentrale Kritik an der Freiheitskonzeption Pröppers138 – materieller Fundierung und Erweiterung (vgl. den Gedanken der Transparenz), nicht allein hinsichtlich ihres faktischen Zustandekommens und der Begegnung mit einem tatsächlichen Sollen (vgl. GLW Kap. 7), sondern auch hinsichtlich der Möglichkeit zu konkreter Sollensverwirklichung (vgl. GLW 6.3.5–6.3.7). So sei das als Sollen verstandene Abbildverhältnis des endlichen gegenüber dem unendlichen Sein in seiner Formalität zunächst nur die notwendige Bedingung einer Lösung des menschlichen Sinnproblems: »Bild des Absoluten zu werden ist unumgehbare Voraussetzung dafür, daß die da nichts ist denn Gott, doch nur Gott selbst seyn, aber ausser ihm selber; Gottes Seyn ausser seinem Seyn; seine Aeusserung, in der er ganz sey, wie er ist, und doch in ihm selbst auch ganz bleibe, wie er ist. Aber eine solche Aeusserung ist ein Bild oder Schema« (Fichte, Die Wissenschaftslehre in ihrem allgemeinen Umrisse, 696; 1 GLW 245). Pröpper sieht den verweyenschen Aufgriff der »stark plotinisch gelesene[n]« (EFV 187) Bildmetaphysik Fichtes eher skeptisch, vgl. etwa in EFV 187 f.203 f. Vgl. zum Ganzen Ebenbauer, Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen, 85–87. 137 Die Dialektik von Bild-sein und Bild-werden führt Verweyen später selbst in Überschriften ein, vgl. GLW 166 bzw. 169. 138 Verweyen wirft Pröpper hier drei Inkonsistenzen vor, nämlich die unzureichende Erklärung, wie die formale Freiheit die eigene Formalität erkennen könne, wie sie auf das Sollen gegenüber anderer Freiheit stoße, und was sie angesichts eines fehlenden weltimmanenten Erfüllungsbegriffs des Sollens davor bewahre, Gott zum jenseitigen, ethischen »Lückenbüßer« und sich selbst zum bloßen Dezisionismus zu degradieren: vgl. GLW 161 f. Hier ist auch auf die entsprechende Kritik in Verweyen, Glaubensverantwortung heute, 293, zu verweisen; vgl. unten 6.5. A
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menschliche Vernunft die zur Erhellung ihrer Grundstruktur notwendige Äußerung des Absoluten als diesem selbst nicht widersprechend und zugleich als sinnvolle Erklärung des Zwiespalts in ihrem eigenen Wesen verstehen kann«. 139 Bevor Verweyen nun den Sinnbegriff um die Möglichkeitsbedingungen seiner sinnlich-geschichtlichen Verwirklichung ergänzt und so der notwendigen die hinreichende Bedingung zu seiner Beantwortung der menschlichen Sinnfrage hinzufügt, grenzt er sich in einem knappen Exkurs von der möglichen monistischen Interpretation seines Sinnbegriffs ab (GLW 6.3.4). Er stellt fest, dass die »einzig konsequente« 140 Folgerung aus dem Gedanken der Abbildhaftigkeit alles bedingten Seins gegenüber dem Unbedingten in der monistischen Aufhebung aller Differenz zu bestehen scheint, wie sie ja auch von der radikalen negativen Theologie wie von der Mystik des Neuplatonismus und einiger fernöstlicher Religionen gezogen würde. Verweyen betont demgegenüber, dass sein Bildbegriff auf Einheit in Differenz abziele und die Differenz keineswegs als Schein entlarve: »Denn mag die Freiheit auch ihre gesamte inhaltliche Bestimmung in das Bildwerden des Absoluten hineingeben […], das Sich-zumBild-Machen selbst bliebe doch Akt einer bestimmten Freiheit, die sich nicht völlig in Indifferenz auflöst«. 141 Daher habe er in der dritten einen missverständlichen Satz der ersten Auflage ausgespart, der den Monismusverdacht genährt habe. 142 (2) Damit der untrennbar mit einem Sollensanspruch (Bild-werden) verbundene Sinnbegriff (Bild-sein) wirklich zur durchgängigen Erhellung der paradoxen Elementarstruktur und somit zur Konsistenzgewährleistung der Vernunft führen könne, bedürfe es als hinreichender Bedingung noch des abschließenden Aufweises der Kapazität und Transparenz der sinnlich-geschichtlichen Wirklichkeit für die Verwirklichung von Sinn und Sollen (GLW 6.3.5–6.3.7). Oder anders formuliert: Es müsse gezeigt werden, dass und »wie sich FreiGLW 163. Ebd., 164. 141 Ebd., 165. 142 Vgl. ebd., mit Verweis auf den folgenden Satz der ersten Auflage: »Das Ich muß sich schon selbst restlos zum Bild des Unbedingten machen; es muß all seine an sich selbst festhalten wollende Freiheit vernichten, damit das Unbedingte unbedingt und es selbst zugleich wirklich sein kann« (1 GLW 246). 139 140
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heit zum Bild des Absoluten machen und dadurch zur Einheit mit sich selbst gelangen kann«. 143 Hierzu beschreibt Verweyen den Menschen zunächst als ›in-karniertes‹ Wesen und das Bild-sein als »Inkarnation« (GLW 6.3.5), um dann das kontinuierlich wachsende Bild-werden als »Ikonoklasmus« zu beschreiben und zu einem Realisierungsbegriff von Sinn und Sollen zu gelangen (GLW 6.3.6). Er schließt den Abschnitt mit einer Zusammenfassung des Gedankengangs und dehnt dabei den Geltungsbereich des Bildbegriffs auf alle Dimensionen menschlichen Lebens als dem »Stoff, aus dem das Bild gemacht« ist, aus (vgl. GLW 6.3.7). Verweyen beginnt hier (GLW 6.3.5) also – teils im Vorgriff auf seine Überlegungen zur faktischen Sollensbegegnung und ihrer Rolle für die Subjektkonstitution (GLW Kap. 7) – mit einer näheren Beschreibung des Menschen als in-karniertem Wesen, das heißt einem Wesen, das sich immer schon in sinnlich-geschichtlicher Konkretion ausdrückt (d. h. Bild ist). Hierzu greift er zunächst auf seine Gedanken zum Unterwandertsein des Menschen durch Alterität zurück. Schon der reflexiven Selbstgewinnung des Ich-Bewusstseins liege die Alterität voraus, die dem präreflexiv mit sich vertrauten Subjekt zur »Ich-Findung« verhelfe. 144 Diese alteritätsbedingte Vermittlung des Ichs fuße nun auf einer nochmals ursprünglicheren ›Entfremdung‹, sei sie doch nur möglich aufgrund der Leiblichkeit des Subjekts von seiner Empfängnis an. Diese Leiblichkeit könne mit dem Wort ›Inkarnation‹ beschrieben werden, das – in Anlehnung an M. M. Olivetti 145 – ambivalent zu verstehen sei als passivisches »Eingelassensein in ein mir zugehöriges Fremdes [sc. den eigenen Leib; M. L.]« und zugleich aktivisches »Mich-Einlassen in (bzw. auf) ein mir zugehöriges Fremdes«. 146 Der Mensch sei so immer schon ausgedrückt, und zwar im doppelten Sinne des Bildseins und des ›Sichein-Bild-machens‹. 147 Um diesen präreflexiven, teils bewusst-aktiGLW 166. Ebd., 167. 145 Vgl. ebd., mit Verweis auf den »Avant-propos« von M. M. Olivetti; gemeint ist wohl – der Eintrag fehlt im Literaturverzeichnis – Olivettis Avant-propos in dem Tagungsband Incarnazione (AF 67). Dieses Vorwort besteht maßgeblich aus der Einladung zu dem entsprechenden Castelli-Kolloquium von 1998. Worin die von Verweyen hier ausgemachte Inspiration besteht, sticht freilich nicht ins Auge, unterscheidet Olivetti doch lediglich zwischen philosophischem und theologischem Inkarnationsbegriff. 146 GLW 167. 147 Verweyen erläutert hier nicht näher den gedanklichen Sprung von dem eigentlich zu 143 144
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ven, teils unbewusst-passiven Selbstausdruck des Subjekts durch die eigene Leiblichkeit zu beschreiben, greift Verweyen auf die levinassche Kategorie der ›Sinnlichkeit‹ (gemeint ist wohl frz. sensibilité) zurück. 148 Wie Levinas gehe er – in Gestalt seiner Staunenskonzeption – von einer der diskursiven Intentionalität mit ihrem kategorialen Erkenntnisraster vorausgehenden menschlichen Erfahrungsebene aus. 149 Allerdings reduziere er im Gegensatz zu Levinas die Sinnlichkeit nicht auf das unbeteiligte Ausgeliefertsein der levinasschen Geiselhaft, 150 sondern sehe hierin entsprechend der erstphilosophisch irreduziblen Paradoxie der Elementarstruktur menschlicher Vernunft (genauer ihres ersten Pols) auch ein aktivisches Moment, eine »Intentionalität des Subjekts vor aller subjektiven Intentionalität«. 151 Als weiteren Gewährsmann seiner Inkarnationsvorstellung zitiert Verweyen Irenäus von Lyon, der ja – wie schon Henry hervorgehoben hat (vgl. oben, Kap. 2.3) – die Ebenbildlichkeit des Menschen gerade über sein Fleisch-sein begründet und die Schöpfung als ›plasmatio‹ bzw. bildhauerisches Schaffen Gottes betrachtet hat, für das es sich
erwartenden ›Sich-zum-Bild-machen‹ hin zum ›Sich-ein-Bild-machen‹ von etwas bzw. jemand anderem. 148 Er bezieht sich dabei (vgl. GLW 167 f.) v. a. auf G. Schwinds Studie Das Andere und das Unbedingte und Levinas’ Überlegungen zu »La signification et le sens« (HAH 15– 70). Zu der von Verweyen ausgemachten Parallele seiner Staunenskonzeption zur levinasschen Kritik der husserlschen Intentionalitätslehre vgl. auch GLW 121. 149 Etwas missverständlich mutet dabei die Redeweise von »Levinas’ Zurückhaltung gegenüber der Auffassung eines Subjekts, dessen fundamentalste Intentionalität immer schon sprachlich bestimmt sei« (GLW 167) an. Auf der einen Seite kennt Levinas – wie Verweyen ja auch selbst anmerkt – keine ›fundamentale‹ Intentionalität, da diese ja gerade Abfall und Verrat der grundlegenden sinnlichen Verfassung des Menschen ist, zum anderen definiert Levinas diese sensibilité doch gerade als ursprüngliche ›Sprache‹ (dire). Freilich bezeichnet diese ›Sprache‹ dann in der Tat kein »Raster von (apriorisch oder aposteriorisch) vorentworfenen Kategorien« (ebd.); vgl. hierzu Kap. 3, sowie auch Anm. 8. 150 Zur ›otage‹ bei Levinas vgl. oben, v. Kap. 3.2. 151 GLW 167. Verweyen setzt sich hier aus der genannten gnoseologischen wie vor allem aus ethischen Erwägungen heraus von Levinas ab: Das durch den an sich berechtigten Gedanken der Geiselhaft ausgedrückte Sollen, d. h. die völlige Beanspruchung durch den Anderen, gewinne nämlich erst dann Gültigkeit, wenn es im Ursprung eine Selbstverpflichtung menschlicher Freiheit voraussetze, die es als solches erkenne und akzeptiere. Hier sieht K.-H. Menke den eindeutigen Vorzug der verweyenschen gegenüber der levinasschen Ethik, die letztlich in einen bloßen Dezisionismus münde und sowohl rational als auch ethisch unvertretbar sei: vgl. Menke, Die Einzigkeit Jesu Christi, 111– 119.
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»feuchtzuhalten« 152 gelte. Hierin sei bereits der Übergang vom inkarnatorisch konzipierten Bild-sein (Sinnbegriff) des Menschen zum kontinuierlichen Bild-werden (Sollensbegriff) zu sehen. Auf der Suche nach den Bedingungen einer konkreten, sinnlichgeschichtlichen Umsetzung des als Bild-werden beschriebenen und unmittelbar aus dem Sinnbegriff erwachsenden Sollens findet Verweyen zum Gedanken des radikalen »Ikonoklasmus« (GLW 6.3.6). Verweyens Argumentation verdichtet sich hier stark, wird unübersichtlich und in ihrer Stringenz schwer nachvollziehbar. Sein Gedankengang verläuft aber wohl in etwa wie folgt: Dem menschlichen Subjekt sei kraft des Sollensbegriffs aufgetragen, sich selbst so auszudrücken, dass es gleichzeitig vollkommenes Bild Gottes werde. Der vollkommene Selbstausdruck des Subjekts bedürfe aber zu seiner Verwirklichung, weil – so postuliert er mit dem frühen Fichte – des Menschen höchster Trieb jener nach Identität sei, eines vollendeten Gegenbildes im ›Nicht=Ich‹. Dieses Gegenbild müsse aufgrund der Implikationen wahren Bildseins aber ebenfalls in Freiheit ergehen, d. h. durch ein anderes Subjekt: »Nur über den freien Entschluß eines anderen Menschen könnte das um Ausdruck ringende bedingt-unbedingte Wesen Mensch sich wirklich zum Ausdruck bringen«. 153 Der Mensch könne sich also nur dann wirklich zum Bild des Unbedingten machen, wenn sich ihm dieses eigene Bild-werden in einem anderen Subjekt zeige. Unbedingter Sinn würde demgemäß das universale ›Einander-zum-Bild-werden‹ aller Menschen auf dem Weg ihres jeweiligen ›Zum-Bild-des-Absoluten-werdens‹ erfordern und dergestalt als verwirklichte horizontale ›Einheit in Differenz‹ erkennbar werden. Dieser Gedanke des ›wechselseitigen Bild-werdens der Bilder auf dem Wege‹ 154 kann somit als Realisierungsbegriff zu Sinns152 GLW 168; vgl. Irenäus von Lyon, Adversus haereses, lib. IV c. 39 n. 2 (II, 966): »Praesta autem ei cor tuum molle et tractabile ei custodi figuram qua te figuravit artifex, habens in temetipso humorem«. 153 GLW 172. Verweyen verweist hier auf W. Borcherts »Schischyphusch«, der erst durch die Abbildung des eigenen Sprachfehlers im anderen Sinn erfahre und K. Kraus’ Gedichtzeile »Hab ich dein Ohr nur, find’ ich schon mein Wort« (zitiert nach GLW 172; vgl. zur näheren Erläuterung beider literarischen Verweise BET 34–42). In diesem Zusammenhang ist bereits auf Verweyens Gedanken einer ›geschenkten Autonomie‹, des Zu-sich-selbst-kommens menschlicher Freiheit im Akt eines anderen Menschen zu verweisen, den er als Erfahrungsbegriff einführt und der erst nach Abschluss der Untersuchung der verweyenschen Freiheitsposition vollständig philosophisch nachvollziehbar sein wird, vgl. unten, 6.5. 154 Vgl. zu dieser Formulierung GLW 183: »Wenn alle Menschen einander zum Bild
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und Sollensbegriff hinzugefügt werden. In den Worten des von Verweyen vorweggenommenen (!) Fazits zu dem etwas undurchsichtigen Ikonoklasmus-Abschnitt: »Das ›Wie‹ des Bildes des Absoluten, zu dem ich mich in Freiheit machen soll, kann ich nur über das Antlitz der anderen Menschen erkennen, die, wie alle Freiheit, ebenfalls von ihrem tiefsten Grunde her darauf angelegt sind, Bilder des Absoluten zu werden. Wenn alle Menschen einander zum Bild jenes Bild-werdens würden, auf das hin jedes freie Wesen auf seine Weise angelegt ist, dann entstünde so (dem strengen Begriff von ›Bild‹ entsprechend) ›in der Horizontalen‹ eine völlige Einheit in Differenz, wie sie Voraussetzung für einen letztgültigen Sinn ist«, 155 bzw. gar eine »unbedingte Einheit in Differenz«. 156 Da sich hier aber Freiheiten gegenseitig abbildeten, verblieben zwei Probleme hinsichtlich des ›Einander-zum-Bild-werdens‹ : Erstens könne es als dynamisch-personaler Prozess nicht statisch gedacht werden und sei zweitens in eine prinzipielle Unabschließbarkeit verwickelt, die auf eine ›schlechte Unendlichkeit‹ hinauslaufen könnte. Verweyen meint der Statikgefahr durch seine ›Ikonoklasmus‹-Theorie begegnen zu können: Das Zum-Bild-des-Anderen-werden des Subjekts, das als solches stets auch ein Sich-ein-Bild-vom-Anderen-machen impliziere, 157 bedürfe wegen der Freiheit des Abgebildeten stetiger Korrektur und der Bereitschaft, das eigene Bild je neu dem ›Bildersturm‹ des anderen zu opfern. 158 Wo dieses »Menschsein als Ikonoklasmus« 159 zur Grundhaltung würde, müsse von der »radikalsten Form des Ikonoklasmus« gesprochen werden und einem »›Sisyphos‹, der seinen Fluch als Ruf begriffen hat«. Sofern ein derartig bedingungsloser »Bild-Entschluß« gefasst und als solcher dem abgebildeten anderen auch erkennbar sei, könne nicht mehr von ›negativer Unendlichkeit‹ gesprochen werden, sondern sei der universale Sinn als vollkommen verwirklicht betrachtbar. 160 Wichtig ist hier noch der verweyensche jenes ›Bildes auf dem Wege‹ würden, dann erwiese sich, daß eine unbedingte Einheit in Differenz ohne Widerspruch für die Vernunft möglich ist«. 155 Ebd., 170. 156 Ebd., 174. 157 Vgl. zu diesem logischen Sprung oben, Anm. 147. 158 Vgl. etwa BET 42: »Das Bilderverbot ist eigentlich das Gebot, uns ständig einem Ikonoklasmus auszusetzen, unsere Worte und Bilder unaufhörlich zur Kompostierung freizugeben«. 159 Ebd., 39–42. 160 Alle Zitate aus GLW 173.
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Hinweis, dass die Individualität der Subjekte in ihrem völligen Aufgehen im Einander-Bild-sein dennoch gewahrt bleibe. 161 Der letzte Abschnitt des sechsten Kapitels (GLW 6.3.7) komplettiert die transzendentaldeduktive Bedingungserhebung für die konkrete Sollens- und damit Sinnverwirklichung, indem er nach der Reichweite des Bildbegriffs bzw. nach seiner Materie (seinem ›Stoff‹) fragt. Weiterhin liefert er am Ende eine Zusammenfassung des gesamten transzendentaldeduktiven Kapitels und einen ersten Anknüpfungspunkt für eine christologische Inkarnationslehre. Zunächst erklärt Verweyen, dass kein Wirklichkeitsbereich von dem angestrebten Bildwerdungsprozess der ›Freiheiten‹ auszunehmen sei, weder auf Seiten der Objektwelt als rein materieller Welt 162 oder als Sinnenwelt, noch auf Seiten des Subjekts. Der Mensch müsse etwa seine Triebstruktur, namentlich die stärksten Triebe (jene nach Selbst- und Arterhaltung) wie auch das omnipräsente Eigentumsstreben durch eine Askese des »Warten-Lernen[s]« 163 in seine Bildwerdung integrieren. Verweyen hebt im Anschluss an diese Beschreibung des »Stoffs« des Bildes ihren – im Gegensatz zum restlichen Kapitel – eher »empirisch-aposteriorisch[en]« 164 Charakter hervor, um nochmals seinen Begriff einer streng transzendental artikulierenden Erstphilosophie gegenüber dem ontologischen Übergriff der traditionellen Metaphysik und dem tendenziellen Relativismus der ›linguistic-turn-Philosophien‹ zu unterstreichen. Sein eigener, aus der paradoxen Elementarstruktur der Vernunft deduzierter und zu ihrer Lösung geeigneter Begriff eines unhintergehbaren Sinns (Bild-sein) und Sollens (Bild-werden) mitsamt dessen Realisierungsbegriffs (wechselseitiges Bild-werden der Bilder auf dem Wege) genüge aber den Kriterien einer solchen Erstphilosophie. Allerdings verbleibe hier noch ein letztes Problem zu lösen: Der vollkommenen Lösung des menschlichen Sinnproblems durch die drei Begriffe widerstritten als 161 Vgl. ebd., 174: »Den oben skizzierten ›Ikonoklasmus‹ kann der andere nur dann wahrnehmen, wenn meine (bleibende!) Individualität so ›durchgerüttelt‹ wird, das [sic! M. L.] mein ganzes Ich dabei auf dem Spiele steht«. Vgl. hierzu auch Verweyens Exkurs zur Abgrenzung vom Monismus, s. o. 162 Verweyen spricht hier von einem »gesichtslose[n] Substrat von ›Materie‹« (ebd., 175). Allerdings sei auch dieser unbelebte Bereich wie alle »Natur« schon auf das Aufbrechen von Freiheit hin finalisiert, was Naturwissenschaft und Technik freilich vergäßen. 163 Ebd., 177. 164 Ebd., 181.
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letzte und überwindliche Hindernisse die Sterblichkeit und der Tod, die das ganze Sinn-Projekt doch wieder dem Absurditätsverdacht auslieferten. Diesem Problem könne jedoch mit dem Postulat einer Inkarnation des Absoluten selbst begegnet werden, die den durch das Bild-werden der menschlichen Subjekte begonnenen Weg freilich nicht obsolet machen, sondern lediglich aufgreifend vollenden dürfe, wodurch die vermeintliche ›Geworfenheit‹ menschlichen Daseins sich im Gegenteil gerade als Bedingung und Ort letzten Sinns erweisen würde. 165 6.3.3 Dritter Schritt: Die geschichtliche Evidenz letztgültigen Sinns als ›Offenbarung‹ (GLW Kap. 7) Entsprechend den obigen Ausführungen geht es Verweyen in diesem Abschnitt in einem erneut eher transzendentalreduktiven Argumentationsgang um den Aufweis und um Kriterien einer bereits verwirklichten Transparenz der Wirklichkeit für unhintergehbaren Sinn, d. h. um eine vollzogene Sinnbegegnung. Im Rahmen der Transzendentaldeduktion des Sinnbegriffs (vgl. den ›zweiten Schritt‹ : 6.3.2) war die Sinntransparenz des Wirklichen ja lediglich begrifflich-deduktiv in ihrer (zukünftigen!) Möglichkeit ermittelt worden, nun soll es aber um ihr ›Ergangensein‹ gehen. Hierzu wird zunächst zu klären sein, inwieweit einer solchermaßen geschichtlich vermittelten Sinnesevidenz noch der Status einer erstphilosophischen Einsicht zukommen kann (GLW 7.1). Entsprechend dem Titel »Sinnbegriff und Offenbarung« bezeichnet Verweyen die ergangene Sinnbegegnung dabei als ›Offenbarung‹, und zwar in doppeltem Sinne als Begegnung mit Sinn überhaupt (allgemeine Offenbarung) und als Begegnung mit einem letztgültigen Sinnereignis (letztgültige Offenbarung). 166 Verweyen intendiert nun, den Faktizitätserweis allgemeiner OffenVgl. hierzu GLW 184 f. Zu Verweyens Offenbarungsbegriff vgl. etwa auch den § 3 von OV (34–42). An jener Stelle liefert Verweyen eine theologische Definition christlicher Offenbarung (ebd., 39: »In Jesus von Nazareth ist Gott in seinem absoluten und endgültigen Heilszuspruch vernehmbar und sichtbar geworden«.) und betont zugleich, dass dieses Geheimnis philosophisch nur formal zu fassen sei, wie es hier nun auch in Gestalt der Denkfigur ›letztgültige Offenbarung‹ geschieht. In GLW scheint Verweyen nicht deutlich zwischen allgemeiner und besonderer Offenbarung zu unterscheiden, wie ihm dies ja auch prompt von Pröpper vorgeworfen worden ist (vgl. 6.7). 165 166
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barung in Gestalt einer »interpersonale[n] Konstituierung des Ichs als Sollen« zu erbringen (GLW 7.2) und die Kriteriologie einer ergangenen letztgültigen »Offenbarung und ihre[r] Vermittlung« in die Gegenwart zu liefern (GLW 7.3), die dann auch zur Eruierung eines philosophischen Vorbegriff einer solchen, mit dem christlichen Glauben an das Christusereignis ja behaupteten Offenbarung dienen kann. Dabei wird er ebenfalls versuchen, den theologisch eingeführten Begriff der vierfachen traditio (vgl. 6.1) philosophisch nachzuvollziehen. Verweyen beginnt seine Überlegungen in GLW 7.1 mit dem als notwendiges Implikat seines Sinnbegriffs aufgewiesenen Sollensbegriff und betont, dass mit diesem rein transzendentallogischen Begriff zunächst keinerlei Wirklichkeitsanspruch verbunden sei, er also keine naturalistic fallacy beinhalte. Alle Überlegungen des sechsten Kapitels von GLW dienten lediglich zur Wahrung der Vernunftkonsistenz, die ja gerade nicht ›andemonstrierbar‹ sei, sondern eines freien Entschlusses seitens des Subjekts bedürfe (vgl. GLW 7.2). Die erarbeiteten Begriffe stellten so das kriterielle Raster zur Einordnung von möglichen Wirklichkeitserfahrungen dar, ohne diese selbst zu produzieren. Könnte eine geschichtliche Wirklichkeitserfahrung, hier also die Erfahrung eines Sollens, aber dennoch als Gegenstand transzendentaler Erstphilosophie fungieren, so fragt Verweyen, oder sei der Hinweis auf das bloße »Wenn« bzw. die kantsche Behauptung der schieren Faktizität einer solchen Erfahrung 167 ihre unüberschreitbare Grenze? Verweyen glaubt hier eine Lösung in der Transzendentalgenetik gefunden zu haben: Auch eine streng transzendentale Erstphilosophie vermöge eine geschichtliche Sollenserfahrung systematisch zu integrieren, wenn diese als zur Konstitution menschlichen Selbstbewusstseins erforderlich erwiesen werden könnte. Wenn wahres Sollen aber nur im Bild-des-Absoluten-werden bestehen könne, müsse eine verwirklichte Sollenserfahrung notwendig bereits als vollkommene Abbildung bzw. als Erscheinen dieses Unbedingten verstanden werden, also als seine Offenbarung. Verweyen untersucht nun in einem zweiten Schritt die Konstitution des menschlichen Subjekts (GLW 7.2), die er mit seinen bereits vertrauten philosophischen Lehrmeistern Fichte auf der einen 167 Hier ist wohl an Kants apodiktische Klassifizierung des Sittengesetzes als »einzige[m] Faktum der reinen Vernunft« gedacht, die ja konzeptuell schwer zu integrieren bleibt (Kritik der praktischen Vernunft, I,1,1,§ 7 [142]).
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und Siewerth/v. Balthasar auf der anderen Seite als interpersonal vermittelt beschreibt. Wie er zunächst mit Verweis auf Fichte (genauer auf die Grundlage des Naturrechts und das System der Sittenlehre) erklärt, muss das menschliche Subjekt nicht erst aufgrund seines Identitätstriebs (vgl. 6.3.2), sondern bereits um sich selbst reflexiv zu ›finden‹, zunächst einem Ausdruck bzw. Bild seiner selbst im ›Nicht=Ich‹ begegnen, um sich anhand dessen identifizieren zu können. Dieser Ausdruck müsse aber ebenso frei (d. h. Subjekt) sein wie es selbst, sich also aus eigenem Antrieb zum Bild des Subjekts machen: »Mir als frei gegeben werden kann ich aber […] nur in der Äußerung eines anderen Subjekts, in der dieses mich als freies Wesen anerkennt«. 168 Verweyen identifiziert dieses Argument mit dem siewerthschen Gedanken der Subjektwerdung durch das Mutterlächeln und folgert, dass dieses Sich-Finden des Subjekts »im Akt einer anderen Freiheit« bereits das Sollen beinhalte, diese Freiheit als solche wahrzunehmen und zu bejahen, nämlich »die implizite Aufforderung, andere Vernunft als vorgegebene Möglichkeit meiner Selbstverwirklichung anzuerkennen« und »mich selbst auf eine mich anrufende Vernunft als konstitutiven Teil meiner selbst hin zu verpflichten«. 169 Somit sei anhand des Aufweises der interpersonalen Vermittlung der Subjektkonstitution transzendentalgenetisch die logische Evidenz eines je schon dem bewussten Subjekt als solchen offenbarten Sollens und damit eine geschichtliche Begegnung mit unhintergehbarem Sinn (als ›allgemeine‹ Offenbarung) erwiesen. Das dergestalt konstituierte Subjekt sei gemäß der Überschrift gar identisch mit dem Sollen. Verweyen grenzt sich im Anschluss an diese Überlegungen jedoch vom Gedanken einer rein intersubjektiven Subjektkonstitution und von der Erhebung der interpersonalen Anerkennung zum Individuationsprinzip ab, die er etwa Pannenberg unterstellt. 170 Die Behandlung der paradoxen Elementarstruktur hat168 GLW 189. Hier erscheint bereits der Zusammenhang mit dem Verweyen interessierenden Bild-Kontext. 169 Ebd., 189 f. Interessanterweise hatte Verweyen das interpersonale Symbol des Mutterlächelns in OV noch als unzureichend bezeichnet und zugunsten der sächlichen Sinnevidenz abgelehnt, vgl. Anm. 76. 170 Verweyens Pannenbergkritik bezieht sich v. a. auf dessen Anthropologie in theologischer Perspektive (173–235) und konvergiert mit jener Pröppers (vgl. oben, 5.1 f.; Pröpper bestreitet allerdings – so ja das obige Ergebnis, dass Verweyen die mangelnde Berücksichtigung der formalen Selbstursprünglichkeit des Subjekts bei Pannenberg und Rahner im eigenen Ansatz ausreichend überwunden habe); Verweyen greift hier Überlegungen von F. Wagner auf (Was ist Religion?, 498–522).
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te ja die Unhintergehbarkeit des Einheitspols menschlicher Subjektivität unterstrichen, den Verweyen mit einer ursprünglichen Selbstvertrautheit des Ichs identifiziert, welche der Bewusstseinskonstitution bzw. reflexiven Ich-Findung logisch wie chronologisch vorausliege. Diese Grenze der interpersonalen Ich-Vermittlung zeige sich etwa in der unmöglichen ›Subjektivierung‹ eines Affenbabys sowie in der zur psychischen Gesundheit des Menschen unumgänglichen Partialität der Identifikation mit dem die Subjektivität erweckenden anderen Menschen, der eben auch als anderer wahrgenommen werde bzw. werden müsse. Nachdem der Nachweis der Faktizität einer allgemeinen Offenbarung in Gestalt der in der Subjektkonstitution zu gewahrenden Sollensevidenz erbracht ist, fragt Verweyen nun zum Abschluss nach Kriterien für die Erkenntnis und bleibende Vermittlung einer letztgültigen Offenbarung (GLW 7.3). Diese Offenbarung solle (und könne?) nicht in ihrer Faktizität erwiesen werden, müsse aber ausreichend kriteriell vorherbestimmbar sein, um im Falle ihres Ergehens bzw. Ergangenseins identifiziert werden zu können. Das grundlegende Kriterium der letztgültigen wie schon der allgemeinen Offenbarung sei, dass sie den unhintergehbaren Sinnbegriff erfüllt und menschliche Freiheit zur Verwirklichung des aus ihm hervorgehenden Sollens veranlasse. Wie sich eine letztgültige Erfüllung dieses Kriteriums aber in sinnlich-geschichtlicher Konkretion identifizieren lasse, sei nicht eindeutig zu beantworten. Wohl aber sei vorstellbar, dass menschliche Freiheit an einer Stelle zum vollkommenen Bild des Unbedingten würde und dadurch gleichzeitig die übrigen Freiheiten als ›Bilder auf dem Wege‹ abbilde und befreie. Dies bedeute, dass »Freiheit wirklich als Bild des Unbedingten zum Erscheinen kommt. Dies wäre dort der Fall, wo Freiheit als völlig von einem unbedingten Sein in Anspruch genommen begegnet, und zwar in Anspruch genommen auf die Freisetzung der als Bilder Gottes geschaffenen Menschen hin«. Um die bedingten Freiheiten vor der Absurdität der sisyphosschen Aufgabe zu bewahren, dürfe diese Freisetzung sich aber nicht über das Bild-werden der Menschen hinwegsetzen, sondern könne es allein aufgreifend vollenden (s. o.). So ergibt sich dann Verweyens – hier aus größerem Textzusammenhang herausgelöster – philosophischer Vorbegriff einer letztgültigen Offenbarung und d. h. für ihn natürlich des Christusereignisses: »Von einer letztgültigen Offenbarung kann […] nur dort gesprochen werden, wo ein Mensch seine ganze Existenz darangibt, Wort und Bild des Unbedingten zu A
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sein«, »nicht als Ausdruck eines den Menschen unnahbaren Gottes, sondern […] als Einlösung jenes Versprechens […], das dem Menschen bei der interpersonalen Konstituierung seines Selbstbewußtseins zugesprochen wird«. Dieses Sinnereignis sei aber nicht außerhalb des Bildwerdungsprozesses objektiv zugänglich und verfügbar, sondern könne allein im Rahmen eigenen Bildwerdens wahrgenommen werden. Verweyen bestreitet daher die Zuständigkeit der objektivierenden historischen Wissenschaft hinsichtlich der Vermittlung der letztgültigen Offenbarung, müsse sich ein diesbezüglich »methodisch angemessenes Urteil« doch »grundsätzlich innerhalb des Bereichs sittlich-praktisch engagierter Vernunft bewegen«. 171 Die letztgültige Sinnbegegnung sei demnach auch heute noch möglich, allerdings nur über die Vermittlung durch andere ›Bilder auf dem Wege‹, die als Zeugen ganz im Nachvollzug dieser vollkommenen Abbildung aufgingen: Es »muß der interpersonale Nexus, in dem das Unbedingte mich heute in Anspruch nimmt, als bloße Vermittlung der damals geschehenen letztgültigen Offenbarung erkennbar sein. Mich heute in Anspruch nehmende Freiheit muß völlig transparent werden auf jene Freiheit, in der das Bild Gottes ›ein-für-allemal‹ vollendet zum Durchbruch gekommen ist«. 172 Dies ist bereits das Grundaxiom seiner ›Zeugnishermeneutik‹, auf deren Entfaltung in GLW Kap. 12 f. Verweyen hier allerdings nur verweist. 173 In dem so ermittelten Vorbegriff letztgültiger Offenbarung sei nun philosophisch die dritte Bedeutung des traditio-Begriffs (Christi Hingabe ›für uns‹) eingeholt. Da diese vollkommene menschliche Abbildung des Unbedingten aber letztlich – gemäß Verweyens Inkarnationspostulat aus GLW Kap. 6 (s. o.) – nur bei Menschwerdung des Unbedingten selbst möglich sei, finde hier auch die zweite Aussagedimension des Begriffs (die Auslieferung des göttlichen Sohnes durch den Vater) ihr Pendant. Dass die vierte Konnotation (die Tradition im herkömmlichen Sinne) mit der interpersonal-zeugnishaften Vermittlung der letztgültigen Offenbarung korreliert, dürfte auf der Hand liegen, während die erste Bedeutung (die Auslieferung eines Alle Zitate: GLW 194. Ebd., 194 f. Verweyen betont andernorts (vgl. Aufgaben der Fundamentaltheologie, 214; Theologische Hermeneutik heute, 186–189) verstärkt den Charakter des Selbstverzichts und des Zurücktretens des Zeugen hinter das Zeugnis, der bis zu einem legitimen Martyrium reichen könne. Hierbei wird natürlich auch die traditio Christi als Zeugnis im eminenten Sinne erkennbar. 173 Vgl. hierzu etwa auch Verweyen, Art. Praeambula fidei, 481. 171 172
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Menschen bzw. des Gerechten) im folgenden Abschnitt – der Behandlung der philosophischen Gotteslehre Verweyens – von entscheidender Bedeutung sein wird.
6.4 Philosophische Gottesvorstellung: ›Unbedingtes Wartenkönnen‹ und ›radikalster Ikonoklasmus‹ »Die hier vorgelegten philosophischen Überlegungen (garniert mit Geschichten aus der ›säkularen‹ und religiösen Literatur) zielten auf die ›Definition‹ des ›Wesens‹ eines ›Gottes‹, der sich auch heute noch als Sinn-gebend verstehen ließe: ›vorbehaltloses Wartenkönnen‹ (als das Äußerste göttlicher Allmacht)«. 174
Verweyens philosophische Gottesvorstellung ergibt sich organisch aus seinem gesamten religionsphilosophischen Ansatz. Deswegen sollen ihre einzelnen Aspekte auch zunächst (1) gemäß der unter 6.3 verwendeten und an GLW angelehnten Systematik mit ihren drei Schritten dargestellt werden, also im Kontext der Überlegungen zu paradoxer Elementarstruktur der Vernunft und universaler menschlicher Sinnfrage (vgl. 6.3.1), der Eruierung des unhintergehbaren Sinnbegriffs mit seinen Implikaten Sollens- und Realisierungsbegriff (vgl. 6.3.2) und der Kriteriologie für geschichtliche Offenbarung (vgl. 6.3.3). Schließlich können dann aus dem Vorherigen – ergänzt um Verweyens Ausführungen über die »Niedertracht« 175 (traditio I) als Inbegriff menschlich-sündigen Scheiterns (GLW 8.1 f.) – seine philosophischen Begriffe für Gott (2) und für Christus (3) hergeleitet werden, die er vor allem in GLW 8.3 und parallel dazu in BET 2.3 entwickelt. 176 Auf Basis dieser Gesamtschau soll dann noch kurz auf Verweyens philosophisch fundierte theologische Positionierung in den Auferweckungsdebatten eingegangen werden (4). (1) Im Rahmen der drei zentralen Schritte seiner Religionsphilosophie zeichnet Verweyen bereits die Konturen seiner philosophischen Gotteslehre. Im ›ersten Schritt‹, der transzendentalreduktiven Fundierung des Sinnbegriffs in Gestalt der Elementarstruktur menschBET 50. GLW 199–201. 176 Vgl. ebd., 201–296; BET 42–51. Vgl. hierzu u. a. auch den Schlussabschnitt von Verweyens Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft (ebd., 80–88). 174 175
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licher Vernunft mitsamt der aus ihr resultierenden universalen menschlichen Sinnfrage (GLW 6.1 und 6.2), zeigen sich bereits zwei Anknüpfungspunkte für einen philosophischen Gottesbegriff: Einerseits sei es durchaus berechtigt, eigentlich sogar nötig, die etwa im Staunen aufgewiesene Unbedingtheitsprägung menschlicher Vernunft gedanklich auf ihren (notwendigerweise mindestens ebenso) unbedingten Ursprung hin zu übersteigen, ohne dass damit notwendig irgendein onto-theologischer Übergriff verbunden sein müsse. 177 Immerhin artikuliere sich in diesem staunensfundierten Kausalitätsdenken – als »wichtigste[m] Anstoß für die Gottesfrage im Horizont Platons« 178 – trotz all seiner unleugbaren Problematik und scheinbaren Überholtheit 179 eine genuin menschliche Erfahrung, die sich etwa in der ehrwürdigen Tradition der kosmologischen Gottesargumente niedergeschlagen habe und ohne ontologisch-überschwänglichen Beweisanspruch durchaus zu bewahren sei. 180 Auch könne die menschliche Sinnfrage nach unbedingt differenzmächtiger Einheit bereits als religiöse Frage verstanden und mittels einer Gottesvorstellung beantwortet werden, wie es faktisch auch allenthalben geschehe. 181 Im ›zweiten Schritt‹ dieses entscheidenden Argumentationsgangs seiner Religionsphilosophie vertieft Verweyen die erste philosophische Annäherung an eine Gottesvorstellung in Gestalt eines unbedingt differenzmächtigen Seins und Ursprungs der menschlichen Unbedingtheitsprägung nun dahingehend, dass alles Bedingte gemäß dem unhintergehbaren Sinnbegriff (Bild-sein) wesentlich177 Dies betont Verweyen – wohl in Kenntnis der diesbezüglich changierenden Position Pröppers (vgl. oben, 5.5) – etwa in BET 43: »Ist aber [bei ausgeschlossenem onto-theologischen Beweis; M. L.] schon die Frage nach Gott als obsolet zu betrachten, dann bleibt die unbedingte Entschiedenheit für einen anderen Menschen letztlich ohne vernünftige Legitimation […]. Die Fragesituation hat sich umgekehrt: Nicht das Fragen nach Gott erscheint mehr als obsolet, sondern der einzige in sich konsistente Entwurf von Sinn für menschliches Dasein läuft ins Leere, solange die Frage nach Gott nicht gestellt wird. Wie aber müßte das ›Woher eines Funkens von Unbedingtheit im Menschen‹ geartet sein, wenn es in der Perspektive eines ›Menschseins als Ikonoklasmus‹ Sinn geben soll? Mehr läßt sich in einer wirklich kritischen Philosophie von Gott nicht erfragen. Aber ein Weniger an philosophischem Fragen würde nicht nur die Gefahr eines religiösen Fundamentalismus mit sich bringen; es wäre auch ein vorzeitiger […] Abbruch philosophischen Fragens selbst«. 178 GLW 148. 179 Vgl. Anm. 7. 180 Vgl. etwa BET 10–16; GLW 74–82. 181 Vgl. ebd., 192: »Unvermeidbar ist aber auch, daß sich dieser Vorgriff geschichtlich konkretisiert – in Religionen oder anderen Entwürfen des Absoluten«.
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existentiell als Abbildung des Unbedingten erklärbar wird. Das Unbedingte (als Vorbegriff Gottes) erscheint durch die stetige Äußerung in sein Abbild hinein als Urheber aller Wirklichkeit und ihr bleibender Existenzgrund. Die wesentlich-existentielle Abbildhaftigkeit der Welt besage dabei, dass sie ihre Existenz nicht in sich oder aus sich heraus trägt, sondern nur sofern sie Bild ist, also sozusagen als imago subsistens: »Wenn der Anschein unaufgebbarer Absurdität des Daseins aufhebbar und auf diesem Wege ein Begriff letztgültigen Sinns gewonnen werden soll, dann darf es ›außerhalb‹ des absoluten Seins kein weiteres Seiendes geben – etwa ›die Welt‹ oder ›das Ich‹ –, sondern nur Erscheinung des absoluten Seins, und diese Erscheinung muß schließlich als vollkommenes Bild des Absoluten hervortreten«. 182 Eine wesentliche Voraussetzung dieser vollkommenen Abbildung des Absoluten ist aber entsprechend Verweyens Theorie des »wahre[n] Begriff[s] des Bildes« 183 die Freiheitlichkeit des Sich-zumBild-machens, so dass die Gewährung von Freiheit als weiteres Charakteristikum zum philosophisch vorgestellten Gott gehört. Inwieweit vom Menschen als Bild – analog dem Ebenbildlichkeitsgedanken – ein Rückschluss auf Gottes Wesen bzw. Eigenschaften (etwa hinsichtlich seiner Personalität etc.) möglich ist, thematisiert Verweyen nicht. Auch lässt er (mit Verweis auf die begrenzte Erkenntnis des Menschen!) sowohl offen, inwiefern ein innergöttlicher Differenzraum als Implikat der völligen Differenzmacht und Möglichkeitsbedingung der Äußerung in anderes hinein erkennbar wäre, als auch, worin der Anlass einer solchen Äußerung bestehen könnte. 184 Wohl aber liefert Verweyen am Ende des transzendentaldeduktiven Abschnitts bereits eine erste philosophische Annäherung an Ebd., 158 f. Ebd., 159. 184 Vgl. GLW 156: »Wie ein völlig unbedingt eines Sein in sich selbst ›Raum für Differenz‹ haben kann und warum es sich in ein anderes hinein äußert, entzieht sich der Erkenntnismöglichkeit des Ich [sic! M. L.], das noch nicht einmal seine eigene, bedingtunbedingte Elementarstruktur aus sich selbst erklären kann«. Diese Aussage mutet seltsam resignativ an und scheint doch etwas in Spannung zum sonst so optimistischen Vernunftethos Verweyens zu stehen: Widerspricht einerseits die hiesige Kapitulation vor einem philosophischen Nachvollzug der Trinitätslehre, dem er »bestenfalls de[n] Charakter plausibler Analogieschlüsse« einräumt, nicht dem eigenen, von Anselm übernommenen Desiderat des rationalen Nachvollzugs aller Glaubensgeheimnisse (vgl. 6.1)? Und versucht er im vorliegenden Kapitel GLW 6.3 nicht gerade die menschliche Elementarstruktur zu ›erklären‹ ? Zu Verweyens Sichtweise der anselmschen Trinitätsspekulation vgl. etwa Verweyen, Anthropologische Vermittlung der Offenbarung, 154 f. 182 183
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den Gedanken einer Inkarnation des Absoluten selbst, da nur bei ihrem Postulat das logische Problem der absoluten Begrenzung des Bild-werdens durch den Tod zu beheben sei. Im siebten Kapitel von GLW als ›drittem Schritt‹ liefert Verweyen nun vermittels der zur Wahrung der Vernunftkonsistenz erforderlichen autonomen Kriteriologie einer geschichtlichen Offenbarung den philosophischen Vorbegriff der postulierten vollkommenen (Selbst-) Abbildung des Absoluten in sinnlich-geschichtlicher Konkretion. Hier werde deutlich, dass dieses letztgültige Sinnereignis nur an der Stelle des Menschen möglich wäre, der innerhalb der Wirklichkeit als freies Vernunftwesen alleine in der Lage sei, den ›wahren Bildbegriff‹ zu erfüllen. Die vollkommene Selbstabbildung des Absoluten könne also eigentlich nur als göttliche Menschwerdung gedacht werden (traditio II). Diese dürfe freilich nicht als Aufhebung des menschlichen Sinnbegriffs noch der menschlichen Bemühungen um Abbildung des Absoluten bzw. der anderen ›Bilder auf dem Wege‹ gedacht werden, sondern nur als ihre Fortsetzung und Vollendung. So könne die vollkommene Erfüllung des mit dem Sinnbegriff gegebenen Sollens nur über die völlige Erfüllung des Realisierungsbegriffs gedacht werden und somit als ›radikalster Ikonoklasmus‹ 185 (s. u.) der vollständigen Selbsthingabe zur Abbildung Gottes und der anderen (traditio III). (2) Mit diesem ›radikalsten Ikonoklasmus‹ ist bereits Verweyens philosophischer Christusbegriff antizipiert worden. Zu dessen vollständiger Erfassung (3) sowie zur zunächst zu leistenden Eruierung seines Gottesbegriffs, dem ›vorbehaltlosen‹ (BET) bzw. ›unbedingten‹ (GLW) ›Wartenkönnen‹ müssen allerdings noch seine Ausführungen zur traditio I betrachtet werden, die sich in GLW unmittelbar an den religionsphilosophischen Kern anschließen (vgl. GLW Kap. 8: »Letztgültiger Sinn trotz sich verweigernder Freiheit«). Die als erste der vier Bedeutungen von Tradition (vgl. oben) beschriebene Auslieferung eines bzw. des vollkommen Gerechten durch andere Menschen stellt für Verweyen nicht allein den Inbegriff menschlicher Verfeh185 Verweyen spricht in Anlehnung an Anselm AQM etwa von einem »Ikonoklasmus, ›worüber hinaus kein größerer gedacht werden kann‹« (BET 84; Verweyen, Theologische Hermeneutik heute, 191), verwendet in diesem Kontext jedoch an beiden Stellen ebenfalls den Superlativ »radikalst«. Zum ›radikalsten Ikonoklasmus‹ vgl. v. a. auch BET 50; GLW 173.
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lung und Erlösungsbedürftigkeit (»Niedertracht«) dar, sondern auch eine radikale Infragestellung des unhintergehbaren Sinnbegriffs, wie er wiederum streng erstphilosophisch aufzuweisen versucht: Der verweyensche Sinnbegriff behauptet in Gestalt des Bild-des-Unbedingten-seins aller kontingenten Wirklichkeit deren fundamentale Abhängigkeit vom Absoluten, oder anders formuliert, die Subsistenz des Kreatürlichen ausschließlich als Äußerung und Abbildung Gottes. Umgekehrt drücke sich hierin aber auch aus, dass die Welt als Äußerung zu Gott gehöre, er sich also sozusagen durch ihre Freisetzung in Abhängigkeit von seiner Äußerung als etwas ihm bleibend Zugehörigem begebe. So entstehe das Problem einer kraft kreatürlicher Freiheit möglichen Verweigerung des Bild-seins resp. Bild-werdens durch das menschliche Subjekt, des ›Leer-Bleibens‹ einer Stelle der menschlichen Freiheit. 186 Verweyen greift zur Erläuterung dieses Gedankens zurück auf die – gerade in ihrem gotteslästerlichen Potential – theologisch beachtliche 187 Mutmaßung des claudelschen ›Don Camille‹, eine einzige sich Gott verweigernde Freiheit könne die letzte Vollendung des Kosmos gefährden. 188 Verweyen schließt sich dem Gedanken an: Die Realisierung letztgültigen Sinns, das universale Einander-zum-Bild-werden der ›Bilder-auf-dem-Wege‹ sei ausgeschlossen, sobald sich auch nur ein ›Bild-auf-dem-Wege‹ als integraler Bestandteil der göttlichen Äußerung dem Bild-sein verweigere: »Menschsein bleibt absurd, wenn auch nur ein schwarzes Schaf nicht mitmacht […]. Wenn Gott irgend etwas ›aus sich heraussetzt‹, so kann dies nur dann nicht für Gott oder das ›andere zu ihm‹ zerstörerisch auslaufen, wenn dieses etwas Bild Gottes ist, genauer: wenn dieses etwas sich selbst in Freiheit zum Bild Gottes macht oder zumindest das ›Bilden‹ Gottes mit voller Zustimmung an sich geschehen läßt«. 189 Könnte also eine einzige Kreatur, wie ›Don Camille‹ Vgl. GLW 197. Vgl. etwa BET 44: »[S]o muß man dem ›Atheisten Camillo‹ zugestehen, daß er einen sehr bedenkenswerten Gottesbegriff entwickelt (nur vielleicht nicht konsequent genug verfolgt) hat«. 188 Vgl. Claudel, Le soulier de satin, 305 (Vierter Tag, Szene zehn): »Et moi je dis que le Créateur ne peut lâcher sa créature. Si elle souffre Il souffre en même temps. C’est Lui qui fait en elle ce qui souffre. Il est en mon pouvoir d’empêcher cette figure qu’Il voulait faire de moi. En qui je sais que je ne puis être remplacé. Si vous pensez que toute créature est à jamais irremplaçable par une autre, Vous comprendrez qu’en nous il est en notre pouvoir de priver le sympathique Artiste d’une oeuvre irremplaçable, une parcelle de Lui-même«. 189 BET 44. 186 187
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es für sich in Anspruch nimmt, diesem Sinnbegriff zufolge den Kosmos aus den Angeln heben und Gott wenn nicht ›zerstören‹, so doch ›ewig leiden lassen‹ ? Verweyen verneint dies zunächst mit dem Hinweis, dass ›Don Camille‹ Ewigkeit mit Unendlichkeit verwechsle, 190 d. h. dass das menschliche ›Nein‹ nicht ewig sein könne, weil es einerseits einen Anfang habe und so immer schon durch das göttliche Ja unterfangen sei, und weil es andererseits auch kein endgültiges Ende zu finden vermöge, sondern allenfalls in der schlechten Unendlichkeit eines perennierenden Strebens verbleibe. Zweitens könne die Kreatur Gott nicht leiden ›machen‹, sowenig wie sie ihn ›warten lassen‹ könne: Es läge nämlich in der »Phänomenologie des Wartens«, 191 dass der Wartende sich nur selbst zum Warten bestimmen, nicht aber dazu bestimmt werden könne. Sofern Gott nun sein ›Leiden‹ an der Kreatur als Teil seines ›Liebes-Wartens‹ frei übernehme, wäre auch dieses göttliche Leid nicht durch den Verweigerer produziert, sondern selbst gewählt. Warten- und Leidenkönnen erschienen somit nicht mehr als Infragestellung, sondern geradezu als Inbegriff der göttlichen Allmacht: »Die Allmacht Gottes wäre dann so zu definieren, daß er unendlich lange auf das Ja geschaffener Freiheit zu warten vermag, ohne Angst, sich dabei selbst zu verlieren«. Hierher erklärt sich Verweyens philosophischer Gottesbegriff des »unbedingten Wartenkönnen[s]« 192 als der Fähigkeit, unbedingt auf das Ja des gesamten Kosmos als dessen eigentlichen Wesensvollzug warten zu können, der ja darin bestehe, Gott abzubilden. (3) Um seinen philosophischen Christusbegriff zu erreichen, fragt Verweyen nun zunächst, worin sich jenes unbedingte göttliche Wartenkönnen in der stets mit eingeforderten Transparenz sinnlich-geschichtlicher Konkretion zeige, und was es vor dem Verdacht bloßer Projektion bzw. einer unvertretbaren Jenseitsvertröstung bewahre. 193 Wie lasse sich ferner die göttliche Vergebung eines Vergehens am Mitmenschen ohne Ausblendung dieses menschlichen Opfers den190 Vgl. GLW 205. Verweyen bezieht sich wohl auf ›Don Camilles‹ Aussage »Je souffre de Lui dans le fini, mais Lui souffre de moi dans l’infini et pour l’éternité« (Claudel, Le soulier de satin, 305 [Vierter Tag, Szene zehn]). 191 BET 47. 192 Ebd., 45–49; vgl. GLW 205, woher das vorherige Zitat stammt. 193 Eine solche – gnoseologisch wie ethisch – unzureichende Vertröstung des unbedingt auf verwirklichten Sinn angewiesenen Menschen wirft Verweyen dezidiert etwa Pröpper vor, vgl. z. B. Verweyen, »Auferstehung«: ein Wort verstellt die Sache, 110.
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Philosophische Gottesvorstellung
ken, sodass Dostojewskis ›Iwan Karamasoff‹ nicht mehr zur Rückgabe seines Eintrittsbillets in die zynische himmlische Harmonie genötigt wäre? 194 Eine solche, weltimmanente Manifestation des göttlichen Liebeswartens wäre möglich im Rahmen dessen, was vorher als Bild-werdung des Absoluten selbst angeklungen ist, die nun in ihrer ganzen Tragweite als ›radikalster Ikonoklasmus‹ in den Blick gerät. Hierzu ist näher auf den eigentlichen Ort der traditio I einzugehen bzw. überhaupt erst zu klären, warum sich die menschliche Verweigerung des Bild-seins gerade als Auslieferung des Gerechten manifestiert. Verweyen unterscheidet drei Arten menschlicher Vergehen (»Drei Ebenen von Gemeinheit«): Das wechselseitige Aneinanderschuldigwerden, das einseitige Vergehen am Anderen und als dessen Spezial- und Höchstfall das Verbrechen gegen den völlig Gerechten (traditio I). 195 Eine wirkliche menschliche Bildwerdungsverweigerung sei nämlich erst dort in letzter Konsequenz möglich, wo dem Menschen im völlig Gerechten als vollkommenem ›Bild der Bilder auf dem Wege‹ (vgl. den ›Realisierungsbegriff‹ des unbedingten Sollens) die unbedingte eigene Verpflichtung in unüberbietbarer Evidenz begegne, der Gerechte also durch sein »ganzes Dasein zum Anruf« 196 an die Freiheit des handelnden Subjekts würde. Angesichts dieser unmittelbaren Konfrontation mit dem eigenen Sollen sei nun dessen Verweigerung möglich, deren Vollendung darin bestehe, den Anruf des Gerechten als ärgerlichen Widerspruch und Beeinträchtigung der eigenen ›freien‹ Entscheidung gegen Gott zum Verstummen zu bringen, den Gerechten also zu töten. Diese Vorstellung des »notwendige[n] Schicksals des Gerechten« 197 sei keineswegs ein rein jüdisch-christliches Phänomen, sondern durchaus ein mögliches erstphilosophisches Ergebnis, fände es sich doch schließlich bereits bei Platon. 198 Auf Seiten des Gerechten nun gelange das vollkommene Abbilden Gottes als universales Abbilden der ›Bilder auf dem Wege‹ 194 Vgl. Dostojewski, Die Brüder Karamasoff, 399 (V, 4). Verweyen verweist oft auf diese Stelle, vgl. etwa Verweyen, »Auferstehung«: ein Wort verstellt die Sache, 110; BET 65; ders., Der Glaube an die Auferstehung, 76; ders., Glaubensverantwortung heute, 299; GLW 204 f.; NGF 69 u. ö. 195 Vgl. GLW 198–201. 196 GLW 199. Hier ist wohl eine Parallele zum Appellcharakter der visage d’autrui bei Levinas zu sehen, vgl. oben Anm. 8. 197 Ebd., 200. 198 Verweyen verweist hier (ebd.) auf den ›gepfählten‹ (⁄nascinduleÐqero@) ›Gerechten‹ in der Politeia (vgl. ebd., II, 361e-362a); vgl. auch Verweyen, »Auferstehung«: ein Wort verstellt die Sache, 143.
