Transitional Justice im Kontext: Zur Genese eines Forschungsgebietes im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung [1 ed.] 9783428543809, 9783428143801

$aTransitional Justice$z – die Frage nach dem grundlegenden Verständnis und der Funktion von Recht bzw. Gerechtigkeit in

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German Pages 596 [597] Year 2016

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Transitional Justice im Kontext: Zur Genese eines Forschungsgebietes im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung [1 ed.]
 9783428543809, 9783428143801

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Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 101

Transitional Justice im Kontext Zur Genese eines Forschungsgebietes im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung

Von Constanze Schimmel

Duncker & Humblot · Berlin

CONSTANZE SCHIMMEL

Transitional Justice im Kontext

Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von M a r t i n Ne t t e s h e i m in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Jochen von Bernstorff Jörg Eisele, Martin Gebauer, Kristian Kühl Hans von Mangoldt, Wernhard Möschel Thomas Oppermann, Stefan Thomas Wolfgang Graf Vitzthum sämtlich in Tübingen

Band 101

Transitional Justice im Kontext Zur Genese eines Forschungsgebietes im Spannungsfeld von Wissenschaft, Praxis und Rechtsprechung

Von Constanze Schimmel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 21 Alle Rechte vorbehalten

© 2016 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: L101 Mediengestaltung, Berlin Druck: buchbücher.de gmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 978-3-428-14380-1 (Print) ISBN 978-3-428-54380-9 (E-Book) ISBN 978-3-428-84380-0 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

„Was vergangen ist, kann nicht bewältigt werden. [… U]nd auch das Recht [maßt] sich eine Bewältigung des Vergangenen nicht an […]. […] Gleichwohl kann das Recht in alles eingespannt werden, was Gesellschaft und Politik mit Vergangenem machen.“ Schlink, in: ders., Vergangenheitsschuld und gegenwärtiges Recht, S. 8.

Danksagung Die vorliegende Arbeit hätte nicht ohne die Unterstützung und das Verständnis meiner Familie, Freunde und Arbeitskollegen entstehen können. Ich möchte mich insbesondere bei meinen Eltern und meiner Schwester bedanken, meinen Freunden und Kollegen in Deutschland, Genf und Algier, die mich zum Durchhalten ermuntert haben und mir durch ihre Nachfragen vielfältige Denkanstöße gegeben haben sowie den verschiedenen Gesprächspartnern in Algerien, Tunesien und Libyen, mit denen ich vor dem Hintergrund der Ereignisse in den nordafrikanischen Ländern meine Thesen und Gedanken auf ihre Praxisrelevanz überprüfen konnte. Die Idee zu dieser Doktorarbeit enstand 2006 in einem Seminar zu Transitional Justice an der Universität Nottingham bei Prof. O’Flaherty, in dem dieser von den, mit der Transition in Sierra Leone verbundenen, menschenrechtlichen und moralischen Dilematta eines UN Human Rights Officers berichtete. Die Stellungnahmen in der v. a. von anglo-amerikanischen Juristen geprägten Diskussionsrunde brachten mich erstmals mit dem Forschungsgebiet Transitional Justice in Berührung und mein Interesse war geweckt. Ich danke auch meinem Doktorvater, der mich als Promotionsstudentin trotz meiner gleichzeitigen Arbeitstätigkeit im Ausland aufgenommen und diese Arbeit über vier Jahre begleitet hat. Bamako, im Oktober 2015

Constanze Schimmel

Inhaltsverzeichnis

Problemstellung und Aufbau der Arbeit 25 I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 1. Forschungsgegenstand und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2. Forschungsfragen und Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 III. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Fragestellung und Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2. Forschungsperspektive: Wissens(chafts)soziologie . . . . . . . . . . . . . . . 35 a) Identifizierung der „epistemischen Gemeinschaft“ . . . . . . . . . . . . 36 b) Identifikation der den TJ-Diskurs tragenden Wissenschaftler (quantitative Indikatoren) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Identifikation des Diskurses der Völkerrechtswissenschaft . . . . . 38 d) Identifikation der Diskurselemente (qualitative Indikatoren) . . . . 39 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 V. Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Teil 1



Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice 

43

I. Darstellungen der Entwicklung von Transitional Justice in der Literatur . 43 1. Ruti Teitel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 a) Phase I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 b) Phase II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 c) Phase III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Paige Arthur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 3. Christine Bell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Andere Darstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Beschreibung der Publikationstätigkeit zum Thema Transitional Justice . 58 1. Entwicklung der Publikationstätigkeit „Transitional Justice“ . . . . . . 58 2. Publikationshäufigkeit: TJ und einzelne TJ-Instrumente . . . . . . . . . . 59 3. Publikationshäufigkeit: TJ und andere Rechtsgebiete und Praxisbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

10 Inhaltsverzeichnis a) Entwicklungsschritte der Publikationstätigkeit zu TJ . . . . . . . . . . 64 b) Publikationstätigkeit zu einzelnen TJ-Instrumenten und TJ . . . . . 65 c) Verbindung von TJ zu anderen Spezialgebieten . . . . . . . . . . . . . . 65 III. Zusammenführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 1. Allgemeine Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Thesen in Bezug auf einzelne Phasen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 Teil 2

Mapping des Transitional Justice-Diskurses 

68

I. Der Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. „Transitional“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2. „Justice“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Gerechtigkeitstypologie: klassische Typologie und TJ-Verständnis . . 71 aa) Das formale Gerechtigkeitsverständnis oder die Verfahrensgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 bb) Das materielle Gerechtigkeitsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (1) Die ausgleichende Gerechtigkeit: Tauschgerechtigkeit und korrektive Gerechtigkeit (restitutiv und retributiv) . 72 (a) Restitutive Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (b) Strafgerechtigkeit (retributive Gerechtigkeit) . . . . . . 74 (aa) Warum ist zu bestrafen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 α) Die absolute bzw. deontologische Straf­ theo­rie (Rechtsbruch / Vergeltung) . . . . . . . 75 β) Relative bzw. utilitaristische Straftheorien (Gefahr / Prävention) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 γ) Vergeltende und präventive Vereinigungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 δ) Strafzweck nach internationalem Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 (bb) Wer ist zu bestrafen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (cc) Wie ist zu bestrafen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 (2) Distributive Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (3) Politische Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 (4) Soziale Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 b) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 3. Verschiedene Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 a) Allgemeine Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 aa) Prozessorientierte oder qualitative Definition  . . . . . . . . . . . . 86 bb) Enge und weite Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (1) Kriterium: Instrumentarium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Kriterium: Zeitliche Orientierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 b) Definitionen unterschiedlicher Disziplinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

Inhaltsverzeichnis11 aa) Rechtswissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (1) Völkerrechtliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (a) Menschen-und humanitärrechtlicher Ansatz . . . . . . . 92 (b) Völkerstrafrechtlicher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 (2) Völkerrechtlicher TJ-Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 (a) Menschenrechtlicher bzw. humanitärrechtlicher Ansatz . 95 (b) Völkerstrafrechtlicher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (3) Rechtsphilosophischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (4) Kriminologischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (5) Rechtssoziologischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 (6) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Politikwissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 cc) Sozialpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 dd) Theologischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 II. Das Forschungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 1. Verhältnis von TJ-Wissenschaft und Praxis unter besonderer Berücksichtigung des Völkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 a) Forschung und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 b) Praxis und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 c) Recht und Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Die Interdisziplinarität des Feldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 a) Wahrnehmung und Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 b) Multi-, Inter- und Transdisziplinarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 c) Anwendung auf TJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 3. Die Unterscheidbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 III. Die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 1. Akteure, die TJ wissenschaftlich beobachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 a) Wissenschaftler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 b) Wissenschaftliche Institute, Programme und Netzwerke . . . . . . . 129 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2. TJ-Akteure, die nicht rechtsgenerierend tätig werden können . . . . . 132 3. TJ-Akteure, die rechtsgenerierend tätig werden können . . . . . . . . . . 134 a) Praxisfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 IV. Zusammenfassung und kritischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 Teil 3

Entwicklung von Transitional Justice 

142

A. Entwicklung der wissenschaftlichen Behandlung der Thematik . . . . . . . . . . 142 I. Im Vorfeld der Konstituierung: Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1989 / 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

12 Inhaltsverzeichnis 1. Völkerstrafrechtlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 a) Auseinandersetzungen mit den Menschenrechtsverletzungen des 2. Weltkriegs: Diskussionen in der internationalen völker(straf-) rechtlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 b) Einschub: Vergangenheitsbewältigung im besetzten Deutschland und der BRD sowie Diskursthemen und Deutungsmuster . . . . . . 149 aa) Strafverfolgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 bb) Amnestierungsgesetze und Verjährungsdebatten . . . . . . . . . . 151 cc) Entnazifizierung und Reeducation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 dd) Entschädigungszahlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 ee) Zäsuren, Diskursthemen und Deutungsthemen  . . . . . . . . . . . 155 ff) Rezeption in der internationalen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Auseinandersetzungen mit den Menschenrechtsverletzungen während des Vietnamkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Menschenrechtlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Kaum Publikationstätigkeit zu Transitionsmaßnahmen in Griechenland, Portugal und Spanien (1970er Jahre) . . . . . . . . . . . . . . 160 b) Erstarkender Menschenrechtsdiskurs (1980er Jahre) . . . . . . . . . . 162 aa) Strafverfolgungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 bb) Amnestiegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 c) Einschub: Vergangenheitsbewältigung in Argentinien sowie Diskursthemen und Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Süd- und Mittelamerika im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Beispiel Argentinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 (1) Militärdiktatur und Menschenrechtsverletzungen . . . . . . 168 (2) Verschiedene Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 (3) Getroffene Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (a) Amnestiegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 (b) Wahrheitskommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 (c) Strafverfolgungsversuche und weitere Amnestiegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 3. TJ-Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 4. Politikwissenschaftlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 5. Erste umfassende Konferenz zur Transitional Justice-Problematik . 182 6. Zusammenfassung und kritische Bewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Menschen- und humanitärrechtlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 a) Verpflichtung zur Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 b) Strafzweckdebatten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Versöhnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Völkerstrafrechtlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 Exkurs: Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und Antwort der internationalen Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200

Inhaltsverzeichnis13 3. TJ-Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 Exkurs: Auseinandersetzungen mit den Menschenrechtsverletzungen anlässlich der Transitionen der ehemaligen sozialistischen Staaten  . . . 207 4. Politikwissenschaftlicher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 5. Sozialpsychologischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 6. Wissenschaftliche Konferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Konstituierung des Feldes (1995–2002) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Rechtswissenschaftlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 a) Erstarkender völkerstrafrechtlicher Diskurs  . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 aa) Erste Jahre der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . . . . 233 bb) Entwicklung der hybriden Strafgerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . 235 (1) Einrichtung der Special Panels of the Dili District Court . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 (2) Einrichtung des Spezialgerichtshofes für Sierra Leone . 237 (3) Fazit: Hybride Gerichtshöfe und TJ-Diskurs . . . . . . . . . 239 cc) Diskussionen um die Einrichtung eines Ständigen Strafgerichtshofes und Weltrechtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 b) Menschenrechtlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 aa) Verfestigung der Lager: „Legalisten“ gegen „Pragmatiker“ . 240 bb) Amnestiegesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 (1) Amnestie in Sierra Leone: Die UN bezieht Stellung . . . 243 (2) Amnestie in Südafrika: Rechtliches Vorgehen gegen die Amnestie vor der nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit . 244 c) Dichotomien „Gerechtigkeit …“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 aa) „… und Frieden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 bb) „… vs. Wahrheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 cc) „… und Versöhnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (1) Transition in Südafrika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 (2) Gerechtigkeit und Versöhnung in Osttimor . . . . . . . . . . . 255 (3) Gerechtigkeit und Versöhnung in Sierra Leone . . . . . . . 258 (4) Wahrheit / Versöhnung und Gerechtigkeit in Peru . . . . . . 259 (5) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 d) Andere rechtliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 2. Diskurse anderer Disziplinen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 3. TJ-Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 a) „Transitional Justice“ (US Institute of Peace) . . . . . . . . . . . . . . . 265 b) „Transitional Jurisprudence“ bzw. „Transitional Justice“ (Teitel) . 268 c) Weitere TJ-Abhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 4. Wissenschaftliche Institutionalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 5. Wissenschaftliche Konferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 6. Wissenschaftliche Forschungsprojekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280

14 Inhaltsverzeichnis IV. Ausdifferentialisierung und kritische Repositionierung (2003–2005) . . 284 1. Entwicklungen in der wissenschaftlichen Behandlung der Thematik . 284 a) TJ-Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 aa) Bestätigung der Unterscheidbarkeit der TJ-Forschungsfrage . 288 bb) Hinterfragung des Transitionsdiskursmusters . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Theorien und Konzepte werden komplexer . . . . . . . . . . . . . . 293 dd) Zunehmende Praxisorientiertheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 ee) Disziplinarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 b) Rechtlicher Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 2. Konferenzen und wissenschaftliche Institutionalisierung . . . . . . . . . . 298 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 V. Phase der kritischen Infragestellung und Krise (2006–2010) . . . . . . . . . 301 1. Entwicklungen in der wissenschaftlichen Behandlung der Thematik . 301 a) Dominanz des völkerstrafrechtlichen Diskurses . . . . . . . . . . . . . . 304 b) TJ-Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 aa) Empirische Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 bb) Infragestellung des TJ-Deutungsrahmens . . . . . . . . . . . . . . . . 308 cc) Vergleichsstudien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 dd) „Frieden vs. Gerechtigkeit“ oder „Frieden und Gerechtigkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 ee) Analyse der Rechtsprechung v. a. der regionalen Menschenrechtsschutzorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 2. Konferenzen und wissenschaftliche Institutionalisierung . . . . . . . . . . 313 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 1. „Nürnberg“ und südamerikanische Transitionen . . . . . . . . . . . . . . . . 315 2. Verbindung der Systemwechselforschung mit dem menschenrecht­ lichen Diskurs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 3. Geringe Querverbindungen zur Rechtsprechungspraxis . . . . . . . . . . . 318 4. Transnationalisierung und Internationalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 5. Disziplinarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 6. Verhältnis Politik und Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 7. Post-Transitional Justice . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 8. Wissenschaftliche Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 B. Entwicklungen auf der Ebene der Transitional Justice-Praxis . . . . . . . . . . . 324 I. Vereinte Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Bis zum Ende des Kalten Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Ende des Kalten Krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) UN-Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Peacekeeping-Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 c) Friedensverhandlungen, Amnestien und Wahrheitskommissionen . 333 d) Menschenrechte im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 3. Mitte der 1990er Jahre bis 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335

Inhaltsverzeichnis15 a) Peacekeeping / -building . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 b) Friedensverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 c) UN-unterstützte Wahrheitskommission in Guatemala . . . . . . . . . . 342 d) Völkerstrafrechtliche Kodifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 4. Ab 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 a) UN-Bericht „The Rule of Law and Transitional Justice in Conflict and Post-Conflict Societies“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 b) Debatten im UN-Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 c) Koordinierungs- und Leitfunktion des OHCHR . . . . . . . . . . . . . . 350 d) UN-Bericht „Uniting our strengths: Enhancing United Nations support for the Rule of Law“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 e) Podiumsdiskussion zu „United Nations approach to transitional justice“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 f) Richtlinien des UN-Generalsekretärs (UN-Ansatz für Transitional Justice) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364 g) Peacekeeping / -building-Missionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 h) Institutionalisierung des TJ-Diskurses in den Vereinten Nationen  369 i) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 369 II. Andere zwischenstaatliche internationale Organisationen und ähnliche Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 1. Europarat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Europäische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 3. OSZE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 4. Organisation der Amerikanischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 5. Afrikanische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 III. Nichtregierungsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 1. Internationale „traditionelle“ Menschenrechtsorganisationen . . . . . . . 375 2. Andere internationale Nichtregierungsorganisationen: ICTJ . . . . . . . 381 3. Regionale oder nationale Menschenrechtsorganisationen und -institute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 IV. Staatenpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 V. Zusammenfassung und kritischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 C. Entwicklungen auf normativer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts . . . . . . . . . . . . . . 395 1. Internationale Spruchkörper und Menschenrechtsschutzsysteme . . . . 395 a) CCPR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 aa) Vertragsverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 bb) Spruchpraxis vor 1989 / 90  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 cc) Spruchpraxis ab 1989 / 90 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (1) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 398 (2) Pflicht zur Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401 (3) Amnestiegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

16 Inhaltsverzeichnis (4) Behandlung von Transitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 407 (5) Opferrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 (6) Weitere TJ-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 dd) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 b) CAT . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418 c) CPED . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 2. Regionale Spruchkörper und Menschenrechtsschutzsysteme . . . . . . . 422 a) Inter-Amerikanisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 aa) Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission . . . . . . . . . 423 (1) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 (2) Amnestiegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 (3) Behandlung von Transitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 (4) Opferrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 (5) Weitere TJ-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 bb) Inter-Amerikanischer Menschengerichtshof . . . . . . . . . . . . . . 434 (1) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 (2) Pflicht zur Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (3) Amnestiegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 (4) Behandlung von Transitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 (5) Opferrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 (6) Weitere TJ-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 cc) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 b) Das Europäische Menschenrechtssystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 aa) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung . . 449 bb) Pflicht zur Bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 cc) Amnestiegesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 dd) Behandlung von Transitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 ee) Eigentumsstreitigkeiten, v. a. Restitutionsfragen . . . . . . . . . . . 458 ff) Opferrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 gg) Weitere TJ-Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 c) Afrikanisches System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 3. Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 a) TJ-Thematiken und das IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 aa) Amnestien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 bb) Pflicht zur Untersuchung und Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . 471 cc) Wahrheitskommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 dd) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 b) Anklagestrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 c) Rechtsprechung der Ad-hoc-Gerichtshöfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 4. Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

Inhaltsverzeichnis17 II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts . . . . . . . . . . . . 478 1. Verpflichtungen zur Strafverfolgung und -bestrafung . . . . . . . . . . . . . . . 478 2. Opferrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 a) Entwicklung des Diskurses: Vom Bedürfnis zum Recht . . . . . . . . . . 481 b) Arbeit an den „Basic Principles Guidelines on the Right to Reparation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Humanitarian Law“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 c) Arbeit an den Prinzipien zur Straflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 III. Zusammenfassung und kritischer Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 Teil 4 Schlussbetrachtung 

503

I. Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 1. Dimension: Forschungsgebiet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 2. Dimension: Praxisfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 3. Dimension: Ein sich in Entwicklung befindliches Rechtsgebiet? . . . . . . 510 II. Kritische Einordnung und Ausblick auf die Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 Annex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Annex I: Allgemeine Publikationshäufigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 Annex II: Transitional Justice und einzelne TJ-Maßnahmen . . . . . . . . . . . . 522 Annex III: Transitional Justice und relevante Praxisbereiche. . . . . . . . . . . . . 523 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 Personen- und Sachverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577

Schaubildverzeichnis Schaubild 1: Publikationshäufigkeit TJ. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Schaubild 2a: Publikationshäufigkeit TJ und einzelne TJ-Instrumente (Lexis Nexis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Schaubild 2b: Publikationshäufigkeit TJ und einzelne TJ-Instrumente (Westlaw) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Schaubild 3: Publikationshäufigkeit TJ und Human Rights. . . . . . . . . . . . . . . 61 Schaubild 4: Publikationshäufigkeit TJ und International Humanitarian Law. 62 Schaubild 5: Publikationshäufigkeit TJ und Peacebuilding. . . . . . . . . . . . . . . 63 Schaubild 6: Publikationshäufigkeit TJ und International Criminal Law. . . . 63 Schaubild 7: Publikationshäufigkeit TJ und Victims’ Rights. . . . . . . . . . . . . . . 64 Schaubild 8: Begriffselemente des TJ-Diskurses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 Schaubild 9: Diskurse in TJ-relevanten Disziplinen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Schaubild 10: Praxisbereiche, die für TJ von Bedeutung sind (exemplarische Veranschaulichung). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Schaubild 11: Publikationen 1946–1989 / 90. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 Schaubild 12: Publikationen 1990–1994. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Schaubild 13: Publikationen 1995–2002. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Schaubild 14: Publikationen 2003–2005. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Schaubild 15: Publikationen 2006–2010. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

Abkürzungsverzeichnis a. A.

anderer Ansicht

AB

Allgemeine Bemerkungen

ACHPR

African Charter on Human and Peoples’ Rights steht auch für: African Commission on Human and Peoples’ Rights

AEMR

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

AI

Amnesty International

AJIL

American Journal of International Law

AMRK

Amerikanische Menschenrechtskonvention

ANC

African National Congress

Anm. d. Verf.

Anmerkung der Verfasserin

Art. Artikel AT

Allgemeiner Teil

Aufl. Auflage AVR

Archiv des Völkerrechts

AZAPO

Azanian Peoples’ Organization

Bd. 

Band

BMZ

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

bzw. beziehungsweise CA

Committee for Amnesties

CAT

Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrad­ ing Treatment or Punishment

CAVR

Comissão de Acolhimento, Verdade, e Reconciliação

CCPR

Human Rights Committee

CED

Committee on Enforced Disappearances

CEDAW

Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women steht auch für: Committee on the Elimination of Discrimination against Women

CEH

Comisión de Esclarecimiento Histórico

CELS

Center for Legal and Social Studies

CERD

Committee on the Elimination of Racial Discrimination

20 Abkürzungsverzeichnis CESCR

Committee on Economic, Social and Cultural Rights

CHR

Commission on Human Rights

CHRV

Committee for Human Rights Violations

CIDT / P

Cruel, inhuman and degrading treatment or punishment

CO

Concluding Observations

COPACHI

Comité de Cooperación para la Paz en Chile

CPED

International Convention for the Protection of All Persons from Enforced Disappearance

CRC

Convention on the Rights of the Child

CRR

Committee on Reparation and Rehabilitation

CSSR Tschechoslowakei CSVR

Centre for the Study of Violence and Reconciliation

CVR

Comisión de la Verdad y Reconciliación

DDR

Demobilization, disarmament and reintegration

ders. derselbe d. h.

das heißt

dies. dieselbe(n) DPA

Department of Political Affairs

DPKO

Department of Peacekeeping Operations

DRK

Demokratische Republik Kongo

ebd. ebenda ECCC

Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia for the Prosecution of Crimes Committed during the Period of Democratic Kampuchea

ECHR

European Convention for the Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms

ECOSOC

United Nations Economic and Social Council

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EJIL

European Journal of International Law

EKMR

Europäische Kommission für Menschenrechte

EMRK

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

EULEX

European Union Rule of Law Mission in Kosovo

Fn. Fußnote FS Festschrift GA

Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

GC

General Comments (UN-Treaty Bodies)

Abkürzungsverzeichnis21 GH Gerichtshof GSVP

Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik

GV

Generalversammlung der Vereinten Nationen

Hervorh. Hervorhebung durch die Verfasserin   durch d. Verf. h. M.

herrschende Meinung

HRC

Human Rights Council

Hrsg. Herausgeber HRW

Human Rights Watch

IACHR

Inter-American Commission on Human Rights

IACtHR

Inter-American Court on Human Rights

ICC

International Criminal Court

ICERD

International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination

ICJ

International Court of Justice

ICLQ

International and Comparative Law Quarterly

ICTJ

International Center for Transitional Justice

ICTR

International Criminal Tribunal for Rwanda

ICTY

International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia

IFOR

Implementation Force in Bosnia

IGH

Internationaler Gerichtshof

IGO

International Governmental Organization

IHCC

Iraqi High Criminal Court

IJTJ

International Journal for Transitional Justice

ILC

International Law Commission

ILO

International Labour Organization

IMT

Internationales Militärtribunal von Nürnberg

IMTFO

Internationales Militärtribunal für den Fernen Osten

IPbpR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

IPwskR

Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

IRRC

International Review of the Red Cross

IStGH

Internationaler Strafgerichtshof

i. V. m.

in Verbindung mit

KritV

Kritische Viertelsjahresschrift

KSZE

Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

MONUC

Mission de l’Organisation des Nations Unies en République démocratique du Congo

22 Abkürzungsverzeichnis MONUSCO

Mission de l’Organisation des Nations Unies pour la stabilisation en République démocratique du Congo

MPI Max-Planck-Institut MRA Menschenrechtsausschuss m. w. N.

mit weiteren Nennungen

NB

nota bene

NGO

Non-Governmental Organization

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr. Nummer NRO Nichtregierungsorganisation NY

New York

NYU

New York University

o. Ä.

oder Ähnliches

OAS

Organisation der Amerikanischen Staaten

OHCHR

Office of the High Commissioner for Human Rights

ONUMOZ

Opération des Nations Unies au Mozambique

ONUSAL

Misión de Observación de las Naciones Unidas en El Salvador

OP

Operational Paragraph

OPCAT

Optional Protocol to the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment

OSCE

Organization for Security and Co-operation in Europe

OSCE / ODIHR

OSCE / Office for Democratic Institutions and Human Rights

OSZE

Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa

OUP

Oxford University Press

PrepCom

Preparatory Committee

PTSD

Posttraumatic Stress Disorder

RUF

Revolutionary United Front

SCSL

Special Court for Sierra Leone

SCU

Serious Crimes Unit

SSR Sicherheitssektorreform str. streitig StV Strafverteidiger TJ

Transitional Justice

TRC

Truth and Reconciliation Commission

TRNC

Turkish Republic of Northern Cyprus

TRP

Theorie transnationaler Rechtsprozesse

Abkürzungsverzeichnis23 TSL

Tribunal spécial pour le Liban

u. a.

unter anderem

Übers. Übersetzung UDHR

Universal Declaration of Human Rights

UK

United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland

UN

United Nations

UNAMIR

United Nations Assistance Mission for Rwanda

UNAMSIL

United Nations Mission in Sierra Leone

UNAVEM

United Nations Angola Verification Mission

UN-Dok. UN-Dokument UNDP

UN Development Programme

UNESCO

United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization

UN-GS UN-Generalsekretär UN-GV UN-Generalversammlung UNHCR

United Nations High Commissioner for Refugees

UNICEF

United Nations Children’s Fund

UNMIBH

United Nations Mission in Bosnia and Herzegovina

UNMIH

United Nations Mission in Haiti

UNMIK

United Nations Interim Administration Mission in Kosovo

UNMISET

United Nations Mission of Support to East Timor

UNODC

United Nations Office on Drugs and Crime

UNOMIL

United Nations Observer Mission in Liberia

UNOSOM

United Nations Operation in Somalia

UNPROFOR

UN Protection Force

UN-SR UN-Sicherheitsrat UNTAC

United Nations Transitional Administration in Cambodia

UNTAES

United Nations Transitional Administration in Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium

UNTAET

United Nations Transitional Administration in East Timor

UNWOMEN

United Nations Entity for Gender Equality and the Empowerment of Women

UNYB

UN Yearbook

USD US-Dollars USIP

United States Institute of Peace

v. a.

vor allem

v. Chr.

vor Christus

24 Abkürzungsverzeichnis vgl. vergleiche VN

Vereinte Nationen

vs. versus WGEID

Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances

ZaöR

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZP Zusatzprotokoll ZRP

Zeitschrift für Rechtspolitik

ZStW

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Problemstellung und Aufbau der Arbeit I. Einleitung Der Transitional Justice (TJ)-Diskurs, der die Frage nach dem grundlegenden Verständnis von Recht bzw. Gerechtigkeit und dessen praktischen Implikationen in Phasen des Systemwechsels stellt, ist zu einem wichtigen Diskurs der Völkerrechtswissenschaft und der Wissenschaft der interna­ tionalen Beziehungen geworden. Die Lehre von der „Gerechtigkeit im Systemwechsel“1 hat in den letzten 20 Jahren einen beispiellosen Siegeszug in Forschung und Praxis vorzuweisen und gehört zu den sich am schnellsten entwickelnden Forschungs- und Praxisfeldern. Nicht nur haben sich Bibliotheken mit wissenschaftlicher Literatur zu diesem Thema gefüllt, sondern auch internationale zwischenstaatlichen Regierungs- (international governmental organisations, IGOs) und Nichtregierungsorganisationen (international non-governmental organisations, NGOs) haben dieses Feld für sich entdeckt; Regierungen richten gleichnamige Ministerien ein und spezielle Gesetze werden in Transitionsländern erlassen. Dabei ist die Frage, wie neue (demokratischere) Machthaber mit dem Unrecht des Vorgängerregimes umgehen sollen bzw. müssen, ebenso alt wie die Demokratie selbst.2 Dieser Themenkomplex wurde traditionellerweise im Bereich der Rechtswissenschaft vorwiegend in der Rechtstheorie, im Staats- und Verfassungsrecht und in der Rechtsphilosophie behandelt.3 Aber erst seit 1995 wird der Fragenkomplex mit dem Begriff TJ bezeichnet, mit einem gesamtheitlichen Ansatz untersucht und erfährt eine überwältigende Rezeption in der Wissenschaft und Praxis. So listet eine Bibliographie aus 1  Die Übersetzung des Begriffes ins Deutsche ist uneinheitlich: Es finden sich die Begriffe „Übergangsjustiz“, „transitionelle“ bzw. „transitionale“ Justiz (z. B. Schilling, Gegen das Vergessen) oder einfach nur die Übernahme des englischen Begriffes in der deutschen Literatur (z. B. Kuretsidis-Haider (Hrsg.), Gerechtigkeit nach Diktatur und Krieg; Werle, in: Müller/Sander/Válková (Hrsg.), FS Eisenberg, S. 791–806). Im Folgenden wird der Begriff Transitional Justice (TJ) verwendet. 2  Elster behandelt z. B. schon Beispiele aus dem Athen der Jahre 411 und 403 v. Chr. (Elster, Closing the books, S. 19–35). 3  Vgl. z. B. Rüthers, Rechtstheorie, § 30  ff., 343 ff.; Pawlik, Rechtstheorie 25 (1994), S.  101 ff.; Schneider, KritV 1996, S. 5 ff.; Jakobs, GA 1994, S. 9; Joerden, Jahrbuch für Recht und Ethik 3 (1995), S. 253 ff.; Merten, in: Cremer u. a. (Hrsg.), FS für Helmut Steinberger, S. 525.

26

Problemstellung und Aufbau der Arbeit

dem Jahr 2000 bereits über 2000 englisch- und deutschsprachige Monographien und Artikel auf, wobei hier der regionale Schwerpunkt nur auf TJErfahrungen in Südafrika und Deutschland liegt.4 Mit dem TJ-Institut an der University of Ulster (Nordirland) hat 2003 die formale Institutionalisierung des Forschungsgebiets5 begonnen und bietet mit dem Masterprogramm in diesem Bereich eine Spezialisierung an, dessen erfolgreicher Abschluss zum Tragen des Master of Laws Transitional Jus­ tice befähigt.6 Forschungscluster und -netzwerke an den renommierten Universitäten Oxford7 und Cambridge8 und der New York School of Law9 haben sich ebenfalls in diesem Bereich gebildet. Die Oxford University Press gibt seit März 2007 das International Journal of Transitional Justice heraus, das federführend von einem südafrikanischen und einem US-amerikanischen Institut verantwortet wird. Eine Übersicht über TJ-Lehrangebote aus dem Jahr 2006 listet über 40 Vorlesungen, Studienprogramme und Projekte vornehmlich in den Vereinigten Staaten von Amerika auf.10 Konferenz folgt auf Konferenz und es erscheinen beinahe monatlich neue Monographien zu diesem Thema. TJ beschäftigt aber nicht nur Wissenschaftler, sondern insbesondere auch die Praxis internationaler Akteure: So legte der Generalsekretär der Vereinten Nationen (UN) mit dem Bericht „On the Rule of Law and transitional justice in conflict and post-conflict societies“11 eine umfangreiche Posi­ tionsbestimmung der internationalen Organisation zu den Themengebieten Rule of Law sowie TJ vor, der auch eine lange Liste von relevanten Empfehlungen für zukünftige Aktivitäten auf diesem Gebiet enthielt. Die Generalversammlung der UN beschäftigt sich seit 1993 zumindest inhaltlich (allerdings noch nicht unter dem Stichwort) mit dem Thema. Seit 2005 ist TJ auch ein explizit wiederkehrendes Thema auf der Agenda zunächst der Theissen, International Internet Bibliography on Transitional Justice. Folgenden wird unter Forschungsbereich oder -gebiet disziplinäre oder inter-, multi- bzw. transdisziplinäre Forschung zu einem bestimmten Ausschnitt eines Themengebiets verstanden. 6  Vgl. University of Ulster, Transitional Justice Institute, Website. 7  Vgl. Centre for Socio-Legal Studies, Oxford Transitional Justice Research, Website. 8  Vgl. University of Cambridge, Cambridge Transitional Justice Research Network, Website. 9  Vgl. New York School of Law, Center for Human Rights and Global Justice, Transitional Justice Program, Website. 10  Vgl. Backer, Transitional Justice: Degree Programs, Resources & Course Syllabi, Website. 11  UN-GS, On the Rule of Law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, UN Dok. S/2004/616 (3. August 2004). 4  Vgl. 5  Im



I. Einleitung27

UN-Menschenrechtskommission sowie des (die Kommission ersetzenden) UN-Menschenrechtsrats.12 TJ ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil vieler friedenserhaltender und -schaffender Einsätze der Vereinten Nationen, sondern auch von beinahe täglicher Bedeutung für unzählige Entwicklungsprojekte und sonstige Tätigkeiten.13 Auch für den Bereich der NGOs wird berichtet, dass eine „Armee“14 bzw. „Industrie“15 internationaler Berater für die Entsendung in Postkonfliktbzw. Konfliktländer bereit stehe, um dort Regierungen zu beraten, Friedensverhandlungen zu führen, Verfassungen und Gesetze zu entwerfen, Statuten für Wahrheitskommissionen zu schreiben oder Reparationsprogramme zu konzipieren. Den endgültigen Durchbruch hat das Feld mit dem sog. „Arabischen Frühling“ verzeichnet, der fast ausnahmslos zu TJ-Initiativen, -Konsultationen, -Gesetzen und der Einrichtung von spezialisierten Ministerien geführt hat.16 Dies zeigt, dass es sich nicht nur um ein vorübergehendes Phänomen handelt, sondern, dass sich das Praxisfeld TJ mittlerweile dauerhaft etabliert hat. Während TJ v. a. aus der englischsprachigen (Völkerrechts-)Wissenschaft bereits nicht mehr wegzudenken ist, ist die Rezeption in der völkerrechtlichen Wissenschaftslandschaft in Deutschland noch eher zurückhaltend.17 Unter den Jurafakultäten in Deutschland sind es nur wenige Universitäten18, 12  Vgl. z. B. UN-Menschenrechtskommission, UN Dok. 2005/70 (20. April 2005); UN-Menschenrechtsrat, UN Dok. A/CCPR/Res/9/10 (18.  September 2008). 13  „Over 40 UN entities are engaged in Rule of Law issues and the Organization is conducting Rule of Law operations and programming in over 110 countries in all regions of the globe, with the largest presence in Africa. Many UN entities carry out activities in the same countries. Five or more entities are currently working simultaneously on the Rule of Law in at least 24 countries, the majority of which are in conflict and post-conflict situations.“ (UN, United Nations and the Rule of Law.) 14  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 6. 15  Ash, Transit 22 (2001/2002), S. 32. 16  Ägypten: Empfehlung der Einsetzung eines TJ-Gerichtshofes; Jemen: Gesetzesentwurf „Transitional Justice und nationale Versöhnung“ (noch nicht verabschiedet); Libyen: Gesetzesentwurf über „nationale Versöhnung und Transitional Justice“ (Gesetz Nr. 4/2011, noch nicht angenommen), Gesetz über „Politische und administrative Isolierung“ (Gesetz Nr. 13/2013, verabschiedet im April 2013); Tunesien: Ministère des Droits de l’Homme et de la Justice Transitoire; Gesetzesentwurf zu TJ (zur Zeit Besprechung in Arbeitsgruppe der Assemblée Nationale Constituante; Stand Oktober 2013). 17  Vgl. Buckley-Zistel, Transitional Justice als Weg zu Frieden und Sicherheit, S. 8. 18  Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Friedrich-Schiller-Universität Jena, Universität Mannheim, Eberhard Karls Universität Tübingen und HumboldtUniversität zu Berlin [Stand Oktober 2013].

28

Problemstellung und Aufbau der Arbeit

die (in einem geringen Umfang) über rechtswissenschaftliche TJ-Forschung bzw. Lehre in diesem Bereich verfügen.19 Allerdings hat die deutsche Praxis das Thema schon für sich entdeckt.20 Trotz des umfangreichen TJ-Literaturkanons handelt es sich bei TJ immer noch um ein sehr vages Konzept, das als Querschnittsthema sowohl (völker-)rechtsphilosophische, (völker-)rechtsdogmatische, (völker-)rechtssoziologische und (völker-)rechtshistorische Fragestellungen sowie solche der Kriminologie aufwirft. So werden in dem − vornehmlich von angloamerikanischen (Völker-)Rechtswissenschaftlern dominierten − TJ-Diskurs das Konzept bzw. die Dimensionen von Gerechtigkeit und die Grenzen von Recht in Situationen des Systemwechsels behandelt, d. h. Problemkreise, die vor dem Aufkommen von TJ primär in rechtsphilosophischen bzw. national strafrechtlichen Publikationen zu finden waren. Daneben werden positivrechtliche Fragen zum Inhalt der völkerrechtlichen Verpflichtungen von Staaten zur Prävention schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen bzw. Fragen der Bestrafung solcher und zur Zulässigkeit von Amnestien erörtert, d. h. Fragestellungen, die klassischerweise in der dogmatischen Völkerrechtswissenschaft zu verorten sind. Auch werden kriminologische bzw. rechtsphilosophische Fragen nach der Funktion und der Wirkung von Strafe aufgeworfen. Die Einordnung des TJ-Diskurses in den (völker-)rechtswissenschaftlichen Kontext ist bisher noch nicht umfassend betrieben worden. Es finden sich vereinzelt Beiträge, die die Entwicklung im Verhältnis zur Entwicklung des Rechtsgebietes der Menschenrechte im Völkerrecht beschreiben.21 Diese Darstellungen konzentrieren sich jedoch lediglich auf den internationalen Menschenrechtsschutz und lassen die teilweise differierenden Entwicklungen auf regionalen Ebenen außer Betracht. Ähnliche Darstellungen fehlen bezüglich des humanitären Völkerrechts, des Völkerstrafrechts und den Opferrechten. Hinzu kommt, dass sich in rechtswissenschaftlichen Publikationen auch Ausflüge auf − von deutschem (völker-)rechtswissenschaftlichen Standpunkt 19  Vgl.

Näheres in Teil 4, I. 1. fördert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit weltweit entsprechende Projekte. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) nannte TJ als Bestandteil ihres Ansatzes für Nachkriegssituationen (BMZ, Entwicklungspolitischer Aktionsplan für Menschenrechte 2008–2010, S. 11). Mit der Arbeitsgemeinschaft „Entwicklungspolitische Friedensarbeit“ (FriEnt), einem Zusammenschluss von neun staatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, wurde eine Initiative ins Leben gerufen, die sich neben vier weiteren Themen schwerpunktmäßig auch mit TJ (in Verbindung mit Entwicklungsarbeit) beschäftigt. 21  Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 321 ff.; Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 69 ff. 20  So



I. Einleitung29

aus betrachtet − disziplinfremde Gebiete finden: Dies betrifft z. B. Hypothesen zur Motivation der Auswahl von einzelnen TJ-Instrumenten bzw. deren Auswirkungen auf die Stabilität des neuen politischen Systems bzw. die „Versöhnung“ verschiedener Gesellschaftsgruppen.22 Führt man sich die Relevanz möglicher TJ-Fallgestaltungen vor allem für die Spruchpraxis der internationalen Menschenrechtsorgane bzw. -gerichtshöfe vor Augen, so wird die Notwendigkeit der Bestimmung der juristischen Bedeutung der TJ-Lehre deutlich. Für die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte wurde z. B. jüngst festgestellt: „However, many (but not all) judges doubt that the principles derived from ‚ordinary‘ cases are relevant to transitional cases, with the result that they give states much less discretion […].“23

Es fanden sich auch schon TJ-Grundsatzdebatten − wie z. B. „Versöhnung vs. Strafverfolgung“ ‒ vor internationalen Richtern.24 Eine Standortbestimmung wird von vielen Seiten gefordert.25 Dabei nimmt diese Debatte nicht nur wissenschaftstheoretische Züge an, sondern insbesondere auch völkerrechtlich-dogmatische bzw. empirische: So wurde in den letzten Jahren vermehrt das Fehlen eines klaren rechtlichen Rahmens von TJ kritisiert.26 Auch die empirische Grundlage vieler TJ-Prämissen wird ebenfalls als „erstaunlich unsicher, schwebend und dunkel“27 beurteilt – diametral zum betriebenen Forschungsaufwand. Neben dem rechtswissenschaftlichen Querschnittscharakter des TJ-Diskurses ist die offenbare Relevanz des Konzeptes auch für andere Wissen22  Dieser Punkt wird unter dem Stichwort der Inter-, Multi- bzw. Transdisziplinarität der rechtswissenschaftlichen TJ-Literatur zu diskutieren sein [vgl. im Näheren unter Teil 2, II. 2. b)]. 23  Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2007), S. 1. 24  Vgl. Pre-Trial Chamber of the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, Disagreement No. 001/1811-2008-ECCC/PTC (18. August 2009). 25  Vgl. nur Bell, IJTJ 3 (2009), S. 5 ff. 26  „Notwithstanding the enormous practical importance of exemptions from criminal prosecution within the framework of TJ, the current practice and debate suffers from a lack of clear rules and criteria, which help to reconcile peace and justice in situations of transition. The absence of such rules leaves it completely to the unfettered discretion of the negotiators [in Friedensverhandlungen, Anm. der Verf.] whether they accept exemptions from criminal prosecution or not.“ (Ambos, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 28.) Sowie: „This ‚new law‘ [d. h. im Bereich TJ, Anm. der Verf.] draws on human rights law, humanitarian law, international criminal law and ordinary criminal law, but cannot be justified in terms of any one of these regimes on their own (and therefore remains controversial).“ (Bell, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 105.) 27  Amstutz, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), S. 127.

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Problemstellung und Aufbau der Arbeit

schaftsdisziplinen augenscheinlich: Prämissen der TJ-Literatur gründen u. a. auf dem (behaupteten) Beitrag von Wahrheitskommissionen zur Versöhnung bzw. zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen oder Individuen sowie auf der katharsischen Wirkung traditioneller Konfliktlösungsmechanismen (wie z. B. den Gacaca-Gerichten in Sierra Leone oder dem Nahe Biti-Ritual in Timor-Leste). Dies lässt die Fülle von Wissenschaftsdisziplinen erahnen, die sich TJ in den vergangenen Jahren auf ihre Forschungsagenda geschrieben haben: allen voran die Politikwissenschaften, die (Sozial-)Psychologie, die Anthropologie, die Theologie sowie die Soziologie. Zusammenfassend lässt sich daher eine Beschäftigung mit der Entwicklung des Forschungsbereiches TJ wie folgt begründen: − Zunächst ist TJ in zunehmendem Maße praxisrelevant und daher nicht nur von akademischem Interesse. Dies wird anhand des Umfangs der Aktivitäten von IGOs und NGOs aber auch nationaler Akteure auf diesem Gebiet deutlich. − Des Weiteren kann beobachtet werden, dass kritische Stimmen die Grundannahmen des Feldes in Frage stellen. Dies steht in einem Spannungsverhältnis zur beginnenden Institutionalisierung und den Stimmen, die von einem Rechtsgebiet sui generis sprechen28 bzw. Anzeichen eines völkerrechtlichen Paradigmenwechsels sehen wollen29. − Zuletzt ist auch die Bedeutung des TJ-Diskurses für die völkerrechtliche Lehre − insbesondere die Theorie der Menschenrechte − bisher noch nicht ausreichend in der völkerrechtlichen Wissenschaft reflektiert worden.30

28  Die Autonomie ablehnend: vgl. z. B. Bell, IJTJ 3 (2009), 5 ff.; die Autonomie bejahend: vgl. z. B. Méndez, IJTJ 3 (2009), 157 ff. Für die Annahme einer neuen Teildisziplin im Bereich der Lehre der internationalen Menschenrechte: z. B. Andrieu, Online Encyclopedia of Mass Violence 2010, S. 1 ff.; Seibert-Fohr, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Vol. 9, S. 1042. 29  So anscheinend Teitel, Transitional Justice, S. 6: „Transitions imply paradigm shifts in the conception of justice.“ In eine ähnliche Richtung argumentierend: Stahn, EJIL 17 (2006), S. 924: „If one were to theorize this phenomenon, it would be more correct to speak of a tri-dimensional (rather than bipolar) system, covering the phases of conflict, peacetime relations and the transition from conflict to peace.“ 30  Dies beginnt allmählich, vgl. z. B. Andrieu, Online Encyclopedia of Mass Violence 2010, S. 1 ff.; Seibert-Fohr, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Vol. 9, S. 1042.



II. Die Problemstellung31

II. Die Problemstellung 1. Forschungsgegenstand und Zielsetzung Forschungsgegenstand der vorliegenden Arbeit ist die Entwicklung der (völkerrechtsrelevanten) TJ-Wissenschaft seit den 1980er Jahren bis 2010 aus der Sicht eines Berichterstatters, wobei auch die jeweiligen Entwicklungstendenzen in der Praxis und Rechtsprechung einbezogen wurden, um den Kontext dieser Entwicklung besser zu verstehen. Die Entwicklung ausgehend von der Problemwahrnehmung, über politische Forderung, hin zur wissenschaftlichen Analyse und Formulierung der Forschungsfragen wird nachgezeichnet. Ebenfalls wird ein Überblick über die Aktivitäten von IGOs und NGOs auf diesem Gebiet gegeben, um die Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Praxis zu verdeutlichen. Durch das Mapping des Diskurses wird aufgezeigt, welche Bedeutung dieser in der heutigen (Völkerrechts-)Wissenschaft erlangt hat. Ziel ist es, die Entwicklung in diesem, in der Entstehung bzw. Konsolidierung begriffenen, Bereich nachzuempfinden – die treibenden Kräfte, die prägenden Diskussionen, die wesentlichen Schnitte im Diskurs zu beschreiben und kritisch zu reflektieren. Für TJ ergibt sich allerdings die Besonderheit, dass es sich disziplinär nicht nur um ein völkerrechtliches Gebiet handelt bzw. fraglich ist, ob TJ überhaupt völkerrechtlich relevant ist. Aus dieser Besonderheit erklärt sich, dass politikwissenschaftliche, sozialpsychologische und theologisch / ethische TJ-Diskussionen ebenfalls vorgestellt werden müssen, um etwaige völkerrechtliche Implikationen zu untersuchen. Dabei wird auch der Frage nach dem Inhalt von TJ nachgegangen, d. h. die hauptsächlichen Forschungsfragen werden in ihren Grundzügen dargestellt sowie deren Berührungspunkte mit anderen Bereichen der Völkerrechtswissenschaft aufgezeigt. Es ist zu betonen, dass die vorliegende Untersuchung v. a. deskriptiv und nicht normativ angelegt ist. 2. Forschungsfragen und Forschungsbedarf Die übergeordnete Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit ist damit die Frage, um was genau es sich genau bei TJ, wie es sich im Jahr 2010 darstellt, handelt. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund der drei Thesen von Christine Bell31 zur Existenz und Positionierung des Feldes diskutiert: 31  Bell ist Völkerrechtsprofessorin an der Universität von Ulster und ehemalige Executive Director des dortigen TJ-Instituts.

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Problemstellung und Aufbau der Arbeit

(1) TJ ist kein kohärenter Forschungsbereich, sondern vielmehr ein „Etikett“ durch das Kompromisse in der Vergangenheit als ein integriertes Unterfangen dargestellt werden sollen, obwohl diese Kompromisse diverse normative, moralische und politische Implikationen hatten und haben. (2) TJ kann erst als kohärenter Praxis- bzw. Forschungsbereich dargestellt werden, wenn Praxis und interdisziplinäre juristische Analyse zusammenkommen. (3) Der Ruf nach Interdisziplinarität ist ein legitimierender Diskurs, der den Versuch von nicht-juristischen Disziplinen darstellt, das Feld zu kolonisieren (oder es von dem Anspruch der Rechtswissenschaften zu „entkolonisieren“).32 Im Einzelnen sollen folgende Fragestellungen durch die Untersuchung beantwortet werden: (1) Wann wurde erstmals der Begriff „TJ“ in die Diskussion um die Aufarbeitung von vergangenen Menschenrechtsverletzungen eingeführt? Wie wurde er im Laufe der Entwicklung verwendet? (2) Welche verschiedenen Deutungselemente33 zu TJ können unterschieden werden? Wie unterscheidet sich die rechtswissenschaftliche Forschung zu TJ von anderen rechtswissenschaftlichen Forschungsbereichen, die sich mit der Ahndung von Menschenrechtsverletzungen beschäftigen? (3) Welche Rolle spielt die Multi- bzw. Interdisziplinarität des Forschungsfeldes? Worin bestehen die Gefahren eines solchen Ansatzes? (4) Welchen Einfluss hat die TJ-Praxis auf den TJ-Diskurs? Welche Auswirkung hat die Gestaltung des Forschungsbetriebes auf die Lehre? Welche Akteure und Institutionen spielen hierbei eine Rolle? Welche Rolle spielen sie? (5) Welchen Einfluss hat die menschenrechtliche Spruchpraxis internationaler und regionaler Menschenrechtsschutzorgane auf die Entwicklung des Diskurses bzw. welchen Einfluss hat der TJ-Diskurs auf die Spruchpraxis?

III. Vorgehensweise Die obengenannten Fragestellungen werden in vier Schritten untersucht: In einem ersten Teil werden die Thesen zur Entwicklung von TJ dargestellt, die bereits in der Literatur vorhanden sind sowie eigene Thesen erarbeitet. 32  Vgl. 33  Vgl.

Bell, IJTJ 3 (2009), S. 6. im Folgenden unter IV. 2. d).



IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode33

In einem zweiten Schritt wird der zu untersuchende Diskurs festgelegt. Dazu wird ein Mapping34 v. a. der völkerrechtlichen TJ-Forschung und dessen Wissenschaftsgemeinschaft35 vorgenommen, d. h. der Forschungsbereich wird definiert und abgegrenzt, Struktur und Prozesse werden dargestellt sowie Hauptakteure identifiziert. Untersuchungsziel dieses Teils ist es, den Rahmen für den nachfolgenden Teil, der die Entwicklung des Forschungsbereichs nachzeichnet, vorzugeben. Der dritte Teil, der auch gleichzeitig den Hauptteil der Arbeit darstellt, zeichnet die Entwicklung des TJ-Diskurses in Wissenschaft und Praxis mit einem Seitenblick auf normative Entwicklungen nach. Dabei wird ein besonderes Augenmerk darauf zu legen sein, wie die von TJ behandelte Problematik vor dem Auftauchen des Begriffes TJ wahrgenommen wurde, wann der Diskurs von politischen zu rechtlichen Forderungen umgeschlagen ist und wie dies insbesondere in der (völker-)rechtswissenschaftlichen Literatur diskutiert wurde. Der Schlussteil unternimmt den Versuch einer kritischen völkerrecht­lichen Einordnung und Positionsbestimmung und stellt einen Ausblick auf mög­ liche zukünftige Entwicklungen in diesem Bereich an.

IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode 1. Fragestellung und Methodik Der Forschungsgegenstand und die Forschungsfrage bringen besondere methodische Herausforderungen mit sich: Bei der Forschung und Lehre von TJ handelt es sich um ein Forschungsgebiet, in dem sich anscheinend multi- und interdisziplinäre (möglicherweise sogar transdisziplinärer) Ansätze 34  „[… O]ne has to understand not only the details of the construction of the maps, but also the nature of the elements or aspects of science used as building blocks, and the way these function in the dynamics of scientific developments.“ (Rip, in: Moed u. a. (Hrsg.), Handbook of Quantitative Studies of Science and Technology, S. 259.) 35  Der Begriff der „Scientific Community“ wurde von Polanyi, Shils und Merton in den 1940er bis 1960er Jahren geprägt (Merton, The sociology of science, S. XVI). Der zunächst nur funktionalistische Begriff (Wissenschaftssystem als ausdifferenziertes Sozialsystem, deren Entwicklungsdynamik sich ausschließlich an systeminternen Standards festmachte) erfuhr durch die Analyse des Paradigmenwechsels durch Kuhn eine weitgehende Wandlung: Nach Kuhn kann eine Scientific Community nicht allein über allseits geteilte Standards erklärt werden, sondern wird vielmehr durch ein Paradigma – und einen jeweils hierauf spezialisierten Kommunikationszusammenhang – konstitutiert. Sie kann sowohl als Argumentations- als auch Handlungszusammenhang verstanden werden (Weingart, in: Speck (Hrsg.), Handbuch wissenschaftstheoretischer Begriffe III, S. 567).

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Problemstellung und Aufbau der Arbeit

herausgebildet haben. Ein holistischer Ansatz erschien daher notwendig, um die Gesamtheit des Feldes mit seinen Hauptaussagen erfassen zu können, gleichzeitig aber auch ein strikt (völker-)rechtswissenschaftlicher Ansatz, um den genuin juristischen Teil identifizieren und eingrenzen zu können. Da es um die Untersuchung des rechtswissenschaftlichen Teils eines möglicherweise interdisziplinären Forschungsgebietes geht – und damit um einen Teil des Diskurses innerhalb der Völkerrechtswissenschaft – wurde vorliegend bewusst eine völkerrechtliche Methodik gewählt. Zwar beschäftigt sich diese Untersuchung nicht primär mit der Entstehung bzw. der Wirkung von Rechtsnormen, die auf Postkonfliktgesellschaften bzw. im Systemwechsel anwendbar sind, sondern vielmehr mit der Beschaffenheit der Völkerrechtswissenschaft an sich; die Entwicklung der Völkerrechtswissenschaft ist aber grundsätzlich selbst auch vom Erkenntnisinteresse der Völkerrechtsgeschichte umfasst.36 Es gibt keine vorherrschende Methode der Darstellung der Entwicklung (der Wissenschaft) eines Rechtsgebiets in der Völkerrechtswissenschaft. In der Regel machen Beiträge, die die Entwicklung (der Wissenschaft) eines Rechtsgebietes beschreiben, die Methodenwahl nicht selbst zum Thema und bedienen sich eher implizit einer problemorientiert-normativen, wissenschaftshistorischen oder akteurszentrierten bzw. prozessorientierten Perspektive.37 36  Die Völkerrechtsgeschichte beschäftigt sich eben nicht nur mit Verfahren der Normsetzung und Streitbeilegung sowie der Entstehung gemeinsamer zwischenstaatlicher Institutionen, sondern auch wissenschaftsgeschichtlich mit der Entstehung der modernen akademischen Disziplin Völkerrecht (Jestaedt, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 248; de la Rasilla del Moral, Leiden Journal of International Law 22 (2009), S. 629  ff.; Preiser, Völkerrechtsgeschichte, S.  1 ff.). 37  Zur Identifizierung dieser verschiedenen Perspektiven wurden zum Vergleich verschiedene Darstellungen der Entwicklung des (inter-)nationalen Umweltrechts herangezogen (Lange, in: Gropp u.  a. (Hrsg.), Rechtswissenschaft im Wandel, S.  515 ff.; Wroben, in: Hermann (Hrsg.), FS Imhoff, S. 169 ff.; Bodansky u. a., in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of International Environmental Law, S. 1 ff. Zunächst war zu bemerken, dass die Entwicklung eines Rechtsgebiets oft synonym mit der Entwicklung der Wissenschaft hiervon gebraucht wird (so auch: Jestaedt, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 263). Es konnten drei unterschiedliche Herangehensweisen in der konsultierten Literatur unterschieden werden: Eine problemorientiert-normative Herangehensweise, die die Ebene des geltenden Rechts zum Ausgang nimmt und sich daraus ergebende Problemkonstellationen und Regelungslücken sowie die verschiedenen rechtspolitischen Möglichkeiten zur Lösung des Problems aufzeigt (vgl. Wroben, in: Hermann (Hrsg.), FS Imhoff, S. 169). Anhand der Nachzeichnung der wissenschaftlichen Diskussion wird die Entwicklung (der Wissenschaft) des Rechtsgebiets herausgearbeitet. Eine andere Herangehensweise nimmt die wissenschaftliche Aktivität zum Ausgang und erzählt



IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode35

Gerade bei einem Gebiet, das durch die Praxis augenscheinlich viele Impulse erfahren hat und in ständigem Austausch mit Experten in der Praxis steht, scheint eine prozessorientierte bzw. akteursorientierte Perspektive geeignet zu sein. Dieser Perspektive liegt die Grundannahme zugrunde, dass auch Wissenschaftler historisch, geographisch und sozial eingebunden sind und ihre Beobachtungen diese Stellung reflektieren.38 Die Gestaltung des wissenschaftlichen Forschungsbetriebs, Studienangebote, „einflussreiche“ bzw. „bedeutende“ Publikationen, Tagungen, Institutionalisierung im Wissenschaftsbetrieb sowie die Anwendung der Forschungsergebnisse durch die Praxis erlangen damit eine besondere Bedeutung. Damit verfolgt diese Arbeit einen kontextualistischen Ansatz, d. h. geht davon aus, dass Diskurse im Kontext von Macht- und Interessenkonstellationen zu sehen sind, die sie produzieren.39 2. Forschungsperspektive: Wissens(chafts)soziologie Darauf aufbauend stellt sich die Frage, welche Kriterien sich für die Untersuchung der Ausdifferenzierung von Wissenschaft sowie des Verhältnisses von Forschung / Lehre−Politik−Praxis eignen. Nimmt man die Entwicklung einer Wissenschaft bzw. deren Teilgebiete, insbesondere die Untersuchung langfristiger Formationsabläufe und Transformationsprozesse innerhalb der Wissenschaft,40 und das von ihnen produzierte Wissen selbst als Untersuchungsgegenstand, so bietet sich eine wissenschaftssoziologische Perspektive an.41

chronologisch ihre Entwicklung. Es wird deskriptiv gearbeitet, die Forschungsperspektive ist implizit. „Einflussreiche“ bzw. „bedeutende“ Publikationen auf diesem Gebiet werden in ihren Hauptaussagen zusammengefasst, wobei jedoch nicht erklärt wird, auf welchen Kriterien diese Einordnung und die Auswahl der Publikationen basieren. Neben Publikationen findet sich auch die Darstellung der Entwicklung spezialisierter normativer Instrumente und Institutionen. Die dritte Herangehensweise schließlich schickt die Motivlagen der Akteure (v. a. der Organisation der IGOs und NGOs sowie einzelner Mitgliedstaaten) voraus und bringt deren normgenerierende Handlungen in zeitlichen oder thematischen Zusammenhang hierzu. Dabei werden Arten und Abstufungen von Einfluss verschiedener Akteure an verschiedenen Stellen des politischen Prozesses (agenda setting, normative development, implementation, and enforcement) unterschieden (vgl. die Übersicht bei Bodansky u. a., in: dies. (Hrsg.), Oxford Handbook of International Environmental Law, S. 17). 38  Longino, in: Zalta (Hrsg.), Stanford Encyclopedia of Philosophy. 39  Panagl/Wodak, Text und Kontext, S. 133. 40  Heyen (Hrsg.), Historische Soziologie der Rechtswissenschaft, S. XIII und XIV. 41  Weingart, Wissenschaftssoziologie, S.  10 f.

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Problemstellung und Aufbau der Arbeit

Die Wissenschaftssoziologie untersucht die Funktionsweise wissenschaftlicher Erkenntnis, Zielsetzungen, Methoden, Leistungen und Grenzen.42 Sie ist ein Teilgebiet der Wissenssoziologie, d. h. dem Gebiet, das sich mit dem Zusammenhang zwischen Wissen und Gesellschaft beschäftigt.43 Disziplinär kann sie einerseits als Meta-Wissenschaft eingeordnet werden, da sie die Wissenschaft als solche zum Gegenstand hat, andererseits ist sie im Kern von soziologischen Methoden und Theorien, die den grundsätzlichen Theoriediskussionen der Soziologie folgen, geprägt.44 Die Verbindung der völkerrechtshistorischen mit einer wissens(chafts)soziologischen Perspektive für die hier vorliegende Forschungsfrage lag daher nahe. a) Identifizierung der „epistemischen Gemeinschaft“ Für die vorliegende Untersuchung wurde der Ansatz der „epistemischen Gemeinschaft“ miteinbezogen. Dieser Ansatz, der im Rahmen der neoliberalen Regimeanalyse von Haas auf der Basis der Kuhnschen Forschung entwickelt wurde45, versteht unter dem Begriff der „epistemischen Gemeinschaft“ ein „network of professionals with recognized expertise and competence in a particular domain and an authoritative claim to policy-relevant knowledge within that domain or issue-area.“46

Diese Netzwerke, bestehend aus Fachleuten mit Expertenwissen, akzeptieren denselben wissenschaftlichen Ansatz und vertreten dieselben Ziele in Bezug auf den Problemgegenstand. Sie sind Träger von Wissen und können durch dessen Bereitstellung die Interessenkalkulation der zentralen politischen Akteure verändern.47 Diese Gemeinschaften von Wissenschaftlern tragen dazu bei, neue Sichtweisen in den politischen Diskurs einzubringen, da sie aufgrund der Stellung als Wissenschaftler eine hohe Reputation besitzen (policy innovation), den Konflikt neu definieren oder soft standards setzen können (policy framing). Dabei agieren epistemische Gemeinschaften oft transnational (policy diffusion). Sie können unter Umständen erheblichen Einfluss auf die Wahl politischer Lösungen haben (policy selection).48 42  Schurz,

Einführung in die Wissenschaftstheorie, S. 11. Wissenssoziologie, S. 18. 44  Vgl. Weingart, Wissenschaftssoziologie, S. 12 und 83. 45  Adler/Haas, International Organization 46 (1992), S. 367 ff.; Haas, International Organization 46 (1992), S. 3. 46  Haas, International Organization 46 (1992), S. 3. 47  Bellers/Rosenthal, Die gesellschaftliche Basis von Aussenpolitik, S. 194. 48  Brühl, Nichtregierungsorganisationen als Akteure internationaler Umweltverhandlungen, S. 166; Bellers/Rosenthal, Gesellschaftliche Basis von Aussenpolitik, S. 196. 43  Maasen,



IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode37

Dieses Modell wurde gewählt, da es sich insbesondere zur Untersuchung international tätiger Experten und einer internationalen Wissenschaftsgemeinschaft eignet.49 Dieser Ansatz wurde auch an anderer Stelle bereits auf TJ angewendet.50 b) Identifikation der den TJ-Diskurs tragenden Wissenschaftler (quantitative Indikatoren) Die Darstellung der Entwicklung eines Forschungsfeldes basiert größtenteils auf der Darstellung der Hauptpublikationen und -werke als dem Resultat von wissenschaftlicher Tätigkeit, d. h. der Analyse von Fachzeitschriften als Kommunikationsforen einer Diskursgemeinschaft.51 Allerdings hat sich der Kreis der Völkerrechtswissenschaftler in den letzten Jahren erheblich vergrößert und diversifiziert und insbesondere im Bereich von TJ ist die Gruppe der Publizierenden unübersichtlich geworden.52 Es stellt sich daher die Frage, welche Kriterien zur Eingrenzung der epistemischen Gemeinschaft sowie der Identifikation der Hauptpublikationen und -werke herangezogen werden können. Bibliometrische Analysen werden in der wissenschaftssoziologischen und -historischen Forschung zur Analyse von Entwicklungsprozessen einzelner Disziplinen oder wissenschaftlichen Schulen eingesetzt.53 Grundsätzlich eignen sie sich insbesondere dann, wenn man sich mit internen Differenzierungsprozessen der Wissenschaft, der Bedeutung einzelner Wissenschaftler oder bestimmter Forschungsinstitute auseinandersetzt.54 Die Grundannahme lautet, dass wichtige Werke häufiger zitiert werden als andere. Dabei sind Publikations- und Zitationshäufigkeit jedoch lediglich als Näherungsgrößen zu verstehen. Es müssen noch weitere – qualitative – Faktoren hinzukomWeingart, Wissenschaftssoziologie, S. 130. werden als die zwei großen Herausforderungen für eine solche Untersuchung genannt: Erstens, die Identifizierung der TJ-Epistemic Community durch die Aufstellung der Kriterien der „Mitgliedschaft“ sowie die Darstellung ihrer wissenschaftlichen sowie Advocacy-Aktivitäten über den fraglichen Zeitraum. Zweitens, die Darstellung des Einflusses dieser epistemischen Gemeinschaft (Cesarini, in: Landmann/Robinson (Hrsg.), The SAGE handbook of comparative politics, S. 517). Zur Anwendung des Ansatzes bei der Rolle von TJ-Praktikern im Bereich der Wahrheitskommissionen (Scheuzger, in: Molden (Hrsg.), Vielstimmige Vergangenheiten, S.  215 ff.; Ben-Josef-Hirsch, in: Heins/Chandler (Hrsg.), Rethinking Ethical Foreign Policy, S.  184 ff.). 51  Stolleis, Juristische Zeitschriften, S. 279. 52  Zimmermann, ZaöRV 67 (2007), S. 813. 53  Weingart, Wissenschaftssoziologie, S. 35. 54  Ebd.; vgl. im Weiteren: Van Raan, in: Moed u. a. (Hrsg.), Handbook of Quantitative Studies of Science and Technology. 49  Vgl. 50  So

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Problemstellung und Aufbau der Arbeit

men, die die Bedeutung des Werkes für die Entwicklung des Feldes unterstreichen.55 Als Voraussetzung für die Anwendung der bibliometrischen Analyse gilt, unter anderem, inwiefern ein Feld das Kommunikationsmittel der interna­ tionalen wissenschaftlichen Zeitschrift verwendet.56 Benutzen diese von der Wissenschaftsgemeinschaft zur Publikation verwendeten Zeitschriften ein sog. Citation-Index-System57, so sind bibliometrische Analysen möglich.58 Da in der Völkerrechtslehre Fachzeitschriften eine wichtige Rolle spielen, ist eine bibliometrische Analyse grundsätzlich möglich. Allerdings sind diese Daten mit zusätzlichen Informationen zu Kommentaren, Monogra­ phien, Lehr- und Handbüchern etc. zu ergänzen. Die in dieser Arbeit verwendeten Indikatoren sind: Zitationshäufigkeit, um sog. wichtige Publikationen zu identifizieren, und Publikationshäufigkeit, um die Entwicklung des Feldes nachzuzeichnen. Ergänzt werden diese quantitativen Indikatoren durch eine „Diskursmuster“-Analyse sowie eine Darstellung des Inhalts wichtiger Werke. c) Identifikation des Diskurses der Völkerrechtswissenschaft Völkerrechtswissenschaftler schweigen größtenteils auf Fragen nach dem Ursprung von Ideen (und möglicherweise deren Umsetzung in geltendes Völkerrecht), wie sich diese verändern und übermittelt werden. Die Perspektive der Diskursanalyse kann hier wertvolle zusätzliche Erkenntnisse vermitteln: Diskurse59 können z. B. daraufhin untersucht werden, wie sie entstanden sind, welche Aushandlungsprozesse in der Konstruktion 55  Ähnlich Schneider, German Working Papers in Law and Economics, Paper 25 (2004), S. 13. 56  Van Raan, in: Moed u. a. (Hrsg.), Handbook of Quantitative Science and Technology Research, S. 26. 57  In der Regel stützen sich bibliometrischen Analysen auf den Science Citation Index (SCI), eine wissenschaftliche Zitationsdatenbank von Thomson Scientific. Diese Datenbank deckt jedoch vornehmlich Naturwissenschaften ab und ist zur Analyse sozial- bzw. rechtswissenschaftlicher Publikationen nur bedingt geeignet. Eine hierauf basierende Analyse muss durch andere (qualitative) Kriterien ergänzt werden. 58  Van Raan, in: Moed u. a. (Hrsg.), Handbook of Quantitative Science and Technology Research, S. 29. 59  Der Begriff des Diskurses ist dabei umstritten und hängt v. a. auch von der eingenommenen wissenschaftstheoretischen Perspektive ab. Die vorliegende Arbeit verwendet aufgrund der Berücksichtigung der institutionellen Einbettung von Diskursen einen Diskursbegriff, der sich eher am Focaultschen Diskursbegriff orientiert (vgl. hierzu: Keller, Wissenssoziologische Diskursanalyse, S. 130).



IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode39

des Diskurses stattfanden, welche Veränderungen sie im Laufe der Zeit erfuhren, welche manifesten und latenten Inhalte sie transportierten und wie sie intern strukturiert und reguliert waren.60 Für die Diskursanalyse ist nicht der Gegenstand allein ausschlaggebend, sondern vielmehr dessen Auftauchen und Transformation im Diskurs.61 Die wissenschaftssoziologische Diskursanalyse betrachtet dabei Wissenschaft als Spezialdiskurs.62 Durch die Diskursanalyse werden „Prozesse der sozialen Konstruktion, Objektivation, Kommunikation und Legitimation von Sinn-, d. h. Deutungs- und Handlungsstrukturen auf der Ebene von Institutionen, Organisationen bzw. sozialen (kollektiven) Akteuren“63

freigelegt und deren gesellschaftliche Wirkungen analysiert. Abgesehen von wenigen Momenten der „Initialzündung“ sind Diskurse den kollektiven Akteuren bzw. institutionell-organisatorischen Kontexten, die sie tragen, strukturell vorgeordnet.64 Im Völkerrecht ist die wissenssoziologische Diskursanalyse bisher ein noch vernachlässigter Ansatz, wobei die Anwendungsmöglichkeit auf völkerrecht(swissen-schaft)liche Fragestellungen grundsätzlich gesehen wird.65 Zur Diskursanalyse ist die Auswertung von Schlüsseltexten geeignet bzw. Texten, die an Ereignisse und soziokulturelle Umbrüche (z. B. Institutsgründungen etc.) anknüpfen.66 d) Identifikation der Diskurselemente (qualitative Indikatoren) Das Instrumentarium der Diskursanalyse ist äußerst vielfältig und setzt oft sprachwissenschaftliche Vorkenntnisse voraus.67 Aus der Vielzahl der Methoden und Elemente wurden für die vorliegende Arbeit „Deutungsrah60  Keller, in: Keller u. a. (Hrsg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, S. 137. 61  Hammer, A Foucauldian approach to international law, S. 21. 62  Knoblauch, in: Keller u. a. (Hrsg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, S. 216. 63  Keller, in: ebd., S. 115. 64  Ebd., S. 136. 65  Vgl. z. B. Hespanha, in: Heyen (Hrsg.), Historische Soziologie der Rechtswissenschaft; Meierhenrich, Journal of Conflict & Security Law 11 (2006), S. 1 ff.; Hammer, A Foucauldian approach to international law; Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations, S. 9. 66  Keller, in: Keller u. a. (Hrsg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, S. 139. 67  Ebd., S. 12.

40

Problemstellung und Aufbau der Arbeit

men“, „Diskursregel“, „Diskurspol“ und „Narration“ ausgewählt, die jeweils auch ohne linguistische Spezialkenntnisse anwendbar sind.68 Der „Deutungsrahmen“ besteht aus „Kategorien, die bereits in […] dem Gedächtnis der Akteure präsent sind.“69 Akteure erkennen das wieder, was ihnen bereits bekannt ist. Informationen werden in diesen Deutungsrahmen eingepasst und Lücken gemäß dem wiedererkannten Deutungsrahmen vervollständigt. Ist im Bewusstsein des Akteurs ein Deutungsrahmen aktualisiert, so ist es schwierig, Elemente oder Daten, die nicht zu diesem Frame gehören, in das Bewusstsein des Akteurs zu rufen.70 Deutungsrahmen können mithilfe von bestimmten Fragestellungen erfasst werden.71 Für die vorliegenden Forschungsfragen sind die Meta-Deutungsrahmen interessant, die für TJ verwendet werden, d. h. wird TJ als Problem gesehen, das in der Sphäre des Rechts verortet wird? Oder in der Sphäre der Politik? Wird TJ als Ausnahme angesehen? Oder ist es in der Sphäre des Rechtes zu gewöhnlichen Zeiten („ordinary justice“72) zu verorten? Für die inhaltliche Strukturierung von Diskursen (und insbesondere die Unterscheidung und Abgrenzung von Diskursen) bietet sich das Merkmal der „Regel“ an. Die „Regel“ ist vom Gegenstand des Diskurses zu unterschieden. Eine „Regel“ ist die Problematisierungsweise, die der Begriffsformation zugrunde liegt, d. h. einer Problematisierung mit entsprechenden Begrifflichkeiten.73 Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung und der vielbehaupteten Multi-, Inter- oder sog. Transdisziplinarität stellt sich die Frage, ob innerhalb des Forschungsbereichs TJ ein rechtswissenschaftlicher Diskurs zu isolieren ist oder ob es nur den interdisziplinären Diskurs gibt, der rechtswissenschaftliche Fragestellungen beinhaltet, aber nicht als rechtswissenschaftlicher Diskurs als solcher eingeordnet werden kann.

68  Diese Analyse von Deutungsmustern bzw. -rahmen ist eine Form der sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse. 69  Donati, in: ebd., S. 152. 70  Als ein Beispiel eines Deutungsrahmen wird im Diskurs über das Hausmüllproblem z. B. das Deutungsmuster „Risiko“, das der Wahrnehmung technischer Problemlösungen zugrunde liegt, genannt (ebd., S. 134, 152 f.). 71  Was geschieht in der Analyseeinheit (z. B. im Text)? Auf welche Kategorien weist die Analyseeinheit hin? Welche Phänomene werden fortlaufend in den Daten wiedergegeben? Was sind Thema und Hauptproblem? Wer definiert was wie? (Viehöver, in: ebd., S. 193.) 72  Vgl. hierzu Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 763. 73  Als Beispiel kann ein Text z. B. dem verhaltensbiologischen Diskurs (Regel: Verschränkung von Anlage und Umwelt) und dem biogenetischen Diskurs (Regel: genetische Determination des Menschen) zugeordnet werden (Bublitz, in: ebd., S.  247 ff.).



IV. Methodik, Forschungsperspektive und Methode41

Als „Diskurspole“ werden bipolare Strukturen in Diskursen bezeichnet, die die diskurstragenden Kategorien vorgeben. Anhand der Analyse der Diskurspole lassen sich genealogische Stammbäume des Diskursverlaufes rekonstruieren.74 Dabei dürfen die Diskurspolaritäten nicht mit der bloßen Inhaltswiedergabe der unterschiedlichen Meinungen verwechselt werden. Bei den Diskurspolen handelt es sich vielmehr darum, was nicht gesagt wird, was zwischen den Zeilen steht.75 Für die vorliegende Arbeit werden als „Diskurspole“ die Dichotomien des TJ-Diskurses verstanden (z. B. „Frieden vs. Gerechtigkeit“). Unter „Narrationen“ werden „Konstruktionen und analytische Erklärungsmodelle des (Sozial-)Wissenschaftlers“76 verstanden und untersuchen den „Bezugsrahmen, das Vokabular und die Erklärungsstrategie des wissenschaftlichen Erklärungsmodells“.77 Die „Narration“ verknüpft u. a. einzelne Deutungsrahmen zu dem den Diskurs konstituierenden roten Faden.78 „Narrationen“ zeichnen sich regelmäßig durch folgende typische Episoden aus: Problem, Problemursache, Problemfolgen, Problemlösung oder Problemlösungsversuche, positive und negative Konsequenzen der Problemlösungsversuche, legitimierende Leitbilder und Prinzipien.79 Die vorliegende Arbeit versteht unter „Narration“ z. B. die Definition der Hauptaufgabe einer Transition, „Vertrauen“ aufzubauen. 3. Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit verwendet zwei Forschungsperspektiven: Einen völkerrechtshistorischen Ausgangspunkt, der durch eine wissenschaftssoziologische Perspektive ergänzt wird. Während sich der wissenschaftssoziologische Teil v. a. mit der Identifizierung, der Abgrenzung und der Entwicklung des völkerrechtlichen Strangs der TJ-Forschung gegenüber anderen disziplinären Forschungsansätzen beschäftigt, behandelt der völkerrechtshistorische v. a. die Einordnung in die Völkerrechtswissenschaft sowie die Bezüge zu anderen völkerrechtlichen Forschungsfeldern.

74  Ebd.,

S.  250 f. Diskurspole z. B. in Diskursen über das verhaltensauffällige Kind „Verhaltensauffälligkeit“ (angepasst/auffällig) und „Aufmerksamkeitsdefizite“ (diszipliniert/undiszipliniert) (ebd.). 76  Viehöver, in: ebd., S. 187. 77  Ebd. 78  Ebd., S. 195. 79  Ebd., S. 197. 75  Mögliche

42

Problemstellung und Aufbau der Arbeit

V. Abgrenzungen Diese Untersuchung ist keine primär völkerrechtsdogmatische, d. h. normative Fragestellungen, die von TJ aufgeworfen werden, werden nur kursorisch und deskriptiv behandelt. Publikationen wurden bis Ende 2010 berücksichtigt, da Untersuchungsgegenstand eine TJ-Bibliographie ist, die den Zeitraum 1946–2010 abdeckt.80 Falls Beobachtungen gemacht wurden, die über 2010 hinausgehen, so finden sich diese im Schlussteil bzw. eigens gekennzeichnet im Haupttext. Stand der Arbeit ist Oktober 2013.

80  Es handelt sich hierbei um die Bibliographie „Transitional Justice“ der University of Wisconsin (University of Wisconsin, Transitional Justice-Bibliographie, Website).

Teil 1

Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice In der Literatur finden sich wenige  − mehr oder weniger umfangreiche  − Darstellungen der Entwicklung des Forschungsgebiets TJ wobei, v. a. die „genealogische“1 Darstellungen Teitels2 und Arthurs3 hervorzuheben sind. Nachfolgend werden die wichtigsten Thesen anhand einer Auswertung der Literatur erarbeitet. Diese werden dann in einem zweiten Schritt durch Thesen ergänzt, die auf einer Analyse der Publikationshäufigkeit zum Thema TJ gründen. Dies ermöglicht dann die Herausarbeitung von Entwicklungsschritten, an denen sich die Darstellung der Entwicklung in Teil 3 orientiert.

I. Darstellungen der Entwicklung von Transitional Justice in der Literatur 1. Ruti Teitel4 Im Kontext von TJ soll der genealogische Ansatz dazu dienen, konzep­ tuell die Beziehung zwischen den rechtlich relevanten und den politischen 1  Ein genealogischer Ansatz situiert die einzelnen Phasen von TJ in seinem jeweiligen historischen Kontext und berücksichtigt, wie die jeweilige Konzeption von Gerechtigkeit die einschlägige Problemstellungen informiert (Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 72). Der Ansatz geht auf Foucault zurück und betrachtet Diskurse nicht als Produkt anonymer Regelstrukturen und gesellschaftlicher Prozeduren, sondern erkennt sie als Verschränkung formierender Regeln des Wissens und der sie stabilisierenden bzw. destabilisierenden Machtverhältnisse an. Dabei kümmert sich die Genealogie vornehmlich um das Verhältnis von Wissen und Macht und analysiert die strategischen Kämpfe um Macht-Wissenspositionen auf dem Feld des Wissens wie des Sozialen (ebd., S. 94). Elsters „Closing the Books. Transitional justice in Historical Perspective“ (2004) ist dagegen lediglich eine Betrachtung historischer Beispiele, die die wissenschaftliche Entwicklung außer Betracht lässt. 2  Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 69. 3  Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 321 ff. 4  Die gebürtige Argentinierin Teitel studierte Jura an der Cornell Law School. Anschließend arbeitete sie an der Yale Law School und unterrichtete an anderen Universitäten. Sie publizierte ausführlich zu TJ und ist Verfasserin eines einflussrei-

44

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

Rahmenbedingungen zu Zeiten einer politischen Transformation zu beleuchten.5 In „Transitional Justice Genealogy“ unterscheidet Teitel drei Phasen der Entwicklung von TJ – allerdings ohne dabei den Wissenschaftsbetrieb von der Praxis zu unterscheiden. Ihr Fokus liegt vielmehr auf dem politischen und historischen Kontext der Diskurse in und über TJ. Ihre Haupt­ these lautet, dass es eine enge Beziehung zwischen der Art des gewählten Gerechtigkeitsansatzes und dem, diese Wahl beschränkenden, politischen Rahmen geben würde.6 a) Phase I Die Wurzeln von TJ verfolgt Teitel auf das Ende des Ersten Weltkriegs, als es das zentrale Ziel gewesen sei „to delineate the unjust war and the parameters of justifiable punishment by the international community“7. Hier seien z. B. Fragen diskutiert worden, ob die Gerechtigkeit eine internationale oder nationale bzw. kollektive oder individuelle Form annehmen solle. Aufgrund der fehlenden Konsequenzen der Diskussionen in der Praxis lässt sie die erste Phase von TJ dann aber erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges beginnen. Symbol dieser Periode seien die Nürnberger Prozesse, die Rule of Law im Sinne der Universalität definiert hätten.8 In dieser Phase sei TJ eine Ausnahme vom Gewöhnlichen („extraordinary“) und sei international ausgeprägt.9 Die Entscheidung für die Prozesse sei maßgeblich von den politischen Rahmenbedingungen bestimmt gewesen und die damaligen Ausgangsvoraussetzungen hätten sich in der Geschichte so nicht mehr wiederholt.10 Daneben sei der damalige Diskurs vom politischen Liberalismus geprägt gewesen, da sich der Fokus von kollektiven Sanktionen (Reparationsleistungen etc.) nach dem Ersten Weltkrieg hin zu individueller Verantwortung verschoben habe. Die Wende zum internationalen Strafrecht und die Refokussierung der Verantwortung vom Staat auf Individuen seien als innovative Schritte zu werten.11 Die Nachkriegszeit sei auch eine Zeit des Glaubens an das Recht als Instrument der Modernisiechen Grundwerkes hierzu (vgl. im Folgenden Teil 2, III. 1.). Sie ist Mitglied vieler einflussreicher US-amerikanischen Organisationen, so z. B. im Council on Foreign Relations, einem US-amerikanischen Think Tank sowie im Vorstand von Human Rights Watch Europe/Central Asia. 5  Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 94. 6  Ebd., S. 69. 7  Ebd., S. 72. 8  Ebd., S. 76. 9  Ebd., S. 70. 10  Ebd., S. 70–72. 11  Ebd., S. 73.



I. In der Literatur45

rung des Staates gewesen.12 Hierdurch erkläre sich die Überzeugung, dass Strafverfolgung nach einem Krieg Teil des universellen Rechtsschutzschemas (auf der Basis des modernen Rechtes der Menschenrechte) sei.13 b) Phase II Für Phase II unterscheidet Teitel drei Diskurse: das „Nebeneinanderstellen von Wahrheit und Gerechtigkeit“ („Juxtaposing Truth to Justice“), das „Eintauschen von Gerechtigkeit für Frieden“ („Trading Justice for Peace“) und den „Fin de siècle-TJ und Zeitmoment“-Diskurs. Für den ersten Diskurs zieht Teitel das Aufkommen alternativer Strategien heran. Das sog. „restaurative“ Modell14 wäre prägend geworden. Eine Dichotomie zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit zeichne sich ab, Gerichtsprozesse würden durch Wahrheitskommissionen abgelöst.15 Teitel behauptet, dass es zunächst so schien, als ob dies das Gerechtigkeitsverständnis im Sinne von Rule of Law vorangebracht hätte: Genealogisch wäre aber das primäre Ziel von Wahrheitskommissionen nicht Gerechtigkeit, sondern vielmehr Frieden. Dies habe insbesondere das südafrikanische Beispiel gezeigt.16 Das Ziel von TJ hätte gewechselt: von der Herstellung von Verantwortung (Phase I) zum Bewahren von Frieden. Teitel beobachtet, dass der Fokus von individueller Verantwortung hin zu einer mehr „communitarian conception“17 wechselte. Teitel will daneben aber auch eine „Individualisierung“ von TJ beobachten: TJ wird zu einer persönlichen Angelegenheit, einer Art Dialog zwischen Opfer und Täter.18 Teitel stellt weiterhin fest, dass die Menschenrechtsrhetorik der Phase I erhalten bleibt. Allerdings sei diese jetzt in einen breiteren gesellschaftlichen und restaurativen Ansatz eingebettet. Sie weist auf die Gefahr einer Vermischung und einer Zweckentfremdung dieses Diskurses hin.19 Ein zweiter Diskurs („Trading Justice for Peace“) tauchte laut Teitel ebenfalls in dieser zweiten Phase auf: „Friede“ nimmt den Platz von „Gerechtigkeit“ im TJ-Projekt ein. Gerechtigkeit wird als dem Frieden bzw. der 12  Ebd.,

S. 74. Bedeutung der Nürnberger Prozesse: vgl. Teitel, Nuremberg and its Legacy, Fifty Years Later, in: Cooper (Hrsg.), War Crimes: The Legacy of Nuremberg, S. 44. 14  Vgl. hierzu Teil 2, I. 2. a) bb) (1). 15  Ebd., S. 78. 16  Ebd., S. 79. 17  Ebd. 18  Ebd., S. 80. 19  Ebd., S. 81. 13  Zur

46

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

Vergebung und der Versöhnung abträglich angesehen. Dieses Truth and Reconciliation-Projekt leihe den größten Teil seines Diskurses von Disziplinen außerhalb der Rechtswissenschaften, v. a. der Ethik, der Medizin und der Theologie (theologischer bzw. therapeutischer TJ-Diskurs). Ziel von TJ sei nun vielmehr die Versöhnung und der Frieden für Individuen und Gesellschaft. Diese offensichtliche Vermischung von juristischen, moralischen und psychologischen Argumentationen hätte dem TJ-Diskurs eine moralische Basis verliehen und stelle gleichzeitig eine Herausforderung für das Selbstverständnis der Rechtswissenschaften dar.20 Während in Phase I das Problem von TJ in Begriffen von „Gerechtigkeit vs. Amnestie“ formuliert wurde (und Amnestie als Ausnahme galt), wurde in Phase II die Amnestie Teil eines breiteren Ansatzes mit dem übergeordneten Ziel der Wiederversöhnung. Teitel konstatiert für diese Phase ein Zusammenfallen des Bereiches der Ethik mit dem Bereich des Politischen.21 Diese Phase zeichnet sich wie die Phase I auch durch die Verwendung universalisierender Sprache aus.22 Teitel betont die Problematik, die TJDilemmata in universalisierende Menschenrechtsterminologie zu formulieren (wodurch der Anschein erweckt werden könnte, dass dieser Diskurs unabhängig von den Interessen und Bedürfnissen der jeweils betroffenen Gesellschaften sei), was sie als problematisch ansieht.23 Sie will auch einen Wechsel der Autoritäten beobachten: die relevanten politischen bzw. juristischen Autoritäten (in Phase I v. a. Nachfolgeregierungen und Gerichte) würden sich mit moralischen Autoritäten in der Gesellschaft (v. a. Kirchen, NGOs und Menschenrechtsgruppen) als Träger und Initiatoren von alternativen Formen der Konfliktresolution abwechseln. Sie bezieht in diesen Trend neben der Zivilgesellschaft auch die Rolle von Privatpersonen durch das Anstrengen von Gerichtsverfahren ein.24 Der dritte Diskus (Fin-de-Siècle Transitional Justice and the Passage of Time), bezieht sich auf das Ende der 1990er Jahre. Nach Teitels Auffassung wurde das TJ-Dilemma zu einem allgegenwärtigen bzw. einem beherrschenden Thema.25 Sie betont, wie wichtig v. a. die „Richtigstellung der Ge20  Ebd.,

S.  81 f. S. 83. 22  „[U]niversalizing language about the aims of forgiveness and the possibility of political redemption“ (ebd., S. 82). 23  Ebd., S. 84. 24  Ebd., S. 83. 25  „The persistent discourse of the final years of the twentieth century was that of transitional justice. Developments seeking closure, associated with both the end of century and the end of millennium, reflected a pervasive sense of metatransition. At century’s end, there was an evident increase of facing old injustices and of tran21  Ebd.,



I. In der Literatur47

schichte“ für die neue politische Identität eines Staates nach der Transition von einem kommunistischen Regime geworden wäre.26 Diese Konstruktion sei mithilfe vieler Akteure durchgeführt worden und der Staat habe seine in Phase I so zentrale Rolle abgegeben. Durch diese Tendenz seien viele Probleme, die mit dem sehr ambitionierten Projekt der Phase I verbunden waren, vermieden worden.27 Das TJ-Modell dieser Phase wird von ihr als anfällig für Politisierung beschrieben, da es letztendlich davon abhänge, alternative Werte (abseits von universellen Rechten und Verantwortung) zu fördern. Teitel fragt in diesem Zusammenhang, inwieweit normative Vorgaben die politische Entscheidungsfindung in solchen Phasen überhaupt leiten könnten.28 Sie betont, dass die zeitliche Ausdehnung des Anwendungsbereiches von TJ zunehmen würde („expansion of transitional justice in time“29): Ein Phänomen, das sie mit dem Begriff „Scilingo-Effekt“30 bezeichnet.31 c) Phase III TJ, so Teitel, würde in dieser dritten Phase von einer Ausnahme zur Regel und zu einem Paradigma von Rule of Law werden.32 Der erste Diskurs („Transitional Justice All the Time“) sei die Normalisierung von TJ, d. h. der Diskurs bewege sich von der Peripherie zum Zentrum. Von einem historischen, juristischen Phänomen verändere sich TJ so zu einem Phänomen gewöhnlicher Zeiten. Dies habe Auswirkungen auf sitional justice delayed. There were persistent calls for apologies, reparations, memoirs, and all manner of account-settling related to past suffering and wrongdoing.“ (Ebd., S. 85.) 26  Ebd. 27  Ebd., S. 87. 28  Ebd., S.  88 f. 29  Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 88. 30  Teitel bezeichnet damit das Phänomen, dass ein argentinischer General zwei Jahrzehnte nach der Begehung der ihm vorgeworfenen Menschenrechtsverbrechen verurteilt wird. Scilingo war als argentinischer Marineoffizier während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen beteiligt. Er wurde 2005 in Spanien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, begangen zwischen 1976 und 1977, zu 640 Jahren Gefängnis verurteilt. 31  Ebd., S. 85. 32  „[… T]ransitional jurisprudence normalizes an expanded discourse of humanitarian justice constructing a body of law associated with pervasive conflict, which contributes to laying the foundation for the emerging law of terrorism.“ (Ebd., S. 71 f.) Sowie: „What is fair and just in extraordinary political circumstances was to be determined from the transitional position itself.“ (Ebd., S. 76.)

48

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

das Recht insgesamt, da dies eine höhere Politisierung und einen Kompromiss der Rule of Law-Standards bedeute.33 Als Symbol für diese Phase bezeichnet Teitel die Einrichtung des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH), d. h. die Normalisierung der transitionellen Gerichtsbarkeit und eine Tendenz zur Priorisierung des humanitären Völkerrechts als Regel des Rule of Law.34 Daneben stellt sie auch die Anerkennung eines größeren Spielraums politischen Ermessens fest, die Politisierung von Gerechtigkeit, das Ansteigen der Anzahl irregulärer Prozeduren und expliziter Abweichungen vom geltenden Recht – alles gerechtfertigt durch den humanitärrechtlichen Diskurs.35 In letzter Konsequenz verenge dies die Möglichkeiten für ein Individuum, einen Staat zur Rechenschaft zu ziehen.36 Die Ausbreitung der TJ-Phänomenologie der letzten Jahrzehnte erklärt sie auch durch den breiteren normativen Einfluss von Regionen wie z. B. Lateinamerika.37 TJ wäre jetzt im Rahmen bereits existierender, rechtlicher Regime normalisiert und fest verankert, insbesondere innerhalb der Menschenrechte und dem humanitären Völkerrecht.38 Der zweite Diskurs („Discontinuity Versus Continuity“), den Teitel identifiziert, ist der Diskurs um Kontinuität und Diskontinuität. Fragen, die dieser Diskurs aufwirft, beziehen sich auf das Maß, in dem es sich bei Recht um deskriptive oder normative Kontinuität handele. Hiermit bezeichnet Teitel die Frage, ob TJ-Kontexte als exzeptionell im Licht von „tradi­ tioneller“ Rechtstaatlichkeit einzuschätzen seien oder nicht.39 Teitel ist der Ansicht, dass es sich hierbei um eine falsche Dichotomie handele: Sie behauptet, dass das ideale Rule of Law-Modell keine ausreichende Leitfunk­ tion haben könne. Es gäbe keine klare Unterscheidung zwischen stabilen Zeiten und transitionellen Zeiten.40 Teitel bezeichnet die „Strafe vs. Straflosigkeit“-Debatte als historisch und behauptet, dass diese dazu geführt habe, dass Diplomaten und Juristen auf 33  Ebd.,

S.  89 f. S. 90. 35  Ebd., S. 92. 36  Ebd., S.  91 f. 37  Ebd., S. 2. 38  „[… T]ransitional justice has a global normative reach, with effects far and wide on the discourse and structure of international affairs.“ (Ebd., S. 4.) 39  Verweist auf: Krygier, Transitional Questions about the Rule of Law: Why, What and How? (2001); Dyzenhaus, International Journal of Constitutional Law 1 (2003), S. 163. 40  Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 93. 34  Ebd.,



I. In der Literatur49

der globalen Ebene mehr Justizialisierung fordern würden.41 Sie führt weiterhin aus, dass die internationalen Strafgerichtshöfe mittlerweile das rein „retributive“ Verständnis abgelegt und in Urteilen vermehrt die Ziele von TJ reflektiert seien.42 2. Paige Arthur Arthurs43 Darstellung ordnet die konzeptuellen Ursprünge von TJ wichtigen Akteuren und Ereignissen in der Entwicklung des Bereiches TJ auf internationaler Ebene44 zu, wobei sie sich ausdrücklich auf die Anfänge des Bereiches konzentriert und dabei „the rapid expansion of international law on transitional justice issues throughout the 1990s“ außer Betracht lässt.45 Sie definiert das „Feld“ als „international web of individuals and institutions whose internal coherence is held together by common concepts, practical aims, and distinctive claims for legitimacy“46. Hiermit scheint sie „Feld“ im Sinne einer epistemischen Gemeinschaft zu verwenden.47 Laut Arthur sind die Anfänge dieser Wissenschaftsgemeinschaft auf das Ende der 1980er Jahre zurückzuverfolgen. Ihrer Ansicht nach entstand der Bereich als Konsequenz der politischen Rahmenbedingungen für Menschenrechtsaktivisten in Ländern wie z. B. Argentinien, in denen autoritäre Regime durch demokratischere ersetzt wurden. TJ sei als Bewegung weg von „naming and shaming“ hin zu Forderungen nach Verantwortlichkeit für vergangene Menschenrechtsverletzungen einzuordnen. Der Fokus auf politischen Wechsel als „Transition zu Demokratie“ half dabei, diese Forderungen zu legitimieren und bestimmte Antworten auf Transitionen zu prioritisieren. 41  Ebd.,

S. 2. Beispiel nennt sie die Tadić-Entscheidung des ICTY, in der der Gerichtshof ausführte, dass das angewandte Recht „must serve broader normative purposes in light of its social, political and economic role.“ (Ebd.) 43  Paige Arthur ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin. Sie arbeitet am ICTJ in herausgehobener Position und publiziert regelmäßig zu TJ. 44  Sie erklärt, dass es auch nationale Akteure gegeben hätte, die auf nationaler Ebene die spezifischen TJ-Maßnahmen vorangetrieben hätten, diese aber von den Akteuren zu unterscheiden seien, die auf internationaler Ebene tätig wurden (Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 326). 45  Ebd., S. 359. 46  Ebd., S. 324. 47  Dabei verwendet sie den Begriff „Forschungsgebiet“ im Sinne von „1) is clearly distinguishable from the field out of which it emerged, which is the field of human rights; 2) it implies a set of actors who have a set of common aims, and who are thus oriented toward one another in their practice; 3) it has developed institutions that advance those aims; and 4) it advances distinctive criteria of judgment and self-legitimation.“ (Ebd.) 42  Als

50

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

Bei TJ handelt es sich nach Arthur zunächst um das Erkennen von praktischen Dilemmata und dann um „a response to these new practical dilemmas and as [… an …] attempt to systematize knowledge deemed useful to resolv­ ing them“.48 Arthur identifiziert drei Konferenzen Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Jahre (und damit ein Netz von Interaktionen zwischen Rechtswissenschaftlern, Anwälten, Politikern, Journalisten, Geldgebern, Politikwissenschaftlern und Menschenrechtsaktivisten), die ausschlaggebend für die Entwicklung des Feldes gewesen wären. Laut Arthur können diese drei Kon­ferenzen als Geburtsstunde des Feldes bezeichnet werden: die Konferenz „State Crimes: Punishment or Pardon“ des Aspen-Instituts, 1988; die Konferenz „Justice in Times of Transition der Charter 77 Foundation“ in Salzburg (1992); und die Konferenz „Dealing with the Past“ des Institute for Democracy in South Africa (1994).49 Diesen Konferenzen sei nicht nur ein gleiches Teilnehmerprofil (internationale politische Akteure, Menschenrechtsaktivisten und Beobachter) und eine ähnliche Agenda (die Behandlung einzelner TJ-Instrumente) gemeinsam gewesen, sondern auch eine feste Gruppe von Individuen als Teilnehmer.50 Arthur hebt insbesondere für die erste Konferenz hervor, dass es sich erstmals um einen intellektuellen Rahmen für TJ gehandelt habe. Bis zur Publikation von Kritzs Grundwerk 199551, beobachtet Arthur eine gewisse Kohärenz, mit der die Fragen bzw. der Katalog möglicher Maßnahmen behandelt wurden, was sie auf das Frami­ng der Problematik auf diesen Konferenzen zurückführt.52 Für das Gebiet der Menschenrechte seien Transitionen aus zweierlei Hinsicht bedeutend: Zunächst hätte sich die Menschenrechtspraxis an neue politische Herausforderungen anpassen müssen und, zweitens, hätte politischer Wandel  − verstanden als „Transition zu Demokratie“ – wichtige Implikationen für die Legitimität von damit verbundenen Gerechtigkeitsforderungen. Sie führt aus, dass die weitverbreitete Akzeptanz des „Transitionspara­ digmas“53 und dessen Fokus auf rechtlich-institutionelle Reformen und 48  Ebd.,

S.  321 f. S. 324. Daneben werden noch genannt: das US-amerikanische Project on Justice in Times of Transition und die südafrikanische Organisation Justice in Transition. 50  Arthur listet die Teilnehmerlisten am Ende ihres Artikels auf. Sie identifiziert dabei insbesondere: José Zalaquett, Jaime Malamud-Goti, Aryeh Neier, Juan E. Méndez, Diane Orentlicher, Lawrence Weschler, Alice Henkin, Tim Phillips und Adam Michnik (ebd., S. 325; vgl. hierzu im Folgenden Teil 2, III.). 51  Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1–3 (vgl. hierzu Teil 3, A. III. 3. a). 52  Ebd., S. 326, 356. 53  Ebd., S. 357. 49  Ebd.,



I. In der Literatur51

Antworten wichtige Faktoren für die Legitimierung des Forschungsgebietes TJ gewesen wären.54 Arthur stellt ausdrücklich die Frage, ob es sich bei TJ um ein Teilgebiet der Lehre der Menschenrechte handele oder um ein neues, sich davon unterscheidbares. Ihrer Ansicht nach lässt sich diese Frage bereits im Hinblick auf den Diskurs der Mehrheit der Teilnehmer der ersten Konferenz beantworten, deren Verlauf und Diskussionen sie ausführlich beschreibt55: Während dieser sei deutlich geworden, dass sich TJ von den Menschenrechten durch ein zweites „normatives“ Ziel unterscheide, nämlich: „the second normative aim of facilitating a transition to democracy“56. Durch die Fokussierung auf die Transition erkläre sich auch, warum die Instrumente der Strafverfolgung, Wahrheitsfindung, Restitution und institutionellen Reform gewählt worden seien.57 Daneben identifiziert sie zwei Arten von Grundannahmen, die TJ nicht mit dem breiteren Menschenrechtsgebiet teile: Einerseits normative Ideen, die Kriterien spezifizieren, um „richtig“ von „falsch“ und „gerecht“ von „ungerecht“ zu unterscheiden. Und andererseits gewisse Überzeugungen zu Ursache-Wirkung-Beziehungen.58 Auch führt sie aus, dass, während das Gebiet Menschenrechte v. a. praktisch bei der Verteidigung der Normen auf internationaler Ebene von Bedeutung sei, es bei TJ vielmehr um eine Art „Entrepreneurship“ in Bezug auf Normen ginge.59 3. Christine Bell Bell hat eine erste kritische Kurzdarstellung der Entwicklung des Feldes TJ vorgelegt: 54  „Transitions to democracy […] had become the dominant normative lens through which to view political change. Transitional justice fit into that lense.“ (Ebd., S. 358.) 55  Ebd., S. 358. 56  Dies war auf den Konferenzen sehr umstritten: Neier vertrat die Meinung, dass „punishment is the absolute duty of society to honor and redeem the suffering of the individual victim“ und andere Ziele, v. a. die Erleicherung einer Transition, seien hierfür irrelevant. Diese Meinung wurde von der Mehrheit der Konferenzteilnehmer nicht geteilt (ebd., S. 358). So auch Weschler: „I want to quarrel with the assumption that a principle reason for seeking justice, or criterion for evaluating its efficacy, should be the future stability of a reconstituted democracy […].“ (Weschler, A Miracle, S. 244.) 57  Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 326. 58  Goldstein/Keohane, Ideas and Foreign Policy, S. 9–10. 59  Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 358.

52

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

„[T]here is a hidden politics to how transitional justice has been constructed as an interdisciplinary field that obscures tensions between the range of practices and goals that it now incorporates.“60

Wenn man sich die Deals beim Aushandeln von Vergangenheitspolitik genauer anschaue, so Bell, bemerke man, dass es sich um ziemlich unterschiedliche Mechanismen handeln würde. Sie schließt hieraus, dass es sich nicht um ein einheitliches Streben nach Gerechtigkeit handeln würde. Das Etikett „TJ“ ermögliche vielmehr, eine oberflächliche Kohärenz herzustellen, insbesondere durch eine gemeinsame Sprache der „Fieldhood“.61 Sie unterscheidet bei TJ ein „established field of scholarship“ sowie ein damit verbundenes „field of practice“.62 Bell unterscheidet drei Narrationen von TJ: TJ in menschenrechtlicher Lesart, als Konfliktresolution und als internationale Intervention. Diese drei Narrationen hätten von Anfang an nebeneinander bestanden.63 Bell legt den Beginn von TJ auf die erste Verwendung des Begriffs in den 1990er Jahren mit Bezug auf die Transitionen in Osteuropa und Südamerika fest.64 Der Begriff sollte Debatten darüber zusammenfassen, wie Nachfolgeregierungen mit den Menschenrechtsverletzungen ihrer Vorgängerregierungen umgehen könnten.65 Der ursprüngliche Fokus des TJ-Diskurses sei ein rechtlicher gewesen, dessen Hauptaussage es war, dass die Menschenrechte die Herstellung von Verantwortlung (in Transitionsphasen) erfordern würden. Mit der Zeit hätte sich dieser Fokus ausgeweitet, um eine noch größere Anzahl von Mechanismen, Zielsetzungen und Forschungsfragen zu umfassen  − sowie eine Vielzahl von Disziplinen miteinzubeziehen.66 Bell teilt Arthurs Analyse bezüglich des Unterscheidungsmerkmals zum Menschenrechtsdiskurs.67 Die ersten juristischen Arbeiten, die sich klar für eine juristische Verantwortung der Täter ausgesprochen hätten, seien im Kontext von Straflosigkeit in Süd- und Zentralamerika geschrieben worden.68 Sie hebt die Bedeutung von Kritzs Werk hervor, der nicht nur den 60  Bell,

IJTJ 3 (2009), S. 5. S. 14. 62  Ebd., S. 7. 63  Ebd., S. 14. 64  Ebenso Aolain/Campbell, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 172 ff. 65  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 7. 66  Ebd., S.  5 ff. 67  Ebd. 68  Statt vieler nur: Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537 ff. [und ihr Artikel 2007, in dem sie klarstellt, dass der Kontext ihres Artikels aus dem Jahr 61  Ebd.,



I. In der Literatur53

Begriff benutzte, sondern sich auch daran machte, ein kohärentes Forschungsfeld darzulegen.69 Wichtige Entwicklungsschritte in dieser ersten Phase seien gewesen: der Artikel von Diane Orentlicher (1991), die Publikation von Neil Kritz (1995), die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe (1993 und 1994), die südafrikanische Wahrheitskommission (1996), das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (1998) und Teitels Buch zu TJ (2000).70 Für Bell kam das Feld trotz dieser selbstbewussten Entwicklungen sowohl im Praxis- als auch im Forschungsbereich erst 2000 wirklich zur Entstehung: 2000 fand das Gründungstreffen für das International Center for Transitional Justice (ICTJ) mit dem Ziel statt, die südafrikanische Erfahrung mit anderen Staaten zu teilen.71 Im gleichen Jahr veröffentlicht Ruti Teitel ihr Buch zu TJ, in dem sie TJ sehr weit definierte als „the conception of justice in periods of political transition“ und dem Recht eine wichtige Stelle in Transitionsphasen einräumte. Außerdem begannen NGOs, Universitäten und universitäre Forschungseinrichtungen sich mit diesem Thema zu beschäftigen.72 Im gleichen Jahr bezog die UN auch erstmals mit internen Richtlinien für Friedensverhandlungen und die Ablehnung der Amnestieklausel im Lomé-Friedensabkommen klar Position zu einer Teilproblematik von TJ.73 Bell sieht die Publikation des UN-Berichtes zu TJ 2004 als „normative commitment to transitional justice“ an und bezeichnet dies als Kuhnschen Paradigmenwechsel, da hierdurch die ehemals als problematisch angesehene Priorisierung von Verantwortlichkeit in Friedensverhandlungen zu einem legitimen Element erklärt wurde.74 Durch den Bericht sei TJ sozusagen salonfähig geworden. Dieser Paradigmenwechsel sei gleichzusetzen mit der Anerkennung von TJ als Instrument für politische und soziale Ziele, die über das Prinzip der Herstellung der Verantwortung hinausgingen.75

1994 die südamerikanische Bemühungen im Kampf gegen die Straflosigkeit gewesen seien (dies., IJTJ 1 (2007), S. 10 ff.; vgl. auch Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 449 ff.)]. 69  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 7 f. 70  Ebd., S. 8. 71  Ebd., S. 9. 72  Project for Justice in Times of Transition (Harvard University), Transitional Justice Project (Notre Dame School of Law), Transitional Justice Institute (University of Ulster). 73  Vgl. hierzu Teil 3, A. III. 1. b) aa) (1). 74  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 9. 75  Ebd.

54

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

4. Andere Darstellungen76 Undine Kayser-Whande und Stephanie Schell-Faucon stellen fest, dass sich der Diskurs in Deutschland zunächst unabhängig bzw. sogar isoliert von der internationalen Debatte entwickelt habe. In Deutschland hätten sich die Diskussionen lange auf die spezifischen Gegebenheiten der (inner-) deutschen Vergangenheitsbewältigung gerichtet, während sich der interna­ tionale Diskurs eher auf jüngere Beispiele aus Lateinamerika, Asien und Afrika bezogen habe.77 Das Entstehen von TJ wird mit dem Zusammentreffen juristischer Perspektiven mit politikwissenschaftlicher Transitionsforschung erklärt. Dieser neuen Untersuchungsfrage sei die Bekämpfung der Straflosigkeit zentral gewesen.78 TJ sei daher auch zunächst „Justice in Transition“ genannt worden.79 Da die neuen Staaten in Transition oftmals nicht in der Lage gewesen wären, diese Probleme alleine zu lösen, sei ebenfalls wichtig gewesen, wie die internationale Gemeinschaft  − z. B. durch die Entwicklung von internationalem Recht − solchen Transitionen unterstützend zur Seite stehen könnte.80 Kayser-Whande / Schell-Faucon sehen als prägendes Merkmal von TJ an, dass Vertreter verschiedener Disziplinen die Frage der Auswirkungen von Friedensabkommen auf die juristische Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen diskutierten.81 Mit den Situationen in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Staaten wären die Diskussionen dann auf die Frage gelenkt worden, wie mit schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts nach dem Abschluss von Friedensverträgen umgegangen werden sollte. Hier kam dann die Argumentationslinie auf, dass es in Postkonfliktsituationen nicht nur um die Sicherung einer neuen demokratischen Ordnung, sondern um einen breiteren Transformationsprozess der Gesellschaft sowie der Institutionen ginge.82 Das Forschungsgebiet hätte sich dann ausgeweitet, um empirisch-pragmatischen Forderungen zu entsprechen.83 76  Vgl. auch: Freeman, Truth Commissions and Prodecural Fairness, S. 6  ff.; Leebaw, Human Rights Quarterly 30 (2008), S. 95 ff.; Aolain/Campbell, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 172 ff. 77  Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 8. 78  Ebd. 79  Ebd., S. 9. 80  Vgl. hierzu: Orentlicher, IJTJ 2007, S. 10 ff. 81  Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 9. 82  Z. B. Roht-Arriaza, TJ and Peace Agreements, S. 7 f. 83  Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 9.



I. In der Literatur55

In den späten 1990er Jahre wäre das Konzept TJ dann „normiert worden“. Nunmehr beinhalte es nicht-rechtliche Konzepte sowie lokal entwickelte Ansätze. Insbesondere der südafrikanische Versöhnungsprozess hätte sich hier ausgewirkt: Versöhnung, Abbitte und Entschuldigungen sowie der Opferdiskurs seien in die Literatur aufgenommen worden. Dies habe dazu geführt, dass „retribution“ seine führende Rolle verloren habe. Zuvor wären Wahrheitskommissionen vielmehr als „second best to prosecutions“ angesehen worden. Nunmehr seien sie in ihrer Bedeutung für den Einfluss auf den gesellschaftlichen Transformationsprozess anerkannt.84 Die Forderung nach einem holistischen, umfassenden Ansatz, der sowohl Strafverfolgungen, Wahrheitskommissionen, Entschädigungsprogramme und institutionelle und wirtschaftliche Reformen umfasse, sei so zu einem breit akzeptierten Credo geworden.85 Eine andere Wissenschaftlerin, Priscilla Hayner86, kontrastiert das Problembewusstsein vor und nach der Einführung von TJ in die Debatte, v. a. im Völkerrecht: „There was still virtually no international recognition of nonjudicial truth-seeking as a transitional justice tool, nor was there much recognition of the range of other nonjudicial strategies now commonly considered during such a postauthoritarian transition.“87

Am Anfang der Entwicklung des Feldes hätten, laut Hayner, fast ausschließlich juristische Publikationen zu den Themen Straflosigkeit, Völkerstrafrecht und Menschenrechte gestanden.88 Dieses Erkenntnisinteresse hätte sich im Laufe der Zeit erweitert und verbreitert: „The basic question, that of how to reckon with massive state crimes and abuses (or abuses by groups in opposition to the state), raises a wide range of legal, political, and even psychological questions. This field – to the degree that it has taken shape as a defined field unto itself – has developed in response to the demands and differing circumstances of many transitional states around the world, and the increased public interest and international expectation that accountability is due after atrocity.“89 84  Ebd. 85  Ebd.

86  Hayner (Politikwissenschaftlerin  – USA/ICTJ) arbeitete u. a. für verschiedene Stiftungen, darunter die Ford-Stiftung, sowie UNHCR und ICTJ. Hayner ist eine der Mitbegründerinnen des ICTJ, war dort jahrelang in leitender Funktion tätig und gilt als Expertin insbesondere für Wahrheitskommissionen (ICTJ, Staff, Hayner Web­ site). 87  Ebd., S.  10 f. 88  Die nicht-juristischen Publikationen in ihrer Aufzählung sind: Garton Ash, The Truth about Dictatorship, S. 35–40; Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1–3. 89  Hayner, Unspeakable truths, S. 11.

56

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

Eine andere Publikation weist darauf hin, dass die TJ-Disziplin und Literatur zunächst „retribution-centered“ geprägt gewesen wäre und schließlich ein Ansatz entwickelt wurde, in dem weniger die Täter, sondern vielmehr die Opfer und die Gesellschaft im Mittelpunkt stehen würden. Kora An­drieu argumentiert am Ende ihres Artikels für eine weitere Ausweitung des Ansatzes, sowohl geographisch als auch thematisch, um es dem größeren Projekt der „deliberative democratization“ anzunähern.90 5. Zusammenfassung Die Mehrzahl der Autoren geht von der Entwicklung verschiedener wissenschaftlicher Stränge (z. B. „Menschenrechte, Konfliktresolution und internationale Intervention“ oder dem Zusammenkommen der politikwissenschaftlicher Systemwechselforschung mit dem menschenrechtlichen Diskurs91) aus, die, als sie zusammentrafen, zur Entwicklung des Forschungsgebietes TJ geführt hätten. In der Regel wird dieses Zusammentreffen auf Mitte oder Ende der 1990er Jahre datiert. Die verschiedenen wissenschaftlichen Stränge hätten sich entweder in dem neuen Gebiet aufgelöst92 oder würden weiterhin selbständig daneben bestehen.93 Viele Autoren lehnen sich in ihrer Darstellung der Geschichte von TJ an Teitels Phasen an:94 Teilweise wird der Beginn der Entwicklung der einzelnen Stränge dann schon als Beginn des Forschungsgebietes TJ bezeichnet, d. h. die Nürnberger Prozesse95 bzw. die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Diktatur96. Manche Autoren halten aber ausdrücklich fest, dass sie den Begriff TJ retrospektiv verwenden.97 Andere Autoren wollen erst Ende der 1980er bzw. zu Beginn der 1990er von einem selbständigen Forschungsgebiet ausgehen.98 Konferenzen wer90  Andrieu,

Online Encyclopedia of Mass Violence 2008, S. 4. S. 3. 92  „Transitional justice has emerged from the isolated practice of a variety of mechanisms, all attempting to address the past.“ (Boraine, TJ as an Emerging Field, S. 1; vgl. z. B. auch Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 359; Hayner, Unspeakable truths, S. 11.) 93  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 14. 94  Z. B. Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S.  6 ff. 95  Ferencz, Journal of International Affairs, 52 (1999), S. 455 ff. 96  Werle/Bornkamm, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 78. 97  Z. B. Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S.  6 ff. 98  Ebd. 91  Ebd.,



I. In der Literatur57

den mehrmals als wegweisend und einflussreich, v. a. in der Zeit nach dem Ende des Kalten Krieges, erwähnt. Kritz Buch 1995 wird von den meisten als bahnbrechend angesehen. Andere sehen das Jahr 2000 entweder als wichtigen Schritt in der Konsolidierung des Feldes oder als dessen eigentlichen Beginn. 2004 sei TJ durch den UN-Bericht schließlich „hoffähig“ geworden. Bezüglich der unterschiedlichen TJ-Narrationen scheint zum größten Teil Einigkeit zu bestehen: Zunächst prägte ein liberaler Rechtsdiskurs das Feld, v. a. vor dem Ende des Kalten Krieges, der von einer menschenrechtlichen, völkerstrafrechtlichen und „retributiven“ Rhetorik charakterisiert war. Die Relevanz bestimmter Praktiken der Konfliktresolution und des Völkerrechts sei unbestritten gewesen, v. a. in Bezug auf Amnestien oder Strafverfolgung.99 Es wird auch von einem „restaurativen“ Ansatz (der dem „retributiven“ Ansatz gegenüber gestellt wird) und einem theologischen sowie einem moralischen Diskurs berichtet.100 Einige halten fest, dass TJFragestellungen zuvor vornehmlich im Rahmen des Menschenrechtsdiskurses angesprochen worden seien,101 nur wenige stellen dabei die Unterschiede zu diesem fest. Es sei schließlich die Narration einer „zu unterscheidenden transitionellen Gerechtigkeit“ festzustellen. Es habe auch einen Diskurs des „Nebeneinanderstellens von Wahrheit und Gerechtigkeit“ sowie eines „Eintauschens von Gerechtigkeit für Frieden“ gegeben. Dies hätte zur Entwicklung von unterschiedlichen rechtlichen Argumentationssträngen bezüglich bestimmter TJ-Themen geführt, die dann zu breiteren normativen Parametern verallgemeinert wurden. Schließlich, so von einigen Autoren vertreten, sei TJ zum neuen Paradigma der internationalen Beziehungen geworden. Lokale, alternative Ansätze seien in den Fokus geraten und Nationbuildung wäre zu einem wichtigen Thema geworden. Dies habe den Diskurs für weitere Disziplinen (als nur der Disziplin der Rechtswissenschaften) geöffnet. Aus der Darstellung wird nicht klar, welchen Einfluss genau die lateinamerikanische Ereignisse und das Ende des Kalten Krieges auf die Entwicklung von TJ ausgeübt hat. Unerwähnt bleiben auch die Rolle von internationalen oder regionalen Menschenrechtsschutzsystemen sowie die der internationalen und nationalen Menschenrechtsbewegungen. 99  Ebd.,

S. 16. Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 61 ff. 101  Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 8. 100  Teitel,

58

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

II. Beschreibung der Publikationstätigkeit zum Thema Transitional Justice Anhand der systematischen Analyse der Publikationshäufigkeit zu bestimmten Thematiken mithilfe von Literaturdatenbanken wird im Nachfolgenden zunächst ein grobes Entwicklungsraster beschrieben.102 Die Recherche konzentrierte sich auf TJ-Instrumente sowie anscheinend bedeutsame Disziplinen für die Entwicklung (vgl. unter I.).103 1. Entwicklung der Publikationstätigkeit „Transitional Justice“ Zur besseren Vergleichbarkeit wurden die Kurven nachfolgend in einem gemeinsamen Schaubild abgebildet. 350 300 250 200 WL: TJ

150

LN: TJ

100 50 0

Schaubild 1: Publikationshäufigkeit TJ

Alle Kurven geben den Beginn der Publikationstätigkeit mit 1994 (Westlaw) bzw. 1995 (LexisNexis) an. Hieraus ergibt sich die Frage, welche Ereignisse den Publikationsbeginn 1994 bzw. 1995 auslösten. Drei Wachstumsimpulse sind im weiteren Verlauf der Kurven zu beobachten: ein starkes Ansteigen von 2002 auf 2003, 2006 auf 2007 und 2008 102  Es wurden die Datenbanken LexisNexis und Westlaw konsultiert. Bei Lexis Nexis wurden die Datenbanken „secondary materials“ und „international law“ durchsucht. Für Westlaw wurde die Datenbank „WORLD-JLR“ durchsucht. Die Suche wurde am 25. Juni 2010 (sowie am 21. Oktober 2013) durchgeführt. Zu den Suchbegriffen vgl. im Folgenden. Die Ergebnisse finden sich in Annex I, II und III. 103  Aufgrund der Fülle von Literatur zu diesem Thema kann aber nicht der Anspruch erhoben werden, dass die nachfolgende Betrachtung vollständig sei.



II. Beschreibung der Publikationstätigkeit59

auf 2009 (Lexis Nexis; Westlaw in der Regel ein Jahr verzögert). Geht man von einer Rezeptionsperiode vor dem Ansteigen der Publikationshäufigkeit zu einem Thema aus, kann davon ausgegangen werden, dass es jeweils davor Ereignisse gegeben hat, die dieses hervorgerufen haben. Beide Datenbanken verzeichnen von 2009 auf 2010 dann ein starkes Absinken der Publikationshäufigkeit. 2. Publikationshäufigkeit: TJ und einzelne TJ-Instrumente Die Datenbanken Westlaw und LexisNexis wurden auch darauf untersucht, inwieweit mit dem Begriff TJ die Themen Strafverfolgungen, Amnestien, Wahrheitskommissionen, Lustrationsmaßnahmen und Reparationszahlungen behandelt wurden (siehe nächste Seite).104 Aus dem Kurvenverlauf „TJ und Strafverfolgungen“105 ergeben sich v. a. folgende Beobachtung: Zu Beginn des Feldes behandelten Publikationen zu TJ in der Regel auch Strafverfolgungen  − jedenfalls für die Periode von 1995 bis 1998 / 99. Danach sank das Interesse in der TJ-Literatur relativ an Strafverfolgungen, die Publikationshäufigkeit entwickelt sich aber weiterhin ähnlich. Aus dem Kurvenverlauf „TJ und Amnestien“106 ergeben sich folgende Fragen bzw. Beobachtungen: Bis 1998 / 99 scheint die Behandlung von Amnestien und Strafverfolgungen gemeinsam zu erfolgen. Ab diesem Zeitpunkt sinkt dann das Interesse an Amnestien verhältnismäßig in der Literatur, verliert sich aber nicht. Aus dem Kurvenverlauf „TJ und Wahrheitskommissionen“107 ergeben sich folgende Fragen bzw. Beobachtungen: Die Kurve entwickelt sich ähn104  Verwendete Suchbegriffe: „TJ“ und „prosecutions“/„amnesty“/„truth commission“/„lustration“/„reparations“. 105  Kurvenbeschreibung: Gleichzeitiger Beginn, von 1995 bis 1998/99 sind die Kurven beinahe deckungsgleich. Ab 1998/99 entwickeln sich die Kurven dann auseinander – die Kurve „TJ & Prosecutions“ steigt bis 2004 weniger stark an; 2004/2005 kommt es dann zu einem Wachstumsimpuls und die Anzahl der Publikationen verdoppelt sich beinahe; 2006 ist eine Abnahme zu beobachten; danach ähnliche, aber relativ weniger starkes Wachstum. 106  Kurvenbeschreibung: Gleichzeitiger Beginn, von 1995 bis 1998/99 sind die Kurven (sowie die Kurve „TJ & Prosecutions“) beinahe deckungsgleich. Ab 1998/99 entwickeln sich die Werte unterschiedlich: die Kurve „TJ & Amnesties“ wächst weniger stark an. 107  Kurvenbeschreibung: Bis 1999 ähnliche Entwicklung der Werte, dann ab 1999 entgegen der allgemeinen Entwicklung weiterhin geringes aber mehr oder weniger konstant steigendes Interesse, Absinken 2007/08. Gesamtpublikationstätigkeitsvolumen bleibt hinter dem von „TJ & Prosecutions“ zurück.

60

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

350 300 250 LN: TJ 200

LN: TJ & P LN: TJ & A

150

LN: TJ & TC LN: TJ & L

100

LN: TJ & R

50 0

Schaubild 2a: Publikationshäufigkeit TJ und einzelne TJ-Instrumente (LexisNexis)

300

250

200 WL: TJ WL: TJ & P 150

WL: TJ & A WL: TJ & TC

100

WL: TJ & L WL: TJ & R

50

0

Schaubild 2b: Publikationshäufigkeit TJ und einzelne TJ-Instrumente (Westlaw)



II. Beschreibung der Publikationstätigkeit61

lich der Reparationskurve108. Reparationszahlungen und Wahrheitskommissionen sind daher Themen, die sich konstant mit dem Forschungsgebiet entwickelt haben, ab 1998 / 99 aber nicht die gleichen Tendenzen mit der allgemeinen Publikationshäufigkeit teilen. Aus dem Kurvenverlauf „TJ und Lustrationsmaßnahmen“109 ergeben sich folgende Fragen bzw. Beobachtungen: Bis 1998 / 99 ähnliche Entwicklung, danach konstantes aber kaum wachsendes Interesse mit einem kurzen ­Höhepunkt 2004 / 2005. Lustrationen spielen relativ gesehen die geringste Rolle aller TJ-Instrumente. 3. Publikationshäufigkeit: TJ und andere Rechtsgebiete und Praxisbereiche Die Datenbanken Westlaw und LexisNexis wurden ebenfalls darauf untersucht, inwieweit neben dem Begriff TJ die Begriffe „Human Rights Law“, „Humanitarian Law“, „International Criminal Law“, „Victims’ Rights“ und „Peacebuilding“110 erwähnt wurden. Hieraus lassen sich möglicherweise Rückschlüsse auf Entwicklungsstränge oder Abgrenzungstendenzen des Feldes ziehen. Um eine bessere Übersichtlichkeit zu erreichen, sind die Graphen jeweils getrennt in Schaubildern abgebildet. 350 300 250 WL: TJ

200

LN: TJ

150

LN: HR & TJ

100

WL: HR & TJ

50 0

Schaubild 3: Publikationshäufigkeit TJ und Human Rights 108  Kurvenbeschreibung: Werte verhalten sich ähnlich wie die von „TJ & Wahrheitskommissionen“ ohne das Absinken 2007/08. 109  Kurvenbeschreibung: Bis 1999 ähnliche Entwicklung, danach im Vergleich zur allgemeinen Kurve weniger starkes Ansteigen. Sehr geringes Interesse (bis auf einen vorübergehenden Höhepunkt 2004). Gesamtpublikationstätigkeit bleibt erheblich hinter der von „TJ & Truth Commissions“ zurück. 110  Zum Begriff vgl. Teil 2, III. 2. a).

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

62

Aus den Kurvenverläufen zu TJ und „Human Rights“111 ergeben sich folgende Fragen bzw. Beobachtungen: Beide Kurven bzw. Begriffe verbinden sich gleich zu Beginn des Aufkommens der Publikationstätigkeit zu TJ 1994 und verhalten sich im Folgenden beinahe identisch, d. h. in den meisten Publikationen zu TJ werden Menschenrechte erwähnt. Ab 2004 bis 2007 scheint diese Verbindung abzunehmen. 350 300 250

WL: TJ

200

LN: TJ

150

WL: IHumL & TJ

100

LN: IHumL & TJ

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2003

2002

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

0

1994

50

Schaubild 4: Publikationshäufigkeit TJ und International Humanitarian Law

Aus den Kurvenverläufen TJ und „Humanitarian Law“112 ergeben sich folgende Beobachtungen bzw. Fragen: Beide Begriffe verbinden sich gleich zu Beginn der Publikationstätigkeit zu TJ, allerdings ungefähr nur in der Hälfte aller Publikationen (im Vergleich zu „Human Rights“). Ab 2005 fällt der Kurvenverlauf auseinander. Aus den Kurvenverläufen TJ und „Peacebuilding“113 ergeben sich folgende Beobachtungen bzw. Fragen: Über Peacebuilding und TJ wird sehr viel weniger häufig publiziert als über Menschenrechte und TJ sowie Humanitäres Völkerrecht und TJ. Peacebuilding und TJ sind nicht von Beginn 111  Kurvenbeschreibung: Bei diesem Schaubild fällt auf, dass sich beide Kurven bzw. Begriffe gleich zu Beginn des Aufkommens der Publikationstätigkeit zu TJ 1994 verbinden und sich im Folgenden beinahe identisch verhalten. Die Werte für „Human Rights“ sind nur wenig unterhalb den allgemeinen Werten für TJ. Deutlich unterschiedlichere Werte fallen für den Zeitraum ab 2004 auf. Wachstumsimpuls 2008/2009 (relativ stärker als andere Bereiche). 112  Kurvenbeschreibung: Beide Kurven sind ebenfalls gleich zu Beginn verbunden, d. h. 1994 (Westlaw) bzw. 1995 (Lexis Nexis). Ein ähnliches Kurvenverhalten ist bis 2005 festzustellen, wobei die Werte im Vergleich zur „Human Rights“-Kurve dann ungefähr im Verhältnis 2:1 stehen. Ab 2005/2006 dann stagnierende Publika­ tionstätigkeit bzw. sogar Rückgang entgegen dem allgemeinen Verlauf. 113  Kurvenbeschreibung: Die Verbindung der Begriffe beginnt erst 2003 sich wirklich zu etablieren, die Werte sind aber gering. Ab 2005 unterschiedliches Kurvenverhalten.



II. Beschreibung der Publikationstätigkeit63

350 300 250 LN: TJ

200

WL: TJ

150

LN: Peacebuilding & TJ WL: Peacebuilding & T

100

0

1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010

50

Schaubild 5: Publikationshäufigkeit TJ und Peacebuilding 350 300 250 WL: TJ

200

LN: TJ

150

LN: ICrimL & TJ

100

WL: ICrimL & TJ

2010

2009

2008

2007

2006

2005

2004

2002

2003

2001

2000

1999

1998

1997

1996

1995

0

1994

50

Schaubild 6: Publikationshäufigkeit TJ und International Criminal Law

an verbunden. Ab 2003 ist eine stetige Publikationstätigkeit in diesem Bereich zu beobachten. Aus diesen Kurvenverläufen TJ und „International Criminal Law“114 ergeben sich folgende Beobachtungen und Fragen: Was führt zum Verbinden der beiden Begriffe 1996? Warum nicht bereits zu Beginn der Publikationstätigkeit? Von der Bedeutung sind die Verbindungen „TJ und humani114  Beginn der Verbindung beider Begriffe nicht bereits zu Beginn der Publika­ tionstätigkeit, sondern erst 1996. Kurvenverlauf sehr ähnlich. Werte vergleichbar mit denen von „TJ & Humanitarian Law“.

64

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

350 300 250 WL: TJ

200

LN: TJ

150

LN: VR & TJ

100

WL: VR & TJ

50 0

Schaubild 7: Publikationshäufigkeit TJ und Victims’ Rights

täres Völkerrecht“ sowie „TJ und internationales Völkerstrafrecht“ ungefähr gleich stark. Aus den Kurvenverläufen TJ und „victims’ rights“115 ergeben sich folgende Fragen bzw. Beobachtungen: TJ und „victims’ rights“ ist der Kurve von TJ und „peacebuilding“ ähnlich. Es handelt sich hierbei nicht um eine Verbindung, die von Anfang an bestand, sondern erst langsam – nennenswert ab 2001 – begann. 4. Zusammenfassung a) Entwicklungsschritte der Publikationstätigkeit zu TJ Aufgrund der oben gemachten Beobachtungen der Kurvenverläufe werden im Nachfolgenden folgende Phasen unterschieden: Phase  1 (Beginn, 1994 / 95‒2002): Die Publikationstätigkeit beginnt 1994 und steigt dann bis 2002 stetig, beinahe konstant. Phase 2 (konstantes Wachstum mit Wachstumsimpulsen, 2002‒2005): Starkes Ansteigen der Publikationstätigkeit von 2002 bis 2003 (LexisNexis) bzw. ein Jahr verzögert bei Westlaw 2003 auf 2004. Erneutes starkes Anwachsen in einer Kurve 2004 / 2005 (LexisNexis). 115  Beginn der Verbindung beider Begriffe nicht bereits zu Beginn der Publika­ tionstätigkeit, sondern erst 1996. Die Werte halten sich noch unter denen von „TJ & Peacekeeping“. Die beiden Kurven verhalten sich höchst unterschiedlich. Die LexisNexis Kurve bezeichnet bis 2001 kaum Publikationen, 2006 dann unterschiedliches Kurvenverhalten.



III. Zusammenführung65

Phase 3 (unstetes Wachstum mit starken Schwankungen, 2006–2009; starkes Absinken ab 2009): Zwischen 2006 und 2008 kommt es zu unsteten Wachstumsimpulsen (2006–2007; 2008–2009) mit einem starken Absinken ab 2009. b) Publikationstätigkeit zu einzelnen TJ-Instrumenten und TJ Strafverfolgung und TJ sind eng verbunden. In beinahe jeder zweiten Publikation zu TJ ist von Strafverfolgung die Rede. Amnestien, Reparationen und Wahrheitskommissionen spielen eine mittlere Bedeutung in den TJ-Publikationen. Sie kommen jeweils in einem Drittel der Publikationen vor. Lustrationen bilden das Schlusslicht. Diese Thematik spielt in den ­Publikationen die geringste Rolle. Die TJ-Publikationskurve ist der „TJ und Strafverfolgungen“ und – in geringerem Umfang – der „TJ und Reparations“-Publikationskurve am Ähnlichsten. Alle anderen Kurven zeigen Schwankungen auf, die nicht mit der Fluktuation der allgemeinen Publikationstätigkeit im Bereich TJ erklärt werden können. c) Verbindung von TJ zu anderen Spezialgebieten Die Kurven „Menschenrechte“ und „TJ“ sind sich sehr nahe. Hier scheint eine sehr enge Verbindung zu bestehen. In der Bedeutung folgen dann das humanitäre Völkerrecht sowie kurz darauf das internationale Völkerstrafrecht. Hier scheint eine weniger enge, dennoch wichtige Verbindung zu bestehen. Peacebuilding und Opferrechte bilden die Schlusslichter. Hier scheint keine enge Verbindung, dennoch aber Berührungspunkte zu bestehen. Die allgemeine Publikationskurve ist der „TJ und Menschenrechte“-Publikationskurve am Ähnlichsten. Alle anderen Kurven zeigen Schwankungen auf, die nicht auf das Verhalten der allgemeinen Publikationstätigkeit im Bereich TJ zurückzuführen sind, insbesondere ist das Auseinanderfallen von allgemeiner und „TJ und humanitäres Völkerrecht“-Publikationskurve (2005 / 06) hervorzuheben.

III. Zusammenführung Im Folgenden werden die obengenannten Ergebnisse der Auswertung der Literatur sowie der Auswertung der Publikationstätigkeit in zwei Kategorien von Thesen (allgemeine Thesen und Thesen in Bezug auf einzelne Phasen) zusammengeführt, reformuliert und regruppiert:

66

Teil 1: Darstellungen zur Entwicklung von Transitional Justice

1. Allgemeine Thesen These 1: Der Ursprung des Feldes ist auf verschiedene Entwicklungsstränge ‒ sowohl in der Wissenschaft als auch in der Praxis ‒ zurückzuführen, die, als sie zusammengeführt wurden, zur Entstehung des TJ-Diskurses geführt haben. Hierbei wichtige Stränge sind (in absteigender Bedeutung): die Menschenrechte, das Völkerstrafrecht und humanitäres Völkerrecht, Peacebuilding und der Opferrechtsdiskurs. These 2: Für die Entwicklung des Forschungsgebietes TJ waren die Auseinandersetzungen mit Strafverfolgungen, Amnestien und Reparationszahlungen von großer, Wahrheitskommissionen von durchschnittlicher und Lustrationen von geringer Bedeutung. 2. Thesen in Bezug auf einzelne Phasen These 3: Bereits vor der Konstituierung des Forschungsgebietes 1994 formieren sich wichtige Fragestellungen und Diskurse, die die endgültige Entstehung beeinflußt haben. Es dominiert ein retributiver Rechtsdiskurs. Zwei Phasen vor der Konstituierung des Forschungsgebietes Mitte der 1990er Jahre lassen sich unterscheiden: These 3.1: In der Vorphase I ab Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90 sind die prägenden Elemente v. a. die Nürnberger Prozesse und die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung. These 3.2: Das Ende des Kalten Krieges wirkt wie ein Katalysator für die Entwicklung des Feldes TJ. Ab 1990 bis 1994 legen internationale Konferenzen Ende der 1980er / Beginn der 1990er Jahre, die Transitionen in Osteuropa sowie der politikwissenschaftliche Transitionsdiskurs wichtige Weichen für die spätere Konstituierung des Forschungsfeldes. Es dominiert ein retributiver Rechtsdiskurs. These 4: Das Forschungsfeld konstituiert sich 1994 / 1995 durch das Zusammentreffen des Menschenrechtsdiskurses mit dem politikwissenschaft­ lichen Transitionsdiskurs. Die Publikation von Kritz erscheint 1995 und definiert das Forschungsgebiet in seinen Grundzügen. Hierin ist bereits ein interdisziplinäres Forschungsprogramm angelegt, das die spätere Entwicklung beeinflussen soll. Es lassen sich drei Phasen unterscheiden: These 4.1: Konstituierung des Feldes (1995‒2002) Der (retributive) Rechtsdiskurs öffnet sich und das Forschungsgebiet übernimmt in zunehmendem Maße Fragestellungen und Begriffe aus anderen Disziplinen.



III. Zusammenführung67

Inhaltlich ist diese Phase bis 1999 v. a. von der Diskussion um Strafverfolgung und Amnestiegesetze sowie dem Gebiet der Menschenrechte geprägt. Reparationen spielen eine untergeordnete Rolle. Gegen 1998 treten Amnestiegesetze relativ gesehen in den Hintergrund gegenüber Strafverfolgungen. Wahrheitskommissionen werden v. a. im Zusammenhang mit Südafrika und Lustrationsgesetze v. a. im Zusammenhang mit den Transitionen in Osteuropa diskutiert. Es kommt ein Diskurs des „Nebeneinanderstellens von Wahrheit und Gerechtigkeit“ sowie des „Eintauschens von Gerechtigkeit für Frieden“ auf. Lokale, alternative Ansätze zu Strafverfolgungen geraten in den Fokus der Aufmerksamkeit und Nationbuildung wird zu einem Thema. Das Jahr 2000 wird aufgrund vieler unterschiedlicher Ereignisse zu einem prägenden Jahr für TJ. Ab 2001 treten auch Peacekeeping, die Opferrechte und das Völkerstrafrecht in den Vordergrund. These 4.2: A  usdifferentialisierung und kritische Repositionierung (2003‒2005) In dieser Phase des konstanten Wachstums kann eine inhaltliche Aus­ weitung des Forschungsgebietes beobachtet werden und es kommt zu zwei wichtigen Wachstumsimpulsen: 2002 / 2003 (bzw. 2003 / 2004) und 2004 / 2005. Ab 2005 kommt es zu einem starken Abnehmen der Bedeutung von humanitärem Völkerecht, aber zu einem Zunehmen der Bedeutung von Völkerstrafrecht für die Entwicklung des Feldes. Inhaltlich steigt insbesondere ab 2004 / 2005 das Interesse an Strafverfolgungen. Die Publikationstätigkeit bleibt konstant – Wahrheitskommissionen scheinen nicht mehr als Strafverfolgungen ausschließend wahrgenommen zu werden. Ebenfalls ab 2004 / 2005 kommt es zu einem zunehmenden Interesse an Lustrationsmaßnahmen. These 4.3: P  hase der kritischen Infragestellung und Krise (2006‒2010) Diese Phase zeichnet sich durch ein unstetes Wachstum des Forschungsgebietes aus. Am Ende ist aber ein Wachstumsimpuls (2008 / 2009) zu verzeichnen, insbesondere der Menschenrechte und TJ. Ab 2009 kommt es dann zu einer „Krise“ von TJ, die sich insbesondere durch ein starkes Einstürzen der Kurve der Publikationshäufigkeit bemerkbar macht.

Teil 2

Mapping des Transitional Justice-Diskurses Im Folgenden wird eine Augenblicksaufnahme des TJ-Diskurses Ende 2010 angefertigt. Hierzu wird ein Mapping1 des TJ-Forschungsgebietes vorgenommen und dieses in Bezug auf andere Forschungs- und Praxisbereiche, die sich mit Fragen der Gerechtigkeit in Postkonfliktgesellschaften beschäftigen, eingeordnet. Der Begriff wird definiert und abgegrenzt, unterschiedliche disziplinäre Ansätze erläutert, das Forschungsgebiet und dessen Akteure identifiziert.2

I. Der Begriff Der Begriff TJ verknüpft durch seine beiden Elemente den Systemwechsel (transition) mit der Gerechtigkeit bzw. dem Recht (justice).3 Diese Verknüpfung beider Elemente ist das eigentliche Novum, um die TJ den wissenschaftlichen Diskurs bereichert hat. 1. „Transitional“ „Transitional“ kommt vom lateinischen „transitiōn-em“, dem Substantiv des Verbes „transīre“.4„Transīre“ setzt sich wiederum aus „trans“ (über) und „īre“ (gehen) zusammen. 1  Unter dem „Mapping“ eines Forschungsbereiches versteht man eine räumliche bzw. graphische Darstellung der Felder und Disziplinen, sowie − auf einer niedrigeren Ebene  − der individuellen Publikationen und Aufsätze sowie Wissenschaftler und deren Beziehung zum Feld (Rip, in: Moed u. a. (Hrsg.), Handbook of Quantitative Studies of Science and Technology, S. 254). 2  Vgl. auch: „One the central questions for understanding and defining transitional justice was the question of ownership: who is in the driving seat? Whose definition is being used in specific contexts? Who says that transitional justice processes or certain mechanisms are important in order to move forward, and what are the underlying interests? Who decides on the region of applicability? […] What power relationships decide on definition and applicability?“ (Servaes/Zupa, New Horizons, S. 16.) 3  Ranft, Verspätete Wahrheitskommissionen, S. 19. 4  „Transition“ in: OUP, Oxford English Dictionary, § 1.



I. Der Begriff69

Durch das Präfix „trans“ wird das Prozesshafte beschrieben – im Gegensatz zur statistischen Perspektive.5 Während ein Teil der Definitionen, die im Oxford English Dictionary aufgeführt werden, lediglich wertneutral den Übergang in eine nächste Phase beschreiben, kann man anderen den Aspekt der Entwicklung entnehmen.6 Dabei ist zu beachten, dass eine Entwicklung das Erreichen einer qualitativ neuen Stufe anzeigt, ob im Negativen oder im Positiven. Die überwiegende Meinung erklärt die Verwendung des Begriffes „transitional“ mit der Übernahme des Begriffes der „Transition“ aus der politikwissenschaftlichen System- und Transformationsforschung.7 Dieser hat sich aus der Beschäftigung mit Systemtransformationen entwickelt, v. a. aus der Analyse der Demokratisierungen in Lateinamerika und Ost- und Südeuropa.8 Neben der „Transition“ werden „Systemwandel“, „Systemwechsel“ und „Transformation“ unterschieden, wobei letzteres den Oberbegriff für alle anderen Begriffe darstellt.9 Dabei geht der Begriff der „Transition“ auf die konzeptuellen Arbeiten von Guillermo O’Donnell, Schmitter und Whitehead in den 1970er und 80er Jahren zurück10 und bezeichnet heute den Übergang von autokratischen zu demokratischen Systemen.11 Ursprünglich wurde der Begriff jedoch im Sinne von „transitions from certain authoritarian regimes towards an uncertain ‚something else‘ “12 gebraucht. Dabei wurde von O’Donnell und 5  Hanschmann,

in: Buckel u. a. (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, S. 385. or pertaining to transition; characterized by or involving transition; intermediate.“ („transitional“ in: OUP, Oxford English Dictionary) bzw. „a passing or passage from one condition, action, or (rarely) place, to another; change“ und „[t] he passage from an earlier to a later stage of development or formation“ („transition“ in: ebd., § 4). 7  Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 69. 8  Merkel, Systemtransformation, S. 70. 9  Von einem „Systemwandel“ wird gesprochen, wenn sich Herrschaftszugang, -struktur, und -anspruch wesentlich geändert haben. Systemwandel sind in der Regel evolutionäre Prozesse, die nicht abrupt verlaufen. Von einem „Systemwechsel“ wird gesprochen, wenn der Transformationsprozess definitiv zu einem anderem Systemtypus führt, d. h. wenn sich Herrschaftszugang, -struktur, -anspruch und -weise eines Systems grundsätzlich verändert haben. Der Begriff der „Systemtransformation“ umschließt Regimewandel und -wechsel, Systemwandel und -wechsel sowie Transition (ebd., S. 74 ff.). 10  Am Anfang der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema Transition stand das Lateinamerika-Programm des Woodrow Wilson International Center for Scholars of the Smithsonian Institution, das zwischen 1979 und 1981 Wissenschaftler aus den USA, Europa und Lateinamerika in einer Arbeitsgruppe vereinte (O’Donnell/Schmitter, Transitions from Authoritarian Rule, S. 5). 11  Merkel, Systemtransformation, S. 105. 12  O’Donnell/Schmitter, Transitions from Authoritarian Rule, S. 3. 6  „Of

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Schmitter ausdrücklich betont, dass die Transition durchaus zu einem neuen autoritären Regime führen könne. Ihren Arbeiten war jedoch die Präferenz für Demokratie inne. Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass der Begriff der „Transition“ aufgrund seiner wörtlichen Bedeutung noch keine Aussage über die Qualität des Übergangs beinhaltet. Durch die Übernahme des politikwissenschaftlichen Begriffes erhielt „Transition“ jedoch die Bedeutung von Demokratisierung (später auch Liberalisierung) eines politischen Systems. 2. „Justice“ Der Begriff „justice“ ist Leitvorstellung des Rechts und Grundbegriff der Philosophie.13 Er kann nicht nur mit „Gerechtigkeit“, sondern z. B. auch mit „Rechtspflege“ übersetzt werden.14 „Justice“ leitet sich vom Lateinischen „jūstitia“ sowie „jūstus“ ab. Die unterschiedlichen, im Oxford English Dictionary aufgeführten Verwendungen des Begriffes15 zeigen die Vielschichtigkeit des Gebrauchs des Begriffes im Alltag, die bereits Aristoteles festzustellen und zu typologisieren versuchte.16 Im TJ-Kontext sind Debatten um Gerechtigkeit in der Regel in Dichotomien (z. B. retributive vs. restaurative Gerechtigkeit) formuliert, die sich auszuschließen scheinen.17 Um sich dem Gerechtigkeitsbegriff von TJ zu nähern, werden im Folgenden die klassischen Gerechtigkeitsbegriffe (basierend auf der Gerechtigkeitstypologie Aristoteles) überblicksartig dargestellt und mit den TJ-Gerechtigkeitsbegriffen verglichen.18

13  Mahlmann,

Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, S. 283. Internationales Rechtswörterbuch, S. 77. 15  Z. B. „I. The quality of being just. […] II. Judicial administration of law or equity. […] III. An administrator of justice. …“ („justice“, in: OUP, Oxford English Dictionary.) 16  Aristoteles (Übers. Rolfes), Nikomachische Ethik, Buch V, Kapitel 2 (1128b). 17  Vgl. z. B. Mani, Beyond Retribution, S.  33–36; Méndez, in: Mac Adams (Hrsg.), Rule of Law in New Democracies, S. 1, 6. 18  Vgl. auch die Darstellung bei Dreier, in: Grimm (Hrsg.), Einführung in das Recht, S.  95 ff. 14  Lindbergh,



I. Der Begriff71

a) Gerechtigkeitstypologie: klassische Typologie und TJ-Verständnis aa) Das formale Gerechtigkeitsverständnis oder die Verfahrensgerechtigkeit Nach formalem Verständnis sind Handlungen gerecht, wenn sie den geltenden gesetzlichen oder moralischen Normen und Konventionen entsprechen.19 Rawls versteht unter formaler Gerechtigkeit beispielsweise, dass „die Gesetze und Institutionen in gleicher Weise auf die Angehörigen der von ihnen definierten Klassen anzuwenden sind“.20 Das Postulat der formalen Gerechtigkeit macht per se keine Aussagen über den Inhalt der angewendeten Regeln bzw. der Gesetze und ist daher mit unterschiedlichen materiellen Vorstellungen von Gerechtigkeit vereinbar.21 Es wird vertreten, dass v. a. zu Beginn der Entwicklung des Forschungsfeldes von TJ der Diskurs vom formalen Gerechtigkeitsverständnis beherrscht worden sei. Hiernach wurde TJ als Anomalie des formalen Gerechtigkeitsverständnisses zu stabilen Zeiten aufgefasst.22 bb) Das materielle Gerechtigkeitsverständnis Das materielle Gerechtigkeitsverständnis bezeichnet die Regeln zwischenmenschlichen Handelns und damit die eigentlichen Richtlinien gerechten Handelns.23 Viele Forderungen werden unter diese materielle Gerechtigkeit gruppiert, von denen die meisten umstritten sind; es können aber jedenfalls die ausgleichende, distributive und politische Gerechtigkeit unterschieden werden.24

19  von

Kutschera, Grundlagen der Ethik, S. 183. (Übers. Vetter), Eine Theorie der Gerechtigkeit, S. 79. 21  Koller, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1992, S. 82. 22  So Cockayne, Operation Helpem Fren, S. 10. 23  Koller, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1992, S. 82. 24  Diese Darstellung folgt der Aufteilung in Aristoteles (Übers. Rolfes), Nikomachische Ethik, Buch V Kapitel 5 (1131a f.). Aristoteles’ Unterscheidung innerhalb des Gerechtigkeitsbegriffes erweist sich bis heute als grundlegend und sachgerecht (Höffe, Gerechtigkeit, S. 22). Es wird in der Literatur angemerkt, dass sich dieser Gerechtigkeitsbegriff bei Aristoteles nur auf den Ausgleich zwischen Individuen, nicht aber zwischen Individuum und Staat bezieht, dennoch aber als Ausgangspunkt für eine dahingehende Überlegung dienen kann (Shelton, Remedies, S. 39). 20  Rawls

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

(1) D  ie ausgleichende Gerechtigkeit: Tauschgerechtigkeit und korrektive Gerechtigkeit (restitutiv und retributiv) Die ausgleichende Gerechtigkeit (iustitia commutativa) gliedert sich in die Tauschgerechtigkeit25 sowie die korrektive Gerechtigkeit (iustitia correctiva). Nach der ausgleichenden Gerechtigkeit sind allgemein solche Zustände gerecht, in denen eine tatsächlich quantitativ gleiche Güterverteilung unter den Individuen ohne Beachtung von Verteilungskriterien (wie Leistung, Verdienst etc.) herrscht. Es gilt das Prinzip der Äquivalenz. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Täter oder das Opfer „gut“ oder „schlecht“ ist; allein die Größe des Schadens bzw. des erlittenen Nachteils ist ausschlaggebend.26 Die korrektive Gerechtigkeit (iustitia correctiva) ist die Berichtigung begangenen Unrechts. Sie lässt sich wiederum unterteilen in die Wiedergutmachung von Schäden27 (restitutive Gerechtigkeit) und die Bestrafung gravierender Verletzungen sozialer Regeln (retributive Gerechtigkeit oder Strafgerechtigkeit).28 Nach Aristoteles findet diese Art der Gerechtigkeit u. a. im Strafrecht Anwendung.29 Im Strafrecht gilt nach dieser Einteilung daher grundsätzlich das arithmetische Prinzip, d. h. dem Täter wird der durch die Tat erlangte „Gewinn“ entzogen bzw. der Täter wird für die Straftat entsprechend bestraft.30 25  Die Tauschgerechtigkeit ist nicht von Bedeutung für die hier vorliegende Frage. 26  Trude, Der Begriff der Gerechtigkeit, S. 98 f. 27  Wiedergutmachung ist hier noch nicht im völkerrechtlichen Sinne zu verstehen. Unter Wiedergutmachung werden im Völkerrecht allgemein die Herstellung der Situation, die bestehen würde, wenn sich der Völkerrechtsverstoß nicht ereignet hätte („restitutio in integrum“), die Zahlung einer Entschädigung („compensation“ bzw. „reparation by equivalent“) und die Genugtuung („satisfaction“) verstanden. Im Allgemeinen soll die Entschädigung materielle Schäden ausgleichen, während die Genugtuung für immaterielle Schäden gedacht ist bzw. punitive Funktion hat (Traßl, Wiedergumachung von Menschenrechtsverletzungen, S. 15). 28  Koller, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1992, S. 83; Wood, Scandinavian Studies in Law 48 (2005), S. 541–582; Weinrib, in: Brooks/Murphy (Hrsg.), Aristotle and modern law, S. 445 ff. 29  Trude, Begriff der Gerechtigkeit, S. 99 f. 30  Aristoteles erläutert auch den Begriff der Wiedervergeltung, den er von der austeilenden sowie der ausgleichenden Gerechtigkeit abgrenzt (Aristoteles (Übers. Rolfes), Nikomachische Ethik, Buch V Kapitel 8 (1133a)). Aristoteles will hier qualitative Unterschiede berücksichtig wissen, die das Prinzip „Gleich gegen Gleich“ abwandeln: So gibt er z. B. das Beispiel der Ohrfeige durch einen Beamten, die nicht durch Gleiches vergolten werden solle. Wichtig soll hier die Orientierung an der Gleichwertigkeit der Handlungen und nicht, wie beim Talionsprinzip, an der Gleichartigkeit von Verletzung und Wiederverletzung sein. Die Wiedervergeltung sei be-



I. Der Begriff73

Im Kontext von TJ wird die sog. Rectificatory Justice diskutiert, die sich mit Ungerechtigkeiten im Sinne von direkter physischer Gewalt während eines Konfliktes beschäftigen soll.31 Als angloamerikanischer Rechtsbegriff bezeichnet Rectificatory Justice jedoch nichts anderes als den Begriff der korrektiven Gerechtigkeit.32 (a) Restitutive Gerechtigkeit Das Ziel der restitutiven Gerechtigkeit ist es, den vor den Rechtsverletzungen bestehenden Zustand wiederherzustellen.33 Eng hiermit im Zusammenhang steht der „restaurative“ Gerechtigkeitsbegriff des TJ-Diskurses (Restorative Justice)34. Für einige Autoren hat sich dieser Ansatz bereits zum Schlüsselkonzept von TJ entwickelt, wurde aber unabhängig und zeitlich vor TJ für den nationalen Strafkontext entwickelt.35 Im Zusammenhang mit TJ wird unter restaurativer Gerechtigkeit die Wiederherstellung des Zustandes vor Eintritt des schädigenden Ereignisses verstanden, die sich darauf konzentriert, den Schaden sowie die Beziehungen zwischen Opfer-Täter bzw. der Gesellschaft zu reparieren.36 Die restaurative Gerechtigkeit wird oft als eine Art der Konfliktbearbeitung verstanden, die sowohl die Würde des Opfers als auch die Würde des Täters durch dessen Reintegration in die Gesellschaft wiederherstellen will.37 Es geht um reits in der austeilenden Gerechtigkeit enthalten und bedürfe keiner gesonderten Behandlung (Ebert, in: Küper u. a. (Hrsg.), FS für Karl Lackner, S. 414; Höffe, Gerechtigkeit, S. 24; Trude, Begriff der Gerechtigkeit, S. 104). 31  Mani, Beyond Retribution, S. 7. 32  Vgl. Sparshott, Taking Life Seriously, S. 171. 33  Pavcnik, in: Soeteman (Hrsg.), Pluralism and Law, S. 29. 34  Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 88  f.; Kiss, in: Rotberg/ Thompson, Truth v. Justice, S. 71 f.; Eisnaugle, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), S. 212 f. 35  „Restorative justice, conceived as an intellectual tradition or as an approach to political practice, involves radical transformation. On this radical view restorative justice is not simply a way of reforming the criminal justice system, it is a way of transforming the entire legal system, our family lives, our conduct in the workplace, our practice of politics.“ (Braithwaite, in: von Hirsch/Roberts/Bottoms (Hrsg.), Restorative Justice and Criminal Justice, S. 1.) Vgl. allgemein: Galaway/Hudson ­ (Hrsg.), Restorative Justice, S. 2; Pavlich, in: Johnstone (Hrsg.), Restorative Justice and the Law, S. 1; Walgrave, in: von Hirsch u. a. (Hrsg.), Restorative Justice & Criminal Justice, S. 61; „justice“, in: Honderich (Hrsg.), The Oxford Companion to Philosophy. 36  Eisnaugle, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), S. 212 f. 37  Walgrave, in: von Hirsch u. a. (Hrsg.), Restorative Justice & Criminal Justice, S. 67.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

individuelle und gesamtgesellschaftliche „Versöhnung“.38 Als Beispiel für einen solchen Ansatz wird die südafrikanische Wahrheits- und Versöhnungskommission genannt.39 Die in der TJ-Literatur oft zu findende Dichotomie „retributiv vs. restaurativ“40 erscheint unpassend, da sich beide Gerechtigkeitsbegriffe schon in der Typologie als – sich ergänzende – Unterfälle der korrektiven Gerechtigkeit finden. Es handelt sich daher weniger um einen Widerspruch als um Komplementarität. Getrennt von dieser Diskussion wird der Begriff der sog. reparativen Gerechtigkeit41 im TJ-Diskurs verwendet, der Reparationen, Schadensersatz, Rechtsmittel und Wiederherstellung umfassen soll.42 Hierbei handelt es sich um finanzielle Wiedergutmachung, wobei die Reparationszahlungen keinen punitiven Charakter haben sollen, sondern vielmehr für die Verletzung der Menschenwürde entschädigen sollen.43 Damit steht er dem restaurativen Gerechtigkeitsbegriff nahe. Reparative Gerechtigkeit wird v. a. im Zusammenhang mit den (Empfehlungen von) Wahrheitskommissionen diskutiert. (b) Strafgerechtigkeit (retributive Gerechtigkeit) Die für die TJ-Problematik zentral diskutierten Thematiken (Strafzweck von Strafprozessen, Selektivität der Anklage, Verhältnismäßigkeit der Strafe, Amnestien etc.) lassen sich vor dem Hintergrund der traditionell für den nationalen Kontext diskutierten Fragen der Strafgerechtigkeit einordnen: Warum soll bestraft werden? Wer soll bestraft werden? Wie soll bestraft werden?44 Eine einleitende Bemerkung zur Verwendung von „retributiv“ muss hier vorausgeschickt werden: In der TJ-Literatur wird „retributiv“ oftmals 38  Vgl. z. B. Sierra Leonean Truth and Reconciliation Commission, Report, Vol. 3b, Kap.7, § 12. 39  Rotberg, in: Rotberg/Thompson (Hrsg.), Truth v. Justice, S. 1, 6. 40  Vgl. z. B. Eisnaugle, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), S.  212 f. 41  Vgl. statt vieler: Walker, What is reparative justice? 42  Teitel, Transitional Justice, S. 119. 43  Ebd., S. 127, 218. 44  Von manchen Autoren wird die Einschränkung gemacht, dass diese für den nationalen Kontext entwickelten Thesen und Argumente nicht ohne Weiteres auf den Kontext von schweren und massiven Menschenrechtsverletzungen übertragen werden können (vgl. Bommer, in: Münk (Hrsg.), Die Vereinten Nationen sechs Jahrzehnte nach ihrer Gründung, S. 48; Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 40 Rn. 94, Fn.  182 m. w. N.).



I. Der Begriff75

gleichbedeutend mit der deontologischen bzw. absoluten Straftheorie verwandt.45 (aa) Warum ist zu bestrafen? Bei der Frage nach der Rechtfertigung der Bestrafung von Tätern auch in TJ kann man klar zwischen deontologischen und utilitaristischen Perspektiven bzw. absoluten und relativen Straftheorien unterscheiden.46 Diese zwei Pole können mit den Stichworten „Rechtsbruch bzw. Vergeltung“ vs. „Gefahr bzw. Prävention“ beschrieben werden.47 α) Die absolute bzw. deontologische Straftheorie (Rechtsbruch / Vergeltung) Die Vertreter der absoluten Straftheorie oder Vergeltungstheorie sehen die Strafe als „ausgleichende Wiederherstellung der durch das Verbrechen verletzten Geltungsallgemeinheit des Rechts“48, als „Negation der Negation des Rechts“49 bzw. die Vergeltung als Antwort des Rechts auf das begangene Unrecht an.50 Es gilt der Grundsatz „punitur quia peccatum est“.51 Ein zentrales Argument der absoluten Straftheorie ist, dass die Berücksichtigung von Nützlichkeitszwecken der Würde des Menschen widersprechen würde, „denn der Mensch kann nie bloß als Mittel zu den Absichten eines anderen gehandhabt“52 werden. Retributivisten werden eine Bestrafung fordern, weil der Täter diese „verdiene“, obwohl eine solche möglicherweise katastrophale Folgen für die Gesellschaft (z. B. durch einen er45  Vgl. statt vieler: Rotberg/Thompson, Truth v. Justice. The Morality of Truth Commissions (der retributive Gerechtigkeit im Sinne von Strafverfolgung der restaurativen Gerechtigkeit im Sinne von Wahrheitskommissionen entgegensetzt). 46  Die Debatte „deontologischer bzw. retributiver vs. utilitaristischer“ Strafansatz zeichnet eher die Diskussion in der angloamerikanischen (Straf-)Rechtswissenschaft nach, die Debatte „absolute vs. relative“ Straftheorien sowie Vereinigungstheorie die Diskussion in der deutschen (Straf-)Rechtswissenschaft. Beide Diskurse sind nicht vollständig deckungsgleich aber ähnlich (vgl. für die angloamerikanische Diskussion statt vieler: Walker, Why punish?, S. 6 ff.; sowie für das deutsche (Straf-)Recht: Jakobs, Staatliche Strafe); keinen Unterschied machend: Stuckenberg, Vorstudien zum Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 487 ff.). 47  Sinn, in: Rosenau/Kim (Hrsg.), Straftheorie und Strafgerechtigkeit, S. 123. 48  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 43. 49  Vgl. Roxin, Strafrecht AT I, S. 42. 50  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 19. 51  Höffe, Gerechtigkeit, S. 81. 52  Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 226.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

neuten Ausbruch von Unruhen) hätte.53 Beispielhaft für die absolute Straftheorie ist das Inselbeispiel von Kant54, in dem er argumentiert, dass Strafe prinzipiell notwendig sei, auch wenn sie keinerlei präventive Wirkung mehr entfalten könne.55 Vor diesem Hintergrund stehen Retributivisten daher (zur Strafjustiz alternativen) TJ-Mechanismen wie Wahrheitskommissionen ablehnend gegenüber.56 Ein Strafprozess wird als notwendig erachtet, da Gerechtigkeit nur durch Strafjustiz hergestellt werden könne.57 β) Relative bzw. utilitaristische Straftheorien (Gefahr / Prävention) Autoren, die der utilitaristischen Schule folgen, werden sich fragen, ob die einzelne Bestrafung an sich (und insbesondere die Bestrafung des Täters) das Gesamtwohl der Gesellschaft steigern werde. Utilitaristische Straftheorien sind Präventionstheorien (punitur ne peccetur).58 Die Grundorientierung der Utilitaristen ist damit – im Gegenteil zu den Vergeltungstheorien – eine zukunftsgewandte.59 Amnestien und Verjährungsregeln können als sozialnützliche Zuteilung von Rechtsfrieden gerechtfertigt werden.60 Nach den Vertretern der relativen Straftheorien wird bestraft, um zu verhindern, dass neue Verbrechen in der Zukunft begangen werden (Präven­ tion). Des Weiteren wird danach unterschieden, auf welche Ebene die Prävention abzielt, d. h. Einwirkung auf die Allgemeinheit (Generalprävention) und Einwirkung auf den Täter (Spezialprävention).61 Gemäß der Theorie der Generalprävention soll die Strafe die Allgemeinheit von weiteren Taten durch Abschreckung (negative Generalprävention, Deterrence) bzw. durch die Bestätigung der Normgeltung (positive General53  Walker,

Why punish?, S. 6 ff. wenn sich die bürgerliche Gesellschaft mit aller Glieder Einstimmung auflösete (z. B. das eine Inselbewohnende Volk beschlösse auseinander zu gehen und sich in alle Welt zu zerstreuen), müßte der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Thaten werth sind, und die Blutschuld nicht auf dem Volke hafte, das auf diese Bestrafung nicht gedrungen hat: weil es als Theilnehmer an dieser öffentlichen Verletzung der Gerechtigkeit betrachtet werden kann.“ (Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 229.) 55  Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 257. 56  Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 84. 57  Crocker, in: Rotberg (Hrsg.), Truth v. Justice, S. 99. 58  Reuter, in: Frey u. a. (Hrsg.), Gerechtigkeit, S. 260. 59  Höffe, Gerechtigkeit, S. 81; Reuter, in: Frey u. a. (Hrsg.), Gerechtigkeit, S. 260. 60  Montenbruck, Strafrechtsphilosophie, Rn. 467. 61  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 18. 54  „Selbst



I. Der Begriff77

prävention) abhalten. Die Bestätigung der Normgeltung erfolge nicht um ihrer selbst willen, sondern um Verhaltenssicherheit zu bieten und damit das Fundament für das gesellschaftliche Zusammenleben zu legen.62 Der „Vertrauenseffekt“ setze ein, wenn die Gesellschaft sehe, dass das Recht sich durchsetze; der „Befriedungseffekt“, wenn das aufgerührte allgemeine Rechtsbewusstsein über den Rechtsbruch zu Ruhe käme.63 Im TJ-Kontext wird die (negative) Generalprävention sehr kritisch diskutiert, da eindeutige empirische Belege für die Abschreckungswirkung von internationalen Strafprozessen sowohl für den internationalen als auch den nationalen Kontext bisher nicht gefunden werden konnten.64 Die Theorie der Spezialprävention (Special Deterrence, Reformation, Rehabilitation, Incapacitation65) setzt dagegen auf der Ebene des Täters an: Durch die Strafe soll dieser von der weiteren Begehung von Taten abgehalten werden.66 Eine Bestrafung ist nach dieser Ansicht nicht gefordert, wenn die negativen Konsequenzen die positiven überwiegen würden. Im TJ-Kontext wird die Spezialprävention ebenfalls eher kritisch diskutiert: Würden sich die Umstände nicht wiederholen (z. B. Völkermord in Ruanda), so würde, so das Argument, vom ehemaligen Genocidaire keine Gefahr mehr für seine Mitmenschen ausgehen (der Genocidaire als rational cost-benefit actor67). γ) Vergeltende und präventive Vereinigungstheorie Die vergeltenden Vereinigungstheorien sehen Vergeltung, Spezial- und Generalprävention zusammen als Strafzwecke. Ursprünglich wurde der Vergeltungszweck als dominierend angesehen, in neueren Ansätzen sind die Zwecke jedoch gleichrangig.68 In der sog. Transitional Jurisprudence-Theorie69 kann eine Variante der präventiven Vereinigungstheorie gesehen werden: Sie geht davon aus, dass 62  Ebd.,

S. 23. Strafrecht AT, § 3 Rn. 27. 64  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 24. 65  Stuckenberg, Vorstudien zum Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 493. 66  von Liszt unterscheiden drei unterschiedliche Kategorien: Besserung (der besserungsfähigen und besserungsbedürftigen Täter), Abschreckung (der nicht besserungsbedürftigen Täter), Unschädlichmachung (der nicht besserungsfähigen Verbrecher) (von Liszt, in: ders., Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge Bd. 1, S. 167 ff.). 67  Vgl. statt vieler: Chuter, War Crimes, S. 272; Mennecke, Human Rights Review 8 (2007), S. 319 ff. 68  Roxin, Strafrecht AT I, S. 53. 69  Im Einzelnen zur Transitional Jurisprudence-Theorie Teitels: vgl. Teil 3, A. III. 3. b). 63  Roxin,

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

sich die Funktion der Bestrafung von Individuen in Transitionsgesellschaften von der Funktion in stabilen Gesellschaften unterscheide. Retributives und restitutives Gerechtigkeitsverständnis würden sich in der Übergangsphase vermischen und sich auf den Punkt der Transition beziehen.70 Die Transition werde dann Rechtfertigungsgrund für Strafverfolgung (oder eben für das Absehen hiervon), Richtlinie der Auswahl der Anzuklagenden und ausschlaggebend für das Strafmaß.71 Beide Ansätze verbindet sie mit dem Kriterium der Symbolträchtigkeit und dessen Bedeutung für die Etablierung einer gewissen historischen Narrative.72 Die Theorie vereint damit die Befriedigung des Vergeltungswunsches innerhalb der Bevölkerung mit general- und spezialpräventiven Erwägungen und der notwendigen Bestrafung des Verbrechens aufgrund des intrinsischen Unwerts. Sie gibt utilitaristischen Gesichtspunkten den Vorzug und kann im Extremfall auch Schauprozesse rechtfertigen. δ) Strafzweck nach internationalem Völkerstrafrecht Aufgrund der praktischen Relevanz des internationalen Völkerstrafrechts für das TJ-Feld wird auch der von den internationalen Strafgerichten verfolgte Strafzweck im Überblick kurz dargestellt.73 Im internationalen Strafrecht zählt Retribution neben Generalprävention zu den wichtigsten Strafzwecken.74 So führt im Fall Stakić die Berufungskammer des ICTY aus: „[..T]he two main purposes of sentencing are deterrence and retribution.“75 Ob ein Schuldausgleich bei den in Rede stehenden Men70  „The transitional criminal form is instead informed by values related to the distinctive circumstances and project of political passage.“ (Teitel, Transitional Justice, S. 72.) 71  Mani, Beyond Retribution, S. 216 f. 72  Teitel, Transitional Justice, S. 49. 73  Dieser bezieht sich allerdings auf den Bereich der Strafverfolgungen im internationalen Kontext, d. h. durch internationale Straftribunale und -gerichte sowie sog. internationalisierte Strafgerichte (Werle, Völkerstrafrecht, S. 275). Vgl. allgemein zum Strafzweck im Völkerstrafrecht: Konle, Makrokriminalität im Rahmen der jugoslawischen Sezessionskriege, S. 49–62. 74  Drumbl, Atrocity, Punishment, and International Law, S. 61. 75  Fall Nr. IT-97-24-A, § 403 (ICTY Berufungskammer, 22. März 2006). Vgl. auch: „The penalities imposed on accused persons found guilty by the Panel are intended, on the one hand, as retribution against the said accused, whose crimes must be seen to be punished (punitar quia peccatur). They are also intended to act as deterrence; namely, to dissuade forever, others who may be tempted in the future to perpetrate such atrocities by showing them that the international community shall not tolerate such serious violations of law and human rights (punitur ne peccetur).“ (Prosecutor v. Marqués u. a., Fall Nr. 09/2000, § 979 (11.  Dezember 2001).)



I. Der Begriff79

schenrechtsverbrechen überhaupt möglich sein kann, ist strittig.76 Neben der negativen Generalprävention des Völkerstrafrechts, deren Wirkung, wie schon erwähnt, bestritten ist, wird auch die positive Generalprävention betont.77 Unter positiver Generalprävention wird hier die „Bekräftigung des internationalen Normbewusstseins“78 mit dem Ziel „der Menschheit zum Bewusstsein zu bringen, daß das Völkerrecht Recht ist und auch schließlich gegenüber dem Rechtsbrecher durchgesetzt wird“79 hervorgehoben. Auch die Anerkennungs- und Wahrheitsfunktion des Verfahrens80 bzw. die Individualisierung des Schuldvorwurfs81 wird als wichtiger Beitrag des Strafverfahrens in Bezug auf die gesamtgesellschaftliche Situation gesehen.82 (bb) Wer ist zu bestrafen? Im TJ-Kontext findet sich häufig die Diskussion, wer zu bestrafen ist und wen man „davonkommen“ lassen kann.83 Folgt man der absoluten Straftheorie so sind grundsätzlich alle Täter zu bestrafen – ohne Rücksicht auf deren Anzahl.84 Da die absolute Straftheorie den Ausgleich einer schuldhaft begangenen Rechtsverletzung fordert, ist Schuld jedoch notwendige Voraussetzung einer Strafverfolgung.85 In der TJ-Literatur wird teilweise eine Minderung des Strafmaßes, z. B. für Täter der unteren Ränge diskutiert, da hier der Schuldvorwurf gemindert sei.86 Insbesondere von Interesse für die vorliegende Untersuchung ist, dass Kant den Fall eines staatlichen Notstands (casus necessitatis) vorsieht, der 76  Dafür: Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 41, Rn. 95; dagegen z. B. Jäger, in: Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, S. 325 ff.; Lagodny, ZStW 113 (2001), S. 800 ff. 77  Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 42, Rn. 96. 78  Ebd. 79  Jeschek, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach dem Völkerstrafrecht, S. 195. 80  Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 43, Rn. 97; Marxen/Werle, Die strafrechtliche Aufarbeitung von DDR-Unrecht, S. 284. 81  Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 43, Rn. 98; Reese, Großverbrechen und kriminologische Konzepte, S. 283 ff. 82  Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 43, Rn. 98. 83  Vgl. statt vieler: Zalaquett, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 25 ff. 84  „So viel also der Mörder sind, die den Mord verübt, oder auch befohlen, oder dazu mitgewirkt haben, so viele müssen auch den Tod leiden; so will es die Gerechtigkeit als Idee der richterlichen Gewalt nach allgemeinen, a priori begründeten Gesetzen.“ (Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 231.) 85  Sinn, in: Rosenau/Kim (Hrsg.), Straftheorie und Strafgerechtigkeit, S. 123. 86  Vgl. statt vieler: Teitel, Transitional Justice, S. 44 ff.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

den Souverän dann von seiner Strafpflicht befreit, wenn sich so viele Bürger einer Tötung schuldig gemacht hätten, dass der Staat beinahe alle Untertanen bestrafen müsste, allerdings noch nicht bis zu dem Maße, dass er sich auflöse.87 Die absolute Straftheorie sieht daher sowohl bei der Milderung des Strafmaßes als auch bei der Frage des Bestehens der Strafpflicht des Staates Figuren vor, die im TJ-Feld angewandt werden könnten. Die relative bzw. utilitaristische Straftheorie macht dagegen im Grundsatz keine klaren Vorgaben, wer zu bestrafen ist: Gemäß dem sog. Handlungs­ utilitarismus kann die Verurteilung eines Unschuldigen das allgemeine Wohl fördern, wenn hierdurch „das gesamtgesellschaftliche Sicherheitsgefühl und damit das gesellschaftliche Glück“88 gesteigert werde. Gegen ein solches Argument wird ein Regelutilitarist vorbringen, dass es zweifelhaft sei, ob die Bestrafung Unschuldiger tatsächlich mehr Glück als Unglück erzeugen würde.89 Die Theorien der Generalprävention rechtfertigten die Strafe lediglich im Interesse der Gesellschaft, nicht aber im Interesse des einzelnen Täters.90 Die Transitional Jurisprudence-Theorie vertritt, dass die Begrenzung der Strafverfolgung auf einseitige, symbolische Prozesse ein kontrollierbares Instrument für den Wechsel darstelle. Limited Criminal Sanctions gegen eine kleine Gruppe ausgewählter Beschuldigter – in der Regel der Führungselite des alten Regimes – würden in der Regel zwar zu keiner oder geringer Strafe führen und die Prozesse seien verkürzt und parteiisch, diese Selektivität sei aber im Kontext einer Transition geboten und könne einen Beitrag zur Gerechtigkeit leisten.91 Bei der Auswahl der Strafzuverfolgen87  „Wenn aber doch die Zahl der Complicen (correi) zu einer solchen That so groß ist, daß der Staat, um keine solche Verbrecher zu haben, bald dahin kommen könnte, keine Unterthanen mehr zu haben, und sich doch nicht auflösen, d. i. in den noch viel ärgeren, aller äußeren Gerechtigkeit entbehrenden Naturzustand übergehen (vornehmlich nicht durch das Spectakel einer Schlachtbank das Gefühl des Volks abstumpfen) will, so muß es auch der Souverän in seiner Macht haben, in diesem Nothfall (casus necessitatis) selbst den Richter zu machen (vorzustellen) und ein Urtheil zu sprechen, welches statt der Lebensstrafe eine andere den Verbrechern zuerkennt, bei der die Volksmenge noch erhalten wird, dergleichen die Deportation ist: dieses selbst aber nicht als nach einem öffentlichen Gesetz, sondern durch einen Machtspruch, d. i. einen Act des Majestätsrechts, der als Begnadigung nur immer in einzelnen Fällen ausgeübt werden kann.“ (Kant, Die Metaphysik der Sitten, S. 231 f.) 88  Kley, in: Mastonardi (Hrsg.), Das Recht im Spannungsfeld utilitaristischer und deontologischer Ethik, S. 65. 89  Ebd., S. 65. 90  Merle, Strafen aus Respekt vor der Menschenwürde, S. 3. 91  Teitel, Transitional Justice, S. 46 ff.



I. Der Begriff81

den sollte das Prinzip der Verhältnismäßigkeit die Auswahl leiten sowie die Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen Priorität haben.92 Im Völkerstrafrecht können eine legalistische Diskussion von Selektivität ratione personae sowie eine legitimitätsbezogene unterschieden werden.93 Unter der ersten Frage versteht man eine Überprüfung der staatsanwaltschaftlichen Verfolgungsermessen unter folgenden Gesichtspunkten „(i) establishing an unlawful or improper (including discriminatory) motive for the prosecution and (ii) establishing that other similarly situated persons were not prosecuted“94. Im Kontext des Völkerstrafrechts müssen diese Fragen bei der Identifizierung derjenigen Personen gestellt werden, denen die größte Verantwortung für die Begehung der Verbrechen zukommt.95 Das zweite, legitimitätsbezogene Verständnis konzentriert sich hingegen auf das größere Bild und kritisiert, dass die Mehrheit der schweren Menschenrechtsverbrechen weltweit nicht verfolgt werde. Politische Überlegungen würden bei der Frage, ob in einem bestimmten Kontext überhaupt das Völkerstrafrecht zur Anwendung gebracht werde, eine primäre Rolle spielen.96 Auch im Völkerstrafrecht lautet die Frage daher nicht, ob Selektivität in der Strafverfolgung per se zulässig sei, sondern vielmehr wann die Selektivität unzulässig wird.97 (cc) Wie ist zu bestrafen? Für die absolute Theorie ist grundsätzlich der Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit wesentlich, d. h. die Schwere der Strafe muss verhältnismäßig zur Schwere der Tat und der Schuld des Täters sein.98 Es wird teilweise vertreten, dass allein die Todesstrafe als gerechtes Strafmaß für die Tötung eines Menschen zu erachten sei.99 Allerdings kann die Strafpflicht des Staates bis hin zum Verzicht auf Strafe gemildert werden. Kant relativiert das Kategorische der Strafpflicht dadurch, dass die Strafe, „nach Klugheit und mit Gnade gewählt“100, gerecht sei. 92  Mani,

Beyond Retribution, S. 36, 40, 66, 217. Prosecuting international crimes, S. 193. 94  Prosecutor v. Delalić, Mucić, Delić and Landžo, Fall Nr. IT-96-21-A, § 611 (20. Februar 2001). 95  Resolution des UN-Sicherheitsrat UN-Dok. S/RES/1315 (14. August 2000). 96  Cryer, Prosecuting international crimes, S. 196 f. 97  Davis, Discretionary Justice, S. 167 f. 98  Meier, Strafrechtliche Sanktionen, S. 20 [unter Verweis auf BVerfGE 45, 187 (228); 50, 205 (215); 90, 145 (173)]. 99  Vgl. Kant, Die Metaphysik der Sitten, Erster Theil, S. 229. 100  Ebd, S. 553, Rn. 10. 93  Cryer,

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Selbst wenn grundsätzlich anerkannt ist, dass durch die Strafe die gestörte rechtliche Ordnung wiederhergestellt werden soll, so hängt es von der Art der Ordnung ab, ob schon jede Normabweichung oder erst die bewusst oder unbewusst rechtswidrige Tat bestraft werden soll. Daher bleibt Raum für die Milderung der Strafe, z. B. beim unvermeidbaren Verbotsirrtum. Eine funktionale Vergeltungstheorie, die Strafe als symbolische Antwort auf den Rechtsbruch versteht, kann grundsätzlich die Strafe bis zum gänzlichen Verzicht mindern, wenn der Rechtsbruch dem Täter in einem verminderten Maß vorzuwerfen ist.101 Die Theorie der Generalprävention zeichnet sich dadurch aus, dass sie über keinen inhaltlichen Maßstab zur Begrenzung der Strafe verfügt. Sie kann nicht erklären, warum auf leichte Delikte mit geringen und auf schwere Delikte mit harten Strafen reagiert werden soll, denn für die Abschreckungswirkung oder die Demonstration der Aufrechterhaltung der Rechtsordnung ist jede Strafe geeignet. Sie begünstige daher eine Form der Kriminalpolitik, die begangenes Unrecht als Indiz dafür nimmt, dass das bisherige Strafen nicht ausgereicht hätte, und dementsprechend höher straft.102 Für die Theorie der Spezialprävention spricht, dass sie über einen klaren inhaltlichen Maßstab für die Strafzumessung verfügt, nämlich die notwendige Strafe zum Schutz der betroffenen Rechtsgüter. Allerdings wird eingewendet, dass es nach oben hin keine Grenze gebe. Auch ist der Fall der „nicht notwendigen Strafe“ zu diskutieren, d. h. die Frage, ob selbst für den „nicht besserungsbedürftigen“ Täter eine Strafe für notwendig erachtet wird. Die Transitional Jurisprudence-Theorie rechtfertigt symbolische Strafen in Transitionen, d. h. die Unverhältnismäßigkeit zwischen verhängtem Strafmaß und Schuldvorwurf. So komme es zwar zu einer Bestätigung des Schuldvorwurfs, das tatsächliche Strafmaß würde diesem jedoch nicht entsprechen. Trotzdem könne diese Praxis Gerechtigkeitserwägungen standhalten, da die wichtigste Funktion solcher Strafen die symbolische Bestätigung des Rule of Law sei.103 Im Völkerstrafrecht wurde neben den herkömmlichen Auffassungen zum Strafmaß die Figur der sog. Superindictment Proceedings entwickelt. Hier kommt es nicht zu einem Vollzug der Strafe, sondern lediglich zu einer öffentlichen Bestätigung der Anklage. Dieses Instrument soll immer dann zum Einsatz kommen, wenn man dem Angeklagten nicht habhaft werden kann.104 101  Stuckenberg,

Vorstudien zum Vorsatz und Irrtum im Völkerstrafrecht, S. 487 f. Strafrechtliche Sanktionen, S. 23–26. 103  Teitel, Transitional Justice, S. 47–49. 104  Vgl. Regel 61 Rules for Procedure and Evidence ICTY-Tribunals. 102  Meier,



I. Der Begriff83

(2) Distributive Gerechtigkeit Die Form der distributiven Gerechtigkeit bezeichnet die Gerechtigkeit von Verteilungsregeln und deren Ergebnisse. In der aus- bzw. verteilenden Gerechtigkeit (iustitia distributiva) müssen Gleiche proportional Gleiches erhalten.105 Diese besondere Gerechtigkeit bezieht sich auf Güter, die unter den Staatsangehörigen zur Verteilung gelangen können, wie z. B. Geld oder Land.106 Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Kategorie der distributiven Gerechtigkeit bislang keine bzw. kaum eine Rolle in der TJ-Literatur spielt.107 Einige Autoren sehen distributive Gerechtigkeit aber bereits als einen Teil eines holistischen Ansatzes von TJ.108 Andere vertreten, dass diese Dimension bislang noch nicht von dem Begriff umfasst sei.109 Der Begriff wird oft mit der Neu- oder Umverteilung von Land gleichgesetzt, könnte jedoch umfassender als Untersuchung der tatsächlichen oder wahrgenommenen sozial-wirtschaftlichen, politischen oder kulturellen Konfliktursachen angesehen werden.110 So werden grundsätzliche Fragen der distributiven Gerechtigkeit oft in Gestalt von Zugeständnissen als Voraussetzungen von Friedensverträgen behandelt.111 (3) Politische Gerechtigkeit Politische Gerechtigkeit ist die Frage nach den Bedingungen, unter denen eine Rechts- und Staatsordnung gerecht ist. Dabei gilt es zwei Fragestellungen zu unterscheiden: die Frage, warum es überhaupt Recht und Staat geben 105  Tschentscher,

Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit, S. 57. (Übers. Rolfes), Nikomachische Ethik, Buch V Kapitel 5 (1130b f.). 107  Cockayne, Operation Helpem Fren, S. 11. 108  „This wider concept of justice contains but is not limited to retributive justice (focusing on the offender), restorative justice (focusing on the victim, moral and social justice (focusing on shared concepts of fairness), and distributive justice (focusing on the fair sharing of goods).“ (Kirchhoff, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 248.) 109  Z. B.: „The resources necessary to rectify the results of apartheid, let alone compensate its victims, are so vast that the issue of positive retroactive justice merges with the complex issue of distributive justice.“ (Elster, Retribution and reparation in the transition to democracy, S. 278.) 110  „The concern of distributive justice is how post-conflict societies deal with grievances such as inequitable distributions of and access to political and economic resources that underlie conflict. The rationale for addressing distributive justice is both to prevent a recurrence of conflict and to build the foundations of peace.“ (Mani, Beyond Retribution, S. 9.) 111  Ebd., S. 230. 106  Aristoteles

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

darf (rechts- und staatslegitimierende Gerechtigkeit) und die eigentliche Frage nach den Bedingungen (rechts- und staatsnormierende Gerechtigkeit).112 Auf die erste Frage finden die verschiedenen Gerechtigkeitstheorien unterschiedliche Antworten, so z. B. der Liberalismus und der Kommunitarismus. Die zweite Frage wird in der Regel von Diskursen über Menschenrechte und prozeduralen Gerechtigkeitstheorien dominiert.113 Zumindest der Beginn des TJ-Diskurses war stark durch den politischliberalistischen Gerechtigkeitsdiskurs, insbesondere den (menschen-)recht­ lichen Diskurs, geprägt.114 Zunächst erfolgte eine Fokussierung auf die bürgerlichen und politischen Menschenrechte entsprechend der klassischen liberalen Definition; wirtschaftliche, kulturelle und soziale Rechte folgten erst zu einer späteren Phase.115 In der TJ-Literatur wird ein kommunitaristisches TJ-Modell oft gleichgesetzt mit einem Restorative Justice-Verständnis.116 (4) Soziale Gerechtigkeit Unter sozialer Gerechtigkeit kann „die Gesamtheit aller jener Forderungen der Gerechtigkeit (…), die auf die institutionelle Ordnung und die grundlegenden sozialen Verhältnisse ganzer Gesell­ schaften Anwendung finden“117

verstanden werden. Unter diesem Stichwort werden häufig Fragen der Zuteilung diskutiert.118 Der Begriff umfasst verschiedene Dimensionen der Gerechtigkeit, z. B. die der Tauschgerechtigkeit, der politischen Gerechtigkeit, der ausgleichenden und distributiven Gerechtigkeit. Sie ist keine elementare oder selbständige Form der Gerechtigkeit.119 112  Höffe,

Gerechtigkeit, S. 61. Tschentscher, Prozedurale Theorien der Gerechtigkeit. 114  So z. B.: „The variants of legal pathology I have identified are all inherently liberal, in the sense that they seek to promote an agenda of individual rights and liberties enshrined in the notion of ‚rule of law‘.“ (Cockayne, Operation Helpem Fren, S. 10.) 115  Vgl. z. B. Arbour, Economic and Social Justice for Societies in Transition, S.  4 f. 116  Vgl. statt vieler nur Harrell, Rwanda’s gamble, S. 100; Waldorf, Temple Law Review 79 (2006), S. 42 f. Die „Gemeinschaft“ fand mit dem Aufkommen der „alternativen“ Instrumente, wie den Wahrheitskommissionen oder Gacaca-Gerichten, Berücksichtigung in der TJ-Literatur. 117  Koller, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie, 1992, S. 85. 118  Höffe, Gerechtigkeit, S. 85. 119  Ebd., S. 86, 88. 113  Z. B.