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eigentlich ebenfalls erst hierin zum Abschluss und zur letzten Radikalität: als ein Bild-werden gerade angesichts seiner Verunmöglichung durch die anderen, ›ausliefernden‹ Menschen. Dies nun sei der volle Gehalt des ›radikalsten Ikonoklasmus‹, der so als Verwirklichung letztgültigen Sinns in sinnlich-geschichtlicher Evidenz fungiert, und den Verweyen im gekreuzigten Christus aufscheinen sieht. (4) An dieser Stelle setzt Verweyens christologische Positionierung an, die er ja etwa in den drei kontrovers diskutierten Osterthesen von GLW dargestellt (Abschnitt 15.2: 341–347) und v. a. auch in BET (Kapitel 3: 52–95) erläutert und weiter entfaltet hat. 199 Damit das Christusereignis als vernunftkonsistente und auch ethisch vertretbare, absolute Antwort (vgl. die obigen Ausführungen zum verweyenschen Denkansatz, 6.1) auf die menschliche Sinnfrage in sinnlichgeschichtlicher Transparenz erscheinen und auch weitervermittelt werden könne, müsse sich die absolute Verwirklichung des Bild-werdens und damit des unhintergehbaren Sinns bereits in Jesu Christi menschlichem Sein und Tun – wenigstens aposteriorisch – als evident aufweisen lassen. Dies wäre der ›historischen Vernunft‹ vermittels Vorstellung und Begriff des ›radikalsten Ikonoklasmus‹ möglich. Im Falle des Fehlens einer solchen ›irdischen‹ Transparenz des Kreuzestriumphs, d. h. – für ihn – bei einer bloß nachträglich-rehabilitierenden ›Inthronisation‹ 200 des Gottessohnes durch seinen Vater und der damit verbundenen sachlogischen, nicht bloß faktisch-katalysatorischen Notwendigkeit der Ostererscheinungen, käme es zu einer fundamentalen und tendenziell adoptianistischen Entleerung des Inkarnationsdogmas, 201 zu einem ›Schisma‹ zwischen menschlicher Vernunft und Offenbarung und somit zum Wegfall der Möglichkeit sowohl des unbedingten Zeugnisses als auch der philosophischen Re199 Vgl. zum Ganzen etwa auch Verweyen, »Auferstehung«: ein Wort verstellt die Sache; CB; ders., Der Glaube an die Auferstehung; ders., Glaubensverantwortung heute, 296–302. 200 Zu Verweyens Aufweis der Problematik dieses Vorstellungsfeldes, jenes »Sprachspiel[s] eines nachträglichen Inthronisierens und einer von außerhalb menschlichen Leidens kommenden göttlichen Macht« (Verweyen, Glaubensverantwortung heute, 300) vgl. neben der zitierten Stelle etwa BET 65; GLW 343 f. Er schließt sich in diesem Punkt der seines Erachtens nach wenigstens diesbezüglich berechtigten Kritik Buggles in dessen Buch Denn sie wissen nicht, was sie glauben an: vgl. Verweyen, Der Glaube an die Auferstehung, 71 f. 201 Vgl. etwa BET 76; CB 37 f.; GLW 344–346.
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Freiheitstheoretische Position
chenschaft vom Glauben. Letztlich setze sich dann das »Dogma des Nominalismus, nichts in der Sinnenwelt vermöge Gottes Handeln zu vermitteln«, mit all seinen offenbarungs- wie gnadentheologischen Konsequenzen durch.202
6.5 Freiheitstheoretische Position: ›Reale Freiheit‹ als Transparenz für Gott und den Anderen »[D]aß der wahre Begriff des Bildes nur als die innerste Möglichkeit von Freiheit zu denken ist […]. Ein Bild im eigentlichsten [sic! M. L.] Sinn kann nur im Akt einer Freiheit entstehen, die sich selbst ihrem inhaltlichen Sein nach ganz in diesen Ausdruck, in dieses ›verbum aut imago‹, hineingibt«. 203
Auch wenn die Freiheit sicherlich nicht – wie tendenziell von P. Platzbecker insinuiert 204 – das Zentrum des verweyenschen Ansatzes ausmacht, so ist im Voraufgehenden doch deutlich geworden, dass sie einen wesentlichen Platz innerhalb seines Gedankengebäudes beansprucht. Menschliche Freiheit ist von grundlegender Bedeutung für den Denkansatz, für die ontologische Position und die Gottesvorstellung, v. a. aber auch im Rahmen des erkenntnistheoretischen Kerns der Religionsphilosophie Verweyens. Seine Freiheitslehre ist dabei – wie schon jene Pröppers – von der grundlegenden Ambivalenz von Bedingtheit und Unbedingtheit bestimmt (die er jedoch etwas anders fasst), 205 und von seinem Sollensbegriff, da dieser für ihn ja mit der Subjektkonstitution in eins fällt. Die Ambivalenz bedingt/unbedingt zeigt sich in der paradoxen Elementarstruktur menschlicher Vernunft (vgl. oben 6.3.1), die zur Folge hat, dass sich menschliche Freiheit von Anfang an nur dialektisch denken lässt, als Widerspruch zwischen irreduzibler Unbedingtheit (Pol 1) und irreduziblem Unterwandertsein durch Alterität/Bedingtheit (Pol 2). Auf Basis dieser Struktur seien nun drei verschiedene Arten menschlicher Freiheit denkbar, die je unterschiedlich mit der genannten Dialektik umgingen und so auch zu unterschiedlichen Ergebnissen hinBET 142. GLW 157 f. 204 Vgl. Platzbecker, »Freiheit als Prinzip aller Erscheinung«, hier v. a. 23–25. 205 Zur dreiteiligen Kritik an Pröppers Freiheitsverständnis etwa in GLW 161 f. Vgl. oben, 6.3.2, v. a. Anm. 138. 202 203
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sichtlich menschlichen Sollens gelangten: Wahlfreiheit, ›formal unbedingte‹ und ›reale Freiheit‹. Diese drei Freiheitskonzeptionen seien als kontinuierlicher Aufstiegsprozess hin zur dritten zu verstehen, die zugleich die Sollens- als auch Selbstverwirklichung des Subjekts bedeute. Erstens beschreibt Verweyen also eine bloße Wahlfreiheit (bei ihm »Ellbogenfreiheit«), 206 welche reine Bedingtheit durch Alterität sei, also die alleinige Verwirklichung des zweiten Pols. Hierbei handele es sich um eine lediglich vermeinte Freiheitsaktuierung durch das in der Welt aufgehende Subjekt, das dabei in Wahrheit nur unbewusst der eigenen Triebbedingtheit nachgebe. 207 Diesem Subjekt sei das eigene Sollen – gemäß Verweyens Lehre von der intersubjektiven Subjektkonstitution – zwar nicht unbekannt, allerdings noch nicht ausreichend bewusst, um als solches auch befolgt werden zu können. 208 Eine zweite Möglichkeit stelle nun die reine Verwirklichung des Unbedingtheitspols der Vernunft dar als formal unbedingte Freiheit. Hier erfahre das Subjekt der Wahlfreiheit erstmals die Irreduzibilität und Unbegrenztheit der eigenen Transzendentalität, die alles innerweltlich Bedingende übersteige und somit keine materiale Realisierung finden könne. Diese Freiheit sei in ihrer Formalität aber entgegen der pröpperschen Konzeption in ihrer Verabsolutierung gnoseologisch widersprüchlich und ethisch unzureichend zur Grundlegung eines unbedingten Sollens: Der erkenntnislogische Fehler des Ausgangs von einer völlig autarken, ›formal-unbedingten‹ Freiheit liege darin, dass ihre reine Formalität ohne die (wenigstens konzeptuelle) Begegnung mit einer auch ›material-unbedingten‹ Freiheit gar nicht als solche erkannt werden könne. 209 Ethisch unzureichend sei diese Konzeption, weil die solipsistische Formalität ›formal-unbedingter‹ Freiheit keineswegs zu dem von Pröpper als notwendig darin impliziert gedachten Sollen der Selbstverpflichtung bzw. -bestimGLW 160. Vgl. zu Verweyens Sichtweise der menschlichen Triebe vgl. oben, 6.3.2. 208 Vgl. GLW 160: »Das Phänomen des Sollens, das sich im Zuge der Selbsterkenntnis als ›moi‹ schon vor dem ›da‹ herausgebildet hat […], ist ihm [dem Subjekt der Wahlfreiheit; M. L.] zwar nicht fremd. Es vermag aber noch nicht klar zwischen ›kann nicht‹und ›darf nicht‹-Sätzen, zwischen Müssen und Sollen unterscheiden«. Dieses Stadium menschlicher Freiheit erinnert an das Konzept des ›atheistischen‹, im ›Elementale‹ badenden Subjekts der mittleren Philosophie Levinas’, s. o., 3.1. 209 Vgl. ebd., 161. 206 207
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mung durch andere Freiheit führen müsse, sondern genauso gut auch einen ethischen ›Dilettantismus‹ 210 zur Folge haben könne. Ferner, und das ist wohl Verweyens Hauptvorwurf, würde jegliches Sollen angesichts einer solch ›rein formalen‹, d. h. der materialen Selbstverwirklichung unfähigen Freiheit zur Forderung von etwas Unmöglichem und somit unvertretbar. 211 Die dritte und für Verweyen einzig stringente Möglichkeit, Freiheit zu denken und die beiden Pole der Elementarstruktur menschlicher Vernunft miteinander und mit dem Sollensbegriff zu versöhnen, sei die reale Freiheit als Freiheit des Sich-zum-Bild-desAbsoluten-machen-könnens, das sich ja immer als Transparenz für Gott und für die Anderen zugleich verwirklicht. Nur als Bedingungsmöglichkeiten und sozusagen als ›Vorstadien‹ dieser Freiheit hätten die beiden anderen Freiheiten eine Seinsberechtigung, angesichts der erreichten realen Freiheit zeigten sie sich dann aber als bloßer Schein. 212 ›Reale Freiheit‹ sei die Fähigkeit, sich zum Bild des Absoluten machen (vgl. den Sollensbegriff) und somit das eigene Wesen (vgl. den Sinnbegriff) verwirklichen zu können. Sie zeige sich der augustinischen Wahlfreiheit dadurch überlegen, dass sie transzendental sei, d. h. Vermögen zu freier Selbstwahl und -verwirklichung bei gewahrter Vernunftkonsistenz. 213 Der pröpperschen ›formal-unbedingten Freiheit‹ habe die ›reale Freiheit‹ voraus, dass sie konzeptuell auf einem stringenten, ihre Herkunft erhellenden 214 Sinnbegriff fuße und die materiale Verwirklichungsmöglichkeit ihres Selbstvollzugs impliziere. Erst hier sei Anselms, Kants und Fichtes Begriff von Autonomie Genüge geleistet, die »nur als [hinreichendes; M. L.] Vermögen zum sittlich Guten real« 215 sein könne. Als solche Fähigkeit 210 Zur verweyenschen Lesart des blondelschen Konzepts des ›Dilettantismus‹ aus L’action als Inbegriff des postmodernen Relativismus vgl. etwa Theologie im Zeichen der schwachen Vernunft, 57–60. 211 Vgl. GLW 162: »Wenn die Freiheit ihre ›oberste ethische Norm‹, die ›unbedingte Anerkennung anderer Freiheit‹, nur bedingt (also letztlich nicht) realisieren kann, so wird von ihr etwas Unmögliches gefordert – was dem Begriff des Sollens widerspricht«. Hier bliebe dann nur das Postulat eines Gottes als ›Lückenbüßer‹, das Verweyen scharf zurückweist. 212 Vgl. GLW 164. 213 Verweyen verweist hier auf den anselmschen Gedanken der rectitudo: vgl. GLW 163. Vgl. zu diesem Zentralbegriff des Denkens des Anselm von Canterbury etwa Göbel, Rectitudo. 214 Vgl. BET 116. 215 GLW 164.
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zur Sollenserfüllung bleibt die reale Freiheit aber gemäß ihres bleibenden Alteritätspols (s. o.) an den Anderen gebunden, und zwar nicht allein aufgrund ihrer alteritätsvermittelten (Transzendental-) Genese, sondern auch aufgrund ihres allein intersubjektiv zu vollendenden Selbstvollzugs (vgl. den obigen Realisierungsbegriff letztgültigen Sinns): Erst im wechselseitigen Zum-Bild-werden erreicht sie in Gemeinschaft mit anderer Freiheit ihre eigene Wesensbestimmung. Von hier aus lässt sich nun auch der Gedanke der ›geschenkten Autonomie‹ 216 erläutern, den Verweyen als reinen Erfahrungsbegriff eingeführt hatte, nämlich als Ausdruck der paradoxen Erfahrung, sich in der vollkommenen Hingabe eines anderen als geschenkt und »vor das Beste seiner selbst gekommen« 217 zu wissen: Erst die im Ikonoklasmus des Anderen ergehende, im ›radikalsten Ikonoklasmus‹ Christi aber vollendete Abbildung des je eigenen Bildwerdens ermöglicht dem Menschen gnoseologisch 218 wie faktisch 219 den vollkommenen Selbstvollzug als Ziel- und Höhepunkt seiner Freiheit. Es bleibt allerdings – hinsichtlich der dritten Auflage von GLW – fraglich, ob Verweyen nicht sogar erst die (wenigstens anfängliche) Aktuierung der Fähigkeit des Zum-Bild-werdens als Freiheit betrachtet, wie es in der ersten Auflage der Fall zu sein scheint. 220 Dies würde allerdings das Paradox hervorrufen, dass die Freiheit erst im Akt Vgl. hierzu v. a. Verweyen, Aufgaben der Fundamentaltheologie, 209 f.; GLW 63 f. Verweyen, Aufgaben der Fundamentaltheologie, 209; GLW 64. 218 Vgl. etwa den bereits in OV (198) formulierten Gedanken: »Die Erfahrung von HeilSein als Ereignis sich mir gewährender Freiheit hat ›Wortcharakter‹ […]. Die Erweckung meiner Vernunft und Freiheit zu unendlicher Weite und unbedingter Erschlossenheit kann aber nur durch das Wort einer Vernunft und Freiheit geschehen, die selber absolut ist«. Zu diesem mäeutischen Charakter der Offenbarung vgl. auch 6.1. 219 Vgl. erneut den obigen Realisierungsbegriff, s. 6.3.2. 220 Im überarbeiteten Abschnitt GLW 6.2.3 heißt es etwa, dass das Bildsein der Freiheit erst in ihrem Akt erreicht werde und sie somit – da es außerhalb des absoluten Seins ja nur dessen Bilder geben könne – erst als Aktuierte verwirklicht sei: »Zur wahren Erscheinung gehört die Freiheit, die sich zum Bild des Absoluten macht« (GLW 159). In der ersten Auflage hatte es noch explizit geheißen: »Die Freiheit darf sich nicht nur im Ans-Licht-Bringen eines anderen aufgeben […]; angesichts des unbedingten Seins muß sie es sogar, wenn nicht ihr apodiktisch gewisses Sein in Schein versinken soll. Nur wenn alles Dasein ›außerhalb‹ des unbedingten Seins im Akt von Freiheit zum reinen Bild des Unbedingten wird, kann das Unbedingte unbedingt sein, ohne daß die Seinsgewißheit des ›Ich denke‹ zerstört wird […]. Das Ich muß sich schon selbst restlos zum Bild des Unbedingten machen; es muß all seine an sich selbst festhalten wollende Freiheit vernichten, damit das Unbedingte unbedingt und es selbst zugleich wirklich sein kann« (1 GLW 246). 216 217
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Kurzzusammenfassung
ihrer ›Selbstaufgabe ins Bildsein‹ wirklich würde, was etwa Pröpper zur Frage veranlasst, inwieweit hier überhaupt noch wirkliche Freiheit gedacht ist. 221 ›Reale Freiheit‹ oszilliert bei Verweyen so zwischen der Fähigkeit und dem Akt des Sich-völlig-transparent-machens für Gott und den anderen Menschen. So lässt sie sich mit P. Ebenbauer definieren als »Selbstaufgabe um des absoluten Seins willen, als reines Instrument zur Erscheinung des Absoluten«. 222
6.6 Kurzzusammenfassung Von allen beschriebenen Autoren ist der Denkansatz Verweyens der wohl am schwersten einzugrenzende, da sein Werk nicht nur enormen Umfangs (das sind diejenigen Henrys und Levinas’ freilich auch), sondern auch stark heterogen sowie vielfältig interessiert und engagiert ist, wie schon das obige, eindrucksvolle Spektrum literarischer, philosophischer und theologischer ›Dialogpartner‹ belegt. Dennoch wurde hier der sicherlich hinterfragbare Versuch unternommen, ihn unter der Überschrift ›Offenbarung als Antwort‹ zu subsumieren. Verweyen verortet seine Religionsphilosophie im Kontext der Fundamentaltheologie im Rahmen des Vernehmbarkeitsaufweises (resp. Sinnhaftigkeits-, Notwendigkeits- oder Relevanzaufweises) der Offenbarung vor der ›philosophischen Vernunft‹, der abzuheben ist von dem ›Ergangenseinsaufweis‹, dessen Forum die ›historische Vernunft‹ darstellt. Aufgrund der basalen Forderung nach einer völlig autonomen und vollständigen Nachvollziehbarkeit des Glaubens als dessen eigenem Implikat fordert Verweyen eine philosophische Glaubensrechenschaft, die so ›letztgültig‹ ist, dass sie die Vernunft unwiderruflich ›bezwingt‹ durch eine unhintergehbare Einsicht. Um unhintergehbar zu sein, muss diese Einsicht ihm zufolge erstphilosophisch (d. h. allem hermeneutischen Relativismus entzogen) und begrifflich verfasst sein, und um mit dem Offenbarungsinhalt identifiziert werden zu können, muss sie einen letztgültigen Sinn beinhalten. Verweyen wechselt im Laufe seines Denkens das erstphilosophische Paradigma von der an Gustav Siewerth angelehnten, ontologisch-erkenntnismetaphysischen Staunenskonzeption des Frühwerks (die freilich relikthaft erhalten bleibt) hin zur Transzen221 222
Vgl. etwa EFV 191 f. Ebenbauer, Fundamentaltheologie nach Hansjürgen Verweyen, 90. A
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dentalphilosophie im Gefolge Fichtes. Ziel ist es dabei stets, den zentralen Gehalt des Glaubens, den er vermittels seiner vierfachen Konzeption von traditio darstellt, als die Antwort schlechthin auf die menschliche Sinnfrage (Fragerichtung Transzendentalität) erscheinen zu lassen. Diese Sinnantwort muss für ihn dabei innerweltlich möglich bzw. verwirklichbar sein, um nicht fragwürdig und somit der autonomen Zustimmung widersprechend zu verbleiben (Fragerichtung Transparenz). Im Laufe dieser Bemühungen gelangt er zu einem unhintergehbaren Sinnbegriff, einem daraus folgenden Sollensbegriff und einem Realisierungsbegriff des letztgültigen Sinns. Verweyens ontologische Position ähnelt trotz mancher fortbestehenden Theorieelemente aus der frühen, dezidiert ›klassischontologischen‹ Phase in vielem dem im letzten Kapitel anhand des pröpperschen Ansatzes erarbeiteten, viergliedrigen Strukturgesetz der transzendentalphilosophischen Letztbegründung. Leitend für diesen (wenigstens teilweisen) Umbruch in Verweyens Denken ist wohl die übernommene kantsche Kritik des vermeintlich subreptiven Wirklichkeitsausgriffs der unkritischen Metaphysik, der Verweyen zum Mitvollzug der transzendentalen Einklammerung der philosophischen Ergebnisse veranlasst, die er explizit von Anselm, Descartes und Fichte übernimmt. Aus den Postulaten der irreduziblen Existenz der eigenen Vernunft (1. Postulat) und der zur ihrer Konsistenz erforderlichen völligen Vernunftkommensurabilität der Wirklichkeit (2. Postulat) glaubt auch Verweyen den Möglichkeitsrahmen des Wirklichen klar und distinkt begrifflich abgrenzen (1. Folgerung) und die (freilich bloß auf Basis der Postulate) notwendige Existenz mehrerer (!) dieser Möglichkeiten beweisen zu können (2. Folgerung). Aufgrund der zunehmenden ›transzendentalphilosophischen Kehre‹ Verweyens wurde das eigentliche Zentrum seiner Religionsphilosophie – und dies ist sicherlich anfechtbar – in der erkenntnistheoretischen Position ausgemacht. Seine Argumentation lässt sich in drei Schritten nachvollziehen, deren erster dem Aufweis der Irreduzibilität der Existenz des menschlichen Cogito sowie der Formulierung ihrer doppelt (›transzendental-phänomenologisch‹ und ›radikal transzendentallogisch‹) aufweisbaren Sinnfrage nach letzter Einheit dient (Transzendentalität). Als Antwort auf dieses letzte Einheitsstreben menschlicher Vernunft bei ihrer gleichzeitigen Selbsterfahrung in Differenz erscheint ihm dann im zweiten Schritt allein eine an Fichte angelehnte Bildmetaphysik vernunftgemäß zu sein, die al362
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Kurzzusammenfassung
les endlich Seiende exklusiv als Abbild des Absoluten denkt, so dass der unhintergehbare Begriff letztgültigen Sinns als ›Bild-sein‹ des Endlichen gegenüber dem Absoluten erscheint. Da nun das Bild auf Vervollkommnung hin angelegt und diese allein bei einem freiwilligen Einstimmen in die Abbildhaftigkeit erreichbar sei, entspringt hier auch bereits ein ›Sollensbegriff‹, der als augmentatives ›Bildwerden‹ der freien Abbilder gegenüber dem Absoluten erscheint. Der Sinnbegriff erfährt anschließend – aufgrund des ansonsten unbezwingbaren Absurditätsverdachts – eine zweite Erweiterung hin zu einem Realisierungsbegriff letztgültigen Sinns in raumzeitlicher Konkretion (Transparenz), den Verweyen als ›Einander-zum-Bilddes-Bild-werdens-werden‹ der endlichen Bilder beschreibt. Diese mögliche zukünftige Sinntransparenz der sinnlich erfahrenen Wirklichkeit reicht Verweyen allerdings noch nicht zur Konsistenzsicherung seines Sinnbegriffs aus, weshalb er sie in einem dritten Schritt um eine Reflexion auf eine bereits ergangene Erfahrung letztgültigen Sinns hin erweitert. Dies glaubt er – transzendentalgenetisch argumentierend – in der interpersonalen Dimension der Subjektkonstitution als notwendiger Erweckungsbegegnung mit der Abbildung der eigenen potentiellen Subjekthaftigkeit – ihres ›Sinns‹ wie ihres ›Sollens‹ – seitens des Anderen zu erkennen, was er exemplarisch im siewerthschen Gedanken des ›Mutterlächelns‹ verwirklicht sieht. Diese allgemeine Offenbarung letztgültigen Sinns kann ihm zufolge dann zusammen mit dem Sinn-, Sollens- und Realisierungsbegriff Kriterium für eine mögliche besondere Offenbarung sein. Die philosophische Gottesvorstellung Verweyens fußt dann ganz auf diesem dreiteiligen Versuch, im Ausgang von der Sinnfrage einen Begriff letztgültigen Sinns mit seinen Implikaten zu eruieren und ihn als in raumzeitlich geschichtlicher Konkretion verwirklichbar und teilverwirklicht zu erweisen. Gott, der bereits im Laufe des ersten Schritts vielfältig als Einheitsgrund angedacht wurde, wird nun begrifflich-konzeptuell fassbar als ›unbedingtes Wartenkönnen‹, habe er sich doch dazu selbst bestimmt, auf die Wiederherstellung der erstrebten Einheit in Gestalt der vollkommenen Abbildung durch die in die Freiheit entlassenen endlichen Abbilder zu warten. Die Inkarnation erscheint von hierher als Ermöglichung dieser vollkommenen ›Bild-werdung‹, und Christus wird als ›radikalster Ikonoklasmus‹ begreifbar, da er ganz in der Abbildung Gottes und der anderen ›Bilder-auf-dem-Wege‹ aufgeht; ganz Bild wird, anstatt sich – wie die anderen – Bilder zu machen. Die Sinntransparenzforderung hinA
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sichtlich dieses Vorgangs führt Verweyen dann in der Christologie zu seinen Osterthesen, die v. a. wegen der Forderung der zweifelsfreien Evidenz des Sieges Christi am Kreuz (und der damit de iure gegebenen Unnötigkeit der Erscheinungen des Auferstandenen) kritisiert worden sind. Verweyens freiheitstheoretische Position geht von der grundlegenden Ambivalenz menschlicher Freiheit aus, die stets Momente der Bedingtheit und der Unbedingtheit enthalte. Er eruiert von hier aus drei Formen bzw. aufeinander fußende Stufen der Freiheit: die Wahlfreiheit als unaufgeklärte Willkürfreiheit (trotz allem Anschein reine Bedingtheit), die in sich indifferente ›formal-unbedingte‹ Freiheit (reine Unbedingtheit als Abstraktum) und die ›reale Freiheit‹ (als Zusammenspiel beider Momente). Er plädiert für die letztgenannte reale Freiheit als die transzendentale (unbedingte) Fähigkeit zur inchoativen Selbsterfüllung als Bild in den Grenzen der eigenen materialen (bedingten) Existenz. Etwas fraglich bleibt allerdings, ob diese Fähigkeit als solche bereits die verweyensche Freiheitsdefinition ausmacht oder nicht erst in ihrer aktuierten Form, was aber zum Paradox einer Freiheit führte, die sich erst der eigenen Selbstaufgabe verdankt.
6.7 Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung: Ein unhintergehbarer Glaubensbegriff? »Christus ist die Antwort auf menschliches Fragen, indem er dieses zunächst richtet – in dem doppelten Sinn, daß in der Begegnung mit ihm die Eigenmächtigkeit der Vernunft gerichtet und sie so in die Richtung versetzt wird, die ihrer in der Schöpfung begründeten Eigenständigkeit entspricht […]. Dieser notwendig dialektische […] hermeneutische Prozess ist aber, auch ohne unser Zutun, schon im vollen Gange«. 223
Zur philosophischen Würdigung 224 der verweyenschen Religionsphilosophie, die er ja bewusst im Rahmen der Fundamentaltheologie als GLW 47. Vgl. hierzu neben den umfänglichen, auch philosophischen Anfragen Pröppers (vgl. z. B. Kap. 5.2, v. a. Anm. 147) etwa die Beiträge in der von G. Larcher u. a. herausgegebenen Verweyen-Festschrift Hoffnung, die Gründe nennt, sowie Fößel, Gott – Begriff und Geheimnis, 155–169; Knapp, Verantwortetes Christsein heute, 76–88; Obenauer, Rückgang auf die Evidenz, 38 f.338–347. Th. P. Fößel selbst bezeichnet nur die weitestgehend an I. U. Dalferths allgemeiner Kritik des transzendentalphilosophischen Argu223 224
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Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung
aus dem Glauben freigesetzte und motivierte konzipiert, keineswegs aber als rein neutrale philosophische Gotteslehre verstanden wissen will, ist zunächst auf ihre Vielschichtigkeit, Themenvielfalt und dialogische Integrativität hinzuweisen, die sie als ein beeindruckendes Gesamt erscheinen lässt. Der stets um Vervollkommnung der philosophischen Glaubensrechenschaft bemühte und diskussionsfreudige Verweyen scheut nicht die Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten philosophischen Denkweisen und ihre kritische Integration in sein Modell. Dabei nimmt er aus wissenschaftlicher Gewissenhaftigkeit und Akribie sogar manche »Umwegigkeit« 225 (Pröpper) und »schwer[e] Zugänglichkeit« 226 (Kl. Müller) und damit auch die tendenzielle Verunmöglichung eines Nachvollzugs durch den ›theologischen Laien‹ in Kauf. 227 Er scheut sich aber auch nicht, philosophisch Partei zu ergreifen und Ansätze zu kritisieren, die ihm als philosophisch fehlerhaft und unzureichend oder aber als unvereinbar mit der christlichen Glaubensüberzeugung erscheinen, ist jedoch stets darum bemüht, die methodische Unterscheidung zwischen beiden Disziplinen zu wahren. In diesem Zusammenhang des Ernstnehmens des anderen Denkers in seinem jeweiligen (raumzeitlichen, disziplinären, ideologischen etc.) Kontext – beredtes Beispiel hierfür sind Verweyens vielfältigen philosophischen Editionsprojekte – ist auch sein Verdienst um die Wiederaufnahme des Dialogs christlicher Theologie mit dem Deutschen Idealismus und der Tradition der Subjektphilosophie zu nennen, das Kl. Müller wiederholt hervorhebt. Wie Pröpper und er selbst sei Verweyen nicht in den modisch-postmodernen Abgesang auf subjektorientierte Philosophie eingestimmt, sondern nehme – gegen den zeitgenössischen fundamental-theologischen mainstream – auch diesen Teil der Philosophiegeschichte ernst, der sich dabei als geeignetster Gesprächspartner für christliche mentierens in der Theologie (vgl. Dalferth, Subjektivität und Glaube) angelehnten Anfragen auf den Seiten 155–157 seiner Dissertation als ›philosophisch‹, aber auch seine weiteren, vermeintlich bloß theologischen Anfragen enthalten philosophische Implikationen und sind in ihrer konkreten Bezugnahme auf Verweyen wesentlich prägnanter. Eigens zu erwähnen sind noch die Kritiken aus der postmodernen Perspektive des Differenzdenkens bzw. des Dekonstruktivismus, vgl. hierzu Buchholz, Körper– Natur – Geschichte; v. a. 177–211; G. M. Hoff, Begründungsnotstand?; ders., Die prekäre Identität des Christlichen, 488–517; J. Hoff, Fundamentaltheologie zwischen Dekonstruktion und erstphilosophischer Reflexion; Valentin, Différance und autonome Negation. 225 EFV 190. 226 Kl. Müller, Anerkennung und Ich-Apriori, 59. 227 Hierher erklärt sich sein Versuch einer vulgarisation in BET, s. o., Anm. 6. A
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Religionsphilosophie erweise. 228 Verweyen selbst begründet seine Beschäftigung mit dem Idealismus durch ein Plädoyer für die philosophia perennis, die der zeitgenössischen Philosophie (»philosophie du jour«) in Nichts nachstehe. 229 Im Gegenteil, jene ›Tages-Philosophie‹ (Stichworte sind hier ›linguistic turn‹ und ›hypertrophe‹ Hermeneutik, s. o.) gelte es argumentativ zu bekämpfen, sieht Verweyen sie doch von grundlegendem Relativismus und ›Dilettantismus‹ (im blondelschen Sinne) gezeichnet, von der Tendenz also, jegliche unbedingte Überzeugung und jedes unbedingte Engagement des Menschen ad absurdum zu führen. Seine diesbezügliche argumentative Leistung im Rahmen des intellektuellen Kampfes um Grundlegung allgemein verbindlicher Werte und Normen nach dem Wegbruch der klassischen Naturrechtsdiskurse ist ebenso hervorzuheben wie seine Grundsatzkritik jeglichen anthropologischen Positivismus’, etwa seitens einer den eigenen Voraussetzungshorizont und die disziplinäre Reichweitenbegrenzung leugnenden »objektiven Wissenschaft«. 230 Weiterhin müht er sich, die transzendentale Erstphilosophie für eine Integration des Materiellen und (mit Fichte) für die Intersubjektivität zu öffnen. 231 Ungeachtet dieser unstrittigen Vorzüge des verweyenschen Denkens leitet sein angeführtes Plädoyer für die philosophia perennis aber bereits die kritischen Anfragen an sein System ein, beginnt jene doch schließlich – wie Verweyen selbst hervorhebt 232 – in der griechischen Antike, also nicht erst mit Descartes, Kant 233 und der aufkommenden Transzendentalphilosophie, für die Verweyen letztlich exklusiv optiert. So stellen sich etwa folgende offene Fragen: (1) Sind die Grundvoraussetzungen des Systems und deren Folgerungen nach dem oben beschriebenen ›viergliedrigen Strukturgesetz‹ der transzendentalphilosophischen ›Letztbegründung‹ (vgl. 6.2) als solche ausreichend bewusst und kenntlich gemacht? Sind sie so ›unhintergehbar‹, wie Verweyen beansprucht? Ist sein Postulat nicht nur Vgl. etwa Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage, 43 f. Vgl. GLW 47. 230 Ebd., 152. 231 Das Fehlen (bzw. Übersehen!) dieser beiden Aspekte bezeichnet er als Grund für die heutige Distanzierung von der großen erstphilosophischen Tradition bei »Augustinus, Anselm von Canterbury, Descartes, Kant, Fichte, J. Maréchal« (Verweyen, Aufgaben der Fundamentaltheologie, 211). 232 Vgl. Anm. 229. 233 Hier sei an J. Ratzingers lapidare Feststellung erinnert, vgl. oben, 5.6 (Anm. 231). 228 229
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der Existenz, sondern auch der vollkommenen denkerischen Zugänglichkeit und Kommensurabilität der einen menschlichen Vernunft unhinterfragbar? 234 (2) Hieran anknüpfend ist zu fragen, ob Verweyens Vernunftoptimismus nicht doch zu weit reicht, und die postulierte Letztbegründung die von ihm selbst hervorgehobene paradoxe Elementarstruktur der Vernunft überfordert. Kann eine erste Philosophie sich völlig der hermeneutischen Rückfrage verschließen? Gibt es überhaupt ›unhintergehbare Begriffe‹ ? Unterliegt Verweyens Ansatz nicht wie schon derjenige Pröppers dem von Hans Albert ausgemachten »Münchhausen-Trilemma« der Letztbegründung? 235 234 Freilich ist Verweyens Option für die Transzendentalphilosophie bewusst und wird auch als solche von ihm thematisiert; dennoch bleibt zu fragen, ob Verweyen den inneren, statischen Zusammenhang zwischen den beiden transzendentalphilosophischen Postulaten und ihren Folgerungen ausreichend problematisiert, scheint er doch wie Pröpper die ›Naturnotwendigkeit‹ dieses Schlusssystems vorauszusetzen. Eine solche Überschau der menschlichen Erkenntnis und ihrer Möglichkeiten basiert nicht allein auf der – retorsiv durchaus zu rechtfertigenden – Annahme der einen menschlichen Vernunft, sondern auch – und dies dürfte entscheidend und entsprechend umstrittener sein – auf dem Postulat der universalen Verfügbarkeit und intentional-begrifflichen Kommensurabilität dieser Vernunft. So sprechen Verweyens Kritiker in diesem Zusammenhang etwa von einem ›archaisierten‹ bzw. rein identitätslogischen Vernunftbegriff, vgl. bspw. die Anfragen von Buchholz, Körper – Natur – Geschichte, 177–220; vgl. auch Fößel, Gott–Begriff und Geheimnis, 164. In diesen Zusammenhang gehört auch G. M. Hoffs Frage an Verweyen: »Was meint – man möge die so triviale Frage entschuldigen – ›Vernunft‹? […] Dabei ist zu berücksichtigen, von welchem Logos her die Vernunft sich orientieren lässt; was ihre Begründungsoperationen bindet« (Begründungsnotstand?, 93). 235 Verweyen spricht selbst von einer paradoxen Elementarstruktur menschlicher Vernunft in ihren Erkenntnisgrenzen, um dann doch von ihr aus ›letztgültige‹ Begriffe zu erheben, so dass er – formallogisch gesehen – von etwas Bedingtem auf etwas Unbedingtes schließt. Konkret könnte dabei etwa an seine ›Bildlehre‹ gedacht werden: Woher weiß das begrenzte Subjekt darum, dass es nur als Abbild eines Absoluten existieren kann, bzw. dass umgekehrt dieses Absolute nur Bilder seiner selbst neben sich dulden kann? Wie gelangt eine bedingte Vernunft zu der überschauenden Kenntnis über die Zusammenhänge von bedingt und unbedingt? In ähnliche Richtung weisen etwa auch die Anfragen J. Werbicks, der von einer »Asymmetrie der philosophischen Prüfkompetenz« (Den Glauben verantworten, 399) gegenüber dem Absoluten spricht: »Die Unbedingtheit der Zusage ist nicht durch zwingende Argumente eruierbar […]. Eine Zusage [des Unbedingten; M. L.] kann nur Widerfahrnis sein« (ebd., 397). Der Zusammenhang mit dem als dritte Möglichkeit des ›Münchhausen-Trilemmas‹ Hans Alberts beschriebenen ›dogmatischen‹ Begründungsabbruch dürfte ebenfalls auf der Hand liegen; vgl. Albert, Traktat über kritische Vernunft, 13–18.
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(3) Liegen, daran anschließend, nicht gewisse Inkonsistenzen und logische Sprünge, Spannungen bzw. gar Brüche im Gesamtgebäude des verweyenschen Denkens vor? Konterkariert Verweyen etwa die von ihm selbst aufgezeigten Erkenntnisgrenzen und die behauptete ›faktische Fallibilität‹ 236 auch letztgültiger Erkenntnis, wenn er seine Letztbegründung immer wieder gegenüber dem hermeneutischen Zirkel exemt? 237 (4) Ist – um die Frage nach möglichen Inkonsistenzen zu verschärfen – angesichts des Gedankens der universalen Bild-werdung die menschliche Individualität wirklich konzeptuell gewahrt und – sofern dies der Fall ist – worin besteht sie inhaltlich-material, wenn doch alles an ihr die Alterität abbilden und so ›transparent‹ werden soll? Was bewahrt die Bildtheorie vor dieser Gefahr der (von Verweyen explizit ausgeschlossenen!) tendenziellen Entwertung des Individuellen? Wird hier im Letzten womöglich der ganze transzendental-philosophische Ansatz beim irreduziblen cogito konterkariert, so dass das letzte Ergebnis des Denkwegs seinen elementarsten Voraussetzungen widerspräche? (5) Muss eine Philosophie, die keine Letztbegründung, keine unhinterfragbaren Beiträge zu leisten beansprucht, wirklich automatisch dem Relativismus verfallen und hinsichtlich Offenbarung und Glauben zur »philosophie séparée« 238 werden, wie Verweyen glaubt? Ist ein epistemologisch vorsichtigeres Denken wirklich außerstande, ein Unbedingtes zu vertreten? Ist Verweyens geradezu allergische AbVgl. GLW 72 (s. Anm. 27). G. M. Hoff verweist etwa auf den erkenntnisbegrenzenden Charakter verweyenscher »Chiffren wie die der Differenz, des Anderen, des Ikonoklasmus« etc., die er aber »theoriearchitektonisch konterkarier[e]« (Begründungsnotstand?, 96). Stellt Verweyens ›letztgültig‹ abgesichertes Sinnmodell nicht ein ›Bild‹ von der Wirklichkeit als ganzer dar, das nirgends mehr eine Erschütterung bzw. gar einen ›Ikonoklasmus‹ zu fürchten hat? Weitere Brüche könnten etwa in der Einführung der bildtheoretisch-apodiktischen Lösung des Zuordnungsproblems von Absolutem und Bedingtem gesehen werden (vgl. auch die anschließende Frage 4), in der doppelten Fundierung der paradoxen Elementarstruktur in der heterogenen Einheitsprägung und der reinen Selbstreflexion der Vernunft oder auch in der Annahme einer unmittelbaren Evidenz des – fichteanisch konzipierten – menschlichen Einheitsstrebens (J. Werbick verwirft dieses etwa zugunsten des von ihm präferierten Strebens nach »Würdigung«, vgl. Den Glauben verantworten, 864–869). 238 Verweyen, Einleitung (1994), 22. 236 237
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lehnung alles (postmodernen) Differenzdenkens in der heutigen philosophischen Landschaft kommunikabel und dialogfähig? 239 Aus theologischer Sicht ist Verweyens Religionsphilosophie sicherlich vor allem hinsichtlich ihres – theologisch grundgelegten – dezidierten Anspruchs vollkommener philosophischer Glaubensrechenschaft zu würdigen, der in seinem Vernunftoptimismus an manche Passagen aus Fides et Ratio erinnert. 240 Gemäß dem Desiderat der Enzyklika begrenzt Verweyen die menschliche Vernunft nicht von vorneherein bezüglich des Glaubensinhalts, sondern glaubt diesen vollständig mit autonom-philosophischen Mitteln nachvollziehen zu können, und zwar in all seinen unter dem Oberbegriff der (vierfachen) traditio gefassten Dimensionen. 241 Dieser freimütige 242 ›Nachvollzug‹ geschieht freilich paradoxerweise – aufgrund der durch die Autonomieforderung bedingten methodischen Einklammerung des Glaubensinhalts – als Vorentwurf einer möglichen letztgültigen Offenbarung. Durch die transzendentalreduktive Formulierung der Sinnfrage konnte ja der Sinnbegriff mit seinen Implikationen entwickelt werden, der von nun an als allen Menschen denkmöglicher und – im Falle der Annahme durchgängiger Vernunftkonsistenz – auch denknotwendiger Begriff zugänglich ist und so als kriterieller Rahmen zur Identifikation der in ihrer Faktizität unableitbaren Offenbarung dienen kann. Verweyen liefert somit keineswegs – wie 239 Die schroffe und »vergröbernde[] Gegenüberstellung der Alternativen Letztbegründung oder des Relativismus’/Fundamentalismus’« im verweyenschen Denken beklagt etwa O. J. Wiertz (Rez. zu H. Verweyen, Botschaft eines Toten?, 606); vgl. auch G. M. Hoff, Begründungsnotstand?, 92. Fraglich erscheint nicht nur die Möglichkeit der philosophischen Vertretbarkeit einer ›Letztbegründung‹, sondern auch die pauschale Disqualifikation anderer, sich weniger erkenntnisoptimistisch gerierender Philosophie als ethisch wie religiös unzureichend, die den Dialog mit vielen anders optierenden Philosophien von vorneherein erschwert, wo nicht verunmöglicht. 240 Verweyen selbst merkt dies mit Verweis auf FR (nn. 48.83 f.92) an, vgl. GLW 27.49.57.63.153 f. Bezüglich des Letztgültigkeitsgedankens und des Erstphilosophiedesiderats ist diese Bezugnahme sicherlich berechtigt. Allerdings dürfte es der Enzyklika, auch wenn sie wohl tatsächlich nicht auf der Metaphysik als historischer Disziplin beharrt (vgl. GLW 153), sehr wohl um eine Philosophie mit ontologischem Anspruch gehen, vgl. etwa FR nn. 66.82 f.97. 241 In Spannung zu diesem Anspruch stehen freilich seine skeptischen Ausführungen über die menschlichen Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Trinität, vgl. oben, Anm. 21.184. 242 Vgl. seine Überlegungen zur parrhsffla in Verweyen, Theologische Hermeneutik heute, 188 f.
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Arens in seinem einschlägigen Aufsatz insinuiert 243 – eine philosophische Letztbegründung (und somit einen Beweis) des christlichen Glaubens oder seines Inhalts, und grenzt sich hierin von jedem hypertrophen Rationalismus ab. Allerdings dürfte an dieser Stelle bereits die theologische Kardinalanfrage an Verweyens Philosophie liegen, scheint er doch trotz der Vermeidung einer Deduktion der Offenbarung den Anspruch zu erheben, diese vollkommen philosophisch vorherbestimmen zu können, und so letztlich dennoch in die Gefahr zu geraten, den Glauben philosophisch ›aufzuheben‹. Diese zentrale Frage zieht sich durch die folgenden Detailfragen durch, die sie eigentlich bloß entfalten: (1) Ist Verweyens Ansatz strukturell ausreichend gegen die von ihm selbst vehement abgelehnte Aufhebung des christlichen Glaubens in die Philosophie abgesichert, und damit die Glaubensentscheidung als bedingungslose, existentielle Überantwortung gegen ein wissendes Nutzenkalkül? Sind bei ihm Sollens-, Sinn- und Offenbarungsbegriff gleichgesetzt (Pröpper), und ist angesichts dessen noch eine besondere Offenbarung denkbar, die mehr ist als bloß Katalysator der Vernunft? 244 243 Vgl. Arens, Läßt sich Glaube letztbegründen?. Verweyen zeigt sich im Vorwort zur dritten Auflage bestürzt über dieses Missverstehen, vgl. Anm. 16. 244 Pröpper wirft Verweyen ja etwa mehrfach die inhaltliche Vorherbestimmung der Offenbarung vor wie auch die durch sie bezeichnete Identität von Sollens-, Gottesund Sinnerfahrung resp. -begriff. In der Tat scheint im verweyenschen Ansatz – wenigstens a posteriori zur diesbezüglich ›instruierenden‹ Offenbarung – vieles bereits philosophisch entschieden zu sein, was gemeinhin als Glaubensgegenstand betrachtet und somit eo ipso nicht als ›gewiss‹ im apodiktischen Sinne der Philosophie betrachtet werden kann. Auch unterscheidet Verweyen womöglich nicht immer ausreichend zwischen transzendentaler und kategorialer, allgemeiner und besonderer Offenbarung, wenn er etwa die – ja durchaus als geistgewirkt zu betrachtende – Gottesunmittelbarkeit in der Sollenserfahrung oder im ursprünglichen Staunen qualitativ-essentiell nicht eigens von der historisch-einmaligen Offenbarung in Christus unterscheidet, sondern eher beider Übereinstimmung hervorhebt. Als Tendenz des philosophischen Systems könnte hier ein Mangel an kommunikationstheoretischer Fundierung und auch eine gewisse Fehlgewichtung der Offenbarungsvorstellung ausgemacht werden, die wesentlich als freie Selbstmitteilung Gottes zu verstehen ist, nicht aber bildtheoretisch als Abbildung (und sei es deren Höchstfall) der menschlichen ›Bilder-auf-dem-Wege‹. Natürlich ist Christus die Ikone wahren Menschseins, d. h. aber nicht, dass er nicht auch zugleich und sogar primordial vera icona Dei ist, also nicht vollkommene Transparenz und Selbstentleerung (auch nicht seiner menschlichen Natur, die inhaltlich zur Offenbarung dazugehört), sondern zunächst Opazität und Selbstdarstellung. Weiterhin ist hinsichtlich des Glaubens festzuhalten, dass dieser bei Verweyen so sehr als ›völlige Überzeugung‹ kon-
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(2) Ist die apriorische und umfassende Kriteriumsfunktion der transzendentalen Erstphilosophie gegenüber Offenbarung und Glauben mit deren Charakter der Freiheit, Unableitbarkeit und Gratuität zu vereinbaren? Liegt hier eine gewisse Übergewichtung der philosophischen vor der theologischen Hermeneutik vor? Lässt sich das mysterium (!) fidei derart auf den Begriff bringen? Sind hier die Schrift in ihrem Charakter als norma non normata und die Geschichtlichkeit des Glaubens ausreichend gewahrt? 245 zipiert ist, dass es in der Tat schwer fällt, einen entscheidenden Unterschied zum – freilich nur ›bescheiden-transzendentalphilosophischen‹ – Wissen aufrechtzuerhalten, was Verweyens eigentlicher Intention zuwiderläuft, ja, ihn geradezu schockiert (vgl. die Notiz im Vorwort zu dritten Auflage von GLW, s. Anm. 16). G. M. Hoff (Begründungsnotstand?, 98) verweist in diesem Zusammenhang auf die Enzyklika FR, auf die sich Verweyen schließlich ebenfalls beruft, und die unter n. 23 den Entscheidungscharakter des Glaubens besonders hervorhebt; die Entscheidung, von der Verweyen häufig spricht, ist jene zu sich selbst und zur Konsistenz zur eigenen Vernunft (vgl. oben 6.2), eine Entscheidung, mit welcher der Glaube schon einherzugehen scheint. Weiterhin ist daran zu erinnern, dass Glaube und Offenbarung – wie Verweyen selbst hervorhebt – von Anfang an (hier mag der Verweis auf Paulus genügen) auch als »Krisis eines jeden menschlichen Verstehenshorizonts« (GLW 62) betrachtet worden sind, also keineswegs als dessen bloße Erfüllung oder lineares Zu-sich-selbst-kommen; vgl. hierzu auch Fößel, Gott – Begriff und Geheimnis, 162; G. M. Hoff, Begründungsnotstand?, 94.98. In diesem Sinne ist denn auch etwa J. Ratzingers Kritik zu verstehen, die freilich in ihrer Apodiktizität als Unterstellung einer »vermeintlich völlig glaubensunabhängige[n] rationale[n] Grundlegung des Glaubens« zu hart erscheint, aber als Tendenzaufweis durchaus nachvollziehbar ist (vgl. Ratzinger, Zur Lage von Glaube und Theologie heute, 372). Unhaltbar (selbst mit Blick auf OV) und dem verweyenschen Ansatz diametral widersprechend dürfte aber die gegenteilige pauschale Behauptung H. G. Türks sein, dass »[d]er Glaube und mit ihm die Theologie […] im Hinblick auf den zentralen Punkt, auf den es letztlich allein ankommt, nämlich das Überwältigtwerden von der unüberbietbaren, im Zeugnis (in dem Christi traditio tradiert wird) begegnenden göttlichen Wahrheit, völlig unabhängig [!] von jeglicher Vernunftbemühung des Menschen und eigenständig gegenüber aller Philosophie« sei (Türk, Offenbarung letztgültigen Sinnes und philosophische Vernunft, 13). Zum Verhältnis von Glauben und philosophischer Erkenntnis sowie deren Gewissheitsgrad vgl. die Überlegungen zur analogia veritatis, 8.2. 245 Wie schon hinsichtlich Pröppers Religionsphilosophie (vgl. 5.7; zweite theologische Frage) und angesichts der umfänglicheren verweyenschen Begründungsansprüche sogar a fortiori ist hier zu fragen, inwieweit das göttliche Handeln noch frei zu bleiben vermag, wenn der Mensch – und sei es erst im Nachhinein – gewiss zu erkennen vermag, dass Gott nicht anders hätte handeln können, als sich in Christus zu offenbaren, um sein Ziel hinsichtlich der Schöpfung zu realisieren. Es soll hierbei nicht, so ist oben schon angeklungen, einer maß- und schrankenlosen Potentia-Dei-Absoluta-Lehre und einem Willkürgott ›Tür und Tor‹ geöffnet werden, wohl aber der Möglichkeit, dass der Gott, an dessen geoffenbarte, absolute und unwiderrufliche Güte getrost geglaubt werden darf, A
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(3) Ist verantwortbarer bzw. verantworteter Glaube wirklich erst bei einer derartig elitär-akademischen, komplex-philosophischen Vermittlung möglich, und wie ist dann der Glaube der ›Unmündigen‹ (vgl. Mt 11,25) und ›Kinder‹ (vgl. Mt 18,3) oder auch jener der ›einfachen Gläubigen‹ zu bewerten? Wird hier nicht – wie auch bei Pröpper – ein Großteil der gegenwärtigen wie vergangenen ›natürlichen‹ Religiosität der Menschheit, die wesentlich auf kausalen Denkmustern beruht, unnötig hart verurteilt und als Metabasis bzw. Idolatrie diskreditiert? 246 auch andere Wege zur Verwirklichung dieser seiner Güte hätte finden können, als der Mensch im Vor- oder Nachhinein ersinnen oder gar als notwendig einzusehen vermag. Diese möglichen ›anderen Wege‹ Gottes verweisen in sein bleibendes Geheimnis, das sich im Sammelbegriff des mysterium fidei andeuten, nicht aber beschreiben lassen dürfte. Oder, mit weiten Teilen von Patristik und Scholastik und mit J. Werbick gesprochen, in der incomprehensibilitas Gottes, der gegenüber stets die unaufhebbare »Asymmetrie der philosophischen Prüfungskompetenz« besteht (vgl. Anm. 230). Dieses Geheimnis – so lautet ein zentrales, von den Phänomenologen zu lernendes Postulat der vorliegenden Arbeit – ist zu schützen vor jeglichem kommensurierenden und univok verbegrifflichenden Zugriff einer grenzenlosen Rationalität, die somit den Rahmen eineindeutig abzustecken vermöchte, innerhalb dessen sich ein göttliches ›Restgeheimnis‹ dann noch abspielen dürfte. Das personale Geheimnis Gottes, zu dem wesentlich auch sein geschichtliches Wirken in der Offenbarung gehört, ist nicht philosophisch erschöpfbar, noch apriorisch einzäunbar, sondern bedarf stets der lebendigen, geistgewirkten Glaubenserfahrung. Diese ist wiederum an die Schrift als nicht normiertes Kriterium zurückgebunden, deren Verständnis sich in Kirche und Tradition verlebendigt, keineswegs aber von vorneherein – über die Grundvoraussetzungen sinnvoller Rede hinaus – einer fixen philosophischen Kriteriologie unterliegt. Vgl. zu diesen Überlegungen den dritten Teil dieser Arbeit, zur diesbezüglichen Verweyenkritik etwa Fößel, Gott – Begriff und Geheimnis, 167–169; H. Kessler, Sucht den Lebenden nicht bei den Toten, 462. Auch G. M. Hoff deutet an, dass Verweyen nicht ausreichend zwischen der bzw. den philosophischen und der theologischen ›Rationalitätsform‹ unterscheidet, wobei zu Letzterer aufgrund des Axioms der incomprehensibilitas eben auch eine wesentliche reductio in mysterium gehöre (vgl. Begründungsnotstand, 93.95), so dass Verweyen »formalkriteriologisch nach einer erkenntnistheoretischen Sicherheit [verlangt; M. L.], die vom Logos der Theologie her weder gefordert noch adäquat eingeholt werden kann« (ebd., 96). D. B. Burrell hebt Verweyen gegenüber ebenfalls die Begrenzung theologischer Evidenz hervor, die besser mit Newmans Fiduziaritätslehre beschrieben werde (vgl. Reflections on Gottes letztes Wort). 246 Die erste Teilfrage stellt sich mit Blick auf die beschriebenen, durchaus komplexen Argumentationsgänge Verweyens. Wenn christlicher Glaube erst bei derart hohem Reflexionsstand als verantwortet zu betrachten ist, so könnte dies zu der überaus problematischen Leugnung der Authentizität oder doch zumindest ethischen Vertretbarkeit des Glaubens aller weniger denkfreudigen oder -fähigen (!) Christen führen. Ein so anspruchsvoller Glaube könnte dann wirklich nur mehr (im schlechten Wortsinne) elitär sein. Freilich ist hier anzumerken, dass Verweyen diese Problematik durchaus
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(4) Erschöpft Verweyens philosophische (!) Christologie den Sinngehalt der Formel von Chalkedon? Läuft die Gleichsetzung von Jesu menschlichem Handeln mit dem Handeln Gottes und der Gedanke absoluter Sinnevidenz im Gekreuzigten nicht Gefahr – entgegen Verweyens expliziter theologischer Intention –, im Sinne des Monophysitismus missverstanden zu werden? Basieren ›vertikale‹ und ›horizontale‹ Inkarnation auf einem univoken Begriff? 247 (5) Vermag eine reine Bildontologie den christlich vorausgesetzten Eigenstand und die dauerhafte, nicht bloß formale Individualität des Menschen in den philosophischen Konzepten von Schöpfung, Gnade selbst sieht (vgl. etwa GLW 38). Was die möglicherweise implizierte Disqualifikation alles kausalitätsfundierten religiösen Denkens anbetrifft, so wäre sie ebenfalls Ausdruck eines übertriebenen christlichen Elite-Denkens, das – entgegen den entsprechenden Überlegungen etwa des II. Vaticanum – nicht mit dem Wirken des Hl. Geistes außerhalb der genuinen christlichen Offenbarung zu rechnen weiß und die ›Außenstehenden‹ notwendig in die Idolatrie verschließt (vgl. Kap. 2, Anm. 124). 247 Hinsichtlich der Vorwürfe mangelnder Differenzierung zwischen dem Handeln Gottes bzw. des innertrinitarischen Logos und des in ihm subsistierenden Menschen Jesus auf Erden ist hier nur auf die entsprechenden Ausführungen der Opponenten Verweyens in der Auferstehungsdebatte zu verweisen (etwa Kessler und Pröpper). Was nun den oder die verweyenschen Inkarnationsbegriffe und ihren Status angeht, so scheint ein widersprüchlicher Befund vorzuliegen. In seinem Beitrag zum Castelli-Kolloquium zur Inkarnation leugnet Verweyen zunächst – verblüffend genug angesichts seiner sonstigen Emphase auf ›Begriffe‹ wie auch seiner Generalkritik des ›linguistic turn‹ – die Existenz »philosophisch stringente[r]« bzw. »klare[r] und distinkte[r]« Begriffe überhaupt (Verweyen, Gibt es einen philosophisch stringenten Begriff von Inkarnation?, 481), um den »christliche[n] Begriff von Inkarnation« dann doch als »eschatologische[n] Vorblick auf das endgültige Kommen des Gottesreiches philosophisch stringent nachvollziehbar« zu nennen, und zwar anhand des von ihm hier erneut (s. o.) entwickelten Begriffs der ›horizontalen Inkarnation‹ (d. h. der wechselseitigen Abbildung Gottes und der jeweils anderen Menschen) als einziger Möglichkeit des »ungehindert[en]« Zuwortkommens Gottes in der Welt (vgl. ebd. 486). Ungeachtet der etwa auch von Th. P. Fößel (Gott – Begriff und Geheimnis, 161 f.) ausgemachten, gewissen Relativierung des Definitionsanspruchs durch das Attribut ›eschatologisch‹ scheint hier dennoch eine univoke Begriffbildung vorzuliegen: Der ›eschatologische Vorbehalt‹ bezieht sich nämlich lediglich auf die noch ausstehende Vollendung der Inkarnation (die hier letztlich mit dem endgültig verwirklichten Reich Gottes identifiziert scheint), nicht aber auf ihren Begriffsgehalt, der letzten Endes mit der universalen Bildwerdung identifiziert wird bzw. als Einlösung des in der interpersonalen Subjektkonstitution liegenden Versprechens erscheint (vgl. Gibt es einen philosophisch stringenten Begriff von Inkarnation?, 488). Verweyen scheint hier also mit dem Begriff ›Inkarnation‹ das (endzeitliche) Reich Gottes, gelingendes Menschsein und die Menschwerdung des Logos zugleich zu benennen, was theologisch eher problematisch ist. Zur Frage nach begrifflicher Univozität oder Analogizität bei Verweyen vgl. unten, 7.1. A
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und Erlösung genügend zu bewahren, oder obsiegt hier ein gewisser ›Uniformismus‹ ? Kann es als christliches Ziel des Menschen beschrieben werden, ganz in Transparenz und Uniformität aufzugehen? 248 (6) Wie steht es um die hamartiologischen Konsequenzen? Ist Sünde in Verweyens Konzept mehr als nur ein aus mangelnder Erkenntnis entstandener Selbstwiderspruch? Worin besteht die Auswirkung der Sünde, worin die Erbsünde, wenn der Mensch doch eigentlich schon alles weiß und auch zu tun vermag, was ihm – in seinen gattungsbedingten Grenzen – an Kooperation mit Gott nötig ist? 249 (7) Lässt sich die tendenzielle Asymmetrie der verweyenschen Ethik mit dem impliziten christlichen Gebot zu rechter Selbstliebe vereinbaren? Liegt hier womöglich ein ›unchristlicher‹ Sollensrigorismus vor? Und ist Verweyens ethisch begründeter Eschatologieverzicht
248 Hier ist zu fragen, ob Verweyens offen bekundetes plotinisches Denken nicht doch – auch aus theologischer Sicht – zu weit in das Einheitsdenken hineinreicht, wenn es etwa menschliche Subsistenz auf das Bildsein beschränkt und erst dessen Verwirklichung als Übertritt vom bloßen Schein in das Sein beschreibt. Weiterhin gefährdet die Perspektive einer vollkommenen Transparenz des heiligen Menschen für Gott (also des völligen Aufgehens in die Gottesabbildung) tendenziell seinen – von Verweyen ja eindeutig affirmierten – auch in statu gloriae gewahrten Eigenstand und seine Individualität. Die zweifelsohne von der ›christlichen Erfahrung‹ geforderte Selbsttranszendenz und Selbstlosigkeit kann bei aller Radikalität nicht zur ›Entselbstung‹ und zum völligen Aufgehen in der Abbildung der Gottheit getrieben werden, vgl. etwa v. Balthasar, Gotteserfahrung biblisch und patristisch, v. a. 508 f. Diese Problematik bei Verweyen behandelt etwa auch Kl. Obenauer (vgl. Rückgang auf die Evidenz, 341 f.). 249 Diese Frage stellt v. a. Th. P. Fößel (Gott, Begriff und Geheimnis, 162) mit Verweis auf G. M. Hoff (Die prekäre Identität, 515). Bei Verweyen scheint in der Tat, wie Fößel beobachtet, die »Hamartie I« (gnoseologischer Irrtum) gegenüber der »Hamartie II« (theologische Sünde) zu dominieren, was freilich auch schwerwiegende gnadentheologische Folgen zeitigen würde. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Pröpper – ganz im Gegensatz zu diesem Befund – eine strukturelle Analogie (»frappierende Strukturgleichheit«) zwischen den Ansätzen Verweyens und Schleiermachers hervorheben zu können glaubt, die darin bestehe, Jesus ganz von der Sündlosigkeit denken zu müssen (vgl. EFV 192 f.). Der Schwerpunkt der philosophischen Christologie Verweyens dürfte demgegenüber aber im Gedanken des ›radikalsten Ikonoklasmus‹ zu sehen sein, der die Sündlosigkeit des ›ausgelieferten Gerechten‹ lediglich als eine Bedingung, keineswegs aber als zentralen Gehalt beinhaltet; vgl. 6.4.