I. Der Begriff85

In neueren TJ-Publikationen wird explizit diese Kategorie von Gerechtigkeit als Ziel der Transition diskutiert; oftmals in Verbindung mit der Analyse von Konfliktursachen (v. a. Kolonialismus) und die Brücke zum breiteren Feld der Entwicklungszusammenarbeit schlagend.120 b) Zusammenfassung Der Gerechtigkeitsbegriff nimmt einen zentralen Platz in Auseinandersetzungen mit TJ ein. Viele Beiträge setzen ein bestimmtes Gerechtigkeitsverständnis voraus, das in der Regel nicht näher erläutert wird. Dabei spielen insbesondere das formale und das materielle Gerechtigkeitsverständnis eine zentrale Rolle. Im Bereich des materiellen Gerechtigkeitsverständnisses ist die Kategorie der ausgleichenden Gerechtigkeit (und hier der korrektiven Gerechtigkeit) hervorzuheben. Die in der TJ-Literatur diskutierten Begriffe wie „Rectificatory“, „Restorative“ und „Reparative Justice“ wurden einerseits von nationalen Straftheorien (oder Debatten) inspiriert, sind aber mittlerweile eng mit einem bestimmten Verständnis im TJ-Kontext verknüpft. Sie scheinen als Gegenbegriffe zum „retributiven“ Gerechtigkeitsverständnis entwickelt worden zu sein, wobei, der traditionellen Gerechtigkeitstypologie folgend, alle diese Kategorien der restitutiven Gerechtigkeit als Unterfall der korrektiven Gerechtigkeit zuzuordnen sind. Nach dieser traditionellen Typologie ergänzen sich beide Kategorien der restitutiven und retributiven Gerechtigkeit und sind sich nicht ausschließend zu verstehen. Wie oben bereits dargestellt, fußt die Dichotomie in der TJ-Diskussion auf einem Verständnis der Bedeutung von „retributiver“ Gerechtigkeit als lediglich die deontologische bzw. absolute Strafgerechtigkeitstheorie umfassend. Es ist eine interessante Zweiteilung des Diskurses zu beobachten: „Neue“ TJ-Ansätze werden im Bereich der restitutiven Gerechtigkeit entwickelt, während es für die Strafgerechtigkeit beim Völkerstrafrecht bleibt. Die „transitional jurisprudence“-Theorie ist eine Ausnahme im Bereich der Strafgerechtigkeit und ist als präventive Vereinigungstheorie einzustufen. Ein distributives Gerechtigkeitsverständnis wird kaum vertreten. Im Bereich eines politischen Gerechtigkeitsbegriffs scheint zunächst der liberalistische Gerechtigkeitsdiskurs dominiert zu haben. Ein kommunitaristischer Ansatz wird vielfach mit „Restorative Justice“ gleichgesetzt; „Gemeinschaft“ wird hier als „traditionelle Gemeinschaft“ verstanden. 120  Vgl. z. B. Pasipanodya, IJTJ 3 (2008), S. 378 ff.; De Lange, in: Villa-Vicencio/ Verwoerd (Hrsg.), Looking back, reaching forward, S. 16 f.; Mamdani, When Victims Become Killers, S. 273; Chigara, Common Law World Review 30 (2001), S. 36 ff.

Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

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Restaurative Gerechtigkeit

Restitutive Gerechtigkeit

Reparative Gerechtigkeit

Korrektive Gerechtigkeit Prävention Prozesshafte

Ausgleichende Gerechtigkeit

wörtlich

Materielles Verständnis

Transitional

Soziale Gerechtigkeit

Vergeltung

Rectificactory justice Transitional jurisprudenceTheorie

Formales Verständnis

„authoritarian regimes towards an uncertain ‚something else‘“ Demokratisierung

Politische Gerechtigkeit

Justice

Politikwissenschaftlich

Distributive Gerechtigkeit

Strafgerechtigkeit

Verfahrensgerechtigkeit

Liberalisierung

Schaubild 8: Begriffselemente des TJ-Diskurses

3. Verschiedene Definitionen Die definitorische Ungenauigkeit des TJ-Begriffes ist einer der großen Schwachpunkte des Forschungsfeldes. Es gibt nur wenige Versuche eine genaue Definition herauszuarbeiten bzw. dessen verschiedene Dimensionen kritisch zu reflektieren. Im Nachfolgenden wird versucht, eine Klassifika­ tion der in der Literatur vorhandenen Definitionen vorzunehmen: Neben allgemeinen Betrachtungen, z. B. dem engen und weiten Begriffsverständnis, erfolgt dann anhand ausgewählter Definitionen aus verschiedenen disziplinären Blickwinkeln eine Annäherung an eine umfassendere Definition. a) Allgemeine Betrachtungen aa) Prozessorientierte oder qualitative Definition Die meisten Autoren sehen die „Transition“ als zentrales Merkmal einer Definition von TJ an.121 Man kann eine qualitative und eine prozessorientierte Verwendung dieses Elements unterscheiden. 121  Vgl. statt vieler: Teitel, Cornell Journal of International Law 38 (2005), S. 837.



I. Der Begriff87

Ein qualitativer Transitionsbegriff stellt auf die Qualität des Systemwechsels ab. Wie oben dargestellt, wurde der Transitionsbegriff aus der politikwissenschaftlichen Lehre übernommen und hat mittlerweile eine bestimmte inhaltliche Prägung erhalten.122 Diese inhärente Zielgerichtetheit der Transition, d. h. Demokratisierung bzw. Liberalisierung als Endziel, beschäftigt sich, wenn überhaupt, nur sekundär mit dem prozessualen Aspekt der Transition. Die zentrale Frage lautet vielmehr: „[…] how will they know they have arrived?“123 Dies wirft schwierige Fragen nach der Bestimmung des Grades der Demokratisierung oder Liberalisierung einer Gesellschaft auf.124 Dagegen steht eine eher prozessorientierte Verwendung des Begriffes, die die Transition als zeitliches Kontinuum auffasst. Man erkennt solche prozessorientierten Definitionen daran, dass sie an das Ende des Konfliktes (bzw. an den Konflikt125 an sich) anknüpfen. Für das Ende der Transition wird oft das Merkmal der „Stabilität“ genannt – jedoch ohne diese genau zu definieren bzw. zeitlich einzugrenzen.126 Zur zentralen Frage wird hier, welche zeitlichen Phasen unterschieden werden können, d. h. wann eine Transition beginnt und wann sie endet. Beides ist in der Literatur noch ungeklärt.127 Der mögliche Rückgriff auf die Transitionsforschung der Politikwissenschaften, die über solche Phasenmodelle schon verfügt128, erfolgt nicht. Es scheint lediglich Einigkeit darüber zu herrschen, dass das formale Ende eines bewaffneten Konfliktes129 (z. B. durch Friedensvertrag) nur eine Etappe im Kontinuum darstellt.130 122  Merkel,

Systemtransformation, S. 105. The Hart-Fuller Debate and Law in Transitional Societies, S. 8. 124  Vgl. hierzu statt vieler Merkel, Systemtransformation, S. 93 ff. 125  Ambos, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 19; vgl. auch Peschke, in: Brown, Research Handbook on International Criminal Law, S.  178 ff. 126  Vgl. hierzu Kayser-Whande/Schell-Faucon, in: Weller (Hrsg.), Transitional Justice und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 13. 127  Auf diese Forschungslücke weist Bell ausdrücklich hin: „Little to no attempt has been made to define a concept of transition that would place limitations on when TJ can legitimately applied.“ (Bell, IJTJ 3 (2009), Fn. 4, S. 23.) 128  Vgl. hierzu Merkel, Systemtransformation, S. 93 ff. 129  Manche Autoren sprechen daher sogar von „Postconflict Justice“ anstatt von TJ (Z. B. Matwijkiw/Matwijkiw, in: Sadat/Scharf (Hrsg.), The theory and practice of international criminal law, S. 65, die die Wahl der Terminologie als eine Sache der persönlichen Vorliebe des Wissenschaftlers bezeichnen.); andere verwenden beide Begriffe synonym: „The term ‚post-conflict justice‘ is used with an understanding that there exist a number of similar or related concepts including ‚TJ‘ ‚strategies for combating impunity‘, ‚peace building‘ and ‚post-conflict reconstruction‘. These terms and their definitions overlap and their diversity reflects both the evolving nature of these ideas and links with particular institutions rather than the expression 123  Krygier,

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Offen ist auch die Frage, ob es sich bei der strafrechtlichen Aufarbeitung des Menschenrechtsverletzung über 60 Jahre nach Begehung der Menschenrechtsverletzung (z. B. Demjanjuk-Verfahren 2009–2011), wenn niemand mehr an der politischen Stabilität des Systems zweifeln würde, immer noch um TJ oder vielmehr um „Post-TJ“ handelt.131 130

bb) Enge und weite Begriffe Man kann von einem engen bzw. weiten TJ-Verständnis in zweierlei Hinsicht sprechen: unter Bezugnahme auf das darunter fallende Instrumentarium sowie in zeitlicher Hinsicht. (1) Kriterium: Instrumentarium Zumeist wird ein enges oder weites Verständnis des Begriffs am Merkmal der umfassten TJ-Instrumente festgemacht.132 Die enge Auffassung versteht unter TJ nur die völker(straf)rechtliche Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen, d. h. die gerichtliche Etablierung von völker- bzw. völkerstrafrechtlicher Verantwortung von Staaten bzw. Individuen.133 Diese Auffassung fand sich vornehmlich zu Beginn der 1990er Jahre. Die weite Auffassung umfasst dagegen auch andere rechtliche Instrumente (wie Lustrationen, Restitutions- oder Entschädigungsprogramme) oder nichtrechtliche (wie Wahrheitskommissionen sowie Öffnung und Aufarbeitung der Archive von Geheimpolizeien).134 Als exemplarisch für ein weites Verständnis kann der TJ-Begriff der Vereinten Nationen angesehen werden, der die of substantial differences in understanding or ideology.“ (Bassiouni (Hrsg.), The Chicago Principles on Post-Conflict Justice, S. 7 f.) 130  Vgl. so auch Campbell/Aolain, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 891. 131  Collins, Post-TJ Human Rights Trials in Chile and El Salvador, S. 2. Im Einzelnen vgl. z. B. Aguilar, South European Society and Politics 13 (2008), S. 417 ff. 132  Pfeiffer/Bake, in: Weller, TJ und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 100; RohtArriaza, in: dies./Mariezcurrena (Hrsg.), TJ in the Twenty-First Century, S. 1; Haldemann, Cornell University Cornell International Law 2008, S. 676; Dudai, IJTJ 1 (2007), S. 250. 133  Vgl. auch Campbell/Aolain, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 890. 134  Smith, in: Kritz (Hrsg.), TJ, S. XX ff. Daneben gibt es Autoren, die über diesen schon weiten Ansatz hinausgehen, und z. B. Fragen der sozialen Gerechtigkeit − wie die ungleiche Verteilung von Bodenressourcen − abgedeckt sehen wollen (RohtArriaza, in: Roht-Arriaza/Mariezcurrena (Hrsg.), TJ in the Twenty-First Century, S. 2).



I. Der Begriff89

Gesamtheit der Prozesse und Mechanismen, die eine Gesellschaft verwendet, um die Erblasten vergangener Missbräuche von großem Umfang zu bewältigen, Gerechtigkeit walten zu lassen und Versöhnung zu erlangen, umfasst.135 Es gibt dabei durchaus Ansätze, die die Instrumente unterschiedlich gewichten, z. B. die rechtlichen Maßnahmen allgemein oder die strafrechtliche Untersuchung in den Vordergrund stellen.136 (2) Kriterium: Zeitliche Orientierung Eine weitere Unterscheidung bezieht sich auf den zeitlichen Fokus der Maßnahmen: So fassen einige Autoren nur Maßnahmen unter TJ, die sich primär mit der Aufarbeitung der Vergangenheit beschäftigen, d. h. rückwärts gewendet sind (enges Verständnis), die meisten Autoren verstehen unter TJ aber auch Maßnahmen, die nach vorne gerichtet sind, so z. B. die Institu­ tionen- und Verfassungsreformen (weites Verständnis).137 Es ist dieses weite Verständnis, das die Kritik hervorruft, TJ würde in Peacebuilding und Rule of Law-Aktivitäten aufgehen und damit konturlos werden.138 b) Definitionen unterschiedlicher Disziplinen Internationale Normen und Gerechtigkeitsdiskurse werden aus unterschiedlichen Perspektiven und mit unterschiedlichen wissenschaftlichen Fragestellungen behandelt.139 Im Bereich von TJ sind v. a. die Disziplinen der Rechtswissenschaft, Politikwissenschaft und Sozialpsychologie von Bedeutung. Daneben spielen auch weitere Disziplinen wie z. B. die Religionswissenschaften sowie die Anthropologie eine Rolle.140 Es können jeweils 135  Vgl. die Definition in Bericht des UN-GS, The Rule of Law and TJ in conflict and post-conflict societies, UN Dok. S/2004/616 (23. August 2004), S. 4: „[…] comprises the full range of processes and mechanisms associated with a society’s ­attempts to come to terms with a legacy of large-scale past abuses, in order to ensure accountability, serve justice and achieve reconciliation.“ 136  Vgl. Sikkink: „human rights prosecutions in countries making a transition to democracy“ (Sikkink, The Justice Cascade, Kapitel 5). Vgl. im Folgenden zu den unterschiedlichen Definitionen Teil 2, I. 3. b). 137  Ähnlich Roht-Arriaza, in: dies./Mariezcurrena (Hrsg.), TJ in the Twenty-First Century, S. 2, die jedoch nicht die Unterscheidung zwischen den beiden Dimensionen des engen und weiten Verständnisses (Maßnahmen und Vergangenheit/Zukunft) macht. 138  Ebd. 139  Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius, Rechtswissenschaftstheorie, S. 5. 140  Für Religionswissenschaften: vgl. Übersicht bei Philpott, Religion, Reconciliation and Transitional Justice, S. 1  ff. Für Anthropologie: Shaw/Waldorf/Hazan

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unterschiedliche TJ-Definitionen und Diskurse aus dem Blickwinkel dieser Disziplinen (und ihrer Teildisziplinen) unterschieden werden. Es bleibt festzuhalten, dass es auch zahlreiche Definitionen und Diskurse gibt, die sich nicht einfach einer dieser Disziplinen oder Perspektiven zuordnen lassen, sondern vielmehr dem Bereich der vielbeschworenen „Interdisziplinarität“ des Feldes zugeschrieben werden können.141 Die Identifizierung der disziplinären Definitionen und Diskurse erleichtert den Umgang mit solchen Begriffen und kann darüber hinaus den „interdisziplinären“ Charakter des Feldes besser beleuchten. aa) Rechtswissenschaft Vor der Behandlung der unterschiedlichen rechtswissenschaftlichen Ansätze muss eine grundlegende Unterscheidung angestellt werden: Da hier der internationale TJ-Diskurs untersucht wird, sind Abhandlungen, die sich aus dem Blickwinkel der nationalen rechtswissenschaftlichen Lehre mit dem Systemunrecht des eigenes Staates beschäftigen (so z. B. für Deutschland nach 1945 sowie 1989 / 90) von denjenigen zu unterscheiden, die sich im (Hrsg.), Localizing TJ: Interventions and Priorities after Mass Violence; Shaw, IJTJ 1 (2007), S. 183 ff.; Gibney u. a. (Hrsg.), The Age of Apology: Facing Up to the Past; Humphrey, Australian Journal of Anthropology 14 (2003), S. 171 ff.; Merry, Annual Review of Anthropology 35 (2006), S. 99 ff.; Wilson, Anthropological Theory 3 (2003), S. 367 ff.; Hale, Current Anthropology 38 (1997), S. 817 ff.; Hinton, Annihilating Difference: The Anthropology of Genocide, 2002; Harke, Anthropology 34 (1993), S. 182 ff. 141  So definiert Teitel TJ als „conception of justice associated with periods of political change, […] characterized by legal responses to confront the wrongdoings of repressive predecessor regimes“ (Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 69.) und kombiniert dabei rechts- sowie politikwissenschaftliche Ansätze. Ähnlich eine frühe Definition: „TJ refers to the view of justice associated with periods of political change, […] as reflected in the phenomenology of primarily legal responses that deal with the wrongdoing of repressive predecessor regimes.“ (Dies., Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 893). So auch Haldemann, der zwar die Menschenrechtsverletzungen als Kriterium nennt, dann aber auch die Entwicklung der fraglichen Gesellschaft hin zu einer gerechteren, demokratischeren oder friedlicheren Ordnung („the process by which societies confront legacies of widespread or systematic human rights abuses as they move from repression or civil war to a more just, democratic, or peaceful order“ – Haldemann, Cornell University Cornell International Law, 2008, 676). Vgl. auch die Beschreibung als „[Die Lehre von TJ, Anm. d. Verf.] die die verschiedenene Modelle des Übergangs von einem autoritären politischen System zu einem demokratischen analysiert und die nach dieser Analyse zum Ergebnis gekommen ist, dass das Strafrecht nicht immer die beste Lösung ist, einen friedlichen Übergang zum demokratischen System zu ermöglichen.“ (Munoz Conde, in: Schünemann u. a., FS für Claus Roxin, S. 617.)



I. Der Begriff91

internationalen Kontext, meist völkerrechtswissenschaftlich, aus einer externen Perspektive mit solchen Fragestellungen beschäftigen.142 Die jeweilige Behandlung der Problemstellung differiert teilweise erheblich. Im Folgenden werden prioritär Ansätze der externen Perspektive dargestellt. Die unterschiedlichen Ansätze und Fragestellungen der einzelnen Rechtsgebiete und Grundlagenfächer143 (mit völkerrechtlichem Bezug) spiegeln sich deutlich in dem von ihnen dargestellten Verständnis von TJ-Begriffen und Diskursen wider.144 (1) Völkerrechtliche Ansätze In Situationen von TJ geht es im Kern um die Aufarbeitung von schweren und systematischen Verletzungen von Individualrechtsgütern, wie z. B. dem Leben, der Freiheit und der körperlichen Unversehrtheit. Als Schutznormen bieten sich hierzu die internationalen Menschenrechte an, deren positivrechtliche Geburtsstunde mit dem Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR) und dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR) auf völkerrechtlicher Ebene eingeleitet wurde.145 Daneben stehen die Normen des humanitären Völkerrechts, dessen Ziel es u. a. ist, die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten auf Nichtkombattanten zu begrenzen.146 Das Völkerstrafrecht umfasst den Universalrechtsgüterschutz sowie (umstritten) den Individualrechtsgüterschutz.147 In der völkerrechtlichen Literatur lassen sich ein menschen- und humanitär- sowie ein völkerstrafrechtlicher TJ-Ansatz unterscheiden.

142  Dies können auch Perspektiven auf das Völkerrecht aus einem nationalen System sein, das sich bereits mit diesen Fragestellungen beschäftigen musste. 143  Im Folgenden wird der Begriff der Teildisziplin sowohl für das Rechtsgebiet, d. h. Fächer, die sich unmittelbar mit der Erforschung und Darstellung des geltenden positiven Rechts befassen, als auch für das Grundlagenfach, d. h. Bindegliedwissenschaften, die an außerjuristische Wissenschaften anknüpfen, verwendet (vgl. Horn, Einführung, S. 30). 144  Wormington (Journal of International Criminal Justice 6 (2008), S. 613  f.) nennt dies den „legalistischen“ Ansatz. 145  Dieser internationale Menschenrechtskatalog wird ergänzt durch zahlreiche Konventionen, die den menschenrechtlichen Schutz in weiteren Teilbereichen regeln. 146  Vgl. IGH, Advisory Opinion on the Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons [1996] ICJ Rep. S. 226, 257, § 78. 147  Kirsch, Begehungszusammenhang der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, S.  120 ff.

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(a) Menschen-und humanitärrechtlicher Ansatz Grundsätzlich zeichnen sich menschen- und humanitärrechtliche Diskurse dadurch aus, dass die jeweiligen normativen Standards als Referenzpunkte im Diskurs dienen.148 In Definitionen von TJ aus dieser Perspektive wird die Rechtsgutverletzung bzw. die Verletzung eines rechtlichen Tatbestandes hervorgehoben und, hiervon ausgehend, die völkerrechtliche Verpflichtung des Staates erörtert.149 Dieser Ansatz setzt an der Schutzpflicht des Staates an und verlängert diese im Sinne einer Pflicht zu Untersuchungsmaßnahmen und -verfahren bei bereits vorliegender und irreversibler Rechtsgutverletzung. Daneben wird auch der Justizgewährleistungsanspruch diskutiert.150 Der Ansatz ist ausdrücklich auf ein rechtliches Instrumentarium festgelegt und beschäftigt sich primär mit vergangenen Rechtsgutverletzungen. Die Prävention zukünftiger Rechtsgutverletzungen erscheint dabei subsidiär bzw. als natürlicher Nebeneffekt der Erfüllung der völkerrechtlichen Pflicht oder als Teil der Entschädigung. Der frühe Aufsatz von Orentlicher zum Thema Strafverfolgung für schwere Menschenrechtsverletzungen aus dem Jahr 1991 kann als stellvertretend für diesen Ansatz gelten, obwohl sich in ihm noch nicht der Begriff TJ findet.151 Als beispielhaft für TJ-Begriffe, die sich nach diesem Ansatz erklären, können auch die Definitionen von Roht-Arriaza und Méndez herangezogen werden: „[… A] term of art that describes the practices that societies put in place when they reckon with a legacy of widespread or systematic human rights violations; its purpose is to break the cycle of impunity, to seek and disclose the truth, to offer reparations to the victims and to reform institutions so that they will not in the future be the instrument of mass atrocities.“152 „[… T]hat set of practices, mechanisms and concerns that arise following a period of conflict, civil strife or repression, and that are aimed directly at confronting and dealing with past violations of human rights and humanitarian law.“153 148  Vgl.

149  Z. B.

Clark, Diplomacy of Conscience, S. 30. Ntoubandi, Amnesty for Crimes Against Humanity Under International

Law, S. 2. 150  Vgl. hierzu allg. Salmón, IRRC 88 (2006), Sp. 332–333. 151  „While it has long been recognized that international law requires states to respect and ensure human rights, that same law has generally allowed governments to determine how their obligations will be fulfilled. But the measures used to secure human rights are no longer subject to the broad discretion of governments when it comes to a core set of fundamental rights that merit special protection. When torture, disappearances, and illegal killings occur, governments must make good-faith efforts to bring the wrongdoers to justice.“ (Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2540 f.) 152  Méndez, New Horizons, S. 2 f. 153  Roht-Arriaza, in: Roht-Arriaza/Mariezcurrena (Hrsg.), TJ in the Twenty-First Century, S. 2.



I. Der Begriff93

Der Ansatz, so Roht-Arriaza, fokussiere sich auf die zwei Aspekte der Wahrheit und Gerechtigkeit und umfasse strafrechtliche Maßnahmen wie Strafverfolgungen und -untersuchungen, materielle Entschädigungen (z. B. Reparationsprogamme), administrative Verfahren (z. B. Lustration des öffentlichen Dienstes) sowie teilweise Wahrheitskommissionen. Auffällig ist, dass in beiden hier aufgeführten Definitionen zwar eine Anknüpfung an eine bestimmte Ausgangssituation (bewaffneter Konflikt, Bürgerkrieg, Repression) bzw. Art der Begleitumstände der Menschenrechtsverletzung (weitverbreitet und systematisch) erfolgt, nicht jedoch auf die Bedingungen und Schwierigkeiten der Etablierung von Gerechtigkeit während einer Transition per se eingegangen wird.154 Es fehlt damit das Deutungsmuster der Transition. Trotzdem stimmt eine Vielzahl von Autoren, die einen solchen menschenoder humanitärrechtlichen Ansatz vertreten, darin überein, dass die politischen Umstände es in der Regel faktisch unmöglich machen, Gerechtigkeit wie unter „normalen“ Umständen zu erzielen. TJ als Ergebnis des Strebens nach Gerechtigkeit in Situationen von Transition ist damit als ein Minus dieses Vergleichswertes zu verstehen: „[… T]ransitional Justice refers to the amount or the extent to which justice can reasonably be achieved in a transitional context. This account of TJ is based on the recognition that ‚full‘ or ‚normal‘ justice (that is, prosecution and punishment) may not be possible in times of transition.“155

Normativ bleibt es jedoch beim Vergleichspunkt der Gerechtigkeit zu „normalen“ Zeiten: „Die Bestrafung derjeningen, die für schwere Menschenrechtsverbrechen verantwortlich sind, ist der juristische Normalfall, auch und gerade als Reaktion auf Systemunrecht.“156

Auf Rechtsanwendungsebene wird diskutiert, die widrigen politischen Gegebenheiten bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen.157 Im Folgenden wird dieses TJ-Verständnis als faktische Exzeptionalität bezeichnet. 154  Vgl. nur: McEvoy, Journal of Law and Society 34 (2007), S. 421; Ignatieff, Human Rights as Politics and Idolatry, S. 20; Kennedy, Harvard Human Rights Journal 15 (2002), S. 116. 155  Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 85. 156  Werle, Völkerstrafrecht, S. 86, Rn. 202 [Fußnote im Original, hier unterdrückt]. Ähnlich auch: Hamber, Transforming societies after political violence, S. 136: „we need to see the denial of complete justice, no matter what the cause, as ethically and morally problematic.“ 157  Ambos, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 50.

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(b) Völkerstrafrechtlicher Ansatz Eine völkerstrafrechtliche Herangehensweise hebt die individuelle völkerstrafrechtliche Verantwortung / Verantwortlichkeit (Criminal Accountabi­l­ity /  Criminal Responsibility158) für die Tatbestände der Kriegsverbrechen, des Angriffskrieges, des Völkermordes und der Verbrechen gegen die Menschlichkeit bzw. das Prinzip der Verantwortlichkeit als Rechtsprinzip hervor. Es wird auf die Verletzung der völkerstrafrechtlichen Tatbestände abgestellt, aufgrund derer auf der Rechtsfolgeseite klare Verpflichtungen der Staaten zur Untersuchung bzw. Strafverfolgung bestehen. Menschenrechtsverletzungen, die unter keinen der vier Tatbestände fallen, werden allerdings nicht erfasst. Ein völkerstrafrechtlicher TJ-Ansatz wird daher die individuelle Verantwortung im (völker-)strafrechtlichen Sinne der Erörterung anderer Instrumente voranstellen.159 Die Reform von Institutionen und der Verfassung sind Begleitmaßnahmen und gehören nach dieser Ansicht nicht zum Kernbereich von TJ. Nur über die General- und Spezialprävention erfolgt die Perspektiverweiterung auf die Zukunft. Darin unterscheidet sich der völkerstrafrechtliche Ansatz vom menschenrechtlichen bzw. humanitärrechtlichen Ansatz, der auch präventive Maßnahmen wie Reformen als Kernaufgabe von TJ umfasst.

158  Beide Begriffe werden oft  − auch für die individuelle Verantwortung  − synonym verwendet (Ratner/Abrams, Accountability for human rights atrocities, S. 15). Vgl. auch bezüglich Staaten: das Konzept der „State Accountability“ ist von der Doktrin „State Responsibility“ zu unterscheiden (Yarwood, State Accountability Under International Law, S. 13). Im Folgenden wird unter „Accountability“ das Prinzip der Verantwortung verstanden, während „Responsibility“ als die Verantwortlichkeit in einem bestimmten Fall bezeichnet wird. 159  „Neben oder anstelle der strafrechtlichen Verfolgung kommen dabei auch andere Reaktionen in Betracht, namentlich die Gewährung von Amnestien, die Einsetzung von Wahrheitskommissionen oder Maßnahmen der Wiedergutmachung […].“ (Werle, Völkerstrafrecht, S. 86, Rn. 201.) Vgl auch: „In some of the situations described […], other non-judicial alternatives, in particular truth and reconciliation commissions, with broader mandates, have also been established in order to investigate and report on the root causes of the armed conflicts, to foster healing, and to promote national reconciliation.“ (Ambos/Othman, New Approaches in International Justice, S. 4.)



I. Der Begriff95

(2) Völkerrechtlicher TJ-Diskurs (a) Menschenrechtlicher bzw. humanitärrechtlicher Ansatz Im Mittelpunkt des menschen- bzw. humanitärrechtlichen Diskurses steht der Kampf gegen die Straflosigkeit (Impunity160). Die Straflosigkeit wird dabei weiter verstanden als strafrechtliche Verantwortung, d. h. sie umfasst z. B. auch das Verhindern eines zivilrechtlichen Vorgehens der Opfer gegen den Täter oder den Staat sowie den Kampf gegen das „Klima der Straflosigkeit“.161 Man unterscheidet De-facto-Straflosigkeit, d. h. die tatsächliche Nichtverfolgung von Menschenrechtsverletzungen trotz bestehender rechtlicher Möglichkeit, von der De-jure-Straflosigkeit, bei der rechtliche Vorschriften einer Strafverfolgung entgegenstehen oder eine solche aufgrund ihrer Unbestimmtheit erschweren.162 Im Zuge solcher menschen- bzw. humanitärrechtlichen TJ-Ansätze werden oft die sog. Opferrechte genannt, die das Recht auf Wahrheit (right to know / right to truth), das Recht auf Gerechtigkeit (right to justice) und das Recht auf Entschädigung (right to reparations) umfassen. Diese fundamentalen Opferrechte wurden mit Hinblick auf massive und systematische Menschenrechtsverletzungen ohne besondere Referenz auf die Ausgangs­ situation entwickelt.163 Der menschen- bzw. humanitärrechtliche Ansatz sieht die Transition als zeitlichen oder konditionalen Umstand des Kampfes gegen die Straflosigkeit an. Wird sie als zeitlicher Umstand gesehen, so gibt sie lediglich an, dass die Bemühungen um z. B. die Strafverfolgung für Menschenrechtsverletzung zeitlich nach einem Konflikt oder unter einem Nachfolgerregime

160  „[I]mpossibility, de jure or de facto, of bringing the perpetrators of violations to account – whether in criminal, civil, administrative or disciplinary proceedings – since they are not subject to any inquiry that might lead to their being accused, arrested, tried and, if found guilty, sentenced to appropriate penalties, and to making reparations to their victims.“ (Set of Principles for the Protection and Promotion of Human Rights through Action to Combat Impunity, UN Dok. E/CN.4/2005/102/ Add.1 (8. Februar 2005), S. 6.) 161  Vgl. z. B. Ausführungen zu Argentiniens Klima der Straflosigkeit: UN Commission of Human Rights, UN Dok. E/CN.4/1999/62 (28.  Dezember 1998), § 41. 162  HRW, Still Waiting for Justice. No End to Impunity in Nepal, S. 2. 163  Die Opferrechte finden sich ansatzweise in den Texten der internationalen Menschenrechtskonventionen bzw. den Konventionen des humanitären Völkerrechts, wurden dann aber erheblich durch die Rechtsprechung der jeweiligen Vertragsorgane weiterentwickelt (im Einzelnen vgl. Teil 3, C. II. 2.).

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erfolgen.164 Diese Aussage ist neutral, da keine Schlussfolgerung aus diesem zeitlichen Umstand für die Qualität oder den Umfang der Strafverfolgung gezogen wird. Es erfolgt keine Anbindung von Recht an politische Umstände, obwohl die Rahmenfunktion der politischen Verhältnisse gesehen wird. Der zweite Unterfall, der die Transition als konditionalen Umstand ansieht, geht darüber hinaus: Die Strafverfolgung kann nur stattfinden, weil es zu einem Systemwechsel gekommen ist. Hieraus könnte man eine strenge Konditionalität folgern, die die Transition als entscheidende, d. h. notwendige und hinreichende, Bedingung für die Strafverfolgung ansieht. Oder eine schwache Konditionalität, die die Transition als notwendige aber nicht hinreichende Bedingung betrachtet. In beiden Fällen erfolgt eine Anbindung von Recht an politische Voraussetzungen und es werden Wechselwirkungen zwischen beiden Subsystemen behauptet. In umgekehrter Reihenfolge können aber auch Strafverfolgungen als notwendige Voraussetzung für die Transition gesehen werden. Die Kausalkette würde hiermit umgekehrt. Nicht mehr die Transition ermöglicht die Strafverfolgungen, sondern ohne Strafverfolgung ist die Transition nicht möglich. Auch hier erfolgt eine Anbindung von Recht an Politik. (b) Völkerstrafrechtlicher Ansatz Zentraler Begriff des völkerstrafrechtlichen Diskurses ist die individuelle strafrechtliche Verantwortung.165 Das völkerstrafrechtliche Deutungsmuster, Strafverfolgungen für die bestimmten völkerstrafrechtlichen Tatbestände als Ausgangspunkt zu nehmen, kann auch bei Wissenschaftlern, die sich gegen die Priorität der Strafverfolgung aussprechen, prägend sein.166 Ein solcher 164  Z. B. „post-conflict attempts at justice“ (Roht-Arriaza, in: dies./Mariezcurrena (Hrsg), TJ in the Twenty-First Century, S. 2). 165  Dabei ist zu beachten, dass „Impunity“ und „Criminal Accountability“ richtiger Auffassung zufolge nicht einfach die Kehrseite ein und derselben Medaille sind: Während der Begriff der Impunity auch Maßnahmen ins Auge fassen kann, die nicht-strafrechtlicher Natur sind, ist die Criminal Accountability lediglich auf die staatliche Strafverfolgung konzentriert. Das Verhältnis von „Impunity“ und „Accountability“ ist umstritten: Während eine Ansicht Accountability als die Antithese von Impunity auffasst (Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 19; Cohen, Law and Social Inquiry 20 (1995), S. 28.), gehen andere davon aus, dass es sich bei der Prävention von Straflosigkeit um einen umfassenden holistischen Ansatz handele, der Strafverfolgung neben anderen Instrumenten umschließe (UN Dok. E/CN.4/2004/88 (27.  Februar 2004), S. 5). 166  „[…] that new democracies emerging from periods of massive and/or systematic violations of human rights are unable, for a combination of practical and political reasons, to prosecute more than a tiny percentage of those responsible for human rights abuse. For this reason, strategies for dealing with the past must not become narrowly focused on attempts to prosecute. Rather, more expansive and



I. Der Begriff97

Ansatz „rechtfertigt“ die Ausweitung des Maßnahmenkatalogs um nichtstrafrechtliche Instrumentarien aufgrund der faktischen oder politischen Unmöglichkeit der umfassenden Strafverfolgung von Tätern. Er geht von einer absoluten Pflicht zur Strafverfolgung aus und greift im zweiten Schritt, angesichts der faktischen oder wahrgenommenen Hindernisse, zu alternativen oder ergänzenden Mechanismen. Ein weiteres wichtiges Merkmal des völkerstrafrechtlichen Diskurses ist die Prioritisierung der Strafverfolgung bestimmter Personen und Taten: Trotz der politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme sollen zumindest die wichtigsten Täter („those bearing the highest responsibility“167) bzw. die Urheber der schlimmsten Verbrechen strafverfolgt werden. Die „weniger schweren“ Menschenrechtsverletzungen könnten z. B. durch Wahrheitskommissionen bearbeitet werden.168 (3) Rechtsphilosophischer Ansatz Die Zeit nach Systemwechseln ist oft durch „totale Rechtskonfusion“169 gekennzeichnet. Daher liegt der Rückgriff auf Antworten „außerhalb der Box“ nahe: Rechtsphilosophische Begründungshilfen werden bemüht, um bei der Bewältigung schwieriger Grundsatzfragen Hilfestellung zu leisten.170 Es können zwei Ansätze unterschieden werden: Ein praxisorientierter Ansatz, der versucht, rechtsphilosophische Argumentationshilfen für Probleme aus der Rechtspraxis zu finden, sowie ein zweiter, konzeptioneller Ansatz, der auf einer von Problemkonstellationen losgelösten Ebene Fragestellungen behandelt. Der praxisorientierte Ansatz fragt nach der Natur von Recht sowie nach dem juristischen Umgang mit „un(ge)rechten“ Normen171, in der Regel im creative strategies should be considered and employed in order to address the rights of victims and the needs of society as a whole.“ (van Zyl, Journal of International Affairs 52 (1999), S. 647.) 167  Vgl. z. B. Pressemitteilung des Büros des IStGH-Chefanklägers, Prosecutor briefs UN Security Council, calls for the arrest of Ahmed Harun and Ali Kushayb for crimes in Darfur (ICC-OTP-PR-20070607-222): „The Office reiterates that those bearing the greatest responsibility must be brought to justice.“ 168  Vgl. z. B. Bassiouni, in: ders. (Hrsg.), Post-Conflict Justice, S. 26; Lyck, Peace operations and international criminal justice, S. 22. 169  Bucholz-Schuster, Rechtsphilosophische Legitimation (1998), S. 50. 170  Ebd., S. 20, 48; Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz (1932), S. 131; Gröscher/Morlok (Hrsg.), Rechtsphilosophie und Rechtsdogmatik in Zeiten des Umbruchs; Adomeit, NJW 1993, S. 2914 ff. 171  Drumbl, Atrocity, Punishment, and International Law; Cryer, Prosecuting International Crimes.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Zusammenhang mit strafprozessualen Konstellationen.172 Oft wird diese Debatte entlang der Argumentationslinien der klassischen Hart-Fuller-Debatte173 geführt.174 Der konzeptionelle Ansatz diskutiert die Frage, ob es sich bei TJ um eine andere Konzeption von Gerechtigkeit handeln würde – ein Aliud: „Transitional Justice in this incarnation denotes a different kind or type of justice – one especially befitting the circumstances of transitional societies“175 oder „a special kind of justice appropriate only for extraordinary circumstances“176. Für diesen Ansatz wird u. a. angebracht, dass es in der westeuropäischen Rechtskultur die Unterscheidung von „normaler“ und „historischer“ Gerechtigkeit schon in der griechischen Götterwelt gegeben habe.177 Dieses konzeptionelle Exzeptionalitätsverständnis bestimme den Inhalt von Rule of Law und würde zu dessen Deutungsparadigma: Rule of Law sei im Hinblick auf (jede) Transition neu zu bestimmen.178„Transitional“ Rule of Law sei Rule of Law im Ausnahmezustand und nicht mit dem in stabilen Zeiten 172  Vgl. z. B. Seidel, Rechtsphilosophische Aspekte der „Mauerschützen“-Prozesse; Sendler, NJW 1997, S. 3146 ff.; ders., ZRP 1993, S. 1 ff. 173  Unter der Hart-Fuller-Debatte wird eine Debatte bezeichnet, die von Hart als Vertreter des Rechtspositivismus und Fuller als Vertreter des Naturrechts geführt wurde. Hart argumentierte, dass die Frage des Rechts strikt von der Frage der Moral zu trennen sei. Dagegen war Fuller der Auffassung, dass eine solch klare Trennung nicht möglich sei und stellte acht Prinzipien der „inneren Moralität des Rechtes“ auf, bei deren Beachtung ein Gesetz gerecht wäre. Beide beschäftigten sich mit der Frage, wie durch bundesdeutsche Gerichte mit den nationalsozialistischen Gesetzen umzugehen sei (vgl. Krygier, The Hart-Fuller Debate and Law in Transitional Societies, S. 7). Vgl. auch die Kritik Harts an der Radbruchschen Formel (Hart, Recht und Moral, S. 14 ff.). 174  Ursachi, in: Dvoráková/Milardovic (Hrsg.), Lustration and consolidation of democracy and the Rule of Law in Central and Eastern Europe, S. 80; Krygier, The Hart/Fuller Debate and Law in Transitional Societies, S. 7; Teitel, Transitional Justice, S. 13. 175  Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 88; ähnlich: Gray, Fordham Law Review 74 (2006), S. 2621. 176  Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 90. 177  Während Dike (röm.: Nemesis, Göttin der Rache und Vergeltung) sich mit der historischen und göttlichen Gerechtigkeit befasste (die oft als Vorsehung oder Schicksal interpretiert wurde), sorgte sich Themis (röm.: Justitia) um die „normale“ Gerechtigkeit. Die Realisierung der „historischen Gerechtigkeit“ wurde dabei den Göttern überlassen und sollte nicht während des irdischen Daseins der Menschen, sondern während deren Leben in der Nachwelt vollzogen werden. Maßstäbe, die für die „normale“ Gerechtigkeit entwickelt worden waren (so z. B. die menschliche Vernunft), seien auf diese Art von Gerechtigkeit nicht anwendbar (Czarnota, Studies in Logic, Grammar and Rhetoric 19 (2009), S. 139 f.). 178  Vgl. Teitel, Transitional Justice, S. 15.



I. Der Begriff99

geltenden Maßstab zu vergleichen.179 Dies habe dann konsequenterweise auch Auswirkungen auf der Rechtsanwendungsebene, v. a. auf Verfahrensgarantien sowie das Rückwirkungsverbot und Strafverfolgungspflichten. Diese konzeptionellen Überlegungen fragen nach den Besonderheiten der Anforderungen an Gerechtigkeit bzw. Recht in les heures zero180 und erörtern staatsrechtliche, politiktheoretische sowie -philosophische Fragestellungen. Im Folgenden wird dieses Verständnis der Exzeptionalität von TJ als konzeptionell bezeichnet. Der Begriff der Gerechtigkeit wird im Rahmen des praxisorientierten Diskurses v. a. formell verstanden. Der konzeptionelle Ansatz fragt daneben, ob es sich bei TJ um „extraordinary justice“ im Gegensatz zu „ordinary justice“ handeln würde.181 (4) Kriminologischer Ansatz Die Kriminologie als „geordnete Gesamtheit des Erfahrungswissens über das Verbrechen, den Rechtsbrecher, die negativ soziale Auffälligkeit und über die Kontrolle des Verhaltens“182 ist die empirische Seite des Strafrechts und daher als Wirklichkeitswissenschaft von großer Bedeutung für TJ.183 Die Kriminologie hatte unabhängig von dem Aufkommen von TJ bereits Konzepte und Theorien zur Bezeichnung der u. a. vom Staat zu verantwortenden Großverbrechen184 entwickelt, so z. B. „Mega-Dimension des Ver­ bre­chens“185, „kriminell pervertierte Systeme“186, „staatsverstärkte Krimi­ na­lität“187, „Makrokriminalität“188 bzw. „Kriminalität der Mächtigen“189. 179  Ebd.,

S. 215. CLPE Research Paper Series 4 (2008), S. 5. 181  Gray, Fordham Law Review 74 (2006), S. 2621. 182  Kaiser, Kriminologie (1996), S. 1. 183  Johnstone/Ward, Law and Crime, S. 170. 184  Die folgende Auswahl ist der deutschen kriminologischen Literatur entnommen. 185  Vgl. Schüler-Springorum, Kriminalpolitik für Menschen 1991, S. 217, 235; Neubacher, Kriminologische Grundlagen einer internationalen Strafgerichtsbarkeit, S. 18. 186  Vgl. Lampe, ZStW 106 (1994), S. 701 f. 187  Vgl. Naucke, Die strafjuristische Privilegierung staatsverstärkter Kriminalität, S.  19 ff.; ebenso: Arnold/Silverman, European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice 1998, S. 141. 188  Vgl. Jäger, Makrokriminalität, S. 13; ders., Versuch über Makrokriminalität, StV 1988, S. 172, 175; vgl. Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 525 ff. 189  Vgl. Scheerer, in: Kaiser (u.  a.), Kleines Kriminologisches Wörterbuch, S.  246 ff. 180  Zumbansen,

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Sie hatte sich auch schon mit einzelnen Völkerrechtsverbrechen im Besonderen beschäftigt190. Diese kriminologischen Begriffe bzw. Konzepte werden teilweise als überlappend, teilweise als sich gegenseitig ausschließend betrachtet.191 Den Ansätzen ist gemeinsam, dass sie die Phänomene zumindest grundsätzlich als Kriminalität auffassen.192 Sie erkennen das grundsätzliche Dilemma, dass sich in TJ-typischen Situationen das Verhalten nicht durch die Devianz, sondern durch die rollenkonforme Übereinstimmung mit den faktischen Erwartungen und Verhaltensnormen einer Gruppe (in der Regel der Regierung) auszeichnet. Auch spielt die kollektive Veränderung moralischer Wertorientierungen und Neutralisationsmechanismen eine wichtige Rolle193 sowie die aktive Rolle des Staates.194 Die „Ausnahmesituation“ ist die politische Rahmenbedingung.195 Diese Konstellation kann daher nicht als mit der der Alltagskriminalität vergleichbar angesehen werden und benötigt eine gesonderte Betrachtung. So machen sich die kriminologischen Ansätze das Exzeptionalitätsargument zum Ausgangspunkt. Als Beispiel eines kriminologischen Ansatzes in TJ kann folgende Definition herangezogen werden: „[TJ, Anm. d. Verf.] appears in post-conflict situations, typically when the formal justice system has been used as an instrument of repression by one social group against another.“196

Die kriminologische Perspektive auf TJ hat bisher eher eine Nebenrolle gespielt, mittlerweile jedoch zur Entwicklung der Supranational Criminology geführt.197 Dieser Zweig der Kriminologie stützt sich auf die bereits vorhandenen Theorien und Ansätze zur juristischen Aufarbeitung von staatlich unterstützter Makrokriminalität, will aber noch darüber hinaus die den Frieden und die Sicherheit bedrohende Massenviktimisierung berücksichtigen.198 190  Kerstedt, in: Schneider (Hrsg.), Internationales Handbuch der Kriminologie, Besondere Probleme der Kriminologie, S. 41 ff. 191  So können innerhalb der „Kriminalität der Mächtigen“ Machtmissbrauch, Korruption, Folter und Makrokriminalität unterschieden werden, die sich teilweise überlappen. Die Regierungskriminalität kann wiederum als Spezialfall des Machtmissbrauchs aufgefasst werden (Kaiser, Kriminologie, S. 424, Rn. 40 f.). 192  Vgl. für die Makrokriminalität ausdrücklich: Ebd., S. 431 Rn. 52. 193  Ebd., S. 432 Rn. 53. 194  Ambos, Der Allgemeine Teil des Völkerstrafrechts, S. 50. 195  Kaiser, Kriminologie (1996), S. 431 Rn. 52. 196  Hudson, in: Maguire u. a. (Hrsg.), The Oxford handbook of criminology, S. 170. 197  Johnstone/Ward, Law and Crime, S. 190; Hamber, Transforming societies after political violence: truth, reconciliation, and mental health, S. 136. 198  Smeulers, Newsletter Criminology International Crimes 1 (2006), S. 3. Ein mögliches kriminologisches Forschungsprogramm wird wie folgt beschrieben: „Societies



I. Der Begriff101

Die Definition zeigt, dass die kriminologische Perspektive auf TJ den Blick auf die Begehungsweise und die Umstände der Menschenrechtsverletzungen richtet. Darüber hinaus werden Fragen angesprochen, die sich mit der Definition und der Konzeptualisierung dieser internationalen Verbrechen beschäftigen, Theorien und Ideen zur Erfassung dieser Verbrechen entwickeln, um diese zu analysieren und ein Inventar an möglicher präventiver und repressiver Bekämpfungsformen zu erstellen.199 Im Mittelpunkt des kriminologischen TJ-Diskurses steht die Erklärung der Entstehung dieser besonderen Form der Kriminalität, d. h. der systematischen Gewalt als soziales Phänomen.200 Einen wichtigen Platz in diesem Diskurs nimmt auch die sog. viktimologische Perspektive201 ein, die die Opfer zum Ausgangspunkt ihrer Fragestellung nimmt.202 Der viktimologische Ansatz bezeichnet eine Forschungsperspektive in TJ, die die Bedürfnisse der Opfer in den Mittelpunkt rücken will.203 Davon ist der opferrechtsorientierte Diskurs zu unterscheiden.204 Die genannten Perspektiven überlappen sich, sind jedoch nicht deckungsgleich. Die Opferrechte sind ein normativer Diskurs, während der viktimologische ein primär kriminologischer ist. and political systems that commit international crimes need to be studied, just like organizations involved in committing the crimes, situations in which such crimes are committed and the dynamics leading to the perpetration of these crimes. An important aspect to study are the reactions from the media, organizations, third states and especially the reaction of intergovernmental organizations like the UN and its Security Council as the representative of the international community. Reactions to early signs of upcoming violence but also during and after the violations took place need to be analyzed. Next the individuals who are involved in the crimes need to be studied: the perpetrators, the victims and the bystanders. Why do the perpetrators commit such atrocious crimes? How are the victims targeted? Why do bystanders stand by? […] Last but not least the question on how to deal with a period of international crimes and other gross human rights violations is crucial. International criminal justice needs to be studied but also other means such as truth and reconciliation commissions.“ (Ebd., S. 2.) 199  Smeulers/Haveman, Supranational Criminology, S. 18. 200  Z.  B. Gewaltssoziologie am Beispiel Nordirland: Baumann, Zeitschrift für Rechtssoziologie 30 (2009), S. 85 ff. 201  Die Viktimologie ist heute nach h. M. als Teilgebiet der Kriminologie anzusehen (Hartmann, Perspektiven professioneller Opferhilfe, S. 59). 202  Z. B. Seils, La justicia transicional. Durch diese Forschungsperspektive können die Bedürfnisse von Privatpersonen (im Gegensatz zu den Bedürfnissen von Institutionen oder politischen Eliten) zum Mittelpunkt von Politikentscheidungen gemacht werden (ebd., S. 14). 203  Collins, Post-TJ Human Rights Trials in Chile and El Salvador, S. 13. 204  Rimmer, in: Pickering/Lambert (Hrsg.), Global Issues: Women and Justice, S. 335–365; Capone, International Journal of Rule of Law, TJ and Human Rights 1 (2010), S.  98 ff.

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(5) Rechtssoziologischer Ansatz Als Rechtsdisziplin, die sich mit der Wechselwirkung zwischen Recht und Gesellschaft beschäftigt, hat die Rechtssoziologie denkbar viele Zugänge zu dem hier angesprochenen Problemkreis.205 Dies beginnt mit der Frage, welcher Rechtsbegriff zugrunde zu legen ist (z. B. staatliche Normen oder indigene Normen206), die Einordnung traditioneller Sanktionsformen bzw. Konfliktlösungsmechanismen in das staatliche Rechtsdurchsetzungssystem (z. B. Gacaca-Gerichte)207 und die Frage nach der Funktion von Recht.208 Der Fokus rechtssoziologischer Fragestellungen im TJ-Kontext liegt auf der Wirkungsdimension von Recht, d. h. wie und ob bestimmte Normen in die Gesellschaft hineinwirken bzw. wie deren faktische Akzeptanz und Befolgung notfalls hergestellt oder erzwungen werden kann. Dieser Ansatz ist ein empirischer, d. h. durch die Beobachtung der gesellschaftlichen Tatsächlichkeit und deren Überprüfung aufgrund statistischer Gesetzmäßigkeiten, werden Zusammenhänge erklärt.209 Dabei werden keine Aussagen darüber gemacht, wie etwas sein soll, sondern wie etwas (tatsächlich) ist. So kann TJ z. B. als Recht, „das in sozialer Anomie operiert“210, aus rechtssoziologischer Perspektive beschrieben werden.211 Als Ziel von TJ wird „transformation of social relationships in divided and conflicted 205  Statt vieler z. B. Tavuchis, Mea Culpa: A Sociology of Apology and Reconciliation. 206  Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S.  113, Rn. 224; zur Abgrenzung werden rechtsanthropologischen Beiträge die Frage stellen, wie traditionell in einer Gemeinschaft Konflikte gelöst wurden: „Is there a preferred local method of conflict resolution? How accepted is this method? Does it work? What does this involve? Are there ways of addressing human rights abuses that can actually cause more conflict or are inappropriate for the culture?“ (Baxter, Anthropology News 47 (2006), S. 7.) 207  Diese Fragestellung könnte auch als rechtsanthropologisch eingeordnet werden. Das Verhältnis zwischen Rechtssoziologie und Rechtsanthropologie ist umstritten und spiegelt damit das strittige Verhältnis der Mutterdisziplinen wider (vgl. Benda-Beckmann, Rechtssoziologie 12 (1991), S. 97 ff.). Gemäß hier vertretener Auffassung ist die Rechtsanthropologie ein Teilgebiet der Rechtssoziologie, deren Besonderheit der Forschungsgegenstand − nämlich die Konzentration auf „primitive“ Gesellschaften ist (Rehbinder, in: Grossfeld/Fikentscher, FS für Wolfgang Fikentscher zum 70. Geburtstag, S. 202). 208  Kunz/Mona, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, S. 124. 209  Ebd., Rn. 264. 210  Die Anomie bezeichnet in der Soziologie den Zustand fehlender oder schwacher sozialer Normen, Regeln und Ordnung, häufig fälschlicherweise als Anarchie bezeichnet. Der Begriff wurde von Durkheim geprägt und von Meron weiterentwickelt. 211  Amstutz, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), S. 126 f.



I. Der Begriff103

communities“212 festgehalten. Dabei werden Fragen nach der Funktion von Rechtsnormen in einer Postkonfliktgesellschaft gestellt213, Prozesse der Auswahl bestimmter TJ-Instrumente sowie deren Wirkung auf das gesamtgesellschaftliche System analysiert214 oder die Handhabung bestimmter Konzepte durch die Rechtsprechung internationaler Strafgerichtshöfe (z. B. sexuelle Gewalt gegen die Zivilbevölkerung215) dargestellt. Neben diesen Fragestellungen ist es insbesondere die Funktion von Recht, die diskutiert wird.216 Diese funktionelle Betrachtung von Recht macht keine Aussagen über den Inhalt des Rechts. Es geht darum, wie dieses eingesetzt wird. Allein die Tatsache, dass das Recht als Instrument gewählt wird, soll bereits eine bestimmte Wirkung zeitigen, z. B. die Stärkung des Rule of Law oder der staatlichen Strafe in seiner symbolischen Funktion.217 Vielen rechtssoziologischen Abhandlungen ist die These gemeinsam, dass sich die Funktion von Recht in der Transition von der Funktion von Recht in stabilen Zeiten wesentlich unterscheidet.218 Dieses Verständnis wird im Folgenden als sog. funktionale Exzeptionalität bezeichnet. Eine andere Fragestellung behandelt die Ursachen für die Wahl eines bestimmten Instruments. So könnten z. B. politische Umstände eine Amnestie notwendig machen, um die politische Stabilität des gefundenen Kompromisses nicht zu gefährden.219 Während sich der rechtsphilosophische TJ-Diskurs durch die Beschäftigung mit der Natur des Rechts auszeichnet und sich der kriminologische TJDiskurs mit dem Gewaltphänomen und dessen Prävention beschäftigt, wird 212  Bonacker, in: Annual Meeting of the International Studies Association 2010, S. 4. Für Wahrheitskommissionen ist dies z. B. mit überraschenden Ergebnissen geschehen: „Specifically, we find that truth commissions likely have a negative impact on human rights when used alone.“ (Olsen u. a., IJTJ 4 (2010), S. 462; Sikkink/ Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S. 427 ff.) 213  Olsen u. a., IJTJ 4 (2010), S. 457 ff. 214  Editorial, IJTJ 1 (2007), S. 2. 215  Vgl. z. B. Campbell, IJTJ 3 (2007), S. 411–432; dies., Social & Legal Studies 13 (2004), S. 329 ff.; dies./Bell, Social & Legal Studies 13 (2004), S. 299 ff. 216  „In modern political transformation, it is through legal practices that successor societies make liberalizing political change, for, in mediating the normative hiatus and shift characterizing transition, the turn to law comprises important functional, conceptual, operative, and symbolic dimensions.“ (Teitel, Transitional Justice, S. 221.) 217  Ebd., S. 7, 28. 218  „In its ordinary social function, law provides order and stability, but in extraordinary periods of political upheaval, law maintains or even as it enables transformation. Accordingly, in transition, the ordinary intuitions and predicates about law simply do not apply.“ (Ebd., S. 6.) 219  Campbell/Aolain, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 878.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

der rechtssoziologische Diskurs daher vielmehr von der Frage nach der Funktion von Recht beherrscht220, d. h. „[..a]sking not merely what law is and how it has come to be but what (in all its senses) it does, how it does it, and how it may be made to do it better.“221 So werden Fragen nach den Auswirkungen einer Norm bzw. eines TJ-Instrumentes auf die Gesellschaft gestellt, d. h. also nach der „Effektivität“ oder Rechtswirksamkeit im weiteren Sinne in Bezug auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Stabilität.222 (6) Zusammenfassung Als völkerrechtlicher Ansatz wurde hier ein Ansatz bezeichnet, der auf die Verletzung von Normen abstellt und dem der Gedanke der Bekämpfung der Straflosigkeit zentral ist (menschen- oder humanitärrechtlicher Ansatz) bzw. die Etablierung der strafrechtlichen individuellen Verantwortung (völkerstrafrechtlicher Ansatz). Die menschen- bzw. humanitärrechtliche Diskursregel lautet für die vorliegende Untersuchung: Recht eines Individuums auf Schutz durch den Staat, das ihm aufgrund seines Menschseins oder aufgrund seines Status als Nicht-Kombattant zusteht (Signalwort: Straflosigkeit, Impunity). Diese Rechte umfassen insbesondere das Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung. Die zweite Modalität dieses Ansatzes ist die Konzentration auf die Herstellung strafrechtlicher Verantwortung. Als völkerstrafrechtliche Diskursregel wird für diese Untersuchung festgelegt: Pflicht zur staatlichen Untersuchung, gegebenenfalls Einleitung eines Strafverfahrens, aufgrund des dringenden Tatverdachts der Verletzung völkerstrafrechtlicher Normen mit dem Ziel der Herstellung individueller (straf-) rechtlicher Verantwortung (Signalwort: individuelle strafrechtliche Verantwortung, Accountability / Responsibility). Geht es um die Herstellung der strafrechtlichen Verantwortung der Hauptverantwortlichen für einen abschließend definierten Katalog von schweren Menschenrechtsverletzungen, ist der völkerstrafrechtliche Diskurs einschlägig (Regel: Personen, die die größten Verantwortung tragen). Die Zielorientierung (Stabilität, Rule of Law, Demokratie) spielt bei beiden Modalitäten des völkerrechtlichen Ansatzes nur eine untergeordnete Rolle; es handelt sich jeweils um ein prozessorientiertes Verständnis. Im rechtsphilosophischen Diskurs wurde ein praxisorientierter Ansatz unterschieden, der versucht, Antworten auf Probleme aus der Rechtspraxis zu finden, sowie ein konzeptioneller, der sich auf einer von Problemkons220  So 221  So

z. B. Amstutz, Zeitschrift für Rechtssoziologie 29 (2008), S. 127. allgemein zum funktionalistischen Ansatz Pound, Jurisprudence Vol. I,

S. 349. 222  Vgl. z. B. Olsen u. a., IJTJ 4 (2010), S. 475.



I. Der Begriff105

tellationen losgelösten Ebene mit TJ-Fragestellungen beschäftigt. Beide behandeln Fragen nach der Natur des Rechtes oder der Gerechtigkeit spezifisch zu Zeiten des Übergangs, stellen Fragen nach dem Inhalt von TJ-Gerechtigkeit und dem Umgang mit „un(ge)rechten“ Normen. Die rechtsphilosophische TJ-Diskursregel lautet darauf aufbauend: Anforderungen an Recht und Gerechtigkeit zu Zeiten des Systemumbruchs (Signalwörter: Natur, Unrecht, Konzeption). Der kriminologische Ansatz erkennt an, dass sich in Transitionen das Verhalten nicht durch Devianz, sondern durch rollenkonforme Übereinstimmung mit den faktischen Verhaltensnormen einer Gruppe auszeichnet. Die Ausnahmesituation bildet den Rahmen. Der kriminologische Ansatz fragt nach den Umständen und der Begehungsweise der Menschenrechtsverletzungen. Die kriminologische Diskursregel lautet daher: Erklärung der Entstehung dieser besonderen Form von Gewalt und bestmögliche Prävention (Signalwörter: Ursachen, Strukturen, Bedingungen, Prävention). Der rechtssoziologische Ansatz schließlich untersucht die Wirkungsdimension von Recht, d. h. wie und ob bestimmte Normen in die Gesellschaft hineinwirken, und fragt daher nach der Funktion von Recht in einer Postkonfliktgesellschaft. TJ-Instrumente sind Mittel zum Zweck. Hier werden keine Angaben über das Soll gemacht, sondern lediglich über das Ist. Die rechtssoziologische Diskursregel lautet daher: Auswirkungen des Rechts bzw. einzelner Normen bzw. einzelner TJ-Instrumente auf die Gesellschaft (Signalwörter: Funktion, Wirkung). Darüber hinaus wurde ein funktionales, konzeptionelles und faktisches Exzeptionalitätsverständnis von TJ unterschieden. Ausgangspunkt ist jeweils die Annahme, dass sich die Situation der Transition grundlegend von der Situation in stabilen Gesellschaften unterscheidet. Während das funktionale Verständnis davon ausgeht, dass sich die Funktion von Recht bzw. Gerechtigkeit grundsätzlich von der zu stabilen Zeiten unterscheidet, behauptet das konzeptionelle Verständnis, dass es sich bei TJ um eine andere Kategorie von Gerechtigkeit handelt. Sowohl das funktionale als auch das konzeptionelle Verständnis werden den Inhalt z. B. von Rule of Law in Zeiten der Transition im Vergleich zum „normalen“ Rule of Law auf normativer Ebene als unterschiedlich bestimmen. Das faktische Verständnis hingegen geht davon aus, dass der Vergleichsmaßstab normativ weiterhin der Gerechtigkeitsmaßstab zu stabilen Zeiten sein soll und berücksichtigt die „Exzeptionalität der Umstände“ z. B. über die Verhältnismäßigkeitsprüfung. Auffallend ist, dass sowohl die kriminologischen, rechtssoziologischen sowie -philosophischen Ansätze die Exzeptionalität zum Ausgangspunkt ihrer Ausführungen machen, während die (völker-)rechtsdogmatischen Ansätze diese nur teilweise berücksichtigen.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

bb) Politikwissenschaft Unter den Teilgebieten der deutschen Politikwissenschaften ist es insbesondere die Vergleichende Politikwissenschaft (und hier wiederum die Systemwechsel- und Transformationsforschung), auf die sich die nachfolgende Darstellung konzentriert. Es finden sich aber auch z. B. Beiträge aus der ideengeschichtlichen Perspektive zu TJ.223 Seit Mitte der 1980er Jahre hat sich die Systems- und Transformationsforschung als Spielart der vergleichenden Politikwissenschaft herausgebildet. Sie beantwortete zunächst Fragen nach dem Warum und dem Wie des Zusammenbruchs von Diktaturen und der Demokratisierung, später dann nach den Bedingungen für die Konsolidierung und der Qualität der neuen Demokratien.224 Es lassen sich vier unterschiedliche Schwerpunktbildungen der Theorien nach System, Struktur, Kultur und Akteuren unterscheiden.225 Die Transformationsforschung konzentriert sich v. a. auf die Analyse der Makro- und Mikroebene und hier insbesondere auf die der Strukturen, Institutionen und Akteure. Neben der Sequenzialisierung von Transformationen hat die Transformationsforschung förderliche und hinderliche Bedingungen formuliert und untersucht die Funktionsfähigkeit des sich entwickelnden Staatswesens.226 Diese Fragestellung wird in die Analyse von Gegenstand227 und Form228 des Wechsels eingebunden.229 Transformationstheoretische Beiträge fügen TJ in diese sozialwissenschaftlichen Analysen ein, z. B. „[t]he term ‚TJ‘ has been coined to refer to processes of dealing with a past of state-sponsored oppression and violence, processes characteristic of the third wave of democracy in the second half of the 20th Century“230

oder „the study of the choices made and the quality of justice rendered when states are replacing authoritarian regimes by democratic state institutions […].“231 z. B. Wierzynska, New York University Law Review 79 (2004), S. 1934. Politikwissenschaft, S. 126. 225  Merkel, Systemtransformation, S. 67. 226  Lauth/Wagner, Politikwissenschaft, S. 127. 227  Fragestellungen nach dem Gegenstand der Transformation (Regierung, Regierungssystem, politischem Regime, Staat oder soziopolitischem System) werden unter diesem Punkt behandelt. 228  Fragestellungen nach der Geschwindigkeit, den Etappen der Transformation und den Akteuren werden hierunter behandelt. 229  Merkel, Systemtransformation, S. 69 f. 230  Mihai, Ratio Juris 23 (2010), S. 188; vgl. auch Danieli, in: Joyner (Hrsg), Reining in impunity for international crimes and serious violations of fundamental human rights, S. 303 ff. 223  Vgl.

224  Lauth/Wagner,



I. Der Begriff107

Es handelt sich damit um eine Kombination aus prozessorientierter und qualitativer Begriffsbildung. 231

TJ ist Teilaspekt dieser Transition, d. h. Teil des Kontinuums in der Transformation eines politischen Systems.232 Andrieus Ansatz ist beispielshaft für diesen politikwissenschaftlichen Diskurs233: Sie bezeichnet TJ als „Instrument der Demokratisierung und Menschenrechte“ und als wichtigen Bestandteil aller Peacebuilding-Maßnahmen.234 Es finden sich zwei Arten von Fragestellungen, die in dem politikwissenschaftlichen Diskurs zu diesem Thema dominieren: Zunächst die Frage, warum und wie es zur Wahl eines bestimmten TJInstrumentes gekommen ist. TJ ist hier lediglich ein weiterer Teilprozess der Transition für den es gilt, Bedingungen zu analysieren. Unter „Vergangenheitspolitik“ wird ein Handlungsgefüge verstanden, „das den üblichen politischen Konstellationen von Macht, Interesse und Konsens unterliegt. Moral ist dabei eine von vielen argumentativen Ressourcen.“235 Fällt die Wahl auf eine bestimmte TJ-Maßnahme, so wird dies als Ergebnis des „durch soziale Kräfte beeinflussten Handlungsfeldes“236 gesehen, als Teil des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Paktes zwischen alten und neuen Eliten.237 Für Strafverfolgungen wird z. B. das Erklärungsmuster des Activist Lawyer sowie des Netzwerkes angeführt.238 231  Siegel,

Human Rights Quarterly 20 (1998), S. 431. Closing the books, S. 1. 233  „The theories and research programs that explain, justify, compare, and contest specific practices of moral and social repair, and the political and social movements dealing with the past, including practices such as Truth Commissions, trials, administrative reorganization, nation building, commemoration and reparation, is what we now call ‚transitional justice‘.“ (Andrieu, Online Encyclopedia of Mass Violence 2008, S. 2.) 234  „[C]onfronting the past is considered necessary to foster a culture of human rights, to reform a State’s institutions, and to re-build civil society after the occurrence of mass violence.“ (Ebd., S. 3.) 235  Bock/Wolfrum, Umkämpfte Vergangenheit, S. 98. 236  Vgl. Wüstenberg, in: Conze u. a. (Hrsg.), Die demokratische Revolution 1989 in der DDR, S. 224 mit dem Verweis auf diesen „sozialwissenschaftlichen Grundgedanken“. 237  Merkel, Systemtransformation, S. 85. 238  „Rather, it was the result of the concerted efforts of small groups of activist lawyers who pioneered the strategies, developed the legal arguments, often recruited the plaintiffs and/or witnesses, marshaled the evidence, and persevered through ­years of legal challenges. These groups of lawyers resemble an advocacy network, in that they are interconnected groups of individuals bound together by shared val­ ues and discourse who engage in dense exchanges of information and services.“ (Sikkink/Lutz, Chicago Journal of International Law 2 (2001), S. 1.) 232  Elster,

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Die zweite Fragestellung beschäftigt sich mit der Bedeutung der gewählten Form von TJ für die Transition. Die Bedeutung der getroffenen Maßnahme für das politische System wird analysiert.239 So wird beispielsweise für Wahrheitskommissionen gefragt, ob diese einen positiven Effekt auf den Versöhnungsprozess und damit den demokratischen Konsolidierungsprozess hätten.240 Dies ähnelt der funktionalen rechtssoziologischen Betrachtungsweise, unterscheidet sich aber in der Bedeutung, die dem Recht hierbei zugestanden wird: Während die Rechtssoziologie nach der Bedeutung der rechtlichen Maßnahmen fragt, betrachtet der politikwissenschaftliche Ansatz Recht nur als ein Element neben vielen. cc) Sozialpsychologie Die Sozialpsychologie241 beschäftigt sich mit dem Erleben und Handeln von Individuen im sozialen Kontext.242 Dabei wird die psychologische Sozialpsychologie, die sich mit dem Individuum und den Auswirkungen sozialer Stimuli auf dieses beschäftigt, von der soziologischen Sozialpsychologie unterschieden, die sich auf die Reziprozität des Verhaltens von Individuum und Gesellschaft sowie auf soziale Interaktion konzentriert.243 Der Arm der psychologischen Sozialpsychologie in TJ beschäftigt sich mit dem Beitrag von TJ zum psychologischen Heilungsprozess der Opfer und untersucht die Auswirkungen verschiedener TJ-Mechanismen auf bzw. deren therapeutische Bedeutung für die Opfer. Die Mutterdisziplin ist die Psychologie.244 Als Definition von TJ aus dem sozialpsychologischen Blickwinkel kann z. B. gelten: „[…] response to the question of how societies and individuals […] come to terms with the past.“245 Dagegen erweitert sich bei der soziologischen Sozialpsychologie der Blick über das Individuum hinaus auf den soziopolitischen Kontext. Die Mutterdisziplin ist hier die Soziologie.246 Sie nimmt das Individuum in z. B. Ranft, Verspätete Wahrheitskommissionen, S. 15. S. 15; Gibson, American Journal of Political Science 48 (2004), S. 215. 241  Für einen solchen Ansatz in TJ vgl. z. B. Aiken, The Social Psychology of Tran­ sitional Justice; Bennet/Earwaker, Journal of Social Psychology 134 (1993), S. 457 ff.; Darley/Pittman, Personality and Social Psychology Review 7 (2003), S. 324 ff.; Danieli, nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 572 ff.; Hamber, Transforming societies after political violence; Dutton, The Psychology of Genocide, Massacres, and Extreme Violence; Kelman, International Review of the Red Cross 87 (2005), S. 123 ff. 242  Fischer/Wiswede, Grundlagen der Sozialpsychologie, S. 10. 243  Scholl, in: Lösche (Hrsg.), Göttinger Sozialwissenschaften heute, S. 337. 244  Henry, IJTJ 3 (2009), S. 114. 245  Ebd., S. 117; vgl. auch Choi, Political Psychology 30 (2009), S. 161 ff. 239  Vgl.

240  Ebd.,



I. Der Begriff109

seiner Stellung als traumatisiertes Opfer zum Ausgangspunkt, erweitert die Perspektive auf das gesellschaftliche Umfeld und beschreibt die Stellung des Individuums unter Bezugnahme auf dieses soziale System. Dabei wird die Rolle der Maßnahmen auf gesellschaftlicher Ebene als sehr wichtig für den individuellen Heilungsprozess eingeschätzt. Für einen ganzheitlichen Prozess werden über die individuellen Heilungsinterventionen hinaus (z. B. Therapie, Trauerhilfe, Einbindung des Prozesses in die örtliche Gemeinschaft), sozio-politische Interventionen für notwendig gehalten, v. a. gesellschaftliche Versöhnungsprozesse.247 246

Es bleibt festzuhalten, dass viele der in der TJ-Literatur gängigen Begriffe (Bsp. Versöhnung, Vergebung, Heilung aber auch die Wiedergutmachung) eine besondere Bedeutung in der Sozialpsychologie haben, und bei der Verwendung in der TJ-Literatur nicht immer festzustellen ist, ob es sich um ein disziplinäres oder laien(sozial)psychologisches Verständnis handelt.248 Als beispielhaft für einen sozialpsychologischen TJ-Diskurs kann das sog. Therapeutic Jurisprudence-Paradigma gelten: Darunter wird das Studium der „Rolle von Recht als therapeutischer Agent“ („healing through justice“249) sowie der Einfluss von Recht und Rechtsprozessen auf Emotionen und das psychologische Wohlbefinden verstanden.250 Hierbei handelt es sich um einen Ansatz, dessen Materialobjekt das Recht ist. Unter den sozial­ psy­ chologischen Ansätzen in der TJ-Literatur ist dies einer der dominierenden.251 ähnlich: Henry, IJTJ 3 (2009), S. 116. in: de Greiff (Hrsg.), The Handbook of Reparations, S. 562; Akhavan, American Journal of International Law 95 (2001), S. 7 ff.; Fletcher/Weinstein, Human Rights Quarterly 24 (2002), S. 573 ff.; Truth and Reconciliation Commission of South Africa, Report, Bd. 5, Kapitel 9. 248  So wird beispielsweise ein Sozialpsychologe das Wort „Versöhnung“ anders definieren als ein Theologe oder ein ein Konfliktforscher (vgl. Hamber, in: de Greiff (Hrsg.), The Handbook of Reparations, S. 562; Stover, The Witnesses, S. 11; Klein/ Riviere, Love, Hate and Reparation). 249  Henry, IJTJ 3 (2009), S. 117. 250  Wexler/Winick, Law in a therapeutic key, S. XVII. Für eine Kritik dieses Ansatzes: Arrigo, Psychiatry, Psychology and Law 11 (2004), S. 23–43. So wird z. B. diskutiert, dass individuelle Strafjustiz größere Ressentiments zwischen den früheren Konfliktparteien schaffe, alte Wunden wieder aufbrechen lasse und neue Wunden der ohnehin schon fragmentierten Gesellschaft zufügen könne (Long/Brecke, War and Reconciliation, S. 68.); andere gehen davon aus, dass sowohl internationale als auch nationale Prozesse nur einen geringen Einfluss auf die Einstellungen der Opfer gegenüber dem Feind hätten (Stover/Weinstein (Hrsg.), My Neighbor, My Enemy). Daneben gibt es auch die Auffassung, dass Prozesse zu einer Individualisierung der Schuld führen würden, die die kollektiven Anreize für Vergebung reduziere (Fletcher/Weinstein, Human Rights Quarterly 24 (2002), S. 573–639). 251  Der Therapeutic Jurisprudence-Ansatzes geht grundsätzlich davon aus, dass das Sprechen über traumatische Erfahrungen die psychologische Bürde des Schwei246  Vgl.

247  Hamber,

110

Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Aus sozialpsychologischen Debatten stammende Argumente werden in der TJ-Literatur oft als Rechtfertigung für restaurative Gerechtigkeit herangezogen, so z. B. dass TJ notwendig sei, um das Trauma der Opfer und der Überlebenden des Konflikts zu verstehen und zu heilen.252 Das Herstellen (einer Form von) Verantwortlichkeit sei wichtig für die Opfer und Überlebenden, da sie nur hierüber mit der Vergangenheit abschließen könnten und wieder gesunde interpersonelle Beziehungen aufbauen könnten.253 Darüber hinaus findet sich diese Argumentation auch bei der Rechtfertigung der Wahl einzelner TJ-Maßnahmen.254 dd) Theologischer Ansatz Im theologischen TJ-Diskurs wird TJ eine persönliche, spirituelle Angelegenheit und erst in zweiter Hinsicht eine öffentliche.255 Der Ansatz zeichnet sich durch die Zentralität der Versöhnung bzw. Vergebung i. V. m. Restorative Justice aus.256 Während z. B. im Zentrum eines rechtswissenschaftlichen Ansatzes Accountability, im Zentrum eines politikwissenschaftlichen Ansatzes Demokratisierung oder Wahlmöglichkeiten der politischen Eliten stehen, wird ein theologischer Ansatz nicht Strafverfolgungen als Antwort auf Menschenrechtsverletzungen fordern, sondern vielmehr Versöhnung257 im Sinne von gens und der Unterdrückung sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene aufhebt (vgl. z. B. Salimovich/Lira/Weinstein, in: Conradia u. a. (Hrsg.), Fear at the Edge, S.  74 ff., Wexler, Rehabilitating lawyers). Der Ansatz wird jedoch zunehmend kritisiert. Nicht nur der therapeutische Wert wird in Frage gestellt (Fletcher/Weinstein, Human Rights Quarterly 24 (2002), S. 573–639), sondern der Ansatz insgesamt, da er das psychologische „Heilen“ den materiellen Bedürfnissen der betroffenen Individuen überordnen würde und deren Rolle als verwundbar, kindlich und schützbedürftig festschreibe (Pupavac, Social & Legal Studies 13 (2004), S. 377–401). Insbesondere die Rolle von Opfern in den internationalen Strafprozessen hat in letzter Zeit für eine kritische Debatte geführt, so z. B. ob die Zeugenaussage als „empowering or re­ traumatising“ (Henry, IJTJ 3 (2009), S. 118) einzustufen sei. Jedenfalls fehlen bis dato noch die empirischen Daten, die für die Klärung einzelner Fragen in dieser Debatte sorgen könnten (Ausnahme: Stover, The Witnesses). 252  Vgl. Henry, IJTJ 3 (2009), S. 118; Binningsbø u. a., Post-Conflict Justice and Sustainable Peace, S. 4; Bass, Managing Amnesty, S. 3. 253  Gloppen, in: Skar u. a. (Hrsg.), Roads to Reconciliation, S. 22. 254  Vgl. hierzu im Einzelnen unter Teil 3. 255  Wobei Vorbild für die „horizontale“ Versöhnung innerhalb einer Gemeinschaft und zwischen Individuen die „vertikale“ Beziehung zwischen Gott und den Menschen ist (Philpott, Religion, Reconciliation, and Transitional Justice: The State of the Field, S. 29). 256  Ebd., S. 18. 257  Vinjamuri/Boesenecker, in: Banchoff (Hrsg.), The New Religious Pluralism, S. 164.



I. Der Begriff111 „confession and repentance of perpetrators, the forgiveness of victims, the emphatetic acknowledgment of suffering on the part of other citizens, and the overcoming of enmity.“258

Vergebung, der Akt des Opfers, wird mit weitreichenden (positiven) Folgen beschrieben, der letzten Endes die Wiederherstellung der Würde des Opfers bewirken soll.259 Restaurative Gerechtigkeit wird in diesem Zusammenhang dann mit Entschuldigungen, Entschädigungen und Vergebung diskutiert.260 ee) Zusammenfassung Es wurde dargestellt, dass unterschiedliche Disziplinen und deren Teildisziplinen sich mit dem gleichen Materialobjekt, nämlich dem Recht und / oder der Gerechtigkeit nach Phasen des bewaffneten Konflikts auseinandersetzen – allerdings mit unterschiedlichen Fragestellungen. Obwohl viele der in der TJ-Literatur aufgeworfenen Fragen sich über die angesprochenen rechtswissenschaftlichen Teildisziplinen lösen lassen, bleiben doch manche Fragestellungen, die über das rechtswissenschaftliche Erkenntnisinteresse hinausgehen, unbehandelt. Die politikwissenschaftliche Transformationsforschung kann z.  B. eine Analyse der Makro- und Mikroebene und hier insbesondere der Strukturen, Institutionen und Akteure beisteuern. Dabei wird die Zentralität des Rechts für die Transition hinterfragt und der Blick auf weitere Bedingungen (hinderlich / förderlich) erweitert. Die Einordnung und Bewertung der Bedingungen für die Transition bestimmen die transformationstheoretische TJ-Diskursregel (Signalwort: Prozess, Erfolg). Der sozialpsychologische Ansatz der TJ-Forschung dagegen beschäftigt sich mit der psychischen Gesundheit des Individuums im gesellschaftlichen System und deren Bedeutung für das System und die Transition. Eine so­ zialpsychologische Diskursregel für TJ kann daher formuliert werden als Verschränkung der individuellen Aufarbeitung mit der gesellschaftlichen Aufarbeitung (Signalwort: Heilung durch TJ). Der theologische TJ-Ansatz beschäftigt sich mit der spirituellen Gesundheit der Gemeinschaft und des Individuums und der Bedeutung der Versöhnung und Vergebung für den langandauernden Frieden. Es wird dabei oft auf restaurative Gerechtigkeit Bezug genommen (Signalwörter: Versöhnung, Vergebung). 258  Ebd.,

S. 172. S. 175; vgl. auch Tutu, No Future Without Forgiveness; Philpott (Hrsg.), The Politics of Past Evil. 260  Ebd.; vgl. auch: Hadley (Hrsg.), The Spiritual Roots of Restorative Justice. 259  Ebd.,

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Politikwissenschaftlicher Diskurs: Regierung, System, Gruppe – Prozesshaftigkeit – Erfolg der Transition – Wahlmöglichkeiten

Sozialpsychologischer Diskurs: reziproke Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft – Heilung – Versöhnung

TJ Theologischer Diskurs: Individuum und Gemeinschaft – Vergebung/Versöhnung

Rechtswissenschaftlicher Diskurs: Recht bzw. Gerechtigkeit; Opfer und Täter, Staat – rechtsdogmatisch: menschenrechtlich/humanitärrechtlich: Recht auf Gerechtigkeit, Recht auf Wahrheit, Recht auf Entschädigung; Straflosigkeit; Verantwortung; völkerstrafrechtlich: (strafrechtliche) Verantwortung – rechtsphilosophisch: Natur – rechtssoziologisch: Funktion

Schaubild 9: Diskurse in TJ-relevante Disziplinen

Allgemein lässt sich festhalten, dass der rechtswissenschaftliche Diskurs den Gegenstand (Gerechtigkeit und / oder Recht) in der Geltung, im (Norm-) Inhalt, in der Durchsetzung oder in der Wirkung mit dem zeitlichen Aspekt der Transition verknüpft. Auf der Diskursebene erscheinen interessanterweise nicht „rechtmäßig / unrechtmäßig“ als Signalwörter, wie es in der Regel bei (normativen) Rechtsdiskursen der Fall ist, sondern „Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung“, „Straflosigkeit“, „(strafrechtliche) Verantwortung“ (völkerrechtsdogmatisch), „Natur“ (rechtsphilosophisch), „Gewaltursachen und -bedingungen“ (kriminologisch) und „Funktion“ (rechtssoziologisch). Die rechtliche Dimension des TJ-Forschungsbereichs, die sich mit dieser Fragestellung beschäftigt, kann für die vorliegende Untersuchung festgelegt werden als „all legal dimensions that come to the fore in the transition from violence to long-term peace […]“261.

II. Das Forschungsgebiet Für TJ werden ein Field of Practice und ein Field of Inquiry unterschieden.262 Das nachfolgende Kapitel zieht dementsprechend zunächst die Trennlinien zwischen TJ in Wissenschaft und Praxis (Field of Science und Field of Practice) sowie dem Völkerrecht, um dann mögliche Ebenen der Wechselwirkungen darzustellen. Schließlich wird die Frage erörtert, was unter der so oft zitierten „Interdisziplinarität“ von TJ verstanden werden kann. 261  Campbell/Aolain, 262  Bell,

Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 890. IJTJ 3 (2009), S. 15.



II. Das Forschungsgebiet113

1. Verhältnis von TJ-Wissenschaft und Praxis unter besonderer Berücksichtigung des Völkerrechts Die Behauptung, dass das Field of Practice für die Entwicklung des Field of Science eine beträchtliche Rolle gespielt habe, findet sich an vielen Stellen in der TJ-Literatur.263 a) Forschung und Praxis Das Verhältnis von Forschung und Praxis unterscheidet sich grundsätzlich danach, ob die fragliche Wissenschaft als Formal-264 oder Realwissenschaft (unterteilt in Grundlagenwissenschaften265 und anwendungsorientierte Wissenschaften266) eingeordnet werden kann. Für die Realwissenschaften gilt ein konstitutiver Praxisbezug (anwendungsorientierte Wissenschaften) bzw. ein akzessorischer Praxisbezug (Grundlagenwissenschaften). Die empirische Forschung dient in den anwendungsorientierten Wissenschaften neben der Erfassung praxisrelevanter Probleme vor allem der Prüfung der entwickelten Gestaltungsmodelle in der Praxis. TJ wird als ein Gebiet bezeichnet, das u. a. darauf ausgerichtet ist, Modelle und Regeln für den Umgang mit Menschenrechtsverletzungen unter einem Vorgängerregime zu entwerfen267  − d. h. es ist auf die Praxis ausgerichtet. Damit ist es als eine anwendungsorientierte Wissenschaft einzuordnen. Der Praxisbezug ist damit im Grundsatz konstitutiv. Zwischen Völkerrechtswissenschaft und der Praxis der Völkerrechtssubjekte bestehen vielfältige Wechselbeziehungen. Die Funktion der Völkerrechtswissenschaft geht über die Beratung, insbesondere die rechtspolitische, hinaus: In der Person eines heutigen  – v. a. angloamerikanischen  − Völkerrechtswissenschaftler ist oftmals die wissenschaftliche Erfahrung mit der Teitel, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 82 ff. die Formalwissenschaften (z. B. die Logik) sich mit der logisch überprüfbaren Konstruktion von Sprachen bzw. Zeichensystemen befassen, streben die Realwissenschaften nach faktisch überprüfbarer Beschreibung, Erklärung und Gestaltung empirisch wahrnehmbarer Ausschnitte der Wirklichkeit. 265  Grundlagenwissenschaften beschäftigen sich mit der Erklärung von Wirklichkeitsausschnitten mit Hilfe von Theorien und Modellen, um wissenschaftliche Erkenntnisse zu erzeugen. 266  Anwendungsorientierten Wissenschaften bezeichnen Tätigkeiten, die darauf ausgerichtet sind, mit Hilfe von Erkenntnissen der theoretischen und/oder der Grundlagenwissenschaften Regeln, Modelle und Verfahren für praktisches Reflektieren und Handeln zu entwickeln. 267  Als Beispiel kann das Toolkit der TJ-Maßnahmen von OHCHR genannt werden (siehe Teil 3, B. I. 4. c)). 263  Z. B.

264  Während

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

eines „Praktikers“ vereint: Viele Wissenschaftler waren selbst schon als Politikberater in diesem Bereich tätig, arbeiteten für den Rechtsstab des Außenministeriums ihres jeweiligen Landes oder in internationalen Organisationen. So hat Koskenniemi zu bedenken gegeben, dass sich in den letzten 20 Jahren nicht mehr eindeutig zwischen Wissenschaft und Praxis unterscheiden ließe.268 b) Praxis und Recht Für die grundsätzliche Orientierung der TJ-Praxis269 am Recht sprechen nicht nur die zahlreichen Policy Tools, die vom Hochkommissariat für Menschenrechte auf Grundlage des Völkerrechts für die Anwendung in der Praxis entworfen wurden270, sondern auch Beispiele aus der Praxis, wie z. B. das Verhalten des UN-Sondergesandten bei der Unterzeichnung des Lomé-Friedensabkommens.271 Allerdings bleibt die Praxis oft hinter den 268  „[I]ntra-professional division no longer takes place so much by formal position (legal advisor, academic, expert, activist) as commitment to a particular specialisation. Among themselves ‚human rights lawyers‘ or ‚trade lawyers‘ tend to think and act in relatively homogeneous ways (with more or less significant minorities challenging the mainstream) while the objectives of such regimes may often be different, even contradictory.“ (Koskenniemi, in: Cane/Conaghan (Hrsg.), The New Oxford Companion to Law, S. 621.) 269  Unter „Praxis“ wird hier die Planung und Umsetzung von TJ-Maßnahmen verstanden. Davon zu unterscheiden ist der Begriff der völkerrechtlichen Staatenpraxis. 270  Vgl. auch: „Taking into account the emerging developments in international law, the principles outlined in this Note, and needs of UN, including its field presences, the following approaches should be incorporated into transitional justice activities of the UN.“ (UN Approach to Transitional Justice, S. 10.) Es fällt auch auf, dass dass alle bedeutenden Soft Law-Kompendien in diesem Bereich von angesehenen Wissenschaftlern stammen (z. B. Bassiouni (Hrsg.), The Chicago Principles on Post-Conflict Justice, die Van Boven/Bassiouni-Prinzipien (Basic Principles and Guidelines) sowie die Orentlicher-Prinzipien (Updated Set of principles to combat impunity)  − vgl. hierzu Teil  3, C. II. 271  1999 hatte der UN Special Representative, der den Friedensprozess und die Verhandlungen um den Friedensvertrag zwischen den Konfliktparteien in Sierra Leone beobachtete bzw. unterstützte, auf Anweisung folgenden Disclaimer neben ­ die (Blankett-)Amnestieklausel des Friedensabkommens geschrieben: „The United Nations holds the understanding that the amnesty and pardon in Article IX of the agreement shall not apply to international crimes of genocide, crimes against humanity, war crimes and other serious violations of international humanitarian law.“ (Zitiert nach: Hayner, Negotiating Peace in Sierra Leone, S. 5.) Dieses Vorgehen zeigte zum ersten Mal eine eindeutige (juristische) Stellungnahme der UN, die schon zuvor viele Friedensprozesse (und damit auch viele Blankettamnestien) begleitet hatte.



II. Das Forschungsgebiet115

rechtlichen Standards zurück: So wird berichtet, dass Völkerrechtler, die mit einem strikt rechtlichen Verständnis an den Sachverhalt herantreten, bestimmte TJ-Instrumente, wie z. B. Wahrheitskommissionen mit einem gewissen Unbehagen betrachten, da diese teilweise in der Praxis weder menschenrechtlich abgesicherten Verfahrensgarantien, Rechtsstaatlichkeit noch anderen rechtlichen Werten genügen.272 Die Bedeutung und Rolle des Völkerrechts für internationale Interaktionsforen, seine Interpretation, Anwendung, Genese und Internalisierung wurden sowohl in der politik- als auch der rechtswissenschaftlichen Literatur ausgiebig diskutiert. Neben dem „traditionellen“ Verständnis (Realismus / Idealismus) sind v. a. neuere Ansätze wie die Theorie transnationaler Rechtsprozesse273 (TRP) zu unterscheiden, die versuchen nicht nur das Verhalten von Staaten zu beobachten, sondern auch den Einfluss anderer Akteure, wie z. B. von Nichtregierungsorganisationen oder Expertennetzwerken, zu erklären. Während die traditionellen Ansätze keine zufriedenstellende Antworten für die konkrete Wahl bestimmter TJ-Instrumente geben können274, schei272  Ambos,

in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 28. „Theorie transnationaler Rechtsprozesse“ (TRP) hat viele Gemeinsamkeiten mit der die US-amerikanische Völkerrechtswissenschaft stark beeinflussenden „New Haven School“ (NHS) (vgl. zur NHS statt vieler: Tomuschat, RdC 281 (1999), S. 51 ff.). Es handelt sich wie bei der NHS um einen interdisziplinären und prozess­ orientierten Ansatz (Koh, Yale Journal of International Law 32 (2007), S. 559 ff.). Sie analysiert die Bedeutung des Rechtes in internationalen politischen Entscheidungen, lehnt aber die realistische Haltung der NHS strikt ab (Hanschmann, in: Buckel u. a. (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, S. 375). Laut der TRP wirkt das Recht, indem es politische Entscheidungsprozesse beschränkt, rechtfertigt und strukturiert. Ebenfalls bekennt sie sich zur Wertneutralität und lehnt die Ausrichtung auf den politischen Liberalismus der NHS ausdrücklich ab (ebd., S. 383). Die TRP sieht ihren primären Untersuchungsgegenstand „nicht in positiven Rechtsnormen und ­deren semantischem Bedeutungsgehalt, sondern vielmehr in jenen dynamischen Prozessen, in denen nationalstaatliche Regierungen, internationale Organisationen, multinationale Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen, professionelle Expertennetzwerke und private Individuen mit der Interpretation und Anwendung transnationaler Rechtsnormen befasst sind.“ (Ebd., S. 385.) 274  Das Argument der Realisten geht von der grundsätzlichen Anarchie der Staatenwelt sowie dem Überlebenswillen oder Eigeninteresse als hauptsächliche Motivation für die Handlungen Einzelner aber auch des Gesamtwesens aus. Das Überleben kann nur durch ein ausbalanciertes Mächtegleichgewicht gesichert werden. Völkerrecht dient nach dieser Auffassung dazu, Verhaltenserwartungen zu stabilisieren und ggf. Aggressivitäten zu bändigen. Eine rechtliche Maßnahme wird von einem mächtigen Staat nur dann akzeptiert, wenn sie auf lange Sicht mehr Nutzen als Kosten bringt (z. B. die Erwartung, dass sich auch die anderen an das Rechtssystem halten werden). Die Anwendung dieses Arguments auf TJ kann v. a. die Wahl einzelner Instrumente vor dem Hintergrund des jeweiligen Mächteverhältnisses zwischen altem Regime und neuem Regime begründen. Das Phänomen, warum z. B. das Völkerrecht immer res­ 273  Die

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

nen – vor allem vor dem Hintergrund, dass Nichtregierungsorganisationen wie das ICTJ eine solch herausragende Rolle spielen – neuere Theorien wie die TRP besser geeignet zu sein, die Entwicklung von TJ als Forschungsgebiet zu erklären. c) Recht und Wissenschaft Die Wechselwirkung zwischen Recht und Wissenschaft im Bereich TJ ist schwierig zu fassen. So gab es bis dato nur wenige Beiträge, die sich ausdrücklich mit (und nur mit) normativen Gesichtspunkten von TJ befasst haben.275 Im Allgemeinen lässt sich allerdings sagen, dass die Völkerrechtswissenschaft das Völkerrecht nicht nur zum wissenschaftlichen Gegenstand hat, sondern auf das Recht auch durch Erkennen, Weiterentwickeln und Hervorbringen selbst mit einwirkt, v. a. bei völkergewohnheitsrechtlichen Fragen.276 triktiver die Zulässigkeit von Amnestien bewertet (geht es hier ja um „Deals“ zwischen der mächtigen alten Elite und erstarkender neuer Elite), kann die realistische Auffassung jedoch nicht zufriedenstellend erklären. Dagegen geht das idealistische Argument vom rational entscheidenden Menschen sowie Gesamtwesen aus. Akteure entscheiden danach was ihnen als „richtig“ oder „falsch“ erscheint. Es setzt auf die Schaffung von Verschränkungen und (v. a. wirtschaftliche) Interdependenzen, um eine Eskalation im internationalen Staatensystem zu verhindern, u. a. durch das Völkerrecht. Dabei fußt das idealistische Argument auf einer liberalen Grundauffassung und damit deren Grundwerte (weltweite Demokratie und Marktwirtschaft). Das idealistische Argument kann nicht erklären, warum sich einzelne Staaten überhaupt auf „schmutzige Deals“ in Bezug auf die Vergangenheitsaufarbeitung einlassen. 275  Bell, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 105. Insbesondere bei der wissenschaftlichen Systematisierung der Erkenntnisse aus der Praxis bleibt noch viel zu tun. (Ambos, in: ebd., S. 28: „Notwithstanding the enormous practical importance of exemptions from criminal prosecution within the framework of TJ, the current practice and debate suffers from a lack of clear rules and criteria, which help to reconcile peace and justice in situations of transition. The absence of such rules leaves it completely to the unfettered discretion of the negotiators [in Friedens- und Amnestieverhandlungen, Anm. der Verf.] whether they accept exemptions from criminal prosecution or not.“) 276  Graf Vitzhum, in: ders., Völkerrecht, S. 29 Rn. 109. Eine klare Unterscheidung zwischen de lege lata und de lege ferenda setzt die klare Unterscheidbarkeit von Rechtsauslegung und unzulässiger Rechtsfortbildung extra legem bzw. rechtspolitischen Erwägungen voraus (vgl. statt vieler Larenz, Methodenlehre, S. 366 ff.; Bydlinksi, Methodenlehre, S. 481  ff.). Während die kontinentaleuropäische (Völker-) Rechtswissenschaft sich vornehmlich auf den ersten Aspekt konzentriert, befasst sich die US-amerikanische (Völker) Rechtswissenschaft mit beiden Aspekten (Fleischer, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 53). Die Grenzen sind im angelsächsischen Rechtskreis terminologisch  − möglicherweise auch inhaltlich  − abweichend gezogen. So wird vertreten, dass aufgrund von strukturellen Unterschieden die argumentative Vorbereitung einer richterrechtlichen Rechtsfortbil-



II. Das Forschungsgebiet117

Auch wenn es zu den Aufgaben der Völkerrechtswissenschaft gehört, das geltende Völkerrecht vor dem Hintergrund einer teilweise diffusen Quellenlage zu identifizieren, so beschränkt sie sich doch nicht darauf, sondern hinterfragt das positive Völkerrecht im Hinblick auf seine Problemadäquanz, ohne damit das geltende Recht gegen Utopien auszutauschen.277 Rechtsdogmatik kann dem Rechtssetzenden nicht nur eine Argumentationshilfe liefern, sondern vermittelt auch eine dogmatische Idee, die rechtspolitisch umgesetzt werden kann.278 2. Die Interdisziplinarität des Feldes a) Wahrnehmung und Kritik Die herrschende Meinung geht von der Interdisziplinarität von TJ aus.279 Diese vielzitierte Interdisziplinarität280 ist aber nicht unumstritten. Insbesondere Bell hebt diese Problematik hervor. Sie beinhalte, dass sich die Rechtswissenschaften als zunächst dominierende Disziplin gegenüber anderen Disziplinen öffnen müssten und ein holistischer interdisziplinärer Ansatz als unumgänglich angesehen werde.281 Nach Bell lassen sich bezüglich des Forschungsgebiets TJ zwei unterschiedliche Forderungen nach Interdisziplinarität unterscheiden: die interne Interdisziplinarität (der rechtliche Diskurs müsse sich gegenüber den Einsichten anderer Disziplinen mehr öffnen) und die externe Interdisziplinarität (Rechtswissenschaften könnten nicht die primäre Disziplin in diesem Feld sein).282 dung häufig dieselbe Funktion habe wie die rechtspolitische Beratung der Gesetzgebung in Deutschland (Thym, Migrationsverwaltungsrecht, S. 210). 277  Marauhn, ZaöRV 67 (2007), S. 641. 278  Ebd., S. 110. 279  Z. B. Bell, IJTJ 3 (2009), S. 17. Posner/Vermeule bezeichnen die Beschäftigung mit TJ als ein „rapidly expanding field at the intersection of jurisprudence, comparative politics, and political theory“ (Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 762). Das Hauptziel der TJ-Literatur sei es, besondere rechtswissenschaftliche, moralische und institutionelle Probleme von TJ zu finden. Dahinter stehe die (entweder explizite oder implizite) Behauptung, dass die Rechtswissenschaft zu „gewöhnlichen Zeiten“ hierfür nicht relevant sei, da die „gewöhnlichen“ Probleme aufgrund von politischen Schocks innerhalb eines Rechtswesens nicht mit einer Transition vergleichbar seien (ebd., S. 763). 280  Unter Interdisziplinarität ist das Zusammenarbeiten zwischen Disziplinen, das zu neuen Methoden und Ziele führt, zu verstehen (Schaller, in: Brand u. a. (Hrsg.), Transdisziplinarität: Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 37). 281  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 17. 282  Ebd., S. 19.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Laut Bell werden drei Rechtfertigungen für die Interdisziplinarität angeführt: Einerseits die Idee einer „Einheit des Wissens / der Erkenntnis“, zweitens, die Komplexität der Phänomene in der Wirklichkeit, und drittens, berufliche Notwendigkeiten.283 Ihr Hauptkritikpunkt lautet, dass sich in der Praxis hinter diesem Ruf nach Interdisziplinarität oft der Versuch einer anderen Disziplin verstecken würde, TJ von der Dominanz der Rechtswissenschaften zu befreien bzw. dekolonisieren.284 Die externe Interdisziplinarität erfordere die Anerkennung der Legitimität der Behauptung, dass TJ über den Horizont einer Disziplin hinausgehe (und damit eine Ausnahme für den Anwendungsbereich dieser Disziplin darstelle). Dies werde über die Anerkennung von anderen als rechtlichen Zielen von TJ ermöglicht (z. B. der Herstellung von Frieden und Versöhnung).285 Aber der Ruf nach Interdisziplinarität bedrohe nicht nur die primäre Stellung der Rechtswissenschaften für dieses Gebiet, sondern auch die der Politikwissenschaften.286 Aus juristischer Sicht könne TJ dagegen als ein Unterfeld der Menschenrechte, des humanitären Völkerrechtes oder des internationalen Strafrechts gesehen werden, sowohl möglicherweise als ein neuer (Anwendungs-)Bereich dieser Teilrechtsregime. Wenn jedoch die Beziehung zwischen Transition und Gerechtigkeit so verändert werden würde, dass die politischen Ziele der Transition die Gerechtigkeit bestimmten, so hätte sich das Verhältnis von Hierarchien umgedreht. TJ werde dazu genutzt, die Rechtswissenschaften aufzuwässern.287 b) Multi-, Inter- und Transdisziplinarität Diese Kritikpunkte als Ausgangspunkt nehmend, werden nachfolgend grundlegende Betrachtungen zur Interdisziplinarität dargestellt. Die herausgearbeiteten Kriterien dienen als Referenzpunkte für die Darstellung der Entwicklung in Teil 3. Es gilt zu beachten, dass der Ausgangspunkt jeglicher Inter- wie Intradisziplinarität die disziplinäre Identität ist. Fächer und Disziplinen und ihre Grenzen sind etwas durch die Wissenschaftsgeschichte Gewachsenes. Identität wird dabei durch Forschungsgegenstand, Theorien, Methoden und 283  Ebd.,

S. 17. Washington and Lee Law Review 53 (1996), S. 949 ff. 285  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 21. 286  Vgl. McEvoy, Journal of Law and Society 34(4) (2007), S. 411 ff. 287  Ebd. 284  Balkin,



II. Das Forschungsgebiet119

Forschungszwecke gewahrt.288 In der Regel gibt es keine disziplininternen Regeln für die Kommunikation zwischen Disziplinen. Dies trifft auch dann zu, wenn verschiedene Wissenschaften das „gleiche“ Materialobjekt haben, z. B. das Recht als normatives Phänomen, als historisches Datum oder so­ ziales Faktum. Jede Disziplin bestimmt für sich, welche von den Nachbarwissenschaften behandelten Fragen unter welchem Aspekt für die eigene Disziplin von Bedeutung sind.289 Interdisziplinarität ist dann gefragt, wenn bestimmte Probleme sich dem Zugriff nur einer Disziplin entziehen, insbesondere wenn die Fragestellungen nicht aus der Wissenschaft, sondern aus der Praxis herrühren.290 Von der Interdisziplinarität zu unterscheiden ist die Multidisziplinarität291, wobei die genauen Einzelheiten der Abgrenzung umstritten sind. Ebenfalls davon zu unterscheiden ist die Transdisziplinarität, die über die Interdisziplinarität hinausgeht, da die konventionellen Grenzen zwischen den Disziplinen aufgehoben werden292 bzw. die Grenzen von Wissenschaft und Praxis verschwimmen.293

288  Mittelstraß, 289  Jestaedt,

Methodische Transdisziplinarität, S. 19. in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft,

S. 278. 290  Von Interdisziplinarität wird nur dann gesprochen, wenn die Kooperation zwischen den Disziplinen theoretisch auf Einzelprobleme und einen bestimmten Zeitraum beschränkt bleibt, ohne dass die beteiligten Disziplinen ihre Methoden und Ziele ändern (z. B. bei den sog. Bindestrich-Wissenschaften; vgl. Mittelstraß, Methodische Transdisziplinarität, S. 20; Mainzer, in: Arber (Hrsg.), Inter- und Transdisziplinarität, S. 18). 291  Hier wird Multidisziplinarität als das Nebeneinander von mehreren wissenschaftlichen Disziplinen und das Aneinanderreihen von Methoden und Zielen dieser Disziplinen verstanden. Dabei ändern sich weder die Methoden noch die Ziele der einzelnen Disziplinen (Schaller, in: Brand u. a. (Hrsg.), Transdisziplinarität: Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 36). 292  Unter praktischer Transdisziplinarität werden außerwissenschaftliche Problemstellungen verstanden, wie z. B. die Lösung ökologischer Probleme, die das Zusammenwirken vieler Disziplinen erfordern. Sollen alle Disziplinen mit ihrem disziplinären Wissen zu der Lösung beitragen, so müssen diese koordiniert werden (Schaller, in: Brand u. a. (Hrsg.), Transdisziplinarität: Bestandsaufnahme und Perspektiven, S. 35; Mittelstraß, Methodische Transdisziplinarität, S. 22). 293  D. h. die Außengrenzen der Wissenschaft werden in andere gesellschaftliche Funktionsfelder hinein überschritten. Hierdurch entstehe ein Praxisfeld, das sowohl wissenschaftliche als auch „wissenschaftssystemfremde“ und „nicht-wissenschaftliche“ Praktiken abdecke (Schaller, in: Brand u. a. (Hrsg.), Transdisziplinarität, S. 36, 40).

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

c) Anwendung auf TJ Das Verhältnis von TJ und den Rechtswissenschaften kann wie folgt beschaffen sein: Bei einem disziplinären Verständnis unter Annahme der Dominanz der Rechtswissenschaften – unter Beibehaltung der Disziplingrenzen – muss selbst die Einbeziehung fremdwissenschaftlicher Konzepte und Methoden, Erkenntnisse und Theoreme nicht notwendigerweise etwas an der identitätsstiftenden Disziplin der Rechtswissenschaft ändern. Die gegenstandserzeugte Identität der Rechtswissenschaften könnte sich über verschiedene methodische Zugänge wölben.294 In diesem Sinne könnte das Völkerrecht nicht nur die Identität des rechtlichen Teils von TJ, sondern darüber hinaus auch die Identität des gesamten Forschungsgebietes TJ sichern. Daneben könnte TJ als multidisziplinärer Dialog über Gerechtigkeit in Postkonfliktgesellschaften aufgefasst werden, der von Juristen, Politikwissenschaftlern, Historikern, Sozialpsychologen etc. nebeneinander geführt wird. TJ als Schlüsselbegriff bzw. Disziplincluster müsste dann nicht zu einer Synthese führen, sondern hätte vielmehr Verklammerungswirkung.295 Die Debatten müssten dann intradisziplinär, also nicht zuletzt rechtsdogmatisch berücksichtigt werden,296 würden aber an der Identität als rechtswissenschaftlicher Diskurs in einem multidisziplinären Forschungsbereich nichts ändern. TJ könnte daneben auch interdisziplinär als Antwort auf einen rechtswirklichkeitsfernen Exklusivitätsanspruch der tradierten rechtswissenschaftlichen Methode unter Exklusion nachbarwissenschaftlicher Erkenntnisse in Bezug auf Gerechtigkeit und Recht in Postkonfliktgesellschaften verstanden werden.297 Es könnte so zur Inkorporation von Erkenntnissen aus anderen Disziplinen kommen, ohne dass es dabei zu einer Änderung der Ziele und Methoden der (Völker-)Rechtswissenschaft kommen müsste. Es würde aber etwas Neues entstehen: eine interdisziplinäre TJ-Forschung, die nicht eindeutig den verschiedenen Disziplinen zugeordnet werden kann. Ein transdisziplinäres Verständnis dagegen würde die Disziplingrenzen aufsprengen, d. h. TJ würde aus den üblichen disziplinären Bestimmungen heraustreten, seine eigene Arbeitsformen entwickeln und mit diesen (und 294  Jestaedt, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 263. 295  Ebd., S. 261. 296  Ähnlich: Nolte, ZaöRV 67 (2007), S. 662. 297  Vgl. ähnlich Jestaedt, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 261.



II. Das Forschungsgebiet121

der ihnen zugrunde liegenden Problemkonstitution) auch die involvierten Disziplinen verändern.298 3. Die Unterscheidbarkeit Die TJ-Wissenschaftsgemeinschaft stimmt  − mit nur wenigen Ausnahmen  − darin überein, dass TJ Ende 2010 als eigenständiges Forschungsgebiet wahrgenommen werden kann299. TJ stelle mittlerweile einen anerkannten Konsens über Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit und Vergangenheitsbewältigung dar.300 Damit geht die Prämisse einher, dass TJ als Formalobjekt „a discrete set of problems through a discrete set of substantive rules“ oder „[its] own characteristic structure and process, and […] own set of conceptual tools and methodologies“301 hätte. Inwieweit es sich allerdings um ein rechtswissenschaftlich eigenständiges Gebiet handelt, ist strittig: Einige Stimmen in der Literatur sehen TJ als Rechtsgebiet sui generis302, als Subdisziplin der Menschenrechte303, als selfcontained subject304 bzw. rechtliches Regime an, das dann anwendbar sein solle, wenn eine Regierung die vorherige ersetze305. Manche wollen in TJ sogar die Anzeichen eines völkerrechtlichen Paradigmenwechsels sehen.306 Andere Stimmen stehen der Einordnung als rechtliches Forschungs298  Mittelstraß,

Methodische Transdisziplinarität, S. 23. Andrieu, Online Encyclopedia of Mass Violence, S. 3; Parmentier, Research, teaching and consultancy in the field of ‚transitional justice and human rights‘, S. 1; Boraine, TJ as an Emerging Field, S. 1; Editorial Note, IJTJ 1 (2007), S. 2; Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 321; de Greiff, Repairing the Past, S. 1 („internal coherence“). 300  Andrieu, Online Encyclopedia of Mass Violence 2008, S. 22. 301  Bodansky u. a. in: dies. (Hrsg.), The Oxford Handbook of International Environmental Law, S. 5. 302  Méndez, IJTJ 3 (2009), S. 157 ff.; Pampalk/Knust, Zeitschrift für international Strafrechtsdogmatik 11 (2010), S. 669; Seibert-Fohr, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Vol. 9, S. 1042: „field of international law which is concerned with the question how to confront a situation of past large-scale human rights abuses and humanitarian abuses in a period of transition to peace and democracy.“ 303  Andrieu, Online Encyclopedia of Mass Violence 2010, S. 1 ff. 304  Vgl. Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 763. Als „selfcontained subject“ kann eine Teildisziplin verstanden werden (vgl. Boyle, Relationship between International Environmental Law and other Branches of International Law, S. 126). 305  Luban, in: Besson/Tasioulas (Hrsg.), The Philosophy of International Law, S. 575. 306  So anscheinend Teitel, Transitional Justice, S. 6: „Transitions imply paradigm shifts in the conception of justice“. In eine ähnliche Richtung argumentierend: 299  Z. B.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

gebiet dagegen eher skeptisch gegenüber.307 Sie sprechen von einer problembezogenen Querschnittsaufgabe308 oder lediglich einem Sammelbegriff für ein loses Konglomerat von Sondermeinungen. Rechtswissenschaftstheoretisch herrscht keine Einigkeit, ab wann man von der Eigenständigkeit eines Rechtsgebietes sprechen kann und was eine solche auszeichnet.309 Entscheidend für die Eigenständigkeit ist aber jedenfalls, dass eine hinreichend präzise und leistungsfähige Außenabgrenzung zu anderen Rechtsgebieten vorgenommen werden kann. Die Abgrenzung kann z. B. nach sachlichem Regelungsbereich, rechtsgutbezogen310 oder nach der abgrenzbaren Fläche menschlicher Betätigung311 vorgenommen werden. Einen weiteren Ansatzpunkt mögen die Arbeiten der Internationalen Völkerrechtskommission (ILC) der UN zum Thema der Fragmentierung des internationalen Rechts bieten, die sich mit der Besonderheit von speziellen völkerrechtlichen Regimen312 beschäftigt haben.313 Für die ILC stellen Stahn, European Journal of International Law 17 (2006), S. 924: „If one were to theorize this phenomenon, it would be more correct to speak of a tri-dimensional (rather than bipolar) system, covering the phases of conflict, peacetime relations and the transition from conflict to peace.“ 307  „[L]abel or cloak that aims to rationalize a set of diverse bargains in relation to the past as an integrated endeavour, so as to obscure the quite different norma­ tive, moral and political implications of the bargains.“ (Vgl. z. B. Bell, IJTJ 3 (2009), S. 6.) 308  Vgl. ähnlich für das Umweltrecht Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 576. 309  Vgl. z. B. die aktuelle Diskussion im Öffentlichen Recht bzw. den Verwaltungswissenschaften, statt vieler: Jestaedt, in: Engel/Schön (Hrsg.), Das Proprium der Rechtswissenschaft, S. 242 ff.; Stolleis, in: Bauer u. a. (Hrsg.), Umwelt, Wirtschaft und Recht, S. 1 ff. 310  Vgl. für das Umweltrecht das Rechtsgut „Umweltschutz“ (Peine, Kodifikation des Landesumweltrechts, S. 25). 311  Breuer, in: Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, S. 576. 312  Definition von „Special (‚self-contained‘) regimes as lex specialis: A group of rules and principles concerned with a particular subject matter may form a special regime (‚self-contained regime‘) and be applicable as lex specialis. Such special regimes often have their own institutions to administer the relevant rules.“ (ILC, Yearbook of the International Law Commission 2 (2006), Empfehlung Nr. 11.) Die ILC unterscheidet drei unterschiedliche Typen von speziellen Regimen: Der erste Regimetyp zeichnet sich dadurch aus, dass die Verletzung einer speziellen Gruppe von Primärregeln von einer weiteren speziellen Gruppe von Sekundärregeln begleitet wird. Der zweite Regimetyp besteht aus einem Set von speziellen Regeln, inklusive Rechten und Pflichten, die sich auf einen bestimmten Gegenstand (z. B. geographisches Gebiet oder bestimmte Objekte) beziehen. Dieses Regime kann auf die Basis eines einzelnen Vertrags, verschiedener Verträge, oder einem Vertrag nachfolgender Praxis oder Gewohnheitsrecht zurückzuführen sein. Der dritte Typ fasst schließlich alle Regeln und Prinzipien zusammen, die einen bestimmten „Bereich“



III. Die Akteure123

Rechtsgebiete wie die Menschenrechte „specialized and (relatively) autonomous rules or rule-complexes, legal institutions and spheres of legal practice“314 dar, die sich durch eigene Prinzipien und Institutionen auszeichnen. Für die ILC zeichnen sich die Beziehungen zwischen diesen hochspezialisierten „Boxen“ durch eine relative Autonomie voneinander und zum allgemeinen (Völker-)Recht aus. Für die Menschenrechte und das Völkerstrafrecht hält die ILC fest: 313

„Each rule-complex or ‚regime‘ comes with its own principles, its own form of expertise and its own ‚ethos‘, not necessarily identical to the ethos of neighbouring specialization.“315

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Mehrheit der ­ einungen darin übereinstimmt, dass es sich bei TJ um einen abgrenzbaM ren Forschungsansatz handelt, der zumindest zum Teil rechtswissenschaf­t­ liche Fragestellungen beinhaltet. Die Wahrnehmung als abgrenzbare(r) rechtswissenschaftliche(r) Diskurs(e) sagt allerdings noch nichts über die rechtswissenschaftstheoretische Einordnung der Entwicklung aus. Die Kriterien für die Eigenständigkeit eines Rechtsgebietes sind nicht unstrittig: Als Leitlinien der Untersuchung in Teil 3 lässt sich festhalten, dass jedenfalls die Abgrenzbarkeit nach außen sowie eigene Prinzipien, eigene rechtliche Institutionen und ein eigener Bereich der juristischen Praxis zu verlangen sind.

III. Die Akteure Akteure vollziehen die Akte, durch die Diskurse existieren, in institutionell strukturierten Zusammenhängen. Nicht jedem Akteur entspricht ein eigener Diskurs, sondern vielmehr bilden diese mehr oder weniger bewusst Diskursgemeinschaften, die eine gemeinsame Narration benützen. Diskursakteure agieren interessenbezogen, strategisch und taktisch.316 betreffen, so z. B. UN-Seerecht, humanitäres Völkerrecht, Menschenrechte, Umweltrecht, Handelsrecht etc. (ebd., Empfehlung Nr. 12). 313  „The significance of a special regime often lies in the way its norms express a unified object and purpose.“ (Ebd.) 314  ILC Report, UN Dok. A/61/10 (2006), Kap. XII, § 243. 315  Ebd., § 243. 316  Keller, in: Keller u. a. (Hrsg.), Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse, S. 135. Vgl. auch: „One should look for the tenants of these discourses, the web of various interests they are embedded in, at the events that preceded or triggered these discourses – and discover the reasons why often, advocates of these immutable truths actually change positions, and discourses and principles mutate.“ (Ursachi, in: Dvoráková/Milardovic (Hrsg.), Lustration and consolidation of democracy and the Rule of Law, S. 80.)

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Für die nachfolgende Darstellung wurden die Akteure in drei Gruppen eingeordnet317: Akteure, die TJ wissenschaftlich beobachten; Akteure, die im Bereich TJ tätig sind, ohne dabei rechtsgenerierend tätig werden zu können (Individuen und Nichtregierungsorganisationen318); Akteure, die im Bereich TJ tätig sind und dabei rechtsgenerierend tätig werden können im weitesten Sinn.319 1. Akteure, die TJ wissenschaftlich beobachten Nachfolgend werden individuelle Wissenschaftler sowie wissenschaftliche Institutionen, wie z. B. Universitäten und Forschungseinrichtungen vorgestellt, die TJ wissenschaftlich beobachten.320 a) Wissenschaftler Die Zitationsanalyse321 ergab, dass die augenscheinlich einflussreichsten Artikel zu TJ von folgenden Wissenschaftlern stammen322: Orentlicher, 317  Es kam durchaus vor, dass Individuen bzw. Organisationen in mehreren der Kategorien genannt werden hätten müssen. Sie wurden dann jeweils nach dem Schwerpunkt ihrer Tätigkeit bzw. ihres Einflusses eingeordnet. 318  Der Begriff der „Nichtregierungsorganisation“ (NGO) ist umstritten und im Allgemeinen wird die vom Wirtschafts- und Sozialausschuss verwandte (Negativ-) Definition als nicht ausreichend erachtet („any international organisation that is not founded by an international treaty“, ECOSOC Resolution 288 (X), 27. Februar 1950)). Im Folgenden ist eine „NGO“ eine Organisation, die diese Basisdefinition erfüllt, sowie von Privatpersonen gegründet, formal ohne staatliche Einflussnahme und nicht gewinnorientiert ist (Rebasti/Vierucci, in ESIL, Geneva Research Forum (2005), S. 1). 319  Vgl. ähnlich: Lepsius, in: Jestaedt/Lepsius (Hrsg.), Rechtswissenschaftstheorie, S. 3. Unter letzer Kategorie werden v. a. auch Akteure gefasst, die z. B. über die Erstellung von Soft law-Kompendien Völker(gewohnheits)recht möglicherweise beeinflussen können. 320  Zur Identifikation der für den TJ-Diskurs tragenden Wissenschaftler bzw. Publikationen wurden in einem ersten Schritt bibliometrische, d. h. quantitative, Indikatoren verwendet, die sich insbesondere zur Analyse der Auswirkung wissenschaftlicher Tätigkeit eignen. Der hier angewandte Indikator der Zitationshäufigkeit liefert Hinweise auf die wissenschaftliche Aufmerksamkeit, die bestimmten Forschungsergebnissen zukommt (Weingart, Wissenschaftssoziologie, S. 34). 321  Für die Analyse der Zitationshäufigkeit wurde die Datenbank Thomson Reuters (früher ISI) „Web of Knowledge“ verwendet. Diese gilt als eine der führenden Forschungsplattformen für wissenschaftliche Arbeiten im Bereich der Natur-, So­ zial-, Kunst- und Geisteswissenschaften. Dabei hat sich „Web of Knowledge“ zur Aufgabe gemacht, auf der Grundlage einer Zitationshäufigkeitsanalyse sog. „High Impact“-Publikationen aufzulisten. Der Nachteil an dieser Datenbank ist der (im Vergleich zu LexisNexis, Westlaw und HeinOnline, die aber wiederum keine Zita­



III. Die Akteure125

Teitel, King, Danner / Martinez, Posner / Vermeule, Sikkink / Walling, Elster, Lee, Osiel und Boed. 322

Diane Orentlicher323 (Juristin / USA324 – Columbia325 / Washington326) war als Beraterin für die Vereinten Nationen tätig und hatte auch das Sonderamt eines UN Independent Expert327 inne.328 In dem Aufsatz „Settling Accounts: The Duty To Prosecute Human Rights Violations of a Prior Regime“329 argumentierte sie für eine Pflicht zur Strafverfolgung bestimmter Menschenrechtsverbrechen, verwendet aber nicht den Begriff TJ. An mehreren Stellen spricht sie jedoch von Transitional Societies.330 Ruti Teitel331 (Juristin / Argentinien332 dann USA  – Cornell / NYU), jetzt Professorin an der NYU, wird vielfach als „die“ Autorität im Bereich der TJ tionshäufigkeitsanalyse anbieten) geringe Anteil an juristischer Literatur sowie an Büchern, Monographien etc. 322  Die Suche wurde am 22. Juni 2010 durchgeführt und ergab 170 Treffer (Suchwort: „Transitional Justice“). 323  Orentlicher ist Professorin für internationales Recht und Co-Direktorin des Zentrums für Menschenrechte und Humanitäres Recht am Washington College of Law. Eine Auswahl ihrer TJ-relevanten Publikationen: Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537 ff.; dies., Georgetown Law Journal 92 (2004): S. 1057 ff.; dies., IJTJ 1 (2007), S. 10 ff.; dies., in: Macedo (Hrsg.), Universal Jurisdiction, S. 214 ff.; dies., Wisconsin International Law Journal 21 (2003), S. 495 ff.; dies., Fundamentum 5 (2001), S. 4 ff.; dies., in: Henkin (Hrsg.), Human Rights: An Agenda for the Next Century, S.  452 ff. 324  Im Folgenden: Herkunftsland bzw. Wahlresidenz. 325  Im Folgenden: Universität, an der die Person hauptsächlich ausgebildet wurde. 326  Im Folgenden: Zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Arbeit letzte Universität, an der die Person tätig war. 327  Orentlicher führte den Titel „Independent Expert to update the UN’s Set of Principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity“. 328  Ihre Spezialisierung gibt sie mit Staatspflichten im Bezug auf Massenverbrechen sowie Rechts- und Politikfragen in Bezug auf internationale Straftribunale sowie universelle Jurisdiktion an (­Washington College of Law, Website). 329  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537 ff. NB: Sie publizierte erneut nach 16 Jahren zu diesem Thema und erklärt die Weiterentwicklung ihrer Argumente (und der Lehre): dies., IJTJ 1 (2007), S. 10 ff. 330  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991) S. 2537 ff. 331  Eine Auswahl ihrer TJ-relevanten Publikationen: Teitel, Yale Law Journal 106 (1997), S.  2009 ff.; dies., Transitional Justice; dies., Saint Louis University Law Journal 46 (2002), S. 449 ff.; dies., Cornell International Law Journal, 35 (2002), S.  355 ff.; dies., in: Czarnota u. a. (Hrsg.), Rethinking the Rule of Law after Communism, S.  279 ff.; dies., Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 69; dies., Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 896 ff.; dies., Cornell Journal of International Law 38 (2005), S. 837 ff. 332  Geburtsland.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

gehandelt.333 Ihr wird nicht nur nachgesagt, dass sie den Begriff „TJ“ als erste in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt, sondern vielmehr, dass sie hierdurch ein neues Paradigma geschaffen und TJ als separates Forschungsfeld begründet habe334. Ihre erste Publikationstätigkeit zu dieser Problematik datiert aus dem Jahr 1988.335 Im Laufe ihrer Tätigkeit änderte sie ihre wissenschaftliche Terminologie von „Transitional Jurisprudence“336 zu „Transitional Justice“. Während sie 1997337 und 2000338 noch von „Transitional Jurisprudence“ spricht, findet sich in ihren späteren Artikeln v. a. der Begriff TJ.339 Teitel umreißt ein neues Paradigma für TJ und prägt insbesondere das funktionale sowie konzeptionelle Exzeptionalitätsverständnis.340 Sie wendet sich gegen Strafverfolgungen als „automatisches“ Instrument aufgrund politisch-pragmatischer Erwägungen.341 Ihr Ansatz wird als legalistisch bzw. positivrechtlich beschrieben.342 Manche stellen einen starken Einfluss von Juan Méndez fest, mit dem Unterschied, dass sie den Schritt zur Transition als Ausgangspunkt mache und die Problemkonstellation vollständig kontextabhängig definiere.343 In dem 2000 veröffentlichten politikwissenschaftlichen (und transforma­ tionstheoretischen) Aufsatz344 von David King (Politik- und Geschichtswis333  Krygier,

The Hart-Fuller Debate and Law in Transitional Societies, S. 1. American Journal of Comparative Law 49 (2001), S. 363 ff.; Méndez, Ethics & International Affairs 14 (2001), S. 25. 335  Teitel, Boston College Third World Law Journal 8 (1988), S. 3 ff. Die gebürtige Argentinierin konnte sich erstmals 1993 dank eines Forschungsstipendium des US-Institute of Peace vertieft mit Gesellschaften in Transition beschäftigen. Diese Forschungstätigkeit führte 2000 zur Publikation ihres Buches „Transitional Justice“. 336  Vgl. zum Konzept „Jurisprudence“: Roederer, in: ders./Moellendorf (Hrsg.), Jurisprudence (2004), S. 622 ff. 337  Teitel, Yale Law Journal, 106 (1997), S. 2009 ff. 338  Teitel, Transitional Justice, S. 7. 339  Darunter versteht sie „legal responses to past wrongs, taken ex post to redress violations of human rights“ (Teitel, Saint Louis University Law Journal 46 (2002), S. 449.) bzw. „the conception of justice associated with periods of political change […] characterized by legal responses to confront the wrongdoings of repressive predecessor regimes.“ (Dies., Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 69; dies., Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 896; dies., Cornell Journal of International Law 38 (2005), S. 837.) 340  Leebaw, American Journal of Comparative Law 49 (2001), S. 364. 341  „Transitional Justice begins by rejecting the notion that the move toward a more liberal democratic political system implies a universal or ideal norm.“ (Teitel, Transitional Justice, S. 4.) 342  Crocker, Ethics & International Affairs 15 (2001), S. 152. 343  Roederer, in: ders./Moellendorf (Hrsg.), Jurisprudence (2004), S. 642. 344  Post-Postcommunism: Transition, Comparison, and the End of „Eastern Eu­ rope“, World Politics 53 (2000), S. 143 ff. 334  Leebaw,



III. Die Akteure127

senschaftler / UK, USA  – Oxford / Georgetown)345 behandelt dieser den Wechsel in der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Postkommunismus. Er setzt den Schwerpunkt auf die Darstellung der unterschiedlichen Wege, die von den postkommunistischen Staaten beschritten wurden, und deren Auswirkung auf den Erfolg der Transition. Alison Danner (Juristin / USA  – Vanderbilt) und Jenny Martinez (Juristin / USA  – Stanford / Yale / Harvard)346 beschreiben in ihrem Artikel „Guilty Associations: Joint Criminal Enterprise, Command Responsibility, and the Development of International Criminal Law“ das Verständnis der Entwicklung des Völkerstrafrechts als eine Weiterentwicklung des nationalen Strafrechts, des Rechts der internationalen Menschenrechte sowie von TJ. Sie ordnen das Völkerstrafrecht als Untergebiet von TJ ein, wobei sie klarstellen, dass sie den Begriff retrospektiv verwenden.347 In dem Aufsatz „Transitional Justice as Ordinary Justice“348 lehnen Eric Posner (Jurist / USA  – Chicago / Harvard)349 und Adrian Vermeule (Jurist / USA – Harvard)350 das Argument der (funktionalen) Exzeptionalität von TJ ab.351 Der Artikel „The Impact of Human Rights Trials in Latin America“ von Kathryn Sikkink (Politikwissenschaftlerin / USA  – Minnesota)352 und Carrie 345  King ist Professor für Internationale Beziehungen und Regierungslehre an der Georgetown University. Er studierte und promovierte in Oxford. Seine Lehr- und Forschungstätigkeit konzentriert sich auf „international affairs, social violence, and ethnic politics“ (King, Website). 346  Danner ist Juraprofessorin und ehemalige Assistant U.S. Attorney im U.S. Justizministerium und hat sich auf das internationale Völkerstrafrecht sowie das humanitäre Völkerrecht spezialisiert. Martinez ist ebenfalls Juraprofessorin und gibt als Forschungsschwerpunkte die Rolle von Gerichten und Tribunalen bei der Förderung von Menschenrechten, insbesondere des Internationalen Strafgerichtshofes sowie der Rolle von (nationalen) Gerichten im Krieg gegen den Terror an (Martinez, Website). 347  Danner/Martinez, California Law Review 93 (2005), S. 77, 90. 348  Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 761 ff. 349  Seine Forschungsschwerpunkte sind u. a. Spieltheorie, ökonomische Analyse des Rechts, Staatsrecht und Völkerrecht (Chicago Universität, Posner, Website). 350  Seine Forschungsschwerpunkte umfassen u. a. Staatsrecht, Krieg gegen den Terrorismus sowie Rechtsphilosophie und Rechtssoziologie (Harvard Universität, Vermeule, Website). 351  Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 762. 352  Professorin für Politikwissenschaften an der Universität von Minnesota. Ihre Forschungstätigkeit konzentriert sich auf Menschenrechte, Gerichtsverfahren zur Durchsetzung von Menschenrechten und TJ. Sie studierte und promovierte an der Columbia. Ihre Hauptpublikation ist „The Justice Cascade: How Human Rights Prosecutions Are Changing World Politics“, die 2011 erschienen ist (Universität von Minnesota, Sikkink, Website).

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Booth Walling353 zeichnet die verschiedenen Argumentationsstränge nach, die zur Beantwortung der Frage verwendet werden, ob sog. Human Rights Trials nach einer Transition mehr Schaden als Gutes anrichten.354 Jon Elster (Soziologe und Politikwissenschaftler / Norwegen, USA  – Sorbonne / Columbia)355 ist auch Autor des Buches „Closing the books: Transitional Justice in Historical Perspective“.356 In seinem 1998 veröffentlichten Artikel stellt er eine Verhaltensstudie von Akteuren der Transitionen des 20. Jahrhunderts an. Parameter, die er darin analysiert, sind u. a. die Zwänge der handelnden Personen, ihre Beweggründe und ihre Überzeugungen, aber auch die Mechanismen, die die Umwandlung von individuellen zu Gemeinschaftsentscheidungen erlauben.357 Su-Hoon Lee (Soziologe / USA / Südkorea  – Johns Hopkins / Kyungnam Universität)358 beschäftigt sich in seinem Artikel mit der Liberalisierung der südkoreanischen Gesellschaft von 1987 bis 1992 nach den Massendemonstrationen gegen das militärische Regime 1987, wobei er den Schwerpunkt der Analyse auf die Rolle der Zivilgesellschaft in der Transition legt.359 Mark Osiel (Jurist / USA  – Harvard / Iowa)360 war neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch als Berater in TJ für internationale Organisationen und Regierungen tätig. In seinem Artikel beschäftigt er sich mit den unterschiedlichen Strafverfolgungsstrategien und Rechtsfiguren von nationalen Strafverfolgungen im Vergleich zu internationalen Strafverfolgungen.361 353  Walling

ist Postdoktorandin an der Universität von Michigan. of Peace Research 44 (2007), S. 427–445. 355  Professor für Internationale Beziehungen an der Columbia Universität. Bevor er in die USA ging, promovierte er an der Sorbonne in politischer Philosophie und lehrte an unterschiedlichen europäischen Universitäten. Sein Forschungsinteresse umfasst die Rational Choice-Theorie und distributive Gerechtigkeit (Elster, Closing the books, Klappentext). 356  Cambridge 2004. 357  Studying Transitions: Constitution-Making and Transitional Justice, Archives européennes de Sociologie 39 (1998), S. 7–48. 358  Lee ist Direktor des Instituts für Fernöstliche Studien an der Kyungnam Universität, studierte und promovierte in den USA (Kyungnam Universität, Su-Hoon Lee, Website). 359  Transitional Politics of Korea, 1987–1992: Activation of Civil Society, Pacific Affairs 66 (1993), S. 351–367. 360  Osiel hat heute einen Lehrstuhl an der Universität von Iowa inne, nachdem er an der Harvard Universität Jura studierte und promovierte. Seine Spezialisierung gibt er mit „how legal responses to mass atrocity can be improved by better understanding its organizational dynamics, revealed through comparison of historical and contemporary cases“ an (Universität von Iowa, Osiel, Website). 361  The Banality of Good: Aligning Incentives against Mass Atrocity, Columbia Law Review 105 (2005), S. 1751–1862. 354  Journal



III. Die Akteure129

Roman Boed (Jurist / USA  – Columbia / Oxford)362 stellt in seinem Artikel den Verstoß der tschechischen Lustrationsgesetze gegen menschenrechtlichen Garantien fest. Er zeigt auch die Grundzüge eines Lustrationsverfahrens auf, das sich im Rahmen der menschenrechtlichen Vorgaben hält, und behandelt Fragen der Legitimität eines solchen Verfahrens.363 b) Wissenschaftliche Institute, Programme und Netzwerke Die Neubegründung von universitären Forschungseinrichtungen oder -programmen, d. h. Institutionalisierung, ist ein deutliches Zeichen für die Konsolidierung eines Forschungsbereichs.364 Auch die Bildung von informellen Netzwerken kann hierfür als Indiz dienen. Mit dem Transitional Justice-Institut an der University of Ulster (Nordirland) hat 2003 die formale Institutionalisierung des Forschungsgebiets begonnen und bietet mit dem Masterprogramm auch einen Studienabschluss mit gleichnamigen Titel an.365 Christine Bell366 ist ehemalige stellvertretene Direktorin dieses Instituts und eine der führenden Wissenschaftlerinnen im Bereich der Friedensverhandlungen und war zuvor selbst als Beraterin auf diesem Gebiet tätig.367 Bell argumentiert, dass sich ein Komplex aus völker(gewohnheits)rechtlichen Regeln herausgebildet hätte, die den Prozess aber auch den Inhalt von Friedensabkommen sowie deren Umsetzung regeln würden (lex pacificatoria).368 Sie zeichnet sich durch eine sehr skeptische Haltung gegenüber der (funktionalen oder konzeptionellen) Exzeptionalität von TJ aus.369 Seit 1998 ist das New York University Program on Transitional Justice370 (früher: Justice in Transition) ein  − im Vergleich mit dem TJ-Institut der 362  Studierte u. a. an der Columbia und Oxford Universität Jura und arbeitete in verschiedenen Positionen im System der Vereinten Nationen, u. a. bei UNHCR sowie dem ICTR. 363  Boed, Columbia Journal of Transnational Law 37 (1999), S. 398 ff. 364  Weingart, Wissenschaftssoziologie, S. 34. 365  University of Ulster, Transitional Justice Institute, Website. 366  Sie studierte Jura in Cambridge und der Harvard Law School (University of Ulster, Bell, Website). 367  Eine Auswahl ihrer TJ-relevanten Publikationen: Bell, Peace Agreements and Human Rights; dies., American Journal of International Law 100 (2006), S. 373 ff.; dies., Negotiating Justice? Human Rights and Peace Agreements; dies., On the Law of Peace: Peace Agreements and the Lex Pacificatoria; dies., IJTJ 3 (2009), S. 5 ff. 368  Bell, American Journal of International Law 100 (2006), S. 375. 369  Bell, IJTJ 3 (2009), S. 17. 370  New York School of Law, Center for Human Rights and Global Justice, Transitional Justice Program, Website.

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Universität Ulster kleines  − Universitätsprogramm, das von Paul van Zyl, ehemaligem Executive Secretary der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission und Mitbegründer des ICTJ, geleitet wird. Neben Seminaren werden extrakurrikuläre Veranstaltungen sowie Stipendien, meist in enger Zusammenarbeit mit dem ICTJ, angeboten. Die personelle Verbindung mit dem ICTJ wird nicht nur über Paul van Zyl sondern auch über Alex Boraine sichergestellt, dem ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission und ebenfalls Mitbegründer des ICTJ.371 Forschungsnetzwerke an so renommierten Universitäten wie Oxford372, Cambridge373 und Essex374 haben sich ab 2007 gebildet. Seit 2007 ist das Oxford TJ Research-Netzwerk ein interdisziplinäres Netzwerk von mehr als 100 Oxford-Wissenschaftlern und Studenten, die sich mit Fragestellung rund um TJ beschäftigen. Es ist am Centre for Socio-Legal Studies angesiedelt und hat sich die Auseinandersetzung mit praktischen und policy-relevanten Fragen von TJ zur Aufgabe gemacht. Neben hochkarätigen Vorlesungsreihen und Konferenzen, publiziert das Netzwerk auch eine Working Paper Series und ist selbst in Beratungstätigkeiten involviert.375 Das Cambridge TJ Research Network bezeichnet sich selbst als informelle Vereinigung von Wissenschaftlern, die sich für TJ-Problematiken interessieren. Das Netzwerk ist an der juristischen Fakultät angesiedelt. Die Mitglieder stammen vornehmlich aus den Disziplinen der Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften, internationalen Beziehungen, Soziologie, Philosophie und sozialer Anthropologie.376 Im Vergleich zum Pendant in Oxford ist dieses Netzwerk viel weniger aktiv und jünger. An der Universität Essex umfasst das TJ-Netzwerk namhafte Mitglieder der Rechtsfakultät, wie z. B. Sir Nigel Rodley, Françoise Hampson, Kevin Boyle und Michael Freeman. Seit 2009 stellt sich das Netzwerk das Ziel, eine virtuelle Plattform für den Austausch zu TJ-Fragen zu schaffen.377 Neben dem Master of Laws Transitional Justice an der Universität Ulster gab es Ende 2000 keine weitere explizite Spezialisierung, die sich ausschließlich mit TJ beschäftigt; allerdings einige Studiengänge, in denen dies 371  Ebd.

372  Centre

for Socio-Legal Studies, Oxford Transitional Justice Research, Website. von Cambridge, Cambridge Transitional Justice Research Network, Website. 374  Universität von Essex, Transitional Justice Network, Website. 375  Centre for Socio-Legal Studies, Oxford Transitional Justice Research, Website. 376  Universität von Cambridge, Cambridge Transitional Justice Research Network, Website. 377  Universität von Essex, Transitional Justice Network, Website. 373  Universität



III. Die Akteure131

ein wesentlicher Bestandteil war.378 Eine Übersicht über TJ-Lehrangebote aus dem Jahr 2006 listet über 40 Vorlesungen, Studienprogramme und Projekte vornehmlich in den USA auf.379 Die Oxford University Press gibt seit März 2007 das International Journal of Transitional Justice heraus, das federführend vom Centre for the Study of Violence and Reconciliation (Südafrika), einer Nichtregierungsorganisation, und dem Menschenrechtszentrum der University of California, Berkeley Law (USA) verantwortet wird. Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat im Dezember 2010 die zweite Publikation, das Journal on Rule of Law, Transitional Justice and Human Rights, in diesem Bereich veröffentlicht, mit Beiträgen von Teilnehmern einer internationalen Sommerakademie. Es ist aber unklar, ob weitere Ausgaben folgen.380 Daneben gab es viele TJSonderausgaben bestehender wissenschaftlicher juristischer Fachzeitschriften, wie z. B. im New York Law School Journal of International & Comparative Law381, Law & Contemporary Problems382 und Die Friedenswarte383. c) Zusammenfassung Das Mapping der Wissenschaftler und wissenschaftlichen Institutionen hat gezeigt, wie einflussreich US-amerikanische sowie englische Universitäten im Bereich TJ sind. Damit ist ein starker Einfluss des angloamerikanischen Rechtskreises (aber auch südafrikanische Einflüsse) zu konstatieren. Augenscheinlich stammen die einflussreichsten Artikel fast ausschließlich aus US-amerikanischer Feder – und hier insbesondere von Juristen (beinahe zwei Drittel), die entweder an der Yale, Harvard oder Columbia-Universität studiert, geforscht oder gelehrt haben. Ebenfalls auffällig ist, dass Wissenschaftler sehr häufig entweder als Berater oder für eine Nichtregierungsorganisation oder die Vereinten Nationen tätig waren. Die Forschungsnetzwerke befinden sich dagegen hauptsächlich im Vereinigten Königreich, an den etablierten Universitäten Cambridge und Oxford, 378  So z. B. das LLM-Programm „Transnational Criminal Justice and Crime Prevention – An International and African Perspective“ an der University of the Western Cape, das Module z. B. zur Internationalen Strafjustiz, der Aufarbeitung von Systemunrecht (als „Transitional Justice“ bezeichnet), der Bekämpfung organisierter Kriminalität und Geldwäsche sowie der Korruptionsbekämpfung beinhaltet. 379  Backer, Transitional Justice: Degree Programs, Resources & Course Syllabi, Website. 380  Website. 381  11 (1990). 382  59 (1996). 383  1–2 (2011).

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

sowie der für ihre Menschenrechtslehre bekannten Universität Essex. Das einzig institutionell verfestigte Institut für TJ befindet sich in Nordirland. Die führende Fachzeitschrift wird ebenfalls von englischsprachigen Instituten (einer US-amerikanischen Universität sowie einem südafrikanischen Institut) verantwortet. 2. TJ-Akteure, die nicht rechtsgenerierend tätig werden können Unter den Akteuren, die im Bereich TJ tätig sind, ohne dabei rechtsgenerierend tätig werden zu können, sind v. a. das International Center for Transitional Justice (ICTJ), Amnesty International (AI) und Human Rights Watch (HRW) sowie die Ford-Stiftung zu nennen. Das ICTJ ist eine 2000 in New York gegründete Nichtregierungsorganisation, die seitdem v. a. Beratungs- und Forschungstätigkeiten ausführt.384 ICTJ hat dabei nicht nur mit lokalen Menschenrechtsorganisationen, sondern insbesondere mit Regierungen und UN-Organisationen (z.  B. dem UNHochkommissariat für Menschenrechte) zusammengearbeitet und so z. B. die TJ-Policy für Sierra Leone und Afghanistan erheblich mitbestimmt.385 Es gibt mehrere Führungspersönlichkeiten, die die Arbeit des ICTJ maßgeblich geprägt haben. Hierzu zählen neben Paul van Zyl, der bereits oben erwähnt wurde, Juan E. Méndez386, Alex Boraine387 und Priscilla Hayner388. 384  Vgl.

im Folgenden Teil 3, B. III. 2. Annual Report 2001/02, S. 8. 386  Méndez (Jurist  – Argentinien/USA) ist argentinischer Rechtsanwalt, der sich früh auf die Verteidigung von Menschenrechtsaktivisten während der Militärjunta spezialisierte, wofür er auch selbst zur Zielscheibe wurde. Er emigrierte in die USA, wo er zunächst für HRW arbeitete. Anschließend wurde er u. a. Mitglied sowie Präsident der Inter-Amerikanischen Kommission für Menschenrechte der Organisation der Amerikanischen Staaten, UN Special Adviser on the Prevention of Genocide sowie später Präsident des ICTJ (Washington College of Law, Biographie Méndez Website; ICTJ, Staff, Méndez Website). Auswahl von Publikationen mit TJ-Bezug: Méndez/Bariffi, in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public Interna­ tional Law; ders., Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 255 ff.; ders./Mariezcurrena, Human Rights Quarterly 25 (2003), S. 237 ff.; ders., in: McAdams (Hrsg.), Transitional Justice and the Rule of Law in New Democracies, S. 13 ff.; ders., in: Kerstedt (Hrsg.), Legal Institutions and Collective Memories, S. 39 ff. 387  Boraine (Theologe  – Südafrika/ICTJ) studierte Theologie an der Rhodes Universität und promovierte in England. Danach wurde er Priester und Vorstand der methodistischen Kirche in Südafrika, war führender Oppositionspolitiker und Mitglied des südafrikanischen Parlaments sowie anschließend im Vorstand zweier Nichtregierungsorganisationen, die sich das Ende der Apartheid zum Ziel gesetzt hatten. 1995 wurde er von Nelson Mandela zum stellvertretenden Vorsitzenden der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission ernannt. 1998 bis 2001 385  ICTJ,



III. Die Akteure133

AI und HRW sind einflussreiche internationale Menschenrechtsorganisationen, die sich in ihrer Ausrichtung, ihrer Agenda sowie ihrer Struktur und Finanzierung teilweise erheblich unterscheiden.389 In Bezug auf TJ ähneln sich ihre Ansätze jedoch auffallend. Die Haltung von beiden Organisationen zu TJ kann als eher zurückhaltend bezeichnet werden, wobei sich AI kritischer gibt. Beide Organisationen vertreten einen dezidiert völkerrechtlichen Ansatz, dem v. a. der Kampf gegen Straflosigkeit und das Plädoyer für strafrecht­liche Verantwortung zentral ist.390 388

Die Ford-Stiftung ist eine US-amerikanische Stiftung, deren Ziele die Verbreitung der Demokratie, die Reduzierung der Armut und die Förderung der internationalen Verständigung sind.391 Die Stiftung ist für ihre Unterstützung des politischen Liberalismus und der Menschenrechte weltweit, insbesondere aber auch durch die Förderung von Nichtregierungsorganisationen, bekannt. Dies wird u. a. auch durch die direkte großzügige Unterstützung von Reformbewegungen bewirkt, so z. B. Ende der 1980er Jahre die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen in Polen, Ungarn, Rumänien, Bulgarien, Ostdeutschland und der Tschechoslowakei, aber auch durch die frühe Förderung der AntiApartheidbewegung.392 Die Ford-Stiftung war aktiv an der Organisation der ersten Konferenzen zum Thema TJ Anfang der 1990er Jahre beteiligt.393 war er Professor an der NYU und leitete das NYU Justice in Transition-Programm. 2001 war er unter den Gründungsmitgliedern des ICTJ, dann dessen Präsident, Vorstandsvorsitzender und schließlich einfaches Vorstandsmitglied. Boraine ist ein Verfechter der restaurativen Gerechtigkeit und eines Ansatzes, der weniger die strafrechtlichen Maßnahmen, sondern vielmehr Versöhnung und Erinnerungsarbeit in den Mittelpunkt stellt (Boraine, A Life in Transition, S. 217 f.). 388  Hayners Buch „Unspeakable Truths“ (2001) analysierte erstmals vergleichend die Arbeit von 21 Wahrheitskommissionen unter Effektivitätsgesichtspunkten. 2010 erschien die überarbeitete Neuauflage, in dem weitere 20 Wahrheitskommissionen porträtiert wurden, sowie die Schlußfolgerungen in den breiteren Kontext von TJ eingeordnet wurden (Hayner, Unspeakable Truths, S. XI und 10 f.). Eine Auswahl ihrer TJ-relevanten Publikationen: Unspeakable truths (2001), Negotiating peace in Sierra Leone: confronting the justice challenge (2007), Unspeakable truths (2010). 389  Welch, NGOs and human rights, S. 226 ff. 390  Vgl z. B. für AI (zu TJ in Afghanistan): „Amnesty International believes that the transitional process in Afghanistan should reflect the obligations that Afghanistan and all states have under international law with regard to accountability for the particularly serious human rights violations that have taken place in the country.“ (AI, Afghanistan Re-establishing the Rule of Law, S. 51.) Vgl. z. B. für HRW (zu TJ in Afghanistan): „Impunity for serious human rights violations remains the norm, as the government does not prosecute perpetrators of abuses who have protection from government officials, parliamentarians, or warlords.“ (HRW, Open Letter from Human Rights Watch to the International Afghanistan Support Conference.) 391  Bell, International Organisation 25 (1971), S. 465 ff. 392  Fleishman, Ethics & International Affairs 22 (2008), S. 338 f. 393  Vgl. unter B. III. 2.

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

3. TJ-Akteure, die rechtsgenerierend tätig werden können TJ-Akteure, d. h. internationale Organisationen bzw. Staaten, verstehen den Begriff des TJ v. a. in dem Kontext, in dem er von ihnen operationalisiert wird. Im Folgenden werden kurz im Allgemeinen die Perspektiven der einzelnen relevanten Praxisfelder dargestellt – sowie im Anschluss hieran der Ansatz wichtiger Akteure. a) Praxisfelder Unter den wichtigsten Praxisfeldern lassen sich Friedensverhandlungen, Rule of Law, Peacekeeping (v. a. DDR und SSR) und die Entwicklungszusammenarbeit unterscheiden. In Friedensverhandlungen werden zunehmend auch völkerrechtliche Vorgaben miteinbezogen.394 Dies hat spätestens 1999 der UN-Repräsentant bei der Unterzeichnung des Friedensvertrages von Lomé durch seine handschriftliche Anmerkung zum Anwendungsbereich der Amnestieklausel öffentlichkeitswirksam festgehalten. Solche Verhandlungsprozesse werden oft international, entweder durch Gesandte der UN, einzelner Staaten bzw. von Nichtregierungsorganisationen begleitet und moderiert. Es sind nicht nur die „traditionellen“ Friedensschlüsse im Sinne des humanitären Völkerrechts, die hierunter fallen, sondern insbesondere auch die Verhandlungen zwischen Oppositionskräften und autoritären Regimen bzw. zwischen Akteuren unterhalb der Regierungsebene, die auf eine kontrollierte Machtübergabe abzielen. Die Entscheidungen, welche TJ-Instrumente gewählt werden bzw. welche später gewählt werden können, fallen in der Regel in dieser Phase. Friedensverhandlungen stellen damit die Weichen für die spätere Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in Bezug auf Amnestien. Rule of Law395 kann als „[…] a principle of governance in which all persons, institutions and entities, public and private, including the State itself, are accountable to laws that are publicly promulgated, equally enforced and independently adjudicated, and which are consistent with international human rights norms and standards“396 394  Der Ankläger des IStGH führt diesen Ansatz auf die Verhandlungen des Romstatuts zurück: „For centuries, conflicts were resolved through negotiations without legal constraints. In Rome in 1998, a new and entirely different approach was adopt­ ed.“ (Ocampo, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 9.) 395  Der deutsche Begriff des „Rechtsstaates“ ist nicht mit Rule of Law deckungsgleich (Vgl. Bäumlin, in: Herzog (Hrsg.) u. a., Evangelisches Staatslexikon, Spalte 2806). 396  UN-GS, The Rule of Law and Transitional Justice, S. 4, § 6.



III. Die Akteure135

definiert werden. Es werden formelle und materielle Komponenten unterschieden: Zu den formellen zählen Vorhersehbarkeit des Rechts und Gleichheit vor dem Gesetz, Reform der Justiz, Kampf gegen Straflosigkeit und Verantwortlichkeit der Verwaltung.397 Die materiellen (inhaltlichen) Komponenten umfassen Menschenrechte und Demokratie.398 Insbesondere die UN, aber auch andere internationale Organisationen, haben Rule of Law-Aktivitäten zu einem Kernbereich ihrer Arbeit gemacht, u. a. als Bestandteil von Peacekeeping-Missionen oder technischer (i.  d.  R. Entwicklungs-)Zusammenarbeit. TJ hat zahlreiche Berührungspunkte mit dem Rule of Law-Konzept399, insbesondere aber im Bereich des Kampfes gegen die Straflosigkeit. Peacekeeping ist „the deployment of a United Nations presence in the field, hitherto with the consent of all the parties concerned, normally involving United Nations military and / or police personnel and frequently involving civilians as well.“400

Daneben werden Peacemaking, Peacebuilding401 und Preventive Diplomacy402 unterschieden.403 Im Bereich der Friedensmissionen ist TJ aber v. a. für Peacebuilding relevant und für die Demobilisierung, Entwaffnung und Wiedereingliederung (DDR404), die Reform des Sicherheitssektors (SSR405) sowie Rule of Law-Aktivitäten.406 397  Gowlland-Debbas/Pergantis, in: Chetail (Hrsg.), Post- Conflict Peace Build­ ing. A Lexicon, S. 320 ff. 398  Ebd., S.  327 f. 399  Vgl. z. B. UN-GS, The Rule of Law and Transitional Justice, §§ 2 ff. 400  UN-GS, An Agenda for Peace, Preventive Diplomacy, Peacemaking and Peacekeeping (An Agenda for Peace), UN Dok. A/47/277-S/24111 (17.  Juni 1992) § 20; vgl auch Report of the Panel on United Nations Peace Operations (Brahimi Report), UN Dok. A/55/305-S/2000/809 (21. August 2000); UN-DPKO, United Nations Peacekeeping Operations – Principles and Guidelines, S. 14. 401  „[A]ction to identify and support structures which will tend to strengthen and solidify peace in order to avoid a relapse into conflict.“ (An Agenda for Peace, § 20.) 402  „Preventive diplomacy seeks to resolve disputes before violence breaks out.“ (Ebd.) 403  Diese Begriffe stehen in einer zeitlich-logischen Abfolge: die präventive Diplomatie soll den Ausbruch der Gewalttätigkeiten verhindern. Gelingt dies nicht, so setzen nach dem Ausbruch friedensschaffende Bemühungen ein. Sobald zumindest ein formeller Friedensschluss erreicht ist, schließen sich die friedenserhaltenden bzw. friedensschaffende (im weiteren Sinne) Aktivitäten an, die über den konkreten Konflikt hinaus das Wiederauftreten von Gewalt verhindern (ebd.). 404  DDR-Aktivitäten sind Teil eines formalen Prozesses in Postkonfliktländern, die sich sowohl an Kombattanten auf staatlicher Seite als auch auf nicht-staatlicher Seite richten. Werden DDR-Maßnahmen erfolgreich durchgeführt, so können sie dazu beitragen, ein Klima von Vertrauen und Sicherheit zu schaffen – eine notwendige Voraussetzung für den Beginn der Aufbauarbeit. Der Beginn eines DDR-Pro-

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Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Die Rolle von TJ in der Entwicklungszusammenarbeit ist noch nicht ausreichend geklärt.407 Über den grundsätzlichen Einfluss von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Determinanten auf die (Un-)Friedfertigkeit einer Gesellschaft herrscht jedoch Einigkeit.408 Fragen bezüglich des Verhältnisses von TJ und Entwicklungszusammenarbeit umfassen z.  B. die mögliche Rolle von Entwicklungsprojekten bei der Bearbeitung von soziowirtschaftlicher Marginalisierung und Menschenrechtsverletzungen, die auf den Konflikt zurückzuführen sind bzw. damit in Verbindung stehen.409 405406

zesses wird in der Regel im Friedensvertrag bzw. im Waffenstillstandsabkommen vereinbart und durch internationale Organisationen begleitet (UN DPKO, The UN Approach to DDR, S. 1). 405  Das Konzept der Sicherheitssektorreform (SSR) umfasst „a set of policies, plans, programs, and activities that are undertaken by a series of stakeholders to improve the way a state or governing body provides safety, security, and justice to its civilian population within the context of Rule of Law“. Da SSR vor allem von internationalen Organisationen begleitet wird, sind deren teilweise differierenden Ansätze zu beachten. In den letzten Jahren ist eine signifikante Bedeutungszunahme dieses Konzeptes zu beobachten. Während die frühe Auffassung hauptsächlich militärisch dominiert wurde, hat sich der Begriff heute dahingehend weiterentwickelt, dass unter den Sicherheitssektor „traditionelle“ Sicherheitsakteure (z. B. Verteidigungskräfte, Polizei), Institutionen der Justiz, sowie andere Sicherheitskräfte (wie z. B. private Sicherheitsfirmen, Rebellengruppen) gefasst werden. Die UN verfolgen SSR hauptsächlich im Rahmen ihrer Peacekeeping- und PeacebuildingMissionen und -Aktivitäten. Dabei sehen sie SSR als wichtige Komponente jedes Stabilisierungsprozesses. SSR ist hiermit direkt mit einer Postkonfliktsituation verknüpft. Wichtige Schnittpunkte sind hier mit den UN-Aktivitäten im Bereich Menschenrechte, Gleichstellung der Geschlechter, Förderung von Rule of Law und Demokratie zu sehen (Meharg/Arnusch, Security Sector Reform, S. 5). Die OSZE sieht dagegen SSR vor dem Hintergrund von Entwicklungszusammenarbeit und betont neben der Stabilität vor allem die Sicherheit und das Wohlbefinden der Menschen (ebd.). Die EU begegnete SSR zunächst im Zusammenhang mit dem möglichen Beitritt weiterer europäischer Staaten als Voraussetzung für regionale Kooperation und Integration (ebd., S. 6; Mobekk, Transitional Justice and Security Sector Reform, S. 11). 406  Vgl. Lambourne, IJTJ 3 (2009), S. 28 ff.; Laplante, ICTJ 2 (2008), S. 331 ff. 407  Buckley-Zistel, Connecting Transitional Justice and Development, S. 4; Ser­ vaes/Zupan, New Horizons, S. 5. 408  Servaes/Zupan, New Horizons, S. 3. Vgl. auch Alexander, A Scoping Study of Transitional Justice and Poverty Reduction 2003; Arbour, Economic and Social Justice for Societies in Transition 2006; Duthie, IJTJ 2 (2008), S. 292–309; GTZ, Economic, Social and Cultural Rights Dimensions, 2009; Mani, Beyond Retribution. Seeking Justice in the Shadows of War, 2002; Mani, IJTJ 2 (2008), 253–265; RubioMarín/de Greiff, IJTJ 3 (2007), S. 318 ff. 409  Servaes/Zupan, New Horizons, S. 15.



III. Die Akteure137

Friedensverhandlungen

Peacekeeping

SSR

Rule of Law

DDR

EntwicklungszuTransitional Justice

sammenarbeit

Zeitachse

Schaubild 10: Praxisbereiche, die für TJ von Bedeutung sind (exemplarische Veranschaulichung)

b) Die Akteure TJ ist nicht nur ein wichtiger Bestandteil vieler friedenserhaltender und -schaffender Einsätze der UN, sondern auch von täglicher Bedeutung für zahlreiche Projekte der technischen Zusammenarbeit und sonstige Tätigkeiten der Weltorganisation:410 „Over the years, the United Nations has acquir­ ed significant experience in developing the Rule of Law and pursuing Transitional Justice in States emerging from conflict or repressive rule.“411 Von unmittelbarer Bedeutung ist TJ insbesondere für das Department of Political Affairs (DPA), das Department of Peacekeeping Operations ­(DPKO), das United Nations Development Programme (UNDP) und als designierte Lead Agency, das Office of the High Commissioner for Human 410  „Over 40 UN entities are engaged in rule of law issues and the Organization is conducting rule of law operations and programming in over 110 countries in all regions of the globe, with the largest presence in Africa. Many UN entities carry out activities in the same countries. Five or more entities are currently working simultaneously on the rule of law in at least 24 countries, the majority of which are in conflict and post-conflict situations.“ (UN, United Nations and the Rule of Law.) Für Beispiele vgl. OHCHR, Analytical study on human rights and transitional jus­ tice, UN Dok. A/CCPR/12/18 (6.  August 2009; im Folgenden: Analytical study.), S. 6–11 (Strafverfolgungen), 11–13 (Reparationen), 13–14 (institutionelle Reformen), 14–16 (nationale Konsultationen). 411  UN-GS, UN Approach to Transitional Justice (2010), S. 2; vgl. auch UN-GS, On the Rule of Law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, UN Dok. S/2004/616 (3. August 2004; im Folgenden: Rule of Law and TJ).

138

Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Rights (OHCHR). Dabei haben sich auch die ehemalige UN-Menschenrechtskommission, ihr Nachfolgeorgan (UN-Menschenrechtsrat) sowie die UN-Generalversammlung explizit mit dem Themenbereich beschäftigt. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) ist eine selbständige internationale Organisation, deren Beziehung (und Zusammenarbeit) mit der Organisation der Vereinten Nationen durch einen Vertrag geregelt ist.412 Allein schon aufgrund des Tätigkeitsbereiches des IStGH ist die Frage nach dem Verhältnis zu TJ relevant. Insbesondere hat sich diese Fragestellung aber anhand der Thematik von Wahrheitskommissionen bzw. nationalen Instrumenten wie den Gacaca-„Gerichten“ in Ruanda und der Frage nach der Zulässigkeit von Amnestien aktualisiert. Im Romstatut ist die Haltung von IStGH zu Amnestien nicht grundsätzlich geklärt, da hierüber bei den Verhandlungen keine Einigung erzielt werden konnte.413 Daneben sind noch die OSZE, der Europarat, die Afrikanische Union und die Europäische Union weitere wichtige Akteure.414

IV. Zusammenfassung und kritischer Ausblick Zu Beginn dieses Teils der Untersuchung stand die Frage, was den TJDiskurs im Gegensatz zu anderen Diskursen, welche sich ebenfalls mit der Aufarbeitung von systematischen Menschenrechtsverletzungen in Postkonfliktsituationen beschäftigen, ausmacht. Um diese Besonderheit herauszustellen, wurde ein Mapping des TJ-Feldes durchgeführt: der Begriff wurde definiert und abgegrenzt, unterschiedliche disziplinäre Ansätze erläutert, das Forschungsgebiet mit den dominierenden Disziplinen und dessen Akteure identifiziert. Im ersten Kapitel wurde der Begriff TJ sowie verschiedene disziplinäre Ansätze im TJ-Diskurs analysiert. Es wurde festgestellt, dass der Begriff der „Transition“ durch politikwissenschaftliche Begrifflichkeiten geprägt ist und mittlerweile die Bedeutung der Demokratisierung eines politischen Systems erhalten hat. 412  Negotiated Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations, UN Dok. ICC-ASP/3/Res.1 (angenommen 04.10.2004, in Kraft getreten 22.07.2004). So kann z. B. der UN-SR, dem IStGH Fälle für Ermittlungen zuzuweisen (Art. 13 lit. b IStGH-Statut). Darüber hinaus kann er in bestimmten Fällen Ermittlungen nach einem Sicherheitsratsbeschluss für die Dauer von einem Jahr aufschieben Art. 16). Die Unabhängigkeit des IStGH wird insbesondere durch die relativ starke Stellung des Chefanklägers ermöglicht (Utz (Hrsg.), Handbuch der Menschenrechtsarbeit, S. 182). 413  Werle/Jessberger, Völkerstrafrecht, S. 90, Rn. 215 (vgl. hierzu Teil 3, C. I. 3.). 414  Vgl. im Folgenden hierzu Teil 3, B. II.



IV. Zusammenfassung und kritischer Ausblick139

Das Begriffselement „justice“ wurde aufgrund seiner Komplexität unter Rückgriff auf die aristotelische Gerechtigkeitstypologie erläutert. Hierbei wurde festgestellt, dass insbesondere das formale und das materielle Gerechtigkeitsverständnis im TJ-Diskurs eine zentrale Rolle spielen. Es wurde herausgearbeitet, dass die in der TJ-Literatur diskutierten Begriffe der „Rectificatory, Restorative, Reparative Justice“ oder „Justice as Recognition“ oft als Gegenbegriffe zur „retributiven Gerechtigkeit“ verwendet werden. Auch wurde gezeigt, dass in der TJ-Literatur „retributiv“ mit der deontologischen bzw. absoluten Straftheorie gleichgesetzt wird. Vor dem Hintergrund des aristotelischen Verständnisses wurde dies jedoch als missverständlich bezeichnet. Nach diesem Verständnis bezeichnet „retributiv“ lediglich die Strafgerechtigkeit, die, zusammen mit der restitutiven Gerechtigkeit, die Kategorie der korrektiven Gerechtigkeit bildet und damit nicht als gegensätzlich, sondern als komplementär betrachtet werden sollte. Es wurde eine Zweiteilung des Diskurses beobachtet: Während „eigene“ TJ-Ansätze im Bereich der restitutiven Gerechtigkeit entwickelt wurden, blieb es für die Strafgerechtigkeit beim Völkerstrafrecht. Die Transitional Jurisprudence-Theorie ist eine Ausnahme hiervon, da sie im Bereich der Strafgerechtigkeit anzusiedeln ist. Im Bereich eines politischen Gerechtigkeitsbegriffs wurde festgehalten, dass zunächst der liberalistische Gerechtigkeitsdiskurs im TJ-Diskurs zu dominieren schien. Ein kommunitaristischer Ansatz wird vielfach im TJDiskurs mit Restorative Justice gleichgesetzt; „Gemeinschaft“ wird hier als „traditionelle Gemeinschaft“ verstanden. Ein distributives bzw. soziales Gerechtigkeitsverständnis wird im TJ-Diskurs kaum vertreten. Anschließend wurden die Ansätze und Diskursregeln unterschiedlicher Disziplinen und Teildisziplinen im TJ-Feld untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass viele der in der TJ-Literatur aufgeworfenen Fragen sich über die angesprochenen rechtswissenschaftlichen Ansätze lösen lassen. Der rechtswissenschaftliche Diskurs zeichnet sich hierbei durch die Diskursmarker „Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung“, „Straflosigkeit“, „strafrechtliche Verantwortung“, „Strafverfolgung der Hauptverantwort­ lichen“ (völkerrechtsdogmatisch), „Natur“ (rechtsphilosophisch), „Gewalt­ ursachen und -bedingungen“ (kriminologisch) und „Funktion“ (rechtssoziologisch) aus. Die Anerkennung der fundamentalen Unterschiedlichkeit der Rahmenbedingungen für die Umsetzung, Rolle und Natur von Recht im Gegensatz zu stabilen Zeiten wurde als Exzeptionalitätsargument bezeichnet. Hiervon wurden drei Varianten unterschieden: das funktionale, konzeptionelle und faktische Verständnis der Exzeptionalität von TJ. Sowohl das funktionale als auch das konzeptionelle Verständnis bestimmen den Inhalt z. B. von Rule of

140

Teil 2: Mapping des Transitional Justice-Diskurses

Law in Zeiten der Transition im Vergleich zum „normalen“ Rule of Law auf normativer Ebene als unterschiedlich. Das faktische Verständnis hingegen geht davon aus, dass der Vergleichsmaßstab normativ weiterhin der Gerechtigkeitsmaßstab zu stabilen Zeiten sein soll. Die rechtliche Dimension des Forschungsbereiches, die sich eben mit dieser Fragestellung beschäftigt, wurde festgelegt als „all legal dimensions that come to the fore in the transition from violence to long-term peace […].“415 Aus dem Obengenannten wurde geschlussfolgert, dass Narrationen um die Begriffe „Prozess“ und „Erfolg“ der Transition bzw. „Heilung und / oder Versöhnung durch TJ“ nicht zum rechtswissenschaftlichen TJDiskurs zu zählen sind, diese aber dennoch mit dem rechtswissenschaftlichen TJ-Diskurs verbunden werden können.416 Im zweiten Kapitel zum Forschungsgebiet TJ wurde festgestellt, dass das TJ-Praxisfeld und die Wissenschaft sowie die Praxis der Akteure stark miteinander verschränkt sind. Dies liegt nicht nur in der personalen Diffusion begründet, sondern insbesondere auch in den konkreten Forschungsergebnissen, die oft als Handlungsanweisungen für die Praxis konzipiert sind. Dabei ist hervorzuheben, dass die von der TJ-Wissenschaft behandelten Fragestellungen in der Regel direkt aus der Praxis entstammen. Ebenfalls wurde herausgearbeitet, dass TJ von Wissenschaftlern 2010 innerhalb des Wissenschaftsdiskurses bereits als ein von anderen Forschungsgebieten sich unterscheidendes Feld wahrgenommen wird. In der Völkerrechtswissenschaft nimmt diese Wahrnehmung durch Wissenschaftler außerhalb des TJ-Diskurses stetig zu, ist bis dato aber vor allem auf die anglo-amerikanische Völkerrechtswissenschaft begrenzt.417 Daneben wurden die Kriterien für die Eigenständigkeit eines Rechtsgebietes dargestellt, die im Einzelnen umstritten sind. Es wurde festgehalten, dass jedenfalls die Abgrenzbarkeit nach außen sowie eigene Prinzipien, eigene rechtliche Institutionen und ein eigener Bereich der juristischen Praxis zu verlangen sind, um eine solche Einordnung zur rechtfertigen 415  Campbell/Aolain,

Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 890. Definition Tomuschats: „This [TJ, Anm. d. Verf.] is a process by which societies emerging from armed conflict or periods of rule by repressive leaders reestablish a commitment to the Rule of Law, human rights and democracy, and, at the same time, address the plight of the victims and provide for the accountability of the perpetrators of the past.“ (Tomuschat, Journal of International Criminal Jus­ tice 3 (2005), S. 580.) 417  Z. B. Haldemann, Cornell University Cornell International Law 2008, S. 676, Fn. 5: „transitional justice as a field of academic and political interest“. Aber auch in der kontinentaleuropäischen Völkerrechtswissenschaft setzt die Rezeption langsam ein (z. B. Ambos, in: Ambos u. a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 28). 416  Vgl.



IV. Zusammenfassung und kritischer Ausblick141

Darüber hinaus wurden verschiedene Konstellationen bezüglich der vielzitierten Interdisziplinarität dargestellt (Wahrung der Disziplingrenzen, Multi- und Interdisziplinarität, sowie Auflösung der Disziplingrenzen, Transdisziplinarität). Im dritten Kapitel zu den TJ-Akteuren wurden – aufbauend auf der Zitationsanalyse – zehn einflussreiche Wissenschaftler in der TJ-Wissenschaftsgemeinschaft identifiziert und vorgestellt. Hierdurch wurde deutlich, wie einflussreich US-amerikanische sowie englische Universitäten im Bereich TJ sind, insbesondere Yale, Harvard, Columbia, Oxford, Cambridge und Essex sowie die NYU School of Law. Ulster, als einzige Universität mit selbständigem TJ-Institut seit 2003, ist hervorzuheben. Die Anfänge der anderen Forschungsnetzwerke und Programme datieren ebenfalls aus diesem Zeitraum; mit der Ausnahme der NYU School of Law, die sich schon seit 1998 mit diesem Themenbereich beschäftigt (möglicherweise aufgrund ihres südafrikanischen Lehrpersonals). Im Hinblick auf die Akteure, die im Bereich TJ tätig sind, ohne dabei rechtsgenerierend tätig werden zu können, wurde der wichtige Beitrag des ICTJ zur Entwicklung des Feldes kurz umrissen sowie dessen großzügige Förderung durch die Ford-Stiftung, die auch hauptsächlich für die Gründung der Organisation verantwortlich ist. Die kritische Haltung von AI und HRW als einflussreiche Menschenrechtsorganisationen wurden ebenfalls kurz dargestellt. In Bezug auf die Akteure, die im Bereich TJ tätig sind, und dabei auch rechtsgenerierend tätig werden können, wurden die wichtigen Akteure in diesem Bereich, d. h. die Vereinten Nationen, der IStGH, die OSZE, die AU und die EU kurz erwähnt sowie die relevanten Praxisbereiche vorgestellt. Es wurde festgestellt, dass TJ für drei Hauptbereiche von signifikanter praktischer Bedeutung ist: für Rule of Law-Aktivitäten, für alle Maßnahmen, die mit Peacebuilding und Peacekeeping zusammenhängen (inklusive Friedensverhandlungen) und schließlich in der Entwicklungszusammenarbeit.

Teil 3

Entwicklung von Transitional Justice Die Entwicklung von TJ wird im Folgenden in drei Abschnitten  − wissenschaftliche Behandlung der Thematik (Abschnitt A.), Entwicklung der Praxis (Abschnitt B.) und Entwicklung auf der normativen Ebene (Abschnitt  C.)  − dargestellt.

A. Entwicklung der wissenschaftlichen Behandlung der Thematik Aufbauend auf den in Teil 2 identifizierten Phasen und Thesen wird die Entwicklung der wissenschaftlichen Behandlung des Themas nachfolgend in fünf Zeitabschnitte eingeteilt. Die untersuchte Literatur wurde anhand einer Bibliographie zu TJ ausgewählt.1

I. Im Vorfeld der Konstituierung: Ende des Zweiten Weltkrieges bis 1989 / 90 Die These aus Teil 2 bezüglich dieser Phase lautete: „In der Vorphase I ab Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90 sind die prägenden Elemente v. a. die Nürnberger Prozesse und die lateinamerikanische Menschen­ rechtsbewegung.“ (These 3.1)

Analysiert man die in der Bibliographie aufgeführten Literatur2, die sich mit dem Thema der Vergangenheitsaufarbeitung vor 1989 / 90 beschäftigt, fallen für den Zeitraum zunächst zwei Aspekte auf: erstens, ein stetes An1  Die Bibliographie (University of Wisconsin, TJ Bibliography, Website) enthält 2497 Einträge akademischer Werke, die sich mit TJ beschäftigen. Hierbei gilt zu beachten, dass diese selbst schon Ergebnis eines Wertungsprozess ist (welche Publikation aufzulisten ist, d. h. welche mit der Fragestellung von TJ verbunden ist, welche nicht etc.). Die zweite Vorauswahl, die diese Bibliographie und die in ihre aufgezählte Literatur charakterisiert, ist das Zeitfenster von 1946 bis 2010. 2  Für den Zeitraum vor dem Auftreten des TJ-Diskurses wurde darauf geachtet, wie mit ähnlichen Sachverhalten umgegangen wurde, wie diese diskutiert wurden und welche beherrschenden Meinungen und Argumente sowie Deutungsmuster zu identifizieren waren.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90143

wachsen der Publikationstätigkeit, insbesondere ab den 1980er Jahren; zweitens, eine bestimmte inhaltliche Schwerpunktsetzung in den einzelnen Zeiträumen. Es fällt auf, dass zu Beginn (1945 bis Ende der 1979) v. a. der rechtswissenschaftliche Diskurs überwiegt – mit einem klaren Fokus auf Strafverfolgungen wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg für völkerrechtliche Verbrechen stattgefunden hatten.3 Fragestellungen um Amnestien kamen dann zu Beginn der 1970er Jahre auf; zur gleichen Zeit als die Frage der Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg diskutiert wurde.4 Der völkerstrafrechtliche Entwicklungsstrang wird dann in den 1980er Jahren um den menschenrechtlichen Entwicklungsstrang, der sich aus der Behandlung der Menschenrechtssituation in Südamerika entwickelt (Strafverfolgung, Strafzweck, Straflosigkeit / Amnestien, „gewaltsames Verschwindenlassen“5)6 sowie den rechtskriminologischen bzw. -philosophischen (Strafzweck; politische Justiz)7 ergänzt. Die Diskurse, die augenscheinlich dominieren, sind die der Strafverfolgung von völkerrechtlichen Verbrechen bzw. Menschenrechtsverletzungen sowie der Diskurs um Straflosigkeit bzw. Amnestiegesetze. 1989 findet sich erstmals eine Behandlung der TJ-Thematik, allerdings noch nicht unter dieser Begrifflichkeit.8 Der politikwissenschaftliche Diskurs in der untersuchten Literatur kommt in den 1970er Jahren auf und konzentriert sich auf die Erklärung des Scheiterns von Demokratien bzw. den Übergang von Diktaturen zu Demokratien.9 3  Bassiouni, Case Western Reserve Journal of International Law 18 (1986), S. 261–266; Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1501–1528; Ferencz, Journal of Criminal Law and Criminology 39 (1948), S. 144–151; Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947), S. 153–171. 4  Vgl. z. B. Carey, St. Louis University Law Journal 17 (1973), S. 501–524; Weisman, Columbia Human Rights Law Review 4 (1972), S. 529–540. 5  Unter „gewaltsamem Verschwindenlassen“ versteht man die Festnahme, den Entzug der Freiheit, die Entführung oder jede andere Form der Freiheitsberaubung durch Bedienstete des Staates oder durch Personen oder Personengruppen, die mit Ermächtigung, Unterstützung oder Duldung des Staates handeln, gefolgt von der Weigerung, diese Freiheitsberaubung anzuerkennen oder der Verschleierung des Schicksals oder des Verbleibs der verschwundenen Person, wodurch diese letztendlich dem Schutz des Gesetzes entzogen wird (vgl. Art. 2 der CEPD). 6  Vgl. z. B. Mignone, Yale Journal of International Law 10 (1984), S. 118–150; Rogers, Columbia Human Rights Law Review 20 (1989), S. 259–308; Speck, University of Miami Inter American Law Review 18 (1987), S. 491–533. 7  Vgl statt vieler: Kirchheimer, Politische Justiz. 8  Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes: Punishment or Pardon. 9  Insbesondere zwei Werke sind hier hervorzuheben: Herz, From Dictatorship to Democracy: Coping with the Legacies of Authoritarianism and Totalitarianism, und

144

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Der sozialpsychologische Diskurs in den untersuchten Publikationen kommt in den 1970er Jahren auf und widmet sich schon zu Beginn Thematiken wie der Versöhnung und der Vergebung.10 In den 1980er Jahren wird der Diskurs dann breiter und umfasst neben der kollektiven Dimension (kollektives Erinnern / Vergessen, Wahrheitskommissionen) auch die individuelle (z. B. Psychotherapie der Opfer).11 Geographisch weitet sich die Abdeckung von Europa und Ferner Osten auf Südamerika und Südafrika aus (1980er Jahre)12. Es fehlen aber augenscheinlich Auseinandersetzungen z. B. mit den schweren Menschenrechtsverletzungen unter dem Khmer Rouge-Regime, des Bangladesch-Pakistan Konflikts 197113, des Koreakrieges, der systematischen Menschenrechtsverletzungen in den Ostblockstaaten und insbesondere auch die Abwesenheit der Problematisierung von Konflikten auf dem afrikanischen Kon­ tinent (vgl. z.  B. Biafra-Konflikt, Regime von Idi Amin etc.). Auch ­überrascht die schwache wissenschaftliche Publikationstätigkeit zu den nationalen Strafverfolgungen gegen Vertreter der portugiesischen und griechischen Militärdiktaturen (Griechenland, 1975–76, und Portugal, 1976– 77) bzw. zur Entscheidung Spaniens, keine Strafverfolgungen durchzusetzen (1977). Als Hauptmerkmale und -thematiken des wissenschaftlichen Diskurses dieser Phase gelten daher: die Dominanz des völkerstrafrechtlichen Diskurses bis in die 1980er Jahre, das Aufkommen des menschenrechtlichen Diskurses v. a. i. V. m. den südamerikanischen Transitionen, der politikwissenschaftliche Transitionsdiskurs der 1970 / 80er Jahre und die TJ-Problematik. Im Folgenden werden die einzelnen Diskurse genauer untersucht.

O’Donnell/Schmitter, Transitions from Authoritarian Rule: Tentative Conclu­ sions about Uncertain Democracies. 10  Larrabee, The Politics of Reconciliation. 11  Z. B. Connerton, How Societies Remember; Dreifuss, Psychotherapy and Psychosomatics 34 (1980), S. 40 ff.; Funkenstein, History and Memory 1 (1989), S. 5 ff.; Halbwachs, The Collective Memory. 12  Vgl. z. B. Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1501–1528; Röling, The Tokyo Judgement; Mignone, Yale Journal of International Law 10 (1984), S. 118–150; Dugard, South African Law Journal 93 (1976), S. 155–158. 13  Eine Ausnahme ist Best, Nuremberg and After, S. 23.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90145 Rechtswissenschaftlicher Diskurs: – internationale Strafgerichtsbarkeit (Kriegsverbrecherprozesse 2. Weltkrieg, IMT und IMTFO), purge laws, Entschädigung; politische Justiz; Verbrechen gegen die Menschlichkeit; – Strafzweck; – Amnestiegesetze; Straflosigkeit; – Restitution; – Entschädigungen/Reparationen; – Vorgesetztenverantwortlichkeit/Befehlsnotstand; – Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen.

Publikationen 1946 –1989/90 TJ-Diskurs: – Gerechtigkeit vs. Frieden; – Exzeptionalitätsthese; – Instrumente: Strafverfolgung, Wahrheitskommission, Amnestien, Entschädigungen.

Länder / Regionen: Aufweitung des regionalen Spektrums – Deutschland, Japan; – Vietnam; – Argentinien, Uruguay; – Italien, Spanien, Portugal, Griechenland.

Andere Disziplinen: – Systemwechsel; – Sozialpsychologie; – Wahrheitskommission; – Psychotherapie von Opfern; – kollektives Erinnern; – Folter; – Versöhnung.

Schaubild 11: Publikationen 1946–1989 / 90

1. Völkerstrafrechtlicher Diskurs a) Auseinandersetzungen mit den Menschenrechtsverletzungen des 2. Weltkriegs: Diskussionen in der internationalen völker(straf-)rechtlichen Literatur Ein großer Teil der für diesen Zeitraum betrachteten rechtswissenschaftlichen Publikationen ist dem völker(straf)rechtlichen Diskurs zuzuordnen und beschäftigt sich v. a. mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, v. a. durch das Internationales Militärtribunal von Nürnberg (IMT) – und dessen Nachfolgeprozesse14  − und durch das Internationale 14  Vgl. z. B. Bassiouni, Case Western Reserve Journal of International Law 18 (1986), S.  261 ff.; Best, Nuremberg and After; Ferencz, Journal of Criminal Law and Criminology 39 (1948), S. 144 ff.; Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947),

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Militärtribunal für den Fernen Osten (IMTFO)15, aber auch den Prozessen in anderen, v. a. europäischen Staaten, gegen Täter und Kollaborateure des nationalsozialistischen Regimes.16 Die Bilanz insbesondere der strafrechtlichen Verfolgung von NS-Gewalttaten fällt insgesamt  − wenn sie angestellt wird  − kritisch aus.17 Dennoch wird „Nürnberg“ als „crucial achievement in the development of international law, a triumph of reason and justice in the bitter wake of the war“18 gelobt. Das dominierende Thema in den völker(straf)rechtlichen Abhandlungen ist die Einführung der individuellen strafrechtlichen Verantwortung durch den Nürnberger Prozess bzw. das Londoner Abkommen. Die Festschreibung dieses Prinzips wird als Paradigmenwechsel im Völkerrecht betrachtet, die den klassischen Streit zwischen Positivisten und Naturrechtlern neu entflammte.19 Vor Nürnberg habe lediglich die kollektive (Staaten-)Verantwortlichkeit bestanden. Durch den Nürnberger Prozess hätte sich dies dann zu einer individuellen strafrechtlichen Verantwortung (sowie einer kollektiven strafrechtlichen Verantwortung, sog. criminal enterprise, die sich jedoch auf kleinere Entitäten als den Staat bezog) gewandelt.20 Die Rückwirkung des Londoner Abkommens und hiermit die Problematik der Verletzung des ­nullum crimen / poena sine lege-Grundsatzes, v. a. bezüglich der Verbrechen gegen den Frieden, aber auch der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des „Verschwörungs“tatbestandes21 werden kritisch diskutiert.22 S.  153 ff.; Jaspers, Notre Dame Law Review 22 (1947), S. 150 ff.; Wechsler, Political Science Quarterly 62 (1947), S. 11 ff. 15  Das Internationale Militärtribunal für den Fernen Osten wurde durch Special Proclamation des Oberbefehlshabers der alliierten Streitkräfte eingerichtet. Angeklagt waren 28 Personen. Die Urteile – alles Verurteilungen – ergingen am 22. November 1948. Im Nachhinein kam es ebenfalls zu Strafprozessen gegen Japaner vor nationalen Gerichten oder durch die Besatzungsmächte (Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 II; Ahlbrecht, Geschichte der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit im 20. Jahrhundert, S. 105 ff.). 16  Vgl. z. B. Best, Nuremberg and After, S. 3. 17  Vgl. z. B. ebd., S. 19. 18  Wechsler, Political Science Quarterly 62 (1947), S. 11. 19  Vgl. hierzu Borchard, Yale Law Journal 55 (1946), S. 966 ff.; Hula, Soc Res 13 (1946), S. 1 ff.; Finch, AJIL 41 (1947), S. 20 ff.; Gross, American Political ­Science Review 41 (1947), S. 205 ff.; Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947), S. 153; Keenan/Brown, Crimes Against International Law, S. 79 ff.; Radin, Foreign Affairs 24 (1946), S. 369 ff.; Schick, AJIL 41 (1947), S. 770 ff.; Leonhardt, Rev Pol 11 (1949), S. 449 ff. 20  Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947), S. 155, 166. 21  Vgl. z. B. Donnedieu de Vabres, in: Mettraux (Hrsg.), Perspectives on the Nuremberg Trial, S. 227, 243. 22  Keenan/Brown, Crimes Against International Law, S. 79.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90147

Die Unterschiede zwischen IMT und IMTFO werden in der ausgewerteten Literatur nicht oft herausgearbeitet, vielmehr werden beide im gleichen Atemzug als Symbol für das neue Paradigma der individuellen strafrecht­ lichen Verantwortung genannt.23 Nürnberg wird zum Portmanteau der Strafverfolgung einer politischen Elite (bzw. der Hauptverantwortlichen) eines Staates für Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen.24 In der Regel lassen sich zwei Deutungsmuster bezüglich „Nürnberg“ in der untersuchten Literatur unterscheiden: Einige Autoren sehen „Nürnberg“ als etwas Außergewöhnliches an, das untrennbar mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges verbunden ist und sich so nicht mehr wiederholen wird.25 Andere dagegen sehen Nürnberg als den Beginn einer neuen Entwicklung im internationalen Recht an.26 Die Funktion von Recht (in einer so außergewöhnlichen Situation) wird bereits diskutiert.27 Andere Maßnahmen der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Menschenrechtsverletzungen werden kaum diskutiert.28

23  Vgl. z. B. Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947), S. 153 ff.; differenzierend: Best, Nuremberg and After, S. 9; Röling, in: Röling/Rüter (Hrsg.), The Tokyo Judgement. 24  Vgl. Best, Nuremberg and After, S. 3; Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1517. 25  So anscheinend: Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947), S. 168; vgl. auch Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1503. 26  Aroneau, Politique étrangère 4 (1955), S. 173 ff.; Justice Robert Jackson, in: Falk u. a. (Hrsg.), Crimes of War, S. 222. („[W]e are not prepared to lay down a rule of criminal conduct against others which we are not willing to have invoked against us.“) Vgl. auch Jaspers, Notre Dame Law Review 1947, S. 159. („If the world is inspired with a confidence that justice has been done at Nürnberg and a good foundation has been laid, then the political trial will have become a legal trial, and justice will have been put upon a solid basis for this world we must rebuild. But if this fails to materialize, the disillusionment caused by this deceit would stir up a worse war-like spirit in the world. Nürnberg, then, would have become instead of a bless­ ing, a cause of doom. The world would then come to the conclusion that the trial was a mere sham and a spectacle. This must not happen.“) Bassiouni, Case Western Reserve Journal of International Law 18 (1986), S. 262. („[T]he process that commenced at Nuremberg in 1945 did not end then and there but continued beyond it and is still on-going in some respects. But the legacy is more symbolic than substantial.“) 27  „Law is largely dependent variable in both accomplishing and sustaining change, although it may symbolize emerging human aspirations and precede a wider social adjustment to new challenges.“ (Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1528.) 28  Ausnahme z. B. Wechsler, Political Science Quarterly 62 (1947), S. 23 (Diskussion der Entnazifizierungsmaßnahmen).

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Der Strafzweck (Retribution / Deterrence) wird ebenfalls angesprochen.29 Beliebte Thematiken daneben sind die Vorgesetztenverantwortlichkeit (Command Responsibility) und der Befehlsnotstand (Superior Orders).30 Daneben gibt es auch allgemeine völkerrechtliche Abhandlungen, die sich mit der Rechtsgrundlage des IMT (und des IMTFO) beschäftigen.31 Diskutiert wurden im Nachhinein insbesondere der Vorwurf der „Siegerjustiz“, u. a. als Selektivität der Strafverfolgung bzw. einseitige Gerechtigkeit, die keine Strafverfolgung alliierter Kriegsverbrechen vorsah32, der Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot33 sowie der Einwand des tu quoque34. Das Problem der „imperfekten Gerechtigkeit“ wird dabei ebenfalls diskutiert: So zitiert Best z. B. den französischen Richter Donnedieu de Vabres mit der Beobachtung „Mieux vaut une justice imparfaite que pas de justice du tout“.35 Damit wird die Argumentation der „Pragmatiker“ im südamerikanischen Kontext der 80er Jahre vorweggenommen. Daneben taucht auch der Begriff der „politischen Justiz“ auf bzw. die Frage, ob „Nürnberg“ in die Sphäre des Politischen oder Rechtlichen einzuordnen sei. Es finden sich beide Ansichten.36 Insbesondere die spätere Berufung durch verschiedene Akteure auf „Nürnberg“ und die „Nürnberger Prinzipien“ beschreibt Best als „political football“.37 Damit ist bereits das Spannungsfeld zwischen Recht und Politik vorgezeichnet, dass die spätere TJ-Diskussionen beherrschen sollte. 29  Vgl.

z. B. ebd., S. 15. z. B. Bakker, nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 441 ff.; Parks, nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 456 ff. 31  Vgl. z. B. Kelsen, International Law Quarterly 1 (1947), S. 153 ff. 32  „Individual criminal responsibility for the violation of rules of international law prohibiting war has been established as a general principle of law, but as a rule applicable only to vanquished states by the victors.“ (Ebd., S. 170.) Vgl. auch: Wechsler, Political Science Quarterly 62 (1947), S. 23 und 25; vgl. auch: Taylor, Nuremberg and Vietnam: An American Tragedy, S. 82; Meltzer, University of Chicago Law Review 14 (1947), S. 469. 33  Vgl. z. B. Kraus, DePaul Law Review 13 (1963/64), S. 244 f. 34  Vgl. Kaufmann, Whittier Law Review 9 (1987/88), S. 549. 35  Best, Nuremberg and After, S. 8 f. 36  Vgl. hierzu im Einzelnen: Wechsler, Political Science Quarterly 62 (1947), S.  23 ff. 37  Best, Nuremberg and After, S. 5; vgl. auch: „War crimes trials of a political sort have several times been threatened by ideologically-inflammed parties, and war crimes trials of a more objective sort have often been desiderated by others, but there have only been two war crimes prosecutions during the past thirty years to attract world-wide attention, and each was much more important as symbol than in substance.“ (Ebd., S. 22.) 30  Vgl.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90149

Interessanterweise findet sich in den analysierten Publikationen nicht die Sichtweise, dass es der Sieg der Alliierten war, der die Strafverfolgungen erst ermöglichte (Konditionalität des Regimewechsels oder der Transition für die Strafverfolgung). Vielmehr werden die Strafverfolgungen als inhärentes Ziel des Krieges nach der Moskauer Erklärung im Oktober 1943 bzw. als moralisches Diktat gesehen.38 Damit fehlt der Transitionskontext als Deutungsrahmen dieses Diskurses. b) Einschub: Vergangenheitsbewältigung im besetzten Deutschland und der BRD sowie Diskursthemen und Deutungsmuster Um die dargestellte Literatur vor dem Hintergrund der Maßnahmen und Diskurse in der Praxis bewerten zu können, wird im Nachfolgenden überblicksartig die nationale Vergangenheitsbewältigung und ihr Diskurs im besetzten Deutschland und in der Bundesrepublik dargestellt. Debatten und gewählte Instrumente oszillieren hier zwischen Strafverfolgung und Amnestierung, Erinnern und Verdrängen bzw. „Schlussstrich“, Aussonderung der „Schuldigen“ und Reintegration, Kollektivschuld und Hauptverantwortlichkeit der NS-Elite39 und sind damit um viele Punkte reicher als die internationale Literatur zu diesem Thema. aa) Strafverfolgungen Die Geschichte der juristischen „Aufarbeitung“ der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen ist durch verschiedene Phasen gekennzeichnet. Der Nürnberger (Haupt-)Kriegsverbrecherprozess (1945–46) stellt dabei nur das erste Element in einer sich im Laufe der Zeit wandelnden Strafverfolgungspolitik dar.40 Die Intention der Alliierten war die öffentliche Verurteilung der NS38  „This [to bring those criminals to trial, Anm. d. Verf.] become one of the very purposes of the war.“ (Ferencz, Journal of Criminal Law and Criminology 39 (1948), S. 145.) 39  Eine der grundlegenden Aufsätze, der zuerst in deutscher Sprache und dann in einer englischen Übersetzung erschien, ist Jaspers „Die Schuldfrage – ein Beitrag zur Deutschen Frage“ (1946) (NZZ 1946; in Englisch: Notre Dame Law Review 1947, S. 150 ff.), der sich mit der Reaktion der Deutschen auf die Nürnberger Prozesse und insbesondere der Problematik des Schauprozesses beschäftigt. Auch Adorno nähert sich in seinem Aufsatz „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit“ (in: Adorno, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.2, S. 555 f.) der Begrifflichkeit an und grenzt die „Aufarbeitung“ von der „Bewältigung“ ab. In diskursanalytischer Manier behandelt er den Umgang in Deutschland mit der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges und den „Schuldkomplex“. 40  Andere Prozesse, die hier zu nennen sind, sind insbesondere: die sog. Nürnberger Nachfolgeprozesse (1946–49), die sog. Ulmer-Einsatzgruppenprozess 1958,

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Elite als Hauptkriegsverbrecher sowie der als verbrecherisch bezeichneten NS-Organisationen.41 Am 20.11.1945 wurde der Nürnberger Kriegsverbrecherprozess gegen 21 Angeklagte eröffnet und nach zehn Monaten wurde das Urteil verkündet. Die Angeklagten brachten in den Schlussplädoyers Motive wie „Pflicht­ erfüllung, Gehorsam und Vaterlandsliebe“ vor; Hitler wurde als teuflischer Verführer der gesamten deutschen Nation porträtiert.42 Die Nürnberger Prozesse unterstützten damit einen Diskurs, durch den die Mehrheit der deutschen Bevölkerung als „unschuldig“ und eine überschaubare Gruppe (die „Hauptverantwortlichen“) als „schuldig“ identifiziert werden konnte.43 Zunächst von der deutschen Bevölkerung begrüßt, schwand mit den Nachfolgeprozessen und den Entnazifizierungsprogrammen später die Zustimmung, wurde doch deutlich, dass die Schuld sich nicht nur auf die Elite konzentrierte.44 Die Nürnberger Nachfolgeprozesse45 fanden vor US-Militärgerichten statt.46 Ziel der Nachfolgeprozesse war nicht nur der individuelle Schuldnachweis, sondern insbesondere auch das Aufdecken der nationalsozialistider Eichmann-Prozess 1961, der sog. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963–65), die sog. Vernichtungslager-Prozesse (Prozesse gegen Wachmannschaften der Vernichtungslager Treblinka, Sobibor, Belzec und andere Angehörige der sog. Aktion Reinhardt, 1950–76), der sog. Krumey-Hunsche Prozess (1964/65), der sog. Frankfurter Euthanasie-Prozess (1966/67), der sog. Callsen-Prozess (1967/68), der sog. LischkaProzess (1979/80) und der sog. Majdanek-Prozess (1975–81) (vgl. hierzu Gerstle, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 140). 41  Bereits in der Moskauer Erklärung vom 30.10.1943 sowie vom 1.11.1943 hatten die Alliierten vereinbart, die Hauptverantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen. Nach Verhandlungen zum Statut für das IMT wurde das Ergebnis durch das Londoner Viermächteabkommen am 8. August 1945 verabschiedet (Meyer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 21). 42  Ebd., S. 22. 43  Ebd., S.  21 f. 44  Safferling, Internationales Strafrecht, § 4 II.3. 45  Sog. Ärzteprozess 1946–47, Prozess gegen Generalfeldmarschall Erhard Milch (1946–47), sog. Juristen-Prozess (1947), Prozess gegen die Leiter des SSWirtschafts- und Verwaltungshauptamtes (1947), Flick-Prozess (1947–48), IG-Farben-Prozess (1947–48), Prozess gegen die „Generäle in Südosteuropa“ (1947–48), Prozess „Rasse- und Siedlungs-Hauptamt der SS“ (1947–48), Einsatzgruppen-Prozess (1947–48), Krupp-Prozess (1947–48), Wilhelmstrassen-Prozess (1947–49), OKW-Prozess (1947–48). Insgesamt wurden 186 Personen angeklagt, wovon 119 zu Freiheitsstrafen, 25 zur Todesstrafe verurteilt wurden und sieben aus dem Verfahren ausschieden. Allerdings wurden die meisten der Verurteilten bis Anfang der 1950er Jahre begnadigt. 46  Daneben gab es Verfahren in der französischen, britischen aber auch sowjetisch besetzten Zone.



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schen Herrschaftsstruktur und des Zusammenwirkens verschiedener Führungseliten in Wirtschaft, Militär, Justiz, Verwaltung und Medizin.47 Daneben gab es noch die nationale Strafverfolgung von NS-Straftätern vor deutschen Gerichten, wobei die Anzahl der Verurteilungen 1948 ihren Höhepunkt erreicht hatte und mit Gründung der BRD deutlich zurückging.48 Der Ulmer Einsatzgruppenprozess (1958) führte dann zu einer Wende in der öffentlichen Wahrnehmung der Notwendigkeit und der Bedeutung der Strafverfolgung, da er exemplarisch die Zufälligkeit und die geringe Anzahl bisheriger Strafverfolgungen unterstrich. Nach dem Prozess erfolgte die Einrichtung der Zentralstelle in Ludwigsburg 1958, um eine Systematisierung der Strafverfolgung von NS-Gewalttaten zu erreichen. Daneben markierte der Prozess auch den Beginn der sog. Gehilfenjudikatur bundesdeutscher Gerichte, d. h. die Verurteilung von NS-Tätern als Gehilfen im Sinne des Strafrechts, da lediglich Hitler, Himmler und Heydrich als Haupttäter angesehen wurden.49 Insbesondere in den 1960er Jahren wurden daher NSTäter, wenn überhaupt, zu sehr geringen Freiheitsstrafen unter Rückgriff auf diese Konstruktion belangt.50 Der sog. Frankfurter Auschwitzprozess rückte dann den Holocaust und die Vernichtungspolitik in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und läutete einen Paradigmenwechsel auch in der öffentlichen Diskussion bezüglich der Strafverfolgung von NS-Gewalttätern ein.51 bb) Amnestierungsgesetze und Verjährungsdebatten Zwischen 1949 und 1954 wurden mehrere gesetzespolitische Initiativen unternommen, die die vergangenheitspolitischen Maßnahmen v. a. der alliierten Entnazifizierungspolitik symbolträchtig zu beenden und die Reintegration der Masse der „kleineren“ Täter in die Gesellschaft zu erreichen 47  Ahrendt, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“ in Deutschland, S. 22 f. 48  Ebd.; Gerstle, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S.  145 ff. 49  Vgl. zur Gehilfenjudikatur die Zusammenfassung von: Gerstle, in: Fischer/ Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 145 ff. 50  Beispielhaft zeigen dies die sog. Vernichtungslager-Prozesse 1950–76), der sog. Krumey-Hunsche-Prozess (1964/65) sowie der Majdanek-Prozess (1975–81). Auch der Eichmann-Prozess 1961 übte einen großen Druck aus und unterstrich die Dringlichkeit der Strafverfolgung (Meyer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung, S. 125). 51  Fischer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 130.

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suchten.52 Dies wurde u. a. als Reaktion auf die faktischen Ungerechtigkeiten der als „erniedrigend“ empfundenen Nachkriegszeit, in der die Deutschen schon „genug gelitten“ hätten, begründet.53 Die nationalsozialistischen Verbrechen, obwohl von den Gesetzesinitiativen mitumfasst, spielten dabei in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle, sondern vielmehr v. a. Schwarzmarkt- und Eigentumsdelikte.54 Insbesondere vom Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit (1949) und dem Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren (17.7.1954) gingen wichtige politische Signalwirkungen aus, die sich in die „Schlusspunkt“Debatte der frühen 1950er Jahre einreihten: Die Gesetze stellten einen Akt der Selbstrehabilitierung dar und sollten die „Vergangenheitsbewältigung“ abschließen.55 Insgesamt gab es zum Thema NS-Gewalttaten vier Verjährungsdebatten im Bundestag zwischen 1960 und 1979.56 52  Das „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ (Gesetz vom 31. Dezember 1949, BGBl. I S. 39 f.) umfasste eine Amnestie für alle Taten, die vor dem 15. September 1949 begangen wurden, und mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten, Bewährungsstrafe bis zu einem Jahr bzw. Geldstrafe bis zu 5000 DM bewehrt waren. Damit konnten grundsätzlich auch Körperverletzungen mit Todesfolge oder Totschlag umfasst sein, selbst wenn sie vor 1945 begangen worden waren. Aufgrund dieses Gesetzes wurden insgesamt bis 31. Januar 1951 792.176 Personen amnestiert, wobei die Prozentzahl der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen hierunter nicht ermittelbar ist (Fischer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 93). Das zweite große Amnestiegesetz („Gesetz über den Erlaß von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren“, Gesetz vom 17. Juli 1954, BGBl. I, S. 203 ff.) umfaßte alle „Straftaten, die unter dem Einfluß der außergewöhnlichen Verhältnisse des Zusammenbruchs in der Zeit zwischen dem 1. Oktober 1944 und dem 31. Juli 1945 in der Annahme einer Amts-, Dienst- oder Rechtspflicht, insbesondere eines Befehls, begangen worden sind“. Dies war eine weitreichende Regelung, die potentiell auch schwerwiegende nationalsozialistische Gewaltverbrechen umfasste und indirekt als eine Wiedereinführung des Befehlsnotstandes interpretiert wurde (ebd.). Als sog. „kalte Amnestie“ wurde der gesetzgeberische Missgriff bezeichnet, der, bei Umformulierung des § 50 Abs. 2 StGB durch das „Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten“ vom 24. Mai 1968 (BGBl. I, S. 203 ff.), in der Konsequenz eine Verjährung der Taten hochrangiger NS-Täter bedeutete: Durch das Festschreiben, dass bei Fehlen der besonderen persönlichen Merkmale Beihilfe nur als Versuch gelten sollte, wurden die fraglichen Tathergänge mangels nachweisbarer niedriger Beweggründe nur als versuchter Mord eingeordnet. Dies hatte ein geringeres Strafmaß zur Folge und dementsprechend eine Verjährung zum 1. Januar 1965 (Langer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 201). 53  Vgl. hierzu z. B. Adorno, in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 10.2, S. 555 f. 54  Ebd., S. 94. 55  Ebd. 56  Erst bei der letzten großen Debatte im Bundestag 1979 solidarisierte sich die bundesdeutsche Bevölkerung mit dem Gesetzesvorhaben und es wurde die Nichtver-



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cc) Entnazifizierung und Reeducation Die praktische Umsetzung der Entnazifizierung erfolgte durch US-Direktive JCS 1067, durch die sämtliche NS-Organisationen aufgelöst, höhere NS-Funktionäre verhaftet und mehr als nur nominelle Parteimitglieder aus dem Staatsdienst und von zentralen Stellen in der Wirtschaft entfernt werden sollten. Kontrollratsgesetz Nr. 104 (5.3.1946) teilte die betroffenen Personen in fünf Gruppen ein: Hauptschuldige / Kriegsverbrecher, Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer), Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Im Nachfolgenden erließ der Alliierte Kontrollrat eine Vielzahl von Einzeldirektiven zur weiteren Ausgestaltung des Gesetzes. Im US-amerikanischen Sektor war die Entlassung für die erste Kategorie verpflichtend, für die zweite und dritte Kategorie konnte sie empfohlen werden, Wiedereinstellung wurde für die letzte Kategorie empfohlen (und für die vorletzte, falls keine Einwände bestanden).57 In der US-amerikanischen Zone ging 1946 mit dem sog. Befreiungsgesetz die Verantwortung für die Entnazifizierung auf deutsche Stellen über. Jeder Deutsche über 18 Jahre musste im Folgenden einen Fragebogen ausfüllen, der von einer Laienspruchkammer ausgewertet wurde. Diese Kammern konnten als Höchstfreiheitsstrafe 10 Jahre Arbeitslager verhängen. Die „Angeklagten“ mussten ihre Unschuld beweisen.58 Mit Gesetz vom 15.12.1950 durften ab 1.1.1951 dann nur noch Verfahren gegen Hauptschuldige und Belastete eingeleitet werden.59 Das Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen60 ergänzte die breit angelegte Amnestiegesetzgebung, indem es entweder einen Anspruch auf Wiederverwendung oder auf Versorgung der Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die durch Wehrdienst, Vertreibung oder Entnazifizierung ihre Stellung verloren hatten, vorsah.61 jährbarkeit von Mordfällen beschlossen (Langer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 199 f.). 57  Meyer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 18. 58  Die Franzosen und Briten übernahmen für ihre Besatzungszone das sog. Befreiungsgesetz im Folgenden. 59  In der DDR wurde mit Gesetz vom 11. November 1949 allen Personen, die nicht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden waren, das Wahlrecht zurückgegeben und das Berufsverbot – bis auf Verwaltung und Justiz – aufgehoben (ebd., S. 18). 60  Gesetz vom 11. Mai 1951 (BGBl. I S. 307 ff.). 61  Sprockhoff/Fischer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 96.

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Insgesamt wird die Entnazifizierung als „gescheiterter Versuch einer politischen Massensäuberung“62 beschrieben, u. a. aufgrund der nicht hand­ habbaren Masse von Personen. Es gelang zahlreichen ehemaligen NSFunktionären, sich in der Justiz, Politik, Verwaltung und Wissenschaft der Bundesrepublik zu (re)etablieren.63 Daneben wurden Reeducation-Maßnahmen zur demokratischen Neuausrichtung des deutschen Kultur- und Bildungswesens, aber auch zur politischen Umerziehung der Bevölkerung durchgeführt.64 dd) Entschädigungszahlungen Es gab verschiedenen Initiativen zur Entschädigung bzw. Restitution enteigneten Eigentums, so schon mit dem 1947 erlassenen Rückerstattungsgesetz. Nach Gründung der BRD erklärte Adenauer die „Wiedergutmachung“65 zur „moralischen Pflicht“66. Es wurden verschiedene Gesetze verabschiedet, z. B. das Bundesergänzungsgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung67 (1956) und das Entschädigungsschlussgesetz68 (1965), wonach allerdings nur in Deutschland lebende Opfergruppen Anspruch auf Entschädigung hatten.69 Die Definition der Opfergruppen sorgte insbesondere für Diskussionen. 1951 begannen die Verhandlungen mit dem Staat Israel über eine Globalentschädigung u. a. für die Eingliederung jüdischer Flüchtlinge und Vermögensverluste von Juden in den ehemals von Deutschland besetzten Gebieten, die 1952 mit dem Luxemburger Abkommen abgeschlossen wurden. Daneben erreichten aber auch Verfolgtengruppen in europäischen Nachbarländern Einzelverträge mit den jeweiligen Staaten. Ab den 1979er Jahren wurde auch indirekte „Wiedergutmachung“ an in Osteuropa lebende Juden geleistet. Deutsche Unternehmer richteten einen Entschädigungsfonds und einen Härtefonds für bislang nicht ausrei62  Meyer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 19. 63  Weis, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S.  149 f. 64  Meyer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S.  19 f. 65  Vgl. z. B. Hockerts, in: Hockerts/Kuller (Hrsg.), Wiedergutmachung, S. 7 ff. 66  Vgl. Musial, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 58. 67  Gesetz vom 18.09.1953 (BGBl. I S. 1387 ff.). 68  Zweites Gesetz zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEGSchlussgesetz) vom 18. September 1965 (BGBl. I S. 1315 ff.). 69  Bundesministerium für Finanzen, Leistungen der öffentlichen Hand auf dem Gebiet der Wiedergutmachung (Stand: Dezember 2011).



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chend berücksichtigte Opfer ein. Daneben gab es einen Versöhnungsfonds für NS-Verfolgte u. a. in Polen, der Ukraine, den baltischen Staaten etc.70 In dem Diskurs um die „Wiedergutmachung“ herrschte der „Schlussstrichgedanke“ durch die Jahrzehnte hindurch vor.71 Wie diese „Wiedergutmachungspolitik“ völkerrechtlich einzuordnen ist, ist strittig.72 Opfer bzw. Opferverbände haben immer wieder versucht, Einzelklagen oder Sammelklagen vor nationalen oder internationalen Gerichten durchzusetzen.73 ee) Zäsuren, Diskursthemen und Deutungsthemen Die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Menschenrechtsverletzungen kann in verschiedene Zeitabschnitte unterteilt werden, die jeweils Zäsuren in der Erinnerungsgeschichte darstellen, und sich durch gewissen Diskursthemen und Deutungsmuster kennzeichnen.74 Daneben sind insbesondere juristische Debatten um das Rückwirkungsverbot und den Befehlsnotstand, Schuld und Unschuldsdebatten75 um die Kollektivschuldthese und die Schlussstrichdebatten76 für die hier vorliegende Untersuchung interessant. 70  Ebd.

71  Hockerts,

in: Hockerts/Kuller (Hrsg.), Wiedergutmachung, S. 7 ff. hierzu z. B. Pawlita, „Wiedergutmachung“ als Rechtsfrage?; LehmannRichter, Auf der Suche nach den Grenzen der Wiedergutmachung. 73  Vgl. z. B. Schaarschmidt, Die Reichweite des völkerrechtlichen Immunitätsschutzes – Deutschland v. Italien vor dem IGH, S. 6 ff. 74  1945–49 (Neuordnung unter alliierter Besatzung; erste Reflexionen; Schuldund Unschuldsdebatten); 1949–61 (Initiativen der Aufarbeitung; „Wir sind wieder wer“; ungebrochene Karrieren; widerstreitende Opfererfahrungen); 1961–68 (Rechtsfindung und Wahrheitssuche; belastende Neuanfänge; kulturell-didaktische Aufklärung); 1968–79 (Studentenproteste und RAF; politisch-justizielle Versäumnisse; Faszinosum Hitler); 1979–95 (Spannungsfelder 40 Jahre nach Kriegsende; Erzählmuster und Aneignungsverhältnisse; Erinnerungsorte zwischen Akzeptanz und Widerstand; Wiedervereinigung); 1995–2002 (Erinnerungsbrüche und Identitätsentwürfe; Erfolge und Misserfolge staatlicher Intervention; künstlerische Entwürfe von Nachgeborenen; deutsche Opfernarrative) (vgl. Gliederung bei Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“). 75  Die Schuld- und Unschuldsdebatten v. a. im öffentlichen Diskurs, aber auch in den Fachmedien direkt nach Kriegsende oszillierten in der Regel zwischen der „Kollektivschuldthese“ (d. h. der Zuweisung der Schuld an das Kollektiv, der deutschen Bevölkerung) und dem Prinzip der Ahndung individueller Schuld, dem durch Strafprozesse Folge getragen werden sollte. 76  Mit dem Deutungsmuster „Stunde Null“ wurde eine Narrative geschaffen, die die Funktion hatte, zwischen Bruch und Kontinuität und den widersprüchlichen positiven und negativen Emotionen, die mit dem Kriegsende verbunden waren, zu 72  Vgl.

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Das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 10 sah weite Straftatbestände vor, die über die bisherigen deutschen Rechtsnormen hinausgingen und damit auch Straftaten erfassten, die nach bisherigem deutschem Strafrecht nicht strafbar waren. Dies entfachte eine in juristischen Fachzeitschriften ausgetragene Debatte um das Rückwirkungsverbot. Es können drei Auffassungen unterschieden werden: Eine positivistische Auffassung77, die in dem Gesetz einen klaren Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot sahen; eine naturrechtliche Ansicht78, die die durch das Gesetz festgeschriebenen Tatbestände bereits nach übergesetzlichem Recht als strafbewehrte Verbotsnormen ansah; und eine vermittelnde Ansicht79, die zwar grundsätzlich von einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot ausging, diesen jedoch aufgrund der Exzeptionalität der Situation als gerechtfertigt ansah.80 vermitteln. Diese Narrative, so die Kritik, erleichterte die gesellschaftliche Verleugnung und das Verschweigen sowie die Kontinuität der Eliten (Hobuß, in: Fischer/ Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 43). 77  „Die Notwendigkeit der rückwirkenden Anwendung neuer Strafgesetze zur Verfolgung von Straftaten der nationalsozialistischen Zeit wird insbesondere damit begründet, dass es sich hierbei darum handele, gegenüber dem bisherigen formalen deutschen Strafgesetz der höheren Gerechtigkeit zum Siege zu verhelfen. […] Die wahre objektive Gerechtigkeit kann, wie wir wissen, niemals erreicht werden. Wir können lediglich dem nachstreben, was wir selbst für Gerechtigkeit halten. Wenn insoweit an eine Tat nicht die Maßstäbe des zur Zeit ihrer Begehung geltenden objektiven Rechts gelegt werden sollen, sondern der Maßstab dessen, was wir nachträglich als ‚höhere‘ Gerechtigkeit oder ‚materielle Gerechtigkeit‘ ansehen, so kann das nicht anderes bedeuten, als daß sich das bei dem Richter hervortretende ‚gesunde Rechtsgefühl‘ gegenüber dem zur Zeit der Tat geltenden Strafgesetz durchsetzen soll.“ (von Hodenberg, Süddeutsche Juristenzeitung 1947, Sp. 120.) 78  Vgl. z. B. Radbruch, Süddeutsche Juristenzeitung 1947, Sp. 634 („eines nach übergesetzlichem Recht verwerflichen Verhaltens“). 79  „Bisher hatte der Gesetzgeber niemals damit gerechnet, dass infolge jahrelangen Versagens der Rechtsordnung im ganzen eine sehr lange Zeit hindurch schwere Verbrechen in solcher Zahl mit solcher Menge von Tätern und Opfern begangen werden könnten, ohne daß durch Bestrafung Einhalt geboten würde. So kommt es, daß das Strafrecht der Begehungszeit auch in den Strafandrohungen einer Ausweitung bedurfte. […] Es besteht eine unabweisbare ethische Verpflichtung des Staates, alle Humanitätsverbrecher zu bestrafen, und es gibt keinen anderen Weg zur Sühnung und Prävention; das deutsche Strafrecht reicht hierzu nicht in allen Fällen und in jeder Beziehung aus; insoweit hat der Grundsatz ‚n.c.s.l‘ ausnahmsweise zurückzustehen hinter der ethischen Notwendigkeit, ein neues, rückwirkendes Ausnahmestrafgesetz zu schaf­fen. Ja, die Rechtssicherheit im ganzen, von der dieses Grundrecht nur ein Teil ist, kann im Bewußtsein der Rechtsgenossen und in den Augen der ganzen zivilisierten Menschheit nur dann wiederhergestellt werden, wenn das Grundrecht nicht dazu mißbraucht wird, die vergangenen Verbrechen gegen die Menschlichkeit teilweise ohne die gerechte Strafe zu lassen.“ (Wimmer, Süddeutsche Juristenzeitung 1947, Sp. 130 f.)



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Die positivistische Ansicht führte u. a. das Argument an, dass der Aufbau einer neuen rechtsstaatlichen Ordnung nicht auf der Verletzung eines so fundamentalen Rechtsgrundsatzes wie des Rückwirkungsverbotes fußen dürfe.81 80

Interessant im Zusammenhang mit dem späteren TJ-Diskurs sind insbesondere die Argumente der dritten Ansicht, die eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbotes in diesem Ausnahmefall im Sinne von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit für notwendig erachtete.82 Obwohl durch IMT-Statut (sowie die Nürnberger Prinzipien) als Entschuldigungsgrund ausgeschlossen, tauchte die Argumentationsfigur des Befehlsnotstands wiederholt in der justiziellen Aufarbeitung der NS-Vergangenheit auf: So wird vertreten, dass die sog. Gehilfenjudikator im Ergebnis nichts anderes war als die Anerkennung des Befehlsnotstandes.83 ff) Rezeption in der internationalen Literatur Die oben dargestellten Maßnahmen, die noch nicht die Gesamtheit der Demokratisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung, Dezentralisierung und Deindustrialisierung umfassen, zeichnen ein sehr komplexes – und sich im Laufe der Zeit wandelndes  − Bild der Vergangenheitsbewältigung nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland.84 Interessanterweise werden in der internationalen Literatur in dem hier beobachteten Zeitraum nur einige wenige Elemente hiervon aufgenommen und diskutiert: Die Amnestiegesetze, die Verjährungsdebatte und die (gescheiterte) Entnazifizierung finden in den in der Bibliographie aufgeführten Publikationen kaum Beachtung. Die „Vergangenheitsbewältigung“ in der Bundesrepublik Deutschland wird in der Regel v. a. auf das IMT (und die Nürnberger Nachfolgeprozesse) reduziert. Nürnberg wird so zum Deutungsmuster für die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Hiermit verknüpft ist die individuelle, strafrechtliche Verantwortlichkeit der politischen oder militärischen Elite. Die Verantwortlichkeit einer klar begrenzbaren Gruppe wird so zur impliziten Interpretationsregel des Diskurses 80  Vgl. hierzu Ahrendt, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 28. 81  von Hodenberg, Süddeutsche Juristenzeitung 1947, Sp. 113 ff. 82  Vgl. Wimmer, Süddeutsche Juristenzeitung 1947, Sp. 130 f. 83  Fischer, in: Fischer/Lorenz (Hrsg.), Lexikon der „Vergangenheitsbewältigung“, S. 133; Greve, Kritische Justiz 32 (1999), S. 472 ff.; Just-Dahlmann/Just, Die Gehilfen; Nehmer, in: Redaktion Kritische Justiz (Hrsg.), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, S. 635–668; Greve, Kritische Justiz 33 (2000), S. 402 ff. 84  Vgl. Jesse, Systemwechsel in Deutschland, S. 82.

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(im Gegensatz zur Kollektivschuldthese). Die restliche strafrechtliche Aufarbeitung spielt jedoch keine Rolle. Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Maßnahmen der Vergangenheitsbewältigung überrascht diese Verengung des Blickwinkels zunächst. Der Nürnberger Prozess in der Nachkriegszeit ist prägend für die Wahrnehmung der Vergangenheitsbewältigung des Zweiten Weltkrieges in der internationalen Öffentlichkeit geworden, obwohl weitere vergangenheitspolitische Maßnahmen die bundesdeutsche Bevölkerung und Justiz noch Jahrzehnte beschäftigt haben. Dies kann dadurch erklärt werden, dass es sich tatsächlich um einen sehr öffentlichkeitswirksamen symbolischen „Schlussstrich“ gehandelt hat, der sowohl juristisch als auch politisch seinesgleichen sucht.85 Allerdings ist auffällig, dass nur die Maßnahmen Beachtung gefunden haben, die mit der größten internationalen personellen Beteiligung durchgeführt wurden, d. h. die Verhandlungen vor dem internationalen Gerichtshof. Es ist ebenfalls festzustellen, dass der „Regimewechsel“ durch die Kapitulation und Besetzung Deutschlands kein Deutungsmuster für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen ist. Zwar wird die „Siegerjustiz“ häufig diskutiert, aber nicht im Zusammenhang der Konditionalität der Strafverfolgung von Regimewechsel bzw. hier Kapitulation, sondern vielmehr als moralisches oder juristisches Argument bei der Diskussion um die Vereinbarkeit des IMT mit grundlegenden rechtlichen Prinzipien. Damit handelt es sich nicht um einen TJ-Diskurs im engeren Sinne, sondern vielmehr um einen völkerstrafrechtlichen Diskurs. c) Auseinandersetzungen mit den Menschenrechtsverletzungen während des Vietnamkriegs Der völkerstrafrechtliche Ansatz taucht auch in Publikationen auf, die sich mit der Frage der Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen beschäftigen, die im Verlauf des Vietnamkrieges begangen wurden86, und 85  Hierdurch wurden die „Nürnberger Prozesse“ selbst zum Deutungsmuster und das Verhältnis Politik und Recht, die Funktion von Recht, Strafzweck u. a. wurden vor diesem Hintergrund diskutiert. Für einige handelt es sich bei „Nürnberg“ um einen „legal approach“ und „a set of directives about individual responsibility“ (Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1516, 1527). Andere sehen „Nürnberg“ v. a. als politisches Beispiel („[A] program calling for the judicial application of princi­ ples of liability politically defined“, Wechsler, Political Science Quarterly 62 (1947), S. 24). 86  Best, Nuremberg and After, S. 22  ff.; Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S.  1501 ff.; Falk u. a. (Hrsg.), Crimes of War.



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dem fehlenden politischen Willen87, eine Strafverfolgung dieser Menschenrechtsverletzungen anzuordnen88. Die Einrichtung einer Untersuchungskommission als realistischeres Minus von Strafverfolgungen wurde in der Literatur diskutiert.89 Lifton spricht das System der fehlenden Verantwortlichkeit an (System of Non-Responsibility90) – ein Gedanken, der sich später im südamerikanischen „Klima der Straflosigkeit“ wiederfindet.91 Interessanterweise wurden in der Auseinandersetzung mit dem Vietnamkrieg auch Amnestiegesetze für Kriegsdienstverweigerer und Deserteuren diskutiert. Dabei wird deutlich, dass Amnestiegesetze und Gnadenerlasse in der US-amerikanischen Geschichte keineswegs unbekannt waren, sich deren Verwendung aber v. a. auf Perioden von Aufstand und Krieg konzentrierte.92 Amnestiegesetze werden von den Beiträgen grundsätzlich als Bekräftigung des Grundsatzes der Strafverfolgung verstanden (und nicht als deren Negation), wobei diese allerdings aufgrund von außergewöhnlichen Umständen als nicht möglich bzw. politisch nicht wünschenswert angesehen wird.93 Hier deutet sich die Exzeptionalitätsthese in der späteren Diskussion an. Wiederum fehlt allerdings der Bezug zu einem Regimewechsel bzw. zur „Demokratisierung“ eines politischen Systems (hier USA). Auch dieser Diskurs ist damit vornehmlich als völkerstrafrechtlich einzuordnen. 87  „The poor young man, it pleaded, had been driven to order the commission of counter-atrocities by the pressures of an atrocious conflict and the consciousness of a good cause.“ (Zitiert nach: Best, Nuremberg and After, S. 23.) 88  „[A] tension is developing between the clarity of the facts and the law on the war crimes issue and the inability to bring this clarity to bear on policy, even to the extent of hastening the end of war.“ (Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1503.) 89  „[T]hat it may well be impractical and undesirable to press for formal trials of those American political and military leaders principally responsible for the over­ all drift of the Vietnam involvement and of the main battlefield tactics. The formation of an American commission of inquiry into the issue of war crimes that would assemble evidence and draw conclusions on these questions could have a constructive impact.“ (Falk, Yale Law Journal 80 (1971), S. 1525.) 90  Lifton: in: Falk u. a. (Hrsg.), War Crimes, S. 23. 91  Vgl. z. B. das sog. Calley-Verfahren 1971 aufgrund des sog. My Lai-Massakers vor einem Militärgericht, das die Schwierigkeiten der Anwendung der Nürnberger Prinzipien durch ein nationales Gericht gegen eigene Staatsangehörige und einer geteilte öffentliche Meinung aufzeigte. Best beschreibt zwei Diskurse in der damaligen US-amerikanischen Öffentlichkeit: Die Befürworter des Verfahrens gegen Calley (die Minderheit) und die Gegner des Verfahrens (Mehrheit). 92  Weisman, Columbia Human Rights Law Review 4 (1972), S. 533. 93  „[R]ather, I would argue that history has shown that a discriminating use of amnesty will act to restore the faith of the people in the responsiveness of their Government to the particular need of a situation and in turn will create greater confidence in our laws.“ (Weisman, Columbia Human Rights Law Review 4 (1972), S. 538.)

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2. Menschenrechtlicher Diskurs a) Kaum Publikationstätigkeit zu Transitionsmaßnahmen in Griechenland, Portugal und Spanien (1970er Jahre) Die Bibliographie weist für den betrachteten Zeitpunkt lediglich zwei Publikationen zur Vergangenheitspolitik Griechenlands94, eine zur Vergangenheitspolitik Portugals95 und eine zur spanischen Transition96 auf, wobei diese teilweise in dem Sammelband von Herz „Coping with the Legacies of Authoritarianism and Totalitarianism“ (1982) enthalten sind. Dieser Sammelband ist dezidiert politikwissenschaftlich (vgl. hierzu unten). In Griechenland kam es 1975 zu drei Arten von Strafverfolgungen nach dem Sturz der Militärjunta: Strafverfolgung von Mitgliedern der ehemaligen Militärregierung wegen Hochverrats, Foltervorwürfen und der blutigen Niederschlagung des Aufstand am Athener Polytechnikum vom 17. November 1973.97 Im ersten Verfahren waren 18 der 24 Angeklagten (darunter die Hauptvertreter der ehemaligen Militärregierung) für schuldig befunden worden. Die Todesstrafe, die in drei Fällen verhängt wurde, wurde in zeitliche Freiheitsstrafe umgewandelt. In den anderen beiden Verfahren waren insgesamt 55 Militärangehörige angeklagt, von denen 37 für schuldig befunden wurden.98 AI beobachtete die Verfahren und hob im Nachhinein lobend hervor, dass Verfahrensgarantien im Großen und Ganzen eingehalten worden waren, obwohl es sich im Ganzen um „politische Verfahren“ gehandelt habe. Allerdings kritisierte die Organisation das Fehlen einer umfassenden Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen unter dem Militärregime.99 94  Psomiades, in: Herz (Hrsg.), In From Dictatorship to Democracy, S. 251–273; Woodhouse, The Rise and Fall of the Greek Colonels. 95  Maxwell, in: Herz (Hrsg.), From Dictatorship to Democracy, S. 231 ff. 96  Malefakis, in: ebd., S. 215 ff. 97  Vgl. Kikkink, The Justice Cascade, S. 48 ff. 98  Ebd., S.  48 f. 99  AI, Torture in Greece, S. 65 ff.; vgl. auch: „Amnesty International recognizes that any democratic government that succeeded the Junta would inherit a highly complex political and legal environment, and that any new government’s task of censuring the torturers of the old regime would have to take the circumstances of the day into account. Amnesty International also acknowledges that the government has created or retained the judicial prerequisites for the prosecutions, which in turn set in motion the trials. While welcoming this progress, Amnesty International ­nevertheless remains critical of the limited nature of these actions in that they have failed to ensure the investigations and prosecution of all the Junta’s torturers and have not provided adequate legal censure for many of the torturers […] who have been brought to trial.“ (Ebd., S. 66.)



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Obwohl die Militärregierung in Portugal früher als in Griechenland gestürzt wurde, kam es erst später zu den Strafverfolgungen gegen die Angehörigen der politischen Polizei (Polícia Internacionale de Defesa do Estado), nachdem 1975 retroaktiv die Mitgliedschaft in dieser unter Strafe gestellt wurde. Die Strafverfahren begannen im Herbst 1976 und führten nur zu relativ milden Strafen.100 In Spanien kam es zu der entgegengesetzten Reaktion nach dem Tode Francos 1975: Obwohl der Bürgerkrieg und die Zeit nach dem Bürgerkrieg relativ gesehen mehr Opfer gefordert hatten als die repressiven Regime Portugals und Griechenlands, wurde 1977 ohne große Diskussion ein vollständiges Amnestiegesetz im spanischen Parlament verabschiedet. Öffentliche Diskussionen, sich mit den Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit auseinanderzusetzen, fanden bis vor kurzem nicht statt.101 Sikkink bezeichnet die Strafverfolgungen sowohl in Griechenland (außer dem Verfahren wegen Hochverrat) als auch in Portugal als „new world precedent“102 für Strafverfolgungen gegen politische Regierungsangehörige wegen Menschenrechtsverletzungen. Trotzdem wurden die Prozesse in der wissenschaftlichen Literatur kaum rezipiert. Möglicherweise spielte hier ein noch wenig ausgeprägtes Problembewusstsein der Menschenrechtsbewegung für die Dilematta einer Transitionssituation eine Rolle: AI hatte für die Untersuchung der Foltervorwürfe in Portugal und Griechenland internationale Straftribunale gefordert103, d. h. also ein Eingreifen der internationalen Gemeinschaft, aber nicht Hoffnungen auf ein nationales Vorgehen gesetzt. Auch war der Menschenrechtsdiskurs in den 1970er Jahren noch kaum verbreitet und beschränkte sich noch auf eine überschaubare Gemeinschaft von Menschenrechtsaktivisten und eine zwar wachsende, aber immer noch zahlenmäßig beschränkte, an Menschenrechten interessierte Öffentlichkeit; Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen waren an Menschenrechten auch nur zum Teil interessiert.104 Auch wurden die Strafverfolgungen sowohl in Portugal als auch in Griechenland eher von der heimischen Bevölkerung als Fortsetzung einer nationalen Tradition bzw. als „natürliche“ Konsequenz der Situation (in Griechenland: Prozesse gegen politische Führer; in Portugal: „natürliche“ Fort100  Sikkink,

The Justice Cascade, S. 55. ebd., S. 57. Erst ab 2000 ist eine Bewegung der Zivilgesellschaft in Spanien festzustellen, die die Exhumierung von Massengräbern fordert (vgl. hierzu Aguilar, South European Society and Politics 13 (2008), S. 417 ff.). 102  Sikkink, The Justice Cascade, S. 59. 103  AI, International Conference for the Abolition of Torture: Final Report, S. 14. 104  Clark, Diplomacy of Conscience, S. 8 ff. 101  Vgl.

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setzung der Inhaftierung der Angehörigen der politischen Polizei) gesehen, d. h. der Diskurs war eher im Sinne der Tradition „politischer Prozesse“ und nicht im Sinne eines Menschenrechtsdiskurses geframt.105 Die Einbindung in das regionale Menschenrechtsschutzsystem schien dabei im Diskurs keine Rolle zu spielen: Griechenland war zum Zeitpunkt der Begehung der Menschenrechtsverletzungen Mitglied des Europarates (vgl. unter C.), Spanien und Portugal jedoch nicht.106 b) Erstarkender Menschenrechtsdiskurs (1980er Jahre) In den 1980er Jahren erstarkte dann der menschenrechtliche Diskurs in den wissenschaftlichen Publikationen: die Verletzung des rechtlichen Tatbestandes von Menschenrechten wird vermehrt zum Ausgangspunkt wissenschaftlicher Abhandlungen, auch unter Bezug auf den politischen Kontext.107 Es findet sich eine zunehmende Anzahl von Publikationen, die sich v. a. auf die Verpflichtungen von Staaten bezüglich der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen durch repressive Regime bzw. deren Strafverfolgung konzentrieren.108 aa) Strafverfolgungen Die Transition ist dabei weiterhin noch nicht Deutungsmuster der Strafverfolgungspolitik, sondern lediglich ein begleitender Umstand. Unter den verschiedenen Instrumenten der Aufarbeitung der Vergangenheit werden v. a. Strafverfolgungen (sowohl von Menschenrechtsverletzungen als auch von völkerstrafrechtlichen Delikten), Amnestiegesetze und Wahrheitskommissionen (gegen Ende der 1980er Jahre) diskutiert. Die Dissertation von Quiroga „The Battle of Human Rights“ aus dem Jahr 1988, die die besondere Natur von schweren und systematischen („gross and systematic“) Menschenrechtsverletzungen beschreibt und die Reaktion der Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS) auf diese Sikkink, The Justice Cascade, S. 53. Portugal 1976 und Spanien 1977. 107  Vgl. z. B. Garro, Human Rights Law Journal 4 (1983), S. 311 ff.; Garro/Dahl, Human Rights Law Journal 8 (1987), S. 284 ff.; Speck, Inter-American Law Review 18 (1987), S. 491 ff.; Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 135 ff.; Mignone u. a., Yale Journal of International Law 10 (1984), S. 118 ff.; Quiroga, The Battle of Human Rights. 108  Vgl. z. B. Rogers, Columbia Human Rights Law Review 20 (1988/89), S.  259 ff. 105  Ebenso

106  Beitrittsdaten:



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zeigt dies deutlich.109 Sie beschäftigt sich mit den Fällen Nicaragua, Kuba und Chile – alles Staaten, in denen es 1988 noch nicht zu einem Regimewechsel gekommen war. Das Deutungsmuster der Transition spielt damit noch nicht bei der Auswahl der Länderbeispiele eine Rolle, obwohl mit Argentinien ein anderes Land zu Verfügung gestanden hätte, das zu diesem Zeitpunkt bereits einen Regimewechsel hinter sich hatte.110 Die Transition ist teilweise als situatives Kontextelement dieser Instrumente beschrieben, wird aber nur im Rahmen des Stabilitätsarguments und des „Gerechtigkeit vs. Frieden“-Diskursmusters zu einem direkten Faktor in der Diskussion. Unter diesem Diskursmuster ist eine Argumentation gemeint, die behauptet, dass Strafverfolgungen notwendigerweise zur Instabilität des politischen Mächtegleichgewichts führen und weitere Menschenrechtsverletzungen hervorrufen würden.111 Ein gutes Beispiel stellt auch der Aufsatz von Rogers aus dem Jahr 1988 / 89 zum Thema „Argentina’s Obligation to Prosecute Military Officals for Torture“112 dar. In seinem Artikel führt er die These aus, dass das Obedencia Debida-Gesetz Argentiniens gegen internationales Recht, v. a. gegen die internationalen und regionalen Menschenrechtsstandards, verstoße.113 Er behauptet eine Pflicht zur Strafverfolgung nach internationalem Recht und argumentiert für eine möglichst umfassende Strafverfolgung in Argentinien mit Argumenten, die später in der TJ-Argumentation gegen die Strafverfolgung auftauchen114: kurz- und langfristige Prävention von Menschenrechtsverletzungen, Förderung der nationalen Versöhnung und Demokratie etc.115 Interessanterweise werden diese als „political benefits“116 der Beachtung von internationalem Recht dargestellt. Es ist nicht die Transition 109  „Human rights violations are seldom committed for their own sake but as a means to achieve other goals. This is particularly clear with regard to gross, systematic violations. In such a case, human rights are violated in order to prevent individuals from performing certain activities which are perceived by these in power as non-functional to the social, political and/or economic structure that they intend to establish in the country. Because there is such a purpose, gross, systematic violations are not committed at random, but, on the contrary, respond to a planned behaviour.“ (Quiroga, The Battle of Human Rights, S. 15 f.) 110  Ebd., S. 313. 111  Vgl. z. B. Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 147. 112  Rogers, Columbia Human Rights Law Review 20 (1988/89), S. 259 ff. 113  Ebd., S. 261. 114  Bsp.: „The long term needs of a democratic state are not met when the government unilaterally determines the fates of official tormentors, freeing them from guilt or responsibility, in violation of common notions of justice.“ (Rogers, Columbia Human Rights Law Review 20 (1988/89), S. 304.) 115  Ebd., S.  301 ff. 116  Ebd.

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mit ihren Zwängen, widerstrebenden Interessen und Machtkonstellationen, die hier den Ausgangspunkt der Argumentation darstellt, sondern allein die Subsumtion eines nationalen Phänomens (systematische Menschenrechtsverletzungen) unter völkerrechtliche Tatbestände. bb) Amnestiegesetze Amnestiegesetze werden an prominenter Stelle diskutiert.117 In dieser Phase werden sie von der Mehrheit der Autoren generell als legitimes Instrument im TJ-Kontext anerkannt, um Frieden und Versöhnung nach dem Ende eines bewaffneten Konfliktes oder eines politischen Umbruches zu erreichen. Einige Autoren gehen davon aus, dass Amnestien den Frieden in einer Gesellschaft fördern.118 Dies erklärt sich möglicherweise aus der Haltung der 1970er Jahre, in der Nichtregierungsorganisationen prominent die Amnestierung politischer Gefangener forderten – Amnestien wurden hier noch als Symbol der Freiheit gesehen (vgl. auch obige Diskussion von Amnestien i. V. m. mit dem Vietnamkrieg). Dies änderte sich dann jedoch durch die Verwendung von Amnestien durch repressive Regime zu ihren eigenen Gunsten in den 1980er Jahren.119 Eine andere Ansicht120, die in der Minderheit ist, sieht Amnestien nicht als geeignete Instrumente für die Schaffung einer stabilen Demokratie und eines rechtsstaatlichen Systems an. Strafverfolgung stelle eine Kernvoraussetzung für eine (im demokratischen Sinn) positive Transition dar. Dieses Argument baut im Grundsatz darauf auf, dass Rechtsstaatlichkeit in TJKontext wie in stabilen Zeiten zu verstehen sei.121 c) Einschub: Vergangenheitsbewältigung in Argentinien sowie Diskursthemen und Deutungsmuster Um die oben geschilderte Diskussion besser verorten zu können und um den Teil der Hypothese über den Einfluss der südamerikanischen Transitionen auf die Entwicklung von TJ zu testen, wird im Folgenden kurz die 117  Carey, St. Louis University Law Journal 17 (1973), S. 501 ff.; Weisman, Human Rights Law Review 4 (1972), S. 529 ff. 118  Z. B. Malamud-Goti, Game without end, S. 20. 119  Vgl. z. B. UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/20 (26.  Juni 1997), § 2 f.: Verständnis von Amnestien zunächst als „Symbol der Freiheit“ (in den 1970er Jahren) und dann als „down-payment on impunity“ (1980er Jahre). 120  Méndez, in: Due Process of Law Foundation (Hrsg.), Victims Unsilenced, S. 193. 121  Ebd.



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Situation in Süd- und Mittelamerika in den 1980er Jahren (insbesondere das Beispiel Argentiniens) sowie deren TJ-Maßnahmen und prägende Diskursmuster beschrieben. aa) Süd- und Mittelamerika im Allgemeinen Die Demokratisierungswelle in Süd- und Mittelamerika setzte 1978 in Ecuador ein und war im Wesentlichen 1990 abgeschlossen.122 Dabei wurden alle abgelösten Regierungen entweder direkt von dem jeweiligen Militär gestellt oder von diesen maßgeblich gestützt.123 Mit dem Ende der Militärdiktaturen bzw. -regime in Süd- und Mittelamerika stellte sich für die nationalen und internationalen Beobachter und Politiker in einer kurzen Periode und verengt auf einen geographischen Fokus ein gleichgelagertes Dilemma: Wie ist mit dem brisanten Erbe der Militärdiktaturen angesichts des offensichtlichen Widerspruch zwischen, einerseits, den Drohgebärden der ehemaligen Machthaber gegenüber einer strafrechtlichen Aufarbeitung und, andererseits, der kraftvollen Forderung der Opfer und Opfergruppen nach dem Ende der Straflosigkeit, die durch die (mediale und internationale) Öffentlichkeit noch verstärkt wurde, umzugehen? Das Beispiel „Nürnberg“ wurde nicht als einschlägig angesehen, da es sich in der Regel um nicht-internatio­ nale Konflikte im südamerikanischen Kontext bzw. um staatliche Repres­ sion der eigenen Bevölkerung gehandelt hatte.124 In den 1970er und 1980er Jahren waren Amnestiegesetze und -dekrete ein gängiges Instrument sowohl der repressiven Regime als auch der neuen zivilen Regierungen, um die Täter von der strafrechtlichen oder zivilrechtlichen Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen abzuschirmen.125 In den 122  Militärdiktaturen in Lateinamerika (Überblick): Argentinien (1966–73 und 1976–83), Bolivien (1971–79/85), Brasilien (1964–85), Chile (1973–90), Dominikanische Republik (1963–78), Ecuador (1972–79), El Salvador (1979–84), Guatemala (1954–86), Haiti (1958–90/94), Honduras (1964–82), Panama (1933–79), Paraguay (1968–78/89), Peru (1968–80). Verschiedene Jahreszahlen für das Ende der Diktatur verweisen auf instabile Phasen, die von der Konkurrenz zwischen unterschiedlichen militärischen und zivilen Gruppen bzw. deren raschen Abfolge geprägt waren (Boris, Soziale Bewegungen in Lateinamerika, S. 106). 123  Ebd., S. 207. 124  Vgl. Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 96. 125  Amnestien in Süd- und Mittelamerika in den 1970er und 80er Jahren: Argentinien  − Gesetz Nr. 20508 (1973); Gesetz Nr. 21230 (1975); Ley de la Pacificación nacional (Ley no. 22.924, 1983); Ley de Punto Final (Ley No. 23492, 1986); Ley de Obedencia Debida (No. 23521, 1984); Bolivien  − Decreto Supremo (1984); Brasilien  − Gesetz Nr. 6.683 (1979); Decreto no. 84.143 (1979); Verfassung Art. 8 (1988); Chile ‒ Decreto Ley 2191 (1978); Dominikanische Republik Ley 1 de 9/8/78 (1978), Ecuador  − Gesetz vom 21/01/1976; El Salvador  − Decreto 3 und

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1980er Jahren wurden insbesondere Blankettamnestien in der Regel durch Präsidialdekrete erlassen bevor das repressive Regime über die einzelnen Voraussetzungen der Machtübergabe verhandelte.126 Viele lateinamerikanische Länder richteten auch Wahrheitskommissionen in den 1970er und 1980er Jahren ein.127 Während die ersten Wahrheitskommissionen noch vorrangig eine politische Antwort auf das Problem des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ mit dem Ziel der Etablierung der Wahrheit waren, wurden die Aufgaben und Ziele im Laufe der Zeit immer ambitionierter, so z. B. die Heilung und Versöhnung der Nation.128 Laut manchen Autoren haben die Beispiele der südamerikanischen Vergangenheitsbewältigung – insbesondere die Wahrheitskommissionen – die nationalen Menschenrechtsbewegungen129 stark beeinflusst und so seit den 1980er Jahren einen transnationalen Lernprozess begründet, der vor allem Gesetz vom 16/8/1979; Decreto No 508 (1980); Decreto No. 898 (1981); Decreto No. 210 (1983); Arias-Friedensvertrag (1987), Ley de Amnistia para el Logro de la Reconciliacion Nacional, Decreto No. 805, Diario Oficial No. 199 (1987); Guatemala  − Decreto Ley 27-83 (1983); Decreto Ley 33-82 (1983); Decreto Ley 89-83 (1983); Decreto Ley 18-85 (1985); Decreto Ley 08-86 (1986); Umsetzung des AriasPlans durch Decreto Ley No. 71-87 (1987); Decreto Ley 32-88 (1988); Haiti  − Resolution vom 9/20/77 (1977); Honduras  − Decreto No. 555 (1977); Decreto No. 11 (1981); Gesetz vom 09/04/1985 (1985); Decreto No. 31-86 (1986); Umsetzung des Arias-Plans durch Decreto No. 199-87 (1987); Kolumbien − Ley 37 de 1981 (1981); Ley 35 (1982); Ley 77 (1989); Mexiko  − Ley de amnistia (1978); Nicaragua  − Decreto No. 743 (1978); Ley No. 1352 (1978); Decreto No. 1352 (1983); Ley de amnistia No. 1 (1985); Arias-Plan (1987); Ley de Amnistia para Detenidos por Violacion de la Ley de Mantenimiento del Orden y Seguridad Publica No. 33 (1987); Sapoá Abkommen Gesetz Nr. 36 (24/4/1988); Panama  − Ley de 14 de julio 1987; Ley de 16 diciembre 1987; Ley No 2 de 5 enero 1988 (1988); Peru – Decreto Ley No. 18692(1970); Ley No. 23215 (1980); Uruguay  − Ley No. 15.737; Ley de Pacificación Nacional (1985); Dekret 256/985, (1985); Ley de Caducidad de la Pretension Punitiva del Estado (Ley No. 15848, 1986) (Aufzählung nach: Mallinder, Amnesty Database, Queen’s University Belfast). 126  Burke-White, Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe 4 (2000), S. 5. 127  Übersicht über einige Wahrheitskommissionen weltweit: 1971–75 (Uganda), 1981–85 (Zimbabwe, Uruguay, Argentinien, Bolivien), 1986–90 (Tschad, Chile, Nepal, Uganda, Philippinen), 1991–95 (Südafrika, Burundi, Haiti, Sri Lanka, Deutschland, El Salvador), 1996–2000 (Uganda, Timor-Leste, Uruguay, Sierra Leone, Nigeria, Guatemala, Ecuador), 2001–06 (DRK, Liberia, Timor-Leste, Paraguay, Marokko, Bosnien (Srpska), Algerien, Ghana, Serbien & Montenegro, Libanon, Panama, Peru) (Aufzählung nach: Ranft, Verspätete Wahrheitskommissionen, S. 11). 128  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 96. 129  Der Beginn der nationalen Menschenrechtsbewegungen in Süd- und Mittelamerika lässt sich zeitlich auf den Zeitraum der späten 1960er sowie 1970er Jahren festmachen  − dem Beginn der blutigen Repression. Sie sind von anderen allgemeineren sozialen Bewegungen abzugrenzen, die z. B. bessere materielle Bedingungen



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von Menschenrechtsaktivisten und professionellen Erinnerungsarbeitern getragen wurde.130 Es gilt allerdings zu beachten, dass die Transition nicht in allen mittelund südamerikanischen Ländern als Deutungsmuster für die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen galt.131 bb) Beispiel Argentinien Das Beispiel Argentinien wird im Nachfolgenden detaillierter beschrieben, da es wie kein anderes südamerikanisches Land in den 1980er Jahren die Transitionsdilemmata verdeutlichte sowie den Transitionsdiskurs nachhaltig prägte.132 und Lebensverhältnisse forderten, aber nicht in einen menschenrechtlichen Diskurs gekleidet waren (Huhle, Die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung, S. 4). 130  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 96. 131  Im Gegensatz zu Argentinien (aber auch Chile und Uruguay) gab es andere Beispiele auf dem süd- und mittelamerikanischen Kontinent, bei denen der Systemwechsel nicht der beherrschende Bezugspunkt der Vergangenheitsbewältigung war: Die Menschenrechtsverletzungen in Perú, die später das Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem beschäftigen sollten, bezogen sich z. B. auf die Periode nach der Militärdiktatur, die durch eine blutige Auseinandersetzung zwischen der linksgerichteten Guerillabewegung Sendero Luminoso und der vom Militär gestützten Regierung gekennzeichnet war (Huhle, Die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung, S. 15). In Honduras wurden während des Militärregimes der 1970er Jahre zwar Menschenrechtsverletzungen begangen, es war aber vielmehr der Krieg gegen die Contras in Nicaragua, der größtenteils vom benachbarten Honduras aus geführt wurde, der zum größten Teil für die Verschlechterung der Menschenrechtslage verantwortlich gemacht werden konnte. Zwar fiel dies auch mit dem Übergang zur formalen Demokratie zusammen, war aber hauptsächlich der Tatsache geschuldet, dass Honduras zum Vorhof der US-amerikanischen Außenpolitik (Nicaragua) geworden war. Die Vergangenheitspolitik der 1990er Jahre musste dementsprechend v. a. Menschenrechtsverletzungen aufarbeiten, die von den zivilen Regierungen (mit) zu verantworten waren. Auch für die beiden anderen zentralamerikanischen Staaten El Salvador und Guatemala hatte der Übergang zu einem formal-demokratischen System Mitte der 1980er Jahre nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage geführt. In den Ländern dauerte der Bürgerkrieg bis Anfang 1992 (El Salvador) bzw. 1996 (Guatemala). Die Menschenrechtslage verschlimmerte sich zunehmend (Oettler, in: Kurtenbach, Zentralamerika heute 2008, S. 280). Für alle drei zentralamerikanischen Beispiele war der „Systemwechsel“ vergangenheitspolitisch weit weniger relevant als z. B. die Verhandlungen zu den Friedensverträgen, die den Grundstein für die institutionalisierte und legitimierte Aufarbeitung der Vergangenheit legten. 132  In den 1980er Jahren herrschte dort eine Militärdiktatur, die systematische Menschenrechtsverletzungen beging und vor der Machtübergabe an eine zivile Regierung eine Selbstamnestie erließ; eine nationale Menschenrechtsbewegung, die sich zunehmend mit der internationalen Menschenrechtsbewegung vernetzte, und nach dem Ende des Militärregimes die Aufarbeitung und strafrechtliche Verfolgung

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(1) Militärdiktatur und Menschenrechtsverletzungen Die Zeit der Militärdiktatur Argentiniens zählt zu einer der repressivsten Perioden des lateinamerikanischen Kontinents. Unter der Militärdiktatur (1976–83) wurden zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen, wobei die Zahlen weit über denen der Militärdiktatur Chiles und Uruguays liegen.133 Die Situation war durch „gewaltsames Verschwindenlassen“, durch außergerichtliche Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen und Folter gekennzeichnet. Ungefähr eine halbe Million Argentinier flohen ins Exil, vor allem in die USA und nach Spanien.134 Die Verhandlungen zwischen politischer Opposition und dem Militär vor den Neuwahlen 1983 wurden von den Forderungen des Militärs nach Straffreiheit beherrscht.135 Den Diskurs prägten Themen wie Menschenrechte, Pluralismus, Frieden und Demokratie.136 (2) Verschiedene Ansätze Das Ziel der Regierung Alfonsín, die das Militärregime ablöste, war ausdrücklich die Errichtung einer Zivilregierung „upon a foundation of the rule of law.“137 Der Ansatz von Alfonsín wurde durch drei Elemente geprägt: Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen; Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit mit Berufungsmöglichkeit an die zivile Gerichtsbarder Menschenrechtsverletzungen forderte; eine zivile Regierung, die neben dem Instrument der Wahrheitskommission ernsthaft die Strafverfolgung der ehemaligen obersten Militärs erwägte; die Problematik der Strafverfolgung der unteren und mittleren Ränge sowie den damit verbundenen Drohgebärden des Militärs; und schlussendlich die Resignation der zivilen Regierung und Amnestierung der unteren und mittleren Ränge, sowie spätere Begnadigung der verurteilten Generäle. Diese Charakteristika finden sich in dieser Form nur im argentinischen Beispiel; im Gegensatz hierzu kam es in Chile und Uruguay in den 1980er Jahren noch zu keinen Strafverfolgungen. 133  Ca. 1.200 Personen wurden hingerichtet, ca. 13.500 bis ca. 30.000 Personen „verschwanden“ (darunter 500 neugeborene Kinder), ca. 500.000 Personen wurden inhaftiert, darunter ca. 30.000 politische Gefangene (Straßner, Die offenen Wunden Lateinamerikas, S.  77 f.). 134  Sznajder/Roniger, The Politics of Exile in Latin America, S. 207–229. 135  Merkel, Systemtransformation, S. 215. 136  Linz/Stephan, Problems of Democratic Transition and Consolidation, S. 189. 137  Alfonsín hatte zwei Berater: Carlos Niño und Jaime Malamud-Goti. Niño war Jurist, hatte 1977 in Oxford zum „Strafzweck“ promoviert und war weder ein Anhänger eines primär retributiven noch einer primär präventiven Straftheorie. Der Fokus auf die Prävention weiterer Menschenrechtsverletzungen in der argentinischen Vergangenheitspolitik wird auf den Einfluss Niños und Malamud-Gotis zurückgeführt (vgl. hierzu Sikkink, The Justice Cascade, S. 71 f.).



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keit138; und Strafverfolgung, aber nur von bestimmten Täterkategorien, d. h. der Hauptverantwortlichen und „Exzesstäter“.139 Insbesondere Verbrechen wie Folter und Mord sollten nicht über den Befehlsnotstand entschuldigt werden können.140 Schon während des Wahlkampfs hatte Alfonsín einen deutlichen Akzent auf „Justicía“, den Schlüsselbegriff der Menschenrechtsbewegung, gelegt und versprochen, den demokratischen Neuanfang auf das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zu gründen, das Klima der „Impunidad“ zu beenden sowie die Amnestie sofort aufzuheben.141 Alfonsín musste jedoch im Folgenden seinen Ansatz der Strafverfolgung mehrmals den Gegebenheiten eines zunehmend bedrohlicher agierenden Militärs anpassen.142 Für Alfonsín war klar, dass der Ansatz der Regierung nicht allein auf die Vergangenheit gerichtet sein sollte, sondern insbesondere auch die Zukunft in die Erwägungen miteinbeziehen musste, um das Militär unter Kontrolle zu halten.143 Er wollte unter allen Umständen verhindern, dass die argentinische Gesellschaft durch die vielen Strafverfolgungen auseinandergerissen werde.144 Hintergrund für die Entscheidung, nur bestimmte Kategorien von Tätern strafzuverfolgen, stellte Alfonsíns utilitaristische Ausrichtung bezüglich des Strafgrundes und -zwecks dar. Die Bestrafung von jungen Militärs, bei denen es nicht galt, ein zukünftiges kriminelles Verhalten durch die Sanktion vorzubeugen, ergab für ihn keinen Sinn. Er setzte auf strenge Reorganisa­ tion und einen graduellen Prozess der Umerziehung und Erneuerung des 138  Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte konnte Alfonsín sicherstellen, dass die Strafverfolgungen vor der Militärgerichtsbarkeit initiiert wurden. Allerdings, um die Objektivität dieser Prozesse gewährleisten zu können, initiierte er ebenfalls eine Gesetzesvorlage, die vorsah, dass die zweite Instanz für solche Verfahren bei den zivilen Gerichten lag. Hierdurch öffnete er eine Ausweichmöglichkeit in die zivile Gerichtsbarkeit für die zivile Anklagebehörde (ebd., S. 146.). 139  Er unterschied drei Kategorien von Militärs, die an Menschenrechtsverletzungen beteiligt waren: (1) die Vorgesetzten mit Befehlsgewalt, (2) diejenigen, die die Befehle ausführten und (3) diejenigen, die aufgrund eigener Beweggründe über diese Befehle hinausgingen („Exzesstäter“) (Roehring, The prosecution of former military leaders in newly democratic nations, S. 61). Alfonsín wollte die Strafverfolgung nur der erste und dritte Kategorie (Fuchs, Vergangenheitspolitik in Argentinien und Uruguay, S. 84). 140  Fuchs, Vergangenheitspolitik in Argentinien und Uruguay, S. 84. 141  Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 147. 142  Merkel, Systemwechsel, S. 224. 143  Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 149, 158. 144  Ebd., S. 154.

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argentinischen Militärs sowie dessen „Selbstreinigung“. Alfonsín setzte auch auf die Figur der „einzelnen schlechten Mitglieder“ in dem in der Gesamtheit nicht zu verurteilenden Militär. Dies stellt eine klare Abkehr von der Figur des „Joint Criminal Enterprise“ von Nürnberg dar.145 Der Diskurs der Streitkräfte zielte dagegen auf eine Rechtfertigung der eigenen Rolle in der Vergangenheit ab, für die sie mit dem „Abschlussdokument über den Krieg gegen die Subversion und den Terrorismus“ (1984) die großen Linien vorgegeben hatten.146 Das Militär verfolgte eine klare (rechtliche) Strategie: Die Menschenrechtsverletzungen, insbesondere das „gewaltsame Verschwindenlassen“, hätten nicht (wie behauptet) stattgefunden und als alternative Argumentation  − seien gerechtfertigt gewesen (vor dem Hintergrund des Ausnahmezustands und der Terrorbekämpfung).147 Manche Beobachter sehen in der Blockadehaltung des Militärs auch eine Strategie, die zu Beginn an auf die Schwächung der zivilen Regierung abzielte.148 Die Menschenrechtsbewegung149 forderte eine parlamentarische Untersuchungskommission und bevorzugte die primäre Zuständigkeit der zivilen Gerichtsbarkeit. Die Anführer der Bewegung wollten die Strafverfolgung einer möglichst großen Anzahl von Täter. Sie forderte die Bestrafung aller Soldaten, die an der Begehung von Menschenrechtsverletzungen beteiligt 145  Ebd.,

S. 149–155. Vergangenheitsbewältigung, S. 82. 147  Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 169 f. 148  „An interminable series of messy public trials, incriminating more and more civilian leaders and eliciting a rising level of mutual recrimination within Argentine society, would surely facilitate the military’s purposes in this regard more than a quick, neat private resolution of the matter by the military court.“ (Ebd., S. 174.) 149  Unter den argentinischen Menschenrechtsorganisationen sind insbesondere Las Madres de Plaza de Mayo, Las Abuelas de Plaza de Mayo, und die Comisión de Familiares de Desaparecidos y Presos por Razones Políticas hervorzuheben, bei denen es sich um Organisationen der Angehörigen der Verschwundenen handelt. Daneben waren aber auch „professionelle“, d. h. an internationalen Menschenrechtsnormen orientierte, Menschenrechtsorganisationen zu unterscheiden, die sich bereits Mitte der 1970er Jahre bildeten und vornehmlich aus Juristen, Theologen und anderen Berufsgruppen bestanden (z. B. die Asamblea Permanente por los Derechos Humanos und das Centro de Estudios Legales y Sociales, CELS). Das CELS leistete den Angehörigen Rechtsbeistand, forderte eine klare Verurteilung des Staatsterrorismus und wurde nach dem Ende der Militärdiktatur zu der wichtigsten argentinischen Menschenrechtsorganisation (Straßner, Die offenen Wunden Lateinamerikas, S. 79). Zwei religiös geprägte Menschenrechtsorganisationen entstanden ebenfalls Mitte der 1970er Jahre: Das Movimiento Ecumenico por los Derechos Humanos und der Servicio Paz y Justicia (SERPAJ), dessen Schlüsselfigur der späterer Nobelpreisträger Adolfo Perez Esquivel war (Huhle, Die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung, S. 12; Straßner, Die offenen Wunden Lateinamerikas, S. 79). 146  Fuchs,



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gewesen waren.150 Wann die Forderung nach Beendigung der Repression hin zu einer Forderung nach Bestrafung gewandelt wurde, ist den damaligen Menschenrechtsaktivisten unklar. Sicher ist nur, dass diese Forderung zunächst innerhalb der argentinischen Menschenrechtsbewegung umstritten war, spätestens mit der militärischen Niederlage Argentiniens im Falklandkrieg sich dies jedoch änderte, da das Militär plötzlich nicht mehr als übermächtig angesehen wurde.151 Hierfür nahmen die Menschenrechtsaktivisten auch eine Destabilisierung der politischen Lage in Kauf.152 Die Menschenrechtsbewegung sah die Menschenrechtsverletzungen nicht als einzelne „Exzesse“ an, sondern vielmehr als Ausdruck der allgemeinen Unvereinbarkeit der Weltanschauung des argentinischen Militärs mit der einer demokratischen Gesellschaft. Das Vorgehen sei als „Genozid“ einer „politischen Gruppe“ einzuordnen. Sie trat der Rechtfertigung des „Befehleausführens“ mit der Argumentation gegenüber, dass es sich bei dem Militär um eine „Criminal Enterprise“ gehandelt habe.153 Der Menschenrechtsbewegung wird damit ein „retributiver“ Ansatz des Strafgedankens zugeordnet.154 (3) Getroffene Maßnahmen (a) Amnestiegesetze Vor der Machtübergabe stand dem geschwächten Militär eine erstarkte Menschenrechtsbewegung gegenüber, die sich gegen eine mögliche Amnestie für Militär- und Polizeiangehörige stellte.155 Trotzdem oder gerade deswegen erließ die Junta  − kurz vor den Wahlen im Oktober 1983 (und der darauffolgenden Machtübergabe) das „Ley de Pacificación“ (Gesetz der natio­ nalen Befriedung), das alle Militärangehörigen (aber auch Guerillakämpfer) für Straftaten von 25. Mai 1973 bis 17. Juni 1982 von einer Strafverfolgung ausschloss.156 Das Militär versuchte auch, alle Dokumente der militärischen Repression zu vernichten.157 150  Malamud-Goti,

Game without end, S. 13. The Justice Cascade, S. 67 ff. 152  „If these [hard-line] policies risked the stability of democracy by taunting the military, this was a challenge that had to be faced if the Rule of Law were ever to be securely established.“ (Ebd., S. 162.) 153  Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 160 ff. 154  „There was a moral debt owed to the victims of the recent past that cried out to be repaid, irrespective of the likelihood of its repetition.“ (Ebd.) 155  Fuchs, Vergangenheitspolitik in Argentinien und Uruguay, S. 81. 156  Malamud-Goti, Game without end, S. 58. 157  Hayner, Unspeakable Truths, S. 45. 151  Sikkink,

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(b) Wahrheitskommission Die Einrichtung der Wahrheitskommission durch Alfonsín erklärte sich insbesondere durch das Phänomen des „gewaltsamen Verschwindenlassens“, das sich dadurch auszeichnete, dass das Schicksal der Opfer im Dunkeln blieb und damit Ermittlungen – soweit überhaupt möglich – stark erschwert wurden.158 Um diesen Mantel des Schweigens zu lüften, wurde die Comi­ sión Nacional sobre la Desaparición de Personas (Nationale Kommission über die Verschwundenen, CONADEP) per Dekret eine Woche nach dem Amtsantritt Alfonsíns eingerichtet. Alle 13 Mitglieder verfügten national und international über hohes Ansehen, waren argentinische Staatsbürger und hatten unterschiedliche soziale und berufliche Hintergründe.159 Die Kommission bekam den Auftrag, nach dem Verbleib der Verschwundenen zu forschen. Zeitlich gesehen deckte ihr Mandat die Periode von März 1976 bis Oktober 1983 ab. Die Menschenrechtsbewegung hatte ursprünglich ein parlamentarisches Untersuchungsgremium gefordert, das mit stärkeren Kompetenzen ausgestattet hätte werden können, kooperierte aber dann mit der Kommission. Alfonsín zog die Wahrheitskommission der parlamentarischen Untersuchungskommission vor, da letztere einen größeren Einfluss des Kongresses bedeutet hätte, dessen Mitglieder die Strafverfolgung von einer größeren Anzahl von Personen gefordert hatten.160 Der Kommissionsbericht „Nunca Más“ vom September 1984 hob die systematische Praxis der Menschenrechtsverbrechen161 hervor und beschrieb das Funktionieren des Militärapparats, so dass keine Zweifel an der institutionellen Verantwortlichkeit bestehen konnten. Der Bericht machte deutlich, dass nur ein Teil der Fälle durch den Bericht erfasst sei. Darüber hinaus enthielt er eine Liste mit Verdächtigen bei Polizei und Militär. CONADEP empfahl u. a. die Aufhebung repressiver Gesetze, Entschädigungsmaßnahmen, die Ratifizierung internationaler Menschenrechtsabkommen und die Einführung eines Straftatbestandes für das „gewaltsame Verschwindenlassen“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der Bericht sprach sich auch eindeutig für die strafrechtliche Verfolgung der Täter aus.162 158  Teitel,

Transitional Justice, S. 78. Sábato, ein bekannter Schriftsteller, wurde zum Vorsitzenden der Kommission ernannt. 160  Hayner, Unspeakable Truths, S. 45 f. 161  Hervorzuheben ist, dass der Bericht das Narrativ der „unschuldigen Opfer“ von der Menschenrechtsbewegung übernahm. Dieses „strategische Beschweigen“ der politischen Aktivitäten der „Verschwundenen“ hatte schon den Diskurs der Menschenrechtsbewegung während des Regimes geprägt (Fuchs, Vergangenheitspolitik in Argentinien und Uruguay, S. 94). 159  Ernesto



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Durch CONADEP wurde der nationale Diskurs nachhaltig im Sinne der Bezeichnung der Geschehnisse als „greatest and most savage tragedy“163, aus der nun schmerzhafte Lektionen gezogen werden müssten, beeinflusst. Dies sollte den notwendigen Schnitt für die Transition Richtung „Versöhnung“ ermöglichen.164 162

Die Reaktion des Präsidenten (und die Forderungen der Öffentlichkeit) nach dem Erscheinen des Berichts ließen nicht lange auf sich warten: Es folgte die Aufhebung der Straffreiheit. Die Aufrechterhaltung der Strategie der „exemplarischen Verurteilung“ von „Exzesstätern“ war vor dem Hintergrund der Enthüllungen und Feststellungen dieses Berichtes nicht mehr möglich.165 (c) Strafverfolgungsversuche und weitere Amnestiegesetze Gleich nach der Machtübergabe hatte Alfonsín bereits Dekrete zur Strafverfolgung der obersten Repräsentanten von Militär und Guerilla erlassen.166 Er legte den Befehlsnotstand jedoch großzügig zugunsten der Militär- und Polizeiangehörigen aus und nahm von dessen Anwendungsbereich später auch Folter und Mord aus.167 Dagegen protestierten die Opfer, deren Angehörige sowie Menschenrechtsorganisationen und die parlamentarische Opposition.168 1984 wurde das Ley de Pacificación nach einer Debatte im Abgeordnetenhaus für verfassungswidrig erklärt. Die Annullierung der Amnestie wurde als politische Entscheidung definiert, die den Grundstein für Demokratie und Rechtsstaat legen sollte. Juristische Fragestellungen nach Kriterien der strafrechtlichen Verfolgung traten damit in den Hintergrund. Allerdings führte die Regierung hier bereits die „exemplarische Bestrafung“ von Tätern an. Die Sprache kam immer häufiger auf „Exzesse“ im Rahmen einer legitimen Repression des Terrorismus.169 Durch die Annullierung der Amnestie war ein zentrales Strafverfolgungshindernis beseitigt worden.170 Es folgte die Anklage gegen neun Oberbe162  Ebd.,

S.  94 f. Titel des Artikels von Sabato, Index of Censorship1 (1985), S. 7. 164  Teitel, Transitional Justice, S. 110. 165  Ebd., S. 95. 166  Hayner, Unspeakable Truths, S. 45. 167  Malamud-Goti, Berater Alfonsin, erklärt, dass sie damals ca. 150 Personen vor Gericht bringen wollten, die „Schlimmsten“, wobei der Mehrheit des Militärs signalisiert werden sollte, dass ihnen nichts passieren würde (vgl. Fuchs, Vergangenheitspolitik in Argentinien und Uruguay, S. 87). 168  Ebd., S. 88. 169  Ebd., S.  89 f. 170  Ebd., S. 91. 163  So

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fehlshaber der ersten drei Juntas171 wegen unrechtmäßiger Freiheitsentziehung, Mord, Folter, Dokumentenfälschung etc. Die Prozesse fanden zunächst vor der Militärgerichtsbarkeit statt, um es dem Militär zu ermöglichen, sich selbst zu richten.172 Nachdem das Militärgericht jedoch bekannt gab, die Angeklagten aus Mangel an Beweisen nicht verurteilen zu wollen, sowie, dass den Angeklagten allenfalls mangelnde Kontrolle aber keine Repression vorzuwerfen sei, sah sich die zivile Anklagebehörde dazu gezwungen, das Verfahren in die nächste (zivile) Instanz zu bringen. Luis Moreno-Ocampo, späterer Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofes, vertrat die Anklage. In dem anschließenden Verfahren vor dem zivilen Bundesberufungsgericht wurden fünf Angeklagte im Sinne der Anklage für schuldig befunden, wobei nur zwei lebenslange Haftstrafen verhängt wurden und vier Freisprüche ergingen.173 Von diesem Urteil ging eine große Symbolwirkung aus: Zum ersten Mal hatte ein südamerikanisches ziviles Gericht ehemalige hohe Militärs für Menschenrechtsverletzungen verurteilt.174 Für Alfonsín war damit die Frage nach der Strafverfolgung des Militärs abgeschlossen. Anderer Ansicht war die argentinische Gesellschaft.175 Im Anschluss an dieses Urteil, in dem u. a. festgestellt worden war, dass die Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen auch bei Militärs mit niedrigerem Rang zu suchen sei, kam es zu einer Prozessflut. Diese Situation war nicht im Sinne Alfonsíns, der durch eine Strafrechtsreform (und die Einfügung des Befehlsnotstands) versucht hatte, die niederrangigen Militärs vor der Strafverfolgung auszunehmen. Allerdings zeigten sich die zivilen Gerichte weniger geneigt, den Vorgaben der Exekutive bezüglich der Kategorien der Anzuklagenden zu folgen. Das Militär reagiert harsch; es kam zu Anschlägen und Bombendrohungen gegen Richter und die Regierung.176 171  Videla, Viola, Galtieri; Agosti, Graffigna und Dozo; Massera Lambruschini und Anaya. 172  Roehrig, The prosecution of former military leaders in newly democratic nations, S. 61. 173  Die Angeklagten bemühten drei Verteidigungsstrategien: Erstens, die Maßnahmen würden auf den Dekrete aus dem Jahr 1975 zur „Annihilierung der Subversion“ gründen. Damit hätten sie im Befehlsnotstand gehandelt. Außerdem hätte sich das Land in einer Situation der Selbstverteidigung befunden und die Maßnahmen wären auch notwendig gewesen (vgl. Malamud-Goti, Game without end, S. 62). 174  Bolivien folgte diesem Beispiel 1986–93 mit der Strafverfolgung der Mitglieder des ehemaligen Militärregimes. 175  Roehrig, The prosecution of former military leaders in newly democratic nations, S. 68. 176  Ebd., S.  68 ff.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90175

Alfonsín versuchte daraufhin, die zivile Gerichtsbarkeit in ihre Schranken zu weisen: Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte ordnete er den Verbund sowie die Einstellung von Strafsachen in der Militärgerichtsbarkeit an, in denen materiellrechtlich der Befehlsnotstand einschlägig war. Die zivile Gerichtsbarkeit erzwang daraufhin eine Abgabe dieser Strafsachen. Im Endeffekt beschleunigte Alfonsín aber durch sein Dekret die Strafverfolgung nur.177 In einem zweiten Schritt brachte Alfonsín dann die Gesetzesvorlage des Punto Final in den Kongress ein, die im Dezember 1986 auch verabschiedet wurde. Diese sah vor, dass alle Personen, gegen die nicht innerhalb von 60 Tagen Anklage erhoben werde, von einer Strafverfolgung auszunehmen seien. In einer erneuten Prozessflut wurden zusätzliche 400 Fälle in diesem Zeitraum anhängig gemacht. Auch diese Maßnahme schien daher nicht den erwünschten „Schlusspunkt“ zu liefern.178 Das Militär reagierte im April 1987 mit der ersten von mehreren Besetzungen von Militärstützpunkten nahe der Hauptstadt und demonstrierte damit seine Macht. Alfonsín brachte daraufhin in den Kongress das Obedencia Debida-Gesetz ein, das alle Militärs unterhalb eines gewissen Ranges von der Strafverfolgung ausnahm.179 Menem, neuer Präsident Argentiniens, begnadigte dann im Oktober 1989 277 Personen, darunter auch höherrangige Offiziere, um ein Ende der Strafverfolgung im Sinne der „nationalen Versöhnung“ zu erreichen. Im Dezember 1990 begnadigte er weitere Offiziere, darunter die ehemalige Militärjunta.180 Die Menschenrechtsorganisationen setzten den Kampf gegen die Straflosigkeit auf verschiedenen Wegen fort, so z. B. der Versuch, über das Weltrechtsprinzip bzw. das passive Personalitätsprinzip Strafverfolgungen v. a. in europäischen Ländern gegen argentinische Militärs einzuleiten.181

177  Ebd.,

S. 67–71. S. 71. 179  Ebd., S.  72 f. 180  2007 erklärte das argentinische Verfassungsgericht das Menem-Dekret für verfassungswidrig unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschengerichtshofes (vgl. Binder, ZaöRV 71 (2011), S. 23 f.). Bereits 2005 waren die „Amnestiegesetze“ – unter Bezugnahme auf internationales Recht – für verfassungswidrig erklärt worden (Recurso de hecho deducido por la defensa de Julio Héctor Simón en la causa Simón, Julio Hectór y otros s/privación ilegítima de la libertad, etc. Causa No. 17.768, Argentinischer Oberster Gerichtshof, Urteil vom 14. Juni 2005). 181  Vgl. Kaleck, Kampf gegen die Straflosigkeit, Argentiniens Militärs vor Gericht, S.  31 ff. 178  Ebd.,

176

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cc) Zusammenfassung Die „Frieden vs. Gerechtigkeit“ bzw. „Versöhnung vs. Strafverfolgung“Dialektik zeigt sich deutlich am Beispiel Argentinien. „Frieden“ wird hier im Zusammenhang mit Amnestiegesetzen, d. h. dem Verzicht auf Strafverfolgung, und nationaler „Versöhnung“ gebracht. Die Strafverfolgungen der Täter von Menschenrechtsverletzungen wurden mit einer Bedrohung der neu gefundenen Demokratie bzw. der Stabilität (im Folgenden: Gefährdungs- und Stabilitätsargument) gleichgesetzt. Auch wenn eine demokratische Regierung schon an der Macht sei, könne diese durchaus Gefahr laufen, ihre Stellung wieder zu verlieren, falls sie sich zur Strafverfolgung der früheren Eliten entscheiden würde.182 „Gerechtigkeit“ wird u. a. dagegen mit Strafverfolgung der Täter von Menschenrechtsverletzungen gleichgesetzt. Für Argentinien lautete die Diskursregel „trials destabilize democracy […]“183. Diese Diskursregel ist ein klares Novum, vergleicht man sie mit den vorherigen Diskursmustern um „Nürnberg“ und „Vietnam“. Die „Legalisten“ sahen sich dem Ideal der Strafverfolgung aller Menschenrechtsverletzungen verpflichtet.184 Ihre Argumentation war moralisch / ethisch oder berief sich im Allgemeinen auf die internationalen Menschenrechte. „Legalisten“ waren oft Menschenrechtsaktivisten oder Vertreter internationaler Menschenrechtsorganisationen. Ihre Grundhaltung und ihre Auffassung vom Strafzweck waren retributiv. Es konnten die „absoluten Legalisten“ von den „relativen Legalisten“ abgrenzt werden: Während die „absoluten Legalisten“ die Bestrafung eines jeden Täters von Menschenrechtsverletzungen forderten185 – selbst bei der Gefahr eines militärischen Putsches gegen die zivile Regierung –, könnten die „relativen Legalisten“ unter bestimmten Umständen (Ermessensabwägung) von der Bestrafung einzelner Tätergruppen absehen.186 Da eine „retributive“ Grundhaltung voraussetzt, dass die zu bestrafende Person „schuldig“ sei, d. h. ihr das Verhalten moralisch vorwerfbar ist, gingen die Legalisten damit implizit davon aus, dass die zu bestrafenden Personen klar zu identifizieren seien und diese die (Haupt-)Schuld an den Vorkommnissen träfe.187 182  Neier,

nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 178. in Malamud-Goti, Game without end, S. xii. 184  Vgl. ebd., S. 20. 185  Vgl. z. B. Mignone u. a., Yale Journal of International Law 118 (1984), S. 147, 149. 186  Vgl. z. B. Zalaquett, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 25. 187  Vgl. Malamud-Goti, der „full-blooded legalists“ und „goal-oriented legalists“ unterscheidet (ders., Game without end, S. 8, 12, 16). 183  Vorwort,



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90177

Der Fokus der „Legalisten“ war v. a. auf die (Aufarbeitung der) Vergangenheit gerichtet. Wenn sie sich zur politischen Ausgestaltung der Zukunft äußerten, dann nahm auch dort die Strafverfolgung und deren Bedeutung für den zukünftigen Rechtsstaat eine zentrale Stellung ein: „a political tool to raise the consciousness essential to bringing about radical political change“188 und „teaching citizens how to become democratic“189 (im Folgenden: Präventions- bzw. Demokratisierungsargument). Die „Realisten“ oder „Pragmatiker“ hingegen zeichneten sich durch eine utilitaristische Grundhaltung aus: Dabei wurden v. a. pragmatische Argumente angeführt (wie z. B. die Bestrafung aller Täter von Menschenrechtsverletzungen in Argentinien hätte zu einem „politischen“ oder „logistischen“ Desaster geführt190; sei praktisch gar nicht möglich191 bzw. müsste mit einem Blick auf die Zukunft abgelehnt werden (z. B. Vermeidung von Destabilisierung der politischen bzw. Sicherheitslage durch möglichen Militärputsch192). Ihnen wurde moralischer Skeptizismus und / oder fehlender politischer Mut vorgeworfen.193 Beide Ansichten zeichneten sich dadurch aus, dass sie auf die Frage des Umganges mit den Tätern fokussiert waren, und aus dieser Perspektive die jeweiligen Maßnahmen forderten. Selbst die Menschenrechtsbewegung, die sich selbst ja teilweise aus Opfern konstituierte, verfolgte selbst zunächst einen „perpetrator centred“-Ansatz und fokussierte sich erst in einem nächsten Schritt auf die Bedürfnisse der Opfer.194 Viele Stimmen betonen die Einzigartigkeit des argentinischen Kontexts, so könne der argentinische Transitionskontext nicht mit dem europäischen Nachkriegskontext verglichen werden. Dies wurde v. a. damit erklärt, dass die Machtkonstellation im Nachkriegsdeutschland (Besetzung und vollständige Kapitulation) sich von der Argentiniens nach der Machtübergabe unterscheide.195 Auch die Tatsache, dass es die Alliierten waren, die „die“ 188  Ebd.,

S. 5. S. 8. 190  Ebd., S. 13. 191  Ebd., S. 20. 192  „Ad hoc, compelling circumstances“ oder „a fear of deepening social conflict“ (ebd., S. 5). 193  Ebd., S. 20. 194  Vgl. ebenso Malamud-Goti, der einen „victim centred“-Ansatz vorschlägt (ebd., S. 10). 195  „Any evaluation of this strategy must begin with an understanding of what the Argentine experience was not. Unlike the much-cited precedent of Nuremburg, any Argentine prosecutions would not have the security of those initiated by a victorious foreign military power standing in judgment over its defeated wartime ad189  Ebd.,

178

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Prozesse gegen das „besiegte“ Deutschland ausführten, wurde als wichtiges Unterscheidungsmerkmal gesehen.196 Und trotzdem gab es Gemeinsamkeiten in der Behandlung v. a. der einzelnen Argumentationen, die gegen eine juristische Schuld der Täter angebracht wurden: der „Befehlsnotstand“, die überwiegende Verantwortlichkeit der Vorgesetzten, die Kollektivschuld und die „Exzeptionalität“ der gesamten Situation. Die obengenannten Diskursmarker sind mit denen der für TJ identifizierten identisch (vgl. Teil 2, I. 3.). Die argentinische Transition symbolisiert das Diskursmuster TJ damit geradezu: Transition, Drohgebärden, Ruf nach Strafverfolgung, schrittweiser Kompromiss, der schlussendlich zu Amnestierung sowie Begnadigung bereits verurteilter Straftäter führt; „alternative“ Wahrheitssuche durch eine Wahrheitskommission, um den Opfern eine „andere“ Art von Gerechtigkeit zuteil werden zu lassen. Warum wurde das argentinische Beispiel zu einem Schlüsselbeispiel für die spätere Entwicklung von TJ? Hier werden in der Literatur verschiedene Gründe angebracht: Die − im Vergleich zu Portugal, Griechenland und Spanien  − stärkere nationale Menschenrechtsbewegung und die Existenz eines Menschenrechtsdiskurses in der Öffentlichkeit; eine Repression, die zwar zu schweren Menschenrechtsverletzungen führte, allerdings dennoch eine Menschenrechtsbewegung im Kern zuließ (im Vergleich zu Guatemala, wo jeder Widerstand „ausgelöscht“ wurde); das Vorliegen einer „verhandelten“ Transition zwischen dem ehemaligen Regime und der Opposition sowie das Vorhandensein starker Protagonisten der Menschenrechtsbewegung (v.  a. Méndez aus dem Exil und Mignone, CELS), Juristen (z. B. Ocampo), Politiker im Regierungslager, die sich für Strafverfolgung aussprachen (Niño und Malamud-Goti). Diese sollten alle später auch aufgrund ihrer persönlichen Karriere zur Verbreitung des argentinischen Beispiels beitragen.197 Hinzu kommt, dass das argentinische Beispiel, als die Strafverfolgung im Land unmöglich wurde, im regionalen und internationalen Kontext weiterverfolgt wurde und symbolische Urteile ergingen, die die nationale Menschenrechtsbewegung in anderen Transitionskontexten wiederum unterstützten (vgl. hierzu unter Teil 3, C.).

versary.“ Sowie: „Thus, while Nuremberg represents a rare attempt to apply legal norms to punish state terror, its invocation as a legal and historic precedent in the Argentine context must be carefully qualified.“ (Mignone u. a., Yale Journal of International Law 118 (1984), S. 126.) 196  Ebd. 197  Sikkink, The Justice Cascade, S. 70, 81 ff.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90179

3. TJ-Diskurs In der hier vorliegenden Phase kann ein TJ-Diskurs in der Literatur als solcher noch nicht festgestellt werden, allerdings finden sich bereits grundsätzliche TJ-Problematiken in der untersuchten Literatur. Ansatzweise ist die Transition aber als Deutungsmuster in Publikationen zu erkennen, die sich mit den südamerikanischen Transitionen beschäftigen, so z. B. die Verbindung der politikwissenschaftlichen Transitionsbegrifflichkeit mit einer menschenrechtlich geprägten Analyse durch Osiel in einem Artikel 1986, in dem er sich mit Argentinien auseinandersetzt.198 Als grundlegender Beitrag zur Thematik „politische Justiz“ gilt Kirchheimers gleichnamiges Buch von 1961199, in dem er sich mit der politischen200 Justiz201 als gesellschaftlichem Phänomen beschäftigt.202 Damit behandelt sein Werk nicht nur ‒ aber eben auch ‒ Situationen, die heute mit dem Begriff TJ bezeichnet werden. Er stellt aber nicht auf den Anknüpfungspunkt der Menschenrechtsverletzungen ab. So diskutiert er z. B. bei der Behandlung von Gnadenerlassen und Amnestien nicht die Rechte der Opfer bzw. die Verpflichtung des Staates zu Strafverfolgung, sondern führt Maßnahmen auf rein politische Zweckmäßigkeitserwägungen zurück203. Zum Thema der „Abrechnung“ mit einem alten Regime schreibt er: Die „Abgrenzung des alten Regimes und die Aburteilung der Politik und der Praxis dieses alten Regimes können zu den konstituierenden Akten der neuen Ord198  „For if the trial of the juntas and the larger conflict over human rights policy reduced to the question of what judgement on the past should prevail, there was no doubt that this was understood by one and all to imply the further question of what kind of collective moral transformation and cultural renewal was required by the country in the present and future.“ (Osiel, Journal of Latin American Studies 18 (1986), S. 138.) 199  Originaltitel: „Political Justice. The Use of Legal Procedure for Political Ends“. 200  Dabei nennt er „politisch“ „das, wovon man annimmt, dass es in besonders engem Zusammenhang mit den Interessen des organisierten Gemeinwesens stehe“ (ebd., S. 51). 201  Kirchheimer beschäftigt sich in seinem Werk mit Situationen, in denen Gerichte für politische Zwecke in Anspruch genommen werden, so dass das Feld politischen Handelns ausgeweitet und abgesichert werden kann. Die Funktionsweise der politischen Justiz bestehe darin, dass das politische Handeln von Gruppen und Individuen der gerichtlichen Prüfung unterworfen werde. Eine solche gerichtliche Kontrolle des Handelns strebe an, wer seine eigene Position festigen und die seiner politischen Gegner schwächen wolle (Kirchheimer, Politische Justiz, S. 652). 202  Ebd., S. 606. 203  „Amnestien, die Ausdruck der politischen oder militärischen Konsolidierung eines Regimes sind, besagen oft nur, dass sich die siegreiche Partei eine gesetzliche Form der Mäßigung auferlegt.“ (Ebd., S. 589.)

180

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

nung gehören.“204 Damit formuliert er bereits das funktionale Deutungsmuster von Recht in einem Transitionskontext, das später bestimmend für TJ werden sollte.205 Insbesondere bezweifelt er, ob über die Einhaltung prozessualer Garantien politische Justiz entpolitisiert werden könne.206 Die Nürnberger Prozesse reiht er in die Kategorie des geschichtlich und moralisch Notwendigen ein.207 4. Politikwissenschaftlicher Diskurs Die konzeptuellen politikwissenschaftlichen Arbeiten von Guillermo O’Donnell208, Philippe C. Schmitter und Laurence Whitehead209 in den 1970er und 80er Jahren begründeten den Begriff der „Transition“. Als charakteristisch für die Transition befanden sie, dass die Regeln des politischen Spieles nicht definiert, d. h. in konstantem Flux, seien und von den Autoritäten bestimmt werden würden. Würden Individuen oder Gruppen mehr Rechte eingestanden und damit die Regeln des Spiels zu ihren eigenen Ungunsten abgeändert, spreche man von „Transition“. Oft würde deshalb der Begriff der „Transition“ inhaltlich mit Liberalisierung210 gleichgesetzt. Liberalisierungs- und Demokratisierungsphasen erfolgten in der Regel synchron. Die Frage, wie mit Menschenrechtsverletzungen des Vorgängerregimes umzugehen sei, wird von den Autoren mit wenigen Sätzen behandelt: Sie bezeichnen dieses Dilemma als eines von immenser Schwierigkeit, für das sie selbst keine zufriedenstellende Lösung parat hätten. In einer Fußnote 204  Ebd.,

S. 453. auch: „Daß zur Erreichung politischer Ziele ein Umweg über die Justiz eingeschlagen wird, ergibt sich einerseits aus dem Bedürfnis, dem politischen Tun größere Würde zu verleihen, einerseits aus den formalen Anforderungen der verfassungsmäßigen Ordnung.“ (Ebd., S. 621.) 206  Ebd., S. 653. 207  „In Ausnahmefällen – so z. B. beim Nürnberger Prozeß – ist die Gesamtbilanz eines Regimes, das dahingegangen ist, so eindeutig, daß das vor Gericht erbrachte Bild als ein ausreichend wahrheitsgetreues Abbild der Wirklichkeit erscheinen muss, dessen Gültigkeit durch keinerlei Kritik verwischt oder wesentlich eingeschränkt werde kann, mögen gegen die Methoden, die Interessenrichtung oder die Zuständigkeit und Urteilsfähigkeit der Anklagebehörde oder des Gerichts noch so viele Einwände erhoben werden.“ (Ebd., S. 612.) 208  Guillermo O’Donnell war argentinischer Wissenschaftler im Exil. 209  Vgl. z. B. O’Donnell/Schmitter, Transitions from Authoritarian Rule. 210  Darunter verstehen sie „the process of making effective certain rights that protect both individuals and social groups from arbitrary or illegal acts committed by the state or third parties.“ (Ebd., S. 7.) Die Autoren verweisen hier explizit auf die Rechte des habeas corpus, das Briefgeheimnis, den besondere Schutz der Wohnung, fair trial-Standards, Freiheit der Fortbewegung, Meinungsfreiheit, Petitionsfreiheit, Freiheit von Zensur, Vereinigungsfreiheit (ebd.). 205  Vgl.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90181

erklären sie, dass der wesentliche Unterschied zwischen diesem und anderen Transitionsdilemmata sei, dass dieses „simply cannot be avoided and one that the leaders must attempt to resolve“.211 Für die Autoren sei es die schlechteste Lösung, das Problem zu ignorieren und die Strafverfolgung der Täter die „least worst solution“.212 Herz dezidiert politikwissenschaftliches Werk „From Dictatorship to Democracy“ aus dem Jahr 1982213 umreißt bereits die typische TJ-Fragestellung: „the way in which the successor democracies have dealt with the authoritarian or totalitarian heritage, that is, with the legacies left by the antecedent dictatorial regimes“214 und verbindet dies mit der Frage nach dem Einfluss der Maßnahmen auf den Prozess der demokratischen Rekonstruktion. Wichtig ist, dass Herz von vorneherein klar stellt, dass der Erkenntnisgewinn von Vergleichen verschiedener historischer Gegebenheiten und Entwicklungen nur begrenzt sein könne.215 Er vergleicht die Vergangenheitspolitik Nachkriegsdeutschlands, Italiens, Österreichs, Frankreichs, Japans, Spaniens, Portugals und Griechenlands unter dem Gesichtspunkt der Stabilität des politischen Systems und der ergriffenen, vergangenheitspolitischen Maßnahmen bezüglich der „Führer“ und der Eliten, des Militärs und der Anhänger und Kollaborateure von mittlerem oder niederem Rang. Letzteres beschreibt er aufgrund der von ihm besprochenen Beispiele als unlösbares Problem.216 Dabei beschreibt er die Wahl der Instrumente, um eine solche Vergangenheitspolitik zu betreiben, als eine rein politische: juristisches Vorgehen wird nicht als nach internationalem Recht geschuldet oder als (un)rechtmäßig beschrieben, sondern ist rein politisch gefasst.217 Die Vergangenheitspolitik Griechenlands stellt Herz dabei als ein – relativ gesehen – gelungenes Beispiel von Vergangenheitsbewältigung dar.218 211  Ebd., 212  Ebd.

S. 75.

213  Herz, From Dictatorship to Democracy (nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 132). 214  Ebd. 215  „Thus all we can hope to do […] is compare how some chief ‚legacy‘ policies were carried out under different historical circumstances and to what extent their results are similar in some cases and dissimilar in others.“ (Ebd.) 216  Ebd. 217  „One might speculate that the most far-reaching effect of both punitive and purge measures was obtained in the initial stage of the transition where an existing antifascist spirit of all those united against the dictatorship (one might call it concentration camp spirit) permitted strong policies to be carried out without opposition from adherents of or sympathizers with the defeated regime.“ (Herz, nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 137.) 218  „The way the Greeks proceeded after the downfall of the colonels (quick purges and public trials with much publicity of their revelations, the immediate

182

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

5. Erste umfassende Konferenz zur Transitional Justice-Problematik Vom 4. bis 6. November 1988 wurde eine Konferenz mit ausgesuchten Teilnehmern aus der Wissenschaft, Politik, Zivilgesellschaft und Presse vom Aspen-Institut219 veranstaltet.220 Ziel der Konferenz war es „to discuss the moral, political and jurisprudential issues that arise when a government that has engaged in gross violations of human rights is succeeded by a regime more inclined to respect those rights“221

und „the need for reflective deliberation and widespread debate of how successor governments should deal with the human rights violations of a prior regime.“222

Das Treffen brachte Individuen mit unterschiedlichen Perspektiven aus verschiedenen Teilen der Welt zusammen, darunter Philosophen, Politikwissenschaftler, Verfassungs- und Völkerrechtler, Menschenrechtsaktivisten und Beobachter aus Ländern, die sich mit den Dilemmata von Bestrafung und Begnadigung konfrontiert sahen.223 prohibition of regime symbolism, all amounting to a ‚demystification‘ of that regime) shows that a successor can deal successfully with that kind of legacy problem.“ (Herz, nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 144.) 219  Das Aspen-Institut ist eine US-amerikanische gemeinnützige Einrichtung, die es sich zum Ziel gemacht hat, den weltweiten Dialog über Werte, Kompetenzen und Ideale zu fördern, die zur erfolgreichen Bewältigung der Herausforderungen in einer globalisierten Welt erforderlich sind, und mit gegenwärtigen oder zukünftigen Führungspersönlichkeiten zu arbeiten. Sie arbeitet auf dem Gebiet der Bildung und der internationalen Beziehungen (Aspen-Institut, Mission, Website). 220  An der Konferenz nahmen Menschenrechtsorganisationen (Servicio Paz y Justicia, Uruguay; Americas Watch, USA; Human Rights Watch, USA; Lawyers Committee for Human Rights, USA), Kirchenorganisationen (Ecumenical Center of Human Rights, Haiti), Universitäten (Occidental College, USA; New York University, USA; University of Colorado, USA; Academia de Humanismo, Chile; Columbia University, USA; City University of NY, USA; Buenos Aires University, Argentinien; Makare Universität, Uganda; University of Seoul, Korea; Universidade de São Paulo, Brasilien) und Stiftungen (Aspen Institut, USA; Ford Stiftung, USA) sowie zwei Privatpersonen und die Presse (The New Yorker Magazine) teil. Unter den Konferenzteilnehmern waren z. B. Weschler (Autor des Buches „A Miracle, A Universe. Settling Accounts with Torturers“ und Kolumnist im The New Yorker), die Philosophen Dworkin und Nagel, Politikwissenschaftler Mamdani (Afrikanist), Crahan (Lateinamerikaspezialistin) und Fitch (Spezialist für zivil-militärische Beziehungen), religiöse Führer wie Pater Perez Aguirre und Rechts- sowie andere Wissenschaftler wie Orentlicher, Sergio Pinheiro, Meron und Fruhling. 221  Henkin, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes. Punishment or Pardon, S. 1. 222  Ebd. 223  Weschler berichtet im Nachwort von seinem Buch von der Konferenz.



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90183

Die Teilnehmer der Konferenz waren sich bewusst, dass sie zur Diskussion eines neuen Themas zusammen gekommen waren. Die Konferenz wollte einen intellektuellen Rahmen für die gemeinsamen Transitionsprobleme schaffen. Für jede diskutierte Maßnahme (Strafverfolgungen, Wahrheitssuche, Transformation des Staatsapparats und Rehabilitation bzw. Entschädigungen) gab es ein Informationsblatt für die Konferenzteilnehmer.224 Die Grundlage für die Konferenz225 boten die drei Aufsätze von Herz226, Zalaquett227 und Malamud-Goti.228. Herz, vergleichender Politikwissenschaftler, ging neben den Strafverfolgungen explizit auf die Denazifizierungsmaßnahmen, die Dekartellisierung und Demilitarisierung ein. Menschenrechtsverletzungen seien als Erbe des vorhergehenden Regimes anzusehen, das es zu adressieren gelte. Er verwendete die Transition als Deutungsschema.229 Zalaquett schrieb den später meist zitierten Beitrag für diese Konferenz, der den konzeptionellen Grundstein für eine Theorie der Gerechtigkeit in transitionellen Perioden legen sollte. Der Chilene, Anwalt und Menschenrechtsaktivist, der im Folgenden lange Zeit für AI arbeiten sollte, hatte sich mit diesen Sachverhalten u. a. in Argentinien, Uruguay und Uganda beschäftigt. Er hatte 1985 einen Artikel230 im New Republic geschrieben, in dem er die Bedeutung der Herstellung von Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverbrechen in Südamerika betonte. In dem Konferenzbeitrag formuliert er das menschenrechtliche Dilemma bezüglich Transitionen wie folgt: „measures which are straightforward from the standpoint of human rights norms could have undesired political implications which in turn would affect human rights adversely.“231 224  Arthur,

Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 354. Konferenzbericht wurde von Henkin verfasst und ist in folgende Teile strukturiert: Geschichtlicher Hintergrund („What can be learned from history? To what extent are past transitions from oppressive regimes to more democratic ones relevant?“); Strafe und Bestrafung („Is there a common moral intuition that provides principles to guide us in determing whether and when to punish or to pardon?“); Völkerrecht und Menschenrechtsverletzung (vgl. Henkin, Preface, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 2). 226  Mit dem Titel: „An Historical Perspective“, S. 11–22. 227  Mit dem Titel: „Confronting Human Rights Violations Committed by Former Governments: Principles Applicable and Political Constraints“, S. 23–70. 228  Mit dem Titel: „Trying Violators of Human Rights: The Dilemma of Transitional Democratic Governments“, S. 71–88. 229  Herz, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 11. 230  „From Dictatorship to Democracy. Kicking out the generals is only the first chapter“ (The New Republican 20 (1985), S. 17 ff.). 231  Zalaquett, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 25. 225  Der

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Für ihn hätten die südamerikanischen Beispiele gezeigt, wie eng verschränkt die politischen Aspekte der Transition mit menschenrechtlichen Aspekten seien und, dass es kaum möglich sei, letztere zu adressieren, ohne die Komplexitäten der politischen Dimension zu beachten.232 Zalaquett argumentiert für ein weites Ermessen von Staaten, die sich Menschenrechtsverletzungen des vorherigen Regimes gegenübersehen. Sei die Menschenrechtspolitik im Allgemeinen legitim233, dann solle einem Staat ein breites Ermessen bezüglich der Frage zustehen, wie er die reparative und präventive Dimensionen seiner Menschenrechtspolitik umsetzen wolle. Er behandelt auch insbesondere die Schranken, die das internationale Recht einem solchen Ermessen ziehe. Zalaquett geht dann noch einen Schritt weiter und fragt, ob den Staat diese Verpflichtungen immer und unabhängig von den politischen Konsequenzen treffen würden.234 Es folgt eine Typologie von politischen Zwängen, denen sich einer Menschenrechtspolitik gegenübersehen kann. Er endet mit dem Aufruf zu einem Forschungsprogramm: „In concluding, it must be emphasized that a normative theory that addresses the question of the obligations of successory governments and the international community with regard to past human rights violations and the future protection of human rights is very much needed. Such theory should be based on current international norms and standards, it should fill existing gaps and it should take into account recent experience.“235

Erst mit dem Beitrag Zalaquetts wird die Transition explizit zum Referenzpunkt: „dealing with transitional political situations is a new area of human rights practice that poses some complex ethical, legal and practical questions“.236 Dieser Beitrag ist substantiell der erste Beitrag, der die TJFragestellung klar umreißt  − ohne diese jedoch mit dem Begriff TJ zu beschreiben. Zalaquett wird als einer der Hauptvertreter der „Pragmatiker“ angesehen. Dies verwundert, da er in der Folgezeit für AI arbeitete, die TJ eher kritisch gegenübersteht. Malamud-Goti, Anwalt und einer der Architekten der Strafverfolgungspolitik unter Alfonsín, verteidigte in seinem Beitrag die Limitierung von Strafverfolgungen. Malamud-Goti erklärt seinen Ausgangspunkt und seine Grundüberzeugung, dass eine Strafverfolgung von Menschenrechtsverlet232  Ebd.,

S. 26. stellte er drei Kriterien auf: die Wahrheit müsse bekannt sein, die Politik müsse den Willen des Volkes repräsentieren und die Politik dürfe nicht das internationale Recht verletzen (ebd., S. 35). 234  Ebd., S. 35, 42. 235  Ebd., S. 64. 236  Ebd., S. 26. 233  Hierfür



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zungen unter dem Vorgängerregime einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung der Demokratie leisten solle.237 Den Entwurf einer Strafpolitik sieht er v. a. durch moralische und politische Erwägungen vorgezeichnet.238 Er relativiert dabei die Bedeutung der Menschenrechte als Bezugspunkte in der Diskussion und bezieht den Zweck von Strafverfolgung auf den gesamtgesellschaftlichen Rahmen. Er ordnet seinen Standpunkt eher als relativistisch und nicht absolut ein, d. h. im Gegensatz zur menschenrecht­ lichen Auffassung.239 Anscheinend wurde schon auf dieser Konferenz der Begriff der „nationalen Versöhnung“ diskutiert und die Debatte entwickelte sich entlang zweier Positionen: einerseits, dass durch Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen der Aufbau eines fairen und nachhaltigen politischen Systems schwierig und daher den Menschenrechten längerfristig eher geschadet werde; andererseits, dass ohne Bestrafung das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit und in die Abkehr von der persönlichen Rache geschwächt würde. Außerdem wurde in der Debatte der Verpflichtungscharakter einer Strafverfolgung hervorgehoben. Damit zeichnet sich auch schon in dieser Konferenz das Deutungsschema „Gerechtigkeit vs. Frieden / Stabilität“ mit allen Hauptargumenten ab, wobei sich die Diskussion erkennbar an den südamerikanischen Beispielen orientierte. Alle stimmten in der Ablehnung von Blankettamnestien überein, während Clemency und Pardon diskutiert und von einigen Teilnehmern als angemessen in manchen Kontexten angesehen wurden. Ebenfalls einhellig wurde eine „Minimalpflicht“ der Staaten festgestellt „to investigate and establish the facts so that the truth be known“240. Zentrale Fragen, die in der Diskussion aufkamen, waren: Gibt es eine Verpflichtung nach internationalem Recht zur Bestrafung der Täter von Menschenrechtsverletzungen? Gibt es eine minimale Verpflichtung der Staaten, die Wahrheit zu etablieren? Können politsches Ermessen und Vorsichtsmaßnahmen eine Rolle spielen, wenn es darum geht, rechtliche Maßnahmen zu entscheiden, insbesondere Strafverfolgungen gegen Militärs? Während der Diskussion kam es zu unterschiedlichen Ansichten bezüglich dieser Fragen. Für die erste Frage waren sich die Teilnehmer einig: 237  Malamud-Goti,

in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 71. must keep in mind, however, that the question of adjudication of punishment is a moral question.“ (Ebd., S. 76.) 239  „Here, however, justice is conceived primarily as the value of ensuring individual rights through an adequate social arrangement that grants individual autonomy a key role.“ (Ebd., S. 79, 84.) 240  Ebd., S. 5. 238  „We

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Unter Völkergewohnheitsrecht gäbe es keine Pflicht zur Strafverfolgung; eine solche Pflicht könne sich jedoch aus einzelnen Verträgen ergeben. Diese Frage war trotz des damals gerade erst ergangenen VelásquezRodríguez-Urteils241 teils schwierig zu beantworten.242 Einen wichtigen Beitrag hierzu leistete Orentlicher in ihrem viel zitierten Artikel aus dem Jahr 1991 (und nachfolgend, durch die Bearbeitung der UN-Prinzipien zur Straflosigkeit).243 Bezüglich der Verpflichtung, die Wahrheit zu etablieren, schien ebenfalls Einigkeit zu herrschen. Eine solche Verpflichtung wurde von den Teilnehmern bejaht. Arthur betont hier jedoch, dass diese Verpflichtung als Alternative zu Strafverfolgung verstanden wurde.244 Uneinigkeit herrschte bezüglich der Frage von „discretion and prudence in decisions to pursue justice measures“245. Herz, Zalaquett und MalamudGoti befürworteten einen gewissen Ermessensspielraum bei der Entwicklung der Strafverfolgungspolitik. Für Malamud-Goti war das Strafverfolgungsermessen sogar „largely a matter of political judgment“.246 Neier und Méndez wehrten sich gegen dieses Argument. Viele Teilnehmer erinnerten sich an eine erhitzte Debatte zwischen Neier und Zalaquett zu genau diesem Thema, die sich aber nicht im Konferenzbericht findet.247 Am Ende drehte sich die Diskussion um die Frage, welchen Zweck die Strafverfolgung hätte oder haben sollte. Neier führte aus, dass eine Pflicht zur Strafverfolgung existierte und politische Erwägungen diesbezüglich fehl am Platz seien. Neier vertrat diesbezüglich die „just deserts theory of punishment“, d. h. eine deontologische Sichtweise.248 Hier vollzog sich die Lagerbildung in der damals noch kleinen, aber durchaus hochkarätigen  – und v. a. rechtswissenschaftlich geprägten  − Wissenschaftsgemeinschaft: Neier und Méndez (zwei Menschenrechtsaktivisten) 241  Vgl.

unter Teil III, C. I. 2. a) bb). Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 353. 243  Die Motivation, diesen Artikel zu schreiben, führt Orentlicher auf die Teilnahme an dieser Konferenz zurück: „While some of my contemporaries had fairly well-developed views about what international law required, most believed that further study and analysis was needed. In the course of the Aspen seminar, many participants urged me to take up that challenge.“ (Orentlicher, ICTJ 1 (2007), S.  10 ff.) 244  Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 353. 245  Malamud-Goti, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 76. 246  Ebd. 247  Vgl. Arthur, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 353. 248  „[H]uman rights principles agreed upon at the international level should stand as absolute values, incorruptible by politics.“ (Ebd., S. 353.) 242  Arthur,



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90187

vertraten die Ansichten der „Legalisten“249, während Malamut-Goti und Zalaquett, die aktiv südamerikanische Transitionspolitiken beeinflusst hatten, den „Pragmatikern“ zugeordnet werden konnten. Als geschichtlicher Hintergrund wurde „Nürnberg“ und „Tokyo“ sowie die Denazifizierungsprogramme diskutiert. Unter dem Punkt „Strafe und Bestrafung“ zeichnet Henkin die Diskussion der Konferenzteilnehmer über die herkömmlichen Strafzwecktheorien auf und unterstreicht aber auch ein in der Diskussion vorgebrachtes Argument, das dem Exzeptionalitätsargument – allerdings in einem anderen Zusammenhang – vorgreift: „[s]ome suggested that the traditional theories of punishment advanced in domestic criminal law were difficult to apply to these human rights cases, not only because they are different in magnitude but because they are also acts by the state (rather against the state).“250

Diese Argumentation vollzieht aber noch nicht die Verbindung mit der Transition. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass es sich bei dieser Konferenz um die erste Konferenz handelt, die sich explizit mit der TJ-Fragestellung beschäftigt: Sie macht die Transition zum Deutungsmuster und fragt nach den Dimensionen Recht / Gerechtigkeit, Prozesshaftigkeit / Erfolg, Heilung / Versöhnung. Insbesondere der Beitrag von Zalaquett kann als erste umfassendere wissenschaftliche Behandlung des Themas gelten, da er explizit die Frage nach der Bedeutung der Transition für den normativen Rahmen stellt und die Beschäftigung mit dieser Fragestellung auf der Grundlage von konkreten Beispielen aus der Praxis fordert. Mit Zalaquett / Malamut-Goti und Neier / Méndez hatten sich auch bereits die beiden Hauptlager der Diskussion gebildet. 6. Zusammenfassung und kritische Bewertung Den beiden Hauptsträngen der in dieser Phase untersuchten Literatur kann jeweils ein historisches Beispiel von „Vergangenheitsaufarbeitung“ zugeordnet werden: Während sich der völkerstrafrechtliche Diskurs hauptsächlich mit „Nürnberg“ beschäftigt – und den Transitionskontext außer Acht lässt – wird der menschenrechtliche Diskurs von den südamerikanischen Transitionen  – und hier v. a. von Argentinien ‒ beherrscht. Damit ist These 3.1. aus Teil 2 dahingehend abzuändern, dass es sich nicht um die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung, sondern vornehmlich um 249  Vgl.

149.

auch Mignone u. a., Yale Journal of International Law 118 (1984), S. 147,

250  Henkin,

in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes, S. 3.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

den südamerikanischen Transitionskontext und das politische Tauziehen um die Maßnahmen der Vergangenheitsbewältigung selbst handelte, der die Wissenschaft prägte.251 Ab Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90 sind daher die beiden beherrschenden rechtswissenschaftlichen Diskurse der des Völkerstrafrecht, der sich auf den Täter fokussiert („Nürnberg“) und der der Menschenrechte (lateinamerikanische Transitionen), der zunehmend auch die Opferperspektive miteinbezieht. Im ersten Diskurs findet sich die TJ-Problematik (noch) nicht wieder, der zweite Diskurs ist, obwohl er die Begrifflichkeit nicht verwendet, bereits sehr durch die TJ-Optik geprägt bzw. steht später selbst exemplarisch für das Diskursmuster der TJ-Problematik. Die politikwissenschaftliche Literatur steht noch eher getrennt neben den rechtswissenschaftlichen Abhandlungen, obwohl einzelne Autoren schon die Verbindung der Fragestellungen wagen (z. B. Osiel). Die verschiedenen Stränge in der Wissenschaft können unter vier Stichworte gruppiert werden: „Accountability“ ist ein wichtiger Deutungsrahmen in dieser Phase – sowohl im völkerstrafrechtlichen (strafrechtliche Verfolgung von Individualpersonen für schwerste Menschenrechtsverletzungen) als auch im allgemein menschenrechtlichen Diskurs. Letzterer verknüpft die Staatenverpflichtung zur Vorbeugung und Repression von Menschenrechtsverletzungen bzw. die Pflicht zur Untersuchung des Vorwurfs einer schweren Menschenrechtsverletzung mit der dazugehörigen Staatenverantwortlichkeit (Responsibility). In einem zweiten Schritt ist hiermit dann die Bekämpfung der Straflosigkeit (Impunity) verbunden sowie das Herstellen von individueller Verantwortung der Täter (Accountability). Die Transition ist noch nicht Deutungsmuster der Strafverfolgungspolitik, sondern lediglich ein begleitender Umstand. Die Transition wird dabei als situatives Kontextelement der Instrumente beschrieben, wird aber nur im Rahmen des Stabilitätsarguments und des „Frieden vs. Gerechtigkeit“-Diskursmusters zu einem direkten Faktor. Es sind insbesondere die Vorkommnisse in Argentinien (sowie in Chile und in Uruguay), die als klassische TJ-Situation beschrieben werden können: politische Transition von einem repressiven Regime zu einem demokratischeren, wobei die Bevölkerung forderte, die Menschenrechtsverletzungen des vorherigen Regimes aufzuarbeiten. In allen drei Ländern stand nach der Machtübergabe die Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen und die beginnende strafrechtliche Aufarbeitung bzw. der Kampf gegen die Impunidad im Mittelpunkt der Diskus­ sionen und sah sich einer politischen Konstellation gegenüber in der das 251  Ursprünglich: „In der Vorphase I ab Ende des 2. Weltkrieges bis 1989/90 sind die prägenden Elemente v. a. die Nürnberger Prozesse und die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung.“



I. Vorfeld der Konstituierung: Ende des 2. Weltkrieges bis 1989 / 90189

Militär mehr oder weniger offen mit Putsch drohte, sollte die zivile Regierung die Strafverfolgungspolitik gegen das Militär umsetzen. Südamerikanische Transitionen (insbesondere die Argentiniens) und deren Dilemmata werden so zum unbenannten Referenzpunkt des TJ-Diskurses, d. h. die Dilemmata, die sich in diesen konkreten Kontexten gestellt hatten, beeinflussten weiterhin die Art und Weise, wie die Fragen, die durch eine Transition aufkommen, zu stellen und zu beantworten waren. Insbesondere die damaligen Hauptvertreter der „Legalisten“ und der „Pragmatiker“ waren aufgrund ihrer Biographie stark von diesem Kontext beeinflusst. Bereits damals war die Überzeugung, dass die Beispiele vom südamerikanischen Kontinent auch auf andere „Systemwechsel“ übertragbar seien, wichtiger Bestandteil der Diskussion.252 Es fällt auf, dass sich die Diskursregel „Frieden vs. Strafverfolgung“ nur im menschenrechtlichen und nicht im völkerstrafrechtlichen Diskurs findet. Im (völker-)straf-rechtlichen Diskurs wird vielmehr vorausgesetzt, dass die Strafverfolgung Grundlage eines dauerhaften Friedens sei (v. a. hinsichtlich einer Prävention zukünftiger vergleichbarer Verbrechen). Sie wird als notwendige Bedingung für eine friedliche Zukunft gesehen. Hier gegenüber steht der menschenrechtliche Diskurs, der sich einerseits in das Lager „Strafverfolgung vs. Frieden“ und „Strafverfolgung gleich Frieden“ teilt. Während letzteres die gleichen Argumentationsfiguren verwendet wie der (völker-) strafrechtliche Diskurs, ist es v. a. die erste Ansicht, die die Diskursregel „Strafverfolgung vs. Frieden“ als Novum in den Diskurs einbringen. Wahrheitskommissionen (als Minus zur Strafverfolgung wahrgenommen) wurden in Argentinien (und Chile) als erstes Instrument nach dem Regimewechsel eingesetzt. Nicht immer war mit ihrer Einsetzung auch die Erleichterung der Strafverfolgung einzelner Täter bezweckt. Die Mandate der Wahrheitskommissionen wurden als Kompromisse in der Diskussion „Straflosigkeit vs. Frieden“ angesehen.253 Manche waren explizit als „Alternative“ zur Strafverfolgung angelegt (Chile), während anderen Strafprozesse nachfolgen sollten (Argentinien).254 Inwieweit Wahrheitskommissionen durch ihre Arbeit zur Versöhnung / Heilung bezüglich eine bestimmte Thematik 252  So schreiben 1984/85 in diesem Sinne Mignone/Estlund und Issacharoff, dass Argentinien sich einer Situation mit „little guidance from Argentine history or the experience of other countries in the transition from military to civilian rule“ gegenüber sah (Mignone u. a., Yale Journal of International Law 118 (1984), S. 118). Vgl. auch: „What he has to say about the structure of human rights trials (Anm: in Argentina) is of the utmost importance to those involved in transitions from dictatorship to democracy – especially to what we see happening in Eastern Europe today.“ (Vorwort, in: Malamud-Goti, Game without end, xiii.) 253  Teitel, Transitional Justice, S. 79, 81. 254  Ebd., S. 89.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

(z. B. gewaltsames Verschwindenlassen) beitragen können sollten, ist in dieser Phase zum größten Teil noch unreflektiert. Der Fokus liegt noch auf der Gesellschaft und nicht auf dem einzelnen Individuum. Bezüglich der Disziplinarität der Beiträge kann festgehalten werden, dass die meisten disziplinär sind.255 Es sind noch keine interdisziplinären Fragestellungen zu beobachten, allerdings die Inkorporierung von Ergebnissen, z. B. die der politikwissenschaftlichen Forschung in rechtswissenschaftlichen Abhandlungen.256 Es lässt sich aber eine gewisse „Ernüchterung“ („the outcome of the trials considerably eroded the authority of the judiciary“257) feststellen. Hier liegt möglicherweise die Erklärung dafür, dass man sich in zunehmendem Maße andere Instrumente wie den Wahrheitskommissionen zuwenden sollte. Dies kann möglicherweise das große Echo der „pragmatischen“ oder „realistischen“ Argumentation auch in der Literatur erklären. 255  Die Publikation „Crimes of War: A Legal, Political-Documentary, and Psychological Inquiry into the Responsibility of Leaders, Citizens, and Soldiers for Criminal Acts in Wars“, die der US-amerikanische Juraprofessor Falk 1971 mit Kolko (Geschichtswissenschaftler) und Lifton (Psychiater) herausgibt, zeichnet die spätere Multidisziplinarität von TJ vor. So ist das Werk, das verschiedene Artikel und Buchauszüge mit thematischen Bezug zu Kriegsverbrechen abdruckt und als Postulat gegen den Vietnamkrieg gedacht ist, in drei Teile aufgeteilt: Der rechtliche Rahmen, der politische Hintergrund (Dokumente) und der psychologische und ethische Kontext (Falk, in: Falk u. a. (Hrsg.), War Crimes, S. 9). 256  Die „Justizialisierung des Politischen“ (Malamud-Goti, Game without end, S. 197) sieht vor, dass Ereignisse in einen von Gerichten zu beurteilenden Sachverhalt umformuliert werden, und durch ihre Interpretation eine authentische, objektive und autoritäre Wahrheitsfindung erfolgen soll. Dies setzt eine gewisse Autorität der Gerichte und der Judikative gegenüber der Exekutive voraus („Unlike historians, anthropologists, and sociologists, the courts base their decisions on sets of rules that are assumed to be both valid and just. It seems platitudinous to state that conditions external to the rules that define the game are irrelevant to the scoring of points. In a way akin to the indifference of games to background conditions, „guilt“ and „innocence“ presuppose that, although facets of the criminal trials may lend themselves to debate, this debate is normally confined to discrepancies concerning the interpretation of rules and facts.“ (Ebd., S. 195.) „The courts’ discretion […] results from keeping the trials sealed from political and social background circumstances. Indeed, the courts may considered only a limited number of legally accepted circumstances to aquit the culprit, or, if they convict, to temper the punishment.“ (Ebd., S. 196.) Verfügen die Gerichte nicht über diese Autorität – und damit mangelnde Unabhängigkeit aus der Sicht der Bevölkerung − werden Prozesse vielmehr als „Politisierung der Justiz“ wahrgenommen (ebd., S. 197 f.). V. a. im Hinblick auf den Diskurs der strafrechtlichen Verfolgung in Argentinien, aber auch anderer südamerikanischer Staaten, lässt sich eine Tendenz unter der Bevölkerung ausmachen, die v. a. die Justiz in diesem Lichte sah (ebd., S. 19). 257  Ebd., S. 27.



II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994191

II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994 Die in Teil 2 herausgearbeitete These bezüglich dieser Phase lautete: „Das Ende des Kalten Krieges wirkt wie ein Katalysator für die Entwicklung des Feldes TJ. Ab 1990 bis 1994 legen internationale Konferenzen Ende der 1980er / Beginn der 1990er Jahre, die Transitionen in Osteuropa sowie der politikwissenschaftliche Transitionsdiskurs wichtige Weichen für die spätere Konstituierung des Forschungsfeldes. Es dominiert ein retributiver Rechtsdiskurs.“ (These 3.2)

Analysiert man die Literatur dieser Phase fällt auf, dass die Publikationstätigkeit stark zunimmt und, dass sich die Schwerpunktsetzung verschiebt: Während zu Beginn des hier betrachteten Zeitraums v. a. die lateinamerikanischen Erfahrungen noch im Vordergrund stehen (Straflosigkeit, gewaltsames Verschwindenlassen, Pflicht zur Strafverfolgung und das Prinzip der Verantwortlichkeit258) kommen relativ schnell auch die Transitionen bzw. Demokratisierungsprozesse in Osteuropa in den Blick, die v. a. unter dem Gesichtspunkt der Lustrationen, Konstitutionalisierungsprozesse und Entschädigungen behandelt werden.259 Ebenfalls bemerkenswert ist, dass bereits zu Beginn die Thematiken der Entschädigungen und der restaurativen Gerechtigkeit vorhanden sind.260 Der völkerstrafrechtliche Diskurs sowie „retributive“ Gerechtigkeit tauchen gegen Ende des beobachteten Zeitraums wieder vermehrt auf.261 „Gerechtigkeit“ als Schlagwort findet sich so durchgängig in der einen oder anderen Variante. In den letzten zwei Jahren des beobachteten Zeitraums kommen dann auch Wahrheitskommissionen in den Mittelpunkt des Interesses.262 Interessanterweise werden Erfahrungen in afrikanischen Ländern mit Untersu258  Z. B. Méndez/Vivanco, Hamline Law Review 3 (1990), S. 507–578; Ocampo, New York Law School Journal of International and Comparative Law 11 (1990), S. 357–360, Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 449–514; Weschler, A Miracle, a Universe. 259  Z. B. Doyle, Michigan Journal of International Law 13 (1991/1992), S. 832– 864; Paczolay, Michigan Journal of International Law 13 (1991/1992), S. 806–831; Stein, Michigan Journal of International Law 13 (1991/1992), S. 786–805. 260  Correa, Notre Dame Law Review 67 (1991/1992), S. 1455–1487; Goldstone, Hastings Constitutional Law Quarterly 22 (1994/1995), S. 607–621; Hayner, Human Rights Quaterly 16 (1994), S. 597 ff.; Offe, The Journal of Political Philosophy 1 (1993), S. 17–44; Pasqualucci, Boston University International Law Journal 12 (1994), S. 321–370; Weiner, St. Mary’s Law Journal 26 (1994/1995), S. 857–875; van Boven, in: Kritz (Hrsg.), Transitional Justice, Bd. 1, S. 500–504. 261  Vgl. z. B. Edelenbos, Leiden Journal of International Law 7 (1994), S. 5–21. 262  Pasqualucci, Boston University International Law Journal 12 (1994), S. 321– 370; Fitzpatrick, Michigan Journal of International Law 16 (1994/1995), S. 713–726.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Rechtswissenschaftlicher Diskurs: – internationale Strafgerichtsbarkeit (Kriegsverbrecherprozesse 2. Weltkrieg, ICTY, Straflosigkeit; Straftatbestände (v.a. Genozid, Vergewaltigungen als Kriegsstrategie); – Amnestiegesetze; Straflosigkeit; Accountability; „ gewaltsames Verschwindenlassen“/Folter; – Opferrechte; – Versöhnung; – Entschädigungen; – „retributive vs. restaurative“ Gerechtigkeit; – retroaktive Gerechtigkeit („Siegerjustiz“).

TJ–Diskurs: – Fragestellung TJ (Begriff 1992) – „justice after transitions“; „transition to democracy“; „building peace“, „Vergangenheitsbewältigung“; – Transition/Demokratisierung; –Versöhnung; – Gerechtigkeit vs. Friede; Gerechtigkeit und Friede; Gerechtigkeit vs. Wahrheit/Versöhnung; – Restaurative Gerechtigkeit; – Frauen und Kinder; – Instrumente: Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen, Lustrationen.

Publikationen 1990 – 1994

Länder / Regionen: Aufweitung des regionalen Spektrums: – Deutschland, Japan; – Lateinamerika: v.a. Argentinien, Chile, El Salvador; – Südafrika; – Ost- und Mitteleuropa; – Irak, Kambodscha, Korea; – ehemaliges Jugoslawien/Ruanda.

Andere Disziplinen: – vergl. Analyse von Transitionsprozessen; – Transition/Demokratie; – Versöhnung, Heilung der Opfer; – Identität, Prozess und Reintegration, Erinnern; Vergeben und Gnade, PTSD; – Demokratisierung; – „Managing Transition“; –„Politics of Memory“; – Reintegration; – Rolle der Kirche/theologischer Ansatz.

Schaubild 12: Publikationen 1990–1994

chungs- und Wahrheitskommissionen in den 1970er und 1980er Jahren263 kaum in diesen Artikeln erwähnt. Der geographische Fokus in dieser Phase liegt klar auf Argentinien und Chile bzw. anderen südamerikanischen Staaten. Die Erfahrungen in den europäischen Staaten wie Spanien und Griechenland in den 1970er und 1980er Jahren sowie in den osteuropäischen Staaten nach dem Ende des Kalten Krieges werden zwar ebenfalls diskutiert, es dominieren jedoch die Erörterungen der Erfahrungen auf dem südamerikanischen Kontinent. Die Hauptmerkmale des Diskurses in der untersuchten Literatur dieser Phase sind v. a.: − Dominanz des menschen- und humanitärrechtlichen Diskurses, der sich v. a. mit der Pflicht der Staaten zur Strafverfolgung der Täter und dem 263  Vgl.

hierzu Carver, African Affairs 89 (1990), S. 391 ff.



II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994193

Prinzip der individuellen Verantwortlichkeit und dem Strafzweck beschäftigt; − Wiederbeleben des völkerstrafrechlichen Diskurses, v. a. aufgrund von Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda264; − Konstituierung des TJ-Diskurses. 1. Menschen- und humanitärrechtlicher Diskurs V. a. der menschen- und humanitärrechtliche Diskurs sticht in dieser Phase hervor; laut Zitationsanalyse (vgl. unter Teil 2) sind insbesondere die Autoren Roht-Arriaza und Orentlicher zu nennen. a) Verpflichtung zur Strafverfolgung Die Diskussion, um die Verpflichtung zur Strafverfolgung beginnt in dem betrachteten Zeitraum mit Publikationen von Orentlicher, Roht-Arriaza und Rogers. Orentlicher bespricht die Thematik in ihrem grundlegenden Artikel „Settling Accounts: The Duty to Prosecute Human Rights Violations of a Prior Regime“ in drei Schritten: Argumente für und gegen Strafverfolgung in TJ-Situationen; ob es nach internationalem Recht (Völkerstrafrecht, Menschenrechtsverträge sowie Völkergewohnheitsrecht) eine Verpflichtung zur Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen gäbe, die unter einem Vorgängerregime begangen wurden; ob es nach internationalem Recht eine Möglichkeit gäbe, diese Verpflichtung im Lichte der besonderen Zwänge einer Transition zu mildern265. Während die erste und zweite Frage auch in den nachfolgenden Publikationen dann vermehrt behandelt werden, wird die dritte Frage in der Literatur so explizit selten diskutiert, obwohl sie eigentlich die Kernproblematik von TJ darstellt. Als Argumente für eine Bestrafung fassen zwei Autoren die in der Literatur aufgezählten Argumente wie folgt zusammen: das Generalpräventionsargument („[t]o deter future violations of fundamental human rights“266), das Rechtsstaatlichkeitsargument („[t]o reassert the central role of law in 264  Petrović,

EJIL 5 (1994), S. 342 ff.; de Zayas, AVR 1997, S. 29 ff. the duty in light of the peculiar constraints prevailing in transitional societies.“ (Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2539.) 266  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 244. 265  „[M]itigating

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

civilized society“267), das Demokratisierungsargument („[t]o foster respect for democratic institutions and advance the nation’s transition (or return) to democracy“268), das Diskontinuitätsargument („[to] clearly distinguish between the previous regime and the new government“269) und das Geschichtsargument („[t]o provide a complete and irrefutable record of what happened, so that no one can pretend the abuses did not occur“270). Das Deutungsmuster der Straflosigkeit271 wird ebenfalls oft benutzt. Ein allgemeines Argument, dass Strafverfolgung die Bürgerrechte und die ­Würde der Bürger (und Opfer) wiederherstelle, findet sich auch.272 Roht-Arriaza unterscheidet dabei klar zwischen rechtlichen und politischen Erwägungen. Als Hauptargument gegen Strafverfolgungen wird das Gefährdungsargument („[F]ragile democracies may not be able to survive the destabilizing effects of politically charged trials“273) genannt sowie das Verhinderungsargument („Authoritarian regimes that face ‚a virtual certainty of punishment‘ will resist voluntarily relinquishing power“)274, das Machtlosigkeitsargument („[T]he new government may lack the power to bring the government to account“)275 bzw. das Unmöglichkeitsargument („that prosecutions were impossible“)276. Hervorzuheben ist, dass Roht-Arriaza diese Zwänge als politisch einordnet.277 Orentlicher fragt in ihrem Artikel, welche Rolle internationales Recht bei der Bestimmung der Strafverfolgungspolitik einer Regierung bezüglich 267  Ebd., vgl. auch: Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2542. („If law is unavailable to punish widespread brutality of the recent past, what lesson can be offered for the future?“) 268  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 244; vgl. auch: Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2543. („[P]rosecutions strenghten fragile democracies because the Rule of Law is integral to democracy itself.“) 269  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 244. 270  Ebd. 271  Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 473. 272  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 244. 273  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2544; vgl. auch: Van Dyke/ Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 246. 274  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 246. 275  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2546. 276  Ebd., S. 2548. 277  „[… S]trong policy reasons for requiring the new government to investigate and prosecute those responsible for past violations. There are, however, also strong reasons that the new government may be reluctant to prosecute.“ (Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 508.)



II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994195

der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen eines Vorgängerregimes spielen solle. Sie stellt fest, dass es nach Völkerstrafrecht (sog. „Human Rights Crimes“) keine Pflicht zur Strafverfolgung gäbe, da der Nürnberger Präzedenzfall die Einrichtung einer internationalen Instanz zur Strafuntersuchung und -verfolgung erfordere, zu der es bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gekommen sei.278 Es sei aber ein Trend zu nationaler Strafuntersuchung und -verfolgung von Menschenrechtsverletzungen zu beobachten. Auch nach internatio­ nalen und regionalen Menschenrechtsverträgen ließe sich keine ausdrück­liche Pflicht zur Bestrafung feststellen. Basierend auf der von ihr analysierten Rechtsprechung bejaht sie dann aber eine Pflicht zur Untersuchung von ernsthaften Vorwürfen von außergerichtlichen Hinrichtungen, Folter und Verschwindenlassen. Eine Pflicht zur Bestrafung bejaht sie für Menschenrechtsverletzungen, für die gesonderte Verträge eine solche Pflicht vorsehen (z. B. UN Anti-Genozidkonvention279 und UN Anti-Folterkonven­tion280).281 Bezüglich des Inhaltes der Verpflichtung, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, vertreten sowohl Orentlicher als auch Roht-Arriaza, dass diese Verpflichtung nicht notwendigerweise strafrechtlich ausgelegt werden müsse. Dieses Recht könne auch durch eine effektive Rechtsweggarantie, Schadensersatzleistungen oder den Zugang zu (staatlichen) Informationen über das genaue Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen ausreichend gewährleistet werden.282 Roht-Arriaza erklärt, dass selbst die Bestrafung nicht unbedingt die Form einer Haftstrafe annehmen müsse, so dass auch die offizielle Untersuchung und Entschädigung sowie Verlust des öffentlichen Amtes ausreichen könnten.283 Zur Frage, ob es eine Besonderheit für den Inhalt und das Ausmaß der Verpflichtung zur Untersuchung bzw. Strafverfolgung für TJ-Kontexte gibt, diskutiert Orentlicher zwei Aspekte: „mitigating the burden“, d. h. „somewhat more difficult issues are raised by the question whether international law can accommodate the peculiar constraints faced by nations that have recently [… recovered, Anm. d. Verf.] from a protracted period of lawlessness“284

und die Frage der Derogation285. 278  Orentlicher,

Yale Law Journal 100 (1991), S. 2542, 2554. against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment, UN Dok. Res 39/46 (10.  Dezember 1948). 280  Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, UN Dok. Res. 260 (III) A (9. Dezember 1948). 281  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2562 f. 282  Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 507. 283  Ebd., S. 509. 284  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2596. 285  Ebd., S. 2596, 2606. 279  Convention

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Unter dem ersten Aspekt kommt Orentlicher zu dem Schluss, dass die beiden unterschiedlichen Beispiele von Vergangenheitspolitik in Argentinien und Griechenland zeigen würden, dass den Forderungen nach Gerechtigkeit und politischer Stabilität durch eine Strafverfolgungspolitik mit klar definierten Grenzen gedient sei. Die völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung würde nur durch eine vollständige Straflosigkeit verletzt.286 Sie bedient sich hier einer funktionalen Argumentation: Da sie die Strafverfolgungen mit einem generalpräventiven Argument rechtfertigt, kann sie im Folgenden feststellen, dass die Kombination zwischen einer limitierten Strafverfolgung und Verjährungsregeln für weniger schwere Vorwürfe ausreichen würde, um der Generalprävention Genüge zu tun.287 Orentlicher diskutiert dann die Frage der Selektivität unter rechtsstaat­ lichen Gesichtspunkten und schlägt für die Strafverfolgung die Limitierung auf Personen mit der größten Verantwortung vor.288 Hier überlappen sich damit in ihrem Artikel der menschen- und völkerstrafrechtliche Diskurs. Roht-Arriaza unterscheidet in dieser Diskussion wiederum rechtliche von politischen Erwägungen.289 Sie betont, dass die Umsetzung internationaler rechtlicher Verpflichtungen „policy implications“ habe: Sie unterscheidet zwei Ausgangssituationen von Ländern, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen weiterhin begangen werden (ob unter militärischer oder ziviler Regierung) von der Situation, in der ein Übergang zu ziviler Herrschaft stattgefunden habe und die systematischen Menschenrechtsverletzungen beendet wurden.290 Zum zweiten Fall schreibt sie: „There the question is one of whether, and how, to prosecute abuses of former governments. Concerns for the stability of the new government, the perceived need for national reconciliation, and larger questions of the ethics of using prosecution for purposes of deterrence or retribution are all relevant queries. In every case, further, a balance must be struck between the state’s sovereignty interest in applying domestic legal norms and the international community’s interest in protection of international human rights norms.“291

Roht-Arriaza nimmt eine klare Unterscheidung bezüglich der Vereinbarkeit von Amnestien mit internationalem Recht vor. Sie unterscheidet Amnestien für politische Gegner eines Staates (vereinbar mit internationalem Recht da Ausfluss der Souveränität eines Staates) und Amnestien, die der Staat für eigene Menschenrechtsverletzungen erlässt (unvereinbar). Roht286  Ebd., 287  Ebd., 288  Ebd. 289  Vgl.

290  Ebd., 291  Ebd.

S. 2599. S.  2598 ff. z. B. Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 494. S. 506.



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Arriaza betont insbesondere die Rolle von Amnestiegesetzen als „Preis“ einer Transition.292 Dieses sich noch am Anfang befindende Problembewusstsein bezüglich Amnestien unterstreicht die Aussage in einem anderen Artikel aus dieser Phase („Problems with Forgiveness: Granting Amnesty under the Arias Plan in Nicaragua und El Salvador“): Während der Autor für Situationen ohne Transition gegen eine Amnestie argumentiert, attestiert er für Situationen mit Transition „the issues associated with amnesty are relatively straightforward“293 und impliziert damit, dass eine Amnestie im Transitionskontext unproblematisch sei. Orentlicher nimmt zur Diskussion Stellung, ob eine Begnadigung der Amnestierung vorzuziehen sei, und verneint dies, da rechtlich gesehen eine klare Unterscheidung zwischen beiden nicht möglich sei.294 Zum Aspekt der Derogation führt Orentlicher aus, dass bestimmte Rechte nicht derogierbar seien. Interessanterweise stellt sie auch die Frage, ob dann möglicherweise die zuvor festgestellten Strafuntersuchungs- und -verfolgungspflichten derogierbar seien. Dies verneint sie mit einem teleologischen Argument.295 Es lässt sich festhalten, dass die TJ-Problematik rechtsdogmatisch tiefergehend in dieser Phase im menschenrechtlichen Diskurs behandelt wird. Allerdings wird ein weiteres Bedürfnis nach rechtswissenschaftlicher Forschung festgestellt.296 Die Publikationen bleiben menschenrechtlich geprägt und die Transition wird in der Regel nicht als Deutungsmuster herangezogen. Es handelt sich vielmehr um die Diskussion der TJ-Dilematta aus menschenrechtlicher Perspektive. b) Strafzweckdebatten In der hier untersuchten Phase wird oft der Strafzweck, v. a. im Sinne der klassischen Auseinandersetzung zwischen Deontologen vs. Utilitaristen diskutiert und wie sich dies im Kontext einer Transition ändere. Als Beispiel hierfür kann Malamud-Gotis Artikel „Punishment and a Rights-Based Democracy“ herangezogen werden, der vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Situation in Argentinien Anfang der 1990er Jahre erneut die Fra292  Ebd.,

S. 463. Stanford Law Review 43 (1991), S. 775. 294  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2604. 295  Orentlicher geht ebenfalls auf die Frage des völkergewohnheitsrechtlichen Notstandsrechtes ein, stellt aber fest, dass die obengenannten Rechte auch notstandsfest seien (ebd., S. 2595, 2608, 2610). 296  Ebd., S. 2612. 293  Moore,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

ge nach dem Erfolg der ergriffenen Maßnahmen und damit nach dem Strafzweck der Strafverfolgungspolitik bezüglich der unter der Militärjunta ­begangenen Menschenrechtsverbrechen stellt. An den gängigen Strafzwecktheorien kritisiert er v. a. dass sie täterbezogen seien und nicht das Opfer in den Mittelpunkt stellten.297 Er betont die Rolle individueller Rechte gegenüber einer Transitionspolitik, die sich hauptsächlich an der Stabilität der aktuellen machtpolitischen Konstellationen ausrichtet.298 Der Artikel wurde nach der Begnadigung der zuvor verurteilten Offiziere durch den Nachfolger Alfonsíns und vor dem Hintergrund steigender Kriminalitätsraten geschrieben. c) Versöhnung Versöhnung sowie Verzeihen – obwohl keine juristischen Begriffe – tauchen verstärkt in den untersuchten Publikationen auf. Bei beiden wird betont, dass es sich um eine individuelle Entscheidung bzw. um einen Prozess von Opfern oder von Gruppen handele, der von keiner Autorität angeordnet bzw. beurteilt werden könne.299 Daher ist das Auftauchen dieser Begrifflichkeit im menschen- und humanitärrechtlichen Diskurs interessant. Schon der Journalist Weschler schreibt hierzu in seinem Buch „A Miracle, A Universe: Settling Acconts with Torturers“: „One of the things that is remarkable about the stories of both Brazil and Uruguay is the way in which, to a large degree, the rehabilitation of the torture societies, to the extent it has occurred, was accomplished by the torture victims themselves. These victims – hollowed-out, burnt-out shells – came alive once again by testifying to the truth of their own experiences. And that truth, to a degree, has set both themselves and their societies free.“300

Versöhnung spielt in der Aufarbeitung der Vergangenheit in den südamerikanischen Ländern eine wichtige Rolle:301 Die chilenische Wahrheits- und 297  „[B]y overriding respect for people’s dignity and basic rights on the grounds of security and expediency, citizens reflect that they themselves have not recovered from the harms inflicted upon them by the past dictatorship. Only an insufficient perception of our own rights may explain the appeal of violent solutions to social conflicts. The trials of the generals in 1985 failed to teach the Argentine citizenry the value of their own dignity and worth.“ (Malamud-Goti, Criminal Justice Ethics 10.2 (1991), S. 9.) 298  „Disregard for the victims as a reason to punish state criminals has been an important factor in the failure to transform an authoritarian society in a rights-based community. […] Blatantly neutralizing convictions for human rights violations, Menem’s pardoning of officers who violated human rights or rebelled against democratic authorities undermined the nascent authority of the judiciary.“ (Ebd., S. 10.) 299  Ähnlich Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 24. 300  Weschler, A Miracle, S. 246. 301  „The argument for absolving or forgetting military crimes in the interests of reconciliation is based upon an assumption of ends and means: the end of stable



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Versöhnungskommission veröffentlicht 1993 in ihrem Bericht ein ganzes Kapitel zum Thema „Truth and Reconciliation“.302 Der Bericht enthielt nicht nur detaillierte Fakten zu den Menschenrechtsverletzungen, sondern auch eine Anerkennung der Verantwortung seitens der Regierung. Dabei sah die Wahrheitskommission die Beziehung zwischen Wahrheit und Versöhnung als elementar an: „Nevertheless, from the beginning the Commission understood that the truth it was to establish had a clear and specific purpose: to work toward the reconciliation of all Chileans.“303

Die Festschreibung der historischen Wahrheit wurde von der Kommission als erster Schritt Richtung Versöhnung gesehen. 1994 folgte dann die Veröffentlichung des Berichtes der Wahrheitskommission für Honduras.304 Dabei ist zu beachten, dass „Versöhnung“ und anderes (sozial) psychologisches Vokabular nicht Teil des ursprünglichen Vokabulars des menschenrechtlichen Diskurses ist.305 Das Auftauchen in der rechtswissenschaftlichen Literatur deutet zumindest auf eine Öffnung des Diskurses zur Praxis hin. Ob dies darüberhinausgehend auch eine Beschäftigung mit disziplinfremden Fragestellungen bedeutet, ist jedenfalls in dieser Phase noch nicht feststellbar. Allerdings ist festzuhalten, dass der Versöhnungsdiskurs bereits vor Südafrika in die rechtwissenschaftliche Literatur Einzug gefunden hat. 2. Völkerstrafrechtlicher Diskurs Der völkerstrafrechtliche Diskurs wird bedeutender. Dies ist insbesondere auf das Ende des Kalten Krieges und die Wiederbelebung der Idee der Einrichtung eines IStGH und den schweren Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda zurückzuführen. Zwar gab es durchaus auch Autoren, die kontinuierlich zur Thematik des IStGH publiziert haben306, das Wiederbeleben des völkerstrafrechtlichen Diskurses ist aber augenscheinlich durch die Einrichtung der Ad-hoc-Gerichtshöfe bedingt. democracy and social peace is said to depend on the means of impunity.“ (McSherry, Canadian Journal of Political Science 25 (1992), S. 488.) 302  Vgl. Report of the Chilean National Commission on Truth and Reconciliation (sog. „Rettig“-Bericht), Kapitel 4, S. 1118 ff. 303  Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 40. 304  Vgl. hierzu Hayner, Human Rights Quaterly 16 (1994), S. 597 ff. 305  „The very vocabularies of healing and restoration are foreign to the legal language underpinning prosecutions. Emotional and psychological healing did not figure largely in the international debates in response to the Holocaust.“ (Minow, Between Vengeance and Forgiveness, S. 63.) 306  Bassiouni, International & Comparative Law Review 1 (1991), S. 11 ff.; Ferencz, An International Criminal Court – A Step Toward World Peace; Röling/Cas-

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Bassiouni geht in seinem Artikel „The Time Has Come for an International Criminal Court“ auf die politischen, praktischen und rechtlich-technischen Probleme der Einrichtung eines IStGH ein. Interessanterweise ordnet er die Problematik der Strafverfolgung von Staatsoberhäuptern und hochrangigen Staatsbediensteten für Menschenrechtsverletzungen unter der Rubrik „politisch“ ein, während er die rechtlich-technischen Fragen als „easily resolvable“ einschätzt.307 Exkurs: Konflikte im ehemaligen Jugoslawien308 und Antwort der internationalen Gemeinschaft Die politischen Ereignisse der frühen neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts trugen zum Zerfall der Sozialistisch-Föderativen Republik Jugoslawiens bei. Nach den Unabhängigkeitserklärungen Sloweniens, Kroatiens und Bosnien-Herzegowinas 1991 griff die jugoslawische Volksarmee diese an. Mit der Eroberung des Gebietes gingen ethnische „Säuberungen“309 einher, die darauf abzielten ein „großserbisches Reich“ zu schaffen. Schlichtungsversuche der internationalen Gemeinschaft blieben ohne Ergebnis. Mit der Resolution 764 betonte der UN-SR zum wiederholten Male die Bindung der Parteien an das humanitäre Völkerrecht und unterstrich die persönliche Verantwortlichkeit von Einzelpersonen für Verstöße gegen die UN Anti-Völkermordkonvention310. Es folgten weitere Verurteilungen der Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch das Gremium.311 Berichte über „widespread and flagrant violations of humanitarian law“ führten dazu, dass der UN-SR 1992 eine Expertenkommission einsetzte, die diese Vorwürfe untersuchen und Beweismaterial für die Verletzungen des humanitären Völkerrechts sammeln sollte.312 Der erste Zwischenbericht der Expertenkommission (Januar / Februar 1993) bestätigte die systematische Ermordung von überwiegend männlichen Teilen der Zivilbevölkerung, ethnische Säuberungen, Folter, systematische Vergewaltigungen und andere schwere Verletzungen des humanitären Völkerrechts. Die Kommission ersese, The Tokyo trial and beyond; Triffterer, Dogmatische Untersuchungen zur Entwicklung des materiellen Völkerstrafrechts seit Nürnberg. 307  Bassiouni, International & Comparative Law Review 1 (1991), S. 11 ff. 308  Die Ereignisse in Ruanda werden hier nicht gesondert behandelt. Vielmehr soll an diesem Beispiel die Dominanz des völkerstrafrechtlichen Diskurses exem­ plarisch dargestellt werden. 309  Petrović, EJIL 5 (1994), S. 342 ff.; de Zayas, AVR 1997, S. 29 ff. 310  UN-SR Res. 764 (3. Juli 1994). 311  Vgl. z. B. UN-SR Res. 771 (13. August 1992). 312  Vgl. UN-SR Res. 780 (6. Oktober 1992).



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achtete – unter Bezugnahme auf das historische Beispiel des IMT – die Einrichtung eines Ad-hoc-Strafgerichtshofes als „mit der Tendenz ihrer Arbeit“ konsistent.313 Die Aufarbeitung der schweren Menschenrechtsverletzungen im ehemaligen Jugoslawien war von Beginn an von einem „völkerstrafrechtlichen“ bzw. „retributiven“ Diskurs geprägt und drehte sich um die individuelle (strafrechtliche) Verantwortlichkeit314: Die ersten Rufe nach der Errichtung eines Tribunals und Vergleiche mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen waren im Mai 1991 von einem Journalisten aus Belgrad gekommen.315 Die Referenz „Nürnberg“ findet sich auch in dem Artikel des amerikanischen Journalisten Gutman in Newsday (August 1992) und wurde dann in zahlreichen Berichten zur Menschenrechtslage von internationalen NGOs wie HRW wiederholt.316 Dabei spielte der Vergleich mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen als historische Analogie eine dominante Rolle (z. B. „The Holocaust Analogy is Too True: A Muslim People Are Targeted for Extinction, and the West Turns Away“317).318 Es folgte eine Lobbykampagne nationaler und internationaler Menschenrechtsorganisationen. Auf der politischen Ebene brachte der damalige französische Justizminister Badinter erstmals den Ruf nach einem internationalen Tribunal zum Ausdruck – unter direkter Bezugnahme auf den Zweiten Weltkrieg.319 Als wichtige Referenz diente auch, dass diese schweren Menschenrechtsverletzungen „wieder mitten im Herzen Europas“ vorkamen.320 Erst 1992 auf internationalen Konferenzen, die in London und Genf 313  Zwischenbericht der Expertenkommission, UN Dok. S/25274 (10.  Februar 1993), Annex, § 74. 314  Lamont, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 83. 315  „Precisely because of what has already happened and what is happening now, all of which can quite easily be shown to be punishable under the terms of Nuremberg judgment and other legal documents just as valid here at home as in the rest of the world.“ (Zitiert nach Nelaeva, Romanian Journal of European Affairs 11 (2011), S. 102.) 316  Vgl. z. B. HRW, War Crimes in Bosnia-Herzegovina; vgl. auch Bodley, New York University Journal of International Law and Politics 31 (1999), S. 418 ff.; Brownmiller, in: Stiglmayer (Hrsg.), Mass Rape; Allen, Rape Warfare. 317  Gleichnamiger Artikel von Siegman, in Los Angeles Times, 11. Juli 1993. 318  Nelaeva, Romanian Journal of European Affairs 11 (2011), S. 103. 319  Vgl. Hazan, Justice in the Time of War. 320  „Somewhere in the back of many western minds, there is the idea that wars and genocide always happen in Africa and that is not news. When you look at Yugoslavia, people were shocked that the war took place on European soil, where it wasn’t supposed to occur.“ (Interview mit Patricia Sellers, in: Sharatt/Kaschak (Hrsg.), Assault on the Soul, S. 75.)

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stattfanden, setzte sich die Idee eines internationalen Strafgerichts gemäß dem Nürnberg / Tokyo-Präzedenzfall dann durch.321 Aufgrund der Empfehlung des Zwischenberichtes der Expertenkommis­ sion entschied sich der Sicherheitsrat im Februar 1993, die Bedrohung des internationalen Friedens und der Sicherheit festzustellen und das Interna­ tional Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violation of International Humanitarian Law Committed in the Territory of the Former Yugoslavia since 1991322 (ICTY) einzurichten. Der Bericht enthielt außerdem den Vorschlag des ICTY-Statuts, der durch das UN Office of Legal Affairs nach Konsultationen mit Regierungen und Nichtregierungsorganisationen ausgearbeitet worden war.323 Die territoriale Zuständigkeit des ICTY umschloss das Hoheitsgebiet des ehemaligen Jugoslawiens und seine zeitliche Zuständigkeit erstreckte sich auf Verbrechen von 1991 bis zur Wiederherstellung des Friedens (Feststellung durch Entscheidung des UN-Sicherheitsrates). Sachlich war der ICTY für vier Tatbestände zuständig: schwere Verletzungen der Genfer Konven­ tionen, Verletzungen der Gesetze und Gebräuche des Krieges, Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.324 Die Einrichtung des ICTY wurde mit: „continuing reports of widespread and flagrant violation of international humanitarian law occurring within the territory of the former Yugoslavia, and especially in the Republic of Bosnia and Herzegovina, including reports of mass killings, massive, organized and systematic detention and rape of women and the continuance of the practice of ‚ethnic cleansing‘, including for the acquisition and the holding of territory“

begründet325. Der UN-SR brachte in Res. 827 (1993) zum Ausdruck, dass er die Einrichtung des Straftribunals unter repressiven aber auch präventiven Gesichtspunkten sah. Daneben erwähnte er auch die Überzeugung, dass dieser Schritt zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Frieden beitragen würde.326 Er hielt fest, dass die Arbeit des Tribunals nicht das Recht der Opfer auf Entschädigung beeinflussen würde (OP Nr. 7). Die Einrichtung 321  Nelaeva,

Romanian Journal of European Affairs 11 (2011), S. 101. Res. 808 (22. Februar 1993). 323  Report of the Secretary-General Pursuant to Paragraph 2 of the Security Council Resolution 808 (1993), UN Dok. S/25704 (3.  Mai 1993). 324  Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 28. 325  Präambel, UN-SR Res. 827 (25. Mai 1993). 326  Präambel: „[T]he establishment of an international tribunal and the prosecution of persons responsible for the above-mentioned violations of international humanitarian law will contribute to ensuring that such violations are halted and effectively re322  UN-SR



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des Tribunals zu einer Zeit, als der Konflikt noch andauerte, wurde von einigen Beobachtern als Stellungnahme des UN-SR zugunsten der zeitlichen Abfolge „justice before peace“ angesehen.327 Dagegen stellt Akhavan, der einen juristischen von einem moralischen Diskurs während den Diskussionen im UN-SR unterscheidet328, klar, dass dieser Formulierung nicht zu viel Bedeutung zugemessen werden sollte: So hätte in den Diskussionen, die zur Etablierung des ICTY führten, v. a. moralische Entrüstung, nicht aber die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und Sicherheit eine Rolle gespielt.329 Trotzdem stelle dies einen Präzedenzfall dar, dessen Bedeutung als solcher nicht unterschätzt werden solle, denn er stelle bereits eine Abkehr zum bisherigen realpolitischen Ansatz dar.330 Akhavan zeigt aber auch, dass die Komplementarität von Gerechtigkeit und Frieden von beinahe allen Mitgliedsstaaten der UN akzeptiert wurde und v. a. die Abschreckungswirkung eine wichtige Rolle in den Diskussionen spielte.331 Schon zu Zeiten der Beratung der Einsetzung des ICTY wurde die Bedeutung von Menschenrechten und humanitärem Völkerrecht im Zusammenhang mit Peacekeeping hervorgehoben.332 Das Raison d’être des ICTY war es, zur Wiederherstellung von Frieden und Sicherheit beizutragen.333 Die Expertenkommission betonte in ihrem Schlussbericht 1994, dass die Erwartungshaltung der Opfer hinsichtlich der Expertenkommission auf die Etablierung der Wahrheit und gegenüber dem ICTY auf die Schaffung von Gerechtigkeit gerichtet sei.334 In einer Fußnote erklärten sie dann die dressed“ sowie „to put an end to the crimes being committed and to take effective measures to bring to justice the persons who are responsible for them.“ (Ebd.) 327  Vgl. Hazan, Justice in the Time of War, S. 6; Akhavan, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 260; vgl. auch: „[t]here can be no peace without justice, and no peace without accountability for war crimes.“ (Joyner, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 162.) 328  „From a juridical perspective, however, the nexus between peace and justice is a legal requirement for the application of Chapter VII and not simply a moral desideratum.“ (Akhavan, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 261.) 329  Ebd., S. 262. 330  Akhavan, Duke Journal of Comparative & International Law 7 (1997), S. 327. 331  Akhavan, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 263. 332  Ebd., S. 266; Goldstone, New York University Journal International Law and Politics 28 (1996), S. 501. 333  Akhavan, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 267. 334  „It is particularly striking to note the victims’ high expectations that this Commission will establish the truth and that the International Tribunal will provide justice. All sides expect this. Thus, the conclusion is inescapable that peace in the fu-

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Grundüberzeugung der Kommission hierzu, wobei das Hauptaugenmerk auf der Prävention liege. „Establishing the truth is the best method of enhancing deterrence. In fact, early investigation of the facts, in any context of criminal activity, increases the effectiveness of future prosecution. The combination of investigation and prosecution makes deterrence more effective, thereby reducing possible violations in the future. Without effective investigations and prosecutions, the converse is true.“335

Die Kriegshandlungen wurden trotzdem fortgesetzt und konnten nur langsam eingedämmt werden. Erst im Dezember 1995 konnte mit dem sog. Dayton-Abkommen ein Friedensvertrag zwischen Bosnien-Herzegowina, Kroatien und der Bundesrepublik Jugoslawien unterzeichnet werden. Auf nationaler Ebene waren die Diskurse nach dem Ende der Konflikte und der Einrichtung des ICTY  − soweit sie verallgemeinert werden können − durch folgende Diskursmuster geprägt: Obwohl Politiker zu „Versöhnung“ aufriefen und sich öffentlich im Namen der Nation entschuldigten, wurde dies im Nachhinein vielmehr als Bestätigung einer bestimmten Art und Weise, die Geschichte unter Betonung der Kollektivschuld bzw. kollektiven Unschuld zu deuten, aufgefasst.336 Im Allgemeinen wurde festgehalten, dass das Interesse an der Stabilität das Interesse an einer wahren Versöhnung überwogen habe (genauso wie das Interesse bezüglich des Aufbaus von Institutionen das Interesse an Rule of Law).337 Neben den Enthusiasten des Völkerstrafrechts gab es auch kritische Stimmen, die daran zweifelten, dass der Gerichtshof seinen Auftrag erfüllen könne.338 Während die Befürworter des Tribunals von der Prämisse ausginture requires justice, and that justice starts with establishing the truth.“ (Bericht der Expertenkommission, UN Dok. S/1994/674 (27.  Mai 1994), Teil  V.) Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 53. 335  Bericht der Expertenkommission, Fn. 88. 336  Vgl. ausführlicher: Kirn, The ‚reconciliation‘ discourse in the post-Yugoslav context, S. 4: Das Deutungsmuster der kollektiven Schuld bzw. Verantwortlichkeit schrieb sich weiterhin in eine ethnitisierte Sichtweise ein, da sie erlaubte von „Gruppen“ zu sprechen. Hierdurch kam es, dass die Frage der Schuld an den Menschenrechtsverletzungen kollektiv diskutiert wurde, was teilweise dazu führte, dass die Schuld bzw. Unschuld der jeweils anderen Gruppe zugeschrieben wurde. In der Literatur wurde dies als „organisierte Unschuld“ bezeichnet. Andere Deutungsmuster die ähnlich aufgebaut waren: „alle waren gleichermaßen schuld“, „das Land habe schon genug gelitten“ oder „die internationale Gemeinschaft sei schuld“. 337  Ebd. 338  Für viele war das Tribunal nur ein symbolisches Zeichen und würde, sobald der Friedensvertrag geschlossen worden sei, entweder einer De-jure- oder De-factoStraflosigkeit Weg geben (vgl. D’Amato, American Journal of International Law 88 (1994), S. 500; Forsythe, Criminal Law Forum 5 (1994), S. 401, 415). Viele gingen von einem inhärenten Widerspruch zwischen Frieden und Gerechtigkeit aus (vgl.



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gen, dass keine Gerechtigkeit ohne die Verurteilung der Hauptverantwort­ lichen erreicht werden könne, sahen die Gegner den Gerichtshof als einen Ausdruck von „Siegerjustiz“ und als einen Versuch, ein Urteil über die letztendliche Verantwortung an dem Ausbruch der Konflikten zu fällen.339 Während die Befürworter v. a. mit der Verpflichtung zur Strafverfolgung argumentierten (und dass diese eine Hauptvoraussetzung für den Aufbau von Demokratie sei), kritisierten die Gegner just mangelnde demokratische Legitimierung des Tribunals, mangelnde Beteiligung nationalen Personals sowie einzelne Urteile.340 Zusammenfassend lässt sich damit sagen, dass die Schwere und Natur der Menschenrechtsverletzungen, der Bezug auf „Nürnberg“ und der Vergleich mit den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen einen fast ausschließlich völkerstrafrechtlichen Diskurs ausgelöst zu haben scheinen. Von „Transi­ tion“ spricht in diesem Zusammenhang und in der untersuchten Literatur dieser Phase niemand. Es scheint also eine Problemwahrnehmung vorgeherrscht zu haben, die klar zwischen „Transitionsproblemen“ und der Antwort der internationalen Gemeinschaft auf die schweren Verletzungen des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte im ehemaligen Jugoslawien unterschied. Es handelt sich, zu diesem Zeitpunkt, um zwei klar getrennte Diskursstränge. Allerdings findet sich hier an prominenter Stelle die Überzeugung, dass eine zukünftige Demokratie nur dann Erfolg haben könne, wenn die Strafverfolgungen durchgeführt würden (Konditionalität der Demokratie). 3. TJ-Diskurs Die Transitionsterminologie findet des beobachtenden Zeitraums findet sich in zunehmenden Maße in rechtswissenschaftlichen Artikeln. In „Dealing with Past Human Rights Violations: The Chilean Case After Dictatorship“ führt Correa, ehemaliger leitender Mitarbeiter der chilenischen Wahrheitskommission und Jurist, aus: „There can be no doubt, as already suggested, that political conditions limit a government that succeeds a dictatorship as to the kind of policies it can follow when dealing with past human rigts violations.“341 ebd., S. 503 f.). Dagegen sprachen sich andere für eine inhärente Verbindung und Interdependenz beider Begriffe aus (vgl. hierzu Goldstone, Hastings Constitutional Law Quarterly 22 (1995), S. 620). 339  Jalušič, in: Hadžić (Hrsg.), The Violent Dissolution of Yugoslavia, S. 157. 340  Ebd., 164 f. 341  Correa, Notre Dame L. Rev. 67 (1991–92), S. 1457.

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Die Transition als Rechtfertigungspunkt für die Einschränkung von Strafverfolgung wird zu einem bereits anerkannten Diskursmuster, wird aber noch nicht ausdrücklich als Problematik benannt.342 Interessant an Correas Artikel ist darüber hinaus, dass sich hier explizit bereits TJ-Diskursregeln finden: „Truth as a Lesser Alternative of Punishment“343, „Truth as a ­Starting Point for Reparation“344 und „Truth and Reconciliation“345. Daneben gibt es zahlreiche Publikationen, die die Transition zwar nicht zum Ausgangspunkt nahmen, diese aber dennoch in ihren Erwägungen als Begleitumstand berücksichtigen.346 Eine weitere Beobachtung ist, dass der Großteil der Autoren die „TJ-Dilemmata“ noch als explizit politische Dilemmata einordnen.347 Es finden sich auch Argumentationen gegen den Primat des Politischen und so gegen die These, dass diese Entscheidungen der juristischen Überprüfung entzogen seien.348 So wird z. B. explizit „Entpolitisierung“349 – unter Bezugnahme auf Kirchheimer – als Argument für einen rechtlichen Ansatz genannt.

342  „Everybody is aware of the ambiguities of transitional periods, where measures which are straight-forward form the standpoint of human rights norms, could have undesired political implications which, in turn, would affect human rights adversely.“ (Correa zitiert Zalaquett, ebd., S. 1456.) 343  Ebd., S. 1474. 344  Ebd. 345  Ebd., S. 1482. 346  Malamud-Goti, Human Rights Quarterly 12 (1990), S. 1–16; Neier, New York Review of Books 1990, S. 32–35 (nachgedruckt in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 172– 183); Crawford, Human Rights Quarterly 12 (1990), S. 17–52; Zalaquett, Hamline Law Review 13 (1990), S. 623–660. 347  „The essential dilemma is that prosecuting perpetrators might give full respect for human rights norms but could have undesired political consequences including the possibility that the new government might fall. Fulfilling the maximalist demands of victims and human rights organizations for punishment and even for revenge may not be worth the risk of a military coup.“ (Weissbrodt/Fraser, Human Rights Quarterly 14 (1992), S. 614.) 348  „As thus framed, the policy debate has tended to view the imperatives of the rule of law as somehow fundamentally at odds with political reality. This approach is unwarranted. The law itself can accommodate the constraints surrounding transitional societies while securing crucially important values. Addressing the dilemma of tenuous democracies through law assures that an appropriate balance is struck between the demands of justice and potentially conflicting values, such as political stability.“ (Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2546 f.) 349  Ebd., S. 2550.



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Die Übertragung von Erfahrungswerten auf andere Kontexte (Transnationalisierung der Fragestellung) weitet sich aus.350 Es wird die Frage gestellt, was in der Vergangenheit funktioniert hat, was nicht und was erfolgsversprechend für die Zukunft scheint.351 Die vergleichende Analyse von Wahrheitskommissionen durch Hayner zeigt diese Überzeugung deutlich.352 Die Transnationalisierungstendenzen lassen sich daneben besonders deutlich an der Besprechung von Lustrationsgesetzen (vgl. im Folgenden) erkennen. Exkurs: Auseinandersetzungen mit den Menschenrechtsverletzungen anlässlich der Transitionen der ehemaligen sozialistischen Staaten Die sog. „Revolutionen“, die 1989 / 90 zu dem Ende des Kommunismus bzw. Sozialismus in Zentral- und Osteuropa führten, waren vielfältig und komplex. Jeder Staat hatte für ihn einzigartige Rahmenbedingungen, so dass ein Vergleich schwer fällt. Einige grundlegende Gemeinsamkeiten finden sich jedoch in der Literatur, die sich mit den Transitionserfahrungen dieser Staaten auseinandersetzen: Direkt nach dem Umbruch war die Rede von der umfassenden Unternehmung der „Transformation von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“. Es handelte sich damit um ein umfangreiches Unterfangen, dass gleich zu Beginn nicht nur auf die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen reduziert wurde, sondern vielmehr in Begriffen eines „politischen Unternehmertums“ gekleidet war. Auf der politischen Agenda standen freie Wahlen, die Errichtung einer pluralistischen Demokratie, Einführung der Marktwirtschaft und die Einführung bzw. Stärkung von Rule of Law. Die Wahrnehmung dieser Transitionen im Westen folgte oft dem Deutungsschema des „langen Irrweges“ der ehemaligen Ostblockstaaten, der nun beendet sei.353 Insbesondere „Lustrationen“ wurden zum Schlagwort der Transitionen in den ehemaligen sozialistischen Staaten Osteuropas und zu einem Begriff in der Wissenschaft.354 Der Begriff geht auf das lateinische „lustro“ zurück, 350  Transnationalisierung wird hier insbesondere nicht im sozialwissenschaftlichen Sinne der grenzüberschreitenden Vergesellschaftung gebraucht (vgl. hierzu: Pries, Transnationalisierung, S. 23). 351  Malamud-Goti, Human Rights Quarterly 12 (1990), S. 10. 352  Hayner, Human Rights Quarterly 16 (1994), S. 597–655. 353  „[L]ong and tragic historical deviation which had begun in 1917.“ (Furet zitiert nach: Howard, South Texas Law Review 40 (1999), S. 679.) 354  David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 387 ff.; vgl. für einen Überblick: Novick, The Resistance Versus Vichy, S. 209 ff. Novick betont den Unterschied zwischen den Lustrationsgesetzen nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Ende des Kommunismus (Novick, The Resistance Versus Vichy, S. 209; vgl. auch Grodsky, Taiwan Journal of Democracy 5 (2009), S. 21).

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worunter man „beleuchten, hell machen; besichtigen, betrachten; mustern [mit Sühneopfer verbunden]“355 verstehen kann.356 In der Regel waren Lustrationsgesetze als Gesetze der Regelung des öffentlichen Dienstes ausgestaltet, die den Grundsatz der Lustration, dessen Prozess, den Rechtsweg und die Rechtsfolgen einer „positiven“ sowie „negativen“ Lustration regelten.357 Im Nachfolgenden werden Lustrationen im Allgemeinen und für Polen und die Tschechoslowakei im Besonderen dargestellt. Das erste Lustrationsgesetz wurde 1991 in der Tschechoslowakei erlassen, dem die Lustrationsgesetze in Litauen (ebenfalls 1992), Bulgarien (1992), Ungarn (1994), Albanien (1995) und Polen (1997) folgten, wobei Lustrationen teilweise schon vor dem Inkrafttreten der Gesetze unkontrolliert und „wild“ durchgeführt worden waren.358 Vergleicht man das erste und das letzte Lustrationsgesetz (CSSR und Polen), so zeigen sich Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede. Die Tschechoslowakei war eines der letzten Länder, die den Kommunismus überwand, dafür aber relativ gesehen eines der ersten Länder mit Lustrationsgesetz. Die kommunistische Partei hatte ihre Macht im November 1989 aufgegeben und die neue Regierung war hauptsächlich von neuen Kräften bestimmt.359 Die Mehrheit befürwortete das Lustrationsgesetz360, das einfach gehalten und breit angelegt war. Hintergrund war, dass die ehemaligen kommunistischen Funktionäre nicht freiwillig ihre Ämter niederlegen wollten und die „Politik der bedingungslosen Vergebung“ aussichtslos 355  „Lustrō“,

in: Pons, Wörterbuch Latein-Deutsch. hebt hervor, dass der Begriff auch als eine „Purifikation“ durch Opfergabe verstanden werden kann. Als die Lustrationsgesetze eingeführt wurden, betonten einige Autoren diese Bedeutung im Sinne der „Purifikation“ der staatlichen Organisationen von den kommunistischen Sünden (Boed, Columbian Journal of Transnational Law 37 (1999), S. 358). Es lassen sich unterschiedliche Verständnisse des Begriffes vor und nach der Einführung der Lustrationsgesetze unterscheiden, so verstand man z. B. in der Tschechoslowakei hierunter zunächst die Überprüfung auf Registrierung einer Person in den Geheimarchiven durch die Polizei. Nach 1989 verstand man darunter lediglich die Überprüfung einer bestimmten Gruppe, v. a. Politiker, Beamte und Richter, um zu bestimmen, ob diese Mitarbeit oder Kollaborateure bzw. Informanten der Geheimpolizei oder anderer repressiver Dienste gewesen seien ­(David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 388 f.). 357  David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 392, 418. 358  Vgl. hierzu Ellis, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 181 ff. 359  David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 390 f. 360  Erstes Lustrationsgesetz, Gesetz vom 4. Oktober 1991 (Gesetz Nr. 451/1991Sb); wurde vom Verfassungsgericht geringfügig abgeändert, aber in seiner Substanz unverändert gelassen (vgl. Report of the ILO Committee 1992, S. 32–42). Erweiterung durch das Gesetz vom 28. April 1992 (Gesetz Nr. 279/1992 Sb.) auf Polizeibeamte und Justizvollzugsangestellte und mehrmalige Verlängerung. 356  Boed



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war. Hinzu kam, dass die aus der alten Zeit „geerbten“ rechtlichen Bestimmungen Entlassungen beinahe unmöglich machten.361 Das Gesetz sah z. B. vor, dass für die Ausübung bestimmter hochrangiger Posten sowie einer Beschäftigung in der Staatsverwaltung, der Nachweis eines Zertifikats über eine mögliche Arbeit oder Kollaboration mit der Geheimpolizei erbracht werden musste. Unter Umständen musste dann der Arbeitsvertrag beendet werden oder eine andere Aufgabenzuteilung erfolgen.362 Während Polen eines der ersten Länder war, die den Kommunismus überwunden hatten, war es eines der letzten Länder, die ein Lustrationsgesetz verabschiedete (1997). Die polnische Transition war durch Verhandlungen zwischen Februar und April 1989 beschlossen worden, wobei die kommunistischen Kräfte nicht alle Macht aufgaben. Die Lustrationsdebatte begann schon damals, das Gesetz konnte aber aufgrund der Machtverhältnisse erst 1997 verabschiedet werden.363 Bis dahin herrschte eine sog. „wilde“ Lustration. Das hauptsächliche Charakteristikum des polnischen Lustrationsgesetzes war die Möglichkeit der Überprüfung von eidesstattlichen Versicherungen über eine möglichen Zusammenarbeit mit den Sicherheitsdiensten des kommunistischen Regimes für Personen, die sich für bestimmte öffentliche Positionen bewarben. Diese eidesstattlichen Versicherungen wurden dann veröffentlicht. Außerdem wurde ein besonderer Staatsanwaltsposten eingerichtet, der die Überprüfung vor einem Lustrationsgericht einleiten konnte (das Verfahren konnte auch von einem Parlamentsabgeordneten eingeleitet werden). Das Verfahren war explizit an einem Strafverfahren angelehnt. Eine Berufung gegen die Entscheidung des Gerichtes war möglich, wobei die Entscheidung dann wiederum im Regierungsblatt veröffentlicht wurde. Dabei betraf das Gesetz keine hohen kommunistische Funktionäre, sondern nur Kollaborateure. Dies wurde heftig kritisiert.364 Insbesondere das polnische Gesetz hat sich ausdrücklich von den Erfahrungen anderer postkommunistischer Staaten inspirieren lassen. Ihnen gemeinsam war, dass die Lustration als solche als Maßnahme heftig umstritten war.365 Gegner von Lustrationen brachten vor, dass es besser sei, sich auf die Transition zu konzentrieren anstatt in der Vergangenheit zu verweilen. 1989 rief der polnische Premierminister dazu auf eine „dicke Linie“ zwi361  David,

Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 391, 396. Kündigung konnte vor einem Gericht der zweiten Instanz angefochten werden (mit Revision zum Höchsten Zivilgericht (Gesetz Nr. 99/1963 Sb.10 [2]). Der Wahrheitsgehalt des Zertifikats konnte ebenfalls auf dem Zivilweg angefochten werden (Gesetz Nr. 99/1963 Sb. 247). 363  Das später verabschiedete Gesetz zeichnete sich durch einen engen Anwendungsbereich, geringe Sanktionen und ein kompliziertes Verfahren aus. 364  Horne, Law & Social Inquiry 34 (2009), S. 717. 365  Ebd., S. 714. 362  Die

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schen Vergangenheit und Gegenwart zu ziehen, um eine neue Zukunft zu ermöglichen. Man solle sich auf Versöhnung konzentrieren.366 Als polnischer Präsident sprach sich Lech Walesa gegen das Lustrationsgesetz aufgrund seiner potentiellen Auswirkungen auf die Verwaltung und die Gefahr einer „Hexenjagd“ aus.367 Auch der tschechische Präsident, Vaclav Havel, war kein Befürworter der Ausweitung der Lustration.368 Lustrationen werden als TJ-Instrument wahrgenommen, aber eben auch als menschenrechtliches Problem. „[t]he reader will soon see that we are still searching for the appropriate vocabulary with which to frame and analyze the problems of lustration. Is it a human rights issue? Or a legal question? Or one of practical politics?“369

Es fällt auf, dass in der TJ-Literatur in der Regel die Frage von „Lustration“ in Verbindung mit „Tätern“ von Menschenrechtsverletzungen verwendet wird.370 Die Diskursmuster in den Debatten um die Lustrationsgesetze unterscheiden sich v. a. im Detail, wobei die großen Linien in der Regel gleich sind: Los fasst z. B. die Debatte im polnischen Senat um das Lustrationsgesetz mit den Schlagwörtern „historische Wahrheit, minimale Gerechtigkeit und Staatssicherheit“371 zusammen. Im Vergleich hierzu konzentrierte sich die Debatte in der tschechoslowakischen Bundesversammlung auf zusätzliche drei Themen: „the protection of rights and the need to regulate the process by law, territorial integrity, and trust“372. In der Literatur werden die unterschiedlichen nationalen Vergangenheiten als Erklärung für die abweichenden Diskursmuster bemüht: Während in der Tschechoslowakei v. a. der Austausch des Personals im öffentlichen Dienst und andere Schlüsselsektoren verlangt wurde (in historischer Analogie zu den massiven „Säuberungen“ nach 1948 und 1968), wird die Betonung der nationalen Sicherheit insbesondere durch die Geschichte Polens und dessen geostrategische Lage zwischen Deutschland und Russland erklärt.373 366  Vgl. Michnik/Havel, Journal of Democracy 4 (1993), S. 21; Walicki, in: ­ cAdams (Hrsg.), Transitional Justice and the Rule of Law in New Democracies, M S. 189; Horne/Levi, in: Kornai/Rose-Ackerman (Hrsg.), Building a Trustworthy ­State in Post-Socialist Transition, S. 52–74. 367  Huyse, Law & Social Inquiry 20 (1995), S. 63; Lustration „Loses“ in Poland, in: New York Times (7. Juni 1992). 368  Michnik/Adam/Havel, Journal of Democracy 4 (1993), S. 21. 369  Siegelmann, Law and Social Inquiry 20 (1995), S. 2. 370  Grodsky, Taiwan Journal of Democracy 5 (2009), S. 24. 371  Los, Law & Social Inquiry 20 (1995), S. 117 ff. 372  Ebd. 373  David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 392.