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Skizze einer philosophisch-theologischen Würdigung
mit dem Glauben an die Parusie und die göttliche Vollendung des Kosmos zu vereinbaren? 250 Die vielen Fragen schmälern keineswegs die Bedeutung der verweyenschen Religionsphilosophie als Teil seines Projekts einer Grunderneuerung der Fundamentaltheologie, das Karl-Heinz Menke »zu den ganz großen Entwürfen der neueren Theologie« gezählt hat. 251 Dabei ist Verweyen sich stets der Wichtigkeit und Größe, aber auch der potentiellen Gefahren eines derart weit ausgreifenden ›Wurfs‹ bewusst, und möchte doch nicht von ihm ablassen: »Kann angesichts des berechtigten Pluralismus unserer Zeit das ›Ein-fürallemal‹ Jesu Christi dann überhaupt noch als das Wort eines Lebenden vertreten werden? Diese Frage weder fundamentalistisch zu immunisieren, noch relativistisch einzuebnen, sondern mit der Bereitschaft zu radikaler Selbstkritik durchzuhalten dürfte eine der wichtigsten wie schwierigsten Aufgaben heutiger Theologie sein. Bei dem Versuch, dieser Aufgabe nachzukommen, wird man sich sehr behutsam auf den Bereich vortasten müssen, wo ›letzte Worte‹ am meisten verletzen. Gibt es gerade hier nicht auch den uneingestandenen Wunsch nach einem ›Ein-für-allemal‹ ? Wenn wir deutlich hören oder auch nur leise spüren, daß einer ›Ja‹ zu uns sagt, dann regt sich unmittelbar Gegenwehr […]. Möchten wir aber nicht zugleich, daß wenigstens sein nacktes ›Ja‹ einfach wahr sei und bleibe und daß es in diesem Sinn schließlich doch ein letztes Wort gibt?« 252
250 Der Verdacht eines möglichen »Sittlichkeitsrigorismus« bei Verweyen ist vor allem von Kl. Müller formuliert worden, vgl. etwa Anerkennung und Ich-Apriori, 58 f. Verweyen nimmt hierzu Stellung in BET 109–111 und verweist darauf, dass die Rigorismusvorwürfe Müllers sich lediglich auf den streng transzendentallogisch konzipierten Begriff von Sittlichkeit im eigenen Werk bezögen, der doch eben transzendentalgenetisch ergänzt und somit ethisch konkretisiert werden müsse. Die Frage nach einem möglichen »gänzlichen Ausfall der Eschatologie« im verweyenschen Ansatz formuliert v. a. Pröpper in EFV 196.215–219. Verweyen reagiert hierauf in seiner Replik mit dem etwas vage bleibenden Verweis »auf jenes schmale Rinnsal der (zumeist mystischen) Theologie […], von dem die Eschatologie Hans Urs von Balthasars lebt« (Glaubensverantwortung heute, 303). K.-H. Ohlig verteidigt Verweyen allerdings gegen den Vorwurf des ›Eschatologieausfalls‹, sei christliche Eschatologie doch »erschöpfend« grundgelegt im Gedanken »der verzweifelten Hoffnung« (Gibt es den »garstig breiten Graben«?, 206). 251 Menke, Die Einzigkeit Jesu Christi, 119. 252 GLW 11.
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Dritter Teil: ›Triplex Analogia!‹ oder ›Gott in Begriffen und doch über sie hinaus‹ – Die dreifache Analogie als Basisprinzip pluraler christlicher Religionsphilosophie Nachdem nun die beiden aus der (mehr oder weniger!) zeitgenössischen religionsphilosophischen Landschaft herausparzellierten Paradigmen anhand ihrer maßgeblichen Philosophien zu Darstellung, kritischer Würdigung und anfänglicher Öffnung gekommen sind, 1 dürfte die in der Einleitung ausgemachte Eminenz der Frage nach einer gemeinsamen, verbindlichen Grundlegung christlicher Religionsphilosophie als solcher deutlich vor Augen stehen. Wie kann es noch möglich sein, die genuinen Beiträge beider Denkschulen in das Gesamt der philosophischen Glaubensverantwortung zu integrieren, wenn beide doch an ihrer Exklusivität festhalten und einander so indirekt ausschließen? Wie lassen sich weiterhin die spezifischen philosophischen wie theologischen Problemüberhänge beider Ansätze, die des jeweils anderen als eines Korrektivs bedürfen, bewältigen, wenn keine gemeinsame Basis auffindbar ist, auf der ein Dialog überhaupt erst möglich wäre? Diese rhetorischen Fragen münden zwangsläufig in der Aporie, sofern nicht die beiden durch die ›wenn‹-Sätze ausgedrückten Voraussetzungen negiert werden, also der Dialog und die wechselseitige Anerkennung und Komplementarität der Ansätze nicht mehr ausgeschlossen, sondern auf einem beide verbindenden Fundament ermöglicht werden. Ein solches basales und kompromissfähiges Fundament vorschlagsweise zu skizzieren soll nun die Aufgabe des beginnenden dritten Teils dieser Arbeit sein. Jener Vorschlag beruht, so ist schon mehrfach angeklungen, auf einer Neuinterpretation der Analogielehre als des ›klassischen Urgesteins‹ der Metaphysik, 2 und ist insofern mehr und anderes als eine bloße Repristination einer bestimmten Konzeption von Analogie – ob nun jener des hl. Thomas (wenn man denn überhaupt von einem einheitlichen Konzept des Aquinaten sprechen kann, s. u.) oder des genialen Vgl. die Kapitel 2, 3, 5 und 6; hinsichtlich der ›anfänglichen Öffnung‹ v. a. die jeweiligen Unterkapitel 7. 2 Vgl. Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage, 66; vgl. auch Kap. 1.3, Anm. 102. 1
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Neuzeitlers Przywara. Beide genannten Protagonisten der langen Geschichte der Analogie (derer es freilich unzählige weitere gibt!), sind mit ihren Ansätzen auf vielfältige Widerstände und Ablehnung gestoßen, so dass – ungeachtet der sachlichen Fehlerhaftigkeit vieler Kritiken – im Folgenden eine wirkliche Neubesinnung auf die grundlegende Intuition des Analogiegedankens versucht werden soll. Hierbei wird natürlich neben den beiden genannten auf zahlreiche weitere Gewährsleute einzugehen sein, stehen die entsprechenden Ausführungen der vorliegenden doch auf den Schultern vieler anderer, teils sehr verdienstvoller Überlegungen und Studien zur Analogie, deren hier verwendeter Kanon – obgleich längst nicht erschöpfend – doch immerhin einen guten Querschnitt der relevanten Literatur bieten dürfte. 3 Hierzu wird eine eindeutige (also paradoxerweise univoke!) 4 Definition des Begriffs der Analogie zu entwickeln sein (7.2), an deren Fehlen manche Stellungnahme zum Thema krankt. Damit diese Definition aber nicht im ›luftleeren‹ Raum verbleibt, sondern deutlich in ihrem Zusammenhang mit den dargestellten religionsphilosophischen Paradigmen und der durch ihre Frontstellung evozierten Frage erscheint (und somit auch die innere Einheit der vorliegenden Studie zum Vorschein tritt), soll ihr ein zuspitzender Rückblick auf die beiden ersten Teile voraufgehen (7.1). Hier ist zunächst auf die Analogie-Artikel der folgenden Autoren zu verweisen: Coreth, Holz, Kluxen, Lotz, Marshall, Menke, G. L. Müller, Pannenberg, Przywara, Söhngen und Track. An verwendeten Monographien zur Analogie (im Allgemeinen oder bei Thomas von Aquin bzw. bei Przywara) sind v. a. die Folgenden zu nennen: Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte; Chavannes, L’analogie entre Dieu et le monde; Copers, De analogieleer van Erich Przywara; Courtine, Inventio analogiae; Gertz, Glaubenswelt als Analogie; Grenet, Les origines de l’analogie philosophique dans les dialogues de Platon; Jüngel, Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit; Klubertanz, St. Thomas on Analogy; Lakebrink, Hegels dialektische Ontologie und die Thomistische Analektik; Lyttkens, The Analogy between God and the World; McInerny, The logic of analogy; Mechels, Analogie bei Erich Przywara und Karl Barth; Montagnes, La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin; Kl. Müller, Thomas von Aquins Theorie und Praxis der Analogie; Naab, Zur Begründung der analogia entis bei Erich Przywara; Pannenberg, Analogie und Offenbarung; Penido, Le rôle de l’analogie de l’être en théologie dogmatique; Przywara, Analogia Entis; ders., Religionsphilosophische Schriften; Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit; Secretan, L’analogie; Söhngen, Analogie und Metapher; Stammberger, On Analogy; Terán Dutari, Christentum und Metaphysik; Teuwsen, Familienähnlichkeit und Analogie. Nicht angeführt werden können hier die zahlreichen weiteren Artikel zu bestimmten Aspekten oder einzelnen Konzeptionen der Analogie. 4 Vgl. hierzu unten, v. a. Kap. 8.2.2. 3
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Dritter Teil: ›Triplex Analogia!‹
Auf Grundlage dieser doppelten Vorarbeit soll dann die Entfaltung der Analogie der Transzendentalien ens, verum und liberum vorgenommen und als mögliches Basisprinzip der christlichen Religionsphilosophie profiliert werden (Kap. 8). Hierbei wird die genuine, philosophische Herleitung und Formulierung des jeweiligen Teilaspekts der einen Analogie der konvertiblen Transzendentalien jeweils aus dem durch die ersten beiden Teile der vorliegenden Arbeit abgesteckten Problemhorizont her eingeleitet und anschließend im Sinne der in der Einleitung formulierten Bezugsrahmen theologisch annotiert werden. Unterbrochen wird dieses Schema durch den Exkurs zum vermeintlich unvereinbaren Widerstreit zwischen den erkenntnistheoretischen Positionen Thomas’ von Aquin und Johannes Duns Scotus’ und der Frage nach der prädikationslogischen Rolle der Analogie. Jenseits des dritten und abschließenden Teils der vorliegenden Arbeit soll dann noch ein kurzer ›Rückblick und Ausblick‹ erfolgen.
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7. Vorarbeiten »2H per½ t»@ ⁄lhqeffla@ qewrffla t–» mþn calepffi, t–» dþ « adffla. shme…on dþ t mffit3 ⁄xfflw@ mhdffna dÐnasqai tuce…n a't»@, mffite p€ntw@ ⁄potugc€nein, ⁄ll3 kaston lffgein ti per½ t»@ fÐsew@, ka½ kaq3 na mþn mhdþn mikrn ¥pib€llein a't–», ¥k p€ntwn dþ sunaqroizomffnwn gfflgnesqai ti mffgeqo@«. 1 (Aristoteles)
Bevor die eigentliche Darstellung der im Titel dieser Arbeit angekündigten dreifachen Analogie als Ausgangspunkt und bleibende Bestimmung aller christlichen Religionsphilosophie im Einzelnen vorgenommen werden kann, sind zunächst noch einige Präliminarien zu leisten. Erstens sollen die Ergebnisse der beiden vorhergehenden Teile nochmals angerissen und die betrachteten Paradigmen auf die Fragestellung hin zugespitzt werden (7.1). Zweitens wird dann zu klären und – angesichts der enormen Fülle stark differierender und kontroverser Analogiemodelle – eindeutig abzugrenzen sein, welcher Begriff von ›Analogie‹ hier eigentlich zugrunde gelegt werden soll (7.2).
Met. A ˛l.1, 993a30–993b4. In der überarbeiteten Übersetzung von Bonitz: »Die Betrachtung der Wahrheit ist in einer Hinsicht schwer, in einer anderen leicht. Dies zeigt sich darin, daß niemand sie in gebührender Weise erreichen, aber auch nicht alle verfehlen können, sondern ein jeder etwas Richtiges über die Natur sagt, und wenn sie einzeln genommen nichts oder nur wenig zu derselben beitragen, so ergibt sich doch aus der Zusammenfassung aller eine gewisse Größe«.
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7.1 Zwei konträre Paradigmen: Zuspitzende Rekapitulation »Die Auslegung hat an der Diskursivität des menschlichen Geistes teil, der nur im Nacheinander des einen oder des anderen die Einheit der Sache zu denken vermag […]. Durch ihre Einseitigkeit verschafft sie einer Seite der Sache ein Übergewicht, so daß zum Ausgleich desselben anderes, weiteres gesagt werden muß. Wie die philosophische Dialektik in der Selbstaufhebung aller einseitigen Setzungen, auf dem Wege der Zuspitzung und Aufhebung von Widersprüchen, das Ganze der Wahrheit zur Darstellung bringt, so hat auch die hermeneutische Bemühung die Aufgabe, ein Ganzes von Sinn in der Allseitigkeit seiner Bezüge aufzuschließen«. 2 (Hans-Georg Gadamer)
Um den impliziten Zusammenhang der oben beschriebenen religionsphilosophischen Paradigmen mit der in diesem Teil zu entwickelnden Analogiekonzeption, die sich ja als ›Kompromissangebot‹ und (im weitesten Wortsinne) ›katholische‹ Mitte zwischen den beiden versteht, bereits im Vorhinein zu verdeutlichen und den Anschluss an das Vorherige zu gewährleisten (soll hier doch nichts ›anstelle‹ gesetzt werden, sondern das bereits Vorhandene und zu Bewahrende in Dialog gesetzt werden!), wird dieser dritte Teil mit einer Besinnung auf das bisher Dargestellte beginnen. Hier wird allerdings nicht nochmals eine ausführliche Zusammenfassung oder bloße Aufreihung der Ergebnisse beabsichtigt, sondern eine Art Zuspitzung und Konfrontation der beiden Modelle auf Basis des Erreichten angestrebt. Diese wird zwei Teile umfassen, zunächst die genuine Explizierung der ›Front‹-Stellung zwischen den vier Denkern, die sich dabei überraschenderweise als eine zweifache und verschränkte erweisen wird (1), sowie im Anschluss daran und als Übergang die Besinnung auf ihre spezifischen Sichtweisen der Analogie, in denen sich sowohl die jeweiligen Positionen nochmals eindrücklich widerspiegeln als auch bereits typische (vom Standpunkt dieser Arbeit aus defiziente) Interpretationsmuster der Analogie auftauchen, die im Folgenden von Bedeutung sein werden (2). (1) In diesem ersten Schritt der Zuspitzung der ›Front‹-Stellung zwischen den beiden Paradigmen sollen die vier oben in extenso anhand von Werkanalysen herausgearbeiteten (und bereits im Rahmen der
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jeweiligen kritischen, philosophisch-theologischen Würdigung problematisierten und geöffneten) Philosophien hier aus systematischen Gründen nochmals typisiert werden. Dabei muss gleich einschränkend (und entschuldigend) beigefügt werden, dass eine solche Typisierung – Siewerth verweist in ähnlichem Zusammenhang auf die etymologische Verwurzelung im ›Herausschlagen‹ (tÐptein) 3 – stets einen gewissen Gewaltakt darstellt und auf Kosten des genuinen Eigenstands und individuellen Charakters des einzelnen Denkens geht. Dennoch ist dieses Verfahren hier geboten (der Individualität aber hoffentlich durch den werkanalytischen Ansatz der ersten beiden Teile genüge geleistet), da sich der Denkfortschritt – so lautet wohl nicht bloß das Grundaxiom der platonischen Dialektik, sondern auch das Ergebnis einer nüchternen Besinnung auf die faktische Geschichte des Denkens – meist der Polarisierung und polemischen Zuspitzung verdankt. Insofern ist hier um der Systematik und Gesamtanlage der vorliegenden Arbeit als ganzer willen eine solche Zuspitzung angebracht, bei der es im Gegensatz zum Obigen weniger (was nicht ›überhaupt nicht‹ heißt!) um objektive und differenzierte Darstellung geht, als um die Herausarbeitung der Zielpunkte grundlegender und teils impliziter Tendenzen der behandelten Philosophien, ungeachtet der Frage, ob diese tatsächlich immer und exakt erreicht oder auch nur bewusst intendiert werden. Hierbei wird sich eine doppelte, verschränkte Frontstellung ergeben, da die Autoren nicht nur den Denkern des jeweils anderen Paradigmas gegenüberstehen, sondern sich im Ergebnis ihrer Philosophien auch zum Teil überkreuz annähern. Trotz aller Differenzen im Großen wie im Detail haben alle Philosophien jedoch auch etwas gemein, nämlich das Streben nach einer letzten Evidenz, nach Gewissheit oder – etwas polemisch formuliert – eine Neigung zum ›Ein-für-alle-Mal-fertigwerden‹ mit ihrem Gegenstand, also eine Art ›Bewältigungsethos‹. Unter den soeben gemachten Einschränkungen kann das im ersten Teil beschriebene religionsphilosophische Modell der neueren französischen Phänomenologie bei Henry und Levinas in seiner Grundtendenz als eine Spielart des Fideismus betrachtet werden, und dies im doppelten Sinne eines philosophischen und theologischen Immunisierungskonzepts. Die beiden Ansätzen eignende Konzeption einer unmittelbaren, onto-logischen (gen. subi.) Spra-
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Vgl. Siewerth, Wort und Bild, 19.
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che alles Wirklichen zum Subjekt, die sich intuitiv ›an‹ ihm ereignet und durch keinerlei intentionale Vor-Stellung bzw. Stellungnahme ›durch‹ es mehr eingeholt oder gar nachvollzogen werden kann noch darf, stellt einen schon philosophischen ›Glauben‹ dar, der sich gegen jeglichen rationalen Zugriff versperrt. So zeigen die Ansätze in ihrer ontologischen Grundpositionierung eine starke Betonung der als eindeutig und unmittelbar verstandenen Eigensignifikation der Wirklichkeit. Konsequenterweise erweisen sie sich dann weiterhin als reduktionistisch – und somit philosophisch unzureichend – in ihren erkenntnistheoretischen Implikationen (bis hin zur Aufgabe des menschlichen Erkenntnisstrebens) und ihrer freiheitstheoretischen Position (bis hin zur levinasschen Forderung der Selbstaufgabe resp. der henryschen Leugnung menschlicher Freiheit). Tendenziell hebt sich das Denken hier in eine unmittelbare Gewissheit hinein auf, aus Philosophie wird ›Glauben‹. Wo im Rahmen dieses Denkens der christlich-religiöse Glaube in den Rang der postulierten, übersättigt-aufgeladenen Intuition bzw. Impression erhoben wird, wie es bei Henry selbst und hinsichtlich Levinas’ teils bei seinen christlichen Interpreten geschieht, verliert er in actu exercito seine Vernunftrechenschaft, bleibt ihm gegenüber keine Distanz, keine Stellungnahme und damit letztlich auch keine Freiheit mehr möglich. Es dürfte angesichts der polemischen Etikettierung der phänomenologischen Ansätze als ›fideistisch‹ nicht mehr überraschen, dass die Ansätze zu transzendentaler Letztbegründung demgegenüber in ihrer Tendenz nur mit dem Prädikat ›Rationalismus‹ belegt werden können. Es handelt sich hierbei um Philosophien, die ebenfalls nach letzten Einsichten streben, die aber eben nicht mehr intuitiv-passive Erkenntnisse ›am‹ Subjekt sind, sondern aktiv ›durch‹ es konstruiert werden. Zentrales Kriterium dieser Konstruktion sind dabei die eigene Vernunft und der Verstand, der ihre Wesensgesetze reduktiv erkennt und deduktiv auf die Wirklichkeit bezieht. Gegenüber einem radikalen Transzendentalidealismus wird dabei allerdings stark die Bescheidenheit solchen Denkens hervorgehoben, die eben in der Betrachtung der eigenen Voraussetzungen (Existenz und Konsistenz menschlicher Vernunft resp. Freiheit sowie deren Kongruenz mit der Wirklichkeit) als kontingent und postulatorisch besteht. Auf Basis dieser Postulate, die allerdings gleichzeitig als mehr oder weniger selbstevident bzw. retorsiv aufweisbar betrachtet werden, können dann einerseits der Möglichkeitsrahmen der subjektexternen WirkA
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lichkeit apriorisch ›abgesteckt‹ und andererseits gar notwendige Schlussfolgerungen hinsichtlich der Existenz einzelner dieser Möglichkeiten gezogen werden. Alle diese deduzierten Möglichkeiten müssen dabei das Kriterium erfüllen, von der Vernunft eindeutig-begrifflich fassbar zu sein, da nur die völlige Vernunftkommensurabilität des Wirklichen Vernunft und Freiheit als konsistent zu gewährleisten und die Wirklichkeit selbst vor Absurdität und Tragik zu bewahren vermag. Das Zentrum der Ansätze bilden so die transzendental ausgerichteten erkenntnistheoretischen (Verweyen) resp. freiheitstheoretischen (Pröpper) Positionen, deren kriterielle Vorherrschaft gemäß dem beschriebenen viergliedrigen ›Strukturgesetz‹ der Letztbegründung ihre ontologische Position ausmacht, die freilich philosophisch hinterfragbar und auch faktisch hinterfragt bleibt. Tendenziell droht der Glaube sich hier in die Vernunftrechenschaft bzw. Philosophie zu verlieren, da er einen – wenn auch nur transzendental-›bescheidenen‹ (s. o.) – notwendigen Beweisbarkeitscharakter erhält, und sowohl das in ihm implizierte Entscheidungsmoment als auch seine personale Geheimnisdimension zur bloßen Akzeptierung der eigenen Vernunftkonsistenz wird, resp. der Unglaube entweder zum Denkfehler, Selbstwiderspruch oder zumindest zum Entscheid wider die Vernunftbestimmtheit der Welt. Quer zu dieser Frontstellung liegt allerdings – und dieser Sachverhalt zeugt schon von den Grenzen der obigen paradigmatischen Typisierung – eine weitere, kreuzweise verschränkte Gegenüberstellung zwischen den vier Denkern, die diesmal Henry und Verweyen sowie Levinas und Pröpper einander beigesellt. Diese Konfrontation betrifft in gewisser Hinsicht ebenfalls die ontologische Positionierung, allerdings nicht mehr die implizite, Ausgang und Methode bestimmende, sondern vielmehr die explizite ontologische Position am Ende und als Ergebnis des philosophischen Unternehmens. Im Hinblick auf das Folgende könnte diese Sicht auch als Zuordnung von Einheit und Differenz in der Wirklichkeit betrachtet werden. In dieser Fragestellung sind sich Henry und Verweyen auf der einen und Levinas und Pröpper auf der anderen Seite untereinander viel näher als den jeweiligen ›Mitstreitern‹ innerhalb des eigenen Paradigmas: Die beiden Ersteren tendieren im Ergebnis ihrer Philosophie eher zur Betonung der Einheit (Henry in seinem unverhohlenen Monismus, Verweyen aber im differenzierten, bildontologischen ›Uniformismus‹), während Levinas (hier genügen die Stichworte der Asymmetrie und Diachronie) und Pröpper (in Ge384
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stalt der vielen ›selbstursprünglichen‹ Freiheiten) eher die Differenz bevorzugen. 4 Ungeachtet dieser gewissen, kreuzweisen Überschneidung im Ergebnis und der allen gemeinsamen Inanspruchnahme letzter Evidenz für das eigene Denken ergibt sich jedoch alles in allem das Bild einer – sowohl theologisch als auch philosophisch – aporetischen Konfrontation zweier aufgrund ihrer Apodiktizität und ihres über weite Strecken starren ›entweder oder‹-Denkens unvereinbarer Paradigmen: entweder Onto-Logie oder Onto-Logie, entweder rein passiver oder rein aktiver Erkenntniszugriff, entweder Fremdbestimmung der Freiheit in fieri et in facto esse oder völlige Unbedingtheit und Selbstursprünglichkeit. Auch vermögen die behandelten Philosophien – so konnte zuletzt gezeigt werden – nur ein Ungleichgewicht von Einheit und Differenz zu denken, dass ebenfalls Züge eines ausschließlichen ›entweder-oder‹ trägt. (2) Um den Übergang von der Betrachtung der beiden religionsphilosophischen Paradigmen zur Entfaltung der dreifachen Analogiekonzeption zu vervollständigen, ist hier noch kurz auf die Ausführungen bzw. Ansichten der behandelten Autoren zur Analogie einzugehen. Hierbei ist freilich zu beachten (und dürfte aus den Untersuchungen der ersten beiden Teile auch ersichtlich sein), dass die Analogie in keiner der genannten Philosophien eine zentrale Stellung einnimmt, ja bei Henry überhaupt nicht in expliziter Form betrachtet wird. Dennoch erscheint eine kurze Besinnung auf diese ›Marginalien‹ zur Analogie fruchtbar zu sein, weil sich in ihnen nicht allein nochmals konzentrierte Verdichtungen der Paradigmen zeigen, sondern auch bereits klassische Stereotypen und Vorurteile hinsichtlich der Analogielehre, die noch zu behandeln sein werden. Michel Henrys Philosophie kennt – wie bereits angemerkt – jedenfalls in seinen Hauptwerken keine Analogie, weder auf logischer noch auf ontologischer Ebene. Diese Nichtbeachtung dürfte jedoch nicht zufällig oder versehentlich sein, sondern liegt durchaus stringent in der logischen Konsequenz seines Denkens: Beruht ›Analogie‹ doch, wie immer man sie näher fasst oder versteht – und bezeichnenderweise verbindet diese Einsicht alle ihre unterschiedlichen, affirmierenden wie verwerfenden Lesarten –, schon dem Begriffe nach Kl. Obenauer spricht hinsichtlich Pröppers Ansatz gar von »Freiheitsdenken als ein[em] überakzentuierte[n] Differenzdenken« (Rückgang auf die Evidenz, 322).
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auf einem ›Logos‹. Wie oben dargestellt, versteht Henry nun aber jede Vorstellung eines ›Logos‹ bzw. jegliches vernünftige oder vernunfthafte Ordnungsschema als intentionalen, im Sehensparadigma verfangenen und somit die absolute, ursprünglich-impressionale Einheit zerstörenden Wirklichkeitsausgriff und lehnt ihn daher als Inbegriff des als irreal verworfenen griechischen Denkens bzw. des ›Welterscheinens‹ kategorisch ab. Von diesem Verdikt dürfte die Analogie als vergleichend vor- und gegenüberstellende Konzeption gar a fortiori betroffen sein, wie etwa R. Kühns konsequente Invektive gegen die »kategorial sich verkennende Grenzüberschreitung der analogia entis« erfreulich deutlich manifestiert: »Jede Metapher wie Analogie oder sonstige sprachliche Performanz impliziert nämlich einen Vergleichsraum bzw. einen Horizont oder Kontext«, während alles ›Wissen‹ nur im Rahmen der unmittelbar-intuitiven, »absoluttranszendentale[n] Erfahrung« des absoluten Lebens möglich sei, dessen Würde die Analogie vernichte. 5 Die Analogie wird hier also im Kontext der philosophischen Gotteslehre behandelt und erscheint dabei – eine, abgesehen von der sehr eigenwilligen Einkleidung, gängige Sichtweise – als Subreption, als Verobjektivierung und Verbegrifflichung Gottes. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Henry die Analogie wegen ihrer vermeintlich zu starken Differenzbetonung ablehnen muss. Der Subreptionsvorwurf macht auch den Kern der levinasschen Kritik an der analogia entis aus, die freilich weniger radikal ausfällt. Levinas äußert sich bloß sporadisch und dabei auch sehr undeutlich, zunächst aber durchaus positiv zur Analogielehre, die er v. a. als begrifflich-konzeptuelle versteht. So führt er sie etwas kryptisch im Rückschritt von der cartesianischen, äquivoken (!) Gottesseinsprädikation über die »Theologie der analogischen Attribute im Mittelalter« und »die bloß analogische Einheit des Seins bei Aristoteles« letztlich auf Platons Lehre vom ›Guten jenseits des Seins‹ zurück. 6 Eigentlich hätte bereits diese Lehre von der bloß schwachen Einheit seiner Meinung nach wirkungsgeschichtlich zu einer pluralen, nichttotalitären Philosophie führen müssen, allerdings habe dann wohl Kühn, Geburt in Gott, 87. Vgl. TI 53/Lp 79: »Il [Descartes; M. L.] affirme en effet le sens équivoque dans lequel le terme d’être s’applique à Dieu et à la créature. A travers la théologie des attributs analogiques au Moyen Age, cette thèse remonte à la conception de l’unité seulement analogique de l’être chez Aristote. Elle est chez Platon, dans la transcendance du Bien par rapport à l’être«.
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doch die ontologische »Umarmung« (embrassement) des Seins obsiegt und damit das Moment der totalisierenden Vereinheitlichung. 7 So ist ja auch ab Totalité et Infini, woher diese Überlegungen stammen, für Levinas alle Ontologie (denn zu ihr zählt er den Gedanken der schwachen analogischen Einheit, wenngleich auch als vielleicht akzeptabelste 8 Form) neutralisierende Versächlichung bzw. Verlust der Exteriorität. 9 Später wird er die Analogie in der Gottesprädikation 10 wie überhaupt jede onto-theologische Annäherung an die Gottesvorstellung ablehnen, 11 und sein Analogieverbot – konsequent angesichts der zunehmenden Asymmetrie des Anderen – auch auf diesen ausdehnen. 12 Die Analogie erscheint hier als eine sehr schwache Form der Einheit im Begriff, die beinahe äquivok gedacht ist, und doch noch eine zu starke Gemeinsamkeit zwischen exponiertem Subjekt und Anderem bzw. Gott ausdrücke und so eine erste Form des Totalitarismus darstelle. Ganz im Gegensatz zur henryschen Kritik beurteilt Levinas sie also als zu einheitsbetont. Auch für Thomas Pröpper steht die Analogie eher am Rande seines Denkens, wobei seine entsprechenden Überlegungen später dann ja v. a. von Striet weiterentwickelt werden (s. o.). Weiterhin ist auch bei ihm nur schwerlich eine klare Definition dessen zu finden, was er eigentlich mit Analogie meint, und ob er sie (beides ist bei ihm zu finden!) eher im ontologischen oder begrifflichen Sinne versteht. In seiner frühen Philosophie – und dieser erkenntnistheoretische Realismus zeichnet eigentlich auch die Denkformanalyse des späten Denkens aus – schien noch einige Skepsis gegenüber univoker Begriffsbildung und denkerischer Kommensurierung der Wirklichkeit Vgl. ebd. So wendet er sich ja explizit gegen den »univoken Logos« mancher Theologen, vgl. Kap. 3, Anm. 184. 9 Vgl. TI 278/Lp 336: »La thématisation n’épuise pas le sens du rapport avec l’extériorité. La thématisation ou l’objectivation ne se décrit pas seulement comme une contemplation impassible, mais comme relation avec le solide, avec la chose, terme de l’analogie de l’être depuis Aristote […]. Si l’extériorité ne consiste pas à se présenter comme thème, mais à se laisser désirer, l’existence de l’être séparé qui désire l’extériorité, ne consiste plus à se soucier d’être. Exister a un sens dans une autre dimension que la perduration de la totalité«. 10 Vgl. etwa DI 95. 11 Vgl. etwa AQE X/Lp 10. 12 Vgl. hierzu etwa Secretan, L’analogie, 72–76. Levinas wendet sich ihm zufolge dezidiert gegen die analogisierende Konzeption des alter ego bei Husserl und im Personalismus. 7 8
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vorzuliegen, was sich durchaus mit einem Analogiekonzept vereinen ließe. 13 Allerdings wird dann schon ab EF die Analogie – eingeschränkt auf die praedicatio in divinis – als Schlussprinzip der ›Sachontologie‹ verstanden und daher als theologisch wie philosophisch unangemessene und mit menschlicher Subjektivität und Freiheit unvereinbare Konzeption abgetan. 14 Etwas weiter explizieren wird er diese Gedanken – angelehnt an Krings – in EFV, wo er die Analogie in Verbindung mit dem v. a. an Thomas kritisierten »ontologisch konzipierten Partizipationsgedanken« sieht, 15 mit dessen Wegbruch auch ihr die Grundlage entzogen sei. 16 Er erläutert dies in einigen, in ihrem inneren Zusammenhang nicht ganz einsichtigen »großflächigen Bemerkungen« weiter: Der durch den Partizipationsgedanken vollzogene Rückschluss von der Wirkung (dem Geschöpf) auf das »Wesen [!] der Ursache« (also Gottes) impliziere eine naturnotwendige Verursachung, die aber mit dem Schöpfungsglauben unvereinbar sei. Auch die pseudo-dionysische Bemühung, diesen Gedanken durch die via negativa zumindest mit der Gottesunbegreiflichkeit zu vereinbaren, wobei diese als letzte Konsequenz den Primat über die tres viae erlange, könne nicht als ausreichend erachtet werden, da die reine Negation – wie er mit Duns Scotus erklärt – der Liebe nicht genügen könne. Aus diesen Gedanken folgt für Pröpper, dass mit Pannenberg am scotischen Gedanken der ausgeschlossenen prädikationslogischen Mittelstellung der Analogie sowie der »Unentbehrlichkeit univoker Allgemeinbegriffe« festzuhalten sei. 17 Analogie scheint hier also als absurder Versuch einer ›Quadratur des Kreises‹ verstanden zu werden, der völlig divergente Traditionsstücke wie die monistisch verstandene Partizipation am göttlichen Sein und die als deren Voraussetzung betrachtete neuplatonische Lehre von der Effusionsnotwendigkeit, die christliche, freie creatio ex nihilo und die göttliche incomprehensibilitas zu vereinen suche. Neben dieser ontologischen Dimension scheint Pröpper die prädikationslogische Rede von der Analogie als Mitte zwischen Äquivozität und Univozität als logisch falsch zu erachten. Pröpper (und mit ihm Striet) kritisiert jedenfalls durch seinen impliziten Monismusvor13 14 15 16 17
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Vgl. oben, Kap. 5.3. Vgl. hierzu implizit EF 107. EFV 248. Vgl. ebd., 91. Alle Zitate aus ebd., 317.
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Zwei konträre Paradimen
wurf an Thomas die Einheitsdimension der Analogie und versteht sie damit – in klassischer Terminologie – im Sinne einer extrinsischen Attribution, die der Kreatur als Sekundäranalogat keine eigene Subsistenz einräumt. Hansjürgen Verweyen behandelt die Seiendenanalogie explizit eigentlich nur in seiner frühen, ontologischen Phase, während die Lehre in den späteren Schriften (auch in GLW als fundamentaltheologischem ›Grundriss‹) keine oder nur spärliche Erwähnung findet. 18 In seiner an Siewerth angelehnten Dissertation kann die Analogie freilich nicht fehlen, ist sie diesem doch geradezu gleichbedeutend mit der ›exemplarischen Identität‹ 19 bzw. der Partizipation. 20 Verweyen misst ihr hier zwar einen (intramundan) erkenntnisbestimmenden Charakter zu, 21 stellt sie allerdings nicht in das Zentrum seiner Konzeption des im Staunen aufleuchtenden Absoluten. Dieser begegnenden absoluten Freiheit könne allenfalls kraft der analogia fidei, d. h. dank offenbarter Instruktion, Seinscharakter und somit Analogizität gegenüber dem endlichen Sein zugesprochen werden, 22 womit freilich Siewerths Position verlassen ist. Außerhalb der Seinsprädikation verwendet Verweyen aber bereits hier gerne das Konzept eines ›analogen Begriffs‹ (etwa hinsichtlich der ›Personalität‹), 23 das auch später häufig in seinen Werken erscheinen wird. 24 Ungeachtet der Vorliebe für diese Kategorie erscheint ihm die Analogie als Erkenntnisweise (der ›Analogieschluss‹) jedoch als defizitäres Verfahren gegenüber der eigenen letztbegründenden und bis zu unhintergehbaren (ergo eindeutig univoken!) Begriffen führenden Transzendentaldeduktion. Die Analogie des Seienden lehnt er in den späteren Werken – wie Pröpper – als sachontologisch-statische Verstellung menschlicher Subjektivität und Personalität durch Thomas
Vgl. etwa FHE 360. Vgl. hierzu etwa OV 66. 20 Vgl. ebd., 180. 21 Vgl. ebd., 51: »Daß unsere Vernunft dennoch an dem obigen Axiom festhält, liegt einzig darin begründet, daß es ihr, die vom Sein ins Licht gesetzt ist, nicht gelingt, etwas ganz und gar aus dem Kontext des die analoge Vielfalt des Seienden zusammenhaltenden Seins herauszulösen«. 22 Vgl. ebd., 208. 23 Vgl. ebd., 202. 24 Vgl. etwa die Rede von analoger ›Communio‹ (vgl. 1 GLW 71), ›Katholizität‹ (vgl. GLW 414), ›Traditio‹ (vgl. GLW 26 sowie oben Kap. 6.1) und analogem ›Sterben‹ (vgl. 1 GLW 278). 18 19
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von Aquin ab. 25 Hier zeichnet sich also – wie bei Pröpper – ein rudimentäres Bild der analogia entis als sachontologische Wirklichkeitsverzerrung und gnoseologisch inkonsistentes Theorem ab.
7.2 Der Begriff der ›Analogie‹ : Eine abgrenzende Positionierung »3Epeid¼ tofflnun me…@ ƒporffikamen, ¢me…@ a'tÞ m…n ¥mfanfflzete kan @, tffl pote boÐlesqe shmafflnein ¡ptan ¤n [ˇ ⁄nalogffla; M. L.] fqffgghsqe. D»lon gÞr £@ ¢me…@ mþn ta‰ta p€lai gignðskete, me…@ dþ pr to‰ mþn †“meqa, n‰n d3 ƒporffikamen«. 26 (Platon)
Die Überlegungen zum Begriff der ›Analogie‹ werden in fünf Teile aufgegliedert: Zunächst eine Einführung in die Problematik (1), daran anschließend eine kurze Zwischenbemerkung zu der Positionierung der vorliegenden Arbeit hinsichtlich der Analogielehre des Thomas von Aquin (2), in Weiterführung dessen eine Abgrenzung von drei exemplarisch typisierten Analogiemodellen (3) sowie abschließend den konzeptuellen Hintergrund (4) und die Herleitung und Formulierung des hier zu verwendenden eigenen Analogiebegriffs (5). (1) Das für die Geschichte der Ontologie spätestens durch Heideggers Aufgreifen im Vorsatz zu Sein und Zeit 27 bedeutsam gewordene, vorangestellte und dabei leicht entstellte Platonzitat soll zunächst weniger auf die ontologische Bedeutung der Analogie verweisen (um die es in diesem terminologietheoretischen Abschnitt noch gar nicht gehen soll), sondern auf die begriffliche Unklarheit des Terminus, die durchaus mit jener des ›Seienden‹-Begriffs vergleichbar ist. So bemerkt etwa Kl. Müller angesichts der Fülle neuerer Studien zur Analogie: »Was dabei herauskommt, ist oft sehr eindrucksvoll, läßt aber die Frage ›Was ist Analogie?‹ so sehr offen, daß sie sich am Ende solcher Unternehmungen erneut so aufdrängt, als sei sie vorher nicht gestellt worden«. 28 Von Analogie ist zwar allenthalben – nicht Vgl. hierzu FHE 360 sowie etwa (der Sache, nicht dem Begriff nach) GLW 81 f. Platon, Sophistes, 244a. In der Übersetzung Schleiermachers: »Da wir nun keinen Rat wissen, so macht doch ihr selbst uns recht anschaulich, was ihr doch andeuten wollt, wenn ihr Seiendes [oder Analogie; M. L.] sagt. Denn offenbar wißt ihr doch dies schon lange, wir aber glaubten es vorher zwar zu wissen, jetzt aber stehen wir ratlos«. 27 Vgl. Heidegger, Sein und Zeit, 1. 28 Kl. Müller, Thomas von Aquins Theorie und Praxis der Analogie, 15. 25 26
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allein seit alters her in den Wissenschaften, sondern seit der Neuzeit auch in der Alltagssprache 29 – die Rede, jedoch liegen dabei sowohl ex- als auch implizit stark divergierende Verständnisse zugrunde. Selbst im Bereich philosophischer wie theologischer Wissenschaft besteht kein einheitlicher Sprachgebrauch, wiewohl er dennoch in vielen Studien als existent vorausgesetzt zu werden scheint. Der Analogiebegriff hat – wie die auf ihm basierende Analogielehre – einen langen, sehr wechselhaften und von zahlreichen Gabelungen, Umwegen und Kehren, aber auch ›Stolpersteinen‹ gepflasterten Weg hinter sich: In chronologischer Reihe führt dieser – in jedem besseren Lexikonartikel nachzuverfolgende – Weg etwa von den (teils fortdauernden) Ursprüngen in der pythagoräischen Mathematik, über die (der Sache nach vielleicht schon bei Parmenides und Heraklit, 30 dem Begriff nach aber erst bei Platon einsetzende) philosophische Verwendung der Analogie in Naturphilosophie resp. Kosmologie, Metaphysik und Logik, vielfältige (kontrovers-) theologische Adaptationen sowie natur- und geisteswissenschaftliche Derivationen bis hin zu semantischen oder semiotischen Lesarten in Sprachphilosophie und Linguistik. Dessen ungeachtet, ob man diese Geschichte nun als konsistentes »Bild von heterogener Kontinuität« 31 (Kluxen) und »Gemeingut der denkenden Menschheit, d. h. der ganzen Menschheit« 32 (Grenet) begreift oder doch eher als Abfallsgeschichte perennierter ›Fehlinterpretationen‹ 33 (Aubenque) und als »spinöse[s] und für den Gesamtgang des Philosophierens längst verloren gegangene[s] Lehrstück«34 (Wagner), eine gewisse Unüberschaubarkeit der Lehre und ein sie begleitendes »Chaos der Terminologie« 35 (Borgmann) ist jedenfalls nicht zu bestreiten. Historische 29 Vgl. Kluxen, Art. Analogie, 219: »In die (gebildete) Alltagssprache ist er [sc. der Analogiebegriff; M. L.] allerdings erst in jüngster Zeit gelangt«. Vgl. hierzu auch Holz, Art. Analogie, 52. 30 Vgl. etwa die kurze, aber überaus dichte diesbezügliche Studie Jüngels (Zum Ursprung der Analogie bei Parmenides und Heraklit), aber auch ähnliche Überlegungen Przywaras, vgl. z. B. AE 110 f. 31 Kluxen, Art. Analogie, 215. 32 Grenet, Les origines de l’analogie philosophique dans les dialogues de Platon, 9: »bien commun à l’humanité pensante, c’est-à-dire à toute l’humanité«. 33 Vgl. P. Aubenques Überlegungen zum vermeintlichen »contresens« analogia entis in seinem Aufsatz Les origines de l’analogie de l’être; vgl. auch ders., Le probléme de l’être chez Aristote, 199–206.400 f. 34 H. Wagner, Existenz, Analogie und Dialektik, 195. 35 Das Zitat stammt aus einem Vortrag P. Borgmanns vor der Vereinigung deutscher
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Studien zur philosophischen Verwendung der Analogie verzichten daher oftmals auf eine eindeutige Definition, was sich wohl durch das besagte Fehlen eines einheitlichen Analogieverständnisses der Geistesgeschichte rechtfertigen lässt, jedoch gleichzeitig die eigene Positionierung des jeweiligen Forschers wie auch die über eine bloße Namensgleichheit (paradoxerweise also Homonymie!) hinausreichende Einheitlichkeit seines Forschungsgegenstands im Unklaren belässt. 36 Dieses Problem besteht auch hinsichtlich vieler Lexikonartikel, die sich oft mit rudimentären und im letzten nichtssagenden Übersetzungen (etwa als ›Entsprechung‹, ›Verhältnis‹, ›Verhältnisähnlichkeit‹, ›Verhältnisgleichheit‹ etc.) begnügen und ihnen lediglich eine bilderbuchartige Zusammenschau einzelner Analogieverständnisse folgen lassen. Jene Hypothek eines zu weichen Ausgangsbegriffs, der die Analogie zur »Banalität einer bloßen Ähnlichkeit oder Argumentation geringen Werts« 37 reduziert, soll hier (im vorliegenden systematischen Kontext ist dies freilich noch wichtiger als im historischen!) vermieden werden durch eine möglichst eindeutige Formulierung bzw. ›Veranschaulichung‹ (vgl. ¥mfanfflzein) dessen, was in der vorliegenden Arbeit unter ›Analogie‹ zu verstehen ist. Diese Definition ist dabei keineswegs als hypertropher Anspruch auf Lösung aller Streitigkeiten der wechselhaften Geschichte des Konzepts noch als Aufdeckung ihrer vermeintlichen vergessen-verborgenen Quintessenz zu verstehen (so als würden die behandelten Denker hier besser verstanden, als es ihnen selbst möglich war), sondern als kritische Fortgestaltung. Dabei wird wiederholt – auch in den folgenden Kapiteln – dezidiert auf einzelne Ansätze oder Debatten zurückzukommen sein, allein würde eine erschöpfende Darstellung den hiesigen (wie wohl überhaupt jeden realistischerweise vertretbaren) Rahmen sprengen. Hier ist die gründliche Kenntnisnahme der einschlägigen historischen Untersuchungen unFranziskaner-Lektoren zum Thema der Analogie im Jahr 1937 (zitiert nach Picard, Drittes Thema: Analogia entis, 271). 36 Hier ist etwa an die Arbeiten von A. Anzenbacher, J.-F. Courtine, H. Lyttkens, Ph. Secretan und v. a. L. B. Puntel gedacht, dessen Sichtweise der Analogie als ›convenientia von anima und ens im Seinsgeschehen‹ (vgl. Analogie und Geschichtlichkeit, 260) bzw. »Zusammenspiel der Transzendentalien« (ebd., 100.264.544.552 u. ö.; vgl. ebd., 450.557) bei recht vagen Andeutungen stehen bleibt und wohl Gegenstand des nicht ausgeführten zweiten Teils werden sollte (vgl. ebd., 534). 37 Secretan, L’analogie, 5: »la banalité de la simple ressemblance ou d’un raisonnement de peu de valeur«.
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ersetzlich und muss hinsichtlich der Terminologien wie der großen Leitlinien des Konzepts im Folgenden vorausgesetzt werden. Weiterhin ist eingangs noch festzuhalten, dass die Analogie im Folgenden in erster Linie als mögliches Charakteristikum der Wirklichkeit betrachtet wird, weshalb rein oder vornehmlich linguistische und sprachlogische Lesarten 38 nur randlich und nur in ihrer Funktion zur Wirklichkeitsbeschreibung berücksichtigt werden. (2) Es mag überraschen, dass der Schwerpunkt im Folgenden keineswegs auf der Analogielehre des doctor angelicus als vermeintlich wichtigster Gestalt der Geschichte des Konzepts liegen wird. Dies ist dadurch bedingt, dass es erstens – trotz der vielfältigen und teils diametral entgegenstehenden Syntheseversuche der Interpreten bis in die Gegenwart hinein 39 – keine einheitliche Analogielehre bei Thomas von Aquin gibt, sondern – entsprechend der wohl begründeten Unterteilung Montagnes – wenigstens drei, 40 und diese darüber hi38 R. M. W. Stammberger (On Analogy) liefert eine gute Übersicht über die verschiedenen logischen Lesarten der Analogie etwa bei J. M. Bochen´ski, D. B. Burrell und P. Weingartner; sprachlogische Aufschlüsselungen im Zusammenhang mit dem Konzept der Isomorphie bieten etwa Bochen´ski (On Analogy) und Th. Schärtl (vgl. ders., Theo-Grammatik, 416–455). Auch die Überlegungen zum Verhältnis von Analogie und wittgensteinscher Familienähnlichkeit (vgl. etwa Teuwsen, Familienähnlichkeit und Analogie; vgl. dazu auch Anm. 55) resp. Analogie und Metapher (vgl. etwa Söhngen, Analogie und Metapher) situieren die Analogielehre vornehmlich in der Semantik. 39 Hier ist natürlich in erster Linie an die großen Kontroversen zwischen cajetanschem, suárezischem und ferraristischem Thomismus gedacht, ferner auch an die wichtigen neuthomistischen Studien sowie an neuere linguistische Interpretationen. Kl. Müller unterstellt diesen vielfältigen Syntheseversuchen unterschiedlichster Provenienz mit ihrem teils unverhohlenen Anspruch, ›endlich‹ die wahre thomanische Intention darzulegen, zu Recht einen »wenigstens hintergründige[n] Hang zum Archäologismus, ein – um im Bild zu bleiben – Wühlen in den Werken des Thomas« (Thomas von Aquins Theorie und Praxis der Analogie, 30). Es bleibt allerdings fraglich, ob seine eigene Studie, die auf einer zumindest vornehmlich sprachlichen Analogiekonzeption bei Thomas beruht, ihrerseits diesem Verdikt entgeht. 40 Vgl. Montagnes, La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin, 71 u. ö. B. Montagnes trennt hier die bekannten Konzeptionen aus dem Sentenzenkommentar (v. a. Sent. lib. 1 d. 35 q. 1 a. 4 c.), aus De veritate (v. a. q. 2 a. 11) und aus den Summen bzw. aus De potentia (SCG lib. 1, c. 34; STh I q. 13 a. 5; De potentia, q. 7 a. 7). Die Passage aus dem Sentenzenkommentar (entscheidend für die spätere cajetanische Interpretation) unterscheidet drei Analogiearten, während der Text aus dem Wahrheitstraktat nur eine, und zwar die klassische mathematisch-viergliedrige Analogie kennt und die späten Werke den respectus ad unum in zweigliedriger Form (ad unum ipsorum bzw. unius ad alterum) bevorzugen. Die genannte Dreiteilung rezipieren etwa Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 119 f.; Kluxen, Art. Analogie, 221–223; Puntel,
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naus keineswegs im Zentrum seines Denkens stehen. 41 Thomas ist unleugbar ein (vielleicht der) große Promulgator und eine zentrale Schnittstelle der verschiedenen Strömungen des Konzepts, und insofern sicher wirkungsgeschichtlich von größter Bedeutung, gleichzeitig aber auch in seiner Unentschiedenheit und seinem Schwanken Opfer dieser nicht mehr synthetisierbaren Vielfalt von Traditionen. Das heterogene analogierelevante Textkonglomerat des ›Corpus thomisticum‹ mag hinsichtlich der sich später herausbildenden Terminologien und auch wesentlichen Interpretationsrichtungen wegbereitend gewesen sein, jedoch ist es aufgrund seiner – durch die Nichtbewältigung des per Tradition überkommenen Materials bedingten – inneren Widersprüchlichkeit faktisch zum bloßen Steinbruch verkommen, in dem sich jede Lesart der Analogie ebenso belegen wie widerlegen ließ und lässt. Zweitens beschränkt sich Thomas’ Analogiekonzeption im Spätwerk mehr und mehr auf das Gott-Welt-Verhältnis und wendet sich so kontinuierlich von der Beschäftigung mit einer möglichen horizontalen, innerkreatürlichen Analogie (und somit von der Doppelpoligkeit der aristotelischen Seiendenkonzeption) ab, was gewisse Vereinseitigungen und Einschränkungen hinsichtlich der verschiedenen Dimensionen der Analogie bedingt. Drittens bleibt unklar, inwieweit seine vereinfachende späte Analogiekonzeption einer exklusiven Fokussierung des zweigliedrigen respectus ad unum wegen ihrer zu drastischen Linearisierung der Analogie und deren – durch den Zusammenfall des Relationsfundaments mit dem Primäranalogat bedingten – reinen Zweigliedrigkeit 42 überhaupt noch Analogie genannt werden oder nicht besser Analogie und Geschichtlichkeit, 41 f. A. Anzenbacher relativiert die Dreiteilung allerdings ein wenig und glaubt, eine kontinuierliche Entwicklung der thomanischen Position ausmachen zu können, vgl. a. a. O., 120. Eine hervorragende Systematisierung der vielfältigen Aspekte und Dimensionen der thomanischen Analogielehre bietet Klubertanz, St. Thomas Aquinas on Analogy, 111–155; dort findet sich ebenfalls eine sehr umfangreiche – wenngleich freilich immer noch nicht erschöpfende – Zusammenstellung der wichtigsten Texte (ebd., 157–293). 41 B. Montagnes erklärt, dass weder die Analogielehre noch der Zusammenhang von Sein und Wesen (wie bei Del Prado) oder Akt und Potenz (wie bei Manser) als Inbegriff der thomanischen Seinslehre betrachtet werden könnten, »car nous ne pouvons embrasser la simplicité et la profondeur de l’être [selon Thomas d’Aquin; M. L.] qu’en multipliant les points de vue et les représentations (La doctrine de l’analogie de l’être d’après Saint Thomas d’Aquin, 13). 42 Hier ist H. Holz zuzustimmen, wenn er anmerkt, »daß ein Zweierverhältnis im
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gleich durch den Begriff der Partizipation als eigentliche Aussageintention und Basis ersetzt werden sollte. 43 Weiterhin rückt die Analogie in den Summen aufgrund ihrer steten Annäherung an die Proshen-Relation von Substanz und Akzidens zunehmend in die Nähe einer extrinsischen Attribution, die auf das Gott-Welt-Verhältnis angewandt bedenklich in Richtung des Monismus tendiert: Die Annäherung des Verhältnisses zwischen Gott und Kreatur an jenes von Substanz und Akzidens, also sozusagen die Vertikalisierung des aristotelischen (horizontalen!) Kategorienschemas, könnte in der Tat als eine Infragestellung des eigenen Seinsbestands der Kreatur im Sinne einer intrinsischen perfectio verstanden werden, so dass das Geschöpf zu einem Akzidens der einen Substanz Gott degenerierte, was freilich durch die Unaustauschbarkeit der einzelnen Elemente des viergliedrigen Analogieschemas vermieden wird. Eine monistische Deutung an diesem Leitfaden steht aber ohnehin – so wird im ›ontologischen‹ Kap. 8.1 zu zeigen sein – im Widerstreit zu Thomas’ ansonsten ausgewogener Ontologie. Mit einer extrinsischen Attribution würde dann gleichzeitig auch eine denominatio extrinseca einhergehen als rein äußere Benennung der Seienden nach dem Ersten Seienden, die Thomas durch die analoge Prädikation gerade zu verhindern sucht. 44 Die unter (5) zu entwickelnde Analogiekonzeption wird sich in ihrer Grundgestalt als eine dreigliedrige Analogie erweisen und damit eine Analogieform aufgreifen, die der späte Thomas – immer freilich hinsichtlich des Verhältnisses von Gott und Welt – explizit strengen Sinn nur uneigentlich Analogie genannt werden kann, insofern wenigstens ein weiteres Glied, in abgekürzter Denkweise, stillschweigend mitangesetzt wird (so ist ein Akzidens der Substanz analog, insofern sein Sein dem Sein der Substanz analog ist); es handelt sich also auch hier stets im Prinzip um ein Dreier- oder Viererverhältnis« (Holz, Art. Analogie, 59). 43 Diese Fundierung der ausschließlich als respectus unius ad alterum verstandenen Analogie des thomanischen Spätwerks im Partizipationsgedanken hat L.-B. Geiger hervorgehoben, vgl. Geiger, La participation dans la philosophie de S. Thomas d’Aquin, 317 f.: »C’est parce que l’analogie concerne formellement les concepts qu’il y a lieu de poser le problème des rapports entre cette espèce de concepts confus et la réalité, la confusion n’ayant jamais passé pour une qualité insigne de la pensée. On s’aperçoit alors que le concept confus, en tant qu’abstrait, ne peut être transposé tel quel dans la realité, pas plus que n’importe quel autre concept abstrait. Le fondement ontologique de l’analogie est la participation«. Und er fährt fort mit dem einschränkenden Schluss: »L’analogie est la logique, plus précisément, une partie de la logique de la participation«. W. Kluxen schließt sich dieser Meinung an, vgl. Art. Analogie, 223. 44 Vgl. Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 28–36. A
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abgelehnt hat. Weiterhin sprengt dieses Dreierschema die aus dem thomanischen Werk abgeleitete exklusive Gegenüberstellung von zweigliedriger Attributions- bzw. Proportionsanalogie und viergliedriger Proportionalitätsanalogie mitsamt den hieraus resultierenden thomistischen Frontstellungen 45 auf: Natürlich besteht ein direktes, einfaches Verhältnis zwischen Schöpfer und Geschöpf (Attribution), ohne dass damit die intrinsische Seinsperfektion des Geschöpfs geleugnet wäre, und natürlich stehen die Geschöpfe untereinander wie auch gegenüber dem Schöpfer in vielfältigen Relationen (Proportionalität), ohne dass damit die Wirklichkeit zur mathematischen Gleichung verkäme; beide Aspekte gehören also zur einen Analogie, ohne diese erschöpfen zu können. Unbedingt bewahrenswert bleibt aber der (auch lehramtlich rezipierte) 46 thomanische Grundsatz – ungeachtet der möglicherweise uneinheitlichen und womöglich nicht völlig überzeugenden Ausgestaltung bei ihm –, dass kreatürliche Begriffe nur analog über Gott ausgesagt werden können, und dass die Analogie dabei nicht im Raum der Logik verbleibt (also nur im Begriff als solchem liegt), sondern die Prädikation als Übergang zwischen Logik und Wirklichkeit betrifft, und somit ihr Fundament letztlich in der Analogizität der Realität selbst hat. (3) Hier sollen zunächst drei weitere Typen von Analogiebegriffen (diese dreifache Typologie ist keineswegs erschöpfend, erscheint hier aber besonders wichtig zu sein) beschrieben und begründet ausgeschieden werden. Das wesentliche Kriterium ist dabei stets der Gedanke eines nüchtern-bescheidenen, pluralitätsfähigen Denkens. Der erste Typ ist zugleich der älteste, nämlich die auf die pythagoräische Schule zurückgehende mathematische Analogie, die seit Boethius durch den lateinischen Terminus proportionalitas (gegenüber dem einfachen Verhältnis der proportio als ihrem Teil) ausgedrückt wird. Sie hat die Form einer Verhältnisgleichheit von vier Größen, auf die sich auch die dreigliedrige, sogenannte ›stetige‹ Analogie durch Wiederholung des Mittelglieds zurückführen lässt. Als solche Gleichung ermöglicht die viergliedrige Analogie den sog. ›Analogieschluss‹ auf das ›proportionale Vierte‹ als eines der beiden Vgl. hierzu etwa Lyttkens, The analogy between God and the World, 205–243. Vgl. DH 3604. Der Text bezieht sich allerdings zunächst nur auf die analoge Prädikation von ens.
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äußeren Elemente. Schwächere Formen sprechen von einer bloßen Verhältnisähnlichkeit; jedoch erscheint dies als Verunklarung, deren erkenntniserweiternder Charakter fraglich bleibt. Ob nun auf die innerkreatürlich-horizontale oder die ›zwischen-gott-geschöpfliche‹, 47 vertikale Analogie der Seienden angewandt, setzt diese Form immer eine apriorisch-illuminierte Überschau über mindestens drei der vier Relate sowie über beide Teilverhältnisse der Verhältnisgleichheit voraus. Es muss also – so formuliert Pannenberg völlig zutreffend – ein »identisch gemeinsamer Logos« abzugrenzen und zu definieren sein, der jene Gleichheit und ihre Folgerungen ›mathematisch‹ ermöglicht. 48 Diesen Sachverhalt übersieht die wenigstens teilweise unkritische Lesart der Proportionalitätsanalogie im cajetanisch beeinflussten Thomismus (Thomas selbst verwendet sie nur in De Veritate, verwirft sie dann aber wegen der genannten Überschau wieder). Dort wird sie benutzt, um sowohl die Ähnlichkeit der Geschöpfe untereinander als auch mit Gott unter affirmierender Voraussetzung der Realdistinktion der Seinskomponenten als Verhältnisgleichheit der Zusammensetzung von jeweiligem ›Sein‹ und ›Wesen‹ zu beschreiben. Dies ermöglicht nicht nur ein Mindestmaß an praedicatio in divinis unter vermeintlicher Wahrung des göttlichen Eigenstands, sondern – bei vorausgesetzter Kenntnis der bloßen Existenz Gottes – auch den simplen Linearschluss auf sein Wesen als ›proportionales Viertes‹. 49 Allerdings erschließt sich diese Proportionalität – sofern sie nicht zur bloßen Verhältnisähnlichkeit abgeschwächt und somit epistemisch unfruchtbar wird – eben nur einem Metastandpunkt, der die Gleichheit der Zusammensetzung nicht nur im Menschen, sondern auch noch in Gott sozusagen von außen betrachtet und den ›identisch gemeinsamen Logos‹ eindeutig identifiziert. Ein anderer hier auszuschließender Typus ist das aktualistische Verständnis der Analogie als exklusiv gottgewirktes (verbales) ›EntDer zugegebenermaßen sperrige Terminus ist Przywara entlehnt, vgl. etwa AE 121. Vgl. Pannenberg, Analogie und Offenbarung, 24.29 f. u. ö.; vgl. ebd., 13: »Für die eine wie für die andere Analogieform ist konstitutiv, daß die verglichenen Beziehungen einen identischen Logos gemeinsam haben, daß sie geordnet sind ⁄nÞ tn a'tn lgon. Andernfalls ist gar keine Analogie vorhanden«. Zur mathematischen Lesart der Analogie vgl. auch etwa Stenzel, Zahl und Gestalt bei Platon und Aristoteles. 49 Vgl. exemplarisch für unzählige Thomisten etwa Penido, Le rôle de l’analogie de l’être en théologie dogmatique, 192 f. Ein solch simpler kausallinearer Gottesbeweis trifft zu Recht auf vehemente Kritik, etwa seitens Pannenbergs, vgl. Analogie und Doxologie; ders., Art. Analogie; ders., Zur Bedeutung des Analogiegedankens bei Karl Barth. 47 48
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sprechen‹, wie es zunächst von Barth im Rahmen seiner Überlegungen zur analogia operationis seu relationis als Gegenmodell zur katholischen und zugleich antichristlich-satanischen (!) analogia entis konzipiert worden ist und etwa in der ›doxologischen Analogie‹ bei Schlink und Pannenberg sowie in der ›Analogie des Advents‹ bei Jüngel fortbesteht. 50 Auch bei v. Balthasar finden sich freilich Spuren eines solchen Verständnisses, 51 obwohl er etwa in seinem Barthbuch den notwendig-intrinsischen Nexus von Seins- und Handlungstheorie gemäß dem nur um den Preis der Absurdität umkehrbaren scholastischen Axiom ›agere sequitur esse‹ betont. 52 Im Rahmen des genannten Analogietypus wird nun rein handlungstheoretisch eine Zur ›doxologischen Analogie‹ vgl. v. a. Pannenberg, Analogie und Doxologie, i. V. m. Schlink, Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem. Diesem Konzept zufolge findet kraft der Offenbarung (»Erscheinung der Doxa«: Analogie und Doxologie, 201) eine Veränderung des menschlichen Betens (»Doxologie« bzw. »Lobopfer«: ebd.) statt, das kreatürliche Begriffe zwar analog auf Gott übertrage, ohne diesen aber in Analogie zur Welt (und damit zur ›weltlichen‹ Begrifflichkeit) zu sehen: »Das in der Anbetung wurzelnde Reden von Gott intendiert also zwar durch analoge Übertragung Gottes ewige Wirklichkeit, aber es intendiert sie nicht als analog, sondern öffnet sich unbegrenzt der göttlichen Unendlichkeit« (ebd., 186). Dieser paradoxe Sachverhalt bedinge, dass »[v]on uns aus geurteilt, […] die Begriffe, mit denen wir Gottes Wesen preisen, im Akt des Lobopfers äquivok« werden (ebd., 201). In ähnliche Richtung weist E. Jüngels Konzept einer ›Analogie des Advents‹ (vgl. Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt, 383–408; ders., Thesen zum Verhältnis von Existenz, Wesen und Eigenschaften Gottes, v. a. 415–417). Er konzipiert die Analogie gemäß seinem strengen Offenbarungsansatz als ereignishafte Neuschöpfung menschlicher Sprache durch die Offenbarung: »Wenn aber die Analogie Gott als eines ihrer Glieder (x:a = b:c) enthält, dann erscheint aufgrund des Verhältnisses Gottes (x) zur Welt (a) das diesem Verhältnis entsprechende Weltverhältnis (b:c) in einem ganz und gar neuen [!], in einem dieses Weltverhältnis selbst neu machenden, in einem eschatologischen Licht« (ebd., 389). Im Fall beider Analogien wird allerdings nicht recht ersichtlich, inwiefern diese neue, doxologische oder adventliche Sprache noch in Kontinuität zur menschlichen Sprache (und damit auch dem menschlichen Sein als solchem) vor der Offenbarung stehen, inwieweit hier also überhaupt von ›Analogie‹ und nicht letztlich doch von Dialektik zu sprechen ist. 51 So arbeitet etwa G. de Schrijver die Seiendenanalogie (!) beim frühen v. Balthasar als viergliedrig-proportionalitätsförmigen »Entsprechungsgehorsam« (Die analogia entis in der Theologie Hans Urs von Balthasars, 278) bzw. als ›ganz genaue, gehorsame Entsprechung‹ heraus (vgl. ebd., 275 i. V. m. 280). Auch die (allesamt im Werk begründbaren) Lesarten der balthasarschen Analogie als analogia caritatis (vgl. Lochbrunner, Analogia Caritatis, hier z. B. 292), analogia exinanitionis (vgl. Krenski, Passio caritatis, 362–370) oder analogia libertatis (vgl. Löser, Das Sein – ausgelegt als Liebe) neigen zumindest zu einem aktualistischen Verständnis, das eine Analogizität des Seinsbestands selbst fraglich erscheinen lässt; vgl. zum Ganzen auch Menke, Stellvertretung, 280. 52 Vgl. etwa KB 204. Vgl. zum Ganzen auch unten, v. a. Kap. 8.3.2. 50
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nicht näher definierte (und mangels ontologischer Grundlegung des Konzepts auch nicht näher definierbare) Ähnlichkeit gedacht, die durch das Handeln eines ersten Analogats (den sich offenbarenden, die Menschen in Gnade oder Gebet entrückenden oder ›zur Welt kommenden‹ Gott) einseitig und je neu, und somit in extrinsischer Attribution gestiftet wird. Der fundamentale konzeptuelle Mangel dieser Theorie besteht (neben den oben angeführten Überlegungen zur Problematik der extrinsischen Attribution überhaupt) in der Unbegründbarkeit der Kontinuität zwischen dem potentiellen und dem faktischen Sekundäranalogat (d. h. zwischen dem sündigen und dem begnadeten Menschen bzw. zwischen der kreatürlichen und der begnadeten resp. inspirierten Erkenntnis) im Akt der je neuen Analogisierung. Hier scheint also im letzten doch die Dialektik den Sieg davon zu tragen, die dann – wie es nicht unbegründet jeder echten Dialektik zu unterstellen ist – in reine Identität umzuschlagen droht, und zwar jene des den Eigenstand des potentiellen Sekundäranalogats im Moment der einseitig vollzogenen Analogisierung aufsaugenden Primäranalogats. 53 Als dritter eingangs abzulehnender Typus des Analogiebegriffs sollen hier all jene divergierenden Positionen zusammengefasst werden, die eine apriorische Aufspaltung oder Ungleichgewichtung der Analogie vertreten. Die Aufspaltung der Analogie (eigentlich: der Analogate) beruht auf der Überzeugung, dass ein Sinngehalt bzw. eine Rücksicht zwei Analogate nur entweder verbinden oder unterscheiden kann, keineswegs aber beides zugleich, wie es im Folgenden angedacht werden soll. Insofern nun ein gemeinsamer Sinngehalt zweier nichtidentischer Entitäten vorliegt, kann es sich dieser Sichtweise zufolge nur um einen partiellen Sinngehalt, eine bestimmte Rücksicht handeln, nicht aber um die Entitäten als ganze, da sie sonst identisch sein müssten. Hier ist Analogie also nichts anderes als die völlige Übereinstimmung der Analogate unter bestimmter Rücksicht bei Wahrung ihrer Differenz in (allen) anderen Rücksichten. Diese Aufspaltung der Analogie in distinkte Einheit und distinkte Diffe53 Der ›späte‹ Pannenberg wendet sich freilich im Nachwort zu seiner mit 52-jährigem Aufschub veröffentlichten Habilitationsschrift dezidiert von der diese ›noch stark bestimmenden‹ barthschen Dialektik ab und macht im Gedanken des Schöpfungshandelns Gottes eine mögliche Brücke nicht allein zwischen Ontologie und Handlungstheorie, sondern auch zwischen Natur und Gnade resp. gnadenbedürftigem und begnadetem Geschöpf aus, vgl. Analogie und Offenbarung, 214. Hier scheint ein wesentlicher Brückenschlag zur ›katholisch‹-ontologischen Analogiekonzeption vorzuliegen.
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renz, die etwa Pannenberg der Analogie unterstellt, 54 deckt sich mit dem aristotelischen Analogiekonzept einzelner ›Querverbindungen‹ zwischen den Kategorien (s. u.) und der wittgensteinschen ›Familienähnlichkeit‹, 55 widerspricht aber zutiefst dem Kerngedanken der zu entwickelnden Analogiekonzeption. Die apodiktische Behauptung eines Ungleichgewichts von Einheit und Differenz in der Analogie setzt demgegenüber einen vorauswissend-überschauenden ›Metastandpunkt‹ voraus. Ungeachtet dessen, ob nun eine je größere Ähnlichkeit (so etwa bei B. Lakebrink) 56 oder aber die Unähnlichkeit (E. Przywara) 57 über der Differenzeinheit von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit angesetzt wird, der Analogiebegriff wird in jedem Fall durch apriorische Einträge vorherbestimmt. Zu Przywaras Bevorzugung der Unähnlichkeit ist freilich zu sagen, dass sie die berühmte Analogieformel des Vierten Lateranense aufgreift, 58 jedoch ist diese als lehramtliche Aussage von einem genuin theologischen, offenbarungsinspirierten Standpunkt her im Rahmen der philosophischen Eruierung des Analogiebegriffs einzuklammern. Weiterhin ist zu bemerken, dass die Analogie seit Porphyrios oftmals als Unterart der Homonymie betrachtet worden und somit schon in der Antike in Pannenberg sieht ja hierin die innerste Bestimmtheit der Analogie durch einen »identisch gemeinsamen Logos«, s. Anm. 48. 55 Die semantische Nähe zwischen der Analogielehre des Thomas von Aquin und dem Gedanken der ›Familienähnlichkeit‹ aus Wittgensteins Logischen Untersuchungen unterstreicht etwa R. Teuwsen (Familienähnlichkeit und Analogie), jedoch zeigt sich vielleicht gerade an dieser Stelle ihre entscheidende Grenze: Thomas zielt – wie auch das vorliegende Konzept – auf die Analogizität in der Prädikation der Transzendentalien, keineswegs aber hinsichtlich partikulärer Teilrücksichten einzelner Seiender ab. 56 Vgl. bspw. Lakebrink, Hegels dialektische Ontologie und die Thomistische Analektik, 10–12. Przywara unterstellt eine derartige Position ebenfalls Suárez und A. Dempf, die Betonung der Unähnlichkeit aber etwa Bañez, vgl. AE 333 f. 57 Vgl. etwa AE 138 f. Diese Ungleichgewichtung zwingt ihn dann auch, Thomas ›gegen den Strich zu kämmen‹ und das später revidierte, proportionalitätslogische Analogiekonzept aus De veritate wider den augenscheinlichen Befund zur eigentlichen thomanischen Analogie zu erheben (vgl. ebd., 136), was L. B. Puntel ihm zu Recht vorwirft (vgl. etwa Analogie und Geschichtlichkeit, 284–286). Puntels in der Behauptung eines reinen Differenzdenkens kulminierende Vorwürfe gegenüber Przywara (vgl. ebd., v. a. 534–552) werden etwa von J. Terán Dutari (vgl. Christentum und Metaphysik, 602–603 u. ö.) und E. Naab (Zur Begründung der analogia entis bei Erich Przywara, 68–70) kommentiert und in ihrer Schärfe zurückgewiesen. Im Kontext der hiesigen Überlegungen ist anzumerken, dass Przywara andernorts durchaus ein ausgewogenes Verhältnis von Gleichheit und Ungleichheit vertritt, vgl. bspw. Ringen der Gegenwart, 948. 58 Vgl. DH 806: »[Q]uia inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda«. 54
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Richtung der Unähnlichkeit gerückt worden ist. 59 Auch der alltägliche unstrenge Sprachgebrauch der Gegenwart ist – allerdings in umgekehrter Richtung – von der Ungleichgewichtung von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit zuungunsten der Letzteren geprägt und verfehlt so das eigentliche Proprium der Analogie, wie sie in dieser Arbeit verstanden werden soll, nämlich als strikte Einheit von Identität und Differenz, die zunächst nicht aufspaltbar und austarierbar – also überschaubar – ist. (4) In der vorliegenden Arbeit soll ein strenger Analogiebegriff zur Verwendung kommen, der – wie jede eindeutige definitorische Festlegung – sicherlich hinterfragbar ist und nicht die ganze Fülle der Traditionsgeschichte dieses Konzepts wiederzuspiegeln vermag, der aber dennoch als dringend erforderliche Kompromissformel für die religionsphilosophische und (!) theologische Verwendung der Analogie vorgeschlagen wird. Er soll hier – selektiv, aber begründet und somit nicht eklektizistisch – im Aufgriff einiger Intuitionen von Platon und Aristoteles, der etymologischen Überlegungen Przywaras und Siewerths zum Analogiebegriff, der Analogieformel Weissmahrs und einer abschließenden Überlegung von Karen Gloy entwickelt werden. Der Begriff ist als basal zu verstehen, d. h. als aller Aufspaltung der philosophischen Analogielehre in Metaphysik/Ontologie, Logik oder Linguistik voraus- und zugrunde liegend. Desiderat soll dabei von vorneherein der Gedanke der Mitte, d. h. einer strikten Gleichgewichtung von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit, Identität und Differenz in der Analogie sein. Als strengem Begriff eignet ihm selbst freilich paradoxerweise eine gewisse Univozität (d. h. eindeutige Definierbarkeit), allein erscheint diese – so wird im Folgenden zu zeigen sein – nicht als Selbstzweck oder eben doch heimlicher ›univoker Kern‹ der Analogie, sondern als Hilfsmittel zur Explikation der realen Analogie, unter deren Auswirkung er sich letztlich selbst analogisiert (vgl. Kap. 8.2.2). Platon, der laut einhelliger Meinung die erste genuin philosophische Applikation des Analogiekonzepts vornimmt, 60 führt dieses 59 So beschreibt Porphyrios die Analogie als ¡monumffla ⁄p dianoffla@ (scholastisch: aequivocatio a consilio) gegenüber der bloßen Namensgleichheit der ¡monumffla ⁄p tÐch@ (scholastisch: aequivocatio a casu); vgl. etwa Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 19–22. 60 Vgl. v. a. die wichtige Studie P. Grenets über Les origines de l’analogie philosophique dans les dialogues de Platon; vgl. zum Ganzen auch Kluxen, Art. Analogie, 215 f.
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– abgesehen von der eher klassischen Verwendung als viergliedriggeometrische Proportionalität etwa in der Politeia 61 – im kosmologischen Kontext seines Timaios in einer spezifischen, wenn auch leicht kryptischen und nicht weiter reflektierten Weise in die Geistesgeschichte ein: Die Analogie erscheint dabei als das Strukturgesetz des Kosmos, in dem dessen fundamentale und entgegengesetzte Konstituenten (das Feuer als Prinzip des Sichtbaren und die Erde als Prinzip des Festen) zusammengehalten und verbunden sind. 62 Dieses »Schönste aller Bänder« (desm n k€llisto@) als dasjenige, das die beiden konträren Elemente und sich selbst »am meisten« bzw. »so sehr als möglich« (m€lista) eine, bringe die Analogie zustande. Hier scheint – vielleicht zum ersten Mal – der Gedanke einer Vereinigung von Heraklit und Parmenides auf, dass nämlich in facto esse zwei konträre, ja die konträrsten Entitäten überhaupt übereinkommen können, und dies nicht trotz, sondern gerade in ihrer Entgegenstellung. Dass also das Wirkliche – mit den in anderem Zusammenhang geäußerten Worten Weissmahrs – keine kontradiktorischen, sondern nur mehr konträre Gegensätze kennt (s. u.). Ungeachtet aller Rudimentarität, bleibenden Verwurzelung in der Mathematik 63 und möglichen Spannungen dieser Passage zum Rest des platonischen Werks (und dessen größerer Problematik) soll diese Intuition Platons übernommen werden, so dass Heidegger bei richtigem, nichthypostasiertem Verständnis des Wortes ›Sein‹ durchaus zuzustimmen ist, wenn er schreibt: »Wir heutigen Knirpse, mit unseren kurz geratenen aber um so geräuschvolleren Entdeckungen, können kaum mehr ermessen, welche Kraft philosophischer Arbeit eingesetzt werden mußte, um dessen ansichtig zu werden, daß das Sein als das Eine in sich Vieles ist«. 64 Im Werk Aristoteles’ nimmt das Konzept der Analogie einen weitaus breiteren Raum ein, selbst wenn man es völlig von den ÜbVgl. Platon, Politeia VI, 509c-511e (das Liniengleichnis!); VII, 534a. Vgl. Platon, Timaios, 31b-c: »Swmatoeidþ@ dþ d¼ ka½ ¡ratn ptn te de… t genmenon enai, cwrisqþn dþ pur@ o'dþn ˝n pote ¡ratn gffnoito, o'dþ ptn ˝neu tin@ stereo‰, steren dþ o'k ˝neu g»@‡ ˆqen ¥k pur@ ka½ g»@ t to‰ pant@ ⁄rcmeno@ sunist€nai s ma ¡ qe@ ¥pofflei. DÐo dþ mnw kal @ sunfflstasqai trffltou cwrffl@ o' dunatn‡ desmn gÞr ¥n mffs†w de… tina ⁄mfo…n sunagwgn gfflgnesqai. Desm n dþ k€llisto@ ˚@ n a¢tn ka½ tÞ sundoÐmena ˆti m€lista ˙n poi–», to‰to dþ pfffuken ⁄nalogffla k€llista ⁄potele…n«. 63 Vgl. Platon, Timaios, 31c-32c. 64 Heidegger, Aristoteles, 28. 61 62
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erlegungen zur Proshen-Relation und zur Paronymie trennte, was sicherlich textlich begründbar, aber systematisch nicht sauber durchzuhalten ist. 65 Aristoteles verwendet die Analogie explizit v. a. im Rahmen von Ethik, Poetik und Naturphilosophie und zwar zumeist in der viergliedrigen, mathematischen Form. Drei seiner Einsichten sollen in die zu erarbeitende Analogiekonzeption übernommen werden: Die erste hier zu verwendende aristotelische Intuition ist weniger in seiner inhaltlichen, klassisch mathematischen Ausgestaltung des Begriffs der Analogie zu finden als in dem systematischen Ort, den er ihr als einer Einheit jenseits der bzw. »quer« 66 zu den obersten Gattungen (Kategorien) zuweist. Die entscheidende Textstelle ist hier die Rede von den vier Weisen der Einheit in Met. D6. 67 Demzufolge staffelt sich die Einheit ihrer Intensität nach absteigend in das »Eins nach der Zahl« ( n kat3 ariqmn), »nach der Art« (kat3 edo@), »nach der Gattung« (katÞ gffno@) und schließlich das »Eins nach der Analogie« ( n kat3 ⁄nalogfflan), wobei die jeweils niedrigeren in der höheren Einheitsform inkludiert sind. Hier zeigt sich also in der ›analogen Einheit‹ die Möglichkeit einer Einheit zweier Relate, die weder vollkommen eins (d. h. eines Stoffes) sind, noch zu einer Art (d. h. zu einem Begriff) oder zur selben Gattung (d. h. zu einer Kategorie) gehören; einer Einheit also, deren Gemeinsamkeit nicht mehr eindeutig definierbar oder zumindest – wie im Falle der Kategorien – abgrenzbar ist. Diese Einheit bestehe darin, und hier schlägt wieder die mathematische, proportionalitätstheoretische Sichtweise durch, dass sich das Geeinte verhalte »wie ein anderes zu einem anderen« (£@ ˝llo pr@ ˝llo). 68 Aristoteles zieht nicht mehr die Kon65 Freilich können die drei Theoriestücke auch nicht schlichtweg gleichgesetzt werden, wie es überschwängliche Analogielehren versucht haben, unterscheidet Aristoteles doch in der Ethica Nicomachea (vgl. ebd., I, 4, 1096b26–32) klar zwischen Proshen-Relation und Analogie, während die Paronymie nur einmal bei ihm auftaucht und zwar eindeutig in grammatikalischem Zusammenhang, vgl. Aristoteles, Kategorien, I, 1a12–15; vgl. hierzu auch Hirschberger, Paronymie und Analogie bei Aristoteles. 66 Kluxen, Art. Analogie, 217 (i. O. kursiv). 67 Vgl. Met. D6, 1016b31–35: »[7E]ti dþ tÞ mþn kat3 ⁄riqmn ¥stin n, tÞ dþ kat3 edo@, tÞ dþ katÞ gffno@, tÞ dþ kat3 ⁄nalogfflan‡ ⁄riqm† mþn n ˜lh mffla, e—dei d3 n ¡ lgo@ e@, gffnei d3 n t a't sc»ma t»@ kathgorffla@, kat3 ⁄nalogfflan dff ˆsa ˛cei £@ ˝llo pr@ ˝llo«. Die drei letzten Einheitsformen verwendet Aristoteles andernorts auch als Definitionskriterium für ›Verschiedenes‹, das eben nicht zahlenmäßig, sondern nach Art, Gattung oder Analogie eins sei, vgl. Met. D9, 1028a12 f. 68 Przywara sieht in dieser »Beziehung gegenseitigen Andersseins« den höchsten Ausdruck und Abschluss der Analogie bzw. die »abschließende[]« und »schwebende« Ana-
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sequenz, dass diese Einheit, welche die kleinste Intension des Gemeinsamen umfasst, damit auch gleichzeitig die höchste Extension erreicht und somit jedem ¤n – ¤n zukommen würde; vielmehr bestehen ihm zufolge einzelne solcher Analogien als konkrete Verbindungen zwischen verschiedenen Kategorien, 69 womit letztlich eine Beschränkung des Analogieverhältnisses auf einzelne, abgrenzbare Rücksichten einhergeht. Insofern ist es nur schwer möglich (und begrifflich ohnehin ausgeschlossen), von einer aristotelischen ›Seiendenanalogie‹ als solcher zu sprechen, wie das etwa Seidl 70 oder Pannenberg 71 tun. Der Gedanke aber, dass die Kategorien, die letzten eindeutig distinguierbaren ›Weisen zu sein‹, nicht gleichzeitig die letzte Gemeinsamkeit der Seienden ausdrücken, wird hier als zweite aristotelische Intuition integriert. Sie zeigt sich etwa an zwei Textstellen, in denen Aristoteles das »vielfach« (pollac @) der ›Seienden‹-Sage nicht wie andernorts 72 einfach durch die – interkategoriale – Proshen-Relation löst (also als lineare Beziehung von Substanz und Akzidens), sondern dem Kategorienschema zwei bzw. drei weitere Bedeutungen beigesellt, nämlich die beiden Gegensatzpaare ›Sein als Wahres‹ oder ›Sein als Lüge‹ und Sein als ›Möglichkeit oder Wirklichkeit‹, während er einmalig das »Sein als Akzidens« beifügt (das freilich schon im Kategorienschema erfasst ist). 73 Drittens ist logie über innerkreatürlicher und »zwischen-gott-geschöpflicher« (AE 135 f.) und identifiziert sie mit der Proportionalitätsanalogie als proportio secundum convenientiam proportionalitatis in De veritate, q. 23 a. 7 ad 9. 69 Vgl. Met. N6, 1093b17–21. 70 Vgl. etwa explizit Seidl, Einleitung zum zweiten Halbband, XIX–XXV. 71 Vgl. Pannenberg, Analogie und Offenbarung, 27 f. Der protestantische Theologe ist hier genötigt, den Nachweis recht umständlich über den Begriff des Guten bei Aristoteles zu führen. 72 Vgl. Met. G2, 1003a33 f.; Z1, 1028a10–15; Z4, 1030a34–1030b2; Q1, 1045b27–30; K3, 1060b31–1061a11. Zwar identifiziert Aristoteles das n nur in Z1 und Q1 mit der o'sffla, das wirkungsgeschichtlich ungeheuer dominante Beispiel der 'gffleia (Gesundheit) und der ihr zugeordneten Akzidentien verdeutlicht an den übrigen Stellen aber eindeutig den Bezug auf die Substanz. 73 Die vierfache Bedeutung des pollac @ findet sich in Met. E1, 1026a33–1026b2; zur dreifachen vgl. Met. Q9, 1051a34–1051b1. Die Spannung dieser zweiten, übergeordneten Reihe der ›Seienden‹-Sage gegenüber dem in ihr inkludierten Kategorienschema bzw. der Proshen-Relation (vgl. Anm. 72) hebt besonders Heidegger hervor. Demzufolge widerspricht Aristoteles sich selbst, indem er die durch das vierfache pollac @ ausgedrückte, ursprünglich inkommensurable Seinsvielfalt zugunsten der linear-überschauenden Proshen-Relation zwischen Substanz und Akzidens ausblendet. Da Heidegger nun mit Thomas von Aquin (und einer viel älteren, bereits in den neuplatonischen Kommentaren belegbaren Tradition) den Proshen-Gedanken mit der Seienden-
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sein methodischer Ansatz zur Eruierung der interkategorialen Analogien als bemerkenswerte Einsicht festzuhalten, fordert er hier doch eine induktiv-rezeptive Wahrnehmung; anstelle eines begrifflichen Deduktionalismus gelte es hier »das Analoge zusammen[zu]schauen« (t ⁄n€logon sunor”n). 74 Diese Analogie kann ihm zufolge allerdings bei Fehlen eines Außengliedes erneut zum Gegenstand eines (oben ja abgelehnten) mathematisch-notwendigen, deduzierenden Schlusses auf das proportionale Vierte verwendet werden. Die Bedeutung Erich Przywaras für die Analogielehre – vor allem durch sein Hauptwerk Analogia Entis (1932/1962) – ist sicherlich kaum hoch genug anzusetzen und kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. 75 So nimmt er etwa eine zentrale Rolle in der theologischen Debatte des 20. Jahrhunderts um die analogia entis ein (ohne freilich, wie er behauptet, Urheber der Debatte oder des Begriffs zu sein) 76 und hat maßgeblich zu einer Öffnung der teilweise fruchtlosen diesbezüglichen Schulstreitigkeiten innerhalb des Thomismus beigetragen, 77 um so die größere Fülle der Tradition des Konzepts neu aufzudecken. Insofern verdankt die vorliegende Arbeit ihm als womöglich »wichtigste[m] Denker der Analogie« 78 (Puntel) viel, ohne dies stets eigens zu explizieren. Sein ebenso eigenständiger wie eigenwilliger Ansatz kann hier allerdings nicht kritiklos übernommen werden, nicht allein, weil er selbst die eingeforderte neutrale Verhältnisbestimmung (›schwebende Mitte‹) von Einheit und Difanalogie identifiziert, muss er diese folgerichtig als aporetisch ablehnen: »Die Analogie des Seins – diese Bestimmung ist keine Lösung der Seinsfrage, ja nicht einmal eine wirkliche Ausarbeitung der Fragestellung, sondern der Titel für die härteste Aporie, Ausweglosigkeit, in der das antike Philosophieren und damit alles nachfolgende bis heute eingemauert ist« (Heidegger, Aristoteles, 46). Vgl. zum Ganzen auch etwa Courtine, Inventio analogiae, 37. 74 Vgl. Met. Q6, 1048a35–37: »[D]»lon d3 ¥p½ t n kaq3 kasta t–» ¥pagwg–» ˚ boulmeqa lffgein, ka½ o' de… pant@ ˆron zhte…n ⁄llÞ ka½ t ⁄n€logon sunor”n«. 75 Hier muss auf die hervorragenden Monographien von B. Gertz und J. Terán Dutari sowie das Fragment von E. Naab verwiesen werden. 76 Vgl. zum Ganzen die sehr profunde Begriffsstudie von J. Terán Dutari (Die Geschichte des Terminus »analogia entis« und das Werk Erich Przywaras). 77 Das Ausgangsproblem der hier – bei aller Bedeutung für die Entwicklung der Terminologien und manchem systematischen Ertrag – letztlich doch ins Leere laufenden thomistischen Diskussionen der zwei (oder bei Hinzuzählung der Anhänger Sylvesters drei) Strömungen liegt nach einhelliger Forschermeinung in der Verwechslung der ontologisch-wirklichkeitsfundierten und somit vornehmlich prädikationslogischen Analogie des Thomas mit einer solchen des Begriffs, vgl. etwa Kluxen, Art. Analogie, 223. 78 Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit, 533. A
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ferenz nicht strikt durchhält (s. o.), sondern auch wegen seines teils brachialen und vor Verzerrungen nicht zurückschreckenden Systematisierungswillens, der die ganze Geistesgeschichte ausschließlich am Leitfaden der Analogiefrage zu bewältigen und zu katalogisieren beansprucht. Ungeachtet der Problematik dieser »universalen Klassifikatorik« 79 (v. Balthasar) ist aber keineswegs ausgeschlossen, sondern soll hier sogar nachdrücklich affirmiert werden, was niemand Geringeres als Karl Rahner über Przywara geschrieben hat, dass nämlich »[d]er ganze und wahre Przywara […] eben doch erst im Kommen« begriffen sei, und alle »künftige Theologie […] noch viel von Przywara zu lernen haben« wird. 80 Allgemein dürfte seine Analogielehre dabei eher – wie es durchaus seinen eigenen Vorstellungen entspricht – als »Werkzeug« zu verwenden sein denn als »ausgearbeitete Metaphysik«. 81 Was nun im engeren Zusammenhang der hiesigen Vorüberlegungen zum Analogiebegriff von Przywara ›zu lernen‹ ist, entstammt seinen entsprechenden etymologisch-semantischen Überlegungen: Er erläutert den Begriff der Analogie in Abgrenzung zum Stammwort Logos und zu dessen Gegenkonzept eines ›Dialogos‹ resp. als Zusammenhang dreier zu jenem Wortfeld gehöriger Verben (⁄nalogfflzesqai, logfflzesqai und dialogfflzesqai), die verschiedene Weisen eines »Überlegens nach Maßstäben« (logfflzesqai) darstellen. 82 Die Logik wird dabei als ›Einbegreifen‹ einer Sache in einen Logos bzw. Begriff verstanden, ob dies sich nun als Selbstoder als Fremdüberführung der Wirklichkeit in den Begriff ereignet. Der reinen Logik eignet dabei eine Unmittelbarkeit und GradlinigBalthasar, Erich Przywara, 359. Rahner, Gnade als Freiheit, 271. Auch v. Balthasar affirmiert diese epochale Bedeutung, wenngleich sein Urteil nicht nur in dieser Hinsicht gegenüber Przywara etwas schwankt (s. o.); vgl. etwa seine launische Würdigung aus dem Jahr 1966, in der er zunächst im Irrealis konstatiert, Przywaras Denken »hätte das entscheidende Heilmittel für unser christliches Denken heute werden können. Die Zeit hat den leichteren Weg gewählt, sich nicht mit ihm auseinanderzusetzen. Und er selbst ist nicht schuldlos daran«, um dasselbe Denken drei Seiten später zum schlechthinnigen »Pharmakon für die Philosophie und Theologie unserer Zeit« zu erheben (Balthasar, Erich Przywara, 354 resp. 357). Eine Vergleichsstudie zu den Analogielehren beider bietet etwa J. V. Zeitz (Przywara and von Balthasar on Analogy). 81 Copers, De analogieleer van Erich Przywara, 246: »Ook in dit opzicht is Przywara’s Analogia Entis een werkinstrument, geen uitgewerkte metaphysica, maar, zoals hij in zijn voorwoord schrijft, prolegomenon en principe, uitgangspunt en baanbrekend voor verder onderzoek«. 82 Vgl. AE 99. 79 80
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keit, die die Beanspruchung eines Metastandpunkts impliziere, ein »wie Gott sein« resp. die Annäherung an das »Ideal des göttlichen Wissens«. 83 Aufgrund der faktischen, ›sach‹-bedingten Unmöglichkeit einer solchen Ungebrochenheit des Logos trete der Logik aber die Dialektik (oder im personalen Raum der ›Dialog‹) entgegen, die sich gerade von den Spannungen der Sache her ergebe und das »Zwischen als Zwischen« der sächlichen Differenzen betrachte. Sie zeige sich dabei entsprechend zweier Bedeutungen der Vorsilbe ›di€‹ entweder als bloß aporetische Konstatierung des Zwischen und Zerschneidung des Logos (die Option radikaler Dialektik resp. Kierkegaards) oder aber als Durch-gang zu einem letztlich doch einheitlich zugrunde liegenden Logos (die Option syllogistischer Dialektik oder Hegels) und somit als »gespannter Abstand zu leidenschaftlicherem Zurückschnellen«. 84 Die Analogie nun liegt für Przywara in der Mitte zwischen Logik und Dialektik: Sie »ist der innere Ausgleich dieser Verwirrtheit: des trotzigen Sich-abscheidens [sc. der radikalen Dialektik; M. L.] zum demütigen Sich-unterscheiden, und des leidenschaftlichen Verschmelzen-wollens [sc. der syllogistischen Dialektik oder reinen Logik] zum liebenden Sich-übergeben«; sie vollzieht sich nicht als Identifikation von Sache und Logos noch als generelle Leugnung deren Zusammenhangs, sondern – gemäß der zweifachen Bedeutung von ›⁄n€‹ (»nach der Reihe« oder »oben hinauf«) – als sammelnde Aussage der Sache auf den ordnenden Logos hin. So sei sie »distanzierter Gehorsam zum Logos« und ein »Sich-richten im Gerichtetsein«. 85 Später wird er die Analogie dann (im explizit ontologischen Horizont als Seiendenanalogie) in Anlehnung an Aristoteles (s. o.) als »Beziehung gegenseitigen Andersseins« (vgl. das £@ ˝llo pr@ ˝llo aus Met. D6) – also als Mitte zwischen völligem Fehlen und hypertropher Identifikation des gemeinsamen Logos – beschreiben. 86 Auch Gustav Siewerth, dessen Sichtweise der Analogie hier ebenfalls nicht in extenso behandelt werden kann, 87 soll hier nur hinVgl. ebd., 100 f. Vgl. ebd., 101 f. 85 Ebd., 103 f. Vgl. zur Erläuterung etwa Terán Dutari, Christentum und Metaphysik, 419. 86 Vgl. v. a. AE 135 f. 87 Vgl. dazu etwa Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit, 111–134.439–450; M. Schulz, Postmoderne Systemkritik und Gustav Siewerths System der Analogie. Zu dem von einer gewissen beiderseitigen Verbohrtheit und von Missverstehen bei gleich83 84
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sichtlich seiner diesbezüglichen semantischen Überlegungen zu Wort kommen: Er geht von der grammatikalischen Form des Verbs ⁄nalogfflzesqai, dem Medium, aus, und gelangt so zu dessen doppelter Charakteristik einer Intensivierung und eines »passivische[n] Bezugs«. Die Intensivierung des ⁄nalogfflzesqai bedeute eine wiederholende Verschärfung, aus dem schwachen ›Sammeln‹ (⁄nalffgein) werde so ein »nochmaliges, mehrfaches Abgleichen« und eine Versammlung zu einer eindeutig durchmessenen Ähnlichkeit. An dieser Stelle ist allerdings weniger auf der Ähnlichkeit bzw. »Angeglichenheit« zu beharren, als die er die Analogie vermittels des gotischen Verbs analeiko übersetzt, weil sie die im Folgenden angestrebte strikte Kongruenz von Ähnlichkeit und Unähnlichkeit in der Analogie zumindest terminologisch relativiert. Wichtig ist vielmehr die Betonung der klaren Durchmessenheit und Strenge des Bezugsverhältnisses gegenüber einer verschwommenen Sicht als partieller und undefinierter Ähnlichkeit. Noch wichtiger aber ist der zweite aus der grammatikalischen Betrachtung gewonnene Aspekt, nämlich die passive Rückbezüglichkeit des Logos gegenüber der ausgedrückten Sache im Sinne des accusativus graecus. Hieraus ergibt sich eine bleibende Abhängigkeit und je neue Füllungsbedürftigkeit des versammelnden Begriffs. 88 Béla Weissmahr setzt in seiner Ontologie, die allenfalls implizit an Przywara angelehnt ist, 89 ein – freilich entsprechend der Themenstellung zunächst auf die analogia entis reduziertes – Analogieverzeitiger subkutaner Übereinstimmung gekennzeichneten Verhältnis von Siewerth und Przywara vgl. etwa Secretan, L’analogie selon Gustav Siewerth et Erich Przywara. 88 Vgl. zum Ganzen Siewerth, Sein und Wahrheit, 451–453; vgl. auch etwa Das Sein als Gleichnis Gottes, 26–28.47 f.; Der Thomismus als Identitätssystem, 71 f. 89 K.-H. Menke (Stellvertretung, 263) bezeichnet Weissmahrs Ontologie als eine »an Przywara orientierte«. Gegenüber dieser Aussage ist auffallend, dass Weissmahr seinen Ordensbruder im Text (mit Ausnahme einer Einreihung in eine weiterführende Literaturliste, vgl. Ontologie, 95) nicht erwähnt, und auch die zentralen Analogie-Definitionen Przywaras (also die ›schwebende Mitte‹, die ›Beziehung gegenseitigen Andersseins‹ etc.) in der weissmahrschen Ontologie keine Verwendung finden; dasselbe gilt auch für seine postume Schrift Die Wirklichkeit des Geistes, die als Vertiefung der Ontologie zu verstehen ist. Hier liegt also eher eine kritische Fortentwicklung gewisser Intentionen Przywaras vor, der eben keine Schule gebildet hat (ungeachtet dessen, ob man dies nun etwa mit v. Balthasar und L. B. Puntel als Folge der schweren Zugänglichkeit seiner Gedanken oder aber mit Rahner als Auszeichnung und demütigen Verweis auf das Geheimnis Gottes betrachtet, vgl. Balthasar, Erich Przywara, 359; Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit, 149; Rahner, Gnade als Freiheit, 273). J. V. Zeitz schreibt hierzu mit einigem Recht (Przywara and von Balthasar on Analogy, 492): »Przywara is the great
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ständnis voraus, das von einer strikten Kongruenz von Identität und Differenz ausgeht. Demzufolge ist das Analogon »nicht nur das, was Gemeinsamkeit, Einheit, ja sogar Identität stiftet […], sondern auch das, was differenziert«, während die Analogate »unter derselben Rücksicht«, d. h. im Hinblick auf dasselbe Analogon »miteinander eins und voneinander verschieden« sind. Hinsichtlich des Seins als eines solchen Analogons erläutert er, dass es sich bei diesem eben um keine besondere Rücksicht (und damit um eine Aufspaltung) handele, insofern es die Analogate im Gesamt ihrer »jeweilige[n] Inhaltlichkeit« betreffe. 90 Auch weist er darauf hin, dass sich dieser Ineinsfall von Identität und Differenz bzw. Ähnlichkeit und Unähnlichkeit aufgrund ihrer Unaufspaltbarkeit in Einzelrücksichten nur einer ›überbegrifflichen‹ Erkenntnis verdanke, weil das begriffliche (oder wenn man so will: logische) Denken beide nur voneinander abheben könne. 91 Weiterhin sei jeder konkrete Ineinsfall gegenüber jedem anderen wiederum analog, weil die Analogien niemals identisch seien, und sich jedes Analogat zu jedem anderen anders analog verhalten würde. Hierdurch eröffnet sich für Weissmahr dann auch die Möglichkeit einer Hierarchie der verschiedenen Analogate nach dem Maß ihrer jeweiligen Differenzeinheit, die stets als direkte Proportionalität der beiden Bestandteile ›Einheit‹ und ›Differenz‹ zu denken sei. 92 Der ganze weissmahrsche Analogiebegriff erfordert freilich die Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Lesarten des Gegensatzpaars Identität und Differenz: einerseits nämlich die logische Lesart, die beide als kontradiktorische Gegensätze und in ihrer Entgegenstellung als Unvollkommenheit betrachtet, andererseits aber die realistisch-erfahrungsfundierte Lesart (das Beispiel schlechthin ist hier die Interpersonalität), 93 die sie in bloß relativer, konträrer Gegensätzlichkeit sieht und die bleibende Verschiedenheit und Relation als Vollkommenheit betrachtet. 94 teacher and inspirer, not the master thinker whose synthesis muss be slavishly repeated or commented on«. 90 Weissmahr, Ontologie, 93. Ganz ähnlich formulieren auch v. Balthasar (vgl. Analogie und Dialektik, 174–177), Coreth (vgl. Art. Analogie, 468) und Przywara (vgl. Ringen der Gegenwart, 947). 91 Vgl. etwa Weissmahr, Ontologie, 103. 92 Vgl. ebd., 122. 93 Vgl. ebd., 95 f. 94 Vgl. hierzu ebd., 95 f.117–119.125. Vgl. auch die entsprechenden Überlegungen B. Lakebrinks (Hegels dialektische Ontologie und die thomistische Analektik, 262): »Nach ihr [sc. der Analektik; M. L.] sind Identität und Nicht-Identität, Einheit und VielA
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Das von Weissmahr aufgewiesene Unzureichen einer starren zweiwertigen Logik zur philosophischen Wirklichkeitsbeschreibung wird (freilich ohne direkte Bezugnahme) auch von Karen Gloy in ihrem Aufsatz Versuch einer Logik des Analogiedenkens aus dem Jahr 2000 bestätigt. 95 Zunächst verdeutlicht sie, dass die Logik in ihrer klassischen Zweiwertigkeit auf dem Prinzip bzw. gar der »ontologische[n] Prämisse« 96 der dichotomischen Dihairesis basiert, also auf der vollständig-disjunkten formalen Bestimmung resp. Bestimmbarkeit alles Wirklichen in sich und seiner ›klaren und distinkten‹ Abgrenzbarkeit gegenüber allem anderen (im Sinne des kontradiktorischen, nicht konträren Gegensatzes bei Weissmahr und Lakebrink): »Diese essentiellen Charakteristika der traditionellen Logik: zum einen die Eindeutigkeit ihres Gegenstandsbegriffs nach außen wie innen, zum anderen dessen spezifische Auslegung nach dem Modell der Dihairesis sind jedoch alles andere als selbstverständlich. Mit ihnen steht und fällt die zweiwertige Logik. Lassen sich Gegenbeispiele anführen, so kollabiert dieselbe«. 97 Die von ihr ausgemachten ›inkompatiblen‹ Beispiele führten aber genau zu jenem ›Kollaps‹ der Logik des Binaritätsprinzips und ihres Leitaxioms der »vollständigen und durchgängigen formalen Bestimmung der Dinge«. 98 Gloy unterteilt diese logisch inkommensurablen Phänomene in die drei Kategorien unterbestimmter, sequentiell überbestimmter und simultan überbestimmter Erscheinungen: Unterbestimmt hinsichtlich der intrinsischen wie extrinsischen Distinktion seien alle Fälle von »indeterminierte[r] Vagheit« (etwa noch unspezifizierte »Vorgestalten der Aktualgenese« geometrischer Gestalten oder auch der Annäherungsprozess der Erinnerung an ein entfallendes Wort), sequentiell überbestimmt seien alle durch die Betrachtungsweise verwechselbaren Phänomene (etwa »Kippfiguren, Ve-
heit, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit nur innerhalb des Einen Seins als dessen ursprüngliche Unterschiede […] möglich. Auf Grund dessen handelt es sich bei Identität und Nicht-Identität um keine kontradiktorischen, sondern nur um konträre Gegensätze«. 95 Der Aufsatz geht auf einen Vortrag von 1997 zurück, der in seiner ursprünglichen Fassung bereits unter dem Titel Kalkulierte Absurdität veröffentlicht worden ist; vgl. hierzu auch Lindfeld, Die Rückkehr des Analogiedenkens. 96 Gloy, Versuch einer Logik des Analogiedenkens, 301. 97 Ebd., 307. 98 Ebd., 315; vgl. auch ebd., 302.305.319.
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xierbilder, Umschlagphänomene«), 99 während sich simultane Überbestimmung schließlich in verschiedenen (All-) Einheitserfahrungen zeige (etwa der ›Lebensrevue‹ in existentiellen Grenzsituationen, der mystischen visio beatifica sowie im Weltbild der Renaissance). Das somit exemplarisch erwiesene faktische Ungenügen der zweiwertigen Logik zeige nun die Aktualität und Unvermeidlichkeit des Analogiegedankens auf. Allerdings meidet Gloy – hiervon zeugen schon die recht divergenten, stark voraussetzungsreichen und konstruierten Beispiele – im Gegensatz zu der im Folgenden angestrebten Reformulierung der Analogie deren universale bzw. transzendentale Konnotation und beschränkt sich auf eine schwache aristotelische Analogie als Beziehung zwischen einzelnen Entitäten ›quer‹ zu den Kategorien im Rahmen eines von ›Fluidität‹, ›Diaphanität‹ und ›Transversalität‹ geprägten Wirklichkeitsverständnisses. Sie rückt die Wahrnehmung dieser Querverbindungen (nicht ohne Verweis auf Wittgensteins Konzept der ›Familienähnlichkeit‹) 100 in die Nähe des postmodernen Konzepts einer transversalen Vernunft und kann so das Analogiedenken – als gegenüber der klassischen Logik »kalkulierte Absurdität« – geradezu zum »Symptom der Moderne« erheben. 101 (5) Die systematische Herleitung der Analogie soll nun einsetzen bei der ›Grundsituation‹ der Relation, d. h. dem Vergleich bzw. der Vereinigung zweier bleibend unterschiedener Entitäten, den alle beschriebenen Überlegungen zur Analogie voraussetzen. Insofern ist das nun zu entwickelnde Analogieverständnis durchaus im Sinne des von Holz vorgetragenen Desiderats einer durch die Analogie begründeten »allgemeinsten Relationstheorie« 102 zu verstehen bzw. mit Przywara als »Relationologie«; 103 Söhngen geht aufgrund der Ebd., 310. Vgl. ebd., 314. Zum Verhältnis von ›Familienähnlichkeit‹ und Analogie vgl. auch oben, Anm. 55. 101 Ebd., 323. 102 Holz, Art. Analogie, 64. 103 Vgl. AE 373–392, hier v. a. 387 f. Przywara profiliert die Analogie- als Relationslehre zwischen Phänomenologie (für ihn gleichbedeutend mit ›essentialistischer‹ bzw. ›idealistischer‹ Philosophie) und Realologie (für ihn gleichbedeutend mit ›existentialistischer‹ oder ›materialistischer‹ Philosophie) und glaubt damit – es zeigt sich erneut Prywaras unermüdlicher Schematisierungswille – alle möglichen Arten philosophischen Denkens, die »drei Möglichkeiten einer Philosophie« überhaupt beschrieben zu haben, vgl. ebd., 373; vgl. zum Ganzen auch Gertz, Glaubenswelt als Analogie, 256. 99
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Nähe von Analogie und Relation gar so weit, den barthschen Terminus einer analogia relationis als tautologisch zu bezeichnen. 104 Bei der zu betrachtenden Relation ist nun zunächst irrelevant, ob es sich bei den verglichenen um noumenale oder reale Entitäten handelt. Ihre Relation ist in der Grundgestalt als dreigliedrig zu beschreiben (s. o.), nämlich als Zusammenhang mindestens zweier Relate und eines Relationsmoments bzw. einer Vergleichsrücksicht – weshalb sich schon hier das Ungenügen des klassischen Zweierschemas von zweigliedriger Attributions- und viergliedriger Proportionalitätsanalogie zeigt. Jedes der Relate hat als Entität eine eigene Bedeutung, einen ›Sinn‹, bzw. ›sagt‹ etwas aus. Dieser eigene Sinn der Relate soll hier klassisch als ratio propria bezeichnet werden, der gegenüber das Relationsmoment einen gemeinsamen Sinngehalt der beiden Relate, ein koinn ti 105 bzw. eine ratio communis (rc) darstellt. Die nähere Bestimmung dieses relationalen Gefüges ergibt nun drei grundlegende Alternativen, die sich zunächst anhand der Nichtexistenz oder Existenz der rc unterscheiden, deren Letztere dann nochmals unterteilt werden kann anhand der möglichen Eigenständigkeit oder aber der Abhängigkeit der rc. Die erste Ausgestaltung des Relationsgefüges könnte somit in der Nichtexistenz der rc bestehen. Existiert keine rc, also kein eigener Sinngehalt des Relationsmoments, so existiert auch keine Relation, denn ohne ein Mindestmaß des Gemeinsamen erlischt die Verbindung der Relate. Ihr Verhältnis ist also als kontradiktorischer Gegensatz, als völlige Disjunktion zu verstehen, die als solche ein Verstandeskonstrukt ist und nicht in der Wirklichkeit begegnet, da zumindest diese ihre Elemente verbindet: »[I]bi quaeritur differentia, ubi est convenientia«. 106 Die völlige Leugnung der rc ist – das liegt wohl auf der Hand – die Option der französischen Phänomenologen und zeigt sich als radikale Dialektik: Die Relate haben in der betrachteten Rücksicht nichts gemeinsam und werden sozusagen zu ›Dialogaten‹, während die rc zu einem ›Dialogos‹ degeneriert, zur Zerschneidung (vgl. das dialogfflzesqai nach der przywaraschen Lesart) bzw. zum Fehlen des Logos der Übereinkunft. Dass diese Position in Vgl. Söhngen, Art. Analogie, 50. Der Terminus ist Met. K3, 1061a11 entlehnt, wo nach dem »gewissen Einen und Gemeinsamen« ( n ti ka½ koinn) gefragt wird, woraufhin die ›Seienden‹-Sage zurückzuführen ist, wobei Aristoteles in diesem Zusammenhang freilich die oben abgelehnte Lösung einer Aussage auf die Substanz als das Eine hin intendiert. 106 STh I q. 90 a. 1 ad 3. 104 105
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sich widersprüchlich ist, weil sie die ›Dialogate‹ mangels deren Beziehung gar nicht mehr vergleichen kann und sich so die eigene Grundlage entzieht, dürfte ebenso klar sein wie ihre Unvereinbarkeit mit einer nüchtern-rezeptiven Wirklichkeitsbetrachtung, an deren Stelle sie die bloße Abstraktion setzt. Die Dialektik tendiert so zur Aufhebung der Relation in das zusammenhanglose Chaos einer reinen Differenz, sie wird der Einheit der Relate nicht gerecht. Komplizierter wird der Zusammenhang bei vorausgesetzter Existenz der rc, scheiden sich bei ihrer Konzipierung doch erneut zwei Wege anhand der Frage nach ihrer eindeutigen, ›klaren und distinkten‹ Definier- und Abgrenzbarkeit. Lässt sich das koinn ti definieren, das die beiden Relate gemeinsam haben, ohne sich darin noch zu unterscheiden, und ist die rc also – zumindest partiell – identisch mit den beiden rationes propriae? Ist sie also – im klassischen Schema der arbor porphyriana – als reine Gemeinsamkeit der Art, Gattung oder Kategorie (als oberster Gattung) zu verstehen, die erst in einem weiteren Schritt durch Hinzufügung äußerer differentiae specificae weiter zu unterscheiden ist? Die Bejahung dieser Frage als zweite Ausgestaltung des Relationsgefüges entspricht der Sichtweise der transzendentalen Letztbegründung und mündet tendenziell in reine Logik: Hier werden die Relate auf eine eindeutig gemeinsame Rücksicht zurückgeführt, unter der sie alles gemeinsam haben, ohne freilich notwendig auf diese beschränkt werden zu müssen. Die rc ist ein fixierbarer ›Logos‹, eine klar definier- oder im Falle der Kategorien wenigstens klar abgrenzbare Rücksicht, unter der die Relate eindeutig übereinkommen und so als ›Logate‹, als – wenigstens unter dieser Rücksicht – undifferenzierte Entitäten fungieren. Unabhängig von der Annahme ihrer möglichen eigenen Existenz (als hypostasierter Logos bzw. getrennte Idee) gewinnt die rc so einen relativen Eigenstand, ein angebbares Proprium und (zumindest der logischen, nicht unbedingt der chronologischen Ordnung der Erkenntnis nach) eine ideelle Priorität gegenüber ihren ›Logaten‹. Die Logik tendiert so – bei aller unleugbaren Notwendigkeit für den Erkenntnisgewinn (s. u.) – zur Nivellierung der Relation in die reine Uniformität, i. e. die Ausschaltung der Differenz. Die dritte Ausgestaltung soll schließlich diejenige der Analogie als Mitte zwischen der dialektischen und der logischen Aufhebung der Differenzeinheit, d. h. also zwischen dem Chaos der reinen Differenz und der Gleichschaltung der reinen Einheit, sein bzw. – mit Heidegger, allerdings zunächst ohne Einschränkung auf Ontologie und A
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Seinsdifferenz – die Betrachtung der »Differenz als Differenz«. 107 Die beschriebene dreigliedrige Relation wird hier unvoreingenommen als solche wahrgenommen, d. h. als echtes Verhältnis wahrhaft Unterschiedener – wenngleich die hiesige formale Ausgestaltung erst vollends durch die materiale Entfaltung im Kap. 8 erhellt. Entgegen der Überschau der Relation durch Dialektik (als Aufhebung) und Logik (Aufspaltung) werden die Relate nun in ihrer Integrität als in Verschiedenheit Übereinkommende betrachtet. Hierbei erscheint die rc bzw. das koinn ti als vorhandenes, aber nicht mehr unabhängig von den Relaten und ihren rationes propriae definierbares oder selbständig existierendes Relationsmoment, weil die Relate in ihm sowohl übereinkommen als auch und zwar in gleichem Maße differieren. Diese strenge Kongruenz von Übereinkunft und Differenz verunmöglicht die Erhebung einer partiellen Identität, also des etwa von Bochen´ski, Pannenberg und zuallererst von Duns Scotus (im Falle der mathematisch verstandenen, syllogismustauglichen Analogie durchaus zu Recht!) eingeforderten ›heilen‹, univoken Kerns bzw. ›identisch gemeinsamen Logos‹ (Pannenberg) der Analogie. 108 Eine solche Aufspaltung in Rücksichten ist hier aber nicht mehr möglich, da graduelle Identität und Differenz, Ähnlichkeit und Unähnlichkeit hinsichtlich ein und derselben Rücksicht bestehen. Diese rc scheint also außerhalb des Schemas der arbor porphyriana zu liegen, weil sie die Relate als ganze umfasst und somit nicht mehr nur durch äußere Hinzufügung anderer Rücksichten differenziert werden kann, also jenseits der Kategorien als ›Gipfel‹ liegt (= extensiv höchste Einheit ist), und gleichzeitig die größtmögliche Differenzierung bereits in sich selbst trägt, also sozusagen diesseits des Individuums als ›Fußpunkt‹ liegt (= intensiv höchste Differenz ist). Die Relate als nunmehrige ›Analogate‹ stimmen in einer nicht mehr in Teilrücksichten aufspaltbaren Weise (und das heißt vollständig, in ihrer gesamten ratio propria) genau darin überein, wodurch sie sich unterscheiden, sie vereinigen sich, indem sie sich gleichzeitig und im selben Maße voneinander abheben. Heidegger, Identität und Differenz, 37. Vgl. oben, Anm. 48. B. D. Marshall schreibt hierzu mit einigem Recht: »Nach Thomas hat ein analoger Begriff ein gemeinsames Element (ratio communis), aber dies ist eine Formel, die eher die analoge Struktur des Begriffes […] angibt als die Bedeutung oder ratio des Begriffes in einer seiner analogen Anwendungen wiedergibt. Die ratio communis ist daher nicht ein ›eindeutiger Kern‹, der allen Analoga gemeinsam ist« (Art. Analogie, 450). 107 108
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Eine derartige Konstellation hebt nun in der Tat die Zweiwertlogik und ihr Grundprinzip der dichotomischen Dihairesis aus den Angeln (der zufolge ja alle Entitäten durchgängig disjunkt bestimmt und abgegrenzt sein müssen), weil die Binarität von Unterscheidung oder Übereinkunft hier durch einen nichtaufspaltbaren Zusammenfall ersetzt ist. Durch den Gedanken der Gleichmäßigkeit von Identität und Differenz, der sich auch als strikte Kongruenz bezeichnen ließe, ist weiterhin die Möglichkeit einer graduellen Aufsteigerung der beiden Komponenten gegeben, die sich dann als direkte Proportionalität zeigen muss. Schließlich dürfte klar sein, dass die rc als nunmehriges ›Analogon‹ kein herausdestillierbares und eindeutig definierbares Proprium mehr aufweist und auch keinen fixierten Eigenstand mehr hat, sondern als dynamisch konstituierter Sinngehalt der Relation ganz und gar und je neu durch die rationes propriae der Analogate bestimmt wird, also weder eindeutig definierbarer, eigenständiger Begriff sein kann noch eine eigene Subsistenz aufweist. Die rc ist solch ein ›Analogon‹, der Zielpunkt der Bewegung ›auf-einenSinngehalt-hin‹ zweier oder mehrerer Analogate. Im Gedanken der Dynamisierung der Analogie gemäß dem ›auf-hin‹ bzw. ›herauf‹ liegt dann die Möglichkeit (!) eines Transzendierungsmoments, also des klassischer Weise mit der Analogie in Verbindung gebrachten, wo nicht gar in unangemessener Einschränkung mit ihr identifizierten excessus bzw. der via eminentiae; 109 allein dürfte aus dem Vorherigen ersichtlich werden, dass es sich hierbei um eine bloße Möglichkeit handelt und – sofern diese konzediert wird – um einen Sonderfall des Analogieverständnisses. 110 Es ergeben sich folgende Arbeitsdefinitionen: Analogie Eine bestimmte Relation als dynamisch-stetige, graduell-proportionale und logisch-inseparable Kongruenz von Übereinkunft und Differenzierung (mind.) zweier integraler Relate hinsichtlich eines gemeinsamen, nichtselbständigen Sinngehalts
109 L. B. Puntel etwa weist wohl zu Recht darauf hin, dass die Analogie im Transzendentalthomismus (und darüber hinaus) in erster Linie als excessus verstanden wird (vgl. Analogie und Geschichtlichkeit, 351 f. u. a.), Ph. Secretan integriert den Überstiegs-Gedanken als »transgression« neben der »proportionalité« und der »ressemblance« in seine dreigliedrige Analogiedefinition (vgl. Secretan, L’analogie, 121). 110 Vgl. hierzu auch unten, Kap. 8.1.2, v. a. Anm. 43.