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Hier kommen insbesondere die Deutungsmuster „Rule of Law vs. jus­ tice“, individuelle Rechte gegen kollektiven Interessen (Aufbau eines neuen Staates) und Vergeben gegen Vergessen374 zum Tragen. Dabei wird zunächst in „entweder – oder“ (sog. absolute trade-offs) diskutiert, später findet sich dann mehr und mehr eine Abwägung und differenzierende Debatte.375 Vier Punkte wurden vor allem an Lustrationsgesetzen kritisiert: Informationsprobleme, Verletzungen des „due process“, mögliche Diskriminierung in Verbindung mit der Berufsfreiheit und bürokratische Loyalitätsprobleme.376 Es wurde auch die Retroaktivität der Gesetze diskutiert,377 obwohl nur selten die nicht-strafrechtliche Natur der Gesetze berücksichtigt wurde. Die Retroaktivität der Gesetze thematisierte auch das ungarische Verfassungsgericht, das die Frage aufwarf, ob ein Verstoß gegen dieses Prinzip ein guter Start in eine neue Rechtsstaatlichkeit darstelle.378 Probleme mit den Informationen, die die geheimen Polizeiakten enthielten, und auf deren Grundlage oftmals die individuelle Lustration entschieden wurde, wurden ebenfalls diskutiert.379 Als Verletzungen des Rechts auf einen fairen Prozess wurden die fehlende Berufungsmöglichkeit und die fehlende Möglichkeit kritisiert, die als „geheim“ eingestuften Informationen zu entkräften. Auch wurde kritisiert, dass es oftmals nicht zu einer Entscheidung auf Einzelfallbasis kam, sondern es sich vielmehr um eine kollektive „Bestrafung“ handele.380 Insbesondere der Aspekt der Diskriminierung bezüglich der Berufsfreiheit und die Legitimität des Kriteriums der „Loyalität“ wurden von internationalen Gremien diskutiert.381 Auch internationale Gremien befassten sich mit den Lustrationsgesetzen unter dem Gesichtspunkt der Verletzung menschenrechtlicher bzw. arbeitsrechtlicher Standards.382 Da der Ansatz in der Region uneinheitlich war, 374  Michnik/Vaclav, 375  Horne, 376  Ebd.

Journal of Democracy 4 (1993), S. 20 ff. Law & Social Inquiry 34 (2009), S. 717.

z. B. David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 392. hierzu Ursachi, in: Dvořáková/Milardović (Hrsg.), Lustration and Consolidation of Democracy and the Rule of Law in Central and Eastern Europe, S.  67 ff.; Boed, Columbia Journal of Transitional Law 37 (1999), S. 357 ff. 379  Horne, Law & Social Inquiry 34 (2009), S. 718. 380  Ellis, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 182. 381  Das Expertenkomitee der ILO beurteilte die Beschwerden vor dem Hintergrund der ILO Konvention Nr. 111 (C111) und der Empfehlung Nr. 111. (R111). Dabei hatte das Komitee die Gelegenheit sich zu dem tschechischen Gesetz aus dem Jahr 1991 zu äußern (vgl. Bericht des ILO Expertenkomitees, 1996, § 196). 382  Insbesondere der EGMR und das Expertengremium der ILO hatten Individualbeschwerden beschieden und für die Beschwerdeführer entschieden (Horne, Law & Social Inquiry 34 (2009), S. 714). 377  Vgl. 378  Vgl.

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waren die Entscheidungen internationaler Gremien als Richtlinien von einiger Bedeutung für die jeweiligen Staaten.383 In den Fällen, die vor das Expertenkomitee der ILO kamen384, wurden die Entscheidungen des internationalen Gremiums oftmals von nationalen politischen Kräften als Argumentationshilfen benutzt, um ihre Position zu stärken.385 Die Ziele der Lustrationen waren in der Regel die Entfernung der kommunistischen Elemente  – auch der Geheimdienste bzw. -polizei ‒ aus der Staatsverwaltung und die Eröffnung dieser Posten für Personen, die vormals aufgrund ihrer politischen Überzeugung hiervon ausgeschlossen waren. Ein weiterer Grund war, dass Schlüsselpositionen nicht von Personen ausgefüllt werden sollten, die für die systematischen Menschenrechtsverletzungen des ehemaligen Systems mitverantwortlich waren. Dabei wurde dies als „minimale Gerechtigkeit“ im Gegensatz zur „vollständigen“ (im Sinne von strafrechtlich verstandenen) Gerechtigkeit aufgefasst. Für und gegen Lustrationen wurden moralische Argumente ins Spiel gebracht. Menschenrechtliche Argumente (Recht der ehemaligen Dissidenten auf die Eröffnung des Rechtswegs und Berufsfreiheit der Betroffenen sowie das Diskriminierungsverbot) wurden diskutiert. Das Sicherheitsargument wurde jetzt als Argument für die Lustration verwendet: So würde das Belassen der kommunistischen Elemente im Staatsapparat die Transition aufgrund der subversiven Tätigkeiten gefährden.386 Insbesondere die Etablierung der „Wahrheit“ wurde oft als Ziel der Lustration genannt. Die 383  Horne,

Law & Social Inquiry 34 (2009), S. 715. Examination of Individual Case Concerning Convention No. 111 (gegen Bulgarien, 77. Sitzung der Internationale Arbeitskonferenz, 1990); Decision on Screening Law Czech and Slovak Federal Republic (Vol. LXXV, 1992, Series B, Supplement 1); Individual Observation Concerning Convention No. 111 (Bulgarien, 80. Sitzung der Internationalen Arbeitskonferenz). 385  Manche Regierungen missachteten die Entscheidungen, manche benutzten sie als Rechtfertigung dafür, insgesamt keine Reformen durchzuführen (Horne, Law & Social Inquiry 34 (2009), S. 728, 730). In manchen nationalen Entscheidungen wird von den Organen die Entscheidung für ein Lustrationsgesetz als „act of symbolic or moral politics“ bezeichnet. Manche Beobachter wollen hierin einen „highly nuanced, historically situated understanding of justice concerns“ sehen, das den Staaten das Recht einräumt, zu bestimmen, was fair und angemessen im Lichte des Staatenaufbaus nach dem Ende des Kommunismus sei. Dabei wird insbesondere das Recht, eine eigene Deutung der Vergangenheit (Narrative) zu entwickeln, in manchen natio­ nalen Urteilen betont. Die Gerichte bezogen sich dabei auf Nürnberg um die Entscheidungen zu kontexualisieren und die „außergewöhnliche“ und „fragile“ Situation zu erklären. Horne schlußfolgert hieraus: „Substantial leeway may be extended early in the transition; however, ultimately a period of extraordinary politics must be temporary. The goals of good governance and democratic consolidation cannot be met by the continual derogation of individual rights.“ (Ebd.) 386  David, Law & Social Inquiry 28 (2003), S. 393 ff. 384  ILO,



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„Wahrheitssuche“ wurde so eng mit dem Recht auf Zugang zu Informa­ tionen verbunden.387 Inwieweit eine „retributive“ Motivation die Lustrationen motivierte, war und ist umstritten: Die jeweiligen Prozesse wurden als politisch motiviert kritisiert.388 Andere geben zu bedenken, dass Lustrationen durchaus ihr Ziel im Prinzip der Verantwortlichekit, der Restitution und der Rehabilitation haben könnten.389 Teitel bemerkt zu diesen Diskursen, dass oft ein ironischer Unterton geherrscht habe, in denen es weniger um die Individuen als vielmehr um die Strategie als solche gegangen wäre.390 Es finden sich einerseits Beispiele einer klaren Trennung der Disziplinen391; andererseits aber auch Beispiele für eine Berücksichtigung anderer disziplinärer Erkenntnisinteressen in rechtswissenschaftlichen Behandlungen des Themas.392 4. Politikwissenschaftlicher Ansatz 1993 publiziert Huntington sein Werk „The Third Wave: Democratization in the Late Twentieth Century“. Huntington beschäftigt sich auch mit der Frage der Strafverfolgungen und der Gewährung von Amnestien. Er stellt die Argumente für und gegen Strafverfolgungen dar und hält dann aber fest, dass sich in der Praxis der Primat der Politik durchgesetzt hätte.393 Er gibt darüber hin387  „The truth must be revealed. But is it always a superior value? Are the archives reliable? Could we uncritically trust reports written by agents of Stasi? Is their testimony sufficient to condemn other people?“ (Ebd., S. 404 f.) 388  Ellis, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 196. 389  Ebd. 390  „Those prosecuted (or purged) simply happen to have been in a given place and moment in time, so that they could serve a role in the legal processes; the apparent role is that of the sacrificed.“ (Teitel, Transitional Justice, S. 112.) 391  Artikel von Van Dyke und Berkley (Rechtswissenschaftler und Geschichtswissenschaftler), in der der geschichtswissenschaftliche Teil („What has actually happened?“) keine rechtswissenschaftlichen Aussagen macht und vice versa (Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 247 ff.). 392  Correa [Juraprofessor], Notre Dame L. Rev. 67 (1991–92), S. 1474: „I will consider now the importance of publicly disclosing an official truth, and its impact on the goals of prevention, compensation, and reconciliation, the three issues considered by the democratic government as the basic moral obligations that it could not compromise.“ 393  „[I]n actual practice what happened was little affected by moral and legal considerations. It was shaped almost exclusively by politics, by the nature of the democratization process, and by the distribution of political power during and after the transition. In the end, the working of politics in the third wave countries undermined the efforts to prosecute and punish authoritarian criminals.“ (Huntington, The Third Wave, S. 125.)

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aus auch Richtlinen für Demokratiebefürworter, die sich mit den Verbrechen autoritärer Regime beschäftigen, wobei er klar von Strafverfolgungen abrät.394 Diese extreme Haltung ist selten. In den meisten Publikationen mit rein politikwissenschaftlichem Ansatz395 finden Strafverfolgungen durchaus ihren Platz, so z. B. der Artikel „Military Power, Impunity and State-Society Change in Latin America“, in dem der Autor das Problem der Straflosigkeit unter dem Gesichtspunkt der Wahl der politischen Eliten in der Transitionsphase sieht.396 Danach untersucht er, wie auch in seinem nachfolgenden Artikel, in welchem Verhältnis strukturelle Straflosigkeit zu militärischen Strukturen steht und wie sich dies auf die Transition auswirkt.397 394  „[..R]ecognize that on the issue of ‚prosecute and punish vs. forgive and forget‘, each alternative presents grave problems, and that the least unsatisfactory course may well be: do not prosecute, do not punish, do not forgive, and, above all, do not forget.“ (Ebd., S. 231.) 395  Es findet sich sogar die explizite Unterscheidung des damaligen Diskurses in zwei Kategorien: ein Diskurs der „international lawyers“ und der Politikwissenschaftler; vgl. ähnlich auch Benomar, Journal of Democracy 4 (1993), S. 4.): „While many international lawyers reject impunity, a current in political science echoes this approach, arguing that cautious and conciliatory steps must be taken in order not to upset the military and dominant economic sectors and insure the transition.“ ­(McSherry/Molina Mejia, Social Justice 49 (1992), S. 22.) 396  „[T]he new civilian regimes were faced with profound choices at the moment of transition and beyond, choices which would shape the limits and possibilities of their societies and polities in the future. Decisions to allow impunity have farreaching ramifications vis-à-vis the possibility of implanting democratic values such as justice, respect for the Rule of Law and civilian supremacy in new regimes and the constructing of institutions to sustain them.“ (McSherry, Canadian Journal of Political Science 25 (1992), S. 464.) Ähnlich auch der Ansatz von McSherry und Molina Mejia, die sich mit Straflosigkeit in Guatemala beschäftigen: Die Autoren unterscheiden strukturelle Straflosigkeit („mechanisms and structures, institutionalized and legalized in the state, that serve to protect those who abuse state power – a judicial system of military courts“), strategische Straflosigkeit („active measures taken by state officials at specific moments, whether laws, decrees, amnesties, or pardons, to derail processes of demands for truth and justice“) und politisch-psychologische Straflosigkeit („resulting from state terror, by which political options in a polity are restricted and controlled through the state’s manipulation of fear in the population; citizens’ fear of state terror is exploited to maintain the status quo“). Diese letzte Kategorie von politisch-psychologischer Straflosigkeit wird mit Transitionen in Verbindung gebracht: „The political/psychological dimension of impunity is perhaps the most poignant and tragic of all aspects of impunity, for it serves to truncate the aspirations and possibilities imagined by the affected populations, thus shaping the political environment of a country. If people believe there can be no justice, they resign themselves to political realities, adapt, and adjust in order to survive. The limits of ‚democratization‘ are thus imposed by the military, whose freedom of action is insured by the impunity it enjoys.“ (McSherry/Molina Mejia, Social Justice 49 (1992), S. 14.) 397  McSherry, Canadian Journal of Political Science 25 (1992), S. 477.



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Daneben gibt es auch Publikationen wie die von Hayner398, die in einem vergleichenden Ansatz die Funktionsweisen und den Erfolg bzw. den Einfluss von Wahrheitskommissionen untersucht. Dabei ist die transnationale Fragestellung prägend für die Publikation, d. h. was kann von anderen Staaten von dieser Erfahrung gelernt werden.399 Hayners Verdienst ist es, eine erste Definition dieses TJ-Instruments erarbeitet und – neben den Wahrheitskommissionen El Salvadors, Chiles und Argentiniens – andere weniger bekannte in die Literatur eingebracht zu haben.400 Sie betont den Unterschied zur rechtlichen Maßnahme der Strafverfolgung und bezeichnet die Einsetzung einer Wahrheitskommission als „Truth Phase“ (gegenüber der „Justice Phase“).401 Die Autorin betont neben der Wahrheitsfunktion v. a. die Bedeutung von Wahrheitskommissionen für die Prävention von zukünftigen Menschenrechtsverletzungen, von gesellschaftlicher Versöhnung und nimmt auch zu dem – von Menschenrechtsaktivisten zu diesem Zeitpunkt vehement eingeforderten – Recht auf Wahrheit Stellung.402 Interessant ist, dass die Autorin schon 1994 mit folgendem Satz schließt: „Establishing a truth commission is only one of the steps necessary in order to move a nation towards peaceful reconciliation and respect for human rights.“403 Damit wird deutlich, dass schon damals zumindest vereinzelt die Überzeugung herrschte, dass es ein gewisses Instrumentarium von TJ-Mechanismen gibt, die sich komplementieren und nicht alternativ zu sehen sind. Eine weitere Publikation, die in Phase 2 als einflussreich eingeordnet wurde und einen politikwissenschaftlichen Ansatz vertritt, ist der Artikel von Lee zu „Transitional Politics of Korea, 1987–1992: Activation of the Civil Society“404, der – wie der Titel schon andeutet – die Rolle der sich formenden Zivilgesellschaft in der Transition Koreas behandelt. Darüber hinausgehend ist aber nicht zu erkennen, warum dieser Artikel als besonders einflussreich eingeordnet wurde, da er weder neue Argumentationsmuster noch einen neuen Ansatz erkennen lässt. Einen eher soziologischen Ansatz vertritt Perelli, wenn sie die Narrationen und Strategien der Hauptakteure in der Vergangenheitsbewältigung bzw. des Transitionsprozesses in Argentinien aufzeigt.405 398  Hayner,

Human Rights Quaterly 16 (1994), S. 597 ff. S. 598. 400  Ebd., S. 599. Sie erklärt auch, dass das Beispiel El Salvador stark von den Vorgängermodellen in Chile und Argentinien beeinflusst wurde. 401  Ebd., S. 605. 402  Ebd., S.  609 ff. 403  Ebd., S. 655. 404  Lee, Pacific Affairs 66 (1993), S. 351 ff. 405  „[..T]here was not much space left for dialogue, negotiation and reconciliation, among the actors involved. At the end of the process, there is a military insti399  Ebd.,

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5. Sozialpsychologischer Ansatz Ein Beispiel für den sozialpsychologischen Ansatz, der für multidisziplinäres Arbeiten plädiert, kann in dem Artikel „Therapy with Victims of Political Repression in Chile: The Challenge of Social Reparation“ gefunden werden.406 Der Ansatz betont, dass eine traditionelle psychologische Behandlung der Pathologie von Opfern systematischer Menschenrechtsverletzungen nicht gerecht werden könne. Auch eine rein politische Lösung des Problems würde die psychotherapeutischen Bedürfnisse der Opfer außer Acht lassen.407 Dabei wird betont, wie wichtig der soziopolitische Kontext bei der Behandlung sei.408 Die Autoren stellen auch klar, dass der Begriff der „Reparations“ unterschiedlich von (Sozial-)Psychologen und Juristen verstanden würde, dass beide Begriffe jedoch für eine vollständige Versöhnung und Heilung zusammengehören.409 Sie weisen auf eine Doppelbedeutung des Begriffes in den aktuellen Diskussionen hin.410

tution almost destroyed by internal divisions but strong enough to defend itself form any external – i. e., societal – enemy. There is a disabused and sceptical society that does however hail any saviour when it sees its comfort or its life threatened. There are organizations of good and courageous people who began defending common human rights and values but who were forced into partisan politics and radical discourse by a no-win strategy.“ (Perelli, Social Research 59 (1992), S. 451.) 406  Becker/Lira/Castillo/Gomez/Kovalsky, Journal of Social Issues 46 (1990), S.  133 ff. 407  „[… U]nique understanding of the suffering of our patients. Their ‚pathology‘ could neither be explained no treated within a typical psychiatric or psychological frame of reference. Yet a purely political understanding of their problems would have meant ignoring the severe individual symptoms we confronted. This led us to develop an approach that integrates both the subjective and sociopolitical dimensions in psychotherapy as well as in macrosocial analysis.“ (Becker/Lira/Castillo/Gomez/Kovalsky, Journal of Social Issues 46 (1990), S. 133 ff.) 408  „Psychotherapeutic assistance to victims is an indispensable response to the immediate needs of victims, but we argue that to be effective it must be elaborated beyond the subjective sphere, charging the social order with responsibility for repair­ing the damage. The primary challenge to the therapist, in fact, is to maintain the link between psychotherapeutic work and the sociopolitical phenomena in which the symptoms are rooted.“ (Ebd., S. 141.) 409  „The term reparation has a double meaning. First, it is a psychoanalytic concept … that is used to explain the interpsychic process of repair. But it is also a legal term used, for example, in connection with economic compensation after a war. This double meaning is significant because repair in the psychoanalytic sense must occur at both the individual and social levels but it can only take place fully if it is linked to reparation in the legal sense – that is, with truth and justice for the victim and compensation where it is helpful.“ (Ebd., S. 147.) 410  „Social reparation is thus simultaneously a sociopolitical and a psychological process. It aims to establish the truth of political repression and demands justice for



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6. Wissenschaftliche Konferenzen Als Beispiel für eine vornehmlich wissenschaftliche Konferenz, die dann zu einer Sonderausgabe einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift geführt hat, kann das Symposium „Crime and Punishment: Accountability for State Sponsored Mass Murder“ der New York Law School 1990 dienen. Die Beiträge zum Symposium von u. a. Ruti Teitel, Benjamin B. Ferencz und Luis Moreno Ocampo wurden im New York Law School Journal of International & Comparative Law411 veröffentlicht.412 Das Symposium machte sich zur Aufgabe, das Prinzip der Verantwortlichkeit für staatlichen Massenmord und rechtliche Antworten von einer rechtsvergleichenden und historischen Perspektive aus zu beleuchten.413 Die Transition wird hier zentral zum Aufhänger414, allerdings fehlt der Schritt, die „Gerechtigkeit“ in Transitions­ perioden als außergewöhnlich zu bezeichnen. Teitel spricht von „Accountability“ und „Human Rights Violations“ und „Transition“, aber das Exzeptionalitätsargument ist noch nicht zu erkennen.415 Ferencz Beitrag ist ein völkerstrafrechtlicher, in dem er die Nürnberger Prozesse als Ausgangspunkt nimmt. Seine Frage lautet: „What is justice and what is the law in the area of accountability for state-sponsored mass murder?“416. Den VelásquezRodríguez-Fall bezeichnet er als „milestone for human rights“417. Griebels Beitrag vertritt einen strafrechtlichen Ansatz und fragt nicht nach den politischen Implikationen der Strafverfolgungspolitik.418 Ocampos Beitrag zieht die Parallele zwischen der Aufarbeitungssituation in Argentinien und the victims of systematic human rights violations, both through the judicial process and through the availability of health and mental health services.“ (Ebd., S. 147.) 411  New York Law School Journal of International & Comparative Law 11 (1990), S.  323 ff. 412  Andere Teilnehmer waren: Roberto Garraton Merino, Kenneth Anderson, Felipe Michelini, Alejandro M. Garro. Das Symposium brachte einen ehemaligen Ankläger der Nürnberger Prozesse, einen deutschen Staatsanwalt, der sich mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit beschäftigte, einen argentinischen Staatsanwalt, der sich mit der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen unter der Militärjunta sowie lateinamerikanische Menschenrechtsaktivisten aus Uruguay, Chile und Argentinien und Kanada zusammen. 413  Teitel, NY Law School Journal of International and Comparative Law 11 (1990), S. 323. 414  „The transition from military regimes to democratically elected governments has been one of the main tasks of the new democracies.“ (Ebd., S. 323 f.) 415  Ebd., S.  323 f. 416  Ferencz, NY Law School Journal of International and Comparative Law 11 (1990), S. 325. 417  Ebd. 418  Griebel, NY Law School Journal of International and Comparative Law 11 (1990), S.  327 ff.

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Deutschland nach dem 2. Weltkrieg.419 Als rechtliche Unterschiede nennt er die Anwendung von internationalem gegenüber der Anwendung von nationalem Recht.420 Die die Transitionssituation kennzeichnenden Dilemmata werden von ihm klar auf politischer Ebene eingeordnet.421 Die nachfolgende Podiumsdiskussion beschäftigte sich v. a. mit rechtssoziologischen und kriminologischen Fragen sowie nicht-rechtlichen Maßnahmen. Rechtsdogmatische Fragestellungen wurden am Rande diskutiert.422 Dabei tritt der TJ-Ansatz schon klar hervor: „Admittedly, the question about what should be done about the killers and torturers cannot be reduced to an examination of existing international legal obligations. One must acknowledge at the outset the complex moral and political dimensions of the problem. Pardoning the unforgivable can the authors of serious human rights violations is highly questionable, especially when such violations conform to a pattern of systematic state-sponsored mass murder. Yet the imperatives of ‚national reconciliation‘ and the need to forge constructive civil / military relations have been invoked by governments as a political justification to waive prosecution of death-squad killers and sadistic torturers.“423 419  „The chief parallel between the trials conducted in Argentina and Nuremberg is the massive nature of the crimes that occasioned both trials. Another parallel is the disquieting degree of complicity among state officials in both Germany and Argentina that made possible the crimes committed in those countries. Parallels notwithstanding, the trials in Argentina differ in certain legal and political respects from Nuremberg. Some very important political differences are that in Nuremberg the defendants had no weapons; they had no power; and backing the judges and the prosecutors were four victorious armies. By contrast, during the trials that were carried out in Argentina, our army was the same army that we were judging.“ (Ocampo, NY Law School Journal of International and Comparative Law 11 (1990), S. 357.) 420  Ebd. 421  „While the military upheavals cloud this purpose [goals of the Argentine trials, Anm.d. Verf.], they are useful to help us understand the difficulties involved in implementing democratic systems. The world is witnessing, in Eastern Europe, Latin America and other places, totalitarian systems that are changing into democratic systems. The change, however, is not easy and it cannot be done in one day.“ (Ebd., S. 359.) 422  „What did people seek to achieve in the countries where there were trials? What did the trials accomplish? What are the differences between these concepts? What does it mean not to punish? What are the mechanisms other than legal responses? What are the non-national legal responses? […] What have been the reasons for the non-punishment, for the declarations of amnesty? […] What does it mean to have limits on punishment; are those de facto amnesties? What are, if any, acceptable limits on the punishment of such large crimes? […] What are the objectives that the criminal justice system sought to achieve? […] Lastly, with respect to issues of truth and fact-finding, are there other ways to establish histories, facts, records of what went on?“ (Panel Discussion, NY Law School Journal of International and Comparative Law 11 (1990), S. 361, 376, 383.) 423  Ebd.



II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994219

Auch Ocampo umreißt das Dilemma klar: „[…] the question of morality and right are mixed with issues of law. Questions of power are very thorny indeed because it is very difficult to discuss power when one side has it and the other does not.“424

Und Anderson hält fest: „[…] pragmatic judgment being made in relation to power instead of pretending that it is a process of national reconciliation, as if one has power that one does not have.“425

Bezüglich der rechtlichen Standards, die für Nachfolgeregierungen gelten, stellt Garro fest: „there is no consensus at the present time about the precise limitations of a government’s policy toward past abuses, international law already imposes some constraints on a government’s discretion as it relates to the punishment of egregious human rights violations.“426

Er verweist auf die Artikel von Orentlicher und Roht-Arriaza. Weiterhin führt er aus: „In my view, the long-term goal of promoting consolidation of a democratic transition is better served by relying on the prudent judgement of the courts of law, even at the cost of risking the destabilizing effects allegedly associated with prosecutions […].“427

Auch die Rechte der Opfer wurden erwähnt.428 Diese Konferenz zeigt ein Problembewusstsein, dass aber noch von der „traditionellen“ rechtswissenschaftlichen Perspektive geprägt ist. Die Exzeptionalitätsthese ist noch nicht vorhanden, obwohl die faktische Exzeptionalität des Kontexts diskutiert wird. Auf dieser Konferenz waren sowohl ein menschenrechtlicher als auch ein völkerstrafrechtlicher Diskurs vertreten; politikwissenschaftliche Ansätze dagegen nicht. Als Beispiel für Konferenzen aus dieser Phase, die sich ganz dem „Transitionsdiskurs“ verschreiben, können folgende gelten: Justice in Times of Transition (1992) und Dealing with the Past (1994). Die Konferenz „Justice in Times of Transition“ der Charter 77 Foundation stellt den Beginn des „Projektes über Gerechtigkeit in Zeiten der Transition“ dar und fand im März 1992 in Salzburg statt. Die Konferenz brach424  Ebd.,

S. 383. S. 385. 426  Ebd., S. 369. 427  Ebd., S. 380. 428  „[T]he very purpose of the modern international law of human rights is to ensure individual victims that their rights will be vindicated.“ (Ebd., S. 381.) 425  Ebd.,

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te ungefähr 40 Individuen zusammen, darunter v. a. Entscheidungsträger aus dem ehemaligen Osteuropa und der früheren Sowjetunion sowie andere erfahrene Politiker, Menschenrechtsexperten, Völkerrechtler (z. B. Teitel und Orentlicher), Sozialwissenschaftler (z. B. Huntington) und Politiker aus Lateinamerika (z.  B. Alfonsín und Malamud Goti) und Westeuropa sowie Journalisten aus den USA (z. B. Weschler).429 Es wurde keine Publikation als Ergebnis dieser Konferenz herausgegeben; vielmehr existiert ein kurzer Konferenzbericht, der die Diskussionen zusammenfasst und die Hauptargumente wiedergibt. In dem kurzen Bericht findet sich auch erstmals der Begriff „Transitional Justice“.430 Da der Konferenzbericht jedoch nicht datiert ist, ist unklar, ob dieser Begriff bereits 1992 verwandt wurde. Ziel der Konferenz waren die Identifikation und Möglichkeiten des Umgangs mit wichtigen juristischen, politischen und moralischen Inhalten, denen sich die post-kommunistischen Staaten gegenübersahen, insbesondere Lustrationen, der Umgang mit den Archiven der Staatssicherheit und einer psychologisch gesunde Vergangenheitsbewältigung unter Wahrung rechtsstaatlicher Standards. Dabei spielte der Gedanke des Lernens von anderen Transitionen v. a. in Südamerika eine überragende Rolle.431 Interessanterweise werden die internationalen Verpflichtungen von Staaten hinsichtlich vergangener Menschenrechtsverletzungen wie folgt eingeführt: „Should international law address issues of transitional justice or leave it to each society?“432 Dies zeigt, dass die dominante Dichotomie dieser Konferenz v. a. die Frage nach dem Verhältnis von Politik und Recht war. Interessanterweise endet der Konferenzbericht mit dem Bemerkung: „[T]he Rule of Law should take precedence over political justice.“433 Neben Erfahrungsberichten führender Politiker zeigt der Konferenzbericht eine Zweiteilung der Diskussion in „Acknowledgment“ und „Account­ ability“.434 Der Hauptinitiator der Konferenz betont, dass zu Beginn der Konferenz die Überzeugung dominierte, dass ein Lernen von anderen Erfahrungen nicht 429  Es handelt sich um die zweite der von Arthur als besonders einflussreich eingeordneten Konferenz, vgl. Teil 1, I. 2. 430  „Together the group explored the moral, legal and political dimensions of transitional justice, seeking lessons from the past and present experiences of countries which have already attempted to address these issues.“ (Albon, The Project on Justice in Times of Transition, S. 1.) 431  Albon, The Project on Justice in Times of Transition, S. 1; Phillips, in: Stout (Hrsg.), The New Humanitarians, Bd. 3, S. 10. 432  Ebd., S. 47. 433  Ebd., S. 18. 434  Ebd., S. 1.



II. Im Vorfeld der Konstituierung: 1990–1994221

möglich sei, da sich die Länder so fundamental voneinander unterscheiden würden. Diese Grundstimmung soll sich dann aber während der Konferenz grundlegend geändert und so den Weg für die Methodologie der „Shared Experiences“ bereitet haben.435 Auch wurde während der Konferenz ein „more flexible approach to justice evident in Latin America, where many sectors of society  – not just the legal system  − have been involved in efforts to reveal the truth about past crimes“436

gefordert – mit Verweis auf die chilenische Wahrheits- und Versöhnungskommission. Die Grundannahme des Projektes „Justice in Times of Transition“ („that people can learn from the experiences of others“437) wurde damit zur Überzeugung der Konferenzteilnehmer.438 Die zweite – auch von Arthur als wichtig identifizierte – Konferenz, die 54 Teilnehmer besuchten439, war die 1994 organisierte Veranstaltung des Insti­ tute for Democracy in South Africa mit dem Titel „Dealing with the Past“. 435  „Some specific recommendations emerged, such as the creation of national truth and reconciliation commissions modelled on those of Argentina and Chile, as well as guidelines based on democratic principles to govern the disqualification and prosecution of ex-communist officials and collaborators with the former regime, and guidance on handling state security files of the communist intelligence services. At a more philosophical level, the group agreed that in any transition to democracy, the rule of law should take precedence over political justice, but the victims of the previous regime must not be brushed aside or forgotten. The poisonous legacies of the past must not be swept under the rug, but must be openly confronted and defused by the new government and by society at large.“ (Phillips, in: Stout (Hrsg.), The New Humanitarians, Bd. 3, S. 10.) 436  Albon, The Project on Justice in Times of Transition, S. 19. 437  Phillips, in: Stout (Hrsg.), The New Humanitarians III, S. 3. Phillips schildert auch, dass am ersten Tag der Konferenz die Teilnehmer davon überzeugt gewesen wären, dass ihre nationale Erfahrung einzigartig sei und, dass es nur wenig zu teilen und zu lernen gäbe. Am folgenden Tag hätte sich diese Ansicht jedoch grundlegend geändert (ebd., S. 10). 438  „Afterwards, many of the participants told me how personally transformative the Salzburg conference on Justice in Times of Transition had been for them. The East Europeans found new perspectives and new ways of thinking, and they left feeling hopeful that they could find solutions to their countries’ most complicated challenges, now that they knew other countries had succeeded in doing so in the past. They took inspiration from those examples, and were keen to share what they had learned with their colleagues at home. And in the years to come, many participants in the Salzburg conference (and in subsequent Project initiatives) were eager to share their countries’ experiences with other countries, such as South Africa, Nicaragua and Northern Ireland, as they faced their own complex transitions.“ (Ebd., S. 10.) 439  Unter den Teilnehmern befanden sich: Alex Boraine, Richter Richard Goldstone, Juan Méndez, Aryeh Neier, Albie Sachs, van Zyl Slabbert, Lawrence Weschler, José Zalaquett (vgl. für Teilnehmerliste, ebd., S. 159).

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Das Vorwort ordnet den Konferenzbericht in das südafrikanische Ringen um eine adäquate Antwort auf die Apartheid ein. Der Konferenzbericht endet mit der Empfehlung der Einsetzung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission.440 Dabei war wiederum die Idee des Lernens von den Erfahrungen anderer bestimmend für die Konzeption der Konferenz.441 In seiner Einleitung definiert Boraine die TJ-Dilematta wie folgt: „How do emerging democracies deal with past violations of human rights? In particular, how do new democratic governments deal with leaders and individuals who were responsible for disappearances, death squads, psychological and physical torture and other violations of human rights?“442

In seiner Einführung wird bereits klar, dass er Strafverfolgungen im süd­ afrikanischen Kontext für kritisch befindet. Er stützt sich hierbei v. a. auf das Stabilitätsargument und das Gefährdungsargument.443 Boraine legt den Fokus vielmehr auf das „Heilen“ der Gesellschaft.444 Der Konferenzbericht macht deutlich, dass die damalige Diskussion um Strafverfolgungen von zwei Vertretern jeweils stark unterschiedlicher Ansätze geführt wurde: Neier als Menschenrechtsaktivist, der sich gegen utilitaristische Argumente (und Berücksichtigung politischer Erwägungen) aussprach und im Grundsatz die Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen forderte, und Zalaquett, der politischen Erwägungen den Vorrang gab („pragmatischer Ansatz“).445 In dem nachfolgenden Konferenzbericht wird klar, dass es verschiedene Diskussionsebenen gab: eine moralische, politische, juristische und theologische. Boraine beschreibt die TJ-Problematik als „new problem in the field of human rights“ dessen Ursprung er auf Osteuropa festlegt.446 Er beschreibt, wie die Problemwahrnehmung sich zuerst auf Osteuropa konzentrierte und dies dann als eine singuläre und klar umrissene Fragestellung wahrgenom440  Boraine,

in: ders. u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. 153. in: Boraine u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. viii. 442  Boraine, in: ders. u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. ix. 443  „Even an honest attempt to deal with the past could deteriorate into a mere focus on revenge or become a witch-hunt“ sowie „The focus on past violations runs the risk of being counter-productive and, instead of healing, could actually cause fresh wounds and cleavages in an already deeply divided society.“ (Boraine, in: ders. u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. xiv.) 444  „It is important to ask whether it is possible for the healing process to really begin in South Africa without dealing with past violations of human rights.“ (Bo­ raine, in: Boraine u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. xv.) 445  Vgl. Neier und Zalaquett, in: Boraine u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S.  101 f. 446  Boraine u. a. (Hrsg.), Dealing with the past, S. ix. 441  Asmal,



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men wurde. Erst in einem zweiten Schritt, so Boraine, erkannten südafrikanische Menschenrechtsaktivisten, dass die Erfahrungen in Osteuropa und in Südamerika auf die eigene Situation angewandt werden könnten. Er beschreibt des Weiteren den Einfluss den der Kontakt mit dem Project for Justice in Times of Transition sowie Gespräche mit Aryeh Neier, früherer HRW Executive Director, auf die eigene Konzeptualisierung der Konferenz in Südafrika hatten.447 Neben Menschenrechtlern und Menschenrechtsaktivisten sowie Verfassungsrechtlern beteiligte Boraine, selbst Theologe, auch Experten in Theologie und Ethik sowie Soziologie bei den Vorbereitungen der Konferenz, die den „demand[s] for truth and justice“ vollumfängliche Folge tragen sollten. Teilnehmer an der Konferenz umfassten politische Entscheidungsträger aus Mittel- und Osteuropa sowie Südamerika wie auch Wissenschaftler (z. B. Menschenrechte, Verfassungsrecht, Politikwissenschaften, Soziologie), Menschenrechtsaktivisten, ehemalige politische Häftlinge, Anwälte, Kleriker, Journalisten, Ärzte u. a.448 Drei Punkte fallen in Bezug auf den Konferenzbericht auf: Erstens, der im Vergleich zu früheren Konferenzen breitere und holistischere Ansatz, der sich z. B. in der Aufteilung des Konferenzberichtes in Abschnitte wie „Anerkennung, Wahrheit und Gerechtigkeit“, „Versöhnung und Amnestie“, „Staatssicherheitsakten und Disqualifizierung“, und „Strafverfolgung: wer und für was?“ zeigt.449 Insbesondere ist zu bemerken, dass Amnestien hier nicht mehr im Sinne von „Gerechtigkeit vs. Frieden“ diskutiert werden, sondern insbesondere in dem positiven Licht der Versöhnung verstanden werden.450 Ein zweiter Punkt ist die dominante Stellung des theologischen bzw. des ethisch / moralischen Ansatzes.451 Michael Lapsley, Kleriker, illustriert die Bedeutung der theologischen Debatte in Südafrika um Fragen der Vergangenheitsbewältigung, insbesondere Fragen um eine Amnestie: 447  Die Konferenz und die Publikation des Konferenzberichts wurden finanziell durch die Soros-Stiftung unterstützt. 448  Ebd., S.  156 ff. 449  Diese Perspektive zeigt sich auch darin, wie Boraine das Problem umschreibt: „It was important for the country to build a new future and therefore to bury the past with all its unhappiness and hurt.“ (Ebd., S. xi – xiv.) 450  Vgl. z. B. Beitrag von Zalaquett („One should begin by reconciling oneself to the idea that amnesties are possible“, ebd. S. 11). 451  Eine interessante Beobachtung zur Relativität der Behauptungen bezüglich Gerechtigkeit, Reparation und dem Heilungsprozess führt Albie Sachs, südafrikanischer Jurist und ehemaliger Richter am südafrikanischen Verfassungsgericht, in die Diskussion ein. „At times your intuition in relation to questions of justice, repara­tion and healing is more powerful than your conscious knowledge. You drag in such knowledge and theorise to justify something which you believe, based on your whole life experience, is right and appropriate.“ (Ebd., S. 22.)

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„This is because the questions are not simply political questions, they are also spiritual questions that have to do with the soul of a people and every aspect of what it means for us to be human beings.“452

Der dritte Punkt, der klar in dem Konferenzbericht zum Ausdruck kommt, ist der Einfluss, den das Beispiel der süd- und lateinamerikanischen Staaten auf die Amnestieverhandlungen in Südafrika hatte.453 Allerdings warnt ein Konferenzteilnehmer, dass man aufpassen müsse, v. a. bei Begriffen wie „Versöhnung“ und „Vergebung“ nicht aneinander vorbei zu reden.454 Andras Sajo fasst das TJ-Dilemma in dem Konferenzbericht in einen knappen Satz zusammen: „There are no perfect conditions for justice to take place, but transition in particular produces a special set of conditions for imperfect justice.“455 Beide Konferenzen unterscheiden sich von der ersten des Aspen-Instituts in zwei wichtigen Punkten: Es handelt sich jeweils um Konferenzen, die darauf ausgerichtet waren, Praktikern Entscheidungshilfen an die Hand zu geben. Außerdem schreiben sich beide Konferenzen ausdrücklich in die TJPerspektive ein: die Transition ist hier klarer Ausgangspunkt der Konzeption der Konferenz. So überrascht es auch nicht, dass beide Konferenzen teilweise von den gleichen Teilnehmern besucht wurden, und, dass der Begriff „TJ“ anscheinend während einer dieser Konferenzen geprägt wurde. 7. Zusammenfassung Bereits 1991 hatten zwei Autoren – ein Rechtswissenschaftler und ein Geschichtswissenschaftler – in einem Artikel festgestellt, dass in den vorhergehenden Jahren eine Literatur v. a. von „human rights scholars and activists“456 entstanden sei, die sich mit verschiedenen Länderbeispielen der 452  Ebd., S. 29. Vgl. auch: „To look at the problems of justice in transition simply from a moral point of view is difficult in itself. To do so from a jurisprudential or a theological perspective would be similarly difficult. Add to that the political dimension and the task of finding a solution that will satisfy most of those who need to be satisfied seems almost insurmountable.“ (Richter Goldstone, in: ebd., S. 118.); oder: „There is an ongoing pressure that is not only moral but also theological. The theological goes beyond the moral. The moral says there must be justice; the theological concurs, but adds that justice must lead to reconciliation and that reconciliation must acknowledge the need for justice. There is more at stake than morality.“ (De Gruchy, in: ebd., S. 142.) 453  Vgl. ebd., S. 139. 454  Ebd., S. 142. 455  Ebd., S. 64. 456  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 243.



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Vergangenheitsbewältigung beschäftigt habe.457 Die obige Darstellung hat jedoch gezeigt, dass es neben diesem menschenrechtlichen Diskurs auch einen zunehmend klar abgegrenzten völkerstrafrechtlichen Diskurs gibt, der sich jedoch mit spezifischen Inhalten beschäftigt. Die breitere Diskussion, die sich mit TJ-Dilemmata beschäftigt, findet jedoch v. a. im menschenrechtlichen Diskurs statt. Daneben entwickelt sich bereits gut unterscheidbar der TJ-Diskurs. Die Disziplinarität und Multidisziplinarität der Beiträge sowie die Beliebtheit von Wahrheitskommissionen und die Übertragung der Erfahrungen einer Nation auf die TJ-Problematik einer anderen (Transnationalisierung des Diskurses) fallen auf. Für die hier beobachtete Phase kann festgehalten werden, dass die typische TJ-Fragestellung schon in der Literatur vorhanden ist, und der Begriff bereits auf Konferenzen geprägt wurde. Auffällig ist, dass die Fragestellungen, die mit der Thematik verbunden werden, mehrheitlich noch in der Sphäre des Politischen verortet werden. Bezüglich der rechtlichen Implikationen der TJ-Dilemmata dominieren rechtswissenschaftliche Abhandlungen und hier insbesondere Fragestellungen nach der Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Bestrafung, Derogierbarkeit dieser Pflicht und der Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit. In der Literatur wurde zunächst betont, dass die südamerikanischen Ländern zu Beginn versucht hätten, ihre eigenen Antworten auf die Dilemmata der Fragen der Vergangenheitsbewältigung zu finden („each of these nations has considered this problem in the context of its unique situation“458); vermehrt findet sich nun jedoch die Bemerkung, dass der Vergleich der Erfahrungen und Wege, die die einzelnen Staaten (v.a ehemalige sozialistische Staaten) eingeschlagen haben, interessante Lektionen auch für andere Staaten beinhalten können.459 Auch wird betont, dass die Erfahrungen von anderen Ländern hinsichtlich einzelner TJ-Instrumente die Wahl und Ausge457  „A rich literature has emerged in the last several years from the human rights community arguing that international law requires governments to act affirmatively to punish those who have committed gross human rights abuses.“ (Ebd., S. 244.) Die Autoren verweisen u. a. auf Beiträge von Meron sowie von Orentlicher und RohtArriaza. 458  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law & Policy 20 (1991/92), S. 243. 459  „Governments in regions, such as Central and Eastern Europe, Mongolia and South Africa, can learn from the experience of Chile in investigating violations committed by previous officials. Inquiry commissions in countries which have experienced political transitions could successfully model their work on the principles and practices of the Rettig Commission, and depending upon the specific political

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staltung von solchen Instrumenten in anderen Ländern beeinflusst habe, vgl. z. B. Lustrationen und Wahrheitskommissionen.460 Wahrheitskommissionen treten verstärkt in den Fokus der wissenschaft­ lichen Beschäftigung: Überraschenderweise beginnt dies – entgegen der Vermutung und These, dass dies v. a. mit dem südafrikanischen Diskurs verbunden ist461  − bereits mit dem Beispiel Chiles und Argentiniens. So stellt Hayner zu Beginn der 1990er Jahre eine steigende Zunahme an Wahrheitskommissionen fest. Allerdings werden die Wahrheitskommissionen noch als „Minus“ zur Strafverfolgung wahrgenommen. Festzuhalten ist ebenfalls, dass Wahrheitskommissionen in der Regel mit „Versöhnung“ gleichgesetzt werden. Dies zeigt sich bereits in der Namensgebung der meisten Kommissionen in diesem Zeitraum. „Versöhnung“ ist damit bereits vor Südafrika Teil des TJ-Diskurses. Es wird in dieser Phase auch klar, dass Lustrationen nicht einfach fassbar sind, aber definitiv als Teil eines größeren Vorhabens (vgl. Nationbuilding) aufgefasst werden. Sie werden als ein nicht einfach zu handhabendes Instrument dargestellt, das schwierige rechtsstaatliche (und juristische) Probleme aufwirft. Der völkerstrafrechtliche Diskurs wird nach dem Ende des Kalten Krieges wiederbelebt und findet v. a. mit den Ereignissen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens einen Katalysator für dessen Institutionalisierung. Dabei spielt der Verweis auf den „Holocaust“ bzw. „Nürnberg“ eine wichtige Rolle in der Diskussion und die völkerstrafrechtlichen Tatbestände wurden zumindest zu Beginn als unproblematisch erfüllt angesehen. Aufgrund dessen scheint die Wahl des völkerstrafrechtlichen Instrumentariums vorgezeichnet gewesen zu sein. Das Verständnis ist vornehmlich „retributiv“, obwohl der UN-SR bereits bei der Einrichtung des ICTY auch eine präventive Funktion vorgesehen hat. Versöhnung spielt erst im Nachhinein eine Rolle. Die Einrichtung des ICTY (und später des ICTR) werden als Positionsnahme des UN-SR hinsichtlich „Gerechtigkeit“ in der „Gerechtigkeit vs. Frieden“-Debatte gesehen bzw. als klares zeitliches Zeichen („Gerechtigkeit vor Frieden“). Damit tritt der völkerstrafrechtliche Ansatz proconstraints, modify their approach to achieve the desired truth, justice, and reconciliation.“ (Weissbrodt/Fraser, Human Rights Quarterly 14 (1992), S. 622.) 460  Z. B.: „Those commissions of inquiry that were appointed offer many lessons in the pitfalls of overly narrow mandates, poor timing, faulty methodology, resistence form the military and inadequate resources. The Rettig Commission demonstrated through its work that it took many of these lessons to heart.“ (Weissbrodt/ Fraser, Human Rights Quarterly 14 (1992), S. 605.) 461  Vgl. Mark Freeman, der von der südafrikanischen Wahrheitskommission als einer Paradigmen definierenden Wahrheitskommission spricht (Freeman, Truth Commissions and Procedural Fairness).



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minent neben den menschenrechtlichen Ansatz in der wissenschaftlichen Behandlung der Vergangenheitsbewältigung in dieser Phase und gibt dem Element der Gerechtigkeit ein neues Gewicht, aber auch einen neuen Bedeutungsschwerpunkt, nämlich vornehmlich einen retributiven. Die Disziplinarität in den rechtswissenschaftlichen und politikwissenschaftlichen Abhandlungen ist zum größten Teil noch gegeben. Es finden sich aber nur selten klare Abgrenzungen der einzelnen disziplinären Fragestellungen in den Abhandlungen selbst – vielmehr ist nur der Ansatz bzw. die eingenommene Perspektive explizit. Roht-Arriaza ist ein Beispiel für die strikte Trennung von „juristischer“ und „politischer“ Sphäre in ihren Fragestellungen. Ähnlich die Publikationen von McSherry (politikwissenschaftlicher Ansatz). Dieser unterscheidet auch einen Diskurs der „international lawyers“ und der Politikwissenschaftler. In der Mehrheit der untersuchten Publikationen ist jedoch der Ansatz implizit, so z. B. bei Orentlicher, die einem menschenrechtlichen Ansatz zuzurechnen ist. Gegen Ende der betrachteten Phase finden sich vermehrt Beiträge, die zur Multidisziplinarität aufrufen (vgl. Konferenzbericht „Dealing with the Past“) und zumindest Fragestellungen anderer Disziplinen in ihre eigene, disziplinäre Behandlung des Themas wiedergeben. Es handelt sich jedoch noch nicht um interdisziplinäre Arbeiten, da das Arbeiten methodologisch disziplinär bleibt. Um auf die unter Teil 2 aufgestellte These zurückzukommen, lässt sich bestätigen, dass das Ende des Kalten Krieges durchaus Katalysator für die Entwicklung des TJ-Feldes war – in vielfacher Hinsicht: Durch das Ende des Kalten Krieges kommt es zur Begegnung von Politikern, Wissenschaftlern und Aktivisten, die sich alle mit der Frage des Umgangs mit systematischen Menschenrechtsverletzungen durch ein Vorgängerregime beschäftigten. Die Wahrnehmung, dass es sich um ähnliche Probleme und Kontexte mit ähnlichen Dilematta handelt, verbreitet sich. So kommt es zum Austausch zwischen Praktikern der Transitionspolitik in Südamerika und Südeuropa, die ihre „Lösungen“ und „Ansätze“ der Wissenschaftsgemeinschaft, aber auch anderen Praktikern in Osteuropa, der ehemaligen Sowjetunion und Südeuropa präsentieren. Der politikwissenschaftliche Transitionsbegriff – und hier muss die These korrigiert werden – steuerte hierzu lediglich das Vokabular („Transition“ bzw. andere Kategorien des Systemwechsels) bei sowie die Perspektive der Konzentration auf die Wahl der TJ-Instrumente durch eine bestimmte Gruppe. Die TJ-Problematik entwickelt sich hauptsächlich im menschenrechtlichen Diskurs, der sich dann anderen Disziplinen hinsichtlich der Fragestellung öffnet. Weiter in die Tiefe gehende Wechselbeziehungen zeigen sich in dieser Phase nicht.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

In einem zweiten Schritt kommt hier dann die Transnationalisierung der Erfahrungen als sog. „Best Practices“ oder „Lessons Learned“ hinzu, d. h. die Erfahrungen werden als im Grundsatz übertragbar auf einen anderen nationalen Kontext angesehen (v. a. hinsichtliche Wahrheitskommissionen, Amnestien und Lustrationen). Der TJ-Diskurs weitet sich auch aus: So wird „Versöhnung“ bereits zum Teil des TJ-Diskurses, der „retributive“ Diskurs bleibt aber durchaus dominierend. Daneben hatte das Ende des Kalten Krieges aber auch Auswirkungen hinsichtlich der Entwicklung des völkerstrafrechtlichen Diskurses. Dieser erfuhr eine Redynamisierung durch die Wiederaufnahme der Diskussionen in der ILC um den Entwurf eines IStGH, aber insbesondere auch durch die Einrichtung der Ad-hoc-Gerichtshöfe. Es zeigt sich, dass die Publikationen, die diesem Diskurs zugeordnet werden können, sehr disziplinär sind, und TJ-Fragestellungen wenn überhaupt, nur am Rande behandeln.

III. Konstituierung des Feldes (1995–2002) Die in Teil 2 herausgearbeitete These bezüglich dieser Phase lautete: „Der (retributive) Rechtsdiskurs öffnet sich und das Forschungsgebiet übernimmt in zunehmendem Maße Fragestellungen und Begriffe aus anderen Disziplinen. Inhaltlich ist diese Phase bis 1999 v. a. von der Diskussion um Strafverfolgung und Amnestiegesetze sowie dem Gebiet der Menschenrechte geprägt. Reparationen spielen eine untergeordnete Rolle. Gegen 1998 treten Amnestiegesetze relativ gesehen in den Hintergrund gegenüber Strafverfolgungen. Wahrheitskommissionen werden v. a. im Zusammenhang mit Südafrika und Lustrationsgesetze v. a. im Zusammenhang mit den Transitionen in Osteuropa diskutiert. Es kommt ein Diskurs des ‚Nebeneinanderstellens von Wahrheit und Gerechtigkeit‘ sowie des ‚Eintauschens von Gerechtigkeit für Frieden‘ auf. Lokale, alternative Ansätze zu Strafverfolgungen geraten in den Fokus der Aufmerksamkeit und Nationbuildung wird zu einem Thema. Das Jahr 2000 wird aufgrund vieler unterschiedlicher Ereignisse zu einem prägenden Jahr für TJ. Ab 2001 treten auch Peacekeeping, die Opferrechte und das Völkerstrafrecht in den Vordergrund.“462

Laut Zitationsanalyse sind insbesondere die Autoren King, Elster und Boed als einflussreiche Autoren zu nennen. Für diese Phase ist die Ausbreitung des Begriffes „TJ“ – und damit die Ausweitung des TJ-Diskurses – prägend. Daneben gibt es andere Terminologien, wie z. B. „justice in transition“463, „transitional jurisprudence“464, 462  Vgl.

These 4.1. Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 83–113. 464  Z. B. Roht-Arriaza, Yale Law Journal 106 (1997), S. 2009–2080. 463  Z. B.



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)229

„transitional Rule of Law“465 oder schlicht „a different kind of justice“466. Die Transition als Deutungsmuster und TJ als Begriff haben sich am Ende dieser Phase durchgesetzt: Während die meisten Publikationen, die sich mit dem Thema beschäftigen, die Transition zu einem wichtigen Element bzw. diese zum Ausgangspunkt nehmen, gibt es nur noch vereinzelt Publikationen, die diese für die Beurteilung eines Sachverhaltes außer Betracht lassen.467 Oft finden sich in den Überschriften Hinweise auf die Dichotomie „Gerechtigkeit vs. Frieden“ (so z. B. „amnesty for peace“, „trading justice for truth“ oder „reconciliation versus restoring justice“)468. Restaurative Gerechtigkeit wird oft neben der retributiven Gerechtigkeit diskutiert.469 Daneben werden auch Entschädigungen bzw. das Recht auf Restitution erwähnt.470 Das Recht auf Wahrheit taucht ebenfalls häufiger auf.471 Thematisch werden in dieser Phase oft die TJ-Instrumente der Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen, Amnestien und Lustrationen behandelt. Des Weiteren liegt ein weiterer Schwerpunkt auf der südafrikanischen Transition und ihr berühmtestes Element, der Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC).472 In der hier untersuchten Stichprobe ist noch der rechtswissenschaftliche Diskurs dominant, obwohl die Anzahl der Publikationen aus anderen Disziplinen, die sich mit der Thematik beschäftigen, stark ansteigt. In der augenscheinlich primär rechtswissenschaftlichen Literatur finden sich v. a. Publikationen, die sich mit dem Themenkomplex der internationalen Strafgerichtsbarkeit (Kriegsverbrecherprozesse nach dem 2. Weltkrieg, ICTY und ICTR, Verhandlungen zum IStGH und den sog. hybriden Straftribunalen) sowie die von diesen Strafgerichtshöfen abgeurteilten Tatbestände (z. B. Du Bois/Czarnota, Alternative Law Journal 24 (1999), S. 9–11. Little, Ethics and International Affairs 13 (1999), S. 65–80. 467  Vgl. z. B. Tomuschat, ZaöRV 56 (1996), S. 1 ff. 468  Z. B. Adam, World Today 1998, S. 11–13; De Gruchy, Reconciliation. Restor­ ing Justice; Orentlicher, ILSA Journal of International and Comparative Law 3 (1997), S. 713–718. 469  Z. B. Galaway/Hudson, The Practice of Restorative Justice; Johnstone, Restorative Justice and the Law; Rotberg/Thompson (Hrsg.), Truth v. Justice. 470  Vgl. z. B. Werle/Rwelamira (Hrsg.), Confronting Past Injustices: Approaches to Amnesty, Punishment, Reparation and Restitution in South Africa and Germany; van Boven, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 283–347. 471  Z. B. McDonald, Law, Democracy and Development 3 (1999), S. 139–180; Rolston, Turning the Page without Closing the Book: The Right to Truth. 472  Z. B. Hamber, Fordham International Law Journal 26 (2002), S. 1074–1094; McCarthy, Michigan Journal of Race and Law 3 (1997/98), S. 183–254; Rotberg/ Thompson (Hrsg.), Truth v. Justice. 465  Z. B. 466  Z. B.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, sexualisierte Gewalt etc.) beschäftigen.473 Das Weltrechtsprinzip (Universal Jurisdiction) taucht vermehrt auf.474 Daneben finden sich weiterhin der Publikationsstrang zu Amnestien, Menschenrechten und Straflosigkeit, obwohl dieser in der Publikationshäufigkeit nachlässt.475 „Straflosigkeit“ bzw. der „Kampf gegen die Straflosigkeit“ findet sich nunmehr auch immer häufiger in Verbindung mit dem völkerstrafrechtlichen Diskurs.476 Vermehrt findet sich auch die Dichotomie „individuell vs. kollektiv“.477 Auch bemerkenswert ist, dass „Versöhnung“ immer öfter in der rechtswissenschaftlichen Literatur verwandt wird.478 Publikationen anderer Disziplinen beschäftigen sich z. B. mit der (vergleichenden) politikwissenschaftlichen Analyse von Transitionen, der Rolle von „Gerechtigkeit“ in Friedensverhandlungen, mit Peacekeeping und Nationbuilding sowie der Analyse von Friedensprozessen.479 Daneben finden sich auch Publikationen zur Thematik von Transitionen, Demokratien und Menschenrechten.480 Ein religionswissenschaftlich / sozialpsychologischer Diskurs behandelt Themen wie Trauma, theologische, psychologische und ethische Perspektiven auf Wahrheitskommissionen, Wiederversöhnung, Gewaltprävention, theologische und ethische Implikationen von moralischer Schuld, Wahrheitskommissionen als nationales Ritual, kollektive Schuld sowie Rituale der Versöhnung.481 Als philosophischer Überbau werden Pragmatismus, Realismus und Liberalismus diskutiert.482 473  Z. B. Akhavan, Duke Journal of Comparative & International Law 7 (1997), S. 325–348; dies., American Journal of International Law 90 (1996), S. 501–510; Bodley, New York University Journal of International Law and Politics 31 (1999), S. 417–471; Goldstone, New York University Journal International Law and Politics 28 (1996), S. 485–503; Hankel/Stuby, Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen. 474  Z. B. Joyner, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 153–172. 475  Z. B. Stahn, International Review of the Red Cross 84 (2002), S. 191–205; Werle/Rwelamira (Hrsg.), Confronting Past Injustices; Young, University of California Davis Law Review 35 (2002), S. 427–482. 476  Z. B. Bassiouni, Post-Conflict Justice; Schabas, Criminal Law Forum 7 (1996), S. 523–560; vgl. aber auch: Roht-Arriaza, Impunity and Human Rights in International Law and Practice; dies., Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 93–102. 477  Z. B. Randelzhofer/Tomuschat (Hrsg.), State Responsibility and the Individual: Reparation in Instances of Grave Violations of Human Rights. 478  Z. B. Villa-Vicencio, Contemporary Justice Review 1 (1998), S. 407–428; van Zyl, Journal of International Affairs 52 (1999), S. 647–667. 479  Z. B. Stedman, International Security 22 (1997), S. 5–53; vgl. auch: Bassiouni, Post-Conflict Justice; Schabas, Criminal Law Forum 7 (1996), S. 523–560. 480  Z. B. Oquaye, Human Rights Quarterly 17 (1995), S. 556–573. 481  Z. B. Akhavan, Duke Journal of Comparative & International Law 7 (1997), S. 325–348; Asmal, Reconciliation Through Truth: A Reckoning of Apartheid’s Cri-



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)231 Rechtswissenschaftlicher Diskurs: – internationale Strafgerichtsbarkeit (Kriegsverbrecherprozesse 2. Weltkrieg, IStGH, ICTY, ICTR, hybride Strafgerichtshöfe; universelle Gerichtsbarkeit; Straflosigkeit; Straftatbestände); – Amnestiegesetze; Straflosigkeit; – Versöhnung; – Entschädigungen; – retributive vs. restaurative Gerechtigkeit; – individuell vs. kollektiv.

Publikationen 1995 – 2002

TJ-Diskurs: – Begriff verbreitet sich; – Opferrechte: „right to restitution“, „right to truth“; – Gerechtigkeit vs. Wahrheit/Versöhnung; – restaurative Gerechtigkeit; – TJ-Modelle; – Instrumente: Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen, Amnestien, Lustrationen.

Länder / Regionen: Aufweitung des regionalen Spektrums: – Deutschland, Japan; – Argentinien, Chile, Guatemala, El Salvador; – Ost- und Mitteleuropa; – Balkan, Ruanda; ______________________ – Südafrika; – Sierra Leone, Osttimor, Haiti, Kambodscha.

Andere Disziplinen: – vergl. Analyse von Transitionsprozessen; – Transition, Demokratie und Menschenrechte; – Peacekeeping/ Nationbuilding; – Rolle von „Gerechtigkeit“ in Friedensverhandlungen; –Versöhnung; – Wahrheitskommissionen: psychologischer, theologischer und ethischer Ansatz; – theologische und ethische Implikationen von moralischer Schuld; – Prävention von Gewalt; – Rituale der Versöhnung („healing a nation’s wounds“).

Schaubild 13: Publikationen 1995–2002

Regional weitet sich das Spektrum auf: Deutschland nach 1945 und Japan sowie Argentinien und Chile (hier oft i. V. m. der Auslieferung Pinochets) bleiben weiterhin präsent, allerdings immer häufiger nun auch mit den weiteren lateinamerikanischen Beispielen von Guatemala und El Salvador. Hinzu kommen Besprechungen von Transitionen auf der ganzen Welt, allerdings mit einer gewissen Dominanz des Balkans, Ruandas, Südafrikas, Sierra Leones, Haitis, Osttimors (bzw. Timor-Leste) und Kambodschas. 482

1. Rechtswissenschaftlicher Diskurs Der rechtswissenschaftliche Diskurs in dieser Phase ist von vier Merkmalen bzw. Thematiken geprägt: erstarkender völkerstrafrechtlicher Diskurs; minal Governance; Burke-White, Journal on Ethnopolitics and Minority Issues in Europe 4 (2000), S. 1–22; Méndez, Ethics and International Affairs 15 (1998), S. 25–44.; Villa-Vicencio, Contemporary Justice Review 1 (1998), S. 407–428. 482  Z. B. Aceves, Harvard International Law Journal 41 (2000), S. 129–184.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

menschen- und humanitärrechtlicher Diskurs, der sich weiterhin auf die Diskussion von Verpflichtung zur Strafverfolgung, Straflosigkeit und Amnestien konzentriert, sich aber auch mit den Opferrechten (v. a. dem Recht auf Wahrheit / Wissen) beschäftigt; als Querschnittsthema „Versöhnung“ ‒ und damit verbunden ‒ „restaurative Gerechtigkeit“; sowie als Querschnittsdiskursregel: „Gerechtigkeit vs. Wahrheit / Versöhnung“. a) Erstarkender völkerstrafrechtlicher Diskurs Die völkerstrafrechtlichen Beiträge  − dazu zählen nicht nur diejenigen Publikationen, die sich thematisch entweder mit den Ad-hoc- und den hybriden Strafgerichtshöfen oder den Verhandlungen zum IStGH auseinandersetzen, sondern insbesondere auch rechtswissenschaftliche Beiträge, die sich auf die Herstellung der individuellen strafrechtlichen Verantwortung derjeniger konzentrieren, die die größte Verantwortung für die schwersten Menschenrechtsverletzungen tragen („those bearing the most responsibility“)  − häufen sich. Im Mittelpunkt dieser Beiträge stehen Tatbestände v. a. des humanitären Völkerrechts sowie einzelne völkerrechtliche Verträge, wie z.  B. die UN-Anti-Völkermordkonvention.483 Besprechungen menschenrechtlicher Tatbestände sind ebenfalls vertreten, werden aber in zunehmendem Maße durch die Besprechung des humanitären Völkerrechts ergänzt.484 Die Bedeutung der Beiträge von Völkerstrafrechtlern für die Entwicklung des Teilrechtsgebietes in der Zeit vor der Einrichtung der Ad-hoc-Straftribunale wird hervorgehoben.485 Die Strafverfolgung rückt in diesen Beiträgen in den Mittelpunkt des Interesses, obwohl das Zugeständnis gemacht wird, dass „Gerechtigkeit“ auch andere Formen annehmen könne: so werden z. B. Wahrheitskommissionen und Untersuchungskommissionen genannt.486 Es findet sich in der Mehrheit 483  Goldstone, New York University Journal International Law and Politics 28 (1996), S. 500. 484  Meron, American Journal of International Law 89 (1995), S. 554. 485  Ebd. 486  Für Goldstone gibt es z.  B. vier Optionen (1) sog. Blankett-Amnestie; (2) reguläre (Straf-)Justiz; (3) Wahrheits- und Versöhnungskommission in Kombination mit einer Amnestie und (4) Wahrheitskommission in Kombination mit Strafver­ folgung. Das Vorgehen auf internationaler Ebene sieht er als komplementär zum natio­ nalen Vorgehen an (Goldstone, New York University Journal International Law and Politics 28 (1996), S. 492). Bassiouni unterscheidet sieben verschiedene „Accountability“-Maßnahmen, die jeweils unter die drei Kategorien „Wahrheit“, „Gerechtigkeit“ und „Wiedergutmachung“ fallen: internationale Strafverfolgungen, internationale und nationale Untersuchungskommissionen, nationale und internationale Wahrheitskommissionen, nationale Strafverfolgung, nationale Lustrationsmaßnahmen, nationale zivile Rechtsbehelfe und internationale Mechanismen für die



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)233

der Publikationen die Ansicht, dass Strafverfolgung für eine bestimmte Kategorie von Menschenrechtsverletzungen (Ius cogens-Verbrechen, d. h. Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und Folter487) die einzig normativ korrekte Maßnahme wäre, während bei Menschenrechtsverletzungen unterhalb dieser Schwelle die Auswahl zwischen verschiedenen Instrumenten möglich wäre. Auf welche Maßnahme die Wahl dann falle, hinge von den jeweiligen Umständen eines Konfliktes, den Erwartungen der Konfliktparteien und den antizipierten Ergebnissen ab.488 Die menschenrechtlichen Abhandlungen, die sich mit der Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung nach menschenrechtlichen Normen bzw. dem Kampf gegen die Straflosigkeit beschäftigen, nehmen (relativ zur völkerstrafrechtlichen Literatur gesehen) ab. aa) Erste Jahre der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe Im Folgenden wurden am ICTY in der Literatur insbesondere die geringe Anzahl an Prozessen kritisiert, was u. a. auf eine geringe Anzahl von Verhaftungen der Beschuldigten durch die Implementation Force in Bosnia zurückzuführen war. Diese wollte ihre Soldaten nicht der Gefahr einer aktiven Suche nach Kriegsverbrechern aussetzen.489 Dies führte dazu, dass der ICTY als „Papiertiger“ mangels fehlender Vollstreckungskompetenz490 und das Dayton-Friedensabkommen bereits 1997 als „hypocrisy“491 bezeichnet wurden und die Frustration der Chefankläger – zunächst Robert Goldsteins, dann Louise Arbors – öffentlich wurde. Die einzige Bedeutung, die mehrheitlich dem Tribunal zugeschrieben wurde, war die Weiterentwicklung des substantiellen und prozeduralen Völkerstrafrechts.492 Die Bilanz des International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR) liest sich hierzu leicht anders: Am 12. Dezember 1995, ungefähr einem Jahr nach der Einrichtung des Tribunals, veröffentlichte das ICTR die erste Anklage, in der acht Individuen u. a. wegen Völkermord und der Verabredung, Völkermord zu begehen, angeklagt wurden.493 Ungefähr zwei Monate später erfolgte die Verhaftung von Angeklagten in Sambia und die VeröfEntschädigung von Opfern (Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S.  19 ff.). 487  Ebd., S. 20. 488  Ebd., S. 23. 489  Goldstone, Stanford Journal of International Law 33 (1997), S. 8. 490  Meron, Foreign Affairs 76 (1997), S. 4. 491  Ebd., S. 2. 492  Ebd., S. 7. 493  UN Dok. ICTR-95-1-I (29. April 1996).

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

fentlichung zweier weiterer Anklagen.494 Ein weiterer wichtiger Unterschied zum ICTY war, dass die früheren Machthaber nicht mehr im Amt waren, sondern sich außerhalb des Landes aufhielten und auch festgenommen und ausgeliefert wurden.495 Allerdings sah sich der Gerichtshof anderen Schwierigkeiten gegenüber: Ende 1996 waren nach zwei Jahren immer noch 87.000 Verdächtige unter sehr schlechten Gefängnisbedingungen und ohne formelle Anklageerhebung inhaftiert.496 Der Justizapparat – soweit noch existent – war komplett überfordert. Die Haftbedingungen führten zum Tod mehrerer Tausend Inhaftierter.497 U. a. in diesem Zusammenhang wurde die traditionelle Institution der Gacaca-Gerichte in die Diskussion eingebracht, die nicht nur das Problem des sich im Aufbau befindlichen Gerichtssystems adressieren sollten, sondern auch die sozialen Beziehungen in der ruandischen (Dorf-)Gesellschaft wiederherstellen sollten.498 Die neuen Gacaca-Gerichte, die nur begrenzte verfahrensrechtliche Garantien boten, sollten ein modernes Strafrecht mit traditionellen, informellen Verfahren auf Gemeindeebene vereinen. Zu den Vorteilen zählte die Möglichkeit, mehrere zehntausend Fälle zügig aufzuarbeiten und damit die Zahl der Inhaftierten zu reduzieren.499 Dieser Ansatz wurde als innovativ gewertet500, wurde im Folgenden aber stark kritisiert, da es zu schweren Abweichungen vom Standard eines fairen Gerichtsverfahrens, so z. B. dem fehlenden Zugang zu Anwälten, kam.501 In der Literatur wurde jedoch die nationale Ownership dieser lokalen TJ-Prozesse hervorgehoben.502 494  UN

1996).

Dok. ICTR-96-3-I (13. Februar 1996) und ICTR-96-6-D (12. März

495  Akhavan,

American Journal of International Law 90 (1996), S. 509. Criminal Law Forum 7 (1996), S. 526: „What emerges is a complex situation of mass crime where both the humanitarian law model and the criminal law model fall short. For while theoretically it is imperative that the 87.000 be judged according to ordinary criminal law for genocide and crimes against humanity, the task seems unrealistic, indeed impossible. Even in a highly developed country, the challenge would be daunting.“ (Ebd., S. 527.) 497  HRW, Ruanda. Gacaca-Gerichte hinterlassen zwiespältiges Erbe. 498  Bucyana, International Journal of Refugee Law 8 (1996), S. 624. 499  HRW, Ruanda. Gacaca-Gerichte hinterlassen zwiespältiges Erbe. 500  „Rwanda’s experience in prosecuting genocide will form a new chapter in the emerging practice in the area of impunity. Rwanda has rejected more conciliatory approaches, such as an amnesty or a truth commission, and seems determined, at least at present, to try the more than 87’000 suspects now in custody and to punish those who are found guilty.“ (Schabas, Criminal Law Forum 7 (1996), S. 559.) 501  Ebd. 502  „[N]ational reconciliation is first and foremost the business of Rwandans themselves.“ (Bucyana, International Journal of Refugee Law 8 (1996), S. 625.) 496  Schabas,



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)235

Als einer der wichtigsten Einflüsse der Ad-hoc-Gerichte wird die Beeinflussung der Entwicklung des humanitären Völkerrechts gesehen, v. a. im Hinblick auf das substantielle Recht nicht-internationaler Konflikte.503 Dies diente dann auch als Grundlage für die Entwicklung der hybriden bzw. internationalisierten Strafgerichtshöfe sowie des IStGH. Das Diskursmuster „Frieden vs. Gerechtigkeit“ wurde v. a. in Verbindung mit den Ad-hocStrafgerichtshöfen diskutiert.504 bb) Entwicklung der hybriden Strafgerichtshöfe Sog. „hybride“ bzw. „internationalisierte“ Gerichtshöfe sind mit der Verfolgung von Völkerstraftatbeständen und nationalen Straftatbeständen unter Beteiligung von internationalem Personal befasst, wenn das nationale Rechtssystem dazu aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist.505 Solche Gerichtshöfe wurden z. B. für Sierra Leone, Kambodscha, Osttimor, Kosovo und den Libanon geschaffen. (1) Einrichtung der Special Panels of the Dili District Court 2000 wurden die Special Panels of the Dili District Court als hybrides Straftribunal von der United Nations Transitional Administration in East Timor (UNTAET) eingesetzt und waren bis 2006 aktiv.506 Sachlich waren sie für schwere Menschenrechtsverletzungen, die während des Konfliktes 1999 in Osttimor begangen wurden, zuständig, d. h. Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Sexualdelikte und Folter.507 Eine zeitliche Zuständigkeit des Spezialgerichtes für Sexualdelikte 503  Goldstone, New York University Journal International Law and Politics 28 (1996), S. 499. 504  Z. B. Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 9–28; ders., Post-Conflict Justice. 505  Vgl. Meisenberg, Friedenswarte (Sonderausgabe vom 22. September 2011), S. 1. 506  UNTAET hatte durch Resolution 1272 (1999) die Befugnis erhalten, „die gesamte gesetzgebende und vollziehende Gewalt einschließlich der Rechtspflege auszuüben“. 507  Die zwei Sonderkammern wurden im Landgericht eingerichtet: eine erstinstanzliche Kammer (Art. 10 Abs. 3 der UNTAET Verordnung 2000/11 und Art. 1 Abs. 1 der UNTAET Verordnung 2000/15), eine Berufungskammer (Art. 15 Abs. 5 UNTAET Verordnung 2000/11 und Art. 1 Abs. 2 UNTAET Verordnung 2000/15). Beide Kammern setzten sich aus zwei internationalen Richtern und einem timoresischen Richter zusammen. Bei besonderer Schwere oder Wichtigkeit konnte eine Sonderkammer, besetzt mit drei internationalen und zwei timoresischen Richtern, zusammentreten.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

und Morde war für den Zeitraum zwischen 1. Januar 1999 und dem 25. Oktober 1999 bestimmt worden (Verordnung 2000 / 15). Die Anklage wurde durch eine Generalstaatsanwaltschaft vertreten, die die Serious Crimes Unit (SCU) leitete. Die Prozesse vor den Spezialkammern versuchten, individuelle Verantwortlichkeit zu etablieren. Auf den ersten Blick sind die Zahlen der Anklageschriften für den Zeitraum sehr beeindruckend, insbesondere wenn man sie mit den korrespondierenden Zahlen des ICTY und ICTR vergleicht.508 Generell wird kritisiert, dass keinem der hochrangigen Verdächtigen der Prozess gemacht wurde, die die Osttimoresen eigentlich der „severest form of justice“509 ausgesetzt sehen wollten. Auch war der Wunsch der osttimoresischen Gesellschaft nach „retributiver“ Gerechtigkeit sehr präsent.510 Besonders besorgniserregend war die Tatsache, dass die Bevölkerung von einem Versagen der Strafverfolgung überzeugt war, da die UN nicht in der Lage gewesen war, die Auslieferung der höherrangigen Angeklagten zu erreichen.511 Ebenfalls wird kritisiert, dass die Verbrechen, die vor 1999 verübt wurden, nicht untersucht oder strafrechtlich geahndet worden waren.512 Bezüglich der Arbeit der Special Panels wurde in der Literatur v. a. die schlechte Zusammenarbeit der internationalen und osttimoresischen Richter513 sowie die Qualität der Urteile514 kritisiert. Die Wahl und Ausgestaltung der Spezialkammern war ohne Konsultation der osttimoresischen Bevölkerung entschieden worden. Nachdem in dem anfänglichen Mandat von UNTAET nicht explizit von der Einrichtung einer solchen Institution die Rede war, traf diese unilaterale Entscheidung  − insbesondere nachdem schon osttimoresische Richter, Ankläger und öffentliche Verteidiger für das Landgericht in Dili ernannt worden waren  − auf scharfe Kritik der einheimischen politischen und juristischen Elite und lokaler 508  Bis zur Einstellung der Strafverfolgung der schweren Verbrechen durch die SCU im Mai 2005 waren insgesamt 95 Anklagen mit 391 Angeklagten  − darunter einige hochrangige indonesische Offiziere  − erlassen und 74 Personen verurteilt worden. 303 Angeklagte befanden sich außerhalb des Territoriums von Timor-Leste (v. a. Indonesien) und 1402 Mordfälle waren nicht untersucht worden (Hirst/Varney, Justice Abandoned, S. 9). 509  Harper, Journal of Conflict and Security Law 10 (2005), S. 153 f. 510  Zolo, Journal of International Criminal Justice 2004, S. 732. 511  Harper, Journal of Conflict and Security Law 10 (2005), S. 153 ff. 512  Hirst/Varney, Justice Abandoned, S. 8. 513  Reiger/Wierda, The Serious Crimes Process in Timor-Leste, S. 15. 514  Bowman, Emory International Law Review 18 (2004), S. 371 ff., 391; Reiger/ Wierda, The Serious Crimes Process in Timor-Leste, S. 17.



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)237

Menschenrechts-NGOs.515 Zwar deckte sich die Einrichtung einer solchen Institution mit dem Willen der Osttimoresen nach der Herstellung individueller Verantwortlichkeit, die Art und Weise stieß jedoch auf Missbilligung. Die Spezialkammern wurden daher eher als UN-Unternehmung wahrgenommen.516 Die Spezialkammern verfügten auch über kein Programm zur Information der Bevölkerung. Die Haltung der osttimoresischen Politiker stand der Arbeit der Spezialkammern und der SCU immer feindlicher gegenüber.517 Auch wenn die Initiative von UNTAET an sich zu begrüßen war, muss gesagt werden, dass im Bereich der Herstellung individueller Verantwortlichkeit keine wichtigen Erfolge verbucht werden konnten.518 Die Enttäuschung der timoresischen Bevölkerung (und die außenpolitischen Interessen des Staates gegenüber dem übermächtigen Nachbarn Indonesien) schlugen sich zu einem späteren Zeitpunkt in der Änderung des Fokus der osttimoresischen Transitionspolitik von Strafverfolgungen auf restaurative Gerechtigkeit nieder. Der timoresische Präsident hatte auch betont, dass Versöhnung zu wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit führen müsse.519 Die „Strafgerechtigkeit“ wurde damit aufgrund einer politischen Entscheidung durch eine andere „alternative“ Form im Diskurs verdrängt. (2) Einrichtung des Spezialgerichtshofes für Sierra Leone Der Spezialgerichtshof für Sierra Leone (Special Court for Sierra Leone, SCSL) wurde durch eine Vereinbarung zwischen der Regierung von Sierra Leone und der UN am 16. Januar 2002 eingerichtet.520 515  Reiger/Wierda,

The Serious Crimes Process in Timor-Leste, S. 12. bezweifelt insbesondere, ob überhaupt alternative Mechanismen in Betrachtung gezogen wurden (Linton, Melbourne University Law Review25 (2001) S.  122 ff.). 517  Dies wird exemplarisch durch die Reaktion auf die Anklage des General Wirantos und dem nachfolgenden Treffen Gusmãos mit diesem verdeutlicht. Auch die Tatsache, dass der osttimoresische Generalanwalt versuchte, die Anklageschrift wieder zurückzuziehen, deutet in die gleiche Richtung (Reiger/Wierda, The Serious Crimes Process in Timor-Leste, S. 33). 518  Dies stimmt auch mit der Schlußfolgerung der UN-Expertenkommission überein (Report to the Secretary-General of the Commission of Experts to Review the Prosecution of Serious Violations of Human Rights in Timor-Leste (then East Timor) in 1999, UN Dok. S/2005/458, Annex II (15.  Juli 2005), § 54). 519  Lyons, in: Romano (Hrsg.), Internationalized Criminal Courts, S. 115. 520  Bereits im Juni 2000 hatte der Präsident von Sierra Leone die UN darum gebeten, die Individuen „who bear greatest responsibility“ strafrechtlich zur Verant516  Linton

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Das zeitliche Mandat des SCSL beginnt mit dem Datum der Unterzeichnung des Abidjan-Friedensabkommens vom November 1996 und ist zeitlich nicht begrenzt. Seine territoriale Zuständigkeit ist enger gefasst als die der TRC und die Zuständigkeit ratione personae bezieht sich auf „persons who bear the greatest responsibility […] including those leaders who, in committing such crimes, have threatened the establishment of and implementation of the peace process in Sierra Leone.“ (Art. 1 SCSL-Statut)

Sachlich ist er für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verletzung des Gemeinsamen Artikels 3 der Genfer Konventionen und des II. Zusatzprotokolls, andere „serious violations of international humanitarian law“ und Verbrechen nach nationalem Recht zuständig. Ein häufig diskutiertes Thema war, ob der SCSL auch „Kindersoldaten“ verfolgen sollte. Das Statut setzte die Strafmündigkeit auf 15 Jahren fest, aber eine Erklärung der Staatsanwaltschaft lehnte die Strafverfolgung von sog. „Kindersoldaten“ ab. Diese sollte von der TRC behandelt werden.521 Bis heute wurden insgesamt 13 Personen angeklagt, darunter der ehemalige Präsident Liberias, Charles Taylor522, wobei zwei Anklagen im Dezember 2003 aufgrund des Todes der Angeklagten zurückgezogen wurden. Die Anklagen dieser hochrangigen Personen wurden als wichtige Errungenschaft gefeiert, auch wenn die Umstände der Erteilung des Haftbefehls und der wortung zu ziehen. Dann folgte eine Resolution des UN-Sicherheitsrates (Resolution 1315 vom 14. August 2000), durch die der UN-Sicherheitsrat den Generalsekretär ersuchte, mit der Regierung Sierra Leones ein Abkommen über die Einrichtung eines internationalen Gerichtshofes zu verhandeln. Das Parlament von Sierra Leone ratifizierte dieses Abkommen im März 2002. 521  Das Statut sieht dagegen vor, dass die Rekrutierung von Kindern unter 15 Jahren in die bewaffneten Kräfte oder deren Einsatz in aktiven Feindseligkeiten als schwere Verletzung des humanitären Völkerrechts einzuordnen ist (Schabas, Human Rights Quarterly 25 (2003), S. 1041 ff.). 522  Taylor wurde im März 2009 in seinem Exil Nigeria verhaftet und dem SCSL überstellt. Er wurde wegen Verletzung von 11 Tatbeständen angeklagt, darunter Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Mord, Vergewaltigung und Rekrutierung von Kindersoldaten). Im Juni 2006 autorisierte der SCSL den Transfer Taylors nach Den Haag, da er um die Stabilität der Region besorgt war. Zwischen dem IStGH und dem SCSL wurde ein Memorandum of Understanding unterschrieben. Die Verhandlung fand vom Juni 2007 und März 2011 statt. Am 26. April 2012 wurde Taylor des Vorwurfes des „aiding, abetting and planning war crimes (acts of terrorism, murders, outrages to personal dignity, cruel treatments, enrolment and conscription of children under 15 years to use them to participate actively in hostilities, pillage) and crimes against humanity (murders, rapes, sexual slavery, enslavement, other inhumane acts)“ schuldig gesprochen und zu einer Freiheitsstrafe von 50 Jahren verurteilt. Dieses Urteil wurde am 26. September 2013 durch das Berufungsgericht bestätigt (Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, SCSL-03-01-A (10766–11114)).



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)239

Verhaftung von Charles Taylor obskur waren. Die Auswahl der Angeklagten sorgte teilweise für Empörung und Protest in der Bevölkerung.523 Obwohl ein großer Teil der Bevölkerung skeptisch bezüglich der SCLS war, waren die Opfer sehr an dieser Institution interessiert.524 Das Tribunal hatte mit einigen Problemen zu kämpfen: Es fehlten v. a. die finanziellen Ressourcen.525 Ein weiteres Problem war die ungeklärte Frage des Verhältnisses zwischen TRC und SCSL, vor allem das Problem, ob die TRC die Vertraulichkeit ihrer Quellen garantieren konnte. Die TRC konnte nicht versichern, dass die Aussagen der mutmaßlichen Täter vor der TRC nicht gegen diese vor den SCLS verwendet werden würden.526 Trotz der Unsicherheit bezüglich der Vertraulichkeit der Aussagen nahm die Anzahl der aussagewilligen Personen vor der Kommission nicht ab.527 Das rief rechtliche Probleme (v. a. unter dem Gesichtspunkt des nemo tenetur se ipsum accusare) hervor. (3) Fazit: Hybride Gerichtshöfe und TJ-Diskurs Sowohl bezüglich der Special Panels als auch des SCSL waren die Besprechungen der Literatur eindeutig völkerstrafrechtlich geprägt. In den Publikationen, die dagegen auch die jeweiligen Wahrheitskommissionen und den weiteren TJ-Kontext in den Ländern betrachteten, herrschte vielmehr ein TJ-Diskurs vor, der weder eindeutig dem völkerstrafrechtlichen noch dem menschenrechtlichen Diskurs zuzuordnen war.528

523  Cruvellier,

The Special Court For Sierra Leone, S. 5. Journal of International Criminal Justice 2 (2004), S. 716 ff. 525  So die Einschätzung eines Beobachters, nach dem das Budget des Gerichtshofs für die Verurteilung von lediglich 10 Tätern ausreichen würde (Schabas, U.C. Davis Journal of International Law and Policy 11 (2004), S. 166). 526  Dieses Thema wurde v. a. 2003 sehr problematisch, als die Kommission Zugang zu vier Personen beantragte, die vom SCSL in Haft genommen worden waren, um diesen die Möglichkeit zu geben, Vorwürfe, die gegen sie vor der TRC erhoben worden waren, zu entkräften und ihre Sicht der Ereignisse zu schildern – unter der Voraussetzung, dass ihre Aussagen vertraulich behandelt werden würden. Das SCSL lehnte diesen Antrag ab. Dieses Ereignis wird als der Beginn einer eher problematischen Beziehung zwischen den beiden Institutionen gesehen (Schabas, in: Cesare/ Nollkaemper/Kleffner (Hrsg.), Internationalized Criminal Courts, S. 176). 527  Schabas, U.C. Davis Journal of International Law and Policy 2004, S. 152. 528  Z. B. Cohen, Middle East Report 25 (1995), S. 2–5; Landsman, Law & Contemporary Problems, Vol. 59 (1996), S. 81–92; Rotberg/Thompson (Hrsg.), Truth v. Justice; vgl. auch: Hayner, Unspeakable Truths: Facing the Challenge of Truth Commissions. 524  Garapon,

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cc) Diskussionen um die Einrichtung eines Ständigen Strafgerichtshofes und Weltrechtsprinzip In der Literatur wurde vermehrt der Ruf nach der Einrichtung eines IStGH laut. Als Argumente hierfür werden u. a. angeführt, dass die Ad-hocStrafgerichtshöfe sowie die hybriden Strafgerichtshöfe ansonsten nur selektive Gerechtigkeit gewährleisten könnten, die die konsistente und universelle Anwendung des Rechtes nicht ausreichend sicherstelle.529 Politischer Zweckmäßigkeit solle nicht der Vorrang vor effektiver Gerechtigkeit eingeräumt werden.530 Es wurde auch mit der Bedeutung von Gerechtigkeit bezüglich der Abschreckung und der Wiederversöhnung argumentiert.531 In zunehmendem Maße wird auch die Bedeutung des Weltrechtsprinzips in der Literatur diskutiert und die Verbindung mit Erga omnes-Verpflichtungen der Staaten und Ius cogens-Normen gezogen.532 b) Menschenrechtlicher Diskurs Der menschenrechtliche Diskurs in dieser Phase konzentriert sich weiterhin auf das dominante Deutungsmuster der Straflosigkeit, das sowohl im völkerstrafrechtlichen als auch im menschenrechtlichen Diskurs diskutiert wird. aa) Verfestigung der Lager: „Legalisten“ gegen „Pragmatiker“ Die „Pragmatiker“ werden zunehmend als „politikwissenschaftlich“ bzw. „politisch“ bezeichnet.533 Die „Legalisten“ forderten dagegen weiterhin das Ideal der Strafverfolgung aller Verdächtiger schwerer Menschenrechtsverletzungen – unter Annahme einer entsprechenden völkerrechtlichen Pflicht der Staaten.534 Dies wird als die Ideallösung535 bzw. klassische Lösung536 beschrieben. Politische Zwänge, zur Verfügung stehenden Ressourcen – sowohl finanzieller, als auch personeller und gegenständlicher Art – sowie ein Mangel an politischem Willen auf der internationalen und nationalen Ebene 529  Akhavan, 530  Ebd., 531  Ebd.

Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 283. S. 284.

532  Vgl. z. B. Bassiouni, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 17; Joyner, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 168. 533  Joyner, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 170. 534  Ebd. S. 161. 535  Morris, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 29. 536  Landsman, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 81.



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werden erkannt,537 der Anspruch der vollen Strafverfolgung in der Praxis aber ausnahmsweise nach unten korrigiert – der Ruf nach dem Ideal bleibt unverändert.538 Eine verminderte Verantwortlichkeit für weniger schwere Menschenrechtsverletzungen wird akzeptiert. Hier wird der Anwendungsbereich für andere TJ-Mechanismen gesehen (z. B. durch „Lustrationsprozesse“ oder breit angelegte Entschädigungsprogramme).539 Instrumente wie Wahrheitskommissionen werden zur Strafverfolgung entweder als alternativ540, komplementär541 oder in einer zeitlichen Abfolge gesehen542. Diese Ansicht wird aber nicht nur von Menschenrechtsaktivisten vertreten, sondern es finden sich auch Wissenschaftler, die mit normativen Argumenten diese Position untermauern. So führt Roht-Arriaza z. B. ihre Argumentation aus dem Jahr 1990 mit ihrem Buch Impunity aus dem Jahr 1995 fort: Neben der Analyse der staatlichen Verpflichtungen zur (straf-)rechtlichen Untersuchung und Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen, die auf ihrem früheren Artikel und dem Orentlichers aufbaut, beschäftigt sie sich ausführlicher mit der aktuellen Rechtsprechung v. a. des Inter-Amerikanischen Menschenrechtssystems aber auch der UN-Menschenrechtsvertragsorgane zu dieser Thematik. Auch unterscheidet sie wiederum eine rechtliche, politische und moralische Dimension in den vorherrschenden Diskussionen.543 Sie nimmt auch die Argumentation Orentlichers hinsichtlich der Trennung der Frage der Derogierbarkeit des Rechtes / Derogierbarkeit der Strafuntersuchungs- und -verfolgungspflicht auf. So bezieht sie sich auf die UN-Antifolter-Konven­ tion und stellt fest, dass diese die erste Frage klar beantwortet, während die Nichtderogierbarkeit nicht auf die Strafuntersuchungs- und -verfolgungspflicht ausgedehnt wird. Ein solches Derogationsverbot könnte sich jedoch 537  Morris,

Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 34. S. 35. Dagegen führt Méndez an, dass dies die Vereinfachung eines sehr komplexen Konstrukts sei. Seiner Ansicht nach müsse der Ausgangspunkt die Analyse der rechtlichen Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Bestrafung von bestimmten Menschenrechtsverletzungen sein. Selbst wenn dies faktisch unmöglich sei, sei der Staat weiterhin zu einer Untersuchung und Offenlegung der Fakten verpflichtet (Méndez, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 269). Es müsse nach alternativen Wegen gesucht werden, um dieser Verpflichtung gerecht zu werden (ebd., S. 271). 539  Cohen, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 520. 540  Landsman, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 82. 541  Bassiouni, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 19. 542  „[V]ery clear that truth commissions are not enough, they are the beginning: truth comes first, but truth must be followed by justice.“ (Schey u. a., Whittier Law Review 19 (1997/98), S. 338.) 543  „[…] the legal, political and moral choices involved are to some degree shaped by the requirements of the international community.“ (Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 5.) 538  Ebd.,

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aus Völkergewohnheitsrecht ergeben.544 Daneben argumentiert sie, dass eine Maßnahme, die ein nichtderogierbares Recht durch spätere Maßnahmen untergraben würde – so wie die fehlende Untersuchung – gegen den Sinn und Zweck der Menschenrechtskonventionen verstoßen würde und bezieht sich auf die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und die Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte.545 In ihrem Buch geht sie wiederholt auf die Unterscheidung zwischen der rechtlichen und der politischen Ebene ein.546 Rechtlich gesehen sei eine Derogation für diese Rechte auch bezüglich der Strafverfolgungs- und -bestrafungspflicht nicht mit internationalem Recht vereinbar. Sie argumentiert daneben, dass, politisch gesehen, manche Menschenrechtsverletzungen so abstoßend seien, dass die internationale Gemeinschaft unter keinen Umständen eine Rechtfertigung der Nichtverfolgung akzeptieren könne.547 Diese klare Unterscheidung zwischen Unvereinbarkeit mit internationalem Recht und moralisch / ethischen Abwägungen ist eine Ausnahme im Diskurs.548 Zum Thema Notstand führt sie das Argument an, dass diese Rechtfertigung nicht auf eine Situation passen würde, in der ein Teil des Staates (das Militär in der Regel) einen anderen Teil des Staates bedrohen würde. Ein Staat könne sich nicht über Notstand rechtfertigen und damit seiner internationalen Verpflichtung entgehen, wenn er selbst zum Entstehen dieser Situation beigetragen habe.549 Insbesondere geht sie auch auf Verjährungsregeln ein, die sich als Defacto-Amnestie herausstellen können, und verweist auf die UN Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War Crimes and Crimes Against Humanity550 sowie die gleichlautende europäische Konvention.551 544  Roht-Arriaza,

in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 62 f. [of the right to habeas corpus, Anm. d. Verf.] is an essential corrollary of the nonderogable nature of the prohibition against torture.“ (Ebd., Impunity, S. 63.) 546  Ebd., S.  5 f. 547  Ebd., S.  62 f. 548  Ebd., S. 487; vgl. auch: „Thus, there are both practical and policy problems in imposing a duty to investigate and prosecute grave human rights abuses. How­ ever, experiences to date indicate that a well-designed strategy of prosecution may help to consolidate the Rule of Law, limit the military’s authority and provide some satisfaction for victims.“ (Ebd., S. 512.) 549  Roht-Arriaza, Impunity, S. 63. 550  UN Dok. A/7218 (1968) (26.  November 1968). 551  European Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to Crimes against Humanity and War Crimes, Strasbourg, 25. Januar 1974 (EU Treaties Series, Vol. III, 1972–1974, S. 213–216). Dabei verweist sie insbesondere auf das erste Urteil des ungarischen Verfassungsgerichtes, das Verjährungsregeln als essen545  „[N]onderogability



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Bezüglich der Thematik der Entschädigungsfragen wirft Roht-Arriaza folgende Fragen auf: Wie lassen sich in einer Situation der generellen Repression, Opfer identifizieren, die „mehr“ oder „weniger“ gelitten haben? Wer zahlt – Steuerzahler oder die ehemals repressiven Institutionen? Welcher Ansatz wird verfolgt ‒ Individualansatz oder Gruppenansatz?552 Damit behandelt Roht-Arriaza zwar die TJ-Problematiken, aber aus dezidiert menschenrechtlicher Perspektive („dilemmas in law and politics“ und „legal and political responses to the question of impunity, both as a matter of general international law and of national experiences“).553 Sie anerkennt die Besonderheit der (politischen) Zwänge, die Transition wird aber nicht zu ihrem zentralen Deutungsmuster. Ihre Publikation ist daher eher menschenrechtlich einzuordnen. bb) Amnestiegesetze Die Legitimität von Amnestiegesetzen ist mehr und mehr umstritten. So schreibt Scharf Amnestiegesetzen rein politische Erwägungen zu.554 Andere verteidigen Amnestien als legitime Instrumente einer TJ-Politik.555 Prägend waren in dieser Phase zwei Ereignisse aus der Praxis, die die Diskussion in der Literatur nachhaltig beeinflussten. Das Lomé-Friedensabkommen für Sierra Leone und die konditionale Amnestie in Südafrika. (1) Amnestie in Sierra Leone: Die UN bezieht Stellung Im Juli 1999 wurde nach langen Verhandlungen der sog. Lomé-Friedensvertrag unterzeichnet, der eine allgemeine bedingungslose Amnestie für alle Parteien des Konfliktes enthielt. Der UN-Special Representantive, der den Friedensprozess und die Verhandlungen um den Friedensvertrag zwischen den Konfliktparteien in Sierra Leone beobachtete bzw. unterstützte, hatte auf Anweisung folgenden Disclaimer neben die (Blankett-)Amnestieklausel des Friedensabkommens geschrieben: „The United Nations holds the understanding that the amnesty and pardon in Article IX of the agreement shall not apply to international crimes of genocide, tielles Element der Vorhersehbarkeit und der Sicherheit des Rechtes – auch mit der Konsequenz der Unmöglichkeit der Strafverfolgung gegen ehemalige Funktionäre des kommunistischen Regimes  − angesehen hatte, und das im folgenden Jahr durch ein anderes Urteil für Kriegsverbrechen revidiert worden war (ebd., S. 64). 552  Ebd., S. 10. 553  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 3 f., 10, 13. 554  Scharf, Texas International Law Journal 31 (1996), S. 18. 555  Slye, Virginia Journal of International Law Association 43 (2002), S. 173 ff.

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crimes against humanity, war crimes and other serious violations of international humanitarian law.“556

Dieses Vorgehen zeigte zum ersten Mal eine eindeutige politische und rechtliche Stellungnahme der UN, die schon zuvor viele Friedensprozesse begleitet hatte (und auch viele Amnestien). Ebenfalls enthielt das Abkommen die Übereinkunft, eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einzusetzen. Nach einigen Monaten brach der Konflikt erneut aus und die Regierung forderte die Vereinten Nationen auf, den SCSL zu errichten.557 Der Gerichtshof konnte im März 2004 zur Gültigkeit der Amnestieklausel im Lomé-Abkommen Stellung nehmen.558 (2) A  mnestie in Südafrika: Rechtliches Vorgehen gegen die Amnestie vor der nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit Emblematisch für die Transition Südafrikas war die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) und die Verhängung konditionaler Amnestien. nach: Hayner, Negotiating Peace in Sierra Leone, S. 5. Literatur unterstützte die Bevölkerung Sierra Leones die Amnestie, da diese sich ein Ende des Konfliktes wünschte. Auch wird berichtet, dass Stimmen lauter wurden, die kritisch hinterfragten, ob die Entscheidung der Bevölkerung oder der internationale Gemeinschaft zustehen würde. Nach den Ereignissen im Mai 2000 schwand jedoch die Unterstützung für die Amnestie (Gallagher, Thomas Jefferson Law Review 23 (2000–2001), S. 165, 191, 193). 558  Der Sondergerichtshof hatte über die Berufung zweier verurteilter Täter zu entscheiden, die sich darauf stütze, dass die Amnestie des Lomé-Friedensabkommens die Unzulässigkeit des Strafverfahrens vor dem Sondergerichtshof nach sich ziehe (SCSL, Prosecutor v. Kallon & Kamara (Decision on Challenge to Jurisdiction, Lomé Accord), Nr. SCSL-2004-15-AR72, SCSL-2004-16-AR72(E), S. 1 ff.). Dagegen stellte der Gerichtshof fest: „the role of the UN as a mediator of peace, the presence of a peace-keeping force which generally is by consent of the State and the mediation efforts of the Secretary-General cannot add up to a source of obligation to the international community to perform an agreement to which the UN is not a party.“ (Ebd., S. 39.) Artikel 10 des Statuts des Sondergerichtshofes würde der Berücksichtigung der Amnestie entgegenstehen („an amnesty granted to any person falling within the jurisdiction of the Special Court in respect of [international] crimes [within the Special Court’s jurisdiction] shall not be a bar to prosecution“; ebd., S. 53, 64). Die Berufungskammer hielt hierzu fest: „Where jurisdiction is universal, a State cannot deprive another State of its jurisdiction to prosecute the offender by the grant of amnesty. It is for this reason unrealistic to regard as universally effective the grant of amnesty by a State in regard to grave international crimes in which there exists universal jurisdiction. A State cannot bring into oblition and forgetfulness a crime, such as a crime against international law, which other States are entitled to keep alive and remember.“ (Ebd., S. 67; vgl auch Besprechung bei Williams, Human Rights Review 5 (2005), S. 307 ff.) 556  Zitiert 557  Laut



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Als entscheidend für die Wahl des Transitionsinstruments einer Wahrheitskommission mit konditionaler Amnestie – und nicht von Strafverfolgungen – wird u. a. in der Literatur die damalige Sicherheitssituation genannt, in der ein substantielles Risiko gewaltsamer Racheakte bestand bzw. der Flucht von Mitgliedern der südafrikanischen Polizei- und Verteidigungskräfte ins Ausland. Ebenfalls wurde auf die damals eher nüchterne Bilanz des ICTY und ICTR verwiesen. Es herrschte die Auffassung unter vielen Apartheidsgegnern, dass Prozesse zu nur wenigen Verurteilungen führen würden. Hinzu kam das Problem der personalen Kontinuität der Apartheidsbefürworter in der Justiz.559 Zeit und Geldmangel einer Gesellschaft im Wiederaufbau wurden auch angeführt. Ein strafrechtliches Vorgehen würde auch die Aufmerksamkeit zu sehr auf die Täter lenken und die Opfer ausschließen.560 Es wurde vorgezogen, ein „systematisches und kollektives“ Bild von der Menschenrechtslage während der Apartheid zu erstellen als sich auf „einzelne“ Menschenrechtsverletzungen zu konzentrieren, um die gesamte Bevölkerung miteinzubeziehen.561 Ein Prozess der öffentlichen Wahrheitssuche wurde als essentieller Bestandteil des Heilungsprozesses gesehen.562 Diese politische Entscheidung wurde jedoch nicht von der gesamten Bevölkerung getragen. Die Familien fünf prominenter Apartheidsopfer gingen im nationalen Rechtssystem gerichtlich gegen das TRC-Gesetz vor.563 Die rechtlichen Argumente der Beschwerdeführer stützten sich v. a. auf das 559  McCarthy,

Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 187. S. 189. 561  „South Africa’s amnesty process is implicating more people in apartheid crimes and promoting more reconciliation than individual prosecutions would have allowed.“ (McCarthy, Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 188; vgl. auch: Asmal u. a., Reconciliation through truth, S. 19.) 562  Sarkin, South African Journal on Human Rights 12 (1996), S. 620. 563  Dabei wurde der Cape High Court für eine einstweilige Unterlassungsverfügung gegen die TRC ersucht, Amnestien zu gewähren, während die Entscheidung des südafrikanischen Verfassungsgerichtes noch ausstand. Der High Court lehnte den Antrag ab – mit dem Hauptargument, dass die Verwendung des Begriffes „Amnestie“ in der südafrikanischen Interimsverfassung ausreiche, um eine zivil- wie auch strafrechtliche „Amnestie“ zu rechtfertigen. Die Argumentation, dass das TRC-Gesetz mit internationalem Recht vereinbar sei, wurde als hölzern kritisiert. So wird argumentiert, dass das ZP I der 1949 Genfer Konventionen nicht anwendbar sei, da es sich bei der Apartheid nicht um einen „armed conflict in which peoples are fighting against colonial domination and alien occupation and against racist regimes in the exercise of their right to self determination“ (ZP I) handele. Damit ist der Weg zur Anwendung des ZP II und dessen Amnestieklausel in Artikel 6 Abs. 5 frei, was von dem Gericht als Anhaltspunkt dafür genommen wurde, dass es kein eindeutiges Amnestieverbot im internationalen Recht gäbe (Du Bois-Pedain, Transitional Amnesty in South Africa, S. 32). 560  Ebd.,

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Recht auf gerichtliches Gehör sowie einer völkerrechtlichen Pflicht auf Bestrafung von schweren Menschenrechtsverletzungen.564 Der Antrag an das Verfassungsgericht, das TRC-Gesetz für verfassungswidrig zu erklären, scheiterte: Zunächst stellte das Gericht fest, dass das Amnestiegesetz durchaus durch die Blockierung des zivil- oder strafrecht­ lichen Rechtsweges gegen fundamentale Menschenrechte sowie das Prinzip der Verantwortlichkeit verstoßen würde (§ 9). Im Weiteren prüfte das Gericht dann jedoch die Möglichkeit einer verfassungsimmanenten Schranke und hielt den Epilog sowie Art. 33 der Verfassung für ausreichend, um die obengenannten Rechte einschränken zu können. Dabei ging das Gericht davon aus, dass die Amnestie für die Versöhnung der südafrikanischen Gesellschaft und die Konsolidierung der neuen Demokratie notwendig sei. Auf die Erfahrung anderer Länder mit Wahrheitskommissionen wurde dabei explizit Bezug genommen.565 Bezüglich der dritten Frage befand das Gericht, dass die Verfassung einem Parlamentsgesetz erlauben würde, gegen internationales Recht zu verstoßen.566 Weitere Eilanträge gegen Entscheidungen der TRC wurden von der südafrikanischen Justiz pragmatisch, aber im Großen und Ganzen – so die Meinung in der Literatur  − inkohärent in diesem Sinne entschieden.567 Die südafrikanische Amnestie wird damit zum Symbol einer gelungenen Transitionspolitik und stellt einen gewissen Schnitt in der „Straflosigkeitsdebatte“ dar, die sich in der Regel gegen Amnestien ausprach. Die Akzeptanz der Amnestie ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der TJ-Diskurs in dieser Phase „hoffähig“ geworden war und sich aus dem menschenrecht­ lichen Diskurs herausgelöst hatte.568 564  Vgl. Azanian Peoples Organization (AZAPO) and others v President of the Republic of South Africa and Others (CCT17/96), BCLR 8 (1996), 1015 ff., § 8. Die drei Hauptfragen, die aufgewerfen werden, lauteten: erstens, ob die Amnestieregelung nur für strafrechtliche Prozesse bedeutsam wäre; zweitens, ob die Behauptung der Beschwerdeführer, dass internationales Recht Amnestien für Kriegsverbrechen verbiete, korrekt wäre; und, drittens, ob die Gerichte in Südafrika dazu verpflichtet wären, internationales Recht anzuwenden (Sarkin, South African Journal on Human Rights 12 (1996), S. 626). 565  Vgl. AZAPO-Fall, §§  22 ff. 566  Vgl. ebd., §§ 26–28. 567  Vgl. Sarkin, South African Journal on Human Rights 12 (1996), S. 636 ff. Darüber hinaus wurde in der Literatur die südafrikanische Amnestie aus verschiedenen Gründen kritisiert, darunter u. a. dass sie gegen Völkerrecht (Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Rassendiskriminierung) verstoßen würde (McCarthy, Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 217). 568  Vgl. so auch: Boraine, Transitional Justice as an Emerging Field; ders., Life in Transition.



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Es ist auffällig, dass sich in der internationalen Literatur kaum kritische Stimmen zur südafrikanischen Amnestie finden, sondern vielmehr nur einige wenige Aspekte derselben kritisch hinterfragt werden. Im Großen und Ganzen wurde diese konditionale Amnestie von den Wissenschaftlern unterstützt. c) Dichotomien „Gerechtigkeit …“ aa) „… und Frieden“ Der Diskurs zeigt eine zunehmende Tendenz auf, die Gerechtigkeit und Frieden nicht mehr als widersprüchlich bzw. alternativ diskutiert, sondern vielmehr betont, dass beides komplementär zu sehen sei.569 Dies wird u. a. mit dem Satz „no peace without justice“570 umschrieben. Die vorherige „Gerechtigkeit vs. Frieden“- Dichotomie wird von Méndez als ein Grundmissverständnis des frühen TJ-Diskurses bezeichnet.571 Akhavan zeigt eindrucksvoll, wie die Diskussionen im UN-Sicherheitsrat zur Errichtung des ICTY und des ICTR die Diskussion um diese Dichotomie beeinflusst haben. Durch das Heranziehen von Kapitel VII der UNCharta zur Rechtfertigung der Einrichtung des ICTY sei die Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit über die Schwelle eines moralischen Desideratums gehoben worden und die Verbindung in rechtlich zu beachtender Weise festgestellt worden.572 Akhavan kommt zu dem Schluss, dass die Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen hiermit das Deutungsschema „Gerechtigkeit und Frieden“ (anstatt „Gerechtigkeit vs. Frieden“) verinnerlicht hatten.573 Goldstone legt das Umschwingen des Diskurses von „Gerechtigkeit vs. Frieden“ auf „Gerechtigkeit und Frieden“ auf einen späteren Zeitpunkt – aber ebenfalls im Zusammenhang mit dem ehemaligen Jugoslawien: So hätten noch während der Dayton-Friedensverhandlungen die Mehrheit der Delegierten die Überzeugung geteilt, dass die Arbeit des ICTY den Friedensprozess verlangsamen würde.574 569  Goldstone, Stanford Journal of International Law 33 (1997), S. 5; ders., Hastings Constitutional Law Quarterly 22 (1995), S. 620; ders., New York University Journal of International Law & Policy 28 (1995/96), S. 486, 501; Bassiouni, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 13. 570  Bassiouni, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 24; Joyner, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 161. 571  Méndez, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 273. 572  Ebd., S.  260 ff. 573  Ebd., S. 264. 574  Goldstone, New York University Journal of International Law & Policy 28 (1995/96), S. 488.

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bb) „… vs. Wahrheit“ Allerdings werden die Begriffe „Gerechtigkeit“ und „Wahrheit“ auch weiterhin alternativ verwendet, wobei „Gerechtigkeit“ mit Strafprozessen und „Wahrheit“575 mit Wahrheitskommissionen gleichgesetzt wird. Argumentiert wurde v. a. mit den lateinamerikanischen Beispielen und Südafrika. Wahrheitskommissionen würden „Versöhnung“ fordern und Prozesse würden „Rache“ befördern.576 cc) „… und Versöhnung“ Ebenfalls eine wichtige Rolle spielte die Verbreitung des „Ver­ söh­ nungs“diskurses. Für einige Autoren nimmt „Versöhnung“ ganz den Platz der Diskussionen um „Gerechtigkeit und Frieden“ ein.577 „Versöhnung“ wird aber jedenfalls zur Klammer zwischen beiden als widersprüchlich wahrgenommenen Zielsetzungen im Transitionskontext: wahre nationale Versöhnung könne – so für das Beispiel Ruandas – nur durch die Beendigung des Klimas der Straflosigkeit und damit die Bestrafung „der“ Schuldigen erreicht werden. Peacebuilding und die Wahrung der Menschenrechte würden so Hand in Hand gehen.578 Dabei ist zu beachten, dass „Versöhnung“ in einem nationalen Kontext oft nicht unumstritten war.579 Méndez erklärt die ursprüngliche Skepsis der nationalen und internationalen Menschenrechtsbewegungen, die in „Versöhnung“ lange Zeit eine neue Form der Straflosigkeit gesehen hatten, da der Begriff von repressiven Regimen als Rechtfertigung für eben diese verwendet worden war.580 Jedenfalls wird der Diskurs stark von der Diskussion des Verhältnisses von „Gerechtigkeit und Versöhnung“ in Südafrika (1), Osttimor (2), Sierra 575  Oft wurden Wahrheit und Versöhnung auch gleichgesetzt, obwohl es in der Literatur auch kritische Stimmen gab, die ausführten, dass beides nicht unbedingt komplementär sei (McCarthy, Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 253). 576  Méndez, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 267. 577  „[S]hift from a policy of trying and punishing to one of ‚forgiving and of getting‘.“ (de Greiff, Philosophy & Social Criticism 22 (1996), S. 94.) 578  Akhavan, American Journal of International Law 90 (1996), S. 341 ff.; Goldstone, New York University Journal of International Law & Policy 28 (1995/96), S. 501. 579  Für das Beispiel Ruanda zitieren Ngesi/Villa-Vicencio einen Ruander: „Reconciliation may work in South Africa. In Rwanda we need justice and time to bury our dead. We may then be able to consider reconciliation.“ (Ngesi/Villa-Vicencio, in: Doxtader/Villa-Vicencio (Hrsg.), Through Fire With Water, S. 25.) 580  Méndez, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 273.



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Leone (3) und Peru (4) beeinflusst. Hier zeigt sich auch wie unterschiedlich „Versöhnung“ jeweils im nationalen Kontext diskutiert wurde. (1) Transition in Südafrika Das Mandat der Kommission – so wie durch Gesetz vorgesehen – war sehr ambitioniert. Die TRC sollte „national unity and reconciliation in a spirit of understanding which transcends the conflicts and divisions of the past“581 schaffen. Wichtig für den Ansatz der TRC war es, dass sowohl die Perspektive der Opfer als auch die Motive der Täter berücksichtigt werden sollten. Die südafrikanische TRC wurde nicht nur zu einem Symbol für die südafrikanische Transition, sondern insgesamt für das Feld TJ und diente z. B. in den Transitionen Sierra Leones, Liberias oder Indonesiens als Vorbild. Die TRC war aus 16 Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zusammengesetzt, darunter v. a. Menschenrechtsaktivisten, Psychologen, aber auch Akademikern und Klerikern.582 Das Mandat der TRC deckte zeitlich die Periode von März 1960 (sog. Sharpeville-Massaker) bis 6. Dezember 1993 (Einsetzung der transitionellen Regierung durch den African National Congress) ab. Dabei hatte die Kommission drei Hauptaufgaben: die Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, Festsetzung von Entschädigung und die Gewährung von straf- und zivilrechtlicher Amnestie für ein aufrichtiges Geständnis.583 Die TRC hatte drei Komitees: das Komitee für Menschenrechtsverletzungen (Committee for Human Rights Violations, CHRV), das Amnestiekomitee (Committee for Amnesties, CA) und das Komitee für Entschädigung und Rehabilitierung (Committee on Reparation and Rehabilitation, CRR). 581  Promotion of National Unity and Reconciliation Act Nr. 34 (1995), Abschnitt 3. 582  Erzbischof Desmond Tutu (Vorsitzender); Dr. Alex Boraine, Pfarrer und geschäftsführender Direktor des Institute for Democracy in South Africa (1986–90, stellvertretender Vorsitzender); Mary Burton, frühere Präsidentin von Black Sash; Chris de Jager, Anwalt und Politiker; Rev. Bongani Finca, Kleriker; Sisi Kamphephe, Anwältin und Mitglied der Black Lawyer’s Association; Richard Lyster, Anwalt und Direktor des Legal Resources Centre; Wynand Malan, ehemaliger Parlamentsabgeordneter; Hlengiwe Mkhize, Psychologin; Sumisa Ntsebeza, Anwalt und Mitglied der Black Lawyers’ Association; Dr. Wendy Orr, Universität Kapstadt; Dr. Mapule Ramashala, klinischer Psychologe und Wissenschaftler; Dr. Yasmin Sooka, Anwalt und nationaler Präsident der World Conference on Religion and Peace; Glenda Wildachut, Sozialarbeiterin; Rev. K.M. Mqojo, Kleriker; und der Anwalt Denzil Potieter Cavanaugh. 583  Schey u. a., Whittier Law Review 19 (1997/98), S. 327.

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Das CHRV erfuhr am meisten Aufmerksamkeit, v. a. aufgrund der starken Präsenz in den nationalen und internationalen Medien: so wurde es zum „Gesicht“ der TRC.584 Die Aufgaben und Funktionen dieses Komitees (Abschnitt 14 des Gesetzes) waren, insbesondere die Muster systematischer Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, Motivbündel zu identifizieren und individuelle sowie institutionelle „Täter“ zu identifizieren und ihre Verantwortlichkeit festzustellen.585 Dabei wurden unter schweren Menschenrechtsverletzungen Tötungen, Entführungen, Folter und andere gleichermaßen schwerwiegende Misshandlungen verstanden.586 Es wurde kritisiert, dass „strukturelle Gewalt“ nicht Teil der Aufarbeitung durch die TRC war, die zahlenmäßig weitaus mehr Opfer als die politische Gewalt gekostet hatte.587 In diesem Komitee war v. a. die Opferperspektive wichtig.588 Für das Amnestiekomitee entgegen war die Täterperspektive prägend, da hier die Täter nur gegen eine völlige Offenlegung ihrer Taten die – sowohl straf- als auch zivilrechtlich geltende – Amnestie erlangen konnten. Die Kompetenzen des CA waren in Abschnitt 20 des Gesetzes festgelegt. Wichtig – und dies wurde auch von Kritikern bemängelt – war, dass es nicht zu den Voraussetzungen der Gewährung der Amnestie gehörte, irgendeine Form von Reue zu zeigen, und im Allgemeinen auch nur minimale Voraussetzungen erfüllt sein mussten: Dabei war aber explizit ein solches Verhalten von der Gewährung einer Amnestie ausgeschlossen, das „out of personal malice, ill-will or spite“ oder aus persönlichem Gewinnstreben begangen wurde. § 20 (2) des Gesetzes legt darüber hinaus die Kriterien für die Bejahung eines „politischen Motives“ fest.589 584  Verdoolaege,

Reconciliation discourse, S. 11. Bericht, Bd. I, S. 267. 586  Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 11. 587  Moon, Social & Legal Studies 15 (2006), S. 260. 588  Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 2. 589  Zumindest das fünfte Kriterium („whether the act, omission or offence was committed in the execution of an order of, or on behalf of, or with the approval of, the organization, institution, liberation movement or body of which the person who committed the act was a member, or agent or a supporter“) entsprach dem Befehlsnotstand im Völkerstrafrecht, wurde aber nicht entsprechend den Nürnberger Prinzipien gehandhabt. Dieses Kriterium wurde als wichtige Tatbestandsvoraussetzung für die Zulässigkeit eines Antrages auf Amnestiegewährung gesehen, d. h. nicht nur hinsichtlich einer Strafmilderung gewichtet. Das sechste Kriterium („the relationship between the act, omission or offence and the political objective pursued, and in particular, the directness or proximity of the relationship and the proportionality of the act, omission or offence of the objective pursued“) war eine Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung, politisch stark umstritten und sorgte in der Praxis für starke Auslegungsprobleme (§ 20 (3) (c) Promotion of National Unity and Reconciliation 585  TRC,



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)251

Für die Gewährung der Amnestie musste das Komitee überzeigt sein, dass die Person „full disclosure“ geleistet habe.590 Die Diskursgeschichte des Endes des Apartheidsregimes und der TRC ist verhältnismäßig gut erforscht.591 Die Natur des Diskurses wich klar von dem eines Gerichtssaales ab: Es fanden sich hauptsächlich therapeutische und religiöse Diskurselemente (v. a. „Versöhnung“, „Vergebung“, „Mitleid“ und „Beileid“).592 Der therapeutische Diskurs zeichnete sich durch die Behauptung aus, dass die Aussage vor der Kommission für den Aussagenden eine positive und heilende Wirkung habe. So stellt Verdoolaege fest, dass das Wort „Heilen“ aus den Anhörungen und den Diskussionen in der Öffentlichkeit nicht mehr wegzudenken war, obwohl das TRC-Gesetz diesen Begriff nicht einmal erwähnte. Das Erzählen des Geschehenen („storytell­ ing“) wurde als therapeutisches Mittel angesehen.593 Der religiöse Diskurs fand v. a. durch Einzelpersonen Einzug in die Anhörungen, so z. B. durch Aussagen der Kommissionsmitglieder, wie z. B. Erzbischofs Tutu. Teilweise wurden Zeugenaussagen in religiöse Worte „geframt“.594 Die Terminologie der „Opfer“ und „Täter“ spielte ebenfalls eine wichtige Rolle. Auch bedeutend war die formale Natur der Anhörungen.595 Vor allem vor dem Amnestiekomitee wurde ein rechtlicher Diskurs gebraucht. Vor diesem Komitee, dessen Arbeit vor allem durch Anwälte, Juristen und Richter geprägt wurde, wurde das Hauptaugenmerk auf die „Wahrheitsfindung“ gelegt. Die Anhörungen wurden als „quasi-rechtlich“ angesehen, mit Zeugen, Angeklagten, Beweisregeln, rechtlichen Richtlinien und Prozeduren, Übersetzern und „Gerichts“-Reportern.596 Da durch das TRC-Gesetz das Ziel der TRC als nationale Einheit und Versöhnung definiert war (§ 3 Abs. 1), wurden sowohl die „Versöhnung“ als auch die „nationale Einheit“ als zwei wichtige Elemente der Metanarrative gesehen.597 Hinzu kam der Respekt für die Opfer als inhärentes Element der Metanarrative, die Betonung des emotionalen Diskurses, der sich z. B. darin äußerte, dass Einzelheiten von Folter geschildert wurden und die physischen Act 24 (1996); McCarthy, Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 228, 233, 236). 590  § 20 (1) (c) Promotion of National Unity and Reconciliation Act 24 (1996). 591  Vgl. insbesondere Verdoolaege, Reconciliation discourse, und Du Toit/Dox­ tader, In the Balance: South Africans Debate. 592  Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 27. 593  Ebd. 594  Ebd. 595  Bock, A Discourse Analysis of Selected TRC testimonies, S. 4. 596  Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 27. 597  Ebd., S.  56 f.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

und psychologischen Wirkungen der Menschenrechtsverletzungen lange ausgeführt wurden.598 Die Transition wird zu einem wichtigen Deutungselement der Einrichtung der südafrikanischen TRC. So findet sich das Bild einer „Brücke“ zwischen einer tief gespaltenen Gesellschaft und einer in Menschenrechten verankerten Zukunft mit Demokratie und friedvoller Koexistenz bereits in der 1994 Interimsverfassung, die auch die Einrichtung der TRC vorsah.599 „The TRC was seen as a bridge-building process between a past of injustice, discrimination and intolerance and a future founded on the recognition of human rights, democracy and equality. One of the main tasks of the Commission was to uncover as far as was possible the truth about gross violations of human rights; it was believed that this task would be necessary for the promotion of reconciliation and national unity.“600

Die von der TRC untersuchten Menschenrechtsverletzungen waren solche, die als „gross violations of human rights“ bezeichnet wurden.601 In der Literatur wurde bemerkt, dass vor dem Aufkommen des Menschenrechtsdiskurses auf der internationalen Bühne, die Geschichte (und Apartheidserfahrung) Südafrikas nicht in einem menschenrechtlichen Diskurs „geframt“ war, sondern eher als eine Geschichte der Unterdrückung, Aus598  Ebd,

S. 56. der Interimsverfassung: „This Constitution provides a historic bridge between the past of a deeply divided society characterised by strife, conflict, untold suffering and injustice, and a future founded on the recognition of human rights, democracy and peaceful co-existence and development opportunities for all South Africans, irrespective of colour, race, class, belief or sex. The pursuit of national unity, the well-being of all South African citizens and peace require reconciliation between the people of South Africa and the reconstruction of society. The adoption of this Constitution lays the secure foundation for the people of South Africa to transcend the divisions and strife of the past, which generated gross violations of human rights, the transgression of humanitarian principles in violent conflicts and a legacy of hatred, fear, guilt and revenge. These can now be addressed on the basis that there is a need for understanding but not for vengeance, a need for reparation but not for retaliation, a need for ubuntu but not for victimisation. In order to advance such reconciliation and reconstruction, amnesty shall be granted in respect of acts, omissions and offences associated with political objectives and committed in the course of the conflicts of the past. To this end, Parliament under this Constitution shall adopt a law determining a firm cut-off date, which shall be a date after 8 October 1990 and before 6 December 1993, and providing for the mechanisms, criteria and procedures, including tribunals, if any, through which such amnesty shall be dealt with at any time after the law has been passed. With this Constitution and these commitments we, the people of South Africa, open a new chapter in the history of our country.“ 600  Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 9. 601  Moon, Social & Legal Studies 15 (2006), S. 260. 599  Epilog



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beutung des „gerechten Krieges“ oder der „Revolution“ dargestellt worden wäre.602 Eine weitere Rahmennarrative war die des politischen Nationbuilding. Eine der überragenden Ziele der TRC war es, Solidarität unter den Süd­ afrikanern herzustellen und hierfür waren insbesondere die öffentlichen Anhörungen wichtig. In der Literatur wird beispielsweise hervorgehoben, dass die individuellen Aussagen homogenisiert und entlang einer neuen „nationalistischen“ Narrative umgebildet wurden.603 In diese Narrative fügt sich auch die „Versöhnung“ ein, die als die Grundlage für die Herausbildung einer gerechten Gesellschaft gesehen wurde. Der Begriff der „Versöhnung“ wurde in diesem Diskurs als etwas angesehen, dass als gesondert von der strafrechtlichen Justiz zu betrachten sei und z. B. anhand von Wahrheits- und Versöhnungskommissionen verfolgt werden würde.604 Diese wurden häufig als „not strictly judicial“605-Lösung angesehen. Es werden unterschiedliche „Versöhnungs-“ und „Vergebungs“-Narrativen vor der südafrikanischen TRC in der Literatur unterschieden. So unterscheidet Wilson z. B. die rechtlich-prozedurale, die intellektuelle und die religiöserlösende Narrative.606 Die erste Narrative war v. a. unter Juristen innerhalb des Amnestie-Komitees verbreitet und behandelte die Versöhnung von einem juristisch-positivistischem Gesichtspunkt unter strikter Anwendung des Gesetzes aus. Individuelle Gefühle oder Werte hatten hier keinen Platz.607 Die intellektuelle Narrative sah Versöhnung dagegen als ein „nationales“ Unterfangen an; die inter-individuelle Versöhnung sollte um der Nation willen und nicht aus persönlichen Gesichtspunkten heraus erfolgen.608 Der religiöse Diskurs zielte auf die Versöhnung zum Allgemeinwohl ab, das durch die Beichte, die Vergebung, Erlösung und v. a. den Ausschluss von Rache zwischen Individuen erreicht werden würde. Diese Narrative herrschte im CHRV vor.609 Andere wiesen darauf hin, dass der „Versöhnungsdiskurs“ rassistisch geprägt sei, da „die Weißen“ in der Regel von Versöhnung sprechen würden, während „die Schwarzen“ in der Regel „Gerechtigkeit und 602  Ebd.

603  Verdoolaege,

Reconciliation discourse, S. 26. Foreign Affairs 76 (1997), S. 3. 605  Schabas, Criminal Law Forum 7 (1996), S. 529. 606  Wilson, The Politics of Truth and Reconciliation in South Africa (2001), S. 104. 607  Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 26. 608  Ebd, S.  26 f. 609  Ebd, S. 8. 604  Meron,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Restitution“ fordern würden.610 Derrida arbeitete heraus, dass „Vergebung“ im südafrikanischen „Versöhnungsdiskurs“ oftmals instrumentalisiert benutzt worden war (z. B. im Sinne einer christianisierten Sichtweise).611 „Versöhnung“ und „Vergebung“ blieben auch weiterhin feste Bestandteile des südafrikanischen öffentlichen Diskurses nach dem Erscheinen des Berichtes der TRC 1998.612 Wichtig ist hierbei, dass laut dem Vorsitzenden der TRC „Versöhnung“ als Gegenteil von „retributiv“ und westlich aufzufassen sei.613 Andere Autoren haben daneben noch andere Diskurse identifiziert, so z. B. einen medizinischen, psychologischen und „ubuntu“-Diskurs (afrikanischer Humanismus), um nur einige wenige zu nennen.614 Die Beurteilungen des Erfolges der südafrikanischen TRC sind gemischt. Während eine große Anzahl der Beobachter schon während und kurz nach dem Prozess von einem Erfolg sprachen, gab es auch einige kritische Stimmen.615 Insbesondere wurde z. B. kritisiert, dass das Hauptziel der TRC „Versöhnung“ gewesen sei und dass die Ziele der Gerechtigkeit und der Wiedergutmachung zum größten Teil geopfert worden wären.616 Viele Opferfamilien und Opfer hätten, einigen Autoren zufolge, auch eine Bestrafung der Täter sowie direkte Reparationszahlungen vorgezogen. Reparationszahlungen konnten aber erst nach dem Abschlussbericht angewiesen werden, 610  Voslo,

Reconciliation and Forgiveness in South Africa: 15 years on, S. 1. hielt er fest, dass sobald eine dritte Partei im Spiel sei, die Rede nicht von Vergebung im engeren Sinn sein könne (Derrida, On Cosmopolitanism and Forgiveness, S. 42; Derrida, in: Caputo u. a. (Hrsg.), Questioning God, S. 21 ff.). 612  Villa-Vicencio, in: Du Toit/Doxtader (Hrsg.), In the Balance, S. 160–168. 613  „Retributive justice is largely western. The African understanding is far more restorative – not so much to punish as to redress or restore a balance that has been knocked askew. The justice that we hope for is restorative of the dignity of the people.“ (Desmond Tutu, zitiert nach Minow, Between Vengeance and Forgiveness, S. 81.) 614  Für einen Überblick vgl. Darstellung bei Verdoolaege, Reconciliation discourse, S.  8 ff. 615  Als problematisch wurde u.  a. angesehen, dass nur wenige Amnestien von den Führern der jeweiligen Gruppierungen beantragt wurden. Viele der führenden Minister der Apartheidsregierung hatten sich explizit dagegen ausgesprochen. Dagegen stellten einige Dutzend Führer der ANC den Antrag. Nichtsdestotrotz kam die Mehrzahl aller Bewerbungen um Amnestie aus den niederen und mittleren Reihen (McCarthy, Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 191). Die Enthüllungen während den Amnestieanhörungen betrafen auch mehr oder weniger schon bereits bekannte Verbrechen, so dass nur im geringen Ausmaße neue Tatsachen ans Licht kamen (ebd.). Ein weiterer Diskussionspunkt war das Ausmaß, in dem die Aussagen vor der TRC gegen die Aussagenden bzw. gegen Dritte vor Gericht verwendet werden konnten. Diese Frage stellte sich insbesondere in Fällen, in denen die Aussagenden nicht die Personen waren, die um eine Amnestie gebeten hatten (ebd., S. 240 f.; vgl. auch Moon, Social & Legal Studies 15 (2006), S. 258 m. w. N.). 616  Schey u. a., Whittier Law Review 19 (1997–1998), S. 325. 611  Auch



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wenn dieser die Opfer als Opfer von schweren Menschenrechtsverletzungen bezeichnete.617 Die südafrikanische Wahrheitskommission wird als „paradigmatischer Moment“618 in der Entwicklung des TJ-Feldes eingeordnet, v. a. der TJPraxis und ihrer Professionalisierung (es beginne eine „burgeoning industry“ mit Wahrheitskommissionen619). Mit ihr gelangten die Politics of Reconciliation in den Mittelpunkt von Theorie und Praxis. So habe der südafrikanische Ansatz z. B. das Herangehen an die Transition in Nordirland und Peru beeinflusst.620 „Versöhnung“ wurde zum Schlagwort, das sowohl von Vertretern des „pragmatischen“ als auch des „legalistischen“ Lagers angewandt werden konnte.621 Das südafrikanische Beispiel wurde insbesondere auch zum „Exportschlager“ aufgrund des Schlagworts der restaurativen Gerechtigkeit.622 Dabei wurde wichtiges Deutungselement das „Erzählen einer Geschichte, die zur Katharsis, Heilung und Versöhnung auf individueller und nationaler Ebene“ führte.623 Dies öffnete den TJ-Diskurs im Nachhinein nachhaltig für andere Disziplinen, der zuvor, wie gezeigt, v. a. rechtswissenschaftlich geprägt war. Der hohe Einfluss des südafrikanischen Beispiels wird einerseits mit den charismatischen Führerpersönlichkeiten des Transitionsprozesses erklärt sowie mit der Tatsache, dass die Webseite und alle Darstellungen der TRC in den Medien auf Englisch waren – und damit die TRC für die Rezeption durch ein internationales Publikum geeignet war.624 (2) Gerechtigkeit und Versöhnung in Osttimor Im Lichte der limitierten Ressourcen der Strafverfolgungsbehörden in Osttimor wurde das Bedürfnis für eine komplementäre Strategie augenscheinlich.625 Die Initiative zur Etablierung einer Wahrheitskommission kam aus der Mitte des Nationalen Rates und der osttimoresischen Menschenrechtsgemeinschaft. Bei dem Entwurf des Mandates und der Bestim617  McCarthy, 618  Moon, 619  Ebd.

Michigan Journal of Race & Law 3 (1997/98), S. 192. Social & Legal Studies 15 (2006), S. 258.

620  Hamber,

Fordham International Law Journal 26 (2002), S. 1074 ff. Social & Legal Studies 15 (2006), S. 258. 622  So hatte Tutu ausgeführt, dass das südafrikanische Modell in allen Konfliktsituationen weltweit angewandt werden könne (vgl. Verdoolaege, Reconciliation discourse, S. 27). 623  Ebd. 624  Ebd., S. 25. 625  Harper, Journal of Conflict and Security Law 10 (2005), S. 149 ff. 621  Moon,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

mung der Arbeitsweise waren ebenfalls lokale Akteure intensiv beteiligt. Das Statut der Comissão de Acolhimento, Verdade, e Reconciliação (CAVR) wurde dann von UNTAET nach kurzer Konsultierung des Nationalen Rates verabschiedet.626 Die Aufgaben der CAVR können in zwei Hauptfunktionen unterschieden werden: die Aufklärung vergangener Menschenrechtsverletzungen (sowohl während der indonesischen Besetzung als auch während der Gewaltwelle nach dem Referendum 1999)  − Wahrheit  − und Versöhnung. Während erstere Funktion sich lediglich auf schwere Menschenrechtsverletzungen bezog und die Frage beantworten sollte, ob die Menschenrechtsverletzungen das Resultat einer vorsätzlichen Planung, Politik oder Autorisierung durch den Staat oder eines Staatsorgans, einer politischen Organisation, Miliz, Befreiungsbewegung oder anderen Gruppen oder Individuen waren,627 beschränkte sich die zweite Funktion auf die weniger schwerwiegende Verbrechen, d.  h. Menschenrechtsverletzungen, die nicht Genozid, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord, Sexualverbrechen oder Folter darstellten. Für diese Verbrechen war die Möglichkeit des Durchlaufens des Versöhnungsprozesses gegeben.628 Ein weiterer innovativer Aspekt der Arbeit der CAVR war der Versöhnungsprozess auf Gemeinschaftsebene für Verbrechen, die nicht als „schwer“ von dem SCU eingestuft wurden, der auf einem traditionellen Konfliktlösungsmechanismus beruhte („adapt“). Wurde ein solcher Prozess von einem Täter erfolgreich zu Ende geführt, kam er in den Genuss von straf- und zivilrechtlicher Immunität.629 626  Lyons,

in: Romano (Hrsg.), Internationalized Criminal Courts, S. 102. UNTAET Reg. 2001/10 (31.  Juli 2001) Abschnitt 3.1. 628  Lyons, in: Romano (Hrsg.), Internationalized Criminal Courts, S. 105. 629  Täter, die sich für den Versöhnungsprozess qualifizieren wollten, mussten eine schriftliche Anfrage einreichen, in der u. a. alle relevanten Handlungen vollständig beschrieben wurden, die Verantwortlichkeit für diese Handlungen übernommen, die Verbindung dieser Handlungen mit dem politischen Konflikt in Osttimor erklärt und eine spezifische Gemeinschaft identifiziert wurde, mit der der Versöhnungsprozess durchgeführt werden sollte. Eine Kopie der Anfrage wurde an die SCU geschickt bevor über die Zulassung des Antrags zum Versöhnungsprozess entschieden wurde. Wurde der Antrag zugelassen, wurde der Fall an einen regionalen Kommissar weitergeleitet, der einen Versöhnungsausschuss anrief, in dem Vertreter der Gemeinschaft saßen. In einer öffentlichen Sitzung wurde der Antragsteller, seine Opfer und andere Zeugen gehört. In diesem Stadium konnte der Fall immer noch an die SCU überstellt wurde. Nach der Sitzung wurde über einen geeigneten Versöhnungsbeitrag entschieden, wie z. B. allgemeinnützige Dienste, Entschädigungen oder öffentliche Entschuldigungen. Diese Entscheidung wurde dem relevanten Landgericht zur Überwachung der Durchführung übergeben. Wurde dieser Prozess erfolgreich durchlaufen, wurde Immunität vor straf- oder zivilrechtliche Verfolgung für die im Versöhnungsprozess angesprochenen Taten gewährt (Lyons, in: Romano (Hrsg.), Interna­ tionalized Criminal Courts, S. 107 f.). 627  Vgl.



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Die Möglichkeit des Durchlaufens eines solchen Verfahrens deckte sich mit der Erwartungshaltung der osttimoresischen Bevölkerung: Für ost­ timoresische Milizen, die entweder in die Miliz gezwungen worden waren oder aber freiwillig beigetreten waren (aber sich deren Zielen nicht emo­tio­ nal verpflichtet fühlten) wurde ein geringeres Strafmaß gefordert.630 Allerdings fühlen sich die Täter von niederem oder mittlerem Rang, die sich freiwillig dem Versöhnungsprozess unterzogen, als „Sündenbock“, da Militärs höheren Rangs nicht oder kaum zur Verantwortung gezogen wurden und sich weiterhin auf freiem Fuß in Indonesien befanden.631 Der historische Teil des Abschlussberichtes der CAVR war sehr kraftvoll und präzise: Die Kommission stellte fest, dass zumindest 102.800 Osttimoresen als direkte Folge der indonesischen Besetzung umgekommen waren und etablierte detailgenau die direkte Verantwortlichkeit der indonesischen Sicherheitskräfte für die Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.632 Ebenfalls bemerkenswert sind die Ausführungen zu der Verantwortlichkeit der FRETILIN für Menschenrechtsverletzungen, auch wenn diese nur verhältnismäßig klein im Vergleich zu der der indonesischen Sicherheitskräften war.633 Die Gewaltwelle im Jahr 1999 wird als systematische Kampagne beschrieben für die die höchsten Ebenen der indonesischen Regierung verantwortlich gehalten wurden. An der Wahrheitskommission wurden verschiedene Aspekte kritisiert, z. B. Verweisungen an die SCU634 und die fehlende Vertraulichkeit der Informationen635.636 Die Arbeit der CAVR wurde aber von der Bevölke630  Harper,

Journal of Conflict and Security Law 10 (2005), S. 153 ff. Justice Abandoned, S. 14. 632  Commission for Reception, Truth and Reconciliation in East Timor, Final Report, Teil 8, Annex 3 (High-Level Command Responsibility). 633  Dagegen hatte das indonesische Ad-hoc-Gericht festgestellt, dass die Todesfälle unter der Zivilbevölkerung v. a. indirekt aus Kampfhandlungen zwischen Militia und den Sicherheitskräften resultierten (Cohen, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 524). 634  So wurde in der Mehrzahl aller Fälle, die an die SCU von der CAVR verwiesen wurden, weder eine Strafverfolgung eingeleitet, noch der Fall an die CAVR zurückverwiesen. 635  Die Vertraulichkeit sollte durch die CAVR so weit wie möglich gewahrt bleiben, allerdings konnte die Staatsanwaltschaft Informationen, die schwere Verbrechen betreffen, von der CAVR anfordern. Abgesehen davon, kann diese Konstellation auch vor dem Hintergrund des Aussageverweigerungsrechts und Beweisverbotes (nemo ipse tenetur) kritisiert werden (vgl. auch UNTAET Reg. 2001/10, Abschnitt 17.1). 636  Zwei weitere Kritikpunkte waren das Nichtverteilen des Kommissionsberichtes unter der Bevölkerung und die Nichtexistenz eines Reparationsprogrammes für schwere Verbrechen (Hirst/Varney, Justice Abandoned, S. 14, Fn. 100). 631  Hirst/Varney,

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rung als Beitrag zur Herstellung von Gerechtigkeit und Versöhnung gese­ hen.637 Allerdings gab es auch viele Opfer, die nicht der Meinung waren, dass ihnen ausreichend Gerechtigkeit widerfahren sei.638 So kommt Kingston zu dem Schluss: „The verdict on justice for East Timor is one of disappointment. The main obstacle to accountability is Indonesia […]. East Timor’s leaders have emphasized reconciliation while promoting a healing process and good governance […]. The hybrid tribunal […] was once heralded as an important innovation in transitional justice, avoiding the high costs and lenghthy proceedings of other international trubunals. However, the tribunal has been unable to hold accountable those who bear the greatest responsibility for outrages against Timorese and defendants did not get fair trials or competent defense. A truth commission report […] emphasizes justice and reparations. The political leadership soft peddles justice because they believe this makes more sense and will better serve the people.“639

(3) Gerechtigkeit und Versöhnung in Sierra Leone Das Gesetz zur Gründung der TRC wurde im Jahr 2000 verabschiedet; aufgrund interner Schwierigkeiten begann die Kommission jedoch erst Ende 2002 mit ihrer Arbeit. Das Mandat der Wahrheits- und Versöhnungskommission bestand darin einen historischen Bericht von Beginn des Krieges 1991 bis zum Friedensabkommen von Lomé im Juli 1999 anzufertigen.640 Die territoriale Zuständigkeit des TRC umfasste dabei alle Handlungen im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Sierra Leone und damit auch Handlungen, die außerhalb des Hoheitsgebietes Sierra Leones begangen wurden. Hinsichtlich der Beurteilung des verfahrenstechnischen Aspektes der Arbeit der Kommission kann insgesamt ein positives Bild gezeichnet werden: Die vielen lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in der Planung involviert waren, brachten die besonderen Probleme des Konflikts in die Arbeit der Kommission ein, d. h. v. a. die Problematik der „Kindersoldaten“, sexualisierte Gewalt und die Hilfsbereitschaft der wichtigsten traditionellen oder religiösen Führer.641 637  Ebd.,

S. 38.

638  Hirst/Varney,

Justice Abandoned, S. 15. Critical Asian Studies 38 (2006), S. 271. 640  Da das Mandat relativ offen gefasst ist, konnte sich die Kommission auch mit Konfliktursachen auseinandersetzen, die zeitlich weit vor dem Bürgerkrieg ansetzten. 641  Hayner, The Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, S. 5. 639  Kingston,



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Die öffentlichen Anhörungen fanden im ganzen Land statt und wurden im Radio und Fernsehen ausgestrahlt. Die Versöhnungszeremonien, die auf lokalen Traditionen basierten, waren besonders eindrucksvoll.642 Ein weiterer interessanter Punkt in diesem Zusammenhang ist die Tatsache, dass die TRC unter Ex-Kombattanten begrüßt wurde, als sie über ihre Zusammensetzung und Zweck unterrichtet wurden, da es um die Wiedereingliederung von ca. 50.000 und 73.000 Ex-Kombattanten ging.643 Allerdings herrschte ein falsches Verständnis der Beziehung zwischen der Amnestie des Lomé-Abkommens und dem Verfahren vor der TRC sowie der Struktur für die Zusammenarbeit zwischen TRC und SCSL in der Ex-KombattantenGemeinschaft und innerhalb der Bevölkerung vor.644 Der Bericht der Kommission wurde im Oktober 2004 veröffentlicht. Die Empfehlungen bezüglich Reformen und Maßnahmen – ob rechtlicher, politischer, administrativer oder anderer Natur – wurden in Wirklichkeit jedoch nicht eingehalten,645 was wiederum im Nachhinein die Bedeutung der Arbeit der Wahrheitskommission verringerte.646 Der TJ-Diskurs in Sierra Leone ist ein Beispiel für die Verbindung eines „retributiven“ mit einem „restaurativen“ Ansatz zu einem TJ-Diskurs. Es gibt nur wenige einzelne völkerstrafrechtliche Aufsätze, die sich nicht zur Wahrheitskommission äußern und vice versa.647 Von beiden Diskursen wird versucht, das jeweils andere Instrument zu inkorporieren und die TJ-Mechanismen in Verbindung zu setzen. (4) Wahrheit / Versöhnung und Gerechtigkeit in Peru Die Comisión de la Verdad y Reconciliación (Wahrheits- und Versöhnungskommission, CVR) hatte die Aufgabe, die Menschenrechtsverletzungen während des bewaffneten Konfliktes zwischen den Oppositionsgruppen und der Regierung von 1980 bis 2000 zu untersuchen.648 Sie bestand aus peruanischen Staatsbürgern – im Gegensatz zu ihrem guatemaltekischen 642  Ebd.,

S.  5 ff. Ex-Combatant Views of the Truth and Reconciliation Commission and the SCSL, S. 12. 644  Ebd. S. 14. 645  Vgl. AI, Sierra Leone Government urged to implement the recommendations of the Truth and Reconciliation Commission. 646  Hayner, Unspeakable Truths, S. 6 f. 647  Z. B. Bassiouni (Hrsg.), Post-Conflict Justice; Gallagher, Thomas Jefferson Law Review 23 (2000–2001), S. 149–198. 648  Die Wahrheitskommission wurde 2001 von einer Übergangsregierung eingesetzt und danach von dem gewählten Präsidenten bestätigt sowie zu einer „Wahr643  ICTJ,

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Pendant – und, neben führenden Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, auch aus Vertretern der Armee und der bewaffneten Oppositionsgruppen. Hauptverantwortlich für ihre Einsetzung war der Übergangspräsident, der eine „moralische Wende“ einzuleiten versprach.649 Zuvor war mit der Regierung Fujimoris die Straflosigkeit „institutionalisiert“ worden, so z. B. durch die Verabschiedung der zwei Amnestiegesetze aus dem Jahr 1995, die zur Folge hatten, dass alle Strafverfahren wegen vergangener Menschenrechtsverletzungen zu den Akten gelegt wurden. 1999 erklärte Peru, dass es seine Zustimmung zur Zuständigkeit des Gerichtshofes einseitig zurücknähme. Das Ende dieser „Kultur der Straflosigkeit“ wurde durch den Druck der Zivilgesellschaft und internationaler Institutionen sowie durch die demokratischen Reformen eingeläutet, die nach der Flucht Fujimoris im November 2000 begonnen worden waren.650 Es wird berichtet, dass die Bevölkerung skeptisch war, ob das „Wühlen in der Vergangenheit“ notwendig sei, da befürchtet wurde, dass alte Wunden unnötig aufgerissen werden würden.651 Die Zielsetzungen der Kommission umfassten u. a. die Ermittlung der Ursachen der Gewalt von Mai 1980 bis November 2000 und Aufklärung der Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen in dem genannten Zeitraum, Identifikation der Verantwortlichen, die Erarbeitung von Vorschlägen für die Entschädigung und Wiederherstellung der Würde der Opfer, von Empfehlungen für die Umsetzung von Reformen als vorbeugende Maßnahmen sowie die Einrichtung von Kontrollmechanismen bezüglich der Umsetzung der Empfehlungen.652 Im Unterschied zur Wahrheitskommission von Guatemala war die Kommission Perus nicht das Ergebnis von Friedensverhandlungen, schloss nicht die Nennung der mutmaßlichen Täter aus – sondern war vielmehr auf die Vorbereitung der Strafverfahren hin ausgerichtet – und verfügte vornehmlich über einen nationalen Mitarbeiterstab.653 Die CVR schloss ihren Abschlussbericht im August 2003 ab, nachdem sie zwei Jahre öffentliche Anhörungen654 im ganzen Land und Einzelbefragunheits- und Versöhnungskommission“ ausgeweitet (Präsidialdekret 065-2001-PCM (4. Juni 2001) und Nr. 101-2001-PCM (4. September 2001)). 649  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 116. 650  Almqvist/Esposito, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 14; Laplante/Theidon, Human Rights Quarterly 29 (2007), S. 228 ff. 651  AI, Aufarbeitung von 20 Jahren Menschenrechtsverletzungen in Peru, in: AI, Jahresbericht 2003. 652  Ebd. 653  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 117. 654  Die öffentlichen Anhörungen der Opfer in den einzelnen Regionen des Landes waren ein Novum in der Arbeit von Wahrheitskommissionen und wurden teilweise im Fernsehen übertragen.



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gen von Opfern und Tätern durchgeführt hatte. Es wurden auch fünf thematische öffentliche Anhörungen655 durchgeführt. Neben der Dokumentation der Menschenrechtsverletzungen ging es der Kommission um die Unterrichtung der Bevölkerung über die Existenz und Schwere der Menschenrechtsverletzungen, um die Solidarisierung der Bevölkerung mit den Opfern und deren Familien und einen Appell für eine angemessene Entschädigung.656 Der Abschlussbericht stellte fest, dass über die Hälfte aller Todesfälle auf das Konto der Bewegung „Leuchtender Pfad“ (Sendero Luminoso) und ca. 35 % auf das der Streit- und Sicherheitskräfte gingen. Opfer, mutmaßliche Täter und Zeugen wurden in einer Datenbank zusammengetragen, die der späteren Rechtsfindung dienen sollte.657 Die Gewaltdynamik in den einzelnen Regionen wurde analysiert und durch repräsentative Fälle dokumentiert sowie in quantitativen Analysen dokumentiert, die Folgen der Gewalt geschildert (z. B. psychosoziale und wirtschaftliche) und eine historische Analyse der Gewaltursachen angefertigt.658 Im öffentlichen Diskurs um die Aufarbeitung der Schlussfolgerungen der Kommission sind zwei Reflexionsebenen zu unterscheiden: Einerseits der Diskurs innerhalb einer „organisierten Zivilgesellschaft“ (d. h. v. a. Menschenrechts- und Kirchenorganisationen), die vor allem die aufgeworfenen Fragen zu Rassismus und sozial-, politisch- und wirtschaftlicher Exklusion sowie die gesamtgesellschaftliche Entwicklung diskutierten.659 Andererseits ein breiterer Diskurs, der v. a. die politischen Kreise der Gesellschaft betraf, und den Abschlussbericht und dessen Deutung des Sendero Luminoso als politische Bewegung  – und damit nicht als Terrororganisation  − durchaus kritisch diskutierte. Eine historisch-politische Debatte um den Umgang mit der Guerrilla-Bewegung wurde entfacht, die v. a. vom Militär geschürt wurde.660 Einzelne juristische Elemente des Diskurses fanden sich in mehreren dieser Debatten, standen jedoch nicht im Mittelpunkt. Zu bemerken ist, dass die Kommission ein nationales und internationales Netzwerk geknüpft hatte, um die Umsetzung ihrer Empfehlungen zu über655  Anwendung der Anti-Terrorismus-Gesetzgebung; Menschenrechtsverletzungen an Frauen; Auswirkungen der Gewalt auf Universitäten und schulische Einrichtungen; Vertreibungen aus den Heimatorten und den Auswirkungen der Gewalt in den Andenregionen. 656  Mit der Kampagne „Damit Du es nicht vergisst!“ („Para que no te olvides!“) sollte eine Auflistung aller zwischen 1980 und 2000 durch politische und soziale Gewalt in Peru verschwundenen Personen erfolgen. 657  So hatte die Kommission bis Ende Juni 2003 bereits drei Fälle von Menschenrechtsverbrechen durch Armeeangehörige an die Justiz übergeben. 658  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 118. 659  Ebd., S. 119. 660  Ebd.

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wachen und um sich mit internationalen Experten auszutauschen.661 Das ICTJ war wichtiger Akteur in diesem Prozess: seit Februar 2001 hatten ICTJ-Mitarbeiter zivilgesellschaftliche Gruppierungen und staatliche Institutionen auf den Prozess vorbereitet und u. a. den Mandatsentwurf kommentiert. In der Folgezeit stellte die Organisation weiterhin ihre Erfahrung über die alltägliche Arbeit einer Wahrheitskommission zu Verfügung.662 Internationale Menschenrechtsorganisationen, wie z. B. AI, unterstützten ebenfalls die Arbeit der Kommission663, verwiesen aber gleichzeitig auf die Notwendigkeit der Aufhebung der Amnestiegesetze von 1995, um die Arbeit der Kommission sowie eine mögliche Strafverfolgung nicht zu erschweren. Ebenfalls wurde die Notwendigkeit eines umfangreichen Entschädigungsprogrammes für die Opfer und deren Angehörigen angemahnt.664 Unter den Empfehlungen der Kommission ist hervorzuheben, dass die Notwendigkeit eines Entschädigungsprogrammes unterstrichen wurde, da die Mehrzahl der Opfer mittellose indigene Bauern waren, die in der Vergangenheit sozial und wirtschaftlich marginalisiert worden waren. Die Kommission rief auch zur nationalen Versöhnung auf und forderte eine Anerkennung der multiethnischen und multilingualen Zusammensetzung der Gesellschaft von Seiten des Staates. Zu Strafverfolgung und institutionelle Reformen wurde ermuntert, diese jedoch nicht ausdrücklich gefordert.665 Die Umsetzung der Empfehlungen verlief schleppend, v. a. die strafrecht­ liche Aufarbeitung.666 661  Vor dem Hintergrund des Ende des Mandates organisierte die Kommission vom 03. bis 06. Juni 2003 eine internationale Konferenz zum Thema „Von der Verweigerung zur Anerkennung“ mit Experten und Mitgliedern von Wahrheitskommissionen anderer Länder (z. B. Argentinien, Chile, Guatemala, Südafrika, El Salvador etc.), um von den negativen Erfahrungen in anderen Ländern zu lernen. Vom 17. bis 20. Juni 2003 trafen sich der Vorsitzende und weitere Mitglieder der Kommission mit Experten und Politikern in den USA, um sich politische Rückendeckung und internationale Aufmerksamkeit zu sichern (AI, Aufarbeitung von 20 Jahren Menschenrechtsverletzungen in Peru, in: AI, Jahresbericht 2003). 662  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 117. 663  AI, Aufarbeitung von 20 Jahren Menschenrechtsverletzungen in Peru, in: Jahresbericht 2003. 664  Ebd. 665  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 119. 666  Ebd., S. 120. Weitere Verurteilungen von Mitgliedern des Leuchtenden Pfades folgten. 2003 stellte das peruanische Verfassungsgericht den Verstoß einiger Gesetze, die Teil des 1992 von Fujimori verabschiedeten Antiterror-Paketes waren, gegen die Verfassung fest. 2004 bestätigte das gleiche Gericht das „Recht auf/zu Wissen“ in Fällen des gewaltsamen Verschwindenlassens. Im Folgenden wurden dann Haftbefehle gegen Militärs erlassen, die in Verbindung mit dem gewaltsamen Verschwindenlassen und Hinrichtungen von Inhaftierten einer Militärbasis standen (USIP, Peru, Webseite). Fujimori wurde im Nachhinein wegen Korruption und Menschenrechtsverlet-



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Dieser Diskurs ist ein Beispiel für einen internationalisierten TJ-Diskurs, dessen Betonung auf „Versöhnung“ und „Frieden“ lag, obwohl die Kommission juristisch besetzt war. Es ging explizit nicht um die Herstellung (straf-) rechtlicher Individualverantwortung. (5) Fazit Den Publikationen, die sich mit den TRC beschäftigen, schreiben sich ganz dem „Versöhnungsdiskurs“ ein. Es werden über die verschiedenen Arbeitsweisen berichtet. Juristische Probleme werden, wenn überhaupt nur am Rande oder in spezifischen Publikationen angesprochen. Es handelt sich hier um einen Diskurs, der immer mehr Platz in der Literatur einnimmt. Wahrheitskommissionen werden so zu einem oft besprochenen TJ-Instrument, das sich auch insbesondere sehr einfach für die Transnationalisierung der Erfahrungen bzw. Best Practices eignet, da in der Regel die Anpassungen an den lokalen Kontext (im Gegensatz zu Strafverfolgungen und Lustrationen etc.) sehr einfach ist. d) Andere rechtliche Ansätze Im Allgemeinen häufen sich die Ausführungen in den rechtswissenschaflichen Abhandlungen, dass diese Thematik sich auch an andere Wissenschaften wendet, und, dass eine gewisse Multidisziplinarität bei der Behandlung von TJ-Fragestellungen sinnvoll wäre.667 Es finden sich auch vermehrt Arbeiten, die kriminologische Fragestellungen miteinbeziehen, so z. B. Balints Publikation, die sich mit Konflikt, der Viktimisierung und den rechtlichen Antworten auf die Viktimisierung auseinandersetzt.668 In ihrer Arbeit kommt Balint zu dem Ergebnis, dass in internationalen Konflikten v. a. das Mittel der Strafverfolgung zwischen 1945 und 1996 gewählt wurde, während in Bürgerkriegen und bei staatlicher Repression v. a. Wahrheits- und Untersuchungskommissionen, zivilrechtliche Regressansprüche und Amnestien (sowie bei staatlicher Repression auch Entschädigungsprogramme) gewählt wurden.669 zungen angeklagt, in Chile verhaftet und nach Peru ausgeliefert, wo er 2009 dann zu 25 Jahren Haft verurteilt wurde. Die Wahrheitskommission schlug einen „Plan Integral de Reparaciones“ vor, der 2005 durch Gesetz beschlossen und langsam umgesetzt wurde. 2006 wurde ein Nationaler Rat für Entschädigungen eingesetzt. 667  „… [T]he book is not exclusively about law or for lawyers. It includes the insights and efforts of political and social scientists, historians, and journalists, as well as human rights experts who combine the skills of several disciplines.“ (RohtArriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 4.) 668  Dies., Nouvelles Etudes Penales 14 (1998), S. 101–124. 669  Balint, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 247.

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2. Diskurse anderer Disziplinen Die rein politikwissenschaftlichen Publikationen nehmen in ihrer Häufigkeit ab. Viele Publikationen sind nicht eindeutig dem politikwissenschaft­ lichen Ansatz zuzuordnen, beschäftigen sich aber vornehmlich mit politikwissenschaftlichen Fragestellungen. Cohen stellt eine Typologie der Reaktion von Regierungen auf Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen vor.670 Obwohl er sich nicht ausdrücklich mit den Dilemmata eines Transitionskontextes beschäftigt, stellt er Beobachtungen an, die sich auf das Argument der Exzeptionalität beziehen lassen.671 Einige Autoren beschäftigen sich mit den spezifischen Zielen, die in einem Transitionskontext verfolgt werden können, d. h. Gerechtigkeit, Abschreckung, Legitimität und Versöhnung, und wie diese policy-Optionen zueinander stehen bzw. ob sich diese gegenseitig ausschließen würden.672 Andere beschäftigen sich mit dem Prozess von Friedensverhandlungen, der als immens komplex und unsicher beschrieben wird, und kommen z. B. zu dem Schluss, dass u. a. der Konsens über die Anwendbarkeit von internatio­ nalen Normen ein wichtiges Kriterium für eine erfolgreiche Friedensverhandlung sein kann.673 Die Publikationshäufigkeit von Beiträgen, die dem sozialpsychologischen Ansatz und dem theologischen Ansatz zugeordnet werden können, nimmt ebenfalls zu.

670  Cohen,

Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 517 ff. form of contextualization is to assert that the particular circumstances in which the country finds itself are so special that normal standards of judgment cannot apply. There are unique features of the situation – the military threat, the methods used by terrorists, the balance of forces – that make it wholly specific.“ (Cohen, Human Rights Quarterly 18 (1996), S. 532.) „Such acknowledgement [Anm.: laws, judicial commissions of inquiry, etc.] is often genuine enough. In partial transitions to democracy this is often as far as many governments can go – given limited resources, in-built corruption and inefficiency, the fragility of democratic structures, sabotage by the armed forces, or a breakdown of political authority.“ (Ebd., S. 538.) 672  Walsh kommt zu dem Schluss, dass – während die ersten drei Ziele gleichzeitig ohne große Reibungsverluste in einem Transitionskontext verfolgt werden können, da alle Strafverfolgungen nötig machen – das Ziel der Versöhnung Kompromisse bei anderen Maßnahmen erfordere (Walsh, World Affairs 158 (1996), S. 111, 114, 116). 673  Stedman, International Security 22 (1997), S. 51 f. 671  „[S]trong



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3. TJ-Diskurs In dieser Phase sind erstmals explizit neben dem TJ-Begriff komplexere TJ-Konzepte in der untersuchten Literatur zu finden. Zu nennen sind hier besonders die Konzeptionen von Neil Kritz und Ruti Teitel, die in späteren Publikationen oft zitiert wurden. Daneben wird auch die Publikation von Rami Mani vorgestellt, die sich aber mit Postkonfliktgerechtigkeit beschäftigt, trotzdem aber vielfach in der TJ-Literatur zitiert wird. a) „Transitional Justice“ (US Institute of Peace) Das vom US Institute of Peace 1991 ins Leben gerufene Projekt „Transitional Justice“ beschäftigte sich mit Fragen, die sich aus der Untersuchung von Transitionen ab dem Ende des Zweiten Weltkrieg ergaben.674 Das Projekt kulminierte in der Publikation von drei Bänden zu TJ: Im ersten Band wurde der damalige „Kanon“ der Basistexte zusammengeführt und durch allgemeine Bemerkungen kommentiert. Das zweite Band beschäftigte sich mit Länderstudien und der dritte Band druckte die zum Band 1 und Band 2 gehörenden Gesetzestexte, Verordnungen und Auszüge aus offiziellen Berichten ab.675 Im Vorwort wird der Begriff TJ definiert, „They [profound issues of policies and law, Anm. der Autorin] have arisen out of the question of how a country in transition should respond to allegations of gross human rights violations by individuals of either the predecessor or extant authority.“676

Dabei beschränkt sich die Publikation auf die Beschreibung der Wahl demokratischer Staaten hinsichtlich der Bewältigung ihrer Vergangenheit.677 Die Publikation ist nicht innovativ bezüglich ihres Inhalts, vielmehr ist ihr Hauptverdienst die Zusammenfassung des Stands der damaligen Diskussionen und Forschung. Ziel war es, ein Referenzwerk für Regierungen, private Organisationen, Akademiker und andere Individuen zu schaffen, die sich 674  Kritz,

in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. XX. Texte waren nach folgenden Kategorien geordnet: Untersuchungskommissionen, Zugang der Öffentlichkeit zu den Archiven der Geheimpolizei, Lustrationen, Strafverfolgung und Amnestien, Verjährungsregeln, Entschädigung und Rehabilitation. Interessanterweise wurde hier nicht die Begrifflichkeit der „Wahrheitskommission“ gewählt, was darauf hindeutet, dass „Untersuchungskommission“ noch eher legalistisch verstanden wurden. Daneben sind aber alle TJ-Hauptinstrumente bereits vertreten. 676  Mandela, in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. XI. 677  „[T]he way that emerging democratic societies address the legacy of their repression of their own people.“ (Kritz, in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. XVI.) 675  Die

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mit dieser Thematik beschäftigen.678 Dies wird insbesondere an den Länderstudien deutlich: nach dem Zweiten Weltkrieg werden Griechenland, Spanien und Portugal besprochen, anschließend die lateinamerikanischen Transitionen und schließlich die Demokratisierungen nach dem Ende des Kalten Krieges.679 Damit folgt der Aufbau den damals von der herrschenden Meinung unterschiedenen Demokratisierungswellen. Die einzigen Länder, die in diesem Band als eher ungewöhnlich wirken (wenn man die vorherige Literatur betrachtet), sind Uganda und Südkorea. Für die hier vorliegende Frage ist v. a. der erste Band der Publikation von Interesse. Dieser unterteilt die Basistexte – neben dem Grußwort von Nelson Mandela – und die allgemeinen Bemerkungen in folgende Kategorien: Überblick (Texte von Zalaquett, Benomar, Konferenzbericht „Project on Justice in Times of Transition“680), Faktoren, die die Wahl unter verschiedenen Optionen beeinflussen (Texte von O’Donnell / Schmitter, Huntington, Pion-Berlin, Huyse, Holmes), die Beziehung zwischen Gerechtigkeit und die Aussichten für eine demokratische Transition (Texte von Linz, Herz und Teitel), Perspektiven auf Verantwortlichkeit und moralische Verantwortung (Texte von Jaspers, Henkin, Malamud-Goti, Zalaquett, Massey, Human Rights Watch und Amnesty International), Untersuchungskommissionen (Texte von Hayner, Popking / Roht-Arriaza, Albon, Buergenthal, Cassel Jr.), Strafverfolgungen (Texte von Huyse, Kirchheimer, Orentlicher, Nino), die Vorgesetztenverantwortung (Texte von Bakker und Parks), Limitierung der öffentlichen Rolle von Personen, die mit dem ehemaligen Regime verbunden waren (nichtstrafrechtliche Sanktionen: Texte von Schwartz, Rzeplinski, Human Rights Watch), Behandlung und Entschädigung von Opfern (Texte von Weschler, Zusammenfassung eines Seminars zu diesem Thema; Studie von van Boven681, Texte von Lutz, Elster, Martin-Baro, Danieli, Becker / Lira / Castillo / Gómez / Kovalskys). Das erste Band  versammelte so Beiträge von Juristen, Politikwissenschaftlern, Politikern, Geschichtswissenschaftlern, Philosophen, Menschenrechtsorganisationen, Psychologen und UN-Sonderberichterstattern. Damit zeigt die Publikation bereits die Fülle der Disziplinen und Praxisfeldern an, die sich für die Thematik zu diesem Zeitpunkt interessierten. Die Beiträge waren jedoch mehrheitlich disziplinär. In der Einleitung wird darauf hingedeutet, dass, obwohl das Werk als Standardwerk dienen sollte, bereits eine TJ-Wissenschaftsgemeinschaft be678  Solomon,

in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. XIII. Länderstudien wurden in Bd. 2 vorgestellt: Deutschland (nach 1945 und nach 1989/90), Frankreich, Dänemark, Belgien, Italien, Südkorea, Griechenland, Portugal, Spanien, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Chile, Uganda, Tschecheslowakei, Ungarn, Bulgarien, Albanien und Russland. 680  Vgl. hierzu Teil 3, A. II. 6. 681  Vgl. hierzu Teil 3, C. II. 2. a) und b). 679  Folgende



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stehe.682 Die Einleitung zeigt auch deutlich, dass dem Werk zwei Hauptannahmen zugrunde liegen: die zentrale Rolle von Recht in der Wissenschaft und Praxis im Bereich des Peacemaking und Peacebuilding. Die andere Hauptannahme ist die Vergleichbarkeit der TJ-Dilematta, denen sich Staaten in Transition gegenübersehen.683 In seinen einführenden Bemerkungen bezieht sich Kritz auf die Konferenz der Charter 77-Foundation 1992 in Salzburg. Er erklärt die Transnatio­ nalisierungsthese zum Ausgangspunkt der Publikation, d. h. v. a. wie zukünftige Regierungen in Transitionskontexten mit Beispielen ähnlich gelagerter Fälle in ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden können.684 Kritz diskutiert dann den damaligen Stand der Forschung mit den Hauptargumenten für und gegen ein bestimmtes TJ-Instrument. Dabei zeigt sich die ­Darstellung stark von den lateinamerikanischen Transitionen beeinflusst, so insbesondere in der Darstellung der Dichotomie „Strafverfolgung vs. Amnestie“. Er macht jedoch keine Ausführungen zur „Gerechtigkeit vs. Frieden“-Debatten.685 Daneben begründet er viele seine Argumente mit Hinweisen auf internationales Recht, so insbesondere bezüglich Strafverfolgungen und Amnestien686, Lustrationen687 und Entschädigungen688, v. a. Restitution von enteignetem Grundeigentum. Er spannt den Bogen zum internationalen Strafrecht (mit den Ad-hoc-Strafgerichtshöfen), bleibt jedoch v. a. im menschenrechtlich geprägten TJ-Diskurs. Er erwähnt auch „Versöhnung“ und das Instrument der Wahrheitskommissionen, dies allerdings eher am Rande.689 Er wirft ebenfalls ein kritisches Licht auf die Finanzierbarkeit bzw. knappen Resourcen der Transitionsländer und damit die Abhängigkeit von Geldern der internationalen Gemeinschaft.690 Dieses Werk präsentiert den damaligen Wissens- und Argumentationsstand der Wissenschaftsgemeinschaft, die sich für TJ-Fragestellungeen interessierte. Es ist weder in der Auswahl der Texte innovativ, die Auszüge aus Beiträgen bereits bekannter Publikationen zu diesem Thema darstellen, noch anhand der Auswahl der Länderbeispiele. Sein Mehrwert war aber genau dieses Zusammentragen der Informationen. So wird das Werk vielfach als Geburtshelfer des Feldes TJ angesehen. 682  Smith,

in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. XVII. S.  XV f. 684  Kritz, in: Kritz (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. XX f. 685  Vgl. ebd., S. XVI. 686  Ebd., S. XVII. 687  Ebd., S. XXV. 688  Ebd., S. XVIII. 689  Ebd., S. XXV. 690  Ebd., S. XXIX. 683  Ebd.,

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b) „Transitional Jurisprudence“ bzw. „Transitional Justice“ (Teitel) Teitel publiziert 1996 / 7 einen Artikel mit dem Titel „Transitional Jurisprudence“ der als Thema die „conception of justice in periods of political transition“691 hat. Dabei fasst sie ihre Arbeit v. a. in rechtssoziologischer Terminologie und grenzt sie, einerseits, zu einem „politikwissenschaft­ lichen“ und, andererseits, zu einem „rechtswissenschaftlichen“ Diskurs ab. Das explizite Hauptmerkmal Teitels, das sich in besonderer Klarheit in ihrem Artikel findet, ist die These von der Exzeptionalität des Transitionskontextes, der nicht mit „gewöhnlichen“ Zeiten verglichen werden könne.692 Aus dieser Perspektive dekliniert sie dann die Funktion und Phänomenologie von Recht in Zeiten der Transitionen und analysiert auch die Rechtsprechung nationaler Gerichte. Die Rolle und Funktion von Recht beschreibt sie als „paradigmatic use in the normative construction of the new political regime“693. Rule of Law sei anders als in „gewöhnlichen Zeiten“ zu verstehen, nämlich „rather than grounding legal order, it serves to mediate the normative shift in justice that characterizes these extraordinary periods.“694 Dabei macht sie die Dichotomien in der Debatte im Transitionskontext von diesen „besonderen“ Zwängen des Transitionskontext abhängig.695 Die transformative Rolle von Rule of Law werde v. a. durch historische und politische Hinterlassenschaften bestimmt.696 Die Rolle von internationalem Recht sieht sie als „way to bridge shifting understandings of legality“ und als Mittel gegen die hohe Politisierung im Transitionskontext.697 Die Strafverfolgung ehemaliger politischer Eliten durch Nachfolgeregime dominiere das Gerechtigkeitsverständnis im Transitionskontext. Diese Perspektive sei hauptsächlich durch das historische Beispiel Nürnbergs beeinflusst.698 Sie weist auf rechtsstaatliche Probleme hin, die mit diesem Ansatz einhergehen würden. Als Ausweg schlägt sie Transitional Criminal Sanctions vor, die sie als Strafen mit geringem Strafmaß oder Verzicht auf 691  Teitel,

Yale Law Journal 106 (1997), S. 2009. paradigm responsive to the extraordinary problem of law in periods of substantial political change.“ (Teitel, Yale Law Journal 106 (1997), S. 2016.) 693  Ebd. 694  Ebd. 695  Ebd., S. 2021. 696  Ebd., S. 2025. 697  Ebd., S. 2030. 698  Ebd., S. 2039. 692  „[D]istinctive



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Strafe versteht. Eine Ausnahme macht sie für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, für die sie Strafverfolgung für notwendig hält.699 Dieser Artikel Teitels aus dem Jahr 1997 verfolgt klar einen rechtssoziologischen Ansatz. Die Transition wird hier zum Dreh- und Angelpunkt, die auch die Definition aller rechtlichen Begriffe bestimmt, so z. B. Rule of Law. 2000 erscheint dann Teitels Buch „Transitional Justice“, das ein wichtiges Referenzwerk für die Entwicklung des Feldes darstellen sollte700, und zu einem großen Teil auf dem vorhergehenden Artikel im Yale Law Journal beruht. Sie baut insbesondere auf der Exzeptionalitätsthese und dem rechtssoziologischen Ansatz auf. Ihre Hauptthese lautet, dass die Konzeption von Gerechtigkeit in Zeiten politischen Wandels außergewöhnlich und konstruktivistisch sei.701 Dabei konzentriert sie ihre Analyse ausdrücklich auf die Phänomenologie von Recht in Zeiten politischen Wandels (die sie mit dem Begriff „transitional jurisprudence“ bezeichnet) unter Anwendung einer induktiven Methode.702 Ihren Beitrag ordnet sie zu Beginn in einen breiteren Diskurs ein, der durch die Überzeugung, dass „various legal responses should be evaluated on the basis of their prospects for democracy“703 sowie durch die Annahme von „profound dilemmas endemic to these extraordinary periods“704 gekennzeichnet sei. Sie definiert das Dilemma wie folgt: „Law is caught between the past and the future, between backward-looking and forward-looking, between retrospective and prospective, between the individual and the collective.“705

Sie unterscheidet eine realistische Schule in diesem Diskurs, die hauptsächlich von einem politikwissenschaftlichen Ansatz geprägt sei, und in der Regel Recht als reines Produkt von politischen Wandel bzw. von Machtkonstellationen ansähe. Diese stellt sie einer „idealistischen“ Schule gegenüber, der sie keinen klaren disziplinären Ansatz, aber die Hauptaussage zuordnet, dass Gerechtigkeit ein universelles Konzept sei und ihr Diskurs in der Regel im Sinne von „retributiv vs. korrektiv“ geprägt sei.706 An beiden Schulen 699  Ebd.,

S. 2040. z. B. in Leebaw, American Journal of Comparative Law 49 (2001), S.  363 ff. 701  Teitel, Transitional Justice, S. 6. 702  Ebd., S. 4 und 7. 703  Ebd., S. 4. 704  Ebd., S. 6. 705  Ebd. 706  Ebd., S. 3. 700  Rezensionen

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kritisiert sie, dass sie die Rolle von Recht zu Zeiten radikalen politischen Wandels nicht ausreichend erklären könnten, da rechtliche Maßnahmen eine wichtige konstruktivistische Rolle spielen würden, die nicht allein mit universellen oder globalen Aussagen erklärt werden könne.707 Als Paradigma von Transitional Jurisprudence identifiziert sie: „[T]ransitional jurisprudence emerges as a distinct paradigmatic form of law responsive to and constructive of the extraordinary circumstances of periods of substantial political change.“

Die Konzeption von Gerechtigkeit sei partiell, kontextual geprägt und sei zwischen mindestens zwei rechtlichen und politischen Systemen anzusiedeln.708 Ihr Buch ist in sieben Kapitel (neben der Einleitung und dem Epilog) aufgeteilt. Jedes Kapitel ist einer „Dimension“ von Gerechtigkeit in Zeiten der Transition gewidmet: Rule of Law, Strafgerechtigkeit, historische Gerechtigkeit, reparative Gerechtigkeit („reparatory justice“), administrative Gerechtigkeit, Verfassungsgerechtigkeit und ein Kapitel, in dem sie ihre Theorie von TJ skizziert. Im ersten Kapitel beschäftigt sie sich mit Rule of Law in Zeiten einer Transition. Sie kommt zu dem Schluss, dass, nachdem sie verschiedene historische Beispiele und die Rechtsprechung von verschiedenen Verfassungsgerichten untersucht hat, internationales Recht zwar eine wichtige Brückenfunktion zwischen der alten Rechtsordnung und der neuen zu etablierenden Rechtsordnung darstelle, der bestimmende Faktor jedoch nicht universelle Rule of Law-Prinzipien, sondern die jeweilige nationale (Rechtsbzw. politische) Kultur sei.709 Verfassungsgerichte könnten in dieser Phase eine außergewöhnliche Rolle spielen, die über ihre gewöhnliche Rolle als „Hüter der Verfassung“ hinausginge. Dabei sei die Funktion von Rule of Law explizit als „antipolitics“ anerkannt und sei – in den hochpolitisierten Zeiten einer Transition – auch erwünscht.710 Im zweiten Kapitel beschäftigt sie sich mit Strafgerechtigkeit in Zeiten der Transition. Teitel stellt fest, dass Strafprozesse in Zeiten von Transition als „die“ Musterantwort für die Etablierung von (individueller) Verantwortung angesehen werden würden.711 Sie stellt im Folgenden dann fest, dass das Beispiel Nürnberg in seiner idealisierten Form (ohne Beachtung der 707  Ebd.,

S. 4. S. 9. 709  Ebd., S.  19 f. 710  Ebd., S. 22. 711  Ebd., S. 27. 708  Ebd.,



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juristisch problematischen Aspekte) die nachfolgende akademische Debatte so beeinflusst habe, dass sich dies in der Entwicklung selbständiger Forschungsgebiete ausgewirkt habe, so insbesondere dem humanitären Völkerrecht und dem Völkerstrafrecht, wobei es als Deutungsmuster weiterhin fortwirkte:712 „The paradigm of justice established at Nuremberg and its vocabulary of international law, despite its shortcomings, continue to frame the successor justice debate.“713

Insbesondere für die Bedeutung des humanitären Völkerrechts hebt sie hervor, das es ein „normative framework and language for thinking about successor justice“ bereitstelle.714 Erst mit dem Kollaps der kommunistischen Regime waren die gleichen Konzepte dann auch auf repressive Regime übertragen worden.715 Daneben arbeitet sie heraus, dass die Konzentration auf das internationale Recht die nationalen Aufarbeitungsformen, wie z. B. nationale Strafprozesse außer Acht lasse.716 Als Herzstück dieses Kapitels muss jedoch ihre Behandlung der selektiven Strafverfolgung und Bestrafung zu Zeiten von Transition sowie der Herausarbeitung der Nützlichkeit der sog. „Limited Criminal Sanction“717 gelten. Hierzu zählt sie insbesondere die Superindictment Proceedings vor dem ICTY, in denen es zwar zur öffentlichen Verlesung der Anklageschrift kam – jedoch in Abwesenheit der Angeklagten, da diese noch nicht verhaftet werden konnten.718 Daneben arbeitet sie heraus, dass der Strafgrund im Transitionskontext weniger in der Auswirkung auf die Einzelperson des Straftäters bzw. des potentiellen Straftäters zu sehen sei, sondern sich vielmehr auf die Gesamtsituation der Transition beziehe. Sie betont dabei die symbolische Funktion der Bestrafung als „recognition and stigmatization of past wrongdoing“719. Die Diskussion „Gerechtigkeit vs. Frieden“ behandelt sie am Beispiel von Amnestien, wobei sie diesen eine positive Funktion hinsichtlich gesellschaftlicher Versöhnung und der Wiederherstellung von Rule of Law ein712  Ebd.,

S. 32. S. 33. 714  Ebd., S. 35. 715  Ebd., S. 37. 716  Ebd., S. 39. 717  Ermittlungsverfahren und Strafprozess können ausreichen, um den gewünschten Präventiveffekt zu erreichen; die Strafe muss nicht notwendigerweise vollständig vollstreckt werden (ebd., S. 47). 718  Ebd., S. 49. 719  Ebd., S. 50. 713  Ebd.,

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räumt.720 Sie hält aber auch fest, dass es bestimmte verfassungsrechtliche Grenzen für Amnestien gäbe.721 Teitel schlussfolgert, dass es sich bei transitioneller Strafgerechtigkeit nicht einfach nur um konventionelle Strafgerechtigkeit handeln würde, sondern, dass hier andere Zwecke überwiegen würden, wie z. B. der Zweck, politischen Wandel herbeizuführen.722 Im dritten Kapitel beschäftigt sie sich mit historischer Gerechtigkeit in Zeiten der Transition.723 Durch die Sprache, Verfahren und das Vokabular von Gerechtigkeit würde die Rekonstruktion eines offiziellen Berichts der Vergangenheit vorangebracht. Dabei seien Strafprozesse eine zeremonielle Form kollektiver Geschichtsschreibung, die eine lange Tradition hätten.724 Dies werde dann kritisch, wenn individuelle Rechte dem großen Unterfangen der Geschichtsschreibung geopfert werden sollen.725 Sie diskutiert hier die Dichotomie „Wahrheit vs. Gerechtigkeit“, wobei sie zu dem Schluss kommt, dass es sich nicht um eine wirkliche Dichotomie handele, sondern vielmehr die Frage gestellt werden müsse, welche (und wessen) Wahrheit konstruiert werden solle.726 Durch die Veröffentlichung und Verteilung der Berichte von Wahrheitskommissionen werde versucht, die öffentliche Meinung bezüglich der Repression (auch für die Nachwelt) zu formen.727 In Strafprozessen, v. a. in Fällen, bei denen es um die Feststellung der historischen „Wahrheit“ von bestimmten Ereignissen ginge, trenne der Richter das Anzweifelbare von dem Nichtanzweifelbaren und legitimiere so die historische Debatte.728 Transitionsdiskurse stellten gesonderte Narrative dar:729 So 720  Ebd.,

S. 54. S. 59. 722  Ebd., S. 66. 723  „In transitions, the pivotal role in shaping social memory is played by the law. Transitional historical narratives are produced through varying legal measures, such as the trials of the ancient régimes, or bureaucratic bodies convened for these purposes, and still other legal responses that imply marshaling a factual predicate.“ (Ebd., S. 71.) 724  Ebd., S. 72. 725  Ebd., S. 76. 726  Ebd., S. 89. 727  Ebd., S. 90. 728  Ebd., S. 106. 729  „Legal processes of truth-telling construct collective memory in transition. The visible turn to the law, its processes, and framework occurs at a time when the social consensus is otherwise frayed. Law offers a canonical language and established symbols and rituals of passage. In contemporary times, legal rituals and processes through trials and public hearings enable transitionally produced histories that are social constructions of a democratic nature with a broad reach: the audience is potentially the entire country. […] The turn to law means that historical claims are made in the language of justice, in shared terms relating to rights and responsibilities for past wrongs.“ (Ebd., S. 109 f.) 721  Ebd.,



III. Konstituierung des Feldes (1995–2002)273

zeigt sie z. B. anhand der Untersuchung von Berichten von Wahrheitskommissionen, dass diese in der Regel von Vorbedingungen der „Katastrophe“, die einzelnen Facetten der „Katastrophe“ und den Aufruf der „Versöhnung“ beinhalten würden. So wären Wahrheits- und Versöhnungsdiskurs eng miteinander verschränkt.730 Im vierten Kapitel beschäftigt die Autorin sich mit reparativer Gerechtigkeit in Zeiten der Transition und stellt zu Beginn grundsätzlich fest, dass eine generelle Entschädigungspflicht gegenüber Individuen bestehe, sobald Staaten ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen vorwerfbar verletzt hätten. Bezüglich Transitionen identifiziert sie als Grunddilemma, dass die Entschädigung von Einzelpersonen dann fehl am Platz wirke, wenn eine ganze Bevölkerung unter einem repressiven Regime gelitten hätte und die (moralisch vom Vorgängerregime zu unterscheidende) Nachfolgeregierung nicht die finanziellen Mittel hätte, alle Opfer individuell zu entschädigen731. Die Zahlungen nach dem 2. Weltkrieg, so Teitel, seien im Ausgangspunkt durch einen moralischen Diskurs gerechtfertigt worden.732 Dies hätte jedoch nachfolgend dann das völkerrechtliche Konzept von Reparationen für immer geändert.733 Mittlerweile würden sich die meisten Individuen, die Entschädigungszahlungen einfordern würden, auf internationales Recht (und hier insbesondere die Menschenrechte) berufen, da dieses Rechtsregime als von den internen politischen Machtspielen unabhängig eingeschätzt wurde.734 Als einen weiteren wichtigen Einfluss in diesem Gebiet identifizierte sie die Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschengerichtshofes, v. a. den Velásquez-Rodríguez-Fall.735 Im fünften Kapitel beschäftigt sie sich mit administrativer Gerechtigkeit in Zeiten der Transition. Sie schildert die Praxis der „Lustration“ zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte und anhand verschiedener Länderbeispiele und hält so z. B. für Deutschland nach 1945 fest, dass die Strafprozesse vergangenheitsorientiert und die Lustrationen zukunftsorientiert gewesen wären.736 Dabei würden „Lustrationen“ oft informell starten, dann rechtlich reguliert 730  Ebd.

731  Ebd.,

S. 119, 132, 139. besonders prägend für Entschädigungszahlungen im Transitionskontext identifiziert sie zunächst die Zahlungen an die Holocaust-Opfer, deren Familien und den Staat Israel, wobei sie hier feststellt, dass zur damaligen Zeit diese Zahlungen nur teilweise nach Völkerrecht geschuldet waren (ebd., S. 140). 733  Ebd., S. 123. 734  Ebd., S. 134. 735  Ebd., S. 125. 736  Ebd., S. 158. 732  Als

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werden, wobei diese rechtliche Regulierungen teilweise so weit hinter den strafrechtlichen Mindeststandards zurückbleiben würden, dass rechtsstaat­ liche Bedenken aufkommen würden.737 Allerdings betont Teitel, dass Lustrationen ja gerade nicht als strafrechtliches Verfahren einzuordnen seien.738 Insbesondere die Verfahrensirregularitäten, der oft nicht klare Übergang von individueller zur kollektiven Verantwortung und ihre ausdrückliche Politisierung machten Lustrationen in der Praxis kritisierbar.739 Neben Lustrationen nennt Teitel auch verfassungsrechtliche Grundentscheidungen wie z. B. die „wehrhafte Demokratie“ als Instrument von TJ.740 Im sechsten Kapitel beschäftigt sie sich mit Verfassungsgerechtigkeit in Zeiten der Transition. Hier hält sie fest, dass Verfassungen zu Zeiten von Transitionen sowohl fest in der Vergangenheit verankert seien, da sie versuchen, die Lehren aus der Repression durch Verfassungsgarantien umzusetzen, gleichzeitig aber auch die politischen Arrangements der Gegenwart sowie eine Vision der Zukunft einbringen. Dabei würde die transitionelle Verfassungsgebung die Dichotomie „Recht und Politik“ überbrücken.741 Im letzten Kapitel stellt sie dann ihre Theorie von TJ vor, die auf den Ergebnissen der vorgehenden Kapiteln beruht: „What emerges is a pragmatic balancing of ideal justice with political realism that instantiates a symbolic Rule of Law capable of constructing liberalizing change.“742

Sie räumt dabei dem Recht eine zentrale Rolle ein und grenzt ihren Ansatz damit von einem rein politikwissenschaftlichen ab, bei dem Recht nur ein Faktor unter vielen darstellt. Ihre Theorie beruht auf der prägenden Rolle von Recht zu Zeiten einer Transition. Dabei grenzt sie die Funktion von Recht von der zu „normalen“ Zeiten ab. Zu normalen Zeiten wäre Rule of Law v. a. von Prinzipien der Gesetzmäßigkeit, der Allgemeinheit, der Allgemeingültigkeit und der Zukunftsorientierung von Gesetzen charakterisiert.743 Dagegen würden in einer Transition auch eigentlich „rechts“fremde Konzepte wie „Versöhnung“ und 737  Ebd.,

S. 161, 164. S. 188. 739  Ebd., S. 185. 740  Ebd., S. 177. 741  Ebd., S. 211. 742  Ebd., S. 213. 743  Ebd., S. 215. Vgl. auch: „Whereas Rule of Law principles associated with ordinary times include clear distinctions in categories of the law regarding procedural and evidentiary rules, as well as the determination of individual status, rights, and duties, the extraordinary nature and workings of transitional law frequently blur the boundaries separating criminal, civil, administrative, and constitutional law.“ (Ebd., S. 216.) 738  Ebd.,



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„Gnade“ zu wichtigen Elementen.744 Dabei betont sie die primär symbolische Rolle von Recht zu Zeiten der Transition.745 Schon allein die Tatsache, sich einer rechtlichen Antwort zu bedienen, könne als Ausdruck von Rechtsstaatlichkeit zu Transitionszeiten verstanden werden.746 Die Terminologie des Rechtes verleihe daneben dem neuen Regime eine gewisse Legitimität und Autorität:747 „Political appropriation of the language and processes of justice signifies the symbols and rituals of legitimate and measured change.“748

Dabei spielt das Recht der Menschenrechte eine besondere Rolle, da hierdurch eine gewisse Kontinuität suggeriert und die normative Kraft einer – von dem nationalen Kontext – losgelösten Rechtsordnung genutzt werde, um die Dichotomie zwischen Rechtspositivismus und Naturrecht zu überwinden und damit den Primat des Rechts über die Politik zu betonen.749 Das Recht der Menschenrechte könne dabei Transformation sogar zu nichttransitionellen Zeiten ermöglichen.750 Der Rechtsdiskurs diene dabei sowohl der normativen Vision als auch dem pragmatischen Vorgehen.751 Sie stellt auch fest, dass die transitionelle Strafjustiz nicht in die Terminologie der individuellen Verantwortung und Vergeltung, sondern eher in Begriffe der politischen Rationalisierung gekleidet sei.752 Das Paradigma von Transitional Jurisprudence definiert sie dann wie folgt: „The paradigm of a provisional, hyperpoliticized transitional jurisprudence is linked to a conception of a nonideal justice that is imperfect and partial. What is fair and just in extraordinary political circumstances is determined not from an idealized Archimedean point but from the transitional position itself.“753

c) Weitere TJ-Abhandlungen Bezüglich der anderen TJ-Publikationen lässt sich eine gewisse Dominanz der Besprechung von Strafverfolgungen, Wahrheitskommissionen und Lustra­ 744  Ebd., 745  Ebd., 746  Ebd., 747  Ebd., 748  Ebd., 749  Ebd., 750  Ebd., 751  Ebd., 752  Ebd., 753  Ebd.