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Analogon Nichtselbständiger Sinngehalt dieser Relation als dynamisch-stetiger, graduell-proportionaler und logisch-inseparabler Kongruenz von Übereinkunft und Differenzierung zweier integraler Relate Analogat Integraler Teilnehmer und (!) Teilhaber einer Relation als dynamisch-stetiger, graduell-proportionaler und logisch-inseparabler Kongruenz von Übereinkunft und Differenzierung hinsichtlich eines gemeinsamen, nichtselbständigen Sinngehalts
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8. Triplex Analogia »[D]esmn gÞr ¥n mffs†w de… tina ⁄mfo…n sunagwgn gfflgnesqai. Desm n dþ k€llisto@ ˚@ n a¢tn ka½ tÞ sundoÐmena ˆti m€lista ˙n poi–», to‰to dþ pfffuken ⁄nalogffla k€llista ⁄potele…n«. 1 (Platon)
Der Titel dieses Kapitels zeugt bereits von dessen zentraler Bedeutung für die gesamte vorliegende Studie. Es soll im Folgenden – im kritischen Dialog mit den Philosophien der beiden beschriebenen Paradigmen und unter Einbeziehung weiterer Denker – auf Basis des soeben entwickelten, kritischen Analogiebegriffs eine Grundlegung christlicher Religionsphilosophie vorgenommen werden. Als Grundlegung und Fundament gehören solche Überlegungen bereits zum Gesamtgebäude, ohne dieses freilich ersetzen oder in seiner individuellen Ausgestaltung zu determinieren. Demgemäß sind die Ausführungen nicht als eigenständige Religionsphilosophie zu lesen, sondern als deren bloßer Anhub. Diesem eingrenzenden Aspekt tritt freilich der hiermit zur Diskussion gestellte Vorschlag gegenüber, mit den folgenden Überlegungen (nicht unbedingt aber mit der dabei verwendeten Terminologie!) 2 womöglich etwas Universales auszudrücken, nämlich eine kriterielle Beschreibung des wenigstens impliziten Ausgangspunkts jeder christlichen Religionsphilosophie. Es wird also ein Basisprinzip gesucht, hinsichtlich dessen alle zu dieser Gattung gehörenden Arten von Philosophie kraft ihrer Gattungszugehörigkeit in zumindest virtuellem Konsens übereinkommen können müssten. Es zeigt sich also eine doppelte Aufgabe des zu eruierenden Prinzips: Einerseits wird der folgende Argumentationsgang den durch Glauben bzw. Theologie vorgegebenen Bezugsrahmen genüPlaton, Timaios, 31c (s. Kap. 7, Anm. 62). In der Übersetzung von Müller/Schleiermacher: »[D]enn ein bestimmtes Band in der Mitte muß die Verbindung zwischen beiden [sc. Feuer und Erde als Bestandteilen des Alls; M. L.] schaffen. Das schönste aller Bänder ist aber das, welches sich selbst und das Verbundene, soweit möglich, zu einem macht. Das aber vermag ihrer Natur nach am besten die Proportion [⁄nalogffla] zu bewirken«. 2 Ganz ähnlich beschreibt v. Balthasar etwa die Angewiesenheit der Theologie auf die analogia entis: »In dieser historischen Situation […] müßte nochmals über den Sinn der Analogia Entis gesprochen werden. Die grundsätzliche Offenheit christlicher Verkündigung für die Sache (nicht das Wort!) gehört unabdingbar zu dem, was im katholischen Sinn christlichen (und theologischen) Universalismus ausmacht« (Balthasar, Verbum Caro, 271). 1
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gen und sie als innere Richtschnur integrieren müssen, um so die ›Christlichkeit‹ der Philosophien zu gewährleisten, andererseits wird er aber auch einen philosophischen Konsens erreichen und deswegen auf materiale Prämissen aus dem Bereich des Glaubens verzichten und sich maßgeblich auf den ›gesunden Menschenverstand‹ bzw. die bloße Vernunft stützen müssen. Insofern implizieren die folgenden Überlegungen gleichzeitig einen weiteren Ausgriff, nämlich die Grundlegung einer allgemeinen Metaphysik im Analogiedenken, welches hier in Anlehnung an Przywara als ›Strukturprinzip kreatürlicher Metaphysik‹ profiliert werden soll. Es wird sich also zeigen, dass das oben formal konzipierte und nun anzuwendende Analogiekonzept trotz seiner formalen Strenge und Nüchternheit keineswegs die Frage nach dem Ganzen verunmöglicht. Die Beschäftigung mit dem ›Sein im Ganzen und Höchsten‹ als Leitfrage der philosophia perennis hat hier freilich eine entscheidende Vorbedingung bzw. Grundvoraussetzung: Dass erstens alles Wirkliche in sich einen Sinn hat und zueinander in sinnhafter Beziehung steht – dass also allem, was ist (ens), eine Signifikation eignet, welche die Bezogenheit auf alles andere Seiende inkludiert –, so dass zweitens die Wirklichkeit als Gesamtsinnzusammenhang erscheint. Diese Voraussetzung basiert auf einem zunächst undifferenzierten Begriff von ›Sinn‹ als ›intrinsischer Bedeutung‹ und existentieller »Sprache, d. h. Sichdarstellen« 3 einer wirklichen Entität. Jener Sinnbegriff dürfte philosophisch sicherlich als bestreitbar, christlicher Religionsphilosophie aber nicht allein als unproblematisch, sondern sogar als zwingendes Glaubensimplikat erscheinen (vgl. Kap. 1.2). Edith Stein etwa bezeichnet den angeführten Zusammenhang als die »transzendentale[] Wahrheit« der »Zuordnung von Geist und Seiendem«, dass nämlich »alles Seiende einen Sinn habe oder – scholastisch ausgedrückt – ein intelligibile sei«. 4 Hier liegt eine deutliche Nähe zu Heideggers Lesart des parmenideischen Lehrsatzes, 5 der das Denken und Sein verbindende ›Selbe‹ (a't) nicht im Sinne strikter Identität – und somit rein idealistisch – deutet, sondern als ›ZusammengehöVgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, 490: »Gehen wir von der ontologischen Grundverfassung aus, wonach Sein Sprache, d. h. Sichdarstellen ist«. 4 Stein, Endliches und ewiges Sein, 276 (i. O. teils kursiv). 5 Vgl. das Parmenides-Fragment n. 3: »t gÞr a't noe…n ¥stffln te ka½ enai« (Diels, Die Fragmente der Vorsokratiker, I, 231). 3
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rigkeit‹ und wechselseitige ›Übereignung im Seinsereignis‹. 6 Im Seienden offenbare sich so anfänglich die Wahrheit, ent-berge (vgl. das griechische ⁄-lhqe…n) sich das nichtsubsistente Sein. 7 Ungeachtet der näheren Fassung dessen, was hierbei unter ›Sein‹ zu verstehen ist (das Seinsverständnis dieser Arbeit bleibt ja noch zu entwickeln), zeigt sich im heideggerschen Gedanken doch zu Recht eine Sinnübereinkunft aller Seienden, die auch als ganze betrachtet werden kann. Edith Stein etwa beschreibt sie als ein Gesamtsinngefüge: »Es gehört zum Seienden als Ganzem, daß es ein geordnetes Ganzes ist: daß jedes Seiende darin seinen Platz und seine geregelten Beziehungen zu allem anderen hat; die Ordnung ist ein Teil des (so verstandenen) Seienden, und das Offenbarsein oder die Zuordnung zum Geist, die uns mit der transzendentalen Wahrheit gleichbedeutend ist, ist ein Teil dieser Ordnung«. 8 Mit dieser spezifischen Lesart des parmenideischen Lehrsatzes von der Logoshaftigkeit und der universalen Sinnbezogenheit alles Seienden bzw. der Gleichursprünglichkeit von Sinn und Sein ist freilich noch keine Aussage über die Verfügbarkeit jenes universalen Sinnzusammenhangs für das Denken des Menschen gemacht. Es dürfte aber deutlich geworden sein, dass in Gestalt dieser universalen Logoshaftigkeit der Wirklichkeit ein anderer Name für die ›Vernunft‹ gewonnen ist, die ja ebenfalls – gemäß den Ausführungen im einleitenden ersten Kapitel – sowohl in strikter Unität gedacht werden muss als auch allein einer Pluralität von Rationalitäten zugänglich ist. Das soeben entfaltete Grundaxiom der recht verstandenen Logos- bzw. Vernunfthaftigkeit alles Wirklichen (und somit auch der Einheit der Vernunft) ist nun aber nicht allein Leitaxiom der christlichen Religionsphilosophie, sondern kann durchaus als conditio sine qua non konsistenter (d. h. sich nicht im performativen Selbstwiderspruch verirrender) Philosophie überhaupt angesehen werden, lassen sich radikale Skepsis und ein rein konstruktivistischer Nominalismus doch als philosophische Grundoptionen in ihrer Stringenz durch das Retorsionsargument in Frage stellen. Die genannte Grundvoraussetzung wird im Folgenden nicht Vgl. etwa Heidegger, Einführung in die Metaphysik, 143–147; ders., Identität und Differenz, 14. 7 Vgl. Heidegger, Wegmarken, 301. Zur allerdings kontroversen Frage nach der Nichtsubsistenz des Seins bei Heidegger vgl. etwa die berühmte Abweichung der 4. Auflage von Nachwort zu »Was ist Metaphysik?«, dass das Sein »wohl west ohne das Seiende« gegenüber dem »nie« der übrigen Auflagen (vgl. ebd., 306). 8 Stein, Endliches und ewiges Sein, 276 f. 6
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nur anzuwenden, sondern auch (v. a. im Rahmen der analogia entis, vgl. Kap. 8.1) zu vertiefen sein. Aufgrund der Betonung des Gedankens der universalen Bezogenheit des Wirklichen hat die genannte Voraussetzung weiterhin zur Folge, dass die Relation oder Relationalität, d. h. die allgemeine Beziehungshaftigkeit, – entgegen ihrer partikularisierenden klassischen Situierung als akzidenteller Kategorie (Aristoteles) oder als eine der kategorieklassifizierenden Urteilsfunktionen des Verstandes (Kant) – vielmehr als Transzendentale, also (mit Thomas) als modus generalis consequens omne ens zu betrachten ist: Omne ens est relatum. So schreibt Weissmahr: »Relation bedeutet nämlich die Identität aufgrund des gemeinsamen Seins solcher Seienden, die aufgrund ihrer je eigenen Seinsweise voneinander verschieden sind […]. Seiendes ist als solches bezogen, weil das Sein das ist, worin alles übereinkommt. Die Relation ist also eine transzendentale Vollkommenheit«. 9 An anderer Stelle deutet er diesen universalen Aspekt des Seienden – im Rahmen der klassischen Transzendentalien – als eine Entfaltung des unum im Sinne eines unum secum et cum aliis. 10 Die positive Sicht der relationalen Vielfalt und damit auch der Individualität als eines Werts in sich kann dabei durchaus als materialer Beitrag des christlichen Glaubens zur (nicht nur abendländischen!) Philosophiegeschichte betrachtet werden. 11 Das Sinngesamt der Wirklichkeit soll nun gerade von seiner Beziehungshaftigkeit oder Relationalität her fokussiert, der Bezug – oder negativ gesprochen: die Differenz – sollen als solche betrachtet werden. Methodisch wird dies im Rahmen einer nüchternen und skizzenartigen ›Faktizitäts-Relationologie‹ oder auch ›FaktizitätsPhänomenologie‹ unternommen. Dieses abwägend-zurückhaltende Verfahren soll etwa an die ausgewogene Erkenntnistheorie Thomas von Aquins anknüpfen oder auch an Paul Ricœurs Konzept einer »zweiten Naivität« bzw. »Unmittelbarkeit«, 12 die der reduktionistiWeissmahr, Ontologie, 134 f. (i. O. teils kursiv). In diesem Transzendentale ist freilich in gewissem Sinne auch die von G. Ventimiglia ausgemachte transzendentale Bestimmung eines ›diversum‹ virtuell inkludiert, vgl. Ventimiglia, Differenza e contraddizione. 10 Vgl. ebd., 169. 11 Vgl. etwa Heinzmann, Thomas von Aquin, 65–69; RPhS 182; Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, 76–84. 12 Vgl. Ricœur, La Symbolique du Mal, 326: »Ainsi le temps de la restauration n’est pas un autre temps que celui de la critique; nous qui sommes de toute manière les enfants de 9
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schen Kritik der Transzendentalphilosophie eine restaurative Kritik substituiert und – wie schon Thomas – ›Sinn-Gebung‹ als Zusammenspiel von Erkenntnissubjekt und -objekt betrachtet, gemäß Ricœurs bekanntem Leitsatz »Das Symbol [d. h. hier die subjektexterne Wirklichkeit; M. L.] gibt, aber was es gibt, das ist zu denken, Zu-Denkendes«. 13 Ebenfalls nahe stehend ist der balthasarsche Gedanke der Bevorzugung der ignatianischen indifferencia im Rahmen der Wirklichkeitswahrnehmung vor jeder existenzeinklammernden ¥pocffi. 14 Die enge Verzahnung und der intrinsische Zusammenhang der folgenden Abschnitte hat allerdings zur Folge, dass die Methode sich erst im Laufe der Untersuchung konkretisiert und namentlich Ergebnisse der analogia veritatis (vgl. Kap. 8.2) voraussetzt. Im Rahmen dieses Verfahrens soll der obige strenge Analogiegedanke als hermeneutischer Schlüssel der ›Relationologie‹ der Wirklichkeit fungieren: Wenn es transzendentale Bestimmungen des in universaler Relation stehenden Seienden gibt, so können sie nur als Analoga existieren, als Sinngehalte, welche die Seienden in gleichem Maße vereinen und unterscheiden und sich dabei dynamisch aus ihnen konstituieren. So wird die genannte universale und sinngeleitete Bezogenheit des Seienden durch die transzendentalen Bestimmungen bzw. Analoga in einer dreifachen Perspektive zu beleuchten sein, nämlich hinsichtlich des Seins als umfassendem Rahmen sowie hinsichtlich der Wahrheit (bzw. Erkenntnis) und der Freiheit. Das Transzendentalien-Paar ens und relatum wird sich also um das (neu formulierte) klassische verum erweitern sowie um ein liberum als neues Transzendentale, so dass sich bei Anwendung des Analogiebegriffs eine Unterteilung des Folgenden in die analogia entis, die analogia veritatis und die analogia libertatis ergibt. Es wird sich dabei zeigen, dass aufgrund der Transzendentalienkonvertibilität aber auch von drei Seiten einer Analogie die Rede sein kann, eben von einer triplex analogia der genannten Transzendenta-
la critique, nous cherchons à dépasser la critique par la critique, par une critique non plus réductrice, mais restauratrice […]. Est-ce à dire que nous pourrions revenir à la première naïveté? non point. De toute manière quelque chose est perdu, irrémédiablement perdu: l’immédiateté de la croyance. Mais si nous ne pouvons plus vivre, selon la croyance originaire, les grandes symboliques du sacré, nous pouvons, nous modernes, dans et par la critique, tendre vers une seconde naïveté«. 13 Ebd., 324: »[L]e symbole donne; mais ce qu’il donne, c’est à penser, de quoi penser«. 14 Vgl. Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe, 7. A
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lien. 15 Die Aufspaltung der Betrachtung in die genannten drei Seiten der Analogie mag willkürlich erscheinen, erstens weil die Betrachtung des ens als umfassender Perspektive eigentlich die beiden folgenden impliziert, und zweitens weil hier eine Perspektivenselektion stattfindet, bei der andere universale Aspekte des Seienden (vgl. die hier ausgesparten Transzendentalien res, bonum und pulchrum) ausgeblendet werden. Zum ersten Einwand sei angemerkt, dass eine bloße Ontologie ohne explizite erkenntnistheoretische Rückversicherung unkritisch und ohne nachdrückliche Integration des Gedankens der Freiheit sachontologisch-materialistisch verbleibt. Zum zweiten Einwand ist anzumerken, dass das Transzendentale res – ungeachtet möglicher schwächerer Lesarten – zunächst schon terminologisch als Relikt einer bloßen, von Pröpper und Verweyen ja zu Recht diskreditierten Sachontologie erscheint, die den – im Anschluss zu entfaltenden – dynamisch-personalen Charakter der Wirklichkeit missachtet. Die ästhetischen bzw. moralischen Transzendentalien bonum und pulchrum hingegen implizieren eine Wertung der Wirklichkeit, die auf Basis der obigen Grundvoraussetzung noch nicht unmittelbar evident wird, sondern weiterer materialer Prämissen bedarf. Sie erschließen sich etwa einer explizit theologisch geleiteten Metaphysik wie bei Siewerth und v. Balthasar, in der auch die Betrachtung der übrigen Transzendentalien ihren Endlichkeit und Unendlichkeit umfassenden Abschluss findet. 16 Weiterhin wird die genannte Dreierperspektive (ens als ens/relatum, als verum und als liberum) aus der systematischen Anlage der vorliegenden Arbeit und der Dreiteilung der Untersuchungshorizonte in den ersten beiden Teilen verständlich: Was christliche Religionsphilosophie ist, worauf sie gründet und was sie bleibend kriteriell bestimmt, lässt sich – so ein zentrales Zum Gedanken der Analogizität aller Transzendentalien vgl. etwa KB 393: »Sie [sc. die Anerkennung der Begrenztheit menschlicher Denkmodelle und Systeme etwa bei Maréchal und Przywara; M. L.] ist in Wahrheit nichts anderes als das Ernstnehmen der analogia entis selbst, nämlich der darin eingeschlossenen analogia veritatis (sowie der übrigen Transzendentalien)«. Vgl. auch Söhngen, Die Weisheit der Theologie durch den Weg der Wissenschaft, 931: »[I]st doch die analogia entis […] als Analogie des Seinsnamens oder der Seinsnamen (unum, verum, bonum, pulchrum) wiederzugeben«. 16 Vgl. Balthasar, Epilog, 59: »Man erkennt hier endgültig, daß die ganze unverkürzte Metaphysik der Transzendentalien des Seins nur entfaltbar ist unter dem theologischen Licht der Weltschöpfung im Wort Gottes, der sich zuletzt in göttlicher Freiheit als sinnlich-geistiger Mensch ausspricht, ohne daß die Metaphysik selber zu Theologie zu werden bräuchte«. Vgl. hierzu auch Bieler, Freiheit als Gabe, 457; Greisch, Eine phänomenologische Wende der Theologie?, 377. 15
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Ergebnis der ersten beiden Teile dieser Arbeit – nicht ohne Integration der genannten drei Perspektiven aufzeigen. Die Transzendentalienkonvertibilität bei gleichzeitiger relativer Priorität des ens hat zur Folge, dass die folgenden drei Unterkapitel als Einheit zu lesen sind und ineinander übergreifen. Die drei Abschnitte unterteilen sich dabei nochmals in eine (nicht zuletzt an die beiden beschriebenen Paradigmen anknüpfende) Hinführung, die eigentliche philosophische Herleitung und Formulierung der jeweiligen Teildimension der Analogie sowie eine kurze theologische Annotation, die den Bogen zu den theologischen Bezugsrahmen christlicher Religionsphilosophie aus der Einleitung (vgl. 1.1.2) zurück schlagen wird. In diesem Zusammenhang werden sich auch Ansätze zur Lösung der theologischen Problemüberhänge der vier behandelten religionsphilosophischen Modelle zeigen.
8.1 Analogia entis: Die Wirklichkeit als Relationsgefüge gemäß dem ens/relatum »Omnia enim quae sunt, inveniuntur esse ordinata ad invicem, dum quaedam quibusdam deserviunt. Quae autem diversa sunt, in unum ordinem non convenirent, nisi ab aliquo uno ordinarentur«. 17 (Thomas von Aquin)
Die Lehre von der analogia entis im Singular gibt es nicht, lassen sich doch eine ganze Fülle unterschiedlicher philosophischer Konzeptionen von der Antike bis zur Gegenwart mit ihr identifizieren. Diese doktrinelle Heterogenität bedingt gleichzeitig die jedem Konsens abholde Diversität ihrer Definitionen, während ihr Begriff als solcher wohl erst durch Cajetan in die Geistesgeschichte eingeführt worden ist. Aus diesen einleitenden Bemerkungen dürfte bereits ersichtlich geworden sein, dass die folgende Entfaltung der Seiendenanalogie auf Basis des erneuerten und präzisierten Analogiebegriffs keinerlei Anspruch darauf erhebt noch erheben kann, eine Synthese der verworrenen Geschichte des Konzepts zu leisten; es ist also keine Synthese angestrebt, sondern eine selektierende Reformulierung und Aktualisierung eines ansonsten im Chaos der eigenen Geschichte zu versinken drohenden Konzepts.
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8.1.1 Hinführung Es ist – schon äußerlich an der Anlage der ersten beiden Teile der vorliegenden Arbeit – ersichtlich geworden, dass keines der beiden beschriebenen religionsphilosophischen Paradigmen ohne eine grundlegende Positionierung hinsichtlich des Gesamts der Wirklichkeit, also ohne wenigstens implizite ontologische Voraussetzungen auskommt: Die phänomenologischen Ansätze vertreten ja ausdrücklich einen seitens der Weltwirklichkeit an das erkennende Subjekt gerichteten Logos, während die transzendentalen Ansätze in Gestalt ihrer teils subkutanen und oben als viergliedriges ›Strukturgesetz‹ transzendentaler Letztbegründung beschriebenen Prämissen die Logoshaftigkeit der Gesamtwirklichkeit nicht allein methodisch voraussetzen, sondern transzendentalanalytisch zu erheben beanspruchen und transzendentaldeduktiv fruchtbar machen. Im Letzten lässt sich eine solche im weiten Sinne ontologische Positionierung wohl – und sei es negativ noch in der skeptizistischsten Leugnung der Vernunfthaftigkeit des Ganzen, die retorsiv des performatorischen Selbstwiderspruchs überführbar bleibt – in jeder Philosophie nachweisen, was mit Ludger Honnefelders Beobachtung koinzidiert, dass Metaphysik nicht ohne Inanspruchnahme ihrer selbst bekämpft werden kann. 18 Die Metaphysik, also die Frage nach dem Ganzen, ist als solche nicht zu vermeiden, auch wenn sie noch so sehr gemieden und geschmäht werden mag. A fortiori legt sich die Frage nach dem Ganzen aber der christlichen Philosophie nahe, ist diese doch kraft Offenbarung über den ›guten‹ und (im Sinne des Dualismusausschlusses) ›monoprinzipiellen‹ Schöpfungscharakter der Wirklichkeit informiert und zu seinem philosophischen Nachvollzug aufgerufen. Mit aller vernunftoptimistischen Philosophie teilt sie dabei die – oben als Grundvoraussetzung beschriebene und nur apagogisch zu verteidigende, ansonsten aber auf einer individuellen Entscheidung beruhende (s. u.) – Annahme der Vernunfthaftigkeit alles Wirklichen, also eines jeweiligen Eigensinns und universalen Sinnzusammenhangs all dessen, was ist. Es ist also eine »Sprache, die die Dinge führen« (Gadamer), 19 vorauszusetzen bzw. die oben beschriebene, reziproke Übereignung von Denken und Sein (Heidegger). Honnefelder, Die Bedeutung der Metaphysik für Glauben und Wissen, 55; ders., Möglichkeit und Formen der Metaphysik, 56; vgl. auch oben, Kap. 1, Anm. 78. 19 Gadamer, Wahrheit und Methode, 480. 18
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Ein transzendentaler Ansatz nun versucht diesen Gesamtsinnzusammenhang sozusagen auf dem Umweg über einen (freilich herausragenden) Teil zu erreichen, nämlich über die Analyse des menschlichen Subjekts, das sowohl selbst im Sinnzusammenhang der Wirklichkeit steht als auch virtuell aus ihm herausragt, insofern der Sinn im Subjekt überhaupt erst bewusst und thematisch wird. Allerdings erscheint diese Vorgehensweise – ungeachtet ihrer augenscheinlichen systematischen Ergiebigkeit – dem unvoreingenommenen Blick als künstlich und steril, präpariert sie doch das Subjekt aus seiner konkreten (raumzeitlichen, geschichtlichen, leibseelischen etc.) Situiert- und Bedingtheit heraus, um es als solches Abstraktum (›transzendentales Ich‹) dann kontraintuitiv zum Maßstab seines eigenen Bedingungsumfelds zu machen. Die Problematik dieses Verfahrens, der Ermächtigungsanspruch seitens des Subjekts und die damit gegebene Gefahr eines Verfehlens des Sinns der subjektexternen Wirklichkeit ist Gegenstand der berechtigten Kritik der Phänomenologie. Freilich ist mit der hiesigen Affirmation der Problematik keineswegs behauptet, wie etwa Puntel insinuiert, dass die ausgeklammerte Weltwirklichkeit als solche auf transzendentalphilosophischem Wege niemals mehr zu erreichen sei. 20 20 So lautet sein zentraler Vorwurf an die seiner Ansicht nach naive Kantrezeption im ›Transzendentalthomismus‹ ; vgl. Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit, 351: »Daß mit einer solchen Methode [sc. dem transzendentalen Ansatz; M. L.] bzw. Grundlegung die ›Sache‹ selbst sich wandelt, wird kaum beachtet […]. Das heißt: der Sinn von ›Sein‹, ›Wirklichkeit‹ […] usw. ist nicht mehr schlechthin derselbe wie in der klassischen Metaphysik«, wie Kant im Gegensatz zu seinen thomistischen Anhängern durchaus bewusst gewesen sei. Der Königsberger Philosoph habe offen die Zirkularität der transzendentalen Wirklichkeitssetzung eingestanden, während der Transzendentalthomismus fälschlicherweise glaube, sie zum wirklichen Sein (als Gegenstand der klassischen Metaphysik) hin übersteigen zu können: »Die transzendentalen Thomisten […] setzen eine Seinsordnung voraus, die an sich bestehen soll. Der Weg, um diese an sich seiende Ordnung aufzuweisen, ist der transzendentale: auf Grund der Setzung (Affirmation) soll diese an sich seiende Ordnung als die höchste Bedingung der Möglichkeit des Erkenntnisvollzugs erschlossen werden […]. Allein man merkt nicht, von woher sich in beiden Fällen der Sinn von ›Sein‹ bestimmte« (ebd., 360). Das grundlegende Problem dabei sei, dass das setzende Subjekt selbst nicht mehr in seinem apriorischen Gesetztsein betrachtet, bzw. »der Bezug von Seiendem [hier dem Subjekt; M. L.] und Sein […] in seinem Wesen (verbal) nicht gedacht« werde (ebd., 361; vgl. auch ebd., 363 f.). Dieser Vorwurf einer grundsätzlichen Unvereinbarkeit der transzendentalthomistischen bzw. transzendentaler Ansätze allgemein mit einer realistischen Ontologie ist v. a. hinsichtlich Coreths und Rahners überzogen, allein ist das hier aufgezeigte Problem einer gewissen Umwegigkeit und Künstlichkeit der Argumentation gleichfalls nicht zu leugnen. Allerdings muss auch festgehalten werden, dass sich alle Vertreter der Schule durchaus
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In der vorliegenden Arbeit soll aber im Sinne der von Ricœur eingeforderten, nachaufklärerischen ›zweiten Naivität‹ ein nüchterner, von den genannten Hypotheken der transzendentalen (›reduktionistischen‹) Kritik unbelasteter Blick auf das Gesamt geworfen werden. Dabei darf es freilich nicht zu dem umgekehrten Phänomen eines von der Gesamtwirklichkeit her apriorisch illuminierten Denkens kommen, wie es sich tendenziell im phänomenologischen Ermächtigungsdenken zeigt: Die Wirklichkeit gibt, aber eben zu denken. Das menschliche Subjekt in seiner Situiert- und Bedingtheit wahrzunehmen, heißt eben auch – und dies ist ja das berechtigte Anliegen der Transzendentalphilosophie – die Beschränktheit und perspektivische Partikularität seines Erkenntnis- und Denkstandorts mit zu berücksichtigen. So bewegt sich der folgende Versuch einer Grundlegung bzw. Ausgangspunktserhebung christlicher Religionsphilosophie in einer relationstheoretischen Betrachtung der Gesamtwirklichkeit zwischen der Scylla eines möglichen transzendentalphilosophischen Überschwangs der Erschöpfung des Wirklichen in den Vernunftkategorien des Subjekts und der Charybdis eines möglichen phänomenologischen Überschwangs der unkritischen Überaffirmation des Wirklichen unter impliziter Beanspruchung eines God’s eyes view: also erneut in der ›Mitte‹ als genuinem ›Ort‹ der Analogie. Unter ›Umschiffung‹ der beiden angeführten Fährnisse gilt es daher unvoreingenommen auf die relationale Wirklichkeit und damit auf ›das, was ist‹, resp. ›das Seiende‹ zu schauen und das menschliche Subjekt vor der Besinnung auf sein Erkenntnisvermögen und seine Freiheit zunächst als Teil des Ganzen, d. h. an seinem spezifischen Ort in der Wirklichkeit zu betrachten. Mit den Worten Paul Ricœurs, die hier freilich noch ganz von der im Spätwerk zugunsten einer erneuerten Erstphilosophie überschrittenen Symbolhermeneutik geprägt sind, 21 könnte dies so formuliert werden: »Es ist also letztlich wie ein Index der Situation des Menschen mitten im Sein, in dem er sich bewegt, lebt und will, dass das Symbol zu uns spricht. Daher bestünde die Aufgabe des symbolgeleiteten Philosophen darin, die dieser – bereits von É. Gilson vorgetragenen – Problematik bewusst waren, so etwa schon der ›Gründer‹ J. Maréchal (vgl. Muck, Die transzendentale Methode in der scholastischen Philosophie der Gegenwart, 130). 21 Vgl. hierzu SMA 347; zur späten ricœurschen Öffnung für metaphysische und ontologische Fragen vgl. auch Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 288–290.
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verzauberte Mauer des Selbstbewusstseins einzureißen, das Privileg der Reflexion zu brechen. Das Symbol gibt zu denken, dass das Cogito im Inneren des Seins ist und nicht umgekehrt; die zweite Naivität wäre so eine zweite kopernikanische Revolution: Das Sein, das sich im Cogito selbst setzt, muss noch erkennen, dass der Akt selbst, durch den es sich aus der Totalität herausreißt, nicht aufhört, am Sein zu partizipieren, das ihn in jedem Symbol anherrscht«.22 Diese ›Partizipation am Sein‹ näher zu erläutern bzw. ein Verständnis dessen zu gewinnen, was ›Sein‹ und was ›Seiendes‹ überhaupt ist, soll nun anhand einer Reformulierung des Gedankens der analogia entis, der Analogie der Seienden hinsichtlich des Seins unternommen werden. 8.1.2 Philosophische Herleitung und Formulierung Als Ausgangsprämisse der vorzunehmenden Grundlegung christlicher Religionsphilosophie wurde oben die Sinnhaftigkeit alles Seienden, und seine universal-reziproke, sinnhafte Verwiesenheit genannt. Diese Prämisse ist mit Thomas als Inhalt menschlicher Ausgangserfahrung zu betrachten: Der Mensch erfährt sich immer schon – oder anders formuliert: findet sich vor – als Teil der Wirklichkeit, die ihm als zunächst undifferenzierter, das eigene Selbst umfassend affizierender Zusammenhang erscheint. Wenn Thomas deklariert, dass das Seiende das Ersterkannte und Bekannteste für den Intellekt sei, 23 so denkt er keineswegs wie – der dabei freilich zitierte 22 Ricœur, La Symbolique du Mal, 331: »C’est donc finalement comme index de la situation de l’homme au coeur de l’être dans lequel il se meut, existe et veut, que le symbole nous parle. Dès lors la tâche du philosophe guidé par le symbole serait de rompre l’enceinte enchantée de la conscience de soi, de briser le privilège de la réflexion. Le symbole donne à penser que le Cogito est à l’intérieur de l’être et non l’inverse; la seconde naïveté serait ainsi une seconde révolution copernicienne: l’être qui se pose luimême dans le Cogito doit encore découvrir que l’acte même par lequel il s’arrache à la totalité ne cesse de participer à l’être qui l’interpelle en chaque symbole«. 23 Vgl. v.a Thomas von Aquin, De veritate, q. 1 a. 1 c: »Illud autem quod primo intellectus concipit quasi notissimum, et in quod conceptiones omnes resolvit est ens, ut Avicenna dicit in principio suae Metaphysicae«. Das hier betonte aktive Moment der ›Konzeption‹ ersetzt Thomas freilich zusehends durch eine passive Affektion durch das ›Seiende‹, das »in den Intellekt falle« (cadit in intellectu: STh I q. 11 a. 2 ad 4; I–II, q. 55 a. 4 ad 1) bzw. in dessen »apprehensio« (De veritate, q. 21 a. 4 ad 4; STh I q. 12 a. 1 arg. 3; Sent. lib. 1 d. 24 q. 1 a. 3 ad 2), »conceptio« (STh I q. 5 a. 2 c; De veritate, q. 21 a. 1 c; In libros metaphysicorum, lib. 4 lect. 6 n. 10) oder »imaginatio« (Sent. lib. 1 d. 8
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– Avicenna an das begrifflich-konzeptuelle Konstrukt ›Seiendes‹, sondern an das faktische ›Seiende‹ des Aristoteles. Hier liegt das Herz der thomanischen Ontologie, welche die Wirklichkeit als solche thematisiert und das Sein nicht als Begriff oder Konstrukt des menschlichen Verstandes betrachtet, sondern im faktisch Seienden als dessen actualitas bzw. universalen actus essendi. Die ursprüngliche Seinserfahrung des Menschen ist ihm zufolge daher auch nicht Begriff (conceptus), sondern conceptio, also sozusagen ein primordiales Beoder Ergriffensein durch die Wirklichkeit, die eben »in den Intellekt fällt« (cadit in intellectum). 24 Diese ursprüngliche Erfahrung einer primordialen Affektion durch die Wirklichkeit entspricht der Entwicklung des Menschen (und seines Bewusstseins, s. u.), die vornehmlich ein passiver Vorgang ist, ob man diesen nun positiv als zweitursächlich vermittelten Schöpfungsakt und Seinsgabe oder aber negativ als Geworfenheit interpretieren möchte. Selbst die Vertreter des transzendentalphilosophischen Letztbegründungsparadigmas bestreiten diesen Sachverhalt nicht, wenngleich er als ›bloß‹ transzendentalgenetische Vorbedingung der eigentlichen Menschwerdung betrachtet wird, die sich dann ihrerseits erst in einer ›transzendentalen Tat‹ des Selbstentschlusses vollzöge. 25 Klaus Müller und Saskia Wendel etwa sprechen – wie auch Verweyen (vgl. oben, 6.3.3) – hinsichtlich dieses Vorstadiums selbstbewusster Subjektivität von einer ›vorreflexiven Vertrautheit‹ des potentiellen Subjekts mit sich selbst, und können sich dabei auf vielfältige Ansätze in philosophischer Tradition wie Gegenwart beruq. 1 a. 3 c). Diese passive Sichtweise entspricht auch dem Originaltext des Avicenna, der dabei allerdings an einen ausgestalteten Seins-Begriff denkt, vgl. Avicenna, Liber de philosophia prima sive scientia divina, I, 5 (31): »[Q]uod res et ens et necesse talia sunt quod statim imprimuntur in anima mea impressione«. Vgl. zum Ganzen sowie zu der Rezeption dieses Axioms bei Hegel und Heidegger Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, 98. Rahner übernimmt die hegelsche Differenzierung, dass das ›Sein‹ (im Gegensatz zum immer schon erkannten ›Seienden‹) zwar apriorisch bekannt, aber nicht erkannt sei, vgl. HDW 54. 24 Thomas’ Gedanken einer primordialen conceptio des Seins gegenüber einem ausgebildeten conceptus entfalten etwa Bieler, Freiheit als Gabe, 233 (mit Verweis auf F. Ulrich); G. L. Müller, Katholische Dogmatik, 29; Siewerth, Das Schicksal der Metaphysik, 96; Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, 105; M. Schulz, Sein und Trinität, 835. 25 Dieser Gedanke wirft freilich gleichzeitig massive Folgeprobleme hinsichtlich der Beurteilung jeglicher Form defizient oder gänzlich un-bewussten menschlichen Lebens auf.
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fen. 26 Auch wenn diese Konzeptionen hier leider nicht ausführlich referiert werden können, sei ihnen gegenüber doch die Frage erlaubt, warum die postulierte Vertrautheit nicht auch explizit das stets mitgedachte Andere gegenüber dem Ich integrieren soll: Wäre es nicht plausibler, wenn schon von einer vorbewussten Vertrautheit – die sich ja als solche ohnehin dem bewussten aposteriorischen Verstandeszugriff entzieht – auszugehen ist, hier von der genannten undifferenzierten Erfahrung der Wirklichkeit als ganzer zu sprechen? Eine Erfahrung, die eine vorbewusste Vertrautheit mit sich selbst nicht mehr isoliert, sondern das Ich als Teil und Gegenüber zur Wirklichkeit wahrnimmt, und mit Rahner – bei strenger Gleichgewichtung beider Pole – »Bei-sich-sein als Bei-einem-andern-Sein« genannt werden könnte. 27 Sofern ausgewogen verstanden muss diese rahnersche Konzeption keineswegs mit Kl. Müller – allerdings nur mit Bezugnahme auf Ringleben, Simons und W. Schulz – als »rhetorische[] Verschleierung ihrer Ratlosigkeit« abgetan werden, 28 sondern kann im Gegenteil als offenes Eingeständnis einer theoretisch irreduziblen menschlichen Erfahrung angesehen werden. Der Gedanke eines sol-
26 Kl. Müller führt den Gedanken zurück auf »[e]inigermaßen umfängliche Diskussionen in der jüngeren analytischen Philosophie« – er selbst beruft sich hier maßgeblich auf H. N. Castañeda (vgl. II. Teil, Anm. 4) –sowie »parallele Bemühungen in der kontinentalen Philosophie (im Anschluß an und in Auseinandersetzung vor allem mit Kant, Fichte, Hölderlin, Schleiermacher und Sartre)« (Anerkennung und Ich-Apriori, 60; vgl. zum Ganzen ebd., 59–62; ders., Wenn ich »ich« sage, 457–577). S. Wendel greift das Konzept v. a. von D. Henrich auf, dessen »nichtegologische[s]« Modell präreflexiver Selbstvertrautheit allerdings um die Einbeziehung des Ichs im entsprechenden Ansatz M. Franks zu ergänzen sei (vgl. Affektiv und inkarniert, 36 f. u. v. ö.). Pröpper äußert sich skeptisch hinsichtlich einer bloß emotionalen Konzeption jener apriorischen Selbstvertrautheit, wie er sie in der an Schleiermachers ›schlechthinniges Abhängigkeitsgefühl‹ angelehnten (ebenfalls ›nichtegologischen‹) Lesart in der pannenbergschen Anthropologie ausmachen zu können glaubt. Wichtig sei demgegenüber das Festhalten an der in jenem Stadium gegebenen »ursprünglichen[n] Fähigkeit des Sichverhaltens und Sichentschließens« (EFV 171; vgl. hierzu auch oben, 5.1). 27 GIW 90. Für Rahner stellt dies freilich die Definition von Sinnlichkeit dar, nicht aber jene des bewussten Seienden als solchem; vgl. auch HDW 152: »[D]as Bei-sich-sein [wird] ursprünglich von ihm selbst her ein wissendes Bei-einem-anderen-sein«. 28 Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage, 120. Müller verweist hierbei auf folgende Referenzen: Ringleben, Art. Subjektivität, 116 f.; W. Schulz, Metaphysik des Schwebens, 161; Simons, Philosophie der Offenbarung, 80. Im hiesigen Kontext sei ein besonders passender Satz aus dem Werk Schulz’ (ebd.) zitiert: »Weltbezug ist immer schon durch Selbstbezug und Selbstbezug durch Weltbezug vermittelt«.
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chen »relationale[n] Beisichsein[s]« 29 behöbe gleichzeitig die Problematik des umgekehrten Extrems einer apriorisch reinen Alteritätsexposition (Levinas) oder ausschließlich alteritätsgenerierten Subjektkonstitution (vgl. etwa die entsprechende Tendenz bei Mead und Pannenberg 30 ). Ungeachtet wie oder wann nun diese Erfahrung in der Psychogenese des Menschen zu situieren ist und wie sie – und d. h. im Letzten das menschliche Subjekt selbst – zu Bewusstsein gelangt, steht jedoch fest, dass der Mensch sich bei gesunder psychologischer Entwicklung früher oder später seiner ambivalenten Relationalität in und gegenüber der Wirklichkeit bewusst wird: Er steht einerseits in ihr und wird durch sie konstituiert, steht ihr aber gleichzeitig auch relativ eigenständig gegenüber und trägt zu ihrer Konstitution bei. So zeigt sich dem Menschen in vielfältiger Weise (Erfahrungsbereiche sind hier laut Ricœur etwa die Leiblichkeit, die interpersonale Begegnung und das Phänomen des Gewissens) 31 die eigene Differenzeinheit mit sich selbst und der ihn umgebenden Wirklichkeit, die eigene Subsistenz in Relationalität gegenüber allem anderen. Hans-Joachim Höhn spricht hier von der »relationale[n] Struktur« des Menschseins, das ein vielfältiges »Verhältnis […] zur Gesellschaft, Natur, Zeit und zu sich selbst« umfasse. 32 Über diese eigene ambivalente Relationalität hinaus zeigt sich dem erkennenden Subjekt weiter, dass die umgebende Wirklichkeit auch ihrerseits aus relativ eigenständigen und doch verbundenen Elementen besteht: »Alle nämlich, die sind, findet man aufeinander bezogen«. 33 Kurzum, der Mensch nimmt die Elemente der Wirklichkeit als Relate einer universalen Relation alles Seienden wahr, die sich ihrerseits nur als Gesamtzusammenhang ihrer Relate zeigt: Alles, was ist, gehört zur Wirklichkeit, und die Wirklichkeit birgt all das und nur das, was ist. Allerdings stellt die Wirklichkeit den GesamtWeß, Gemeindekirche – Ort des Glaubens, 198; vgl. hierzu ebf. Kl. Müller, Wenn ich »ich« sage, 120. 30 Vgl. hierzu oben, Kap. 5, v. a. Anm. 10. Weitere (theologische) Verfechter einer zumindest vornehmlich sozialvermittelten Identität des Subjekts sind etwa I. U. Dalferth (vgl. Subjektivität und Glaube, 48) und M. Knapp (vgl. Verantwortetes Christsein heute, 179–189). 31 Vgl. exemplarisch SMA 368, wo Ricœur von einem »trépied de la passivité« spricht, der sich aus »chair«, »autrui« und »conscience« zusammensetze. 32 Höhn, spüren, 30. 33 STh I q. 11 a. 3 c: »Omnia enim quae sunt, inveniuntur esse ordinata ad invicem«; vgl. Anm. 17. 29
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zusammenhang ihrer Elemente wohlweislich in deren Eigenstand dar, so dass diese nicht nur im Wirklichsein übereinkommen, sondern sich gerade hierin auch als individuelle Elemente voneinander unterscheiden. Die Seienden kommen also als Seiende (vgl. das aristotelische ¤n – n oder den thomanischen modus generalis consequens omne ens) gerade darin miteinander überein, worin sie sich unterscheiden, ihr gemeinsamer und sie gleichzeitig differenzierender Sinngehalt lässt sich nur als je neue und dynamische Sinnkonstitution durch sie selbst, durch die differenziert übereinkommenden Seienden, beschreiben. Dies meint wohl auch der thomanische Gedanke des nicht subsistierenden, d. h. nicht unabhängig von seinen konstituierenden Verwirklichungen gegebenen Seins. 34 So formuliert A. Anzenbacher mit Blick auf eine Textstelle 35 der Summa contra Gentiles: »Die Einheit des esse commune ist demnach nicht die Einheit eines individuell Seienden und erst recht nicht die Einheit eines Begriffs, sondern vielmehr eine unitas ordinis, die freilich als relationale Einheit schwach (mimima unitatum) ist«. 36 Oder mit der hiesigen Terminologie: Alle Seienden sind analog, d. h. stehen kraft ihres Wirklichseins als Differente in Relation, kommen überein und differieren im Sinngehalt ›Sein‹. Dieser Sinngehalt ›Sein‹ (bzw. ›Wirklichkeit‹) als Analogon existiert als solcher nur in der und als jeweilige Beziehung der Seienden, wobei er freilich auch an deren relativer Kontinuität partizipiert. Das derart als insubsistentes Analogon verstandene Sein erscheint somit als die universale Relation zwischen allen Elementen der Wirklichkeit bzw. als Platons ›schönstes aller Bänder‹ und erlaubt, die Wirklichkeit als Differenzeinheit ihrer wahrhaft verbundenen und doch auch wahrhaft verschiedenen Glieder zu sehen. So ergibt sich folgende Definition: analogia entis Die Seiendenanalogie ist die Relation, d. h. die dynamisch-stetige, graduell-proportionale und logisch-inseparable Kongruenz von Übereinkunft und Differenzierung aller ›Seienden‹ (Analogate) hinsichtlich des durch sie konstituierten und nichtselbständigen gemeinsamen Sinngehalts, dem ›Sein‹ (Analogon). 34 Vgl. die ebenso wirkmächtige wie oft missachtete Seinsdefinition »aliquid completum et simplex, sed non subsistens« (Thomas von Aquin, De potentia, q. 1 a. 1 c). 35 Vgl. SCG lib. 2 c. 58 n. 5: »Quia esse unum secundum ordinem non est esse unum simpliciter: cum unitas ordinis sit minima unitatum.« 36 Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 136.
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Die oben (7.2) entwickelte und hier zugrunde gelegte Analogiekonzeption ermöglicht eine Ontologie im Sinne des dynamischen Seinsverständnisses Thomas’ von Aquin, 37 in deren Rahmen die Vorstellung einer analogia entis alles andere als ein statisches Bild der Wirklichkeit ergibt, sondern diese in streng relationaler und auch geschichtlicher (!) Dynamik sieht, also nicht Sachontologie, sondern dynamisiert-geschichtliche, relationale Ontologie ist: Das Analogon ›Wirklichkeit‹ wird als geschichtliche, je neu sich konstituierende Relation seiner Relate denkbar. Die Analogie ist also entgegen der barthschen Gegenüberstellung immer schon analogia relationis bzw. (so wird im Abschnitt 8.3 zu zeigen sein) operationis, und dies nicht obwohl, sondern weil sie in ihrer Grundform analogia entis ist. Splett geht gar so weit – unbewusst an Söhngens Hinweis bezüglich der pleonastischen analogia relationis anknüpfend –, dass der Terminus analogia entis einen genitivus explicativus beinhalte, dass also Analogie und Sein letztlich dasselbe seien: »Analogie kommt nicht nur auch dem Sein zu, sie ist sein Ereignis, wie Sein das Ereignis von Analogie. Das ist im Namen ›analogia entis‹ letztlich gemeint«. 38 Diese durchgängig dynamisierte und ›aktualisierte‹ Seiendenanalogie verweist bereits auf die veritative und freiheitliche Dimensionalität alles Seienden und damit auf die beiden anderen Seiten der Analogie. Zwei Ergänzungen bleiben hinsichtlich der beschriebenen Grundgestalt der analogia entis zu machen: Erstens vermag sie durchaus eine Gradualität des Seienden zu integrieren, die sich als je größere Komplexität oder ›Interiorität‹ beschreiben ließe, welche allerdings erst durch die Betrachtung der weiteren Transzendentalien erhellt. Wichtig bleibt dabei der Gedanke der strikten Kongruenz von Einheit und Unterschiedenheit, die proportional mit der Komplexität Dies sei nur mit Blick auf überzogene Statik- oder ›Sachontologie‹-Vorwürfe gegenüber Thomas (wie sie teils bei Pröpper und Verweyen auftauchten, exemplarisch aber auch etwa bei Kasper, Der Gott Jesu Christi, 90) unterstrichen: Natürlich argumentiert und formuliert Thomas in der wissenschaftlichen Sprache und Vorstellungswelt seiner Zeit, jedoch liegt in seinem Gedanken des actus essendi doch gerade die Öffnung zu einer dynamischen, wenn nicht gar personalistischen Ontologie begründet, die dann aber zunächst durch die zunehmende Essentialisierung des Seins zugemauert worden ist; vgl. zum Ganzen Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses. 38 Splett, Gotteserfahrung im Denken, 127. J. Spletts Überlegungen zu einer erneuerten Analogie im Rahmen relationaler Ontologie decken sich in manchem mit der Grundintuition der vorliegenden Arbeit, vgl. ebd., 117–140. 37
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des Seienden wachsen, so dass die Wirklichkeit als geordneter Stufenbau erscheint, deren ›höhere‹ Stufen je komplexer und somit je eigenständiger sind, und doch gerade darin (eben in strikt proportionaler Kongruenz) je mehr in Einheit miteinander stehen bzw. diese vollziehen. Zweitens eröffnet das beschriebene Konzept einer Seiendenanalogie die onto-theologische Dimension des Seienden, weil die als (freilich gestuft) horizontal dargestellte universale Analogie der Seienden nach oben hin offen ist: Aufgrund seiner Analogizität, seiner dynamischen Konstitution durch die Seienden, ist das ›Sein‹ (bzw. die ›Wirklichkeit‹) zu einer möglichen Transzendenz hin geöffnet, zu einer ganz neuen (Über-) Füllung seiner selbst hin. Hier wird gnoseologisch sekundär, d. h. im Ausgang von der Erfahrung der gestuften Seiendenhierarchie her, ein Analogat denkbar, das als ontologisches Primäranalogat fungieren könnte und das ›Sein‹ somit über den unmittelbar erfahrbaren Ordnungsraum hinaus erweitern würde; nicht als bloß linearer Abschluss der Seiendenhierarchie, sondern in wahrer Transzendenz zu ihr, als ihr jenseitiger Ursprung, Rahmen und Ziel. Hier besteht also die Denkmöglichkeit (!) einer vertikalen Analogie, mit der wenigstens z. T. erreicht wäre, was heute gemeinhin unter analogia entis verstanden wird, nämlich eine seinshafte Relation (keineswegs aber ›seinshafte Verspannung‹) von Schöpfer und Geschöpf. Als Denkmöglichkeit bzw. Frage eignet der vertikalen Analogie dabei eine gewisse Notwendigkeit, d. h. die Metaphysik ist notwendig onto-theologisch, kann die Entstehung der Gottesfrage nur künstlich unterdrücken, sie aber nicht letztgültig verneinen oder gar ausschließen. 39 Heidegger bejaht diesen Sachverhalt, fordert aber angesichts der faktischen Lage von philosophischer und genuiner Theologie dennoch die Unterdrückung der Gottesfrage »im Bereich des Denkens«. 40 Diese paradoxe Konsequenz Heideggers ist ange39 Zum notwendig onto-theologischen Status der aristotelischen Metaphysik vgl. etwa Courtine, Inventio analogiae, 152. 40 Heidegger, Identität und Differenz, 45: »Die Ganzheit dieses Ganzen [sc. des Seienden im Ganzen; M. L.] ist die Einheit des Seienden, die als der hervorbringende Grund einigt. Für den, der lesen kann, heißt dies: Die Metaphysik ist Onto-Theo-Logie. Wer die Theologie, sowohl diejenige des christlichen Glaubens als auch diejenige der Philosophie, aus gewachsener Herkunft erfahren hat, zieht es heute vor, im Bereich des Denkens von Gott zu schweigen. Denn der onto-theologische Charakter der Metaphysik ist für das Denken fragwürdig geworden, nicht auf Grund irgendeines Atheismus, sondern aus der Erfahrung des Denkens, dem sich in der Onto-Theo-Logie die noch ungedachte Einheit des Wesens der Metaphysik gezeigt hat«.
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sichts des ›Omnideduktionalismus‹ und der Gottesversächlichung gewisser neuscholastischer Systeme durchaus verständlich, die Heidegger zu Recht von der ›Unanbetbarkeit‹ eines Gottes als nackter »Causa sui« sprechen läßt. 41 Dabei ist allerdings noch unausgemacht, ob es nicht doch eine ›bessere Theologie‹ geben könnte, die sowohl in der Lage ist, die Seinsfrage bis zum möglichen Abschluss im Gottesgedanken durch- und offenzuhalten, als auch diesen ›Gott der Philosophen‹ mit dem geglaubten personalen, »göttlichen Gott« 42 zu korrelieren. Jene Korrelation, die im folgenden Abschnitt 8.1.3 zu thematisieren sein wird, kann aber eben nur auf Basis des Gedankens oder wenigstens der bewahrten onto-theologischen Frage nach vertikaler Analogie, nach einer seinsmäßigen Relation von Gott und Seiendem vollzogen werden. Auch eröffnet sich hier die Möglichkeit eines Vorverständnisses einer innergöttlichen Relationalität gemäß dem – freilich hinsichtlich Gottes nicht mehr überschaubaren – Axiom omne ens est relatum. Die Notwendigkeit der bloßen Frage nach jener Relation ist freilich nur eine ›Spur‹ im levinasschen Sinne, also kein Beweis der ›vertikalen Analogie‹ und somit auch kein Gottesbeweis, so dass H. Wagner konzediert werden muss, dass der »Schöpfungsgedanke bzw. der Gottesgedanke […] keine notwendige Folgerung aus der Seinsanalogie [ist; M. L.]; die analogia entis läßt sich lediglich auf ihn als einen (hypothetischen) Sonderfall anwenden«. 43 Bei Existenz der vertikalen Analogie wird aus dem hypothetischen Sonderfall dann freilich der Prototyp des Seins, erweist sich das noetische Sekundär- also als ontologisches (bzw. ontisches) Primäranalogat und die Analogie als solche der Attribution. Auf den epistemischen Status dieser ›zwischen-gott-geschöpflichen‹ oder ›Gesamt-Analogie‹ kann erst später (im Rahmen der analogia veritatis) eingegangen werden, hier sind zunächst noch vier Charakteristika der möglichen vertikalen Analogie hervorzuheben: Erstens wird hiermit keine subsistierende Zwischengröße zwischen Gott und Geschöpf oder gar ein beiden gemeinsamer Rahmen konzipiert (›Gott und Geschöpf als Epiphänomene des je größeren Seins‹), weil das ›Sein‹ als differenzierend vereinigender Sinngehalt sich nach der vorliegenden Konzeption ja erst durch seine Analogate 41 42 43
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Ebd., 64. Ebd., 65. H. Wagner, Existenz, Analogie und Dialektik, 186 (i. O. kursiv).
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konstituiert und an ihnen ›bemisst‹, unabhängig von ihnen aber ohnehin keine Subsistenz hat. Zweitens evoziert der Gedanke einer gemeinsamen Konstitution der Sinngröße ›Sein‹ durch Gott und Geschöpf keineswegs eine monistische Verquickung beider bzw. eine Partizipation des Geschöpfs am göttlichen Sein selbst (wie etwa Striet insiniuiert, s. o.), auch wenn eine theistische Interpretation im letzten Gott als den Urheber und Bewahrer der Gesamtrelation des Seins erkennt: Partizipation – wenn denn an dem in der Tat missverständlichen Terminus festgehalten werden soll – vermag durchaus als echte ›Teil‹-habe am Sein verstanden werden, ohne dass damit notwendig die intrinsische Seinsvollkommenheit und ›Aseität‹ des Seienden geleugnet wäre. Das Seiende ist hier durch die Seinsgabe in der Tat als Teil der Gesamtrelation des ›Seins‹ zu verstehen, das aber seinerseits nicht subsistiert, sondern sich gerade erst den Einzelseienden als seinen eigenständigen und konstituierenden Teilen verdankt. Der Gedanke der Partizipation muss also nicht zwangsläufig (auch bei Thomas nicht!) 44 zu alles nivellierendem Monismus führen, sondern kann durchaus auch als participatio aseitatis konzipiert wer44 Zum thomanischen, nichtmonistischen Verständnis der Partizipation vgl. etwa Elders, Die Metaphysik des Thomas von Aquin in historischer Perspektive, I, 185: »Die Geschöpfe besitzen nicht einen ›Teil‹ Gottes […]. Die transzendentale Partizipation bedeutet das Verursachtsein durch eine andere Ursache, der die mitgeteilte Vollkommenheit wesentlich zukommt. So ist diese Partizipation letztlich ein Ausdruck des Geschaffenseins«. L. J. Elders verweist dabei auf den ersten Artikel der quaestio 44 der Summa Theologiae, in dem die participatio als Synonym des Verursachtseins erscheint: »Si enim aliquid invenitur in aliquo per participationem, necesse est quod causetur in ipso eo cui essentialiter convenit« (STh I q. 44 a. 1 c). Vgl. auch ebd., ad 1: »Ex hoc quod aliquid est ens per participationem, sequitur quod sit causatum ab alio«. Ein solches Verständnis der Partizipation als bloßes Synonym der Kreatürlichkeit bzw. des esse ab alio entgeht von vorneherein dem leerlaufenden thomistischen Disput um Partizipation per ›Komposition‹ oder per ›Essenzenhierarchie‹, vgl. etwa Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit, 193–205. Elders führt weiterhin die quaestio 75 (STh I q. 75 a. 5 ad 1) an, die zwar aufgrund des Assoziationsfeldes der diffusio bzw. processio in gedankliche Nähe zum vermeintlich monistischen, neuplatonischen Emanationsgedanken gerät, jeglichen Monismus aber durch die Präzisierung vermeidet, dass die Kreatur kein Teil Gottes sei: »Unde [Deus; M. L.] participatur a rebus non sicut pars, sed secundum diffusionem processionis ipsius«. A. Anzenbacher formuliert daher vollkommen zu Recht: »Es geht [bei der thomanischen Partizipation; M. L.] nicht um eine partikuläre Rezeption, um einen partem capere in dem Sinne, daß das Partizipierende an einem vorausgesetzten, allgemeineren Partizipat teilnähme […]. Das partizipierte esse ist kein Etwas außerhalb der Dinge, sondern geht in der Partizipation vollkommen in den proprii modi der Dinge auf. Das esse commune ist kein anderes als das esse proprium«. Allgemein zur Partizipation bei Thomas vgl. auch etwa Courtine, Inventio analogiae, 278 f.; Geiger, La par-
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den. 45 Mit den Worten Söhngens: »Die wesentliche Grenze der […] analogia et participatio entis ist demnach, daß sie keinerlei analogia et participatio divinae naturae bedeutet«, 46 weil die Analogie – schon bei Thomas – keine qualitative, sondern lediglich eine quantitative Aussage sei, keine »similitudo per participationem ejusdem qualitatis, sed per proportionalitatem«. 47 Drittens gilt auch für die mögliche vertikale Analogie die Regel von der strikten Kongruenz von Einheit und Verschiedenheit, so dass die undifferenzierte Redeweise von einer seinshaften ›Ähnlichkeit‹ gegenüber Gott als unkritisch und banal erscheinen muss. Schließlich eröffnet der Gedanke der vertikalisierten Transzendentalbestimmung relatum viertens neue Möglichkeiten (freilich aber keine Notwendigkeit!) der philosophischen Artikulation einer innergöttlichen Beziehungshaftigkeit als Vorverständnis des Trinitätsgeheimnisses. 8.1.3 Theologische Annotation Mit dem soeben entwickelten Konzept einer Seiendenanalogie als dynamischer Konstitution des Gesamts der Wirklichkeit – zunächst auf horizontal-kreatürlicher Basis, dann aber auch mit der eröffneten Denkbarkeit einer vertikal-transzendierten Analogie – ist die Möglichkeit gegeben, dem Desiderat einer philosophischen Auslegung der geglaubten Seins- bzw. Schöpfungsoffenbarung nachzukommen, welches oben als erster Aspekt des schöpfungstheologischen Bezugsrahmens christlicher Religionsphilosophie bezeichnet worden ist. Die vertikale Analogie – als philosophische Möglichkeit, die erst der Glaube kraft Offenbarung als Faktum erkennt – vollendet die innerkreatürlich-ungewisse Ambivalenz-Analogie zu einer ›Gesamtanalogie‹ des Verhältnisses von Gott und Kreatur – die mehr und anderes ist als die analogia fidei und nicht einfach durch diese ersetzt werden kann. 48 Eine kritische Ontologie auf Grundlage der horizontalen und ticipation dans la philosophie de S. Thomas d’Aquin; Schönberger, Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, 266–268. 45 Vgl. hierzu Siewerth, Der Thomismus als Identitätssystem, 294. 46 Söhngen, Analogia fidei, 204. 47 Sent. lib. 4 d. 1 q. 1 a. 1 qc. 5 ad 3; vgl. hierzu Söhngen, Die Weisheit der Theologie durch den Weg der Wissenschaft, 933–935. 48 Vgl. M. Schulz, Aspekte des Wahrheitsverständnisses in der Systematik katholischer Theologie, 132: »Die analogia fidei kann man ebenso unter dem Stichwort der Kohärenz
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mit Zielrichtung auf die vertikale Analogie vermag der Forderung Henrys und Levinas’ nach einer innerkreatürlichen, begrifflich wie erkenntnistheoretisch inkommensurablen Begegnung mit der göttlichen Heiligkeit und dem Gabecharakter der Wirklichkeit zu genügen, ohne dabei notwendig den etwa von Pröpper und Verweyen ausgemachten Gefahren einer Versächlichung bzw. eines sachontologischen Beweises Gottes oder aber gar einer monistischen Verspannung von Welt und Gott zu erliegen. Gott wird denkbar (nicht aber bewiesen!) als das je größere Relat einer universalen Seinsrelation, die ihren Sinn erst von ihm empfängt und – in Ermangelung eigener Subsistenz – nicht vor oder unabhängig von ihm existiert; Gott steht nicht ›unter‹ oder ›im‹ Sein, sondern dieses verdankt sich ganz Gott. Die schon von Paulus klar formulierte und somit christlich ratifizierte, religionsgeschichtliche Grundkonstante eines Schlusses aus den Werken Gottes auf ihren Urheber und (!) sein Wesen (vgl. Röm 1,19 f.) ist also keineswegs Idolatrie oder Gottesermächtigung, sondern die durchaus legitimierte Urgestalt menschlichen Transzendierens. Diese Fähigkeit ermöglicht es dem Menschen, den ihm immer schon als Schöpfer und dann in der Gnade begegnenden Gott mit der eigenen Welterfahrung zu korrelieren und sich ihm gegenüber somit (wie rudimentär und inchoativ auch immer) wirklich – d. h. ratifizierend oder ablehnend – verhalten zu können. Entgegen einer zu emphatischen Lesart des balthasarschen wie pröpperschen Gedankens einer ›Analogie der Sünde‹ (vgl. Kap. 5.1) treten die Sünde, v. a. aber auch die Möglichkeit der Einstimmung in die eigene Erlösung hier in ihrer Universalität zutage. Diese Konstatierung und Legitimation der Möglichkeit (posse!), nicht aber apodiktischen Notwendigkeit (demonstrari) eines welterfahrungsfundierten Schlusses (cognosci) auf Gott – in erster Linie als »Erkenntnisweise […] des gewöhnlich praktischen Lebens« (Przywara), 49 aber auch als wissenschaftliche Option
fassen, wenngleich mit diesem Terminus verschiedene Aspekte gemeint sein können: Zur Debatte steht unter anderem die Übereinstimmung einer Glaubensaussage mit einer Schriftaussage. Oder es ist das Verständnis der Entsprechung des Geschöpfs durch den Glauben mit dem Offenbarungshandeln Gottes intendiert; katholischerseits begreift man die – letztendlich christologisch legitimierte (Hans Urs von Balthasar) – analogia entis als Voraussetzung dieser gottmenschlichen Analogie im Glauben«. Ohne ontologisch-schöpfungstheologisches Fundament (Seiendenanalogie) lässt sich der christliche Glaube auf all seinen Ebenen (Glaubensanalogie) nicht begründen. 49 RPhS 12. A
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– entspricht dem Wortlaut und wohl auch der Aussageintention des ›Dogmas‹ von der natürlichen Gotteserkenntnis des I. Vaticanum. 50 Die analoge Zusammenschau von Gott und Welt in ihrer Relation und ihrem gottbestimmten Gesamt erfüllt dann auch – hier ist allerdings schon auf Ergebnisse der folgenden Unterkapitel vorzugreifen – die beiden weiteren Forderungen des schöpfungstheologischen Bezugsrahmens, nämlich das Verbot von Dualismus und Wahrheitspluralismus: Die Schöpfung – konzipiert als Analogat innerhalb der vertikalen Analogie – behält ihren Eigenstand und ihre relative Autonomie gegenüber Gott sowohl hinsichtlich ihrer Prinzipfunktion (›Zweitursächlichkeit‹, vgl. 8.3.2) als auch ihres Wahrheitsmodus, verbleibt aber hinsichtlich beider in Relation zum Schöpfer: Sie ist in der Lage, relative Anfänge zu zeitigen, nicht aber absolute, sie hat ihre eigene Wahrheit, die aber nicht absolut ist, sondern bleibend abhängig von der göttlichen. Es gibt also eine bleibende Signatur des Geschaffen- und Abhängigseins, welche Schöpfung und Geschöpf nicht aufheben können, mögen sie die maior dissimilitudo gegenüber Gott auch ins Extrem treiben. Die hiesigen Anmerkungen zu Prinzipfunktion (= Freiheit) und Wahrheitsmodus erhellen vollends erst aus der Entfaltung von analogia libertatis und analogia veritatis, so dass hier zunächst einmal abzubrechen und auf das Folgende zu verweisen ist.
8.2 Analogia veritatis: Die Wirklichkeit als Relationsgefüge gemäß dem verum »Es ist nicht so, daß analogia entis als Prinzip die jeweils neue und unbefangene Sichtung der objektiven Sachverhalte erspart. Sondern umgekehrt: sie befähigt dazu und zwingt dazu. Es ist nicht so, daß analogia entis als Prinzip die Sattheit eines ein für allemal fertigen Systems begründet. Sondern umgekehrt: sie läßt durch alles scheinbar Fertige hindurchschauen in immer Neues (invenitur quaerendum)«. 51 (Erich Przywara)
Der Begriff und die explizite Lehre einer analogia veritatis haben im Gegensatz zur Seiendenanalogie wohl noch keine dezidierte Darstel-
50 51
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Vgl. DH 3004; s. oben, Kap. 1.2, Anm. 85. AE 208.
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lung gefunden, 52 allein ist dieser Gedanke der Sache nach – so wird zu zeigen sein – durchaus Anliegen und Gegenstand zahlreicher philosophischer Modelle der menschlichen Erkenntnis. Im Folgenden wird also der Versuch unternommen, bereits bestehende erkenntnistheoretische Konzeptionen anhand des erneuerten und präzisierten Analogiebegriffs zu reformulieren und zu vertiefen. 8.2.1 Hinführung Die beiden beschriebenen religionsphilosophischen Paradigmen lösen jeweils unterschiedlich die Grundspannung menschlicher Erkenntnis auf, die sich stets zwischen den Polen Objekt/Eigensignifkation des Wirklichen/Gegebenheit/Manifestation auf der einen und Subjekt/Sinnverleihung/Konstitution auf der anderen Seite bewegt. Nicolai Hartmann spricht hier von der konstruktiven Spannung von Rezeptivität gegenüber dem Objekt und Spontaneität gegenüber seiner Erkenntnisabbildung, 53 Edith Stein von »Empfangen« und »Annehmen«. 54 Die Phänomenologen nun übergewichten die Objektseite im Sinne einer Ermächtigung des Denkens vom Gegenstand her. Hierbei verfallen sie zu Recht dem Vorwurf mangelnder Kritizität, da sie das (performativ durch die eigene Behauptung mitbeanspruchte) menschliche Subjekt als Ort und Medium der Manifestation jener behaupteten unmittelbaren Evidenz des Wirklichen missachten. Die umgekehrte Übergewichtung der Subjektseite der Erkenntnis ereignet sich in den Transzendentalphilosophien: Hier wird in der Ten52 Der Begriff wird freilich randlich und im Rahmen des Gedankens der Analogizität aller Transzendentalien etwa durch v. Balthasar verwendet, vgl. etwa W 261, KB 393 (s. Anm. 15). 53 Vgl. Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 48: »Das Subjekt verhält sich in der Erkenntnisrelation prinzipiell rezeptiv zum Objekt. Es braucht deswegen nicht passiv zu sein. Sein Erfassen des Objekts kann Spontaneität enthalten. Aber diese erstreckt sich ja nicht auf das Objekt als solches, dessen Erfaßtwerden an ihm ja nichts ändert, sondern zielt auf das Bild im Subjekt zurück. Am Aufbau des Bildes, d. h. an seinem eigenen ›objektiven‹ Inhalt, kann das Bewußtsein sehr wohl schaffend beteiligt sein. Darüber läßt sich im Tatbestand des Phänomens nichts vorentscheiden. Aber sein Verhalten zum Gegenstande selbst ist ein rein aufnehmendes, d. h. eben ein ›erfassendes‹. Das Subjekt bestimmt in keiner Weise ihn, sondern nur er das Subjekt. Aber Rezeptivität gegen das Objekt und Spontaneität gegen das Bild schließen einander nicht aus«. 54 Stein, Endliches und ewiges Sein, (i. O. kursiv).
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denz eine apriorische Eigensignifikation des Wirklichen geleugnet (oder wenigstens ausgeblendet) und an ihre Stelle eine bloß kontingente, aposteriorische Sinngebung durch das Erkenntnissubjekt gesetzt. Dabei gerät aus dem Blick, dass das Erkenntnissubjekt keinen radikalen Anfang darstellt, sondern dass die Wirklichkeit als universaler Sinnzusammenhang immer schon vor ihm existiert, und es selbst bereits zu ihr gehört, bevor sein Erkenntnisprozess anhebt (wovon es sich aposteriorisch sehr wohl vergewissern kann!): »[D]as Sein ist kein Erzeugnis des Denkens. Wohl dagegen ist das wesentliche Denken ein Ereignis des Seins«. 55 Dieser ereignishafte Anhub des Erkenntnisprozesses bedeutet für das jeweilige Subjekt selbst freilich den relativen Anfang der Signifikation der Wirklichkeit (wie auch seiner selbst als deren integralem und doch wahrhaft eigenständigem Teil), nicht aber so, dass damit die Signifikation der Wirklichkeit als solche überhaupt erst installiert würde, da dies ihre vorausgesetzte Sinnhaftigkeit aufhöbe und sie nominalistisch zur reinen Inintelligibilität degradierte, den Menschen aber als titanischen Quell allen Sinns erscheinen ließe. Ingolf U. Dalferth konstatiert hierzu zu Recht, dass eine solche Aufladung des transzendentalen Subjekts dessen eigener Selbsterfahrung widerspräche: »Das Ich ist unfähig, die Begründungslast für die gesamte Wirklichkeitserfahrung, einschließlich der Erfahrung seiner selbst, zu tragen. Es durchschaut sich gerade dann selbst als gesetzt, wenn es sich alle Gültigkeit als seine eigene Setzung durchschaubar machen will«. 56 In der individuellen Erkenntnis gelangt also vielmehr die laut der obigen Prämisse immer schon aller Wirklichkeit eignende Signifikation und Sinnhaftigkeit zu Bewusstsein, der ›Sinn‹ entsteht nicht erst, sondern manifestiert sich, um dann dargestellt, verarbeitet und nachvollzogen zu werden. Mit Heideggers Worten: Sein und Mensch ›stellen‹ sich wechselseitig, bilden ein »Ge-Stell«; 57 das »Sein west und währt nur, indem es durch seinen Anspruch den Menschen an-geht. Denn erst der Mensch, offen für das Sein, läßt dieses als Anwesen ankommen. Solches An-wesen braucht das Offene einer Lichtung […]. Dies besagt keineswegs, das Sein werde erst Heidegger, Wegmarken, 308. Diese Überlegungen aus dem Nachwort zu »Was ist Metaphysik« von 1941 fußen freilich bereits auf dem Konzept des ›In-der-Welt-Seins‹ in Sein und Zeit, vgl. v. a. ebd., 52–62; vgl. hierzu auch Coreth, Hermeneutik und Metaphysik, 432 f.; Gadamer, Wahrheit und Methode, 268 f. 56 Dalferth, Subjektivität und Glaube, 35. 57 Heidegger, Identität und Differenz, 23 u. ö. 55
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und nur durch den Menschen gesetzt. Dagegen wird deutlich: Mensch und Sein sind einander übereignet«. 58 Auch v. Balthasar betont in seiner Wahrheitsschrift beide Seiten dieses Sachverhalts, dass also die Dinge (oder – wenn man so will – das ›Gesamt‹ des Seins) zur eigenen, sinnhaften Manifestation des Subjekts bedürfen, wie auch das Subjekt ohne sie zu keiner Erkenntnis gelangt. Er nennt dies die »Doppelgestalt der Wahrheit«. 59 Wie sich dieser Prozess der Bewusstwerdung des Seins im genitivus obiectivus und subiectivus im Einzelnen ereignet, kann hier nicht detailliert untersucht, sondern im Folgenden allenfalls hinweisartig angedacht werden. Hinsichtlich der Genese des menschlichen Selbstbewusstseins ist aber schon hier ein komplexerer Prozess anzusetzen als der einer unilateralen transzendentalen Tat durch ein bereits präreflexiv mit sich vertrautes Ich (s. o.); erneut mit v. Balthasar: »In dieser Bewegung [sc. der menschlichen Subjektwerdung; M. L.] verhält sich die ursprüngliche Einbildungskraft ebenso sehr produktiv wie rezeptiv: […] in der zunehmenden Subjektwerdung nimmt das erwachende Bewußtsein ebensoviel außer ihm liegende, schon bestehende [und somit an es herangetragene; M. L.!] Ausdrucksformen in sich hinein, als es neue spontane von innen her erfindet. So wächst in vollkommener Gleichzeitigkeit sein Ich- und Weltbewußtsein«. 60 Diese ausgewogene und erfahrungsnahe Mitte vermag möglicherweise die gewissen Einseitigkeiten innerhalb der Subjektkonstitution bei Pröpper, Kl. Müller, Ebd., 19. W 69–78. An anderer Stelle definiert v. Balthasar diese Doppelgestalt wie folgt: »[A]uch jetzt noch [bleibt; M. L.] das Objekt das Maß, nach welchem die Wahrheit gemessen wird, so ist doch der Messende jetzt das Subjekt geworden, und dieses Messen ist seine spontane, schöpferische Leistung« (W 33). 60 W 181. Vgl. hierzu auch Dalferth, Subjektivität und Glaube, 48: »Die SubjektivitätsStruktur, also die Fähigkeit, sich selbst im Medium des Bewußtseins oder der Sprache zu thematisieren, ist damit nicht fundamentale begründungstheoretische Voraussetzung allen Denkens, Wissens und Handelns, sondern Resultat eines komplizierten empirischen Entstehungsprozesses, in dem wir diese Struktur durch Interaktion mit unserer Umwelt aufbauen«. In der Tendenz ›schießt‹ I. U. Dalferth in seinem über weite Strecken sehr luziden Aufsatz zur theologischen Problematik der Subjektivitätskonzepts allerdings ›über das Ziel hinaus‹ : Freilich ist es problematisch, die Theologie ausschließlich auf die Kategorie der Subjektivität zu stützen, daraus darf aber nicht deren Obsoleterklärung (vgl. ebd., 31) bzw. gar implizite Verabschiedung folgen, wie sie sich im dialektischen solus Deus am Ende des Artikels zeigt (vgl. etwa ebd., 56: »Unser Selbst- und Ich-Werden in Interaktion mit unserer Umwelt ist nicht der Weg, sondern der Stoff unseres eschatologischen Werdens: Es ist das, woran sich dieses allein [!] von Gott bewirkte Werden abspielt«). 58 59
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Wendel etc. auf der einen und Mead, Pannenberg, Rahner auf der anderen Seite zu beheben und ähnelt den Überlegungen Verweyens in GLW 7.2 (vgl. oben 6.3.3). Wichtig erscheint in jedem Fall die Aufrechterhaltung der grundlegenden Spannung aller Erkenntnis: Dass nämlich in jedem Erkenntnisvorgang (und somit schon in der Selbsterkenntnis!) sowohl ein echtes Moment individuell-subjektiver Gestaltung bzw. eine Leistung des Subjekts liegt (dass die Sinnhaftigkeit der Wirklichkeit also ohne das Subjekt unvollkommen insofern unbewusst bliebe) als auch eine über die bloße Funktion als ungeordneter Stoff hinausgehende ›Leistung‹ und Einflussnahme der Wirklichkeit als solcher (dass das Subjekt also ohne eine ihm bergend voraufgehende, sinnhafte Wirklichkeit unvollkommen insofern inexistent und ortlos bliebe, sowie hypertroph-titanisch in seinem Sinngebungsanspruch). Die hier angestrebte Beschreibung der Ausgangssituation religionsphilosophischer wie menschlicher Erkenntnis überhaupt versucht nun erneut, durch Applikation des strengen Analogiebegriffs diese Spannung der Erkenntnis, die sich kraft der Transzendentalienkonvertibilität als Kehrseite jener des Seins erweisen wird, als solche aufrechterhaltend ›auszuhalten‹ und zu explizieren. 8.2.2 Philosophische Herleitung und Formulierung Die als wesentliche Voraussetzung beschriebene Prämisse der Sinnhaftigkeit alles Wirklichen und seiner sinngeleiteten inneren Bezogenheit beinhaltet bereits das hier zu entfaltende Transzendentale, demzufolge alles Seiende Wahres ist. Hier stellt sich freilich die (leicht abgewandelte) Pilatusfrage, was ›wahr‹ zu sein überhaupt bedeutet. Zunächst soll dieser Begriff hier nicht mehr aussagen als die Ausstattung mit eigener, intrinsischer Sinnhaftigkeit, also eine eigene Signifikation alles Wirklichen (vgl. den steinschen Gedanken des ens als intelligibile, s. o.), die in Bezug zum Sinnzusammenhang der Gesamtwirklichkeit steht und (mit diesem) zu einer möglichen bewussten Manifestation und Abbildung, d. h. zur Erkenntnis. Das Zusammenspiel von Eigenbedeutung und gleichzeitiger Sinnverwiesenheit des Seienden auf das Ganze hat sich ja bereits als Ergebnis der obigen Seinsrelationologie erwiesen und wird nun lediglich explizit hinsichtlich seines Signifizierens fokussiert. Allem Seienden eignet demnach kraft seines bloßen Seins eine zunächst passive Anlage auf 442
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Erkenntnis hin, ein eigenes, primordiales Bedeuten und ein daraus resultierendes Erkanntseinkönnen (›Intelligibilität‹), 61 das zu seiner Aktualität freilich stets des Erkanntwerdens durch ein der Erkenntnis als bewusster Signifikationsdarstellung mächtiges Seiendes bedarf (vgl. das heideggersche ›Ge-Stell‹). Das bewusste Seiende als Subjekt der Erkenntnis erscheint so in gewisser Hinsicht als eine Seinsinteriorität (oder mit v. Balthasar: ›Seinsintimität‹), in der sich die omnipräsente Seinssignifikation an einer raumzeitlichen Stelle intentional darstellt bzw. dargestellt wird, also sozusagen ›zu sich zurückkommt‹ (vgl. den bspw. von Thomas betonten neuplatonischen Gedanken der reditio). In dieser inneren Bewusstwerdung des Seienden sieht v. Balthasar etwa das Proprium der Subjektivität als »seinshaft garantierte[r] Intimität« und das Fundament ihres Geheimnischarakters; 62 jenes Geheimnischarakters, den Henry und Levinas so vehement für den zu erkennenden Menschen beanspruchen. Erkanntseinkönnen und Erkennen dürfen allerdings nicht in scharfem Gegensatz zueinander betrachtet werden, erstens weil nüchternes Denken nicht ausschließen kann, sondern vielmehr sogar mit gutem Grund annehmen darf, dass es verschiedene Grade des Bewusstseins bzw. der Seinsinteriorität geben kann, und dies auf verschiedenen Ebenen des Seienden. Rahner behauptet gar implizit, dass jedem Seienden als solchem ein gewisses Maß an Erkanntheit und Erkennen zukommt: »Das Wesen des Seins ist Erkennen und Erkanntheit in ihrer ursprünglichen Einheit [!], mit anderen Worten Bei-sich-sein, Gelichtetheit«. 63 Und v. Balthasar ergänzt, dass allen Seienden somit auch ein bestimmter Grad der »Intimität der Wahrheit« und damit auch der Subjektivität eigne. 64 Zweitens aber, so geht schon aus dem Rahner-Zitat hervor, weil jedes ›Höhere‹ im Sinne größerer Seinsinteriorität oder Erkenntnis immer auch das Niedrigere inkludiert, also auch das Erkennende zunächst 61 Vgl. GIW 80 f.: »Der Mensch findet sich, wenn er Metaphysiker wird, immer schon, indem er beim einzelnen Seienden hier und jetzt ist, beim Sein im Ganzen. Soll daher dieses In-der-Welt-Sein verstanden werden, so gilt es, zu verdeutlichen, was jenes vorgängige Umgreifen des Seins im Ganzen in sich schließt. Wenn der Mensch, um zur Erkenntnis des hier und jetzt Seienden zu kommen, schon immer beim Sein im Ganzen ist, dann bejaht er mit der Notwendigkeit, mit der er beim einzelnen Seienden sich wissend aufhält, die Fragbarkeit des Seins überhaupt. Es ist also schon immer eine grundlegende Bestimmung des Seins überhaupt getroffen: Sein ist Erkanntseinkönnen«. 62 W 92. 63 HDW 55. 64 W 99.
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und bleibend Erkanntes bzw. Erkennbares ist. So ergibt sich insgesamt eine Parallele – die aufgrund der Transzendentalienkonvertibilität durchaus als Identität aufzufassen ist 65 – zwischen der Hierarchie der Seienden aufgrund ihrer Komplexität (s. o.) und jener aufgrund ihres Grades an Interiorität (dem rahnersch-thomanischen ›Bei-sich-sein‹ resp. der balthasarschen ›Intimität und Geheimnishaftigkeit‹), Bewusstheit und Erkenntnis. 66 Menschliche Erkenntnis zeigt sich dabei als notwendige und dauerhafte Korrelation von Akt und Gegenstand, von Eigensignifikation ihres Gegenstandes und der konstitutiven Leistung des Erkenntnissubjekts. Diese notwendige und dauerhafte, reziproke Verwiesenheit und Übereinkunft (»intellectus et intelligibile in actu sint unum«) 67 von Denkgegenstand und Intellekt, ließe sich – in konstruktiver Fortbestimmung des in der so berühmten wie umstrittenen Textstelle De anima III, 5 grundgelegten Instrumentariums – als Zusammenspiel von vier Erkenntniskomponenten beschreiben: Das subjektexterne Erkenntnisobjekt bewirkte dabei vermittels einer physischen (phantasma) die ideelle Affektion (species impressa), die der Intellekt durch seine Rezeptivität (intellectus possibilis) aufnähme, um sie dann durch seine Spontaneität (intellectus agens) weiterzuverarbeiten. 68 Erkenntnis vollzieht sich so als stetes und notwendiges Wechselspiel von aktiv-abstrahierender Tätigkeit des Subjekts (abstractio) und passiv-rezeptiver Rückbezüglichkeit 69 auf das ObDiesen Schluss zieht etwa erneut Rahner, wenn er konstatiert, dass der Seinsgrad eines Seienden von seiner Fähigkeit zur reditio abhänge, vgl. HDW 62. 66 Zum Gedanken der ›Hierarchie der Seienden‹ vgl. GIW 371; ders., Schriften zur Theologie, I, 189; W 107. 67 Thomas von Aquin, In libros metaphysicorum, prooem. Zu Thomas’ Konzept der Übereinkunft von Denkgegenstand und Denkakt im unum quid resp. verbum vgl. etwa Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 116.125.167 u. ö.; Bieler, Freiheit als Gabe, 479–483; GIW 81 f.; Lonergan, The concept of the Verbum in the Writings of St. Thomas Aquinas; Oster, Mit-Mensch-Sein, 442; OV 191; W 76.184. Eine neuere Lesart liefert etwa Weissmahr, Die Wirklichkeit des Geistes, 87–128. 68 Zur Einführung in die hier zugrunde liegende thomanische Erkenntnislehre vgl. etwa Cirne-Lima, Der personale Glaube; GIW; Heinzmann, Thomas von Aquin, 48–65. 69 So hebt etwa B. J. F. Lonergan das passive Moment der thomanischen conversio ad phantasma hervor, die weniger Handlung als vielmehr natürliche Ausrichtung des menschlichen Intellekts sei: »Again, when Aquinas spoke of his own immanent agent intellect converting upon phantasms, […] there is no need to wonder what it converted from. More specifically, the conversion of possible intellect to phantasm is described by Aquinas neither as activity nor as a shift in activity but as a natural orientation of human intellect in this life: it results from the perfection of the conjunction of soul to body; 65
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jekt (conversio ad phantasma): »Insofern die abstractio begriffen wird als dadurch geschehend, daß der sinnlich gewußte Inhalt durch das Licht des intellectus agens informiert wird, schließt sie eine conversio intellectus ad phantasma begrifflich schon ein als eine Hinwendung des Lichtes zum sinnlich Gewußten. Damit ist die abstractio sowohl wie die conversio schon vollzogen, und man kann mit Recht bald eher die abstractio als solche […], bald eher die conversio ad phantasma […] als illuminatio bezeichnen«. 70 Abstractio und conversio sind so notwendige Momente aneinander, die Erkenntnis vollzieht sich zirkulär und keineswegs in der von Levinas als ›odysseisch‹ apostrophierten, linearen Bewegung ›vom Ähnlichen zum Selben‹ (vgl. oben, Kap. 3.4). Beide Pole der Erkenntnisrelation resp. des ›hermeneutischen Zirkels‹ (Subjekt- und Objektpol) können zunächst rein formal als ›wahr‹ bezeichnet werden, weil ihnen als Seienden eine Signifikation eignet. ›Wahre Erkenntnis‹ nun setzt das Gelingen der Korrelation der sich wechselseitig erschließenden, ›wahren‹ Pole Erkenntnisgegenstand und Erkenntnissubjekt voraus, also in gewissem Sinne das, was klassischer Weise als adaequatio intellectus ad rem bzw. et rei bezeichnet worden ist. 71 Wie aber ist diese ›Entsprechung‹ oder ›Angleichung‹ näher zu denken? Diese Frage soll und kann hier nicht en détail durch den Entwurf einer Erkenntnislehre oder -metaphysik beantwortet werden (in diesem Zusammenhang kann getrost auf Thomas und den ihn entfaltenden Rahner verwiesen werden), der gewählte erfahrungssensibel-phänomenologische Denkansatz fordert hier lediglich erneut ein, die Spannung der beiden Erkenntnispole als solche aufrechtzuerhalten, also weder den einen zugunsten des anderen überzugewichten noch gar den einen in den anderen aufzuheben. Die letzte, vollkommene Adäquation von Erkenntnissubjekt und -objekt ist ihre prozessual-dynamische Korrelation als solche, die allein es verdient, den substantivierten transzendentalen Namen ›Wahrheit‹ zu tragen. Die Wahrheit erscheint somit wie ›das Sein‹ als […] it consists in human intellect having its gaze (aspectus) turned to phantasms […] and to inferior things« (The Concept of the Verbum in the Writings of St. Thomas Aquinas, 21). 70 GIW 230. Rahner zieht aus diesem Sachverhalt den lapidaren Schluss: »Abstractio und conversio sind für Thomas dasselbe: der Mensch« (ebd., 407). 71 E. Coreth formuliert dies – mit Blick auf die sprachliche Verfasstheit alles Denkens – wie folgt: »Sprachliches Verstehen verlangt also den Blick auf die Sache, die Sache selbst aber wird durch die Sprache erschlossen« (Coreth, Hermeneutik und Metaphysik, 429). A
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Analogon, sie existiert nicht für sich, sondern in und als Differenzeinheit bzw. Korrelation ihrer Relate, d. h. alles Wahren, zu dem sowohl Erkenntnisobjekte als auch -subjekte gleichermaßen zählen. Edith Stein verdeutlicht dies am Beispiel der ›wahren Proposition‹ : »Der Satz ist nicht ›eine Wahrheit‹ (veritas), sondern ein Wahres (verum) […]. Der Wahrheit des Satzes liegt das wahre – d. h. das in sich begründete und den Satz begründende – Sein zugrunde«. 72 Die Wahrheit ist also als Gesamtzusammenhang alles kraft seines Seins Wahren eine singulare, allerdings nicht subsistente und völlig dynamisierte Größe, die sich je neu durch und als das Zusammenspiel ihrer konstituierenden Relate ergibt, dabei jedoch auch an deren relativer Kontinuität partizipiert. Es ergibt sich folgende Definition: analogia veritatis Die Wahrheitsanalogie ist die Relation, d. h. die dynamisch-stetige, graduell-proportionale und logisch-inseparable Kongruenz von Übereinkunft und Differenzierung aller Seienden als ›Wahren‹ (Analogate) hinsichtlich des durch sie konstituierten und nichtselbständigen gemeinsamen Sinngehalts, der ›Wahrheit‹ (Analogon). So könnte, sofern das Wort ›Sein‹ im oben dargestellten, nichthypostasierten Sinne ausgelegt wird, Heidegger zugestimmt werden: »[D]ie Wahrheit […] ist anfänglich, und d. h. wesenhaft nicht ein Charakter des menschlichen Erkennens und Aussagens, Wahrheit ist auch erst recht kein bloßer Wert oder eine ›Idee‹, nach deren Verwirklichung der Mensch – man weiß nicht recht weshalb – streben soll, sondern Wahrheit gehört als Sichentbergen zum Sein selbst: fÐsi@ ist ⁄lffiqeia, Entbergung«; 73 Entbergung im Zusammenspiel aller Komponenten der Wirklichkeit resp. Erkenntnis (s. o.). Die fÐsi@ (das Sein bzw. die Wirklichkeit) in ihrer Insubsistenz als Analogon ist ›die Wahrheit‹, Erkenntnis- und Seinsrelation sind idenStein, Endliches und ewiges Sein, 17. Die große Husserlschülerin fährt fort: »Das wahre Sein ist es, worauf alle Wissenschaft abzielt. Es liegt aller Wissenschaft voraus, nicht nur der menschlichen […], sondern selbst noch der Wissenschaft als Idee […]. Und wenn es so ist, dann ist jede Wirklichkeitswissenschaft (als Wissenschaft von der vollen Wirklichkeit) schon ihrer Idee nach etwas, was niemals zum Abschluß kommen wird« (ebd., 17 f.). 73 Heidegger, Wegmarken, 301. Vgl. auch Gadamer, Wahrheit und Methode, 490: »Gehen wir von der ontologischen Grundverfassung aus, wonach Sein Sprache, d. h. Sichdarstellen ist« (s. Anm. 3). 72
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tisch. 74 Weiterhin gewinnt die als Analogon verstandene ›Wahrheit‹ eine geschichtliche Dynamik und wird somit in ihrer Vollgestalt zu einer eschatologischen Größe, wie Ricœur mit Blick auf Eph 1,10 und den dort grundgelegten Gedanken der ›⁄nakefalafflwsi@‹ formuliert: »Die letzte Einheit [der Wahrheit; M. L.], welche die Schrift ›Rekapitulation, in Christus‹ nennt, ist kein Term, der unserer Geschichte immanent wäre; sie bedeutet zunächst, dass die Einheit noch nicht gekommen ist, dass jede andere Einheit verfrüht und gewaltsam ist; sie bedeutet zunächst, dass die Geschichte noch offen ist«. 75 Das beschriebene Wahrheitskonzept hat freilich weitreichende Konsequenzen hinsichtlich der Reichweite menschlicher Erkenntnis: Alles Erkennen ist wider jeglichen Relativismus notwendig auf die ›eine Wahrheit‹ als Analogon hingeordnet, ohne sie jedoch vollkommen und ›ein für allemal‹ erfassen zu können; es befindet sich in einem kontinuierlichen und unabschließbaren Annäherungsprozess an die Wahrheit, die stets entzogen und geheimnishaft bleibt. 76 Das Maß der Annäherung an die Wahrheit kann sich nur im Erkenntnisprozess selbst zeigen und nicht apriorisch kriteriell bestimmt werden; als mögliche, pragmatisch einzulösende Kriterien einer ›wahreren‹ Erkenntnis können dabei aber – neben unerlässlichen Kohärenz- und Stringenzvoraussetzungen – etwa größere ›Integrativität‹, Plausibilität und Einfachheit betrachtet werden oder aber – ebenso kurz wie 74 Hartmann formuliert hier vielleicht zu vorsichtig, »daß die ganze Erkenntnisrelation in einer Seinsrelation wurzelt, ja eine Seinsrelation ist« (Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 182); die Erkenntnisrelation ist die Seinsrelation im Blickwinkel des verum. 75 Ricœur, Histoire et vérité, 224: »L’unité finale que l’Écriture appelle ›récapitulation, en Christ‹ n’est pas un terme immanent à notre histoire; elle signifie d’abord que l’unité n’est pas encore venue, que toute autre unité est prématurée et violente; elle signifie d’abord que l’histoire est encore ouverte«; vgl. ebd., 207–209. Die Nähe zur pannenbergschen Geschichtstheologie dürfte dabei leicht erkennbar sein. Vgl. zum Wahrheitskonzept Ricœurs etwa Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, hier v. a. 164–167. 76 Vgl. W 261: »Jetzt erst wird der Charakter der Wahrheit als Geheimnis ganz verständlich. Der unendliche Hintergrund, der sich hinter jeder endlichen Wahrheit abzeichnet, mehr noch: der innere Wesenszug auch aller weltlichen Wahrheit, alles Ausgedrückten, sich nicht anders auszudrücken zu lassen, als daß ein bleibendes Geheimnis miterscheint, der Wahrheit selbst also einen innerlich komparativen Charakter zu lassen: das alles wird erst sinnvoll im Lichte der innern Analogie aller Wahrheit«. Im Anschluss präzisiert v. Balthasar diese Analogie freilich noch als solche zwischen göttlicher und kreatürlicher Wahrheit, was im hiesigen Grundlegungszusammenhang jedoch verfrüht ist und erst Ergebnis einer theologisch inspirierten Metaphysik sein kann.
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scholastisch gesprochen – der Aufweis der je größeren Konvenienz der jeweiligen Gestalt vernünftiger Wirklichkeitsverarbeitung. Ethisch gewendet setzt das Gelingen der Erkenntnisrelation auf beiden Seiten ein gewisses Maß an ›Hingabe‹ und ›Sich-zur-Verfügungstellen‹ voraus, wobei freilich bereits das noch zu entwickelnde Transzendentale liberum als Eigenschaft auch des dinglich Seienden vorausgesetzt ist: »Der Wille [!] im seienden Objekt, sich zu erschließen, und der Wille im erkennenden Subjekt, sich vernehmend zu öffnen sind nur die doppelte Form der einen Hingabe«, folgert v. Balthasar und identifiziert diese gar mit der Liebe: »Damit ist die Einsicht gewonnen, daß die Liebe von der Wahrheit nicht trennbar ist«. 77 Vor dem Hintergrund dieser kritisch fundierten Betrachtung der Erkenntnisrelation erweist sich das apodiktische Postulat einer von der Erkenntnisrelation absehenden letztgültigen und unhintergehbaren (d. h. unbedingt wahren!) Einsicht, ob es nun transzendentaldeduktiv oder phänomenologisch-deklarativ erreicht wird, als hoch problematisch, nicht allein weil es den Denkprozess zu einem Ende führen zu können prätendiert, sondern überhaupt einen Metastandpunkt gegenüber ihm und somit auch gegenüber der Seins- und Erkenntnisposition des erkennenden Subjekts beansprucht. Ricœur nennt solch hypertrophen Anspruch einer Verfügbarmachung der Wahrheit die Degeneration des »Totalen« – als der berechtigten und unersetzlichen Einheitsperspektive 78 – hin zum »Totalitären«. 79 Diesen Gedanken steigert er gar bis zu der Schlussfolgerung, dass jede prätendierte »realisierte Einheit des Wahren […] präzise die initiale Lüge« sei. 80 Aufgrund ihrer Analogizität bleibt alle Erkenntnis unW 118; vgl. ebd. 131 f. S. Oster formuliert diesen Sachverhalt etwas umständlich: »Man kann sagen, das Maß, die Intensität der erkennenden Hingabe an den Gegenstand bestimmt und eröffnet somit zugleich das Maß ihres eigenen Bestimmt-werdens durch den Gegenstand« (Mit-Mensch-Sein, 448). 78 P. Ricœur unterstreicht – vor allem in seiner Note sur le vœu et la tâche de l’unité – die Berechtigung und Notwendigkeit des Postulats der Einheit der Wahrheit als »regulative[r] Idee« (Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 166), wenn er etwa schreibt: »Le Vrai et l’Un sont deux notions permutables. C’est le mensonge qui est légion, c’est l’erreur qui est plusieurs. Nous attendons l’Un en attendant le Vrai. L’exigence la plus radicale de la raison […], c’est que l’ensemble de nos attitudes, de leurs méthodes et de leurs objets constitue une totalité une« (Historie et vérité, 219). 79 Vgl. ebd., 216: »le faux pas du total au totalitaire«. Er macht dieses Totalitäre freilich andernorts aus, nämlich seitens des ›Klerus‹ und der ›Politik‹ resp. Geschichtsphilosophie. 80 Ebd., 200: »L’unité réalisée du vrai est précisément le mensonge initial«. 77
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vollkommen, ist stets begrenzt und von Nichterkenntnis durchsetzt, weil sie ihren Gegenstand in seiner Seinsintimität nie im Letzten auszudrücken vermag. So gilt schon innerkreatürlich, was Przywara über die Gotteserkenntnis schreibt: »Der ›Analogie‹ im Seinsverhalt entspricht die ›Analogie‹ im Erkenntnisverhalt: ›Erkennen im Nichterkennen und Nichterkennen im Erkennen‹«. 81 Insoweit ist also der ›postmodernen Allergie‹ gegenüber jeglichen überzogenen Sinnexplizierungsansprüchen zuzustimmen, jedoch ist deren ›Krankheitsverlauf‹ hin zum Relativismus ebenso unhaltbar: Nur um den Preis völliger Absurdität ablehnbar und insofern ›un-bedingt‹ ist nämlich die Anlage menschlicher Erkenntnis auf die eine Wahrheit hin bzw. ihre Positionierung als Analogat der beschriebenen universalen Erkenntnis- und Wahrheitsrelation als solcher. Aussagen mit dem Anspruch unbedingter Wahrheit können unabhängig von dieser Erkenntnisrelation aber nicht mehr bewiesen, sondern der Wirklichkeit nur immer mehr angenähert werden, 82 sie bleiben Deutungshypothesen, die sich ihrerseits je neu in und an ihr ›beweisen‹ müssen: Sie sind epistemisch zu vertreten, ohne epistemisch zu sein (Honnefelder), 83 und etwa nur apagogisch (Hösle, M. Schulz), konvergierend (Newman) oder kumulativ-kohärentiell (Wiertz) aufzuweisen, 84 bleiben aber als solche ebenso sehr Erkenntnis- wie Entscheidungsgegenstand. Der Zweifel ist im letzten nicht zu überwinden, sondern gewinnt gegenüber allem prätendierten, vorschnellen Abschluss der Erkenntnis – freilich als partielle Kontrollinstanz, nicht Selbstzweck – eine wichtige Kontrollfunktion, wie etwa Ricœurs Konzept einer ›Hermeneutik des Verdachts‹ 85 und Levinas’ Rede vom Skeptizismus als ›legitimem Kind der Philosophie‹ nahelegen. 86 Die erkenntnisgeleitete, aber irreduzible und stets ›verdächtige‹ Entscheidung für einen ›letzten‹ Sinn – die ja auch Pröpper hervorhebt 87 – könnte wiederum mit Ricœur und dem letztlich im HinterPrzywara, Ringen der Gegenwart, 307; vgl. ebd., 947 f.; AE 82. Vgl. Weissmahr, Ontologie, 48. 83 Vgl. Honnefelder, Die Bedeutung der Metaphysik für Glauben und Wissen, 56. 84 Vgl. oben, Kap. 1, Anm. 6. 85 Vgl. etwa SMA 350 f.: »Le soupçon est aussi le chemin vers et la traversée dans l’attestation«. Zur ricœurschen ›Verdachtshermeneutik‹ vgl. etwa Werbick, Umkehren?, 121. 86 Vgl. oben, Kap. 3.4. 87 Vgl. oben, Kap. 5.2. 81 82
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grund stehenden Blaise Pascal 88 als »Wette« (pari) beschrieben werden, sofern man diesen Begriff seiner vorrangig opportunistischen, spielerischen und willkürlichen Konnotationen entkleidet: Eine Wette also, die (wenigstens teilweise) selbstlos und existentiell bedeutsam (wenn nicht entscheidend!) ist und gleichzeitig auf denkerischer Verantwortung basiert. Wie bei einer ›wirklichen‹ Wette lässt sich das Angenommene (eine bestimmte oder die absolute Wahrheit) im Wettverlauf nicht ein für allemal vor sich selbst oder einem möglichen ›Wettpartner‹ beweisen, sondern setzt eine freie Entscheidung voraus, die sich erst am Ende als wahr oder falsch erweist (im Falle der Erkenntnis also jenseits des status praesentis vitae). Hierin zeigt sich erneut der – wiederum auch von Pröpper betonte 89 – wesentlich eschatologische Charakter der Wahrheit (s. o.). Eine solche ›Wette‹ basiert auf einem Probabilitätskalkül, das freilich nicht (wie tendenziell bei Pascal) zu einem geometrischen Schematismus ausgeweitet werden darf, sondern durchaus schwach im Sinne der genannten Argumentationsmuster (Apagogik-Konvergenz-Kumulation oder eben Konvenienz) verstanden werden kann. Gnoseologisch gewinnt diese kalkulierte Grundentscheidung als Denkvoraussetzung dann eine entscheidende und erkenntnisermöglichende Rolle. Ricœur spricht hier vom hermeneutischen Zirkel von Glauben und Verstehen (»[e]s ist nötig zu verstehen, um zu glauben, aber es ist nötig zu glauben, um zu verstehen«), der nicht als aporetische Sackgasse, nicht als »Teufels- oder Todeskreis« erscheint, sondern als »lebendig und stimulierend«. 90 Dies kann er freilich nur sein, wenn denn das Wagnis des ›Setzens‹ eingegangen wird: »Wie können wir diesen ›hermeneutischen Zirkel‹ überwinden? Indem wir ihn zur Wette verwandeln«. 91
Pascal entwickelt seinen komplexen Argumentationsgang zur ›Wette auf Gott‹ im berühmten Fragment 233 (nach brunschvicgscher Zählung), das um seine Erwägungen zur ›Wahrscheinlichkeitsregel‹ in den Fragmenten 234 und 260 zu ergänzen ist; vgl. zum Ganzen auch Zwierlein, Blaise Pascal zur Einführung, 19.88–97. 89 Vgl. oben, Kap. 5.1. 90 Vgl. Ricœur, La Symbolique du Mal, 326 f.: »On peut énoncer brutalement ce cercle: ›Il faut comprendre pour croire, mais il faut croire pour comprendre.‹ Ce cercle n’est pas un cercle vicieux, encore moins mortel; c’est un cercle bien vivant et stimulant«. 91 Ebd., 330: »Comment dépasser ce ›cercle de l’herméneutique‹? En le transformant en pari«. Vgl. hierzu auch Werbick, Umkehren?, 118: »Das Denken muß sich in diesen Zirkel hineinwagen und damit die Illusion der Voraussetzungslosigkeit aufgeben, ohne darauf verzichten zu können, seine Voraussetzung zu denken; es muß prüfen, ob es Denken bleibt, wenn es sich von dieser Voraussetzung zu denken geben läßt«. 88
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Der Begriff der ›Wette‹ impliziert auch, dass mit dieser inneren Entscheidung und Überzeugung auch ein äußeres Engagement, eine Bezeugung (attester bzw. attestation) bzw. ein Bekenntnis der eigenen Überzeugung verbunden ist. Ricœur setzt eine solche lebenspraktische attestation an Stelle der »epistemischen Übersteigerung des Cogito« der Transzendentalphilosophie und bezeichnet sie als »alethischen (oder veritativen)« Erkenntnisstil und einzige hermeneutisch verantwortbare Gewissheit; 92 Liebsch nennt dies den »Wahrheitsmodus der Bezeugung«. 93 Abschließend soll hier klar die klassische Position affirmiert werden, 94 dass der beschriebenen Analogizität der Erkenntnisrelation als ganzer eine ursprüngliche Analogie jeder Erkenntnis entspricht, dass also die Erkenntnis des menschlichen Subjekts aufgrund ihrer ursprünglichen Situierung ›inmitten des Seins‹ und innerhalb der beschriebenen Erkenntnisrelation zuallererst analog ist: Das Subjekt erkennt nicht zunächst distinktes Einzelnes, um es dann nachträglich in Relation zu setzen, es hebt nicht von vorneherein gemeinsame von unterscheidenden Rücksichten ab, sondern erkennt das Einzelne, und damit auch sich selbst, immer schon im Zusammenhang. Der Zusammenhang des Seienden, d. h. das Sein und die Wahrheit als Analogon begegnen dem Erkenntnissubjekt als Erstes, was letztlich nur eine Paraphrase des thomanischen Ausgangsaxioms des ens als primum notum und notissimum bedeutet. Thomas spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass die menschliche Geistseele apriorisch quodammodo omnia ist, also (zumindest ausgerichtet auf) das Ganze. 95 Alle Logik, d. h. alles Abscheiden, Auf- und Einteilen, Definie92 Vgl. SMA 33: »[L]a notion d’attestation par laquelle nous entendons caractériser le mode aléthique (ou véritatif) du style […] approprié à l’herméneutique du soi […]. L’attestation définit à nos yeux la sorte de certitude à laquelle peut prétendre l’herméneutique, non pas seulement au regard de l’exaltation épistémique du Cogito à partir de Descartes, mais encore au regard de son humiliation chez Nietzsche et ses successeurs«. Aus dieser Gegenüberstellung erklärt sich dann auch sein Plädoyer für ein ›cogito brisé‹ zwischen den Extrema eines »cogito exalté« (Descartes) und eines »cogito humilié« bzw. »déchu« (Nietzsche), vgl. ebd., 22.34 f. 93 Liebsch, Das Selbst im Missverhältnis zwischen Erzählung und Bezeugung, 75. Zur »Bezeugung« bei Ricœur vgl. etwa Orth, Das verwundete Cogito und die Offenbarung, 303–311; zur auf ihr basierenden »Hermeneutik der Zeugnisse« vgl. ebd., 451–460. 94 Vgl. etwa Przywara, Art. Analogie, 472: Die Analogie betrifft »nicht nur das ›Sein‹, sondern ebenso alle ›Erfassung des Seins‹, weil auch diese Erfassung z. ›Sein‹ gehört«. 95 Vgl. Thomas von Aquin, De veritate, q.1 a.1 c: »anima, quae quodam modo est omnia« mit Verweis auf Aristoteles, De anima, III. Vgl. zu diesem Gedanken auch Heinzmann, Thomas von Aquin, 27.38 u. ö.; Oster, Mit-Mensch-Sein, 449: »[W]eil der erken-
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ren und Abgrenzen stellt dieser ursprünglichen Intuition bzw. Erfahrung gegenüber stets etwas Sekundäres dar: Menschliche Erkenntnis in ihrem Anhub ist analog, um dann logisch, d. h. univok zu werden: »[D]as Wissen um die seinsmäßige Analogie der Dinge, die gleichzeitige Erfassung ihrer Einheit und Verschiedenheit ist die ursprüngliche Erkenntnis, der gegenüber das abstrakte, begriffliche Erkennen nur sekundär ist«. 96 Der Prozess der Univokation und ›Logisierung‹ ist notwendig, 97 weil sich diskursives Denken im Gegensatz zur ursprünglichen analogen ›Zusammenschau‹ (vgl. das universalisierte aristotelische sunor”n) der Intuition als Abgrenzung und Vergleich ereignet; er bleibt aber – in Verlauf wie Ergebnis – zurückgebunden an seine Ausgangssituation, nämlich die Verwurzelung in der Wahrheit als Analogon: Er kann Wahres erreichen, steht aber immer in und unter der Wahrheit als ganzer, die ihn bleibend bestimmt und ihm lediglich im Modus des ›auf-hin‹ verfügbar ist. Jede gewonnene und womöglich univok formulierte Einsicht (und sei es jene des Analogiegedankens selbst!) hat nicht nur die analoge Erkenntnis als »Voraussetzung und […] Ermöglichungsgrund«, 98 sondern muss stets in ihrer irreduziblen Rückbezüglichkeit (vgl. Siewerths grammatikalische Überlegungen zum ⁄nalogfflzesqai) gegenüber dem je ›intimeren‹ und inkommensurablen Ausgedrückten belassen werden und sich so im Urteilsvollzug erneut ›analogisieren‹ (vgl. hierzu auch den folgenden Exkurs). Die Analogie als theoretisches Konzept verdankt sich allerdings – dies ist nicht zu leugnen – dem diskursiven Denken und somit der Logik und Univozität, allein zeigt sie dabei gleichzeitig deren Grenzen auf und ermöglicht so erst das wahre Verstehen der Wirklichkeit: Der ›ersten Unmittelbarkeit‹ der intuitiven Zusammenschau folgt über den ›unumgänglichen‹ Weg der loginende Geist transzendental (d. h. als Möglichkeitsbedingung) auf die ganze Sich-mitteilende Welt hin offen ist (quodammodo omnia)«. 96 Weissmahr, Ontologie, 92. Die ursprüngliche Analogizität der Erkenntnis betonen etwa auch Coreth (Art. Analogie, 468; ders., Grundriß der Metaphysik, 65–67), Kasper (Der Gott Jesu Christi, 125), Rahner (vgl. GIW 401) und überraschender Weise Krings, der hier freilich von Begriffen, nicht aber von der Erkenntnis als solcher spricht: »[D]er Begriff entspringt nicht absolut. Er steht ursprünglich […] im Verhältnis. Das heißt: […] der Begriff ist ursprünglich analog […]. Univozität des Begriffs muß erst hergestellt werden« (Krings, Wie ist Analogie möglich?, 104). 97 Hier gilt in der Tat das von B. Weissmahr (Ontologie, 46) in diesem Zusammenhang angeführte, aristotelisch-scholastische Axiom »abstrahentium non est mendacium« (etwa STh I q.7 a.3 arg.1; Super De trinitate, p.3 q.5 a.3 ad1.; Sent. lib.1 d.30 q.1 a.3 ad1). 98 Kasper, Der Gott Jesu Christi, 125.