S. 217. S.  219 f. S. 221. S. 220. S. 223. S. 222. S. 228. S. 225. S. 224.

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tionen feststellen. Es finden sich auch mehr und mehr Juristen, die sich zu den Lessons learned von Wahrheitskommissionen, die von ihnen als Mittelweg zwischen Strafverfolgung und Amnestien gesehen werden, äußern.754 So ist die Behandlung der tschechischen Lustrationsgesetze durch Boed – als besonders einflussreicher Artikel identifiziert – eine rechtswissenschaftliche Abhandlung zur Vereinbarkeit des Gesetzes mit menschenrechtlichen (und anderen internationalen) Standards, die sich eher menschenrechtlich hält, allerdings das TJ-Deutungsmuster anerkennt.755 King (ein weiterer, als „einflussreich“ identifizierter Autor) will eine gewisse Ausweitung von Forschungsfragen beobachten, so z. B. habe sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Postkommunismus von sog. area studies zu „broader research questions about the political economy of reform, federalism, transitional justice, and nationalism and interethnic relations“ entwickelt.756 Beispielhaft für eine historisch vergleichende Perspektive ist das Buch „Closing the books“ von Elster757, der ebenfalls in Phase 2 als einflussreicher Autor identifiziert wurde. Elster verfolgt die Ursprünge von TJ ins Athen der Jahre 411 und 403 A.D. und ins Frankreich mit der Wiedereinsetzung der Bourbonen 1814 und 1815.758 Dabei ist Elsters Verwendung des Begriffes sehr vage, er spezifiziert lediglich dessen Mechanismen und zeitliches Auftreten: „Transitional justice is made up of the processes of trials, purges, and reparations that take place after the transition from one political regime to another.“759

In seinem als einflussreich identifizierten Artikel entwirft Elster ein (sozialwissenschaftliches) Modell der verschiedenen Faktoren bezüglich der Ver754  Z. B. Goldstone, New York University Journal International Law and Politics 28 (1996), S. 492 ff. 755  Boed, Columbia Journal of Transnational Law 37 (1999), S. 398  ff. Dieser Artikel kann als erste Standardreferenz für die Besprechung von Lustrationsgesetzen nach internationalem Recht angesehen werden. 756  King, World Politics 53 (2000), S. 143  f. Darüber hinaus ist aber nicht zu erkennen, warum der Artikel einen besonderen Einfluss auf die spätere Entwicklung des Feldes gehabt haben soll. 757  Rezension: Luban, Ethics 116 (2006), S. 409 ff. 758  Elster wählt diese frühen Beispiele deswegen, da sie einerseits den Lesern weniger bekannt sind, und, andererseits, um zu zeigen, dass sich das Phänomen nicht nur auf moderne Regime beschränkt. Er macht seine Hypothese, dass aktuelle Transitionen von diesen Beispielen lernen könnten, explizit. Elster behauptet, dass demokratische TJ beinahe so alt wäre wie die Demokratie selbst und, dass es keine wichtigen Episoden von TJ in neuen Demokratien zwischen seinem Beispiel aus Athen und der Mitte des 20. Jahrhunderts gäbe (Elster, Closing the books, S. I, 3). 759  Elster, Closing the books, S. I.



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fassungsgebung im Transitionskontext. Er kommt zu dem Schluss, dass diese vorwärts- und rückwärtsgewendet ist.760 Die Abwesenheit der TJProzesse vor dem Ende des Ersten Weltkriegs in der gegenwärtigen TJ-Literatur wird damit erklärt, dass diese den Fokus auf die Gegenwart (und der Umsetzbarkeit der Lessons learned) bewahren möchte.761 Es finden sich allerdings auch durchaus kritische Stimmen: So beginnen einzelne Autoren die Nützlichkeit des Deutungsschemas zu verneinen oder nach einem neuen Deutungsschema zu suchen, da die „Transition“ ihren Dienst erfüllt habe.762 So gibt Méndez zwar zu, dass die zentrale Annahme des Transitionsdiskurses (die Exzeptionalität des Transitionskontextes) zwar stimmen würde, dies aber dazu geführt hätte, dass viel zu wenig von diesen Regierungen gefordert worden wäre. Diese hätten sich darauf konzentriert, was sie in der aktuellen Situation tun könnten, nicht aber, was sie hätten tun müssen. Das Transitionsdeutungsschema wäre hilfreich dafür gewesen, den anfänglichen Debatten im lateinamerikanischen Kontext ihre Gestalt zu geben, jetzt sei aber ein neues Deutungsschema vonnöten.763 Die moralischen Prinzipien und politischen Zwänge, die von Neier und Zalaquett in die Diskussion eingebracht worden seien, seien zu Beginn hilfreich gewesen, da diese Dilemmata erstmals vor dem Hintergrund der Anwendbarkeit einer Menschenrechtskonvention aufgetreten wären. Nun wäre es aber Zeit, ihre Annahme kritisch zu hinterfragen und die Notwendigkeit dieses Deutungsschemas zu untersuchen.764 Es werden auch neue Praxisbereiche in die TJ-Literatur einbezogen: Rami Mani765 publizierte 2002 ihr Buch „Beyond Retribution  – Seeking Justice in the Shadows of War“, das sich zwar auf Peacebuilding im weiteren Sinne konzentriert, TJ aber als eigenständige Dimension eines umfassenden Ansatzes zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit nach einem Konflikt ansieht.766 Dabei versteht sie „Legal Justice“ v. a. in formell-prozessualer Hinsicht, die als Rahmen für die Durchsetzung der zwei anderen Dimen­ sionen von Gerechtigkeit („rectificatory“ und „distributive justice“) dienen 760  Elster,

Archives européennes de Sociologie 39 (1998), S. 47 f. in: Weller (Hrsg.), Transitional Justice und Zivile Konfliktbearbeitung, S. 8. 762  Méndez, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 258. 763  Ebd. 764  Ebd., S. 282. 765  Mani ist promovierte Politikwissenschaftlern (Universität Cambridge). Sie arbeitete für die Vereinten Nationen im Peacebuilding. 766  „[A]fter conflict, justice must be restored in an integrated manner, covering all its distinct but interrelated dimensions, and recognizing the complexities of each dimension.“ (Mani, Beyond Retribution. Seeking Justice in the Shadows of War, S. 4.) 761  Kayser-Whande/Schell-Faucon,

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kann.767 „Rectificatory Justice“ beschäftigt sich dann mit Ungerechtigkeiten im Sinne von direkter physischer Gewalt.768 Diese könne unter anderem durch TJ-Instrumente addressiert werden.769 Manis Buch ist ein später vielzitiertes Werk, das eine der wenigen theoretisch ausgefeilten, philosophisch inspirierten Gerechtigkeitstypologien anbietet, die für Postkonfliktsituationen entwickelt wurden. Es zeigt sich damit einerseits eine gewisse Ausweitung des TJ-Forschungsbereichs in die Breite mit den häufigeren Diskussionen auch anderer TJ-Instrumente, in die Tiefe mit den Abhandlungen Teitels und Manis sowie die Festschreibung eines gewissen Literaturkanons durch die von Kritz herausgegebene Studie. Allerdings gibt es daneben bereits kritische Stimmen von Wissenschaftlern und Aktivisten der „ersten Stunde“ (Méndez), die das TJDeutungsmuster kritisch hinterfragen und zu einem Umdenken aufzurufen. 4. Wissenschaftliche Institutionalisierung Seit 1998 ist das NYU Program on Transitional Justice770 (früher: Justice in Transition) ein Universitätsprogramm, das von Paul van Zyl, ehemaligem Executive Secretary der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission und Mitbegründer des International Center for Transitional Justice, geleitet wird. Neben Seminaren wurden und werden extrakurrikuläre Veranstaltungen sowie Stipendien, meist in enger Zusammenarbeit mit dem ICTJ, angeboten. Die personelle Verbindung mit dem ICTJ wird nicht nur über Paul van Zyl, sondern auch über Alex Boraine sichergestellt, dem ehema­ ligen stellvertretenden Vorsitzenden der südafrikanischen Wahrheits- und Ver­söhnungskommission und ebenfalls Mitbegründer des ICTJ.771 5. Wissenschaftliche Konferenzen Seit Mitte der 1990er Jahre häuften sich die internationalen, regionalen und nationalen Tagungen, auf denen Wissenschaftler, Juristen und auch ehemalige Kommissionsmitglieder über ihre Erfahrungen berichteten.772 Eine Konferenz, die besonders viel Echo in der Wissenschaftsgemeinschaft erfuhr, war z. B. die Konferenz „Reconciliation Processes and Peace Building“. Sie 767  Ebd., 768  Ebd., 769  Ebd.

S.  5 f. S. 7.

770  New York School of Law, Center for Human Rights and Global Justice, Transitional Justice Program. 771  Ebd. 772  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 97.



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fand im Juni 1998 in Belfast unter dem Eindruck der südafrikanischen Erfahrung statt.773 Dies unterstreicht die obige Feststellung, dass mittlerweile Versöhnung in den Mittelpunkt des TJ-Diskurses und die Transnationalisierung der TJ-Erfahrungen zu einem wichtigen Credo geworden waren. 6. Wissenschaftliche Forschungsprojekte In dieser Phase finden sich vermehrt Forschungsprojekte zum TJ-Themenkreis. Ein Beispiel aus der deutschen Wissenschaft ist das Forschungsprojekt zur strafrechtsbezogenen Vergangenheitspolitik bei Transitionen, das von 1996 bis 2010 am Max-Planck-Institut für ausländisches und interna­ tionales Strafrecht unter der Leitung von Eser, Sieber und Arnold durch­ geführt wurde. 23 Länder weltweit wurden untersucht774. Damit ähnelt das Forschungsprojekt dem Forschungsprojekt des US Institute for Peace. Als Ziel des Forschungsprojektes wird von Eser, Arnold und Sieber „die Klärung der Rolle des Strafrechts bei dem Umgang mit schweren Menschenrechtsverletzungen nach dem Wechsel politischer Systeme“775 angegeben. Dabei sollten die Funktion aber auch die Grenzen von Strafrecht in einem Transitionskontext (sog. „Transitionsstrafrecht“) aufbauend auf verschiedenen Länderbeispielen untersucht werden.776 Die Vergleichbarkeit der unterschiedlichen Länderbeispiele sowie die Verallgemeinerungsfähigkeit der Schlussfolgerung sind dabei wichtige Prämissen.777 Die angewendete Methode war induktiv.778 773  Hamber,

How Should We Remember? Konferenzbericht Juni 1998. Bulgarien, Deutschland, Estland, Georgien, Griechenland, Litauen, Polen, Portugal, Russland, Spanien, Tschechien, Ungarn, Weissrussland; Lateinamerika: Argentinien, Brasilien, Chile, Guatemala, Uruguay; Afrika: Ghana, Mali, ­Ruanda, Südafrika; Asien: China, Korea. 775  Eser/Karsten, Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, S. 1 f. 776  MPI für Strafrecht: Projektveröffentlichung, Webseite. 777  Insbesondere sollen folgende Fragestellungen untersucht werden: „Wie reagieren Rechtsordnungen, insbesondere Strafrechtsordnungen, auf staatsgestützte Kriminalität, die vor einem politischen Systemwechsel begangen wurde? Wird Politik und staatsgesteigerte Kriminalität nun nachträglich noch verfolgt und sanktioniert, oder stehen diesem Bemühen bestimmte rechtsstaatliche Grundsätze und Rechtsinstitute entgegen? Ist überhaupt ein politischer Wille zur Strafverfolgung vorhanden, oder wird durch Amnestierung der Täter ein Schlussstrich gezogen? Wie werden die Interessen der Opfer von politischer Systemkriminalität berücksichtigt? Inwieweit kann staatsgestützter Kriminalität für die Zukunft vorgebeugt werden? Inwiefern muss der Boden des nationalen Strafrechts verlassen und der Weg eines supranationalen Strafrechts beschritten werden, um politik- und staatsgestützte Kriminalität eines untergegangenen politischen Systems verfolgen zu können? Inwiefern lassen sich verschiedene Modelle des Umgangs mit Systemunrecht unterscheiden? Und welche Leitlinien für ein menschenrechtsschützendes nationales Strafrecht, für ein 774  Europa:

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Wichtig ist dabei, dass dem Strafrecht von Beginn an nicht die dominante Rolle in der Vergangenheitsaufarbeitung zugewiesen wurde: 778

„Menschenrechtsverletzungen der Diktatur sind strafwürdig; Menschenrechte sind auch durch Strafrecht zu schützen; die Strafverfolgung schwerer Menschenrechtsverletzungen im Transitionsprozess ist jedoch von einer Vielzahl politischer Ziele und Einflussfaktoren – wie unter anderem politischer, historischer, personaler und ökonomischer Art – abhängig, die jedes Land auch als konkreten Einzelfall ausweisen; die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist nicht in erster Linie eine Aufgabe des Strafrechts, weil das Strafrecht offenbar kein vernünftiger Ersatz für die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit sein kann, die um der Zukunft willen geführt werden muss. Allerdings steht das Strafrecht dem Systemunrecht auch nicht völlig ohnmächtig gegenüber.“779

Es finden sich unterschiedliche Begriffe780, die im Verlauf des Projektes zur Beschreibung des Forschungsgegenstandes verwendet werden, wie z. B. das „Transitionsmodell menschenrechtsschützenden Strafrechts“781 und „strafrechtsbezogene Vergangenheitspolitik nach politischem Systemwech­ sel“782. Die letzte Bezeichnung legt nahe, dass es sich um eine Bearbeitung der Fragestellung aus der Perspektive des Strafrechts handelt − unter Einbeziehung eines politikwissenschaftlichen Rahmens. Auch gleichsam augenfällig, dass „Gerechtigkeit“ nicht auftaucht, sondern vielmehr die Vergangen­ heits„politik“ im Mittelpunkt steht, die durch das Adjektiv „strafrechtsbezogen“ sowie dem „politischen Systemwechsel“ eingegrenzt wird. 7. Zusammenfassung Wie durch die bibliometrische Analyse in Teil 2 angedeutet, kann bestätigt werden, dass in der hier beobachteten Phase ein Forschungsfeld namens Model strafrechtsbezogener ‚Vergangenheitspolitik‘ bei der Transition, sind daraus abzuleiten?“ (Eser/Karsten, Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, S. 3.) 778  Den Länderberichten lag eine einheitliche Projektskizze zugrunde, die auf Fragestellungen fußte, die anhand der deutschen Wiedervereinigung erarbeitet und die auf einem Kolloquium mit den Berichterstattern zu Beginn des Projekts überarbeitet worden waren. Schon zu Beginn des Projektes wurden u. a. folgende Problematiken der Herangehensweise identifiziert: unterschiedliche Rahmenbedingungen der Transition, unterschiedliche Wege des strafrechtlichen Umgangs, unterschiedliche Erscheinungsformen und Interdisziplinarität der Fragestellungen (v. a. die Berücksichtigung der Systemwechselforschung). Interessant ist auch die Einschätzung, dass das politische Vorverständnis der Autoren nicht zu unterschätzen sei, das Projekt daher gewissermaßen politisiert würde (MPI für Strafrecht: Forschungsprofil). 779  Eser/Karsten, Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, S. 13. 780  Eser/Karsten, Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, Teil 1, S. 82. 781  Arnold, in: Kaleck u. a. (Hrsg.), International Prosecution of Human Rights Crimes. 782  Eser/Arnold, in: dies. (Hrsg.), Strafrecht in Reaktion auf Systemunrecht, S. IX.



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TJ bereits besteht. Die Publikation von Kritz erscheint 1995 und steckt das Forschungsfeld in seinen Grundzügen ab. Hier sind bereits interdisziplinäre Fragestellungen angesprochen, die die spätere Ausweitung des Feldes begünstigen. Vergleicht man die obige Darstellung mit der in Teil 2 herausgearbeitete These, so kann bestätigt werden, dass Strafverfolgungen durchaus weiterhin oft besprochen werden, jedoch weniger im menschenrechtlichen Diskurs, sondern vielmehr dem mittlerweile eher hiervon abgetrennten, völkerstrafrechtlichen Diskurs. In der hier untersuchten Phase öffnet sich der vormals primär retributiv geprägte Rechtsdiskurs und das Forschungsgebiet übernimmt in zunehmendem Maße Fragestellungen, Begriffe und Argumente aus anderen Disziplinen, insbesondere den Begriff der „Versöhnung“ und der behaupteten Wirkung verschiedener TJ-Instrumente. Geht man von der bibliometrischen Analyse aus, so ist diese Phase inhaltlich noch bis 1999 v. a. von der Diskussion um Strafverfolgung und Amnestiegesetze sowie dem Gebiet der Menschenrechte geprägt. Repara­ tionen würden eine untergeordnete Rolle spielen und gegen 1998 würden Amnestiegesetze relativ gesehen in den Hintergrund treten. Dies kann nach der durchgeführten kursorischen Analyse der Literatur nur teilweise bestätigt werden. Die alternativen Instrumente, v.  a. Wahrheitskommissionen, nehmen durchaus schon früher eine wichtige Stellung in der Literatur ein. Hier sind insbesondere das südafrikanische Beispiel und die Wahrheitskommissionen El Salvadors und Guatemalas zu nennen. Es kommt ein Diskurs des „Nebeneinanderstellens von Wahrheit und Gerechtigkeit“ sowie des „Eintauschens von Gerechtigkeit für Frieden“ auf. Hier sind aber zwei unterschiedliche Stränge zu unterscheiden: Während der völkerstrafrechtliche Diskurs fast getrennt neben dem TJ-Diskurs steht, nimmt der TJ-Diskurs selbst nun mehr und mehr Platz ein. Die „Gerechtigkeit vs. Frieden“-Debatte findet sich v. a. im TJ-Diskurs, während im völkerstrafrechtlichen Diskurs „Gerechtigkeit und Frieden“ zu dominieren scheint. Lokale, alternative Ansätze zu Strafverfolgungen geraten in den Fokus der Aufmerksamkeit und Nationbuildung wird zu einem wichtigen Thema. Übereinstimmend mit den bibliometrischen Erkenntnissen tritt ab 2001 / 2002 auch das Peacekeeping in den Vordergrund. Während hingegen die bibliometrischen Erkenntnisse ergeben, dass die Opferrechte und das Völkerstrafrecht ebenfalls erst ab 2001 / 2002 in den Fokus geraten, ergab die kursorische Analyse der Literatur eine frühere Dominanz des völkerstrafrechtlichen Ansatzes, der durch die Auseinandersetzung in der Literatur mit den Ad-hoc-Strafgerichtshöfen und den hybriden

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Gerichtshöfen und den Vertragsverhandlungen zum Ständigen Internationalen Strafgerichtshof bestimmt wird. Diese Phase kann als „Phase der beginnenden Institutionalisierung“ des TJ-Feldes eingeordnet werden. Nach dem Beginn und dem stetigen Steigen der Publikationstätigkeit zu TJ, das durch die Veröffentlichung des Werkes von Kritz versinnbildlicht wird, bildet sich das Feld in der Literatur langsam heraus: die Hauptstränge der Diskussion definieren sich. Der TJ-Diskurs wird selbständig, lässt sich von TJ-Diskussionen in den anderen Gebieten (internationale Menschenrechte, humanitäres Völkerrecht sowie das Völkerstrafrecht) inspirieren, formt sich aber nun als eigenständiges Forschungsgebiet mit teilweise multidisziplinärer Arbeitsweise. Die Bedeutung des disziplinären rechtswissenschaftlichen Diskurses innerhalb der TJ-Wissenschaftsgemeinschaft nimmt zugunsten von politikwissenschaftlichen, historischen oder sozialpsychologischen Ansätzen ab. Es finden sich vermehrt Beiträge von Rechtswissenschaftlern, die sich entweder auf Forschungsergebnisse anderer Disziplinen beziehen oder andere disziplinäre Fragestellungen in ihre eigenen integrieren. Innerhalb dieses TJ-Diskurses dominiert aber noch der menschenrechtliche Ansatz. Eine Erklärungsmöglichkeit hierfür kann darin gesehen werden, dass die Menschenrechtsliteratur an sich schon multidisziplinär ist783 und daher der TJ-Diskurs auch schon multidisziplinär ist, wenn man ihn als hauptsächlich vom menschenrechtlichen Ansatz dominiert ansieht. Andererseits ist aber auch zu bemerken, dass eine zunehmende Anzahl von Autoren verschiedene disziplinäre Diskurse und Ansätze unterscheiden: Am häufigsten ist bestimmt die Unterscheidung zwischen einem „rechtlichen“ und einem „politischen“ Ansatz:784 Goldstone unterscheidet daneben einen philosophischen Diskurs sowie einen, der sich mit praktischen Herausforderungen auseinandersetzt785; Méndez bestimmt dagegen bei der Accountability-Problematik „legal, ethical and political dimensions“786; Weiner „political, moral, ethical and legal aspects“, wobei seiner Ansicht nach die meisten Publikationen nur die ersten drei Dimensionen analysieren würden.787 Dies zeigt, dass das Problembewusstsein der Multidisziplinarität bzw. möglichen Interdisziplinarität gegeben ist. 783  Bendel/Fischer, Menschen- und Bürgerrechte in Geschichte und Gegenwart. Multidisziplinäre Perspektiven, in: dies. (Hrsg.), Menschen- und Bürgerrechte: Ideengeschichte und Internationale Beziehungen, S. 8 ff. 784  Elster, Archive européennes de Sociologie 39 (1998), S. 17. 785  Goldstone, New York University Journal of International Law & Policy 28 (1995/96), S. 493. 786  Méndez, Human Rights Quarterly 19 (1997), S. 256. 787  Weiner, St. Mary’s Law Journal 26 (1994/5), S. 858.



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Was auch zu bemerken ist, ist die zunehmende Ausrichtung des Diskurses auf die Praxis. Bassiouni betont die Notwendigkeit, Gerechtigkeit praktikabel für den Mediator in Friedensprozessen zu machen, d. h. klare Richtlinien für Friedensverhandlungen aufzustellen.788 So wird von zwei Seelen in der Brust eines Juristen, der in Friedensverhandlungen involviert ist, gesprochen.789 Ebenfalls wird bemerkt, dass zunehmend ein „pragmatischer“ Ansatz in der akademischen Literatur zu finden sei790 bzw. „the academic circles have begun to catch on practice“791. Dass es ein großes Bedürfnis nach „Praktikern“ gäbe, wird als klar vorausgesetzt: „in times of transition, nations earn for leaders not for lawyers.“792 Die TJ-Fragestellung ist nun klar umrissen – es herrscht das Gefühl von „Feldbildung“ vor. Allerdings herrscht noch eine große Ungenauigkeit mit der Begriffsbildung. Dies lässt sich an den frühen einflussreichen Publikationen (wie der von Ruti Teitel) nachvollziehen, die das Diskursmuster noch unkritisch anwenden und so z. B. von einem „Paradigmenwechsel“ sprechen. Dagegen finden sich bereits kritische Stimmen, die das Diskursmuster kritisch hinterfragen und zu einem Umdenken aufrufen (z. B. Méndez). Es fällt auf, dass nationale TJ-Entscheidungen vor der Einrichtung der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe v. a. als „politisch“ angesehen werden, während die Einrichtung der Strafgerichtshöfe dann als „juristische“ Antwort angesehen wird.793 Das Völkerstrafrecht bildet sich klar als Teilrechtsgebiet, das von TJ unterschieden werden kann. Der Schwerpunkt im TJ-Diskurs verlagert sich von Strafverfolgung auf andere TJ-Instrumente: Wahrheitskommissionen werden jetzt als „Plus“ angesehen (und nicht nur als „Minus“) zu Strafverfolgungen. Mit dem Ende der Apartheid in Südafrika wird ein weiteres bestimmendes Element für den TJ-Diskurs initiiert: Die Vorbereitungen und schließliche Etablierung der südafrikanischen Versöhnungs- und Wahrheitskommission im Jahr 1995 werden zum Ausgangspunkt der Frage nach den – nicht als negativ empfundenen  − alternativ rechtlichen Mitteln der Vergangenheitsbewältigung. Diese Diskussion findet nun aber vornehmlich im TJ-Diskurs statt. Erstmals übernimmt damit der TJ-Diskurs die führende Rolle gegenüber dem Menschenrechts- und dem Völkerstrafrechtsdiskurs.

788  Bassiouni, 789  Scharf, 790  Ebd. 791  de

Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 27. Texas International Law Journal 31 (1996), S. 3.

Greiff, Philosophy & Social Criticism 22 (1996), S. 95. St. Mary’s Law Journal 26 (1994/5), S. 860. 793  Z. B. Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 11. 792  Weiner,

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IV. Ausdifferentialisierung und kritische Repositionierung (2003–2005) 1. Entwicklungen in der wissenschaftlichen Behandlung der Thematik Die in Teil 2 herausgearbeitete These bezüglich dieser Phase lautete: „In dieser Phase des konstanten Wachstums kann eine inhaltliche Ausweitung des Forschungsgebietes beobachtet werden und es kommt zu zwei wichtigen Wachstumsimpulsen: 2002 / 2003 (bzw. 2003 / 2004) und 2004 / 2005. Ab 2005 kommt es zu einem starken Abnehmen der Bedeutung von humanitärem Völkerecht, aber zu einem Zunehmen der Bedeutung von Völkerstrafrecht für die Entwicklung des Feldes. Inhaltlich steigt insbesondere ab 2004 / 2005 das Interesse an Strafverfolgungen. Die Publikationstätigkeit bleibt konstant – Wahrheitskommissionen scheinen nicht mehr als Strafverfolgungen ausschließend wahrgenommen zu werden. Ebenfalls ab 2004 / 2005 kommt es zu einem zunehmenden Interesse an Lus­tra­ tionsmaßnahmen.“794

Laut Zitationsanalyse (vgl. unter Teil 2) sind insbesondere die Autoren Osiel, Posner / Vermeule und Danner / Martinez als einflussreiche Autoren zu nennen. Untersucht man die Literatur dieser Phase so fällt auf, dass sich der spezifische TJ-Diskurs weiter ausdifferenziert: Neben „TJ“ als Begriff werden weiterhin alternative Terminologien geprägt, so z. B. „Postkonfliktgerechtigkeit“ und „Gerechtigkeit zu Zeiten des Krieges“.795 Die Diskursregel „Gerechtigkeit vs. Frieden“ findet sich weiterhin neben der Diskursregel „Gerechtigkeit und Frieden“. Daneben wird auch häufiger „restaurative und retributive Gerechtigkeit“ diskutiert, wobei die restaurative Gerechtigkeit mit dem TJ-Instrument der Wahrheitskommissionen gleichgesetzt wird.796 794  Vgl.

These 4.2. Askin, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2002/03), S. 509– 521; Bassiouni, Cornell International Law Journal 38 (2005), S. 327–390; Hazan, Justice in a Time of War. 796  Z. B. Eisnaugle, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), S. 209– 242; Elster, Retribution and Reparation in the Transition to Democracy; Evenson, Columbia Law Review 104 (2004), S. 730–76; Gibson, American Journal of Political Science 48 (2004), S. 201–217; Graybill/Lanegran, African Studies Quarterly 8 (2004), S. 1–18; Mendeloff, International Studies Review 6 (2004), S. 355–380; Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 761–825; Schabas, Human Rights Quarterly 25 (2003), S. 1035–1066; Villa-Vicencio/Doxtader (Hrsg.), In the Provocations of Amnesty: Memory, Justice and Impunity. 795  Z. B.



IV. Ausdifferentialisierung und Repositionierung (2003–2005)285

Es finden sich auch zunehmend kritische Töne bezüglich TJ: so stellt ein einflussreicher Aufsatz die Grundthese von TJ infrage, d. h. die Exzeptionalität des Konzeptes („transitional justice as ordinary justice“).797 Auch häufen sich die Artikel, die TJ „victor’s justice“798 oder eine Dominanz westlicher Konzepte vorwerfen.799 Diese Kritik kommt häufig aus den Ländern selbst, in denen die TJ-Aktivitäten umgesetzt werden, aber auch von TJ-Experten, die den „einheitlichen“ TJ-Ansatz zunehmend kritisch sehen.800 Es bilden sich vermehrt Begriffspaare, die die inhaltliche Ausgestaltung des Feldes sowie dessen Praxisbezogenheit anzeigen: „justice in / and TJ / transition“801, „civil war and TJ“802, „trauma and TJ“803, „victims on TJ“804, „civil society and TJ“805, „constitution and TJ“806. Das gesamte Spektrum der TJ-Instrumente wird besprochen, wobei jedoch der Fokus immer noch auf Strafverfolgungen und Wahrheitskommissionen liegt. In der hier beobachteten Phase gibt es relativ gesehen mehr Publikationen in den anderen Disziplinen, während sich der rechtswissenschaftliche Diskurs klar auf das internationale Völkerstrafrecht konzentriert – und hier insbesondere auf den IStGH, die Ad-hoc-Tribunale, die hybriden Gerichtshöfe sowie das Komplementaritätsprinzip, die Strafverfolgungspolitik, die Straftheorien im internationalen Völkerstrafrecht sowie die Koordinierung der Strafverfolgung mit sog. „alternativen Formen“ (v. a. Wahrheitskommis­ sionen)807. Daneben dominieren in den Publikationen der anderen Diszipli797  Posner/Vermeule,

Harvard Law Review 117 (2004), S. 761–825. Grosscup, Denver Journal of International Law and Policy 32 (2004), S. 355–381; Peskin, Journal of Human Rights 4 (2005), S. 213–231. 799  Z. B. Higonnet, Arizona Journal of International and Comparative Law 23 (2006), S. 347–435; Uvin/Mironkon, Global Governance 2 (2003), S. 219–231; Waldorf, Temple Law Review 79 (2006), S. 1–87. 800  Bell, Social & Legal Studies 13 (2004), S. 305–328; Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 761–825; Vinjamuri/Snyder, International Security 28 (2003/04), S. 5–44. 801  Z. B. Llewellyn, in: Borer (Hrsg.), Telling the Truths, S. 83–113; Stan, Studia Politica 6 (2006), S. 257–284; Theidon, Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 433–457. 802  Z. B. Binningsbø, Civil War and Transitional Justice. 803  Z. B. Barsalou, Special Report USIP 2005, S. 1–12. 804  Z. B. David/Choi, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 392–435. 805  Z. B. Backer, Journal of Human Rights 2 (2003), S. 297–313. 806  Z. B. Villa-Vicencio/Doxtader (Hrsg.), In the Provocations of Amnesty: Memory, Justice and Impunity. 807  Z. B. Graybill/Lanegran, African Studies Quarterly 8 (2004), S. 1–18; Robinson, European Journal of International Law 14 (2003), S. 481–505; Quinn/Freeman, Human Rights Quarterly 25 (2003), S. 1117–1149; Quinn, Human Rights Quarterly 798  Z. B.

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nen die vergleichende Analyse und Evaluierung von TJ-Instrumenten in der Praxis (v. a. von Wahrheitskommissionen)808, der Wiederaufbau von Nationen bzw. Peacebuilding (sowie die Rolle von Gerechtigkeitsmaßnahmen in diesen Bemühungen)809, die Konfliktlösung810, die Traumaarbeit und die Arbeit mit Opfern und Zeugen811. Daneben werden „alternative“ Methoden der Herstellung von Verantwortung vorgestellt und die Rolle der internationalen Gemeinschaft bei der Bestimmung von TJ-Instrumenten und der nationalen Versöhnung angesprochen812. Das „Heilen“ steht nun weniger stark im Vordergrund, vielmehr konzentrieren sich viele Abhandlungen auf die Wahrheitskommissionen und die Erfolgsfaktoren für ihre Arbeit. In den rechtswissenschaftlichen Abhandlungen wird auch weiterhin das Stichwort „Impunity“ (Straflosigkeit) gebraucht, sowohl im Zusammenhang mit dem internationalen Völkerstrafrecht als auch mit dem Recht der internationalen Menschenrechte.813 Berühmte Prozesse, wie z. B. die von Milošević, Hussein und Habré, beschäftigen die Wissenschaft. Der Pinochet-Fall wird zunehmend im Zusammenhang mit dem Weltrechtsprinzip besprochen, während die anderen drei Fällen primär (aufgrund der Zuständigkeit der Straftribunale) in Zusammenhang mit dem internationalen Völkerstrafrecht gebracht werden. Das Prinzip der individuellen Verantwortung wird im Zusammenhang mit dem Prinzip der Staatenverantwortlichkeit diskutiert. Die einzelnen TJ-Instrumente werden zunehmend mit korrespondierenden bzw. einschlägigen Individual- und Kollektivrechten in Verbindung gebracht 26 (2004), S: 401–427; Villa-Vicencio/Doxtader (Hrsg.), In the Provocations of Amnesty: Memory, Justice and Impunity. 808  Z. B. Brahm, Getting to the Bottom of Truth: Examing Truth Commission Success and Impact; David, Law and Social Inquiry 28 (2003), S. 387–439. 809  Z. B. Mendeloff, International Studies Review 6 (2004), S. 355–380. 810  Z. B. Long/Brecke, War and Reconciliation. Reason and Emotion in Conflict Resolution. 811  Z. B. Aldana, Journal of Human Rights 5 (2006), S. 107–126; David/Choi, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 392–435; Humphrey, Australian Journal of Anthropology 14 (2003), S. 171–187; Nowrojee, Harvard Human Rights Journal 18 (2005), S. 85–105; Stover, The Witnesses War Crimes and the Promise of Justice in The Hague. 812  Z. B. Gibson, American Journal of Political Science 48 (2004), S. 201–217; Graybill/Lanegran, African Studies Quarterly 8 (2004), S. 1–18; Skaar u. a. (Hrsg.), Roads to Reconciliation; Villa-Vicencio/Doxtader (Hrsg.), Through Fire with Water: The roots of division and the potential for reconciliation in Africa; Wilson, Anthropological Theory 3 (2003), S. 367–387. 813  Z. B. Goldstone, in: Doxtader/Villa-Vicencio (Hrsg.), Through Fire with ­Water, S. VII.



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(z. B. das Recht auf politische Meinungsäußerung), allerdings wird die Verbindung mit den sog. Opferrechten814 selten hergestellt. Im Fokus steht häufiger die Diskussion um restaurative und retributive Gerechtigkeit und die „internationale“ Gerechtigkeit wird mit alternativen bzw. lokalen Gerechtigkeitsformen wie den Gacaca-„Gerichten“ in Ruanda verglichen.815 Rule of Law und Fair Trial-Standards sind weiterhin Themen. Regional treten in Lateinamerika die Beispiele aus Argentinien und Chile in den Hintergrund, während El Salvador und Guatemala und die neuen Länderbeispiele von Kolumbien, Haiti, Mexiko und Brasilien häufiger diskutiert werden. Das ehemalige Jugoslawien und Ruanda bleiben Thema sowie Osttimor / Timor-Leste, Sierra Leone, Kosovo, Kambodscha, Liberia und Irak. Auch Südafrika ist weiterhin in den Publikationen präsent so wie auch Ost- und Mitteleuropa, Nordirland, Spanien, Sri Lanka, Marokko und Südkorea.816 Es lässt sich auch eine beginnende Schwerpunktverlagerung auf Prozesse der Vergangenheitsbewältigung in Afrika feststellen. Der wissenschaftliche Diskurs in dieser Phase zeichnet sich v. a. durch fünf Merkmale aus: Bestätigung der Unterscheidbarkeit der TJ-Forschungsfrage, ansteigende Hinterfragung des Transitions-Diskursmusters und beginnende empirische Untersuchung der hauptsächlichen Pro- und ContraArgumente einzelner TJ-Instrumente; zunehmende Komplexität der Theo­ rien und Konzepte; Dominanz des humanitärrechtlichen bzw. völkerstrafrechtlichen Diskurses und die Disziplinarität der Beiträge. Das Weltrechtsprinzip führt in gewisser Hinsicht zu einer zunehmenden Verzahnung des völkerstrafrechtlichen und menschen- bzw. humanitärrechtlichen Diskurses.

814  Vgl. hierzu unter Teil 3, II. 2. Z. B. Aldana-Pindell, Human Rights Quarterly 26 (2004) S. 605–685; McCracken, Revue internationale de droit pénal 76 (2005), S. 77–79; REDRESS, Implementing Victims’ Rights; Tomuschat, Journal of International Criminal Justice 3 (2005), S. 579–589. 815  Z. B. Corey/Joireman, African Affairs 103 (2004), S. 73–89; Wells, Southern California Review of Law and Women’s Studies 14 (2005), S. 167–196; Harrell, Rwanda’s Gamble: Gacaca and a New Model of Transitional Justice. 816  Z. B. Bell, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 1095–1147; Davis, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 858–880; Roht-Arriaza/Mariezcurrena (Hrsg.), Transitional Justice in the Twenty-First Century. Beyond Truth versus Justice; Silva, Windsor Yearbook of Access to Justice 22 (2003), S. 179–188.

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Rechtswissenschaftlicher Diskurs: – Internationale Strafgerichtsbarkeit (IStGH, ICTY, ICTR, hybride Strafgerichtshöfe; universelle Gerichtsbarkeit; „Straflosigkeit“; Irak; Komplementaritätsprinzip; Koordinierung mit alternativen Formen; Strategie der Anklagebehörde; Völkerstrafrechtsphilosophie – berühmte Prozesse (Milosevic, Hussein, Habré); Auslieferungsgesuche (Weltrechtsprinzip, Pinochet) – Accountability/Impunity ; – TJ-Instrumente und Rechte; – alternative Formen von Gerechtigkeit (bzw. Gacaca); – retributive vs. restaurative Gerechtigkeit; – Soziale Gerechtigkeit; Fair Trial; Rule of Law; – IGH: Demokratische Republik Kongo gegen Belgien. TJ-Diskurs: – Postkonfliktgerechtigkeit oder „justice in a time of war“; – Gerechtigkeit vs. Wahrheit/Versöhnung; – Gerechtigkeit und Wahrheit/Versöhnung; – Restaurative Gerechtigkeit (synonym mit Wahrheitskommission) vs. retributive Gerechtigkeit; – Begriffspaare: „justice and/in TJ“, „civil war & TJ“, „trauma & TJ“, „civil society & TJ“, „constitutional process & TJ“; – Kritik: „ordinary justice“, „victor’s justice“; – Instrumente: Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen, Amnestien, Lustrationen, Reparationen.

Publikationen 2002‒2005

Länder/Regionen: Aufweitung des regionalen Spektrums – Deutschland/Japan; – Argentinien, Brasilien, Chile, El Salvador, Guatemala, Haiti, Kolumbien, Mexiko; – Marokko, Nordirland, Ostund Mitteleuropa, Spanien, Sri Lanka, Südkorea, Südafrika; – ehemaliges Jugoslawien, Ruanda, Irak, Kosovo, Kambodscha, Liberia, Osttimor, Sierra Leone; – Fokus: Afrika.

Andere Disziplinen: – Trauma; – komparative Analyse von TRCs; – Peacebuilding; – Opfer, Zeugen; – Vergebung/ Versöhnung; – Konfliktresolution; – Evaluation von TJInstrumenten (v.a. Wahrheitskommissionen, Lustrationen, Amnestien und Strafverfahren); – Rolle der internationalen Gemeinschaft; – Anthropologischer Ansatz; Narrative/ Sprache; – Religion; – alternative Methoden.

Schaubild 14: Publikationen 2003–2005

a) TJ-Diskurs aa) Bestätigung der Unterscheidbarkeit der TJ-Forschungsfrage Es finden sich zunehmend Aussagen zu TJ als „growing field of study“817 bzw. dem Auftauchen eines „Feldes“818, einer TJ-„Landschaft“819 und einer 817  Evenson, Columbia Law Review 104 (2004), S.  730; Graybill/Lanegran, African Studies Quarterly 8 (2004), S. 2. 818  Call, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S. 101 ff. 819  Bell/Keenan, Human Rights Quarterly 26 (2004), S. 333.



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„activist“ bzw. „epistemic community“820. Damit ist klar, dass das TJ-Feld nun definitiv als ein solches – und damit separat von anderen Forschungsbereichen – wahrgenommen wird. „In the 1990s a significant body of academic literature emerged, much of it focusing initially on the indeemable state facing transformation. This gradually expanded in scope from concern with Latin American transitions, to those in Central and Eastern Europe produced by the fall of the Berlin Wall, and to transitions generated by the trend towards structured peace processes in such conflict zones as South Africa, Palestine / Israel, and the former Yugoslavia.“821

Bei einigen Beiträgen ist allerdings nicht klar, ob sie sich auf Entwicklungen in der Wissenschaft oder in der Praxis beziehen. Auffällig ist jedenfalls, dass in keinem Beitrag auf eine gesonderte Rechtsprechung in diesem Bereich Bezug genommen wird. bb) Hinterfragung des Transitionsdiskursmusters Die kritischen Stimmen bezüglich TJ und den Grundthesen bzw. dem herrschenden TJ-Ansatz werden lauter: So werden die Grundannahmen von TJ häufiger hinterfragt, insbesondere bezüglich des Exzeptionalitätsarguments822 und der Finalität.823 Insbesondere ist hier der Artikel von Posner / Vermeule zu nennen, der mit klaren Argumenten gegen das Transitionsdeutungsmuster argumentiert: „First, theorists of transitional justice commonly err by treating regime transitions as a self-contained subject, thereby denying the relevance or utility of compraisons and analogies between regime transitions, on the one hand, and the wide variety of transitions that occur in consolidated democracies, on the other.“824

Ihre Hauptthese ist, dass „Transitionen“ integraler Bestandteil auch von stabilen politischen Systemen seien, dass politische Systeme (und ihre Rechtsordnungen) für eine solche Belastung ausgelegt sind und eine Sonderbehandlung der „Exzeptionalität“ diesem widersprechen würde.825 In der Literatur findet sich weiterhin die Gegenüberstellung der zwei Lager: „school of realism“ (in diesem Fall alias Peacebuilders) versus 820  Brahm,

International Studies Perspectives 8 (2007), S. 16 ff. u. a., Modern Law Review 66 (2003), S. 334. 822  „[W]hether political transitions genuinely require a unique type of justice or whether transitional justice results from a mere political choice which compromises justice.“ (Graybill/Lanegran, African Studies Quarterly 8 (2004), S. 1.) 823  Gross, Stanford Journal of International Law 40 (2004), S. 50. 824  Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 764. 825  Ebd. 821  Campbell

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„human rights“826. Es findet sich aber auch eine Unterscheidung von Wissenschaft und Praxis: Wissenschaftler („human rights scholars“ und „security studies scholars“827) versus „human rights advocates“828, „panelists with real-world experience“829, „foreign policy practitioners“830, „diplomats and other peacemakers“831 und „norms entrepreneurs“832. Zwei Dichotomien finden sich hier wieder: die Kluft zwischen Normanspruch und politischer Dimension833 und die Unterscheidung zwischen Theorie und Praxis („an exceptional case where theory must bow to reality“834). Als Hauptproblematik wird weiterhin die Beziehung zwischen der juristischen und der politischen Perspektive gesehen835, obwohl die Dichotomie „Gerechtigkeit vs. Frieden“ nicht mehr so häufig diskutiert wird.836 Einige verabschieden diese Dichotomie sogar und stellen andere Forschungsfragen, die die Komplementarität beider Begriffe voraussetzen.837 Es gibt aber immer noch Autoren, die entweder den Primat des Rechtes838 oder der Politik839 vertreten. Immer noch einen wichtigen Platz in den Bei826  Scharf,

Case Western Journal of International Law 35 (2003), S. 153. Errors about Trials (2007), S. 8, 44. 828  Simonovic, Yale Journal of International Law 29 (2004), S. 343. 829  Scharf, Case Western Journal of International Law 35 (2003), S. 155. 830  Scharf/Williams, Case Western Reserve Journal International Law 35 (2003), S. 182. 831  Simonovic, Yale Journal of International Law 29 (2004), S. 343. 832  Snyder/Vinjamuri, International Security 28 (2003/04), S. 8. 833  Z. B. Call, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S. 101; Campbell u. a., Modern Law Review 66 (2003), S. 325. 834  Wells, California Review L & Women’s Studies 14 (2005), S. 172, die den Penal Reform International, Interim Report on Research on Gacaca Jurisdiction and its Preparations (2001), S. 9, zitiert. 835  Vgl. z. B. Campbell u.  a., Modern Law Review 66 (2003), S. 317 ff.; Bell/ Keenan, Human Rights Quarterly 26 (2004), S. 346. 836  Vgl. hierzu z. B. Shifter/Jahawar, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S. 133 („twin aims of peace and justice“). 837  Z. B. Bell, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 1146. 838  Z. B. ebd.; Lutz, in: Roht-Arriaza/Mariezcurrena (Hrsg.), Transitional Justice in the Twenty-First Century. Beyond Truth versus Justice; S. 325–341; Schabas, University of California, Davis Journal of International Law and Policy 11 (2004), S. 145–169; ders., in: Romano u. a. (Hrsg.), Internationalized Criminal Courts and Tribunals, Sierra Leone, East Timor, Kosovo and Cambodia, Oxford 2004, S. 157– 180. 839  „Justice does not lead; it follows.“ (Snyder/Vinjamuri, International Security 28 (2003/04), S. 6.) Vgl. auch Shifter/Jahawar, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S.  127 ff. 827  Sikkink/Walling,



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trägen nehmen die „Versöhnung“840, „memory politics“841 oder „col­lective memory“842 ein, obwohl Beiträge, die pauschal „retributiv“ mit Strafprozessen und westlichem Rechtsdenken und „restaurativ“ mit Wahrheitskommissionen (oder Allerheilmittel oder lokales Rechtsdenken) gleichsetzen, in ihrer Anzahl abnehmen.843 Es gibt auch weiterhin viele vergleichende Werke, die jeweils Erfahrungen mit einem TJ-Instrument in verschiedenen Ländern und unter verschiedenen Bedingungen gegenüberstellen. Solche Lessons learned-Beiträge werden oft von Wissenschaftlern geschrieben, die selbst in der Praxis der TJ tätig waren.844 Daneben finden sich aber auch Werke, die die Verallgemeinerungsfähigkeit dieser Aussagen in Frage stellen.845 Es finden sich weiterhin Beiträge, die teils ohne empirische Basis Thesen zur Effektivität von TJ-Maßnahmen aufstellen. So z. B. Stover / Megally /Mufti, die behaupten, dass ein TJ-Mechanismus dann effektiv wäre, wenn die Maßnahmen legitim und unparteisch, auf der Basis von Konsulta­ tionen ausgewählt und der politischen Rekonstruktion dienen würden.846 Mendeloff kritisiert z. B., dass Behauptungen oft als empirische Fakten präsentiert werden, obwohl sie in Wirklichkeit reine Hypothesen seien.847 Für Wahrheitskommissionen unterscheidet er z. B. vier Behauptungen: psychologische, identitätsbezogene, institutionelle und normative.848 Vielleicht ist es auch in diesem Zusammenhang zu sehen, dass die Literatur insbesondere bezüglich Wahrheitskommissionen nun kritischer wird.849 Trotzdem werden sie in der Mehrheit noch als gute Alternativen zu Strafprozessen gesehen.850 Allerdings werden viele der Argumente als „intuitiv“ 840  „[R]econciliation has become the darling of the transitional justice movement.“ (Sarkin/Daly, Columbia Human Rights Law Review 35 (2004), S. 665.) „Reconciliation is now part of the discourse of transitional justice and democracybuilding.“ (Doxtader/Villa-Vicencio, in: dies. (Hrsg.), Through Fire with Water, S. XIV.) 841  Vgl. hierzu Brysk, Latin American Research Review 38 (2003), S. 239; Davis, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 862. 842  Andrews, Media Culture Society 25 (2003), S. 45. 843  Eisnaugle, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), S. 209 ff. 844  Z. B. Quinn/Freeman, Human Rights Quarterly 25 (2003), S. 1117 ff. (Quinn als Wissenschaftlerin, Freeman als Wissenschaftler mit extensiver praktischer Erfahrung in TJ). 845  Ebd., S.  16 f.; Brysk, Latin American Research Review 38 (2003), S. 244. 846  Stover u. a., Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 830. 847  Mendeloff, International Studies Review 6 (2004), S. 356. 848  Ebd., S. 364. 849  Vgl. z. B. Brahm, International Studies Perspectives 8 (2007), S. 16 ff. 850  Evenson, Columbia Law Review 104 (2004), S. 751.

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abgetan bzw. die empirische Tragfähigkeit der Behauptungen in Frage gestellt.851 Interessanterweise finden sich auch zunehmend diskursanalytische Perspektiven in den Publikationen.852 So führt Verdoolaege z. B. bezüglich der verschiedenen Diskursebenen in der südafrikanischen Wahrheits- und Versöhnungskommission aus: „This truth and reconciliation commission discourse is therefore a perfect illustration of the interaction between society and discourse: by means of the truth reconciliation commission as an institution society shaped discourse, but the language used in this institution clearly influenced society as well.“853

Neben dem vom südafrikanischen Kontext wird der Diskurs der Versöhnung dabei am häufigsten untersucht: „Reconciliation has been counter-posed to retributive justice by new political and religious elites, who have instead sought to construct a new notion of the national self and psyche, and in so doing used organic models of state and society and metaphors of illness and health in the body politic.“854 „The main metaphor of the organic state is the body politic as a sick body that is in need of healing. Truth commissions carry out this healing and thus promote national reconciliation.“855

Wilson stellt klar, dass der Diskurs der nationalen Versöhnung aus einem Set bestimmter nationaler historischer und politischer Erfahrungen stamme. „Whether in Latin America or South Africa or elsewhere, political and religious elites used a remarkably similar language of reconciliation, and their discourse was charactized by the following features: the construction of a new notion of the national self and psyche, the use of organic models of nation, the use of metaphors of illness and health and the creation of formulations of the common good which exclude retribution and encourage forgiveness.“856

Manche sprechen von unterschiedlichen Diskursen, so z. B. einem (psychotherapeutischen) Diskus der „Emotionen“857, der zu einer „burgeoining 851  Brahm,

International Studies Perspectives 8 (2007), S. 19. z. B. Campbell u. a., Modern Law Review 66 (2003), S. 345; Williams/ Szczerbiak, SEI Working Paper No. 62, S. 20; Bell, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 1122; Ilic, Eurozine (2004), S. 3 ff.; Gibson, Politikon 31 (2004), S. 129–155; Theidon, Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 433 ff.; Verdoolaege, HRV Hearings of the South African TRC; Walker/Unterhalter, Discourse Studies in the cultured politics of education 25 (2004), S. 279 ff. 853  Verdoolaege, HRV Hearings of the South African TRC. 854  Wilson, Anthropological Theory 3 (2003), S. 367. 855  Ebd., S. 370. 856  Ebd. 857  Snyder und Vinjamuri setzen jede „rückwärtsgewandte“ TJ-Massnahme mit „emotionalem“ Diskurs gleich, so insbesondere auch Prozesse aufgrund von Men852  Vgl.



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literature on the role of emotion, resentment, and status reversal“858 geführt hätte. Die Dichotomie retributiv vs. restaurativ wird nicht mehr so häufig diskutiert (obwohl sich die restaurative Gerechtigkeit trotzdem in vielen Publikationen findet859). Für Lustrationen werden prophylaktische, „erpresserischere“ bzw. „public empowerment“-Diskurse unterschieden.860 cc) Theorien und Konzepte werden komplexer TJ-Theorien und Konzepte werden spezifischer und komplexer, die Behauptungen sind in der Regel aber nicht mehr so weitreichend, obwohl es hiervon Ausnahmen gibt861. Die verwendeten TJ-Definitionen werden auch vielschichtiger und vorsichtiger in der Formulierung: „At the heart of transitional justice scholarship is a careful acknowledgment of the multi-layered role of law and legal systems generally in facilitating change from situations of violent conflict, or from authoritarian regimes, to peace and democracy.“862

und „ ‚Transitional Justice‘ therefore functions as a collective title for the numerous forms of political and legal accommodation that arise in the shift from conflict to negotiation. Its concerns are with legal legacies, as well as with the myriad of internal legal quandaries that are part of the post-conflict world. We contend that significant parts of the Agreement are appropriately placed in this site of analysis.“863

Andere kritisieren die fehlende rechtliche Ausrichtung der dominanten TJDefinitionen.864 schenrechtsverletzungen. Vgl. auch: „Above all, choices about punishment of past abuses must be made through the application of resolutely forward-looking criteria designed to avert atrocities and secure human rights, not backward-looking strategies based on rigid rule following or on what ‚feels rights‘.“ (Snyder/Vinjamuri, International Security 28 (2003/04), S. 44.) 858  Ebd., S. 16. 859  So vgl. z. B. Eisnaugle, Vanderbilt Journal of Transnational Law 36 (2003), S.  209 ff.; Quinn, Human Rights Quarterly 26 (2004), S. 404. 860  Williams/Czerbiak, SEI Working Paper Nr. 62, S. 9. 861  Vgl. z. B. die weitreichenden Thesen von Snyder/Vinjamuri: „Recent international criminal tribunals have utterly failed to deter subsequent abuses in the former Yugoslavia and Central Africa. […] Amnesties […] have been highly effective in curbing abuses when implemented in a credible way […].“ (Snyder/Vinjamuri, International Security 28 (2003/04), S. 5 f.) 862  Campbell u. a., Modern Law Review 66 (2003), S. 334. 863  Ebd., S. 336.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Als beispielshaft für eine zunehmende Spezifizierung des TJ-Diskurses kann v. a. auch der sich entwickelnde Gender-Ansatz für TJ herangezogen werden.865 Gender-Aspekte, die zuvor nur als „Nebenprodukte“ der Problematik behandelt wurden, werden von einigen Wissenschaftlern nun in den Mittelpunkt gestellt und ein spezieller Forschungsschwerpunkt sowie eine dahingehende Analyse der TJ-Problematik gefordert.866 So wird z. B. kritisiert, das Gender-Verbrechen in den Berichten von Wahrheitskommissionen bislang selten Berücksichtigung gefunden hätten.867 864

dd) Zunehmende Praxisorientiertheit Die Transnationalisierung verändert sich hin zu einer Internationalisierung der Best Practices. Die internationale Gemeinschaft beginnt, aktiv die Transitionen in Ländern mitzugestalten, in der Regel über internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, aber auch Einzelpersonen, die Erfahrungen in einem nationalen Kontext gesammelt haben und nun als Berater engagiert werden.868 Das Beharren auf der „Einzigartigkeit“ jeder einzelnen Situation wird dagegen als realpolitische Argumentation angesehen, die sich v. a. der Entwicklung von Rechtsnormen in diesem Gebiet entgegenstellt.869 Osiels Artikel, der als besonders einflussreich durch die Zitationsanalyse identifiziert wurde, analysiert – neben einer Besprechung der Vorgesetztenverantwortung, diese „internationalisierte“ Praxis insbesondere der internationalen Strafgerichtsbarkeit in einem durchaus kritischen Licht, v. a. aufgrund der personellen Fluktuation der „Experten“ und den „nearly total disconnect“ zwischen der lokalen Bevölkerung und den internationalen Experten.870 Neben Drumbl871 ist dies eine selten offene Kritik der Professionalisierung von TJ. 864  „Most texts on transitional justice seem to begin with a discussion of how to deal with the past from the question of constraint (for example, does the society have the resources to prosecute past crime, or what would prosecutions mean for lasting stability?), rather than moving from a rights-based position.“ (Hamber, Fordham International Law Journal 26 (2002), S. 1086.) 865  Vgl. hierfür z. B. Askin, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2002/03), S. 509. 866  Call, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S. 108; Wells, California Review Law & Women’s Studies 14 (2005), S. 167 ff.; Nowrojee, Harvard Human Rights Journal 18 (2005), S. 85 ff. 867  Askin, Columbia Journal of Transnational Law 41 (2002/03), S. 512. 868  Goldstone, Hastings Constitutional Law Quarterly 22 (1995), S. 612. 869  Bassiouni, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 13. 870  Osiel, Columbia Law Review 105 (2005), S. 1751 f. 871  Drumbl, Atrocity, Punishment, and International Law.



IV. Ausdifferentialisierung und Repositionierung (2003–2005)295

Publikationen wenden sich nun auch vermehrt an die Praxis: Die Publikationen zum Thema Peacebuilding nehmen zu.872 TJ wird als fundamentaler Teil von Peacemaking und Peacebuilding angesehen.873 Aber die Praxis wird auch kritisch analysiert: Immer mehr wird ein „bottom up“-Ansatz874 vertreten und das „Transition Engineering“ kritisiert, das sich in der Zwischenzeit so verbreitet habe.875 Saxon schlussfolgert aus einzelnen Beispielen, dass es wohl unmöglich sei, Demokratie und Gerechtigkeit(smodelle) zu exportieren, und, dass dies internationalen Juristen eine Warnung sein solle.876 Einzelne wenige beleuchten auch die Rolle der Geldgeber, die durch ihre Schwerpunktsetzung inhaltlich die Auswahl und Gestaltung von TJ-Politik in Entwicklungsländern mitbestimmen würden.877 Dabei wird die Schwerpunktsetzung der Geberländer für Official Development Assistance dahingehend kritisiert, dass seit den 1990er Jahren eine stark ansteigende Schwerpunktsetzung auf Gerechtigkeitsprogramme zu beobachten sei, wobei „Gerechtigkeit“ im Sinne von „legal transplants of Western and neo-liberal inspiration“ verstanden werden müsste.878 ee) Disziplinarität Neben den mittlerweile zum Standard zählenden multidisziplinären Sammelbänden879, die alle die Notwendigkeit des Zusammenarbeitens zwischen den Disziplinen vorausschicken, finden sich interessanterweise in dieser Phase auch wiederum vermehrt Beiträge mit rein disziplinärem Ansatz, v. a. politikwissenschaftlich880, (sozial-)psychologisch881, anthropologisch882 aber auch rechtswissenschaftlich883 und soziologisch884. 872  Z. B. Hamber, Fordham International Law Forum 26 (2002), S.  1074  ff.; Scharf, Case Western Reserve Journal International Law 35 (2003), S. 153  ff.; Scharf/Williams, Case Western Reserve Journal International Law 35 (2003), S.  161 ff. 873  Z. B. Bell/Keenan, Human Rights Quarterly 26 (2004), S.  337; Hamber, Fordham International Law Forum 26 (2002), S. 1082. 874  Theidon, Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 436. 875  Saxon, Journal of Human Rights 4 (2005), S. 567. 876  Ebd. 877  Bell/Keenan, Human Rights Quarterly 26 (2004), S. 356 f.; Call, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S. 109; Simonovic, Yale Journal of International Law 29 (2004), S. 356. 878  Oomen, Development and Change 36 (2005), S. 892. 879  Z. B. Doxtader/Villa-Vicencio (Hrsg.), Through Fire with Water, das Beiträge von Politikwissenschaftlern, Menschenrechtsaktivisten, Geschichtswissenschaftlern, Anthropologen, Sprachwissenschaftlern und Juristen zusammenführt.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Manche Beiträge fordern direkt oder indirekt eine Rückbesinnung auf die eigenen disziplinären Fragestellungen, so z. B. einen TJ-Ansatz, der die Rechte der Opfer zum Ausgang nimmt885. Sozialpsychologische Beiträge kritisieren die oft naive und laienhafte Verwendung und das fehlende Verständnis von Begriffen wie „deterrence, incapacitation, rehabilitation“886 oder „healing“ und „closure“887 etc. Politikwissenschaftliche Beiträge kritisieren ein zu simplistisches Verständnis von „Demokratisierung“888. Auch bezüglich „Versöhnung“ wird festgehalten: „reconciliation may mean quite different things in different societies at different times“.889 880881882883884

Allerdings rufen einige Autoren weiterhin zur Öffnung ihrer eigenen Disziplin auf und plädieren für multi- bzw. interdisziplinäre Fragestellungen, um z. B. effektiver Programme für den Transitionskontext zu entwerfen.890 b) Rechtlicher Diskurs Der humanitärrechtliche891 und der völkerstrafrechtliche892 Diskurs dominieren die disziplinär rechtswissenschaftlichen Publikationen, die in der Bibliographie aufgeführt sind. Das „Weltrechtsprinzip“ wird zunehmend 880  Backer, Journal of Human Rights 2 (2003), S. 297 ff.; Krasnokutsi, Case Western Reserve Journal of International Law 33 (2001), S. 13 ff.; Nagy, African Journal of Legal Studies 1 (2004), S. 1 ff.; Nedelsky, Theory and Society 33 (2004), S. 65 ff.; Shifter/Jahawar, Brown Journal of World Affairs XI (2004), S. 127 ff.; Williams/ Szczerbiak, SEI Working Paper No. 62, S. 4 f.; Snyder/Vinjamuri, International Security 28 (2003/04), S. 5 ff.; Quinn, Human Rights Quarterly 26 (2004), S. 404. 881  Barsalou, Special Report USIP 2005, S. 1 ff.; David/Choi Yuk-Ping, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 408 ff.; Darley/Pittman, Personality & Social Psychology Review 7 (2003), S. 324 ff.; Pham/Weinstein/Longman, Journal of American Medical Association 292 (2004), S. 602 ff.; Staub, International Review of the Red Cross 852 (2003), S. 791 ff. 882  Z. B. Kelsall, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 361 ff.; Wilson, Anthropological Theory 3 (2003), S. 367 ff. 883  Z. B. Jalloh/Marong, African Journal of Legal Studies 2 (2005), S. 53 ff. 884  Theidon, Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 433 ff. 885  Hamber, Fordham International Law Forum 26 (2002), S. 1095: „in [TJ] studies concept is almost non-existent“. 886  Darley/Pittman, Personality & Social Psychology Review 7 (2003), S. 329 ff. 887  Barsalou, Special Report USIP 2005, S. 4. 888  Davis, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 880. 889  Sarkin/Daly, Columbia Human Rights Law Review 35 (2004), S. 725. 890  Barsalou, Special Report USIP 2005, S. 8. 891  Z. B. Campbell u. a., Modern Law Review 66 (2003), S. 335; vgl. auch Evenson, Columbia Law Review 104 (2004), S. 730. 892  Z. B. Bottini, International Law and Politics 36 (2004), S. 504, der den Siegeszug des völkerstrafrechtlichen Diskurses auf den Beginn der 1990er Jahre veror-



IV. Ausdifferentialisierung und Repositionierung (2003–2005)297

diskutiert.893 In diesem Zusammenhang finden sich dann auch Auseinandersetzungen mit dem IGH-Fall „Demokratische Republik Kongo gegen Belgien“.894 Daneben beschäftigen sich auch viele Publikationen mit den Verfahren gegen Pinochet895, Habré896, Milošević897 und Hussein898 bzw. anderen potentiellen Fällen von Strafverfolgungen früherer Staatschefs für schwere Menschenrechtsverletzungen.899 Manche titulieren diese sogar als „a new revolution in international justice“900, wobei sich diese Prozesse wieder in das Deutungsmuster „individuelle vs. kollektive“ Schuld einschreiben.901 Es finden sich aber auch weiterhin „klassische“ Beiträge, die sowohl menschenrechtlich als auch humanitärrechtlich eingeordnet werden können tet; vgl. auch Sriram, American University International Law Review 19 (2003), S.  301 ff. 893  Vgl. hierzu: Bottini, International Law and Politics 36 (2004), S. 503  ff.; Kontorovich, Harvard International Law Journal 45 (2004), S. 183 ff. 894  ILM 41 (2002), S. 536 ff.; vgl. z. B. Luban, Yale Journal of International Law 29 (2004), S. 147; Schultz, ZaöRV 2002, S. 704 ff. Der IGH konnte mit dem Fall „Demokratische Republik Kongo gegen Belgien“ Rechtsprechung entwickeln, die für das internationale Strafrecht von Bedeutung wurde. Belgien strengte vor dem IGH ein Verfahren gegen den Senegal an, in dem dem Senegal ein Verstoß gegen das Prinzip „aut dedere aut punire“ bezüglich des früheren Präsidenten des Tschad, Hissène Habré, zu Last gelegt wurde, der sich im Senegal im Exil befindet (IGH, Questions relating to the obligation to prosecute or extradite (Belgien gegen Senegal), am 19.  Februar 2009 eingereicht (144/2009)). In weiteren Verfahren waren die Fragen der Bedingungen für die Immunität von Regierungsmitgliedern und die ­internationale Verpflichtung zur Kooperation in Fragen der Strafgerechtigkeit streitgegenständlich (Vgl. IGH, Certain Criminal Proceedings in France (Republik des Kongo gegen Frankreich), eingereicht am 9. Dezember 2002, am 16. November 2010 durch die Republik Kongo zurückgenommen). 895  Sriram, American University International Law Review 19 (2003), S. 319; Davis, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 868; Pion-Berlin, Journal of Latin American Studies 36 (2004), S. 479 ff.; Grosscup, Denver Journal of International Law & Policy 32 (2004), S. 368 ff. 896  Sriram, American University International Law Review 19 (2003), S. 345. 897  Bell, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 1145; Davis, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 872; Grosscup, Denver Journal of International Law & Policy 32 (2004), S. 364 ff. 898  Doebbler/Scharf, Case Western Reserve Journal of International Law 37 (2005), S.  21 ff.; Kelly, Journal of Genocide Research 9 (2007), S. 235 ff. 899  Neier, Case Western Reserve Journal International Law 35 (2003), S. 351 ff. 900  Scharf, Case Western Reserve Journal of International Law 35 (2003), S. 153. 901  „[E]stablishing individual responsibility and denying collective guilt“ (Scharf/ Williams, Case Western Reserve Journal of International Law 35 (2003), S. 170.); „dismantling institutions and discrediting leaders responsible for atrocities“ (ebd., S. 171).

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

und die die Accountability und die steigende Anzahl von sog. „Menschenrechtsverfahren“ betonen.902 Dabei wird von einigen Autoren die Annäherung des humanitären Völkerrechts an das Recht der internationalen Menschenrechte ab dem Beginn der 1990er Jahre beobachtet.903 Neben den Strafprozessen und der Frage der Vereinbarkeit von Amnestiegesetzen oder anderen TJ-Maßnahmen mit dem IStGH-Statut904 finden sich auch häufig Artikel, die sich aus rechtswissenschaftlicher Sicht (mit gelegentlichen Ausführungen zu Fragen des widrigen politischen Kontextes, der Reconciliation bzw. des Friedensnexus) mit den internationalisierten Strafgerichtshöfen v. a. in Timor-Leste und Sierra Leone beschäftigen.905 Insbesondere das Verhältnis zwischen Wahrheits- und Versöhnungskommission in den Beispielsländern unter dem Aspekt der Fair Trial-Standards spielt dabei eine Rolle.906 Dabei wird das Völkerstrafrecht vereinzelt als Teil des großen Forschungsgebiets von TJ gesehen und als Weiterentwicklung des nationalen Strafrechts eingeordnet.907 2. Konferenzen und wissenschaftliche Institutionalisierung 2003 richtete die University of Ulster (Irland) das TJ-Institut ein. Damit begann die formale Institutionalisierung des Forschungsgebiets. Mittlerweile bezeichnet sich das Institut als „leading centre in developing the field of transitional justice“908. Damit kann festgehalten werden, dass das TJ-Institut für die Forschung das ist, was ICTJ für die Praxis ist. Das Institut konzentrierte sich zu Beginn v. a. auf die Auseinandersetzung mit dem nordirischen Konflikt. Daneben konzentrierte sich die Forschung 902  Z. B. Bell, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 1096; Neier, Case Western Reserve Journal International Law 35 (2003), S. 351 ff. 903  Z. B. Bell, Fordham International Law Journal 26 (2003), S. 1096. 904  Z. B. Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S.  553 ff.; Stahn, Journal of International Criminal Justice 3 (2005), S. 695 ff.; Robinson, EJIL 14 (2003), S. 481 ff. 905  Z. B. Katzenstein, Harvard Human Rights Journal 16 (2003), S. 245 ff. 906  Ebd. 907  Danner/Martinez, California Law Review 93 (2005), S. 77, 90. Darüber hinaus ist nicht zu erkennen, warum der Artikel als wichtige Publikation anhand der Zitationshäufigkeitsanalyse ausgewählt wurde, da es sich lediglich um die Behandlung der Vorgesetztenverantwortung und die Entwicklung des Völkerstrafrechts handelt. 908  University of Ulster, Transitional Justice Institute. About TJI, Website.



IV. Ausdifferentialisierung und Repositionierung (2003–2005)299

aber auch auf „war on terror“ sowie die Friedensabkommen909. Dabei hat das Institut die „Exzeptionalitätsthese“ zum Ausgangspunkt seiner Forschung erklärt: „A central assumption of the research agenda of the TJI is that the role of law in situations of transition is different from that in other times. In contrast to commonly held understandings of the law as underpinning order, stability and community, the role of law in transitional situations is a less understood role of assisting in the transition from a situation of conflict to one of ‚peace‘ (perhaps better understood as non-violent conflict).“910

Das Ziel des Institutes ist es, zu untersuchen wie „law and legal institutions assist (or not) the move from conflict to peace.“911 Das Institut bietet sowohl ein Masterprogramm in TJ als auch ein Doktorandenprogramm an.912 Dabei konzentiert sich das Institut darauf, die Theorie und Praxis von TJ zu transformieren und zu entwickeln. Die aktuellen Forschungsschwerpunkte umfassen: Vergangenheitsbewältigung ­ („Dealing with the past“); Gender, Konflikt und Transition; Nordirland; Theorie, Methodik und Evaluiierung.913 2004 gründet sich das African Transitional Justice Research Network.914 Ziel des Netzwerkes ist es, einen Raum für Dialog, Wissenstransfer und die Bildung von Koalitionen innerhalb der afrikanischen Zivilgesellschaft, die sich für TJ-Themen interessiert oder sich in diesem Bereich engagiert, zu bilden. Auch sollen die Fähigkeiten von lokalen Forschern gestärkt werden, um effektive Forschung durchzuführen, um TJ-Instrumente auf dem Kontinent zu beobachten, darüber zu informieren und diese zu evaluieren.915 Eine Übersicht über TJ-Lehrangebote aus dem Jahr 2005 listet über 40 TJ-Vorlesungen, Studienprogramme und Projekte vornehmlich in den USA auf.916

909  Letzteres ist Forschungsschwerpunkt von Professor Christine Bell, ehemalige Associate Director dieses Instituts und eine der führenden Wissenschaftlerinnen im Bereich Friedensverhandlungen. 910  Ebd. 911  Ebd. 912  University of Ulster, Transitional Justice Institute, Website. 913  University of Ulster, Transitional Justice Institute, Research, Website. 914  Folgende Organisationen sitzen im Vorstand: Centre for the Study of Violence and Reconciliation (CSVR), Südafrika; Refugee Law Project, Uganda; Campaign for Good Governane, Sierra Leone; Centre for Democratic Development. 915  African Transitional Justice Research Network, Website. 916  Backer, Transitional Justice: Degree Programs, Resources & Course Syllabi, Website.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

3. Zusammenfassung Diese Phase zeichnet sich dadurch aus, dass eine Bezugnahme nunmehr nicht primär auf die Erfahrungen anderer Nationalstaaten erfolgt, sondern vielmehr auf internationale Bezugspunkte – sei es in der Form von internationalen Vorgaben wie Richtlinien und Normen oder Akteuren, wie z. B. den Vereinten Nationen bzw. dem ICTJ. Geographisch kommt es zu einer Schwerpunktsetzung auf TJ-Prozesse auf dem afrikanischen Kontinent. Innerhalb des TJ-Diskurses bleiben sog. „alternative“ Formen, Verantwortlichkeit herzustellen wichtig, d. h. v. a. Wahrheitskommissionen und, in verminderter Bedeutung, Lustrationen. Dies kann möglicherweise auf die Häufigkeit dieser Maßnahmen in der Praxis zurückgeführt werden. Auch Entschädigungen werden vermehrt behandelt. Strafverfolgungen werden weiterhin diskutiert, aber meistens in Zusammenhang mit völkerstrafrechtlichen Maßnahmen. Es kommt zu einer Ausfächerung des TJ-Feldes, insbesondere durch das Herausbilden von Teilgebieten (z. B. zu Gender Studies oder Nationbuilding). Im Transitionsdiskurs wird nun nicht nur die Praxis besprochen und analysiert, sondern es finden sich auch vermehrt Hinweise auf die Entwicklung der Rechtsprechung einzelner Menschenrechtsorgane. Allerdings findet sich noch nicht eine gesamtheitliche Analyse der Thematik innerhalb der Rechtsprechung, sondern einzelne Fälle werden illustrativ zur Untermauerung einer Argumentation herangezogen. Die kritischen Stimmen bezüglich TJ finden sich zunehmend; das Transitionsdeutungsmuster als Dreh- und Angelpunkt wird von wichtigen Autoren hinterfragt. Die in Teil 2 erarbeitete These hat sich daher insbesondere bezüglich der Bedeutung des menschenrechtlichen Diskurses nicht bestätigt. Der TJ-Diskurs nährt sich weiterhin aus dem menschenrechtlichen Diskurs, aber der menschenrechtliche Diskurs, innerhalb des Forschungsbereichs verliert gegenüber den völkerstrafrechtlichen Diskurs bzw. dem Ansatz anderer Disziplinen an Bedeutung. Der völkerstrafrechtliche Diskurs und der TJ-Diskurs stehen mit einigen Berührpunkten nebeneinander, entwickeln sich aber ansonsten separat. Die „alternativen“ Transitionsinstrumente werden im völkerstrafrechtlichen Diskurs zwar teilweise besprochen, aber die Exzeptionalitätsthese findet sich dort nicht.



V. Phase der kritischen Infragestellung und Krise (2006–2010)301

V. Phase der kritischen Infragestellung und Krise (2006–2010) 1. Entwicklungen in der wissenschaftlichen Behandlung der Thematik Die in Teil 2 herausgearbeitete These bezüglich dieser Phase lautete: „Diese Phase zeichnet sich durch ein unstetes Wachstum des Forschungsgebietes aus. Am Ende ist aber ein Wachstumsimpuls (2008 / 2009) zu verzeichnen, insbesondere der Menschenrechte und TJ. Ab 2009 kommt es dann zu einer ‚Krise‘ von TJ, die sich insbesondere durch ein starkes Einstürzen der Kurve der Publikations­ häufigkeit bemerkbar macht.“917

Laut Zitationsanalyse (vgl. unter Teil 2) sind insbesondere die Autorinnen Sikkink / Walling in dieser Phase als einflussreiche Autorinnen zu nennen. Der rechtswissenschaftliche Diskurs erlangt an Bedeutung. Es finden sich dezidiert disziplinäre Beiträge, die sich v. a. mit völkerstrafrechtlichen Inhalten beschäftigen. Die Strafverfolgungen in Kambodscha, dem Irak und dem Libanon werden ausführlich besprochen. Daneben auch die Ermittlungen des IStGH sowie die Bilanz der internationalen und internationalisierten Strafgerichtshöfe.918 Amnestien werden weiterhin in der rechtswissenschaftlichen Literatur diskutiert.919 Des Weiteren nehmen Entschädigungen und Entschädigungsprogramme immer mehr Platz ein.920 Auch das Weltrechtsprinzip spielt weiterhin eine wichtige Rolle, obwohl nicht mehr so stark wie in der vorhergehenden Phase.921 Die restaurative Gerechtigkeit, 917  Vgl.

These 4.3. Cohen, Stanford Journal of International Law 43 (2007), S. 1–38; Drumbl, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 100 (2006), S. 79–83; Heller, Case Western Reserve Journal of International Law 39 (2006), S. 261–302; Higonnet, Arizona Journal of International and Comparative Law 23 (2006), S. 347–435; Kaleck u. a., International Prosecution of Human Rights Crimes; Kingston, Critical Asian Studies 38 (2006), S. 271–302; Scharf, Case Western Reserve Journal of International Law 39 (2007), S. 155–170; Stover, Human Rights Quarterly 27 (2005), S. 830–857. 919  Z. B. Mallinder, Amnesty, Human Rights and Political Transitions; Ntoubandi, Amnesty for Crimes Against Humanity Under International Law; Sadat, Notre Dame Law Review 81 (2006), S. 955–1036; Trumbull IV, Berkeley Journal of International Law 25 (2007), S. 283–34; Werle, Justice in Transition ‒ Prosecution and Amnesty in Germany and South Africa. 920  Z. B. Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2007), S. 1–46; de Greiff (Hrsg.), The Handbook of Reparations. Repairing the Past; Elster, Retribution and Reparation in the Transition to Democracy; Verdeja, Metaphilosophy 37 (2006). 921  Z. B. Evans, Human Rights Quarterly 28 (2006), S. 207–244; Kaleck u. a. (Hrsg.), International Prosecution of Human Rights Crimes (alle Beiträge unter Kapitel 2). 918  Z. B.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

oft weiterhin in Verbindung mit lokalen Gerechtigkeitsansätzen, wird häufig genannt.922 Beiträge anderer Disziplinen konzentrieren sich auf Traumabearbeitung, Versöhnungsarbeit und die Arbeit mit Opfern und Zeugen.923 Hinzu kommen ein zunehmender Schwerpunkt auf die Forensik sowie eine Orientierung auf die Praxis mit Themen wie DDR, Peacebuilding, Nationbuilding, Friedensabkommen und SSR etc.924 Interessant ist auch das vermehrte Auftauchen von diskursanalytischen Arbeiten zu nationalen Narrativen sowie eine zunehmende Behandlung von TJ-Sachverhalten aus geschichtswissenschaftlicher Sicht.925 Der TJ-Diskurs hingegen ist geprägt von zunehmend kritischen Stellungnahmen und Beiträgen, die empirisch die Wirkung von einzelnen TJ-Instrumenten untersuchen. Es lässt sich auch weiterhin der Trend einer ansteigenden Publikationstätigkeit zum Thema TJ und Gender Studies feststellen.926 Versöhnung sowie die Dilemmata von TJ werden weiterhin diskutiert.927 Es finden sich Beiträge, die die Aufarbeitung von teilweise 39 Jahren zurückliegenden Menschenrechtsverletzungen fordern.928 Insbesondere der letzte Punkt lässt den Eindruck entstehen, dass das Feld im Begriff ist, sich so weit auszudehnen, dass es seine Abgrenzung zu anderen Teilgebieten verliert. 922  Z. B. Aldana, Journal of Human Rights 5 (2006), S. 107; Waldorf, Temple Law Review 79 (2006), S. 1–87. 923  Z. B. Aldana, Journal of Human Rights 5 (2006), S. 107–126; Brahm, International Studies Perspectives 8 (2007), S. 16–35; Hamber, Transforming societies after political violence: truth, reconciliation, and mental health; Laplante/Theidon, Human Rights Quarterly 29 (2007), S. 228–250; Philpott, The Politics of Past Evil. Religion, Reconciliation, and the Dilemmas of Transitional Justice. 924  Z. B. Ambos u.  a. (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice; Lambourne, IJTJ 3 (2009), S. 28–48; Pouligny, Mass Crimes and Post-Conflict PeaceBuilding; Thallinger, German Law Journal 8 (2007), S. 681–710; Theidon, IJTJ 1 (2007), S. 66–90. 925  Z. B. Bock, A Discourse Analysis of Selected TRC testimonies; Fletcher/Weinstein, Human Rights Quarterly 24 (2002), S. 573–639; Kirn, The ‚reconcilia­tion‘ discourse in the post-Yugoslav context; Moon, Social & Legal Studies 15 (2006), S. 257–275; Verdoolaege, Reconciliation discourse. 926  Z. B. Campbell, IJTJ 1 (2007), S. 411–432; Duggan u.  a., IJTJ 2 (2008), S. 192–213. 927  Z. B. Bell, IJTJ 3 (2009), S. 5–27; dies., in: Ambos/Large (Hrsg.), Building a Future on Peace and Justice, S. 105–126; Grodsky, Journal of Peace Research 46 (2009), S. 819–837; Hamber, Transforming societies after political violence: truth, reconciliation, and mental health; Murphy, The European Legacy 12 (2007), S. 853– 865; Philpott, Religion, Reconciliation and Transitional Justice. The State of the Field. 928  Linton, Criminal Law Forum 21 (2010), S. 191 ff.



V. Phase der kritischen Infragestellung und Krise (2006–2010)303 Rechtswissenschaftlicher Diskurs: – Internationale Strafgerichtsbarkeit (IStGH, ICTY, ICTR, hybride Strafgerichtshöfe; universelle Gerichtsbarkeit; „Straflosigkeit“); Irak; Kambodscha; Komplementaritätsprinzip; Strafverfolgungsstrategie der Anklagebehörde; prozessuale Aspekte; – Sachliche Zuständigkeit/Tatbestände; – Entschädigungen; – Universal Jurisdiction; – Amnestien / Accountability; – lokale Ansätze (z.B. Gacaca); – TJ-Instrumente und Rechte; – restaurative Gerechtigkeit; – Rule of Law.

Publikationen 2006 – 2010

TJ-Diskurs: – „justice in transition“; „transgenerational justice“; „transitional jurisprudence“; – TJ und Peacebuilding; – Versöhnung; – empirische Analysen; impactAnalyse, Versagen von TJ; – Gender; – Instrumente: Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen, Amnestien, Lustrationen, Reparationen, Monumente, Entschuldigungen.

Länder / Regionen: Aufweitung des regionalen Spektrums – Argentinien, El Salvador, Guatemala, Kolumbien, Mexiko, Nicaragua; – Nordirland, Ost- und Mitteleuropa, Russland, Südafrika; – ehemaliges Jugoslawien, Ruanda, Irak, Liberia, Kambodscha, Kosovo, Osttimor, Sierras Leone; – Afghanistan, Bangladesch, Burundi, DRK, Israel/Palästina, Indonesien, Myanmar, Nigeria, Sudan, Uganda; – Fokus: Asien.

Andere Disziplinen: – Trauma; – Versöhnung in gespaltenen Gesellschaften; – „local empowerment“; –Peacebuilding, dauerhafter Friede; Friedensabkommen, DDR, SSR; – Opfer, Zeugen; – Vergebung / Versöhnung; – Forensik; – historische Perspektive / Historiographie; – Narrative / Sprache.

Schaubild 15: Publikationen 2006–2010

Das regionale Spektrum wird weiter ausgeweitet. Es findet sich nun die Behandlung von Transitionen auf allen Kontinenten in der TJ-Literatur. Interessant ist, dass diese Phase v. a. den asiatischen Kontinent – und hier die Aufarbeitung teilweise lang zurückliegender, schwerer Menschenrechtsverletzungen in den Fokus zu nehmen scheint.929 Aber auch das Beispiel Nordirland wird prominent diskutiert.930 Als Hauptmerkmale dieser Phase können bezeichnet werden: − Ausbreitung des völkerstrafrechtlichen Diskurses; − Innerhalb des TJ-Diskurses: weitere Fokussierung auf empirische Untersuchungen der Wirkung von einzelnen TJ-Instrumenten, wobei jetzt be929  Z. B. 930  Z. B.

Pouligny, Mass Crimes and Post-Conflict Peace-Building. Connolly, Cornell International Law Journal 39 (2006), S. 401–434.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

reits erste empirische Untersuchungen aus der vorhergehenden Phase kritisiert und besprochen werden; zunehmende Infragestellung des TJDeutungsrahmens, speziellere Definitionen von TJ bzw. komplexere Theorien; ausführlichere historische Vergleiche von TJ-Instrumenten; Wiederauftauchen des Diskursmusters „Frieden vs. Gerechtigkeit“; Analyse der Rechtsprechung regionaler Menschenrechtsschutzorgane unter dem Gesichtspunkt „Transitional Jurisprudence“; − Zunehmen der Publikationshäufigkeit disziplinärer Beiträge. a) Dominanz des völkerstrafrechtlichen Diskurses Der völkerstrafrechtliche Diskurs dominiert den rechtswissenschaftlichen Diskurs weiterhin, insbesondere durch die Diskussion der neu eingerichteten hybriden bzw. internationalisierten Gerichtshöfe, d. h. den Außergewöhnliche Kammern der Gerichte von Kambodscha (engl. Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia, ECCC)931, dem Sondertribunal für den 931  Während der knapp vier Jahre dauernden Herrschaft der Khmer Rouge fanden ca. 1.7 bis 2 Millionen Menschen den Tod, was ca. 25 Prozent der damaligen kambodschanischen Bevölkerung entsprach. Durch die Invasion der vietnamesischen Truppen endete das Regime 1979. Die Khmer Rouge setzten ihren Kampf aus dem Dschungel gegen die vietnamesischen Gruppen fort. Knapp zwei Jahrzehnte nach dem Ende des Khmer Rouge-Regimes sprach sich die UN für die strafrechtliche Verfolgung der Hauptverantwortlichen aus (UN-GV, UN Dok. A/RES/52/135 (27. Februar 1998)). 1997 war eine strafrechtliche Verfolgung der Anführer der Khmer Rouge durch den stellvertretenden kambodschanischen Premierminister gefordert worden. Eine Expertenkommission empfahl die Schaffung eines internationalen Tribunals und einer Wahrheitskommission. Dies wurde von der kambodschanischen Regierung unter Verweis auf ihre Souveränität abgelehnt. Schließlich einigten sich die UN und die kambodschanische Regierung 2003 auf die Schaffung der ECCC in den bestehenden Gerichten des Landes. Eine Vereinbarung wurde im Juni 2003 zwischen den UN und der kambodschanischen Regierung unterzeichnet und durch die UN-GV gebilligt (UN-GV, UN Dok. A/RES/57/228B (22. Mai 2003)). Die Kammern konnten aber erst 2006 ihre Arbeit aufgrund von u. a. finanziellen Schwierigkeiten aufnehmen. Die sachliche Zuständigkeit der Kammern umfasst Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen und andere Verbrechen, die in einem nationalen Gesetz über die Einrichtung der außerordentlichen Kammern definiert sind. Zeitlich sind die Kammern für die Vorkommnisse von der Machtübernahme Pol Pots (April 1975) und dem Einmarsch der vietnamesischen Truppen (Januar 1979) zuständig. Personell ist die Strafverfolgung auf hochrangige Führer der Khmer Rouge und die Hauptverantwortlichen für die in die Zuständigkeit der Kammern fallenden Verbrechen beschränkt. Das Verfahren wird grundsätzlich gemäß kambodschanischem Recht durchgeführt, wobei internationale Verfahrensregeln als Orientierung dienen. Amnestien und Begnadigungen sind aber ausgeschlossen. Die Kammern sowie die Untersuchungs- und Anklagebehörden sind gemischt national/international zusammengesetzt. Die Sachverhalte wurden in vier Fälle eingeteilt. Pol Pot starb 1998. Kaing



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Libanon (Tribunal spécial pour le Liban, TSL)932 und dem irakischen hohen Strafgerichtshof933 (Iraqi High Criminal Court934, IHCC). Guek Eav (alias Duch), Leiter des berühmt-berüchtigten Gefängnisses S-21, wurde 2012 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schweren Verstößen gegen die Genfer Konventionen zu lebenslanger Haftstrafe nach Berufung verurteilt. Ebenfalls 2012 wurde Ieng Sary (mittlerweile verstorben), Ieng Thirith, Khieu Samphan und Nuon Chea Völkermord an den Cham und Vietnamesen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und andere Verbrechen zur Last gelegt. Der Premierminister Hun Sen drohte darauf, dass er die Strafermittlungen in zwei Fällen (Fälle 3 und 4) nicht weiter gestatten würde. Dies führte zum Rücktritt eines internationalen Richters (vgl. ECCC, About ECCC, Website). 932  Im Dezember 2005 hatte der Ministerpräsident des Libanon die UN gebeten, für die Aburteilung der Verdächtigen des Mordanschlags auf den früheren Ministerpräsidenten Hariri ein Tribunal internationalen Charakters zu gründen. Im Februar 2007 wurde eine Vereinbarung zur Errichtung eines Sondergerichtshofs zwischen den Vereinten Nationen und dem Libanon unterzeichnet. Allerdings kam es zu einer fast 4-monatigen Blockierung der Verhandlungen über das Protokoll, weil im libanesischen Parlament keine Einigung zustande kam. Die westlichen Länder beschlossen daraufhin, die Angelegenheit zu entscheiden, um die Schaffung des Sondertribunals zu erzwingen. Der Sicherheitsrat der UN verabschiedete im Mai 2007 die Schaffung des Sondergerichtshofs für den Libanon und stützte dies auf Kapitel VII der Charta (UN-SR Resolution, UN Dok S/RES/1757 (30.  Mai 2007)). Diese Resolution sah vor, dass das Abkommen im Juni 2007 automatisch in Kraft treten sollte, falls die libanesische Seite es nicht früher ratifizieren würde. Sachlich sollte der Sondergerichtshof für das Attentat vom 14. Februar 2005 bei dem der frühere Ministerpräsident Rafik Hariri ums Leben kam (und andere Personen getötet oder verletzt wurden), sowie andere gleichwertige Attentate zwischen 1. Oktober 2004 und 12. Dezember 2005, zuständig sein, von denen der Sondergerichtshof eine Verbindung im Sinne des Strafrechts mit dem ersten Attentat annimmt. Dabei gelangt libanesisches Strafrecht zur Anwendung, allerdings unter Nichtanwendung der Todesstrafe oder Zwangsarbeit. Der Strafgerichtshof ist gemischt national/international zusammengesetzt und hat internationalen Ankläger (vgl. STL, Creation of the STL, Website). 933  Insbesondere wird in der Literatur bedauert, dass bei dem Entwurf des irakischen Gerichtes so wenig auf bereits vorhandene Erfahrungen und Expertise zurückgegriffen worden war (Bassiouni, Case Western Reserve Journal of International Law 39 (2006/07), S. 27). Zuvor war sogar eine Working Group on Transitional Justice, die u. a. aus Exilirakern und Experten auf diesem Gebiet zusammengesetzt war, vom US-Department of State eingerichtet worden, die sich ausführlich mit Postkonfliktgerechtigkeit im Irak nach Ende des Krieges beschäftigt und einen Abschlussbericht angefertigt hatte. Dieser Bericht wurde bei der Gestaltung des IHCC jedoch nicht herangezogen (ebd., S. 26). Das Statut sowie die Durchführung der Prozesse wurde stark kritisiert (vgl. hierzu ebd., S. 21 ff.; Heller, Case Western Reserve Journal of International Law 39 (2006/07), S. 261 ff.; Scharf, Case Western Reserve Journal of International Law 39 (2006/07), S. 155 ff.; Drumbl, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 100 (2006), S.  79 ff.). 934  Vgl. insbesondere Sonderausgabe des Case Western Reserve Journal of International Law 39 (2006/07) mit dem Titel: „Lessons from the Saddam Trial“;

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Diese hybriden bzw. internationalisierten Gerichtshöfe werden dann mit den Ad-hoc-Gerichtshöfen verglichen sowie in ihrem Verhältnis zum IStGH beleuchtet. Dabei werden deren Vor- und Nachteile sowie Lessons Learned herausgearbeitet.935 Andere wiederum konzentrieren sich auf die Gründe für die Abkehr vom Typus der internationalen Gerichtshöfe.936 Die Completion Strategy des ICTY und ICTR sowie das Komplementaritätsprinzip des IStGH werden ebenfalls erörtert.937 Die hybriden und internationalisierten Gerichtshöfe mussten sich teilweise explizit mit TJ-Fragestellungen beschäftigen. So z. B. das ECCC mit der Zulässigkeit des Kriteriums der nationalen Versöhnung für die Betätigung des strafrechtlichen Verfolgungsermessens.938 Streitpunkt zwischen nationalem und internationalem Ankläger war der Antrag, den zugrundeliegenden Sachverhalt zeitlich und örtlich auszudehnen. Der internationale Ankläger hatte einen dementsprechenden Antrag ohne Zustimmung des nationalen Anklägers beim Untersuchungsgericht eingereicht. Interessanterweise argumentierte der nationale Ankläger vor Gericht, dass dieser Antrag auf Ausweitung der Untersuchungen die nationalen Versöhnungsbemühungen untergraben und damit die Stabilität des Staates gefährden würde. Die Kammern sollten lediglich die Senior Leaders, d. h. die Hauptverantwortlichen, verfolgen.939 Dem „Widerspruch“ des nationalen Anklägers wurde nicht stattgegeben.940 Daneben gibt es aber auch Publikationen, die dem menschenrechtlichen Ansatz zuzuordnen sind und die sich v. a. mit dem Prinzip der (strafrechtlichen) Verantwortung für schwere Menschenrechtsverletzungen beschäftigen.941 Neue Ansätze sind jedoch nicht zu erkennen. Vielmehr beziehen sich die meisten dieser Beiträge auf die Rechtsprechung internationaler oder regionaler Gerichte, z. B. zur Amnestiegesetzgebung oder zur Pflicht der Strafverfolgung bestimmter Menschenrechtsverletzungen, ohne jedoch nach dem Transitionsdeutungsmuster innerhalb der Rechtsprechung zu suchen. Amnestien werden zunehmend wieder als legitim und unter gewissen UmDrumbl, Proceedings of the Annual Meeting (American Society of International Law) 100 (2006), S. 81. 935  Vgl. z. B. Higonnet, Arizona J. Int’l & Comp. Law 23 (2006), S. 434. 936  Cohen, Stanford Journal of International Law 43 (2007). S. 1 ff.; Higonnet, Arizona Journal of International and Comparative Law 23 (2006), S. 417 ff., 430. 937  Ebd. 938  Pre-Trial Chamber of the Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC, Disagreement No. 001/18-11-2008-ECCC/PTC (18. August 2009). 939  Vgl. Jain, ASIL insights 13 (2009), S. 2. 940  Reydams u. a. (Hrsg.), International Prosecutors, S. 304 f. 941  Vgl. Z. B. Sadat, Notre Dame Law Review 81 (2006), S. 955 ff.



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ständen als rechtmäßig betrachtet.942 Diese Rechtsprechungsanalysen sind von den Untersuchungen abzugrenzen, die explizit nach dem Transitionsdeutungsmuster suchen (vgl. nachfolgend unter Teil 3, A. V. 1. b) ee)). b) TJ-Diskurs aa) Empirische Analysen Sikkink / Walling unternehmen einen ersten Versuch, den Einfluss von Strafprozessen für Menschenrechtsverletzungen auf die Postkonfliktpraxis sowie die allgemeine Menschenrechtsbilanz in einem Land zu untersuchen. Sie behaupten einen „dramatical empirical trend towards the increasing judicialization of world politics“943 nachweisen zu können. Dabei basiert der Artikel auf einer Fülle analysierter Daten, weist sich aber insbesondere durch eine sehr unkritische Reflektion der Strafverfolgungstrends aus und ist von einer primär politikwissenschaftlichen Perspektive geprägt. Sikkink / Walling stellen in ihrem Artikel fest, dass die meisten Aussagen über die Wirkung von TJ-Maßnahmen auf sog. kontrafaktischen Argumenten beruhen, d. h. Behauptungen über eine hypothetische Entwicklung der Situation, wenn man sich diese ohne TJ-Maßnahmen vorstellen würde.944 Solche Argumente seien kaum zu widerlegen, da unterschiedliche Wissenschaftler unterschiedliche Szenarien entwickeln könnten und es so fast unmöglich sei, festzustellen, welche davon mehr oder weniger plausibel seien.945 Der Artikel fußte auf einer umfangreichen Datenanalyse, was seine Einordnung als High Impact-Publikation erklären kann. Insbesondere die Auswirkungen von Strafprozessen946 und Wahrheitskommissionen947 sowie die lückenhafte Wissensbasis werden in der Literatur zunehmend bemängelt.948 942  Sadat,

Notre Dame Law Review 81 (2006), S. 955 ff. Errors about Trials (2007), S. 5. Ebenso spricht von einer „judicialization of politics in the international field“ Oomen (Development and Change 36 (2005)), S. 893. 944  Sikkink/Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S. 436. 945  Ebd. mit Verweis auf Tetlock/Belkin (Hrsg.), Counterfactual Thought Experiments in World Politics: Logical, Methodological, and Psychological Perspectives. 946  Vgl. hierzu statt vieler z. B. Sikkink/Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S.  436 ff. 947  Vgl. hierzu statt vieler z.  B. Brahm, International Studies Perspectives 8 (2007), S.  16 ff. 948  Brahm, International Studies Perspectives 8 (2007), S. 28 („overview over the most significant gaps in the empirical study of truth commissions“). 943  Sikkink/Walling,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

bb) Infragestellung des TJ-Deutungsrahmens Obwohl die Existenz eines TJ-Feldes explizit mehrfach in der untersuchten Literatur anerkannt wird949, erhalten die kritischen Stimmen im Vergleich zur vorherigen Phase Zulauf: Während einige Autoren sich an eine (mehr oder weniger) Neudefinition des Feldes oder des Zieles von TJ wagen950, stellen andere den TJ-Deutungsrahmen zwar nicht explizit in Frage, äußern sich aber über die Thematik dergestalt, dass eine Ablehnung des TJ-Deutungsrahmens deutlich wird.951 Fletcher / Weinstein / Rowen plädieren nach einer ausführlichen historischen Analyse von TJ-Beispielen für einen neuen analytischen Rahmen, um die Problematik zu bearbeiten.952 949  Bickford,

Human Rights Quarterly 29 (2007), S. 1033. „The emerging challenge for the international community is to support states in achieving an efficient, stable, and just transition from conflict to peace.“ (Fröhlich, Suffolk Transnational Law Review 30 (2007), S. 271 ff.); oder: „Transitional justice is a field of inquiry and practice that is concerned with ‚the various judicial and non-judicial approaches to dealing with […] the legacy of human rights violation in societies emerging from conflict and/or an era of authoritarian rule‘.“ (Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 265 ff.); „[a] need for new thinking about the relationship between transitional justice mechanisms and societal transitions.“ (Fletcher/Weinstein/Rowen, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 166.); „Transitional Justice refers to formal and informal procedures implemented by a group or institution of accepted legitimacy around the time of a transition out of an oppressive or violent social order, for rendering justice to perpetrators and their collaborators, as well as to their victims.“ (Kaminski/Nalepa/O’Neill, The Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 295.); „[n]ations emerging from a recent history of mass atrocity or violent authoritarian rule are faced with a number of ethical and practical challenges [Fußnote im Original, hier unterdrückt]. They must deal with how to achieve some degree of social and political stability and must establish a functioning government, legal order and economy. Furthermore, they must confront what is often a sizable number of victims and perpetrators and thus must decide to what extent accountability can be sought without undermining peace.“ (Verdeja, Metaphilosophy 37 (2006), S. 449.) 951  „[O]ur choice should not primarily be guided by the constraints of the post­ regime change period but rather by the nature of the past crime and by insight into its consequences“ (Dimitrijevic, The Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 371.); „[w]here evidence of responsibility for past violence exists, perpetrators should face prosecution. Nonetheless, the decision whether or not to prosecute in a particular situation should be influenced by a society as a whole.“ (Connolly, Cornell International Law Journal 39 (2006), S. 431.); „[… a]busive former regimes must be held responsible through legal accountability mechanisms.“ (Dermody, Hastings International and Comparative Law Review 30 (2006), S. 77.) 952  „There is a need for better modeling of dynamic social systems so that we can track developments in countries over time. […] Trials and truth commissions do not bring about the Rule of Law but are important symbols of the importance of and fealty to the Rule of Law; legitimacy of domestic legal systems is critical to the success of transitional justice. […] Histories of external intervention impact upon 950  Z. B.:



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Einzelne Autoren arbeiten kritisch die bereits vorhandene Literatur auf.953 Es finden sich auch vermehrt sehr kritische Artikel, die sich mit einzelnen Aspekten von TJ auseinandersetzen, so z. B. der gängigen Praxis954, lokalen Gerechtigkeitsinitiativen955, der fehlenden Opferperspektive in TJ956 sowie dem vorherrschenden Verständnis von „Versöhnung“957. So wird z. B. TJ dem Diskurs der Liberalisierung und Demokratisierung der internationalen Gemeinschaft zugeordnet sowie als Teil des Unterfanges gesehen, Völkerrecht zum Zentrum der internationalen Beziehungen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu machen: „increased appropriation of the language of ‚human rights‘ as part of an essentially unilateralist global project of democracy promotion“958. Dabei wäre die Bevölkerung der Länder, in denen TJ zum Einsatz kommen würde, weder bei der Auswahl noch der inhaltlichen Gestaltung der TJ-Instrumente involviert.959 transitional justice initiatives and need to be considered at all phases of the process. […] Sustained focus on the underlying causes of the conflict is essential so that trials and truth commissions do not become a fetish but an invitation for on-going attention to address the societal fissures.“ (Fletcher/Weinstein/Rowen, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 219 f.) 953  „Scholars and policy makers have turned increasing attention to questions of transitional justice, those legal responses to a former regime’s repressive acts following a change in political systems. Although there is a rich, interdisciplinary literature that addresses the value of various transitional justice measures, theoretical arguments for how and under what conditions we should expect to see these measures implemented tend to gravitate to intuitively appealing relative power considerations. But attempts at parsimony have tended to leave the dependent variable either overly restrictive or poorly defined, yielding theories that are difficult to test.“ (Grodsky, Journal of Peace Research 46 (2009), S. 819.); „The wealth of policyrelevant questions has generated a wealth of research, but there have been important gaps.“ (Kaminski/Nalepa/O’Neill, The Journal of Conflict Resolution 50 (2006), S. 298.) 954  Ebd., S. 275. 955  Waldorf, Temple Law Review 79 (2006), S. 6 f. 956  Aldana, Journal of Human Rights 5 (2006), S. 107: „The debate of transitional justice has centred primarily on the employment of restorative justice (i. e. truth commissions) and/or retributive justice (i. e. prosecutions), however limited and insufficient legal responses are to mass atrocities. In this essay, I undertake a victimcentered examination of truth commissions and prosecutions, focusing on how each addresses the rights and needs of victims arising from the mass atrocities committed against them [Fußnote im Original, hier unterdrückt]“. Aldana kommt zu dem Schluss, dass, wenn man eine Opferperspektive einnimmt, es die Richtlinie für den Staat sein müsse, so viele Strafverfolgungen wie möglich einzuleiten, da nur dies dem Wunsch der Opfer nach Gerechtigkeit gerecht werde (ebd., S. 123). 957  Murphy, The European Legacy 12 (2007), S. 854. 958  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 273. 959  „[..T]he agenda being set for transitional justice, as it is currently constituted, tends to marginalize issues, questions, and approaches that might either chal-

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Auch würden nicht-westliche Wissenschaftler in dem Diskurs kaum Gehör finden.960 Die Praxis von TJ sei zunehmend „donor-driven“ und würde zu einem „tool of political engineering“ werden.961 Insbesondere werden sie „prefabricated ‚justice packages‘ “ kritisiert, die z. B. in Afghanistan und Liberia zum Einsatz kamen.962 Die sog. „justice enterprise“963 müsse dringend konzeptionell und operationell überdacht werden. So wird dazu ausgerufen „outside the prevailing transitional justice box‘“964 zu denken. Ungewollt sei die Situation, in der „the worst of both ‒ the externality of international actors with the weakness of local institutions which produced the silence in question“965 zusammenkommen würde. Es wird zwar ein sog. bottom-up-Ansatz gefordert, aber lokale Initiativen zur Herstellung von Gerechtigkeit werden durchaus kritisch gesehen, z. B. die Gacaca in Ruanda.966 Der gängigen TJ-Praxis wird z. B. vorgeworfen, dass diese „internationale, alternativen Antworten“ auf die TJ-Dilematta selektiv in Entwicklungsländern angewandt wurden und somit v. a. den am meisten verwundbaren Opfergruppen „Vergebung“ aufgezwungen wurde.967 lenge the forms and norms of Western governance, or implicate dominant global economic relations in the causes of conflict, rather than its solution.“ (Ebd., S. 274.) 960  „That non-Western scholars, living and working in resource-poor and war-torn societies, have little voice in Western dominated and generated academic theories and debates, may itself be seen as an injustice impacting upon the study and practice of transitional justice making.“ (Ebd., S. 273.) Sowie: „[T]here is something to be learned from the interplay of politics, law and adjudication in the African experience of transition that remains largely ignored in the literature.“ (Yusuf, International Journal of Constitutional Law 7 (2009), S. 680.) 961  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 275. 962  Ebd., S. 277; vgl. auch: „[…] we are responding to an approach among transitional justice advocates that appears to emphasize a standardized ‚tool kit‘ of interventions that can be applied in different contexts, such as trials, truth commissions, etc. The basic assumption is that the ‚tool kit‘ of interventions is appropriate and productive, if one can only determine which intervention to deploy. Our concern is that this approach relies on the assumption that immediate intervention is necessary – it is assumed that something will work – the trick is to find out what. We suggest that the appropriate sequencing is to first gain a comprehensive understanding of the local context and then to ask what, whether, and when transitional justice interventions should be initiated.“ (Fletcher/Weinstein/Rowen, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 170.) 963  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 277. 964  Ebd., S. 292. 965  Dermody, Hastings International and Comparative Law Review 30 (2006), S.  77 ff. 966  Waldorf, Temple Law Review 79 (2006), S. 87. 967  Aldana, Journal of Human Rights 5 (2006), S. 123.



V. Phase der kritischen Infragestellung und Krise (2006–2010)311

Aber nicht alle stellen den TJ-Deutungsrahmen in Frage: Es gibt Autoren, die den TJ-Ansatz verteidigen und versuchen, normativ und rechtsphilosophisch einen Strafanspruch nur gegen die Hauptverantwortlichen zu begründen. Die Mehrzahl der Täter sei zu entschuldigen und den Staat würde keine Pflicht zur Strafverfolgung treffen.968 Dieser Ansatz basiert auf der Exzeptionalitätsthese. Die Praxisorientierung der Auseinandersetzungen mit TJ tritt immer deutlicher zutage.969 Interessant ist, das insbesondere der Ansatz der Best Practices aus verschiedenen historischen TJ-Beispielen kritisiert wird, da die jeweilige Ausgangssituation der Gesellschaften als einzigartig und unvergleichbar eingeordnet wird. Es werden jedoch eine Reihe von Kriterien angeboten, die zur Bestimmung einer wirksamen TJ-Politik herangezogen werden können.970 cc) Vergleichsstudien Es werden vermehrt historische Vergleiche zwischen einzelnen nationalen Erfahrungen mit bestimmten TJ-Instrumenten angestellt.971 Fletcher / Weinstein / Rowen analysieren z. B. in ihrem Beitrag Fallstudien und bestimmen die Faktoren, die ihrer Meinung die TJ-Politik der jeweiligen Länder bestimmt hätten, so z. B. die Geschichte des Landes hinsichtlich Demokratie, Legitimität der rechtlichen Institutionen, Kolonialismus etc.972 Wahrheitskommissionen wird weiterhin deutlich viel Aufmerksamkeit gewidmet, auch als rechtlich zu beachtendes Instrument.973 Amnestien werden vor diesem Hintergrund mehrheitlich positiv gesehen: „[S]tates increasingly incorporate mechanisms into amnesty deals for holding perpetrators of crimes accountable for their actions. The UN and international legal scholars should applaud these efforts and recognize amnesties that attempt to strike the appropriate balance between justice and peace.“974

968  Gray,

Fordham Law Review 74 (2006), S. 2621 ff., 2690 f. „We hope that these findings will lead to principles that can guide institutional development, scholarship, and policy prescriptions in the area of transitional justice.“ (Fletcher/Weinstein/Rowen, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 166.) 970  Fletcher/Weinstein/Rowen, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 220. 971  Bsp. Wahrheitsfindung in Polen und Südafrika (David, Politikon 33 (2006), S.  81 ff.). 972  Fletcher/Weinstein/Rowen, Human Rights Quarterly 31 (2009), S. 190. 973  Ebd. 974  Trumbull IV, Berkeley J. International Law 25 (2003), S. 345. 969  Z. B.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

dd) „Frieden vs. Gerechtigkeit“ oder „Frieden und Gerechtigkeit“ Die Diskussion „Frieden vs. Gerechtigkeit“ oder „Frieden und Gerechtigkeit“ wird weiterhin geführt: Während manche Autoren betonen, dass Frieden und Gerechtigkeit zusammengehören975, betonen andere, dass in der Praxis in der Regel einem der beiden der Vorrang eingeräumt werde976. Andere Autoren kritisieren, dass die Definitionen von Gerechtigkeit zu eng seien und sich nur auf die rechtliche Sphäre beziehen würden.977 Diese Diskussion, die zuvor v. a. abstrakt-theoretisch geführt worden war, wird in dieser Phase nun zunehmend mit empirischen Erkenntnissen unterfüttert. So stellt z. B. die Forschung von Sikkink / Walling das Argument in Frage, dass Strafprozesse den Frieden in einer Gesellschaft und damit die Demokratie gefährden würden (sog. Gefährdungsargument). Auch die Annahme, dass sich eine Gesellschaft zwischen Maßnahmen, die auf „Gerechtigkeit“ oder „Frieden“ abzielen, entscheiden müsse, werde durch Beispiele aus verschiedenen Transitionen der Vergangenheit widerlegt. Sikkink / Walling enden mit dem Aufruf nach dem Ende der falschen Dichotomien und dem Beginn einer nuancierteren TJ-Debatte.978 ee) Analyse der Rechtsprechung v. a. der regionalen Menschenrechtsschutzorgane Der rechtswissenschaftliche Diskurs innerhalb des TJ-Diskurses gewinnt an Bedeutung mit Publikationen, die die Rechtsprechung v. a. des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes auf das sog. Transitionsdeutungsmuster untersuchen.979 Im Unterschied zu der menschenrechtlichen Analyse steht hier die Forschungsfrage im Vordergrund, ob und wie der Kontext der Transition die Rechtsprechung der Menschenrechtsschutzorgane beeinflusst.

Connolly, Cornell International Law Journal 39 (2006), S. 431. Suffolk Transnational Law Review 30 (2007), S. 271 ff. 977  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 275. 978  Sikkink/Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S. 443. 979  Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2007), S. 1 ff.; Macklem, European Journal of Human Rights Law 16 (2005), S. 1 ff.; vgl. später auch: Buyse/ Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR; für das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem: Almqvist/Esposito, The Role of Courts in Transitional Justice (vgl. Näheres unter Teil 3, C. I. 1.). 975  Z. B.

976  Fröhlich,



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2. Konferenzen und wissenschaftliche Institutionalisierung Das Oxford Transitional Justice Research-Netzwerk ist ein interdisziplinäres Netzwerk von mehr als 100 Oxford-Wissenschaftlern und Studenten, die sich mit Transitionsfragestellungen beschäftigen. Es wurde 2007 gegründet und ist am Centre for Socio-Legal Studies angesiedelt. Das Zentrum hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich mit praktischen und Policy-relevanten Fragen von TJ auseinanderzusetzen, v. a. mit den Themen Strafverfolgung, Wahrheitskommissionen, lokale und traditionelle Praktiken, Entschädigungen und Reparationen, theoretische und philosophische Debatten sowie institutionelle Reformen und Archive mit TJ-Materialien. Neben hochkarätigen Vorlesungsreihen und Konferenzen, publiziert das Netzwerk auch eine Working Paper Series und ist selbst mit Beratungstätigkeiten in der Praxis aktiv.980 Das Cambridge Transitional Justice Research-Netzwerk bezeichnet sich selbst als informelle Vereinigung von Wissenschaflern, sich für Problematiken interessieren, die mit TJ zusammenhängen. Die Mitglieder stammen vornehmlich aus den Disziplinen der Rechtswissenschaften, Politikwissenschaften, internationale Beziehungen, Soziologie, Philosophie und sozialer Anthropologie.981 An der Universität Essex umfasst das TJ- Netzwerk namhafte Mitglieder der Rechtsfakultät. Das Netzwerk stellt sich selbst das Ziel, eine virtuelle Plattform für den Austausch zu TJ-Fragen zu schaffen, und integriert hierüber auch Personen, die sich nicht an der Universität befinden. Das Netzwerk teilt seine Tätigkeiten, die v. a. forschungsorientiert sind, in folgende Cluster ein: „Reparations Unit“, „Conceptual and normative issues“, „Transitional Justice and the arts“, „Economic and Social Dimension of Transitional Justice“, „Gender and Children Focused Approach“, „Justice Dimension“, „Data archiving and analysis“ und „Peacekeeping und Peace Building“.982 Die Oxford University Press gibt seit März 2007 das interdisziplinäre International Journal of Transitional Justice heraus, das federführend vom Centre for the Study of Violence and Reconciliation (Südafrika) und dem Menschenrechtszentrum der University of California, Berkeley Law (Vereinigte Staaten von Amerika) verantwortet wird. Die Zeitschrift definiert TJ als „study of those strategies employed by states and international institu980  Centre

site.

for Socio-Legal Studies: Oxford Transitional Justice Research, Web-

981  University of Cambridge, Cambridge Transitional Justice Research Network, Website. 982  University of Essex, Transitional Justice Network, Website.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

tions to deal with a legacy of human rights abuses and to effect social reconstruction in the wake of widespread violence.“983 Ziel der Herausgeber der Zeitschrift war es, den interdisziplinären Diskurs zwischen den Disziplinen zu ermuntern: „This turbulent mix of legal and alternative responses to the evils that men (and women) can do impelled us to consider whether our current methods of communication about these ideas support the discourse that is necessary if we are to learn how to assist states and communities as they attempt to reckon with their suffering. We were concerned that scholars publish primarily in the journals of their disciplines, and few sites exist where interdisciplinary collaboration and debate can flourish. Pushing these debates beyond the confines of law, we have seen increased interest from political scientists, anthropologists, theologians, philosophers, sociologists, educators, psychologists, epidemiologists, forensic anthropologists and conflict resolution / peacebuilding scholars in examining the complexities of justice and social reconstruction.Yet, no journal has been devoted to considering this evolving field where the perspectives, methods, and theories of diverse disciplines can come together in lively and readable interaction.“984

Daneben soll auch der Diskurs zwischen Theorie und Praxis und Politik gefördert werden, wobei bezeichnenderweise die erste Ausgabe Beiträge zum argentinischen Beispiel (Ocampo), südafrikanischen Beispiel (Tutu) und einen Beiträg der als Pionierin bezeichneten Prof. Orentlicher über die Entwicklung ihrer Ansichten im Bereich TJ enthält.985 Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat im Dezember 2010 die zweite Publikation (das Journal on Rule of Law, Transitional Justice and Human Rights) in diesem Bereich veröffentlicht, mit Beiträgen von Teilnehmern aus der International Summer School Sarajevo als Teil des Rule of Law-Programms Südosteuropa. Es ist unklar, ob weitere Ausgaben folgen.986 Es wurden auch eine Vielzahl von Konferenzen zum TJ-Thema organisiert, so z. B. eine internationale Konferenz mit dem Thema „Taking Stock of Transitional Justice. An international conference critically engaging with the academic thinking and practical implementation of transitional justice“ des Oxford Transitional Justice Research-Netzwerks (Juni 2009) und die erste internationale Konferenz „Shaping the future of Transitional Justice: growing synergies between theory and practice“ des Essex Transitional Justice-Netzwerks (September 2010).

983  International

Journal of Transitional Justice, Website. Note, IJTJ 1 (2007), S. 2. 985  Ebd., S.  3 f. 986  Journal on Rule of Law, Transitional Justice and Human Rights. 984  Editorial



VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick315

3. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich einerseits eine Konsolidierung des Feldes, aber auch eine Infragestellung des TJ-Deutungsmusters und damit des TJDiskurses feststellen. Es scheint in dieser Phase klarzuwerden, dass dem Feld der theoretische Unterbau fehlt, den v. a. die Theorien aus der Phase 3 noch nicht leisten konnten. Auch wird zunehmend deutlich, dass den meisten als „klassisch“ geltenden Argumente in dem Feld die empirische Basis fehlt und, dass daher einer der Schwerpunkte für die nächsten Jahre die Erarbeitung eben dieser empirischen Grundlagen sein müsse. Dies wird zu einer zunehmenden Dominanz der Sozialwissenschaften in dem Forschungsgebiet führen. Möglicherweise deutet dies auch darauf hin, dass die als bis dahin geltende Einteilung der Diskussionen in „Pragmatiker“ und „Legalisten“ nicht sehr wissenschaftlich ausgestaltet war, sondern sich dies v. a. auf tiefe Überzeugungen stützte, das jeweils moralisch Richtige zu vertreten. Entgegen mancher Ansichten muss festgestellt werden, dass das Völkerstrafrecht weiterhin als eigenständigen Diskurs besteht. Neben Publikationen, die nicht dem Transitionsmuster zuzuordnen sind, gibt es auch weiterhin ein völkerstrafrechtlicher Ansatz innerhalb des TJ-Diskurses, der dominant bleibt. Ein menschenrechtlicher Diskurs ohne Transitionsdeutungsmuster, der sich aber mit der Problematik beschäftigt, wurde ebenfalls festgestellt. Damit kann nicht die Rede davon sein, dass sich der menschenrechtliche Diskurs in dem TJ-Diskurs aufgelöst hätte. Es existiert ein völkerstrafrechtlicher Diskurs, der sich zwar in dieser Phase vermehrt mit der Transitionsproblematik beschäftigt, allerdings das Deutungsmuster nicht übernimmt und daher weiterhin neben diesem spezialisierten Diskurs existiert. Daneben kann die These aus Teil 2 als bestätigt gelten, insoweit sie zunächst eine Ausfächerung des Feldes annimmt sowie dann eine gewisse Krise konstatiert, in der der TJ-Diskurs zunehmend hinterfragt wird.

VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick 1. „Nürnberg“ und südamerikanische Transitionen Die These, dass „Nürnberg“ und die südamerikanischen Transitionen zumindest für die Anfangsphase und v. a. für die Entstehung des Problem­ bewusstseins und damit des TJ-Deutungsmusters prägend waren, hat sich bestätigt. Dabei muss allerdings festgestellt werden, dass die südamerikanischen Transitionen wichtiger für das TJ-Deutungsmuster waren (v. a. Argen-

316

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

tinien), während „Nürnberg“ v. a. die Strafverfolgung der „Hauptverantwortlichen“ in den Diskurs eingebracht hat. Der völkerstrafrechtliche Diskurs hat sich dagegen relativ separat neben dem TJ-Diskurs entwickelt, wobei v. a. der TJ-Diskurs sich aus dem völkerstrafrechtlichen Diskurs inspirierte (aber nicht vice versa). Die kursorische Analyse der Publikationstätigkeit hat eine Dominanz der historischen Beispiele der Aufarbeitung der völkerrechtlichen Verbrechen des Zweiten Weltkrieges  – v. a. in Europa  − und der Menschenrechtsverletzungen im Südamerika der 1980er Jahre ergeben. Die Berufung auf die Nürnberger Prinzipien und die Suche nach der Etablierung der strafrechtlichen Verantwortung von Individuen, die die „größte“ (auch politische) Verantwortung an den Menschenrechtsverletzungen tragen (Schlagworte: Command / Superior Responsibility sowie Befehlsnotstand) finden sich auch im Zusammenhang mit dem menschenrechtlichen Diskurs. Daneben wurden dann aber v. a. die Entwicklungen im Südamerika der 1970er und 1980er Jahre für den späteren TJ-Diskurs prägend: Eine Lektion, die v. a. aus dem argentinischen Beispiel gezogen wurde, war, dass Strafverfolgungen gegen die mittleren und unteren Ränge die junge Demokratie gefährden können (sog. Gefährdungsargument). So setzte sich die Überzeugung  − entgegen den ursprünglichen Forderungen der Menschenrechtsbewegung  − durch, dass jedenfalls die mittleren und unteren Ränge von Strafverfolgung ausgespart bleiben sollten.987 Insbesondere das „Gerechtigkeit vs. Frieden“-Diskursmuster nimmt hier seinen Ursprung. Das sog. Stabilitätsargument findet sich immer häufiger, wird v. a. von Praktikern in der Anfangsphase der 1990er Jahre prominent verwendet und ist dem südamerikanischen „Gerechtigkeit vs. Frieden“-Diskurs zentral. In der Literatur können die beiden Schulen der „Legalisten“ und der „Pragmatiker“ unterschieden werden. Die Argumentation der „Pragmatiker“ kann als eher utilitaristisch, die der „Legalisten“ als eher deontologisch geprägt beschrieben werden. Die Debatten und Maßnahmen der Vergangenheitsbewältigung v. a. in Argentinien, aber auch in den anderen lateinamerikanischen Länder seit den frühen 1980er Jahren, wurden von der internationalen Gemeinschaft sowie anderen Ländern in Transition gespannt verfolgt. Dies läutete einen internationen Trend von „governmental policies, social demands, comparative international analyses and normative propositions“988 ein, die das Feld Transitional Justice formten. Hier finden sich die Rahmenbedingungen der Transition, die das beherrschende Deutungsschema für Transitional Justice 987  Goldstone,

Hastings Constitutional Law Quarterly 22 (1995), S. 612. Human Rights Quarterly 26 (2004) S. 634.

988  Aldana-Pindell,



VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick317

in der ersten Hälfte darstellen sollte. Die Ausbreitung des Diskursmusters kann v. a. auf die personelle und institutionelle Verschränkung der Politiker und Aktivisten mit der späteren TJ-Wissenschaftsgemeinschaft erklärt werden (z. B. Méndez für Argentinien, Zalaquett für Chile). Der lateinamerikanische Kontext wird daher vielfach als die Wiege von Transitional Justice bezeichnet.989 Insbesondere der Kontext von Argentinien bleibt so der Prototyp des Transitionskontextes. Interessanterweise – und in der Literatur kaum reflektiert – änderte einer der Hauptvertreter (und einer der Hauptarchitekten der argentinischen Transitionspolitik) seine Meinung und bekannte, dass die Einschränkung der Strafverfolgung auf die „Hauptverantwortlichen“ sowie die Amnestierung der restlichen Täter unter gleichzeitiger Einsetzung einer Wahrheits- und Versöhnungskommission zumindest in Argentinien keinen Erfolg gehabt hätte990. Es liegt daher nicht fern anzunehmen, dass es sich vielmehr um eine zeitlich begrenzte Überzeugung der mit dem Transitionskontext konfrontierten Politiker handelte, die sich in der ursprünglichen Grundsteinlegung des Forschungsprogramms niederschlug, als eine generelle theoreotische unterfütterte Grundhaltung zu Transitionsproblemen. 2. Verbindung der Systemwechselforschung mit dem menschenrechtlichen Diskurs Dagegen hat sich die These, dass das Feld durch die „Verbindung“ der Systemwechselforschung mit dem menschenrechtlichen Diskurs entstanden ist, nicht bestätigt. Die Systemwechselforschung lieferte das Vokabular (und vielleicht einzelne Kategorien), es war jedoch die wissenschaftliche Reflexion über Entwicklungen in der Praxis unter einer gemeinsamen Problemwahrnehmung (Transition als Dreh- und Angelpunkt), die zur Entstehung des Feldes führt. So erklären sich dann auch die Diskussionen der TJ-Instrumente: diese folgen keiner bestimmten Logik, sondern vielmehr der Häufigkeit des Einsatzes der Instrumente in der Praxis. Der menschenrechtliche Diskurs – und später v. a. der völkerstrafrechtliche Diskurs – waren wichtig für die Entwicklung des TJ-Diskurses, aber lösten sich nicht in diesem auf, sondern beeinflussten diesen in seiner inhaltlichen Ausgestaltung. Der Austausch war beidseitig für den menschenrechtlichen Diskurs, für den völkerstrafrechtlichen Diskurs jedoch eher einseitig. Der Diskurs des humanitären Völkerrechts geht dabei sowohl im menschenrechtlichen als auch im völkerstrafrechtlichen Diskurs auf. 989  Zalaquett, 990  Vgl.

International Journal of Transitional Justice 2 (2008), S. 427. Malamud-Goti, Game without end.

318

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Die „Transition“ als Begriff  − aber auch als Deutungsmuster  − kam in den 1960er / 70er Jahren in den Politikwissenschaften auf  – auch von südamerikanischen Wissenschaftlern geprägt. Transition in diesem frühen Verständnis wurde v. a. als Transition „zu etwas hin“ aufgefasst. Dies kann in einem größeren Kontext der von Reagan ausgerufenen „crusade for democracy“991) gesehen werden. Da v. a. für den südamerikanischen Kontext die US-amerikanischen Verbindungen besonders wichtig waren, verband sich hier Systemwechselforschung und die außenpolitische Orientierung auf Demokratieförderung. Mit der Aspen-Konferenz verband sich der Begriff der Transition erstmals nachweislich mit dem wissenschaftlichen menschenrechtlichen Diskurs.992 Es ist auffallend, dass insbesondere die verschiedenen Kategorien des Systemwechsels – so wie die damit verbundenen Theorien – kaum im TJDiskurs diskutiert werden. Der Einfluss der Politikwissenschaften auf den frühen TJ-Diskurs – trotz Übernahme der Begrifflichkeit – bleibt daher eher gering. 3. Geringe Querverbindungen zur Rechtsprechungspraxis Es ist auffallend, dass die Analyse der Literatur nahelegt, dass der Einfluss der Rechtsprechung – v. a. des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzssystems – auf die Entwicklung des TJ-Diskurses sehr gering ist. Am Anfang ist dies noch umgekehrt: So beeinflusst der Diskurs der Opferrechte und der Accountability, der seinen Anfang ebenfalls in den 1980er Jahren nimmt, die Problemwahrnehmung zumindest der „Legalisten“ erheblich und prägt daneben auch signifikant das Rechtsgebiet der Menschenrechte. Die erhöhte Beliebtheit des Menschenrechtsdiskurses Ende der 1980er Jahre schien der Verbreitung dieses Diskurses auch zuträglich gewesen zu sein, finden sich doch auf den ersten bedeutenden Konferenzen viele Menschenrechtsaktivisten.993 Politische Forderungen nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung wurden in dieser Zeit allmählich zu einem Rechtsdiskurs: Durch die politischen Ereignisse in Südamerika kam es zu einem Erstarken der nationalen Menschenrechtsbewegungen, die wiederum den Kontakt zu der noch sehr 991  „[I]n a crusade for freedom by encouraging the spread of democracy, even in Communist countries.“ (Vgl. President Urges Global Crusade for Democracy, New York Times (9. Juni 1982).) 992  Zalaquett, in: Aspen Institute (Hrsg.), State Crimes; ders., Hamline Law Review 13 (1990), S. 623. 993  Posner/Vermeule, Harvard Law Review 117 (2004), S. 762.



VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick319

jungen internationalen Menschenrechtsbewegung suchte. Die nationalen Menschenrechtsbewegungen konzentrierten sich unter den repressiven Regimen noch v. a. auf das Dokumentieren von Menschenrechtsverletzungen und die bestmögliche Verteidigung von politischen Gefangenen. Als die Machtübergabe dann absehbar bzw. ausgehandelt war, kam es zu Forderungen nach der „Wahrheit“ über das Schicksal der „Verschwindengelassenen“ sowie danach, dass die dafür Verantwortlichen zur „Verantwortung“ gezogen werden sollten. Diese v. a. politischen Forderungen, die noch nicht als „Recht auf …“ formuliert waren, werden dann v. a. durch Entscheidung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystem zunehmend zu einem Rechtsdiskurs: Zur bolivischen Untersuchungskommission schreibt Americas Watch: „A single outcome of the process is that the search for truth and justice has been recognized, not only as a legitimate endeavour of human rights organizations, but as an obligation of the state.“994

Neben der reinen Bezugnahme auf diesen normativen Rahmen finden sich aber überraschenderweise keine tiefergehenden Auseinandersetzungen im TJ-Diskurs – außer oberflächigen Bezugnahmen auf einzelne Urteile – mit den Rechten und ihrem Inhalt bzw. den durch TJ diesbezüglich aufgeworfenene Fragen bis 2005 bzw. 2007. Erst im letzten Zeitraum, der hier betrachtet wurde, kommt es zu einer tiefergehenden Analyse der Transitionsrechtsprechung, d. h. eine Analyse der Rechtsprechung der internationalen und regionalen Menschenrechtsschutzorgane unter dem Gesichtspunkt der Transition. Dies zeigt, dass die Diskussion um TJ selten dogmatisch-normativ geführt wurde. 4. Transnationalisierung und Internationalisierung Zum Ende der 1980er Jahre hatte die Transnationalisierung des Themas TJ bereits begonnen. Die Überzeugung, dass die südamerikanische Erfahrung (insbesondere in Chile und Argentinien) anderen Staaten, die sich in einer „ähnlichen“ Situation befinden, von Nutzen sein könnte, hatte bereits Ende der 1980er Jahre Fuß gefasst. Die Problemwahrnehmung, -zusammenhänge, -lösungsansätze und Diskurselemente verlassen den nationalen Raum und dehnen sich im Folgenden auf andere nationale Räume aus. Dies zeigt sich insbesondere in der Organisation der Aspen-Konferenz zu diesem Thema, die nicht nur Menschenrechtsaktivisten, Wissenschaftler, sondern auch nationale und internationale Politiker zusammenbrachte. 994  Americas Watch, Bolivia: Almost nine years and still no verdict in the „trial of responsibilities“, S. 1.

320

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

Hierdurch wird deutlich, dass zu Beginn der Entwicklung keineswegs die Entwicklung eines neuen Forschungsgebiets beabsichtigt war, sondern vielmehr die Fragestellung praxisorientiert behandelt wurde. Die Forschung wurde vielmehr die Aufgabe zuteil, der Praxis die notwendigen Richtlinien an die Hand zu geben. Dies kann auch die fehlende theoretische Tiefe, insbesondere zu Beginn, erklären. Diese Transnationalisierung zeigt sich in der ersten Hälfte der 1990er Jahre in einer zunehmenden Vernetzung und Professionalisierung von Experten sowie einer beginnenden Institutionalisierung des Expertentums.995 Es sind wechselseitige Beziehungen und Interaktionen zu beobachten, die sowohl von innen nach außen als auch von außen auf den nationalen Raum wirken. Personen, die selbst in der einen oder anderen Funktion in der Gestaltung einer Transition involviert waren, suchen die Erfahrung anderer Staaten in diesem Bereich. Dabei verlassen sie den regionalen Raum und beginnen interregionale Austausche.996 In Bezug auf das Praxisfeld TJ bedeutet dies, dass Staaten bzw. einzelne Akteure im Transitionsprozess sich bewusst nach außen wenden und sich von den Erfahrungen anderer Staaten bzw. Akteure inspirieren lassen und sich in ihrer Entscheidungsfindung hierauf berufen.997 Es kam so zu Beispielen, wie z. B. dem Vorschlag eines Entschädigungsprogrammes für den Postgenozidkontext in Ruanda, der beinahe deckungsgleich mit einem Entschädigungsprogramm für Chile war.998 Die Phase der Internationalisierung zeichnet sich in der Orientierung auf die Vorgaben internationaler Akteure bzw. Bezugsinhalte, wie z. B. Best Practices, aus, die die Transitionsprozesse dann bestimmen. Dieser letzte Schritt zur Internationalisierung des Diskurses ist v. a. in der Phase 4 und 5 zu beobachten, wenn sich Publikationen vermehrt auf UN-Richtlinien und Berichte, Tool Kits und Best Practices beziehen.

995  Oettler,

Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 97. hierfür kann die Beschreibung Alex Boraine vom April 1994 herangezogen werden (Boraine, in: ders. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. ix f.). 997  Vgl. Zalaquett: „A pool of world experiences is contributing to an understand­ ing of the lessons to be learned about justice in the process of transition. For those grappling with these problems such an understanding can point to possible solutions. More importantly, it can help shape the correct attitude, both ethically and poli­ tically, among all participants.“ (Keynote Speakers, in: ders. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. 8.) 998  Kritz, in: Van der Merwe/Baxter/Chapman (Hrsg.), Assessing the Impact of TJ, S. 13. 996  Beispielhaft



VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick321

5. Disziplinarität Der TJ-Diskurs an sich scheint zumindest multidisziplinär zu sein. Dagegen ist fraglich, inwieweit es zu wirklich interdisziplinären Fragestellungen gekommen ist, d. h. zur Integration der Methodik einer anderen Disziplin in die Forschung eines Wissenschaftlers. Was jedenfalls festzustellen ist, dass es Forschungsprojekte gab, in denen verschiedene Disziplinen zusammengearbeitet haben. Im Laufe der TJ-Publikationstätigkeit wurde aber deutlicher hervorgehoben, dass allein schon die Verwendung gemeinsamer Begrifflichkeiten (wie z. B. „Versöhnung“) nicht unproblematisch war. Wahrhaftig interdisziplinäre Ansätze und Fragestellungen in den besprochenen TJ-Beiträgen sind eher selten zu finden. Es handelt sich vielmehr in der Regel um multidisziplinäre Herangehensweisen. Bei interdisziplinären Arbeiten scheint oft die  − bei disziplinärem Arbeiten in der Regel vorhandene  − Klarheit und Qualität zu leiden, insbesondere wenn Argumente und Begrifflichkeiten anderer Disziplinen „ausgeborgt“ werden – so diskutieren Juristen die Erfolgsfaktoren bestimmter TJ-Instrumente ohne die Annahmen, die diesen Argumenten in der Regel zugrunde liegen, ausreichend empirisch hinterfragt zu haben. Ob dies der Interdisziplinarität inhärent ist, oder an der speziellen TJ-Problematik liegt, ist unklar. Beziehen sich Nichtjuristen auf normative Vorgaben des Völkerrechts, so werden in der Regel Tendenzen in der Rechtsprechung dargestellt, allerdings fehlt eine in die Tiefe gehende Behandlung der normativ-dogmatischen Fragen, wie z. B. wie der Transi­ tionskontext in der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt werden kann. Multidisziplinäre Sammelbände, in denen die Beiträge der verschiedenen Disziplinen zusammengetragen werden (d. h. Rechtswissenschaftler benutzen einen rechtswissenschaftlichen Ansatz und Sozialpsychologen einen sozialpsychologischen), sind dagegen in ihren Aussagen klarer. In zunehmendem Maße kommt es zu multidisziplinären Forschungsinitiativen oder Sammelwerken. Möglicherweise wird das interdisziplinäre Arbeiten mit den Ergebnissen der zukünftigen empirischen TJ-Forschung erleichtert. Die interdisziplinäre Perspektive – und die Inkorporierung der Erkenntnisse und Methoden anderer Disziplinen  − erscheint für Rechtswissenschaftler in diesem Gebiet unumgänglich. So hält z. B. der Richter Cançado Trinidade des Inter-Amerikanischen Gerichtshofes fest: „The factors have been studied in recent years, not only by jurists, but also by scholars of international relations, political scientists, sociologists and, in the case of apologies, also by historians and theologians. Having made a point of counting, in my years as President of the Inter-American court of Human Rights, on the testimonies of expert-witnesses – in public hearings before the court – of distinct background formation, such as psychologists and anthropologists, among others,

322

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – A. Thematik

I understand that their contribution can be better appreciated from an interdisciplinary optics. Unlike positivists, I do not think that law is self-sufficient; We all have to learn from each other, in whichever domain of human knowledge we happen to operate. This brings me briefly to an additional point, also calling for an interdisciplinary optics. All of the aforementioned phenomena have attracted the attention of scholars of international law, sensitive to the central position nowadays occupied in its ambit by the human person. Yet, those phenomena identified above are being approached, each one in its own conceptual universe (still in construction), without sufficient attention being given to their interrelationships. It is advisable to keep one’s mind open also to such interrelationships.“999

Die jetzige Refokussierung auf Impact-Analysen und empirische Untersuchungen wird die Bedeutung der Sozialwissenschaften weiter wachsen lassen: „Der Wert des Beitrags von Sozial- und GeisteswissenschaftlerInnen ist in diesem Zusammenhang unschätzbar, da er RechtswissenschaftlerInnen zeigt, wie recht­ liche Instrumente in transitional und posttransitional Gesellschaften fruchten und wie das Engagement von Zivilgesellschaft diese Entwicklungen auf nationaler und internationaler Ebene beeinflussen kann.“1000

6. Verhältnis Politik und Recht Das Verhältnis von Politik und Recht ist die Grundproblematik, die in diesem Forschungsbereich angelegt ist. So konzentrierte sich eine Konferenz 2012 auf eben dieses und stellte fest, dass „sich das Feld zunehmend auf die Problematik des Verhältnisses von Recht und Politik“ fokussiert.1001 Diese Thematik, auch durch die Unterteilung der unterschiedlichen Schulen in „Pragmatiker“ und „Legalisten“ deutlich gemacht, zeichnet die Grundspannung des Feldes nach. Selten ausdrücklich zum Thema gemacht, bestimmen die jeweiligen disziplinären und moralischen Ausrichtungen der Beitragenden die Diskussion. Nun stellt dies, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, nicht gerade ein Novum im TJ-Diskurs dar, sondern kommt in jeder Phase mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck. Festzuhalten bleibt jedoch, dass das Verhältnis – unter der Perspektive des TJDiskurses ‒ immer noch nicht in ausreichender Tiefe konzeptionell und theoretisch geklärt ist.

999  Cançado Trindade, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 19. 1000  University of Ulster, Post-Transitional Justice – Mapping the Emerging Field, Website. 1001  Ebd.



VI. Zusammenfassung und kritischer Ausblick323

7. Post-Transitional Justice Die Infragestellung des TJ-Deutungsmusters – manche sprechen bereits von Post-TJ – scheint v. a. durch die zunehmende Verbindung von TJ-Fragestellungen mit Fragen des Peace- und Nationbuilding zu erklären zu sein.1002 Während die erste Generation der TJ-Literatur v. a. durch die Ereignisse in Lateinamerika und Osteuropa in den 1980er und Beginn der 1990er Jahren geprägt waren (und damit auf Systemwechsel, die idR. nicht als klassischer Konflikt im Sinn des humanitären Völkerrechts eingeordnet werden können) fand ab der Mitte der 1990er Jahre durch die Geschehnisse in Jugoslawien sowie Ruanda, Sierra Leone und Osttimor eine Umorientierung auch aufgrund der dort vorherrschenden Konflikttypen statt: Es waren nun nicht mehr Repressionen eines Staates gegen seine eigenen Staatsbürger, sondern vielmehr bewaffnete internationale und nicht-internationale Konflike im Sinne des humanitären Völkerrechts, deren Menschenrechtsverletzungen es aufzuarbeiten galt.1003 Problematisch wird die Eingrenzung des Feldes, wenn die Aufarbeitung der mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Menschenrechtsverletzungen (sog. Scilingo-Phänomen) ebenfalls in das Transitionsdeutungsmuster miteinbezogen wird. Je weiter die Menschenrechtsverletzung und der Regimewechsel entfernt sind, desto schwerer fällt es, das Argument der Exzeptionalität des Transitionskontextes für die aktuelle Aufarbeitung aufrechtzuerhalten. Das TJ-Deutungsmuster gerät hier an seine Grenzen und muss die Frage behandeln, wann eine Strafverfolgung nicht mehr unter Transitionsgesichtspunkten analysiert werden muss bzw. die Frage beantworten, warum in einem gefestigten Justizsystem immer noch der Transitionskontext ausschlaggebend sein soll und nicht vielmehr nur der Sachverhalt unter Berücksichtigung des damaligen Kontexts (der „außergewöhnlich“ gewesen sein kann), und Rechts abgeurteilt werden soll. 8. Wissenschaftliche Netzwerke Die obige Darstellung hat gezeigt, dass in der Vorphase und Phase I und II v. a. das südamerikanische und US-amerikanische wissenschaftliche Netzwerk dominant war, wobei ein prägender Einfluss gewisser südamerikanischer Praktiker und Wissenschaftler festgestellt wurde. In Phase III kommen dann südafrikanische Wissenschaftler und Praktiker hinzu. Die europäischen Wissenschaftler sind in ihrem Einfluss dagegen eher am Rande einzuord1002  Ebd.

1003  Roht-Arriaza, in: Roht-Arriaza/Mariezcurrena (Hrsg.), TJ in the Twenty-First Century, S. 3, 6 f.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

nen, was sich 2003 mit der Einrichtung des TJ-Institutes an der Universität Ulster sowie der Bildung der weiteren Forschungsnetzwerke in Oxford, Cambridge und Essex ändern sollte. So bekommt dann − auch dies vor dem Hintergrund der osteuropäischen Transitionserfahrungen eher überraschend − ein weiterer englischsprachiger Transitionskontext, nämlich Nordirland, einige Bedeutung in der Ausgestaltung der europäischen TJ-Wissenschaftslandschaft. Auch ist zu beachten, dass ab 2007 die einzige regelmäßig erscheidende, interdisziplinäre Fachzeitschrift von einem US-amerikanischen und einem südafrikanischen Institut herausgegeben wird. Eine gewisse Dominanz der angloamerikanischen, südamerikanischen und südafrikanischen Wissenschaftler ist daher augenscheinlich festzstellen, die sich nicht damit erklären lässt, dass es keine Transitionsbeispiele in anderen Regionen und Ländern gegeben hätte, die ein Forschungsinteresse hätten wecken können. Die Wissenschaftsgemeinschaft hat sich zu Beginn als sehr klein und überschaubar erwiesen, obwohl sich dies im Laufe der Zeit beträchtlich aufgeweitet hat. Dabei ist insbesondere die Bedeutung von Konferenzen hervorzuheben, auf denen Forschungslücken entdeckt und definiert wurden sowie im Nachfolgenden dann Forschungsprogramme entwickelt wurden.1004

B. Entwicklungen auf der Ebene der Transitional Justice-Praxis „[S]ince the Second World War almost fifty years passed without a single attempt at enforcement. There have been almost a hundred wars since the Second World War, probably ninety percent of them civil wars, and in virtually every one of them, war crimes have been committed. In most of them, terrible atrocities have been committed against innocent civilians. Not a single person has been brought to account; not a single person has been brought to justice.“1005

I. Vereinte Nationen 1. Bis zum Ende des Kalten Krieges1006 Während in der Nachkriegszeit die Hoffnungen noch auf die Weltorganisation – und insbesondere den UN-Sicherheitsrat – gerichtet waren, wurden diese ab dem Ende der 1950er Jahre durch die immer deutlicher werdende Inaktivität der UN erschüttert. Menschenrechte waren bis zum Ende des 1004  Bsp. Konferenz 2002 in Stellenbosch, Südafrika, die feststellte, dass v. a. die empirische Forschungsmethodik im TJ-Feld mehr entwickelt werden müsse (vgl. Van der Merwe/Baxter/Chapman, in: dies. (Hrsg.), Assessing the Impact of TJ, S. 6). 1005  Goldstone, Stanford Journal of International Law 33 (1997), S. 4.



I. Vereinte Nationen325

Kalten Krieges ein eher problematischer Programmpunkt auf der Tagesordnung der UN-Gremien und -Organe. 1006

Die UN-Menschenrechtskommission, 1946 als Unterorgan des Wirtschafts- und Sozialausschusses der Vereinten Nationen gegründet und 2006 durch den UN-Menschenrechtsrat ersetzt, zeichnete sich in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz durch die strikte Beachtung der Doktrin „No Power to take Action“ aus. 1967 wurden erstmals Situationen schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen, wie z. B. die Politik der Apartheid in Südafrika, in der Kommission thematisiert. Es wurden länderspezifische Mechanismen eingerichtet, d. h. Arbeitsgruppen oder die Mandate einzelner Experten, um die gesamte rechtliche und faktische Menschenrechtslage durch Tatsachenermittlung vor Ort zu untersuchen.1007 Auch in den 1970er Jahren waren die Vereinten Nationen keine Organisation auf deren Agenda der Schutz von Menschenrechten die höchste ­Priorität hatte. Vielmehr war die Politik der Weltorganisation im Sinne des „Prinzips der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ ausgestaltet. So wird berichtet, dass der UN-Generalsekretär Kurt Waldheim (1972–81) Menschenrechte als „political embarrassment“ betrachtete und er die Verantwortung für diese nur zu gerne delegierte.1008 In den späten 1970er Jahren und den 1980er Jahren gab es vor allem drei menschenrechtlich relevante Thematiken auf der Agenda der UN, die sich auf die Entwicklung des Feldes TJ auswirken sollten: Apartheid, Folter (auf der UN-Ebene v. a. im Zusammenhang mit Chile ein Thema) und „gewaltsames Verschwindenlassen“ (auf der UN-Ebene v. a. mit Argentinien in Zusammenhang gebracht). Seit der Gründung der UN wurde die Apartheid als Beispiel einer systematischen Rassendiskriminierung verurteilt, zunächst in eher allgemeiner Formulierung, dann jedoch Ende der 1950er Jahre immer konkreter und zunehmend in menschenrechtliche Begrifflichkeiten gekleidet.1009 Die Frage der Rassengleichheit wurde zum dominanten Diskurs in diesen Diskussionen und die Haltung der UN-Generalversammlung einheitlicher.1010 1960 1006  Für die Darstellung der Entwicklung der Bedeutung von TJ für die Vereinten Nationen wurden Phasenabschnitte entsprechend wichtiger Zäsuren (v. a. innerhalb des Peacekeeping) gewählt. 1007  Nowak, Vereinte Nationen 5 (2011), S. 202. 1008  Guest, Behind the Disappearances, S. 98. 1009  Clark, Diplomacy of Conscience, S. 80: Ermacora, Die Apartheidspolitik aus der Sicht der Vereinten Nationen, S. 259; Klotz, The Struggle against Apartheid, S. 44. 1010  Vgl. z. B. Resolutionen der UN-Generalversammlung UN Dok. A/RES/1598 (XV) (13.  April 1961), A/RES/1663 (XVI) (28.  November 1961) und A/RES/ 1881(XVIII) (11.  Oktober 1963) und A/RES/1978 (XVIII) (17.  Dezember 1963).

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

befasste sich auch erstmals der UN-Sicherheitsrat mit dem Thema.1011 1966 bezeichnete die UN-Generalversammlung die Politik der Apartheid erstmals als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.1012 Am 2. Dezember 1973 nahm die UN dann die Konvention zur Bekämpfung und Ahndung des Verbrechens der Apartheid an1013, die nach 20 Ratifizierungen am 18. Juli 1976 in Kraft trat. Darin wurde Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Die UN-Menschenrechtskommission forderte das Special Committee on the Policies of Apartheid of the Government of the Republic of South Africa auf, eine Liste mit Personen, Institutionen, Repräsentanten und Organisationen zu erstellen, die sich nach Art. 2 dieser Konvention strafbar gemacht hatten.1014 Die UN war auch schnell darin, die Machtergreifung des Militärs in Chile zu verurteilen, aber weniger schnell die Systematik der Menschenrechtsverletzungen zu identifizieren und öffentlich als solche zu bezeichnen.1015 Die UN hatten sich bis zu diesem Zeitpunkt in Menschenrechtsfragen sehr zurückgehalten, so z. B. bezüglich der Menschenrechtsverletzungen Bokassas in der Zentralafrikanischen Republik, der Khmer Rouge in Kambodscha, Idi Amins in Uganda, des Schahs im Iran, Somozas in Nicaragua und Macías Nguemas in Äquatorialguinea.1016 Im März 1975 entschied sich die UN-Menschenrechtskommission dazu, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe einzusetzen, um die Menschenrechtslage in Chile zu untersuchen und Empfehlungen für deren Verbesserung zu machen. Dies stellte eine der ersten expliziten Bemühungen eines UN-Gremiums dar, sich einer konkreten Situation von andauernden Menschenrechtsverletzungen anzunehmen.1017 Durch dieses Vorgehen fokussierte sich die Arbeit des UN-Gremiums explizit auf ein „Problem“land und rief implizit zur Etablierung von Verantwortung auf – ein Vorgehen, das bis dato nur im Fall von Südafrika angewendet worden war. Die Diskussionen zu diesem Thema blieben jedoch zum größten Teil politisch und waren v. a. auf Chile und – später auch – Argentinien beschränkt.1018 Chile stellt damit einen wichtigen 1011  UN-SR

Res. S/RES/134 (1. April 1960). Res. A/RES/2202A (XXI) (16.  Dezember 1966). 1013  International Convention on the Suppression on the Suppression and Punishment of the Crime of Apartheid (Resolution der GV 3068 (XXVIII) (30. November 1973). 1014  Background Paper, Sixth UN Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders UN Dok. A/CONF.87/BP/5 (14.  Juli 1980), S. 12. 1015  Guest, Behind the Disappearances, S. 74, Fn. 18. 1016  Ebd., S. 98. 1017  Flood, The effectiveness of UN human rights institutions, S. 87; Clark, Diplomacy of Conscience, S. 74. 1018  Clark, Diplomacy of Conscience, S. 74 f. 1012  UN-GV



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Wendepunkt in der Geschichte der Weltorganisation dar, in dem zunächst als politisch wahrgenommene Ereignisse in einen zunehmend menschenrechtlich geprägten Diskurs umgedeutet wurden.1019 Obwohl Argentinien gleichermaßen im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit stand, war es doch erfolgreicher als Chile darin, negative Stellungnahmen der UN zu vermeiden.1020 Anstatt wie für Chile eine Adhoc-Arbeitsgruppe zu gründen, wurde ein Expertengremium zum allgemeinen Thema des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ eingesetzt (UN Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances, WGEID).1021 1977 übernahm van Boven die Leitung der UN-Menschenrechtsdivision und machte sich bald als engagierter UN-Diplomat einen Namen. 1982 musste er jedoch von seinem Amt zurücktreten, da er sich im Zusammenhang mit Argentinien politisch angreifbar gemacht hatte.1022 Im Folgenden hielt sich die Abteilung wieder im Hintergrund. 1987 wurde schließlich der Posten des Leiters der UN Human Rights Division abgeschafft und so der menschenrechtliche Teil der UN erheblich geschwächt. Laut einem Beobachter wirkte sich dieser Rückschlag dann auch auf das Verständnis aus, das Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission bezüglich ihres Mandates hatten: Sie sahen sich eher zur Mediation als zur Kritik berufen, eher zur Stärkung oder Wiederherstellung der Demokratie als zur Unterstützung (der Angehörigen) der Opfer.1023 Auch im Peacekeeping stand die systematische Aufarbeitung vergangener Menschenrechtsverletzungen noch nicht auf der Agenda. Zivile Polizeikräfte, die die militärischen Beobachter bis zum Ende des Kalten Krieges unterstützten, waren zwar schon in den Friedensmissionen im Kongo (ONUC) und Zypern (UNFICYP) in den 1960er Jahren vorhanden, aber erst gegen Ende der 1980er Jahre wurden die Mandate und Aufgaben der Friedensmissionen dahingehend ausgeweitet, auch Verantwortlichkeit für Menschenrechtsverletzungen sicherzustellen – allerdings nur solche, die in der Postkonfliktperiode begangen wurden.1024 Es kann festgehalten werden, dass die UN bis zum Ende des Kalten Krieges bezüglich der systematischen Aufarbeitung von Menschenrechtsverhierzu auch: Ramcharan, Human Rights Quarterly 13 (1991), S. 162. gelang insbesondere durch geschicktes diplomatisches Taktieren, insbesondere durch den Schulterschluss mit der UdSSR und den Entwicklungsländern in der UN-Menschenrechtskommission. 1021  Ebd., S. 80. 1022  Er wurde vom argentinischen Botschafter in Genf beschuldigt, chilenische „Terroristen“ zu beschäftigen (vgl. Guest, Behind the Disappearances, S. 361). 1023  Ebd., S. 378. 1024  Peacekeeping Best Practices Unit 2003, S. 84. 1019  Vgl.

1020  Dies

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letzungen kaum handlungsfähig war  − weder im Monitoring noch in der Durchsetzung normativer Standards in den Friedensmissionen. Dies führte zu einem Vakuum das geschlossen werden musste: Menschenrechts-NGOs wandten sich vermehrt an die gerichtliche oder gerichtsähnlichen Organe – sowohl auf internationaler als auch auf regionaler Ebene. 2. Ende des Kalten Krieges Mit dem Ende des Kalten Krieges ging eine gewisse Euphorie auch hinsichtlich der zukünftigen Rolle der UN bezüglich des Schutzes von Menschenrechten einher.1025 Die UN waren aufgrund ihres Mandats oftmals Teil von Friedensprozessen und Demokratisierungsprozessen, die mit dem Ende des Kalten Krieges begannen oder sich intensivierten. Die Organisa­ tion wurde somit zunehmend mit Fragen des Umganges mit schweren Menschenrechtsverletzungen konfrontiert und sah sich in der Situation, selbst institutionell Stellung beziehen zu müssen. a) UN-Sicherheitsrat Seit 1993 steht der Themenkomplex TJ zumindest inhaltlich (allerdings noch nicht unter diesem Stichwort, sondern unter der Thematik Rule of Law) auf der Tagesordnung der Generalversammlung der Vereinten Nationen.1026 Die Aufmerksamkeit, die der Thematik zukam, intensivierte sich dann mit den Ereignissen im ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda.1027 Die United Nations Assistance Mission in Rwanda (UNAMIR), die die Einhaltung des Arusha-Friedensvertrages überwachen sollte, hatte dem Genozid nichts entgegenzusetzen.1028 Eine internationale Untersuchungskommission empfahl in ihrem ersten Zwischenbericht vom Oktober 1994 die Ausweitung des Mandats des ICTY auf die in Ruanda begangenen schweren Menschenrechtsverletzungen.1029 Nach der Einrichtung des ICTY reagierte 1025  „[A]n opportunity has been regained to achieve the great objectives of the U.N. charter (Charter) – a United Nations capable of maintaining international peace and security, of securing justice and human rights and of promoting, in the words of the Charter, ‚social progress and better standards of life in larger freedom‘.“ (UN Dok. A/47/277, S/24111 (1992), § 3.) 1026  Agendapunkt „Strengthening the Rule of Law“ (UN-GS, The Rule of Law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, Endnote 11, S. 24). 1027  Für die Diskussionen im UN-SR zum ehemaligen Jugoslawien, vgl. Teil 3, A. II. 2. 1028  Akhavan, Duke Journal of Comparative & International Law 7 (1997), S. 330. 1029  Bericht der Expertenkommission, UN Dok. SR/1994/1125 (4. Oktober 1994), § 152.



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die UN dann auch in Bezug auf die Ereignisse im April 1994 in Ruanda mit der Einrichtung eines weiteren Ad-hoc-Strafgerichtshofes. Während der Debatte im UN-Sicherheitsrat sprach sich die ruandische Regierung dafür aus, dass es unmöglich sei, einen Rechtsstaat zu errichten und eine wahre nationale Versöhnung zu erreichen, ohne dabei die „Kultur der Straflosigkeit“ zu adressieren.1030 Durch die Bestrafung durch das ICTR werde ein Beitrag zur nationalen Versöhnung geleistet und die Konstruktion einer neuen Gesellschaft basierend auf den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit und der Achtung fundamentaler Menschenrechte ermöglicht.1031 Die Möglichkeit, zur Versöhnung der ruandischen Gesellschaft beizutragen, wurde in großem Umfang im UN-SR diskutiert. Als wichtig – und hier wurde eine Parallele zu „Nürnberg“ gezogen – wurde erachtet, dass den Hutu keine unbestimmte und definitive Kollektivverantwortung durch die Tutsi auferlegt werden sollte, um eine Kollektivrache zu vermeiden. Die Strafverfolgung derjeniger, die die „größte Verantwortung“ tragen, solle einen symbolischen Effekt wie die Nürnberger Prozesse haben. Außerdem sollte sie zu einem neuen Wertesystem der Ruander führen1032 und als Zeichen für die Weltgemeinschaft gelten.1033 Hier zeigt sich bereits eine gewisse Spiegelung des TJ-Diskurses auf der Praxisebene. Allerdings war das TJ-Deutungsmuster noch nicht offensichtlich. Psychologische und „spirituelle“ Dimensionen von Gerechtigkeit und Versöhnung spielten jedenfalls in den Diskussionen des UN-Sicherheitsrates kaum eine Rolle.1034 1995 entschied sich der UN-Sicherheitsrat dann, einen gesonderten Strafgerichtshof als Antwort auf den Genozid in Ruanda einzusetzen (Interna­ tional Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons responsible for Genocide and Other Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in the Territory of Rwanda and Rwandan Citizens Responsible for Genocide and Other Such Violations Committed in the Territory of 1030  UN-SR,

UN Dok. S/PV.3453 (8.  November 1994), § 14. die ruandische Regierung die Resolution für die Einrichtung des ICTR zunächst unterstützt hatte, stimmte sie letztendlich jedoch dagegen, u. a. weil sie mit der personellen Ausstattung, der Streichung der Todesstrafe im Statut und dem Sitz des Gerichtshofes nicht einverstanden war (Akhavan, AJIL 90 (1996), S.  505 ff.). 1032  Akhavan, Duke Journal of Comparative and International Law 7 (1997), S.  338 f. 1033  „The interdependence of justice and reconciliation in the wake of mass violence, the convergence of peace-building and respect for human rights, provides an auspicious opportunity for the world community to move towards a future free from the odious scourge of genocide.“ (Ebd., S. 347.) 1034  Ebd. 1031  Obwohl

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Neighbouring States, Between 1 January 1994 and 31 December 1994, kurz ICTR).1035 Der Erfolg der zwei Ad-hoc-Tribunale wurde als wichtiger Test für die gleichzeitig stattfindenden Vorbereitungen der Beratungen zur Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) angesehen.1036 b) Peacekeeping-Missionen Das Ende des Kalten Krieges wirkte sich auch auf die Mandate der Peacekeeping-Missionen1037 aus. Die UN versuchten, ihre Position neu zu bestimmen. Die ersten Friedensmissionen nach dem Ende des Kalten Krieges in Namibia1038 und Angola1039 sahen jedoch noch keine Kernaufgaben im Bereich von TJ vor.1040 In Namibia beinhaltete das Mandat die Herstellung von Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen – allerdings nur für solche, die in der Postkonfliktphase begangen wurden, nachdem die UN schon Jahrzehnte in die Friedensverhandlungen mit dem Ziel der Unabhängigkeit Namibias involviert war.1041 Dies zeigt, dass die Etablierung von Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen unter einem repressiven Regime noch nicht im Fokus der Überlegungen der Weltorganisation stand. Die ersten Erfahrungen der UN mit der Unterstützung von Mitgliedstaaten bei der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen in der Postkonfliktphase warfen dann auch mehr Fragen auf als sie lösten.1042 In Angola 1035  Sachlich war der ICTR für vier Tatbestände zuständig: Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und die Verletzungen des Gemeinsamen Artikels 3 der Genfer Konventionen und des Zweiten Zusatzprotokolls. Räumlich erstreckte sich die Zuständigkeit des Strafgerichtshofes auf das Staatsgebiet Ruandas sowie der angrenzenden Staaten (bei aktivem Täterprinzip). Zeitlich war der Gerichtshof für Sachverhalte im Jahr 1994 zuständig. 1036  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 55. 1037  Die nachfolgende Darstellung basiert hinsichtlich der Darstellung des Themenkomplexes „Herstellung der Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen“ durch Peacekeeping-Missionen zum größten Teil auf der Darstellung von Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice. 1038  Die UN-Peacekeeper waren u. a. damit beauftragt, den DDR-Prozess zu überwachen und bei der Abschaffung bzw. Reform diskriminierender Gesetze zu helfen (vgl. DPKO, Namibia-UNTAG: Background, Website). 1039  In Angola übernahm die UN Angola Verification Mission (UNAVEM) II 1991 und sollte die Waffenruhe und die Aktivitäten der nationalen Polizei überwachen sowie mögliche Verletzungen politischer Rechte untersuchen (vgl. DPKO, Angola-UNAVEM II, Website). 1040  Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 70. 1041  Vgl. z. B. UN-SR Res., UN Dok. S/RES/632 (16.  Februar 1989). 1042  Vgl. Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 38.



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zeigten z. B. die DDR-Maßnahmen und der Einsatz von gemischten Monitoring-Teams für die nationale Polizei keine große Wirkung. Allerdings wurde ein Klima geschaffen, das dazu beitrug, Wahlen durchzuführen und die Situation zu stabilisieren.1043 Im Licht der sich langsam ausweitenden Rolle der Friedensmissionen der UN nach dem Ende des Kalten Krieges wurde der UN-Generalsekretär 1992 vom Sicherheitsrat beauftragt, einen Bericht über die Stärkung der präventiven Diplomatie, der Friedensschaffung und -erhaltung zu erstellen.1044 Dieser Bericht (An Agenda for Peace) wurde der erste bedeutende UN-Bericht auf dem Gebiet des Peacebuilding und war der Beginn der Postkonflikt-Agenda der internationalen Gemeinschaft.1045 Er sah eine ganze Reihe von Aktivitäten vor, so z. B. die Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, die Entwaffnung früherer Kombattanten und die Beratung und das Training von Sicherheitspersonal, das dazu gedacht war, die Strukturen, die für die Erhaltung eines dauerhaften Friedens notwendig waren, zu unterstützen. Auch unterstrich der Bericht die Bedeutung der Wiederherstellung des Rule of Law und des Schutzes der Menschenrechte für den Frieden.1046 Der Bericht antizipierte jedoch nicht, dass TJ zu einem Teil des Mandates von Friedensmissionen werden würde. Er argumentierte, dass eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Peacekeeping-Mission die Stärkung von Strukturen und der Schutz von Menschenrechten sei. Allerdings sah der Bericht hierin keine Rolle für friedenserhaltende Missionen, insbesondere nicht hinsichtlich Strafverfolgungen für vergangene Menschenrechtsverletzungen. Der Bericht wies aber darauf hin, dass UN-Aktivitäten, die dazu gedacht waren, einen langzeitigen Frieden zu schaffen, wie z. B. DDR, den Schutz von Menschenrechten und die Wiederherstellung des Friedens miteinbeziehen sollten.1047 Während die Agenda for Peace vorbereitet wurde, wurden zwei weitere Friedensmissionen eingesetzt: UN Protection Force (UNPROFOR) für das frühere Jugoslawien und United Nations Transitional Administration in Cambodia (UNTAC). UNPROFOR begann seine Aktivitäten noch während der kriegerischen Auseinandersetzungen. Während der nächsten drei Jahre wurden weitere UN-Friedensmissionen eingesetzt, deren Mandate auch die 1043  DPKO Angola, UNAVEM II: Background, Website; vgl. auch Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 38. 1044  Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 39. 1045  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 265. 1046  Bericht des UN-GS, An Agenda for Peace, Preventive diplomacy, peace­ making and peacekeeping, UN Dok. A 47/277 – S/24111 (17. Juni 1992), §§ 55, 59. 1047  Ebd.

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Etablierung von Verantwortung für in der Postkonfliktphase begangene Menschenrechtsverletzungen erfassten.1048 Obwohl diese Missionen im Einzelnen durchaus Erfolge zu vermelden hatten1049, werden sie im All­ gemeinen als misslungen bewertet.1050 So konnten z. B. UNAMIR-Polizeibeamte in Ruanda nur zuschauen, wie auch nach dem Genozid schwere Menschenrechtsverletzungen begangen wurden, nachdem die DDR-Maßnahmen und strafrechtliche Untersuchungen wirkungslos geblieben waren.1051 Der UN-Sicherheitsrat weitete das Mandat von UNAMIR dahingehend aus, seine Bemühungen auch auf nationale Versöhnung auszudehnen und Sicherheit für Human Rights Officers und das ICTR-Personal bei Untersuchungen und Sammlung von Beweismaterial zu gewährleisten.1052 1995 veröffentlichte der UN-Generalsekretär eine Ergänzung zur Agenda of Peace (sog. Supplement to an Agenda for Peace), die feststellte, dass der Zusammenbruch von Recht und Ordnung ein Merkmal nach internen gewalttätigen Konflikten sei. Der Bericht hob hervor, dass die Verbesserung 1048  UN Operation in Mozambique (ONUMOZ), UN Operation in Somalia (UNOSOM) II, UN Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR), UN Mission in Haiti (UNMIH) und UN Observer Mission in Liberia (UNOMIL). UNAVEM II und ONUSAL wurden fortgesetzt. 1049  Der Einsatz der Friedensmission in El Salvador war – relativ gesehen – der erfolgreichste. Die Mission erreichte die Entwaffnung und Demobilisierung der ehemaligen Kombattanten ohne eine Verletzung des Waffenstillstandes. Die Reintegration der Kombattanten war allerdings weniger erfolgreich und es kam zu einer Welle von Gewalt. Bezüglich der Menschenrechtsverletzungen, die während des Konfliktes begangen worden waren, unterstützte ONUSAL die Arbeit der UN-unterstützten Wahrheitskommission, z. B. indem sie Menschenrechtsbüros in den Regionen einrichtete, die die Menschenrechtsituation überwachen, Verletzungen untersuchen und darüber berichten sollten. Die Mission wurde insbesondere deswegen kritisiert, die Verletzungen lediglich dokumentiert und den nationalen Behörden die Strafverfolgung überlassen zu haben. Dies wurde dahingehend gedeutet, dass Menschenrechte für die politische Lösung des Konfliktes geopfert wurden. Die Mission überwachte auch die Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheitskommission, wobei sich die Regierung gegen die Empfehlungen und für eine Amnestie der Täter entschied (Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 44, 70 f.). 1050  Die bedeutendste Bedingung, die das Scheitern hervorrief, war jedoch, dass die Missionen oft keine Kompetenzen hatten, die Parteien dazu zu zwingen, zu kooperieren. Auch wird hervorgehoben, dass nicht klar war, wie die Missionen das Mandat zur Herstellung von Verantwortung erfüllen sollten, da z. B. die internationale Polizeibeamten keine Autorität hatten, Verhaftungen durchzuführen. Dadurch wurde auch bedingt, dass missionsübergreifend kein einheitlicher Ansatz vorlag. Insbesondere wurde auch das Fehlen von einheitlichen Richtlinien und von Ressourcen für die Umsetzung der Mandate angemerkt (ebd., S. 41). 1051  Ebd., S. 43. 1052  Vgl. UN-SR Res., UN Dok. S/RES/965 (1994) (30.  November 1994).



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von gerichtlichen und polizeilichen Institutionen ein wichtiger Teil des Peacebuilding sein müsse. Neben der Entwaffnung sei auch die Förderung und Überwachung der Wahrung von Menschenrechten wichtig. Auch erklärte der Bericht, dass die UN eher die Parteien bei der Wiederherstellung unterstützen, als selbst die gesamte Verantwortung hierfür übernehmen solle. Das Supplement sah auch vor, dass die internationalen Interventionen Maßnahmen für nationale Versöhnung fördern sollten – ohne jedoch genauer zu erklären, wie dies umgesetzt werden sollte.1053 Zusammenfassend kann daher festgehalten werden, dass die ersten Versuche der UN auf dem Gebiet TJ nur halbherzig waren: In Ruanda und El Salvador unterstützten die Missionen nur durch Logistik und Sicherheit und beobachteten die Menschenrechtslage, obwohl die Mandate breitere Aktivitäten zugelassen hätten. Die meisten Friedensmissionen beschäftigten sich mit präventiven Maßnahmen, z. B. der Stärkung der nationalen Polizei und der legislativen Reform. Auch Monitoring der Menschenrechtslage sowie generelle Menschenrechtserziehung wurden durchgeführt.1054 Trotzdem misslang es den Missionen, Institutionen einzurichten bzw. zu unterstützen, die die Herstellung von Verantwortung gewährleisten konnten. Dies kam dann auch in der Agenda for Peace und dem Supplement to an Agenda for Peace zum Ausdruck, die die Problemlage TJ nicht antizipierten. Letztere korrigierte die ursprüngliche Ankündigung der Agenda – dass Friedens­ missionen Menschenrechte beschützen würden – zu einer „Förderung“ von Menschenrechten herunter, um keine zu hohen Erwartungen zu erzeugen. Die UN setzte dabei auf die Stärkung der Rule of Law-Strukturen und die Entwaffnung der ehemaligen Kombattanten.1055 c) Friedensverhandlungen, Amnestien und Wahrheitskommissionen Die Praxis bezüglich Friedensabkommen und der Berücksichtigung von TJ-Maßnahmen zwischen 1989 / 90 und 1995 war ebenfalls uneinheitlich: Während die Mehrzahl der Friedensabkommen keine TJ-Mechanismen beinhalteten1056, sahen einige der von der UN unterstützten Friedensverhand1053  Supplement to an Agenda for Peace, UN Dok. A/50/60 und S/1995/1 (25. Januar 1995), §§ 13, 21 f., 47. 1054  Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 46 f. 1055  Ebd., S. 73. 1056  Angola (1994), Kambodscha (1991), Kongo (1999), Guinea-Bissau (1998), Mozambique (1992), Philippinen-MNLF (1996), Somalien (1993) und Tadschikistan (1997) (vgl. US Institute of Peace Peace Agreements Digital Collection, Website; University of Ulster, Conflict Data Service, Website).

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lungen die Einrichtung von Wahrheitskommissionen vor, so z. B. in El Salvador (1992)1057 und Guatemala (1993).1058 Insbesondere war die Haltung der UN bezüglich Amnestien zweideutig: Trotz allgemeinen Aufrufen, die Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen zu beenden, waren die UN weiterhin an Amnestieverhandlungen beteiligt, die teilweise gegen das Völkerrecht verstießen. Um die Verhandlungen bezüglich der Einsetzung einer Interimsregierung voranzubringen, hatten die Vereinten Nationen z.  B. in Südafrika eine Blankoamnestie sowohl für ANC-Mitglieder als auch für staatliche Sicherheitskräfte vorgeschlagen, um eine demokratische Interimsregierung zu ermöglichen.1059 Obwohl Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit völkerrechtlich klassifiziert war, pochten die UN nicht auf Strafverfolgung der Hauptverantwortlichen für die jahrzehntelange Apartheidsregierung.1060 Auch hinsichtlich des Amnestie-Deals zwischen Caputo / Clinton und der Militärjunta Haitis zeigte der UN-SR seine Unterstützung durch eine Resolution.1061 Andere Beispiele einer Duldung von Amnestieverhandlungen sind El Salvador (1993), Guatemala (1997) und Sierra Leone (1999).1062 So wurde in der Literatur die Beobachtung angestellt, dass die UN in dieser Phase anscheinend Amnestien dann tolerierte, wenn die politischen Kosten hierfür niedrig waren.1063 1057  Die Comisión de la Verdad Para El Salvador wurde durch den Friedensvertrag im Januar 1992 eingesetzt und hatte zur Aufgabe, ernsthafte Gewaltvorkommnisse seit 1980 und die Natur und Wirkungen der Gewalt zu untersuchen sowie Methoden zur Förderung der nationalen Versöhnung zu empfehlen. Die Kommission begann im Juli mit ihrer Arbeit und stellte ihren Bericht im März 1993 vor („From Madness to Hope: The 12-Year War in El Salvador“). Die Kommission war mit drei internationalen Experten besetzt, die vom UN-Generalsekretär ernannt worden waren. In ihrem Bericht empfahl die Kommission, „schuldige“ Armeeoffiziere und Beamte aus dem Staatsdienst zu entfernen und alle anderen Tätern schwerer Menschenrechtsverletzungen den Zugang zu öffentlichenen Ämtern zu verwehren. Daneben empfahl die Kommission extensive justizielle und rechtliche Reformen, Entschädigungen für Opfer (inklusive der Errichtung von Denkmälern). Die Kommis­ sion sah dagegen keine Strafverfolgung der Täter vor, da sie das Justizsystem als dazu nicht in der Lage erachtete (Wahrheitskommission El Salvador, From Madness to Hope, S. 162 ff.). 1058  Armstrong/Ntegeye, African Human Rights Law Journal 6 (2006), S. 1. 1059  Berat, Boston College Third World Law Journal 13 (1993), S. 208. 1060  Berat, in: Roht-Arriaza (Hrsg.), Impunity, S. 271 f. 1061  „[… C]ommend the efforts by […] Mr. Dante Caputo to establish a political dialogue with the Haitian parties with a view to resolving the crisis in Haiti.“ (UNSR Res. UN Dok. S/RES/861 (27. August 1993).) 1062  El Salvador (UN Dok. S/RES/888 (30.  November 1993)); Central America: efforts towards peace (UN Dok. S/RES/1094 (20.  Januar 1997)) und Sierra Leone (UN Dok. S/RES/1270 (22.  Oktober 1999)). 1063  Vgl. hierzu: Trumbull IV, Berkeley Journal of International Law 25 (2003), S. 294.



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Es kann festgehalten werden, dass die Praxis der UN bezüglich Friedensverhandlungen, Wahrheitskommissionen und Amnestien in der beobachteten Phase einen einheitlichen Ansatz vermissen lässt sowie in Teilen widersprüchlich erscheint. d) Menschenrechte im Allgemeinen Allerdings sah die hier betrachtete Phase auch eine Stärkung der Komponente der Menschenrechte in der allgemeinen Arbeit der UN: 1994 wurde als Reaktion auf die UN-Weltkonferenz für Menschenrechte in Wien (1993) das Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) in Genf eingerichtet. Inwieweit dieses jedoch eine Vorreiterrolle spielen können würde war damals noch unklar, u. a. weil die Verantwortung für Peacekeeping-Missionen bei einer anderen Abteilung in New York lag, die damit auch die Politikausrichtung bezüglich TJ-Maßnahmen der Weltorganisation bestimmte und weniger menschenrechtlich als vielmehr auf die Erreichung und die Stabilisierung von Frieden orientiert war. Es deutete sich hiermit eine Zweiteilung der Arbeit der Weltorganisation mit der Errichtung des OHCHR an: die Menschenrechtsarbeit mit Sitz in Genf und die (politisch als wichtiger angesehene) friedensschaffende / -erhaltende Arbeit der Organisation in New York. 3. Mitte der 1990er Jahre bis 2004 In dieser Phase zeigt sich, wie eingeschränkt und willkürlich der Ansatz der Friedensmissionen der Vereinten Nationen bezüglich TJ blieb, aber auch, wie die Weltorganisation TJ-Diskurse und Mechanismen zunehmend in ihre Aktivitäten inkorporierte. a) Peacekeeping / -building Neben den allgemeinen friedensunterstützenden Aktivitäten der Vereinten Nationen, wurden die Friedensmissionen der UN immer mehr in TJ-Fragestellungen involviert.1064 Mitte der 1990er Jahre geriet der Peacekeeping-Arm der Organisation nach dem „Versagen“ der UN-Friedensoperationen im ehemaligen Jugoslawien, Somalien und Ruanda in eine Krise. Nach der Ablösung des UN-Generalsekretärs Boutros Boutros-Ghali 1997 durch Kofi Annan und der schrittweisen Senkung der UN-Friedensoperationen auf den Stand vor 1989 wurde auch der Anspruch der Weltorganisation in internationalen Einsätzen redu1064  Lyck,

Peace Operations and International Criminal Justice, S. 73.

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ziert. Es kam zu einer Aufgabenteilung, wobei die UN die traditionellen Aufgaben übernahm (Waffenstillstandsüberwachung und Truppentrennung) und die „robusteren“ Einsätze zunächst von multinationalen Einsatzkräften unter der Führung einer oder mehrerer Staaten im UN-Auftrag übernommen und dann im Nachhinein der UN-Mission übergeben wurden. Daneben gab es auch Beispiele einer Aufgabenteilung, in der die NATO die militärische Führung übernahm und die UN die polizeiliche Komponente (Bsp. Kosovo).1065 Im Jahr 2000 unternahm Kofi Annan dann den Versuch, die Rolle der UN im Rahmen internationaler Friedensoperationen neu zu definieren. Hierzu beauftragte er ein Komitee unter dem Vorsitz Brahimis mit der Untersuchung der Friedens- und Sicherheitsaktivitäten der Vereinten Nationen, um die Fehler der Vergangenheit zu identifizieren und Empfehlungen für die Zukunft auszuarbeiten.1066 Der sog. „Brahimi“-Bericht1067 2000 unterstrich das Bekenntnis der Vereinten Nationen, ihr Mandat hinsichtlich des Charta-Auftrages („to save succeeding generations from the scourge of war“) ernstzunehmen, zeigte aber auch in unbeschönigender Weise die Schwachstellen und Fehler der bisherigen Friedensoperationen auf. Der Bericht definierte die Rolle der UN u. a. darin, auch in Zukunft Gesellschaften und Nationen bei „Transitionen von Krieg zu Frieden“1068 zu assistieren. Der Bericht unterscheidet drei Phasen der Friedensoperationen: Konfliktprävention und Friedensschaffung1069, Peacekeeping1070 und Peacebuild­ ing1071. Die Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverletzungen der Ver1065  Schmidl, in: Reiter (Hrsg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik, S.  165 f. 1066  Report of the Panel on United Nations Peace Operations, UN Dok. A/55/305, S/2000/809 (21. August 2000), S. viii. 1067  Ebd. 1068  Ebd., S. ix. 1069  „Peacemaking addresses conflicts in progress, attempting to bring them to a halt, using the tools of diplomacy and mediation. Peacemakers may be envoys of Governments, groups of States, regional organizations or the United Nations, or they may be unofficial and non-governmental groups, as was the case, for example, in the negotiations leading up to a peace accord for Mozambique. Peacemaking may even be the work of a prominent personality, working independently.“ (Ebd., § 11.) 1070  „Peacekeeping is a 50-year-old enterprise that has evolved rapidly in the past decade from a traditional, primarily military model of observing ceasefires and force separations after inter-State wars, to incorporate a complex model of many elements, military and civilian, working together to build peace in the dangerous aftermath of civil wars.“ (Ebd., § 12.) 1071  „Peacebuilding is a term of more recent origin that, as used in the present report, defines activities undertaken on the far side of conflict to reassemble the founda-



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gangenheit wird in Verbindung mit Versöhnung und dauerhaften Frieden gebracht.1072 Allerdings relativiert der Bericht im Folgenden dann jedoch wieder diesen Nexus.1073 Der Bericht unterstrich die Bedeutung von Peacebuilding und forderte u. a. einen „doctrinal shift in the use of civilian police and related rule of law elements in peace operations that emphasizes a team approach to upholding the Rule of Law and respect for human rights and helping communities coming out of a conflict to achieve national reconciliation.“1074

Eine wichtige Empfehlung war das Bereithalten einer Liste von Rule of Law-Experten für UN-Operationen.1075 Die Rolle von Menschenrechtsexperten wird eher zukunftsorientiert und in Hinblick auf die nationale Versöhnung gesehen.1076 Der Bericht unterstreicht an mehreren Stellen die Notwendigkeit, die zivile Komponente – und hier auch insbesondere Rule of Law-und Menschenrechte – zu stärken. Dies ist eine wichtige Neuerung, die von dem Bericht selbst als „doctrinal shift“1077 eingeordnet wird. Eine weitere wichtige Empfehlung war, die Implementierung von Waffenstillstandsabkommen oder Friedensabkommen nur für den Fall zu unterstützen, dass diese mit internationalen Menschenrechtsstandards vereinbar seien.1078 tions of peace and provide the tools for building on those foundations something that is more than just the absence of war. Thus, peace-building includes but is not limited to reintegrating former combatants into civilian society, strengthening the Rule of Law (for example, through training and restructuring of local police, and judicial and penal reform); improving respect for human rights through the monitoring, education and investigation of past and existing abuses; providing technical assistance for democratic development (including electoral assistance and support for free media); and promoting conflict resolution and reconciliation techniques.“ (Ebd., § 13.) 1072  „[T]he level of casualties, population displacement and infrastructure damage will affect the level of wargenerated grievance, and thus the difficulty of reconciliation, which requires that past human rights violations be addressed, as well as the cost and complexity of reconstruction.“ (Ebd., § 24.) 1073  „Where justice, reconciliation and the fight against impunity require it, the Security Council should authorize such experts […].“ (Ebd., § 39.) 1074  Ebd., S. ix. 1075  Ebd., S. xii. 1076  „[T]he human rights component of a peace operation is indeed critical to effective peace-building. United Nations human rights personnel can play a leading role, for example, in helping to implement a comprehensive programme for national reconciliation.“ (Ebd., § 41.) 1077  Ebd., § 47. 1078  Ebd., § 64.

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In der Literatur wurde als Manko des Brahimi-Berichts hervorgehoben, dass er nicht festlegte, bei welchen TJ-Maßnahmen die UN involviert sein solle. Obwohl der Bericht die Bedeutung der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen hervorhob, nannte er nicht ausdrücklich die Herstellung individueller Verantwortung als Aufgabe. Der Bericht erkannte ebenfalls die Bedeutung der Unterstützung von internationalen Strafgerichten bei der Festsetzung und Festnahme von angeklagten Kriegsverbrechern an, führte jedoch wiederum nicht aus, worin genau die Aufgaben der Friedensmissionen diesbezüglich liegen sollten. Es kann jedoch nicht hoch genug eingeschätzt werden, dass der Bericht zu einem Umdenken von Friedensmissionen bezüglich Menschenrechten aufgerufen hat.1079 Die Anzahl an Friedensmissionen, die entweder aufgrund ausdrücklichen Mandats (oder aufgrund eigener Initiative) zu Fragen von TJ tätig wurden, nahm in dem hier betrachteten Zeitraum stark zu. Dabei waren einige Missionen mehr erfolgreich als andere. Es gilt zu beachten, dass für BosnienHerzegowina, Ostslawonien, Kosovo und Osttimor die UN die Aufgaben einer Übergangsverwaltung übernahm und sich ihre Gestaltungsmöglichkeiten auch hinsichtlich der Transitionspolitik vervielfältigte.1080 Gegen Ende der 1990er Jahre gab es starke Unterschiede in den Aktivitäten und Mandaten der UN-Friedensmissionen bezüglich TJ: teilweise gab es keinerlei Aktivitäten in diesem Bereich (Bsp. Haiti, Liberia und Angola), eine eher konsolidierende Rolle (MINUGUA1081) und eine erweiterte (UNMIBH1082 und UNTAES1083) bzw. stark erweiterte Rolle (UNMIK und UNTAET). 1079  Lyck, 1080  Ebd.

Peace Operations and International Criminal Justice, S. 78.

1081  Die Bilanz der Friedensmission in Guatemala zeigt ein gemischtes Bild: Während MINUGA einerseits Menschenrechtsverletzungen noch während des andauernden Konfliktes dokumentierte und mit diesen Unterlagen auch die nationale Wahrheitskommission unterstützte, gab es keine Strafverfahren, die sich auf diese Informationen stützten. Die Wahrheitskommission konnte keine Liste Verdächtiger veröffentlichen und ihre Ergebnisse konnten auch nicht vor Gericht verwendet werden. Die Unterstützung der Ombudsstelle wurde durch die mangelnde Kooperation durch den Ombudsbeauftragten erschwert. Als größtes Scheitern muss jedoch die Tatsache angesehen werden, dass die Bemühungen von MINUGA nicht verhindern konnten, dass eine Amnestie Ende 1996 erlassen wurde. So dauerte das Klima der Straflosigkeit fort. Die Doppelrolle MINUGA – Vermittler im Friedensprozess einerseits und Unterstützung der Wahrheitskommission u. a. durch Dokumentation und Ausbildung andererseits – wurde in der Literatur kritisiert, da darin eine Schwächung des Bekenntnisses zur Durchsetzung und Wahrung von Menschenrechten gesehen wurde (ebd., S. 74 ff.). 1082  So sollte UNMIBH in Bosnien-Herzegowina die Arbeit des ICTY unterstützen. Abgesehen von dieser Aufgabe scheiterte UNMIBH beim ersten Versuch der Lustration der nationalen Polizei. Ein zweiter Versuch gelang teilweise, wobei trotzdem einige Polizeibeamte, die schwerer Verbrechen verdächtig waren, weiterhin im Dienst verblieben. (ebd., S. 74).