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schen Konzeption des Analogietheorems eine neue, ›zweite Unmittelbarkeit‹ und Zusammenschau der Wirklichkeit. Aufgrund der wesentlichen Ausrichtung ›auf Wahrheit hin‹ eignet analoger Erkenntnis neben der ursprünglichen Zusammenschau der Wirklichkeitskonstituenten als primärem Vollzug auch eine Transzendierungsdynamik, eröffnet sie also die Möglichkeit eines gedanklichen Überstiegs der aktuellen Erkenntnis- und Erfahrungslimitation (Grenet) 99 bzw. den klassischen ›Analogieschluss‹ als ›Erkenntnis von etwas Unbekannten durch etwas Bekanntes‹ (Scheltens). 100 Wichtig ist aber, dass dieser Schluss wie schon die Erkenntnis des vermeintlich verfügbareren, ›diesseitigen‹ Erkenntnisgegenstands nur hypothetisch bleibt und die ›Konnaturalität‹ der Erkenntnis somit nicht aufhebt. So formuliert Klubertanz etwa mit Blick auf den Aquinaten: »Der hl. Thomas entscheidet sich dafür, sich als Menschen zu akzeptieren, seine Erkenntnisgrenzen einzugestehen, aber auch sein Können. Dies ist wahrer Mut und Ehrlichkeit: die Verantwortung für alle eigenen Kräfte zu übernehmen, und unseren Intellekt in einer sorgsam disziplinierten und kritischen Weise zu seinem vollen Umfang zu treiben, zur analogen Erkenntnis der Existenz und des Wesens Gottes«. 101 ›Wahr‹ ist diese Erkenntnis als analoge eben nur im obigen Sinn als Teil der Erkenntnisrelation, in der sie sich als Erkenntnis je neu bewähren muss, und als nichtapodiktischer, nicht andemonstierbarer Gegenstand einer existentiellen Entscheidung. A. Anzenbacher sieht in diesem Gedanken der Erkenntniskonnaturalität eine wichtige Parallele zwischen den Philosophien Thomas’ und Kants; 102 unerwähnt bleibt dabei aber freilich der entscheidende Unterschied zwischen beiden, der sich anhand der beiGrenet, Les origines de l’analogie philosophique dans les dialogues de Platon, 17: »Or la methode analogique, c’est essentiellement une methode pour depasser les limites actuelles, provisoires ou naturelles, individuelles ou specifiques, de l’experience humaine«. 100 Vgl. Scheltens, Die thomistische Analogielehre und die Univozitätslehre des J. Duns Scotus, 328 f. u. ö. 101 Klubertanz, St. Thomas Aquinas on Analogy, 155: »St. Thomas chose to accept himself as a man, to admit his limitations of knowledge but also his power. This is the real courage and honesty: to take the responsibility of all one’s powers, to push, in a carefully disciplined and critical way, our intellect to its fullest extent, the analogous knowledge of the existence and nature of God«. Fraglich bleibt freilich, inwiefern bei Thomas wirklich von einer philosophischen (!) Erkenntnis des göttlichen Wesens gesprochen werden kann, s. o. 102 Vgl. Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 165. 99
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den von Klubertanz ausgemachten thomanischen Charaktereigenschaften der ›Ehrlichkeit‹ auf der einen, und des ›Mutes‹ auf der anderen Seite spiegelt: Thomas ist ›ehrlich‹ genug einzugestehen, dass sich die Grenzen der konnaturalen Erkenntnis nicht in virtueller Externalität überschauen lassen (vgl. Hegels Kantkritik hinsichtlich der Dialektik jeder absoluten Grenzsetzung), und ›mutig‹ genug, der Transzendierungsdynamik der Erkenntnis kritisch Raum zu geben. Exkurs: ›Tertium non datur‹ in praedicatione? Gedanken zur scheinbaren Unvereinbarkeit von Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus Die Gegenüberstellung von Thomas und Kant leitet organisch über zur geschichtsträchtigen Auseinandersetzung um die Analogie zwischen Thomas von Aquin und Johannes Duns Scotus, der ja – wie Ludger Honnefelder wiederholt in eindrucksvoller Weise zu zeigen vermochte – mit einigem Recht als eigentlicher geistiger Vater der Metaphysik als Transzendentalwissenschaft im neuzeitlichen Verständnis gelten kann. Allein ist diese Eingangsbemerkung gleich insofern einzuschränken, als die Debatte der beiden großen Denker weder geschichtlich (als Scotus um 1280 in den Orden eintritt und seine Studien beginnt, ist Thomas bereits tot!) noch sachlich unmittelbar geführt worden ist, argumentiert der Spätere von beiden doch mit Blick auf seinen Lehrer Heinrich von Gent und keineswegs unmittelbar mit Bezug auf den Früheren. Die aporetische Konfrontation beider Positionen ist also erst auf spätere Schulentwicklungen und -interessen zurückzuführen, in der Sache liegen beide, so wird im Folgenden zu zeigen sein, gar nicht so weit auseinander. Die Frage, die Scotus zu seiner Univozitätslehre und damit zum vermeintlichen Bruch mit Thomas führt, betrifft die Möglichkeit einer Analogizität des Begriffs (!) ens und ist somit keineswegs identisch mit Thomas’ Frage nach der Analogizität des realen ens, die erst – lange nach Scotus – im aufkommenden Schulthomismus von ihrem genuinen Ort in der Prädikationslogik in die Semantik bzw. Begriffslogik übertragen wird. 103 So formuliert É. Gilson zu Recht: »Um nur ein illustres Beispiel zu zitieren, Thomisten und Scotisten liefern sich endlose dialektische Wettstreite über die Univozität des Seins, ohne zu ah103
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Vgl. hierzu etwa Kluxen, Art. Analogie, 223–225; G. L. Müller, Art. Analogie, 581.
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nen […], dass das ›Sein‹, von dem sie sprechen, nicht dasselbe ist, es könnte tatsächlich sein, dass das eine analog ist und das andere univok, weil das eine dasjenige des Aristoteles ist, welches Thomas vertieft, und das andere dasjenige Avicennas«. 104 Olivier Boulnois konnte weiterhin aufzeigen, dass die scotische Univozität im Begrifflichen gerade zur Wahrung der gemeinsam mit Thomas affirmierten realen Seiendenanalogie dienen sollte. 105 Die begriffstheoretische Frage wird sich im Folgenden ohnehin als nachrangig und keineswegs als hinreichender Trennungsgrund der Positionen erweisen. Schwieriger ist aber in der Tat die Frage nach der konkreten Prädikation (also der Begriffsapplikation im Urteil), deren notwendig modal-modifizierenden Einfluss auf den Begriff Scotus allerdings – entgegen der Behauptung mancher vorschneller Kritik – keineswegs bestreitet, sondern durch aposteriorische Fortbestimmungen des apriorischunivoken ens-Begriffs zu gewährleisten versucht, was sich mit der Intention (nicht aber der Konsequenz!) des thomanisch-analogen Modells deckt. Es müsste also eingangs konstatiert werden, dass zwischen beiden großen Denkern eine weit größere Gemeinsamkeit besteht, als gemeinhin angenommen wird, und dass Scotus lediglich einen – allerdings bedeutsamen – Schritt weiter als Thomas von der konkreten Wirklichkeitserfahrung der conversio weg in die abstractio, den ›reinen Begriff‹ bzw. die Logik, hinein tut und somit gegenüber diesem zwar ›Neuland‹ betritt, aber keineswegs den gemeinsamen Weg verlässt. Die neue Frage des Scotus nach der Möglichkeit einer Analogizität der Seiendenbegriffs soll nun behandelt werden, wobei seiner eigenen eine divergierende (gewissermaßen ›thomistische‹) Position im Sinne der hiesigen Analogiekonzeption gegenübergestellt werden soll. Dabei werden sowohl einige Missverständnisse zu beheben und eine gewisse Komplementarität der beiden Positionen zu konstatieren als auch ihr unleugbarer, tatsächlicher 104 Gilson, Jean Duns Scot, 88: »Pour ne citer qu’un exemple illustre, thomistes et scotistes se livrent à des joutes dialectiques interminables sur l’univocité de l’être, sans se douter […], que l’ ›être‹ dont ils parlent n’étant pas le même, il se peut en effet que l’un soit analogue et que l’autre soit univoque, parce que l’un est celui d’Aristote approfondi par Thomas d’Aquin et l’autre celui d’Avicenne«. 105 Vgl. den bezeichnend untertitulierten Aufsatz Boulnois, Duns Scot. Théoricien de l’analogie de l’être. Eine solche Konzeption – d. h. eine begriffliche Univozität bei realer Analogie – hatte ja überraschenderweise schon der frühe Thomas als eine der drei möglichen Analogiearten erwogen (vgl. die Analogie »secundum esse et non secundum intentionem«, Sent. lib.1 d.19 q.5 a.2 ad1).
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Unterschied herauszustellen sein. So ergeben sich fünf Etappen für diesen Exkurs: Zunächst wird auf Scotus’ Ablehnung der begrifflichen bei gleichzeitiger Affirmation der realen Analogie einzugehen sein (1), dann auf seine als Abgrenzung von Heinrich von Gent zu verstehende Kehre zur Univozität (2) sowie auf den Status des univoken ens-Begriffs als eines conceptus imperfectus und dessen Konsequenzen hinsichtlich der konkreten Prädikation (3). Auf diesem Hintergrund soll dann nochmals und spezifiziert die begriffs- und prädikationstheoretische Position der vorliegenden Arbeit wiederholt werden (4), bevor dann abschließend ein kurzes Resümee der tatsächlichen Kontroverse, aber auch Komplementarität der beiden Positionen erfolgen kann (5). (1) Scotus spricht – so ist schon angeklungen – hinsichtlich des realen Seins von Gott und Schöpfung durchaus von Analogie, die für ihn gleichbedeutend ist mit dem Gedanken der attributiven Partizipation und der aus ihm gefolgerten, ontischen Vor- und Nachordnung (per prius et posterius). 106 Der stets um wissenschaftliche Exaktheit bemühte Franziskaner hinterfragt nun aber die aus der wechselhaften und synthetisierenden Rezeptionsgeschichte des Aristoteles 107 stammende Annahme, dass dieser Analogie in der Realität auch eine Analogie im Begriff und in der Prädikation entspricht, dass es also analoge Begriffe und – mit Averroes – einen eigenen ›dritten‹ (bzw. ›mittleren‹), analogen Prädikationsmodus neben (bzw. zwischen) der univoken und äquivoken Prädikation geben kann. Scotus verwirft diese Möglichkeit, weil ein Begriff für ihn distinkt sein, d. h. eine oder mehrere eindeutig definierbare Bedeutungen (rationes) aufweisen muss: Liegt nur eine ratio vor, handelt es sich um einen univoken Begriff, existierten mehrere, ist der Begriff äquivok: Eine Gradualität resp. (wie im Falle der Analogie nach scotischer Definition) eine Vorund Nachordnung innerhalb der ratio eines Begriffs zerstört deren Einheit und Distinktion, es handelt sich also laut Scotus in Wahrheit um eine Mehrzahl an rationes, d. h. um Äquivozität: Es gebe daher – 106 Vgl. etwa Ord. lib.1 d.3 p.1 n. 163 (III, 101): »diversitatem realem illorum [sc. entium; M. L.] in quibus est attributio«; Johannes Duns Scotus, Super librum elenchorum Aristotelis, q.15 n. 6 (336 f.); vgl. hierzu auch Boulnois, Duns Scot, 298; Honnefelder, Ens inquantum ens, 310. 107 Vgl. hierzu oben, 7.2; im hiesigen Zusammenhang ist vor allem auf die unkritische Verschmelzung von Proshen-Relation und Analogiegedanken mit der Paronymie hinzuweisen.
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für den Logiker und damit laut Scotus für den gegenüber dem bloßen Naturphilosophen höherrangigen Denker – keine Mitte zwischen Univozität und Äquivozität: »Zwischen das Selbe und das Viele fällt keine Mitte, alles, was begriffen wird, wird unter derselben ratio begriffen, oder unter verschiedenen«, weshalb »jeder Name [sc. Begriff; M. L.] entweder äquivok oder univok sein wird«. 108 Der Begriff kann die analoge Ordnung der Wirklichkeit also nicht abbilden, sondern muss völlig von ihr abstrahieren, trifft somit aber auch kein ontologisches Präjudiz über sie; der realen Analogie entspricht keine solche des Begriffs oder der Prädikation. 109 Die abstraktive Erkenntnis führt im Moment der Setzung stets notwendig zu einem distinkt-univoken Begriff, weil Setzung und Distinktion letztlich identisch sind und der ›einfache‹ Erkenntnisakt auch nur einen ebensolchen Gehalt beschreiben kann, 110 während die konkrete Prädikation als Rückbezug des Begriffs auf die reale ›Sache‹ im Urteil stets zu einer nachträglichen Modifikation führt, die für Scotus aber nur eine äußerliche sein kann. (2) Wie lässt sich nun aber das realiter analoge ens prädizieren? Scotus antwortet hier unterschiedlich und durchläuft einen Weg von der Äquivozität zur Univozität. Zunächst ordnet er die Seienden-Sage in seinen logischen Schriften klassisch den aequivoca zu, 111 weil er mit 108 Die gesamte Textstelle (aus Super librum elenchorum Aristotelis, q.15 n. 3 [333]) lautet: »Inter idem et diversum non cadit medium; ergo omne quod concipitur, concipitur sub eadem ratione, vel diversa. Sed illa, quae concipiuntur sub eadem ratione, in illa ratione univocantur. Quae autem sub ratione diversa concipiuntur, sub illis rationibus diversis aequivocantur. Cum igitur inter idem et diversum non cadit medium, omne nomen vel erit simpliciter aequivocum vel univocum«. Vgl. hierzu auch etwa Boulnois, Duns Scot, 294 f.; Honnefelder, Ens inquantum ens, 274. 109 Vgl. etwa Boulnois, Duns Scot, 298: »Le nom ne peut pas signifier selon une relation d’antéro-postériorite […]. En lui-même, le signe n’institue aucun ordre, n’implique aucune priorité. Il est commun, indifférent et neutre à tous ses signifiés. Il n’y a donc pas place pour une analogie dans l’ordre sémantique. Mais ceci ne préjuge pas des rapports réels entre les choses, des relations entre l’antérieur et le postérieur […]. Le signe est arbitraire et n’épouse pas la nature des choses«. 110 Vgl. hierzu etwa Honnefelder, Ens inquantum ens, 168–175, bes. 170 f. 111 Hier ist erneut auf die wirkmächtige Aristotelesinterpretation des Porphyrios zu verweisen, der zufolge die Analogie eine der vier Formen der ¡monumffla ⁄p dianoffla@ (›begründete Homonymie‹ gegenüber der ¡monumffla ⁄p tÐch@ als ›willkürlicher Homonymie‹) sei, die Boethius dann übernimmt und als aequivocatio a consilio gegenüber der aequivocatio a casu latinisiert: vgl. Anzenbacher, Analogie und Systemgeschichte, 20–22; Lyttkens, The analogy between God and the world, 59–61.
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Aristoteles die Gattungsaporie eines generisch-washeitlichen ensBegriffes einsieht wie auch die Tautologie (resp. scholastisch: nugatio) jeder seiner möglichen Definitionen. Diese Lösung stellt wohl philosophisch die letzte Konsequenz der Position Heinrichs von Gent dar, der seinen anfangs ›analogen‹ und ›konfusen‹ ens-Begriff in die zwar bedeutungsnahen, aber letztlich doch getrennten rationes eines ens indeterminatum privative (kreatürlich Seiendes) und eines ens indeterminatum negative (das göttliche Seiende) aufspalten muss. 112 Im Rahmen seiner Illuminationslehre hebt Heinrich diesen Hiatus dann freilich vermittels des ›Theologenlichts‹ zugunsten des göttlichen Seins in letztlich theo-monistische Univozität auf. 113 Scotus sieht in der Äquivozitätslösung eine doppelte Problematik, der Heinrich in seinen Augen auch tatsächlich erliegt, nämlich die Aufhebung sowohl der Einheit der Wirklichkeitserfahrung als auch der Möglichkeit jeglicher philosophischen Gotteslehre: Da Scotus selbst strikt am aristotelischen Wissenschaftsbegriff festhält und das eine Subjekt einer jeden Wissenschaft nur als distinkten Begriff zu denken vermag, verfällt für ihn mit dem eindeutigen transzendentalen Seinsbegriff die Möglichkeit jeder Metaphysik als Wissenschaft. Denn ohne einen univoken Gegenstand wird der Syllogismus als Grundparadigma wissenschaftlichen Denkens verunmöglicht, weil die Mehrdeutigkeit schon eines seiner Glieder zu einer quaternatio terminorum und somit zur sogenannten fallacia aequivocationis führt. Mit der Metaphysik als Wissenschaft würde nun aber alle transzendentale Thematisierung des Seienden ausgeschlossen, ob nun ›im Ganzen‹ oder ›im Höchsten‹ betrachtet; Ontologie und philosophische Gottesrede verlören ihre Berechtigung. Zugleich verlöre auch die Theologie ihre Vernunftrechenschaft und erhöbe sich dennoch – in der Tat kraft eines eigenen ›Theologenlichts‹ – über die menschlichen Erkenntnisgrenzen, behaupte Gottes Sein zu erkennen und das nachgeordnete geschöpfliche Sein von ihm her beschreiben zu können, was Scotus zu Recht als Hybris erscheinen muss. Angesichts dieser doppelten Gefahr, also aus philosophischer und v. a. auch theologischer Motiva112 Vgl. etwa Heinrichs Summa, a.21 q.2 (Heinrich von Gent, Henry of Ghent’s Summa, 56): »Intelligendum tamen quod illa indeterminatio alia est respectu esse Dei, et alia respectu esse creaturae, quia duplex est indeterminatio, una negativa, altera vero privative dicta«. Vgl. hierzu Honnefelder, Ens inquantum ens, 281 f.; ders., Duns Scotus, 59; Kluxen, Art. Analogie, 224. 113 So kommt etwa O. Boulnois zu dem Schluss: »Henri de Gand est en théologie le théoricien de son [sc. celle de l’étant; M. L.] univocité« (Duns Scot, 309).
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tion heraus, 114 entwickelt Scotus nun in den verschiedenen überlieferten Sentenzenkommentaren seine wirkmächtige Univozitätslehre, wobei die von Boulnois mit Gilson postulierte chronologische und sachliche Ebenmäßigkeit dieses Weges von der Behauptung der Äquivozität zu ihrem Gegenteil angesichts der unklaren Datierung der Schriften doch etwas fraglich bleibt. 115 (3) Eine gründliche Herleitung des univoken ens-Begriffs des Duns Scotus’ würde den hiesigen Rahmen sprengen und ist andernorts ja auch erschöpfend unternommen worden, hier sollen nur einige grundlegende Charakteristika genannt sein: Die Sorge um Einheit des Subjekts von Metaphysik und philosophischer Gotteslehre (und somit um die Vernunftmäßigkeit des christlichen Glaubens überhaupt!) führt den doctor subtilis zu einem basalen washeitlichen Begriff des Seienden, der ebenso auf Gott wie auf die Kreatur anzuwenden ist und eine beiden gemeinsame, eindeutige ratio aufweist. Diese ratio besteht in der bloßen Nichtrepugnanz der Seienden-Prädikation, so dass sich ens nun definiert als ein etwas, »cui non repugnat esse«. 116 Scotus ›verdoppelt‹ somit die ›ratitudo entis‹, 117 die ›Festigkeit‹ des Seienden, indem er dem ›faktischen Seienden‹ ein ›mögliches Seiendes‹ als rein formalen und univoken Grundbegriff beigesellt. 118 Hier wird das thomanische Ideal einer dynamischen, noetisch-noematischen Synthese (vgl. das obige in actu sint unum) also durch einen strukturellen Parallelismus ersetzt: Der Analogizität des wirklich Seienden hinsichtlich des Sinngehalts ›seiend‹ – der die 114 Der eigentliche Motor des scotischen Neuansatzes dürfte wohl in der Tat die theologische Befürchtung gewesen sein, die christliche Gottesrede bei Ablehnung der Univozität und ausgeschlossener Analogie der Äquivozität und damit der begrifflichen Absurdität auszuliefern. Hier bestätigt sich R. Schönbergers Beobachtung, dass das Problem um Analogie und Univozität »fast ausschließlich von Theologen« behandelt worden ist, weil die »eigentlich motivierende Frage eine theologische war« (Die Transformation des klassischen Seinsverständnisses, 122). 115 Vgl. hierzu Boulnois, Duns Scot, 293, i. V. m. Gilson, Jean Duns Scot, 87. 116 Ord. lib.4 d.1 q.2 n. 8 (XVI, 109) u. ö.; vgl. auch Anm. 118. 117 Vgl. Honnefelders Aufsatz Die Lehre von der doppelten ratitudo entis und ihre Bedeutung für die Metaphysik des Johannes Duns Scotus. 118 Vgl. Ord. lib.1 d.36 q.1 n. 48 (VI, 290): »[D]ico quod ›ens ratum‹ aut appellatur illud quod habet ex se firmum et verum esse, sive essentiae sive exsistentiae (quia unum non est sine altero, qualitercumque distinguantur) aut ›ens ratum‹ dicitur illud quod primo distinguitur a figmentis, cui scilicet non repugnat esse verum essentiae vel exsistentiae«; vgl. hierzu Honnefelder, Die Lehre von der doppelten ratitudo entis und ihre Bedeutung für die Metaphysik des Johannes Duns Scotus, 666.
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Seienden in gleichem Maße verbindet wie differenziert (s. o.) – entspricht keine solche des Begriffs ›seiend‹, der nur mehr auf das Gemeinsame abhebt. Die Abstraktion wird völlig von der Konversion getrennt und hierin zu einer apriorischen Konstruktion. Der schottische Gelehrte ist sich jedoch – und dies ist das zentrale Missverständnis seitens vieler seiner Gegner 119 – des abstrakten Konstruktionsstatus seiner Lösung bewusst und bleibt auch ihr gegenüber wissenschaftlich korrekt und kritisch genug, um die Defizienz dieses Begriffs einzusehen und ihn daher nur als conceptus imperfectus zu betrachten. 120 Die imperfectio des Begriffs zeigt sich erstens in der bleibenden Definitionsproblematik, wird das Zu-Definierende doch in Gestalt des Nonrepugnanzgedankens (cui non repugnat esse [!]) in der Definition wiederholt und diese somit zunächst einmal tautologisch. Diese Tautologie relativiert sich freilich mit dem Grad der Essentialisierung des Seienden-Begriffs, also in dem Maße, in dem die beiden ratitudines zugunsten eines bloßen Parallelismus getrennt werden. Im Rahmen dieses Parallelismus wird der Begriff ens als eigenständiger noetischer Gehalt, nicht aber mehr als Partizip des realen esse verstanden, das seinerseits nur mehr die logisch zu vernachlässigende Rolle einer bloßen positio dieses in sich vollständigen Gehalts bekleidet. Unbestritten defizient bleibt der Begriff aber zweitens aufgrund des fortbestehenden Problems der Gattungsaporie (dass also keine artbildenden Differenzen hinzutreten können, die nicht ebenfalls ›seiend‹ wären). Diese zwingt Scotus zu dem Eingeständnis, dass der Begriff keinerlei Generizität mehr aufweise und somit keine Deduktionen erlaube: »Das Seiende ist nicht mehr ein Antriebskonzept des Intellekts, aus dem wir seine Differenzen logisch deduzieren 119 Hier seien nur exemplarisch zwei Beispiele angeführt, nämlich der bereits etwas betagte Scotusverriß des Franziskaners (!) G. Scheltens (Die thomistische Analogielehre und die Univozitätslehre des J. Duns Scotus) sowie die aktuelle Scotuskritik durch C. Pickstock (Duns Scotus). 120 Vgl. hierzu etwa Dreyer/Ingham, Johannes Duns Scotus, 27–33; Honnefelder, Ens inquantum ens, 365–375; ders., La métaphysique comme science transcendantale, 33. M. Burger schreibt in diesem Zusammenhang: »Dieser durch die Analyse der Möglichkeiten von Erkenntnis erlangte Begriff des Seienden als Ersterkannten läßt sich, sofern man ihn inhaltlich fassen will, nur negativ definieren als das, dem es nicht widerstreitet zu sein. Damit wird sprachlich zum Ausdruck gebracht, daß die Grenzbegriffe der ontologischen Bestimmungsordnung, nämlich der schlechthin einfache Begriff des Seienden wie auch die letzten Differenzen, als solche nicht definiert werden können« (Burger, Univozität des Seienden – Univozität der Person, 318).
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könnten«. 121 Der völlig abstrakte, univoke ens-Begriff als reine Bestimmbarkeit bedarf nämlich zu seiner Vollständigkeit aposteriorisch weiterer modaler Spezifikation, in erster Linie durch die disjunkten Transzendentalien bzw. ›letzten Differenzen‹ (ultimae differentiae), nämlich ›endlich‹ resp. ›unendlich‹ sowie ›kontingent‹ resp. ›notwendig‹. 122 Der Seienden-Begriff muss also aufgrund seiner anfänglichen Minimalität und ›konversionsentbundenen Abstraktheit‹, d. h. der fehlenden apriorischen Bestimmtheit durch das faktisch Seiende im konkretisierenden Rückbezug auf dieses (›Prädikation‹) modifiziert und fortbestimmt werden, um überhaupt erst analytisch fruchtbar zu sein. Freilich kann diese Fortbestimmung aufgrund des generellen Ausschlusses einer dynamisch-graduellen, intrinsisch modifizierbaren ratio nur mehr durch von außen hinzutretende Differenzen vonstatten gehen. Hier bleibt die Überwindung der Gattungsaporie allerdings wenigstens fraglich, denn Scotus lehnt zwar mit Recht die Generizität des Begriffs ab, kann aber nicht mehr das Verhältnis zwischen dem vermeintlich allgemeinsten, ›washeitlichen‹ Begriff ens und den ihm unvermittelt beigesellten, ›qualifizierenden‹ letzten Differenzen klären (die ihm zwar äußerlich sind, aber dennoch ebenfalls als ›seiend‹ betrachtet werden müssten). Der univoke ens-Begriff ist also ein fragmentarisches Verstandeskonstrukt, dessen Defizienz laut Scotus aber angesichts des drohenden Verlustes des wissenschaftskonstituierenden Subjekts der Metaphysik in Kauf genommen werden muss, er ist als bloßer »Platzhalter« (tenant lieu) des ersten Verstandesobjekts bzw. des Subjekts der Metaphysik zu betrachten. 123 (4) Gegenüber dieser in der Tat ›subtilen‹, aber zweifelsohne in ihrem Problemhorizont höchst verdienstvollen und wirkmächtigen Konzeption des schottischen Franziskaners soll hier aber dennoch erneut (vgl. 8.2.1 f.) für ein analoges Prädikations- und (wenngleich weniger vehement) Begriffsmodell plädiert werden. Das scotische Konzept 121 Boulnois, Duns Scot, 313: »L’étant n’est plus un concept moteur de l’intellect, à partir duquel nous pourrions déduire logiquement ses différences. Scot réduit son univocité à une extension minimale, celle de l’unité quidditative«. 122 Scotus kennt insgesamt drei zum ens-Begriff hinzutretende Arten von Transzendentalien (neben den disjunkten ultimae differentiae noch die propriae seu convertibiles passiones entis und die perfectiones simpliciter); vgl. hierzu etwa Honnefelder, Ens inquantum ens, 303 f.313–339; ders., Duns Scotus, 64. 123 Vgl. Honnefelder, La métaphysique comme science transcendantale, 35.
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leuchtet auf Basis seiner Voraussetzungen sicherlich ein, allein werden zwei von diesen in der vorliegenden Arbeit dezidiert abgelehnt: Erstens wird unter ›Analogie‹ mehr und anderes verstanden als ein überschautes (vgl. das ›Theologenlicht‹) Verhältnis der Vor- und Nachordnung, nämlich eine dynamische sinnkonstituierende Relation, die ipso facto nicht überschaubar und erst recht nicht definierbar ist (wie Scotus der analogen Prädikation unterstellt), sondern sich je neu aposteriorisch der Wirklichkeitsbetrachtung verdankt. Zweitens wird das Grundaxiom der scotischen Begriffslehre abgelehnt, dass ›einfache Erkenntnisakte‹ nur einfach-univoke Gehalte zu abstrahieren vermögen und jeder wissenschaftlich verwertbare ›Begriff‹ demzufolge eineindeutig definierbar sein muss, ob es sich nun um einen univoken Begriff mit einer ratio oder einen äquivoken Begriff mit mehreren rationes handelt. Es ist durchaus möglich, ›Wissenschaft‹ weniger abstrakt und mathematisch zu verstehen, sofern die ›abendländische‹ Zweiwertlogik nach dem obigen Analogieverständnis und gemäß der ursprünglich indifferenten Wirklichkeitserfahrung (der ›analogen Zusammenschau‹) zugunsten der Existenz von verbindenden und gleichzeitig differenzierenden Sinngehalten relativiert wird. Die Wissenschaft folgt dann nicht mehr dem erfahrungs- und somit lebensfernen (oder gar – mit Levinas – ›totalitären‹) Ideal einer streng syllogistisch-deduktiv operierenden mathesis universalis, sondern erlaubt, Begriffe zu denken, die nicht von der modalen Konkretion (oder emphatischer gesprochen: Geheimnishaftigkeit) der beschriebenen Gegenstände absehen. Der Begriff und die Begriffsanwendung (Prädikation) bleiben so von vorneherein ›lebensnäher‹ (d. h. weniger abstrakt und konstruiert), und das menschliche Denken gerät nicht auf die – vielleicht in der Tat bei Scotus begonnene, von diesem aber keinesfalls intendierte – Bahn eines hypertrophen Idealismus und eines essentialistischen Deduktionalismus, den er durch die Transgenerizität der Transzendentalbegriffe ja gerade ausschließen wollte. 124 Sicherlich lassen sich die Begriffe in die reine Abstraktion rücken, allein bedarf es dann wohl schon eines so fähigen und gewissenhaften Geistes wie jenem des seligen Schotten, um sie je neu an der Wirklichkeit brechen zu lassen (und nicht umgekehrt). Wäre es aber nicht noch ›kritischer‹ und gleichzeitig auch einfacher, die Begriffe – ungeachtet ihres notwendigerweise auch abstrahierenden Charakters und der mit ihm gegebenen relativen Definitions124
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Vgl. Anm. 121; vgl. auch Dreyer/Ingham, Johannes Duns Scotus, 32 f.
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bedürftigkeit – nicht apriorisch von der ausgedrückten Wirklichkeit abzuscheiden, sondern sie vielmehr in bleibender, dynamischer Wechselwirkung mit ihr zu sehen, wie es der thomanische Ineinsfall von abstractio und conversio und der heideggersche Gedanke des ›Ge-Stells‹ implizieren? Ein analoger Begriff hat eine ratio, die aber nicht ein für allemal definierbar ist, sondern bei relativer Kontinuität und vorläufiger Definierbarkeit ihres Gehalts je neu durch die Wirklichkeitsbegegnung modifiziert wird: Er erschließt die Wirklichkeit, in dem er selbst durch sie erschlossen wird. Der Begriff erhält also Anteil an der Kontinuität des durch ihn bezeichneten Seienden und ist somit keineswegs notwendig ›konfus‹ (Heinrich von Gent), 125 sondern spiegelt durch seinen bleibend ›prekären‹ Status 126 – oder positiv formuliert: seine »Geschmeidigkeit« 127 – die eingeschränkte Position menschlichen Denkens in der Erkenntnisrelation der analogia veritatis wieder. In seiner noetisch-definitorischen Schwäche (die freilich nur die Kehrseite größtmöglicher Intension wie Extension ist) eignet er sich in der Tat nicht für einen streng mathematisch-apodiktischen Beweis, allein kann schon aus philosophischer, erst recht aber auch christlicher und theologischer Sicht ein solcher ohnehin nicht als Ideal der Wirklichkeitsbetrachtung angesehen werden. Insofern lassen sich vor allem die Transzendentalbegriffe als analog betrachten, weil ihre (echte, d. h. nicht-tautologische) Definierbarkeit, ihre Generizität und Deduktionstauglichkeit augenscheinlich ausgeschlossen sind. Im Letzten aber, so behauptet etwa Krings wohl zu recht, ist jeder wirklichkeitsbezogene Begriff analog, 128 weil per Definition kein eigenständiges Element der Wirklichkeit (nicht einmal unter bestimmter Rücksicht) absolut identisch mit einem anderen ist, und damit jede Definition (ratio) eines solchen Begriffs letztlich auf den undefinierbaren ens-Begriff zurückzuführen ist: Natürlich heben die wirklichkeitsbezogenen, nichttranszendentalen Begriffe auf eine augenscheinlich gemeinsame, definierbare ratio der beschriebenen Wirklichkeiten, also einen eindeutigen Sinngehalt ab und definieren ihn, allein setzt dieser in seiner Definition im Letzten das analoge So auch etwa Coreth, Dialektik und Analogie des Seins, 81. Vgl. Penido, Le rôle de l’analogie de l’être en théologie dogmatique, 27: »Enfin, dernière conséquence, le concept analogique n’a qu’une unité précaire«. 127 Weissmahr, Philosophische Gotteslehre, 97. 128 Vgl. Anm. 96. 125 126
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Sein dieser Seienden voraus. Jedes Element der ›Prädikationsklasse‹ konkretisiert den ausgedrückten gemeinsamen Sinngehalt, es konkretisiert ihn aber gemäß dem eigenen spezifischen Seinsort und -modus, so dass es gerade auch hinsichtlich des gemeinsamen Sinngehalts von den übrigen Elementen differiert. Was nun die analoge Prädikation anbetrifft, so erscheint sie gar unersetzlich zu sein, um die Begriffskonsistenz in der konkreten Applikation zu bewahren: Ohne die Möglichkeit einer inneren Modifikation des Begriffs im Urteilsvorgang – die ja auch bei einer virtualisierenden Univokation des Begriffs in sich möglich ist – bleibt nur die inakzeptable Alternative zwischen der von Scotus ausgeschlossenen totalisierend-univoken Kommensurierung der Wirklichkeit in einem fixen Begriff und der von ihm (etwa in Gestalt der ultimae differentiae) affirmierten, der Gattungsaporie aber letztlich nicht entkommenden Fortbestimmung eines in sich völlig abstrakten Begriffs in der Anwendung. Der erste Fall kann nur mehr als kontraintuitive Verbegrifflichung der Wirklichkeit betrachtet werden, aber auch im zweiten Fall erreicht die Logik nicht mehr die extramentale Wirklichkeit, kann sie den differenzierend-vereinigenden, wirklichen Sinngehalt doch nur noch durch eine konstruierte reine Gemeinsamkeit ersetzen, deren künstlicher Rückbezug auf die Wirklichkeit in Gestalt externer Fortbestimmung schon logisch problematisch bleibt. Hier ist also zu fragen, inwieweit die Metaphysik ohne die Möglichkeit analoger Prädikation nicht letztlich doch ihren genuinen Gegenstand (das wirkliche [!] Sein im Höchsten und Ganzen) zugunsten eines reinen ›Gedankenkonstrukts‹ aufgeben muss. (5) Es dürfte deutlich geworden sein, wo der eigentliche Unterschied zwischen einer thomanisch-inspirierten, ausgewogenen Erkenntnistheorie und der abstrakteren scotischen Univozitätslehre liegt und wo nicht. Entgegen oberflächlichen Darstellungen teilen Thomas und Scotus die partizipationslogische Weltsicht (reale Analogie) sowie die Sorge um Bewahrung der Grenzen der Erkenntnis und des ihr entzogenen göttlichen Wesens (und Wissens!). Die Differenz fußt also auf einem sehr umfangreichen Konsens und hebt diesen nicht auf. Scotus kommt allerdings bei identischer Intention (i. e. der Ermöglichung metaphysischer Erkenntnis der Wirklichkeit ›im Ganzen und Höchsten‹) aufgrund differierender Prämissen, nämlich vor allem der Forderung nach notwendig eineindeutiger (›einfach-gehaltlicher‹) Definierbarkeit jedes wissenschaftlichen Begriffs zu seiner 464
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Univozitätslehre. Der ens-Begriff wie überhaupt jeder menschliche Begriff rückt damit gegenüber der thomanischen Lösung eines Zusammenspiels von abstractio und conversio völlig in den Bereich der Abstraktion resp. Logik, um erst im Rückbezug auf die reale Sache – die er also keineswegs einholt – modifiziert zu werden. Diesen Rückbezug kann Scotus aber nur unter einer bleibend der Gattungsaporie verdächtigen Fortbestimmung denken, was die Erkenntnisproduktivität dieses Konzepts in Frage stellt. Scotus selbst gesteht diese Defizienz des Begriffs freilich ein und folgert aus ihr eine strenge Transgenerizität, die jeglichen essentialistischen Deduktionalismus ausschließt. Als Fazit könnte weiterhin festgehalten werden, dass sich theoretisch nicht mehr eindeutig darüber entscheiden lässt, ob an einem solchen univoken Restbegriff festzuhalten, oder nicht vielmehr die relative Konsistenz, ›Geschmeidigkeit‹ und Dynamik eines analogen Begriffs vorzuziehen ist, der als solcher näher an der ursprünglichen analogen Wirklichkeitserfahrung verbliebe. Die Positionierung in dieser letztlich semantischen Frage wird wesentlich von der Bereitschaft abhängen, der Logik innerhalb der Wirklichkeitsbeschreibung den Primat einzuräumen, oder aber sie als zwar notwendiges, aber stark begrenztes Mittel und Zwischenstadium zwischen der ursprünglichen analogen Wirklichkeitserfahrung (›analoge Zusammenschau‹) und der reflexen Einsicht in die Analogie (›zweite Naivität‹) anzusehen. Hinsichtlich der Prädikation scheint die thomanische Lösung aufgrund des möglichen letzten Einmündens der scotischen Position in die Gattungsaporie allerdings präferabel. Es muss also, wenigstens prädikationslogisch (je nach semantischer Positionierung aber auch begriffslogisch) in der Tat ein Drittes geben zwischen Uni- und Äquivozität, und diese ›analoge Rede‹ muss keineswegs zwangsläufig eine Absurdität 129 noch einen hypertrophen Ausgriff oder ›Überschwang‹ 130 darstellen, sondern kann durchaus
129 So zuletzt etwa Th. Williams in seinem erfrischend selbstbewusst titulierten Aufsatz The doctrine of univocity is true and salutarily; hier v. a. 578, wo er mit Blick auf die vermeintliche Dreiteilung der Prädikationsarten konstatiert: »I will argue that these three options in fact reduce to two: either unintelligibility or univocity«. 130 Diesen klassischen – schon von Scotus gegen Heinrich vorgebrachten – Vorwurf eines beanspruchten God’s eyes view und »überschwänglichen« Denkens gegenüber der Analogielehre teilt etwa L. Honnefelder mit H. Wagner (vgl. Honnefelder, Ens inquantum ens, 306, i. V. m. H. Wagner, Existenz, Analogie und Dialektik, 211).
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als die bescheidenere Einstellung gegenüber der denkerisch zu verstehenden Wirklichkeit konzipiert und verstanden werden. 8.2.3 Theologische Annotation Die obige Konzeption einer Wahrheitsanalogie hat nicht nur weitreichende Konsequenzen für eine allgemeine Theorie menschlicher Erkenntnis, sondern ermöglicht gleichzeitig eine Neubesinnung auf den Erkenntnisstatus von Offenbarung und Glaube im Sinne der grundlegenden Forderungen des oben umrissenen offenbarungstheologischen Bezugsrahmens. Erstens ist mit der Anlage des Menschen auf die Wahrheit als dynamisches Analogon hin ein erkenntnislogischer Ort für das humane Transzendierungsstreben gefunden, der dem Kriterium der Offenheit des Menschen für Gottesbegegnung und Offenbarung genüge leistet und das (so ist etwa gegenüber Henrys und Levinas’ Rationalitätsallergie zu betonen) denkerische Vorverständnis bzw. die Erwartung eines sich geschichtlich offenbarenden Gottes ermöglicht (Rahner). Zweitens bewahrt diese bloße Grundlegung der Möglichkeit einer immanenten Gotteserfahrung in Offenbarung und Glaube vor der Versuchung, eine oder gar beide Größen beweisen zu wollen: Das Ideal eines apodiktischen Beweises versagt kraft der Wahrheitsanalogie schon vor der geheimnishaften Seinsinteriorität des kreatürlich Seienden, weshalb a fortiori das Verbot eines Gottes-, Glaubensoder Offenbarungbeweises gilt. Vor diesem Hintergrund erweist sich die von Pröpper und Verweyen ›transzendentalphilosophisch-bescheiden‹ konzipierte Notwendigkeit Gottes resp. der Offenbarung zur bloßen Wahrung der Vernunftkonsistenz als bereits zu weitgehend; der Glaube bleibt – bei aller erreichbaren Einsicht in seine Konvenienz hinsichtlich der Wirklichkeit und ihrer Deutung – unbewiesen und entscheidungsbedürftig, also nach dem obigen Konzept ›Wette‹. Ja, er wird angesichts der Ambivalenz der ›natürlichen‹ Erkenntnis des Menschen sogar denkbar als Frucht des Verzichts und der Umkehr von den jeweiligen menschlichen Vorverständnissen. 131 Mit diesem Verbot einher geht auch die als drittes Kriterium angegebene ausgeschlossene Vernunftkommensurabilität und be131 Vgl. hierzu etwa Balthasar, Glaubhaft ist nur Liebe, 40; ders., Gotteserfahrung biblisch und patristisch, 500; Werbick, Umkehren?.
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griffliche Erschöpfbarkeit des Geglaubten, im Höchsten freilich des dreipersönlichen Gottes (die ebenfalls in abgeschwächter Form schon für kreatürlich Seiendes gilt). Alle ›philosophische‹ Theologie vermag also wie die genuine Theologie – die daher ohne Analogie unmöglich ist 132 – prädikationslogisch nur analog über Gott zu sprechen, wenn sie dies sowohl verantwortet als auch sinnhaft tun soll; hierbei ist freilich unausgemacht, ob den Begriffen schon in sich oder erst im Urteil die analogisierende Modifikation zuzuschreiben ist (vgl. den voranstehenden Exkurs). Viertens und letztens ermöglicht das dargelegte Analogiekonzept, und dies dürfte vielleicht sein wichtigster Beitrag zur philosophischen Glaubensrechenschaft zu sein, anstelle der Dialektik eine echte Relation von philosophisch ermittelter und geglaubter Wahrheit zu setzen, auf deren Basis dann der Glaube immer wieder neu als konveniente (wenn nicht im Komparativ als gegenüber anderen
132 Vgl. M. Schulz, Aspekte des Wahrheitsverständnisses in der Systematik katholischer Theologie, 138: »Ohne Analogie ist Theologie unmöglich«; Kasper, Der Gott Jesu Christi, 124: »[D]ie Lehre von der Analogie, die sich damit als Sprachlehre des Glaubens anbietet«; G. L. Müller, Katholische Dogmatik, 27–33 (»Die Analogie als theologisches Erkenntnisprinzip«), hier v. a. 32: »Wenn darum die Analogie nicht von der ursprünglichen Wirklichkeitserfahrung (also nicht bloß durch einen Begriff vom Seienden) her begründet werden kann, ist auch die Theologie als theoretische Wissenschaft (wenigstens über ihren rein negativen Gebrauch hinaus) unmöglich«. Vgl. hierzu v. a. auch Rahner, Erfahrungen eines katholischen Theologen, 105–107: »Die erste Erfahrung, von der ich sprechen will, ist die Erfahrung, daß alle theologischen Aussagen, wenn auch noch einmal in verschiedenster Weise und verschiedenem Grad, analoge Aussagen sind. An sich ist das eine Selbstverständlichkeit für jede katholische Theologie, wird auf irgendeiner Seite jeder Theologie ausdrücklich gesagt, ist auch für einen Theologen seit Erich Przywara noch selbstverständlicher geworden. Aber ich meine, dieser Satz wird faktisch doch immer wieder bei den einzelnen theologischen Aussagen vergessen […]. [I]m praktischen Betrieb der Theologie vergessen wir das immer wieder. Wir reden von Gott, von seiner Existenz, von seiner Persönlichkeit, von drei Personen in Gott, von seiner Freiheit, seinem uns verpflichtenden Willen usf.; wir müssen dies selbstverständlich, wir können nicht bloß von Gott schweigen, weil man dies nur kann, wirklich kann, wenn man zuerst geredet hat. Aber bei diesem Reden vergessen wir dann meistens, daß eine solche Zusage immer nur dann einigermaßen legitim von Gott ausgesagt werden kann, wenn wir sie gleichzeitig auch immer wieder zurücknehmen, die unheimliche Schwebe zwischen Ja und Nein als den wahren und einzigen festen Punkt unseres Erkennens aushalten und so unsere Aussagen immer auch hineinfallen lassen in die schweigende Unbegreiflichkeit Gottes selber, wenn auch unsere theoretischen Aussagen noch einmal mit uns selber zusammen unser existentielles Schicksal teilen einer liebend vertrauenden Hingabe unserer selbst an die undurchschaute Verfügung Gottes, an sein Gnadengericht, an heilige Unbegreiflichkeit«.
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je konvenientere) Erklärung der Wirklichkeit dargelegt und entfaltet werden kann.
8.3 Analogia libertatis: Die Wirklichkeit als Relationsgefüge gemäß dem liberum »Gott, sagt man, läßt die Welt sein. Das ist freilich im Grundsinn wahr, aber der Nebensinn [einer absoluten Autonomie des Menschen; M. L.] folgt daraus nicht […]. Es ist zudem ein recht kurzatmiges Denken, das den Grundgedanken der Analogia Entis nicht durchzuhalten vermag, denn diese ist ja natürlich auch eine analogia libertatis«. 133 (Hans Urs von Balthasar)
Begriff und Lehre einer analogia libertatis finden sich etwa (neben erneuten fragmentartigen Hinweisen durch v. Balthasar) bei Walter Kasper, der sie allerdings in strenger Opposition zu einer ontologisch fundierten analogia entis konzipiert, und bei Béla Weissmahr. 134 Im Folgenden soll demgegenüber – unter letztmaliger Instrumentalisierung des erneuerten und präzisierten Analogiebegriffs – eine Freiheitsanalogie als Komplement bzw. konvertibler Aspekt der einen, dreifachen Analogie der Transzendentalien entwickelt werden. 8.3.1 Hinführung Die beiden in der vorliegenden Arbeit beschriebenen religionsphilosophischen Paradigmen haben sich auch in der Frage nach der Freiheit als diametral entgegengestellt erwiesen: Den Phänomenologen erscheint sie in ihrer landläufigen Vorstellung als bloßer Schein und bloßes Epiphänomen des distanzlosen inneren Lebens durch, mit und in Gott (Henry) bzw. doch als wenigstens ethisch fragwürdige Hybris des sich durch Emanzipation immer schon am Anderen und an der eigenen Exposition versündigenden Menschen (Levinas), so dass sich nur das philosophische Desiderat einer Verabschiedung der Freiheit als ›Illusion‹ resp. ›Anmaßung‹ ergeben kann. Die Transzendentalphilosophen insistieren im Gegensatz dazu vehement auf der Freiheit Balthasar, Cordula, 67. Vgl. etwa Kasper, Der Gott Jesu Christi, 124–131; Weissmahr, Gottes Wirken in der Welt, 133–138, v. a. 137.
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als unmittelbar evidentem (bzw. zumindest retorsiv aufweisbarem) artbildenden Charakteristikum des Menschen und seiner ›freien Vernunft‹ ; die Freiheit als ›formal unbedingte‹ Signatur (Pröpper) bzw. Deduktionsvermögen (Verweyen) des Subjekts wird so gar zum Ausgangspunkt des philosophischen Argumentationsgangs, mal material-inhaltlich in der pröpperschen, mal wenigstens formal-methodisch in der verweyenschen Philosophie. In den oben ausführlich dargestellten freiheitstheoretischen Positionen der vier Denker in ihrer paradigmatischen Gegenüberstellung zeigt sich also wiederum eine Spannung – diesmal tendenziell zwischen völliger Determination bzw. Bestimmtheit auf der einen und ›absoluter‹ Freiheit bzw. Selbstbestimmung auf der anderen Seite, die erneut durch beide philosophischen Ansätze zugunsten eines Pols linearisiert, wenn nicht gar aufgehoben wird. Demgegenüber zeigt sich aber einer relationssensiblen Phänomenologie des Freiheitsphänomens in facto esse, dass das menschliche Denken die Bipolarität oder Spannung der Freiheit wie schon die Seins- und Erkenntnisrelation schlechterdings nicht gänzlich einholen und aufheben kann, ohne in Selbstwidersprüche oder kontraintuitive Behauptungen abzudriften: Jede philosophische Forderung an den Menschen (wie also etwa die Verpflichtung gegenüber dem ›absoluten Leben‹ oder dem Anderen) kann auf die integrierende Affirmation der menschlichen Freiheit nur um den Preis der eigenen Absurdität verzichten, jede Behauptung der Unbedingtheit jener Freiheit macht sich angreifbar angesichts der unleugbaren vielfältigen Bedingtheit des Menschen und gerät so in den Verdacht einer idealistischen Verzeichnung der Wirklichkeit und der rigoristischen Überforderung ihrer Adressaten. Die Polarität bleibt also bestehen, wie sich unschwer auch gegenüber jedem materialistisch-deterministischen Welt- oder Menschenbild zeigen lässt, also etwa der sich als strenge Wissenschaftlichkeit tarnenden metaphysischen Grenzüberschreitungen eines nicht unwesentlichen Teils der zeitgenössischen Hirnforschung (Roth, Singer): Es versteht sich von selbst, dass die menschliche Willensfreiheit vielfältigen (biologischen, psychologischen, soziologischen etc.) Bedingungen und Konditionierungen unterliegt, sie aber allein auf dingliche Kausalitäten zurückzuführen, übersteigt einerseits jeden realistischen Rahmen der empirischen Beweisbarkeit und führt andererseits zur Selbstaufhebung der Wissenschaft in ihrem Ethos; diesbezüglich sind sich ja alle vier behandelten Autoren einig (s. o.). A
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Im Folgenden soll nun versucht werden, die Grundspannung des Freiheitsphänomens im Rahmen einer nüchternen Phänomenologie der Freiheit aufrechterhaltend zu explizieren und sogar als Positivum und durchgängiges Wesensmerkmal der Wirklichkeit (also als Transzendentale) zu beschreiben, jener einen Wirklichkeit, die eben keine kontradiktorischen Gegensätze kennt (s. o.). Diese Beschreibung wird erneut von der obigen Analogiekonzeption Gebrauch machen und sie als analogia libertatis auf die Freiheit applizieren. Es gilt also eine Mitte zu finden zwischen den kontraintuitiven bzw. selbstwidersprüchlichen Behauptungen der Freiheit als bloßer Illusion oder als faktischem Absolutum. Eine kritisch fundierte analogia libertatis könnte dabei gleichzeitig eine Lösung liefern für ein von allen Autoren offen gelassenes Problem – das zumindest der freiheitsleugnende Henry durch seine Affirmation des cartesianischen Gedankens vom Tier als ›Automaten‹ anspricht –, 135 dass nämlich Freiheit in allen genannten Ansätzen ausschließlich auf Mensch und Gott bezogen, dabei also alles Subhumane ausgeklammert und implizit als sächlich-determiniert abgetan wird. Dies stellt ebenfalls eine kontraintuitive und auch ethisch problematische, apriorische Einschränkung des Denkens dar, die zugleich gravierende theologische Folgeprobleme evoziert (etwa hinsichtlich Schöpfungstheologie, Hamartiologie und Theodizeefrage). 8.3.2 Philosophische Herleitung und Formulierung Aus der Ausgangsprämisse der Sinnhaftigkeit und Sinnbezogenheit alles Seienden wurden bereits die transzendentalen Bestimmungen ens bzw. relatum und verum abgeleitet. Wesentlich problematischer – und angesichts der klassischen Transzendentalien auch entsprechend innovativer – dürfte nun die Einlösung der Ankündigung sein, Freiheit als weitere generelle Bestimmung jedes Seienden zu erweisen. Diese ganze Überlegung setzt natürlich zunächst einmal einen schwachen, nicht von vorneherein eineindeutig definierbaren (eben nicht univoken!) Freiheitsbegriff voraus, der etwa unter der Bezeich135 Vgl. hierzu oben, Kap. 2.3. Verweyen spricht freilich auch einmalig – wohl in erneuter Anlehnung an G. Siewerth –, von einer Finalisation der unbelebten Natur auf das Aufbrechen von Freiheit hin, vgl. oben, 6.3.2.