I. Vereinte Nationen339

Die Rolle von MINUGUA erinnerte an die von ONUSAL in El Salvador, d. h. die Konsolidierung der unternommenen Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und der Versuch, die nationalen Behörden zur Strafverfolgung zu bewegen. UNMIBH, UNTAES und UNMIK hatten alle zur Aufgabe, die Arbeit des ICTY zu unterstützen, wobei nicht nur die Sicherheit des ICTY-Personals sondern auch die Unterstützung in Ermittlungstätigkeiten vorgesehen waren sowie die Festnahme von Angeklagten. Die Tätigkeiten in Bezug auf Lustration bzw. „Vetting“ der nationalen P ­ olizei in Bosnien-Herzegowina zeigte einen anderen Fokus dieser Arbeit. 1083

Die Aufgaben der Friedensmissionen im Kosovo1084 und Osttimor1085 gingen dann noch einen Schritt weiter, da diese selbst Strafprozesse initi1083  UNTAES (United Nations Transitional Administration for Eastern Slavonia, Baranja and Western Sirmium) sollte ebenfalls ICTY-Bedienstete bei ihren Ermittlungen unterstützen und so z. B. Massengräber während der Exhumierung der Leichen bewachen (ebd., S. 73). 1084  Auch bezüglich UNMIK in Kosovo verlangte eine UNSR-Resolution (UN Res. S/RES/1244 (10.  Juni 1999) volle Kooperation mit dem ICTY. Neben der Unterstützung z. B. bei Exhumierungen, schlug UNMIK die Einrichtung eines Kosovo War and Ethnic Crimes Court vor, der sowohl mit nationalen als auch mit internationalen Richtern besetzt sein sollte und sich um die Verbrechen kümmern sollte, die der ICTY nicht ausreichend untersuchen konnte. Die Idee wurde schließlich im September 2000 aufgegeben, u. a. aufgrund des Ansteigens der ethnischen Spannungen sowie der fehlenden Finanzierung. Ein Programm mit internationalen Richtern und Staatsanwälten  − zunächst für das Landgericht in Mitrovica (UNMIK Verordnung 2000/6), später für alle Landgerichte und den Obersten Gerichtshof (UNMIK Verordnung 200/34) − wurde 2000 gestartet, um einen langsamen Aufbau des natio­ nalen Justizsystems, die Verfolgung von Tätern niedrigeren Profils und Entschädigungsleistungen sicherzustellen. Dies war ein enormes Unterfangen, da das Gerichtssystem beinahe von Anfang an aufgebaut werden musste. Bis April 2007 wurden nur 23 Verfahren durchgeführt, wobei es zu vielen Freisprüchen kam, da sich v. a. die Beweislage als äußerst schwierig gestaltete. Daneben wurde von UNMIK eine Victim Recovery and Identification Commission eingerichtete, die sich um die Bergung und Identifizierung von Leichen kümmerte, den Familien Unterstützung bot und die Daten diesbezüglich verwaltete (Lamont, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 83). Seit 2008 wurden die Kompetenzen UNMIKs im Bereich von Polizei, Justiz und Zoll dann auf die European Union Rule of Law Mission in Kosovo (EULEX) übertragen. Wie UNMIK hat EULEX ein Programm internationaler Richter und Staatsanwälte, die für die Untersuchung und Verfolgung von schweren Menschenrechtsverletzungen, terroristischen Handlungen, organisiertem Verbrechen, Korruption, interethnische Verbrechen oder wirtschaftliche und finanzielle Verbrechen zuständig sind und diese vor einen gemischten Gerichtshof bringen, der mit internationalen und nationalen Richtern besetzt ist. 1085  Am 25. Oktober 1999 wurde durch die Resolution 1272 die UN-Übergangsverwaltung UNTAET (United Nations Transitional Administration in East Timor) dazu ermächtigt, ab Februar 2000 den Wiederaufbau des Landes zu organisieren und vorübergehend die Verwaltung Osttimors zu übernehmen. Das Mandat von UNTAET umfasste u. a. die Gewährleistung von Sicherheit und die Aufrechterhaltung von

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ierten.1086 Diese Entwicklung wird in der Literatur wie folgt zusammengefasst: „Hence, peace missions went from merely supporting national and international attempts to hold individuals accountable for past abuses to attempting to ensure accountability through courts they set up themselves.“1087

Dabei waren die Friedensmissionen in der Regel erfolgreich mit der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen und der Unterstützung von na­ tionalen Behörden, die ihrerseits Menschenrechtsverletzungen untersuchten. Recht und Ordnung, die Etablierung einer effektiven Verwaltung und Hilfeleistung bei der Schaffung von Bedingungen für nachhaltige Entwicklung (UN-SR Res., UN Dok S/RES/1272 (25.  Oktober 1999)). Am 20.  Mai 2002 wurde die Demokratische Republik Timor-Leste unabhängig. Mit der Resolution 1410 wurde ein dreijähriges Mandat für die Nachfolge der UNTAET-Mission vereinbart. UNMISET sollte die junge Nation in der Postunabhängigkeitsphase unterstützen, zwischenzeitlich für Strafverfolgung und öffentliche Sicherheit sorgen, und damit die interne und externe Sicherheit gewährleisten (United Nations Mission of Support at East Timor, 20. Mai 2002 bis 20. Mai 2005). Drei UN-Sonderberichterstatter (Report on the Joint Mission to East Timor by the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on Extrajudicial, Summary, or Arbitrary Executions, the Special Rapporteur of the Commission on the Question of Torture, and the Special Rapporteur of the Commission on Violence Against Women, Its Causes and Consequences, UN Dok. A/54/660 (10.  Dezember 1999), § 74/6.) und eine Untersuchungskommission (Report of the International Commission of Inquiry on East Timor to the Secretary-General, UN Dok. A/54/726, S/2000/59 (31.  Januar 2000), § 153) forderten die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes zur Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, die im Laufe des Jahres 1999 in Osttimor begangen worden waren, sollte Indonesien nicht eine effiziente Strafverfolgung gewährleisten. Im September 1999 etablierte die indonesische Menschenrechtskommission (Komnas HAM) eine unabhängige Kommission, um die Menschenrechtsverletzungen des laufenden Jahres in Osttimor zu untersuchen. Der Endbericht stellte Menschenrechtsverletzungen und eine Verantwortlichkeit der indonesischen Armee sowie der indonesischen Regierung fest und sollte als Grundlage für die anschließenden Strafprozesse vor dem Ad-hocMenschengerichtshof in Jakarta dienen (AI, Justice for the victims in East Timor: UN must act at once on Commission of Inquiry’s report (31. Januar 2000)). Allerdings wurden die meisten der in dem Bericht identifizierten Verdächtigen nicht angeklagt und nur wenige der Angeklagten wurden zu minimalen Haftstrafen verurteilt (Report to the Secretary-General of the Commission of Experts to Review the Prosecution of Serious Violations of Human Rights in East Timor (then East Timor) in 1999, UN Dok. S/2005/458 (26. Mai 2005), § 333). Die Prozesse werden allgemeinhin als „offenkundig unzureichend“ (ebd., § 17.) und als Versuch bezeichnet, die Verantwortlichen zu schützen (Reiger/Wierda, The Serious Crimes Process in TimorLeste, S. 16). Dies wurde dadurch unterstrichen, dass die Berufung fünf der sechs Verurteilungen nicht aufrechterhielt (ebd.). Daraufhin setzte UNTAET für die Strafverfolgung schwerer Verbrechen die Spezialkammern des Landgerichtes in Dili, die SCU sowie die CAVR ein (vgl. im Einzelnen oben, Teil 3, A. III. 1. a) bb) (1); Pigou/Seils, Crying Without Tears. S. ii f.). 1086  Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 77. 1087  Ebd.



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Bei neuen Aufgaben, wie z. B. der „Lustration“ und der Schaffung neuer Strafgerichtshöfe sieht die Bilanz etwas nüchterner aus. Selbst wenn die Strafprozesse, die unterstützt wurden, erfolgreich durchgeführt wurden, waren es doch eine sehr geringe Anzahl von Fällen die abgeschlossen wurden (z. B. UNTAET). Einige nationale Behörden weigerten sich, Strafermittlungen durchzuführen (z. B. Guatemala).1088 Neben einer Vielzahl anderer Faktoren, die die Erfolgsbilanz von Friedensmissionen beeinflussten, trat immer klarer das Fehlen eines kohärenten, umfassenden und einheitlichen Ansatzes der UN im Bereich TJ hervor.1089 Daneben werden unterschiedliche Ansätze der Organisation im Bereich der Rule of Law-Ressourcen und -Expertise hervorgehoben sowie ein Mangel an spezifischer Expertise, der durch das Zurückgreifen auf externe Expertise ausgeglichen werden sollte.1090 b) Friedensverhandlungen Seit 1999 wurden Friedensabkommen mit TJ-Elementen in Burundi1091, der Demokratischen Republik Kongo1092, Liberia1093, Sierra Leone1094 und der Elfenbeinküste1095 unterzeichnet. Es kann eine Tendenz festgestellt werden, dass zunehmend Friedensabkommen solche Elemente beinhalten.1096 Dabei beschäftigen sich die TJ-Elemente sowohl mit Menschenrechtsverletzungen der Vergangenheit als auch mit Maßnahmen, die die Zukunft betreffen.1097 Trotzdem war die Praxis weiterhin nicht einheitlich: UN-Mediatoren ermunterten z. B. teilweise weiterhin Konfliktparteien dazu, eine breite Amnestie zu erwägen, um den Konflikt zu beenden, und rieten in anderen Situationen davon ab.1098

1088  Ebd., 1089  Ebd. 1090  Ebd.

S. 78.

1091  Burundi:

2000).

Friedens- und Versöhnungsabkommen von Arusha (vom 28. August

1092  Demokratische Republik Kongo: Globales und inklusives Transitionsabkommen (17. Dezember 2002). 1093  Liberia: Friedensabkommen (18. August 2003). 1094  Sierra Leone: Lomé –Friedensabkommen (7. Juli 1999). 1095  Linas-Marcoussis-Abkommen (23. Januar 2003). 1096  Armstrong/Ntegeye, African Human Rights Law Journal 6 (2006), S. 1. 1097  Ebd., S. 5. 1098  OHCHR, Amnesties, S. 2.

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c) UN unterstützte Wahrheitskommission in Guatemala Aufgrund des steigenden internationalen und einheimischen politischen Drucks hatte Guatemala kein allgemeines Amnestiegesetz verabschiedet und einer UN-Wahrheitskommission und  − im Grundsatz  − Strafverfolgungen zugestimmt.1099 Der Bürgerkrieg in Guatemala hatte 34 Jahre gedauert bis zwischen der Regierung und der Unidad Revolucionaria Nacional de Guatemala ein Friedensabkommen unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen am 29. Dezember 1996 geschlossen werden konnte.1100 Die Comision de Esclarecimiento Historico war zum Teil international besetzt.1101 Die Aufgabe der CEH bestand darin, die Menschenrechtsverletzungen1102 und andere schwere Gewalttaten1103, die mit dem bewaffneten Konflikt zwischen 1962 und 1996 in Zusammenhang standen, aufzuklären, einen Bericht zu erstellen und Empfehlungen zur Förderung des Friedens und der nationalen Versöhnung auszusprechen. Hierbei waren v. a. Rücksicht auf die Erinnerung an die Opfer, der Kultur des gegenseitigen Respekts und die Achtung der Menschenrechte sowie die Festigung des Demokratieprozesses zu nehmen. Dabei ist festzuhalten, dass die Kommission – auch im eigenen Selbstverständnis – keine Aufklärung im juristischen Sinne oder eine Feststellung individueller Verantwortung zu erreichen suchte, sondern eine Feststellung des Vorliegens einer Menschenrechtsverletzung bzw. Ge1099  Zuvor war schon während der Verhandlungen das Agreement on the Establishment of the Commission to Clarify Past Human Rights Violations and Acts of Violence that have caused the Guatemalan Population to Suffer geschlossen worden, dass die Schaffung einer Comision de Esclarecimiento Historico (Kommission zur Aufklärung der Vergangenheit, im Folgenden CEH) vorsah. Das Gesetz über die Nationale Aussöhnung vom 18. Dezember 1996 erwähnte die CEH kurz, verwies im Wesentlichen aber auf das o. g. Abkommen. Mit dem nationalen Versöhnungsgesetz wurde zwar eine Amnestie vorgesehen, allerdings wurden Tatbestände wie „those crimes which violate fundamental rights“ und Völkermord, das „gewaltsame Verschwindenlassen“ sowie Straftaten, die nach nationalem Recht oder durch interna­ tionale, von Guatemala ratifizierte, Abkommen unverjährbar waren oder das Erlöschen einer strafrechtlichen Verantwortung nicht zuließen, ausgeschlossen. 1100  Salazar, Wahrheitskommissionen in Argentinien, El Salvador und Guatemala, S. 15. 1101  Professor Tomuschat wurde vom UN-Generalsekretär zum Mitglied der Kommission ernannt. 1102  Laut Mandat der CEH waren unter „Menschenrechtsverletzungen“ Taten der Vertreter des Staates oder von Privatpersonen mit Wissen oder Duldung des Staates zu verstehen. 1103  Unter „Gewalttaten“ wurden solche Taten bezeichnet, die von den Mitgliedern der Unidad Revolucionaria Nacional de Guatemala und anderen Privatpersonen aus Eigeninteresse unter Ausnutzung des allgemeinen Klimas der Gewalt begangen wurden.



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walttat. Außerdem bestimmte die Kommission die institutionelle Verantwortung für diesen Sachverhalt. Allerdings war das Verhältnis der Arbeit und der Ergebnisse der Kommission zum guatemaltekischen Gerichtssystem im Vorfeld nicht geregelt worden.1104 Der Bericht wurde im Februar 1999 vorgestellt (Guatemala. Memoria del Silencio) und bestand aus einem Abschnitt über der Vorgeschichte und dem Verlauf des Bürgerkrieges und den begangenen Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten sowie einem Abschnitt mit den Empfehlungen der Wahrheitskommission.1105 Auch wurde festgehalten, dass die guatemaltekische Justiz ihren Ermittlungs-, Strafverfolgungs- und Bestrafungspflicht nach internationalem und nationalem Recht nicht nachgekommen sei.1106 Das „Recht auf Wahrheit“ des guatemaltekischen Volkes und die Hoffnung, durch den Bericht zur Verhinderung der Wiederholung dieser Menschenrechtsverletzungen beizutragen, wurden betont. Der Bericht nannte die Verdächtigen der Menschenrechtsverletzungen und Gewalttaten nicht. Dies basierte auf einer wörtlichen, historischen, teleologischen und systematischen Auslegung des Abkommen, das die Kommis­ sion eingesetzt hatte, und in dem vorgesehen war, dass „die Kommission in ihren Empfehlungen und ihrem Bericht keiner Einzelperson die Schuld zuweisen […] und keine in der Zuständigkeit der Gerichte liegenden Ziele oder Folgen bezwecken darf“.1107

Die Wahrheitskommission wies auf die Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung von Straftaten hin, deren Verfolgung durch das Gesetz zur nationalen Versöhnung nicht ausgeschlossen war.1108

1104  Salazar,

S. 30.

Wahrheitskommissionen in Argentinien, El Salvador und Guatemala,

1105  Wichtiges Ergebnis der historischen Aufklärung des Verlaufes des Bürgerkrieges war die Feststellung, dass 93 % des untersuchten Verhaltens dem Staat zuzurechnen war sowie die Feststellung des durch den Staat verübten Völkermordes an der indigenen Bevölkerung. 1106  Salazar, Wahrheitskommissionen in Argentinien, El Salvador und Guatemala, S. 21. 1107  Ebd., S. 31. 1108  Die Umsetzung dieser Empfehlung verlief nur äußerst schleppend. Es kam allerdings in den letzten Jahren, so z. B. 2009 und 2010, zu Anklagen gegen führende ehemalige Verantwortliche der Menschenrechtsverletzungen, so gegen Marco Antonio Sanchez Samayoa (sog. El Jute-Fall). Der Myrna Mack Chang-Fall kam vor die Inter-Amerikanische Kommission (IACHR, Myrna Mack gegen Guatemala, Fall 10.636, Bericht-Nr. 10/96, OEA/Ser.L/V/II.91 Doc. 7 (5.  März 1995) und den InterAmerikanischen Menschengerichtshof (IACtHR, Urteil vom 25. November 2005, (ser. C) No. 101 (2003)).

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d) Völkerstrafrechtliche Kodifizierung Im Jahr 1994 hatte die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen ihren endgültigen Entwurf für das Statut eines IStGH der UN-Generalversammlung vorgestellt und empfohlen, dass eine Konferenz von bevollmächtigten Staatenvertretern zu Vertragsverhandlungen einberufen werden sollte. Um dieses Treffen vorzubereiten und substantielle Elemente im Entwurf zu besprechen, setzte die UN-Generalversammlung das Ad Hoc Committee on the Establishment of an International Criminal Court ein, das sich 1995 erstmals traf. Ebenfalls 1995 wurde die NGO Coalition for the ICC (CICC) gegründet um die Bemühungen von Menschenrechts-NGOs zu koordinieren.1109 Die NGOs machten insbesondere mit einem völkerrechtlichen Diskurs, Lobbyarbeit für den IStGH.1110 Im Dezember 1995 entschied sich dann die UN-GV, ein Vorbereitungskomitee (Preparatory Committee, PrepCom1111) einzusetzen, um den Text, der der Konferenz vorgestellt werden sollte, fertigzustellen. Die sog. „Romkonferenz“ (UN Conference of Plenipotentiaries on the Establishment of an ICC) fand vom 15. Juni bis 17. Juli 1998 in Rom mit 160 teilnehmenden Staaten statt, um den Entwurf zu beraten.1112 Nach fünf Wochen Verhandlungen stimmten 120 Staaten für eine Annahme, wobei sieben Staaten gegen den Vertrag stimmten und 21 sich enthielten.1113 Der Vertrag trat mit Wirkung zum 1. Juli 2002 in Kraft.1114 1109  Gründungsmitglieder waren u. a. Amnesty International, Asociación Pro Derechos Humanos (Perú), Fédération Internationale des Ligues des Droits de l’Homme, Human Rights Watch, Lawyers Committee for Human Rights, No Peace Without Justice, Parliamentarians for Global Action, Rights & Democracy und Women’s Caucus for Gender Justice. 1110  Struett, in: Wouter/Decker (Hrsg.), Global Governance and International Law. 1111  1996 bis 1998 traf sich die PrepCom sechs Mal im UN HQ in New York um den Entwurf des IStGH-Statuts auf der Basis des Entwurfes der Völkerrechtskommissionen fertigzustellen. NGOs des Bündnisses CICC nahmen ebenfalls an diesen Treffen teil und hatten die Möglichkeit, ihre Kommentare zu dem jeweiligen Entwurf einzubringen. 1112  Die CICC beobachtete die Vertragsverhandlungen, verteilte Informationen und unterrichtete auf ihrer Website und über Newsletter über den Fortgang der Verhandlungen. Daneben koordinierte sie die Aktivitäten von mehr als 200 NGOs. 1113  Die PrepCom wurde anschließend damit beauftragt, die Errichtung und die Einsetzung des Gerichtshofes durch Verhandlungen und den Entwurf weiterer Vertragstexte (darunter die Prozess- und Beweisregeln, die sog. Elements of Crimes etc.) vorzubereiten. 1114  Vgl. zur weiteren Besprechung von TJ-Maßnahmen und dem Rom-Statut unter Teil 3, C. I. 3.



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Das Inkrafttreten des Rom-Statuts hatte wichtige Auswirkungen auf den Diskurs1115, insbesondere bezüglich der Konzentration der Aufmerksamkeit auf die Personen, denen die größte Verantwortung an den Menschenrechsverletzungen gegeben wurde („the most responsible“), da diese Beschränkung des strafzuverfolgenden Personenkreises keine rechtliche Vorgabe war.1116 Allerdings bleibt der völkerstrafrechtliche Diskurs laut obiger Analyse zunächst vom TJ-Diskurs getrennt. Eine Verknüpfung in der Praxis erfolgte dann auf der Ebene der UN, so insbesondere im Diskurs des UN-SR und durch OHCHR, das hybride Gerichtshöfe als TJ-Instrument ansieht. Einige sehen den IStGH und das Prinzip der Komplementarität ab diesem Zeitpunkt als den beherrschenden Ansatz im Feld TJ an1117, andere jedoch weiterhin als ein Instrument neben anderen.1118 4. Ab 2004 In dieser Phase beziehen die Vereinten Nationen explizit und öffentlich Stellung zu TJ und beginnen auch, sich strategisch mit den TJ-Fragen zu beschäftigen. Dieser Entscheidung war die Erkenntnis in der Praxis vorausgegangen, dass eine solche Grundsatzpositionsbestimmung dringend notwendig war – allein schon aufgrund der Anzahl von Konflikten, in denen die Weltorganisationen zur Friedensschaffung oder -erhaltung berufen war. a) UN-Bericht „The Rule of Law and Transitional Justice in Conflict and Post-Conflict Societies“ Im August 2004 stellte der UN Generalsekretär den Bericht „Rule of Law and Transitional Justice in Conflict and Post-Conflict Societies“ vor, der erstmals den Begriff TJ offiziell definierte.1119 Diesem Bericht war ein Tref1115  Seils, in: Almqvist/Espósito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 274. 1116  Vgl. Anklagebehörde gegen Bosco Nataganda, Entscheidung der Berufungskammer, 13. Juli 2006, §§ 73–79. 1117  „But the issue is no longer simply a matter of moral or political debate. Whether we like it or not, the law has moved on. Strategies must be guided towards the most effective form of prosecutions in all of the circumstances, and such processes must take place within a reasonable time.“ (Seils, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 279.) 1118  Vgl. z. B. Simpson, in: Wadell/Clark (Hrsg.), Courting Conflict, S. 73 ff. 1119  „[..T]he full range of processes and mechanisms associated with a society’s attempts to come to terms with a legacy of large-scale past abuses, in order to en-

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fen des UN-Sicherheitsrates im September 2003 vorausgegangen, in dem die Rolle der UN bei Gerechtigkeitsinitiativen und Rule of Law in Postkonfliktsituationen diskutiert wurde.1120 Das Treffen endete mit der Feststellung, dass es im UN-System eine Fülle relevanter Expertise und Erfahrung gäbe, die es zu nützen gelte.1121 Der Bericht fasst Schlüsselthemen und „lessons learned“ aus dem Erfahrungsschatz der Vereinten Nationen im Bereich der Förderung von Gerechtigkeit und des Rule of Law in Konflikt- und Postkonfliktgesellschaften zusammen. Der Bericht betont, dass die Erfahrung gezeigt habe, dass Frieden nicht ohne die Aufarbeitung von vergangenen Menschenrechtsverletzungen geschaffen werden könne.1122 Gleich zu Beginn legt der Bericht zunächst eine gemeinsame Terminologie durch die Definition von Gerechtigkeit1123, Rule of Law1124 und TJ sowie den Querschnittsbereichen der Reform des Sicherheitssektors, Justizsektors und der Governance fest. Der Bericht identifiziert für TJ die UN-Charta, das Recht der internationalen Menschenrechte, das humanitäre Völkerrecht, das Völkerstrafrecht sure accountability, serve justice and achieve reconciliation. These may include both judicial and non-judicial mechanisms, with differing levels of international involvement (or none at all) and individual prosecutions, reparations, truth-seeking, institutional reform, vetting and dismissals, or a combination thereof.“ (Ebd., § 8.) 1120  UN Dok. S/PV.4833 (24.  September 2003). 1121  The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies, UN Dok. S/2004/616 (23. August 2004), § 1. 1122  „Our experience in the past decade has demonstrated clearly that the consolidation of peace in the immediate post-conflict period, as well as the maintenance of peace in the long term, cannot be achieved unless the population is confident that redress for grievances can be obtained through legitimate structures for the peaceful settlement of disputes and the fair administration of justice.“ (Ebd., § 2, S. 3.) 1123  „[..A]n ideal of accountability and fairness in the protection and vindication of rights and the prevention and punishment of wrongs. Justice implies regard for the rights of the accused, for the interests of victims and for the well-being of society at large. It is a concept rooted in all national cultures and traditions and, while its administration usually implies formal judicial mechanisms, traditional dispute resolution mechanisms are equally relevant. The international community has worked to articulate collectively the substantive and procedural requirements for the administration of justice for more than half a century.“ (Ebd., § 7.) 1124  „It refers to a principle of governance in which all persons, institutions and entities, public and private, including the State itself, are accountable to laws that are publicly promulgated, equally enforced and independently adjudicated, and which are consistent with international human rights norms and standards. It requires, as well, measures to ensure adherence to the principles of supremacy of law, equality before the law, accountability to the law, fairness in the application of the law, separation of powers, participation in decision-making, legal certainty, avoidance of arbitrariness and procedural and legal transparency.“ (Ebd. § 6.)



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und das internationale Flüchtlingsrecht als normative Basis. Dabei stellt der Bericht erstmals explizit fest: „These standards also set the normative boundaries of United Nations engagement, such that, for example, United Nations tribunals can never allow for capital punishment, United Nations-endorsed peace agreements can never promise amnesties for genocide, war crimes, crimes against humanity or gross violations of human rights, and, where we are mandated to undertake executive or judicial functions, United Nations-operated facilities must scrupulously comply with international standards for human rights in the administration of justice.“1125

Bezüglich Amnestien außerhalb der aufgezählten Kategorien lässt der Bericht erkennen, dass er solche nicht vollständig ausschließe: So räumt er ein, dass Amnestien unter Umständen weiterer Gewalt vorbeugen könnten.1126 Der Bericht macht auch das Eingeständnis, dass Rule of Law und TJ noch nicht in allen Friedensoperationen eine Rolle spielen würden.1127 Der Bericht bekennt sich zum bottom up-Ansatz1128, der die Auswahl einer TJ-Intervention bestimmen sollte, und kontrastiert diesen interessanterweise mit einem, der von „foreign experts, foreign models and foreignconceived solutions“1129 bestimmt sei.1130 Wichtig ist, dass der Bericht festlegt, dass Frieden und Gerechtigkeit sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern vielmehr, dass sie komplementär zu sehen seien. Daher könne es nie eine Frage sein, ob Verantwortung hergestellt werden solle, sondern vielmehr wann und wie.1131 Der Bericht betont die Notwendigkeit eines holistischen Ansatzes.1132 In der Vergangenheit hätte die internationale Gemeinschaft ihre Interventionen – entweder mit einem Schwerpunkt auf Strafverfahren oder Wahr1125  Ebd.,

§ 10. § 32. 1127  Ebd., § 11. 1128  „Accordingly, we must assess myriad factors, such as the nature of the underlying conflict, the will of the parties, any history of widespread abuse, the identification of vulnerable groups, such as minorities and displaced persons, the situation and role of women, the situation of children, rule of law implications of peace agreements and the condition and nature of the country’s legal system, traditions and institutions.“ (Ebd.) 1129  Ebd., § 11. 1130  „Although the international community has, at times, imposed external transitional justice solutions, a more open and consultative trend is emerging, visible in places such as Sierra Leone and Afghanistan.“ (Ebd., § 16). Sowie: „Thus, peace operations must better assist national stakeholders to develop their own reform vision, their own agenda, their own approaches to transitional justice and their own national plans and projects.“ (Ebd., § 18.) 1131  Ebd., § 21. 1132  Ebd., § 25. 1126  Ebd.,

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heitssuche – entworfen, ohne der Bevölkerung die Möglichkeit der Mitbestimmung zu geben.1133 Der Bericht sieht auch die wichtige Rolle von internationalen Straf­ gerichtshöfen und geht v. a. auf den IStGH und alternative Mechanismen wie Wahrheitskommissionen, Lustrationsprozesse1134 und Reparationen1135 ein.1136 Die Einrichtung von Strafgerichtshöfen diene – so das UN-Dokument ‒ einer Vielzahl von Zwecken: „[…] among which are bringing to justice those responsible for serious violations of human rights and humanitarian law, putting an end to such violations and preventing their recurrence, securing justice and dignity for victims, establishing a record of past events, promoting national reconciliation, re-establishing the rule of law and contributing to the restoration of peace.“1137

Dabei attestiert der Bericht in den letzten Jahren „a growing shift in the international community, away from a tolerance for impunity and amnesty and towards the creation of an international rule of law“1138 durch internationale und hybride Strafgerichtshöfe. Wichtig ist, dass der Bericht zwar von Reparationen – und genauer von Reparationsprogrammen – spricht, allerdings nur von einer Pflicht der Staaten, aber nicht von einem Recht der Opfer auf Entschädigung.1139 Der Bericht schließt u. a. mit der Empfehlung, dass die Organisation und seine Bediensteten einen „integrated and comprehensive approach to the Rule of Law and transitional justice, including proper sequencing and timing for implementation of peace processes, transitional justice processes, electoral processes and other transitional processes“1140

verfolgen sollten und, dass Rule of Law und TJ in die strategische und operationnelle Planung der Friedensoperationen integriert werden sollten. Dieser Bericht stellt einen wichtigen Meilenstein für die Entwicklung des Praxisfeldes TJ dar, da die Vereinten Nationen erstmals nicht nur den 1133  Ebd.,

§ 24. Bericht verweist auf die vielfältige Unterstützung nationaler Lustrationsmaßnahmen durch die UN, z. B. in Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Timor-Leste, Liberia und Haiti. 1135  So verweist der Bericht z. B. auf den Ersten Golfkrieg, nach dem die UN Compensation Commission mehr als 2,5 Mio. Anträge bearbeitete und mehr als 18 Milliarden US-Dollar an die Opfer der unrechtmäßigen Invasion und Besetzung von Kuwait auszahlte. 1136  UN Dok. S/2004/616 (23 August 2004), § 32. 1137  Ebd., § 38. 1138  Ebd., § 40. 1139  Ebd., § 54, S. 18. 1140  Ebd., §  64 f. 1134  Der



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Begriff und das Verhältnis zu anderen Praxisfeldern klärten, sondern auch eine Grundorientierung zu den strategischen Zielen der UN in Postkonfliktländern gaben. Inhaltlich sind die Grundsätze und Richtlinien, die der Bericht aufstellt, allerdings nicht revolutionär, sondern eine ausgewogenen und allgemeine Darstellung zu TJ, die zu dem damaligen Zeitpunkt die damals zum Standardrepertoire gehörenden Grundsätze aus der Literatur wiederholte. In drei Punkten geht er aber über die reine Inventur der TJ-Praxis und Literatur hinaus: Mit der Feststellung der Notwendigkeit eines holistischen Ansatzes, der formellen Verabschiedung der Dichotomie „Frieden vs. Gerechtigkeit“ sowie der Betonung des „Bottom-up“-Ansatzes. Alle drei Punkte lassen sich mit der bisherigen TJ-Erfahrung der Organisation im „Feld“ erklären. Der Bericht brachte damit das TJ-Forschungsgebiet zwar konzeptionell nicht weiter, allerdings ermöglichte er für die UN den Beginn eines koordinierten und einheitlichen Auftretens. Auch ist der Bericht nur als Beginn des Wechsels der Praxis der Organisation einzustufen, fehlten in dem Bericht noch konkrete Handlungsanweisungen.1141 Die Haltung der Vereinten Nationen zu Amnestien, die 2004 im TJ-Bericht des UN-Generalsekretärs ausgesprochen worden war, wurde im Folgenden medienwirksam verbreitet, so z. B. durch Ban Ki-Moon im Sudan (September 2007).1142 2005 war auch das Jahr, in dem die Peacebuilding Commission der UN geschaffen wurde, von der eine bessere Koordinierung der TJ-Aktivitäten des UN-Systems im Feld erwartet wurde.1143 Seit 2005 ist TJ auch explizit ein wiederkehrendes Thema in anderen UN-Gremien, insbesondere auf der Agenda der UN-Menschenrechtskommission sowie des UN-Menschenrechtsrats.1144 b) Debatten im UN-Sicherheitsrat TJ wurde auf zahlreichen Sicherheitsrat-Sitzungen diskutiert, so z. B. am 24. und 30. September 2003, 6. Oktober 2004 und 22. Juni 2006. Die Teilnehmer an den Diskussionen stimmten darin überein, dass TJ ein wichtiger auch Waldorf, Temple Law Review 79 (2006), S. 4. is an important part of building and sustaining peace. A culture of impunity and a legacy of past crimes that go unaddressed can only erode the peace.“ (OHCHR, Amnesties, S. 2.) 1143  Vgl. hierzu Thallinger, German Law Journal 8 (2007), S. 681 ff. 1144  UN-Menschenrechtskommission, UN Dok. 2005/70 (20.  April 2005); UNMenschenrechtsrat, UN Dok. A/HRC/Res/9/10 (18.  September 2008). Der UNMenschenrechtsrat löste die UN-Menschenrechtskommission 2006 ab. 1141  Vgl.

1142  „[J]ustice

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Teil des Peacebuildings sei, und, dass die UN TJ-Prozesse und die Mitgliedstaaten in ihrer Transition unterstützen sollten. Sollten die nationalen Autoritäten nicht zur Strafverfolgung in der Lage sein, so die Diskussionsteilnehmern, sollten Lösungen wie Ad-hoc-Gerichte oder hybride Strafgerichtshöfe erwogen werden. Außer der Delegation der Vereinigten Staaten unterstützte die Mehrheit den IStGH und die Verweisung von Fällen fehlenden nationalen Verfolgungswillens bzw. fehlender Verfolgungsfähigkeit an den IStGH.1145 Die Teilnehmer stimmten auch darin überein, dass ein koordinierter und umfassender TJ-Ansatz notwendig sei, der auf nationalen Bedürfnissen basiere und von der lokalen Bevölkerung unterstützt werde. Daneben sei es wichtig, die Teilnahme bzw. Ownership der lokalen Bevölkerung sicherzustellen und deren Fähigkeiten zu erweitern und zu stärken (Capacity Building).1146 Dies zeigt ausdrücklich, dass auf der Ebene des UN-SR die Praxis von TJ mit dem völkerstrafrechtlichen Diskurs verknüpft wurde. c) Koordinierungs- und Leitfunktion des OHCHR Bei OHCHR hatte sich bereits seit 2003 ein TJ-Koordinator um die diesbezüglichen Aktivitäten gekümmert. In seinem Bericht 2004 hatte der UN-Generalsekretär OHCHR als leitende UN-Stelle für TJ designiert.1147 ­ 1145  Auf der letzten Sitzung wurde z. B. vorgeschlagen, UNMIL dazu zu mandatieren, den Transfer von Charles Taylor zu unterstützen. Daneben wurde ein klares Zeichen der Unterstützung durch den UN-Sicherheitsrat im Sinne des Aufrufs zur Verhaftung weiterer fünf IStGH-Beschuldigter gefordert (Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 85). 1146  Ebd. 1147  Uniting our strengths, UN Dok. A/61/636-S/2006/980 (14.  Dezember 2006). Daneben blieb das Office of Legal Affairs of the Secretariat für die Errichtung und die Unterstützung von internationalen und internationalisierten Strafgerichtshöfen sowie für Kommissionen von Experten und Untersuchungskommissionen zuständig (ebd., § 11). DPKO blieb die führende Institutionen für die Polizei und Rule of Law-Aspekte von Peacekeeping Operationen. DPKO zeichnet sich auch für die Koordinierung des United Nations Rule of Law Focal Point Network zuständig (ebd., § 12). UNODC konzentriert sich auf die Bekämpfung von transnationaler organisierter Kriminalität, Geldwäsche, Korruption und Terrorismus – und die Präventionsaspekte dieser Arbeit, d. h. Reform der Strafjustizsysteme. UNICEF konzentriert sich in seiner Arbeit auf den besseren Schutz von Kindern – auch im Justizsystem. DPA arbeitet daran, TJ-Elemente in Konfliktresolution und -management zu integrieren (ebd., § 14). UNDP entwickelt dabei die nationalen Kapazitäten des formellen und informellen Justizsystems im Lichte einer nachhaltigen Entwicklung. Dabei können TJ-Elemente bei der Polizei, Sicherheitssektor- und Gefängnisreform wichtig werden. UNWOMEN konzentriert sich auf die Integrierung von Belangen von Frauen



I. Vereinte Nationen351

OHCHR wurde damit verantwortlich für die Entwicklung von (internen) Richtlinien, sog. Standard Setting, inhaltliche Ratschläge, Capacity Building und der Koordination von Akteuren innerhalb und außerhalb des UN-Systems zum Thema TJ. Damit wurde einerseits der Tatsache Folge getragen, dass TJ in der Zwischenzeit nicht mehr nur im Peacekeeping und Peacebuilding von Bedeutung war, sondern (nach der starken Institutionalisierung auf völkerstrafrechtlichem Gebiet) dem OHCHR auch eine Klammerfunk­ tion zwischen den verschiedenen Praxisbereichen zukommen konnte. Daneben gilt zu beachten, dass OHCHR auch als Sekretariat des UN-Menschenrechtsrates fungiert. OHCHR definiert TJ im Anklang an den Bericht des UN-Generalsekretärs als: „Transitional justice consists of both judicial and non-judicial mechanisms, including prosecution initiatives, reparations, truth-seeking, institutional reform, or a combination thereof.“1148

Durch die Resolution 9 / 10 (18.  September 2008) ersuchte der UN-Menschenrechtsrat OHCHR „to continue to enhance its leading role, including with regard to conceptual and analytical work regarding transitional justice, and to assist States to design, establish and implement transitional justice mechanisms from a human rights perspective.“1149

2003 ergriff OHCHR die Initiative, sog. Rule of Law-Tools für Postkonfliktstaaten zu entwickeln. Ziel war es, eine nachhaltige Kapazität bezüglich Policy-Richtlinien innerhalb der UN – sei es im „Feld“ oder im HQ – für TJ zu entwickeln.1150 Von 2003 bis 2006 wurde die erste Serie entwickelt, die 2006 publiziert wurde. Diese umfasst: „Mapping the Justice Sector“, „Prosecution Initiatives“, „Truth Commissions“, „Vetting“ und „Monitor­ ing Legal Systems“. Jedes dieser Tools kann selbständig verwendet werden, reiht sich allerdings in eine holistische operationelle Perspektive ein. Sie basieren auf der Erfahrung des UN-Systems und den Lessons learned von UN-Friedenseinsätze. Die Publikationen sind für die Praxis geschrieben.1151 in Friedens- und Wiederaufbauprozesse. UNHCR wiederum arbeitet an der Errichtung von kohärenten nationalen Asylsystemen, der Sicherstellung einer Rechtsweggarantie für Flüchtlinge und IDPs (ebd., § 15). 1148  OHCHR, Rule of Law-Transitional justice, Website. 1149  HRC, UN Dok. A/HRC/RES/9/10 (18.  September 2008). 1150  UN Dok. E/CN.4/2006/93 (7.  Februar 2006), § 8. 1151  „However, the tools are meant to provide field missions and transitional administrations with the fundamental information required to target interventions with regard to legal reform, in line with international human rights standards and best practices.“ (OHCHR, Mapping the Justice Sector, Foreword, S. V.)

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Sie wurden von externen Beratern im Auftrag des OHCHR verfasst, wobei drei mit dem ICTJ assoziiert waren (Prosecution Initiatives  – Seils / Wierda; Truth commissions  – Hayner; Vetting  – Mayer-Rieckh). Interessant sind v. a. die Publikationen „Prosecution initiatives“, „Vett­ ing“ und „Truth commissions“. In der Publikation zur Strafverfolgung werden deutlich politische und rechtliche Erwägungen unterschieden (so ist die Publikation in „applicable law, trial management and due process“ und „policy considerations in relation to international justice“ eingeteilt). Die Ausführungen zum anwendbaren Recht sind eher konservativ bezüglich der anwendbaren Rechtsstandards und verweisen auf die Berichte des UN-Generalsekretärs. Bezüglich Amnestien führt die Publikation die Haltung im Bericht des UN-GS fort, stellt die Verbindung zum Völkerstrafrecht her und lässt im Übrigen einen Platz für Amnestien, die nicht Bestrafung im weiteren Sinn ausschließen. Allerdings werden Amnestien nur im Licht des Völkerstrafrechts behandelt.1152 Neben nationalen Initiativen sieht die Publikation vier unterschiedliche Formen der internationalen Intervention (internationale Tribunale, extraterritoriale oder universelle Gerichtsbarkeit, hybride Gerichtshöfe, internationale Assistenz bei rein nationalen Prozessen) vor.1153 Konsultationen mit der einheimischen Bevölkerung für die Wahl der TJ-Maßnahme spielen eine wichtige Rolle.1154 Die Publikation zu Wahrheitskommissionen fasst die Erfahrungen von 30  Wahrheitskommissionen vor dem Hintergrund der Principles of Impunity1155 zusammen.1156 Dabei verweist die Publikation auf das „Recht auf Wahr­ heit“1157 in der Spruchpraxis der Vertragsorgane, der regionalen Menschen1152  „Moreover, amnesties in countries that are States parties to the Rome Statute covering crimes under the jurisdiction of the International Criminal Court may contravene legal obligations under that Statute, and the Prosecutor is under no duty to respect them. There may be less certainty where amnesties are subject to conditions short of full punishment, such as disclosure accompanied by some form of sanction. Such measures may fall to the Prosecutor and Pre-Trial Chamber to evaluate under article 53 of the Rome Statute, pursuant to which he can decide whether an investigation or prosecution would serve the ‚interests of justice‘. As a matter of general principle, however, it is clear that States have a ‚duty to exercise their criminal jurisdiction’ under the Rome Statute and any invocation of the ‚interests of justice‘ as a basis not to proceed will be extremely exceptional.“ (OHCHR, Prosecution initiatives, S. 23.) 1153  Ebd., S. 30. 1154  Ebd., S. 31. 1155  Updated set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, UN Dok. E/CN.4/2005/102/Add.1 (8.  Februar 2005); vgl. hierzu Teil 3, C. II. 2. c). 1156  OHCHR, Truth commissions, S. 1. 1157  Vgl. hierzu Teil 3, C. II. 2.



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rechtsgerichtshöfe und internationaler und nationaler Tribunale.1158 Daneben wird auch eine „comprehensive transitional justice perspective“1159 vertreten und Wahrheitskommissionen als komplementär zur Strafverfolgung ange­ sehen. Für Lustrationen (oder „Vetting“, in der Begrifflichkeit der UN) werden die verschiedenen menschenrechtlichen Problematiken diskutiert, die sich in der Praxis in der Vergangenheit ergeben haben.1160 Es finden sich auch wertvolle Hinweise darauf, wie der Austausch im internationalen Netzwerk zwischen UN, internationalen und nationalen NGOs und Experten vonstatten geht.1161 2008 folgte die zweite Reihe mit Publikationen zu „Maximizing the Legacy of Hybrid Courts“ sowie „Reparations Programmes“. Beide Publikationen wurden von Beratern geschrieben, die mit dem ICTJ assoziiert sind (Wierda und de Greiff). In der Publikation zu Reparationsprogrammen wird festgestellt, dass „das Recht auf Entschädigung“ zwei völkerrechtliche Dimensionen habe: 1158  Ebd.

1159  „Truth commissions are only one part of a comprehensive transitional justice strategy, and should be considered together with possible initiatives towards prosecutions, reparations, vetting and other accountability or reform programmes. The relationship between these various initiatives must also be given consideration.“ (Ebd., S. 2, 27.) 1160  OHCHR, Vetting, S.  1 ff. 1161  „If a United Nations mission with a human rights component is present in the country and/or the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights (OHCHR) is represented there, it may be able to offer the commission specific areas of expertise, through training and through access to materials that set out international best practice for truth commissions, as well as background on international human rights and humanitarian law that may be relevant to the investigations. The United Nations human rights component or the local OHCHR office may also facilitate the provision of international expertise that it can access from other countries, including providing consultations or training with persons who have worked directly for truth commissions elsewhere. This is often done in conjunction with international NGOs.“ (OHCHR: Truth commissions, S. 34.) Und „Their [international NGOs, Anm. d. Verf.] contributions may include: Providing comparative information on how other truth commissions have operated, how they have been structured and how they have tackled specific areas of their work (statement-taking, databases, hearings, legal challenges, due process, naming names, budgeting and workplan, etc.) […]; bringing in experts from past truth commissions to offer a perspective on lessons learned on operational and policy issues; legal analysis and advice pertaining to difficult operational or policy issues in carrying out the commission’s work […]; international advocacy and monitoring organizations sometimes produce important reports during the commission’s work that assess its accomplishments and/or critique any policy issues that may challenge international standards, especially with regard to due process or decisions that may affect criminal justice at a later date.“ (Ebd., S. 35 f.)

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

eine substantielle1162 und eine prozedurale1163. Die prozedurale Pflicht werde durch den Justizgewährungsanspruch umgesetzt. Dabei stellt die Publikation fest, dass Mitgliedstaaten eine moralische und politische Pflicht hätten, „comprehensive remedial measures and […] elaborate programmes offering reparation to broader categories of victims affected by the violations“1164 aufzulegen. Die Publikation trennt dabei das Recht auf Entschädigung (individuell-rechtlich) von der Pflicht zur Entschädigung (programmatisch und korrespondierende Pflicht zum Opferrecht, mit staatlichem Ermessensspielraum). Damit unterscheidet OHCHR erstmals deutlich zwei Kategorien von Entschädigungen, die bis zu diesem Zeitpunkt in der Diskussion in der Regel vermischt waren: das Recht des Opfers einer Menschenrechtsverletzung auf Entschädigung aufgrund der Menschenrechtsverletzung und breiter angelegte staatliche Entschädigungsprogramme. Dabei verweist die Publikation auf die Basic Principles and Guide­ lines1165, die als „source of inspiration, as an incentive, and as a tool for victim-oriented policies and practices“1166 dienen könnten, sowie Art. 75 (Reparations to Victims) und Art. 79 (Trust Fund) des IStGH-Statuts. Diese werden als Beweis dafür angesehen, dass das Recht auf Entschädigung nun integraler Bestandteil des internationalen Strafrechts sei, obwohl im Einzelnen noch vieles ungeklärt wäre.1167 Dabei steht die gesamte Publikation unter dem Transitionsgesichtspunkt – sie ist von den vom Autor identifizierten „limitations“ und „challenges“ des TJ-Kontextes aus geschrieben.1168 In der Publikation „Maximizing the Legacy of Hybrid Courts“ wird festgestellt, dass hybride Gerichtshöfe kein „quick fix in tackling the immense challenges of building or restoring justice systems in the post-conflict context“ darstellen würden.1169 Hybride Gerichtshöfe erfreuten sich seit kurzem einiger Beliebtheit und würden eine der wichtigsten Policy-Entwicklungen 1162  „(a) a substantive dimension to be translated into the duty to provide redress for harm suffered in the form of restitution, compensation, rehabilitation, satisfaction and, as the case may be, guarantees of non-repetition.“ (OHCHR, Reparations, S. 6.) 1163  „(b) a procedural dimension as instrumental in securing this substantive redress.“ (OHCHR, Reparations, S. 6.) 1164  Ebd., S. 48. 1165  Vgl. hierzu Teil 3, C. II. 2. b). 1166  Ebd., S.  6 f. 1167  Ebd., S. 8. 1168  „Before examining in detail some of the concrete challenges that reparations efforts usually face, it is important to pay attention to some general characteristics of the contexts in which they typically take place and to their possibilities and limitations.“ (OHCHR, Reparations, S. 9.) 1169  OHCHR, Hybrid Courts, S. 2.



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in TJ darstellen, die unter ganz unterschiedlichen Umständen und für verschiedene Bedürfnisse geeignet seien.1170 2009 schlossen die Publikation „Amnesties“ und „National Consultations on Transitional Justice“ die Reihe ab. Die Publikation zu Amnestien stammt von Orentlicher und hält fest: „Amnesties are now regulated by a substantial body of international law that sets limits on their permissible scope. Most importantly, amnesties that prevent the prosecution of individuals who may be legally responsible for war crimes, genocide, crimes against humanity and other gross violations of human rights are inconsistent with States’ obligations under various sources of international law as well as with United Nations policy. In addition, amnesties may not restrict the right of victims of violations of human rights or of war crimes to an effective remedy and reparations; nor may they impede either victims’ or societies’ right to know the truth about such violations.“1171

In der Publikation wird festgestellt, dass rechtlichen Prinzipien hinsichtlich Amnestien sowohl das Ermessen der Mitgliedstaaten einschränkten als auch wichtige Policy-Implikationen für die Vereinten Nationen hätten.1172 Selbst wenn – so die Publikation ‒ Strafverfolgungen unmittelbar nach dem Konflikt nicht möglich seien, sollte die UN darauf drängen, dass diese nicht vollständig ausgeschlossen werden würden.1173 Die Publikation spricht sich auch explizit gegen die Dichotomie „Gerechtigkeit vs. Frieden“ aus.1174 Die Publikation identifiziert die Hauptprinzipien des Völkerrechts1175, die Policy-Haltung der UN sowie die Richtlinien für UN-Personal1176, die sich 1170  Ebd.,

S. 3. Amnesties, S. V. 1172  „Long subject to the broad discretion of States, amnesties are now regulated by a substantial body of international law.“ (Ebd., S. 1.) 1173  Ebd., S. 3. 1174  Ebd., S. V. 1175  „Under various sources of international law and under United Nations policy, amnesties are impermissible if they: (a) Prevent prosecution of individuals who may be criminally responsible for war crimes, genocide, crimes against humanity or gross violations of human rights, including gender-specific violations; (b) Interfere with victims’ right to an effective remedy, including reparation; or (c) Restrict victims’ and societies’ right to know the truth about violations of human rights and humanitarian law.“ (Ebd., S. 11.) 1176  „United Nations officials, including peace negotiators and field office staff, must never encourage or condone amnesties that prevent prosecution of those responsible for serious crimes under international law, such as war crimes, genocide and crimes against humanity, or gross violations of human rights, such as extrajudicial, summary or arbitrary executions; torture and similar cruel, inhuman or degrad­ ing treatment; slavery; and enforced disappearance, including gender-specific in­ stances of these offences, or that impair victims’ right to a remedy, including reparation, or victims’ or societies’ right to the truth.“ (Ebd., S. 27.) 1171  OHCHR,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

mit Amnestiegesetzgebung konfrontiert sehen: Dies ist – vor dem Hintergrund der unter C dargestellten Rechtsprechung der verschiedenen Menschenrechtsorgane sowie der unterschiedlichen Literaturmeinungen – eher als progressive Stellungnahme einzuordnen. Die Amnestien sind laut dieser Publikation nicht generell unzulässig.1177 Die Publikation verweist hierbei auf den Bericht des UN-Generalsekretärs aus dem Jahr 2004. 2009 wurde die Publikation zu „National consultations“ fertiggestellt. Es gab daneben auch verschiedene Expertenkonsultationen durch OHCHR, z. B. das Expertenseminar „Developments and Future Directions of Transi­ tional Justice“ (27.‒28. Mai 2009). Daneben arbeitete OHCHR aber auch analytisch-dogmatisch an der TJFragestellung und fertigte zwei Studien an: „Study on Human Rights and Transitional Justice Activities“1178 sowie „Analytical Study on Human Rights and Transitional Justice“1179. Mit der Resolution 2005 / 70 (20.  April 2005) hatte die UN-Menschenrechtskommission OHCHR aufgefordert, eine Studie zu TJ-Aktivitäten des UN-Systems anzufertigen und hierzu das UN-System, die Zivilgesellschaft und andere Stakeholder zu konsultieren. Das Büro fertigte diese Studie über die verschiedenen Aktivitäten im HQ und im „Feld“ mit Lessons learn­ed und Best Practices an.1180 Im „Feld“, so die Studie, sei die UN-Expertise zu TJ v. a. in OHCHR-Feldbüros und in Menschenrechts­ aber auch Rule of Law-Komponenten von UN-Friedensmissionen zu finden.1181 Die Studie unterstrich die Notwendigkeit eines kohärenten, konsistenten, effektiven und koordinierten Ansatzes im Bereich TJ, da eine Vielzahl von UN-Akteuren und anderen Akteuren auf diesem Gebiet tätig seien.1182 Die Studie führte auch aus, dass OHCHR mehrere Kooperationen und Partner1177  „When States adopt amnesties that exclude war crimes, genocide, crimes against humanity and other violations of human rights, they must take care to en­sure that the amnesties do not restrict or imperil the enjoyment of human rights, includ­ ing those that are ostensibly restored.“ (Ebd., S. 24.) 1178  Study by the Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights on human rights and transitional justice activities undertaken by the human rights components of the United Nations system, UN Dok. E/CN.4/2006/93 (7. Feb­ ruar 2006); im Folgenden: Study on human rights and TJ activities. 1179  Analytical Study on Human Rights and Transitional Justice (UN Dok. A/HRC/12/18 (6. August 2008)). 1180  Study of human rights and TJ activities, S. 2. 1181  Ebd. 1182  Ebd., S. 5.



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schaften mit externen Akteuren auf dem Gebiet der Entwicklung von TJPolicy hätte, darunter v. a. dem ICTJ.1183 Die Studie stellte fest, dass die TJ-Aktivitäten der UN-Feldpräsenzen in den letzten Jahren sehr umfangreich geworden wären. Dazu zählen insbesondere Aktivitäten wie technische Expertise, Politikberatung, Trainingsmaßnahmen mit nationalem Justizpersonal und NGOs. Auch habe OHCHR Regierungen und Zivilgesellschaften beim Entwurf und der Implementierung konsultativer Prozesse und Outreach-Programmen unterstützt.1184 Feldbüros und Menschenrechtskomponenten von Friedensmissionen würden in zunehmendem Maße Hilfestellungen im Bereich TJ anfordern.1185 Die zweite Studie „Analytical study on human rights and transitional justice“ basierte auf der Resolution 9 / 10 des UN-Menschenrechtsrates1186. Diese Studie führte eine Analyse der Aktivitäten des OHCHR (sowie Peacekeeping- und Politischen Missionen der UN) seit 2006 in über 20 Ländern weltweit durch. Dabei wurden insbesondere auch Aktivitäten des Büros im Bereich der Friedensverhandlungen, Design und Implementierung von TJProzessen und Mechanismen, z. B. Wahrheitskommissionen und anderen Fact Finding-Prozessen, Strafverfolgungsinitiativen, Reparationsprogrammen und institutionelle Reformen sowie konzeptioneller und politischer Beratung untersucht. Ziel der TJ-Interventionen sei die Herstellung von „justice, peace and reconciliation in post-conflict States“.1187 Der Bericht ist unterteilt in die Abschnitte Wahrheitssuche1188, Straf­ verfolgungsinitiativen1189, Entschädigungsprogramme1190, institutionelle Re1183  Ebd., 1184  Ebd.

S. 7.

1185  Hierzu zählten „policy tools, assessment missions, advisory services to transitional Governments and national assemblies, design of legal frameworks, monitor­ ing of judicial accountability mechanisms, lobbying and public awareness-raising, and working with civil society actors to design and implement consultation processes“ (UN Dok. E/CN.4/2006/93 (7.  Februar 2006), § 41). 1186  Durch die Resolution 9/10 hatte der UN-Menschenrechtsrat OHCHR aufgefordert „to submit, in consultation with other parts of the United Nations system, civil society and other stakeholders, an analytical study on human rights and transitional justice which contains an overview of activities undertaken by the United Nations human rights system, including the human rights components of peace missions, an analysis of the work accomplished, a compilation of lessons learned and best practices, an assessment of overall needs, as well as conclusions and recommendations, with a view to assisting countries in the context of transitional justice, as well as an inventory of human rights and transitional justice aspects in recent peace agreements.“ 1187  Analytical study, UN Dok. A/HRC/12/18 (6. August 2009), S. 2. 1188  Hier zitiert der Bericht das „Recht auf die Wahrheit“ von Privatpersonen auf der Basis von zahlreichen Menschenrechtsverträgen, Entscheidungen regionaler Ge-

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

358

formen 1191 und nationale Konsultationen und geht auf die unterschiedlichen Aktivitäten auf Länderebene ein, die vom OHCHR unterstützt wurden.1192 Die Auswahl der Instrumente müsste mit internationalen rechtlichen Standards und Verpflichtungen übereinstimmen.1193 11891190

Hervorzuheben sind insbesondere das Kapitel „Lessons learned and best practices“, in dem zur Diskussion „Gerechtigkeit vs. Frieden“ Stellung bezogen wird. In der Vergangenheit, so der Bericht, hätte die Diskussion zwischen zwei Extrempunkten geschwankt: Friedenssicherung durch Kooperation mit Tätern internationaler Verbrechen oder Gerechtigkeit hinsichtrichtshöfe und internationaler Tribunale vgl. UN Dok. E/CN.4/2004/88 (27.  Februar 2004) und E/CN.4/2006/91 (8.  Februar 2006).) und verweist auf Wahrheitskommissionen, Untersuchungskommissionen oder anderen Factfinding-Mechanismen wie in den Principles to combat impunity beschrieben (vgl. UN Dok. E/CN.4/2005/102/ Add.1 (8. Februar 2005), Prinzip 6–13). 1189  „Prosecution initiatives aim to ensure that those responsible for perpetrating serious violations of human rights and international humanitarian law are tried and duly punished. States have primary responsibility to exercise jurisdiction over these crimes […]. Therefore, a sustainable transitional justice strategy seeks to develop national prosecutorial capacities. At the same time, States emerging from years of conflict may be unable or unwilling to conduct effective investigations and prosecutions. In such situations, international and internationalized criminal tribunals may exercise concurrent jurisdiction. Regardless of the form prosecution initiatives take, they must rest on a clear commitment to combating impunity, focus attention on the needs of the victims, and comply with international standards of fair trial.“ (Analytical study, § 19, S. 9.) 1190  „Reparations programmes seek to redress systemic violations of human rights by providing a range of material and symbolic benefits to victims. The General Assembly, in resolution 60/147, has reaffirmed the right of victims to reparations in the Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law. Redress may take a variety of forms, including restitution, compensation, rehabilitation, satisfaction, and guarantees of non-repetition.“ (Ebd., § 28.) 1191  „Public institutions that helped perpetuate conflict must be transformed into institutions that sustain peace, protect human rights, and foster a culture of respect for the Rule of Law. By building fair and efficient public institutions, institutional reform enables post-conflict Governments to prevent the recurrence of human rights violations. Vetting is critical to facilitating this transformation by removing from service those public officials and employees, particularly in the security and justice sectors, personally responsible for gross violations of human rights. The removal of these persons should comply with due process of law and the principle of non-discrimination. Institutional reform should further incorporate comprehensive training programmes for public officials and employees on applicable human rights and international humanitarian law standards (see E/CN.4/2005/102/Add.1, principle 36).“ (Ebd., § 37.) 1192  Ebd., S.  6 ff. 1193  United Nations Approach to Transitional Justice, S. 2.



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lich vergangener Menschenrechtsverletzungen unter der Gefahr der Perpetuierung des Konfliktes. Dieses Spannungsverhältnis habe sich nun langsam aufgelöst. Die UN, so der Bericht, würde anerkennen, dass Gerechtigkeit und Frieden, sich gegenseitig verstärken und stützen würden.1194 Dabei verweist die Studie auf die Haltung der UN hinsichtlich Amnestien1195, beginnend mit Lomé1196, Angola1197, dem Sudan1198 und Uganda1199. Dabei geht der Bericht auf Argumente ein, dass die Strafverfolgung von verdächtigen Täter schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen ein „stumbling block to peace“ sei.1200 Laut dem Bericht spiegelten Friedensabkommen nach 2000 diese Entwicklungen im Völkerrecht und UN-Politik bezüglich Amnestien und dem Herstellung von Verantwortung wider: Blankett-Amnestien seien weniger häufig eingesetzt worden und eine steigende Anzahl von Abkommen enthielten Klauseln bezüglich TJ (z. B. Wahrheitssuche, Strafverfolgungsinitiativen, Entschädigungsprogramme und institutionelle Reform). Die Studie empfahl, dass „Special envoys and special representatives of the Secretary-General mediating peace processes should continue to advocate for the inclusion of commitments to combat impunity and the protection and promotion of human rights in peace agreements. To this effect, United Nations special envoys should inform the parties of their obligations under human rights and international humanitarian law. United Nations mediators thus need to be equipped with relevant human rights expertise during peace negotiations and should call upon such expertise available within the United Nations system. Human rights experts should also be present to participate in peace negotiations.“1201 1194  Analytical

study, UN Dok. A/HRC/12/18 (6. August 2009), § 51. wiederholt die Studie dabei nur die Unzulässigkeit von Amnestien hinsichtlich Kriegsverbrechen, Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen ohne dabei auf die individuellen oder kollektiven Opferrechte einzugehen (vgl. dagegen Definition in der Publikation OHCHR, Amnesties, S. 11). 1196  Vgl. hierzu unter Teil 3, A. III. 1. b) bb). 1197  Der Special Representative of the Secretary-General hatte einen Vorbehalt bezüglich einer Blankettamnestie in dem Memorandum of Understanding 2002 zwischen der angolanischen Armee und der National Union for the Total Independence of Angola (UNITA) zu Protokoll erklärt. 1198  Im Sudan hatte die Regierung der Streichung einer Blankettamnestie aus dem Abkommen 2004 zwischen der Regierung und der Sudan People’s Liberation ­Movement zugestimmt. 1199  Auch die Regierung von Uganda entfernte eine Blankettamnestieklausel aus dem Abkommen zur Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration aus dem Jahr 2008. 1200  Analytical study, UN Dok. A/HRC/12/18 (6. August 2009), § 55. 1201  Ebd., § 58. 1195  Interessanterweise

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Die Studie stellt fest, dass die internationale Gemeinschaft noch einen TJ-Ansatz finden müsse, der umfänglich alle WSK-Rechte adressiere.1202 DDR-Maßnahmen und ihre Verbindungen mit TJ wurden auch besprochen.1203 Unter den zusätzlichen Themen, die weitere Bearbeitung verlangen würden, wurden genannt: Lustrationsprozesse, Zeugen- und Opferschutz sowie traditionelle bzw. lokale Gerechtigkeitsinitiativen.1204 Neben dem Hauptbericht wurde noch eine Liste von Friedensabkommen erstellt, die TJ-Aspekte beinhalteten.1205 Was in dem Bericht fehlte, war eine eine kritische Auseinandersetzung mit dem TJ-Deutungsmuster für das Recht der internationalen Menschenrechte. Dies zeigt wie etabliert der TJ-Diskurs bereits in der Praxis ist. d) UN-Bericht „Uniting our strengths: Enhancing United Nations support for the Rule of Law“1206 Der Bericht bezieht sich auf ein Treffen des UN-Sicherheitsrates vom 6. Oktober 2004, auf dem die Thematik „Justice and the rule of law: the United Nations role“ sowie der Bericht des UN-GS „The rule of law and transitional justice in conflict and post-conflict societies“ (S / 2004 / 616) diskutiert wurden. Der Präsident des Sicherheitsrates schloss das Treffen in dem er auf die Bedeutung und Dringlichkeit der Wiederherstellung von Gerechtigkeit und Rule of Law in Postkonfliktgesellschaften hinwies, nicht nur um vergangenen Menschenrechtsverletzungen zu adressieren, sondern auch im Hinblick auf nationale Versöhnung, Gewaltprävention bzw. die Verhinderung des Wiederaufflammens des Konfliktes.1207 Gleichzeitig wurde der UN-GS ersucht, Vorschläge zur Stärkung der Bemühungen der Vereinten Nationen auf diesem Gebiet zu erarbeiten. 1202  „Transitional justice strives not only to deliver justice to victims of mass atrocities, but also to assist societies devastated by conflict achieve sustainable peace and reconciliation. Peace and reconciliation demand comprehensive societal transformation that must embrace a broad notion of justice, addressing the root causes of conflict and the related violations of all rights.“ (Ebd., § 59.) 1203  Analytical study, UN Dok. A/HRC/12/18 (6. August 2009), §§ 66 ff. 1204  Ebd., § 75. 1205  Inventory of human rights and transitional justice aspects of recent peace agreements, UN Dok. A/HRC/12/18/Add.1 (21.  August 2009): DRK (März 2009), Indonesien (August 2008), Kenia (Februar 2008), Liberia (August 2003), Nepal (November 2006), Philippinen (April 2004), Somalia (Juni 2008), Sudan (Oktober 2006), Togo (Juni 2006), Uganda (Februar 2008). 1206  Uniting our strengths, UN Dok. A/61/636–S/2006/98 (14.  Dezember 2006). 1207  UN-SR, UN Dok. S/PRST/2004/34 (6.  Oktober 2004).



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Am 22. Juni 2006 traf sich der Sicherheitsrat erneut, um die Thematik „Strengthening international law: rule of law and maintenance of international peace and security“ zu diskutieren und es wurden erneut Vorschläge eingefordert.1208 Dies unterstrich, dass die Mitgliedstaaten mittlerweile darin übereinstimmten, in Rule of Law als wichtige Komponente von Friedensmissionen zu sehen. Der UN-Sicherheitsrat integrierte auch in zunehmendem Maße Menschenrechte, Polizeiarbeit und Aufgaben bezüglich gerichtlicher und rechtlicher Systeme und des Gefängniswesens in die Mandate von Friedensmissionen.1209 Der Bericht „Uniting our strenghths: Enhancing UN Support for the Rule of Law“ (vom 16. Dezember 2006) nennt Rule of Law gleichberechtigt als Begriff neben TJ.1210 Der Bericht hebt darüber hinaus einen Mangel an Expertise innerhalb der Vereinten Nationen im Themenbereich TJ hervor, der dazu geführt hätte, dass externe Berater zu Rate gezogen worden wären.1211 Der Bericht endet mit der Vorstellung von drei Clustern von Rule of Law (auf internationaler Ebene; im Kontext von Postkonfliktgesellschaften und im Kontext von Entwicklung) und jeweils die Bestimmung der zuständigen Leitstelle im UN-System.1212 Daneben wurde eine Rule of Law Coordination and Resource Group gegründet, die aus den Schlüsselakteuren des UN-Systems im TJ-Bereich bestand1213. e) Podiumsdiskussion zu „United Nations approach to transitional justice“ Im Bericht des UN-GS „Strengthening and coordinating United Nations Rule of Law activities“ (A / 63 / 226) wurde die Rule of Law Coordination and Resource Group and the Rule of Law Unit aufgefordert, den Dialog zwischen den Mitgliedstaat über die Förderung von Rule of Law auf internationaler Ebene zu initiieren1214. 1208  Uniting 1209  Ebd., 1210  Ebd.

our strengths, UN Dok. A/61/636–S/2006/98 (14. Dezember 2006), § 5. § 7.

1211  „The paucity of expertise at Headquarters and in the field and our present limited capacity to retain meaningful institutional memory has led many United Nations actors to turn to non-United Nations actors to fill the gaps. This external expertise is invaluable because such partnerships can only enhance and enrich our work.“ (Ebd., § 21.) 1212  Ebd., § 38. 1213  Office of Legal Affairs, Department of Peacekeeping Operations, OHCHR, UNODC, UNDP, UNWOMEN und UNHCR (ebd., § 48). 1214  Die erste Expertendiskussion zum Thema „Rule of Law“ at the International Level im UN-Sekretariat fand am 15. Juni 2009 statt.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Bei dieser Diskussion wurden folgende Fragen diskutiert: „1. What are the lessons learned and good practices from recent UN-supported transitional justice initiatives? 2. What should be the key guiding principles for a UN approach to transitional justice? 3.  What progress has been made on incorporating women’s and children’s rights considerations in TJ mechanisms? 4.  What can be done to strengthen the central place of victims in the design and implementation of TJ mechanisms? 5. What lessons have emerged from recent truth-seeking experiences about addressing the root causes of conflict or repressive rule and the related violations of human rights? 6. How can the UN enhance attention to the legacy of international and hybrid justice mechanisms and developing national capacity for prosecutions? 7. How can transitional justice considerations be taken into account in peace processes? 8. How should transitional justice better link with other critical processes, for instance DDR, in a post-conflict environment? 9. What steps can be taken to improve UN policy, capacities and support to the field? 10.  What steps can be taken to enhance UN cooperation with international actors, regional organizations and other expert networks?“1215

Hintergrund für die Expertendiskussion war eine breite Konsultation zur Vorbereitung der Richtlinien des UN-Generalsekretärs zum Ansatz der UN hinsichtlich von TJ. Die intervenierenden Experten waren Alex Boraine, Fausto Pocar (Richter am ICTY) und Diane Orentlicher. Die Hochkommissarin für Menschenrechte eröffnete die Diskussion mit einer Rede über die Prinzipien, die die Arbeit der UN bei der Implementierung von TJ-Aktivitäten leiten würden. Dann führte sie aus, dass „transi­ tional justice has become a prominent and well-established feature of human rights law and practice.“1216 Sie betonte, dass es sich bei TJ nicht um ein Konzept von Gerechtigkeit handele wie distributive oder retributive Gerechtigkeit  −, sondern vielmehr um einen „technical approach to exceptional challenges, such as dealing with massive human rights abuses committed in the course of armed conflict or by repressive regimes, in circumstances of scarce resources, urgently competing demands and frequent institutional breakdown.“1217 1215  UN Approach to Transitional Justice (Ansprache durch Navanethem Pillay, High Commissioner for Human Rights), 2. Dezember 2009, S. 2. 1216  Ebd. 1217  Ebd., S. 2 f. [Hervorh. durch d. Verf.].



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Sie hob aber auch hervor, dass „It is vitally important that we recognise the exceptional nature and limited duration of transitional justice processes. States that are not facing the genuine challenges of transitional justice circumstances must not be allowed to evade their obligations under international law by expanding the field to dilute or avoid the implementation of real human rights protection to victims of violations.“1218

Dies stellt erstmals eine äußerst kritische und warnende Stellungnahme der UN bezüglich TJ dar. Sie hob hervor, dass Verantwortlichkeit wichtig sei, um die Gewaltspirale zu unterbinden. Daher müssten Mediatoren die Berücksichtigung von Straflosigkeit und die Achtung von Menschenrechten in Friedensabkommen fördern. Sie hebt ebenfalls hervor, dass jede Wahl von TJ-Instrumenten mit internationalen rechtlichen Standards und Verpflichtungen vereinbar sein müsse. Ein Menschenrechtsansatz sei vital, um einen dauerhaften Frieden zu gewährleisten.1219 Richter Pocar definierte TJ als Feld als „concept which encompasses several aspirations, including non-judicial ones like stability and reconciliation.“1220. Internationale Strafgerechtigkeit – wobei er ganz dem TJ-Diskurs folgend dies „retributive“ Gerechtigkeit nennt – könne, so Pocar, nur einen begrenzten Beitrag vor dem Hintergrund der Vielzahl von Zielen von TJ leisten, so z. B. bezüglich der Geschichtsschreibung, der Analyse der Konfliktursachen, der Reparationen und kollektiven Erinnerung. Er betonte die Bedeutung von internationalisierter Gerichtsbarkeit und der nationalen Strafverfolgung. Er ordnet die Arbeit der Gerichtshöfe auch in den „Kampf gegen die Straflosigkeit“ ein.1221 Boraine sprach über die fundamentale Beziehung von Frieden und Gerechtigkeit in Postkonfliktländern und über das kritische Thema der zeit­ lichen Abfolge von Instrumenten – wobei Gerechtigkeit immer das übergeordnete Ziel bleibe. Versöhnung nach einem Konflikt, Sicherstellung des politischen Willens und Local Ownership seien Schlüsselkomponenten eines effektiven TJ-Prozesses.1222 Orentlicher sprach über die zentrale Rolle von Opfern in TJ Prozessen. Sie warnte davor TJ als Lösung für alle Herausforderungen und Bedürfnisse in Postkonfliktgesellschaften heranzuziehen.1223 1218  Ebd.,

S. 3. S. 12. 1220  Pocar, Statement, S. 2. 1221  Ebd., S. 6. 1222  UN Rule of Law, Experts discuss the UN approach to transitional justice, Website. 1223  Ebd. 1219  Ebd.,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Nach den Interventionen diskutierten die Delegierten von Mitgliedstaaten und NGOs sowie UN-Bedienstete über Themen wie die zeitliche Abfolge von Instrumenten, die Bedeutung von Verfassungsprozessen in PostkonfliktPeacebuilding und institutionelle Reformen für die öffentliche Verwaltung von Postkonfliktgesellschaften.1224 f) Richtlinien des UN-Generalsekretärs (UN-Ansatz für Transitional Justice) 2010 ergingen schließlich dann Richtlinien des UN-Generalsekretärs zum TJ-Ansatz der Vereinten Nationen.1225 Die Richtlinien definieren TJ als „the full range of processes and mechanisms associated with a society’s attempt to come to terms with a legacy of large-scale past abuses, in order to ensure accountability, serve justice and achieve reconciliation.“1226

Damit wurde die Definition des GS von 2004 wiederholt. Die TJ-Richtlinien1227 beschreiben den Rahmen für die Aktivitäten der Vereinten Nationen in diesem Bereich, d. h. Beratung in Friedensverhandlungen, technische Hilfe beim Entwurf und der Implementierung von TJProgrammen, Entwurf von Entwicklungsprogrammen auf Regional- und Länderebene, sowie die einzelnen friedensschaffenden und -erhaltenden Einsätze, konzeptionnelle und Policy-Expertise. In der Regel seien TJMaßnahmen in Rule of Law-Aktivitäten der Vereinten Nationen in friedensschaffenden oder -erhaltenden Einsätzen eingebettet.1228 1224  Ebd.

1225  United

Nations Approach to Transitional Justice. S. 2. 1227  Diese Richtlinien lauten im Einzelnen: „1. Support and actively encourage compliance with international norms and standards when designing and implementing transitional justice processes and mechanisms; 2. Take account of the political context when designing and implementing transitional justice processes and mechanisms; 3. Base assistance for transitional justice on the unique country context and strengthen national capacity to carry out community-wide transitional justice processes; 4. Strive to ensure women’s rights; 5. Support a child-sensitive approach; 6. Ensure the centrality of victims in the design and implementation of transitional justice processes and mechanisms; 7. Coordinate transitional justice programmes with the broader rule of law initiatives; 8. Encourage a comprehensive approach integrating an appropriate combination of transitional justice processes and mechanisms; 9. Strive to ensure transitional justice processes and mechanisms take account of the root causes of conflict and repressive rule, and address violations of all rights; 10. Engage in effective coordination and partnerships.“ (Ebd., S. 2.) 1228  Ebd., S. 6. 1226  Ebd.,



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Als Komponenten werden unterschieden: „both judicial and non-judicial processes and mechanisms, including prosecution initiatives, facilitating initiatives in respect of the right to truth, delivering reparations, institutional reform and national consultations.“1229

Vergleicht man dies mit den vorherigen Definitionen des UN-GS und des OHCHR, so fällt sowohl auf, dass das „Recht auf Wahrheit“ an prominenter Stelle hervorgehoben wird (und die „Wahrheitssuche“ ersetzt) als auch, dass Vetting nun nicht mehr an erster Stelle neben den anderen TJ-Instrumenten genannt wird. Die Richtlinien erwähnen das Recht auf Gerechtigkeit1230, das Recht auf Wahrheit1231, das Recht auf Entschädigung1232 sowie die Garantien des Nichtwiederholung von Menschenrechtsverletzungen (Verpflichtung zur Prävention)1233. „To comply with these international legal obligations, transitional justice processes should seek to ensure that States undertake investigations and prosecutions of gross violations of human rights and serious violations of international humanitarian law, including sexual violence. Moreover, they should ensure the right of victims to reparations, the right of victims and societies to know the truth about violations, and guarantees of non-recurrence of violations, in accordance with international law.“1234

Damit haben die Opferrechte eine feste Verankerung im TJ-Diskurs gefunden. Die Richtlinien stellen fest, dass TJ-Prozesse und Mechanismen niemals in einem politischen Vakuum stattfänden und wiederholten das Bekenntnis, dass die UN unter allen Umständen Verantwortung, Gerechtigkeit und Versöhnung anstrebe.1235 „The UN must ensure that transitional justice programmes, by definition exceptional and of limited duration, are coordinated and positively reinforce the broader justice and security reform initiatives so as to strengthen the entire Rule of Law architecture of the country and, if applicable, the overarching peacebuilding framework.“1236 1229  Ebd.,

S. 2. Verweis auf: Art. 2 IPbpR; Art. 4, 5, 7, 12 CAT; Art. 3, 6, 7 und 11 CPEP; vgl. Prinzip 19 Updated Set of Principles to Combat Impunity. 1231  Mit Verweis auf: Art. 2 IPbpR; Art. 24 CPED; vgl. auch Prinzipien 2–5 Updated Set of Principles to Combat Impunity. 1232  Art. 8 AEMR; Art. 2 IPbpR; Art. 6 CEDAW; Art. 6 CAT; Art. 24 CPED; Art. 39 CRC. 1233  Art. 2 IPbpR; Art. 2 CAT; Art. 23 CPED. 1234  United Nations Approach to Transitional Justice, S. 2. 1235  Ebd. 1236  Ebd., S. 6. 1230  Mit

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Wichtig ist hierbei die Anerkennung einer Exzeptionalität, wobei aus dem Dokument klar wird, dass es sich nicht um die Anerkennung der Exzeptionalität des Transitionskontextes, sondern der TJ-Maßnahmen als solche handelt.1237 Für die zukünftige Weiterentwicklung des Ansatzes wurden drei Gebiete identifiziert: Einbeziehung der Konfliktursachen sowie repressiver Regierungssysteme; Berücksichtigung von Menschenrechten und TJ-Gesichtspunkten in Friedensprozessen; Koordinierung von DDR und TJ-Aktivitäten, um Komplementarität zu erreichen.1238 Der Bericht entscheidet damit endgültig die Diskussion um „Frieden vs. Gerechtigkeit“ für die UN, verbindet den völkerstrafrechtlichen und menschenrechtlichen Diskurs, bringt Versöhnung als wichtiges Ziel hierzu in Verbindung und erkennt die Exzeptionalität – der Maßnahmen – an. g) Peacekeeping / -building-Missionen In dem hier vorliegenden Zeitraum engagieren sich die Peacekeeping / -building-Missionen mehr und mehr hinsichtlich einzelner TJ-Instrumente, v. a. in Lustration-Prozessen von Polizei und Militär. Daneben haben die Missionen in der DRK, im Sudan und in der Elfenbeinküste nationale Behörden bei der Untersuchung von Vorwürfen von schweren Menschenrechtsverletzungen unterstützt. Das Engagement der Mission bezüglich der Herstellung individueller Verantwortung variierte dabei von Einzelfall zu Einzelfall: Während in Haiti1239 und in der Elfenbeinküste1240 keine direkten Bemühungen für Strafverfolgungen von Verdächtigen durch die 1237  Vgl. auch: „Transitional Justice measures usually take place in situations where national and international efforts are targeted at enhancing the rule of law generally.“ (Ebd., S. 6.) 1238  Ebd., S. 4. 1239  Mit der UN-Sicherheitsratsresolution 1542 (2004) wurde MINUSTAH ebenfalls aufgefordert, die nationale Regierung und die nationale Menschenrechtsinstitutionen in ihren Versuchen zu unterstützen, Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen herzustellen und Entschädigungen für Opfer zu leisten, da das nationale Gerichtssystem hochgradig dysfunktional war (Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 81). MINUSTAH sollte die nationalen Autoritäten ebenfalls im Vetting der Polizeikräfte unterstützen (ebd., S. 83). 1240  Für die Elfenbeinküste ersuchte der UN-Sicherheitsrat UNOCI, Menschenrechtsverletzungen zu beobachten und die nationalen Behörden bei den Ermittlungen zu unterstützen, um die Straflosigkeit zu beenden (UN-SR Resolution, UN Dok. S/RES/1739 (2007) (10.  Januar 2007)). Allerdings wurden weiterhin schwere Menschenrechtsverletzungen begangen und es gab keine nennenswerten Versuche, weder auf nationaler noch auf internationaler Ende, die Verdächtigen strafzuverfolgen (Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 83).



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Missionen ergriffen wurden, fruchteten die Bemühungen der Missionen im Sudan nur teilweise1241 und in der Demokratischen Republik Kongo trotz vielfältiger Bemühungen nicht1242. In Bosnien-Herzegowina1243, Kosovo1244, Timor-Leste1245, Sierra Leone1246 und Liberia1247 trugen die Missionen da1241  Für den Sudan ersuchte der UN-Sicherheitsrat UNMIS, die Parteien des Friedensvertrages durch eine umfangreiche Bekämpfung der Straflosigkeit zu unterstützen. Ein Menschenrechtsbüro wurde eingerichtet, das u. a. Menschenrechtsverletzungen in Darfur untersuchte und dokumentierte. Darüber hinaus konnten jedoch keine weiteren Fortschritte bezüglich der Herstellung individueller Verantwortung erzielt werden (ebd., S. 80, 83). 1242  In der DRK hatte der UN-Sicherheitsrat MONUC damit beauftragt, Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und für die Strafverfolgung der Täter mit anderen UN-Stellen zusammenzuarbeiten. MONUC richtete eine Menschenrechtsabteilung ein, die für Monitoring und die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen zuständig war. Daneben gab es eine Special Investigation Unit, die bei schweren Menschenrechtsverletzungen tätig wurde, und eine Justice Support Unit, die einige symbolische Fälle von massiven Menschenrechtsverletzungen untersuchte und die Einrichtung von Sondergerichten sowie die Wahrheits- und Versöhnungskommission unterstützte. Trotz Bemühungen seitens der Mission, kam es unvermindert zu Menschenrechtsverletzungen und nur zu einigen wenigen Strafverfolgungen (ebd., S. 80, 82). 1243  In Bosnien-Herzegowina half UNMIBH, das Vetting-Programm, das u.  a. wegen mangelnder Fairness kritisiert wurde, durchzuführen und unterstützte das ICTY bis zum Ende des UNMIBH-Mandates (ebd., S. 79). Die Resolutionen des Sicherheitsrates (UN-SR, UN Dok. S/RES/1503 (28. August 2003) und UN-SR, UN Dok. S/RES/1534 (26.  März 2004)) forderte die nationalen Gerichte dazu auf, den ICTY in seiner Aufgabe zu unterstützen und ihm bei der Completion-Strategie zur Seite zu stehen, damit alle erstinstanzlichen Verfahren vor Dezember 2008 abgeschlossen werden konnten. Bosnien erhielt ca. 15,7 Mio. Euro von Geberländern, um die Kammer für Kriegsverbrechen im Staatsgericht von Bosnien-Herzegowina einzurichten. Diese nahm die Arbeit im März 2005 auf. Hierdurch sollte das ICTY entlastet werden und seine Konzentration auf hochrangige Kriegsverbrecher ermöglicht werden. Zu Beginn waren zwei internationale Richter (neben einem nationalen Richter) sowie internationales Personal für diese Kammer vorgesehen. Dieses Modell stellte eine Weiterentwicklung der internationalisierten Strafgerichtshöfe dar, da die Kammer vollständig ins nationale bosnische Rechtssystem integriert worden war. Das ICTY transferierte bis zum 31. Dezember 2006 insgesamt 9 Anklagen an diese Kammer. 1244  Im Kosovo assistierte UNMIK weiterhin der Anklagebehörde des ICTY trotz teilweise erheblicher Dissonanzen (2006 Verfahren gegen den ehemaligen Präsidenten des Kosovos; vgl. hierzu Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 81–86). 1245  In Timor-Leste war UNTAET weiterhin damit beschäftigt, strafrechtliche Verantwortung herzustellen. Die Serious Crimes Unit (SCU) setzte ihre Ermittlungen fort und die Special Panels begannen mit den Anhörungen. Nachdem UNMISET UNTAET ersetzt hatte, wurde die Ermittlungstätigkeit den nationalen Behörden übergeben, obwohl viele der Bediensteten und ein Großteil der Finanzierung noch international blieb. Die Arbeit der SCU wurde im Mai 2005 dann durch die UN

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

gegen dazu bei, individuelle strafrechtliche Verantwortung herzustellen, so z. B. durch die Überstellung von Charles Taylor an den SCSL1248. Die Friedensmissionen in Sierra Leone und Timor-Leste haben auch die Einrichtung und die Arbeit von sog. hybriden Strafgerichtshöfen und Wahrheitskommissionen unterstützt.1249 12461247

beendet, obwohl eine beachtliche Anzahl von Untersuchungen noch nicht abgeschlossen waren. Nachdem das Mandat von UNMISET zu Ende ging, wurden auch die Special Panels beendet. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission veröffentlichte ihren Bericht erst nach dem Mandatsende von UNMISET, dessen Empfehlungen zum großen Teil von der Regierung ignoriert wurden (Reiger/Wierda, The ­Serious Crimes Process in Timor-Leste, S. 15 ff.). 1246  In Sierra Leone war UNAMSIL relativ erfolgreich mit der Unterstützung des SCSL und der Wahrheitskommission. So half UNAMSIL bei der Errichtung des SCSL und autorisierte die Strafverfahren gegen die Angeklagten. Die Mission stellte auch die Sicherheit während den Gerichtsverfahren her und unterstützte die Arbeit des Gerichtshofes durch Awareness-Programme. Daneben half UNAMSIL der Regierung bei der Einrichtung der TRC und unterstützte die Kommission z. B. mit logistischen Hilfeleistungen. Viele der Empfehlungen der Wahrheitskommissionen wurden jedoch nur zögernd umgesetzt. Das nationale Justizsystem hat weitgehend darin versagt, Täter von niederem oder mittlerem Rang zur Verantwortung zu ziehen (Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 79, 82). 1247  UNMIL unterstützte die Errichtung der liberischen Wahrheits- und Versöhnungskommission, die schwere Menschenrechtsverletzungen während des Konfliktes zwischen Januar 1979 und Oktober 2003 untersuchen sollte, wobei insbesondere die Thematiken „Kindersoldaten“ und „sexualisierte Gewalt“ im Fokus waren (DPKO Liberia–UNMIL Website). Die Kommission konnte eine Amnestie empfehlen, wenn es nicht um schwere Verletzungen von humanitärem Völkerrecht und schweren Menschenrechtsverletzungen ging. Die Kommission wurde im Juni 2005 eingesetzt und die Kommissare u. a. mit Unterstützung von UNMIL ausgewählt. OHCHR und UNDP arbeiteten daneben an einem Conflict Mapping-Projekt, durch das über 13.000 Zeugenaussagen zusammengetragen wurden, die der Kommission im Februar 2006 übergeben wurden. Daneben führte UNMIL Trainingsmaßnahmen im Bereich Untersuchungen, Fall-Management und zum materiellen Recht durch. Die Kommission veröffentlichte ihren vorläufigen Bericht im Januar 2009 und ihren endgültigen Bericht im Juni 2009. Daneben unterstützte UNMIL auch die Einrichtung der unabhängigen nationalen Menschenrechtskommission, deren Mandat u. a. die Umsetzung der Empfehlungen der TRC umfasste. Die Herstellung von strafrechtlicher Verantwortung war dagegen nicht im Mandat von UNMIL enthalten (Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 80, 83). 1248  Der UN-Sicherheitsrat hatte UNMIL dazu aufgefordert, den früheren liberischen Präsidenten Charles Taylor festzunehmen und ihn dem SCSL zu überstellen, sollte er aus seinem Exil in Nigeria nach Liberia zurückkehren (UN-SR, UN Dok. S/RES/1638 (11.  November 2005)). 1249  Vgl. hierzu Teil 3, A. III. 1. a) bb).



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h) Institutionalisierung des TJ-Diskurses in den Vereinten Nationen Am 21. Dezember 2010 rief die UN-GV den 24. März zum Gedenktag für das „Recht auf Wahrheit“ bezüglich schweren Menschenrechtsverletzungen und der Würde der Opfer aus. An diesem Tag soll u. a. den Opfern schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen gedacht werden und die Bedeutung des „Rechtes auf Gerechtigkeit und Wahrheit“ betont werden. Daneben wird dem Tod des Erzbischofs Romero (El Salvador) gedacht, der am 24. März 1980 aufgrund seines Einsatzes im Kampf gegen die Straflosigkeit ermordert wurde.1250 Am 29. September 2011 beschloss der UN-Menschenrechtsrat die Einrichtung eines „Sonderberichterstatters zur Förderung der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Entschädigung und der Garantien der Nichtwiederholung“ für drei Jahre. Die Wahl fiel auf Pablo de Greiff, dem Leiter der Forschungsabteilung des ICTJ. Das Mandat und die Arbeit sollte dazu beitragen, dass „[to] ensure accountability, serve justice, provide remedies to victims, promote healing and reconciliation, establish independent oversight of the security system and restore confidence in the institutions of the State and promote the Rule of Law in accordance with international human rights law.“1251

Mit dieser Nominierung ist die institutionelle und personelle Verbindung der UN mit diesem wichtigen Akteur auf dem TJ-Praxisgebiet deutlich zutage getreten. i) Zusammenfassung Es lässt sich sagen, dass sich in dieser Phase die Rolle von Friedensmissionen hinsichtlich TJ-Aktivitäten stark ausgeweitet hat.1252 Dabei waren die Bemühungen der Friedensmissionen jedoch unterschiedlich erfolgreich. Insbesondere die Versuche, individuelle Verantwortung durch das nationale Gerichtssystem herzustellen, glückten weniger, so z. B. im Kosovo, DRK und im Sudan, wobei die Bemühungen mit internationalisierten Tribunalen im Vergleich hierzu eher als gelungen anzusehen sind. Die Unterstützung der Wahrheitskommissionen kann auch als relativ erfolgreich gesehen werden, obwohl in Sierra Leone und Timor-Leste die Missionen das Land 1250  UN, International Day for the Right to the Truth Concerning Gross Human Rights Violations and for the Dignity of Victims, Website. 1251  OHCHR, Special Rapporteur on the promotion of truth, justice, reparation and guarantees of non-recurrence, Website. 1252  Lyck, Peace Operations and International Criminal Justice, S. 79 ff.

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verlassen haben, bevor die Empfehlungen der Wahrheitskommissionen umgesetzt werden konnten.1253 Neben finanziellen, logistischen und personalen Gründen, einer der Mandatsausübung schwierigen bzw. feindlichen Umgebung sowie einer fehlenden Unterstützung durch die lokale Bevölkerung wirkten sich die fehlende Kooperationsbereitschaft seitens nationaler Autoritäten und der defizitären nationalen Gerichtssystemen sowie das Fehlen eines konkreten und kohärenten TJ-Ansatzes auf die TJ-Aktivitäten der Missionen aus (so z. B. für UNAMSIL, UNMIBH und UNMIK). Auch für die DRK, den Sudan und die Elfenbeinküste fehlte ein umfassender TJ-Ansatz.1254 Zwar hatten mit dem Bericht des UN-Generalsekretärs die Bemühungen hin zu einer einheitlichen Haltung der UN durchaus Früchte getragen, aber dies blieb zunächst auf die Policy-Ebene des HQ beschränkt und musste seinen Weg erst in die Missionen und in die Texte der Mandate und Einsatzrichtlinien finden. Als Hauptgrund für das Scheitern von Friedensmissionen im Bereich der Herstellung von individueller Verantwortung wird aber nicht das Fehlen einer einheitlichen Strategie bzw. eines „coherent sustainable inclusive approach“1255, sondern vielmehr das Entsenden der Missionen in Situationen eines noch andauernden Konflikts genannt.

II. Andere zwischenstaatliche internationale Organisationen und ähnliche Akteure Auch andere zwischenstaatliche Organisationen setzten die TJ-Problematik auf die Agenda bzw. wurden durch die Aufnahme neuer Mitglieder, die sich in einem Transitionskontext befanden, vor diese Problematik gestellt. Allerdings ist die UN weiterhin als der wichtigste zwischenstaatliche Akteur auf diesem Gebiet einzuordnen. 1. Europarat Die regionale Ausweitung des Europarates1256 durch die Aufnahme ehemaliger Ostblockstaaten nach dem Ende des Kalten Krieges wurde nicht 1253  Ebd., 1254  Ebd.

1255  Ebd.,

S. 87.

S. 84. dem Jahr des Beitritts geordnet: Ungarn (1990); Polen (1991); Bulgarien (1992); Estland, Litauen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien (1993); Albanien, Lettland, Moldawien, Ukraine (1995); Russland (1996); Georgien (1999); Armenien, Aserbaidschan (2001). 1256  Nach



II. Andere zwischenstaatliche internationale Organisationen371

unkritisch gesehen: So trat z. B. der Stellvertretende Generalsekretär Leuprecht 1993 aus Protest gegen die anstehende Aufnahme Russlands zurück, da er die Standards der EMRK bedroht sah. Der Europarat nahm dagegen mehrheitlich die Position ein, dass Teilnahme und Aufsicht / Kontrolle besser als ein Ausschluss vom Konventionssystem seien.1257 In der Literatur wurden Bedenken geäußert.1258 Mit der Resolution 1096 bot die Organisation den neuen Mitgliedstaaten 1996 Richtlinien an, wie mit dem Erbe der früheren kommunistischen totalitären Regime umgegangen werden sollte („Measures to dismantle the heritage of former communist totalitarian systems“1259). Hierin werden vier Prinzipien identifiziert, die den Transitionsprozess leiten sollten: Demilitarisierung, Dezentralisierung, Demonopolisierung und De-Bürokratisierung.1260 Diese Grundsätze wurden von spezifischen Empfehlungen begleitet, die sich auch auf die strafrechtliche Verantwortung für Menschenrechtsverletzungen, die Rehabilitierung von politischen Häftlingen, das Öffnen der Archive der Geheimdienste, der Restitution von enteignetem Grundbesitz und der Behandlung ehemaliger höherer Funktionäre (Stichwort: Lustration oder Beschränkung des status activus bezogen).1261 Die Resolution empfahl als Königsweg „profound political, legal and economic reforms in the respective countries, leading to the formation of an authentic democratic mentality and political culture.“1262 Dabei sollten die neuen Mitgliedstaaten von den konsolidierten Demokratien auch finanziell im Rahmen der Entwicklungshilfe und technischen Kooperation unterstützt werden.1263 Die Resolution 1096 fällt klar in das Paradigma von TJ und stellt eine sehr frühe Positionierung einer regionalen zwischenstaatlichen Organisation in diesem Bereich dar.1264 Sie verbindet ausdrücklich die Demokratisierung mit dem TJ-Ansatz, geht also von einer Finalität aller TJ-Maßnahmen aus und umfasst neben rechtlichen auch nicht-rechtliche Maßnahmen. 1257  Vgl. Sweeney, The European Court of Human Rights in the Post-Cold War Era; ders., Connecticut Journal of International Law 21 (2005), S. 1; ders., in: Buyse/ Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 109. 1258  Z. B. Janis, European Journal of International Law 8 (1997), S. 93 ff.; Kay, Connecticut Journal of International Law 8 (1993), S. 217. 1259  Resolution 1096 (27. Juni 1996). 1260  Ebd., § 5. 1261  Ebd., § 7–14. 1262  Ebd., § 16. 1263  Ebd., § 16. 1264  Sweeney, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 109.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Die Aufnahme der ehemaligen Staaten Jugoslawiens wurde eher vorsichtig betrieben1265, da hiermit Staaten in den Anwendungsbereich der EMRK gelangten, die gerade einen Konflikt und ein autoritäres Regime hinter sich gebracht hatten – und sich damit in einem erschwerten Transitionskontext befanden. Der Beitritt einiger dieser Staaten wurde sehr kontrovers diskutiert.1266 2. Europäische Union Gemäß Art. 3 Abs. 5 EU leistet die Europäische Union einen Beitrag zu Frieden, Sicherheit, zur Beseitigung der Armut und zum Schutz der Menschenrechte sowie zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts, insbesondere zur Wahrung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen, Art. 3 Abs. 5 EU.1267 TJ ist insbesondere für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP)1268 – und hier insbesondere für die Missionen und Opera­ tionen – von Bedeutung sowie die politischen guten Dienste.1269 2006 definierte ein Dokument des Rates TJ als „a framework for confronting past abuse as a component of a major political transformation ‒ from war to peace or from authoritarian rule to democracy. This abuse can include past human rights abuses, mass atrocities, or other forms of severe social trauma, including genocide or civil war. In transitional contexts, while the perceived need for justice is high, there are usually real constraints on the capacity or willingness of successor governments to deliver this justice. At the same time, the pursuit of justice and reconciliation must be combined with other public interest objectives, such as the consolidation of peace and democracy and the need for economic development and public security.“1270 1265  Slowenien war der erste Staat der ehemaligen jugoslawischen Republik, der dem Europarat betrat (1993), danach folgte Mazedonien 1995 und Kroatien 1996. Bosnien-Herzegowina trat 2002 bei, Serbien-Montenegro 2003. Nach der Unabhängigkeitserklärung Mazedoniens 2006 wurde Montenegro 2007 Mitgliedstaat im Europarat (Lamont, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 82). 1266  Ebd. 1267  Davis, The European Union, transitional justice and peace mediation, S. 10. 1268  Eines der Ziele der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU ist es, „Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die Menschenrechte und die Grundsätze des Völkerrechts zu festigen und zu fördern“ (Art. 22 Abs. 2 lit. b EU). Allerdings bemüht sich die EU noch um einen kohärenten Ansatz in Bezug auf Frieden und Gerechtigkeit (ebd., S. 16). 1269  Asseburg/Kempin, Die EU als strategischer Akteur in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S.  5 ff. 1270  Council of the European Union, Transitional Justice and ESDP (Doc. 10674/06), § 3.



II. Andere zwischenstaatliche internationale Organisationen373

Es wird deutlich, dass die EU TJ v. a. operationell unter dem Aspekt der Friedensverhandlungen, Mediation1271 und des Peacebuilding sieht. Dabei wird für die Zukunft TJ eine wichtige Rolle in den Operationen der Organisation unter der GSVP gesehen: „As the EU continues to develop its capabilities in crisis management, conflict resolution and peace building, and as it ventures further afield into increasingly complex situations, its actions under ESDP need to take full account of the developing international standards which provide parameters and guidance on policy options for justice and accountability, in particular guidelines established by the UN in this field.“1272

3. OSZE Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, engl. OSCE) ist eine verstetigte Staatenkonferenz zur Friedenssicherung1273, deren Ziel die Sicherung des Friedens und der Wiederaufbau nach Konflikten ist. Die Aktivitäten der OSZE gliedern sich in drei Themenbereiche: die politisch-militärische Dimension, die Wirtschafts- und Umweltdimension sowie die menschenbezogene (humanitäre) Dimension. Die OSZE sollte aufgrund dieser Tätigkeitsgebiete und der Geschichte ihrer Mitgliedstaaten (v. a. der Nachfolgestaaten der Sowjetunion) ein starkes Interesse an TJ haben. Trotzdem taucht der Begriff TJ nur sporadisch in offiziellen Dokumenten auf und es findet sich auch keine offizielle Definition. TJ spielt aber in der menschenbezogenen (humanitären) Dimension1274 eine Rolle ‒ und hier v. a. im Bereich Rule of Law (im Rahmen der Demokratisierung und der Prozessbeobachtung).1275 Die andere Dimension, in der TJ erwähnt wird, ist die der politisch-militärischen Dimension; hier vor 1271  Vgl. hierzu auch: EEAS Mediation Support Project, Transitional Justice in the context of Peace Mediation: „Transitional justice is a multidimensional longterm undertaking, defined by the EU Council document ‚Transitional Justice and the ESDP‘ as ‚a framework for confronting past abuse as a component of a major political transformation – from war to peace or from authoritarian rule to democracy‘.“ (Ebd.) 1272  Ebd., § 4. 1273  Vgl. Herdegen, Völkerrecht, § 45; Ipsen, Völkerrecht, § 34, Rn. 16. 1274  „In OSCE terminology, the term human dimension is used to describe the set of norms and activities related to human rights and democracy that are regarded within the OSCE as one of three dimensions of security, together with the politicomilitary and the economic and environmental dimensions. The term also indicates that the OSCE norms in this field cover a wider area than traditional human-rights law.“ (OSCE ODIHR, What is the human dimension?, Website.) 1275  So beschäftigt sich z. B. der Bericht OSCE Supporting the Transition Process, mit dem Wissenstransfer vom ICTY zu den nationalen Rechtspflegeorganen.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

allem im Bereich der Konfliktprävention und institutionell im Tätigkeitsfeld des High Commissioner on National Minorities. Der Hochkommissar definiert TJ wie folgt: „The notion of transitional justice has been developed over the last 60 years as a way of dealing with the legacy of conflicts, dictatorships and deeply divided societies. This emerging body of knowledge is a result of addressing countries and histories as diverse as post World War II Germany, Spain after Franco, Guatemala after its long-running civil war, post-Khmer Rouge Cambodia, South Africa after Apartheid and Northern Ireland.“1276 „The term transitional justice encompasses many different approaches with respect to addressing legacies of conflict, human rights abuses and divisions between people. At its core it aims to deal with the past to bridge the great divides in a society in order to look toward the future. Central to this is ending impunity and restoring dignity to victims. This contributes not only to a society’s greater understanding of what has happened, but also ensures that this understanding helps prevent a recurrence of a conflict. At the same time, confronting the ghosts of the past is a prerequisite for enhancing democratic stability and restoring the trust.“1277

Der Hochkommissar unterscheidet hierbei folgende TJ-Mechanismen: Strafverfahren und -ermittlungen, Wahrheitsmechanismen, Reparationsprogramme, Reformen des Sicherheitssektors, Erinnerung und öffentliche Debatten,1278 und betrachtet TJ vor dem Hintergrund der Schaffung von politischer Stabilität und Krisenprävention „Tackling issues of TJ, particularly the role played by institutions and leading opinion makers, is therefore a relevant and essential element of conflict prevention programmes for regions that have known inter-ethnic violence and strife.“1279

sowie von Entwicklung „However, a process of TJ is still a sine qua non for further development.“1280

4. Organisation der Amerikanischen Staaten Die Organisation der Amerikanischen Staaten hatte bis zum Redaktionsschluss noch keine eigene Definition von Transitional Justice oder ein öffentlich zugängliches Policy-Dokument hierzu entwickelt.

TJ wird in diesem Bericht erwähnt, nicht aber definiert. Im Jahresbericht 2009 des ODIHR wird er dann nicht einmal erwähnt (OSCE, Annual Report 2009). 1276  Vollebaek, Truth as basis for reconciliation, S. 1 f. 1277  Ebd., S. 2. 1278  Ebd., S. 3 und 4. 1279  Ebd., S. 8. 1280  Ebd., S. 2.



III. Nichtregierungsorganisationen375

5. Afrikanische Union TJ wird zunehmend auch in der Afrikanischen Union (AU) diskutiert. Das AU Panel of the Wise nahm im Mai 2011 die Studie „Non-Impunity, Truth, Peace, Justice, and Reconciliation in Africa: Opportunities and Constraints“1281 des International Peace Instituts an, die zwei Hauptempfehlungen enthielt: Die Afrikanische Union solle ein „Policy Framework on TJ“ entwickeln und das Panel of the Wise solle die Umsetzung der Richtlinien im Bereich TJ dann für die Organisation anleiten. Die AU führte im September 2011 in Zusammenarbeit mit dem CSVR eine Konsultation der Mitgliedstaaten zu diesen Vorschlägen durch. Während dieser Konsultation wurde deutlich, dass für die Mitgliedstaaten das Hauptaugenmerk auf Entschädigungen (auch für „historisches Unrecht“), Gender und den WSK-Rechten liegt, obwohl die Notwendigkeit eines holistischen Ansatzes gesehen wird: „Participants addressed the links between reparations and development. It was acknowledged that the fulfilment of economic, social and cultural rights through various reparation mechanisms is important for transitional justice in Africa. The participants further agreed on a need for a holistic policy framework, which encompasses judicial, social and economic elements, including reparation for victims of violent crimes to mitigate the effects of their suffering. The importance of centralising reparations as part of effective transitional justice processes was further reaffirmed with participants calling for a pursuit of multiple avenues to obtain reparations for historical injustices.“1282

Die AfrMRKom hat eine Resolution verabschiedet, in der sie eine Analytische Studie zu TJ in Auftrag gibt.1283 Wie dieser Prozess ausgeht und inwieweit die AU einen eigenen Ansatz zu TJ (im Vergleich zur UN) entwickelt, bleibt abzuwarten. Es scheint aber zumindest jetzt bereits klar eine andere Schwerpunktsetzung zu erkennen sein.

III. Nichtregierungsorganisationen 1. Internationale „traditionelle“ Menschenrechtsorganisationen Internationale Menschenrechtsorganisationen engagierten sich bereits in der Anfangsphase der repressiven Regime in südamerikanischen Ländern 1281  International Peace Institute, Non-Impunity, Truth, Peace, Justice, and Reconciliation in Africa: Opportunities and Constraints. 1282  African Union Commission, Consultation with African Union Member States on Transitional Justice, S. 6. 1283  ACHPR, Res. 253 (23. April 2013).

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

und begannen, enge Kontakte mit nationalen Menschenrechtsorganisationen zu knüpfen. So entwickelte sich z. B. durch eine Mission 1976 von der US-amerikanischen Sektion von AI enge Arbeitsbeziehungen mit der argentinischen Menschenrechtsbewegung.1284 1980 nahm das AI International Executive Committee eine Arbeitsdefinition von „gewaltsamem Verschwindenlassen“ an, die hauptsächlich von Zalaquett mitgeprägt worden war. Die Einflussnahme der Nichtregierungsorganisationen auf das Konzept des „gewaltsame Verschwindenlassens“ und dessen menschenrechtliche Aufbereitung wird als Zeichen für die wachsende Vernetzung der nationalen und internationalen Menschenrechtsbewegung genannt.1285 Auch das regionale Watch-Komitee für Süd-, Mittel- und Nordamerika (America Watch, 1981 gegründet)1286 spielte eine wichtige Rolle, insbesondere durch den Einfluss von Juan Méndez. 1989 nahm die HRW in einem „Policy Statement on Accountability for Past Abuses“ zu dem TJ-Themenkomplex Stellung, ohne jedoch die Begrifflichkeit zu verwenden: „Human Rights Watch recognizes the difficulty that some governments may face in holding members of their own armed forces accountable for their gross abuses of human rights. Also, we recognize that military regimes may insist, explicitly or implicitly, on immunity from accountability as a condition for relinquishing their offices and permitting the establishment of elected civilian governments. We do not believe that these difficulties justify disregard for the principle of accountability. We consider that accountability for gross abuses should remain a goal of government that seeks to promote respect for human rights.“1287

Amnestien seien dann nichtig, wenn es sich um Selbstamnestien handele, sie auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit anwendbar oder allgemein nicht mit dem internationalen Recht vereinbar wären. Die Organisation spricht sich auch stark für eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Strafuntersuchung, -verfolgung und -bestrafung aus, die verhältnismäßig zur Verantwortlichkeit der Täter für die Menschenrechtsverletzung ausgestaltet sei. Lediglich für den mittleren Rang / geringere Straftaten wurde diskutiert, ob eine Veröffentlichung und eine öffentliche Verdammung der Taten für die Herstellung von Verantwortung genügen würden. HRW merkt ebenfalls an, 1284  Clark,

Diplomacy of Conscience, S. 78. S. 100. 1286  Human Rights Watch als Organisation gibt es erst seit 1988. Davor waren allerdings schon regionale Watch-Komitees tätig. So wurde 1978 Helsinki Watch gegründet, um die Bürger- und Menschenrechtsbewegungen in den damaligen Ostblockstaaten zu unterstützen und auch die Einhaltung der KSZE-Schlussakte von 1975 zu überwachen. In den 1980er Jahren kam es zur Gründung der Regionalorganisation in Asien (Asia Watch, 1985), Afrika (Afrika Watch, 1988) und dem Mittleren Osten (Middle East Watch, 1989). Den Namen Human Rights Watch nahm die Organisation offiziell im Jahr 1988 an. 1287  Nachgedruckt in: Kritz (Hrsg), TJ, Bd. 1, S. 217. 1285  Ebd.,



III. Nichtregierungsorganisationen377

dass der Befehlsnotstand keine gültige Rechtfertigung für Menschenrechtsverletzungen sei. Insbesondere ist zu bemerken, dass sie sich gegen eine demokratisch legitimierte Amnestie aussprechen, die den oben genannten Kriterien nicht entspricht. Damit bezogen sie sich auf die damalige Rechtsprechung der Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission.1288 Es sei nicht das Vorrecht der Mehrheit auf eine Bestrafung der Verbrechen gegen eine Minderheit zu verzichten.1289 AI hielt auch in den 1990er Jahren an seinem Ansatz zum Thema „Straflosigkeit“ fest und vertrat einen rein menschenrechtlichen Ansatz, der keinerlei Raum für politisch-motivierte Abstriche aufgrund etwaiger Transitionsdilemmata ließ. Ein gutes Beispiel hierfür ist die mündliche Stellungnahme zu den Ereignissen in Osttimor, in der eine Situation schwerer Menschenrechtsverletzungen ausschließlich unter dem Aspekt der Verletzung von Normen und der Bekämpfung der Straflosigkeit dargestellt wurde.1290 Zum Beispiel der Wahrheits- und Versöhnungskommission in El Salvador forderte die Organisation eine strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung der Verdächtigen; eine Empfehlung, die nicht in dem Abschlussbericht der Kommission enthalten war.1291 AI unterstützte daneben auch dominant die Idee der Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes, wiederum als „letztes“ Mittel, um die Straflosigkeit zu bekämpfen.1292 1288  Vgl.

hierzu Teil 3, C. I. 2. a) aa). (Hrsg.), TJ, Bd. 1, S. 218. 1290  „Extrajudicial executions have continued to be reported, while the fate of those killed or ‚disappeare‘ in past years has yet to be clarified. Following a well established pattern, hundreds of alleged political opponents have been arbitrarily detained within the past year, and at least 26 are now serving terms of up to life imprisonment following unfair political trials. Despite its stated commitment to the protection of human rights, the Indonesian Government has done little to investigate past violations, and has failed to take significant measures to prevent their future occurrence. Military authorities continue to dominate the government and to operate with considerable autonomy in East Timor, with scant regard to human rights concerns. With rare exceptions, the perpetrators of human rights crimes have not been brought to justice.“ (AI, East Timor – who is to blame?, S. 2.) 1291  AI, El Salvador: Peace without justice, S. 9. 1292  „Amnesty International supports the establishment of a permanent international criminal court as one method to help end impunity for those responsible for extrajudicial executions, ‚disappearances‘, torture and other gross human rights violations within its mandate by ensuring that such persons are brought to justice. Such a court, however, must satisfy international human rights standards of fairness and be effective in preventing impunity for those responsible for gross violations of human rights. Nevertheless, it remains the primary responsibility of states to bring to justice those responsible for human rights violations and an international criminal court should be a last resort when states cannot or will not perform this responsibil1289  Kritz

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Die Festnahme Pinochets 1998 in London ging mit Kampagnen großer Menschenrechtsorganisationen, wie z. B. von AI, einher. Ebenfalls im Fokus von internationalen Menschenrechtsorganisationen war die Verhaftung des letzten Militärkommandeurs der Roten Khmer wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit im März 1999 in Kambodscha. Diese Kampagnen wurden aber nicht unter dem Begriff TJ geführt, obwohl diese Begrifflichkeit bereits geprägt war. Vielmehr fiel die Kampagne unter das Weltrechtsprinzips (Universal Jurisdiction). Während HRW den Begriff TJ bereits im Jahr 2001 „entdeckte“1293, erwähnt AI TJ erst 2003 in Publikationen zu Kenia und Afghanistan.1294 Beide Organisationen reagierten auf den Bericht des UN-Generalsekretärs 2004 mit Beifall, hoben in ihrer Stellungnahme aber v. a. die (völker-)strafrechtliche Seite hervor. So betonte AI deutlich, wie zentral das Konzept der Verantwortung (Accountability) und das Ziel des Kampfes gegen die Straflosigkeit für TJ sei: „It would involve states, the UN, other intergovernmental organizations – especially the ICC- as well as civil society actors in an ‚integrated and comprehensive approach‘. It would aim to restore justice and the rule of law and an end to impunity for crimes under international law in a gender-sensitive manner. It would seek universal ratification of the Rome Statute and of the Agreement on Privileges and Immunities of the ICC. It would aim to ensure that every state has provided its courts with jurisdiction over crimes under international law and that the rights of victims and their families to full reparation are ensured with due regard to gender. Specific benchmarks with realistic schedules for achieving each of these goals would be set. Finally, states would agree to commit dedicated special funds commensurate with the scale of the problem – possibly in the form of a set percentage – to assist other states, especially in pre-con­flict and postconflict situations, to help build effective criminal justice, truth and national reconciliation mechanisms.“1295

Dabei scheinen beide zunächst von einem instrumentell engen TJ-Begriff auszugehen. So erwähnt auch HRW in der Stellungnahme weder Wahrheitskommissionen noch Reparationszahlungen, Lustrationen, Reformen des ity properly themselves.“ (AI, Establishing a just, fair and effective International Criminal Court, S. 3.) 1293  Das erste offizielle HRW-Dokument, das den Begriff TJ erwähnt, stammt aus dem Jahr 2001 und ist ein offener Brief an den damaligen US-Außenminister Colin Powell, der – neben den Strafverfolgungen einflussreicher Taliban, der Bildung einer neuen Regierung sowie Lustrationen des Militärs und der Polizei – den Begriff TJ nur im Zusammenhang mit Restitutionsansprüchen bezüglich Land und anderem Eigentum verwendet (HRW, Recommendations for Accountability in Afghanistan). 1294  AI, Kenya: A human rights memorandum to the new Government; dies., Afghanistan Re-establishing the Rule of Law, S. 51. 1295  Dies., Statement Justice and the Rule of Law: the Role of the United Nations, S. 4.



III. Nichtregierungsorganisationen379

Justizsektors oder des Militärs, sondern betonen vielmals die zentrale Stellung von Strafverfolgungen.1296 Beide Organisationen definieren den Begriff nicht. AI sieht als elementare Komponenten eines erfolgreichen TJ-Prozesses fundamentale Prinzipien der Justiz, die Stärkung und Reform des (Straf-)Rechtssystems, die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie die Förderung von Frauen(rechten) an. Eine wichtige Rolle nimmt der IStGH ein, wobei dieser durch internationalisierte Strafgerichtshöfe, Ad-hoc-Strafgerichte und die Ausübung von universeller Gerichtsbarkeit unterstützt werden solle.1297 HRW vertritt eher eine konzeptionelle Auffassung1298 oder verwendet den Begriff als reinen Oberbegriff.1299 Dabei hat sich das Verständnis augenscheinlich von einem instrumentell-engen Verständnis1300 zu einem instrumentell-weiten Verständnis entwickelt, das lediglich die Reformbemühungen der Regierung nicht umfasst.1301 1296  „Human Rights Watch strongly believes that accountability for atrocities is at the core of laying the foundation for the Rule of Law and respect for human rights in conflict and post-conflict societies. We have seen time and again how impunity for atrocities committed in the past sends the message that such crimes will be tolerated in the future.“ (HRW, Debate on Justice and the Rule of Law.) 1297  AI, Afghanistan: Addressing the past to secure the future. 1298  „Human Rights Watch believes that, as currently constituted, any national healing process that does not address issues of justice, accountability for past abuses, impunity, and redress for victims will fatally weaken the goal of obtaining transitional justice.“ (HRW, False Dawn, S. 17 f.); „[t]he transition period, however, provides a rare opportunity to develop new state institutions with strong human rights components integrated into their structure, and to create mechanisms that can secure respect for human rights throughout the society.“ (HRW, The Human Rights and Humanitarian Situation in the Mano River Union.) 1299  „One other reform proposal that must be addressed is the creation of nonpunitive ‚solutions‘ to the backlog of cases dealing with war crimes, crimes against humanity, and genocide. Non-punitive transitional justice techniques, such as truthtelling and reparations for victims, have been used successfully in a variety of contexts and can be invaluable tools for promoting societal healing. However, it is imperative that these approaches not be used as a way to avoid the obligation to punish war crimes, crimes against humanity, or genocide. […] Any use of non-punitive transitional justice approaches must be done in a way that truly complements ongoing trials and not as a way to deny justice to victims.“ (HRW, Still Waiting, S. 65.) 1300  Z.  B. nur Sondergericht und Wahrheitskommission umfassend (HRW, The Human Rights and Humanitarian Situation in the Mano River Union). Unterscheidung von TJ und Maßnahmen, die das Strafrechtssystem betreffen, z. B. „The government should put transitional justice mechanisms in place while reforming the criminal justice system to ensure that it meets international legal standards.“ (HRW, Perpetual Fear, S. 4.) 1301  HRW, The „Ten-Dollar Talib“ and Women’s Rights, S. 62.

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Bezüglich einzelner TJ-Instrumente nimmt AI eine strikte Haltung, insbesondere gegenüber Amnestien ein, die die Organisation ablehnt.1302 Bezüglich Wahrheitskommissionen ist AI dagegen zurückhaltender und gab ein eigenes Handbuch für deren Einsetzung heraus1303: Solche Gremien könnten wichtig dafür sein, um die Faktenlage zu klären und Verdächtige für Völkerrechtsverbrechen zu identifizieren. Aber „[i]t is not, however, sufficient and cannot be a substitute for a court of law to try alleged perpetrators of serious violations of international law“1304. HRW ist gegenüber Wahrheitskommissionen wiederum kritischer als AI.1305 War die Haltung beider Menschenrechtsorganisationen schon zu Beginn zurückhaltend, so hat sich der Gebrauch des Begriffes, entgegen der Erwartung, nicht normalisiert, sondern findet vielmehr immer kritischer Verwendung, v. a. seitens AI. In einem neueren AI-Bericht zu einer einschlägigen Thematik wird der Begriff kaum noch erwähnt.1306 Ebenfalls spielt der Begriff keine große Rolle in der Ending Impunity through Universal Jurisdiction-Kampagne. Dies steht in klarem Widerspruch zu der Haltung 2005, als die Förderung der Menschenrechte in TJ sogar als Unterziel in einem der acht Hauptziele im AI-Jahresbericht geführt wurde.1307 Gleiches gilt, in geringerem Maße, auch für HRW: In dem thematisch einschlägigen Bericht „Selling Justice Short. Why Accountability Matters for Peace“ aus dem Jahr 2009 wird auf TJ als Begriff oder Element nicht eingegangen.1308 In einem 2011 ebenfalls thematisch einschlägigen Bericht („Seductions of ‚Sequen­c­ ing‘, The Risks of Putting Justice Aside for Peace“) zeichnet sich HRW durch eine dem faktischen Exzeptionalitätsverständnis nahe Haltung aus.1309 1302  „Amnesty International has consistently opposed, without exception, amnesties, pardons and similar measures of impunity that prevent the emergence of truth, a final judicial determination of guilt or innocence and full reparations to victims and their families.“ (AI, Liberia The promises of peace for 21,000 child soldiers, S. 29.) 1303  AI, Truth, justice and reparation. 1304  AI, Liberia The promises of peace for 21,000 child soldiers, S. 30. 1305  „Truth commissions can serve important needs of accountability and reconciliation that are not addressed by prosecutions alone. […] As such, they are held up as an exemplar of the benefits of restorative and transitional justice mechanisms, which can respond to victim and community needs in ways that punitive justice alone may not. Nonetheless, as a matter of both treaty and customary international law, there is a duty to prosecute serious international crimes and pursue individual criminal responsibility. While truth commissions can be a meaningful complementary process, they are, by themselves, an inadequate response to grave human rights abuses.“ (HRW, We Have Lived in Darkness, S. 33.) 1306  AI, Commissioning Justice: Truth commissions and criminal justice. 1307  Danach taucht der Begriff nicht mehr in den Jahresberichten auf. 1308  HRW, Selling Justice Short. Why Accountability Matters for Peace. 1309  „Transitional justice processes are complex and may include truth-telling mechanisms, reparations, vetting of alleged war criminals from positions in govern-



III. Nichtregierungsorganisationen381

AI geht sogar 2010 soweit, vor einer falschen Verwendung des Begriffes zu warnen, und wendet sich explizit gegen ein funktionales oder konzep­ tionelles Exzeptionalitätsverständnis.1310 2. Andere internationale Nichtregierungsorganisationen: ICTJ Ende der 1990er Jahre sah sich die Ford-Stiftung einer Situation gegenüber, in der sich die Stiftung erneut positionierten musste: entweder dadurch, frühere Flaggschiffe der Stiftung erneut zu stärken oder eine neue Organisation zu initiieren.1311 Ford hatte schon zuvor eine Anzahl von Transition zu Demokratie-Projekten finanziert, insbesondere im Lateinamerika der 1980er Jahre. Als die südafrikanische Wahrheitskommission den „Boom“ von Wahrheitskommissionen weltweit auslöste, stellte sich für die Stiftung die Frage, ob sie weiterhin einzelne kleine Projekte finanzieren wollte oder eine neuen Organisation mit Beratungs- und Policy-Funktion gründen sollte.1312 Das erste Treffen zum Themenkreis fand in Chile statt und wurde von Susan Beresford, damals Präsidentin der Ford-Stiftung, Alice Henkin, dament and security forces, and other forms of traditional justice in addition to criminal measures. […] Criminal justice aspects of transitional justice processes present particular challenges. […] Even if there is political will to try these cases (which is often a serious problem if, as is often the case, the government has been implicated in abuses), legislation may need to be enacted to establish a legal basis or a special mechanism for prosecutions; staff need to be assigned and trained; witness protection and support measures considered; and evidence gathered. National courts may lack independence and the local community may not have confidence in the judiciary. Police and prison systems may also require serious institutional reform. All of this takes time, particularly given the complexity of such cases.“ (Dies., Seductions of „Sequencing“: The Risks of Putting Justice Aside for Peace, S. 3.) 1310  „Amnesty International is extremely concerned to notice that the expression ‚transitional justice‘ is sometimes abused, as it is used to indicate a minor and weaker kind of justice. Although there are unique challenges to be met in ensuring justice, truth and full reparation during transitional periods, the requirements of justice remain the same regardless when it is sought. To make clear that the requirements of justice are not different during a period of transition, it would be more accurate to speak of ‚justice in transition‘ rather than ‚transitional justice‘. The expression ‚transitional justice‘ can in no circumstances be used to justify a violation of the right to an effective remedy of victims. Although there may be different forms of accountability, there is only one kind of justice: the one based on the respect, protection and promotion of the right of victims to justice, truth and full reparations.“ (AI, International Criminal Court: Making the Right Choices at the Review Conference, S. 29.) 1311  Dezalay, Transitioning Justice, S. 7. 1312  Ebd., S.  23 f.

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mals Direktor des Justice and Society-Programms des Aspen-Instituts und Anthony Romero, damals Direktor des Menschenrechts- und internationalen Kooperationsprogramms der Ford-Stiftung, organisiert. Teilnehmer waren u. a. Alex Wilde, der für die Stiftung in Argentinien, Chile, Uruguay und Paraguay arbeitete, Louis Bickford, Politikwissenschaftler und ebenfalls Ford-Berater in Chile, José Zalaquett und Gonzalo Vial Correa (ebenfalls chilenischer Anwalt wie Zalaquett und späteres Mitglied der Rettig-Kommission), Patricia Valdez, Mitglied des CELS sowie Elizabeth Lira, Menschenrechtsaktivistin aus Chile und zukünftiges Mitglied der Valdez-Kommission.1313 Die Diskussion auf diesem Treffen wird wie folgt beschrieben: „[T]he question was: should the Ford Foundation invest money in this new field, and if so, what should it look like (…). There was a sense that there was a huge amount of expertise in this field, and that any monies that the Ford should invest should go towards strengthening existing organizations like the Center for Legal and Social Studies (CELS) (…) or the Centre for the Study of Violence and Reconciliation) in South Africa (CSVR).“1314

Das nachfolgende Treffen im April 2000 brachte ca. 40 führende Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und Anwälte zusammen, um die Idee einer neuen Organisation zu testen, die sich auf „Transition“ spezialisieren sollte.1315 Die neue Organisation sollte insbesondere frühere Investitionen 1313  Ebd.,

S. 26. zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 27. 1315  Die damalige Präsidentin der Stiftung, Susan Berresford, formulierte nicht nur die Idee der Gründung von ICTJ und förderte dies aktiv durch die Bereitstellung großzügiger Mittel, sondern sicherte auch erfolgreich die Unterstützung des Projektes durch andere große Stiftungen. Zur Rolle Berresfords die Aussage Borraines: „She contacted me, saying: ‚[…] What you describe suggests that there needs to be some institution that can assist countries that are in transition, that have perhaps been blocked off from the rest of the world, that know very little of the various options available to them. Nobody seems to help them. It’s usually just accountabil­ ity: we must punish the offenders. So we have the The Hague Tribunal, and tribunals in Rwanda or Sierra Leone or Cambodia and so on ‒ absolutely correct, but more is needed, in my view anyway. Why aren’t you starting such an institution?‘ I said: ‚Well, I’m teaching at NYU, I’m writing a book, I want to go home.‘ And she answered: ‚You have given enough to your country. What about other countries in need?‘ So I thought about it, discussed it and with two other colleagues I started the International Center for Transitional Justice.“ (Mengel, Trauma, Memory, and Narrative in South Africa, S. 141 f.) Als sich die Ford-Stiftung dann für eine Förderung einer einzigen Organisation, einen längeren Förderungszeitraum und für einen für die damalige Zeit einmalig hohen Geldbetrages entschied, stieß dies nicht nur auf Zustimmung unter den bereits existierenden Menschenrechts-NGOs. Die Reaktion von AI, die sich über eigene Mitgliedsbeiträge finanziert, wurde als neutral, die von HRW, die ihre eigene Finanzierung bedroht sahen, als stark verärgert beschrieben. Dabei spielten neben Finanzierungserwägungen auch inhaltliche Bedenken eine Rolle. So wird die Haltung HRW damit erklärt, dass die Organisation darüber be1314  Bickford,



III. Nichtregierungsorganisationen383

der Ford-Stiftung in Lateinamerika und Südamerika nachhaltig stärken.1316 Die zunächst auf fünf Jahre angelegte Unternehmung wurde u. a. von der Ford Stiftung und der MacArthur Stiftung finanziert und hatte ein Anfangsbudget von 30 Mio. USD.1317 ICTJ begann seine Aktivitäten formell im März 2001. Innerhalb von sechs Monaten arbeitete das Zentrum in mehr als einem Dutzend Ländern. Dabei wurde New York vor dem Hintergrund gewählt, dass dort die meisten Geber ansässig waren. Drei Berater (Alex Boraine, Priscilla Hayner und Paul van Zyl) wurden von der Ford Stiftung mit der Planung und Organisation beauftragt.1318 Dabei war v. a. die legalistisch-pragmatische Strategie, die van Zyl 2000 vorschlug, wichtiger Impuls für das Mandat der Organisation.1319 Er konzentrierte seinen Mandatsentwurf an der Velázquez-Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte1320 und den recht­ lichen Pflichten von Nachfolgeregimen bezüglich der Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen.1321 Dabei wurde der legalistische Ansatz als

sorgt war, dass der Ansatz von ICTJ „was going to create pressure to soften the field“, da Wahrheitskommissionen – worauf ICTJ zu Beginn reduziert wurde – als billige Alternative zu Strafverfolgung gesehen wurde (Bickford, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 27 f.). 1316  Ebd., S. 37. 1317  ICTJ, Annual Report 2006/07, S. 4; Richardson, NY Times (23.  November 2001). 1318  Delazay beschreibt diese Konstellation wie folgt: „Set up by three personalities Alex Boraine, and Paul van Zyl, both reknown for their role in the South African transition, and at the South African Truth and Reconciliation Commission and Priscilla Hayner, Ford Foundation, but also pioneer expert on ‚truth commissions‘  − this organization positioned itself explicitly and directly in opposition to established players in the international human rights field, particularly Human Rights Watch, in the US.“ (Delazay, Transitioning Justice, S. 4.) 1319  „[T]he thing is, people recognized that there was a growing trend, you hadn’t had yet the Special court for Sierra Leone, East Timor, the International Criminal Court, you did have the two ad hoc tribunals, but the human rights movement’s engagement on these issues was essentially advocacy oriented, you really had Amnesty International or Human Rights Watch saying that it was essential to have people held accountable, but nobody to tell you how to go about setting up a truth commission, or a tribunal […].“ (van Zyl, zitiert nach Dezalay, Transitioning Jus­ tice, S. 28.) 1320  Vgl. hierzu Teil 3, C. I. 2. a) bb). 1321  „There was no alternative document brought in these early days. So that was that: these four legal obligations introduced in the Velásquez case […]. It’s actually pretty arbitrary […]. You could have looked at other systems.“ (Bickford, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 30.)

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

sehr wichtig für die Akzeptanz der neuen Organisation unter den bereits bestehenden Menschenrechtsorganisationen, v. a. HRW und AI, gesehen.1322 Der jungen Organisation war es auch wichtig, sich von der Arbeit der damals bereits bestehenden Menschenrechtsorganisation abzugrenzen, und nicht „nur“ Monitoring, Reporting und Advocacy zu betreiben.1323 Als Ansatz wurde eine Kombination aus Praxis und Forschung gewählt. Der Schwerpunkt lag auf der Forschung und dem Erarbeiten von sog. Best Practices.1324 Mit dem Beginn der Arbeit von Pablo de Greiff als Leiter der Forschungsabteilung war das Ziel dann jedoch eine „Nischen“-Expertise für die Organisation zu entwickeln. Die Forschung sollte global sein, normativ im Ansatz und mit dem Ziel, das Feld TJ weiterzuentwickeln.1325 Dabei wurde die Forschungsarbeit von vier TJ-Instrumenten bestimmt: Strafverfolgungen, Wahrheitssuche, Reparationen und institutionelle Reformen.1326 Das Konzept der „Versöhnung“ war dagegen von Beginn an um1322  „[I]f the ICTJ had pulled a hoist in the flag with the South-African commission in its early days, it wouldn’t have survived, no way, it needed to show credentials in prosecutorial stuff, and in the Inter-American system, because the InterAmerican system is you know really, Latin America is the birth place of human rights as we know them, and Latin America has a lot of authority on this stuff, a lot more than the South African truth commission, so if you’re going to talk to Ken Roth [Fußnote im Original, hier unterdrückt] at Human Rights Watch, and you’re going to say ‚we’re starting a new organization and our job is dealing with the past‘, and Ken would say ‚ok … so where’s your source of authority to do that?‘ And you say ‚well our source of authority is the shining example of the South-African truth commission‘. And Ken starts deriding you for the soft way out, for not looking at international law, for a million other things, but if you say, ‚our source is the decisions of the Inter-American system, that give us guidance on how to deal with the past‘, then Ken has no reply to that, so I think that Paul was intellectually convinced that these were the boundaries of the field (…) but I think on some level there was some very shrewd assessment of a strategic use of this epistemology of what we do.“ (Bickford, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 28.) 1323  Zu Beginn war jedoch nicht klar, in welche Richtung sich die Arbeit konzentrieren sollte. So sahen manche die Zukunft der Organisation darin, „in part some­ thing like a clearing house of information and contacts […] so that people interested in processes of transitional justice would know whom to contact […].“ (de Greiff, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 32.) 1324  Ebd., S. 30. 1325  Dabei wurde der normative Schwerpunkt auch von Boraine unterstützt, was auch gut mit dem beruflichen Hintergrund der meisten Angestellten harmonierte (vgl. ebd., S. 32). 1326  „[S]o the original research that was easy. We knew we were going to start with four directions: criminal prosecutions, truth telling, reparations and institutional reform, we didn’t know what we wanted to do with institutional reform which is huge and eventually we gravitated towards vetting as an entry point and so the



III. Nichtregierungsorganisationen385

stritten1327 in der Organisation und die Frage der Erinnerungsarbeit wurde auch erst später dem Mandat der Organisation eingefügt.1328 Ebenfalls wichtig war es, dem „fuzzy and contested character“1329 des Begriffes TJ klare und, wenn möglich, rechtliche Kontouren zu geben. Die Forschungstätigkeit – und damit der Anspruch, die „theoretische“ und „konzeptionelle“ Führungsrolle in diesem Bereich inne zu haben  − wurde durch die Lehrtätigkeit einer nicht geringen Anzahl von Angestellten des ICTJ, v. a. an den Universitäten Columbia und der New York University, sowie eine Förderung der Publikationstätigkeit der Angestellten gestützt.1330 Der TJ-Ansatz gründete dabei laut Aussagen Bickfords v. a. auf der Erfahrung der lateinamerikanischen sowie südafrikanischen Institutionen1331, d. h. Transition von autoritärem Regime zu Demokratie mit bestehenden Institu­ tionen, wurde dann aber mit der Ausweitung auf andere Kontexte, d. h. v.a research unit work consisted in filling the gaps with respect to these four elements. There was no need to do a major research project on truth telling because there was a great deal of research already about that, there was no need to do a big research project on criminal prosecution because most of the staff were human rights lawyers that had prosecutorial experience. We didn’t know at the time what we meant by institutional reform so of course the remaining topic was obvious, it was reparations – so we started with that and it was the biggest research project on the topic in the world at the time. Then we broadened […].“ (de Greiff, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 32.) 1327  „[W]e didn’t know what to do with reconciliation which was part of the original statement of purpose of the institution, but how that connected with the rest of the work of the organization, no one knew for sure, but that was the object of acrimonious debates, at least because some people had the experience of Latin America where the concept of reconciliation is a complete non-starter. And that clashed very deeply with Alex’s experience with South Africa.“ (de Greiff, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 32.) 1328  Dezalay, Transitioning Justice, S. 30. 1329  Ebd. 1330  „[T]hey had the logistics and the moral authority. They could say, we know more, we have done all this. The whole apparatus of the organization is into producing this kind of knowledge.“ (Dezalay, Transitioning Justice, S. 32.) 1331  „In turn, these investments, particularly in Chile and Argentina, were thus moved to South Africa – later to be moved back home, in the US, as a further step into institutionalizing a field, this time, of ‚transitional justice‘.“ (Ebd., S. 7.) „I would say the same thing happened to all of us […]. I brought Chile elsewhere […] Paul Seals brought the Guatemalan experience, (he) had a very different input in the organization, that is bringing forth domestic prosecutions as opposed to international ones […] and he was very influential in the early years in pushing us in that direction […] I would say Alex and probably Paul were being invited all over the place […], but in fact it wasn’t about only South Africa […] I always say that the interesting thing about transitional justice is that it’s a South-South field […].“ (Bickford, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 33.)

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

auf Länder, die eine gewalttätigen internen Konflikt in Afrika und Asien hinter sich gebracht hatten, eher Richtung Peacebuilding, Konfliktresolution und Themen wie DDR fortentwickelt.1332 Vor allem die Umorientierung Richtung Konfliktresolution und Peacebuilding wird dem Einfluss von Juan Méndez1333 zugeschrieben, der diese Interessen nach seinen Erfahrungen als UN-Sonderberichterstatter für Völkermord mit zur Organisation brachte.1334 Es herrschte oft ein Austausch von Personal zwischen ICTJ und den Vereinten Nationen.1335 Dezalay beschreibt den Werdegang der einflussreichen Angestellten von ICTJ (z. B. von Paul van Zy und Graeme Simpson) als Austausch von Politik hin zu Recht (zunächst im südafrikanischen Kontext), genau wie die Arbeit des ICTJ dazu beigetragen hätte, einen Bereich, der rein politisch geprägt war, zu judizialisieren („from the politics of transition to a juridification of transition“).1336 Der Ansatz des Zentrums ist nach eigenen Angaben ein holistischer: „TJ is not a ‚special‘ kind of justice, but an approach to achieving justice in times of transition from conflict and / or state repression. By trying to achieve accountability and redressing victims, TJ provides recognition of the rights of victims, promotes civic trust and strengthens the democratic Rule of Law.“1337 1332  „[S]o we’ve been overlapping with those other fields, touching up against them, sometimes the touch has been soft, other times it’s been more dramatic, but we’re trying to communicate in those boundary areas. The one thing that’s totally clear is that we are being pulled in, or finding ourselves talking about these topics in conflict zones and early peace building zones, so we’re working in Columbia […] in DRC and we work in Sierra Leone, Liberia […] when we do that we are engag­ ing with people who are in the peace-building field and the conflict resolution field, and we’re influencing those fields.“ (Bickford, zitiert nach Dezalay, Transi­tioning Justice, S. 33.) 1333  „Juan Méndez had been tightly associated with the debates of the practical modalities of the Latin American transitions, but he had argued in the wake of the Argentine transition in the mid-1980s that there was ‚no role for us‘ after the fall of a dictatorship, since the country had ‚turned a new leaf‘ [Fußnote im Original, hier unterdrückt], in other words, that transitions were political processes that could only be effected in the shadow of courts, so as to further stabilization.“ (Dezalay, Transitioning Justice, S. 37.) 1334  „[A] big impetus was when Juan (Méndez) came to the Center, and we started thinking for the first time about the relationship between transitional justice and peace processes, at least in part because of Juan’s work at the UN on genocide prevention.“ (de Greiff, zitiert nach Dezalay, Transitioning Justice, S. 34.) 1335  Z. B. David Tolbert, Anwalt, früherer Registrar des UN Special Tribunal für den Libanon (2009–2010), davor Deputy Chief Prosecutor ICTY, jetzt Präsident der Organisation. Pablo de Greiff, aktueller und erster Sonderberichterstatter für Transitional Justice (seit 2011). 1336  Dezalay, Transitioning Justice, S. 37. 1337  ICTJ, What is Transitional Justice, Website.



III. Nichtregierungsorganisationen387

Der aktuell von ICTJ propagierte Maßnahmenkatalog umfasst Strafverfolgungen, Reparationen, institutionelle Reformen und Wahrheitskommissionen. Aufgrund des starken südafrikanischen Hintergrunds der Gründungsmitglieder zunächst als voreingenommen zugunsten von Wahrheitskommission kritisiert, hat das Zentrum schnell öffentlich festgehalten, dass es keine feste Hierarchie zwischen den einzelnen Instrumenten vertrete.1338 Das Zentrum zeichnet sich inhaltlich durch eine Amnestien gegenüber eher ablehnende Haltung aus, obwohl sie sie nicht generell als unzulässig ansieht.1339 ICTJ arbeitet dabei nicht nur mit lokalen Menschenrechtsorganisationen, sondern insbesondere mit Regierungen und UN-Organisationen (z. B. dem OHCHR) zusammen und beeinflusste so z. B. die TJ-Politik für Sierra Leone und Afghanistan, die Frage Amnestien und IStGH1340 oder die Wahl mancher Transitionsmechanismen im ehemaligen Jugoslawien erheblich mit.1341 Nationale Menschenrechtsorganisationen sehen die Involvierung großer internationaler NGOs nicht immer im positiven Licht. So kritisierten z. B. lokale NGOs in Sri Lanka die „grant eaters“ aus dem Westen, da sie deren Projektvorschläge an die internationale Gebergemeinschaft wenig entgegenzusetzen haben.1342 3. Regionale oder nationale Menschenrechtsorganisationen und -institute Neben der internationalen Menschenrechtsbewegung haben auch insbesondere die südamerikanische und die südafrikanische Menschenrechtsbewegungen das Feld zu Beginn geprägt. Die Entwicklung der lateinamerikanischen Menschenrechtsbewegung lässt sich als Prozess stetiger Institutionalisierung beschreiben. Menschenrechte wurden in Süd- und Mittelamerika lange Zeit nur in Fachzirkeln von Juristen, Politikern oder Philosophen diskutiert. Der Prozess der Institutionalisierung begann zumeist mit den Selbstorganisationen von Opfern und ihrer Familienangehörigen, der sich dann im Laufe der Zeit institutionell verfestigte. Den politischen Forderungen dieser Gruppierungen nach der 1338  Richardson,

New York Times (23. November 2001). riet ICTJ z. B. 2001/02 von der Möglichkeit ab, die neue ghanische Wahrheitskommission solle auch Amnestien vergeben können (ICTJ, Annual Report 2001/02, S. 7). 1340  Robinson, EJIL 14 (2003), S. 481. 1341  ICTJ, Annual Report 2001/02, S. 8; Saxon, Journal of Human Rights 4 (2005), S.  559 ff. 1342  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 282. 1339  So

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

Aufklärung des Schicksals der Verschwundenen, dem Ende der Folter, der Bestrafung der Täter, der Reparation usw. nahmen sich Juristen, Politiker und Kirchenangehörige an, die diese Forderungen in menschenrechtliche Begriffe kleideten. Erst diese Verbindung ließ aus der Interessensvertretung eine Menschenrechtsbewegung werden.1343 Die Tatsache, dass Mitglieder der nationalen Eliten einen wichtigen Teil der Menschenrechtsorganisationen ausmachten, die nicht nur über eine gute Ausbildung verfügten, sondern bereits international vernetzt waren, führte zu einer zunehmenden Professionalisierung der Bewegung.1344 Nach der Machtübergabe des Militärs an die zivilen Regierungen konzentrierten sich einige dieser Organisationen zunächst weiterhin auf die Betreuung der Opfer, andere formulierten bereits kurz nach Machtübergabe explizite Forderungen nach der strafrechtlichen Verfolgung der Täter.1345 Die Dynamik der Menschenrechtsbewegungen z. B. in Chile und Argentinien ist nicht ohne die Unterstützung durch internationale Menschenrechtsorganisationen sowie der UN und der OAS zu denken. Dieser internationale Faktor wird geradezu als konstitutiv für die nationalen südamerikanischen Menschenrechtsbewegungen angesehen.1346 Daneben gab es Stiftungen, die die nationalen Menschenrechtsorganisationen unterstützten. Unter diesen war die wichtigste die Ford-Stiftung.1347 Viele Akademiker und Politiker, darunter auch Sozialwissenschaftler und Juristen, flohen aufgrund der Repression ins Ausland. Im Exil setzten einige von ihnen ihre politische Arbeit fort und stützten die nationalen Menschenrechtsbewegungen von außen. Hierdurch trugen sie nicht nur zur besseren Legitimierung der nationalen Menschenrechtsarbeit bei, sondern erwarben 1343  Huhle,

Die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung, S. 1 f. S. 1 f., 20. 1345  Ebd., S. 21. 1346  Das internationale Netzwerk aus Menschenrechtsexperten stützte politisch die nationalen Menschenrechtsbewegungen von außen. Garretón, einer der Gründungsmitglieder des chilenischen Comité de Cooperación para la Paz en Chile ­(COPACHI), erinnert sich daran, beinahe täglich Telefonkontakt mit AI gehabt zu haben. So konnten Informationen zur Menschenrechtslage zeitnah an die internationale Organisation übermittelt werden (ebd., S. 52). 1347  Bis 1975 unterstützten die großen US-amerikanischen Stiftungen kaum Menschenrechtsarbeit. Insbesondere aber die Situation in Chile führte in der Ford-Stiftung zu interner Diskussion und führte 1977 zu der ausdrücklichen Entscheidung, Menschenrechte als eine von fünf Prioritäten ins Stiftungsprogramm aufzunehmen. Dabei konnte v. a. die Ford-Stiftung an ihre vorherigen Kontakte mit Wissenschaftlern anknüpfen, die sie bereits vor der politischen Repression unterstützt hatte. Zwischen 1977 und 1987 wuchs die Anzahl der Einzelförderungen sowie die Förderungssumme stark an (Keck/Sikkink, Activits Beyond Borders, S. 98; Bell, Interna­ tional Organization 25 (1971), S. 465 ff.). 1344  Ebd.,



III. Nichtregierungsorganisationen389

Qualifikationen, die es ihnen später ermöglichten, weiteren Einfluss im internationalen Menschenrechtsnetzwerk zu gewinnen.1348 Damit wurde die soziale und professionelle Differenzierung innerhalb der nationalen Bewegungen noch verstärkt.1349 Die Behandlung von Themen wie z. B. das „Klima der Straflosigkeit“ für schwerliegende Menschenrechtsverletzungen, die Ächtung des Verbrechens des „Verschwindenlassens“ oder eine ganzheit­ liche Definition der Folgen von Folter, wurden entscheidend aus der südamerikanischen Erfahrung mit beeinflußt. Ab 1980 bestimmten v. a. US-amerikanische und südafrikanische NGOs und Projekte bzw. Institute dominant die Konstruktion der Diskurse, insbesondere das US-amerikanische Projekt Justice in Transition sowie das Institute for Democracy in Südafrika. 1986 wurde das Institute for Democracy in South Africa (IDASA) durch Alex Boraine und Frederik van Zyl Slabbe nach deren Rückzug aus dem südafrikanischen Parlament mit dem Ziel der Demokratieförderung (und der Abschaffung der Apartheid) in Südafrika gegründet. Das Institut versuchte zwischen der Regierung und der ANC zu vermitteln.1350 Alex Boraine und Frederik van Zyl Slabbe gründeten 1990 auch das Institute for Security Studies in Südafrika, dass sich mit strategischer Friedensforschung beschäftigte. Im Januar 1989 wurde in Südafrika das Centre for the Study of Violence and Reconciliation (ursprünglich Project for the Study of Violence) begründet.1351 Dabei ist die Arbeit auf die Prävention von Gewalt und den Heilungsprozess ausgerichtet.1352 Das CSVR hat auch heute noch einen wichtigen Einfluss auf Transitionspolitik in Afrika. Der Diskurs v. a. der Menschenrechtsbewegung in Argentinien war zunächst ein politisch-moralischer, der sich später im Laufe der Professionalisierung bzw. Justizialisierung der Menschenrechtsbewegung zu einem rechtlich-moralischen Diskurs wandelte. Der Kampf gegen die Impunidad stand im Mittelpunkt der Diskussionen. Aus den politischen Forderungen der nationalen Menschenrechtsbewegung nach Strafverfolgung der Täter 1348  So z.  B. José Zalaquett, der zunächst der Leiter der Rechtsabteilung von COPACHI war, bevor er selbst verhaftet und 1975 das Land verließ, und später im AI Executive Committee saß. 1349  Huhle, Die lateinamerikanische Menschenrechtsbewegung. S. 14. 1350  Boraine, A Life in Transition, S. 151 ff. 1351  Mittlerweile ist das Zentrum ein multidisziplinäres Institut, dass sich auf Politikberatung, Versöhnungsarbeit, Trauma- und Konfliktmanagement, mit einem besonderen Fokus auf Südafrika und Afrika spezialisiert hat (CSVR, Our History Webseite). Dabei steht das Institut die Transitionsanalyse als Ausgangspunkt ihrer Arbeit gemacht: „analysis of the shifting forms of conflict and violence within societies enduring a transition to democracy“ (ebd.). 1352  Ebd.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

und Entschädigungen wurde v. a. in Zusammenarbeit mit internationalen Menschenrechtsorganisationen ein Diskurs der (Opfer-)Rechte.1353 Dieser Rechtsdiskurs erklärt sich auch mit dem Phänomen der systematischen Praxis des „gewaltsamen Verschwindenlassens“. Das Auftauchen des Rechtsdiskurses auf der internationalen Ebene ist daher auf die 1970er Jahre und den Putsch in Chile zurückzuverfolgen.1354

IV. Staatenpraxis Es gab zunehmend Studien, die sich mit der Staatenpraxis beschäftigten und einige allgemeinen Beobachtungen hinsichtlich der Entwicklung der Staatenpraxis im beobachteten Zeitraum ermöglichen, ohne jedoch eine detaillierte Untersuchung der völkergewohnheitsrechtlichen Staatenpraxis bezüglich TJ-Maßnahmen vorzunehmen.1355 Dabei stimmen die Studien nicht immer in ihrer Analyse der Tendenzen überein. Sikkink / Walling stellten z. B. fest, dass für den Zeitraum 1979 bis 2004 die Staaten nicht notwendigerweise zwischen den unterschiedlichen TJ-Instrumenten wählten, sondern vielmehr, dass die meisten Länder, über die Wahrheitskommissionen verfügten, auch Amnestien und Strafverfolgungen wegen Menschenrechtsverletzungen einsetzten.1356 Die meisten Strafverfolgungen fanden, so die erhobenen Daten, in Süd-, Mittel- und Nordamerika statt (54 %), wobei Mittel- und Osteuropa (21 %) und Afrika (17 %) als Schlusslicht folgten.1357 Sie stellen ebenfalls den Trend fest, dass Staaten zunehmend Täter von Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zur Verantwortung ziehen würden.1358 Dagegen zeigte eine Studie von Mallinder, die Amnestiegesetze nach dem Zweiten Weltkrieg bis 2006 untersuchte, dass Amnestien zunehmend Verbrechen nach internationalem Recht ausschlössen; aber auch, dass insbesondere in den 1990er Jahren die Anzahl von Amnestiegesetzen weltweit zugenommen habe.1359 Dagegen stellen Vinjamuri und Boesenecker anhand der Analyse von Friedensabkommen fest, dass es zwar in den 1990er Jahre zu einer „accountabil­ 1353  Ebd.

1354  Heinz,

Netherlands Quarterly Human Rights 13 (1995), S. 61. statt vieler nur: Mallinder, Amnesty, Human Rights and Political Transitions; Sikkink/Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S. 427 ff. und Vinjamuri/Boesenecker, Accountability and Peace Agreements. 1356  Sikkink/Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S. 430. 1357  Ebd., S. 432. 1358  Ebd., S. 433. 1359  Mallinder, Amnesty, Human Rights and Political Transitions, S. 30. 1355  Vgl.



V. Zusammenfassung und kritischer Ausblick391

ity bubble“1360 gekommen sei, die Anzahl von Amnestien zu dieser Zeit ein wenig abgenommen hätte, im Allgemeinen jedoch Amnestien immer eine relativ stabile Zahl vorzuweisen hätten.1361 Hayner stelllt die ansteigende Häufigkeit von Wahrheitskommissionen zu Beginn der 1990er Jahre fest.1362 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass sich seit der Mitte und dem Ende der 1990er Jahre prominente Fällen, in denen v. a. westeuropäische Staaten aufgrund des Weltrechtsprinzips höherrangige Verdächtige von Menschenrechtsverletzungen verfolgen (Beispiel Pinochet), häufen. Es lässt sich auch festhalten, wie z. B. Mallinder zeigt, dass die Staatengemeinschaft mittlerweile bezüglich unter Vorgängerregimen bzw. während eines Konfliktes begangenen schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen ein geschärftes Problembewusstsein hat, eine einheitliche Staatenpraxis hinsichtlich einzelner TJ-Instrumente aber (noch) nicht vorliegt. Was jedenfalls unstreitig ist, ist eine stark ansteigende Schwerpunktsetzung auf Rule of Law und Gerechtigkeitsinitiativen in der Entwicklungshilfe seit dem Beginn der 1990er Jahre, wobei „Gerechtigkeit“ im Sinne von „legal transplants of Western and neo-liberal inspiration“1363 bzw. „topdown ‚one-siz-fits-all‘-Ansatz beschrieben wird.1364

V. Zusammenfassung und kritischer Ausblick TJ, dies hat der vorstehende Abschnitt geziegt, ist ein pragmatischer, aktionsorientierter Praxisbereich, der v. a. von internationalen Akteuren – sowohl zwischenstaatlicher Natur als auch NGOs – geprägt wird. Diese Praxis war zu Beginn weniger an den Erfordernissen des internationalen Rechts orientiert, sondern vielmehr an den praktischen Erfordernissen des nationalen Kontextes. Während das übergeordnete Ziel auch für die UN durchaus die diffuse Idee der Accountability war, wurden am Anfang aufgrund tatsächlicher Schwierigkeiten und fehlender einheitlicher Richtlinien (aber auch im Lichte von „Frieden vs. Gerechtigkeit“) Abstriche der Pflicht zur Strafverfolgung in Kauf genommen. Amnestiegesetze wurden v. a. im Rahmen der UN zunächst als notwendiges Übel dargestellt, die aber grundsätzlich als legitimes Mittel akzeptiert wurden („Preis für Frieden“). Einen Gegenimpuls erfuhr diese Tendenz durch das Aufleben der Idee eines Internationalen Strafgerichtshofes Anfang der 1990er Jahre, während 1360  Vinjamuri/Boesenecker,

Accountability and Peace Agreements, S. 9. ebd., S. 9. 1362  Hayner, Human Rights Quarterly 16 (1994), S. 605. 1363  Oomen, Development and Change 36 (2005), S. 892. 1364  Lundy/McGovern, Journal of Law and Society 35 (2008), S. 265. 1361  Vgl.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – B. Praxis

es in der Praxis aber weiterhin große Probleme in der Umsetzung der Unterstützung von völkerstrafrechtlichen Initiativen gab. Weder auf UN-Ebene noch auf der Ebene anderer Akteure kann von einer klar abgrenzbaren TJ-Praxis bis zum Ende des Kalten Krieges gesprochen werden. Aktivitäten in diesem Bereich sind wenig systematisch und ordnen sich vielmehr in den allgemeinen Rahmen der Menschenrechtsarbeit ein. So fordern insbesondere die internationalen Menschenrechtsorganisationen früh die Untersuchungen der Menschenrechtsverletzungen und Strafverfolgungen. Sie betonten die Staatenverpflichtungen und sprechen sich gegen Amnestien aus. Interessanterweise sind und bleiben es v. a. die Nichtregierungsorganisationen – und hier v. a. die Opferorganisationen – die sich auf die Rechtsprechung der regionalen und internationalen Menschenrechtsschutzsysteme berufen. Gegen Ende der 1980er Jahre ist ein gestiegenes Interesse sowohl in der UN als auch bei den internationalen Menschenrechtsorganisationen an der systematischen Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen festzustellen und es werden klare politische Forderungen dahingehend gestellt. Daraufhin lassen sich auch erste Initiativen im Rahmen von PeacekeepingMissionen feststellen. Die Vereinten Nationen weiten im Folgenden dann ihre TJ-Aktivitäten aus, obwohl sie dies noch nicht ausdrücklich mit dem Begriff TJ bezeichnen. Obwohl sowohl die vergangenheits- als auch die zukunftsorientierten Aktivitäten v. a. der Friedensmissionen zunehmen, fehlt bis 2004 noch eine klare strategische und politische Orientierung der Vereinten Nationen hinsichtlich TJ. Erst mit der internen Reform des Peacekeeping und dem Friedensabkommen von Lomé bezieht die Weltorganisation deutlich Stellung bezüglich Amnestien für die Verletzung von menschenrechtlichen Ius cogens-Normen. Noch vor dem Bericht 2004 erfährt das Feld einen bedeutsamen institutionellen Schub durch die Gründung der Nichtregierungsorganisation ICTJ, die mit bedeutsamen Geldmitteln und einflussreichen Unterstützern ausgestattet, v. a. die südamerikanischen und die südafrikanische Transitionserfahrung für andere Staaten „verwendbar“ machen wollte. Die „traditionellen“ Menschenrechtsorganisationen waren noch zurückhaltend bezüglich der Verwendung des Begriffes und begannen erst gegen 2001 (HRW) bzw. 2003 (AI), diesen zu verwenden. Sie sahen auch die Einrichtung des ICTJ mit kritischen Augen, nicht nur aufgrund möglicher finanzieller Einbußen, sondern auch hinsichtlich einer möglichen Aufweichung der normativen Standards durch den TJ-Diskurs. Im Folgenden (nach kurzem Interesse) verschwand der Begriff wiederum von deren Agenda und die Organisationen äußerten sich gegen 2010 äußerst kritisch diesbezüglich.



V. Zusammenfassung und kritischer Ausblick393

Der sich 2004 konkretisierende TJ-Ansatz der Vereinten Nationen kann wie folgt beschrieben werden: praxisorientiert („rather a technical approach to exceptional challenges“1365), auf der Grundlage der Menschenrechte („human rights-based approach to transitional justice“)1366 und unter Anerkennung der Exzeptionalitätsthese  − allerdings in Bezug auf die TJ-Instrumente und nicht den Transitionskontext. Mit der Praxisorientiertheit des Diskurses ist hier gemeint, dass klar zwischen der rechtlichen Seite (Menschenrechte) und der der politischen Sachzwänge unterschieden wird.1367 Es wird auch von Menschenrechtsaspekten der einzelnen TJ-Instrumente gesprochen.1368 Unter dem human rights-based approach to transitional justice versteht man, dass Policy-Empfehlungen auf völkerrechtlicher (menschenrechtlicher) Grundlage gegeben werden, d. h. z. B. unter Bezugnahme auf die Opferrechte und die Verpflichtungen von Staaten aus menschenrechtlichen Konventionen. Insbesondere das „Recht auf Wahrheit“,1369 das „Recht auf Entschädigung“ und das „Recht auf Gerechtigkeit“), die in ihren Einzelheiten in der Lehre und Rechtsprechung noch umstritten sind, finden so Rückhalt in der Praxis der Weltorganisation.1370 Die nationalen Erfahrungen stehen den Entwicklungen auf internationaler Ebene teilweise entgegen. Auch wenn man auf der internationalen Ebene zunehmend eine Tendenz zu mehr beobachten will, lässt die Häufigkeit von Amnestien auf Nationalebene dagegen nicht nach. Mit dem International Center for Transitional Justice tritt ein neuer Akteur 2001 auf, der  − mit großer finanzieller und inhaltlicher Kompetenz 1365  Navanethem

Pillay, Dialogue with Member States on Rule of Law. Nations Approach to Transitional Justice, S. 9. 1367  „OHCHR support includes ensuring that human rights and transitional justice considerations are reflected in peace agreements; engaging in the design and implementation of inclusive national consultations on transitional justice mechanisms; supporting the establishment of truth-seeking processes, judicial accountability mechanisms and reparations programmes; and enhancing institutional reform.“ (Analytical study on human rights and transitional justice, S. 5 (Hervorh. durch. d. Verf.).) 1368  Analytical study on human rights and transitional justice, S. 5, § 4 (Hervorh. durch d. Verf.). Vgl. auch OHCHR: Inventory of human rights and transitional justice aspects of recent peace agreements, UN Dok. A/HRC/12/18/Add.1 (21. August 2009). 1369  Independent study on best practices, including recommendations, UN Dok. E/CN.4/2004/88 (27.  Februar 2004) und Study on the Right to the Truth, UN Dok E/CN.4/2006/91 (8.  Februar 2006). 1370  In diesem Zusammenhang werden insbesondere die beiden (rechtlich unverbindlichen) Dokumente „Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ und die „Principles to Combat Impunity“ benannt (vgl. hierzu Teil 3, C. II. 2.). 1366  United

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

ausgestattet  − es sich dezidiert zur Aufgabe gemacht hat, TJ sowohl in der Praxis als auch in der Forschung voranzubringen. Dabei ist wichtige Grundannahme des Akteurs die Nutzbarmachung der lateinamerikanischen und südafrikanischen Erfahrungen für andere Transitionskontexte (sog. Trans­ nationalisierung).1371 Die in dieser Phase teils bereits institutionalisierte, teils noch informelle Vernetzung von Experten und Praktikern war gegen Ende 2010 verstetigt. Mitte der 1990er Jahre begann eine globale „Aufarbeitungs“-Industrie, mit bestimmtem Grundcredo und einer internationalen Toolbox. „Wenn in den vergangenen Jahren ein Regimewechsel oder ein Friedensschluss zur Einsetzung einer Wahrheitskommission geführt hat, so war deren Design sowohl Ausdruck der jeweiligen gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse als auch Produkt internationaler Beratungsleistungen. Die Antworten auf die Frage, wie der grundsätzliche Konsens über die Notwendigkeit, mit einer belasteten und belastenden Vergangenheit aktiv umzugehen, praktisch umgesetzt werden kann, haben sich zu einer Wissensform entwickelt, die über spezialisiertes Personal zirkuliert, und die in der Welt des beginnenden 21. Jh. eine hegemoniale Wahrheit repräsentiert.“1372

C. Entwicklungen auf normativer Ebene Die bisherige Untersuchung hat kaum Rückschlüsse auf mögliche Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Recht ergeben. Daher untersucht das nachfolgende Kapitel die Fragestellung, ob das TJ-Deutungsmuster in der Rechtsprechung auf internationaler Ebene sowie der regionalen Spruchkörpern nachweisbar ist und ob es irgendwelche Richtlinien aus der Rechtsprechung gibt, die das TJ-Feld berücksichtigen müsste. Dabei folgt die Darstellung ebenfalls eine chronologischen Reihenfolge, um die Wechselwirkungen in den einzelnen Phasen, falls es solche gibt, besser nachvollzie1371  „[… W]ith the conscious strategy of transforming the international human rights field promoted by its founders: the aim was to import within this field the tools for social development and transition supported by the Ford Foundation in these earlier laboratories, by rationalizing them as forms of practical knowledge that could be devised to accompany ‚transitions‘ from any form of political instability – be it authoritarian rule, or war. From inception, thus, the story of the International Center for Transitional Justice and its founders and historical staff, has been one of displacement: the displacement of investments that had developed in the shadow of the State and in the shadow of the Court towards the terrain of the law. In turn, the success of the organization has lied in transforming the boundaries of the interna­ tional human rights field, but also into integrating the hierarchies of the legal field per se, as a way to legitimize its activities by making them part and parcel of an ‚accountability continuum‘.“ (Ebd., S. 7.) 1372  Oettler, Lateinamerika Analysen 9 (2004), S. 120.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts395

hen zu können. Gesondert davon werden Elemente dargestellt, die für die völkergewohnheitsrechtliche Entwicklung von Bedeutung sind.

I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts 1. Internationale Spruchkörper und Menschenrechtsschutzsysteme a) CCPR aa) Vertragsverhandlungen Geht man in der Geschichte der Vertragsverhandlungen zum IPbpR1373 zurück, so stellt man fest, dass das Drafting Committee die Problematik des Inhalts der Verpflichtung der Etablierung von Verantwortung („holding accountable“) diskutiert hatte: Insbesondere wurde der Rechtfertigungs- bzw. Entschuldigungsgrund des Befehlsnotstandes und der Rückgriff auf das Argument der staatlichen Immunität ausgeschlossen.1374 Während den Vertragsverhandlungen fand auch der Vorschlag, strafrechtliche Bestrafung als mögliche staatliche Verpflichtung ausdrücklich zu berücksichtigen, keine Mehrheit.1375 Die Verpflichtung zur strafrechtlichen Verfolgung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen wurde während den Verhandlungen zwar diskutiert und einige Delegationen sprachen sich für die Einbeziehung einer solchen Verpflichtung aus, dieser Vorschlag wurde jedoch nicht angenommen.1376 bb) Spruchpraxis vor 1989 / 90 In der Zeit vor 1989 / 90 veröffentlichte das CCPR einige Allgemeine Bemerkungen (AB)1377 die von Bedeutung für die TJ-Problematik sind: so z. B. zum öffentlichen Notstand und der Möglichkeit des Vertragsstaates, die Verpflichtungen bezüglich einzelner Menschenrechte zu derogieren. Das 1373  Die nachfolgende Darstellung basiert hauptsächlich auf der Auswertung der Rechtsprechung des CCPR zum Thema „Strafverfolgungspflichten“ und „Amnes­ tien“ in: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations; Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537 ff. und Roht-Arriaza (Hrsg.), Impunity. 1374  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 33. 1375  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 21; Schachter, in: Henkin (Hrsg.), International Bill of Rights, S. 326. 1376  Vgl. Nachweise bei Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 33 (Fn. 66). 1377  AB Nr. 5 zu Artikel 4; AB Nr. 6 zu Artikel 6 und AB Nr. 14 zu Artikel 6; AB Nr. 7 zu Artikel 7; AB Nr. 13 zu Artikel 14; AB Nr. 20 zu Artikel 7.

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Komitee betonte hier die Mitteilungspflichten des Vertragsstaates und den Charakter der Ausnahmesituation als exzeptionell und temporär.1378 Im AB Nr. 6 betonte das Komitee z. B. die Bedeutung von Art. 6 (Recht auf Leben) und den notstandsfesten Charakter dieses Rechts.1379 In Paragraph 4 erläutert das Komittee dann die Verpflichtungen, die sich aus Art. 6 ergeben: „[… s]tates should establish effective facilities and procedures to investigate thoroughly cases of missing and disappeared persons in circumstances which may involve a violation of the right to life.“1380

In seinem Kommentar Nr. 7 hält das Komitee für das Verbot der Folter und der grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung bzw. Bestrafung (cruel, inhuman and degrading treatment and punishment, CIDHTIP) deren notstandsfesten Charakter fest, aber auch die Verpflichtungen, die sich für die Vertragsstaaten ergeben, sollte ein Beschwerde diesbezüglich vorliegen: „Complaints about ill-treatment must be investigated effectively by competent authorities. Those found guilty must be held responsible, and the alleged victims must themselves have effective remedies at their disposal, including the right to obtain compensation.“1381

In beiden Kommentaren stellt das Komitee eine Verpflichtung zur Untersuchung von Vorwürfen fest, und – im Falle des Verbotes von CIDHTP – die Verpflichtung die für schuldig befundenen Täter zur Verantwortung zu 1378  „The Committee holds the view that measures taken under article 4 are of an exceptional and temporary nature and may only last as long as the life of the nation concerned is threatened and that, in times of emergency, the protection of human rights becomes all the more important, particularly those rights from which no derogations can be made. The Committee also considers that it is equally important for States parties, in times of public emergency, to inform the other States parties of the nature and extent of the derogations they have made and of the reasons therefore and, further, to fulfil their reporting obligations under article 40 of the Covenant by indicating the nature and extent of each right derogated from together with the relevant documentation.“ (CCPR, AB Nr. 5 zu Artikel 4, UN Dok. HRI/GEN/1/Rev.1 (1994)), § 3.) 1379  „1. The right to life enunciated in article 6 of the Covenant has been dealt with in all State reports. It is the supreme right from which no derogation is permitt­ ed even in time of public emergency which threatens the life of the nation (art. 4). However, the Committee has noted that quite often the information given concerning article 6 was limited to only one or other aspect of this right. It is a right which should not be interpreted narrowly.“ (CCPR, AB Nr. 6 zu Artikel 6, UN Dok. HRI/ GEN/1/Rev.1 (1994), § 1; vgl. auch CCPR, AB Nr. 14 zu Artikel 7, UN Dok. HRI/ GEN/1/Rev.1 (1994), § 1 f.) 1380  CCPR, AB Nr. 6 zu Artikel 6, UN Dok. HRI/GEN/1/Rev.1 (1994), § 4. 1381  CCPR, AB Nr. 7 zu Artikel 7, UN Dok. HRI/GEN/1/Rev.1 (1994), § 7.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts397

ziehen. Was genau diese Verpflichtung beinhaltet, lässt sich jedoch nicht aus den Kommentaren ableiten. Wichtig ist aber, dass das Komitee mit keinem Wort auf die Exzeptionalität einer Transitionssituation eingeht (vgl. auch zu Individualbeschwerden). In den Individualbeschwerden1382 hält das Komitee von Beginn an fest, dass aus Art. 4 Abs. 2 des Zusatzprotokolls implizit eine Pflicht „to investigate in good faith all allegations of violation of the Covenant made against it and its authorities, and to furnish to the Committee the information available to it“ folgt.1383 Diese Verpflichtung wird aktuell, sobald eine Beschwerde für zulässig erklärt und die Vertragspartei zur Stellungnahme aufgefordert wurde. In Baboeram u. a. gegen Surinam ging das Komitee noch einen Schritt weiter: Nachdem es eine Verletzung des Rechtes auf Leben festgestellt hatte, führte es aus: „The Committee therefore urges the State party to take effective steps (i) to investigate the killings of December 1982; (ii) to bring to justice any persons found to be responsible for the death of the victims) (iii) to pay compensation to the surviving families; and (iv) to ensure that the right to life is duly protected in Suriname.“1384

In Bleier gegen Uruguay1385 ging es um einen Fall des „gewaltsamen Verschwindenlassens“.1386 Da die Entscheidung noch vor Ende des Militärregimes getroffen wurde (1982), handelt es sich bei diesem Fall nicht um einen TJ-Kontext. Allerdings ist er wichtig im Hinblick auf die Umkehrung der Beweislast für das Vorliegen einer Menschenrechtsverletzung, die im Rahmen einer Praxis von systematischen Menschenrechtsverletzungen be1382  Bleier gegen Uruguay, UN Dok. Supp. No. 40 (A/37/40) (1982) (Beschwerde Nr. 30/1978); Quinteros gegen Uruguay, UN Dok. CCPR/C/OP/2 (1990) (Beschwerde Nr. 107/1981); Tshitenge Muteba gegen Zaire, UN Dok. Supp. No. 40 (A/39/40) (1984) (Beschwerde Nr. 124/1982); Boaboeram gegen Surinam, UN Dok. Supp. No. 40 (A/40/40) (1985) (Beschwerden Nr. 146/1983 und 148–154/1983). 1383  Bsp. Tshitenge Muteba gegen Zaire, § 11. 1384  John Khemraadi Baboeram, Andre Kamperveen, Cornelis Harold Riedewald, Gerald Leckie, Harry Sugrim Oemrawsingh, Somradj Robby Sohansingh, Lesley Paul Rahman and Edmund Alexander Hoost gegen Suriname, Beschwerde Nr. 146/1983, 148/1983–154/1983, UN Dok. Supp. No. 40 (A/40/40) (1985), § 16. 1385  CCPR, Bleier v. Uruguay, UN Dok. (A/737/40) (Beschwerde Nr. 30/1978). 1386  Die Familie des Opfers hatte eine Beschwerde basierend auf Artikel 2 (Recht auf wirksamen Rechtsbehelf), 3 (Recht auf Freiheit von Diskriminierung), 6 (Recht auf Leben), 7 (Verbot der Folter), 9 (Recht auf Freiheit und Sicherheit), 10 (Rechte von Personen im Freiheitsentzug), 12.2 (Recht auf Freizügigkeit), 14 (Recht auf ein faires Verfahren), 15 (nulla poena sine lege), 17 (Recht auf Respektierung des Privat- und Familienlebens), 18 (Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit), 19 (Meinungsfreiheit), 25 (politische Rechte) und 26 (Verbot der Diskriminierung) eingereicht.

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gangen wurde, sowie die erneute Betonung der Pflicht des Vertragsstaates zur Untersuchung von Vorwürfen.1387 Ein weiterer bedeutender Fall in dieser Hinsicht ist Quinteros gegen Uruguay1388, der zweite Fall gegen Uruguay, in dem es wiederum um einen Fall des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ ging.1389 Die Beschwerdeführerin (die Mutter des Opfers) brachte auch eine eigene Beschwer vor, die ihre Stellung als Opfer rechtfertigen würde (Verletzung von Art. 7 und 17). Es handelt sich wiederum nicht um einen TJ-Kontext, da auch dieser noch zu Zeiten des Militärregimes in Uruguay entschieden wurde. Trotzdem kann dieser Fall wichtige Einblicke in die Entwicklung des Opferrechtdiskurses gewähren. Das Komitee hielt fest: „The author has the right to know what has happened to her daughter. In this respect, she too is a victim of the violations of the Covenant suffered by her daughter, in particular of Article 7.“1390

Damit erkannte das Komitee zum ersten Mal das Recht auf Wahrheit eines Familienangehörigen des Opfers an. Zusammenfassend kann man daher feststellen, dass bis 1990 die Transition kein Deutungsschema in der Rechtsprechungspraxis des CCPR war. Die dargestellten Fälle bzw. Kommentare deuten auf einen geringen Ermessensspielraum, der Raum für politisch-pragmatische Erwägungen lassen könnte, hin. cc) Spruchpraxis ab 1989 / 90 (1) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung Es werden vornehmlich zwei Artikel vom CCPR zur Begründung der Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung herangezogen: der Justizgewährungsanspruch (Art. 14) sowie das Recht auf wirksamen Rechtsbehelf (right to remedy, Art. 2 Abs. 3) und die Pflicht zur Achtung und Wahrung (respect and ensure, Art. 2 Abs. 1) der Rechte aus dem Pakt.1391 Die Haltung des CCPR bezüglich der Vereinbarkeit von Amnestiegesetzen mit diesen Verpflichtungen der Vertragsstaaten ist grundsätzlich kritisch.1392 1387  CCPR,

Bleier v. Uruguay, § 12. Quinteros v. Uruguay (Hervorh. durch d. Verf.). 1389  Die Mutter des Opfers rügte eine Verletzung von Artikel 7, 9, 10, 12, 14, 17 und 19. 1390  Ebd., § 14. 1391  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, Kapitel 2. 1392  Das CCPR „welcomes the information that art. 23 of the Constitution prohibits the enacting of amnesty legislation or granting pardons for human rights viola1388  CCPR,



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Teilweise stützt das CCPR dann jedoch die Verpflichtung auf Untersuchung und Bestrafung auf Art. 2 Abs. 2 oder Abs. 3.1393 Aus Art. 2 Abs. 2 leitet das Komitee besondere Anforderungen bezüglich der Untersuchung und Verfolgung vergangener oder andauernder Menschenrechtsverletzungen ab, insbesondere wenn es um Foltervorwürfe und Misshandlungsvorwürfe durch die Polizei geht.1394 Für den Fall des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ könne die Unterlassung einer Untersuchung (aufgrund eines Amnestiegesetzes) eine Verletzung des Artikels 16 (Anerkennung der Rechtsfähigkeit) darstellen.1395 Allgemein hielt das Komitee in seinem Kommentar 7 fest: „States must ensure an effective protection through some machinery of control. Complaints about ill-treatment must be investigated effectively by competent ­authorities. Those found guilty must be held responsible, and the alleged victims must themselves have effective remedies at their disposal, including the right to obtain compensation.“1396

In Laureano Atachahua gegen Peru forderte das Komitee den Staat auf, all die Täter einem Gericht zuzuführen, die für das „gewaltsame Verschwindenlassen“ des Opfers verantwortlich waren – trotz entgegenstehender Amnestiegesetzgebung.1397 Täter von Menschenrechtsverletzungen ungestraft davonkommen zu lassen „undermines efforts to establish respect for human rights, contributes to an atmosphere of impunity […] and constitutes a very serious impediment to efforts undertaken to consolidate democracy and promote respect for human rights and is thus in violation of article 2 of the Covenant.“1398 tions; that torture, enforced disappearances and extrajudicial executions have no statute of limitations.“ (CCPR, Staatenbericht Ecuador, UN Dok. A/53/40 (1998), § 280.) 1393  „The Committee emphasizes the obligation of the State party under article 2, paragraph 3, of the Covenant to ensure that victims of past human rights violations have an effective remedy. In order to discharge that obligation, the Committee recommends that the State party review the effect of the Amnesty Law and amend or repeal it as necessary.“ (CCPR, Staatenbericht El Salvador, UN Dok. A/49/40 (1994), § 214.) 1394  CCPR, Staatenbericht Paraguay (UN Dok. A/50/40 (1995), §§ 216). 1395  Abweichende Meinung von Hipólito Solari Yrigoyen in: Acuña Inostroza u. a. gegen Chile, UN Dok. CCPR/C/66/D/717/1996 (1996), Beschwerde Nr. 717/ 1996. 1396  AB zu Art. 7 (in Verbindung mit Artikel 2). In seiner AB Nr. 20 nimmt das Komitee zu Untersuchungspflichten auch von Foltervorwürfen allgemein Stellung und bejaht eine Pflicht zur prompten und unabhängigen Untersuchung. 1397  Laureano Atachahua gegen Peru, UN Dok. CCPR/C/56/D/540/1993 (1996), Beschwerde Nr. 540/1993, § 10. 1398  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Peru, UN Dok. CCPR/C/79/ Add. 67 (1996), § 9; vgl auch: CCPR, Concluding Observations of the HRC: ­Yemen,

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Schwere Verletzungen von bürgerlichen und politischen Rechten sollten so lange wie nötig verfolgbar sein.1399 Hier findet sich das Rechtstaatlichkeitsund Demokratieargument bezüglich Amnestien wieder. Ähnliche Empfehlungen sprach das Komitee für Kambodscha aus: So sollte Kamboscha alle vermeintlichen Täter von Menschenrechtsverletzungen vor Gericht bringen, inbesondere von schweren Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.1400 In Saker gegen Algerien stellte das Komitee fest, dass der Staat dazu verpflichtet sei, „to pros­ ecute criminally, try and punish those held responsible.“1401 Im Fall Senegal stellt das Komitee sogar eine Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Bestrafung fest.1402 „Remedy“ im Sinne von Art. 2 Abs. 31403 schließlich bedeute primär „compensation and full rehabilitation as may be possible“1404. Im Falle UN Dok. CCPR/C/79/Add. 51 (1995), § 11; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Paraguay, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 48, (1995), § 9. 1399  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Argentina, UN Dok. CCPR/ CO/70/ARG (2000), § 9. 1400  CCPR, Staatenbericht Mexiko, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 108 (1999), §§ 6.11. 1401  UN Dok. CCPR/C/86/D/1085/2002 (2006); ebenso für Jemen und Niger: „The Committee notes with concern the general amnesty granted to civilian and military personnel for human rights violations they may have committed against civilians during the civil war. The Committee notes in this regard that some amnesty laws may prevent appropriate investigation and punishment of perpetrators of past human rights violations, undermine efforts to establish respect of human rights, contribute to an atmosphere of impunity among perpetrators of human rights violations, and constitute impediments to efforts undertaken to consolidate democracy and promote respect for human rights.“ (CCPR, Staatenbericht Yemen, UN Dok. A/50/40 (1995), § 252.) „[…] The Committee considers that the agents of the State responsible for such human rights violations should be tried and punished. They should in no case enjoy immunity, inter alia, through an amnesty law, and the victims or their relatives should receive compensation.“ (CCPR, Staatenbericht Niger, UN Dok. CCPR/C/79/Add.17 (1993), § 7.) 1402  „The Committee considers that amnesty should not be used as a means to ensure the impunity of State officials responsible for violations of human rights and that all such violations, especially torture, extra-judicial executions and ill-treatment of detainees should be investigated and those responsible for them tried and punish­ ed.“ (CCPR, Staatenbericht Senegal, UN Dok. CCPR/C/79/Add.10 (1992), § 5.) Für Verletzung von Art.  14: vgl. auch CCPR, Bautista de Arellana, Beschwerde Nr. 563/1993 (1995), § 8.6. und für Burundi CCPR, Staatenbericht Burundi, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 41 (1994), § 12. 1403  „Each State Party to the present Covenant undertakes: (a) To ensure that any person whose rights or freedoms as herein recognized are violated shall have an effective remedy, notwithstanding that the violation has been committed by persons acting in an official capacity; (b) To ensure that any person claiming such a remedy



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einer außergerichtlichen Hinrichtung bedeute dies v. a. die Feststellung einer Verletzung und das Festsetzen einer Entschädigung, sowie ggf. öffentliche Entschuldigung, Denkmäler, Garantien der Nichtwiederholung und Änderung der relevanten Gesetze und Praktiken1405. 1404

Dagegen wurde in Blanco gegen Nicaragua festgehalten, dass die Untersuchung der Anschuldigungen des Beschwerdeführers schon ausreichend für „remedy“ im Sinne von Art. 2 Abs. 3 seien.1406 „[A]n aggrieved individual must at least have the opportunity to present the reasons which make him believe that the act complained of violates his human right. Further, there needs to be an official investigation, an identification of those responsible, compensation for victims, and the prevention of future violations.“1407

Das Recht auf wirksames Rechtsmittel wird als absolut, d. h. nicht einschränkbar, interpretiert.1408 Ähnlich hat sich das Komitee bezüglich Folter, CIDT / P, außergerichtliche und willkürliche Tötungen und gewaltsames Verschwindenlassen geäußert.1409 (2) Pflicht zur Bestrafung „Bestrafung“ im Sinne des Paktes bedeutet nicht unbedingt strafrechtliche Sanktionen, sondern hängt von dem verletzten Menschenrecht und der Schwere der Verletzungen ab.1410 Strafrechtliche Sanktionen seien allerdings bei „summary and arbitrary killings“, gewaltsamem Verschwindenlassen, Folter und CIDP / T notwendig.1411 Als Strafgrund sei hier auch die Prävention zukünftiger Menschenrechtsverletzungen zu sehen.1412 shall have his right thereto determined by competent judicial, administrative or legislative authorities, or by any other competent authority provided for by the legal system of the State, and to develop the possibilities of judicial remedy; (c) To ensure that the competent authorities shall enforce such remedies when granted.“ 1404  AB zu Artikel 7. 1405  CCPR, AB Nr. 31, UN Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13 (2004), § 16. 1406  Blanco gegen Nicaragua, UN Dok. CCPR/C/51/D/328/1988 (1994), Beschwerde-Nr. 328/1988, § 9.2. 1407  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 22. 1408  Ebd., S. 45. 1409  CCPR, AB Nr. 31 zu Artikel 2, UN Dok. CCPR/C/74/CRP.4, Rev. 2 (2003), § 17. 1410  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 27; Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537, 2573, 2576; Scharf, Texas International Law Journal 31 (1996), S. 1, 27. 1411  CCPR, AB Nr. 31, UN Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13 (2004), § 18; Arhuacos gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/60/D/612/1995 (1997), § 8.8  ; Bautista de Arellana gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/55/D/563/1993 (1995), § 8.2; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Nigeria, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 65

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Darüber hinaus scheint jedoch das Komitee dem Staat im Rahmen des Artikels 2 Ermessensspielraum bezüglich der angemessenen Sanktion einzuräumen.1413 Mindestmaßnahme sei aber jedenfalls, die verurteilten Täter aus öffentlichen Ämtern zu entfernen.1414 1412

Bei der Verletzung grundlegender Menschenrechten sieht das CCPR rein disziplinarrechtliche und administrative Sanktionen als nicht ausreichend oder effektiv an.1415 In diesem Fall wurden die Staaten dazu aufgefordert, die Angelegenheit vor die ordentliche Strafgerichtsbarkeit zu bringen (ohne jedoch dem Beschwerdeführer das Recht einzuräumen, ein solches Strafverfahren verlangen zu können).1416 Es wurden auch (kumulativ) Maßnahmen wie administrative Strafen oder zivilrechtliche Entschädigung sowie die Kürzung / Streichung von Pensionen und die Veröffentlichung von Namen der Straftäter erwogen.1417 In seinem AK zu Art. 2 verwendete das Komitee schließlich den Begriff der „personal responsibility“1418, wobei nicht klar ist, ob damit notwendigerweise strafrechtliche Bestrafung gefordert wird. (3) Amnestiegesetzgebung Zwei Verpflichtungen bzw. Rechte sind bei der Betrachtung von Amnestien zu unterscheiden: (1) die Verpflichtung zur Untersuchung und Entschädigung (wobei hier ein korrespondierendes Opferrecht, nämlich das Recht auf ein effektives Rechtsmittel, Art. 14, anerkannt ist) und (2) die Pflicht (1996), § 32; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Senegal, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 10 (1992), § 5; CCPR, Concluding Observations of the HRC: ­Yemen, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 51 (1995), § 13. 1412  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 29. 1413  Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 5 (2001), S. 399. 1414  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Brasilien, UN Dok. CCPR/C/79/ Add. 66 (1996), § 20; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Guatemala, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 63 (1996), § 26; CCPR, Concluding Observations by the HRC: Colombia, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 76 (1997), § 32; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Argentina, UN Dok. CCPR/CO/70/ARG, (2000) § 9. 1415  Coronel gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/76/D/778/1997 (2002), Beschwerde-Nr. 778/1997, § 6.2. 1416  Ebd., §  3.6; vgl. auch Arhuacos gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/60/D/612/1995 (1997), Beschwerde-Nr. 612/1995, § 8.8. 1417  Vgl. z. B. CCPR, Concluding Observations of the HRC: Morocco, UN Dok. CCPR/C/79/Add.44 (1994); Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 30. 1418  States Parties concerned may not relieve perpetrators from personal responsibility, as has occurred with certain amnesties.“ (CCPR, AB zu Artikel 2, UN Dok. CCPR/C/74/CRP.4, Rev. 3 (2003), § 18.)



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zur Strafverfolgung im Lichte der Achtung und Wahrung der Konventionsrechte (Art. 2 nur für besonders schwere Fälle anerkannt; kein entsprechendes Opferrecht1419).1420 Das Komitee sieht seine Zuständigkeit unabhängig von einer nationalen Amnestie gegeben (siehe Boucherf gegen Algerien).1421 Das CCPR stellt in der Regel eine Verletzung von Art. 14 durch eine Amnestiegesetzgebung fest, wenn durch diese auch die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Vorgehens ausgeschlossen wird. Dies wird in der Regel damit begründet, dass ohne Untersuchung eine Identifizierung der Täter bzw. die Sammlung von Beweismaterial nicht möglich sei. Damit verletze der Staat seine Verpflichtung, den Opfern ein schadensersatzrechtliches Vorgehen zu ermöglichen. Dabei wird aus Art. 14 jedoch keine Verpflichtung zur Bestrafung der Täter abgeleitet, sondern lediglich zur Untersuchung.1422 Das Komitee betont, dass Demokratie, Frieden und der Respekt für Menschenrechte nach einer Periode von Bürgerkrieg oder Diktatur wiederhergestellt werden müssen.1423 Und das CCPR scheint Amnestiegesetze hierfür generell nicht geeignet zu halten: So wies das Komitee in Rodríguez gegen Uruguay die Argumentation des Staates zurück, dass das Ley de Caducidad die Demokratie konsolidieren und den sozialen Frieden in Uruguay sicherstellen würde, und, dass dieses daher notwendig für die Begründung einer „solid foundation of respect of human rights“1424 wäre. Auch wiederum entgegen der Argumentation des Staates hielt das Komitee das Amnestiegesetz nicht zur Generalprävention geeignet.1425 1419  Zheikov gegen Russische Föderation, UN Dok. CCPR/C/86/D/889/1999 (2006), Beschwerde-Nr. 889/1999, § 9; Saker gegen Algerien, UN Dok. CCPR/C/ 86/992/2001 (2006), Beschwerde-Nr. 992/2001, § 11; Boucherf gegen Algerien, UN Dok. CCPR/C/86/D/1196/2003 (2006), Beschwerde-Nr. 1196/2003, § 11; Njaru gegen Kamerun, UN Dok. CCPR/C/89/D/1353/2005 (2007), Beschwerde-Nr. 1353/2005, § 8. 1420  Seibert Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 38. 1421  Boucherf gegen Algerien, § 1.2; vgl. auch Njaru gegen Kamerun, § 8; CCPR, AB Nr. 31, UN Dok. CCPR/C/21/Rev. 1/add.13 (2004), § 16 (26.  Mai 2004). 1422  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, Fn. 156. 1423  CCPR, Staatenbericht El Salvador, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 34 (1994), §§ 7, 12. 1424  Rodríguez gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 322/1988, UN Dok. CCPR/ C/51/D/322/1988 (1994), § 12.4. 1425  Dieses Argument wurde von dem Vertragsstaat als Rechtfertigung angebracht (Rodríguez gegen Uruguay, § 4.3): „[A]mnesties for gross violations of human rights and legislation such as Law No. 15,848, Ley de Caducidad de la Pretensión Punitiva del Estado, are incompatible with the obligations of the State party under the Covenant. The Committee notes with deep concern that the adoption of this law

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Das CCPR hat Amnestiegesetze auch oft aufgrund der Förderung des Klimas der Straflosigkeit kritisiert, so z. B. bezüglich Argentinien1426, Peru1427 oder Senegal1428.1429 Ein Klima von Straflosigkeit könne die Wiederherstellung von Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und das Einhalten von Menschenrechten schwächen. Bezüglich des dritten Staatenberichts Perus trat das Komitee der Argumentation entgegen, dass die peruanische Amnestie zur Wiederherstellung des Rule of Law beitragen würde.1430 Allerdings wird in der Literatur mit Verweis auf den AB Nr. 31 zu Art. 2 darauf hingewiesen1431, dass das Kommitte anscheinend Situationen im Sinn effectively excludes in a number of cases the possibility of investigation into past human rights abuses and thereby prevents the State party from discharging its responsibility to provide effective remedies to the victims of those abuses.“ (Ebd., § 2.2., § 12.4.) Als Empfehlung für die Verwirklichung des Rechtes auf einen wirksamen Rechtsbehalf, empfiehlt das Komitee gesetzgeberische Maßnahmen, um die Auswirkungen des streitgegenständlichen Gesetzes zu korrigieren. In seinem Kommentar zum Staatenbericht Uruguays wiederholte das Komitee diese Haltung: „The Committee expresses once again its deep concern on the implications for the Covenant of the Expiry Law. In this regard, the Committee emphasizes the obligation of States parties, under article 2 (3) of the Covenant, to ensure that all persons whose rights or freedoms have been violated shall have an effective remedy as provided through recourse to the competent judicial, administrative, legislative or other authority. The Committee notes with deep concern that the adoption of the Law effectively excludes in a number of cases the possibility of investigation into past human rights abuses and thereby prevents the State party from discharging its responsibility to provide effective remedies to the victims of those abuses. […] Additionally, the Committee is particularly concerned that, in adopting the Law, the State party has contributed to an atmosphere of impunity which may undermine the democratic order and give rise to further grave human rights violations.“ (CCPR, Staatenbericht Uruguay, UN Dok. CCPR/C/79/Add.19 (1993), § 7.) CCPR, Staatenbericht Senegal, UN Dok. CCPR/C/79/Add.10 (1992), § 5. 1426  CCPR, Staatenbericht Argentinien, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 46 (1995), § 15: „that appropriate care be taken in the use of pardons and general amnesties so as not to foster an atmosphere of impunity.“ 1427  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Peru, UN Dok. CCPR/C/79/ Add. 67 (1996), § 9: „undermines efforts to establish respect for human rights, contributes to an atmosphere of impunity and constitutes a very serious impediment to efforts undertaken to consolidate democracy and promote respect for human rights and is thus in violation of article 2 of the Covenant.“ 1428  CCPR, Staatenbericht Senegal, UN Dok. CCPR/C/79/Add.10 (1992), § 5. 1429  Vgl. auch CCPR, Concluding Observations of the HRC: Yemen, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 51 (1995), § 11; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Paraguay, UN Dok. CCOR/C/79/Add. 48 (1995), § 9; CCPR, Concluding Observation of the HRC: Nigeria, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 65 (1996), § 32. 1430  CCPR, Summary record of the 1519th meeting: Peru, UN. Dok. CCPR/C/ SR.1519 (1997), § 73. 1431  „[T]here may be circumstances in which a failure to ensure Covenant rights as required by article 2 would give rise to violations by States Parties of those



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts405

hatte, in denen eine generelle Atmosphäre von Straflosigkeit herrsche. Der Mangel der Strafverfolgung in einer solchen Situation könne als erneuter Verstoss gegen die Konvention gelten. Dies würde dann aber nicht bedeuten, dass der Mangel der Strafverfolgung in jedem einzelnen Fall selbst eine Menschenrechtsverletzung darstelle würde.1432 Das Komitee hat darüber hinaus in verschiedenen Fällen Tatbestände aufgezählt, für die ein Amnestiegesetz nicht angewendet werden solle: Folter (AB Nr. 7),1433 außergerichtliche Hinrichtungen1434, Hinrichtungen nach Schnellverfahren, gewaltsames Verschwindenlassen, willkürliche Verhaftungen und Inhaftierungen,1435 Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.1436 Auch für „gross violations of human rights“ hat das Komitee zur Strafverfolgung der Täter aufgerufen.1437 Für Kroatien forderte das Komitee, dass „serious human rights violations“ nicht Gegenstand der Amnestie sein sollten.1438 In gleichem Maße drückte das CCPR 1995 seine Bedenken bezüglich der argentinischen Amnestiegesetzgebung aus und stellte eine Verletzung des Rechtes auf wirksamen Rechtsbehelf und damit eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 sowie von Art. 9 Abs. 5 fest.1439 rights, as a result of States Parties’ permitting of failing to take appropriate meas­ures or to exercise due diligence to prevent, punish, investigate or redress the harm caused by such acts by private persons or entities.“ (CCPR, AB Nr. 31 zu Artikel 2, UN Dok. CCPR/C/74/CRP.4, Rev. 2 (2003), § 8.) 1432  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 17. 1433  CCPR, AB Nr. 20, § 15. 1434  CCPR, Staatenbericht Niger, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 17 (1993), § 7. 1435  CCPR, Staatenbericht Senegal, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 10 (1992), § 5; vgl. auch CCPR, Staatenbericht Peru, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 67 (1996), § 22. 1436  Z. B. CCPR, Concluding Observations: Colombia, UN Dok. CCPR/CO/80/ COL (2004), § 8; CCPR, Concluding Observations: Guatemala, UN Dok. CCPR/ CO/72/GTM (2001), § 12; CCPR, Summary record of the 1519th meeting: Peru, UN Dok. CCPR/C/SR.1519, (1997) § 79; CCPR, Concluding Observations: Cambodia, UN Dok. CCPR/C/79/Add.108 (1999), § 6. 1437  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Argentinien, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 46 (1995), § 10; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Argentinien, UN Dok. CCPR/CO/70/ARG (2000), § 5. 1438  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Kroatien, UN Dok CCPR/ CO/71/HRV (2001), § 11. 1439  „The Committee reiterates its concern that Act 23,521 (Law of Due Obedience) and Act 23,492 (Law of Punto Final) deny effective remedy to victims of human rights violations, in violation of article 2, paragraphs 2 and 3, and article 9, paragraph 5, of the Covenant. The Committee is concerned that amnesties and pardons have impeded investigations into allegations of crimes committed by the armed forces and agents of national security services and have been applied even in cases where there exists significant evidence of such gross human rights violations as

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Im Fall El Salvador empfahl das Komitee das Amnestiegesetz entweder zu ergänzen oder aufzuheben, damit den Opfern der Menschenrechtsverletzungen ein wirksames Rechtsmittel offen stehe und diese entschädigt werden könnten.1440 Im Fall Chiles machte das Komitee keine Unterscheidung zwischen den unterschiedlichen Menschenrechtsverletzungen und sprach sich generell gegen eine Amnestiegesetzgebung aus, die die Pflicht aus Art. 2 Abs. 1 bis 3 verletzen würde.1441 Einseitige Amnestien zugunsten von Staatsbediensteten seien nicht akzeptabel.1442 Auch solle eine Amnestiegesetzgebung auf einen demokratischen Gesetzgebungsprozess gestützt sein.1443 Das Komitee wiederholte im Folgenden sein Argument, dass eine Amnestie nicht notwendig sei, um den Respekt für Menschenrechte wiederherzustellen. Obwohl es zum Staatenbericht Chiles 1999 den politischen Hintergrund würdigte – und damit auch der Amnestie, die die Transition erleichterte – kritisierte das Komitee ausdrücklich den verfassungsrechtlichen Kompromiss, der als Teil dieser politischen Vereinbarung zu sehen war1444: „that internal political constraints cannot serve as a justification for non-compliance by the State party with its international obligations under the Covenant“1445. Ob die unlawful disappearances and detention of persons, including children. The Committee expresses concern that pardons and general amnesties may promote an atmo­s­ phere of impunity for perpetrators of human rights violations belonging to the security forces. Respect for human rights may be weakened by impunity for perpetrators of human rights violations.“ (HRC, Staatenbericht Argentinien, UN Dok. CCPR/C/79/ Add. 46 (1995), § 10.) 1440  CCPR, Concluding Observations of the HRC, El Salvador, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 34 (1994), §§ 12 ff. 1441  Ebd.; vgl. auch CCPR, Concluding Observations on the second periodic report of the Congo: Congo, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 118 (2000), § 12. 1442  CCPR, Summary record of the 1519th meeting: Peru, UN Dok. CCPR/C/ SR.1519, (1997), § 44. 1443  CCPR, Summary record of the 1520th meeting: Peru, UN Dok. CCPR/C/ SR.1520 (1996), § 21. 1444  HRC, Concluding Observations of the HRC: Chile, UN Dok. CCPR/C/79/ Add. 104, § 6 (1999). Allerdings ist das CCPR bei den Individualbeschwerden bezüglich der chilenischen Amnestie etwas zurückhaltender gewesen (vgl. Acuña Inostroza u. a. gegen Chile, UN Dok. CCPR/C/66/D/717/1996, Beschwerde-Nr. 717/1996 (1999), § 7; vgl. auch María Otilia Vargas Vargas gegen Chile, UN Dok. CCPR/ C/66/D/718/1996/Rev. 1 (1999), Beschwerde-Nr. 718/1996, § 7; CCPR, Humberto Menanteau Aceituno und José Carrasco Vasquez gegen Chile, UN Dok. CCPR/ C/66/D/746/1997 (1999), Beschwerde-Nr. 746/1997, § 7). 1445  Ebd.



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Amnestie wirklich zur Versöhnung beitragen könnte, wurde mehrmals angezweifelt.1446 Dass einige Komitee-Mitglieder Amnestien nicht nur kritisch gegenüberstanden, zeigt allerdings die Aussage von Rosalyn Higgins. Während der Besprechung des Staatenberichts Haitis hob sie hervor, dass in vielen neuen Demokratien Amnestien als Preis für die Wiederherstellung von Demokratie zu sehen seien.1447 Das Komitee geht aber nicht so weit, Amnestien allgemein als unzulässig im Sinne von Art. 2 Abs. 1 bis 3 zu erachten.1448 (4) Behandlung von Transitionen Das CCPR hatte mehrfach Gelegenheit zur Problematik der Transitionen Stellung zu nehmen: So stammte z. B. fast die Hälfte aller Staatenberichte von 1989 / 90 bis 1995 von Staaten in oder kurz nach Transition.1449 Transitionen waren damit nicht etwas Außergewöhnliches, sondern vielmehr mehrheitlich die Regel. Transitionen wurden jedoch nicht zum Deutungsschema für das Komitee. Die Frage, ob nach dem IPpbR eine Ausnahme von der Pflicht zur Strafverfolgung von Menschenrechtsverletzungen nach Bürgerkrieg und Diktatur anzuerkennen sei, wurde in der Literatur kontrovers diskutiert1450 – die Haltung des Komitees war jedoch eindeutig: So brachten Staaten vor dem Menschenrechtskomitee u. a. das Argument vor, die Strafverfolgung könne zu einer Situation führen, die dem Frieden und der Verwirklichung von Menschenrechten entgegenstehe1451: z. B. argumentierte der Staat in Ro1446  Vgl. CCPR, Summary record of the 1940th meeting: Guatemala, UN Dok. CCPR/C/SR.1940 (2001), § 51. 1447  CCPR, Summary record of the 1397th meeting: Haiti, U.N. Dok. CCPR/C/ SR.1397/Add. 1 (1994), § 32. 1448  CCPR, Concluding Observations of the HRC: Chile, UN Dok. CCPR/C/79/ Add. 104 (1999), § 7. 1449  Von 56 Staatenberichten in diesem Zeitraum waren 23 von Staaten, die sich in einem solchen Kontext befanden (Argentinien (1995); Azerbaidjan (1994); Belarus (1992); Bulgarien (1993); Burundi (1994); Dominikanische Republik (1993); El Salvador (1994); Estland (1995); Guinea (1993); Haiti (1995); Ungarn (1993); Lettland (1995); Mongolei (1992); Nepal (1994); Paraguay (1995); Rumänien (1993); Russische Föderation (1995); Slowenien (1994); Togo (1994); Ukraine (1995); Uruguay (1993); Venezuela (1992); Yemen (1995)). 1450  CCPR, Summary record of the 1397th meeting: Haiti, U.N. Dok. CCPR/C/ SR.1397/Add. 1 (1994), § 32. 1451  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, Kapitel 2.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

dríguez gegen Uruguay, dass „notions of democracy and reconciliation ought to be taken into account when considering laws on amnesty and on the lapsing of prosecutions“1452. Das Komitee ging hierauf nicht ein und bestätigte, dass Uruguay durchaus eine Verpflichtung zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen eines früheren Regimes habe.1453 Das CCPR stellt in der Regel das Vorliegen eines Transition-Kontextes seiner Stellungnahme voraus (z. B. „restoration of democracy“1454, „a turn­ ing point in its history as it makes the transition toward multi-party democracy“1455, „a long and devastating civil war during which gross and systematic human rights violations occurred and that it is still in the process of recovery and transition to peace“1456 oder „a long and devastating period of internal disturbances during which grave human rights violations occurred and that it is still in the process of recovery and transition to democracy“1457). Dabei verwendet es nicht immer den Begriff der Transi­ tion, sondern umschreibt den Kontext, wie z. B. als „legacy“1458 oder „vestiges of the totalitarian past“1459, „legacy of authoritarianism“1460 oder „remnants of authoritarian rule“1461. 1452  Rodríguez gegen Uruguay, § 8.3. Und: „to investigate past events […] is tantamount to reviving the confrontation between persons and groups. This certainly will not contribute to reconciliation, pacificiation and the strengthening of democratic institutions.“ (Ebd., § 8.5.) 1453  „The Committee moreover reaffirms its position that amnesties for gross violations of human rights and legislation such as the Law No. 15,848, Ley de Caducidad de la Pretension Punitiva del Estado are incompatible with the obligations of the State party under the Covenant. The Committee notes with deep concern that the adoption of this law effectively excludes in a number of cases the possibility of investigation into past human rights abuses and thereby prevents the State party from discharging its responsibility to provide effective remedies to the victims of those abuses. Moreover, the Committee is concerned that, in adopting this law, the State party has contributed to an atmosphere of impunity which may undermine the democratic order and give rise to further grave human rights violations.“ (Verweis auf die Kommentare zum Staatenbericht, CCPR, Staatenbericht zu Uruguay, UN Dok. CCPR/C/64/Add.4 (1986), § 12.3.) 1454  CCPR, Staatenbericht Uruguay, UN Dok. CCPR/C/79/Add.19 (1993), § 4. 1455  CCPR, Staatenbericht Weissrussland, UN Dok. CCPR/C/79/Add.5 (1992), § 2. 1456  CCPR, Staatenbericht El Salvador, UN Dok. A/49/40 (1994), §§ 211. 1457  CCPR, Staatenbericht Togo, UN Dok. A/49/40 (1994), § 247. Vgl. auch: „The Committee notes that Haiti is only now emerging from a long and devastating military dictatorial past during which grave human rights violations occurred, includ­ing summary executions, torture and other inhuman or degrading treatment and arbitrary arrests and detentions. The country has only recently initiated a process of recovery and has just embarked on a course of transition to democracy.“ (CCPR, Staatenbericht Haiti, UN Dok. A/50/40 (1995), § 226.) 1458  CCPR, Staatenbericht Rumänien, UN Dok. CCPR/C/79/Add.30 (1993), § 3.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts409

Das Komitee drückt jeweils das Verständnis für die Schwierigkeit der Situation und die verschiedenen Dilemmata aus.1462 Trotzdem – und dies ist zu betonen – findet sich in keiner einzigen Stellungnahme zu Staatenberichten, dass die Verpflichtungen nach dem IPbpR generell für die Zeit einer Transition gemildert oder für den Transitionskontext heruntergesetzt seien. So hielt das Komitee z. B. eindeutig für die argentinischen „Amnestiegesetzen“ fest: 145914601461

„The Committee notes that the compromises made by the State party with respect to its authoritarian past, especially the Law of Due Obedience and Law of Punto Final and the presidential pardon of top military personnel, are inconsistent with the requirements of the Covenant.“1463

Das Komitee drückt sein Verständnis dafür aus, wenn der Prozess der Reformen in Gang gesetzt wurde, die konkrete Situation jedoch hinter den Standards zurückbleibt.1464 Es fordert aber dezidiert die Einhaltung des Paktes, so z. B.: „[r]ecognized obstacles arising out of the transition from the legal order inherited from the past to a democratic system must be addressed in a manner compatible with respect for the Covenant.“1465 1459  CCPR, Staatenbericht Russische Föderation, UN Dok. CCPR/C/79/Add.54 (1995), § 3. 1460  CCPR, Staatenbericht Dominikanische Republik, UN Dok. CCPR/C/79/ Add.18 (1993), § 3. 1461  CCPR, Staatenbericht Slowenien, UN Dok. A/49/40 (1994), § 337. 1462  „The Committee recognizes that the State party, which is emerging from a change of government in 1989 that ended a long period of dictatorial rule, is undergoing a transition towards democracy in which the infrastructure necessary for the implementation of the Covenant has not been fully developed.“ (CCPR, Staatenbericht Paraguay, UN Dok. A/50/40 (1995), 195; „These and other circumstances may to a certain extent explain why many of the provisions of the Covenant still have not been incorporated into the legal order of the Republic.“ (CCPR, Staatenbericht Dominikanische Republik, UN Dok. CCPR/C/79/Add.18 (1993), § 3.) 1463  CCPR, Staatenbericht Argentinien, UN Dok. A/50/40 (1995), § 146 [Hervorh. durch d. Verf.]. 1464  Z.  B.: „The Committee understands that the many encouraging legislative initiatives with respect to human rights are being implemented with difficulty, and that a full assessment of such implementation is not yet possible.“ (CCPR, Staatenbericht Paraguay, UN Dok. A/50/40 (1995), § 195.) Oder: „The Committee notes that remnants of the authoritarian rule cannot be easily overcome in a short period of time and that much remains to be done in consolidating and developing democratic institutions and strengthening the implementation of the Covenant.“ (HRC, Staatenbericht Bulgarien, UN Dok. CCPR/C/79/Add.24 (1993), § 6.) 1465  CCPR, Staatenbericht Ascherbaidschan, UN Dok. A/49/40 (1994), § 2; vgl. auch: „The Committee notes that remnants of the authoritarian rule cannot be easily overcome and recognises that much remains to be done (…). The Committee urges the State Party to intensify its efforts so as to ensure that the various problems

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Das Komitee rief Regierungen (wie die Kolumbiens und Guatemalas) nicht nur dazu auf, einen Prozess der nationalen Versöhnung in Gang zu setzten, sondern gleichzeitig die Straflosigkeit zu bekämpfen.1466 So wurde während der Diskussion um den peruanischen Staatenbericht von einem Komitee-Mitglied bemerkt, dass die peruanische Amnestie „did nothing to restore the Rule of Law but, on the contrary, encouraged the persistence of prehensible practices“1467. Das Klima der Straflosigkeit wurde als Hindernis für Rule of Law gesehen.1468 Wichtig ist auch, dass in der AB, die zur Amnestiegesetzgebung Stellung nimmt, der Begriff der Transition nicht erwähnt wird. Hieraus kann abgeleitet werden, dass die Transition zwar im Einzelfall als kontextuales Element berücksichtigt wird, hieraus jedoch keine systematischen Schlussfolgerungen für die Verpflichtungen aus dem IPbpR gezogen werden. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das CCPR den Argumenten, dass Amnestiegesetze den Frieden, die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und den Respekt von Menschenrechten fördern würden, ablehnend gegenüber steht. „Transition“ taucht als neuer Begriff in der Rechtsprechung auf. Den Argumente der Staaten, die sich darauf beriefen, eine Einschätzungsprärogative bzw. einen breiten Ermessenspielraum bezüglich den zu ergreifenden Maßnahmen in einer Transitionssituation zu haben, in der die Strafverfolgung die Befriedigung der Gesellschaft gefährdend könnte, wurden aber in keinem Fall vom CCPR Folge gegeben. (5) Opferrechte In Acuña Inostroza u. a. gegen Chile wurde argumentiert, dass das chilenische Amnestiegesetz Nr. 2.191 (1978) Art. 14 der Konvention verletze, da die Opfer und deren Familien der Zugang zu den Gerichten sowie das Recht auf unabhängiges und unvoreingenommenes rechtliches Gehör verwehrt bliebe.1469 Das CCPR stellte fest, dass die Konvention kein Recht auf Straffaced during the present transitional period do not delay the implementation of civil and political rights, in particular the freedom of association and participation in the conduct of public affairs.“ (CCPR, Staatenbericht Ungarn, UN Dok. CCPR/C/79/ Add.22 (1993), § 5.) 1466  CCPR, Concluding Observations, Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 75 (1997), §§  30, 32; CCPR, Concluding Observations, Guatemala, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 63 (1996), § 25. 1467  CCPR, Summary record of the 1519th meeting: Peru, UN Dok. CCPR/C/ SR.1519 (1997), § 73. 1468  CCPR, Concluding Observations, Guatemala, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 63 (1996), § 4.



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verfolgung einer anderen Person beinhalte.1470 Auch Art. 15 (2) würde keinen Schutz vor Straflosigkeit bieten, wie die Beschwerdeführer in Acuña Inostroza versuchten zu argumentieren, da diese Vorschrift den Staaten lediglich die Möglichkeit eröffnen sollte, Strafverfahren auf der Grundlage von allgemeinen Prinzipien durchzuführen.1471 So wurde auch in Arhuacos gegen Kolumbien festgehalten, dass das das Komitee zwar eine Pflicht zur Untersuchung und Strafverfolgung feststellte (Verletzung des Rechtes auf Leben und gewaltsames Verschwindenlassen), aber ein individuelles Recht hierauf sei nicht gegeben.1472 Gleichermaßen stellte das Komitee in Bautiste de Arellana gegen Kolumbien zwar eine Pflicht des Staates zur Strafverfolgung, Anklage und Bestrafung der Täter fest, allerdings verneinte es das individuelle Recht, diese Pflicht einzufordern.1473 1469

Während ein Recht der Opfer auf Strafverfolgung vom Komitee nicht anerkannt wurde, wurde ein Opferrecht auf Untersuchung und Entschädigung bejaht.1474 Das Opfer hat auch das Recht auf angemessene Entschädigung für erlittene Verletzungen.1475 Nach dem Komitee können solche Reparationen „restitution, rehabilitation, and measures of satisfaction, such as public aplologies, public memorials, guarantees of non-repetition, and changes in relevant laws and practices“1476 1469  CCPR, Acuña Inostroza u. a. gegen Chile, § 3.3; ebenso CCPR, HCMA gegen die Niederlande, UN Dok. A/44/40 (1989), Beschwerde-Nr. 213/1986, § 9.3. 1470  Seibert-Fohr hält hierfür fest, dass Artikel 14 nur dann anwendbar sein, sollte es bereits zu einer Anklageerhebung gekommen sein – vor diesem Stadium sei Art. 14 nicht anwendbar. Darüber hinaus würde sich der fair trial-Standard bezüglich „rights and obligations in a suit at law“ (Artikel 14) nicht auf das staatsanwaltschaftliche Ermessen, sondern vielmehr auf zivil- und verwaltungsrechtliche Verfahren, erstrecken (ebd., S. 18 f.). 1471  „Nothing in this article shall prejudice the trial and punishment of any person for any act or omission which, at the time when it was committed, was criminal according to the general principles of law recognized by the community of nations.“ (Acuña Inostroza u. a. gegen Chile, § 3.2 und 3.4.) 1472  Arhuacos gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/60/D/612/1995 (1997), Beschwerde-Nr. 612/1995, § 8.8. 1473  Bautista de Arellana gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/55/D/563/1993, Beschwerde-Nr. 563/1993 (1995), § 8.6. 1474  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 34. 1475  Vgl. Bleier gegen Uruguay, UN Dok. A/37/40 (1992), Beschwerde-Nr. 7/30, § 15; Barbato gegen Uruguay, UN Dok. A/38/40 (1983), § 11; Quinteros gegen Uruguay, UN Dok. CCPR/C/OP/2 (1983), Beschwerde-Nr. 107/1981, § 15; Laureano Atachahua gegen Peru, UN Dok. CCPR/C/56/D/540/1993, Beschwerde-Nr. 540/1993 (1996). Vgl. insgesamt zu dieser Thematik: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 34 ff. 1476  CCPR, AB Nr. 31, UN Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13 (2004), § 16.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

beinhalten. Entschädigung in Geld (compensation) reicht in der Regel nicht aus. So sei es nicht genug, eine Entschädigung zu zahlen ohne Untersuchung oder geeignete Sanktionsmaßnahmen zu ergreifen. Das CCPR hielt bezüglich Marokko fest: „[c]ompensation, however admirable in itself, would not be sufficient … Only identification and punishment of those responsible would do so, since it would make plain that there was no impunity for such action and prevent any repetition.“1477

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Strafverfolgung und Bestrafung unter Präventionsgesichtspunkten gesehen wird, wobei die Entschädigung dagegen eine Wiedergutmachung für das Opfer darstellt.1478 (6) Weitere TJ-Maßnahmen Administratives und disziplinarrechtliches Vorgehen gegen Täter schwerer Menschenrechtsverletzungen wird als nicht ausreichend angesehen, um der Verpflichtung nach Art. 2 (hier ein Fall des gewaltsamen Verschwindenlassens) Genüge zu tun.1479 Das Komitee begrüsst die Einsetzung von Wahrheitskommissionen in der Regel und nennt sie in Verbindung mit der Pflicht Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, individuelle Verantwortung festzustellen und eine gerechte Entschädigung für die Opfer festzulegen.1480 Dabei wurden Wahrheitskommissionen in Zusammenhang mit der Verpflichtung, den Opfern ein effektives Rechtsmittel zu Verfügung zu stellen (Art. 2 Abs. 3) und in Zusammenhang mit der Entfernung von Tätern aus öffentlichen Ämtern bzw. dem Militär und der Polizei gebracht (Lustration).1481 Das Komitee empfahl z. B. im Zusammenhang mit El Salvador die Umsetzung der Empfehlungen der Wahrheitskommission.1482 Bezüglich DDRMaßnahmen ermahnte das CCPR 2004 den kolumbianischen Staat, dass die vorgeschlagene Gesetzgebung für alternative Strafen, die als Anreiz für die Demobilisierung und Entwaffnung der bewaffneten Gruppen gedacht war, 1477  CCPR, Summary record of the 1365th Meeting: Morocco, UN Dok. CCPR/C/ SR.1365 (1994), § 54. 1478  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 326. 1479  CCPR, Bautista de Arellana gegen Kolumbien, UN Dok.563/1993 (1995), Beschwerde Nr. 563/1994, § 8.2. 1480  CCPR, Staatenbericht Haiti, UN Dok. A/50/40 (1995), §§ 231. 1481  Ebd., §§  235 ff. 1482  CCPR, Staatenbericht El Salvador, UN Dok. A/49/40 (1994), §§ 1, 5.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts413

nicht zu einer Straflosigkeit von Verdächtigen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit führen sollte.1483 Bezüglich Lustrationsmaßnahmen hielt das Komitee fest, dass die fehlende Entfernung von Tätern von schweren Menschenrechtsverletzungen aus dem Militär und den Sicherheitskräften den Erfolg der Transition zur Demokratie untergraben könnte.1484 Allgemein hieß das Komitee die juristischen Schritte der ehemaligen kommunistischen Staaten willkommen, das Erbe des repressiven Regimes durch gesetzgeberische Reformen anzutreten. Während sie im Allgemeinen einige Lücken in diesen rechtlichen Maßnahmen bemängeln, gehen sie jedoch nicht im Detail auf Lustrationsmaßnahmen ein und rufen vielmehr zur Beachtung der menschenrechtlichen Standards auf.1485 Dagegen begrüßte das CCPR im Fall Bulgariens die Gesetzgebung und bescheinigte ihr die Förderung solider Grundlagen für die Entwicklung einer freien und demokratischen Gesellschaft auf der Grundlage des Rule of Law.1486 Das CCPR zeigte sich generell sehr zurückhaltend in der Behandlung von Restitutionen, vor allem im Hinblick auf die Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit. Wichtiger Grund hierfür war, dass das Eigentumsrecht nicht als solches, sondern nur in Verbindung mit anderen Rechten (so z. B. dem Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens (Artikel 17) und Artikel 23 (Schutz der Familie)), im Zivilpakt enthalten ist. Das Komitee hatte festgehalten, dass es kein Recht auf Restitution enteigneten Eigentums nach dem Zivilpakt gäbe.1487 Zuständigkeitshalber war die Behandlung dieser Fälle schon aufgrund der Tatsache schwierig, dass der IPbpR erst 1976 in Kraft trat und damit beinahe zwei Jahrzehnte nach den großen Enteignungswellen, die mit der Einrichtung des kommunistischen Regimes einhergingen. Auf diesen zeit­ lichen Aspekt rekurrierte das CCPR, als es z. B. in Somers gegen Ungarn festhielt, dass eine Konfiszierung von Privateigentum in den 1950er Jahren

1483  CCPR,

Staatenbericht Kolumbien, UN Dok. CCPR/CO/80/COL (2004), § 8. failure to exclude violators from service in the Government, particularly in the military, the National Police and the judiciary, will seriously undermine the transition to peace and democracy.“ (CCPR, Staatenbericht El Salvador, UN Dok. A/49/40 (1994), § 213.) 1485  CCPR, Staatenbericht Lettland, UN Dok. A/50/40 (1995), § 336; CCPR, Staatenbericht Ukraine, UN Dok. A/50/40 (1995), § 310; CCPR, Staatenbericht Ungarn, UN Dok. CCPR/C/79/Add.22 (1993), § 3. 1486  CCPR, Staatenbericht Bulgarien, UN Dok. CCPR/C/79/Add.24, 1993), § 5. 1487  CCPR, Somers gegen Ungarn, UN Dok. CCPR/C/57/D/566/1993 (1996), Beschwerde-Nr. 566/1993, § 9.6. 1484  „Furthermore,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

nicht gegen Ungarn vorgebracht werden könne, da der Staat erst ab Inkrafttreten bzw. Ratifizierung gebunden sei.1488 Ein weiteres Argument, dass vom Komitee bemüht wurde, um seine Zuständigkeit abzulehnen, war, dass eine „andauernde“ Verletzung nur anzunehmen sei, wenn es nach dem Inkrafttreten des Zusatzprotokolls zu einer Bestätigung – sei es konkludent oder ausdrücklich – durch den Staat gekommen sei.1489 Dies sei nicht bereits im bloßen Fehlen einer Entschädigung zu sehen.1490 Maßnahmen der Staaten, die sich jedoch mit dem Unrecht unter dem kommunistischen Regime beschäftigten und dieses „wiedergutmachen“ wollten, konnten durchaus vor das Komitee gelangen, wenn diese Akte erst nach dem Inkrafttreten getroffen wurden. Hier wurde insbesondere Art. 26 (Diskriminierungsverbot) zu einem wichtigen Angelpunkt in den Auseinandersetzungen vor dem Komitee. Der Staat müsse „objective compensation criteria […] applied equally and without discrimination“1491 verwenden. Das Komitee sah z. B. das Wohnsitzkriterium1492 bzw. die Nationalität1493 als willkürliches Kriterium an. Zum Thema der Rückerstattung von unter kommunistischen Regimen durchgeführten Enteignungen, brachte die tschechische Republik das Argument vor, dass die Restitution enteigneten Grundbesitzes sehr kompliziert sei und eine de facto nie dagewesene Situation darstellen würde und das Regime jedenfalls nicht alle Schäden des kommunistischen Regimes wiedergutmachen könne.1494 Das CCPR ging nicht auf diese Argumentation ein, sondern stellte vielmehr auf das fragliche Gesetz 1488  Ebd.,

§§ 2.3, 6.3. Könye gegen Ungarn, UN Dok. CCPR/C/50/D/520/1992 (1994), Beschwerde-Nr. 520/1992, § 6.4. 1490  Ebd., § 6.6. 1491  CCPR, Somers gegen Ungarn, UN Dok. CCPR/C/57/D/566/1993 (1996), Beschwerde-Nr. 566/1993, § 9.4. 1492  CCPR, Simunek gegen Tschechische Republik, UN Dok. CCPR/C/54/D 516/1992, Beschwerde-Nr. 516/1992 (1995). 1493  CCPR, Adam gegen Tschechische Republik, UN Dok. CCPR/C/57/D 586/1994 (1996), Beschwerde-Nr. 586/1994; vgl. auch CCPR, Blazek gegen ­Tschechische Republik, UN Dok. CCPR/C/72/D/857/1999 (2001), BeschwerdeNr. 857/1999, § 5; CCPR, Des Fours Walderode gegen Tschechische Republik, UN Dok. CCPR/C/73/D/747/1997 (2001), Beschwerde-Nr. 747/1997, § 8.4. 1494  „The State party affirms its commitment to the settlement of property claims by restitution of properties to persons injured during the period of 25 Febrary 1948 to 1 January 1990. […] Restitution of confiscated property is a very complicated and de facto unprecedented measure and therefore it cannot be expected to rectify all damages and to satisfy all the people injured by the Communist regime.“ (CCPR, Simunek u. a. gegen Tschechische Republik, Beschwerde Nr. 516/1992 (1995), § 6.2.) 1489  CCPR,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts415

ab. Es führte aus dass, selbst wenn der Gesetzeszweck nicht direkte Diskriminierung aufgrund von politischen Überzeugungen gewesen wäre, dies jedenfalls indirekte Diskriminierung darstellen würde, da die Wirkung des Gesetzes diskriminierend sei.1495 In Brok gegen Tschechische Republik führte das Komitee diese Rechtsprechung fort und hielt eine Unterscheidung zwischen verschiedenen Enteignungskontexten (in diesem Fall: die Verstaatlichung nach der vorherigen Enteignung durch die Nationalsozialisten) für nicht gerechtfertigt.1496 Ein politisch sehr umstrittener Fall war Malik gegen die Tschechische Republik, in dem es um die Frage des Ausschlusses des sudentendeutschen Eigentums von den Restitutionsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt des Diskriminierungsverbotes ging.1497 Das CCPR verneinte die Zulässigkeit der Beschwerde, da „not every distinction or differentiation in treatment amounts to discrimination“. Der Ausschluss bestimmter Gruppen von der Entschädigung, die von dem kommunistischen Regime enteignet wurden, sei nicht prima facie diskriminierend.1498 Diese Entscheidung ist in der Literatur stark kritisiert worden und ist Beispiel für einen Fall, in dem eine politisch sehr umstrittenen Frage ohne größere Argumentation in der Zulässigkeitsprüfung abgewiesen wurde.1499 dd) Zusammenfassung Für das Komitee gibt es kaum Raum für Amnestiegesetze, obwohl Amnestien nicht generell als unzulässig erklärt wurden.1500 Der Ansatz des CCPR wird wie folgt beschrieben werden: „In sum, while the Human Rights Committee emphasizes that democracy, peace and, respect for human rights need to be reestablished after a civil war and dictatorship 1495  Ebd.,

§§ 11.7., 11.8. European Journal of Human Rights Law 16 (2005), S. 3, 12. 1497  Ebd., S. 17. 1498  Malik, Beschwerde-Nr. 669/1995 (Tschechische Republik), CCPR/C/64/ D/669/1995 (3.  November 1998), § 6.5. 1499  Vgl. Macklem, European Journal of International Law 16 (2005), S. 18; vgl aber: CCPR, Simunek, Hastings Tuzilova und Prochazka gegen Tschechische Republik, UN Dok. CCPR/C/54/D/516/1992 (1995), Beschwerde-Nr. 516/1992; nach Tomuschat stehen den ehemals im Sudetenland ansässigen Personen deutscher Volkszugehörigkeit, die von Vertreibungs- und Konfiskationsmaßnahmen der Tschecheslowakischen Republik betroffen waren, keine Individualansprüche wegen der von ihnen erlittenen Schäden zu und nach dem damaligen Stand des Völkerrechts seien selbst entschädigungslose Eigentumsentziehungen nicht als nichtig zu betrachten (Tomuschat, ZaöRV 56 (1996), S. 65). 1500  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 47. 1496  Macklem,

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[Fussnote im Original; hier unterdrückt], it does not usually see how that objective will be achieved by the proclamation of an amnesty [Fussnote im Original; hier unterdrückt]. On the contrary, according to the Committee, impunity may weaken the reestablishment of peace, respect for human rights, democracy, and the Rule of Law. Whether the Committee is prepared to make exceptions remains to be seen.“1501

Seibert-Fohr stellt auch fest, dass, wenn ein Mangel an strafrechtlichen Verfahren auf Seiten des Staates gerügt wurde, in der Regel ein Mangel des Ermittlungsverfahrens, in keinem Fall jedoch ein Mangel an Bestrafung, als ausschlaggebend erachtet worden ist.1502 Es bleibt festzuhalten, dass das CCPR strafrechtliche Bestrafung zwar als Remedy ansieht1503, die es aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 2 Abs. 3 ableitet, den Opfern jedoch kein entsprechendes Recht zugesteht. Die Aufforderung nach strafrechtlichem Vorgehen, v. a. Bestrafung, ist im Sinne einer Prävention zukünftiger Menschenrechtsverletzungen zu sehen ist, nicht jedoch als Verletzung eines individuellen Rechts auf ein Rechtsbehelf.1504 Das CCPR lässt keinen Raum für ein alternatives Vorgehen gegen Täter schwerer Menschenrechtsverletzungen. Dies wird umso mehr abgelehnt, wenn es sich um eine Amnestierung von Personen handelt, die auf der Seite des Staates stehen. Bezüglich „weniger schweren“ Menschenrechtsverletzungen ist die Haltung des Kommitees weniger strikt.1505 Hinsichtlich Amnestiegesetzen stützt das CCPR seine Argumentation auf Art. 2 Abs. 3 (Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf) und Art. 2 Abs. 1 (Pflicht zur Achtung und Wahrung der Konventionsrechte) und stellt auf den Präventionsgesichtspunkt ab.1506 Diese Argumentation ist wichtig, da davon abhängt, ob in „außergewöhnlichen“ Umständen nicht doch eine Ausnahme gemacht werden könne, so z. B. in Transitionen. Nur wenn der Präventionsaspekt im Vordergrund steht, bleibt überhaupt noch Raum für eine Amnestie.1507

1501  Ebd.,

S. 42. S. 24. 1503  Vgl. CCPR, Bautiste de Arellana gegen Kolumbien, UN Dok. CCPR/C/55/ D/563/1993 (1995), Beschwerde-Nr. 563/1993, § 8.2. 1504  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 26. 1505  Ebd. 1506  „Amnesties are generally incompatible with the duty of States to investigate such acts [acts of torture]; to guarantee freedom from such acts within their jurisdiction; and to ensure that they do not occur in the future. States may not deprive individuals of the right to an effective remedy, including compensation and such full rehabilitation as may be possible.“ (CCPR, AB Nr. 20 zu Artikel  7, UN Dok. HRI/ GEN/1/Rev.1 (1992), S. 31, § 15.) 1502  Ebd.,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts417

Amnestien sind demnach nicht vollständig ausgeschlossen, allerdings ist die Grundhaltung eine stark ablehnende. Im neuen AK zu Art. 2 spricht sich das Komitee gegen Amnestien aus, die den Verdächtigen schwerer Menschenrechtsverletzungen von seiner „persönlichen Verantwortung“ befreien.1508 Ob „alternative“ Maßnahmen für die Herstellung von Verantwortung vom Komitee akzeptiert werden würden, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass das Komitee bis jetzt alle Argumentationen von Staaten für Amnestien als nicht pertinent erachtet hat, insbesondere im lateinamerikanischen Kontext. Daher hat bisher keine einzige Amnestiegesetzgebung den Test des CCPR bestanden. Einseitige Amnestien sind nicht zulässig1509 und ein wie auch immer geartetes Amnestiegesetz muss jedenfalls demokratisch legitimiert sein1510. 1507

Wird eine Amnestie akzeptiert, so fordert das Komitee Folgendes an begleitenden Maßnahmen: eine offizielle Untersuchung mit einem Abschlussbericht, der die Täter der Menschenrechtsverletzungen identifiziert1511, die Feststellung individueller Verantwortung1512, die Entfernung der Täter schwerer Menschenrechtsverletzungen aus ihrem Amt1513, Entschädigung und Rehabilitierung der Opfer, sowie Bemühungen, Menschenrechte zu achten, die Nichtwiederholung der Menschenrechtsverletzung sicherzustellen sowie die Festigung der Demokratie. Die einzige Fallgestaltung, für die das Transitionsargument akzeptiert zu werden scheint, ist die der Lustration: Täter von Menschenrechtsverletzun1507  Vgl. so auch: Seibert-Fohr, Prosecution of Serious Human Rights Violations, S.  26 ff. 1508  CCPR, AB Nr. 31, UN Dok. CCPR/C/21/Rev.1/Add.13, § 18 (26. Mai 2004). 1509  Buergenthal ging sogar so weit, dies als retroaktive „Ratifizierung“ der Verbrechen zu betrachten (CCPR, Summary record of the 1519th meeting: Peru, UN Dok. CCPR/C/SR.1519 (1997), § 44). 1510  Mr Bán, in: CCPR, Summary record of the 1520th meeting: Peru, UN Dok. CCPR/C/SR. 1520 (1996), § 21. 1511  CCPR, Rodriguez v. Uruguay, UN Dok. CCPR/C/51/D/322/1988 (1994), Beschwerde-Nr. 322/1988, § 6.3. 1512  Die grundlegenden Pflichten für den Umgang mit vergangenen Menschen­ rechtsverletzungen legte das CCPR in seinen Kommentaren zum Staatenbericht Haitis (1995) fest: „the importance of investigation of human rights violations, determination of individual responsibility and fair compensation for the victims.“ (CCPR, Concluding Observations of the HRC, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 49 (1995), § 9.) 1513  CCPR, Concluding Observations of the Human Rights Committee: Argentina, UN Dok. CCPR/CO/70/ARG (2000) § 9; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Brazil, UN Dok. CCPR/C/79/Add.66, (1996) § 20; CCPR, Concluding Observations of the HRC: Guatemala, UN Dok. CCPR/C/79/Add.63, (1996) § 26; CCPR, Concluding Observations by the HRC: Colombia, UN Dok. CCPR/C/79/Add. 75, (1997) § 32.

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gen sollten aus dem Militär, der Polizei und der Justiz ausgeschlossen werden.1514 Zusätzliche Maßnahmen sollten vorgesehen werden, um nationale Versöhnung zu fördern, v. a. durch Institutionen und Programme, durch die den Opfer Hilfe zuteil werden soll, sowie finanzielle als auch andere Entschädigungsleistungen.1515 b) CAT Die Rechtsprechung des CAT ist aufgrund der Absolutheit des Verbotes und der in der Konvention festgelegten Verpflichtung zur Strafverfolgung, Art. 7, nicht sehr ergiebig zur Untersuchung des TJ-Deutungsschemas, da es die Möglichkeit der Einschränkung einer Strafverfolgung nicht zulässt. Gemäß der AB Nr. 2 sieht das CAT dementsprechend eine Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Bestrafung in Art. 2.1516 Die Frage der Straflosigkeit wurde in der ersten Zulässigkeitsentscheidung des CAT für einen Sachverhalt angesprochen, der die Folter argentinischer Staatsbürger 1976 zum Thema hatte, und in dessen Zusammenhang das Punto Final-Gesetz und das Due Obedience-Gesetz angegriffen worden waren. Damit kam der erste Fall mit TJ-Kontext vor das CAT. Die Beschwerde wurde aufgrund mangelnder Zuständigkeit ratione temporis für unzulässig erklärt. Allerdings verwies das CAT auf die Nürnberger Prinzipien, Art. 5 der AEMR und Art. 7 des IPbpR und führte aus: „even before the entry into force of the Convention against Torture, there existed a general rule of international law which should oblige all states to take effective measures to prevent torture and to punish acts of torture.“1517

In einem orbiter dictum, stellte das Komitee fest, dass die Verabschiedung der Gesetze gegen den Geist und den Zweck der Konvention verstoßen 1514  Vgl. CCPR, Concluding Observations of the HRC: Haiti, UN Dok. CCPR/C/79/Add.49 (1995), § 19. Für Argentinien empfahl das HRC die Entfernung aus dem Amt von Tätern schwerer Menschenrechtsverletzungen (CCPR, Concluding Observations of the HRC: Argentinia, UN Dok. CCPR/CO/70/ARG (2000), § 9). 1515  Für Argentinien hieß das Komittee Historical Reparation Programme, die nationale Kommission für gewaltsames Verschwindenlassen und die nationale Kommission für das Recht auf Identität gut (CCPR, Concluding Observations of the HRC: Argentina, UN Dok. CCPR/CO/70/ARG (2000), § 4). 1516  CAT, AB Nr. 2 zu Artikel 2, UN Dok. CAT/C/GC/2/CRP. 1/Rev.4 (2007). 1517  CAT, O.R., M.M. und M.S. gegen Argentinien, UN Dok. CAT/C/WG/3/DR/1, 2 und 3/1988 (1990), Beschwerden Nr. 1/1988, 2/1988 und 3/1988, §§ 109–113 (Hervorh. durch d. Verf.).



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts419

würden, und forderte die Regierung auf, die Folteropfer und ihre Familien zu entschädigen.1518 Damit sprach sich das CAT gegen Amnestiegesetze und die damit verbundenen Rechtfertigungsstrategien der Regierungen aus, nahm jedoch nicht zur Aufhebung der Amnestiegesetze und den anschließenden strafrechtlichen Verfahren Stellung. Das CAT hat die Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung und Bestrafung von Vorwürfen von Folter und CIDH breit ausgelegt. Diese Pflicht trifft den Staat insbesondere, wenn es sich um Menschenrechtsverletzungen staatlicher Akteure handelt. Dabei sollen vor allem die Zurechenbarkeit und die Verantwortung innerhalb der Befehlskette im Lichte einer zukünftigen Prävention von Verstößen untersucht werden.1519 Daneben sieht das CAT weitreichende „remedy“-Pflichten vor.1520 Das Komitee nahm in der AB auch Stellung zu Amnestien und anderen Hindernissen „which preclude or indicate unwillingness to provide prompt and fair prosecution and punishment of perpetrators of torture or ill-treatment“. Es stellte fest, dass diese gegen das Prinzip der Nichtderogierbarkeit dieser Verpflichtungen verstoßen würden.1521 Der erste Staatenbericht Südafrikas vor einem UN-Vertragsorgan wurde mit Spannung erwartet. Es war dann dann das CAT, das sich erstmals zur Transitionsproblematik (und hier insbesondere der Amnestie) äußerte1522: 1518  „The Committee notes with concern that it was the democratically elected post-military government that enacted the Punto Final and the Due Obedience Acts, which the Committee deems to be incompatible with the spirit and purpose of the Convention. The Committee also notes that by decree of 6 October 1989 the President of Argentina pardoned 39 senior military officers who were to have been tried by civilian courts. This policy is in stark contrast to the State response towards the victims of the ‚dirty war‘ of 1976‒1983. The Committee urges the State party not to leave the victims of torture and their dependants wholly without a remedy.“ (CAT, O.R., M.M., und M.S. gegen Argentinien, Beschwerden Nr. 1/1988, 2/1988 und 3/1988, § 9.) 1519  CAT, AB Nr. 2 zu Artikel 2, UN Dok. CAT/C/GC/2/CRP. 1/Rev.4 (2007), §§ 11, 18. 1520  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 30. 1521  CAT, AB Nr. 2 zu Artikel 2, UN Dok. CAT/C/GC/2/CRP. 1/Rev.4 (2007). 1522  Vor dem CEDAW war die Transition und Amnestie kein Thema (vgl. ­CEDAW, Concluding Observations: South Africa, UN Dok. A/53/38 Rev.1 (1998), §§ 100 ff.). Der Abschlussbericht des CRC zu Südafrika ging ebenfalls nicht auf die Transition ein (außer in einem allgemeinen Paragraphen, der die schwierige Aufgabe betreffe, die Hinterlassenschaften der Apartheid zu beseitigen (CRC, Concluding observations: South Africa, UN Dok. CRC/C/15/Add. 122 (2000), § 9), obwohl der Staatenbericht Südafrikas explizit auf die Transition und die Anhörungen vor der Versöhnungs- und Wahrheitskommission einging (CRC, Staatenbericht Südafrika, UN Dok. CRC/C/51/Add.2 (1999), §§ 491 ff.). Der Bericht vor dem CERD ging

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

„The Committe commends the State party for the peaceful transition from the apartheid regime and the establishment of a democratic South African society as well as for the adoption of the Constitution of 1996 […].“1523

Zur Wahrheits- und Versöhnungskommission hielt das Komitee dann jedoch fest: „While noting with appreciation the remarkable work of the Truth and Reconciliation Commission and its role in the peaceful transition in the State party, the Committee notes that de facto impunity persists regarding persons responsible for acts of torture during apartheid and that compensation has not yet been given to all the victims (arts. 12, 2 and 14).“1524

Und schließt mit der Empfehlung: „The State party should consider bringing to justice persons responsible for the institutionalization of torture as an instrument of oppression to perpetuate apartheid and grant adequate compensation to all victims. The State party should also consider other methods of accountability for acts of torture committed under the apartheid regime, and thus combat impunity.“1525

Dies erscheint vor dem Hintergrund der oben dargestellten Grundsätze nicht überraschend, ist jedoch relativ „milde“ formuliert, wenn man es mit anderen entsprechenden Stellungnahmen des Komitees vergleicht. c) CPED1526 Die Konvention ordnet die ausgedehnte oder systematische Praxis des „gewaltsamen Verschwindenlassens“ als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein, Art. 5. In Art. 3 hält die Konvention fest, dass den Vertragsstaat die Pflicht treffe, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Ermittlungen bei Vorebenfalls nicht auf die Transition, die Amnestie oder die Wahrheits- und Versöhnungskommission ein (CERD, Concluding Observations: South Africa, UN Dok, CERD/C/ZAF/CO/3 (2007).), obwohl Südafrika in seinem Staatenbericht auf die Transition eingegangen war (State report: South Africa, UN Dok. CERD/C/461/ Add.3 (2005), § 17). 1523  CAT, Conclusions and Recommendations: South Africa, UN Dok. CAT/C/ ZAF/CO/1 (2006), § 5. 1524  Ebd., § 18. 1525  Ebd. 1526  Die 1980 eingesetzte Arbeitsgruppe zum gewaltsamen Verschwindenlassen wurde 2003 durch eine weitere Arbeitsgruppe ergänzt, die sich mit der Ausarbeitung einer Konvention zu diesem Thema beschäftigte. Bereits 1992 hatte die UN-GV eine Erklärung zum Schutz aller Personen vor dem gewaltsamen Verschwindenlassen verabschiedet. 2006 nahm die UN-GV dann den Entwurf an (International Convention for the Protection for All Persons from Enforced Disappearance, UN Dok. A/ RES/61/177 (2006)).



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts421

würfen gewaltsamen Verschwindenlassens durch Drittpersonen einzuleiten und die Verantwortlichen vor Gericht zu stellen. Daneben beinhaltet die Konvention die Opferrechte, d. h. Recht auf Wahrheit (Art. 24 Abs. 2), Recht auf eine strafrechtliche Untersuchung (Art. 12) und Recht auf Wiedergutmachung (Art. 24 Abs. 4 und 5), d. h. den Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens sowie gegebenenfalls andere Arten der Wiedergutmachung wie Restitution, Rehabilitation, Genugtuung einschließlich Wiederherstellung der Würde und des Ansehens und Garantie der Nichtwiederholung. In Art. 1 Abs. 2 hält die Konvention fest, dass „[a]ußergewöhnliche Umstände gleich welcher Art, sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische Instabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand, […] nicht als Rechtfertigung für das Verschwindenlassen geltend gemacht werden“

dürfen. Amnestien, Begnadigungen und andere ähnliche Maßnahmen waren Gegenstand von Diskussion während der Travaux Préparatoires: Die Fragen wurden in Verbindung mit Art. 71527 im Rahmen der Fragen der Entschädigung diskutiert. Einige Delegierte waren der Auffassung, dass Amnestiegesetze, Begnadigungen o. Ä. sich nicht negativ auf das Recht, gerichtlich Entschädigung zu verlangen, oder das Recht, akkurate und vollständige Informationen zum Verbleib eines Familienangehörigen zu verlangen, auswirken können sollen.1528 Andere Delegierte fassten die Frage umfassender auf und verlangten, dass sich Amnestien, Begnadigungen o. Ä. weder auf das Recht auf Entschädigung noch auf das Recht auf Gerechtigkeit auswirken können sollen. Insbesondere sollten diese Maßnahmen nicht die Wirkung haben, dass die Strafverfolgung und ggf. Bestrafung von Verdächtigen schwerer Menschenrechtsverletzungen in irgendeiner Weise verhindert werden würde.1529 Die Notwendigkeit des Art. 7 wurde ernsthaft diskutiert, 1527  Artikel 7: „1. Jeder Vertragsstaat bedroht die Straftat des Verschwindenlassens mit angemessenen Strafen, welche die außerordentliche Schwere der Straftat berücksichtigen. 2. Jeder Vertragsstaat kann a) mildernde Umstände vorsehen, insbesondere für Personen, die zwar an der Begehung eines Verschwindenlassens mitgewirkt haben, aber wirksam dazu beitragen, die verschwundene Person lebend aufzufinden, oder es ermöglichen, Fälle von Verschwindenlassen aufzuklären oder die Täter eines Verschwindenlassens zu identifizieren; b) unbeschadet anderer strafrechtlicher Verfahren erschwerende Umstände vorsehen, insbesondere im Fall des Todes der verschwundenen Person oder des Verschwindenlassens von schwangeren Frauen, Minderjährigen, Personen mit Behinderungen oder anderen besonders verletzlichen Personen.“ 1528  Report of the intersessional open-ended working group to elaborate a draft legally binding normative instrument for the protection of all persons from enforced disappearance, UN Dok. E/CN.4/2004/59 (23.  Februar 2004), § 73. 1529  Ebd., § 74.

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wobei einige diesen als Rückschritt ansahen1530, andere der Auffassung waren, dass Amnestien nicht ignoriert werden sollten, da sie manchmal notwendiges Element eines Prozesses nationaler Versöhnung wären und diese Problematik adäquat von Art. 7 reflektiert werden würde.1531 Formulierungen bezüglich des Rechtes der Opfer auf Wahrheit „unter allen Umständen“ wurden ebenfalls kritisch diskutiert und einige Delegierte brachten zum Ausdruck, dass sie eher die korrespondierende Pflicht des Staates, solche Informationen zu Verfügung zu stellen in dem Entwurf sehen wollten.1532 Um die verschiedenen Positionen zusammenzufassen und zur Abstimmung zu bringen, schlug der Vorsitzende zwei Optionen vor: die erste Option sah das explizite Verbot der Anwendung von Amnestien vor Urteilsverkündigung oder Verkündung des Strafmaßes vor; die zweite Option, alle Bezugnahmen auf Amnestien und Begnadigungen im Text zu streichen und im Kapitel, das die Rechtsstellung der Opfer regelt, einen Artikel aufzunehmen, der besagen solle „no measure may have the effect of preventing effective recourse to any remedy or the securing of reparation, or of interrupting the search for disappeared persons“ sowie, dass das „right to obtain accurate and full information on the fate of disappeared persons“ unter allen Umständen garantiert werden müsse.1533 Obwohl einige Delegationen dies als reine Notlösung bezeichneten und weitere Diskussionen zu diesem Thema wünschten, sprach sich die Mehrheit für die zweite Option aus.1534 2. Regionale Spruchkörper und Menschenrechtsschutzsysteme a) Inter-Amerikanisches System Im Inter-Amerikanischen System lässt sich eine Entwicklung der Haltung der zwei Organe bezüglich TJ-Sachverhalten beobachten. Es war das erste regionale Schutzsysteme, das sich mit vielen TJ-Sachverhalten und v. a. drei TJ-Instrumenten – (Mangel an) Strafverfolgungen, Amnestiegesetzen und Wahrheitskommissionen – auseinandersetzen konnte. Dabei ist zu beachten, dass sich die Auffassungen zwischen Kommission und Gerichtshof zunächst unterschieden, sich später jedoch annäherten.1535 1530  Ebd.,

§ 75. § 76. 1532  Ebd., § 78. 1533  Ebd., § 79. 1534  Ebd., § 80. 1535  Die nachfolgende Darstellung basiert hauptsächlich auf der Auswertung der Rechtsprechung zum Thema „Strafverfolgungspflichten“ und „Amnestien“ in: Alm1531  Ebd.,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts423

aa) Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission (1) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung Schon bereits vor dem bedeutenden Velásquez-Rodríguez-Fall des Gerichtshofes hatte die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) mehrmals in Fällen, in denen die Verletzung von Art. I (Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person) der American Declaration of the Rights and Duties of Man1536 (American Declaration) gerügt wurde, die Empfehlung ausgesprochen „[to] order a thorough and impartial investigation“ sowie in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen, „[to] punish the individual or individuals responsible.“1537 Auch empfahl sie, dass ernsthafte Verletzungen der physischen Integrität untersucht1538, die Verantwortlichen strafverfolgt und bestraft sowie Entschädigungen geleistet werden sollten.1539 In Ignacio Ellacuría u. a. gegen El Salvador stellte die Kommission fest, dass eine wirksame Untersuchung in gutem Glauben, sorgfältig, erschöpfend und unabhängig zu erfolgen habe. Daneben sollten alle ermittlungstechnischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Täter zu identifizieren und später vor Gericht zu stellen.1540 Durch den Fall Garay Hermosilla u. a. gegen Chile wurde dann endgültig klar, dass in den Augen der Kommission eine „gerichtliche Untersuchung“ bedeute, die Täter zu identifizieren, mit Namen zu benennen und zu bestrafen. Dies gelte selbst in Kontexten, in denen ein Staat versuche, Frieden herzustellen und nationale Versöhnung zu erreichen.1541 qvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice; Harris/Livingston (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights; Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations; Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S.  2537 ff., und Roht-Arriaza (Hrsg.), Impunity. 1536  American Declaration of the Rights and Duties of Man, OEA/ser.L./V/II.23, doc. 21 rev. 6 (1979). 1537  IACHR, Fall 1870, OEA/ser.L./V/II.43, Dok. 21 (1978), § 52; vgl. auch IACHR, Fall 1967, OEA/ser.L./V/II.43, doc. 21 (1978), § 55; IACHR, Fall 1783, Ten years of activities 1971–1981, §§ 142 ff.; IACHR, Fall 2126, OEA/ser.L./V/ II.47, doc. 13 rev. 1 (1979), § 77; IACHR, Fall 2088, OEA/ser.L./V/II.50, doc. 13 rev. 1 (1980), § 38. 1538  Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2578. 1539  Z. B. IACHR, Fall 10.150, Informe 3/90 (Suriname), OEA/ser.L./V/II.77, doc. 23 (1990), § 14. 1540  IACHR, Ignacio Ellacuría u.  a. gegen El Salvador, Fall 10.488, Bericht Nr. 136/99, OEA/Ser.L/V/II.106, doc. 3 rev. (1999), § 196. 1541  IACHR, Garay Hermosilla u. a. gegen Chile, Fall 10.843, Bericht Nr. 36/96, OEA/Ser.L/V/II.95 Dok. 7 rev. (1996), §§ 49 ff.; vgl auch IACHR, Arges Sequiera Mangas gegen Nicaragua, in dem die Kommission sich auf die Opferrechte bezog (Fall 11.218, Bericht Nr. 52/97, OEA/Ser. L/V/II.98 doc. 6 rev. (1998) §§ 135, 150.);

424

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

(2) Amnestiegesetzgebung Die Inter-Amerikanische Kommission bezog schon früh eine klare Position bezüglich der „Selbstamnestie“-Dekrete, die in vielen südamerikanischen Ländern durch die diktatorischen Regierungen vor der Machtübergabe erlassen wurden.1542 Diesbezüglich war das Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem Vorreiter für andere regionale Menschenrechtsschutzsysteme.1543 Das Konfliktverhältnis zwischen Ausnahme von der Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung und den Erfordernissen einer Transition zum Frieden waren von Beginn an in den der Kommission vorgelegten Sachverhalten angelegt. So bekam die Kommission 1983 das Amnestiegesetz Guatemalas vorgelegt. Obwohl sie die strafrechtliche Untersuchung und Verurteilung der Verantwortlichen empfahl, sprach sie sich nicht per se gegen das Amnestiegesetz aus.1544 Stattdessen führte die Kommission in ihrem Jahresbericht 1985 / 86 aus: „A difficult problem that recent democracies have had to face has been the investigation of human rights violations under previous governments and the possibility of sanctions against those responsible for such violations. The Commission recognizes that this is a sensitive and extremely delicate issue where the contribution it ‒ or any other international body for that matter ‒ can make is minimal. The response, therefore, must come from the national sectors which are themselves affected, and the urgent need for national reconciliation and social pacification must be reconciled with the ineluctable exigencies of an understanding of the truth and of justice. Therefore, the Commission considers that only the appropriate democratic institutions ‒ usually the legislature ‒ with the participation of all the representative sectors, are the only ones called upon to determine whether or not to decree an vgl. dagegen: IACHR, Ignacia Ellacuría u. a. gegen El Salvador, in dem die Kommission ein Recht auf Entschädigung aussprach, wenn eine Amnestiegesetzgebung verabschiedet wurde, d. h. die Frage aufwarf, ob eine Wahrheitskommission ausreichend sei (ebd., § 224). 1542  IACHR, Alicia Consuelo Herrera u.  a. gegen Argentinien, Fälle 10.147, 10.181, 10.240, 10.262, 10.309 und 10.311), Bericht Nr. 28/92, PEA/Ser.L/V/II.83 doc. 14, (1992), §§ 51; IACHR, Las Hojas-Massaker gegen El Salvador, Fall 10.287, Bericht Nr. 26/92, OEA/Ser.L/V/II.83, doc. 14 (1993), §§ 83 ff.; IACHR, Mendoza u. a. gegen Uruguay, Fälle 10.029, 10.036, 10.145, 10.305, 10.372, 10.373, 10.374 und 10.375, Bericht Nr. 29/92, OEA/Ser.L/V/II.83, doc. 14 (1992) §§ 54. 1543  Méndez, in: Due Process of Law Foundation (Hrsg.), Victims Unsilenced, S. 192. 1544  IACHR, Report on the Situation of Human Rights in the Republic of Guatemala, OEA/SER.L/V/II.61 doc. 47 rev. (1983), § 133; IACHR, Annual Report of 1985/86, OEA/Ser. L/V/II.68 doc. 8 rev. 1 (1986), Kapitel V, S. 157 f.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts425 amnesty of the scope thereof, while amnesties decreed previously by those responsible for the violations have no juridical validity. Independently of the problem of proving guilt, which in every case must be determined individually and with due process guarantees by a pre-existing court which applies the law in force at the time the crime was committed, one of the few matters that the Commission feels obliged to give its opinion on in this regard is the need to investigate the human rights violations committed prior to the establishment of the democratic government. Every society has the inalienable right to know the truth about past events, as well as the motives and circumstances in which aberrant crimes came to be committed, in order to prevent repetition of such acts in the future. Moreover, the family members of the victims are entitled to information as to on what happened to their relatives. Such access to the truth presupposes freedom of speech, which of course should be exercised responsibly; the establishment of investigating committees whose membership and authority must be determined in accordance with the internal legislation of each country, or the provision of the necessary resources, so that the judiciary itself may undertake whatever investigations may be necessary. The Commission considers that the observance of the principles cited above will bring about justice rather than vengeance, and thus neither the urgent need for national reconciliation nor the consolidation of democratic government will be jeopardized.“1545

Die IACHR stellte sich damit nicht generell gegen die Zulässigkeit von Amnestiegesetzen. Sie stellte zwei Bedingungen auf: (1) Den Erlass der Amnestie durch die „appropriate democratic institutions – usually the legislature – with the participation of all the representative sectors“ und (2) eine Untersuchung der begangenen Menschenrechtsverletzungen, die vor der Errichtung der demokratischen Regierung begangen wurden. Die Kommission unterstrich auch das Spannungsfeld, in dem eine solche Entscheidung ergehen musste: „national reconciliation and pacification“ mit „ineluctable exigencies of an understanding of the truth and justice“. Grundsätzlich könne die Einrichtung einer Untersuchungskommission den Erfordernissen des individuellen und kollektiven Rechtes auf Wahrheit entsprechen. Dies würde die Zuständigkeit der Justiz für eine unabhängige Untersuchung des Sachverhalts unberührt lassen. Dabei müsse die Untersuchung einerseits die Motive und Umstände der Menschenrechtsverletzungen aufklären, um einer Wiederholung vorzubeugen sowie andererseits die Verwandten der Opfer über den Sachverhalt informieren. Amnestiegesetze, die diesen Erfordernissen entsprechen, würden Gerechtigkeit eher als Rache erreichen ohne dabei das Bedürfnis nach Versöhnung und demokratischer Konsolidierung in Gefahr zu bringen. 1545  IACHR, Annual Report of 1985/86, OEA/Ser. L/V/II.68, doc. 8 rev. 1 (1986), Kapitel V, S. 157–158 [Hervorh. durch d. Verf.].

426

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

1989 zeigte sich dann eine kritischere Haltung der Kommission bezüglich Amnestiegesetzen wie sich einer Rede des Kommissionsvorsitzenden entnehmen lässt.1546 1992 hatte die IACHR über die Zulässigkeit der argentinischen Amnestiegesetzgebung (Gesetze Nr. 23.492 und Nr. 23.521 und Dekret Nr. 1002 / 89) zu befinden. In allen drei Fällen stellte die Kommission das Bestehen einer Pflicht zur Bestrafung von schweren Menschenrechtsverletzungen fest, ohne dass die jeweiligen Amnestiegesetze darauf Einfluss hatten.1547 Keiner dieser Fälle gelangte vor den Gerichtshof. In Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentinien benutzte die argentinische Regierung eine dreifache Argumentation: Erstens, betonte sie, dass die fragliche Gesetzgebung die demokratisch getragene Lösung eines „schwierigen Problems“ sei, die von den Opfer in der Gesellschaft unterstützt werde und außerdem von den angemessenen demokratischen Institutionen verabschiedet worden sei. Die Maßnahmen würden sich aufgrund des „compelling need for national reconciliation and consolidation of the democratic system“ erklären.1548 Zweitens, betonte die Regierung, seien andere Maßnahmen, v. a. Entschädigungsleistungen, für die Opfer und deren Familien geleistet worden. Hierdurch habe die argentinische Regierung ihre internationalen Verpflichtungen honoriert und klar zum Ausdruck gebracht, dass dies „niemals wieder“ geschehen dürfe.1549 Drittens hielt die Regierung fest, dass die Menschenrechtsverletzungen das Ergebnis von Staatsterrorismus gewesen wären, und, dass, sobald Rule of Law wieder hergestellt worden war, der Staat sich seiner Verantwortung gestellt habe.1550 Die Kommission erteilte insbesondere dem Argument, die Amnestie würde der Förderung der Menschenrechte dienen, eine klare Absage.1551 Sie 1546  „A compact by which a whole nation is called upon to suspend its memories of torture, murder, forcible ‚disappearances‘ of loved ones, a compact which would have citizens pretend that the tragic losses and suffering which they have undergone never occurred, this … is no bargain. This is not amnesty; it is forcible amnesia. The ‚peace‘ that is bought at this price is supported by a thread slenderer even than the thread by which the sword of Damocles was suspended.“ (Jackman, XIX Regular Meeting of the General Assembly to Present the Annual Report of the IACHR, Nov. 1989.) 1547  Vgl. Kokott, Human Rights Law Journal 14 (1993), S. 153 ff. 1548  IACHR, Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentina, § 25. 1549  Ebd., §§ 26 und 28. 1550  Ebd., § 27. 1551  In Mendoza ging die Kommission dann auch auf die politische und mo­ ralische Motivation des Gesetzgebers ein (IACHR, Mendoza u. a. gegen Uruguay, § 54).



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts427

stellte eine Verletzung des Art. 11552 mit der Argumentation fest, die Amnestie würde die wirksame Untersuchung und Strafverfolgung verhindern. Gestehe das nationale Recht den Opfern Rechte im Strafverfahren zu, so könnten diese nicht durch eine Amnestie ausgehebelt werden; es müsse eine Strafuntersuchung und entsprechende Bestrafung geben.1553 Dies bedeute letztendlich, dass die Kombination Amnestie / Wahrheitskommission und die Koppelung mit Entschädigungen die Kommission nicht überzeugte.1554 Die Kommission begrüßte diese Maßnahmen zwar – so insbesondere auch die Strafverfolgung einiger hoher Militärs – aber sie wurde trotzdem als nicht ausreichend angesehen.1555 Unter Berufung auf Velásquez-Rodríguez1556 stellt die Kommission auch eine Verletzung der Pflicht aus Art. 1.1 fest. Daneben untersuchte die Kommission das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren (Art. 8) und die Wirkung der Amnestiegesetzgebung. Im Ergebnis, so die Kommission, würden diese Maßnahmen jede Möglichkeit, die Straftaten gerichtlich zu adressieren, zunichte machen (und damit die Feststellung der Verbrechen, die Identifizierung der Täter und Teilnehmer sowie die Festsetzung der Strafe). Auch das Recht auf gerichtlichen Schutz (Art. 25.1) wurde als verletzt angesehen.1557 Die Kommission legte das Recht auf rechtliches Gehör und gerichtlichen Schutz weit aus.1558 Insbesondere hob die Kommission hervor, dass eine Entschädigung nicht das Fehlen einer gerichtlichen Untersuchung ersetzen könne.1559 Die Kommission stellte damit klar, dass die drei Pflichten aus Velásquez-Rodríguez (Duty to Investigate, Punish, and Compensate) nicht als alternativ angesehen werden können. 1552  Artikel 1: „1. The States Parties to this Convention undertake to respect the rights and freedoms recognized herein and to ensure to all persons subject to their jurisdiction the free and full exercise of those rights and freedoms, without any discrimination for reasons of race, color, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, economic status, birth, or any other social condition. 2. For the purposes of this Convention, ‚person‘ means every human being.“ 1553  IACHR, Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentina, §§ 34–35, 50. 1554  Ebd. §§ 42–47. 1555  Mignone u.  a., Yale Journal International Law 10 (1984), S. 118; SeibertFohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 88. 1556  Vgl. unter Teil 3, C. I. 2. a) bb). 1557  Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentinien, §§ 32–41. 1558  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 87. 1559  „While both questions (denial of justice upon cancellation of the criminal proceedings and the compensation for violations of the rights to life, humane treatment and liberty) are intimately related, they must not be confused. Each question is materially distinct and moreover concerns events that occurred at different times; the rights or provisions of the Convention affected also differ.“ (IACHR, Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentina, § 52.)

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass die Kommission nicht nur auf die Pflicht zur Untersuchung (und Strafverfolgung) sowie die Entschädigung abstellte, sondern insbesondere auch auf die Rechte der Opfer „to obtain a judicial investigation in a court of criminal law to determine those responsible for the crimes committed and punish them accordingly“1560. Die Kommission machte auch ihre Präferenz für ein strafrechtliches Vorgehen deutlich.1561 Die Kommission erklärte die Amnestiegesetze zwar nicht für nichtig, stellte jedoch deren Unvereinbarkeit mit der Konvention fest.1562 Neben einer Entschädigung (Just Compensation) empfahl sie, dass die argentinische Regierung Maßnahmen ergreifen solle, um die Tatsachen zu klären und die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen während der vergangenen Militärdiktatur zu identifizieren.1563 Im Fall des Las Hojas-Massakers empfahl sie zusätzlich, nach der Identifizierung der Täter, diese der Justiz zu übergeben, so dass angemessene Sanktionen gegen diese ergriffen werden könnten.1564 Im Bericht zu El Salvador 1994 bezog die Kommission ebenfalls eindeutig Stellung gegen die zu untersuchende Amnestiegesetzgebung: Die Kommission empfahl in einer Weiterentwicklung der Spruchpraxis die Aufhebung der Amnestie, die Aufnahme von Ermittlungen gegen die Verdächtigen, deren Bestrafung bei Verurteilung und die Entschädigung der Opfer, da die Amnestiegesetzgebung den Opfern jedes straf- oder zivilrechtliches Vorgehen unmöglich mache und damit eine Verletzung der Opferrechte darstellen würde.1565 Die Kommission verstand dies nicht im Sinne einer Wiederversöhnung. In einer zweiten Argumentationslinie stellte die Kommission dann u. a. auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit ab. Diese Tatbestände seien von 1560  Ebd.

§ 50.

1561  „[A]ppropriate

means to … determine criminal liability and impose punishment.“ (Ebd., § 40.) 1562  IACHR, Masacre Las Hojas gegen El Salvador, § 83; vgl. auch: IACHR, Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentinien, § 51; IACHR, Mendoza u. a. gegen Uruguay, § 54. 1563  IACHR, Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentinien, § 5; IACHR, Mendoza u. a. gegen Uruguay, § 54; zum Fall: Lutz, in: Harris/Livingston (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, S. 345, 359. 1564  IACHR, Massaker Las Hojas gegen El Salvador, § 83. 1565  IACHR, Enactment of the Amnesty Law and El Salvador’s International Commitments, Report on the Situation of Human Rights in El Salvador, OEA/ Ser.L/V/II.85, Dok. 28 rev.1 (1994), §§ 69–79, 181; vgl. auch IACHR, Special Report on the Human Rights Situation in the so-called „Communities of Peoples in Resistance“ in Guatemala, OEA/Ser.L/V/II.86 (1994), doc. 5 rev. 1.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts429

einem Amnestiegesetz auszunehmen und erforderten zumindest eine Anerkennung der Verantwortlichkeit ‒ „regardless of any necessity that the peace negotiations might pose“.1566 Nach den drei Entscheidungen zu den Amnestiegesetzen Argentiniens, El Salvador und Uruguays – einer Blankettamnestie in El Salvador und der Amnestie mit alternativen Formen der Entschädigung und Untersuchung in Uruguay ‒ war unklar, ob Amnestien generell als mit der Konvention unvereinbar angesehen wurden. Es ließ sich jedenfalls festhalten, dass die Kommission mit dieser Rechtsprechung von den Richtlinien bezüglich der demokratischen Legitimierung abgewichen war, die die Spruchpraxis des Anfangs prägten.1567 Trotz allem blieb die Haltung der Kommission bezüglich Amnestiegesetzen widersprüchlich – einerseits sah sie wie oben dargestellt die Verpflichtung zur Bestrafung vor; anderseits stellte sie Erfordernisse für Postkonfliktsituationen auf1568, die bezweckten, dass selbst die fehlende Strafverfolgung nicht die Konvention verletzen würde (z. B. Anwendung der ersten Richtlinien im 1993 Nicaragua-Bericht).1569 Einige Autoren ordnen dies als Ergebnis von politischen Erwägungen ein, da die OAS zu jenem Zeitpunkt in Friedensverhandlungen involviert war, bei denen Amnestien eine wichtige Rolle spielten.1570 1996 stellte die Kommission dann in Hermosilla gegen Chile die Unvereinbarkeit der Selbstamnestie mit den Artikeln 1, 8 und 25 fest.1571 Damit ging sie einen Schritt weiter als in den Fällen aus dem Jahr 1992 und stellte fest, dass die Selbstamnestie der Militärregierung, das Recht auf Gerechtigkeit verletze.1572 Dabei stellte sie nicht mehr wie noch 1992 darauf ab, 1566  Vgl.

IACHR, Ignacio Ellacuria u. a. gegen El Salvador, § 216. Lutz, in: Harris/Livingston (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, S. 345, 359. Die Rolle von Juan Méndez (und HRW) wird als instrumental dafür angesehen, dass diese Fälle das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem erreichten (Boraine u. a. (Hrsg.), Dealing with the Past, S. 45). 1568  „[O]bservance of these principles cited above will bring about justice rather than vengeance, and thus neither the urgent need for national reconciliation nor the consolidation of democratic government will be jeopardized.“ (IACHR, Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights 1993, OEA/Ser.L/V/II.85, doc. 9, rev. (1994), Ch. IV, S. 442, 454.) 1569  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 90; Cassel, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 197, 214 ff. 1570  Lutz, in: Harris/Livingston (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, S. 245, 261; Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 91. 1571  IACHR, Hermosilla u. a. gegen Chile, Fall 10.843, Bericht Nr. 36/96, OEA/ Ser.L/V/II.95 doc. 7 rev. (1996), §§ 105, 108. 1572  „[D]eprived the victims and their families of any legal recourse through which they might identify those responsible for violating their human rights during the military dictatorship, and bring them to justice.“ (Ebd. § 107.) 1567  Vgl.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

ob es durch die Amnestie Privatpersonen unmöglich gemacht werde, eine Strafermittlung zu erzwingen – ein Recht, das in vielen lateinamerikanischen Strafprozessordnungen gegeben war1573 – sondern hielt fest, dass die Amerikanische Menschenrechtskonvention die Bestrafung für solche Menschenrechtsverletzungen fordere.1574 Das so interpretierte Recht auf Gerechtigkeit stand somit diametral zu Amnestien für schwere Menschenrechtsverletzungen1575 und verstoße u. a. gegen Art. 1.1576 1998 brachte die Kommission ihren Standpunkt dann wie folgt auf den Punkt: „Amnesty laws frustrate and run contrary to a State’s obligation to investigate and punish those responsible for human rights violations whether those responsible be members of the military or civilians. The expectation of an eventual amnesty casts a blanket of impunity over the Armed Forces or any non-military perpetrator, enabling them to commit any atrocity in the name of their cause, and such a climate breeds inevitable excess and contempt for the Rule of Law. An amnesty in one country in the region which has ended its civil conflict breeds the expectation of an amnesty in a second, albeit the later is still in a state of internal conflict. A state policy of impunity, enshrined in amnesty laws, eventually leads to a loss of prestige and professionalism of the military in the eyes of the rest of the population.“1577

Im Fall Carmelo Soría Espinoza gegen Chile wandte die Kommission Art. 25 auf den Fall der Einleitung strafrechtlicher Verfahren an.1578 Die Pflicht zur Ermittlung und Strafverfolgung ergebe sich daher nicht nur aus Art. 8, sondern auch aus Art. 25.1579

1573  Chile wurde aufgefordert, die Gesetzgebung dahingehend zu ändern, dass die strafrechtliche Untersuchung der Menschenrechtsverletzung und deren strafrechtliche Verfolgung möglich wäre (§ 64). Vgl. auch Lucio Parada Cea u. a. gegen El Salvador, in dem die Kommission feststellte, dass der Staat – in Abwesenheit der Möglichkeit einer Beteiligung der Opfer als Zivilparteien – eine Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung habe (§ 119). 1574  Ebd., § 77. 1575  Vgl. auch IACHR, Alfonso René Chanfeau Orayce u. a. gegen Chile, Fälle 11.505 u. a., Bericht-Nr. 25/98, OEA/Ser.L/V/II.95 doc. 7 rev. (1998); vgl. auch IACHR, Annual Report of the Inter-American Commission 1989–1990, OEA/ Ser.L/V/II.//rev.1 doc. 7 (1990), §§ 133–140. 1576  IACHR, Garay Hermosilla u. a. gegen Chile, § 50. 1577  IACHR, Estiles Ruíz Dávila gegen Peru, Fall 10.491, Bericht Nr. 41/97, OEA/ Ser.L/V/II.95 doc. 7 rev. (1998), § 34; vgl. auch IACHR, Pastor Juscamaita Laura gegen Peru, Fall 10.542, Bericht-Nr. 19/99 (1999), OEA/Ser.L/V/II.95 doc. 7 rev. Vgl. zum Fall: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 94. 1578  IACHR, Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, Fall 11.725, Bericht Nr. 133/99, OEA/Ser.L/V/II.106, doc. 3 rev (1999), § 90. 1579  Vgl. zum Fall: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 65.



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(3) Behandlung von Transitionen Anhand des Falles Hermosilla gegen Chile wird deutlich, dass die Kommission keine Ausnahme von der Verpflichtung zur Strafverfolgung mehr akzeptieren wollte. Auch wurde deutlich, dass sie nicht davon überzeugt war, dass eine Amnestie zu dauerhaftem Frieden und dem Menschenrechtsschutz beitragen könne.1580 Gemäß der Kommission würden Amnestien die wirksamsten Maßnahmen gegen Menschenrechtsverletzungen außer Kraft setzen – nämlich Strafverfolgung und Bestrafung1581 ‒ und damit Rule of Law untergraben.1582 Damit sprach sich die Kommission explizit gegen das oft verwendete Argument aus, dass Amnestien der Prävention weiterer Menschenrechtsverletzungen dienen würden.1583 Bestrafung sei eine Maßnahme, die Bevölkerung vor weiteren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, und den sozialen Frieden herzustellen.1584 Frieden, so die Kommission werde auf der Grundlage von Gerechtigkeit geschaffen, was wiederum die Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen bedeuten würde.1585 Diese Position ist sicherlich dominant durch die lateinamerikanischen Erfahrungen beeinflusst worden. Es handelt sich um das aus Teil 3 A bekannte Rechtstaatlichkeitsargument sowie eine Stellungnahme zur zeitlichen Abfolge von Gerechtigkeit und Frieden. Der Fall Monseñor Oscar Arnulfo Romero und Galdámez gegen El Salvador unterstreicht daneben, dass die Herstellung von Frieden nicht auf der Basis der „Opferung“ von Individualrechten erfolgen kann.1586 Die Wahrheitskommission hatte diesen Fall untersucht, der Staat sich aber geweigert, die Täter strafrechtlich zu verfolgen mit Verweis auf das Amnestiegesetz und der Argumentation, dass dies der einzig mögliche Weg sei, um die neue Demokratie zu schützen und die Achtung von Menschenrechten in Zukunft zu gewährleisten.1587 Die Kommission wies dieses Argument zurück: „considerations of a general nature on the situation of a given State may in no way be used to prevent a decision on an individual 1580  Ebd.,

S. 93. IACHR, Ignacio Ellacuria u. a. gegen El Salvador, § 200. 1582  Vgl. IACHR, Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, § 104. 1583  Vgl. IACHR, Second Report on the Situation of Human Rights in Peru, OEA/Ser.L/V/II.106 doc. 59 (2000), rev. § 230. 1584  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 94. 1585  Vgl. IACHR, Monsenor Oscar Arnulfo Romero und Galdámez gegen El Salvador, Fall 11.481, Bericht Nr. 37/00, OEA/Ser.L/V/II.106 doc. 3 (2000), § 162. 1586  UN Truth Commission for El Salvador, From Madness to Hope, UN Dok. S/25500 (1993), Annex, S. 127 ff. 1587  IACHR, Monsenor Oscar Arnulfo Romero und Galdámez gegen El Salvador, Fall 11.481, Bericht Nr. 37/00, OEA/Ser.L/V/II.106 doc. 3 (2000), § 3. 1581  Vgl.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

case“1588. Dieser Fall wird als eindeutiges Zeichen der Kommission gegen jede alternative Form der Bestrafung eingeordnet.1589 (4) Opferrechte Das Recht auf Gerechtigkeit, so die Kommission, enthalte das Recht auf strafrechtliche Ermittlungen, und wurde aus Art. 1 Abs. 1, 8 und 25 abgeleitet.1590 In manchen Fällen leitete die Kommission dieses Recht auch aus Art. 13 (Gedanken-, Meinungs- und Informationsfreiheit) ab1591 mit der Argumentation, dass die Opfer und deren Familien das Recht hätten, Informationen bezüglich der Begehung eines Verbrechens, der Identität der Täter und des Schicksals der Opfer zu erlangen.1592 Während das Recht zu Wissen / auf Wahrheit ursprünglich lediglich als Individualrecht gesehen wurde, war die Kommission das erste internationale Organ, das auch eine kollektive Dimension dieses Rechtes anerkannte.1593 Dieses kollektive Recht, so die Kommission, stehe der Gesellschaft zu.1594 Die Kommission hat wiederholt in ihren Urteilen auf die „Principles on  the Effective Prevention and Investigation of Extra-legal, Arbitrary and Summary Executions“1595 und das „Manual on the effective preven­ tion and investigation of extra-legal, arbitrary and summary executions“ verwiesen, um ihre Forderungen bezüglich Untersuchungen argumentiv zu untermauern.1596 1588  Ebd.,

§ 155. Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 51. 1590  IACHR, Lucio Parada Cea u.  a. gegen El Salvador, Fall 10.480, Bericht Nr. 1/99, OEA/Ser.L/V/II.95 doc. 7 rev. (1999), §§ 151, 155; IACHR, Third Report on the Situation of Human Rights in Paraguay, OEA/Ser.L/V/II.110 doc. 52 Kapitel III (2001), Impunity, § 26. 1591  IACHR, Lucio Parada Cea u. a. gegen El Salvador, § 148; IACHR, Third Report on the Situation of Human Rights in Paraguay, § 23. 1592  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 68. 1593  Vgl. bereits IACHR, Annual Report of 1985/86, OEA/Ser.L/V/II.68, doc. 8 rev. 1 Chapter V (1986), S. 192 ff. 1594  IACtHR, Bámaca Velásquez gegen Guatemala, Urteil vom 25.  November 2000, Ser. C Nr. 70 (2000), § 197. 1595  Principles on the Effective Prevention and Investigation of Extra-Legal, Arbitrary and Summary Executions, Annex, UN Dok. E/1989/89 (1989), § 52; IACHR, Monseñor Oscar Arnulfo Romero und Galdámez gegen El Salvador, §§ 82 ff.; Ignacio Ellacuría u. a. gegen El Salvador, §§ 173 ff. 1596  UN Manual on the Effective Prevention and Investigation of Extra-Legal, Arbitrary and Summary Executions, UN Dok. E/ST/CSDHA/.12 (1991). 1589  Scharf,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts433

(5) Weitere TJ-Maßnahmen Ohne Strafverfolgung, so die Kommission, wäre die Etablierung einer Wahrheitskommission, die Verabschiedung von Entschädigungsgesetzgebung und eine offizielle Anerkennung der Verantwortlichkeit für die Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierung unzureichend.1597 Die Kommission hielt fest, dass das Recht auf Gerechtigkeit (right to justice) die Bestrafung der Täter erfordere und, solange dies unerfüllt bleibe, andere Maßnahmen nicht ausreichend seien.1598 Vor allem könne eine Wahrheitskommission nicht als Ersatz für eine Strafverfolgung angesehen werden, da es sich hierbei um kein Gericht bzw. einen Spruchkörper handele, die Namen der Schuldigen nicht publiziert und keine Sanktionen auferlegt werden könnten.1599 Auch werde dies dem Recht auf Wahrheit nicht gerecht, da dieses eine rechtliche Untersuchung erfordern würde.1600 Wenn diese Maßnahmen jedoch nicht alternativ sind, scheint die Kommission nicht gegen deren Einrichtung zu sein, sondern ruft vielmehr hierzu als Konsequenz des kollektiven und individuellen Rechtes auf Wahrheit auf.1601 Der Telos des kollektiven Rechtes auf Wahrheit / zu Wissen ist dabei die Verhinderung der Begehung weiterer Menschenrechtsverletzungen.1602 Mit diesem Hintergrund hat die Kommission – zusätzlich zu den Strafverfahren – auch die Einrichtung von Wahrheitskommissionen verlangt.1603 Dabei verstärken sich das Recht auf Wahrheit und das Recht auf Gerechtigkeit gegenseitig:1604 Wahrheitskommissionen sollen die strafrechtliche Untersuchung und Strafverfolgung durch die Justiz ergänzen1605 und seien wertvolle Instrumente, wenn sie nicht mit der Zielsetzung gegründet werden, Strafprozesse zu vermeiden.1606

1597  Ebd.

§§ 41, 58; IACHR, Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, § 105. Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, § 75. 1599  IACHR, Garay Hermosilla u. a. gegen Chile, § 75; vgl. auch IACHR, Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, § 103; IACHR, Lucio Parada Cea u. a. gegen El Salvador, § 157; IACHR, Ignacio Ellacuria u. a. gegen El Salvador, §§ 230–231; vgl. allgemein auch: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 92. 1600  IACHR, Ignacio Ellacuria u. a. gegen El Salvador, § 229. 1601  IACHR, Third Report on the Situation of Human Rights in Paraguay, OEA/ Ser.L/V/II.110 doc. 52 (2004), Kapitel III, Impunity, §§ 33, 34, 44. 1602  Vgl. IACHR, Lucio Parada Cea u. a. gegen El Salvador, §§ 153, 155. 1603  Vgl. IACHR, Third Report on the Situation of Human Rights in Paraguay, §§ 33, 34, 44; Lucio Parada Cea u. a. gegen El Salvador, §§ 153, 137. 1604  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 69. 1605  IACHR, Ignacio Ellacuria u. a. gegen El Salvador, §§ 229 ff. 1606  Ebd. § 229. 1598  IACHR,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

bb) Inter-Amerikanischer Menschengerichtshof (1) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung Der Inter-Amerikanische Menschengerichtshof1607 (IACtHR) hat die Haltung der Kommission weiterhin durch seine Rechtsprechung gestärkt.1608 Mit dem ersten Fall des IACtHR, Velásquez-Rodríguez gegen Honduras (1988)1609, kam ein Fall des gewaltsamen Verschwindenlassens vor den Gerichtshof. Der Gerichtshof (GH) legte in Velásquez-Rodríguez Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 7 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (AMRK) dahingehend aus, dass: „States must prevent, investigate, and punish any violation of the rights recognised by the Convention and … if possible to restore the right violated and provide compensation warranted for damages resulting from the violation.“1610

Darüber hinaus führte der Gerichtshof aus: „[T]he State has a legal duty to take reasonable steps to prevent human rights violations and to use the means at its disposal to carry out a serious investigation of violations committed within its jurisdiction, to identify those responsible, to impose the appropriate punishment and to ensure the victim adequate compensation.“1611

Nach dem GH bedeutet diese Verpflichtung in dem Urteil für Staaten nicht nur „to effectively ensure […] human rights“1612, sondern auch, dass Untersuchungen „in a serious manner and not as a mere formality preordained to be ineffective“1613 durchgeführt werden. Der GH schließt mit der Bemerkung: 1607  Der Gerichtshof (GH) wurde 1979 nach Inkrafttreten der AMRK mit Sitz in San José errichtet. Bis 1986 war er ein Gerichtshof ohne Fälle (bis auf einen Einzelfall, der als unzulässig abgewiesen wurde). Ab 1986 häuften sich dann die Fälle, insbesondere solche des gewaltsamen Verschwindenlassens. 1608  Neben dem Beschwerdeverfahren ist der Gerichtshof auch als Gutachter tätig. Beschwerden können nur durch die Kommission, Staaten oder aufgrund einer Sondervereinbarung vor den GH gebracht werden. Vorläufiger Rechtsschutz und konkrete Schutzmaßnahmen sind möglich und können nur durch den GH und nicht durch die Kommission verhängt werden. Die Gerichtsbarkeit des GH bei Staatenbeschwerden muss explizit anerkannt werden. 1609  IACtHR, Velásquez-Rodríguez, Urteil vom 29.  Juli 1988, Ser. C No. 4 (1988). 1610  Ebd., § 166. [Hervorh, d. d. Verf.] 1611  Ebd., § 174. [Hervorh, d. d. Verf.] 1612  Ebd., § 177. 1613  Ebd., § 176.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts435 „[I]f the State apparatus acts in such a way that the violation goes unpunished … the State has failed to comply with its duty to ensure the full and free exercise of those rights to the persons within its jurisdiction.“1614

Unklar bleibt der genaue Inhalt dieser Verpflichtung, insbesondere ob hiervon eine Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung umfasst wird.1615 Gemeinhin wird die Bedeutung des Velásquez-Rodríguez-Falles als überragend angesehen: Durch diesen Fall begann das Inter-Amerikanische Menschenrechtschutzsystems einen Kampf gegen die Straflosigkeit, insbesondere gegen Amnestiegesetze, der später auch die internationale Rechtsprechung sowie andere regionale Schutzsysteme beeinflussen sollte.1616 Andererseits warnen Beobachter davor, die Bedeutung des Urteils zu überschätzen: Erstens habe der Gerichtshof die Regierung Honduras nicht dazu aufgefordert, strafrechtliche Ermittlungen gegen die Beschuldigten einzuleiten, obwohl dies ausdrücklich beantragt worden war. Deswegen könne geschlussfolgert werden, dass der Gerichtshof nicht-strafrechtliche Antworten per se nicht ausschließen wollte, wenn man Bestrafung in weitem Sinn verstehe.1617 Im späteren Urteil in der „remedy stage“ ordnete der Gerichtshof dann auch nur Entschädigung in Geld an, obwohl auch hier die Anwälte der Opfer umfassendere Maßnahmen beantragt hatten. Der Gerichtshof hielt fest: „full restitution (restitutio in integrum) which includes the restoration of the prior situation, the reparation of the consequences of the violation, and indemnification for patrimonial and non-patriomonial damages, including emotional harm.“1618

Der Gerichtshof wiederholte, dass Maßnahmen wie „investigation of the facts related to the involuntary disappearance of Manfredo  Velásquez; the punishment of those responsible; a public statement con­ demning that practice; the revindication of the victim, and other similar measures.“1619

alle bereits Teil einer Reparation seien. Bemerkenswert ist außerdem, dass der Gerichtshof zum Thema gewaltsames Verschwindenlassen unter einer Vorgängerregierung mit keinem Wort 1614  Ebd.,

§ 184. Human Rights Law Review 6 (2006), S. 227. 1616  Ein Amnestiegesetz wurde kurz vor der letzten Gerichtsverhandlung verabschiedet und dann als Argument von der Regierung eingeführt (Cassel, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 210 ff.). 1617  Scharf, Law and Contemporary Problems 59 (1996), S. 51. 1618  IACtHR, Velásquez-Rodríguez, Urteil vom 29.  Juli 1988, Ser. C No. 4 (1988), § 26. 1619  Ebd., § 32. 1615  Bassiouni,

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

die Exzeptionalität der Situation erwähnte, sondern insbesondere die Kontinuität der völkerrechtlichen Verpflichtungen für die Nachfolgeregierung betonte.1620 Manche Autoren interpretieren das Urteil dahingehend, dass die Anerkennung einer Pflicht zur (nicht notwendigerweise strafrechtlichen) Bestrafung so ausgelegt werden kann, dass der Gerichtshof Situationen anerkennt, in denen ein Hindernis zur strafrechtlichen Verfolgung und Bestrafung akzeptiert werden könne, wenn trotzdem eine Untersuchung stattfindet.1621 Auch wird in der Literatur angemerkt, dass durch die Betonung der Pflicht des Staates, die ihm zu Verfügung stehenden Mittel zu nützen1622, einer Argumentation möglich werde, die bei der Bedrohung der Stabilität oder Existenz eines Staates die Mittelauswahl beschränkt.1623 Außerdem, und dies ist ebenfalls wichtig im Zusammenhang mit dem Themenkreis TJ, führt der GH aus, dass diese Verpflichtungen unabhängig von dem Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen anwendbar seien, d. h. sowohl bei systematischen Vorgängen als auch bei einzelnen, isolierten Verletzungen.1624 Durch dieses Urteil wurden jedenfalls die Verpflichtung zur Due Diligence in Bezug auf die Verpflichtung des Staates, Fälle des Verschwindenlassens zu untersuchen und gegebenfalls strafrechtlich zu verfolgen und zu bestrafen sowie die Wahrheit offenzulegen, festgestellt.1625 Die Frage ob die Pflicht zur Strafverfolgung ein individuelles Opferrecht darstellt, behandelte der Gerichtshof in diesem Urteil noch nicht. In mehreren nachfolgenden Fällen hat der GH festgehalten, dass grundsätzliche alle Menschenrechtsverletzungen eine wirksame Untersuchung der Vorwürfe und eine Bestrafung der Täter erfordern würden.1626 Allerdings 1620  „According to the principle of the continuity of the State in international law, responsibility exists both independently of changes of government over a period of time and continuously from the time of the act that creates responsibility to the time when the act is declared illegal.“ (Velásquez-Rodríguez, § 184.) 1621  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 87. 1622  IACtHR, Velásquez-Rodríguez, § 174. 1623  Pasqualucci, Boston University International Law Journal 12 (1994), S. 334. 1624  Letzteres wurde kritisch diskutiert und es herrscht mittlerweile die Ansicht, dass diese Aussage auf besonders schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen begrenzt werden sollte (vgl. Roht-Arriaza, in: Roht-Arriaza (Hrsg.), Impunity and Human Rights in International Law and Practice, S. 31; Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537, 2578; Roht-Arriaza, California Law Review 78 (1990), S. 475). 1625  Méndez, in: Due Process of Law Foundation (Hrsg.), Victims Unsilenced, S. 193.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts437

bedeutet dies nicht notwendigerweise strafrechtliche Maßnahmen.1627 Im Fall weniger schwerer Verletzungen könnten z.  B. disziplinarrechtliche Sanktionen ausreichen.1628 1626

(2) Pflicht zur Bestrafung Strafverfolgung ist zu einem zentralen Element in der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystems geworden. Im Rochela Massaker gegen Kolumbien nahm der GH zum Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz Stellung. Staaten sollten die Prinzipien eines zügigen und kontradiktorischen Strafverfahrens, effektiven Rechtsmittels und der Verhältnismäßigkeit der Bestrafung beachten.1629 Das Ergebnis eines Verfahrens müsse öffentlich gemacht werden, damit die Gesellschaft die Wahrheit kenne.1630 Die Verpflichtung zur strafrechtlichen Bestrafung wird aus der allgemeinen Pflicht, die Konventionsrechte zu achten, hergeleitet: Art. 1, die Achtung von Menschenrechten im Allgemeinen, Art. 8, Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, Art. 25 Rechtsschutz, Art. 63 Entschädigung (Repara­ tion). Unter Art. 1 dominiert der Präventionsaspekt, gemäß den anderen Artikeln sei es die Entschädigung (Redress)1631. (3) Amnestiegesetzgebung 1993 legten Argentinien und Uruguay dem GH1632 die gutachterliche Frage vor, ob die Kommission die Kompetenz habe, über die Rechtmäßigkeit nationaler Gesetze zu befinden. So wollten sie einen direkten Richterspruch verhindern, die Entscheidungen der Kommission zu den Amnestie1626  Vgl. IACtHR, Las Palmeras gegen Kolumbien, Urteil vom 26. November 2002 (Ser. C) Nr. 96 (2002), § 66; IACtHR, Trujillo Oroza gegen Bolvien, Urteil vom 27.  Februar 2002 (Ser. C) Nr. 92 (2002) § 99; Villagrán Morales u. a. gegen Guatemala, Urteil vom 19. November 1999 (Ser. C), Nr. 63 (1999). 1627  Vgl. Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2578. 1628  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 72. 1629  IACtHR, Rochela Massaker gegen Kolumbien, Urteil vom 11. Mai 2007 (ser.C), Nr. 163 (2007), § 193. 1630  IACtHR, Las Palmeras gegen Kolumbien, Urteil vom 26. November 2002 (ser. C), No. 96, §§ 67, 96; IACtHR, Rochela Massaker gegen Kolumbien, § 287. 1631  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 72 ff. 1632  IACtHR, Certain Attributes of the Inter-American Commision on Human Rights (Arts 41, 42, 44, 46, 47, 50, and 51 of the American Convention on Human Rights), Gutachten vom 16. Juli 1993 (ser. A) No. 13, § 30.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

gesetzen aber trotzdem anzweifeln.1633 Der Gerichtshof ging auf diese Taktik nicht ein und stellte im Gutachten fest, dass die Kommission zur Ausübung ihres Mandates nicht nur nationale Gesetze auf ihre Komptabilität mit der Konvention untersuchen dürfe, sondern auch solle.1634 Der IACHR bekam erst nach der Weiterentwicklung der Position zu Amnestiegesetzen der Kommission (Amnestie von Guatemala) die Möglichkeit, seine eigene Haltung zu überdenken.1635 Im Castillo Páez-Fall (1997) kam die peruanische Amnestiegesetzgebung zur Untersuchung. Obwohl der Gerichshof keine allgemeine Aussage zur Inkompabilität von Amnestiegesetzen machte, stellte er fest: „[T]he Peruvian State is obliged to investigate the events that produced them. Moreover, on the assumption that internal difficulties might prevent the identification of the individuals responsible for crimes of this kind, the victim’s family still have the right to know what happened to him, and, if appropriate, where his remains are located. It is therefore incumbent on the State to use all the means at its disposal to satisfy these reasonable expectations. In addition to this duty to investigate, there is also the duty to prevent the commission of forced disappearances and to sanction those responsible for them. These obligations on Peru shall remain in force until such time as they have been fully performed.“1636

Der Gerichthof wiederholte, dass den Opfern der Rechtsweg offenstehen müsse (Art. 8 Abs. 1 und Art. 25), damit die Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden können und Entschädigung möglich sei1637 Dabei wiederholte der Gerichtshof, dass die Vertragsstaaten die Verpflichtung zur Bekämpfung der Straflosigkeit hätten. Eine Amnestie wurde mit Straflosigkeit gleichgesetzt.1638 Es ist hervorzuheben, dass das Urteil weder die Verpflichtung zur strafrechtlichen Verfolgung noch das Recht auf Gerechtigkeit und Wahrheit ansprach.1639 Insbesondere war unter den Richtern strittig, ob die Verpflichtung zur Bestrafung eine allgemeine Regel auch für andere Situationen darstellen würde. Die Notwendigkeit der Statusbestimmung des internatio1633  Lutz, in: Harris/Livingston (Hrsg.), The Inter-American System of Human Rights, S. 345, 361. 1634  Certain Attributes of the Inter-American Commision on Human Rights, § 30. 1635  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 97. 1636  IACtHR, Castillo Páez-Fall, Urteil vom 3.  November 1997 (ser. C) No. 34, § 90. 1637  Ebd., § 106. 1638  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 98. 1639  Vgl. auch Sondervotum Garcia-Ramirez in: IACtHR, Barrios Altos Case (Chumbipuma Aguirre u. a. gegen Peru), Sondervotum Garcia-Ramirez, Inter-Am. Ct. H.R. (ser.C) No. 75, §§ 9–14 (14. März 2001).



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts439

nalen Rechts wurde anhand der Joint Concurring Opinion deutlich.1640 In dieser deuteten zwei Richter auf die allgemeine Unvereinbarkeit von Selbstamnestien mit dem Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Entschädigung hin. Selbstamnestien wurden als mit der Pflicht aus Art. 1 (Achtung und Sichterstellung des Respektes für Konventionsrechte) unvereinbar angesehen1641. In der Literatur wurde vermutet, dass der Grund für diese Nichtbezugnahme im Urteil darin zu suchen sei, dass die Idee eines unverzichtbaren „Rechtes auf Gerechtigkeit“ nicht vollständig von der Mehrheit akzeptiert werden konnte.1642 Allerdings wird auch an dem Sondervotum im Loyaza Tamayo Fall von Richter García-Ramírez1643 deutlich, dass Kompromisse beim Ruf nach strafrechtlicher Bestrafung nicht vollständig ausgeschlossen werden können.1644 Nach dem Castillo Paez-Fall gewann das Sondervotum von Cantado Trindade und Burelli mehr Anhänger und bestimmte wegweisend die Rechtsprechung des Gerichtshofes im Fall Barrios Altos, der der bedeutendste Fall für Amnestiegesetzgebung werden sollte. Mit Barrios Altos kam erneut das peruanische Amnestiegesetzgesetz vor den GH. Obwohl Peru seine Verantwortung für die außergerichtlichen Hinrichtungen und das Fehlen strafrechtlicher Ermittlungen und Bestrafung anerkannt hatte1645, erließ der GH ein umfassende Erklärung zu Unvereinbarkeit von Amnestiegesetzgebung mit der Konvention:1646

1640  IACtHR, Castillo Páez-Fall, Urteil (27.  November 1998), Sondervoten Cançado Trindade und Abreu-Burelli (ser. C) No. 43, §§ 3. 1641  Ebd. §§ 2–3; vgl auch IACtHR, Loyaza Tamayo-Fall, Urteil vom 27. November 1998, Sondervoten Judges Cançado Trindade und Abreu-Burelli (ser. C) No. 42, §§ 2–4. 1642  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 99. 1643  In einem Sondervotum im Loyaza Tamayo-Fall, sprach sich der Richter García-Ramírez nicht grundsätzlich gegen Amnestien aus, aber für eine Abwägung: Eine Amnestie wäre für ihn akzeptabel, wenn sie mit den Prinzipien relevanter internationaler und nationaler Normen übereinstimmen würde, wenn die jeweiligen betroffenen Sektoren daran beteiligt worden wären und das Gesetz demokratisch und verfassungsgemäß verabschiedet worden wäre (§ 6). Er stellte aber auch fest, dass es keine Amnestie für schwerste Menschenrechtsverletzungen geben dürfte (§ 7, 8–10). Dabei wollte er aber auch die besonderen Umstände, die eingesetzten Mittel und deren Effektivität als Abwägungskriterien berücksichtigt wissen (§ 9). Damit schloss sich der Richter offensichtlich ganz der früheren Ansicht der Kommission an. 1644  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 100. 1645  IACtHR, Barrios Altos Fall (Chumbipuma Aguirre u. a. gegen Peru), Urteil vom (14. März 2001) (ser. C) No. 75, § 35. 1646  Ebd., § 312.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

„This Court considers that all amnesty provisions, provisions on prescription and the establishment of measures designed to eliminate responsibility are inad­ missible.“1647

Später erklärte der GH, dass das Urteil nicht nur auf den vorgelegten Sachverhalt anzuwenden sei (Barrios Altos-Massaker) sondern auf das peruanische Amnestiegesetz per se, da es offensichtlich unvereinbar mit den Konventionsverpflichtungen sei.1648 Die fehlende Strafverfolgung war dabei der Kritik zentral.1649 Amnestiegesetze, so der GH, würden die Straflosigkeit verlängern.1650 Der GH stellte keine Abwägung an, sondern sprach klare Richtlinien für Amnestiegesetzgebung für schwere Menschenrechtsverletzungen aus. Eine Amnestie könne nicht für Menschenrechtsverletzungen wie Folter, außergerichtliche oder illegale Hinrichtungen und gewaltsames Verschwindenlassen gewährt werden.1651 Mit diesem Fall stellte der GH fest, dass ein Staat nicht nationale Schwierigkeiten vorbringen könne, um sich von der Verpflichtung zur Untersuchung und Bestrafung zu befreien.1652 Damit wurde der Nexus Zulässigkeit der Amnestie / Wiederherstellung von Frieden beendet. Für den GH stand eine bedingungslose Verpflichtung zur Bestrafung der Verletzung nicht-derogierbarer Rechte fest.1653 Der GH gründete diese Idee auf der Nichtderogierbarkeit des Rechtes auf Lebens sowie der Pflicht der Bestrafung selbst in Zeiten des staatlichen Notstandes.1654 Zwei Hauptargumente führte der GH an: Amnestien würden die allgemeine Pflicht der Achtung und Wahrung der Menschenrechte aus Art. 1 Abs. 1 verletzen, da sie die Untersuchung, Festnahme, Strafverfolgung und Verurteilung der Schuldigen verhindern würden1655; zweitens, da sie die Opfer und deren Verwandten darin hinderten, rechtliches Gehör zu finden (Art. 8 Abs. 1) und gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen (Art. 25).1656 Der GH führte aus: 1647  Ebd.,

§§ 41–44. § 41. 1649  IACtHR, Barrios Altos Fall (Chumbipuma Aguirre u. a. gegen Peru), Interpretation of the Judgment on the Merits, Urteil vom 3. September 2001 (ser. C) No. 83, § 18. 1650  IACtHR, Barrios Altos Fall (Chumbipuma Aguirre u. a. gegen Peru), Urteil vom 14. März 2001 (ser. C) No. 75, § 35. 1651  Ebd., §§ 42–43. 1652  Ebd. 1653  Ebd., § 12. 1654  Vgl. zum Fall: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 100. 1655  Vgl auch IACHR, Masacre Las Hojas gegen El Salvador, Fall 10.287, Bericht Nr. 26/92, OEA/Ser.L/V/II.83, doc.14 (1993), § 83. 1648  Ebd.,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts441 „[S]elf-amnesty laws lead to the defenselessness of victims and perpetuate impunity; therefore they are manifestly incompatible with the aims and spirit of the Convention.“1657 1656

Insbesondere kritisierte der GH auch, dass den Opfern der Weg zur Wahrheit und Entschädigung erschwert werden würde.1658 Damit ordnet sich das Urteil in die schon davor sich andeutenden Tendenz ein, dass „Gerechtigkeit“ ein strafrechtliches Vorgehen erfordere. Dahinter stand die Idee, dass Opfer ein Recht auf Zugang zum Strafrechtswesen zu gewähren.1659 In der Literatur wird zu bedenken gegeben, dass nicht klar sei, ob sich Barrios Altos nur auf Selbstamnestien oder auf alle Amnestien beziehen würde. Dabei sprechen starke Argumente für ein generelles Verbot von Amnestien.1660 Im Jahr 2005 kam es zu mehreren wichtigen nationalen Gerichtsentscheidungen zum Thema Amnestie, so z. B. des Obersten Gerichtshofes Argentiniens, der die zwei Amnestiegesetze aus dem Jahr 1986 und 1987 für verfassungswidrig erklärte1661 sowie der Oberste Gerichtshof Chiles, der die Nichtanwendbarkeit des Amnestiegesetzes in Fällen des gewaltsamen Verschwindenlassens festsetzte1662.1663 Dagegen bestätigte die kolumbianischen Gerichte das sog. Justicía y Paz-Gesetz1664 aus dem Jahr 2005.1665 1656  Barrios 1657  Ebd.

1658  Ebd.,

Altos-Fall, § 42.

§ 43.

1659  Seibert-Fohr,

Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 101 f. Unklarheit rührt von der Tatsache, dass der GH unterschiedliche Terminologien verwendet (Seibert-Fohr, Prosecution Serious Human Rights Violations, Fn. 331, S. 326, mit Verweis auf Barrios Altos-Fall, §§ 43–44). 1661  Simón, Julio Héctor y otros s/privación ilegítima de la libertad, Corte Suprema de Justicia, 14. Juni 2005, Fall Nr. 17.768 S. 1767.XXXVIII (Arg.). 2003 hatte der argentinische Kongress bereits die Gesetze mit retroaktiver Wirkung annulliert, 2005 bestätigte der Oberste Gerichtshof dann dies (Sikkink/Walling, Journal of Peace Research 44 (2007), S. 427). 1662  Juan Contreras Sepúlveda y otros, Nr. 517/2004, Resolución 22267. 1663  Vgl. hierzu: Lafontaine, Journal International Criminal Justice 3 (2005), S. 469; Tittemore, Southwestern Journal of Law and Trade in the Americas 12 (2006), S.  454 ff. 1664  Das Justicía y Paz-Gesetz, Gesetz Nr. 975 (21. Juni 2005), beinhaltete die Festsetzung eines reduzierten Strafmaßes für Mitglieder paramilitärischer Organisationen, die sich demobilisieren und entwaffnen lassen, Informationen zur Verfügunge stellen bzw. zur Entdeckung der Gruppe beitragen, zu der sie gehören. Im Austausch gegen diese „Zusammenarbeit“ wurden Strafmaßreduzierungen in Aussicht gestellt, wobei das Gesetz jedoch nicht den Strafprozess verhindert. Daher wurde es nicht als Amnestiegesetz im klassischen Sinn angesehen. Trotzdem wurde das Gesetz hinsichtlich der Vereinbarkeit insbesondere mit den Opferrechten kritisiert. Im Mai 2007 hat der IACtHR zu dem Gesetz Stellung genommen und wie es umgesetzt 1660  Diese

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Vor den Inter-Amerikanischen Gerichtshof kamen in dieser Phase eine Reihe von Fällen, die Massaker an der Zivilbevölkerung zum Sachverhalt hatten. Obwohl die Umstände in Einzelfällen voneinander abwichen, verband die Fälle jeweils das erschwerende Merkmal des Vorsatzes.1666 Im Fall Massacre Plan de Sánchez kam der Vorwurf eines Massakers des Militärs an der indigenen Mayabevölkerung zur Verhandlung.1667 Im Fall des Massakers von Mapiripán, einem Sachverhalt aus dem Jahr 1997, hatten die paramilitärischen Kräfte auf die Kollaboration und die Duldung durch den Staat gesetzt.1668 Bei diesen Fällen wurde – anhand der abweichenden Sondervoten – deutlich, dass das Thema der Amnestiegesetzgebung nicht einheitlich von allen Richtern gesehen wurde. So wollte der Richter GarcíaRamírez lediglich Selbstamnestien verboten wissen.1669 Schon zu Barrios Altos hatte er ausgeführt, dass die Förderung der Harmonie unter der Zivilbevölkerung und die Restauration des Friedens und der Beginn einer neuen Phase der Nation ein demokratisch legitimiertes Amnestiegesetz rechtfertigen könnten, solange die schwersten Menschenrechtsverletzungen, wie gewaltsames Verschwindenlassen, Genozid, Folter und bestimmte Verbrechen gegen die Menschlichkeit, nicht davon umfasst seien.1670 1665

Die entgegengesetze Haltung nahm der Richter Cançado Trindade ein.1671 Laut ihm könne nationale Versöhnung nicht über Amnestiegesetze erreicht werden: „forgiveness cannot be imposed by a decree law or otherwise; instead, it can only be granted spontaneously by the victims themselves.“1672 hätte werden können, um mit der AMRK vereinbar zu sein: „the punishment which the State assigns to the perpetrator of illicit conduct should be proportional to the rights recognized by law and the culpability with which the perpetrated acted, which in turn should be established as a function of the nature and gravity of the events. The punishment should be the result of a judgement issued by a judicial authority.“ (IACtHR, Rochela Massacre gegen Kolumbien, Urteil vom 11. Mai 2007 (ser. C) No. 163, § 196.) 1665  Vgl. Almqvist/Esposito, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 15. 1666  Cançado Trindade, in: ebd., S. 20. 1667  IACtHR, Plan de Sánchez gegen Guatemala, Urteil vom 29.  April 2004 (ser. C) Nr. 105. 1668  IACtHR, Mapiripán Massaker gegen Kolumbien, Urteil vom 1.  September 2005, 2005 Inter-Am. Ct. HR. (ser. C) No. 134, § 304. 1669  IACtHR, La Cantuta gegen Peru, Urteil vom 29. November 2006, Sondervotum García-Ramírez, (ser. C) No. 162, §§ 1–4. 1670  IACtHR, Barrios Altos, Sondervotum Judge García-Ramírez, §§ 11, 13. 1671  IACtHR, Castillo Páez, Reparations, Joint Concurring Opinion of Judges Cançado Trindade and Abreu-Burelli, 1998 Inter-Am. Ct. H.R. (ser. C), No. 43, §§ 2–3 (27 November 1998). 1672  IACtHR, Almonacid Arellano u.  a. gegen Chile, Sondervotum Cançado Trindade, Urteil vom 26 September 2006, (ser. C) No. 154 (2006), § 4.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts443

Dies wird als allgemeine Ablehnung von Amnestiengesetzen für schwere Menschenrechtsverletzungen gedeutet, unabhängig von den Motiven der Gesetzgeber und dem Verlauf des Gesetzgebungsprozesses.1673 In Almonacid-Arellano gegen Chile und La Cantuta gegen Peru1674 ging es um die Amnestiegesetze Perus und Chiles, die auch auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit anwendbar waren und daher vom Gerichtshof für ungültig aufgrund einer Verletzung von Art. 1 und 2 angesehen wurden.1675 Der GH forderte die Aufhebung des Gesetzes.1676 Hierbei ließ der GH weder die Argumente der Vertragsstaaten bezüglich des politischen Entscheidungsspielraums, eine solche Entscheidung zu treffen zu können, noch das Verfahrensargument ob des Gesetzgebungsprozesses gelten.1677 Der GH bezog sich auf die Rechtsprechung auch im internationalen Strafrecht, v. a. im Bereich der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.1678 Diese „absolute“ Pflicht zur Bestrafung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird von einigen Richtern als „new and great qualitative step forward“ angesehen, den die Rechtsprechungsorgane des internationalen Strafrechtes noch vor den Menschenrechtsschutzorganen gemacht hätten.1679 Somit bewegt sich das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem endgültig Richtung generelles Verbot von Selbstamnestiegesetzen und Amnestien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Während Selbstamnestien das Vertrauen der Bevölkerung in das Rechtssystem und die öffentlichen Institutionen als solche schwächen würden,1680 gäbe es auch keinerlei Raum für Amnestien für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wie der Ansatz des Gerichtshofes in den Massaker-Fällen Mapripán gegen Colombia, Almonacid-Arellano gegen Chile1681 und La Cantuta gegen Peru1682 bekräftigte. 1673  Seibert-Fohr,

Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 103. Almonacid Arellano u. a. gegen Chile, § 105; IACtHR, La Cantuta gegen Peru, § 168. 1675  IACtHR, Almonacid Arellano u. a. gegen Chile, Urteil vom 26. September 2006 (ser. C) No 154, § 120. 1676  Der GH gab sich nicht damit zufrieden, dass die Amnestiegesetze nicht von den nationalen Gerichten angewendet wurden (ebd., § 121.); vgl. auch: IACtHR, La Cantuta gegen Peru, §§ 165, 189. 1677  Ebd. §§ 110, 118. 1678  IACtHR, Almonacid Arellano u. a. gegen Chile, § 105; vgl. auch: IACtHR, Goiburú u. a. gegen Paraguay, Urteil vom (22. September 2006) (ser. C), No. 153, § 128. 1679  IACtHR, Barrios Altos-Fall (Chumbipuma Aguirre u. a. gegen Peru), Sondervotum Cançado Trindade, § 4. 1680  Ebd. 1681  IACtHR, Almonacid Arellano u. a. gegen Chile, § 105. 1674  IACtHR,

444

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Amnestien wurden mit De-facto-Straflosigkeit gleichgesetzt.1683 Das Befriedungsargument von Amnestien wird von den Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzorganen nicht akzeptiert.1684 1682

(4) Behandlung von Transitionen Der GH akzeptiert grundsätzlich keine TJ-Argumente von Vertragsstaaten. So hatte Peru zur Rechtfertigung der Maßnahme der Amnestie (Gesetze Nr. 26.479 und 26.4921685) auf die schwierigen Bedingungen im Land hingewiesen.1686.1687 Der GH berücksichtigte diese Argumentation nicht, sondern stellte vielmehr auf das Amnestiegesetz selbst und nicht den na­ tionalen Kontext ab, der zur Verabschiedung des Amnestiegesetzes geführt hatte: Das Gesetz „obstructs investigation and access to the courts and prevents the victim’s next of kin from learning the truth and receiving the reparations to which they are entitled.“1688 Das Argument Perus, aufgrund der herrschenden Situation ihre Verpflichtung nicht erfüllen zu können, wurde zurückgewiesen.1689 Diese Linie hielt der GH auch im Folgenden ein. (5) Opferrechte Insbesondere bezüglich der Opferrechte ist die Inter-Amerikanische Rechtsprechung innovativ und weitergehend als die des CCPR oder des Europäischen Systems. Während in Velásquez-Rodríguez die Konventionsverletzung noch in der Verletzung des Opferrechtes auf Leben, Freiheit und unmenschliche Behandlung bestand, würde der GH in einem gleichgelagerten Fall nun eine Verletzung von Art. 8 Abs. 1 und Art. 25 annehmen (als Teil des Rechtes auf Gerechtigkeit bzw. besser Recht auf gerichtlichen

1682  IACtHR, Mapiripán- Massaker gegen Kolumbien, § 304; IACtHR, Almonacid Arellano u,.a. gegen Chile, § 105; IACtHR, La Cantuta gegen Peru, § 168. 1683  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 94. 1684  Vgl. auch IACHR, Zweiter Staatenbericht für Peru, OEA/Ser.L/V/II.106, doc. 59, rev. (2000), § 230. 1685  IACtHR, Castillo Páez-Fall, §§ 98, 101. 1686  Ebd. § 102. 1687  Vgl. zu den Fällen: Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 98. 1688  IACtHR, Castillo Páez-Fall, § 105. 1689  Ebd. (IACtHR, Castillo Páez-Fall, §§ 2–3).



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts445

Rechtsschutz und effektives Rechtsmittel).1690 Insbesondere Art. 25 wird auch als Rechtsbehelf gesehen.1691 Obwohl der GH nicht den Begriff des „Rechtes auf Gerechtigkeit“ (wie die Kommission)1692 verwendet, leitet er doch die gleichen Pflichten und Rechte aus dem Recht auf einen fairen Prozess und dem Recht auf Rechtsschutz ab,1693 so z. B. aus Art. 8 i. V. m. Art. 25 ein Opferrecht auf strafrechtliche Bestrafung der Täter von Menschenrechtsverletzungen.1694 Die korrespondierende Pflicht des Staates zur Strafverfolgung und Bestrafung folgt aus diesem Recht.1695 In dieser Phase stellte der GH auch fest, dass das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz Ius cogens-Charakter habe.1696 Hinsichtlich des kollektiven Rechtes auf Wahrheit war der GH zunächst zögerlich und stellte so in Castillo Páez noch fest, dass, obwohl dieses Recht von zahlreichen internationalen Organisationen anerkannt sei, dieses nicht in der AMRK existiere – dies hatte die Kommission noch so gesehen.1697 Im Fall Bámaca Velásquez gegen Guatemala, erkannte der GH dann die kollektive Dimension des Rechtes auf Wahrheit, das zwischenzeitlich u. a. durch die Joinet-Prinzipien und die Van Boven-Prinzipien bestätigt worden war, an.1698 1690  IACtHR, Durand & Ugarte Fall, Urteil vom 16. August 2000 (ser. C) No. 68 (2000), § 146. 1691  Die Kommission sieht dagegen die Etablierung von Wahrheit als eine Form von Reparationen an (IACHR, Third Report on the Situation of Human Rights in Paraguay, OEA/Ser.L/V/II.110 (2002), doc. 52 Kapitel III, Impunity, § 24). 1692  IACtHR, La Cantuta gegen Peru-Fall, Urteil vom 29. November 2006, ser. C (2006) no. 162, §§ 149 ff. 1693  IACtHR, Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, § 95; vgl. auch: „Article 8 (1) of the American Convention, in connection with Article 25 (1) thereof, confers to victims’ relatives the right to investigate their disappearance and death by State authorities, to carry out a process against the liable parties of unlawful acts, to impose the corresponding sanctions, and to compensate damages suffered by their relatives.“ (IACtHR, Durand & Ugarte-Fall, Urteil vom 16. August 2000, ser. C, No. 68, § 130.) 1694  IACtHR, Villagrán Morales u. a. gegen Guatemala („Straßenkinder“-Fall), Inter-Am. Ct. HR (ser. C), No. 63, § 199 ff. (19. November 1999). 1695  IACtHR, Carmelo Soria Espinoza gegen Chile, § 82. 1696  IACtHR, Goiburú u. a. gegen Paraguay,§§ 84, 131; La Cantuta gegen Peru, § 157. 1697  IACtHR, Castillo Páez-Fall, § 85 f. 1698  IACtHR, Bámaco Velásquez gegen Guatemala, Urteil vom 22.  Februar 2002 (ser. C) Nr. 91 (2002), § 76.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Dabei könne die Entschädigung verschiedene Formen annehmen, z. B. restitutio in integrum, Entschädigungen, Genugtuung sowie Garantien der Nichtwiederholung.1699 Untersuchung und Bestrafung würden als Abhilfemaßnahme gesehen und könnten auch aus Art. 63 abgeleitet werden.1700 Andere Maßnahmen, die der GH regelmäßig anregte, waren Menschenrechtserziehung und -trainingsmaßnahmen für Militär und Polizei.1701 (6) Weitere TJ-Maßnahmen Die Betonung der Notwendigkeit der strafrechtlichen Verfolgung für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen schließt die Option für alternative Maßnahmen weitgehend aus. Die Einrichtung einer Wahrheitskommission allein wurde z. B. vom GH als unzureichend erachtet: Im Fall Almonacid-Arellano gegen Chile und La Cantuta gegen Peru hielt der Gerichtshof fest, dass „historical truth […] does not complete or substitute the State’s obligation to also establish the truth through court proceedings“.1702 Mit der Annahme der Verpflichtung zur Strafverfolgung als korrespondierende Pflicht der Opferrechte, können Wahrheitskommissionen nicht mehr als zulässige Alternativen der Strafverfolgung angesehen werden.1703 Trotzdem werden sie als wichtiges Instrument in der Suche nach Wahrheit angesehen – allerdings komplementär zur Strafverfolgung.1704 Damit wird den Wahrheitskommissionen eine Rolle – Etablierung der historischen Wahrheit – hinsichtlich des kollektiven und individuellen Rechtes auf Wahrheit zugeschrieben.1705 Ihr Mehrwert wird darin gesehen, dass sie einen Schritt „towards knowing the truth and, ultimately, making justice prevail“1706 darstellen würden. Das Recht auf Wahrheit und das Recht auf Gerechtigkeit werden als sich gegenseitig verstärkend und komplementär angesehen.1707 Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 83. Las Palmeras gegen Kolumbien, Urteil vom 26. November 2002 (ser. C) Nr. 96, §§ 66–67. 1701  IACtHR, El Caracazo-Fall, Urteil vom 29. August 2002, (ser. C), Nr. 95, § 143. 1702  IACtHR, La Cantuta gegen Peru, §§ 224; Almonacid Arellano u. a. gegen Chile, § 150. 1703  IACtHR, La Cantuta gegen Peru, § 224. 1704  IACHR, Ignacio Ellacuría u. a. gegen El Salvador, §§ 229 ff. 1705  IACHR, Third Report on the Situation of Human Rights in Paraguay, OEA/ Ser.L/V/II.100, doc. 52, Kapitel III (2001), §§ 33, 34, 44. 1706  IACHR, Ignacio Ellacuría u. a. gegen El Salvador, §§ 229 ff. 1707  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 102. 1699  Vgl.

1700  IACtHR,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts447

cc) Zusammenfassung Für den süd- und mittelamerikanischen Kontinent wird ein spezielles Verständnis einiger TJ-Mechanismen festgestellt.1708 Während der Jahre der Transition zur Demokratie war die Entwicklung des Systems fest mit der Frage verbunden, wie mit Menschenrechtsverletzungen durch Vorgängerregime umzugehen sei und wie die politischen „Deals“ der Transition juristisch zu bewerten seien.1709 Damit ist das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem das erste regionale und internationale Menschenrechtsschutzsystem das den Staaten mehr oder weniger klare rechtliche Richtlinien für ihre Transitionspolitik gab. Die Haltung der Organe bezüglich Amnestiegesetzen änderte sich mit der Zeit – während zu Beginn eine demokratisch legitimierte Amnestie, eine Untersuchungskommission zur Erfüllung des Rechtes der Opfer und der Verwandten auf Wahrheit (im Lichte einer Abwägung zwischen dem Bedürfnis nach Versöhnung und Befriedung mit der Verpflichtung, Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen) als mit der Konvention vereinbar angesehen wurde1710, kam es später unter dem Einfluss der Velásquez-Rodríguez-Rechtsprechung des Gerichtshofes (und nach der Annahme eines individuellen Rechtes auf strafrechtliche Untersuchung) zu einer Verschärfung der Haltung der Kommission. Das Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystem war in zweierlei Hinsicht wichtig: erstens, in politischer Hinsicht, insbesondere für die erstarkenden Demokratien und die nationalen Menschenrechtsbewegungen, und, zweitens, in normativer Hinsicht, da es explizit menschenrechtliche Verpflichtungen von Staaten in Bezug auf systematische Menschenrechtsverletzungen von Vorgängerregierungen und Opferrechte konkretisierte.1711 Diese Urteile und Entscheidungen hatten darüber hinaus auch großes moralisches Gewicht.1712 Daher lässt sich sagen, dass südamerikanische Transitionen im Allgemeinen der hier untersuchten Fragestellung von TJ wichtige normativen Impulse gegeben haben, da sie zu Individualbeschwerden vor den Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzorganen und zur Entwicklung der Anerken1708  So

auch De Campos Melo, REVISTA CEJIL 5 (2009), S. 84.

1709  Ebd.

1710  Vgl. IACHR, Annual Report of 1985/86, OEA/Ser. L/V/II.68, doc. 8 rev. 1 (1986), S.  157 f. 1711  Vgl. z. B. Méndez, in: Due Process of Law Foundation (Hrsg.), Victims Unsilenced, S. 192. 1712  Ebd.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

nung der Opferrechte geführt haben. Insbesondere dem Inter-Amerikanischen Menschengerichtshof wird hierbei eine Vorreiterrolle zu Beginn des hier untersuchten Zeitraums bis Mitte der 1990er Jahren zugeschrieben.1713 Es ist jedoch festzuhalten, dass Transitionen kein Deutungsmuster in den dargestellten Fällen darstellen. Das „Exzeptionalitätsargument“ – obwohl von Staaten vor dem Gerichtshof und der Kommission mehrfach benutzt – wurde von beiden Gremien nicht in ihren Ausführungen behandelt. Ihnen wurde damit implizit eine klare Absage erteilt. Vielmehr wurde auf politische Ziele und Zwänge zwar in der Argumentation eingegangen, aber die Exzeptionalität des Kontextes wurde nicht zum Ausgangspunkt der Erörterung genommen. Dieses würde der Tendenz dieser Spruchpraxis sogar diametral entgegenstehen. b) Das Europäische Menschenrechtssystem Der Eindruck, dass lediglich das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem mit der TJ-Problematik befasst war, der sich auch oftmals in der Literatur findet, täuscht.1714 Die Geschichte des Europäischen Systems ist schon allein aufgrund der geographischen Nähe stärker mit den Folgen des Zweiten Weltkrieges  − und damit grundsätzlich mit einem TJ-Kontext  − verbunden. So wurden der Europarat und die Europäische Menschenrechtskonvention als Produkt einer großen Transition des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg angesehen und manche Autoren haben die EMRK deshalb als „transitional legal instrument“1715 bezeichnet und in die Vertragsverhandlungen das Leitmotiv der Transition hineingelesen.1716 Andere haben hervorgehoben, dass die Mehrheit der Mitglieder, die die Konvention ratifiziert habe, dies getan hätte, nachdem sie selbst eine Periode militärischen Konflikts oder autoritärer Regierung hinter sich gelassen hatte.1717 Andererseits wird in der Literatur auch betont, dass die Staaten, die damals die EMRK unterzeichneten, bereits als stabile Demokratien bezeichnen werden konnten. Die Staaten, die eine politische, gesellschaft­ liche, rechtliche oder wirtschaftliche Transition durchlebten, hätten die Konvention in der Regel erst nach der Begehung der Menschenrechtsverauch Zalaquett, Book Review, IJTJ (2) 2008, S. 426. ebenso Hamilton/Buyse, in: dies. (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 1. 1715  Ebd., S. 2. 1716  Aolain, in: dies. (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 24 ff. 1717  Allen/Douglas, in: dies. (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 213. 1713  Vgl. 1714  Vgl.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts449

letzungen ratifiziert. Damit unterscheide sich die Ausgangssituation erheblich von der der Inter-Amerikanischen und der Afrikanischen Menschenrechtskonvention.1718

aa) Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung Der EGMR1719 hat positive Schutzpflichten bezüglich substantieller Konventionsrechte entwickelt. Laut Rechtsprechung des EGMR sind Staaten dazu verpflichtet, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte der Konvention zu schützen.1720 In der Regel wird dem Staat ein weiter Ermessenspielraum ob der zu ergreifenden Maßnahmen zugebilligt, insbesondere wenn es sich um das Verhalten Dritter handelt.1721 Der EGMR hat in vielen Urteilen eine Pflicht der Staaten festgehalten, ein bestimmtes Verhalten strafrechtlich zu regulieren und dafür zu sorgen, dass die Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.1722 Insbesondere die Verletzung fundamentaler Menschenrechte, d.  h. bei Mord, Vergewaltigung und anderen ernsthaften Angriffen auf die persönliche Integrität, müsse strafbewehrt sein: „primary duty on the State to secure the right to life by putting in place effective criminal-law provisions“1723. Bezüglich weniger schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen steht dem Vertragsstaat ein Ermessensspielraum bei der Wahl des Schutzmittels zu.1724 1718  Hamilton/Buyse,

S. 296.

in: dies. (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR,

1719  Die nachfolgende Darstellung basiert hauptsächlich auf der Auswertung der Rechtsprechung zum Thema „Strafverfolgungspflichten“, „Restitutionen“ und „Derogationen“ in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR; Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations; Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537 ff.; Roht-Arriaza (Hrsg.), Impunity. 1720  EGMR, L.C.B. gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 23413/94, Urteil vom 9. Juni 1998, § 36. 1721  Z. B. „Bearing in mind the difficulties in policing modern societies, the unpredictability of human conduct and the operational choices which must be made in terms of priorities and resources, the positive obligation must be interpreted in a way which does not impose an impossible or disproportionate burden on the authorities.“ (EGMR, Kaya gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 22729/93, Urteil vom 19.  Februar 1998, § 86.) 1722  Vgl. EGMR, X und Y gegen die Niederlande, Beschwerde-Nr. 16/1983/72/110, Urteil vom 27. Februar 1985, § 27. 1723  Vgl. statt vieler: EGMR, Mahmut Kaya gegen Türkei, BeschwerdeNr. 22535/93, Urteil vom 28.  März 2000, § 85; EGMR, Kiliç gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 22492/93, Urteil vom 28.  März 2000, § 62. 1724  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 112.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Hintergrund für diese Pflicht ist die (Spezial-)Prävention zukünftiger Menschenrechtsverletzungen.1725 Ohne strafrechtliche Durchsetzung würde die Prävention jedoch wirkungslos bleiben. Wenn die Täter von Menschenrechtsverletzungen nicht zur Verantwortung gezogen werden, würde dies zu einem Klima der allgemeinen Straflosigkeit führen, die zu weiteren Menschenrechtsverletzungen führen würde. Ohne Durchsetzung des Strafanspruchs wird der Schutz eines Menschenrechts ineffektiv.1726 Neben diesem Argumentationsstrang stützt der GH die Notwendigkeit der Durchsetzung des Strafanspruchs auch auf Rule of Law und das Vertrauen in das Gewaltmonopol des Staates.1727 Daneben hat der GH festgehalten, dass es nicht nur eine Pflicht zur Kriminalisierung eines bestimmten Verhaltens gäbe, sondern begleitende Pflichten bezüglich der Einrichtung und Unterhaltung einer funktionierenden Strafjustiz.1728 Bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen müsse eine Untersuchung durchgeführt werden, die zur Identifizierung und Bestrafung der Täter führen könne.1729 So fordert der GH z. B. bei Foltervorwürfen eine unabhängige und effektive strafrechtliche Untersuchung,1730 die grundsätzlich dazu geeignet sei, die Täter zu identifizieren und zu bestrafen.1731 Bei schweren Menschenrechtsverletzungen reiche eine rein ad1725  Vgl. EMRK, X und Y gegen die Niederlande, Beschwerde-Nr. 16/1983/72/110, Urteil vom 27. Februar 1985, § 27. 1726  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 118. 1727  „[T]he national courts should not under any circumstances be prepared to allow life-endangering offences to go unpunished. This is essential for maintaining public confidence and ensuring adherence to the Rule of Law and for preventing any appearance of tolerance of or collusion in unlawful acts.“ (EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 48939/99, Urteil vom 30. November 2004, § 96 (Große Kammer).) 1728  Vgl. z. B. EGMR, Calvelli und Ciglio gegen Italien, Beschwerde-Nr. 32967/96, Urteil vom 17. Januar 2002, § 49; EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, § 95. 1729  Vgl. für Mord z. B. EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, § 95; für Folter z. B.: EGMR, Aksoy gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 21987/93, Urteil vom 18.  Dezember 1996, § 98; vorsätzliche Zerstörung von Häusern z. B. EGMR, Mentes u. a. gegen Türkei, Beschwerde-Nrn. 58/1996/677/867, Urteil vom 28. November 1998; EGMR, Ayder u. a. gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 23656/94, Urteil vom 8.  Januar 2004, § 98. 1730  Vgl. z. B. EGMR, Kaya gegen Türkei, § 107; EGMR, Powell gegen UK, Beschwerde-Nr. 45305/99, Zulässigkeitsentscheidung vom 4.  Mai 2000; Mahmut Kaya gegen Türkei, § 85. 1731  Vgl. z. B. EGMR, Anguelova gegen Bulgarien, Beschwerde-Nr. 38361/97, Urteil vom 13. Juni 2002, § 139; EGMR, Nachova u. a. gegen Bulgarien, Beschwerde-Nr. 43577/98 und 43579/98, Urteil vom 6.  Juli 2005, § 113 (Große Kammer); EGMR, Bazorkina gegen Russland, Beschwerde-Nr. 69481/01, Urteil vom 27.  Juli



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts451

ministrative Untersuchung nicht aus.1732 Auch wird gefordert, dass die Untersuchung prompt und zügig erfolgen solle.1733 Zur Begründung der Pflicht wird z. B. Art. 2 (Recht auf Leben) i. V. m. Art. 1 (Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte) herangezogen: ohne prozessualen Schutz des Rechtes werde das substantielle Recht nicht ausreichend geschützt.1734 In Kononov gegen Lettland hat der EGMR festgehalten, dass es selbst nach 50 Jahren nach der Begehung eines schweren Verbrechens, Pflichten für den Staat zur strafrechtlichen Untersuchung gäbe.1735

bb) Pflicht zur Bestrafung Inwieweit der GH eine Pflicht zur Bestrafung annimmt ist umstritten.1736 Die Auseinandersetzung stützt sich auf verschiedene Dikta des GH, so z. B. dass alle Verletzungen des Rechtes auf Leben unterdrückt und bestraft werden müssten1737 oder dass eine strafrechtliche Ermittlung grundsätzlich in der Lage sein müsse, zur Bestrafung der Täter zu führen.1738 In der Literatur wird jedoch hervorgehoben, dass es sich hierbei nur um eine abstrakte Pflicht zur Bestrafung handele, die der GH vorsähe, d. h. die Strafbewehrung, das Einsetzen und Bereithalten einer Strafjustiz sowie die Eröffnung des Strafrechtsweges. Der GH beziehe sich vielmehr darauf, welches Mittel, nicht welcher Erfolg geschuldet sei.1739 Zu beachten ist, dass der GH in 2006, § 118 m. w. N.; EGMR, Ramsahai u. a. gegen die Niederlande, BeschwerdeNr. 52391/99, Urteil vom 15.  Mai 2007, § 324. 1732  EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 48939/99, Urteil vom 30. November 2004, § 91–96 (Große Kammer). 1733  Vgl. z. B. EGMR, Selmouni gegen Frankreich, Beschwerde-Nr. 25803/94, Urteil vom 28. Juli 1999, §§ 78–79 (Große Kammer). 1734  Vgl. z.  B. EGMR, Osman gegen Vereinigtes Königreich, S. 3159–3160, § 115; EGMR, Kiliç gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 22492/93, Urteil vom 28.  März 2000, § 62; EGMR, Mahmut Kaya gegen Türkei, § 85; EGMR, Mastromatteo gegen Italien, Beschwerde-Nr. 37703/97, Urteil vom 24.  Oktober 2002, § 67. 1735  EGMR, Kononov gegen Latvia, Beschwerde-Nr. 36376/04, Urteil vom 24. Juli 2008. 1736  Vgl. Roht-Arriaza, Cal. L. Rev. 78 (1990), S. 478; Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 115. 1737  Vgl. EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, § 91. 1738  Vgl. EGMR, Anguelova gegen Bulgarien, Beschwerde-Nr. 38361/97, Urteil vom 13. Juni 2002, § 139; EGMR, Bazorkina gegen Russland, BeschwerdeNr. 69481/01, Urteil vom 27.  Juli 2006, § 118. 1739  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 115.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

letzter Zeit dazu übergegangen ist, in Fällen schwerer Menschenrechtsverletzungen nicht nur Anforderungen an die Untersuchung zu stellen, sondern auch den Strafprozess selbst unter die Lupe zu nehmen.1740 cc) Amnestiegesetzgebung Entgegen ihres Inter-Amerikanischen Pendants hatten die europäischen Institutionen nicht die Möglichkeit eine detaillierte Rechtsprechung zu Amnestien zu entwickeln. Zwar konnte der Gerichtshof über Amnestien in gewöhnlichen Fällen befinden, Beobachter warnen aber davor, diese Maßstäbe auch für Transitionskontexte heranzuziehen.1741 Der Fall Dujardin gegen Frankreich ist zwischen beiden Extremen (Regimewechsel und stabile Situation) einzuordnen: Frankreich hatte für Neukaledonien eine Amnestie verabschiedet, um dessen Selbstbestimmung vorzubereiten.1742 Die Amnestie führte in einigen Mordfällen dazu, dass die strafrechtlichen Untersuchungen eingestellt wurden.1743 Die Kommission stellte fest, dass die Interpretation von Art. 2 von dessen notstandsfestem Charakter („most important rights in the Convention, from which no derogation is permissible, even in times of public emergency“) informiert sein müsse.1744 Allerdings betonte sie auch, dass es einen Unterschied zwischen dem materiellen Recht und dessen prozeduralen Schutz gäbe, d. h. auch wenn das Recht auf Leben nicht derogierbar sei, könne ein Staat von strafrechtlicher Verfolgung der Verletzung dieses Rechtes absehen, wenn dies notwendig sei, um interne Konflikte zu lösen. Diese Entscheidung der Kommission wird dahingehend interpretiert, dass für die Kommission die Entscheidung über Amnestien grundsätzlich der politischen Sphäre angehört und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist. Nur falls eine augenscheinliche Unverhältnismäßigkeit festzustellen wäre, könne diese Entscheidung gerichtlich überprüft werden.1745 Dies steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtschutzsystems in gleichgelagerten Fällen und zu Einzelfällen 1740  Vgl. Nikolova gegen Velichkova gegen Bulgarien, Beschwerde-Nr. 7888/03, Urteil vom 20. Dezember 2007, § 57; EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, §§ 96, 117. 1741  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 142. 1742  Dujardin gegen Frankreich, Beschwerde Nr. 16734/90, 72 Eur Commission HR Dec & Rep 1991 (2. September 1991), S. 244. 1743  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 142. 1744  Dujardin gegen Frankreich, S. 243. 1745  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 143.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts453

im europäischen Menschenrechtsschutzsystem, in denen die Notwendigkeit einer angemessenen unabhängigen und wirksamen Untersuchung (und Bestrafung) festgestellt wurde.1746 Die Kommission hielt außerdem fest, dass eine Amnestie „in itself does not contravene the Convention unless it can be seen to form part of a general practice aimed at the systematic prevention of prosecution of the perpetrators of such crimes.“1747

Sie bezog sich auch auf den versöhnenden Aspekt von Amnestien und unterschied zwischen Zweck und Ergebnis einer solchen: Obwohl eine Amnestie in Straflosigkeit enden könne, könnte dies gerechtfertigt sein, wenn dies nicht der ursprüngliche Zweck der Amnestie gewesen sei.1748 Für Dujardin gegen Frankreich gilt zu beachten, dass die Kommission weder das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf untersuchte, noch die Doktrin der Opferrechte zu Verfügung hatte, da diese erst später entwickelt wurde.1749 In dem Fall Mastromatteo gegen Italien1750 stellte der EGMR im Grundsatz fest, dass die Vollstreckung der Gefängnisstrafe u. a. dem Schutz der Zivilbevölkerung diene, andererseits aber auch die Notwendigkeit der Reintegration ehemaliger Strafgefangener anerkannt sei.1751 Indem der Gerichtshof frühe Maßnahmen von sozialer Reintegration während der Vollstreckung der Gefängnisstrafe erlaubte, zeigte er, dass selbst bei schweren Gewaltverbrechen der Präventionsaspekt nicht absolut zu sehen sei, sondern mit anderen legitimen Interessen abgewägt werden müsse.1752

1746  Vgl. z. B. „The obligation to protect the right to life under this provision (art. 2), read in conjunction with the State’s general duty under Article 1 […] of the Convention to ‚secure to everyone within their jurisdiction the rights and freedoms defined in [the] Convention‘, requires by implication that there should be some form of effective official investigation when individuals have been killed as a result of the use of force by, inter alios, agents of the State.“ (EGMR, McCann gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 18984/91, Urteil vom 27.  September 1995; EGMR, Brannigan und McBride gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde Nr. 14553/89 und 14554/89, Urteil vom 26.  Mai 1993.) 1747  EGMR, Dujardin gegen Frankreich, S. 243. 1748  Seibert-Fohr vergleicht diesen Gedanken mit dem Komplementaritätsprinzip des Art. 17 IStGH-Statuts (Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 553 ff.). 1749  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 144. 1750  EGMR, Mastromatteo gegen Italien, Beschwerde-Nr. 37703/97, Urteil vom 24. Oktober 2002. 1751  Ebd. § 72. 1752  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 142.

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Dies lässt den Schluss zu, dass nach der EMRK den Staaten ein großer Ermessensspielraum bezüglich der Einräumung einer Amnestie zur Lösung interner Konflikte eingeräumt wird. Allerdings wäre Straflosigkeit ohne Rechtfertigung nicht akzeptierbar, insbesondere nicht, wenn es darum ginge, Täter von Menschenrechtsverletzungen vor Strafe zu bewahren.1753 dd) Behandlung von Transitionen Die Rechtsprechung zu Derogationen und notstandsfesten Rechten kann Licht auf Minimalverpflichtungen von Staaten selbst in außergewöhnlichen Umständen werfen.1754 Die Staaten, die Derogationen von ihren Verpflichtungen nach der EMRK in dem hier untersuchten Zeitraum erklärten, können in zwei große Gruppen eingeteilt werden: In der ersten Gruppe die Staaten, die einen langandauernden internen Konflikt hatten (v. a. Nordirland und Türkei). In diesen Staaten kam es zu einer Überlappung der staatlichen Antwort auf Terrorismus, der Konflikterfahrung und einer rechtsstaatlichen Erfahrung. In der zweiten Gruppe die Staaten, die nur sporadisch von der Möglichkeit der Derogation Gebrauch machten (z. B. Griechenland und Zypern). Mit der Welle der politischen Transitionen in Osteuropa änderten sich diese Tendenzen.1755 Die Kommission bekräftigte in ihrem ersten Zypernfall, dass der Staat der sich auf die Derogation berufe, Ermessen darin hätte, zu beurteilen, ob alle tatsächlichen Voraussetzungen für den Rückgriff auf die Derogation gegeben seien.1756 Der spätere Lawless-Fall1757 bestätigte die Exzeptionalität der Derogation und setzt den Staaten grundsätzlich eine Grenze bei der Erklärung von Derogationen. Die irische Regierung hatte argumentiert, dass es vollständig dem Mitgliedstaat obliegen würde, eine Situation als „öffentlicher Ausnahmezustand“ zu deklarieren und welche Maßnahmen diesbezüglich zu ergreifen seien. Auf diese Argumentation ging der Gerichtshof nicht ein, sondern beanspruchte für sich die Prüfungskompetenz, ob die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt seien.1758 Der Gerichtshof ließ sich dann 1753  Ebd.,

S. 152. hierzu: Aolain, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 34. 1755  Ebd. 1756  Vgl. ebd., S. 51, Fn. 25. 1757  EKMR, Lawless gegen Irland, Beschwerde Nr. 332/57, Bericht vom 19.12.1959, § 72; EGMR, Lawless gegen Irland Nr. 3, Beschwerde Nr. 332/57, Urteil vom 1.7.1961. 1758  Der Gerichtshof definierte „threatening the life of a nation“ als „exceptional situation of crisis or emergency which affects the whole population and constitutes a threat to the organised life of the community of which the State is composed.“ (EGMR, Lawless gegen Ireland, §§ 28, 55.) 1754  Vgl.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts455

aber auf die folgende Argumentation Irlands bezüglich der zugrunde liegenden Faktenlage ein. Dies ist in der Literatur kritisiert worden.1759 Aufgrund einer Staatenbeschwerde wurden die Menschenrechtsverletzungen der Griechischen Militärdiktatur (1967–74) untersucht, worauf diese einseitig die EMRK kündigte. Im Mai 1967 hatte die neue griechische Regierung den Europarat von einer Suspendierung bestimmter verfassungsrechtlicher Rechte im Sinne von Art. 15 EMRK informiert und dies damit begründet, dass ein „public emergency threatening the life of the nation“ in Griechenland durch die Gefahr eines möglichen Putsches durch kommunistische Kräfte existierte.1760 Dänemark, Schweden, Norwegen und die Niederlande reichten eine Staatenbeschwerde gegen Griechenland im Oktober 1967 ein. Die Kommission erklärte, dass die Derogation ungerechtfertigt erklärt wurde. Im Gegensatz zu Lawless untersuchte die Kommission sowohl prozessual als auch substantiell, ob ein Ausnahmezustand zum fraglichen Zeitpunkt in Griechenland bestanden habe. Sie kam zu dem Schluss, dass das von Griechenland vorgelegte Beweismaterial nicht ausreichend war, um diesen Schritt zu rechtfertigen. Der „margin of appreciation“ wurde nicht zugunsten der griechischen Regierung angewandt, vielmehr wurde die Faktenlage und die Argumente der griechischen Regierung genaustens untersucht.1761 Diese Entscheidung muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass dieser Fall – bis zu der Welle der Demokratisierungen Osteuropas – noch als Anomalie im Europarat gesehen wurde.1762 Die Gelegenheit wurde genutzt, um sich selbst mit einem starken Signal im Hinblick auf demokratische Identität und Institutionen zu positionieren, da dies durch die Militärregierung Griechenlands, die sich durch die Derogation den Anschein der Legitimität hatte geben wollen, bedroht wurde. Die starke Haltung der Kommission wurde in nachfolgenden Derogationsfällen nicht erneut eingenommen und wurde 1759  „[B]oth the Commission and the Court adopted a markedly deferential attitude towards the national governments as to whether a ‚public emergency‘ existed, employing (and extending) for this purpose the ‚margin of appreciation‘ doctrine.“ (Aolain, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 32.) 1760  Dänemark u. a. gegen Griechenland, Beschwerde-Nr. 3321/67 u. a. (Entscheidung vom 24.1.1968). 1761  Feingold, Notre Dame Law Review 53 (1977), S. 91–94. 1762  „The 1978 view of the Court as to the margin of appreciation under Article 15 was, presumably, influenced by the view that the majority of the then members of the Council of Europe might be assumed to be societies which … had been democracies for a long time … Since the accession of Eastern and Central European States that assumption has lost its pertinence.“ (Sondervotum Martens, EGMR, Brannigan and McBride gegen das Vereinigte Königreich, § 3.)

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daher von vielen als ein einzelfallbedingtes Signal an die antidemokratische griechische Regierung gesehen.1763 In Brannigan and McBride gegen Großbritannien1764 entwickelte der Gerichtshof seine Derogationsrechtsprechung fort, indem er die zuvor entwickelten Grundsätze bestätigte, aber den Ermessensspielraum des Staates noch mehr einschränkte.1765 In Castells gegen Spanien1766 akzeptierte der Gerichtshof zwar die Argumentation, dass die Prävention von Chaos in der besonderen Situation Spaniens Ende der 1970er Jahre ein legitimes Ziel darstellen könne. Die Bestrafung eines Staatsangehörigen, der indirekt den Staat bezichtigt hatte, in Mordfälle verstrickt zu sein, wurde aber nicht als notwendig im Sinne einer demokratischen Gesellschaft angesehen. Während in dem Gerichtsurteil die Transition allgemein nur eine geringe Rolle spielte, ordnete die Kommission explizit die damalige Situation in Spanien in den historischen Kontext ein und bezog sie in die Argumentation mit ein.1767 Abweichende Meinungen in der Kommission hielten den Kontext für so entscheidend, dass sie Spaniens Handlung als gerechtfertigt ansahen.1768 Hervorzuheben ist, dass sowohl der GH als auch die KOM im Grundsatz anerkannten, dass der Transitionskontext in der Bestimmung der Vertragspflichten eine Rolle spiele, dies sich jedoch nicht generell im Sinne eines größeren Ermessensspielraums auswirken sollte.1769 In anderen Fällen spielte der Transitionskontext ebenfalls eine Rolle: In Metropolitan Church of Bessarabia gegen Moldavien1770 argumentierte die Regierung z. B., dass die Einschränkungder Religionsfreiheit einer religiösen Gruppe deswegen gerechtfertigt sei, da dies der Schutz der öffent­lichen Ordnung und Sicherheit (territoriale Einheit, Schutz des sozialen Friedens 1763  Vgl. Aolain, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S.  35 f. 1764  EGMR, Brannigan and McBride gegen das Vereinigte Königreich, Beschwerde Nr. 14553/89 und 14554/89, Urteil vom 26.  Mai 1993. 1765  Vgl. ebd. 1766  EGMR, Castells gegen Spanien, Beschwerde Nr. 11798/85, Urteil vom 23. April 1992. 1767  „Spain had barely shed the shackles of the Franco regime and was just establishing a still very fragile democracy.“ (EKMR, Castells gegen Spanien, Beschwerde. Nr. 11798/85, Entscheidung vom 8.  Januar 1991, § 53.) 1768  „[C]ertains développements historiques où on a abusé de la liberté de la presse et de l’expression pour la déstabilisation de l’Etat de droit et de la démocratie.“ (Sondervotum Frowein und Hall, EGMR, Castells gegen Spanien, § 1.) 1769  Buyse, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 132. 1770  EGMR, Metropolitan Church of Bessarabia gegen Moldawien, BeschwerdeNr. 45701/99, Urteil vom 13.  Dezember 2001.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts457

etc.) erfordere1771, d. h. der Transitionskontext wurde in der Verhältnismäßigkeit eingebracht. Der GH stellte fest, dass die Einschränkung nicht notwendig sei und setzte sich mit den Argumenten der Regierung auseinander. Allerdings ging er nicht darauf ein, inwieweit der Transitionskontext auf die Gewichtung der Argumente einen Einfluss habe.1772 In Rekvenyi gegen Ungarn1773 ging es um das Verbot, dass Polizeibeamte politischen Parteien beitreten oder politische Aktivitäten verfolgen durften. Der GH hielt diese Maßnahme für gerechtfertigt und räumte dem Staat einen breiten Ermessensspielraum ein, wobei auch der Transitionskontext herangezogen wurde.1774 Ein weiteres Gebiet, das interessante Erkenntnisse zu TJ bieten kann, scheinen Fälle des Art. 17 (Verbot des Missbrauchs der Konventionsrechte) zu sein, da diese ebenfalls Rückschlüsse auf den Ermessensspielraum zulassen, dem ein Staat zugestanden wird, um die Rechte von Personen einzuschränken, die die Konventionsrechte missbrauchen.1775 In dem Fall Lehideux and Isorni gegen Frankreich ging es um eine Publikation über das Petain-Regime in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges1776. Der GH schien hier keinen Unterschied ob des Kontextes einer Geschichtsdebatte zu machen – der möglicherweise als Transitionskontext gedeutet hätte werden können – sondern vielmehr ein höheres Maß an Schutz zu fordern.1777

1771  Ebd.,

§ 113. in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 112. 1773  EGMR, Rekvenyi gegen Ungarn, Beschwerde-Nr. 25390/94, Urteil vom 20. Mai 1999. 1774  „In view of the particular history of some Contracting States, the national authorities of these States may, so as to ensure the consolidation and maintenance of democracy, consider it necessary to have constitutional safeguards to achieve this aim by restricting the freedom of police officers to engage in political activities and, in particular, political debate … Regard being had to the margin of appreciation left to the national authorities in this area, the Court finds that, especially against this historical background, the relevant measures taken in Hungary in order to protect the police force from the direct influence of party politics can be seen as answering a ‚pressing social need‘ in a a democratic society.“ (Ebd., §§ 46 und 48.; Hervorh. durch d. Verf.) 1775  Vgl. Sweeney, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 122. 1776  EGMR, Lehideux and Isorni gegen Frankreich, Beschwerde-Nr. 24662/94, Urteil vom 24. Juni 1996, § 55. 1777  Buyse, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 141. 1772  Sweeney,

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ee) Eigentumsstreitigkeiten, v. a. Restitutionsfragen Die Rechtsprechung des Gerichtshofes bezüglich Eigentumsstreitigkeiten in einem Transitionskontext, v. a. Restitutionsfälle, kann in zwei Kategorien eingeteilt werden: Die Fragen, die mit dem Zusammenbruch der kommunistischen Regime zu tun hatten und alle weiteren Fälle. Vor der Welle der Restitutionsfälle im Zuge des Ende des Kalten Krieges, hatte der Gerichtshof bereits Anfang der 1990er Jahre eine De-facto-Enteignung während der griechischen Militärdiktatur zu beurteilen. Der Transitionskontext spielte dabei bemerkenswerterweise keine Rolle in der Urteilsbegründung. Der Gerichtshof stellte eine Verletzung des 1. Zusatzprotokolls der EMRK fest.1778 Mit Loizidou gegen Türkei1779 kam ein Fall vor den Gerichtshof, der die Konsequenzen der türkischen Besetzung Nordzyperns für betroffene Individualpersonen behandelte, hier die Frage der Eigentumsrechte. Die Beschwerdeführerin machte eine Verletzung des Rechts auf Achtung der Wohnung (Art. 8 EMRK) und des Schutzes des Eigentums (Art. 1 1. ZP) durch die Türkei geltend, da es ihr seit der türkischen Besetzung Nordzyperns 1974 verwehrt wäre, die Eigentumsrechte an ihren im Norden Zyperns gelegenen Grundstücken auszuüben. Da die Beschwerdeführerin jedoch Nordzypern bereits 1972 verlassen hatte und niemals zurückgekehrt war, lag eine Verletzung des Rechts auf Wohnung i. S. d. Art. 8 EMRK nicht vor. Während die Kommission noch eine Verletzung des Rechtes auf Achtung des Eigentums ausschloss, da sie hauptsächlich das Recht auf Freizügigkeit betroffen sah, stellte der GH dagegen eine Verletzung des Art. 1 des 1. ZP fest.1780 Im Zentrum der Frage der Enteignung stand die 1778  „After democracy had been restored, they sought means of making good the damage caused to the applicants. […] The Court considers that the loss of all abil­ ity to dispose of the land in issue, taken together with the failure of the attempts made so far to remedy the situation complained of, entailed sufficiently serious consequences for the applicants de facto to have been expropriated in a manner incompatible with their right to the peaceful enjoyment of their possessions.“ (EGMR, Papamichalopoulos gegen Griechenland, Beschwerde Nr. 14556/89, Urteil vom 24. Juni 1993, §§ 44 f.) 1779  EGMR, Loizidou gegen Türkei, Beschwerde Nr. 15318/89, Urteil vom 23. März 1995. 1780  „However, as a consequence of the fact that the applicant has been refused access to the land since 1974, she has effectively lost all control over, as well as all possibilities to use and enjoy, her property. The continuous denial of access must therefore be regarded as an interference with her rights under Article 1 of Protocol No. 1 (P1-1). Such an interference cannot, in the exceptional circumstances of the present case to which the applicant and the Cypriot Government have referred (see paragraphs 49–50 above), be regarded as either a deprivation of property or a con-



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Frage der Einordnung der endgültigen Enteignung durch Art. 159 der „Verfassung“ der Turkish Republic of Northern Cyprus (TRNC). Der GH stellte fest, dass die TRNC kein Staat im Sinne des Völkerrechts darstellen würde. Dessen Erklärung (und „Verfassung“) war daher ungültig und könnte sich damit rechtlich nicht auf die Eigentumsrechte der Beschwerdeführer auswirken. Interessanterweise ging der GH auf die „Exzeptionalität“ der Situation ein, allerdings nur bei der Beurteilung, ob es sich um einen Eingriff in das Eigentumsrecht der Beschwerdeführerin handeln würde.1781 Nach der Feststellung, dass es sich um einen Eingriff handele, ging der GH nicht auf die Rechtfertigung der türkischen Regierung bezüglich der Notwendigkeit – und damit Exzeptionalität der Situation  − ein. Die türkische Regierung hatte zwar Argumente vorgebracht, diese jedoch nicht weiter ausgeführt.1782 Die Kommission hatte zuvor schon festgestellt: „[T]he inter-communal talks must be seen as an instrument to put an end to such violations as might occur, but the negotiations in themselves, even if they are actively pursued, do not wipe out those violations … [I]t appears that the process of the inter-communal talks is still very far from reaching any tangible results in this respect.“1783

Dieses Urteil des GH wird als außergewöhnlich in der Enteignungsrechtsprechung eingeordnet, da hier der GH die Vorhersehbarkeit und Rechtsstaatlichkeit der Stabilität der damaligen Situation vorgezogen habe.1784 trol of use within the meaning of the first and second paragraphs of Article 1 of Protocol No. 1 (P1-1-1, P1-1-2). However, it clearly falls within the meaning of the first sentence of that provision (P1-1) as an interference with the peaceful enjoyment of possessions. In this respect the Court observes that hindrance can amount to a violation of the Convention just like a legal impediment […].“ (EGMR, Loizidou gegen Türkei, § 63.) 1781  Ebd. 1782  „Apart from a passing reference to the doctrine of necessity as a justification for the acts of the ‚TRNC‘ and to the fact that property rights were the subject of intercommunal talks, the Turkish Government have not sought to make submissions justifying the above interference with the applicant’s property rights which is imputable to Turkey. It has not, however, been explained how the need to rehouse displaced Turkish Cypriot refugees in the years following the Turkish intervention in the island in 1974 could justify the complete negation of the applicant’s property rights in the form of a total and continuous denial of access and a purported expropriation without compensation. Nor can the fact that property rights were the subject of intercommunal talks involving both communities in Cyprus provide a justification for this situation under the Convention.“ (Ebd., § 64.) 1783  EKMR, Zypern gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 25781/94, Bericht vom 8. Juli 1999, § 269; EGMR, Zypern gegen Türkei, Urteil vom 10. Mai 2001 (Große Kammer), Beschwerde-Nr. 25781/94, § 169. 1784  Vgl. Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 14.

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Eine weitere Besonderheit sei die Einordnung der Enteignung als unrechtmäßig, da in den Enteignungsfällen durch kommunistische Regime der Vergangenheit in der Regel das Vorliegen einer rechtmäßen Enteignung festgestellt wurde. Die abweichende Meinung eines Richters wird als Beleg dafür interpretiert, dass es gewisse Diskussionen um die Rolle eines Gerichtes in solchen Transitionsfällen und insbesondere die Anwendbarkeit „gewöhnlicher“ Standards gab.1785 In den nachfolgenden Enteignungsfällen wurde oft die Zuständigkeit ratione temporis und die Natur des fraglichen Verhaltens („beendete Verletzung oder anhaltenden Verletzung“) diskutiert. Der GH verneinte in vielen Fällen seine zeitliche Zuständigkeit. Die eigentliche Frage, nämlich, ob es sich bei dem fraglichen Verhalten um eine andauernde Verletzung des Eigentumsrechts handeln würde, wurde davon abhängig gemacht, ob das Eigentumsrecht des Beschwerdeführers zu dem Zeitpunkt noch existiert habe, als das Zusatzprotokoll1786 in Kraft trat.1787 In der Literatur wurde hervorgehoben, dass hier auf den ersten Akt der wie auch immer gestalteten Enteignung abgestellt werden müsse. Der GH habe in der Regel dann keine Verletzung des 1. ZP angenommen, wenn die Enteignung vor dem Inkrafttreten des 1. ZP unter nationalem Recht rechtmäßig war. Wäre sie jedoch unrechtmäßig, so würde eine anhaltende Eigentumsverletzung angenommen (vgl. Papamichalopoulos gegen Griechenland und Loizidou gegen Türkei). Allerdings verneinte der GH in den meisten Fällen seine Zuständigkeit.1788 In vielen postkommunistischen Staaten kam es zu der Situation, dass den „Enteigneten“, die vor dem Regimewechsel nicht die Möglichkeiten hatten, ihre Eigentumsrechte auszuüben, auch nach dem Regimewechsel (und nach dem Inkrafttreten des 1. ZP) diese Ausübung weiterhin versagt blieb – oftmals aufgrund des Zusammenbruchs des Verwaltungsapparates. Es kam zu Situationen, in denen Immobiliareigentum ohne einen rechtmäßigen Titel besetzt wurde oder worden war – durch den Staat oder Privatpersonen. 1785  Sondervotum Pettit, EGMR, Loizidou, §§ 2249, 2252: „[t]he movement of displaced persons from one zone to another, an exodus which affected both communities, was the consequence of international events for which responsibility cannot be ascribed on the basis of the facts of the Loizidou case but has to be sought in the sphere of international relations.“ 1786  First Protocol to the European Convention on Human Rights, Art. 6, 213 U.N.T.S. 262. 1787  Crawford, The International Law Commission’s Articles on State Responsibility, S. 139; Pauwelyn, British Yearbook of International Law 66 (1995), S. 415, 417; Higgins, International & Comparative Law Quarterly 44 (1997), S. 501; Nissel, Michigan Journal of International Law 25 (2004), S. 653, 665 ff. 1788  Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 17.



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Hinzu kam, dass in vielen Staaten die Grundbücher und Archive zerstört wurden bzw. verloren gingen oder nur teilweise erhalten blieben. So war es vielen Eigentümern in Wirklichkeit unmöglich, die Herausgabe oder Besitzverschaffung ihres Eigentums gerichtlich zu verlangen, obwohl es nie zu einer De-jure-Enteignung gekommen war. Diese Situation stand im klaren Gegensatz zu der weitverbreiteten Erwartungshaltung nach dem Ende der sozialistischen Regime, nach dem Regimewechsel würden solche Eigentumsfragen wieder rektifiziert werden.1789 Die Kommissionsorgane stellten den Grundsatz auf, dass die Hoffnung auf die Anerkennung des Fortbestehens eines Eigentumstitels, der seit langem nicht mehr effektiv ausgeübt werden konnte, nicht als „Eigentumsrecht“ im Sinne von Art. 1 des 1. ZP verstanden werden könne.1790 In Weidlich u. a. gegen Deutschland hatte die Kommission festgestellt, dass die Beschwerdeführer, die zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone enteignet worden waren, nicht durch den Einigungsvertrag vom 31. August 19901791 in ihrem Recht aus Art. 1 1. ZP verletzt worden waren.1792 Sobald jedoch das fragliche Rechtssystem mindestens eine „be1789  Ebd.,

S. 17. Weidlich u. a. gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 19048/91, 19049/91, 19342/92, 19549/92, 18890/91, Entscheidung vom 4. März 1996. Weitere Rechtsprechung des GH im Bereich der Wiedervereinigung und Bodenreform in der früheren DDR: EGMR, Maltzahn u. a. gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 71916/01, 71916/01 und 10260/02, Entscheidung vom 2.3.2003 (Große Kammer); EGMR, Jahn u. a. gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 46720/99, 72203/01, 72552/01, Urteil vom 30.6.2005 (Große Kammer); EGMR, HK gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 20931/92, Urteil vom 20.  Februar 2007 m. w. N. 1791  BGBl 1990 II, S. 889 ff. 1792  „By contrast, the hope of recognition of the survival of a former property right which has not been susceptible of effective exercise for a long period […] or a conditional claim which has lapsed as a result of the non-fulfilment of the condition […] are not to be considered as ‚possessions‘ within the meaning of Article 1 of Protocol No 1 (P1-1). It is clear that the present case does not concern any ‚existing possessions‘ of the applicants. The applicants’ properties were expropriated a long time ago and the applicants have been unable for decades to exercise any owners’ rights in respect of the properties concerned. Despite the applicants’ claim that the expropriations were contrary to international law and thus unlawful, it appears that in the German legal order these expropriations were being considered as legally valid even before the conclusion of the Unification Treaty. The provisions of the Treaty cannot therefore be seen as legalising the deprivation of the applicants’ property and thereby as being the source of the deprivation for the purposes of German law.“ (EGMR, Weidlich u. a. gegen Deutschland, § 1 c). Es gilt zu bemerken, dass der Begriff des „former right“ darauf schließen lässt, dass die Kommission davon ausging, dass das Eigentumsrecht bereits erloschen war (vgl. Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 18). Auch eine legitime Erwartung auf Entschädigung wurde von der Kommission verneint: „As regards any possible compensation claim generated by the loss of the 1790  EKMR,

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rechtigte Erwartung“ auf Restitution schafft, sei dies wiederum ausreichend. In dem Fall Malhous gegen Tschechische Republik1793, der sich mit der Weigerung der Behörden beschäftigte, ein 1948 enteignetes Grundstück zurück zu übertragen, wurde eine solche „berechtigte Erwartung“ geprüft, jedoch aufgrund der Besonderheiten des tschechischen Sachenrechts verneint.1794 In Fällen, in denen die in Frage stehende Periode kürzer war, wendete der GH eine zweite Methode an, nämlich die Ablehnung der Zuständigkeit für Handlungen nach Ratifizierung die eng mit der prätransitionellen Situation verbunden waren.1795 In der Literatur wird daher festgehalten, dass der Ansatz des GH in dieser Phase eher dazu tendiert, alte Dispute aus der Zeit vor der Transition nicht mehr zu eröffnen, wobei Loizidou als Ausnahme angesehen werden muss.1796 Daneben wurden TJ-Sachverhalte auch im Hinblick auf Art. 14 behandelt, der eine Ungleichbehandlung zulässt, wenn diese einen legitimen Zweck verfolgt, objektiv rechtfertigbar ist und die Verhältnismäßigkeit zwischen Mittel und Ziel besteht.1797 In Gratzinger and Gratzingerova gegen die Tschechische Republik hielt der GH fest, dass die postkommunistischen Restitutionsmaßnahmen nicht Art. 14 betreffen würden. Art. 14 sei nicht anwendbar, wenn Nicht-Tschechen von den Maßnahmen ausgeschlossen werden würden; Art. 1 ZP sei daneben auch nicht einschlägig, da es sich lediglich um ein lang ausgelöschtes Recht handele.1798 Die Behandlung der Fälle aus Kroatien ist ebenfalls in diesem Kontext zu erwähnen – zwar involvierten sie keine direkten Hinterlassenschaften des Konflikts, sondern vielmehr in der Regel die Frage einer „angemessenen“ property, the Commission refers to its constant jurisprudence according to which it is not competent rationae temporis and ratione materiae to examine complaints relating to the refusal or denial of compensation claims based on facts that occurred prior to the entry into force of the Convention with respect to the State concerned […].“ (EGMR, Weidlich u. a. gegen Deutschland, § 1 c.) 1793  Vgl. EGMR, Malhous gegen Tschechische Republik, Beschwerde Nr. 33071/96, Entscheidung vom 12.  Juli 2001. 1794  Vgl. Van Drooghenbroeck, The European Legal Forum 7 (2000/01), S. 439. 1795  Vgl. Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 18. 1796  Ebd., S. 21. 1797  Macklem, European Journal of International Law 16 (2005), S. 19. 1798  EGMR, Gratzinger und Gratzingerova gegen Tschechische Republik, § 69; vgl. auch: EGMR, Pressos Compania Naviera S.A. u. a. gegen Belgien, Beschwerde Nr. 17849/91, Urteil vom 20.  November 1995), § 31; EGMR, Ouzounis u. a. gegen Griechenland, Beschwerde Nr. 49144/99, 18. April 2002, § 24.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts463

Zeit für den gerichtlichen Rechtsschutz, der zugrundeliegende Sachverhalt war aber oft das Ergebnis des Konfliktes.1799 Lange Verfahrensdauer von Entschädigungsverfahren wurden gerügt, obwohl der GH Kroatien einen weiten Ermessensspielraum einräumte.1800 In Blecic gegen Kroatien1801 äußerte sich die Große Kammer – ohne dass dies von den Parteien gerügt worden wäre – zu dem Thema der zeitlichen Zuständigkeit und entschied, dass die zeitliche Zuständigkeit nicht gegeben war, da der Mietvertrag bereits vor dem Inkrafttreten des 1. Zusatzprotokolls in Kroatien gekündigt worden wäre.1802 Hintergrund war eine Regelung im kroatischen Recht, dass Gerichte Mietverträge, die eigentlich besonders geschützt waren, nach sechsmonatiger Abwesenheit der Mieter ohne ausreichenden Grund beenden konnten. Während des Konfliktes war es in vielen Fällen zur Flucht und damit zum Ablauf der notwendigen Abwesenheitsperiode gekommen. Es gab Anzeichen dafür, dass kroatische Behörden und Gerichte diese Regelung vor allem gegen ethnische Serben verwendeten. Die Entscheidung der Großen Kammer bedeutete im Endeffekt, dass sich der GH weigerte, den nationalen Kontext des Sachverhaltes mit in seine Erwägungen einzubeziehen, und sich nicht mit den Argumenten der Beschwerdeführer auseinandersetzen wollte, die Beendigungen der Mietverträge als Teil einer größeren Strategie seitens des kroatischen Staates zu sehen.1803 ff) Opferrechte Der EGMR und die frühere Kommission haben regelmäßig das Bestehen von Opferrechte nach der EMRK verneint.1804 In mehreren Verfahren haben die Beschwerdeführer versucht, ein Recht auf Gerechtigkeit einzuklagen, da es in ihrem Fall keine Strafverfolgung der Täter gab. Diese Fälle waren auf Art. 6 gestützt. Der GH hat wiederholt festgehalten, dass Art. 6 Abs. 1 Satz 1 1799  Lamont, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 95. 1800  EGMR, Kutic gegen Kroatien, Beschwerde-Nr. 48778/99, Urteil vom 1. März 2002; EGMR, Debelic gegen Kroatien, Beschwerde Nr. 2448/03, Urteil vom 26. Mai 2005. 1801  EGMR, Blecic gegen Kroatien, Beschwerde-Nr. 59532/00, Urteil vom 29. Juli 2004. 1802  Vgl. Blitz, Journal of Refugee Studies 18 (2005), S. 367 f.: „The large s ­cale termination of OTR [specially protected tenancies] during and after the armed conflict almost exclusively affected Serbs.“ Vgl. auch: AI, Bericht-Nr. EUR 64/ 003/2005. 1803  Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 14. 1804  Vgl. Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 121.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

zwar ein Recht auf Rechtsweg eröffnet, nicht jedoch auf die Strafverfolgung einer anderen Person.1805 Selbst wenn in einer Jurisdiktion die zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche von dem Ausgang des Strafverfahrens abhängen würden, eröffne dies nicht ein Recht auf strafrechtliche Bestrafung des Täters.1806 Auch aus den anderen substantiellen Konventionsrechten wurde ein solches Recht nicht abgeleitet.1807 Allerdings erkennt der GH ein Recht des Opfers auf Untersuchung an, das bei schweren Menschenrechtsverletzungen teilweise auf Art. 13 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf) gestützt wurde1808, manchmal als prozedurale Nebenpflicht auf das verletzte Konventionsrechts selbst.1809 Dabei ist das Verhältnis zwischen prozeduraler Pflicht und dem Recht aus Art. 13 noch klärungsbedürfig.1810 Der GH folgte dem Ansatz des IACtHR in der Annahme einer gesonderten Verletzung der Konvention im Sinne einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung der Angehörigen bei fehlender Untersuchung von Fällen des „gewaltsamen Verschwindenlassens“, wenn dies zu einer übermäßigen emotionalen Belastung der Angehörigen geführt habe.1811

1805  EGMR, Dujardin gegen Frankreich, S. 244; vgl. auch EGMR, Ramsahai u. a. gegen die Niederlande, Beschwerde-Nr. 52391/99, Urteil vom 15.  Mai 2007 (Große Kammer), § 360. 1806  Vgl. EGMR, Perez gegen Frankreich, Beschwerde Nr. 47287/99, Urteil vom 12. Februar 2004, § 67. 1807  Vgl. EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, § 95; EKMR, E.V. gegen Irland, Beschwerde-Nr. 9373/81, Entscheidung vom 14.  Dezember 1987, § 1; dagegen: X und Y gegen die Niederlande, Beschwerde-Nr. 16/1983/72/110, Urteil vom 27.  Februar 1985; EGMR, Danini gegen Italien, Beschwerde-Nr. 22998/93, Urteil vom 14.  Oktober 1996), § 2. 1808  Vgl. EGMR, Gül gegen Türkei, Beschwerde-Nr. 22676/93, Urteil vom 14. Dezember 2000, § 100; EGMR, Keenan gegen Vereinigtes Königreich, Beschwerde-Nr. 27229/95, Urteil vom 3.  April 2000, § 122. Vgl. auch EGMR, Klaas u. a. gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 5029/71, Urteil vom 6.  September 1978, § 64: „In the Court’s view, Article 13 (art. 13) requires that where an individual considers himself to have been prejudiced by a measure allegedly in breach of the Convention, he should have a remedy before a national authority in order both to have his claim decided and, if appropriate, to obtain redress. Thus Article 13 (art. 13) must be interpreted as guaranteeing an ‚effective remedy before a national authority‘ to everyone who claims that his rights and freedoms under the Convention have been violated.“ 1809  Z. B. EGMR, Erikson gegen Italien, Beschwerde-Nr. 37900/97, Zulässigkeitsentscheidung vom 26. Oktober 1999; EGMR, Öneryildiz gegen Türkei, § 149; Ramsahai u. a. gegen die Niederlande, Beschwerde-Nr. 52391/99, Urteil vom 15. Mai 2007 (Große Kammer), § 362; EGMR, Kaya gegen Türkei, § 87. 1810  Vgl. Van Dijk/van Hoof, Theory and Practice of the European Convention on Human Rights (1998), S. 696. 1811  EGMR, Zypern gegen Türkei, § 157.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts465

gg) Weitere TJ-Maßnahmen Das Recht des Staates, die politische Loyalität seiner Beamten zu überprüfen, wurde vom EGMR ab Mitte der 1980er Jahre entwickelt.1812 Schon in dieser Rechtsprechung hatte der EGMR die historische Parallele zu Weimar-Deutschland gezogen und als einen Grund für den Untergang desselben den Mangel des Interesses des Staates an der politischen Ausrichtung seiner Beamten, Richter und Soldaten gesehen. Damit wurde ein Bezug zwischen mangelnden Maßnahmen und Scheitern eines politischen Regimes bzw. Erfolg der Demokratie konstruiert.1813 Im Urteil Vogt gegen Deutschland wiederholte der EGMR das grundsätzliche Recht der Mitgliedstaaten, die Loyalität ihrer Beamten einzufordern und dies auch zu überprüfen. Gleichfalls verwies das Gericht auf die besondere Bedeutung dieser Pflicht im Kampf gegen politischen Extremismus.1814 hh) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass, während im InterAmerikanischen Menschenrechtssystem insbesondere die Fragen nach der Zulässigkeit von Amnestiegesetzen und die Verpflichtung zur Untersuchung und Strafverfolgung Gegenstand von Entscheidungen wurden, das europäische System v. a. Derogationen in Notstandssituationen und Restitutionen zu untersuchen hatte. Transitionen wurden in den Urteilen zwar nicht ausdrücklich zum Ausgangspunkt gemacht, den Staaten scheint aber unter außergewöhnlichen Umständen ein eher großer Ermessensspielraum hinsichtlich der Möglichkeit zur Derogation eingeräumt zu werden. Zwar ist hierdurch noch nicht gesagt, welche Pflichten die Staaten für notstandsfeste Rechte nach der Ausnahmesituation treffen, aber der Ansatz des EGMR scheint zumindest bei „demokratischen“ Regierungen nachsichtiger zu sein als der vergleichbare Ansatz des Inter-Amerikanischen Menschenrechtssystems. Insbesondere der Vergleich der Haltung des EGMR im Vergleich zum CCPR1815 zum Thema der zeitlichen Zuständigkeit in Fällen, in denen Diskriminierung bei Restitutionen gerügt wurde, ist auffällig. Während das 1812  Vgl. z. B. EGMR, Glasenapp gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 9228/80, Urteil vom 28.  August 1986, Kosiek gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 9704/82, Urteil vom 28. August 1986; EGMR, Leander gegen Schweden, Beschwerde Nr. 9248/81, Urteil vom 26.  März 1987; EGMR, Vogt gegen Deutschland, Beschwerde Nr. 17851/91, Urteil vom 26.09.1993. 1813  EGMR, Glasenapp gegen Deutschland, §§ 24–25. 1814  EGMR, Vogt gegen Deutschland, § 59. 1815  EGMR, Des Fours Walderode gegen Tschechische Republik, Beschwerde Nr. 40057/98, Entscheidung vom 4.  März 2003 (unter Bezugnahme auf CCPR, Des

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

CCPR auf das Restitutionsgesetz selbst als zeitlichen Anknüpfungspunkt abstellt, stellt der EGMR auf den Akt der Enteignung ab. Dies wurde teilweise von Richtern heftig gerügt.1816 Demgegenüber steht der Ansatz des EGMR in Fällen ohne Transitionskontext und De-facto-Enteignungen, in denen der GH „possessions“ auch nach der Auslöschung des Eigentumsrechts anerkannte, sofern das Objekt des Eigentumsrechtes weiterhin existierte.1817 In der Literatur wurde angemerkt, dass diese Haltung vielleicht damit erklärt werden könne, dass das Aufleben des „alten“ Eigentumstitels mit der Rekonstruktion der Posttransitionswelt kollidieren könnte.1818 Dagegen spricht aber, dass die Richter keine „pragmatischen“ Argumente verwenden – wie z. B. in der Verhältnismäßigkeit – sondern vielmehr auf der Zulässigkeitsebene die Zuständigkeit bzw. die Eröffnung des Schutzbereiches („possession“) verneinen.1819 Zusammenfassend kann mit der Literatur daher festgehalten werden, dass, obwohl das europäische System die Möglichkeit gehabt hätte, sich zur Transitionsproblematik zu äußern, dies bisher grundsätzlich vermieden wurde. Aus der Rechtsprechung des GH wurde eine Tendenz abgelesen, die sich auf die Zukunft ausrichtet und die geschichtlichen Hinterlassenschaften im Europa des 20. Jahrhunderts lieber unangerührt wissen will.1820 c) Afrikanisches System Die Analyse der Fälle des Afrikanischen Menschenrechtsschutzsystem gestaltet sich schwierig, da, im Gegensatz zu dem amerikanischen und dem europäischen Äquivalent, die AfrMRKom ihre Entscheidungsgründe nicht systematisch veröffentlicht. Der erste Fall der sich direkt mit TJ beschäftigt, kam vor die AfrKomMR mit Jean Yakovi Degli (au nom du Caporal N. Bikagni), Union Interafri­ caine des Droits de l’Homme, Commission International de Juristes gegen Togo.1821 Es handelte sich um eine Beschwerde, die drei Sachverhalte im Fours Walderode v. Czech Republic, Beschwerde-Nr. 747/1997, UN Dok. CCPR/ C/73/D/747/1997 (2001)). 1816  Vgl. EGMR, Blecic gegen Kroatien, S. 57. 1817  Vgl. z.  B. EGMR, Stretch gegen Vereinigtes Königreich, BeschwerdeNr. 44277/98, Urteil vom 24.  Juni 2003; EGMR, Motais de Narbonne gegen Frankreich, Beschwerde-Nr. 48161/99, Urteil vom 27.  Mai 2003. 1818  Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 27; Little, Ethics and International Affairs 13 (1999), S. 65 ff. 1819  Vgl. Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 28. 1820  White, Tropics of Discourse: Essays in Cultural Criticism, S. 27 ff. 1821  ACHR, 83/92-88/93-91/93_8AR (8th Activity Report, ACHPR 1994–95, Annex VI).