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nung ›Grad undeterminierter Seinspotentialität‹ gefasst werden könnte. Die oben aufgestellte Ausgangsprämisse impliziert, dass jedes Seiende einen jeweiligen ›Eigen-Sinn‹ aufweist, der ihn gemäß der analogia entis mit jedem anderen Seienden verbindet und doch als individuelles Seiendes unterscheidet. Ist nun aber jedes einzelne Seiende mit keinem anderen schlichtweg identisch, so besitzt es einen aktuellen Eigenstand (Rahner spricht hier von Seinshabe) 136 bzw. ist Identität mit sich selbst. Mit den Worten der traditionellen DynamisEnergeia- resp. Akt-Potenz-Lehre: Kein Seiendes (das ist die Grundeinsicht der in dieser Arbeit gewählten, ›thomanischen‹ Form der Ontologie) ist reine Möglichkeit, sondern als Seiendes erscheint es erst in facto esse, d. h. als Wirklichkeit bzw. Akt. Der Begriff actus muss und darf dabei zwar nicht im Vollsinne bewussten Handelns interpretiert werden (vgl. schon das mehrdeutige griechische ¥nffrgeia), doch lässt sich das aktuelle Wirklichsein schon begrifflich nicht von einer gewissen aktiven Konnotation befreien, so dass Weissmahr – vorbehaltlich eines Restes an Skepsis hinsichtlich seiner Emphase des Moments der Aktivität – grundsätzlich zuzustimmen ist: »Wirken ist also die aktive Inbesitznahme des eigenen Seins, der Vollzug der Identität des Seienden mit sich selbst als Seiendem. Das Wirken ist eine transzendentale Vollkommenheit des Seins: ›omne ens est agens‹«. 137 So spricht Przywara von der Seinseigentümlichkeit der Physis, »in sich selbst seiend und wirkend« zu sein. 138 Es zeigt sich also, dass eine explizit ontologische Beschreibung des Wirklichen keineswegs notwendig zu Versächlichung und ›Sach-Ontologie‹ führt, sondern durchaus die akthafte Dynamik des Seienden zu integrieren weiß. So kann etwa v. Balthasar gegenüber Barth unterstreichen, dass ›die Scholastik‹ sehr wohl mit Aristoteles das Sein vom Akt bzw. von der Wirklichkeit her denke, dass aber der barthsche Grundsatz eines esse sequitur operari als »scholastisch unmöglich« betrachtet werden muss. 139 Ein jeglichem Sein absolut vorausgehendes Handeln (außerhalb eines möglichen singulären Schöpfungsakts) Vgl. beispielsweise HDW 64 f. Weissmahr, Ontologie, 149 (i. O. teils kursiv); vgl. hierzu auch etwa ders., Gottes Wirken in der Welt,127–145. 138 AE 23. 139 KB 203 i. V. m. Aristoteles, De anima II, 415a18 f.: »prteron g€r e§si t n dun€mewn a ¥nffrgeia«; STh I q.79 a.10 arg.3: »[A]ctus sunt praevii potentiis, ut dicitur in II de Anima«. 136 137
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scheint in der Tat nicht nur scholastisch, sondern auch rein logisch unsinnig, was freilich nicht bedeutet, dass keine relativen Seinsanfänge durch bereits existierende Seiende gesetzt werden könnten. Auch bedeutet es nicht im Umkehrschluss, dass jedes Handeln erst auf das Sein folgt (gemäß dem klassischen agere sequitur esse), impliziert der Gedanke des Transzendentale agens doch ein mit dem Sein als solchen kongruentes Handeln: Esse et agere (seu operari) in unum convertuntur. Von hier aus erklärt sich auch, dass die Entgegensetzung von analogia libertatis als dynamischer und analogia entis als statischer Analogie, wie sie etwa Kasper vornimmt, zu kurz greift und die Dynamik und ›Aktualität‹ eines analog verstandenen ens-Begriffs übersieht. 140 In der transzendentalen Bestimmung agens liegt bereits der Übergang zum liberum: Jedes Seiende ist kraft seines Seins in gewissem Maße eigenständig handelnd, irreduzibel und inkommunikabel. Weiter liegt in diesem Wirklich- als Wirkendsein aber auch das (möglicherweise nur rudimentäre!) Potential zu einer Beeinflussung des eigenen und damit – kraft der universalen Seinsrelation – ipso facto auch anderen Seins. Das endliche Seiende findet sich zwar vor (ist also verursacht und insofern ›bedingt‹), aber als ein Wirkendes, als dynamischer Einfluss auf sich und auf anderes. Dies ist die allgemein gültige – also durchaus vom Gedanken der Schöpfung und somit einer kreatürlichen Synkreativität ablösbare – Grundeinsicht der thomanischen Zweitursachenlehre; dass es also bedingtes Seiendes gibt, das doch selbst Bedingungen zu setzen resp. zu ändern vermag, also eine verursachte und doch eigenständige Ursache. 141 Alles Seiende ist also, weil es je Unterschiedliches und auf je unterschiedliche Weise wirkt, in gewissem Maße undeterminiert, ist ein ›anderes‹ gegenüber allem anderen (aliud in der thomanischen Interpretation als quasi aliud quid) 142 und insofern frei – liberum. Vgl. zur kasperschen Profilierung der analogia libertatis gegenüber und auf Kosten der Seiendenanalogie Kasper, Der Gott Jesu Christi, 129 f. 141 Zur causa–secunda-Lehre des Aquinaten vgl. etwa die folgenden Textstellen: STh I q. 14 a. 13 ad 1; ebd., q. 19 a. 6 ad 3; ebd., q. 19 a. 8 c; STh III q. 6. a. 1 c; SCG lib.1, c.15; ebd., c.50; ebd., lib.2 c.21; ebd., c.40; ebd., c.42; Sent. lib.1 d. 38 q. 1 a. 5 c; Sent. lib.2 d. 1 q. 1 a. 4 c; De veritate, q. 2 a. 4 ad 7; q. 6 a. 2 c; q. 24 a. 14 c. Eine kurze Einführung bietet bspw. Heinzmann, Thomas von Aquin, 74. 142 Thomas zählt das Transzendentale aliud zu jenen Seinsmodi, die jedem Seienden in ordine ad aliud, d. h. gegenüber anderem Seienden und nicht in sich zukommen, wobei das aliud im Gegensatz zum verum und bonum (und dem pulchrum: STh I q. 5 a. 4 ad 1) als weiteren Angehörigen dieser Klasse nicht auf die Übereinstimmung, sondern auf 140
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Diese partielle und als graduell gestuft zu denkende Undeterminiertheit als universale Bestimmung der Seienden deckt sich nicht allein mit der Alltagserfahrung, sondern auch mit den Ergebnissen ehrlicher Naturwissenschaft: Nicht allein die als ›bewusst‹ oder zumindest ›lebendig‹ klassifizierten Seienden weisen Grade von Undeterminiertheit und Eigenaktivität auf, sondern alles Seiende entzieht sich in unterschiedlichem Maß der äußeren Beeinflussung – dies bezeugen indirekt etwa Chaostheorie und Unschärferelation. So konstatiert Weissmahr: In jedem Seienden »gibt es ein Moment, das nur auf das individuell Eigene im Seienden (auf sein ›Selbst‹) zurückgeführt werden kann, das also nur von ihm abhängt. Das bedeutet aber: Jedem Seienden kommt eine gewisse Eigenursächlichkeit, ein gewisses ›Sich-Selbst-Bestimmen‹ zu«. 143 Die Wirklichkeit ist also kein linear durchgeklärter Zusammenhang von Kausalitäten, der erst im Menschen (oder doch schon im Primaten, Säugetier, Tier oder ›Lebewesen‹ ?) durch die Kontingenz der Freiheit durchbrochen würde. Diese Schwierigkeit einer eindeutigen Abgrenzung des Freiheitsphänomens zeigt sich freilich nur einer Wirklichkeitsphänomenologie, die auf die apriorische Festlegung verzichtet, dass menschliche Freiheit etwas völlig anderes als entsprechende Erscheinungen im subhumanen Bereich sei – wodurch freilich ihre besondere Würde nicht geleugnet wird. Von hierher erscheint die strikte Disjunktion des kantschen Kausalitätenpaars aus der dritten Antinomie der transzendentalen Ideen als sehr starr und abstrakt. 144 So erweist sich Menkes vorsichtige Frage als berechtigt: »Liegt nicht in allem Wirklichen ein ›Vorentwurf‹ jener Freiheit, die wir dem Menschen zusprechen?« 145 den Unterschied gegenüber anderem Seienden abhebt, also auf das Anderssein; vgl. etwa: De veritate q. 1 a. 1 c: »Si autem modus entis accipiatur secundo modo, scilicet secundum ordinem unius ad alterum, hoc potest esse dupliciter. Uno modo secundum divisionem unius ab altero et hoc exprimit hoc nomen aliquid: dicitur enim aliquid quasi aliud quid; unde sicut ens dicitur unum, in quantum est indivisum in se ita dicitur aliquid in quantum est ab aliis divisum«. Allerdings ist diese Lesart zugunsten einer ensimmanenten Situierung angefochten worden, so etwa durch J. Gredt (Elementa philosophiae aristotelico-thomisticae, II, 12–14) und E. Stein (Endliches und ewiges Sein, 269 f.). 143 Weissmahr, Ontologie, 150 (i. O. teils kursiv). 144 Vgl. Kant, Kritik der reinen Vernunft, A 444/B 472-A 451/B 479. 145 Menke, Handelt Gott, wenn ich ihn bitte?, 38. K.-H. Menke deduziert hier in einem sehr bemerkenswerten Argumentationsgang aus der theologischen Vorgabe des Trinitätsdogmas (›Gott ist Beziehung – nach innen und nach außen‹) und in Anlehnung an so heterogene Gesprächspartner wie Gerhard von Rad und Teilhard de Chardin die Notwendigkeit einer zumindest rudimentären Beziehungs- bzw. Kommunikationsfähigkeit A
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Das Phänomen Freiheit übersteigt also den Bereich des Humanum und erweist sich – natürlich in starker hierarchischer Abstufung (›Vorentwurf‹) – als transzendentale Bestimmung alles Seienden und – in seiner virtuellen Ganzheit betrachtet – als Analogon: Das Seiende kommt darin überein und unterscheidet sich im selben Maße darin, frei zu sein, wobei der steigenden Differenzierung kraft Freiheit auch eine gesteigerte Einheit(sfähigkeit) kongruent ist. Freiheit ist Teil der Seinsrelation, kein Seiendes ist absolut frei, sondern ist durch die eigene Freiheit als Einheits- und Differenzierungsmoment zugleich verbunden mit allen anderen Seienden, die der eigenen Freiheit voraufgehen und sie begrenzen (die phänomenologische Intuition), sie aber nicht in ihrem Unbedingtheitsmoment als subsistierendes Relat/Analogat aufzuheben vermögen (die transzendentalphilosophische Intuition). Jede einzelne Freiheit erweist sich so in gewisser Weise – gegenüber Henry und Levinas, aber auch Roth und Singer – als unhintergehbar und partiell unbedingt, keineswegs aber – dies sei gegenüber Krings und Pröpper betont – als ab-solut, weil sie eben nur als Teil des Zusammenhangs aller freien Seienden erscheint und von ihrem Wesen her nicht ausschließlich abscheidet (›ab-solviert‹), sondern zugleich und in gleichem Maße verbindet. Freiheit wird somit als nichtsubsistenter, differenzierendvereinigender Sinngehalt aller Seienden denkbar, der sich je neu von seinen Verwirklichungsinstanzen her definiert: Freiheit ist ein Analogon der Seienden, die als Analogate hinsichtlich des Sinngehalts Freiheit diesen gemeinsam konstituieren. Es ergibt sich folgende Definition: analogia libertatis Die Freiheitsanalogie ist die Relation, d. h. die dynamisch-stetige, graduell-proportionale und logisch-inseparable Kongruenz von Übereinkunft und Differenzierung aller Seienden als ›Freien‹ (Analogate) hinsichtlich des durch sie konstituierten und nichtselbständigen gemeinsamen Sinngehalts, der ›Freiheit‹ (Analogon). Das Konzept der Freiheit als Analogon überwindet endgültig alle ›sächliche‹ Ausrichtung der Ontologie, die sich nun nicht nur als relational und geschichtlich-dynamisch (vgl. 8.1.2), sondern sogar als und eines »Eigensein[s]« alles Seienden (pars pro toto: »der Elementarteilchen«): vgl. ebd., 38–47.
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personal und ›dialogisch‹ erweist. 146 Hier seien noch abschließend zwei weitere Vorzüge dieses Gedankens hervorgehoben: Erstens erlaubt das Konzept den denkerischen Nachvollzug der vermeintlich paradoxen menschlichen Erfahrung, dass eine größere Bindung je größere Freiheit ermöglichen kann und umgekehrt der Grad und die Qualität einer Bindung von der Freiheit ihrer Glieder abhängt. So erfordert etwa die Liebe als nach allgemeinem Verständnis höchste und wichtigste zwischenmenschliche Bindung gerade die bleibende Freiheit der Liebenden, die sich aber ihrerseits wiederum binden muss (also vermeintlich selbst aufhebt). Dieses Phänomen, die »direkte Proportionalität von Identität und Differenz« (Menke), 147 erklärt sich vom Zentralgedanken des obigen Analogiekonzepts, nämlich der dynamischen, strikten Kongruenz von Einheit und Unterschiedenheit her: Je höher der Einheitsgrad zweier Bezugsgrößen, desto größer ist auch ihre Unterschiedlichkeit, ihr jeweiliger Eigenstand. Oder anders formuliert: In dem Maße, in dem zwei Relate die gemeinsame Einheit verwirklichen, werden sie ›sie selbst‹, steigt ihre (positiv im Sinne des Eigenstands zu verstehende) Differenz. ›Sich-Geben‹ und ›Sich-Empfangen‹ stellen keinen Widerspruch dar, sondern sind jene komplementären bzw. eben kongruenten Vorgänge, in denen das freie Seiende sich als das vollzieht, was es aufgrund der Analogizität des Seins immer schon ist, nämlich als eigenständiger Teil der Seinsrelation. Von hierher ließe sich die Liebe womöglich auch theoretisch als höchster Vollzug der Freiheit denken, als Nachvollzug des eigenen Wesens durch die Seienden. Auch erlangen hier sowohl der verweyensche Gedanke der ›geschenkten Autonomie‹ 148 als auch das pröppersche Theorem von der Angewiesenheit auf die andere Freiheit als unbedingten Gehalt, 149 also die beiden gemeinsame Vorstellung, dass die höchste Erfüllung des Ichs immer nur durch den Anderen möglich ist, ihren tieferen Sinn. Weiterhin eröffnet auch die analog verstandene Freiheit als transzendentale Bestimmung alles Seienden und Fähigkeit zu dessen Selbstvollzug die Möglichkeit einer Transzendierung hin zu absolu146 Vgl. hierzu etwa auch St. Osters Überlegungen zur ›dialogischen‹ Gabe-Ontologie F. Ulrichs (Mit-Mensch-Sein, v. a. 332–391.525). 147 So lautet die wohl zentrale (an R. M. Meyer angelehnte) Erklärungskategorie des menkeschen Stellvertretungsbegriffs, vgl. etwa Menke, Stellvertretung, 21.23 f.263.450 u. ö. 148 Vgl. oben, Kap. 6.5. 149 Vgl. oben, Kap. 5.4.
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ter resp. göttlicher Freiheit. Mit der denkbaren Unendlichkeit des Seins eines transzendenten Seienden (s. o.) wäre auch eine unendliche Freiheit vereinbar, eine apriorische völlige Unabhängigkeit von externer Bedingtheit und Determination gemäß der klassischen Gottesattribute der Immobilität und Impassibilität. Dies schlösse freilich nicht die Freiheit Gottes aus, sich selbst sekundäre Grenzen und Bedingtheiten zu setzen, sich also – mit Pröpper – frei dazu zu bestimmen, sich von einer eigenständigen Kreatur und ihrem freien Willen bestimmen zu lassen. Sofern Freiheit als Bedingungsmöglichkeit des Wesensvollzugs im Zusammenspiel von Einheit und Differenz betrachtet wird, eröffnet sich weiterhin die Möglichkeit (nicht aber eine hegelianische Notwendigkeit!), neben der – für Gott akzidentellen – Schöpfungsdifferenz eine Differenz in der höchsten Einheit selbst zu denken, 150 also ein Vorverständnis des geoffenbarten Trinitätsgeheimnisses zu entwickeln. Hier würden sich – in Anlehnung an das oben angerissene Liebesverständnis – die Superlative eines gleichzeitigen »Sich-ganz-Geben[s] und Sich-Ganz-Empfangen[s]« zur Beschreibung der göttlichen Personen ergeben. 151 Hinsichtlich dieser vertikalen Freiheitsanalogie als Gesamtverhältnis göttlicher und menschlicher Freiheit sind noch drei Anmerkungen zu machen: Erstens ist zu betonen, dass auch hier nicht ein fixes Konzept (sc. ›die Freiheit‹) zum Kriterium und Maßstab Gottes gemacht wird, sondern dass umgekehrt die Möglichkeit aufscheint, das sich dynamisch aus seinen Analogaten konstituierende, insubsistente Analogon Freiheit von einem je größeren Primäranalogat her aufsprengen und transzendieren zu lassen. Zweitens impliziert dies eine echte Transzendenz und nicht bloß den linearen Abschluss innerkreatürlicher Freiheit. Drittens und letztens ist festzuhalten, dass mit dem Postulat einer möglichen absoluten Freiheit keineswegs die Nichtigkeit der endlich-kreatürlichen Freiheit angenommen werden muss – wie es ein extrinsisches Analogiekonzept allerdings in der Tat notwendig zur Folge hätte. Im Gegenteil wird ein postkreatorisches Handeln Gottes in Offenbarung und Gnade denkbar, dass der Kreatur im Sinne des Gedankens einer ›befreiten Freiheit‹ 152 bzw. ›gottgeschenkten Autonomie‹ einen tieferen Vollzug des eigenen Wesens ermöglicht: »Und doch bindet sich dieses Eine Alles-Wirken […] an 150 151 152
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Vgl. zu diesen Überlegungen etwa Coreth, Identität und Differenz, v. a. 176. Menke, Stellvertretung, 451. Vgl. etwa Mehl, Art. Freiheit, 520; Werbick, »Zur Freiheit hat uns Christus befreit«.
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die unterschiedliche Natur der Geschöpfe […], so sehr, daß es geradezu die Freiheit ›als‹ Freiheit wirkt […], indem die wachsende Nähe Gottes ein wachsendes Selbständigwerden wirkt«. 153 8.3.3 Theologische Annotation Die Beschreibung der Freiheit als einer analogen Transzendentalbestimmung erfüllt die beiden Forderungen des gnadentheologischen Bezugsrahmens christlicher Religionsphilosophie nach Denkbarkeit und Vereinbarkeit echter göttlicher und menschlicher Freiheit sowie nach der damit verbundenen integralen Humanität und Freiheit des Glaubensaktes – unter Vermeidung der nicht allein kontraintuitiven und philosophisch problematischen, sondern auch theologisch ausgeschlossenen Extreme einer Absolutsetzung (die Tendenz Pröppers und Verweyens) oder aber Nivellierung (die Tendenz Henrys und Pröppers) menschlicher Freiheit. Die relationologische Verankerung der Freiheit erlaubt es, echte Freiheit und Handlungsfähigkeit der Kreatur zu denken, die aber eben als Zweitursächlichkeit nicht mehr dualistisch gegen die einzige Erstursache Gott ausgespielt werden kann; dies dürfte wohl entgegen mancher Kritik die Hauptintention des Ansatzes Przywaras gewesen sein. 154 Es wird ferner möglich, Freiheit dynamisch und prozessual zu betrachten, etwa in ihrer nicht mehr durch das Konstrukt eines ›Transzendentalakts‹, sondern streng zweipolig zu verstehenden, realen Genese, genauso aber auch in ihrem theologischen Abschluss in Gestalt einer durch göttliche Gnade, aber nicht ohne eigenes Einstimmen ›befreiten Freiheit‹. Hier zeigen sich also vielfältige Möglichkeiten, zahlreiche Gnadenstreitigkeiten der Theologiegeschichte wie -gegenwart neu anzugehen und teilweise auch in ihrer Abwegigkeit zu erkennen. Maßgabe bleibt dabei aber freilich – nicht zuletzt aufgrund der Erkenntnisse der analogia veritatis –, dass ausgeschlossen bleibt, was »der Gnadenstreit zwischen Bañezianern und Molinisten, die jammervolle Kontroverse De Auxiliis […] schon in der Fragestellung voraussetzt, [nämlich; AE 191. J. Terán Dutari hebt – v. a. gegen L. B. Puntels Vorwürfen einer Missachtung der Freiheit und Geschichtlichkeit durch Przywara (vgl. etwa Puntel, Analogie und Geschichtlichkeit, 533–552) – hervor, dass gerade das echte Freiheitsgeschehen zwischen Gott und Mensch die doktrinäre Grundlage der przywaraschen Analogielehre gewesen sei (vgl. etwa Terán Dutari, Christentum und Metaphysik, 424.603 f. u. v. ö.). 153 154
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M. L.] daß der theologische Metaphysiker von oben hineinsehen kann in das Funktionieren zwischen der Causa Prima et causa secunda«. 155 Wesentliche Beiträge könnte der in der Freiheitsanalogie grundgelegte Gedanke des Transzendentale liberum auch hinsichtlich der Hamartiologie, der Schöpfungstheologie und der Lehre vom Gebet liefern, ermöglicht die Aufhebung des strikten Kausalitätsdualismus Kants doch eine neue Sicht der Theodizee: Sofern das malum physicum doch nicht als etwas ganz anderes gegenüber dem malum morale erscheint, wird es möglich, an der unbedingten Güte der Schöpfung von Gott her festzuhalten, weil Vorformen der Freiheit und somit auch ein mögliches ›Scheitern‹ der Schöpfung schon auf subhumaner Ebene gedacht werden können. Menschliches Beten – auch und gerade das oft belächelte Bittgebet – gewönne von hier aus den weiten Sinn nicht nur der Einwilligung, sondern auch des Einstimmens in das göttliche Werben um Gelingen der ganzen (!) freien Schöpfung. 156
155 H III,1,2,386. Balthasar bezeichnet hier den ganzen ›großen Gnadenstreit‹ als »symptomatische[n] Ausdruck« für die philosophische Aufhebung des Seinsmysteriums, die er – etwas plakativ – mit der scotisch-suárezianischen »Verbegrifflichung des Seins« gegeben sieht (ebd., 386 f.). Ungeachtet der polemischen Überspitzungen und Schwarz-Weiß-Zeichnung im Gefolge G. Siewerths (vgl. etwa ebd. 385, wo er Suárez »der vollendeten Naivität des Schulmanns« bezichtigt) und der sicherlich ungerechten Scotuskritik (s. o.), mag hier doch eine richtige, allgemeine Erkenntnis über die Theologiegeschichte vorliegen, nämlich die Einsicht, dass exklusive Optionen für ein philosophisches Denkmodell nicht allein stets theologische Probleme nach sich ziehen, sondern gar solche erst hervorzurufen vermögen. 156 Diese Gedanken sind u. a. inspiriert durch K.-H. Menkes oben angeführtes Büchlein über das Bittgebet (Handelt Gott, wenn ich ihn bitte?, hier v. a. 48–55); ganz ähnlich argumentiert auch B. Weissmahr in seiner Dissertation Gottes Wirken in der Welt, hier v. a. 190 f.
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Nachdem der Leser sich augenscheinlich ausreichend vom Anfang dieser Studie hat ›verzaubern‹ lassen, um sie bis zum Ende zu verfolgen, soll er nun nicht nochmals mit einer in wenige Sätze gepressten Essenz der ausgeführten Gedanken behelligt werden. Entsprechende Erwartungen des eiligen Nichtlesers finden hier also keine Erfüllung, ist eine abschließende, resümierende ›Miniatur zur geschwinden Aneignung‹ doch zumeist nur von trügerischem Ertrag und dem wirklichen Verstehen eines Buches eher ab- als zuträglich. An dieser Stelle ist vielmehr auf die detaillierte Inhaltsübersicht sowie auf die kontinuierlichen Einführungen und Kurzzusammenfassungen im Verlauf der Untersuchung zu verweisen. Was hier noch rückblickend angemerkt werden soll, betrifft den schon im Titel ausgedrückten Versuchs- bzw. Grundlegungscharakter dieser Untersuchung. In Anbetracht des im achten Kapitel entfalteten Gedankens der dreifachen Analogie mag der Eindruck eines starren Systems christlicher Religionsphilosophie entstehen, das doch in den eigenen Präliminarien, in der Kritik der unterschiedlichen religionsphilosophischen Ansätze und nicht zuletzt durch die Überlegungen zur analogia veritatis selbst ausgeschlossen worden ist. Diesem möglichen Selbstwiderspruchsvorwurf gegenüber sei hier nochmals daran erinnert, dass sich die vorliegende Studie erstens nur als Vorschlag versteht, und dass zweitens das Vorgeschlagene lediglich (was freilich schon sehr viel ist!) ein ›Basisprinzip‹, ein Fundament bilden soll. Es geht bei diesem Fundament keineswegs darum, die vielfältigen Formen der philosophischen Glaubensverantwortung (ob nun gemäß einem der beiden dargestellten Paradigmen oder völlig anderer Provenienz und Ausrichtung) zu nivellieren oder zu ersetzen, sondern es geht im Gegenteil gerade um ihre Freisetzung, Ermöglichung und Dialogfähigkeit in einer legitimen Pluralität religionsphilosophischer Denkformen. Die unterschiedlichen Religionsphilosophien bleiben schon als Philosophie in der Wahl ihrer expliziten Ausgangsprämissen wie ihrer Methodik autonom, allein erscheint A
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die dreifache Analogie als implizites Fundament und virtueller Konsens erforderlich zur Bewahrung sowohl der philosophischen als auch der theologischen Implikationen der ›Gattung‹ christlicher Religionsphilosophie (vgl. zum Ganzen die Einleitung, v. a. Kap. 1.1.2 f.). Was den angekündigten Ausblick anbetrifft, der ein weiteres Indiz wider die geschlossene Systematik der vorliegenden Studie wie überhaupt wider jeglichen selbstgenügsamen Abschluss des Denkens darstellen soll, so weist er nach all der Philosophie eher in genuin theologische Richtung: Es bleibt das umfassende Desiderat bestehen, das, was oben in den kurzen theologischen Konsequenzskizzen nur angerissen wurde, weiter zu vertiefen und die dreifache Analogiekonzeption für die unterschiedlichen Bereiche der Vernunftrechenschaft des Glaubens und zur Vermittlung einzelner Glaubensinhalte fruchtbar zu machen. Zwei konkrete Beispiel seien hier noch herausgegriffen: Erstens könnte der Gedanke der dreifachen Analogie und eine aus ihm resultierende, durchgehend relationale Ontologie neue Perspektiven hinsichtlich der Explikation der sakramentalen Präsenz, v. a. der eucharistischen Realpräsenz liefern, etwa als Ergänzung und Erläuterung der häufig und zu Unrecht als ›sachontologisch‹ abgetanen Transsubstantiationslehre. Zweitens ist im Rahmen der Eruierung des erneuerten Analogiebegriffs (Kap. 7.2) bereits angeklungen, dass dieser sich als gemeinsamer Begriff für Philosophie und Theologie versteht und somit eine wichtige Lücke aufzufüllen beansprucht. Insofern liegt es nur nahe, ihn auf das oftmals nur sehr vage umschriebene Konzept der analogia fidei zu applizieren. 1 Dies würde ermöglichen, die Glaubensanalogie nicht mehr nur als innere Übereinstimmung der Glaubensinhalte im engeren oder weiteren Sinne zu verstehen, sondern das Gesamt des Glaubens als ein Analogon zu konzipieren, das alle Quellen, Bestandteile und Aspekte des Glaubens als Analogate zu umfassen vermöchte. Was christlicher Glaube ist, ließe sich dann per definitionem nicht mehr ein für allemal begrifflich einfangen und ausexplizieren, sondern würde sich als eine (freilich im letzten geistgewirkte!) dynamische, gemeinsame Sinnkonstitution durch alle glaubensbezogenen Korrelate ergeben, durch die Schrift, G. Söhngen etwa macht allein vier mögliche Bedeutungen des Terminus aus, vgl. Analogia fidei, v. a. 177; vgl. auch oben, Kap. 8.1.3, Anm. 48.
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die Tradition, die authentische Auslegung des Lehramts, den denkerischen Nachvollzug durch Theologie und christliche Religionsphilosophie sowie vor allem durch den lebendigen Glauben des durch die Geschichte pilgernden Gottesvolkes. Die Bemühungen dieser Arbeit finden somit dort ihre Mündung, wo sie ihren Ausgang nahmen, die suchende Anstrengung (vgl. quaerere) von ratio bzw. intellectus ist wieder bei der fides angelangt. Diese Grundrichtung ist im Letzten wohl die implizite Signatur alles menschlichen Denkens – entgegen dem Weheruf des nietzscheanischen Zarathustra, dass »der Mensch nicht mehr den Pfeil seiner Sehnsucht über den Menschen hinauswirft«. 2 Diese Signatur bleibt freilich zutiefst ambivalent, kann der Mensch doch einerseits nicht umhin, denkerisch »wie ein Pfeil in Richtung Gott« aufzubrechen (Journet), 3 und muss doch andererseits – mit v. Balthasar – feststellen, dass am Ende dieses Aufbruchs »das ›Schweigen‹ steht, weil die Pfeile aller Begriffe und Worte vor dem Ziel zu Boden sinken« und ihm unangemessen bleiben. Der Glaube, so fährt der schweizerische Theologe fort, erkennt in diesem notwendigen Verstummen aber »ein anderes Schweigen: das der Anbetung, der es ob dem Übermaß des Geschenkten ebenfalls die Stimme verschlägt«. 4 Geschenktes und Schenkender, Gabe und Geber sind hier nämlich identisch, handelt es sich doch um den einen, dreipersonalen Gott selbst, dessen Verhältnis zu seinen Geschöpfen bei aller darin umfassten echten Ähnlichkeit (tanta similitudo) stets von jenem uneinholbaren ›je größer‹ geprägt bleibt, das seinen zweifachen Niederschlag findet in der lateranensischen maior dissimilitudo und im augustinischen Deus semper maior. Mit diesem ›je größer‹ wird das menschliche Denken niemals ›fertig‹, sondern muss sich immer weiter an ihm abarbeiten und nach tieferem Verständnis suchen, ohne – diesseits des ›Spiegels‹ (vgl. 1 Kor 13, 12) – jemals zur Ruhe oder ans Ziel zu kommen. So soll abschließend noch ein letztes Mal Erich Przywara zu Wort kommen, dessen Worte angesichts seines eigenen, zuletzt tragischen Lebenswegs 5 geradezu prophetisch anmuten: 2 3 4 5
Nietzsche, Also sprach Zarathustra, 297 (»Zarathustras Vorrede«, n. 5). Vgl. Journet, Comme une flèche de feu, 71: »comme une flèche vers Dieu«. Balthasar, Theologik, II, 98. Vgl. Neufeld, Vertiefte und gelebte Katholizität, 170: »Dieses Werk [sc. Deus Semper A
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»Denn analogia entis bedeutet nicht ein Errechnen Gottes und Eingrenzen in den Grenzen der Kreatur, sondern ehrfürchtiges Schauen zu Gott als demjenigen, dessen Sichhinabneigen bereits diese Schöpfung als Schöpfung ist […]. Denn Religion bedeutet, vom letzten Sinn der analogia entis aus erkannt, das tätige Bewußtsein des Gottesursprungs der Kreatur, das Bewußtsein, daß sie, in ihrem letzten Wesen, Selbstoffenbarung, Sichhinabneigen Gottes ist. Damit aber ist die Kreatur bereits in dieser ›natürlichen‹ Religionsform eine objektive Bereitschaft zur Religionsform der eigentlichen Menschwerdung […]. Das letzte Geheimnis katholischer Religion ist nicht, in Errechnung von unten nach oben, vom Geschöpf her sichtbar, sondern allein, in ehrfürchtigem Schauen zu Gott über alle Schöpfung, von Gott her. Sie gibt sich nicht erst in einem auf errechenbarer Gotteserkenntnis aufgelagerten eigentlichen Glaubensakt in die, alles Wissen übersteigende, Gottesweisheit, sondern ihre Grundeinstellung ist bereits ›Übergabe und Hingabe ins Geheimnis‹«. 6
Maior; M. L.] schloß in gewisser Weise das öffentliche Stellungnehmen und Wirken Przywaras ab. Es folgte die leidvoll-existentielle Erprobung des Gesagten und Gemeinten«. 6 RPhS 442 f.
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Anhang
Dieser Anhang umfasst die Übersicht über die verwendeten Siglen (1.), die Quellen (2.), die Literatur (3.), die Hilfsmittel (4.) und das Personenregister (5). Die Zitation erfolgt anhand der unter 1. genannten Siglen, ansonsten anhand der kursivgesetzten Kurztitel. Die Abkürzungen richten sich dabei nach S. M. Schwertner, IATG. Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin u. a. 2 1992. Gleichnamige Texte eines Autors werden durch Angabe des Erscheinungsjahres differenziert. Bibelzitate referieren auf die ›BHS‹ und den ›Nestle-Aland‹. Die Werke des Thomas von Aquin werden in der Regel nach der ›Editio Leonina‹ zitiert, die Schriften De potentia, In libros metaphysicorum, Super Romanos sowie Super De divinis nominibus jedoch nach der ›Marietti-Ausgabe‹, die Sentenzenkommentare schließlich nach Mandonnet/ Moos; als Hilfsmittel wurde auch die von E. Alarcón herausgegebene Online-Ausgabe herangezogen (s. u.). Die beiden Werke Autrement qu’être ou au-delà de l’essence und Totalité et Infini von Emmanuel Levinas werden jeweils doppelt nach Original- und Taschenbuchausgabe (Lp = livres poches) zitiert. Zusätzlich herangezogene, abweichende Erstauflagen werden in Klammern ergänzt.
1. Siglenübersicht AE AQE BET CB CMV DEHH DH DI DL EE
E. Przywara, Analogia Entis. E. Levinas, Autrement qu’être ou au-delà de l’essence. H. Verweyen, Botschaft eines Toten? H. Verweyen, Christologische Brennpunkte. M. Henry, C’est moi la vérité. E. Levinas, En découvrant l’existence avec Heidegger et Husserl. H. Denzinger, Kompendium der Glaubensbekenntnisse und kirchlichen Lehrentscheidungen. E. Lévinas, De Dieu qui vient à l’idée. E. Lévinas, Difficile liberté. E. Lévinas, De l’existence à l’existant. A
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Anhang
EN EPP EF
E. Levinas, Entre nous. E. Levinas, Éthique comme philosophie première. Th. Pröpper, Erlösungsglaube und Freiheitsgeschichte (2. Aufl.; 1 EF = 1. Aufl.). Th. Pröpper, Evangelium und freie Vernunft. Papst Johannes Paul II., Enzyklika Fides et Ratio. H. Verweyen, Fundamentaltheologie – Hermeneutik – Erste Philosophie. Th. Pröpper, Freiheit als philosophisches Prinzip der Dogmatik. H. Verweyen, Gottes letztes Wort (3. Aufl.; 1 GLW = 1. Aufl.). K. Rahner, Geist in Welt. H. U. v. Balthasar, Herrlichkeit. E. Lévinas, Humanisme de l’autre homme. K. Rahner, Hörer des Wortes. M. Henry, Incarnation. Th. Pröpper, Der Jesus der Philosophen und der Jesus des Glaubens. H. U. v. Balthasar, Karl Barth. E. Levinas, Liberté et commandement. Aristoteles, Aristoteles’ Metaphysik. H. Verweyen, Nach Gott fragen. Johannes Duns Scotus, Ordinatio (lib.1); ders., Quaestiones in libros sententiarum (lib.3 f.). H. Verweyen, Ontologische Voraussetzungen des Glaubensaktes. E.Przywara, Religionsphilosophische Schriften. M. Henry, Paroles du Christ. M. Henry, Phénoménologie matérielle. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles. Thomas von Aquin, Scriptum super libros sententiarum. P. Ricœur, Soi-même comme un autre. Thomas von Aquin, Summa Theologiae. E. Levinas, Le temps et l’autre. H. U. v. Balthasar, Theodramatik. E. Levinas, Théorie de l’intuition dans la phénoménologie de Husserl. E. Levinas, Totalité et Infini. H. U. v. Balthasar, Wahrheit.
EFV FR FHE FPD GLW GIW H HAH HDW IPC JDP KB LC Met. NGF Ord. OV RPhS PDC PhM SCG Sent. SMA STh TA TD ThI TI W
2. Quellen M. Henry, Auto-donation. Entretiens et conferences, hg. v. M. Uhl, Paris 2002. M. Henry, La barbarie, Paris 1987. M. Henry, C’est moi la vérité. Pour une philosophie du christianisme, Paris 1996. M. Henry, Du communisme au capitalisme. Théorie d’une catastrophe, Paris 1990. M. Henry, Incarnation. Une philosophie de la chair, Paris 2000.
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Quellen M. Henry, Inkarnation. Eine Philosophie des Fleisches, dt. v. R. Kühn, Freiburg u. a. 2002. M. Henry, La critique du sujet; in: Ders., Phénoménologie de la vie (Épiméthée), Bd. II: De la subjectivité, Paris 2003, 9–23. M. Henry, La généalogie de la psychanalyse. Le commencement perdu, Paris 1985. M. Henry, Le bonheur de Spinoza. Suivi de Études sur le spinozisme par Jean-Michel Longneaux (Épiméthée), hg. v. J.-L. Marion, Paris 2004. M. Henry, Le christianisme, une approche phénoménologique?; in: Ph. Capelle (Hg.), Phénoménologie et christianisme chez Michel Henry. Les derniers écrits de Michel Henry en débat, Paris 2004, 15–32. M. Henry, L’essence de la manifestation (Épiméthée), Paris 3 2003. M. Henry, L’Incarnation dans une phénoménologie radicale; in: M. M. Olivetti (Hg.), Incarnazione (AF 67 [1999]), Padua 1999, 19–26. M. Henry, Marx (Biblithèque des idées), Paris 1976. M. Henry, Parole et religion: la Parole de Dieu; in: J.-F. Courtine (Hg.), Phénoménologie et théologie, Paris 1992, 129–160. M. Henry, Paroles du Christ, Paris 2002. M. Henry, Phénoménologie de la chair. Philosophie, théologie, exégèse. Réponses; in: Ph. Capelle (Hg.), Phénoménologie et christianisme chez Michel Henry. Les derniers écrits de Michel Henry en débat, Paris 2004, 143–190. M. Henry, Phénoménologie de la vie (Épiméthée), 4 Bd.e, Paris 2003 f. M. Henry, Phénoménologie matérielle (Épiméthée), Paris 1990. M. Henry, Phénoménologie non intentionnelle. Une tâche de la phénoménologie à venir; in: Ders., Phénoménologie de la vie (Épiméthée), Bd. I: De la phénoménologie, Paris 2003, 105–121. M. Henry, Philosophie et phénoménologie; in: Ders., Phénoménologie de la vie (Épiméthée), Bd. I: De la phénoménologie, Paris 2003, 181–196. M. Henry, Quatre principes de la phénoménologie; in: Ders., Phénoménologie de la vie (Épiméthée), Bd. I: De la phénoménologie, Paris 2003, 77–104. M. Henry, Voir l’invisible. Sur Kandinsky, Paris 1988. E. Lévinas, Amitié judéo-chrétienne; in: Ders., Difficile liberté. Essais sur le judaïsme (biblio essais 4019), Paris 3 1997, 282 f. E. Lévinas, Autrement qu’être ou au-delà de l’essence (Phaenomenologica 54), Den Haag 1974. Lp: E. Lévinas, Autrement qu’être ou au-delà de l’essence (biblio essais 4121), Paris 1990. E. Lévinas, De Dieu qui vient à l’idée (Bibliothèque des textes philosophiques), Paris 2 1998. E. Lévinas, De l’évasion (biblio essais 4261), eingel. u. komment. v. J. Rolland, Paris 1998. E. Levinas, De l’existence à l’existant (Biblithèque des textes philosophiques), Paris 2 1998. E. Lévinas, Diachronie et représentation; in: Ders., Entre Nous. Essais sur le penserà-l’autre (biblio essais 4172), Paris 1993, 165–184. E. Lévinas, Difficile liberté. Essais sur le judaïsme (biblio essais 4019), Paris 3 1997. E. Lévinas, Droits de l’homme et bonne volonté; in: Ders., Entre Nous. Essais sur le penser-à-l’autre (biblio essais 4172), Paris 1993, 215–219. E. Levinas, En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger. Édition suivie d’Essais nouveaux (Bibliothèque d’histoire de la philosophie), Paris 3 2001.
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SCIENTIA
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5. Personenregister
Abensour, Miguel 152 Agamben, Giorgio 206 Albert, Hans 367 Alexander von Aphrodisias 32 Alferi, Thomas 296 Anselm von Canterbury 13, 280, 292, 298, 303–304, 309, 317, 322– 323, 329–330, 335–336, 351–352, 359, 362, 366 Anz, Wilhelm 273 Anzenbacher, Arno 44, 378, 392– 395, 401, 431, 435, 444, 453, 457 Arens, Edmund 370 Aristoteles 32, 380, 386, 394–395, 397, 400–404, 407, 411–412, 420, 428, 431, 433, 444, 451–452, 455– 456, 458, 471 Aubenque, Pierre 391 Aurelius Augustinus 118, 206, 219– 220, 244, 298, 304, 309, 329–330, 359, 366, 481 Averroes 456 Avicenna 427–428, 455 Balthasar, Hans Urs von 14, 20–21, 23, 25, 28, 40–41, 44, 46, 48–49, 138, 145, 149, 156, 212, 316, 319, 328, 346, 374, 398, 406, 408–409, 417, 421–422, 437, 439, 441, 443– 444, 447–448, 466, 468, 471, 478, 481 Bañez, Domingo 400 Barth, Karl 22, 27, 38, 40–41, 48, 378, 397–398, 471
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SCIENTIA
Bauman, Zygmunt 206 Baumgartner, Hans Michael 260, 276 Beauvais, Chantal 46 Beavers, Anthony F. 162, 166 Becker, Jürgen 189, 209 Beintker, Michael 48 Papst Benedikt XVI. siehe Ratzinger, Joseph 41 Bieler, Martin 44, 48, 422, 428, 444 Blanchard, Yves-Marie 105, 138, 147 Blanchot, Maurice 206 Bloch, Ernst 240 Blondel, Maurice 310, 330, 334, 359, 366 Blumenberg, Hans 238 Bochen´ski, Joseph Maria 393, 414 Boethius 194, 396, 457 Böhnke, Michael 230 Bonaventura 13–15, 27 Bongardt, Michael 37, 124 Borchert, Wolfgang 341 Boulnois, Olivier 455–459, 461 Brague, Rémi 213 Bréhier, Emile 27 Brito, Emilio 27, 29, 31 Bruaire, Claude 106 Brunner, Emil 30 Brunschvicg, Léon 27, 450 Buber, Martin 153, 179, 187 Buchholz, René 365, 367 Buggle, Franz 356 Burger, Maria 460
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Personenregister
Burggraeve, Roger 152 Burrell, David B. 372, 393 Cajetan (Tommaso de Vio) 44, 393, 397, 423 Camus, Albert 240, 298, 311 Cantalamessa, Raniero 118 Capelle, Philippe 145, 147 Casper, Bernhard 151, 153, 155, 189, 196, 207 Castañeda, Hector-Neri 228, 429 Chalier, Catherine 152–153, 157, 215 Chavannes, Henry 378 Chenu, Marie-Dominique 27–28 Chisholm, Roderick 228 Chouchani 153 Chrétien, Jean-Louis 37, 51–52, 98, 168, 173, 209, 218–221, 223 Cirne-Lima, Carlos 140, 444 Claudel, Paul 298, 353–354 Clavier, Paul 149 Cohen, Hermann 153 Comte, Auguste 333 Condillac, Etienne Bonnot de 88, 96–97, 99 Conrad-Martius, Hedwig 46, 72 Copers, G. 378, 406 Copoeru, Ion 144 Coreth, Emerich 378, 409, 440, 445, 452, 463, 476 Coreth, Emmerich 26, 31, 33, 44 Courtine, Jean-François 32, 44, 51, 378, 392, 405, 433, 435 Cramer, Konrad 39 Croce, Benedetto 27 Dalferth, Ingolf U. 364–365, 430, 440–441 Del Prado, Norberto 394 Dempf, Alois 400 Deprun, Jean 96 Derrida, Jacques 154, 160, 163, 165, 192, 197, 206, 209–210
Descartes, René 71, 73, 78–81, 85, 88, 90–91, 98, 115, 122, 124, 134, 138, 142, 162, 223, 273, 284, 298, 309, 317, 323, 328–330, 362, 366, 386, 451, 470 Diels, Hermann 418 Dirscherl, Erwin 160, 166, 208 Doré, Joseph 28, 145 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 201, 263, 298, 355 Dreyer, Mechthild 460, 462 Dufour-Kowalska, Gabrielle 146, 149–150 Dupuy, Bernard 213 Ebenbauer, Peter 296, 307, 310, 337, 361 Eckhart von Hochheim 73, 77, 141, 146 Elders, Leo J. 20, 435 Enders, Markus 44 Essen, Georg 24, 37, 231–232, 241– 242, 253–255, 258, 266–267, 276, 278, 284, 319 Esterbauer, Reinhold 164 Fabre, Patrick 152 Faessler, Marc 189, 214–215 Falque, Emmanuel 58, 143, 147 Favraux, Paul 106 Fichte, Johann Gottlieb 229, 232, 239, 258, 260, 274, 289, 297–298, 305, 309, 315–316, 328, 331, 336– 337, 341, 345–346, 359, 362, 366, 368, 429 Fink, Eugen 104 Finkielkraut, Alain 28 Fischer, Norbert 166, 187 Fößel, Thomas P. 230, 266, 290, 293, 297, 310, 314, 364, 367, 371–374 Franciscus Sylvester von Ferrara 393 Frank, Manfred 228, 429
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Freyer, Thomas 37, 151, 156, 167, 208, 212 Fuchs, Gotthard 281 Funk, Rudolf 152–153, 159, 162, 166–168, 193, 210 Gadamer, Hans-Georg 28, 381, 418, 424, 440, 446 Galilei, Galileo 88–91, 95 Geiger, Louis-Bertrand 395, 435 Gentile, Giovanni 27 Gertz, Bernhard 38, 40–41, 44, 378, 405, 411 Gilbert, Paul 53, 218 Gilson, Etienne 27, 29, 426, 454– 455, 459 Gloy, Karen 401, 410–411 Göbel, Bernd 359 Görtz, Heinz-Jürgen 153 Goud, Johan F. 160, 193, 216 Grätzel, Stephan 32 Gredt, Josephus 473 Greisch, Jean 51–53, 59, 143–145, 149, 152, 171, 206–207, 218–224, 422 Grenet, Paul 378, 391, 401, 453 Greshake, Gisbert 49, 245 Grosos, Philippe 219 Habermas, Jürgen 18, 34 Halevi, Jehuda 193 Hanimann, Joseph 28 Hartmann, Nicolai 439, 447 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 378, 400, 407, 409, 454 Heidegger, Martin 20, 26, 39, 43– 44, 52–55, 59–60, 65, 72–73, 83– 84, 108, 112, 123, 140, 143–144, 152, 154, 158–159, 165–166, 210, 221, 224, 257, 321, 390, 402, 404– 405, 413–414, 418–419, 424, 428, 433–434, 440, 443, 446, 463 Heiler, Friedrich 218 Heinrich von Gent 454, 458, 463
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Heinzmann, Richard 21, 107, 420, 444, 451, 472 Henrich, Dieter 167, 228, 429 Henrix, Hans Hermann 151–153, 166 Henry, Michel 36, 51–65, 67, 69–92, 94–106, 108–112, 114–115, 117– 150, 156, 158–159, 162, 169, 174, 203, 206, 210, 212, 218, 223–224, 320, 340, 382–386, 437, 443, 458, 466, 468, 470, 474, 477 Heraklit 67, 378, 391, 402 Herbart, Johann Friedrich 61 Hesse, Hermann 13 Hirschberger, Johannes 104, 403 Hoff, Gregor Maria 297, 365, 367– 369, 371–372, 374 Hoff, Johannes 365 Höhn, Hans-Joachim 430 Hölderlin, Friedrich 429 Holz, Harald 378, 391, 394–395, 411 Honnefelder, Ludger 32, 34, 424, 449, 454, 456–461, 465 Hoping, Helmut 250 Hösle, Vittorio 15, 449 Hundeck, Markus 196 Hünermann, Peter 250 Husserl, Edmund 34, 45–46, 52–53, 56, 59–73, 75–79, 86–88, 90–91, 93, 98, 103, 106, 131, 134, 143– 144, 152–154, 158, 168–170, 174, 195, 203, 208, 210 Ingarden, Roman 46, 72 Ingham, Mary Beth 460, 462 Ionesco, Eugène 185 Irenäus von Lyon 73, 109, 111–112, 132, 134, 187, 340–341 Jabès, Edmond 206 Jacobs, Louis 184 Janicaud, Dominique 36–37, 51–53, 143, 154, 170, 209–210
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Personenregister
Jankélewitsch, Vladimir 28 Jaspers, Karl 27–28, 42 Je˛draszewski, Marek 187 Johannes a sancto Thoma 44 Johannes Duns Scotus 32, 379, 388, 414, 453–462, 464–465, 478 Papst Johannes Paul II. 16, 46, 206 Papst Johannes XXII. 146 Jorissen, Hans 17, 119 Journet, Charles 481 Jüngel, Eberhard 48–49, 378, 398 Kafka, Franz 77 Kandinsky, Wassily 56 Kant, Immanuel 17, 32, 34, 64, 85, 95, 99, 183, 190, 208, 214, 225, 229, 334, 345, 359, 420, 425, 429, 454, 473 Kasper, Walter 33, 39, 231, 237, 432, 452, 467–468, 472 Katz, Claire Elise 152 Kessler, Hans 255, 296, 372–373 Kestering, Julio Cesar 156 Kierkegaard, Sören 73, 123–125, 127, 134, 407 Kim, Michael Seung-Wook 296– 297, 303, 311, 314, 319, 321, 336 Klubertanz, George P. 378, 394, 453–454 Kluxen, Wolfgang 44, 47, 378, 391, 393, 395, 401, 403, 405, 454, 458 Knapp, Markus 34, 364, 430 Knop, Julia 250 Kobusch, Theo 34 Kraus, Karl 341 Kreiner, Armin 32 Krenski, Thomas 398 Kreutzer, Karsten 249 Krewani, Wolfgang Nikolaus 151– 153, 156–161, 165–168, 176, 184, 192, 201, 206, 208 Krings, Hermann 232, 243, 248– 249, 254, 258–259, 261, 269, 271–
274, 276–277, 279, 285, 326–327, 388, 452, 463, 474 Kühn, Rolf 56, 81, 84, 106, 122, 138–141, 143, 146, 148–149, 386 Kunz, Erhard 302 Kuschel, Karl-Josef 266 Lacoste, Jean-Yves 37, 52, 218, 221– 223 Lakebrink, Bernhard 378, 400, 409– 410 Laoureux, Sébastien 56 Larcher, Gerhard 297, 364 Lehmann, Karl 266, 319 Leibniz, Gottfried Wilhelm 64, 78, 85, 98, 176 Lescourret, Marie-Anne 151 Levinas, Emmanuel 28, 36–37, 51– 55, 58, 83, 140, 151–221, 232–233, 290, 298, 320, 332, 340, 355, 358, 361, 382–384, 386–387, 430, 434, 437, 443, 445, 449, 462, 466, 468, 474 Lévy, Bernard-Henri 28, 154 Liebsch, Burkhart 451 Lindfeld, Tim 410 Llewelyn, John 160, 165, 206 Lochbrunner, Manfred 398 Lonergan, Bernard J. F. 444 Lonfat, Joel 47 Longneaux, Jean-Michel 140 Löser, Werner 398 Lotz, Carsten 37 Lotz, Johannes Baptist 378 Lyotard, Jean-Francois 206 Lyttkens, Hampus 378, 392, 396, 457 Madaule, Jacques 216 Maine de Biran, François-PierreGonthier 73, 88, 96–97, 99 Malebranche, Nicolas 78, 96, 98 Malka, Salomon 151, 216 Mandonnet, Pierre 27 A
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Anhang
Manser, Gallus Maria 394 Marcel, Gabriel 281 Maréchal, Joseph 40, 298, 315, 366, 422, 426 Marion, Jean-Luc 37, 51–52, 57, 61, 165, 206, 218, 223–225 Maritain, Jacques 29 Marquard, Odo 159 Marshall, Bruce D. 378, 414 Marx, Karl 56 McInerny, Ralph 21, 47, 378 Mead, George Herbert 430, 442 Mechels, Eberhard 48, 378 Mehl, Roger 476 Menke, Karl-Heinz 24–25, 40, 213– 215, 230, 232, 251, 297, 340, 375, 378, 398, 408, 473, 475–476, 478 Merleau-Ponty, Maurice 53, 88, 93– 95, 124, 134, 154 Metz, Johann Baptist 231 Meyer, Richard Moritz 475 Miething, Frank 151 Montagnes, Bernard 47, 378, 393– 394 Mosès, Stéphane 162 Muck, Otto 40, 426 Müller, Denis 28, 51 Müller, Gerhard Ludwig 15, 17, 20, 23, 25, 35, 44, 378, 428, 454, 467 Müller, Klaus 37, 40, 47, 164, 228– 231, 235, 240, 298, 303–304, 309, 318, 331, 365–366, 375, 377–378, 390, 393, 428–430, 441 Naab, Erich 44, 378, 400, 405 Nabert, Jean 77 Narbonne, Jean-Marc 210 Ndayizigiye, Thaddée 155 Neufeld, Karl Heinz 481 Newman, John Henry 305, 372, 449 Niederwimmer, Kurt 244 Nietzsche, Friedrich 451, 481 Nowotny, Stefan 56 Nozick, Robert 228
522
SCIENTIA
Obenauer, Klaus 228, 230, 288, 292, 297, 364, 374, 385 Oeing-Hanhoff, Ludger 253 Oelmüller, Willi 263 Ohlig, Karl-Heinz 375 Olivetti, Marco M. 166–167, 339 Orth, Stefan 42, 209, 426, 447–448, 451 Oster, Stefan 444, 448, 451, 475 Pannenberg, Wolfhart 48, 177, 233, 236, 254, 269–270, 280, 283, 332, 346, 378, 388, 397–400, 404, 414, 429–430, 442, 447 Parmenides 378, 391, 402, 418 Pascal, Blaise 193, 450 Penido, Maurillo T.-L. 378, 397, 463 Peperzak, Adriaan 156, 215 Pesch, Otto Hermann 244 Peters, Tiemo Rainer 256 Peukert, Helmut 281 Pfänder, Alexander 72 Picard, N. 392 Pickstock, Catherine 460 Pieper, Annemarie 260 Platon 85, 163, 166, 196, 208, 210, 334, 350, 378, 382, 386, 390–391, 397, 401–402, 417, 431, 453 Platzbecker, Paul 18, 228, 230, 232, 234, 245, 247, 265, 274, 296–297, 302, 357 Plotin 337, 374 Poorthuis, Marcel 214 Popkes, Wiard 310 Porphyrios 400–401, 413–414, 457 Prevost, Robert 15 Pröpper, Thomas 24, 37, 40, 49, 58, 177, 228–294, 296–298, 300, 302, 318–320, 324, 331, 337, 344, 346, 350, 354, 357–359, 361–362, 364– 365, 367, 370–375, 384–385, 387– 390, 422, 429, 432, 437, 441, 449– 450, 466, 469, 474, 476–477 Przywara, Erich 25, 30, 33, 38–41,
RELIGIO
Markus Lersch
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Personenregister
44, 46, 48, 378, 391, 397, 400–401, 403, 405–409, 411, 418, 422, 437– 438, 449, 451, 467, 471, 477, 481 Puntel, Lorenz Bruno 38, 44, 47, 378, 392–393, 400, 405, 407–408, 415, 425, 435, 477 Putnam, Hilary 34 Quine, Willard Van Orman 34 Rad, Gerhard von 473 Raffelt, Albert 304 Rahner, Karl 14, 24–25, 29, 148, 212, 231, 248, 280, 283, 294, 304, 315, 319, 346, 406, 408, 428–429, 442–445, 452, 466–467, 471 Ratzinger, Joseph 15–16, 30, 41, 144, 168, 216, 291, 294, 296, 319, 366, 371 Renard, A. 27 Ricœur, Paul 14, 28, 39, 42, 44, 47, 51–52, 154, 163, 206, 209–211, 216, 332, 420–421, 426–427, 430, 447–451 Ringleben, Joachim 429 Ripalda, Juan Martínez de 25 Röd, Wolfgang 183 Rolland, Jacques 152–153, 159, 201 Rosenzweig, Franz 153–154 Roth, Gerhard 469, 474 Rulands, Paul 25 Sandherr, Susanne 164, 210 Sandler, Willibald 37 Sartre, Jean-Paul 154, 185, 206, 429 Schaeffler, Richard 31, 33, 45–46 Schärtl, Thomas 393 Scheler, Max 34 Scheltens, Gonsalvus 453, 460 Scherer, Georg 33 Schillebeeckx, Edward 312 Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst 429 Schlink, Edmund 398
Schmidinger, Heinrich 26–28, 34, 144 Schönberger, Rolf 32, 420, 428, 432, 436, 459 Schopenhauer, Arthur 107 Schrey, Heinz-Horst 273 Schrijver, Georges de 398 Schrijvers, Joeri 191, 221–222 Schulz, Michael 15–16, 20, 31, 39, 41, 44, 208, 213, 407, 428, 436, 449, 467 Schulz, Walter 429 Schweidler, Walter 94 Schwerdtfeger, Nikolaus 25 Schwind, Georg 164, 216, 340 Seckler, Max 303 Secretan, Philippe 378, 387, 392, 408, 415 Seidl, Horst 404 Sepp, Hans Rainer 144 Shoemaker, Sydney 228 Siewerth, Gustav 20, 33, 140, 315, 321, 346, 361, 363, 382, 389, 401, 407–408, 422, 428, 436, 452, 470, 478 Simons, Eberhard 429 Singer, Wolf 469, 474 Sirovátka, Jakub 151 Smith, Steven G. 193 Söhngen, Gottlieb 40–41, 378, 393, 411–412, 422, 432, 436, 480 Souletie, Jean-Louis 145 Spinoza, Baruch de 46, 73, 78, 98, 140, 146, 153 Splett, Jörg 26, 30, 149, 432 Stammberger, Ralf M. W. 378, 393 Stegmaier, Werner 151–152, 165, 206 Stein, Edith 29, 35, 46, 72, 87, 107, 418–419, 439, 446, 473 Steiner, Uwe C. 103 Stenzel, Julius 397 Stosch, Klaus von 288 Strasser, Stephan 152–153, 157, A
Triplex Analogia
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Anhang
164, 166, 168, 172, 185, 189, 196– 197, 209, 211 Striet, Magnus 37, 230, 232, 237, 241, 249–250, 256, 260, 266, 268, 270, 278, 284, 292, 387–388, 435 Suárez, Francisco 44, 393, 400, 478 Sylvester von Ferrara 44 Taureck, Bernhard H. F. 152, 154– 155, 193 Teilhard de Chardin, Pierre 473 Terán Dutari, Julio 30, 38, 41, 44, 378, 400, 405, 407, 477 Tertullian 73, 109–111, 134, 147 Teuwsen, Rudolf 378, 393, 400 Thireau-Decourmont, Isabelle 56– 57, 139 Thomas von Aquin 15, 17, 19–21, 33, 35, 44, 107, 186, 200, 215, 377– 379, 388, 390, 393–396, 400, 404, 420–421, 423, 427–428, 431–432, 435–436, 444, 451, 453–455, 459, 463–465, 471–472 Timmermann, Elija 230 Todorov, Tzvetan 206 Track, Joachim 378 Tugendhat, Ernst 309 Türk, Hans Günther 314, 371 Ulrich, Ferdinand 428, 475 Valavanidis-Wybrands, Harita 188 Valentin, Joachim 228, 365 Valéry, Paul 168 van der Leeuw, Gerardus 218 Vaschalde, Roland 56 Vattimo, Gianni 206 Ventimiglia, Giovanni 420 Verweyen, Hansjürgen 18, 24, 26, 34, 37, 40, 58, 168, 215–216, 228– 229, 231, 233–235, 240, 245, 255–
524
SCIENTIA
256, 262–265, 273–275, 280, 290, 292, 294, 296–375, 384, 389, 422, 428, 432, 437, 442, 466, 469–470, 477 Wagner, Falk 346 Wagner, Hans 391, 434, 465 Waldenfels, Bernhard 34, 52–54, 56–57, 148, 209 Weil, Simone 154 Weingartner, Paul 393 Weissmahr, Béla 33, 44, 107, 401– 402, 408–410, 420, 444, 449, 452, 463, 468, 471, 473, 478 Welsch, Wolfgang 18 Welte, Bernhard 29, 31 Wendel, Saskia 37, 139, 216, 228, 428–429, 442 Werbick, Jürgen 15–16, 294, 303, 367–368, 372, 449–450, 466, 476 Weß, Paul 430 Wickler, Wolfgang 65 Wiemer, Thomas 152, 161, 165– 166, 176 Wiertz, Oliver J. 15, 288, 298, 306, 369, 449 Williams, Thomas 465 Wittgenstein, Ludwig 143, 393, 400, 411 Wohlmuth, Josef 36, 152, 155, 214, 223 Wolf, Ursula 309 Wolff, Christian 43 Wolterstorff, Nicholas 303–304 Wolzogen, Christoph von 152, 155, 157 Zeitz, James V. 406, 408 Zˇizˇek, Slavoj 206 Zwierlein, Eduard 450
RELIGIO
Markus Lersch
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