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts467

Togo zusammenfasste: die Folter und Misshandlung eines Soldaten, der den Umsturzversuch gegen die togolesische Regierung geplant haben sollte; Menschenrechtsverletzungen, v. a. Tötungen und Foltervorwürfe, im Zusammenhang mit dem Umsturzversuch im Dezember 1992, der auch Gegenstand einer Mission der Union Interafricaine des Droits de l’Homme war; sowie Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit der Niederschlagung einer friedlichen Demonstration durch das Militär am 20. Januar 1993 und die damit verbundene Flüchtlingswelle von ca. 40.000 Togolesen.1822 Die Kommission stellte in diesem Fall fest, dass die Menschenrechtsverletzungen von einer „früheren Regierung“ begangenen worden waren und, dass die neue Regierung mit den Vorwürfen zufriedenstellend umgegangen sei. Im Fall Malawi African Association et al. gegen Mauritanien, stellte die AfrMRKom fest, dass das streitgegenständliche Amnestiegesetz „had the effect of annulling the penal nature of the precise facts and violations“, die Gegenstand der Beschwerde der Beschwerdeführer waren. Dieses Gesetz hindere die Kommission nicht daran, den Sachverhalt zu untersuchen und könnte das Land auch nicht davor schützen, seine Verpflichtungen nach der Afrikanischen Menschenrechtscharta zu erfüllen.1823 Die African Charter on Human and Peoples’ Rights erkennt das Recht auf ein effektives Rechtsmittel an (Art. 7.1 (a)). Die Rechtsprechung deutet darauf hin, dass die strafrechtliche Untersuchung und Verfolgung – zusammen mit der Entschädigung für Menschenrechtsverletzungen – einen wichtigen Teil der Pflichten der Staaten nach der Charta darstelle. So befand die Kommission z.  B., dass durch den Clemency Order1824 Zimbabwes die ­Afrikanische Charta verletzt sei. Allerdings ist die Rechtsprechung noch nicht so weit entwickelt wie die der anderen (regionale) Vertragsorgane. 3. Völkerstrafrecht Auch in der Praxis gab es schon zahlreiche Beispiele vor den 1990er Jahren, wie z. B. die Leipziger Prozesse, das IMT und das IMTFO, die zum 1822  ACHR, Degli (au nom du Caporal N. Bikagni), Union Interafricaine des Droits de l’Homme, Commission Internationale des Juristes gegen Togo, Beschwerde-Nr. 83/92, 88/93, 91/93 (1994). 1823  ACHR, 13. Aktivitäten-Jahresbericht der Kommission 1999–2000, Beschwerde-Nr. 54/91, 61/91, 98/93, 164/97‒196/97 und 210/98 (11.  Mai 2000), AHG/222 (XXXVI), Annex V, §§ 82–83. 1824  Der Clemency Order begnadigte bzw. amnestierte alle Personen die sich zwischen Januar und Juli 2000 politisch motivierter Gewalttaten (ausgenommen u. a. Mord, Raub, Vergewaltigung, Diebstahl, Betrug etc.) schuldig gemacht hatten.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Ziel hatten, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafrechtlich zu ahnden und durch Abschreckung eine Wiederholung des Angriffskriegs, der Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord zu verhindern. Die International Law Commission wurde 1949 mit der Formulierung der Nürnberger Prinzipien betraut, einen Code of International Law Offences zu entwerfen, die Frage eines IStGH zu diskutieren und den Tatbestand der Aggression zu definieren.1825 Bis 1954 erarbeitete die ILC ein Statut für einen solchen Strafgerichtshof, aber der Beginn des Kalten Krieges machte ein solches Unterfangen politisch unmöglich. Keiner der beiden Mächte wollte sich einem Internationalen Strafgericht im Kalten Krieg unterordnen.1826 Darüber hinaus führten Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des internationalen Strafgesetzbuches und insbesondere der Definition des Tatbestandes des Angriffskrieges zu einer zeitweisen Aussetzung der Idee in der UN-GV. Es sollte weitere zwanzig Jahre dauern, bis die UN Generalversammlung sich auf eine Definition des Angriffskrieges einigte. Eine wichtige Kodifizierung für die Verfolgbarkeit von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellte der Abschluss der Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War crimes and Crimes against Humanity dar.1827 Nach Ende des Kalten Krieges wurde dann 1989 in der UN-GV  − auf Anfrage von Trinidad und Tobago − die ILC dazu aufgefordert, die Arbeiten an dem Statut eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes wieder aufzunehmen.1828 1994 vervollständigte die Völkerrechtskommission den Entwurf für das Statut des Internationalen Strafgerichtshofs und unterbreitete dieses der UNGV.1829 Diese setzte 1995 eine Vorbereitungskommission (Preparatory Committee, PrepCom) ein, um den Text zu überarbeiten und Vorbereitungen für eine Staatenkonferenz zu treffen.1830 1825  Ferencz,

AJIL 75 (1981), S. 674 ff. Internationales Strafrecht, II.3 5. 1827  Trat am 11.11.1970 in Kraft (754 U.N.T.S. 73). 1828  1991 gab es auch Gespräche über die Errichtung eines Kriegsverbrechentribunals für den Kuwait (Irak-Krieg), die dann aber nicht weiter verfolgt wurden (Masci, Congressional Quarterly Weekly Report (1991), S. 695; vgl. auch Rhea, International Criminal Justice Review 19 (2009), S. 308 ff.). 1829  Während die Völkerrechtskommission noch an einem möglichen Statut für den Internationalen Strafgerichtshof arbeitete, wurden als Reaktion auf die Ereignisse im früheren Jugoslawien und Ruanda jeweils Ad-hoc-Strafgerichtshöfe eingerichtet. 1830  Vgl. hierzu Kirsch/Oosterveld, Fordham International Law Journal 25 (2001), S.  563 ff. 1826  Safferling,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts469

a) TJ-Thematiken und das IStGH-Statut Das Thema der Transition wurde nicht explizit während der Sitzungen des PrepCom diskutiert. Amnestien, Begnadigungen und Bewährung wurden aber im Rahmen des Artikels 351831 und Art. 421832 des Entwurfes angesprochen  − als Ausnahme zum Grundsatz ne bis in idem.1833 In späteren Diskussionen kam es dann zu einer Verbindung mit dem Komplementaritätsgrundsatz. Ebenfalls wurden dann zusätzliche Kriterien der Schwere bzw. eine Reduzierung der zu verfolgenden Personengruppe diskutiert, um den Gerichtshof vor einer zu hohen Arbeitsbelastung zu bewahren und dessen Bedeutung im internationalen System zu unterstreichen.1834 Eine Reduzierung der personellen Zuständigkeit des IStGH im Allgemeinen wurde diskutiert und auf einen Entwurf einer Expertenkommission diesbezüglich verwiesen.1835 Weitere TJ-Thematiken, die im Rahmen der Vorbereitungskommission diskutiert wurden, waren die Frage der Möglichkeit paralleler zivilrecht­ licher Schadensersatzklagen bzw. Entschädigung der Opfer als Bestandteil der Strafzumessung.1836 1831  Artikel 35 („Issues of admissibility“): „The Court may, on application by the accused or at the request of an interested State at any time prior to the commencement of the trial, or of its own motion, decide, having regard to the purposes of this Statute set out in the preamble, that a case before it is inadmissible on the ground that the crime in question: (a) has been duly investigated by a State with jurisdiction over it, and the decision of that State not to proceed to a prosecution is apparently well-founded; (b) is under investigation by a State which has or may have jurisdiction over it, and there is no reason for the Court to take any further action for the time being with respect to the crime; or (c) is not of such gravity to justify further action by the Court.“ 1832  Artikel 42 („Non bis in idem“): „1. No person shall be tried before any other court for acts constituting a crime of the kind referred to in article 20 for which that person has already been tried by the Court. 2. A person who has been tried by another court for acts constituting a crime of the kind referred to in article 20 may be tried under this Statute only if: (a) the acts in question were characterized by that court as an ordinary crime and not as a crime which is within the jurisdiction of the Court; or (b) the proceedings in the other court were not impartial or independent or were designed to shield the accused from international criminal responsibility or the case was not diligently prosecuted. 3. In considering the penalty to be imposed on a person convicted under this Statute, the Court shall take into account the extent to which a penalty imposed by another court on the same person for the same act has already been served.“ 1833  Summary of the Proceedings of the Preparatory Committee during the period 25 March‒12 April 1996, UN Dok. A/AC.249/1 (7.  Mai 1996), § 128. 1834  Ebd., §§ 50, 12. 1835  Ebd., § 17. 1836  Roht-Arriaza, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 100.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

aa) Amnestien Die Frage von Amnestien wurde heftig debattiert. Insbesondere die Frage, ob der IStGH Ermittlungen aufnehmen könne, wenn eine nationale Amnestie für den fraglichen Sachverhalt erlassen worden wäre. Diese Frage stellte sich in zweierlei Hinsicht: Erstens, ob Amnestien im Sinne des Art. 17 Abs. 1 einen Fall der Ausnahme von der Unzulässigkeit darstellen würden, da ein Staat bereits eine Untersuchung oder Verfolgung angestrengt habe, aber „unwilling or unable genuinely to carry out the investigation or prosecution“ sei (lit. a); bzw. wenn der Staat eine solche Untersuchung angestrengt habe, sich aber dazu entschieden hat, die Person nicht zu bestrafen und diese Entscheidung „resulted from the unwillingness or inability of the State genuinely to prosecute“ (lit. b); sowie die Frage, inwieweit der ne bis in idem-Grundsatz im Falle einer nachträglichen Amnestiegewährung der Ermittlung durch den IStGH entgegenstehe.1837 Während der Travaux Préparatoires konnte keine Einigung über die Frage, wie mit nationalen Amnestien umzugehen sei, erzielt werden. Während einige Delegationen einen Paragraphen vorschlugen, der die Strafverfolgung vor dem IStGH selbst bei einem früheren nationalen Strafprozess zulassen wollte, wenn dieser die Strafverhängung aufgrund einer „manifestly un­ found­ed decision on the suspension of the enforcement of a sentence or on a pardon, a parole or a commutation of the sentence“1838 unmöglich gemacht habe, schlugen andere die Ausnahme der Anwendung des ne bis in idem-Grundsatzes bei nationalen Amnestien vor.1839 Dagegen gab es einen Gegenvorschlag, der vorsah, dass der IStGH dann nicht zuständig sei, wenn der Fall schon einmal Gegenstand einer nationalen Entscheidung gewesen wäre, ohne dass der IStGH die Ernsthaftigkeit eines solchen Unterfangen hätte untersuchen können.1840 Die US-Delegation war ebenfalls explizit gegen die Zuständigkeit des IStGH im Falle einer nationalen Amnestie, die von einer demokratischen Regierung proklamiert worden sei.1841 Schlussendlich gelangten beide Vorschläge nicht in den Abschlusstext und Amnestien wurden auch in den Rules of Procedure and Evidence nicht erwähnt.1842 1837  Seibert-Fohr,

Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 564. Statute for the International Criminal Court and Draft Final Act, UN Dok. A/CONF.183/2/Add.1 (14. April 1998), Artikel 19. 1839  Report PrepComm, UN Dok. A/51/22/40 (1996), § 174; vgl. hierzu: SeibertFohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 561. 1840  Vgl. Draft Statute for the International Criminal Court and Draft Final Act. 1841  Vgl. Wedgwood, EJIL 10 (1999), S. 93, 96 f. 1842  Vgl. insgesamt: Holmes, in: Lee (Hrsg.), The International Criminal Court, S. 59.; Williams/Schabas, in: Triffterer (Hrsg.), Commentary on the Rome Statute of the International Criminal Court, S. 611, 617 ff.; Benvenuti, in: Lattanzi/Schabas 1838  Draft



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts471

In der Literatur wurde über die Gründe für diese Haltung spekuliert1843: Teilweise wird eine weit verbreitete Sympathie für das südafrikanische Beispiel als Erklärung angeführt.1844 Unter anderem auf die Nichtaufnahme des Vorschlages der Unzuständigkeit bei Vorliegen einer nationalen Amnestie bezogen sich die Vereinigten Staaten, als sie dem UN-Generalsekretär von ihrer Entscheidung, trotz Unterzeichnung nicht Vertragsstaat werden zu wollen, unterrichteten. So wurde argumentiert, dass der IStGH eine demokratische Wahl zwischen Strafverfolgung und nationaler Versöhnung akzeptieren solle.1845 bb) Pflicht zur Untersuchung und Strafverfolgung Es wurde diskutiert, ob durch das Rom-Statut eine eigenständige Verpflichtung zur nationalen Untersuchung und Strafverfolgung der im Statut aufgezählten Tatbestände geschaffen wurde. Dies hätte kaum Raum für Amnestien bzw. Wahrheitskommissionen belassen.1846 Eine Mindermeinung bejaht eine solche Verpflichtung mit einem Verweis auf die Präambel des Statuts.1847 Gegen eine solche Ansicht spricht jedoch, dass einige Delegationen während der Sitzungen der Vorbereitungskomitees verlautbaren ließen, dass das Statut keinesfalls dazu dienen sollte, die bereits bestehenden Verpflichtungen zur nationalen Strafverfolgung einzuschränken.1848 Art. 25 wird ebenfalls zur Untermauerung dieses Arguments angeführt1849, der eigentlich zum Ausdruck bringen solle, dass die bereits nach Völkerrecht bestehende Staatenverantwortlichkeit durch das Rom-Statut unberührt bliebe.1850 Schließlich solle der IStGH dazu dienen, bestehen(Hrsg.), Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, Bd. 1, S. 46. 1843  Vgl. Holmes, in: Lee (Hrsg.), The International Criminal Court, S. 41 ff.); Benvenuti, in: Lattanzi/Schabas (Hrsg.), Essays on the Rome Statute of the International Criminal Court, Vol. I, S. 21–50. 1844  Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 562. 1845  Vgl. ebd., S. 556. 1846  Ebd., S. 559. 1847  „[E]ffective prosecution […] must be ensured by taking measures at the national level and by enhancing international cooperation“ sowie „it is the duty of every State to exercise its criminal jurisdiction over those responsible for interna­ tional crimes.“ (§§ 4,6 der Präambel.) 1848  Proceedings of the PrepCom, UN Dok. A/51/22 (1996), § 156. 1849  „[N]o provision in this Statute relating to individual criminal responsibility shall affect the responsibility of States unter international law.“ 1850  Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 560.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

des internationales Völkerstrafrecht durchzusetzen und nicht Neues materiell zu regeln.1851 Die herrschende Meinung geht daher davon aus, dass das IStGH-Statut keine neuen Pflichten zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung aufstellt.1852 cc) Wahrheitskommissionen Fraglich ist, ob außergerichtliche Untersuchungen „Untersuchungen“ im Sinne des Art. 17 IStGH-Statuts darstellen. Es wurde in der Literatur diskutiert, ob eine strafrechtliche Untersuchung notwendig wäre.1853 Andere argumentierten, dass nur dann eine „Untersuchung“ gegeben sei, wenn es sich um eine Untersuchung in der Absicht, ein strafrechtliches Verfahren einzuleiten, handeln würde.1854 Dagegen spricht der Wortlaut des Textes, der von „Untersuchungen“ oder „Strafverfolgung“ spricht.1855 Für das Erfordernis einer strafrechtlichen Untersuchung wird Art. 17 Abs. 2 angebracht, der vielmehr auf den Willen bzw. die Ernsthaftigkeit des Unterfanges abstellt, d. h. selbst wenn eine strafrechtliche Untersuchung vorliegen würde, entscheidet dieses Element konstitutiv über die (Un-)Zulässigkeit des Falles.1856 Allerdings muss hier entschieden werden, ob „intent to bring the person concerned to justice“ (lit. b und c) nur die Strafjustiz meint oder auch alternative Formen von Verantwortung umfasst. Auch ist fraglich, ob Abs. 2 Abs. 1 einschränkt oder nicht.1857 Es wird vertreten, dass die Frage der Untersuchung strikt von der Frage des Unwillens der Strafverfolgung getrennt werden muss. So könne eine Wahrheitskommission durchaus eine Untersuchung im Sinne von Art. 17 Abs. 1 darstellen.1858 1851  Ebd., 1852  Vgl.

S. 558.

S. 560. Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003),

1853  Bejahend: Scharf, Cornell International Law Journal 32 (1999), S. 525; RohtArriaza, in: Shelton (Hrsg.), International Crimes, Peace and Human Rights, S. 77, 79; Holmes, in: Lee (Hrsg.), The International Criminal Court, S. 77; a. A.: Wolfrum, in: Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht (2002), S. 1156. 1854  Vgl. O’Shea, Amnesty for Crimes in International Law and Practice, S. 126. 1855  Vgl. Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 568. 1856  Ebd.; Scharf, Cornell International Law Journal 32 (1999), S. 525; Gavron, ICLQ 51 (2002), S. 91. 1857  Scharf, Cornell International Law Journal 32 (1999), S. 569. 1858  Ebd.



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts473

Einige Autoren argumentieren, dass das Inaussichtstellen von Straflosigkeit klar die Absicht belege, eine Person vor strafrechtlichen Konsequenzen zu schützen.1859 Dagegen wird argumentiert, dass, sofern eine Wahrheitskommission Straflosigkeit zusichere, dies im Lichte eines übergeordneten Zieles ‒ nämlich der Wiederherstellung von Frieden  − zu sehen sei und es daher nicht die unmittelbare Zielsetzung des Staates sei, eine bestimmte Person vor einem Strafverfahren zu bewahren. Vielmehr sei die Straflosigkeit lediglich Mittel zum Zweck, um ein höherrangiges Ziel zu erreichen und würde keine Unwilligkeit im Sinne von Art. 17 darstellen.1860 Andere argumentieren mit dem Zweck des IStGH und verteidigen die Ansicht, dass im Interesse von Frieden und Sicherheit – und wenn die Prävention zukünftiger Verbrechen nicht in Frage gestellt werden würde – eine Wahrheitskommission und Straflosigkeit durchaus mit dem IStGH-Statut vereinbar wären, da die Entscheidung gegen Strafverfolgung manchmal die einzige Möglichkeit darstellen würde, Frieden und Sicherheit zu erreichen.1861 Ein weiteres Argument in diese Richtung sind die Diskussionen während der Vertragskonferenz, die aufzeigen, dass die Delegationen das Komplementaritätsprinzip auch vor dem Hintergrund sahen, einer möglichen nationalen Versöhnungspolitik Folge zu tragen.1862 Andere Kommentatoren verweisen auf die Möglichkeit der Aussetzung der Strafverfolgung im Sinne des Artikels 53 Abs. 1 lit. c, wenn für die Anklagebehörde die Strafverfolgung nicht den Interessen der Gerechtigkeit dienen würde.1863 Dagegen spricht, dass dieser Artikel explizit die Beachtung der Interessen des Opfers erfordere, wobei eine Amnestie in der Regel diese beeinträchtige.1864 Auch wird vorgebracht, dass es weniger die Gerechtigkeit sei, sondern eher Frieden und Sicherheit, denen eine Amnestie dienen würde. Allerdings könnten alternative Mechanismen in der Abwägung eine Rolle spielen.1865 Solche Erwägungen könnten auch eine Rolle bei den Entscheidungen der Anklagebehörde bezüglich eines Ermittlungsverfahren in proprio motu spie1859  Gavron, ICLQ 51 (2002), S. 111; Dugard, Leiden Journal of International Law 12 (1999), S. 1014 ff. 1860  Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 570. 1861  Villa-Vicencio, Emory Law Journal 49 (2000), S. 205. 1862  UN-GV Res., UN Dok. A/51/22 (7.  Juli 1998), § 160; vgl. auch Méndez, Ethics & International Affairs 15 (2001), S. 25 ff. 1863  Dugard, Leiden Journal of International Law 12 (1999), S. 1014; Gavron, ICLQ 51 (2002), S. 110; Roht-Arriaza, Law and Social Inquiry 20 (1995), S. 81; Goldstone/Fritz, Leiden Journal of International Law 13 (2000), S. 655. 1864  Seibert-Fohr, Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 579. 1865  Ebd.; Gavron, ICLQ 51 (2002) S. 110.

474

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

len, Art. 15 Abs. 1. Dagegen spricht, dass es nicht Sache der Anklagebehörde ist, über die „Angemessenheit“ von Ermittlungen zu entscheiden, sondern vielmehr, ob die erhaltenen Informationen für einen hinreichenden Anfangsverdacht ausreichen, vgl. Art. 15 Abs. 2.1866 dd) Fazit Zusammenfassend kann gesagt werden, dass das Rom-Statut bezüglich TJ ambivalent ist: eine Amnestie verstößt nicht grundsätzlich gegen das IStGHStatut, sie kann aber auch nicht per se den IStGH davon abhalten, einen Fall für zulässig zu erklären.1867 Auch bezüglich Wahrheitskommissionen und deren Auswirkungen auf das Komplementaritätsprinzip und die Zulässigkeit kommt es auf den konkreten Einzelfall an und eine generelle Position lässt sich nicht eindeutig festmachen.1868 Es wird vertreten, dass, sofern die Entscheidung des Staates eine konditionellen Amnestie zu erlassen, in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht stehe, der IStGH diese Entscheidung respektieren solle.1869 Wie wichtig die grundsätzliche Möglichkeit, eine Amnestie zu erlassen, gesehen wird, zeigt die Tatsache, dass in der Literatur ein Zusatzprotokoll gefordert wurde, dass eben diese Möglichkeit ausdrücklich klarstelle.1870 b) Anklagestrategien Die erste Strategie der Anklagebehörde des IStGH vom September 2006 unterstrich den Charakter der IStGH-Ermittlungen als außergewöhnlich und als letztes Mittel im „Kampf gegen die Straflosigkeit“.1871 Die zweite Strategie (2009–2012) sieht vor, dass die Anklagebehörde einen positiven Ansatz der Komplementarität verfolgt im Sinne einer „proactive policy of cooperation aimed at promoting national proceedings“. Die Behörde will genuine nationale Strafverfahren, wo möglich, unterstützen, aber eher durch Netzwerke und nicht selbst direkt durch Capacity Building oder technische Hilfe.1872 1866  Seibert-Fohr,

Max Planck Yearbook of United Nations Law 7 (2003), S. 580. S. 586. 1868  Ebd., S. 587. 1869  Méndez, Ethics & International Affairs 15 (2001), S. 43. 1870  O’Shea, Amnesty for Crimes in International Law and Practice, S. 336; Young, University of California at Davis Law Review 35 (2002), S. 477. 1871  Almqvist/Esposito, in: dies. (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 2. 1872  Vgl. Office of the Prosecutor, Prosecutorial Strategy 2009–2012 (1. Februar 2010), S. 5. 1867  Ebd.,



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts475

Dies ist auch vor dem Hintergrund der Strategien des UN-Sicherheitsrates, OHCHR und der Rule of Law-Abteilung des Sekretariats zu sehen, nationale Justizsysteme zu unterstützen.1873 Insbesondere im Fall Kenia zeigte sich der TJ-Ansatz des IStGH, der seine Ermittlungen auf die Personen mit der „größtmöglichen Schuld“ beschränkte und die übrigen Täter als durch die nationale Strafverfolgung abgedeckt betrachtete. Außerdem sah der IStGH die Rolle der Wahrheitskommission in der Aufdeckung des umfänglichen Sachverhaltes als hilfreich für Empfehlungen bezüglich weiterer Reformen.1874 c) Rechtsprechung der Ad-hoc-Gerichtshöfe Die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe haben eine Rechtsprechung entwickelt, die das Völkerstrafrecht in vielerlei Hinsicht weiterentwickelt hat, die auch für TJ relevant ist. Der ICTY nahm beispielsweise zu Amnestien Stellung, obwohl dies im Verfahren nicht vorgebracht wurde: Er hielt fest, dass alle Amnestien, die auf Folter anwendbar wären, gegen internationales Recht verstoßen würden.1875 Dabei bezog sich der ICTY auf eine AB des CCPR („amnesties are generally incompatible with the duty of States to investigate [torture]“1876).1877 Darüber hinaus stellte der ICTY fest, dass, selbst wenn eine nationale Amnestie bestehe, dies das Verfahren vor einem ausländischen oder internationalen Gericht oder vor einem nationalen Gericht unter einem Nachfolgeregime nicht hindern würde.1878

1873  Almqvist/Esposito, in: dies. (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 3. 1874  „[W]ith the ICC prosecuting those most responsible; national accountability proceedings as defined by the Kenyan Parliament, such as a Special Tribunal, for other perpetrators; and other reforms and mechanisms such as the Justice, Truth and Reconciliation commission to shed light on the full history of past events and to suggest mechanisms to prevent such crimes in the future.“ (ICC, Press Release, 30. September 2009). Besprechung dieses Ansatzes: Pampalk/Knust, Zeitschrift für international Strafrechtsdogmatik 11 (2010), S. 669 ff.) 1875  Fall Nr. IT-95-17/I-T, Urteil, (10.  Dezember 1998). 1876  Compilation of General Recommendations Adopted by Human Rights Treaty Bodies, UN Dok. HRI/GEN/1/Revs.1 (29.  Juli 1994), § 30. 1877  Fall Nr. IT-95-17/I-T, Urteil, (10.  Dezember 1998), S. 153, 156. 1878  Fall Nr. IT-95-17/I-T, Urteil, (10.  Dezember 1998) S. 155.

476

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

4. Humanitäres Völkerrecht Als direkte Konsequenz der Schrecken des Zweiten Weltkriegs wurden die vier Genfer Konventionen1879 am 12. August 1949 unterzeichnet. Abs. 1 der Art. 49 GK I, 50 GK II, 129 GK III und 146 GK IV sehen eine Pflicht der Vertragsstaaten vor, für schwere Verletzungen der Genfer Konventionen nationale Strafnormen zu erlassen.1880 Andere Normen sahen die Pflicht zur strafrechtlichen Verfolgung oder Auslieferung von Personen vor, die der schweren Verletzungen der Genfer Konventionen verdächtigt sind.1881 U. a. gelten als schwere Verletzungen nach den Genfer Konventionen: Mord, Folter oder unmenschliche Behandlung, vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigung der körperlichen Integrität oder Gesundheit.1882 Zu beachten ist, dass die Staaten darüberhinausgehend frei waren, weitere Verstöße strafrechtlich zu ahnden, da sie dazu verpflichtet sind, andere als schwere Verletzung qualifizierte Verstöße „zu unterbinden“1883. Hierzu boten sich insbesondere Verletzungen des gemeinsamen Art. 3 der GK1884 an. 1879  Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde (Genfer Konvention I), die Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See (Genfer Konvention II), die Kriegsgefangenen (Genfer Konvention III) und die Zivilpersonen in Kriegszeiten (Genfer Konvention IV). 1880  „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, alle notwendigen gesetzgeberischen Maßnahmen zur Festsetzung von angemessenen Strafbestimmungen für solche Personen zu treffen, die irgendeine der im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen des vorliegenden Abkommens begehen oder zu einer solchen Verletzung den Befehl erteilen.“ 1881  Z. B. Art. 49 Abs. 2 GK I, Art. 50 Abs. 2 GK II, Art. 129 Abs. 2 GK III und Art. 146 Abs. 2 GK IV: „Jede Vertragspartei ist zur Ermittlung der Personen verpflichtet, die der Begehung oder der Erteilung eines Befehls zur Begehung der einen oder andern dieser schweren Verletzungen beschuldigt sind und hat sie ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor ihre eigenen Gerichte zu ziehen. Wenn sie es vorzieht, kann sie sie auch gemäss den in ihrer eigenen Gesetzgebung vorgesehenen Bedingungen zur Aburteilung einer andern an der Verfolgung interessierten Vertragspartei übergeben, sofern diese gegen die erwähnten Personen ausreichende Beschuldigungen nachgewiesen hat.“ 1882  Vgl. Art. 50 GK I, 51 GK II, 130 GK III und 147 GK IV. 1883  Vgl. Abs. 3 der Art. 49 GK I, 50 GK II, 129 GK III und 146 GK IV: „Jede Vertragspartei soll die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um auch diejenigen Zuwiderhandlungen gegen die Bestimmungen des vorliegenden Abkommens zu unterbinden, die nicht zu den im folgenden Artikel umschriebenen schweren Verletzungen zählen.“ 1884  „Im Falle eines bewaffneten Konflikts, der keinen internationalen Charakter aufweist und der auf dem Gebiet einer der Hohen Vertragsparteien entsteht, ist jede der am Konflikt beteiligten Parteien gehalten, wenigstens die folgenden Bestimmun-



I. Entwicklung auf der Ebene des Völkervertragsrechts477

Die Generalversammlung verabschiedete am 19. Dezember 1968 unter dem Eindruck der Kriege der 1960er Jahre (insbesondere des Vietnamkriegs, des Biafrakonflikts und der zahlreichen Unabhängigkeitskriege in Afrika) die Resolution 2444 (XXIII)1885, die grundlegende Prinzipien des humanitären Völkerrechts bestätigte: Beschränkungen bei der Wahl der Mittel zur Kriegsführung; Verbot von Angriffen gegen die Zivilbevölkerung; Verpflichtung zur Unterscheidung zwischen Kombattanten und der Zivilbevölkerung sowie zur weitest möglichen Verschonung der Zivilbevölkerung. Außerdem forderte die Resolution zu einer Überprüfung der Erweiterungsmöglichkeiten des humanitären Völkerrechts durch die zwei Zusatzprotokolle auf, die im Dezember 1978 in Kraft traten. Zusatzprotokoll I1886 (ZP I) versuchte einen einheitlichen Rahmen für die Genfer Konventionen zu schaffen und führte einige Bestimmungen, die als unzureichend erachtet worden waren, weiter aus. Es übernahm auch die sogenannte Martens’sche Klausel ins Völkervertragsrecht. Den internationalen Konflikten sind gemäß ZP I nun auch bewaffnete Konflikte, in denen Völker gegen Kolonialherrschaft und fremde Besetzung sowie gegen rassistische Regime in Ausübung ihres Rechts auf Selbstbestimmung kämpfen, gleichgestellt (Art. 1 Abs. IV ZP I). Das zweite Zusatzprotokoll, das besonders umstritten war, war als Reaktion auf die Zunahme nicht-internationaler bewaffneter Konflikte zu sehen. gen anzuwenden: 1. Personen, die nicht direkt an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschliesslich der Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die infolge Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeiner anderen Ursache ausser Kampf gesetzt wurden, sollen unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt werden, ohne jede Benachteiligung aus Gründen der Rasse, der Farbe, der Religion oder des Glaubens, des Geschlechts, der Geburt oder des Vermögens oder aus irgendeinem ähnlichen Grunde. Zu diesem Zwecke sind und bleiben in bezug auf die oben erwähnten Personen jederzeit und jedenorts verboten: a. Angriffe auf Leib und Leben, namentlich Mord jeglicher Art, Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung; b. Gefangennahme von Geiseln; 2. Die Verwundeten und Kranken sollen geborgen und gepflegt werden.“ 1885  Respect for Human Rights in Armed Conflicts, UN-GV Res. A/RES/2444 (XXIII) (19. Dezember 1968). 1886  Das 1. ZP sieht u. a. als schwere Verletzungen vor: Angriffe gegen die Zivilbevölkerung oder Zivilpersonen, gegen eine Person hors combat in Kenntnis hiervon; von der Besatzungsmacht durchgeführte Überführung eines Teiles ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet oder die Verschleppung oder Überführung der Gesamtheit oder eines Teils der Bevölkerung des besetzten Gebiets innerhalb desselben oder aus demselben; Praktiken der Apartheid und andere auf Rassendiskriminierung beruhende, unmenschliche und erniedrigende Praktiken, die eine grobe Verletzung der persönlichen Würde einschliessen; jede vorsätzliche Handlung oder Unterlassung, welche die körperliche oder geistige Gesundheit oder Unversehrtheit einer Person erheblich gefährdet, die sich in der Gewalt einer anderen Partei als derjenigen, zu der sie gehört, befindet etc. (vgl. Art. 11 Abs. 4 und 85 Abs. 3 und 4 ZP I).

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Amnestien wurden während der Verhandlungen lange diskutiert und nicht per se abgelehnt. Vielmehr wurden sie als Maßnahme der Wiedereingliederung von früheren Aufständischen angesehen. Deren Anwendbarkeit auf Staatsbedienstete für Menschenrechtsverletzungen wurde jedoch nicht gesehen bzw. diskutiert.1887 Es wurde dagegen diskutiert, ob bestimmte Verbrechen hiervon auszunehmen seien, so z. B. Kriegsverbrechen und Genozid.1888 Manche Delegationen betonten, dass das Recht, Amnestiegesetze zu erlassen, Ausfluss der Souveränität eines Staates wäre.1889 Teilweise finden sich sogar direkte Verweise auf Amnestiegesetze in den Texten, z. B. Art. 6 (5) ZP, wobei dieser Teil lediglich als „advisory“ zu betrachten sei, wie mehrere Delegationen betonten.1890 Die Fortentwicklung des humanitären Völkerrechts durch die Ad-hoc- und internationalisierten Gerichtshöfe ist vor diesem Hintergrund besonders wichtig.

II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts 1. Verpflichtungen zur Strafverfolgung und -bestrafung Einige Entwicklungen auf dem Gebiet des Soft Law deuten auf ein Problembewusstsein der Staatengemeinschaft bezüglich der Verpflichtung zur (straf-)rechtlichen Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung schwerer Menschenrechtsverletzungen hin.1891 Es kann auch eine wachsende Tendenz der Spezifizität und Stringenz der Einhaltung von Soft Law-Richtlinien in dieRoht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 59. Vorschlag sozialistischer Staaten ein dementsprechendes Verbot einzufügen, verlor sich in den Diskussionen um die Todesstrafe. Das gleiche Schicksal ereilte den Vorschlag, dass jeder Verurteilte Amnestie, Gnade oder Strafumwandlung einer Todesstrafe verlangen können sollte (vgl. hierzu ebd., S. 59). 1889  Ebd. 1890  Vgl. ebd., S. 58. 1891  Insbesondere bezüglich der Verletzung fundamentaler Menschenrechte werden sich wenige Staaten finden, die öffentlich zum Ausdruck bringen, diese nicht untersuchen oder strafverfolgen zu lassen. Vielmehr wird der Willen zur Einhaltung der Norm in der Regel bekräftigt, obwohl in der Wirklichkeit dann eine Untersuchung nicht stattfindet. Dies zeigte insbesondere das Verhalten der südamerikanischen Staaten in den 1980er Jahren (z. B. erklärte die uruguayische Regierung, obwohl sie eine Amnestie verabschiedet hatte, vor der UN-Menschenrechtskommission, dass sie die Menschenrechtsverletzungen unter dem Militärregime untersuchen und die Täter strafrechtlich zur Verantwortung ziehen würde; vgl. weitere Beispiele: Ebd., S. 42). 1887  Vgl. 1888  Der



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts479

sem Bereich festgestellt werden. Hierfür können Deklarationen und Prinzipien angeführt werden, die im Rahmen der Vereinten Nationen ausgearbeitet bzw. verabschiedet wurden allerdings nicht in der Form von Verträgen oder Konventionen nach Ratifizierung die Staaten binden.1892 So hat die UN-GV wiederholt zur Untersuchung und Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen aufgerufen, z. B. 1979 zu Chile.1893 In anderen Resolutionen ging die Generalversammlung dann einen Schritt weiter und forderte die Strafverfolgung und Bestrafung der Verantwortlichen der Menschenrechtsverletzungen. Die präventive Funktion hinsichtlich zukünftiger Menschenrechtsverletzungen von Strafuntersuchung und -verfolgung sowie Bestrafung wurde oft betont.1894 Sonderberichterstatter und Experten wurden von der VN-Menschenrechtskommission dazu ernannt, um die Menschenrechtslage in bestimmten Ländern zu untersuchen. Außerdem wurden Praktiken von Folter, Verschwindenlassen oder Hinrichtungen im Schnellverfahren wiederholt in Resolutionen und Berichten identifiziert und verurteilt, insbesondere hinsichtlich des Fehlens einer strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung, da hierdurch ein „Klima der Straflosigkeit“ geschaffen werde. Allerdings hielt sich die Generalversammlung, wenn es zu einem Regimewechsel gekommen war, mit gleichlautenden Resolutionen zurück. Es entstand die paradoxe Situation, dass während der repressiven Unterdrückung die Untersuchung bzw. Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen gefordert wurde, dann aber, als dies grundsätzlich möglich geworden war, den Staaten ein weiter Ermessensspielraum bezüglich der zu ergreifenden Maßnahmen zugestanden wurde.1895 Schon 1985 hatte die Generalversammlung die „Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power“ angenommen, die eine Entschädigung für die Opfer in Fällen vorsieht, in denen die Menschenrechtsverletzungen durch einen Staatsbediensteten oder eine Person in offizieller oder quasi-offizieller Funktion ausgeübt wird. Im Nachhinein hatten Strafrechtsexperten Prinzipien ausgearbeitet, um diese Deklaration umzusetzen.1896 In diesen Prinzipien wurde ebenfalls eine Pflicht zur Untersuchung von Todesfällen sowie andere ernsthafter physischer oder mentaler Verletzungen durch Staatsbedienstete festgesetzt sowie eine Pflicht zur Strafverfolgung oder Auslieferung. Die Experten sprachen sich gegen eine Immunität für vorsätzliche Menschenrechtsverletzungen und gegen die 1892  Vgl. z. B. Schreuer, German Yearbook of International Law 20 (1977), S.  110 ff. 1893  Z. B. UN Dok. A/RES/34/179 (17.  Dezember 1979). 1894  Z. B. UN Dok. A/RES/39/121 (14.  Dezember 1984), § 8. 1895  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 43. 1896  Ebd., S. 44.

480

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Zulässigkeit des Befehlsnotstandes in Fällen der augenscheinlichen Illegalität der Befehle als Rechtfertigung aus. Daneben waren auch die Eröffnung des Rechtsweges, Restitution oder Entschädigung vorgesehen. 1985 wurde ein Bericht zu Amnestiegesetzen durch den UN-Sonderberichterstatter Joinet erstellt, der mit der Empfehlung endete, dass Amnestiegesetze nicht auf internationale Verbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit anwendbar seien.1897 Daneben erarbeiteten die Vereinten Nationen verschiedene Richtlinien und Prinzipien, die für TJ von Bedeutung sein sollten: „Basic Principles on the Use of Force and Firearms by Law Enforcement Officials“1898 (1990), die u. a. eine Pflicht zur nationalen Strafbewährung von willkürlichem oder missbräuchlichem Waffengebrauchs durch Gesetzeshüter, sowie eine gerichtliche Überprüfung in Fällen vorsehen, in denen Personen zu Tode gekommen sind (wobei eine Abweichung von den Prinzipien nicht mit dem Argument der inneren politischen Instabilität oder einem anderen öffentlichen Notstand gerechtfertigt werden kann, vgl. Nr. 7, 8 und 22). Das Recht der „Opfer“ bzw. deren Angehörigen auf einen unabhängigen  − gericht­ lichen  − Prozess ist ebenfalls festgehalten (Nr. 23). 1989 verabschiedete die UN-Generalversammlung auch die „Principles on the Effective Prevention and Investigation of Extra-legal, Arbitrary and Summary Executions“, die eine Verpflichtung von Staaten vorsehen, ernsthafte Vorwürfe dieser Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen und die fraglichen Personen entweder auszuliefern oder selbst strafzuverfolgen sowie Entschädigungen für die Opfer und deren Familien vorzusehen. Die Prinzipien sprechen sich ausdrücklich gegen Blankoimmunität aus.1899 Bezüglich Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit waren diese Entwicklungen noch deutlicher.1900 Auch außerhalb des UN-Rahmens wurden Richtlinien erarbeitet, so z. B. hinsichtlich des Weltrechtsprinzips die sog. „Princeton Principles“1901. 1897  Bericht des UN-Sonderberichterstatters, UN Dok. E/CN.4/1987/22 (19.  Februar 1987). 1898  UN Dok. A/CONF.144/28/Rev.1 (1990), §§ 112 ff. 1899  UN Dok. E/1989/89 (1989). 1900  Vgl. z. B. „Question of the Punishment of War Criminals and of Persons who have committed Crimes Against Humanity“, UN-GV Res. 2840 (XXVI) (18. Dezember 1971) und „Principles of International Co-operation in the Detention, Arrest, Extradition, and Punishment of Persons Guilty of War Crimes and Crimes Against Humanity“, UN-GV Res. 3074 (XXVIII), UN Dok. A/9030/Add.1 (1973) (3.  Dezember 1973). 1901  2001 kam eine Gruppe Wissenschaftler zusammen, um Richtlinien für die Anwendung des Weltrechtsprinzips zu erarbeiten. Dabei wurden auch nationale Amnestien diskutiert. Die Wissenschaftler konnten sich jedoch nicht auf ein allgemeines



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts481

2. Opferrechte Während die Opferrechte die Rechte der Opfer (auch im Sinne eines erweiterten Opferbegriffes, d. h. Familienangehörige), insbesondere in Bezug auf Mitwirkungsrechte im Strafprozess und Entschädigungsfragen betreffen, ist die Verpflichtung der Staaten zur strafrechtlichen Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung nicht notwendigerweise eine drittwirkende Verpflichtung, der ein justiziables Recht der Opfer entspricht.1902 Die Entwicklung der Opferrechte ist gesondert von der Entwicklung der Staatenverpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Verfolgung von Tätern von Menschenrechtsverletzungen zu sehen. Sie wurde durch das Phänomen des „gewaltsamen Verschwindenlassens“, der Folter und der außergerichtlichen Hinrichtungen motiviert.1903 Opferrechte finden sowohl bei Menschenrechtsverletzungen in einem „stabilen“ und „rechtsstaatlich“ geprägten Staat, als auch bei Menschenrechtsverletzungen während eines bewaffneten Konfliktes bzw. unter einem repressiven Regime Anwendung.1904 a) Entwicklung des Diskurses: Vom Bedürfnis zum Recht Die Opferrechte (Right to Truth, Right to Justice, Right to Reparations) entwickelten sich in den 1980er Jahren, allerdings ließ die Anerkennung ihre Justiziabilität noch bis Ende der 1990er Jahre auf sich warten. Seit 1974 zitiert die VN-GV das „desire to know“ als ein grundlegendes menschliches Bedürfnis in zahlreichen Resolutionen, in denen es um das Prinzip der Behandlung von Amnestien für Fälle einigen, in denen auch das Weltrechtsprinzip einschlägig sei. Prinzip 7 hält jedoch fest, dass „[a]mnesties are gener­ ally inconsistent with the obligation of states to provide accountability for serious crimes under international law.“ (Vgl. Macedo (Hrsg.), Universal Jurisdiction, S. 22.) Dabei lässt die Verwendung von „generally“ die Möglichkeit offen, dass es im Einzelfall Amnestien gibt, die zulässig sind. Auch wird dieses Prinzip dahingehend gedeutet, dass es keine Verpflichtung zur strafrechtlichen Verfolgung gäbe, sondern nur dazu, „irgendeine“ Form von Verantwortung herzustellen (ebd., S. 32 f.). Es wur­ den insbesondere die Zulässigkeitskriterien von Amnestien und deren Kombination mit anderen „alternativen“ Instrumenten diskutiert, aber es konnte keine Einigkeit erzielt werden (ebd., 33). 1902  Vgl. ebenso: Aldana-Pindell, Vanerbilt Journal of Transnational Law 35 (2002), S.  1413 f. 1903  „[B]rutal impetus behind a broad-based call for the truth.“ (Antkowiak, Michigan Journal of International Law 23 (2002), S. 981.) 1904  In der Literatur finden sich hierzu verschiedene Bezeichnungen: systematic and widespread violations, gross violations, serious violations.

482

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

gewaltsame Verschwindenlassen von Angehörigen ging.1905 Beobachter bemerken zu Recht, dass es einen Unterschied macht, von einem „Bedürfnis“ oder von einem „Recht“ zu sprechen.1906 Der Diskurswechsel von „Bedürfnis“ auf „Recht“1907 vollzog sich bereits einige Jahre später, als 1979 Felix Ermacora einen Bericht der Arbeitsgruppe zu Chile der Generalversammlung vorstellte: „disappearance of these persons constitutes (….) an acute humanitarian problem to their relatives, who wish, and have a right, to know what happened to their family members.“1908

Wiederum kann aus der Feststellung, „ein“ Recht zu haben nicht abgeleitet werden, ein justiziables Recht zu haben. Die Stellungnahme von AI vom Februar 1981 in der WGEID mit dem Inhalt, dass die Familien von „Verschwundenen“ Rechte hätten, das Schicksal ihrer Verwandten zu kennen, und, dass Antworten von Regierungsseite auf juristische Nachfragen als zentral für das Menschenrechtskonzept des „Verschwindenlassens“ seien, ist ein weiteres Beispiel eines noch eher v ­ agen Diskurses.1909 AI unterstrich auch das „Bedürfnis und Recht zu Wissen“.1910 Die Unsicherheit bezüglich des Rechtscharakters sah man zwei Jahre später in dem bahnbrechenden Urteil Quinteros gegen Uruguay, in dem das CCPR explizit anerkannte, dass die Mutter des Opfers ein Recht zu Wissen habe.1911 Allerdings wurde in der Literatur angemerkt, dass dieses Recht in Quinteros gegen Uruguay nur als Möglichkeit gesehen werde, das Leiden der Mutter zu mildern, nicht jedoch als eigenes Recht, das durch das Verhalten des Staates verletzt wurde.1912 1905  UN-GV Res., UN Dok. A/3220 (XXIX) (8.  November 1974); UN-GV Res. 33/173 (18.  Dezember 1978); UN-GV Res., UN Dok. 45/165 (18.  Dezember 1990); UN-GV, UN Dok. 47/132 (18.  Dezember 1992). 1906  Scovazzi/Citroni, The Struggle against Enforced Disappearances & 2007 UN Convention, S. 348. 1907  Eine humanitärrechtliche Vorschrift, die das Recht der Familie beinhaltet, über das Schicksal ihrer Verwandten („right to know the fate“) aufgeklärt zu werden, ist bereits im 1. ZP der Genfer Konventionen enthalten (Art. 32). Nach IKRK stellt dies sogar eine Regel des Völkergewohnheitsrechts dar, anwendbar sowohl im internen als auch internationalen Konflikt (Henkaerts/Doswald-Beck (Hrsg.), Customary International Humanitarian law, Vol. I, Rule 117, S. 421). 1908  UN Dok. A/34/583/Add.1, § 178 (Hervorh. durch. d. Verf.). 1909  Ebd., S. 86. 1910  1994 startet Amnesty International Kampagnen gegen das gewaltsame Verschwindenlassen und gegen politische Morde. 1911  CCPR, Quinteros gegen Uruguay, Beschwerde Nr. 107/1981, UN Dok. CCPR/C/19/D/107/1981 (1981), S. 14. 1912  Antkowiak, Michigan Journal of International Law 23 (2002), S. 996.



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts483

1983 erwähnte das Europäische Parlament in einer Resolution über vermisste Personen in Zypern das „right to know the truth of the relatives of all the people unaccounted for“.1913 1985 / 86 führte die IACHR zur kollektiven Dimension des Rechts auf Wissen aus: „Every society has the inalienable right to know the truth about past events, as well as the motives and circumstances in which aberrant crimes came to be committed, in order to prevent repetition of such acts in the future.“1914

Die UN WGEID hatte 1991 in ihrer Sitzung die Frage der Straflosigkeit diskutiert und 1992 dann Maßnahmen zur Bekämpfung der Straflosigkeit empfohlen, wobei sie sich ausdrücklich gegen Amnestiegesetze aussprach. In der Folge wurde die „Declaration on the Protection of All Persons from Enforced Disappearance“ (1992) durch die UN-GV mit einer Verpflichtung zur Strafuntersuchung, -verfolgung und Bestrafung sowie Recht auf Entschädigung für die Opfer und deren Familien verabschiedet.1915 Dabei orientierte sich die Deklaration sehr an der Anti-Folterdeklaration, die der Verabschiedung der Anti-Folterkonvention vorausging. Insbesondere Art. 9, 13 und 14 der Deklaration mit ausführlicher Beschreibung der Untersuchungspflicht der Staaten sind hervorzuheben.1916 Die Deklaration spricht sich explizit gegen Amnestie oder Immunität aus, sieht aber in Art. 18 b ein Gnadenrecht für Einzelfälle vor. Dabei wurden diese „Rechte“ meistens im Zusammenhang mit dem Justizgewährungsanspruch oder dem Recht auf ein wirksames Rechtsmittel erörtert. Später wurde die Möglichkeit anerkannt, dass die psychischen Auswirkungen des Nichtwissens bzw. der Nichtverfolgung der Verbrechen selbst CIDT / P darstellen könnten.1917 Innerhalb von zwei Jahrzehnten hatte sich damit der Diskurs vom Bedürfnis zum Recht verstärkt.

1913  European

1983).

Parliament, Resolution on Missing persons in Cyprus (11. Januar

1914  IACHR, Annual Report 1985–86, OEA/Ser. L/V./II.68 (1986), doc. 8 rev. 1, §§ 192–93. 1915  UN-GV Res., UN Dok. A/RES/47/133 (18.  Dezember 1992). 1916  Artikel 14 der Deklaration („[A]ll States should take any lawful and appropriate action available to them to bring to justice all persons presumed responsible for an act of enforced disppearance who are found to be within their jurisdiction or under their control“) kann einerseits als Norm des Weltrechtsprinzips gelesen werden, aber auch als Norm, die den Strafverfolgungsbehörden Strafverfolgungsermessen einräumt (Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 44). 1917  Vgl. hierzu insbesondere die Rechtsprechung des IACHR und des CCPR, Teil 3, C. I. 1. und 2.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

b) Arbeit an den „Basic Principles Guidelines on the Right to Reparation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Humanitarian Law“ Die Arbeit an den „Basic Principles Guidelines on the Right to Reparation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Humanitarian Law“ (im Folgenden: Basic Principles) begann 1989, als die Unterkommission für die Prävention von Diskriminierung und dem Schutz von Minderheiten Theo van Boven dazu aufforderte, eine Studie über die Möglichkeit der Erarbeitung von Prinzipien und Richtlinien zum Recht auf Restitution, Entschädigung und Rehabilitation zu erstellen.1918 Diese Basic Principles and Guidelines konnten dabei auf der Arbeit für die „Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power“1919, die Opfern Rechte im Strafprozess einräumen, aufbauen, die 1985 vom Siebten UN Kongress zur Verbrechensprävention und der Behandlung von Straftätern, angenommen worden waren. Die Frage der Entschädigung von Opfern war bis dahin nur bruchstückhaft behandelt worden und sollte nun in einem einzelnen Dokument mit dem Justizgewährungsanspruch zusammengeführt werden.1920 Der Sonderberichterstatter, Theo van Boven, legte 1993 einen ersten Entwurf der Basic Principles vor, den er auf Aufforderung dann nochmals für einen zweiten Entwurf 1996 überarbeitete.1921 Diese Draft Principles definierten eine breite Verpflichtung des Staates, Reparationen zu leisten, d. h. Restitution, Entschädigung, Rehabilitation, Satisfaktion und die Garantie der Nichtwiederholung. Die zwei letzten Aspekte sehen die volle Aufdeckung der Wahrheit, deklaratorische Urteile und öffentliche Entschuldigungen, Reorganisation von Behörden sowie Gedenkzeremonien etc. vor. Dabei wird festgehalten, dass „no person who may be responsible for gross violations of human rights shall have immunity from liability for their actions. […] Reparation for certain gross violations of human rights that amount to crimes under international law includes a duty to prosecute and punish perpetrators. Impunity is in conflict with this principle.“1922

Es wurde im Folgenden Prof. Bassiouni ernannt, der die Arbeit von van Boven übernahm und zwei Konsultationen mit Staaten, anderen zwischen1918  REDRESS, Implementing Victims’ Rights (2006), S. 2; Bassiouni, Human Rights Law Review 6 (2006), S. 203–279. 1919  UN-GV Res., UN Dok. A/RES/40/34 (29.  November 1985). 1920  McCracken, Revue internationale de droit pénal 76 (2005), S. 78. 1921  REDRESS, Implementing Victims’ Rights, S. 2. 1922  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 45.



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts485

staatlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen von 1998 bis 1999 in Genf durchführte.1923 Auf der Grundlage des früheren Entwurfes von Prof. van Boven und den nachfolgenden Konsultationen, fertigte Prof. Bassiouni einen neuen Entwurf an, den er der UN-Menschenrechtskommission im Jahr 2000 präsentierte.1924 Auf der Grundlage der Resolutionen der UN-Menschenrechtskommission1925 organisierte dann das OHCHR, in enger Kooperation mit der Regierung Chiles, eine Reihe konsultativer Treffen im September 2002, um den Entwurf fertigzustellen.1926 Das Interesse und die politische Unterstützung der chilenischen Regierung war ein wichtiges Element, das schluss­ endlich zur Fertigstellung der Basic Principles beitrug.1927 Während der Konsultationen – unter dem Vorsitz Chiles und der Teilnahme der Unabhängigen Experten van Boven und Bassiouni sowie Delegierter von Mitgliedstaaten, anderen zwischenstaatlichen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen, wurden fünf weitere Entwürfe produziert.1928 Die Beiträge und Kommentare der Experten, aber auch einer Koalition von Nichtregierungsorganisationen, die versuchten, die Perspektive der Opfer in den Entwurf einzubringen, waren für die Weiterentwicklung der Prinzipien besonders wichtig. Dabei war es notwendig, eine ausgewogene Abwägung zwischen den völkerrechtlichen Prinzipien zum Right to Remedy and Reparations, einer angemessenen Ownership der staatlichen Delegationen, den Kommentaren und Empfehlungen sowie eines kohärenten universellen Verständnis dieser Prinzipien herzustellen. Nach der Fertigstellung des Entwurfes wurde der Text der Prinzipien zur Konsultation mit anderen zwischenstaatlichen Organisationen und NGOs freigegeben. Die USA hatten sich gegen die Basic Principles and Guidelines ausgesprochen, da sie nicht nur das Opferrecht auf Entschädigung für Verletzungen des humanitären Völkerrechts enthielten (geltendes Völkerrecht), sondern auch für Verletzungen von Menschenrechten (das noch als sog. Soft Law angesehen wurde). Dies wurde aus der Lehre und 1923  REDRESS,

Implementing Victims’ Rights (2006), S. 2. Report of the Special Rapporteur Bassiouni, UN Dok. E/CN.4/2000/62 (18. Januar 2000). 1925  Vgl. UN CHR Resolutionen, UN Dok E/CN.4/2000/41 (25.  Februar 2000), E/CN.4/2001/105 (20. April 2001) und E/CN.4/2002/44 (15.  März 2002). 1926  UN CHR Resolutionen, UN Dok. E/CN.4/2003/63 (27. Dezember 2002); UN Dok. E/CN.4/2004/57 (24.  Oktober 2003) und UN Dok. E/CN.4/2005/59 (21.  Dezember 2004). 1927  REDRESS, Implementing Victims’ Rights (2006), S. 2. 1928  Vgl. Version vom 15. August 2003, 23. und 24. Oktober 2003 (UN Dok. E/CN.4/2004/57) und Version vom 5. August 2004 und 1.  Oktober 2004 (UN Dok. E/CN.4/2005/59). 1924  Final

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

von anderen Delegationen mit dem Argument kritisiert, dass beide Rechtsregime zum größten Teil „überlappen“ würden.1929 Andere Regierungen stellten sich ebenfalls gegen den Entwurf, da es die Möglichkeit einer Sammelklage bzw. Verbandsklage vorsah, die manchen Civil Law-Ländern unbekannt waren, während die common law-Länder die Partie Civile im Strafprozess fremd war. Dies illustriert die Schwierigkeit, Civil und Common Law sowie islamisches Recht in einem Text zu vereinen, was aber, da die Prinzipien die Rechte der Opfer universell erfassen sollten, notwendig war.1930 Die chilenische Regierung brachte den diplomatischen Prozess zwischen 2002 und 2005 kontinuierlich voran. Dies führte dann schlussendlich zur Annahme der Basic Principles and Guidelines1931. Prinzip 3 der „Basic Principles“ sieht vor: „3. The obligation to respect, ensure respect for and implement international human rights law and international humanitarian law as provided for under the respective bodies of law, includes, inter alia, the duty to: (a) Take appropriate legislative and administrative and other appropriate measures to prevent violations; (b) Investigate violations effectively, promptly, thoroughly and impartially and, where appropriate, take action against those allegedly responsible in accordance with domestic and international law; (c) Provide those who claim to be victims of a human rights or humanitarian law violation with equal and effective access to justice, as described below, irrespective of who may ultimately be the bearer of responsibility for the violation; and (d) Provide effective remedies to victims, including reparation, as described below.“1932

Für „gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law constituting crimes under international law“ setzen die Prinzipien eine Pflicht zur Untersuchung (beim Vorliegen ausreichender Beweise), zur Einleitung eines Strafverfahrens gegen die Beschuldigten sowie, wenn sich der Tatverdacht in einem Strafverfahren bestätigte, zur Bestrafung (Prinzip 4) fest. Prinzip 11 legt als Opferrechte das Recht auf „equal and effective access to justice“, „adequate, effective and prompt reparation for harm suffered“ und „access to relevant information concerning violations and reparation mechanisms“ fest. 1929  McCracken,

Revue internationale de droit pénal 76 (2005), S. 78. S. 79. 1931  Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, UN Dok. A/RES/60/147 (21.  März 2006). 1932  Ebd. 1930  Ebd.,



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts487

Daneben definieren die Prinzipien auch die Begriffe und den Inhalt von „restitution“1933, „compensation“1934, „rehabilitation“1935, „satisfaction“1936 und „guarantees of non-repetition“1937 (Prinzipien 19–23). 1933  Prinzip19: „Restitution should, whenever possible, restore the victim to the original situation before the gross violations of international human rights law or serious violations of international humanitarian law occurred. Restitution includes, as appropriate: restoration of liberty, enjoyment of human rights, identity, family life and citizenship, return to one’s place of residence, restoration of employment and return of property.“ 1934  Prinzip 20: „ Compensation should be provided for any economically assessable damage, as appropriate and proportional to the gravity of the violation and the circumstances of each case, resulting from gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law, such as: (a) Physical or mental harm; (b) Lost opportunities, including employment, education and social benefits; (c) Material damages and loss of earnings, including loss of earning potential; (d) Moral damage; (e) Costs required for legal or expert assistance, medicine and medical services, and psychological and social services.“ 1935  Prinzip 21: „Rehabilitation should include medical and psychological care as well as legal and social services.“ 1936  Prinzip 22: „Satisfaction should include, where applicable, any or all of the following: (a) Effective measures aimed at the cessation of continuing violations; (b) Verification of the facts and full and public disclosure of the truth to the extent that such disclosure does not cause further harm or threaten the safety and interests of the victim, the victim’s relatives, witnesses, or persons who have intervened to assist the victim or prevent the occurrence of further violations; (c) The search for the whereabouts of the disappeared, for the identities of the children abducted, and for the bodies of those killed, and assistance in the recovery, identification and reburial of the bodies in accordance with the expressed or presumed wish of the victims, or the cultural practices of the families and communities; (d) An official declaration or a judicial decision restoring the dignity, the reputation and the rights of the victim and of persons closely connected with the victim; (e) Public apology, including acknowledgement of the facts and acceptance of responsibility; (f) Judicial and administrative sanctions against persons liable for the violations; (g) Commemorations and tributes to the victims; (h) Inclusion of an accurate account of the violations that occurred in international human rights law and international humanitarian law training and in educational material at all levels.“ 1937  Prinzip 23: „Guarantees of non-repetition should include, where applicable, any or all of the following measures, which will also contribute to prevention: (a) Ensuring effective civilian control of military and security forces; (b) Ensuring that all civilian and military proceedings abide by international standards of due process, fairness and impartiality; (c) Strengthening the independence of the judiciary; (d) Protecting persons in the legal, medical and health-care professions, the media and other related professions, and human rights defenders; (e) Providing, on a priority and continued basis, human rights and international humanitarian law education to all sectors of society and training for law enforcement officials as well as military and security forces; (f) Promoting the observance of codes of conduct and ethical norms, in particular international standards, by public servants, including law enforcement, correctional, media, medical, psychological, social service and military personnel, as well as by economic enterprises; (g) Promoting mechanisms for preventing and

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Es kann argumentiert werden, dass die fünf Kategorien der Basic Principles sich mit dem holistischen Ansatz decken, den der UN-Generalsekretär in seinem Bericht Rule of Law and TJ gefordert hat. Darüber hinaus muss jedoch festgestellt werden, dass die Prinzipien zwar weitreichende Pflichten statuieren, dies jedoch lediglich eine Zusammenfassung anderer Soft LawStandards sowie der Rechtsprechung darstellt. Dabei ist nicht klar zu erkennen, was bereits verpflichtend und was lediglich als empfohlen gelten muss, obwohl der Bericht betont, dass keine neuen Verpflichtungen aufgestellt werden, sondern lediglich die bestehende Praxis (und das bestehende Recht) reflektiert werde. Dies ist jedoch in Einzelfragen umstritten.1938 Jedenfalls sehen die Basic Principles keine allgemeine Pflicht zur Strafuntersuchung und -verfolgung für schwere Menschenrechtsverletzungen vor (vgl. dagegen die Orentlicher-Prinzipien) und sind daher als etwas milder einzustufen.1939 c) Arbeit an den Prinzipien zur Straflosigkeit Im August 1991 beauftragte die gleiche Unterkommission einen weiteren Sonderbeauftragten, Louis Joinet, eine Studie zur Frage der Straflosigkeit von Tätern von Menschenrechtsverbrechen zu erstellen. Der vorläufige Bericht wurde 1994 der Sub-Commission on Human Rights vorgestellt.1940 Die Kommission beschloss die Studie in zwei Teile aufzuteilen: Joinet wurde mit der weiteren Erstellung der Studie zu der Frage der Straflosigkeit bezüglich der Verletzung von bürgerlichen und politischen Menschenrechten beauftragt, El Hadji Guisse bezüglich der Verletzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten.1941 Straflosigkeit war auch ein Thema der 1993 UN-Weltmenschenrechtskonferenz. In der Abschlusserklärung und dem Aktionsplan findet sich diese Thematik1942 wie auch die Verpflichtung von Staaten, ernsthafte Anschuldigungen von Verschwindenlassen zu untersuchen und gegebenenfalls die monitoring social conflicts and their resolution; (h) Reviewing and reforming laws contributing to or allowing gross violations of international human rights law and serious violations of international humanitarian law.“ 1938  Vgl. oben. 1939  Vgl. auch Almqvist/Esposito, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 8. 1940  Preliminary report on opposition to the impunity of perpetrators on human rights violations, UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1994/11 and Corr.  1 (22.  Juni 1994). 1941  Bleeker, Politorbis 3 (2010), S. 7. 1942  „(S)tates should abrogate legislation leading to impunity for those responisble for grave violations of human rights such as torture and prosecute such viola­ tions, thereby providing a firm basis for the Rule of Law.“



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts489

Verdächtigen strafrechtlich zu verfolgen. Dieser Teil der Abschlusserklärung und des Abschlussdokuments war kaum umstritten.1943 1997 schloss El Hadji Guissé seinen die WSK-Rechte behandelnden „Final Report on the Question of the Impunity of Perpetrators of Human Rights Violations (economic, social and cultural)“ ab.1944 Neben der Interdependenz mit den bürgerlichen und politischen Rechten legte Guissé die Betonung auf die Schwierigkeiten der Staaten dabei, „Entwicklung“ mit dem Schutz von Menschenrechte zu verbinden.1945 Im Oktober 1997 legte Joinet dann den Komplementärbericht „Question of the Impunity of Perpetrators of Human Rights Violations (civil and political)“ mit geringfügigen Änderungen vor.1946 Die UN-Menschenrechtskommission nahm im gleichen Jahr diese sog. Joinet Principles on combating impunity1947 an. Die Prinzipien waren in drei Komplexe unterteilt: das Recht zu Wissen, das Recht auf Gerechtigkeit und das Recht auf Entschädigung. Joinet führt in seinem Bericht aus, dass die Prinzipien keine rechtlichen Standards im engeren Sinne, sondern vielmehr als Richtlinien anzusehen seien.1948 Außerdem nimmt er zum Argument Stellung, dass die Richtlinien als Hindernisse für nationale Versöhnung gesehen werden könnten: „[T]hese principles are […] intended not to thwart reconciliation but to avoid distortions in policies so that, once beyond the first stage, which is more ‚conciliation‘ than reconciliation, the foundations of a ‚just and lasting reconciliation‘ may be laid. […] Before turning over a new leaf one must have read the old one. But the campaign against impunity is not just a legal and political issue: its ethical dimension is all too often forgotten.“1949

Damit schreibt sich Joinet in das Deutungsmuster „Gerechtigkeit vs. Frieden“ ein. Joinet führt weiterhin aus, dass er hoffe, die Richtlinien sowohl den NGOs als Unterstützung ihrer Kampagnen dienen würden als auch den – wenigen – Staaten, die ernsthafte Anstrengungen unternähmen, Straflosigkeit zu bekämpfen sowie den Parteien in nationalen Dialogen oder 1943  Roht-Arriaza,

in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 45. Realisation of Economic, Social and Cultural rights, Final Report, Question of the Impunity of Perpetrators of Human Rights Violations, (economic, social and cultural), prepared by Mr. El Hadji Guissé, special rapporteur, pursuant to SubCommittee Resolution 1996/24 (UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/8 (27.  Juni 1997). 1945  Bleeker, Politorbis 3 (2010), S. 7. 1946  The Administration of Justice and the Human Rights of Detainees, Question of the impunity of perpetrators of human rights violations (civil and political), Final revised report prepared by Mr. L. Joinet, UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/20/Rev.1 (2. Oktober 1997). 1947  UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/20 (26.  Juni 1997), Annex II. 1948  Ebd., § 49. 1949  Ebd., §  49 f. 1944  The

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Friedensverhandlungen, die sich mit dieser Problematik konfrontiert sähen.1950 Unter dem Recht zu Wissen wurden unter den allgemeinen Prinzipien (Teil A) das unveräußerliche Recht auf Wahrheit, die Pflicht sich zu erinnern, das Recht der Opfer zu wissen und Garantien, die das Recht umsetzen sollten, genannt. Teil B beschäftigte sich mit außergerichtlichen Untersuchungskommissionen und Teil C mit dem Erhalt und dem Zugang zu Archiven. Unter dem Recht auf Gerechtigkeit wurde unter den allgemeinen Teil in einem Prinzip darauf eingegangen, wie vermieden werden könnte, dass Versöhnung oder „Vergebung“ zur Unterstützung von Straflosigkeit herangezogen werden würde und welche Pflichten die Staaten in Bezug auf die Rechtspflege diesbezüglich hätten. In Teil B gehen die Prinzipien auf die Aufteilung der Gerichtsbarkeit zwischen verschiedenen Foren ein (nationale Gerichte, nationale Gerichte anderer Staaten und internationale Gerichte). Teil C beschäftigt sich dann mit Prinzipien restriktiver Maßnahmen, die ergriffen würden, um die Straflosigkeit zu bekämpfen. Das Recht auf Entschädigung behandelt unter dem allgemeinen Teil Rechte und Pflichten, die aus der Verpflichtung zur Entschädigungsleistung entstehen, d. h. Veröffentlichung von Entschädigungsprozeduren und der Inhalte des Rechtes auf Entschädigung. Teil B beschäftigt sich dann mit individuellen Entschädigungsmaßnahmen, Teil C mit allgemeinen oder kollektiven Entschädigungsmaßnahmen und Teil D mit Garantien der Nichtwiederholung. Damit stellte Joinet ein umfassendes Programm vor, wobei er die Prinzipien fest in die Tradition der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Gerichtshofes zur Inkompatibilität von Amnestien, der AMRK sowie der Vienna Declaration and Programme of Action1951 der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz 1993 einordnet.1952 Wichtig ist die Verbindung zwischen den Prinzipien zur Bekämpfung der Straflosigkeit und den Opferrechten, die Joinet gleich zu Beginn seines Berichtes klarstellt: „victims’ right to know; victims’ right to justice; and victims’ right to reparations“ (ebd. § 16). Dabei unterscheidet er die individuelle Dimension von der kollektiven Dimension der Rechte und empfiehlt beim Recht zu Wissen folgende Maß1950  Ebd.,

§ 45. on the World Conference on Human Rights, UN Dok. A/CONF.157/24, Part II (13. Oktober 1993), § 91. 1952  Revised final report prepared by Mr. Joinet, UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/20 (26. Juni 1997), § 5. 1951  Report



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts491

nahmen: außergerichtliche Untersuchungskommissionen und das Erhalten von Archiven. Es ist hier zu bemerken, dass er die Aufgabe von Untersuchungskommissionen unter anderen darin sieht, Beweismittel für spätere Gerichtsverfahren zu sichern (§ 19 f.).1953 Beim Recht auf Gerechtigkeit unterscheidet er das Recht auf „right to a fair and effective remedy“1954 – wobei er die Möglichkeit von internationalen Ad-hoc- oder ständigen Strafgerichtshöfen anspricht – und auch die Einschränkungen dieses Rechtes („prescription“, „amnesty“, „right to asylum“, „extradition“, „trial in absentia“, „due obedience“, „legislation on repetence“, „military courts“ und „principle of the irremovability of judges“). Zu Amnestien führt er aus: „Amnesty cannot be accorded to perpetrators before the victims have obtained justice by means of an effective remedy.“ (§ 32)

Beim Recht auf Entschädigung unterscheidet er ebenfalls eine individuelle und eine kollektive Dimension. Unter der individuellen Dimension erfasst er: „(a)  Restitution (seeking to restore the victim to his previous situation); (b) Compensation (for physical or mental injury, including lost opportunities, physical damage, defamation and legal aid costs); and (c) Rehabilitation (medical care, including psychological and psychiatric treatment)“ (§ 41).

Unter der kollektiven Dimension erfasst er symbolische Maßnahmen. Außerdem führt er noch zu Garantien der Nichtwiederholung aus: „(a)  Disbandment of parastatal armed groups: this is one of the hardest measures to enforce for, if not accompanied by action to reintegrate group members into society, the cure may be worse than the disease; (b) Repeal of all emergency laws, abolition of emergency courts and recognition of the inviolability and non-derogability of habeas corpus; and (c) Removal from office of senior officials implicated in serious violations. These measures are of a preventive, not punitive, character and must be taken by administrative decision, giving the official the opportunity to seek effective remedy.“ (§ 43) 1953  Louis Joinet hatte das Konzept des „right to know“ 1996 in die Diskussion eingeführt (Bleeker, Politorbis 3 (2010), S. 32). 1954  „This implies that any victim can assert his rights and receive a fair and effective remedy, including seeing that his oppressor stands trial and obtaining reparations. There can be no just and lasting reconciliation without an effective response to the need for justice; as a factor in reconciliation, forgiveness, a private act, implies that the victim must know the perpetrator of the violations and that the latter has been able to show repentance. If forgiveness is to be granted, it must first have been sought. The right to justice entails obligations for the State: to investi­ gate violations, to prosecute the perpetrators and, if their guilt is established, to punish them. Although the decision to prosecute is principally one for the State to take, supplementary procedural rules should allow any victim to become a civil party to the proceedings or, if the public authorities fail to do so, to institute proceedings himself.“ (UN Dok. E/CN.4/Sub.2/1997/20 (26.  Juni 1997), § 26 f.)

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Damit spricht er in der kollektiven Dimension DDR-Maßnahmen, die Rehabilitierung der ordentlichen Gerichtsbarkeit und Lustrationsmaßnahmen an. Die sog. „serious crimes under international law“ definiert er in seinem Bericht als „war crimes, crimes against humanity, including genocide, and grave breaches of and crimes against international humanitarian law“.1955 Wichtig in dem hier vorliegenden Zusammenhang sind insbesondere Prinzip 20 über die Pflichten der Staaten hinsichtlich der Justizverwaltung1956 (in dem er auch die Einrichtung eines Ständigen Internationalen Strafgerichtshofes und die Anwendung von nationalem Strafrecht auf extraterritoriale Angelegenheiten empfiehlt), Prinzip 28 über die Einschränkung der Amnestiepraxis1957, Prinzip 33 über die Einschränkungen der Berücksichtigung von Reue1958, das Prinzip 49 über die Umsetzung administrativer 1955  Ebd.,

Annex II. is a failure of States to meet their obligations to investigate violations, take appropriate measures in respect of the perpetrators, particularly in the area of justice, to ensure that they are prosecuted, tried and duly punished, to provide the victims with effective remedies and reparation for the injuries suffered, and to take steps to prevent any recurrence of such violations. Although the decision to prosecute is primarily within the competence of the State, supplementary procedural rules should be set forth to enable any victim to institute proceedings on his or her own behalf where the authorities fail to do so, or to become an associated party. This option shall be extended to non-governmental organizations able to show proof of long-standing activities for the protection of the victims concerned.“ 1957  „When amnesty is intended to establish conditions conducive to a peace agreement or to foster national reconciliation, it shall be kept within the following bounds: (a) The perpetrators of serious crimes under international law and the perpetrators of gross and systematic violations may not be included in the amnesty unless the victims have been unable to avail themselves of an effective remedy and obtain a fair and effective decision; (b) Insofar as it may be interpreted as an admission of guilt, amnesty cannot be imposed on individuals pro­ secuted or sentenced for acts connected with the peaceful exercise of their right to freedom of opinion and expression. When they have done nothing but exercise this legitimate right, as guaranteed by articles 18 to 20 of the Universal Declaration of Human Rights and 18, 19, 21 and 22 of the International Covenant on Civil and Political Rights, the law shall consider any judicial or other decision concerning them to be null and void; their detention shall be ended unconditionally and without delay; (c) Any individual convicted of offences other than those laid down in paragraph (b) of this principle who comes within the scope of the amnesty is free to refuse it and request a retrial if he has been tried without benefit of the right to a fair hearing guaranteed by articles 10 and 11 of the Universal Declaration of Human Rights and articles 9, 14 and 15 of the International Covenant on Civil and Political Rights or if he has been subjected to inhuman or degrading interrogation, especially under torture.“ 1958  „The fact that, once the period of persecution is over, a perpetrator discloses the violations that he or others have committed in order to benefit from the favourable provisions of legislation on repentance cannot exempt him from criminal or 1956  „Impunity



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts493

Maßnahmen1959 und Prinzip 50 über die Natur von Maßnahmen, die gegen Staatsbedienstete ergriffen werden können1960. Um die Prinzipen auf den neusten Stand zu bringen, beauftragte die UNMenschenrechtskommission Professor Orentlicher mit der Anfertigung einer Studie über die Entwicklungen auf diesem Gebiet seit 1997 und die Anpassung der Prinzipien.1961 In ihrer Studie betont sie, dass sich die Situation in Richtung der Bestätigung der Joinet-Prinzipien verändert hätte. So wären mittlerweile Wahrheitskommissionen und Strafverfolgungen als komplementär anzusehen.1962 Sie nimmt ebenfalls Bezug auf die südafrikanische Erfahrung als ein Beispiel, Straflosigkeit zu bekämpfen.1963 Bezüglich des „Rechts zu Wissen“ (Prinzipien 1–17) hält sie fest, dass dieses durch die Rechtsprechung der Menschenrechtsschutzorgane bestätigt other responsibility. The disclosure may only provide grounds for a reduction of sentence in order to encourage revelation of the truth. Disclosures made during the period of persecution may attract a reduction extending as far as absolute discharge in view of the risks the perpetrator ran at the time. In that case, principle 30 notwithstanding, the perpetrator may be granted asylum – not refugee status – in order to facilitate revelation of the truth.“ 1959  „Implementation of administrative measures should be preceded by an inventory of positions of responsibility with important decision-making power and therefore an obligation of loyalty to the process in progress. In the inventory, priority should be given to positions of responsibility in the army, the police and the judiciary. In assessing the situation of each serving official, consideration will be given to: (a) His human-rights record, particularly during the period of repression; (b) Non-involvement in corruption; (c) Professional competence; (d) Skill in promoting the peace and/or democratization process, particularly with regard to the observance of constitutional guarantees and human rights. Decisions shall be made by the head of Government or, under his responsibility, by the minister under whom the official works after the official concerned has been informed of the complaints against him and has been given a due hearing or summonsed for this purpose. The official may appeal to the appropriate administrative court. However, in view of the special circumstances inherent in any transition period, the appeal may be heard by an ad hoc commission with exclusive jurisdiction, provided that it meets the criteria of independence, impartiality and procedure laid down in principles 6, 7 (a), 8 (a) and (b) and 10.“ 1960  „Except where he has been confirmed in his position, the official concerned may be: (a) Suspended pending his confirmation or appointment to another post; (b) Transferred; (c) Demoted; (d) Offered early retirement; (e) Dismissed. In the case of judges, the decision shall be taken in the light of the relevant provisions of principle 35.“ 1961  UN CHR, Resolution UN Dok. E/CN.4/RES/2003//2 (25. April 2003). 1962  Independent Study on Best Practice, including recommendations, to assist States in Strengthening their domestic capacity to combat all aspects of impunity, UN Dok. E/CN.4/2004/88 (27.  Februar 2004), § 10. 1963  Ebd., § 11.

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Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

worden wäre. Sie bezieht sich insbesondere auf die Europäische und InterAmerikanische Rechtsprechung. Dabei bestätigt sie auch die kollektive Dimension und zieht die Verbindung mit Wahrheitskommissionen.1964 Zum „Recht auf Gerechtigkeit“ verweist sie auf die Einrichtung der völkerstrafrechtlichen Tribunale sowie die Rechsprechung des Menschenrechtskomitees und der Europäischen Menschenrechtsorgane.1965 Insbesondere bestätigt sie die Inkompatibilität von Amnestien für schwere Menschenrechtsverbrechen mit dem Völkerrecht.1966 Sie betont die Rolle nationaler Gerichte und des Weltrechtsprinzips.1967 Bezüglich des „Rechtes auf Entschädigung“ verweist sie auf die Bassiouni-Prinzipien und erklärt, dass Prinzip 36 durch die Entwicklungen im Völkerrecht bestätigt worden wäre.1968 Sie verweist hier insbesondere auf breit angelegte Entschädigungsprogramme.1969 Am 18. Februar 2005 stellte Diana Orentlicher ihren Bericht „Updating the Set of Principles to Combat Impunity“ als Unabhängige Expertin vor.1970 Sie zeigt bereits in der Einleitung, dass die „Prinzipien“ seit ihrer Annahme 1997 bereits Staatenpraxis beeinflusst hätten. Dies hätte u. a. zu der Situa­ tion geführt, dass „recent developments in international law and practice, including international jurisprudence and State practice, as well as other considerations specified in Resolution 2004 / 72“

berücksichtigt hätten werden müssen.1971 Die von ihr vorgeschlagenen Prinzipien würden daher: „[T]he updated text largely affirms and preserves the Principles as they were proposed in 1997 (E / CN.4 / Sub.2 / 1997 / 20 / Rev.1, annex II) while clarifying specific aspects of their application in light of recent developments in international law. While most revisions reflect developments in substantive international law, some reflect major institutional developments since the Principles were proposed, 1964  Ebd.,

§§  14 f. §§  24 ff. 1966  Ebd., § 28. 1967  Ebd., §§  52 ff. 1968  Ebd., § 57. 1969  Ebd., §§  58 ff. 1970  Report of the independent expert to update the Set of Principles to combat impunity, Addendum: Updated set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, UN Dok. E/CN.4/2005/102/Add.1 (8. Februar 2005). 1971  Independent Study on Best Practice, including recommendations, to assist States in Strengthening their domestic capacity to combat all aspects of impunity, UN Dok. E/CN.4/2004/88 (27.  Februar 2004), § 1. 1965  Ebd.,



II. Entwicklungen auf der Ebene des Völkergewohnheitsrechts495 such as the emergence of a new breed of court comprising both national and international elements.“1972

Dabei stellte sie aber auch klar, dass es notwendig sei, dass diese Prinzipien nicht rechtliche Standards im engeren Sinn seien, sondern als Richtlinien bzw. Soft Law anzusehen wären.1973 Sie betont auch, dass sie Entwicklungen bestätigt hätten, dass ein holistischer Ansatz in diesem Bereich notwendig sei, wobei es keine „one-size-fits-all“-Formel geben würde.1974 Die Prinzipien wurden v. a. dahingehend abgeändert, dass sie die Definition der zu ahnenden Menschenrechtsverletzungen von „systematic, gross“ zu „massive or systemic“ abändert.1975 Wahrheitskommissionen werden nicht als „alternativ“ zu Strafverfolgungen wahrgenommen, sondern als komplementär.1976 Sie fasst die Entwicklungen in dem von ihr bearbeiteten Zeitraum wie folgt zusammen: „This report, and the Independent Study that preceded it, chronicle remarkable advances in national and international efforts to combat impunity since the Principles were submitted. During that period, seemingly impregnable barriers to prosecution have been dismantled in countries that endured the depredations of dictatorship; States have cooperated to ensure prosecution of officials at the highest levels of Government before international tribunals and national courts; a new breed of courts, combing national and international elements, has entered the lexicon of institutions designed to render justice for atrocious crimes; and Governments and civil society have benefited from an expanding repertoire of tools for combating impunity and from a deepening reservoir of expertise and insight concerning the design and implementation of effective anti-impunity programmes.“1977

Die Orentlicher-Prinzipien sind ein wichtiges Element, um die Entwicklungen auf der Ebene der Staatenpraxis zusammenzufassen. Der Bericht (und die Prinzipien) nehmen aber nicht explizit zu dem Transitionsdilemma Stellung, d. h. inwieweit die völkerrechtlichen Verpflichtungen durch politische Zwänge reduziert werden können. Sie stellen daher eine wichtige Bestandsaufnahme dar, es fehlt aber eine explizite Aussage zu dieser Problematik. Auch sind die Prinzipien lediglich als Soft Law einzuordnen. 1972  Report of the independent expert to update the Set of Principles to combat impunity, Addendum: Updated set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, S. 2. 1973  Bleeker, Politorbis 3 (2010), S. 8. 1974  Report of the independent expert to update the Set of Principles to combat impunity, Addendum: Updated set of principles for the protection and promotion of human rights through action to combat impunity, §§ 6 und 9. 1975  Ebd., § 20. 1976  Ebd., § 22. 1977  Ebd., § 65.

496

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

III. Zusammenfassung und kritischer Ausblick Die vorstehende Analyse der Rechtsprechung erlaubt keinen Rückschluss auf die Entwicklung eines gesonderten Rechtsgebietes TJ im betrachteten Zeitraum: Dazu sind die Entscheidungen zu divers, die Auslegungstendenzen der unterschiedlichen Spruchkörper nicht einheitlich genug und sich teilweise in ihrer Tendenz widersprechend. Die dargestellte Rechtsprechung hat teilweise unterschiedliche, teilweise ähnliche Haltungen der internationalen und regionalen Spruchkörper bezüglich Fragen von TJ ­ gezeigt, d.  ­ h. Zulässigkeit von Amnestiegesetzgebung, Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung und Bestrafung, Lustrationen, Wahrheitskommissionen, Restitutionen und im Allgemeinen die Berücksichtigung der TJ-Argumentationen. Es ließ sich beobachten, dass die internationale Menschenrechtsspruchpraxis sehr zurückhaltend ist, wenn es um andere Fälle als Amnestiegesetzgebung bzw. die Pflicht zur Untersuchung und Leistung von Entschädigung im TJ-Kontext geht. Während Amnestiegesetzgebung im Allgemeinen sowohl vom CCPR als auch vom Inter-Amerikanischen Menschenrechtschutzsystem eine eindeutig abhaltende Haltung erfährt – wobei sich Argumente des Transitionskontextes nur teilweise in der Argumentation wiederfinden (und dabei entweder abgelehnt oder als nicht entscheidend bewertet werden) – nehmen die Spruchkörper insbesondere bei Maßnahmen, in denen es um die Rektifizierung vergangener Enteignungen geht, eine sehr distanzierte Haltung ein, verneinen in der Regel ihre Zuständigkeit rationae temporis oder lassen dem Staat einen weiten Ermessensspielraum. Teilweise scheinen in den Urteilen oder abweichende Sondervoten Bedenken der Richter durch, ob ein Gericht das geeignete Forum sei, um solche Streitigkeiten auszutragen.1978 Dies erstaunt zunächst, wenn man sich mit die Umstände vor Augen hält, die zur „Geburtsstunde“ von TJ im südamerikanischen Kontext geführt haben, in denen die Berufung auf die Inter-Amerikanische Rechtsprechung so bedeutend war: Der Kampf gegen die „Straflosigkeit“ für Menschenrechtsverletzungen rückt Anfang der 1990er – und damit die Frage nach der Verpflichtung zur Strafuntersuchung und -verfolgung sowie der Zulässigkeit von Amnestiegesetzen  − in den Mittelpunkt der Diskussion um internationale Menschenrechte.1979 In zunehmendem Maße war das Argument zu 1978  So wird für den EGMR z. B. festgehalten, dass manche Richter Transitionsfälle von „gewöhnlichen“ Fällen unterscheiden würden und den Staaten dann weniger Ermessen einräumen würden (Allen, Columbia Journal of European Law 13 (2006/07), S. 1). 1979  Edelenbos, Leiden Journal of International Law 7 (1994), S. 6.



III. Zusammenfassung und kritischer Ausblick497

hören, dass Straflosigkeit selbst eine Verletzung von internationalem Recht darstelle.1980 Insbesondere die Inter-Amerikanische Menschenrechtsinstitutionen haben in dieser Anfangsphase eine sehr ambitionierte Rechtsprechung entwickelt – nicht nur bezüglich der Verpflichtung zur Strafverfolgung, sondern auch des Verbotes von Amnestiegesetzen. In der Literatur wurde zu Bedenken gegeben, dass diese Standards nicht ungeändert von den anderen Menschenrechtsschutzorganen übernommen werden sollten, da die Rechtsprechung nicht ohne ihren Kontext – sowohl länder- als auch regionalspezifisch – zu verstehen sei.1981 Es gab insbesondere eine Phase, in der das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem, der einzig zugängliche Rechtsschutz für die Opfer und Opferverbände war. Insbesondere ist hervorzuheben, dass das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem den Vertragsstaaten keinen Ermessensspielraum für diesen Kontext einräumte.1982 In der Literatur wird zu Bedenken gegeben, dass die besonderen Umstände der Amnestiegesetze in den fraglichen Ländern – Peru und Chile – wie folgt waren: die Amnestiegesetze wurden verabschiedet, um die Täter vergangener Menschenrechtsverletzungen vor Strafe zu schützen und mit den Menschenrechtsverletzungen „abzuschließen“. Dies war der primäre Zweck und nicht etwa Restauration oder Versöhnung wie in Südafrika. Die Rechtsprechung der Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzorgane sei vor diesem Hintergrund zu interpretieren und nicht zu verallgemeinern.1983 In der Literatur wurde von einigen Autoren weiterhin vorgebracht, dass es einen unbestreitbaren Widerspruch zwischen der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystemes bezüglich der Amnestiegesetzgebung und der Friedensverhandlungen in Lateinamerika gab, an denen die Vereinten Nationen und die OAS beteiligt waren.1984 So wurde z. B. in Zentralamerika und in Haiti 1994 eine Amnestie für Menschenrechtsverletzungen akzeptiert, um den Frieden wiederherzustellen und Demokratie zu konstruieren. Dies führte andere Autoren dazu festzustellen, die Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystems eher als Soft Law oder als Richtlinien einzuordnen.1985 1980  Van Dyke/Berkley, Denver Journal of International Law and Policy 20 (1992), S.  243 ff.; Goldman, Human Rights International Reporter 12 (1988), S. 9 ff.; Kokon, ZaöRV 47 (1987), S. 506 ff.; Latcham, Boston University International Law Journal 7 (1989), S. 355 ff.; Orentlicher, Yale Law Journal 100 (1991), S. 2537 ff.; RohtArriaza, California Law Review 78 (1990), S. 451 ff.; ICJ, Non à l’impunité, oui à la justice. 1981  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 108. 1982  Ebd., S. 110. 1983  Ebd. 1984  Ebd., S. 107. 1985  Cassel, Law & Contemporary Problems 59 (1996), S. 197 (228 ff.).

498

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

Ab Mitte der 1990er Jahre kann argumentiert werden, dass eine Verpflichtung zur strafrechtlichen Untersuchung, Strafverfolgung und Entschädigungsleistung für eine bestimmte Gruppe von besonders schweren Menschenrechtsverletzungen besteht.1986 Die Unterscheidung zwischen substantiellem Recht und prozessualem Schutz findet sich in ähnlichem Maße, insbesondere auch die fundamentale Rolle des Rechtes auf einen fairen Prozess und des Justizgewährungsanspruch. Dies wird insbesondere in Bezug auf die schwersten aller Menschenrechtsverletzungen (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, willkürliche Hinrichtungen, gewaltsames Verschwindenlassen und Folter) so gesehen.1987 Die Frage der Pflicht zur Bestrafung wird uneinheitlich beantwortet. Hier ist v. a. das Europäische System tonangebend. Die Unterscheidung zwischen Bestrafung als Form einer Generalprävention und die Bestrafung als Form des Rechtsbehelfs für Opfer ist nicht oft einfach zu erkennen.1988 SeibertFohr hat festgestellt, dass der Mangel an Strafverfolgung in der Regel in drei verschiedenen Teilen des Urteils angesprochen wird: in den Ausführungen zur allgemeinen Pflicht, die Menschenrechte zu achten (Duty to respect), in den Ausführungen zum betroffenen materiellen Konventionsrecht, das direkt beeinträchtigt wurde, und in den Ausführungen zum Rechtsschutz.1989 Außerdem wird diese Pflicht unter dem Präventionsaspekt (Art. 1 Abs. 1, Art. 8 und Art. 25) und dem Rechtsbehelfsaspekt gesehen.1990 Einig sind sich die regionalen und internationalen Organe jedoch darin, dass es kein Recht der Opfer auf Strafverfolgung der Täter per se gibt.1991 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es keine einheitliche Antwort auf die Frage nach der Pflicht zur strafrechtlichen Untersuchung, Verfolgung und Bestrafung von Menschenrechtsverletzungen gibt: Am einfachsten sind noch die Verpflichtungen, die sich aus speziellen Menschenrechtsverträgen ergeben.1992 Die Rechtsprechung der internationalen Gremien ist nicht einheitlich, so weicht z. B. der Ansatz des Europäischen Menschenrechtsschutzsystems bezüglich der Verpflichtung zur Strafverfolgung für Verletzungen nichtderogierbare Rechte von dem des Inter-Amerikanischen Systems ab.1993 Die juristische Aufarbeitung des Zusammenbruchs der kommunistischen Regime in Osteuropa und das Ende des Kalten Krieges prägten v. a. die 1986  Roht-Arriaza,

in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 66. S. 67. 1988  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 353. 1989  Ebd., S. 354. 1990  Ebd., S. 106. 1991  Ebd., S. 17. 1992  Roht-Arriaza, in: dies. (Hrsg.), Impunity, S. 66. 1993  Seibert-Fohr, Prosecuting Serious Human Rights Violations, S. 143. 1987  Ebd.,



III. Zusammenfassung und kritischer Ausblick499

Rechtsprechungspraxis des Europäischen Systems und des CCPR. Es überrascht, dass die Lustrationsmaßnahmen und Eigentumsfragen – die so im Fokus der Literatur zu diesem Zeitpunkt standen (vgl. Teil 3, A. II.) − nicht zu einer (mit der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Systems zur Pflicht zur Strafverfolgung bzw. zur Amnestiegesetzgebung vergleichbaren) progressiven und robusten Rechtsprechungspraxis bezüglich Restitutionen und Lustrationsgesetzen führte. Vielmehr herrscht v. a. bezüglich des Europäischen Systems der Eindruck vor, dass es vermieden wurde, diese „politischen“ Fälle substantiell-rechtlich zu behandeln und so v. a. bezüglich der Eigentumsfragen oft die zeitliche Zuständigkeit verneint wurde. Das Europäische System scheint hier im Allgemeinen – im Vergleich zu den globalen Menschenrechtsgremien und dem Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystem  − den Staaten mehr Ermessensspielraum zuzugestehen. Jedenfalls kann festgehalten werden, dass Transitionen kein etabliertes Deutungsmuster in der dargestellten Rechtsprechung bilden. Argumente der Staaten, die die „Exzeptionalität“ und die „widerstreitenden“ Ziele anführen, werden zwar diskutiert, in der Regel jedoch nicht als prioritär angesehen. Allerdings scheint teilweise ein gewisses Problembewusstsein – v. a. in den abweichende Sondervoten – einiger Richter durch. Abgesehen von den Fällen, in denen es um Amnestiegesetzgebung ging und in denen die Spruchkörper teilweise explizit die Argumentation der Staaten, die sich auf den besonderen Kontext der Transition stützten, abwiesen, scheint die Transition in den Urteilen zwar präsent zu sein, diese jedoch höchstens indirekt  – und nicht systematisch  − beeinflusst zu haben, insbesondere im Rahmen der Erörterung des Ermessensspielraums. Es lässt sich jedoch festhalten, dass der Transitionskontext bislang kein ausdrückliches Deutungsmuster in der internationalen Menschenrechtsrechtsprechung in dieser Phase ist. Vielmehr stammen zwar viele Fallgestaltungen aus einem Transitionskontext, aber die Richter setzen sich nicht explizit mit diesem Kontext als Deutungshintergrund auseinander. Die Schlussfolgerungen, die aus den obengenannten Fällen herrühren, sollten daher nicht als TJ-Rechtsprechung verallgemeinert werden. Sie sind nicht Ausdruck eines kohärenten bewussten Deutungsschemas oder Problembewusstseins. Insbesondere die Verneinung oder Bejahung der zeitlichen Zuständigkeit und der Ermessensspielraum spielten bei Restitutionsfälle und der Bewertung der Frage eine Rolle, ob eine Frage der öffentlichen Angelegenheit gegeben sei und ob Abhilfe geschafft werden müsse.1994 Wenn eine gesetzgeberische Entscheidung getroffen wurde, die dem Allgemeininteresse diente, dann bedeutete die Existenz alternativer Maßnahmen nicht die Unrecht1994  Reid,

S. 292.

A Practitioner’s guide to the European Convention on Human Rights,

500

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

mäßigkeit der getroffenen Maßnahme.1995 Allerdings wird vor einem zu weiten Ermessensspielraum, der sich v. a. in der Rechtsprechungspraxis des EGMR herauskristallisiert hat, in der Literatur gewarnt: Hierdurch könnten die Derogationsklauseln ausgehebelt werden.1996 Argumente der Regierung, wenn ausdrücklich zur Rechtfertigung einer Menschenrechtsbeschränkung vorgebracht, werden tendenziell nicht von den Rechtsprechungsorgane akzeptiert werden, sondern es wird entweder dagegen argumentiert (v. a. seitens der Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystem) bzw. es findet sich ein Hinweis auf die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Umstände der Transitionen bei der Bestimmung des Ermessensspielraums. Die dargestellte Rechtsprechung lässt den Schluss zu, dass sich die Rechtsprechungsorgane dem Exzeptionalitätsargument von TJ entweder bewusst verweigern (v. a. Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem) bzw. versuchen, dieses Transitionskontext in das bestehende Konventionssystem zu integrieren ohne dabei die bestehenden hohen Standards senken zu wollen (v. a. Europäisches Menschenrechtsschutzsystem). Dabei ist die Rolle der regionalen Gerichtshöfe in der nationalen Transitionspolitik nicht zu unterschätzen. Die Rechtsprechung des EGMR half z. B. dem Gerichtswesen in Kroatien, sich selbst wieder neu aufzubauen und in dem Transitionskontext zu positionieren.1997 Insbesondere das humanitäre Völkerrecht hat klare Bestimmungen zur strafrechtlichen Bestrafung von Verletzungen fundamentaler humanitärer Normen aufgestellt. Bezüglich des Völkerstrafrechts war zu Beginn des hier betrachteten Zeitraum nicht klar, ob es sich bei „Nürnberg“ um eine einmalige juristische Begebenheit gehandelt habe oder um den Beginn einer Entwicklung, der lediglich aufgrund politischer Umstände blockiert wurde. Die Ereignisse, die der Einrichtung der Ad-hoc-Strafgerichtshöfe vorausgingen, erfuhren dann aufgrund einer intensiven Berichterstattung ein breites Echo in der europäischen und nordamerikanischen Öffentlichkeit. Das Ende des Kalten Krieges hatte auch das stillschweigende Akzeptieren schwerer Menschenrechtsverletzungen moralisch weniger akzeptierbar gemacht.1998 Die Ad-hoc-Strafgerichtshöfe konnten in ihrer Rechtsprechung zu einzelnen TJ-Instrumenten Stellung nehmen, so z. B. Amnestien. Mit ihrer Rechtsprechung beeinflussten sie insbesondere die Entwicklung des humanitären 1995  Vgl. EGMR, Mellacher gegen Österreich, Beschwerde-Nr. 33091/96, Urteil vom 23. März 1999, § 53. 1996  Sweeney, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 121. 1997  Ebd., S. 94. 1998  Hagan, Justice in the Balkans: Prosecuting War Crimes in the Hague Tribunal (2003), S. 29.



III. Zusammenfassung und kritischer Ausblick501

Völkerrechts und des Völkerstrafrechts. Als schließlich der IStGH eingesetzt wurde, fand damit eine lange Entwicklung seinen vorläufigen Höhepunkt. Manche in der Literatur haben zu bedenken gegeben, dass dies für TJ eine Dominanz des (völker-)strafrechtlichen Ansatzes bedeute. Das Rom-Statut sei als Ausdruck dieses Willens der Staatsgemeinschaft zu sehen. „In our view, the body of international and transnational law that is emerging and which is now meant to govern the role of courts in times of transitions and their aftermaths is driven by a desire to give full recognition in international law to what is present throughout the book as a canon of criminal law. […] The canon, as we understand it, really changes the axis of the discussion of how we should deal with grave crime in transitional justice.“1999

Dafür spricht, dass der völkerstrafrechtliche Diskurs innerhalb des TJDiskurses an Bedeutung in den letzten Jahren gewonnen hat und den menschenrechtlichen Diskurs zurückgedrängt hat (vgl. auch Teil 3, A.). Dagegen spricht jedoch, dass der disziplinäre völkerstrafrechtliche Diskurs vom TJDiskurs relativ unabhängig geführt wird und, dass das TJ-Deutungsmuster nicht als solches Gegenstand der Vertragsverhandlungen war, obwohl hier mehrere TJ-Instrumente diskutiert wurden. Völkergewohnheitsrechtliche Verpflichtungen zur (straf-)rechtlichen Untersuchung von Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen, deren Verfolgung und Bestrafung lassen sich nicht eindeutig feststellen, allerdings wurden wichtige Soft Law-Kompendien in diesem Bereich entwickelt, die solche Verpflichtungen sowie Opferrechte festschreiben, und auf die in der täglichen Beratungspraxis von Staaten in Transitionen regelmäßig verwiesen wird.2000 In diesem Sinne wird in der Literatur so die Beobachtung angestellt: „The international legal framework that is emerging indicates that, from the standpoint of justice and the law, there is nothing extraordinary or exceptional about such periods that would legitimize the derogration of law altogether or the adoption of a version of justice that has been heavily watered down. In an important sense, it represents an internationalized reaction to the fact that the law and thus a role for the courts have often been swept aside in moments of political upheaval, crisis and stability in favour of political judgments based on prudential grounds. Insisting on a role for the law and the courts is an attempt to limit the space for political will and strategic calculation and rests on a belief that the question of how to respond to grave crime is a matter of criminal justice, essentially legal in nature, which prompts the investigation, prosecution and sanctioning 1999  Almqvist/Esposito, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 1. 2000  „[S]tandard reference in the field when advising transitional governments and judiciaries what to do (and not to do) when responding to such violations.“ (Ebd., S. 2.)

502

Teil 3: Entwicklung von Transitional Justice – C. Normative Ebene

by impartial and independent courts. The strengthening of the penal canon in international law has implied a change in the spirit of the international discussions devoted to transitional justice. More specifically, it has entailed a move away from a considerable preoccupation with the question as to whether judges and courts are actually bound to administrate justice in periods of transition or posttransitional contexts to a new set of unprecedented questions related to effective judicial action.“2001

Vor diesem Hintergrund ist die zu Anfang als dem TJ-Diskurs als zentral identifizierte These der Exzeptionalität  − zumindest in ihrer funktionalen und konzeptionellen Spielart  − schwer zu rechtfertigen. Die kursorische Rechtsprechungsanalyse hat vielmehr ergeben, dass sich Gerichte damit schwer tun, einen Transitionskontext als exzeptionell hinsichtlich der Staatenverpflichtungen einzuordnen.

2001  Ebd.,

S. 9.

Teil 4

Schlussbetrachtung Der nachfolgende Abschnitt ist in zwei Abschnitte unterteilt. Der erste Teil fasst – vor dem Hintergrund der in der Einleitung formulierten Fragen und der in Teil 1 erstellten Thesen − das Untersuchungsergebnis zusammen. Teil 2 versucht eine eigene kritische Einordnung dieser Entwicklung vorzunehmen und die zukünftige Entwicklung des TJ-Forschungsbereiches in seinen Grundzügen zu skizzieren.

I. Ergebnis der Untersuchung Die vorgehende Untersuchung sollte die Frage beantworten, um was es sich genau bei TJ handelt: ein Forschungsgebiet, ein Praxisfeld, ein möglicherweise sich in Entwicklung befindliches Rechtsgebiet? In der Einleitung sind die Thesen Bells eingeführt wurden, die vorbringen, dass es sich bei TJ nicht um ein kohärentes Foschungsgebiet handeln würde, sondern vielmehr um ein „Etikett“, das Kompromisse mit normativen, moralischen und politischen Implikationen rationalisieren würde; TJ nur dann als kohärentes Feld dargestellt werden könnte, wenn Praxis und interdisziplinäre juristische Analyse zusammenkommen würden; sowie nicht-juristische Disziplinen versuchen würden, mit dem Ruf nach Interdisziplinarität, das Feld von dem Anspruch der Rechtswissenschaften zu dekolonialisieren. Vorstehend wurde gezeigt, dass es sich bei TJ jedenfalls um ein Forschungsgebiet handelt, in dem verschiedene disziplinäre Ansätze vorhanden sind, dass eine Wissenschaftsgemeinschaft existiert und es sich auch um ein Praxisfeld handelt, dessen Grenzen jedoch sehr verschwommen sind. Dieses Praxisfeld ist in der aktuellen internationalen Entwicklungszusammenarbeit und in Friedenseinsätzen der Vereinten Nationen und anderer regionaler Organisationen von herausragender Bedeutung. Die Rolle von (anglophonen) Rechtswissenschaftlern in beiden Feldern ist hervorzuheben. Hinsichtlich der Frage aber, inwieweit TJ ein sich in Entwicklung befindliches Rechtsgebiet darstellt, bleibt die Antwort vorsichtig: TJ ist jedenfalls nicht eindeutig als Deutungsmuster in der Rechtsprechung der internationalen und regionalen Menschenrechtsschutzsysteme nachzuweisen, obwohl diese durchaus Sachverhalte mit Transitionskontext vorliegen hatten. Da es

504

Teil 4: Schlussbetrachtung

auch noch keine spezifischen Vertragswerke zu TJ gibt und die Soft LawKompendien von van Boven / Bassiouni und Joinet / Orentlicher das TJDeutungsmuster gerade nicht als solches erkennen lassen, ist das Vorhandensein eines selbständigen Rechtsgebietes zum heutigen Zeitpunkt zu verneinen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass es keine normativen Vorgaben für Transitionskontexte gibt, die es zu beachten gilt. 1. Dimension: Forschungsgebiet Bei TJ handelt es sich eindeutig um ein Forschungsgebiet, dessen Fragestellung sich von dem anderer Forschungsgebiete ab 1989 / 90 unterscheidet und bis 1994 konsolidierte. Im Herzen dieses Forschungsfeldes steht die sog. Exzeptionalitätsthese (konzeptionelle, funktionale oder faktische Exzeptionalität). Es besteht eine Epistemic Community, die sich aus Wissenschaftlern und Praktikern verschiedener Disziplinen zusammensetzt, wobei den Rechtswissenschaften eine wichtige Rolle zukommt.1 Dabei hat sich die Liste, der anhand des Citation Index ermittelten zehn wichtigsten Publikationen und Wissenschaftler nur teilweise bestätigt.2 Zu den einflussreichsten Wissenschaftlern / Praktikern in der Anfangsphase zählen eindeutig aufgrund der vorliegenden Untersuchung: Diane Orentlicher, Ruti Teitel, Juán Méndez, Naomi Roht-Arriaza, Alice Henkin, Jaime Malamud-Goti, Priscilla Hayner, Aryeh Neier, Neil Kritz und José Zalaquett. Später kamen hier auch Wissenschaftler / Praktiker wie Christine Bell, Colm Campbell, Fionnuala Ní Aoláin, Brandon Hamber und Louise Mallinder hinzu, die mit dem TJ-Institut der Universität von Ulster, Irland, assoziiert sind oder waren. Daneben wurde auch die Bedeutung der Forschungstätigkeit des ICTJ hervorgehoben: insbesondere zu Fragen von Entschädigungen und Wahrheitskommissionen. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Priscilla Hayner und Pablo de Greiff zu nennen. Dabei ist der Einfluss von nordamerikanischen, südafrikanischen und irischen Wissenschaftlern besonders deutlich: Die Mehrzahl der Wissenschaftler arbeiten, forschen und lehren in den Vereinigten Staaten oder Nordirland. Alma Mater oder Arbeitsgeber sind dabei insbesondere Yale, 1  So auch: Krüger, in: Schwelling (Hrsg.), Reconciliation, Civil Society, and the Politics of Memory, S. 339 ff.; Scheuzger, in: Molden/Mayer (Hrsg.), Vielstimmige Vergangenheiten, S.  215 ff.; Krüger, Transitional Justice, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Website. 2  Vgl. Teil  2, III. 1.: Orentlicher, Teitel, King, Danner/Martinez, Posner/Vermeule, Sikkink/Walling, Elster, Lee, Osiel und Boed.



I. Ergebnis der Untersuchung505

Harvard, Columbia bzw. die Universität in Ulster. Ebenfalls auffällig ist, dass Wissenschaftler sehr häufig entweder als Berater für eine Nichtregierungsorganisation oder die Vereinten Nationen tätig waren. Die führende Fachzeitschrift wird ebenfalls von englischsprachigen Instituten (einer USamerikanischen Universität sowie einem südafrikanischen Institut) verantwortet. Englisch ist damit die lingua franca des TJ-Diskurses. Auffallend ist, dass Völkerstrafrechtler zwar zu TJ-Fragestellungen Stellung nehmen, trotzdem aber „außen“ vor bleiben. Auch wenn der völkerstrafrechtliche Diskurs an Bedeutung innerhalb des TJ-Diskurses zugenommen hat, ist das Völkerstrafrecht als eigenständiger Diskurs unabhängig vom TJ-Diskurs zu betrachten – zwar mit Querverbindungen, aber im Grundsatz zum TJ-Diskurs eigenständig. Diese Grenzen sind weniger eindeutig für das Gebiet der Menschenrechte. Hier muss konstatiert werden, dass der TJ-Diskurs sehr dominant für einige Themengebieten, wie z. B. die Frage der „Bekämpfung der Straflosigkeit“, ist. Der TJ-Diskurs hat daher nachhaltig die Wissenschaftsgemeinschaft des Gebietes der Menschenrechte verändert. Man könnte sie als Sub-Wissenschaftsgemeinschaft innerhalb der Menschenrechtswissenschaftsgemeinschaft betrachten, die sich allerdings auch über deren disziplinäre Grenzen hinaus ausdehnt. Die vorliegende Untersuchung hat ebenfalls eine starke Verschränkung von Wissenschaft und Praxis festgestellt – viele der einflussreichen Wissenschaftler waren entweder selbst in der Entwicklung nationaler Transitionspolitiken beteiligt oder arbeiteten für Akteure, die Staaten in ihren Transi­ tionen begleiten, wie z. B. dem ICTJ und den Vereinten Nationen. Dies unterstreicht die Verschränkung zwischen Wissenschaft und Praxis bereits im Forschungsbereich, die wiederum die Formulierung der Forschungsfragestellungen erheblich beeinflusst. Dies kann einerseits positiv bewertet werden, ist hiermit v. a. die Praxisrelevanz der Forschungsfragen sichergestellt, andererseits kann dies auch dazu führen, dass die Forschung lediglich reaktiv versucht, Beispiele aus der Praxis aufzuarbeiten und nicht die notwendige kritische Distanz aufweist.3 War die Dominanz der Völkerrechtler und Juristen zu Beginn der Entwicklung noch dominierend, so wurde der Austausch mit den Jahren in zunehmendem Maße durch die Beiträge anderer Disziplinen „überlagert“. Zwar hat die juristische Präsenz mit der Zunahme der Beiträge anderer Disziplinen abgenommen, allerdings ist der juristische Arm dieses Feldes immer noch sehr stark ‒ sowohl in der Forschung als auch in der Praxis.4 3  Ähnlich: 4  Méndez,

Krüger, Transitional Justice, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Website. IJTJ 3 (2009), S. 160.

506

Teil 4: Schlussbetrachtung

Einige bezeichnen den juristischen Einfluss als einen von zwei Hauptmerkmalen des Diskurses.5 Hier muss hinzugefügt werden, dass es sich um die Dominanz v. a. angloamerikanischer Rechtswissenschaftler bzw. von Rechtswissenschaftlern handelt, die in den Vereinigten Staaten forschen und lehren. Aufgrund dieser Dominanz angloamerikanischer Völkerrechtswissenschaft ist damit das Verständnis des Völkerrechts, das die Beiträge voraussetzen, notwendigerweise im Grundsatz ein angloamerikanisches. Dies kann einerseits die Verbindung völkerrechtlicher mit politikwissenschaftlichen Ansätzen als auch ein bestimmtes Verständnis des Verhältnisses von Politik und Recht erklären: So hat sich insbesondere Yale mit einem interdisziplinären Ansatz des Völkerrechts einen Namen gemacht, der um den Juristen McDougal und den Politikwissenschaftler Laswell entstanden ist (New Haven School). Nach dieser Theorie werden v. a. die Prozesse, durch die juristische Entscheidungen und rechtliche Politiken zustande kommen, und die Kontextabhängigkeit bereits getroffener Entscheidungen betont.6 Auch der Ansatz von Slaughter (Politikwissenschaftlerin), Tulumello und Wood (beides Rechtswissenschaftler) ist hier zu nennen, der die primäre Aufgabe eines Völkerrechtswissenschaftlers darin sieht, internationale Politikprobleme zu erkennen und Lösungen für diese zu formulieren.7 Dies räumt dem Recht eine geradezu „politikservile“8 Rolle ein. Es lässt sich festhalten, dass die Völkerrechtswissenschaft v. a. in den Vereinigten Staaten eng mit der Theorie der internationalen Beziehungen verbunden ist9 – enger als z. B. ihre kontinentaleuropäische Schwester.10 Krüger, Transitional Justice, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Website. frühe New Haven School lehnte sich eng an den politikwissenschaft­lichen Realismus und damit an einen „latenten hobbesianischen Kriegszustand der internationalen Beziehungen“ an (Hanschmann, in: Buckel u. a. (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, S. 383) an. Sie war auch eng mit dem Rechtsrealismus verbunden. Der Ansatz erkennt an, dass Recht in einem spezifischen sozio-politischen Kontext geschaffen, verändert, eingehalten und verletzt wird (Sriram, International Affairs 82 (2006), S. 472). Gegenstand dieser Schule ist die Analyse der Bedeutung und Rolle von Recht in vielfältigen transnationalen Interaktionsforen, sowie seiner Interpretation, Anwendung, Genese und Internalisierung in diesen Foren (Hanschmann, in: Buckel u. a. (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, S. 383). Dabei geht es im Kern darum, eine soziale Wahl durch das Recht zu bewirken, die die Ordnung der internationalen Gemeinschaft aufrecht erhält und gleichzeitig die beste Annäherung an die gesellschaftlichen Ziele sicherstellt (Reisman, in: Reisman/Arsanyani/Wiessner/ Westerman (Hrsg.), International Law in Contemporary Perspective, S. 2). 7  Slaughter/Tulumello/Wood, AJIL 92 (1998), S. 367 ff. 8  Fischer-Lescano/Teubner, Regime-Kollisionen, S. 20. 9  Sriram, International Affairs 82 (2006), S. 467. 10  Die Annäherung beider Disziplinen lässt sich insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre beobachten. Zu einer Annäherung der beiden Disziplinen hatte z. B. Slaughter Burley aufgerufen (AJIL 87 (1993), S. 205). 5  Z. B. 6  Die



I. Ergebnis der Untersuchung507

Es ist daher wahrscheinlich, dass bereits in der Ausbildung und Lehre dieser Völkerrechtler eine gewisse Öffnung für Erkenntnisse und Methodik der sozialwissenschaftlichen Nachbarwissenschaften sowie ein gewisses Verständnis der Rolle von Recht hinsichtlich der Politik prägend war. Selbst wenn daher die Ausflüge der Rechtswissenschaftler auf – aus der kontinentaleuropäischen Sicht – disziplinfremde Gebiete zunächst befremdlich erscheint, so muss dies nicht notwendigerweise von den angloamerikanischen Völkerrechtlern als Interdisziplinarität zu Beginn beabsichtigt gewesen sein. Dieser Hintergrund sollte dann auch die Einordnung der vielzitierten Interdisziplinarität des TJ-Diskurses informieren: Es lässt sich eine Vielzahl von Disziplinen feststellen, die zum TJ-Diskurs beitragen, so v.  a. die Rechtswissenschaften, die Politikwissenschaften, die Anthropologie, die Theologie, die Psychologie, Conflict Studies und die Soziologie. Innerhalb des TJ-Diskurses kann daher zunächst einmal eine Multidisziplinarität festgestellt werden. Daneben wurden darüber hinaus aber auch Fragestellungen und Ansätze innerhalb des TJ-Diskurses festgestellt, die über die Disziplinarität der Rechtswissenschaften – aus kontinentaleuropäischer Sicht – hinausgehen. Ob dies in der Komplexität des Gegenstandes begründet ist, wie oftmals in der Literatur vermutet, oder vielmehr darin, dass ein dominanter Diskursstrang eben just von angloamerikanischen Juristen ausging, die sich möglicherweise einer gewissen Interdisziplinarität per se verschrieben haben, ist nicht klar festzustellen. Jedenfalls könnte die vielbeschworene Interdisziplinarität darin begründet sein, dass die angloamerikanische Völkerrechtswissenschaft so stark im TJ-Diskurs vertreten ist. Damit kann zumindest der zweiten und dritten These von Bell entgegengehalten werden, dass der Ruf nach Interdisziplinarität nicht notwendigerweise von anderen Disziplinen ausgeht, sondern möglicherweise von Völkerrechtlern selbst herrührt, da v. a. in der amerikanischen Völkerrechtslehre in den letzten beiden Jahrzehnten eine Zunahme interdisziplinärer Fragestellungen zu verzeichnen ist. Mittlerweile haben sich auch zu den Rufen nach „Interdisziplinarität“ des Feldes selbst vereinzelte Rufe nach einer „Transdisziplinarität“ aus dem Forschungsgebiet selbst gesellt.11 Eine andere Erklärungsmöglichkeit für die Interdisziplinarität des Forschungsfeldes könnte in der Bedeutung des menschenrechtlichen Diskurses für den TJ-Diskurs begründet liegen. Menschenrechte als wissenschaftlicher Gegenstand eignen sich für die Bearbeitung aus der Perspektive verschiedener Wissenschaften und so auch für interdisziplinäre Analysen.12 11  Pouligny u. a., in: dies. u. a. (Hrsg.), After mass crime: Rebuilding states and communities, S.  2 f. 12  Vgl. Freeman, Human Rights: An Interdisciplinary Approach, S. viii f.

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Teil 4: Schlussbetrachtung

Der TJ-Forschung zuzugestehen ist, dass der Forschungsgegenstand sich aufgrund seiner Komplexität nicht von einer Disziplin erschöpfend bearbeiten lässt. Allerdings kann auch eine multidisziplinäre Forschung die Erkenntnisse anderer Disziplinen berücksichtigen. Insbesondere gilt zu beachten, dass der Ruf nach Interdisziplinarität und einem „holistischen“ Ansatz v. a. aus der Praxis zu hören ist.13 Wie oben festgestellt wurde, hat sich TJ mittlerweile zu einer „Beratungsindustrie“ entwickelt, wobei sich hinter diesem Ruf also auch das Interesse an einer bestimmten Forschungsaufstellung verbergen kann. Diese Kombination aus disziplinären Fragestellungen mag auch die zunächst verhaltene Rezeption des TJ-Diskurses durch die rechtswissenschaftliche Lehre und Forschung in Deutschland14, der deutschsprachigen Schweiz und Österreich erklären. Es gibt nur an einer geringen Zahl von juristischen Fakultäten Vorlesungen bzw. Lehrveranstaltungen zu diesem Thema. Die Forschungs- und Lehrgemeinschaft der Wissenschaftler, die dieses Konzept aufgenommen haben, bleibt überschaubar.15 Wenn das TJ-Diskursmuster in deutschsprachigen rechtswissenschaftlichen Publikationen repräsentiert ist, dann handelt es sich hauptsächlich um die Rezeption in der völkerstrafrechtlichen Literatur. Die menschenrechtliche Dimension ist bisher kaum behandelt.16 Zusätzlich sind einige rechtswissenschaftliche Promotionsvorhaben (laufend bzw. abgeschlossen) im Bereich TJ dokumentiert: So an der 13  Vgl. van Zyl, in: Bryden/Hänggi (Hrsg.), Security Governance in Post-Conflict Peacebuilding, S. 209 ff. 14  Nachfolgend wird nur die Rezeption in den Rechtswissenschaften behandelt. Interdisziplinäre Projekte werden erwähnt, aber nicht diskutiert. 15  Vgl. z. B. das mehrjährige Forschungsprojekt „Strafrecht in Reaktion auf System­ unrecht“ (1996 bis 2010) am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, das im Forschungsprofil TJ nicht ausdrücklich nannte, sich aber dennoch mit der Fragestellung beschäftigt. Ebenfalls mit dem strafrechtlichen Ansatz im Umgang mit den Ungerechtigkeiten des ostdeutschen Regimes beschäftigte sich das Projekt „Criminal Justice and the East German Past“ von Klaus Marxen und Gerhard Werle (Humboldt-Universität zu Berlin, 1996 bis 2009). Während sich die erste Phase aus juristischer, geschichtswissenschaftlicher und vergleichender rechtswissenschaftlicher Perspektive mit den deutschen Strafverfolgungen zur Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte auseinandersetzte, ordnete die zweite Phase diesen Ansatz in den historischen und den internationalen Kontext ein. Des Weiteren ist die HumboldtUniversität zu Berlin und v. a. der Lehrstuhl für deutsches und internationales Strafrecht, Strafprozessrecht und juristische Zeitgeschichte von Prof. Dr. Werle zu nennen: Im Rahmen des LL.M. Programmes „Transnational Criminal Justice and Crime Prevention ‒ An International and African Perspective“, einem Master-Programm in Zusammenarbeit mit der University of the Western Cape werden Module über Interna­ tionale Strafjustiz, die Aufarbeitung von Systemunrecht, Bekämpfung organisierter Kriminalität und Geldwäsche sowie Korruptionsbekämpfung unterrichtet. 16  Vgl. z.  B. die Beiträge von Seibert-Fohr, z. B. in: Wolfrum (Hrsg.), Max Planck Encyclopedia of Public International Law, Vol. 9, S. 1042–1049.



I. Ergebnis der Untersuchung509

Humboldt-Universität zu Berlin17, und der Universität Jena18 und Potsdam19. Die Rezeption des Konzeptes TJ im Wissenschaftsbetrieb in Österreich ist gegenüber Deutschland noch zurückhaltender.20 Die Rezeption in der deutschsprachigen Schweiz ist am Weitesten fortgeschritten: Hier ist TJ schon vereinzelt ein fester Bestandteil der Lehre geworden.21 Diese zurückhaltende Rezeption des TJ-Diskursmusters im deutschsprachigen Rechtswissenschaftsbetrieb trotz der anfänglichen Neugier (v. a. ab 1996 mit zwei großen Forschungsprojekten) verwundert, werden doch in Deutschland zwei Phasen von der Fragestellung des TJ erfasst. Hiergegen wird jedoch für den gesamten Wissenschaftsbetrieb festgehalten, dass sich der Begriff TJ nun auch in Deutschland zunehmend als Oberbegriff für Maßnahmen der Vergangenheitsaufarbeitung durchsetzt.22 Daneben ist TJ aber in anderen Disziplinen in Deutschland gut rezipiert.23 2. Dimension: Praxisfeld TJ stellt ein sehr dynamisches und bedeutendes Praxisfeld dar: Mittlerweile sind es nicht nur Menschenrechts-NGOs, die nach dem Ende eines 17  Scaramuzza, Die Internationalisierung des Nationalen – nationale Selbstdefinition unter den Bedingungen der Übergangsverwaltung durch die Vereinten Nationen: United Nations Transitional Administration in East Timor (UNTAET, 1999– 2002) (Arbeitstitel). 18  Schulz, Transitional Justice und hybride Gerichte zur strafrechtlichen Verfolgung von völkerstrafrechtlichen Verbrechen unter besonderer Berücksichtigung des kambodschanischen Sondergerichts (Extraordinary Chambers). 19  Layús, The role of transitional justice in the midst of ongoing armed conflicts: the case of Colombia. 20  Vgl. z. B. Universität Wien, Ringvorlesung Sommersemester 2011 Gerechtigkeit nach Krieg und Diktatur; Kuretsidis-Haider/Garscha (Hrsg.), Gerechtigkeit nach Diktatur und Krieg. 21  An der Universität Basel wurde im Herbstsemester 2009 das Seminar „Narrative, Power and Gender: contemporary theories and practice“ abgehalten, in dem TJ behandelt wurde, im Frühjahr 2009 die Vorlesung über Verhandlungstechnik und alternative Streiterledigung ebenfalls mit einem Schwerpunkt auf TJ. Die Universität Fribourg bot im Herbstsemester 2008 in der Vorlesung Internationales Strafrecht/ Internationale Strafgerichtsbarkeit eine TJ-Veranstaltung an. Und an der Universität Zürich forschte Frank Haldemann zu „Transitional Justice – A Human Rights Perspective“. 22  Vgl. Buckley-Zistel/Oettler, in: Buckley-Zistel/Kater (Hrsg.), Nach Krieg, Gewalt und Repression: vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit, S. 25; Krüger, Transitional Justice, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Website. 23  V.  a. Politikwissenschaften und Friedensforschung, vgl. z. B. Buckley-Zistel/ Oettler, in: Buckley-Zistel/Kater (Hrsg.), Nach Krieg, Gewalt und Repression: vom schwierigen Umgang mit der Vergangenheit, S. 25.

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Teil 4: Schlussbetrachtung

repressiven Regimes die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen fordern, sondern vielmehr internationale Regierungsorganisationen wie die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft. Diese Erwartungshaltung an politische Transitionsprozesse auf internationaler Ebene sowie den daraus resultierenden Aktivitäten sind eindeutiger Hinweis auf ein konsolidiertes Praxisfeld. Wichtige Impulse für die Entwicklung kamen insbesondere von Menschenrechtsaktivisten wie Carlos Nino und Jaime Malamud-Goti (Berater des ehemaligen argentinischen Präsidenten Alfonsín), Aryeh Neier und Juan Méndez (Mitbegründer von Helsinki Watch bzw. Americas Watch, dem späteren Human Rights Watch), sowie José Zalaquett (Mitglied der chilenischen Wahrheitskommission) und Alex Boraine (Mitglied der südafrikanischen Wahrheitskommission und Gründungsmitglied des International Center of Transitional Justice). Diese waren nicht nur durch die Entwicklung von TJ-Instrumenten, TJ-Organisationen und -Netzwerken und als Politikberater tätig, sondern trugen auch mit Publikationen und Konferenzbeiträgen zur Entstehung und Ausbreitung des TJ-Deutungsmusters bei.24 Die Praxis, insbesondere hinsichtlich der Wahrheitskommissionen wird mittlerweile als „burgeoning industry“25 bzw. als Berater„armee“26 bezeichnet, die sich durch eine eigene Dynamik auszeichnet. 3. Dimension: Ein sich in Entwicklung befindliches Rechtsgebiet? Während die Antwort hinsichtlich der ersten beiden Aspekte (Forschungsfeld und Praxisfeld) affirmativ ist  − gerade auch unter rechtswissenschaftlicher Perspektive  − so sind die Ergebnisse hinsichtlich des dritten Aspektes (eigenständiges Rechtsgebiet) negativ. Es gibt bis dato noch keinen internationalen völkerrechtlichen Vertrag, der Normen enthält, die für einen Transitionskontext gesondert gelten sollen. Auch Völkergewohnheitsrecht in diesem Bereich konnte nicht festgestellt werden. Es bleibt daher grundsätzlich bei den anwendbaren Normen zu „normalen bzw. stabilen“ Zeiten. Die Untersuchung konnte nicht nachweisen, dass das TJ-Deutungsmuster bisher eindeutig Einfluss in der Rechtsprechungspraxis hatte. Es lässt sich insbesondere auch keine eindeutige „Transitionsrechtsprechung“ identifizieren. Dies wird insbesondere deutlich, wenn man die nationale mit internaKrüger, Transitional Justice, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Website. Social & Legal Studies 15 (2006), S. 258; Ash, Transit 22 (2001/2002),

24  Ähnlich: 25  Moon,

S. 32. 26  Vgl. Bell, International Journal of TJ 3 (2009), S. 6.



I. Ergebnis der Untersuchung511

tionaler und regionaler Rechtsprechung vergleicht. Allerdings konnten durchaus Aussagen zu dem Inhalt der anwendbaren Staatenverpflichtungen im Transitionskontext gemacht werden. In der Untersuchung fiel zunächst auf, dass sowohl nationale als auch regionale und internationale Menschenrechtsspruchorgane die TJ-Thematik in den ihnen vorgelegten Sachverhalten – mit mehr oder weniger expliziter Berufung auf die TJ-Problematik, um eine Abmilderung der normativen Standards zu erlangen – behandeln hätten können. Die einzige Fallgestaltung, in der die Nichtanwendbarkeit der normativen Standards (sei es humanitär- oder menschen-, später auch völkerstrafrechtlich) aber behauptet wurde, waren solche in denen eine nationale Amnestie vorlag. Es lässt sich damit festhalten, dass es – außer für den Fall der Amnestie – nicht um eine Ablehnung der Anwendbarkeit von normativen Standards für den „Normalfall“ geht, sondern vielmehr um die Änderung des Schutzbereichs (was bedeutet die staatliche Pflicht zur „Untersuchung“ und „Bestrafung“ im Transitionskontext im Vergleich zum „Normalfall“?) bzw. eine Berücksichtigung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit (sei es als Berücksichtigung des legitimen Zieles der „Befriedung“ und „Stabilität einer Gesellschaft“, sei es als Einräumung eines breiteren Ermessens des nationalen Gesetzgebers). Die Antwort, die internationale, regionale und nationale Gerichte auf ähnliche Sachverhaltskonstellationen gaben, unterschieden sich teilweise erheblich: Es lässt sich beobachten, dass nationale Gerichte mutiger und klarere Entscheidungen bezüglich der Kerndiskussionen in einem TJ-Kontext treffen (vgl. z. B. Entscheidungen der südamerikanischen Obersten Gerichtshöfe und des südafrikanischen und ungarischen Verfassungsgerichts). Ob sich daraus jedoch die Schlussfolgerung ziehen lässt, dass internationale und regionale Menschenrechtsorgane – mit der Ausnahme des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystems – zurückhaltender sind, ist nicht zwingend. Gleichermaßen könnte man argumentieren, dass entweder das TJ-Deutungsmuster in der internationalen und regionalen Rechtsprechung nicht vorhanden ist bzw. implizit abgelehnt wird. Die Schlussfolgerung, die die obige Untersuchung zulässt, kann dahingehend formuliert werden, dass die TJ-Problematik jedenfalls nicht in den Urteilen in den Begrifflichkeit des TJ-Diskurses gefasst ist. Der TJ-Diskurs ist in der Rechtsprechung der internationalen und regionalen Menschenrechtsschutzorgane kaum repräsentiert. Teilweise finden sich, z. B. in der Inter-Amerikanischen und der Europäi­ schen Rechtsprechung, Beispiele für Sondermeinungen von Richtern, die belegen, dass zumindest einige wenige Richter sich der Problematik der „Transition“ – aber nicht unter dem Begriff der TJ – bewusst sind.

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Teil 4: Schlussbetrachtung

Hierin kann zunächst eine klare Trennung und Distanz zwischen Praxis und Rechtsprechung gesehen werden. Was in der Praxis als dominantes TJDiskursmuster und v. a. in der Wissenschaft als eigenständiges Forschungsgebiet anerkannt ist, findet keine Rezeption in der Rechtsprechung. Dies kann an einer fehlenden Kommunikation zwischen den Epistemic Communities liegen oder daran, dass die Richter davon überzeugt sind, dass der TJ-Diskurs bzw. die Praxis keine dogmatisch-normative Bedeutung hat. Für letzteres Argument sprechen v. a. die klaren Absagen des Inter-Amerikanischen Menschenrechtschutzsystems an die Argumente der Regierungen, die explizit das TJ-Diskursmuster einbrachten (Exzeptionalität der Situation, Notwendigkeit der Reduzierung der menschenrechtlichen Verpflichtungen etc.). Dass die Inter-Amerikanische Haltung jedoch als gesondert – und nicht verallgemeinerungsfähig – gesehen werden muss, wurde oben bereits dargestellt. Hierfür spricht auch die vergleichsweise mildere Haltung des EGMR, dessen Enteignungsrechtsprechung im Ergebnis an eine „political question“-Doktrin des US-amerikanischen Verfassungsgerichts erinnern kann, d. h. der Verneinung der Zuständigkeit für TJ-Konstellationen in letzter Konsequenz.27 Es lässt sich daher lediglich festhalten, dass das TJ-Deutungsmuster (noch) nicht in den in dieser Arbeit behandelten Urteilen zu finden ist, obwohl sich die Menschenrechtsschutzorgane mit etlichen Transitionsfällen beschäftigt haben. Eine Erklärung hierfür – fehlende Kenntnis des TJ-Diskurses, Ablehnung des TJ-Deutungsmusters oder etwa sogar Annahme des TJ-Deutungsmusters und Neigung zur Ablehnung einer gerichtlichen Kontrolle – lässt sich nicht eindeutig und allgemeingültig aus der obigen Untersuchung ableiten. Auch lässt sich nicht festhalten, dass die Tendenz der internationalen und regionalen Menschenrechtsschutzorgane dahingeht, das TJ-Argumentationsmuster abzulehnen: Dies kann allenfalls für das Inter-Amerikanische Menschenrechtsschutzsystem argumentiert werden, die restlichen Organe sind in ihrer Rechtsprechung entweder vorsichtig, nehmen keine Stellung oder sind widersprüchlich. Allerdings muss hier ein Caveat angebracht werden: Die umfassende und vollständige Untersuchung der Rechtsprechung der Men27  Z. B.: „Finding it natural that the margin of appreciation available to the legislature in implementing social and economic policies should be a wide one, the Court has on many occasions declared that it will respect the legislature’s judgment as to what is in the ‚public‘ or ‚general‘ interest unless that judgment is manifestly without reasonable foundation. These principles apply equally, if not a fortiori, to the measures adopted in the course of the fundamental reform of the country’s political, legal and economic system in the transition from a totalitarian regime to a democratic State.“ (EGMR, Hutten-Czapska gegen Polen, Beschwerde-Nr. 35014/97 (GK), Urteil vom 19. Juni 2006, § 166.)



II. Kritische Einordnung und Ausblick auf die Zukunft513

schenrechtsschutzorgane hinsichtlich der Berücksichtigung des TJ-Deutungsmusters steht noch aus. Bisher ist dieser Punkt in den wenigen rechtswissenschaftlichen Abhandlungen, die sich gezielt mit der „Transitions“Rechtsprechung beschäftigen, noch nicht berücksichtigt worden. So wird z. B. die Entschädigungsrechtsprechung des EGMR daraufhin untersucht, welche Tendenz für Sachverhalte auszumachen ist, die sich mit der „Wiedergutmachung“ kommunistischer Enteignungen beschäftigt, allerdings ist die Forschungsfrage, inwiefern diese Urteile das TJ-Deutungsmuster anerkennen bzw. behandeln, nicht angesprochen. Eine diskursanalytische Untersuchung der Urteile steht daher noch aus. Während der Einfluss des TJ-Deutungsmusters in der Rechtsprechung nicht nachgewiesen werden konnte, so hat die vorliegende Untersuchung festgestellt, dass sich hingegen die TJ-Literatur häufig auf Rechtsprechung bzw. abstrakt auf den völkerrechtlichen Stand der Verpflichtungen der Staaten bezieht. Es finden sich häufig normative Elemente („(un)recht(mäßig)“ oder „(un)recht“) im Diskurs. Eine grundsätzliche Orientierung an der Rechtsprechung lässt sich daher durchaus feststellen. Allerdings bleiben Verweise allgemein und die Frage, wie sich das TJ-Deutungsmuster dogmatisch auswirkt, findet sich kaum.

II. Kritische Einordnung und Ausblick auf die Zukunft Die TJ-Fragestellung wird sich auch weiterhin Beliebtheit erfreuen, allein schon da sie sich mittlerweile in der Praxis gut etabliert hat. Auch in der Wissenschaft wird die Entwicklung in den verschiedenen Disziplinen wahrscheinlich eher in die konzeptionelle Tiefe gehen sowie sich auf empirische Analysen der TJ-Politiken und Untersuchung der Grundannahmen von Ursache-Wirkung-Gefügen von TJ-Instrumenten durch empirische Analysen konzentrieren. Die Sozialwissenschaften werden dabei eine wichtige Rolle spielen, auch die Geschichtswissenschaften und die Sozialpsychologie.28 Welche Rolle das TJ-Forschungsfeld jedoch in den (Völker-)Rechtswissenschaften spielen wird, bleibt abzuwarten. In der angloamerikanischen Völkerrechtswissenschaft ist der Begriff bereits fest verankert und die Institutionalisierung (mit eigener Spezialisierung in Master-Programmen, Vor28  Vgl. für die Geschichtswissenschaften z.  B. Krüger, Transitional Justice, in: Docupedia-Zeitgeschichte, Website: „Die zeitgeschichtliche Forschung kann dabei im Rahmen der Globalgeschichte und Transnationalen Geschichte über unterschiedliche Wege zur kritischen Historisierung dieser Phänomene beitragen. Gerade im Hinblick auf die Historisierung von Transitional Justice selbst können durch die Einbettung in eine Geschichte der Menschenrechte – insbesondere unter Berücksichtigung der Entwicklung von Menschenrechtsinstanzen und -organisationen in Lateinamerika – wichtige Forschungsbeiträge geleistet werden.“

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Teil 4: Schlussbetrachtung

lesungen, Forschungsnetzwerken und Publikations- und Vorlesungsreihen) deutet auch darauf hin, dass sich hieran in naher Zukunft nicht viel ändern wird, obwohl das Feld nach seinem beinahe kometenhaften Aufschwung nach 20 Jahren einen Dämpfer erhalten hat und kritische Stimmen beginnen, das Feld und dessen Konzepte und Grundannahmen in Frage zu stellen. Diese Kritik trifft auf fruchtbaren Boden: So überrascht es, dass TJ trotz der bedeutenden Praxisrelevanz immer noch theoretisch unzureichend begründet ist. Völkerrechtlich betrachtet ist die Einbeziehung des Zeitaspektes (Postkonflikt bzw. Transition) als Begründung für die Abweichung von den allgemeinen Regeln zumindest vor dem Hintergrund, dass das Völkerrecht traditionellerweise nur an das Entstehen und den Untergang eines Völkerrechtssubjektes Rechtswirkungen für völkerrechtliche Pflichten knüpft, zumindest begründungsbedürftig. Auch geht die vorliegende Untersuchung davon aus, dass es in Zukunft kein gesondertes Normregime für TJ geben wird und sich die „Transition“ als normativ beachtliche Kategorie nicht verfestigen wird. Dies liegt einerseits darin begründet, dass die Definition der „Transition“ – und damit der zeitliche Anfangs- und Endpunkt – zu ungenau und nicht handhabbar ist, um die Anwendbarkeit eines unterschiedlichen Regimes zu begründen. Andererseits aber auch darin, dass es teleologisch nicht überzeugend scheint, verminderte Menschenrechtsstandards für den Transitionskontext zu fordern: So würde dies z. B. bedeuten, dass in „normalen Zeiten“– d. h. ggf. unter einem repressiven Regime – eine Person das Recht auf den Schutz ihres Lebens zusteht. Wird dieses verletzt, sieht das Völkerrecht es als Verpflichtung des Staates an, den Einzelfall zügig, umfassend und neutral zu untersuchen, die Verdächtigen strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen und auch zu bestrafen, obwohl das repressive Regime möglicherweise selbst vielleicht in die Menschenrechtsverletzung verwickelt sein könnte. Würde dieser Sachverhalt vor ein internationales oder regionales Menschenrechtsschutzsystem gelangen, so würde im Falle der Nichtbeachtung dieser Verpflichtungen eine Verletzung der Konvention oder des Paktes festgestellt werden und dem Opfer Entschädigung zugesprochen werden. Es ist schwer vorstellbar, dass Argumente des Regimes, die Strafverfolgung sei aufgrund von „politischer Stabilität“ nicht möglich, von Menschenrechtsschutzorganen so akzeptiert werden würden. Würde man aber „Transition“ als einen Sonderfall gelten lassen und würde der Fall nach einem Regimewechsel von „Diktatur“ auf „Demokratie“ vor dieselben Organe kommen, so hätten sich die Familienangehörigen möglicherweise mit einer Amnestierung des Täters zufrieden zu geben, da ihre Opferrechte im Sinne des „Friedens“ und der „Stabilität“ eingeschränkt wurden, obwohl es sich nun sogar um ein menschenrechtsfreundliches Regime handelt? Während im ersten Fall, die Chancen der Umsetzung des Urteilsspruchs äußerst gering sind, kann doch im



II. Kritische Einordnung und Ausblick auf die Zukunft515

zweiten eigentlich geradezu davon ausgegangen werden, dass den Opferrechten Folge getragen wird. Ist Ziel ein effektiver Menschenrechtsschutz, dann muss gerade in Situationen, in denen eine Achtung und Wahrung der Menschenrechte möglich ist, auch auf strikte Einhaltung gepocht werden. Der TJ-Diskurs ähnelt einer Wiederholung der mittlerweile als „klassisch“ geltenden Einwände gegen die Geltungskraft der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte (mangelnde Bestimmtheit oder Abhängigkeit von nicht ausreichend verfügbaren Ressourcen). So werden diese – wie auch allgemein Menschenrechte in Transitionssituationen – eher als politische Programmsätze angesehen29, mit der Folge, dass „[…] nicht nur dem Einzelnen die Möglichkeit verwehrt [wird], sich auf diese Rechte zu berufen, sondern auch Regierungen und Parlamente […] sich in keiner Weise verpflichtet [fühlen …].“30

Darüber hinaus wird hier die grundsätzliche Eignung des TJ-Deutungsmuster als Begründung für eine unterschiedliche Behandlung von Sachverhalten hinterfragt: Das TJ-Deutungsmuster selbst kann als Inversion der üblichen juristischen Herangehensweise betrachtet werden. Während in der Regel ein Sachverhalt vor dem Hintergrund gültiger und verbindlicher Normen ausgelegt wird und die Frage gestellt wird, welche (rechtliche) Konsequenz sich hieraus ergibt, wird bei der Annahme einer funktionalen oder konzeptionellen Exzeptionalität von TJ vor dem Hintergrund des Sachverhalts und der möglichen (faktischen) Konsequenzen der Wahl bestimmter TJ-Instrumente über die Geltung und den Inhalt von Normen entschieden, die ausgehend von dieser Entscheidung dann angewendet werden sollen. Des Weiteren ergibt sich schon aus dem in der UN-Charta festgelegten Prinzip der souveränen Gleichheit aller Staaten (Art. 2 Ziff. 1), dass eine unterschiedliche Behandlung von Staaten nach ihrer inneren Verfassung (d. h. auch der unter TJ diskutierten Kategorie der Staaten, die sich in einem Übergang von „Diktatur“ zu „Demokratie“ befinden) nicht als Grundlage für ein vermindertes Maß an völkerrechtlicher Bindung von völkerrecht­ lichen Verpflichtungen, die dieser Staat eingegangen ist, gelten kann.31 Hinzu kommt die Beleuchtung des TJ-Diskurses vor dem Grundsatz der Universalität der Menschenrechte. Die Anerkennung von bestimmten Transitionspolitiken in einem Kontext kann potentiell die Universalität von 29  Vgl. Paech, Die sozialen, ökonomischen und kulturellen Menschenrechte im Rechtssystem der internationalen Wirtschafts- und Handelsordnung, S. 18. 30  Ebd. 31  Vgl. zur Bedeutung dieses Grundsatzes bspw. Nolte, in: Beisheim/Folke Schuppert (Hrsg.), Staatszerfall und Governance, 2008, S. 174–193.

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Menschenrechten in Frage stellen.32 Während eine Gruppe von Opfern schwerster Menschenrechtsverletzungen in einem nationalen Kontext sieht, wie die Täter sich strafrechtlich verantworten müssen, muss sich eine vergleichbare Gruppe in einem anderen nationalen Kontext mit einer Aussage der Täter vor einer Wahrheitskommission und anschließender Amnestierung begnügen – jeweils mit dem Verweis auf eine politische Entscheidung und die Behauptung, dass dies im Einklang mit ihren völkerrechtlich abgesicherten Individualrechten stehe. Auch kann der völkerrechtliche Minderheitenschutz betroffen sein, wenn die Gruppe aus Angehörigen einer ethnischen oder religiösen Minderheit zusammengesetzt ist und die politische Entscheidung durch eine Regierung der ethnischen oder religiösen Mehrheit getroffen wurde, ohne die Minderheit ausreichend zu konsultieren. Dies sind nur einige wenige Kritikpunkte, die gegen TJ als Deutungsmuster vorgebracht werden können. Bislang scheint die Mehrheit die Annahme der TJ-Wissenschaftler der ersten Stunde, die von der konzeptionellen Exzeptionalität ausgingen, stillschweigend zu akzeptieren. Aber mit Méndez ist erneut die Frage zu stellen, ob das TJ-Deutungsmuster nicht vielleicht ausgedient hat: Die Welt – und ihre Transitionen und damit verbunden Probleme – haben sich seit den Demokratisierungen im Südamerika der 1980er Jahre verändert: Menschenrechte sind mittlerweile von politischen Forderungen zu einklagbaren Rechten avanciert, die notfalls in regionalen und internationalen Foren eingefordert werden können. Die internationale Staatengemeinschaft hat auf verschiedene Gräueltaten der 1990er und 2000er Jahre mit der Einrichtung von hybriden bzw. internationalisierten Gerichtshöfen bzw. dem internationalen Strafgerichthof reagiert. Die internationale Expertise – sei es in Form von Politikberatung durch Organisationen wie ICTJ oder technische Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen wie den UN – ist für so unterschiedliche Sachverhalte wie z. B. die Frage und Ausgestaltung einer Amnestiegesetzgebung in Afghanistan, Timor-Leste und der Elfenbeinküste, die Umsetzung von Opferrechten in Bosnien-Herzegowina, die Wiedergutmachung in Timor-Leste und Kolumbien und die Wahrheitssuche in Kenia und der Demokratische Republik Kongo schnell abrufbar. Um eine solche Hinterfragung des TJ-Deutungsmusters zu erreichen, wird eine weitere rechtswissenschaftliche Beschäftigung mit der TJ-Hauptfrage (insbesondere vor dem Hintergrund neuer empirischer Erkenntnisse), ob es sich bei Gerechtigkeit im Transitionskontext um eine andere „Art“ von Gerechtigkeit oder lediglich um die Bezeichnung von Kompromissen normativer, politischer und moralischer Natur handele, für notwendig erachtet. 32  Sweeney, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 128; vgl. auch ders., The European Court of Human Rights in the Post Cold War Era.



II. Kritische Einordnung und Ausblick auf die Zukunft517

Ein weiterer Punkt, der in dieser Hinsicht zu untersuchen sein könnte, ist die Frage nach der Bedeutung des sog. „Scilingo“-Effekt für das TJ-Deutungsmuster: In Argentinien und Chile wurden mittlerweile die Amnestiegesetze aufgehoben und die Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand eines Gerichtsverfahrens gegen die Täter nach Jahrzehnten der Straflosigkeit. Auch wenn es sich damals um eine sorgfältig abgewogene Strafverfolgungspolitik handelte, so scheint diese nun jedoch von der Realität der nicht verstummenden Opferforderungen eingeholt worden zu sein. Selbst in Spanien und seinem grundsätzlichen Schnitt mit der Vergangenheit sind solche Bemühungen zur Aufarbeitung der Vergangenheit in letzter Zeit zu beobachten. Es scheint sich zu bewahrheiten, dass, selbst wenn Gerechtigkeit nicht sofort nach dem Ende des bewaffneten Konfliktes bzw. dem Regimewechsel hergestellt wird, es lediglich darum geht, den rechten Zeitpunkt zu wählen: „Justice has to find it’s moment, it’s kairos.“33 Auch das das Verhältnis zur Politik im Transitionskontext („Justice does not lead; it follows“?)34 ist vor dem Hintergrund der neuen Realität zu diskutieren. Der Verweis auf „Interdisziplinarität“ kann nicht bedeuten, dass nicht auch aus einer disziplinären Perspektive Stellung genommen wird. Nur wenn klare völkerrechtliche Positionen für die Auswirkung von Transitionen auf menschenrechtlicher Verpflichtungen entwickelt werden, können auch Folgefragen (ob disziplinär oder interdisziplinär) beantwortet werden. Im Endeffekt wird sich, so die Vermutung der vorliegenden Arbeit, die rechtswissenschaftliche Diskussion auf zwei Ebenen konzentrieren: die Zuständigkeit der Menschenrechtsschutzorgane sowie die Verhältnismäßigkeitsebene. Bezüglich der ersten Thematik gibt es zwei Aspekte: zunächst einmal die Frage des Anknüpfungspunktes für eine Menschenrechtsverletzung, wenn erst das neue Regime den fraglichen Menschenrechtsvertrag ratifiziert hat bzw. dieser erst nach Regimewechsel in Kraft trat. Hierzu haben die internationalen und regionalen Menschenrechtschutzorgane unterschiedliche Anknüpfungspunkte entwickelt. Daneben wird auch die Verhältnismäßigkeitsprüfung in den Mittelpunkt rücken. Mit der Frage nach dem rechtmäßigen Ziel einer Maßnahme kann das durch die Rechtsprechung des EGMR aufgezeigte Spannungsfeld zwischen Stabilität und Rule of Law und Wiedergutmachung vergangener Menschenrechtsverletzungen diskutiert werden. Hier hat sich die Haltung des EGMR als eher auf die Zukunft orientiert (im Vergleich z. B. mit der Rechtsprechung des Inter-Amerikanischen Menschenrechtsschutzsystems) herausgestellt. Die weiteren Stufen der Prüfung („notwendig“ und „verhältnismä33  Gross,

Stanford Journal of International Law 40 (2004), S. 73. International Security 28 (2003/04), S. 6.

34  Snyder/Vinjamuri,

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Teil 4: Schlussbetrachtung

ßig im engeren Sinn“) lassen dann weiteren Raum, um dem jeweiligen Transitionskontext gerecht zu werden.35 Hinsichtlich des Ermessenspielraums des Staates – der in der Rechtsprechung des EGMR fest verankert ist, jedoch weniger in der des HRC und der Afrikanischen Kommission und beinahe nicht in der des Inter-Amerikanischen Gerichtshofes36 − ließen sich dann auch die nationalen Sicherheitsinteressen (wie z. B. die berechtigte Angst vor Putschversuchen durch die ehemaligen Machtinhaber) berücksichtigen.37 Allerdings müsste dann das Vorliegen dieser Situation durch das jeweilige Spruchorgan kritisch geprüft werden können. Eine Parallele zur Ausnahmezustand-Rechtsprechung des EGMR drängt sich hier auf. Auch das Verhältnis vom Transitionskontext und seiner behaupteten Exzeptionalität zu einem Fall der in Menschenrechtsverträgen geregelten Exzeptionalität, dem „öffentlichen Notstand“, und der Frage nach dem Mehrwert der Anerkennung einer Transitionskategorie neben dieser sind weiterhin zu untersuchen, da selbst bezüglich des Notstandes einige Richter die Frage stellen, wie weit die Überprüfungsmöglichkeiten eines internationalen oder regionalen Gerichtshofes diesbezüglich gehen können.38 Hinsichtlich des Verhältnisses des Völkerstrafrechts zu TJ bzw. dem Recht der Menschenrechte stellt sich darüber hinaus auch folgende Frage: Sind die Menschenrechtsschutzorgane als Gegenstück oder Komplementär zu den Institutionen des internationalen Völkerstrafrechts zu sehen? Kann Individualschuld nur für schwerste Verletzungen der Menschenrechte und internationale Verbrechen festgestellt werden und für die restlichen Menschenrechtsverletzungen bleibt es bei der „Kollektivschuld“? Es scheint auch eine Tendenz beobachtbar zu sein, in der das Völkerstrafrecht – und 35  Vgl. auch Hamilton/Buyse, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 291. 36  Vgl. hierzu Sweeney, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 130. Der Inter-Amerikanische Gerichtshof scheint sich insbesondere im Transitionskontext gegen einen Ermessenspielraum des Staates auszusprechen (vgl. auch Hamilton/Buyse, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 298). 37  So auch Hamilton/Buyse: „The margin of appreciation does not automatically become wider once a country finds itself in a situation of transition, but the specific transitional context of the case at hand may influence the extent of the margin.“ (Hamilton/Buyse, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 293.) 38  Sondervotum von Richter Bonello, EGMR, Sejdic und Finci gegen BosnienHerzegowina (Beschwerde-Nr. 27996/06 und 34836/06), Urteil vom 22.  Dezember 2009: „In traumatic revolutionary events, it is not for the Court to establish, by a process of divination, when the transitional period is over, or when a state of ­national emergency is past and everything is now business as usual.“ (Brown, in: Buyse/Hamilton (Hrsg.), Transitional Jurisprudence and the ECHR, S. 54.)



II. Kritische Einordnung und Ausblick auf die Zukunft519

dessen Institutionen – die Rolle des „Richters“ in TJ übernehmen, d. h. den menschenrechtlichen Strang verdrängen. Dies ist einerseits verständlich, da durch die Tribunale Rechtsdurchsetzungsmechanismen geschaffen wurden, die in der menschenrechtlichen Völkerrechtslandschaft v. a. in Postkonfliktsituationen ihres Gleichen suchen. Allerdings sollte nicht vergessen werden, dass durch das Völkerstrafrecht nur ein Teil der fraglichen Menschenrechtsverletzungen – und insbesondere mit einem Schwerpunkt auf politischbürgerlicher Rechte – angesprochen werden.39 Schlussendlich muss auch gefragt werden, inwieweit eine solche rechtliche „Positionsbestimmung“ überhaupt Auswirkungen auf die Praxis haben kann: TJ ist mittlerweile zu einem festen Programmpunkt auf der Agenda der internationalen Staatengemeinschaft für Transitionen avanciert. Das „Ob“ einer Vergangenheitspolitik wurde durch die Frage nach dem „Wie“ abgelöst. Dies haben v. a. die TJ-Instrumente gezeigt, die im Zusammenhang mit dem „Arabischen Frühling“ diskutiert wurden: In Libyen riefen die Vereinten Nationen dazu auf, eine TJ-Strategie auszuarbeiten40, in Ägypten wurde an einem TJ-Gesetzesentwurf gearbeitet41 und Tunesien rang noch 2013, nachdem es verschiedene Instrumente ausprobiert hat, um den richtigen Ansatz.42 Eins haben diese Transitionen jedoch gemeinsam – die Debatten und Diskussionen finden unter dem Schlagwort „TJ“ statt und werden oft von der internationalen Gemeinschaft unter diesem Begriff in den Ländern lanciert. Auch wenn eine weitere rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung möglicherweise geringe Auswirkungen in der Praxis haben wird und auch wenn dem TJ-Deutungsmuster hier keine bedeutende Rolle in der zukünftigen Entwicklung des Völkerrechtes vorausgesagt wird, bleibt die Möglichkeit bestehen, dass ohne eine dogmatisch und rechtstheoretisch tiefgehende Auseinandersetzung das Deutungsmuster zunehmend die Spruchpraxis von Menschenrechtsorganen prägen wird und sich der Einfluss der „Pragmatiker“ und damit der Verteidiger des Primates der Politik ausdehnt. Der Stein ist vor 20 Jahren ins Rollen gebracht worden; Praxis und interdisziplinäre Forschung haben einen gewissen status quo geschaffen, den es nun kritisch zu hinterfragen gilt. Wie schon Luhmann gesagt hat: 39  Vgl. auch Cançado Trindade, in: Almqvist/Esposito (Hrsg.), The Role of Courts in Transitional Justice, S. 29. 40  UNSMIL, TJ ‒ Foundation for a new Libya, Website. 41  Eygpt Independent, Draft transitional justice bill would give committees farreaching powers (19. Januar 2013); vgl. insgesamt zum ägyptischen TJ-Ansatz: Abou-El-Fadl, IJTJ 2012, S. 380 ff. 42  Vgl. AllAfrica, Tunisie-Afrique du Sud: Coordination en matière de justice transitionelle (6. März 2013): diskutierte die Einrichtung einer Versöhnungs- und Wahrheitskommission und die Verabschiedung eines TJ-Gesetzes.

520

Teil 4: Schlussbetrachtung

„Nie kann der Sündenfall der Ausdifferenzierung selbst zurückgenommen werden. Man kehrt nicht mehr ins Paradies zurück.“43

Aber er kann durch eine tiefgehende rechtsdogmatische Auseinandersetzung relativiert werden.

43  Luhmann,

Die Wirtschaft der Gesellschaft, S. 344.

Annex Annex I Allgemeine Publikationshäufigkeit  

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LN: LexisNexis WL: Westlaw TJ: „Transitional Justice“

522 Annex Annex II Transitional Justice und einzelne TJ-Maßnahmen LN: WL: LN: WL: LN: WL: LN: WL: LN: WL: TJ & TJ & TJ & TJ & TJ & TJ & TJ & TJ & TJ & TJ & R R L L TC TC A A P P 1994

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LN: LexisNexis WL: Westlaw TJ: „Transitional Justice“ P: „Prosecutions“ A: „Amnesties“ TC: „Truth Commissions“ L: „Lustration“ R: „Reparations“



Annex III: Transitional Justice und relevante Praxisbereiche523 Annex III Transitional Justice und relevante Praxisbereiche  

LN: WL: WL: LN: LN: WL: LN: WL: LN: WL: HR & HR & IHum IHum PB & PB & ICrimL ICrimL VR & VR & TJ TJ & TJ & TJ T TJ L& L& TJ TJ TJ TJ

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LN: LexisNexis WL: Westlaw TJ: „Transitional Justice“ HR: „Human Rights“ IHumL: „International Humanitarian Law“ PB: „Peacebuilding“ ICrimL: „International Criminal Law“ VR: „Victims’ Rights“

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Personen- und Sachverzeichnis Accountability  55, 89, 94, 96, 104, 110, 140, 188, 192, 217, 232, 288, 298, 303, 318, 346, 357, 369, 373, 376, 378 ff., 391, 420, 481 Acuña Inostroza u. a. gegen Chile (CCPR)  399, 411 Adapt  214, 256 Afghanistan  132 f., 303, 310, 378, 387, 516 African Transitional Justice Research Network (ATJRN)  299 Afrikanische Charta der Menschen- und Völkerrechte  467 Afrikanische Menschenrechtskommis­ sion (AfrKomMR)  138, 466 f. Afrikanische Union (AU)  138, 375 Agenda for Peace  135, 331 ff. Akteure  26, 30, 32 ff., 36, 39 f., 47, 49 f., 68, 106, 111, 115 f., 123 ff., 132 ff., 137 f., 140 f., 148, 215, 256, 300, 320, 351, 356 f., 361, 370, 392, 419, 505 Alfonsín, Raúl  168 ff., 184, 220, 510 Alicia Consuelo Herrera u. a. gegen Argentinien (IACHR)  426 ff. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte  242 Almonacid-Arellano gegen Chile (IACtHR)  443 ff. Americas Watch  182, 319, 510 Amnestie  46, 57, 59, 65 f., 74, 76, 114, 116, 134, 138, 143, 145, 149, 151 f., 164, 168 f., 173, 178 f., 196 f., 213, 223 f., 228 ff., 231, 243 ff., 249 ff., 254, 263, 259, 265, 267, 271 f., 276, 279, 288, 301, 303, 306, 311, 317, 333 ff., 347, 349, 352, 355 f., 359, 376 f., 380, 387, 390 ff., 400, 403 ff., 410, 415 f., 417, 421 f., 425 ff., 438 ff., 444, 447,

452 f., 454, 469 ff., 474 f., 478, 481, 483, 490, 494, 497, 500, 511, 514 –– Amnesty for peace  229 –– Blankett… 166, 185, 232, 334, 359 –– …gesetz  67, 143, 145, 152 f., 157, 159, 161 f., 164 f., 171, 173, 175 f., 192, 196 ff., 228 f., 231, 243, 246, 260, 262, 281, 298, 306, 342, 356, 390 ff., 398 f., 402 ff., 405 ff., 409 ff., 415 f., 417, 419, 421 f., 424 ff., 435, 438 ff., 442 ff., 452, 465, 467, 478, 480, 483, 496 ff., 516 f. –– …klausel  53, 134, 243 f. –– konditionale … 243, 247 amnesty international  132, 160, 266, 344 Andrieu, Kora  56, 107 Angola  330 ff., 338, 359 Ansatz  25, 28, 32 ff., 39, 41, 43 ff., 55 ff., 67 f., 73 ff., 77 f., 83, 85, 88 ff., 104 f., 107 ff., 115, 117, 122 f., 126, 133 f., 136, 138 f., 158, 168 f., 171, 177, 179, 192, 203, 206, 211, 213 ff., 222 f., 226 ff., 231, 234, 243, 249, 255, 259, 263 f., 268 f., 274, 277, 281 ff., 285, 288 f., 294 ff., 300, 302 f., 306, 310 f., 315, 319, 321, 332, 335, 341, 345, 347, 349 f., 356, 360, 362 ff., 366, 370 f., 372, 375, 377, 383 ff., 391, 393, 415, 443, 462, 464 ff., 474 f., 488, 495, 498, 501, 503, 506 ff., 519 –– anthropologischer … 102, 288, 295 –– ethischer … 223, 231 –– Gender … 294, 303, 375 –– genealogischer … 43 –– holistischer … 34, 495 –– humanitärrechtlicher / menschenrecht­ licher … 92, 95, 104 –– kriminologischer … 99

578

Personen- und Sachverzeichnis

–– legalistischer … 91, 126, 383 –– politikwissenschaftlicher … 110, 213 –– pragmatischer … 222 –– rechtsphilosophischer … 97 –– rechtssoziologischer … 102 f., 105, 108, 112, 268 –– rechtswissenschaftlicher … 34, 90 ff. –– restaurativer … 45, 57, 259 –– retributiver … 49, 57 –– (sozial-)psychologischer … 216 –– theologischer … 110 –– TJ-… 91, 94, 111, 218, 285, 289, 296, 311, 350, 360, 364, 370 f., 385, 393, 475, 519 –– UN-… 364 –– viktimologischer … 10 –– völkerrechtlicher … 9, 91 ff., 95 ff. –– (völker-)strafrechtlicher … 94, 96 ff., 315 Anthropologie, anthropologisch  30, 89, 102, 130, 313, 507 Anti-Folterdeklaration  483 Apartheid  132, 133, 222, 245 f., 251, 254, 283, 325 f., 335, 389, 420, 477 Argentinien  49, 125, 145, 163 ff., 167 f., 171, 175 ff., 179, 183, 187 ff., 192, 196 f., 215, 217, 231, 287 ff., 303, 316 ff., 325 ff., 382, 389, 404, 426, 429, 438, 441, 517 Aristoteles  70 ff. Arthur, Paige  43, 49 ff., 53, 186, 221 Aspen-Institut  50, 182, 224, 382 Aufarbeitung  56, 88 ff., 100, 111, 134, 138, 142, 145, 147, 149, 155, 157, 162, 165, 167, 177, 187, 195, 198, 201, 207, 217, 250, 261 f., 271, 280, 302 f., 316, 324, 327, 346, 383, 392, 394, 413, 498, 508 ff., 517 Auschwitz  150 f. Ausnahme  40, 44, 46 f., 85, 98 ff., 118, 139, 157, 170, 242, 396, 417, 424, 431, 454 f., 460, 462, 465, 469 f., 511, 518 Baboeram u. a. gegen Surinam (CCPR)  397

Bámaca Velásquez gegen Guatemala (IACtHR)  432, 446 Bangladesch-Pakistan Konflikt  144, 303 Barrios Altos (IACtHR)  439 ff. Basic Principles Guidelines on the Right to Reparation for Victims of Gross Violations of Human Rights and Humanitarian Law  484 Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power  479 Basic Principles on the Use of Force and Firearms by Law Enforcement Officials  480 Bassiouni, Cherif  114, 200, 232, 283, 484 f., 494, 504 Bautiste de Arellana gegen Kolumbien (CCPR)  416 Befehlsnotstand  157, 174 Begnadigung  80, 168, 178, 183, 197 f., 421 f., 469 Bell, Christine  31, 51 ff., 117 f., 129, 503 f., 507 Berater  27, 114, 125, 128 f., 131, 168, 173, 294, 352 f., 361, 382 f., 505, 510 Berkeley  131, 313 Best Practices  228, 263, 294, 311, 320, 351, 356 ff., 384 Biafra-Konflikt  144, 477 Bibliographie  25, 42, 142, 157, 160, 296 bibliometrisch  37 f., 280 f. Blanco gegen Nicaragua (CCPR)  401 Blankettamnestie siehe Amnestie Blecic gegen Kroatien (EGMR)  463 Bleier gegen Uruguay (CCPR)  397 Boed, Roman  125, 129, 208, 228, 276, 504 Boraine, Alex  130, 132 f., 222 f., 249, 278, 320, 362 f., 383 f., 389, 510 Bosnien-Herzegowina  200, 204, 338 f., 348, 367, 372, 516 Boucherf gegen Algerien (CCPR)  403 Boven, Theo van  266, 327, 484 f. Brannigan und McBride gegen Großbritannien (EGMR)  456



Personen- und Sachverzeichnis579

Brok gegen Tschechische Republik (CCPR)  415 Bulgarien  133, 208, 212, 266, 279, 407, 410, 413 Burundi  166, 303, 341 Cambridge  26, 129 f., 131, 141, 277, 313, 324 Cambridge Transitional Justice Research-­Netzwerk  313 Cançado Trindade, Antônio Augusto  439, 443 Carmelo Soría Espinoza gegen Chile (IACHR)  430 Castells gegen Spanien (EGMR)  456 Castillo Páez (IACtHR)  266, 438 f., 445 CAT (Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment)  418 f. CCPR (Human Rights Committee)  395 ff. Centre for Socio-Legal Studies  130, 313 Centre for the Study of Violence and Reconciliation (CSVR)  299, 375, 382, 389 Charter  77 Foundation  50, 219, 267 Chile  88, 101, 163, 165 ff., 182 f., 188 f., 192, 198 f., 205, 215 ff., 221, 225 f., 231, 262, 266, 279, 288, 317, 319 f., 325 ff., 381 f., 385, 388, 390, 399, 406, 411, 423, 429 ff., 441, 443 f., 446, 479, 482, 485 f., 497, 517 Citation-Index-System  38, 504 Columbia  125, 127 ff., 131, 141, 182, 385 f., 505 Comisión de Esclarecimiento Historico (CEH)  342 Comisión de la Verdad Para El Salvador  334 Comisión de la Verdad y Reconciliación (Perú)  259 Comisión nacional Sobre la Desaparición de Personas (CONADEP)  172 f. Comissão de Acolhimento, Verdade, e Reconciliação (CAVR)  256 f.

Comité de Cooperación para la Paz en Chile (COPACHI)  389 Committee for Amnesties  249 Committee for Human Rights Violations  249 Committee on Reparation and Rehabilitation  249 Convention on the Non-Applicability of Statutory Limitations to War crimes and Crimes against Humanity  242, 468 Cornell  43, 88, 125 Correa, Gonzalo Vial  205 f., 382 CPED (International Convention ort he Protection of All Persons from Enforced Disappearance)  420 f. Criminal enterprise  146, –– Joint … 127, 170 Criminal Justice and the East German Past  508 Danner, Alison  125, 127 f., 504 Dayton-Abkommen  204, 233, 247 Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power  479 Declaration on the Protection of All Persons from Enforced Disappearance  483 Demobilisation, Disarmament and Reintegration (DDR)  134 f., 137, 153, 302 f., 330 f., 360, 362, 366, 386, 413, 461, 492 Demobilisierung, Entwaffnung und Wiedereingliederung (DDR) siehe Demobilisation, Disarmament and Reintegration Demokratie  25, 49 f., 70, 104, 106, 116, 133, 135 f., 143, 164, 167 f., 173, 176, 185, 192, 205, 207, 214, 230 f., 246, 252, 274, 276, 295, 311 f., 318, 342, 371 f., 381, 385, 389, 400, 403 f., 407, 410, 418, 432, 447, 449, 465, 497, 514 f. Demokratische Republik Kongo (DRK)  166, 288, 297, 303, 366 f., 369 f., 516

580

Personen- und Sachverzeichnis

Demokratisierung  69 f., 87, 106 f., 138, 157, 159, 165, 180, 191 f., 266, 296, 309, 328, 371, 455, 516 –– …sargument  177, 194 Denazifizierung  157, 183, 187 Deontologen, deontologisch  75, 85, 139, 186, 197, 316 Department of Peacekeeping Operations (DPKO)  137, 150, 361 Department of Political Affairs (DPA)  137, 350 Derogation  195, 197, 241 f., 396 f., 452, 454 ff., 465, 500 Deutschland  26 f., 54, 90, 117, 145, 149, 154, 157 f., 177 f., 181, 192, 210, 218, 231, 266, 273, 279, 289, 461 f., 465, 508 f. Deutungselement  32, 252, 255 Deutungsmuster  40, 93, 96, 142, 147, 149, 155, 158, 162 ff., 179, 187 f., 194, 197, 204, 211, 229, 240, 243, 271, 276, 278, 289, 297, 300, 306 f., 312, 315, 318, 323, 329, 360, 394, 448, 489, 499, 501, 503 f., 510 ff., 515 f., 519 f. Deutungsrahmen  40 f., 149, 188, 304, 308, 311 Dichotomie  41, 45, 48, 74, 85, 220, 229 f., 247, 267, 272, 274 f., 290, 293, 312, 349, 355 –– „Gerechtigkeit und Frieden“ 247, 281, 284, 359, 431 –– „Gerechtigkeit und Versöhnung“ 248, 255, 258, 329 –– „Gerechtigkeit vs. Frieden“ 163, 185, 189, 226, 229, 247, 267, 271, 281, 284, 290, 316, 355, 358 –– „Gerechtigkeit vs. Wahrheit“ 192, 231 f., 248 –– „individuell vs. kollektiv“ 231 –– „Recht und Politik“ 148, 274, 322 –– „retributiv vs. restaurativ“ 74, 293 –– „Strafverfolgung vs. Amnestie“ 267 Die Friedenswarte  131 Dike  98

Diktatur  47, 56, 106, 143 f., 165, 167 f., 170, 280, 403, 407, 428, 455, 458, 509, 515 Diskontinuitätsargument  194 Diskurs  25, 28 ff., 31 ff., 36 ff., 43, 51 f., 54 f., 66 ff., 70 f., 84 ff., 88 ff., 94 f., 101, 103 ff., 107, 109 ff., 117, 120, 123 f., 138 ff., 142 ff., 149 f., 155, 157 ff., 167 f., 170, 172 f., 176, 178 ff., 187 ff., 196 ff., 203 ff., 210, 213 f., 219, 225 ff., 235, 237, 239 f., 242, 246 ff., 251 ff., 259, 261, 263 ff., 267 ff., 272 f., 275, 277, 279, 281 ff., 287 ff., 292 ff., 296, 300 ff., 307, 309 f., 312, 314 ff., 325, 327, 329, 335, 344 f., 350, 360, 363, 365 f., 369, 389 f., 392 f., 398, 481 ff., 501 f., 505, 507 ff., 511 ff., 515 –– -analyse  38 f. –– -elemente  39, 251, 319 –– -gemeinschaft  37, 123 –– Gerechtigkeits… 84 f., 89, 139 –– kriminologischer … 99 ff., 105 f., 143, 218, 263 –– Menschenrechts… 52, 66, 160 f., 178, 232, 240, 318 –– moralischer … 46, 57, 149, 185, 203, 212, 220, 222 f., 230 f., 241, 273, 389, 503 –– -muster  38, 163, 176, 178, 188, 204, 206, 210, 235, 283, 287, 289, 304, 316 f., 508 f., 512 –– Opfer(rechts)… 55, 66 –– -pol  40 f. –– politikwissenschaftlicher … 180 –– rechtlicher  /  rechtswissenschaftlich … 251, 296 –– rechtsphilosophischer … 28, 97, 103 f., 112, 139 –– rechtssoziologischer … 102 ff., 108, 112, 268 –– -regel  40, 104 f., 111, 139, 176, 189, 206, 232 –– religiöser … 251, 253 –– sozialpsychologisch … 31, 108 ff., 111 f., 144, 216, 230, 264, 282, 296, 321



Personen- und Sachverzeichnis581

–– -themen  149, 155, 164 –– theologischer… 31, 46, 57, 110 ff., 192, 223, 230 f., 264 –– therapeutischer … 46, 109, 251, 292 –– TJ-… 28, 30, 32 f., 37, 41, 46, 52, 66, 68, 73 f., 84, 86, 90, 95, 101, 105, 109 f., 124, 138 ff., 143, 145, 157 f., 179, 189, 193, 205 f., 225 f., 228, 231, 239, 246 f., 259, 263, 265, 267, 279, 281 ff., 288 f., 294, 300, 302 f., 307, 312, 316 ff., 321 f., 329, 335, 345, 360, 363, 365, 369, 392, 502, 505, 507 ff., 511 f. , 515 –– Transitions… 66, 144, 167, 191, 272, 277, 287, 289 f., –– Versöhnungs… 199, 254, 263, 273 –– völkerrechtlicher … 145, 232 –– völkerstrafrechtlicher … 199, 219, –– Wissenschafts…, wissenschaftlicher … 140 Disziplin, disziplinär  26, 30 ff., 34, 36 f., 41, 52, 54, 57 f., 66, 68, 89 ff., 102, 108 f., 111 f., 117 ff., 130, 138 f., 141, 145, 192, 199, 227 f., 230 f., 255, 264, 266 f., 269, 282, 285, 287 f., 295 f., 301 ff., 313 f., 321 ff., 389, 402, 412, 437, 501, 503 ff., 513, 517 –– TJ-… 56 Disziplinarität  190, 225, 227, 287, 295, 321, 507 –– Inter… 32, 90, 112, 117 ff., 141, 280, 282, 321, 503, 507 f., 517 –– Multi… 119, 190, 225, 227, 263, 282, 507 –– Trans… 40, 118 f., 507 Dujardin gegen Frankreich (EKMR)  452 f. Eigenständigkeit  122 f., 140 Einsatzgruppenprozess  149 f., 151 El Salvador  165 ff., 192, 197, 215, 262, 281, 287 f., 303, 332 ff., 377, 406 f., 413, 423, 428 f. Elfenbeinküste  366, 370, 516 Elster  25, 43, 125, 128, 266, 276, 504

empirisch  29, 54, 77, 99, 102, 110, 113, 291 f., 302 ff., 307, 312, 315, 321 f., 324, 513, 516 Entnazifizierung  149 ff., 153 f., 157 Entschädigung  55, 72, 92 f., 95, 104, 111 f., 139, 145, 154, 191 f., 202, 229, 231, 233, 243, 249, 256, 260 f., 265 ff., 273, 300, 303, 318, 348, 353 f., 357, 365 f., 369, 375, 390, 393, 401 f., 412, 415, 417 f., 421, 423 f., 426 ff., 433, 435, 437, 438, 441, 446, 462 f., 467, 469, 479 ff., 484, 489 ff., 494, 504, 513 –– Recht auf … 95, 354, 365, 393, 421, 424, 489 ff. –– …sprogramme  55, 88, 241, 262 f., 301, 320, 354, 359 Entwicklungsprojekt  136 Entwicklungszusammenarbeit  28, 85, 136, 141, 503 Epistemische Gemeinschaft  36 erga omnes  240 Ermessen  48, 81, 176, 184 ff., 306, 354 f., 402, 410, 450, 454, 456 f., 463, 465, 479, 496, 499 f., 511, 518 Essex  130, 132, 141, 313 f., 324 Europäische Kommission für Menschenrechte (EKMR)  449 ff. Europäische Union  138, 372 ff. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)  449 ff., 500 Europarat  138, 162, 370 ff., 448, 455 Expertennetzwerke  115 Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia (ECCC)  304 ff., 509 Exzeptionalität  93, 98, 99, 100, 103, 105 f., 127 –– faktische … 380 –– funktionale … 127, 381 –– konzeptionelle … 381 Exzeptionalitätsargument  448, 500 Ferencz, Benjamin B. 217 Ferner Osten  144 Field of Inquiry  112, 308 Field of Practice  52, 112 f.

582

Personen- und Sachverzeichnis

Field of Science  112 f. Final Report on the Question for the Impunity of Perpetrators of Human Rights Violations (economic, social and cultural) (UN-Dokument)  489 Folter  100, 145, 160 f., 168 f., 173 f., 192, 195, 200, 233, 235, 250 f., 256, 325, 388 f., 396 f., 399, 401, 405, 418 f., 440, 442, 450, 467, 475 ff., 479, 481, 498 Ford-Stiftung  55, 132 f., 141, 381 ff., 388 Forensik  302 f. Formalobjekt  121 Forschung  25 f., 32 f., 35 ff., 41, 113, 190, 197, 265, 267, 298 f., 312, 321, 384, 394, 505, 508, 519 –– …sbereich  26, 30, 32 f., 40, 53, 68, 112, 129, 278, 289, 300, 322, 505 –– …sfeld  37, 41, 53, 66, 71, 86, 126, 191, 280 f., 504, 507, 510, 513 –– …sfrage  31, 33, 36, 40, 52, 276, 287 f., 290, 312, 505, 513 –– …sgebiet  26, 33 f., 43, 49, 51, 54, 56, 61, 66 ff., 112, 116 f., 120 f., 129, 138, 140, 228, 271, 281 f., 284, 298, 301, 315, 320, 349, 503, 507, 512 –– …sgegenstand  31, 33, 102, 118, 280, 508 –– …snetzwerk  130 f., 140, 324, 514 –– …sperspektive  33, 35, 41, 101 –– …sprogramm  66, 100, 140, 317, 324 –– …sprojekt  279, 321, 508 f. –– Systemwechsel… 280, 317 f. –– TJ-… 28, 33, 41, 68, 111 f., 120, 278, 287 f., 321, 349, 503, 508 –– Transformations… 69, 106, 111 Foucault, Michel  43 Frieden  45 f., 57, 67, 100, 111, 118, 145 f., 164, 168, 176, 185, 189, 202 ff., 288, 247, 263, 267, 281, 312, 331, 335 ff., 342, 346 f., 359, 363, 372 f., 391, 403 f., 407, 410, 423 f., 431, 440, 442, 456, 473, 497, 514 –– „Gerechtigkeit und Frieden“ siehe Dichotomie

–– „Gerechtigkeit vs. Frieden“ siehe Dichotomie –– …sabkommen  53 f., 114, 129, 233, 238, 243 f., 258, 299, 302 f., 333, 337, 341 f., 359 f., 363, 390, 392 –– …sforschung  389 –– …smission  135, 327 f., 330 ff., 356 f., 361, 368 ff., 392 –– …sprozess  114, 230, 243 f., 247, 283, 328, 338, 366 –– …sverhandlung  27, 29, 53, 129, 134, 137, 141, 230 f., 247, 260, 264, 283, 299, 330, 333, 335, 341, 357, 364, 429, 490, 497 –– …svertrag  54, 83, 87, 114, 134, 136, 166 f., 204, 243, 328, 334, 367 Funktion, funktional  28, 55, 72, 78, 82, 102 ff., 108, 112 f., 117, 126 f., 129, 139 f., 147, 155, 158, 180, 196, 226, 250, 256, 268, 270 f., 274, 279, 320, 381, 479, 502, 504, 515 Gacaca-Gerichte  30, 84, 102, 138, 234, 287 f., 303, 310 Garay Hermosilla u. a. gegen Chile (IACHR)  423 Garro, Alejandro M. 217, 219 Gefährdungsargument  194, 222, 312, 316 Gehilfenjudikatur  151 Gemeinschaft  36 f., 49, 54, 84 f., 102, 109 ff., 139, 161, 200, 204 f., 242, 244, 256, 259, 267, 286, 288, 294, 309, 316, 331, 347, 360, 506, 519 –– Diskurs… siehe Diskurs –– epistemische … siehe empistemische Gemeinschaft –– Wissens(schaft)… 33, 37 f., 49, 121, 141, 186, 227, 266 f., 278, 282, 317, 324, 503, 505 Gender  294, 299 f., 302 f., 313, 375, 509 genealogisch  41, 43, 45 Generalprävention  76 ff., 82, 193, 403, 498 –– negative … 76 f. –– positive … 79



Personen- und Sachverzeichnis583

Genfer Konventionen  202, 238, 245, 304 f., 330, 476 f., 482 Genozid  171, 192, 202, 256, 328 ff., 332, 359, 478 –– UN Anti-…konvention  195 Georgetown  127 Gerechtigkeit  25, 28, 41, 43 ff., 48, 50, 52, 57, 67 f., 70 ff., 78 ff., 82 ff., 88 f., 93, 95, 98 f., 104 f., 110 ff., 118, 120 f., 128, 133 f., 139 f., 145, 148, 156 f., 176, 178, 183, 185, 187, 191 f., 196, 203 ff., 210, 212, 217, 219, 223, 226 ff., 235 ff., 240, 247 f., 253 ff., 258 f., 264, 266 f., 269 ff., 277 f., 280 f., 283 f., 287 f., 290, 293, 295, 297, 301, 303 f., 309 f., 312, 316, 318, 329, 346 f., 349, 355, 358 ff., 362 f., 365 f., 369, 372, 391, 393, 421, 425, 429 ff., 438 f., 441, 444 ff., 463, 473, 489 ff., 494, 509, 516 f. –– a different kind of justice  229 –– administrative … 270 –– ausgleichende … 72, 86 –– distributive … 83, 128 –– extraordinary justice  99 –– formale … 71 –– historische …. 270 –– … im Systemwechsel  25 –– justice in transition  129, 133, 224, 228, 278, 303, 381, 389 –– Justicía  169, 441 –– korrektive … 72 ff., 85 f., 139 –– lokale … 287, 302, 309, 360 –– materielle … 71, 139, 156 –– ordinary justice  40, 99, 127, 285, 288 –– politische … 71, 83, 86 –– Postkonflikt… 265, 284, 288, 305 –– prozedurale … 84 –– Recht auf … 95, 365, 393, 421, 429 f., 432 f., 438, 446, 463, 489, 490 f., 494 –– rectificatory justice  73, 278 –– reparative … 74, 86, 270 –– restaurative … 70, 73, 86, 110 f., 192, 229, 231 f., 237, 284, 288, 293, 301, 303 –– restitutive … 72 f.

–– restorative justice  73, 83 ff., 110, 139 –– retributive … 72 ff., 191, 284, 287 f., 362 f. –– …sbegriff  70 ff., 85, 139 –– …sdiskurs  84 f., 89, 139 –– soziale … 84, 288 –– …stheorien  84 –– Straf… 72, 74, 85 f., 139, 237, 270, 272, 297, 363 –– …stypologie  70 f., 85, 139, 278 –– …sverständnis  45, 71, 78, 85, 139, 268 –– Tausch… 72, 84 –– traditionelle … 30, 48, 85, 360 –– transitionelle … 57, 272 –– … und Frieden siehe Frieden –– … und Versöhnung  248, 255, 258, 329, 365 –– … und Wahrheit  288, 369, 438 –– Verfahrens…71, 86 –– Verfassungs… 270, 274 –– … vor Frieden  226 –– … vs. Amnestie  46 –– … vs. Frieden  145, 163, 185, 223, 226, 229, 247, 267, 271, 281, 284, 290, 316, 355, 358, 489 –– … vs. Wahrheit  193, 231 f. –– … vs. Wahrheit / Versöhnung  192 f., 288 –– … zu Zeiten des Krieges  284 –– Geschichte  44, 56, 149, 159, 204, 210, 252, 255, 273, 311, 327, 373, 395, 448, 508, 513 –– …sargument  194 gewaltsames Verschwindenlassen  143, 168, 190 ff., 325, 401, 405, 411, 418, 435, 440, 442 Gewaltursachen und -bedingungen  112, 139, 261 Gleichheit vor dem Gesetz  135 Gratzinger and Gratzingerova gegen die Tschechische Republik (EGMR)  462 Greiff, Pablo de  353, 369, 384, 504 Griebel, Walter  217

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Personen- und Sachverzeichnis

Griechenland  144 f., 160 ff., 178, 181, 192, 196, 266 Grundlagenfach  91 Guatemala  165 ff., 178, 214, 231, 260, 262, 279, 281, 287 f., 303, 334, 338, 341 ff., 374, 410, 424, 438, 445 Guissé, El Hadji  488 f. Habré, Hissène  286, 288, 297 Haiti  165 f., 182, 231, 287 f., 332, 334, 338, 348, 366, 407, 417, 497 Hart-Fuller-Debatte  98 Harvard  53, 127 ff., 131, 141, 505 Hauptkriegsverbrecher  150 Hauptverantwortliche  81, 104, 139, 147, 149, 150, 169, 205, 222, 304, 306, 311, 316 f., 334 Hayner, Priscilla  55, 132 f., 207, 215, 226, 266, 352, 383, 391, 504 Heilung  108 f., 111 f., 140, 166, 187, 189, 192, 216, 223, 245, 255, 389 Henkin, Alice  50, 183, 187, 266, 381, 504 Hermosilla gegen Chile (IACHR)  423, 429, 431 Herz, John H. 143, 160, 181, 183, 186, 266 Hinrichtung, außergerichtliche  168, 195, 262, 401, 405, 439 f., 479, 481, 498 Human Rights Watch  44, 132 f., 182, 266, 344, 376, 379, 510 humanitäres Völkerrecht  62, 65 f., 123, 282, 476 –– schwere Verletzungen des … 200, 202, 368, 476 f. Huntington, Samuel  213, 220, 266 Hussein  286, 288, 297 IACHR  423 ff., 438, 483 Idealismus  115 Idi Amin  144, 326 Ignacio Ellacuría u. a. gegen El Salvador (IACHR)  423 Impunity  95 f., 104, 164, 188, 214, 241, 286, 288

–– Principles of … 114, 125, 352, 489, 494 Indikatoren  38, 124 –– qualitative … 39 –– quantitative … 37 f., 124 individuell vs. kollektiv siehe Dicho­ tomie individuelle strafrechtliche Verantwortung  96, 104, 368 Indonesien  236 f., 249, 257, 303, 340, 360 Institute for Democracy in South Africa (IDASA)  389 Institute for Security Studies  389 Institutionalisierung  26, 30, 35, 129, 226, 278, 282, 298, 313, 320, 351, 369, 387, 513 Inter-Amerikanischer Menschengerichtshof  434 ff. Interdisziplinarität, interdisziplinär  32, 90, 112, 117 ff., 141, 280, 282, 321, 503, 507 f., 517 –– externe … 117 f. –– interne … 117 International Center for Transitional Justice  53, 132, 278, 393 International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR)  129, 226, 229, 231, 233, 236, 245, 247, 288, 303, 306, 329 f., 332 International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY)  49, 78, 82, 192, 202 ff., 226, 229, 231, 233 f., 236, 245, 247, 271, 288, 303, 306, 328, 338 f., 362, 367, 373, 386, 475 international governmental organisations  25 International Journal of Transitional Justice  26, 131, 313 International Law Commission  122, 468 international non-governmental organisations  25 internationale Beziehungen  127 f., 313 internationale Organisationen  115, 128, 134 ff., 294, 370



Personen- und Sachverzeichnis585

Internationale Völkerrechtskommission  344, 468 Internationaler Pakt für politische und bürgerliche Rechte  91, 395, 398, 401, 409 f., 413, 418, 514 Internationaler Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte  91 Internationaler Strafgerichtshof (IStGH)  48, 97, 134, 138, 141, 199 f., 228 f., 231 f., 235, 238, 240, 285, 288, 298, 301, 303, 306, 330, 344 f., 348, 350, 354, 379, 387, 453, 468, 469 ff., 501 Internationales Militärtribunal für den Fernen Osten (IMTFO)  145 ff., 467 Internationales Militärtribunal von Nürnberg (IMT)  145, 147 f., 150, 157 f., 201, 467 Internationalisierung  294, 319 f. Intradisziplinarität siehe Disziplinarität Irak  192, 287 f., 301, 303, 305, 468 Iraqi High Criminal Court (IHCC)  305 Israel  154, 273, 289, 303 Italien  145, 181, 266 Ius cogens  233, 240, 392, 445 Japan  145 f., 181, 192, 231, 288 Jean Yakovi Degli (au nom du Caporal N. Bikagni), Union Interafricaine des Droits de l’Homme, Commission International de Juristes gegen Togo (AfrKomMR)  466 Johns Hopkins  128 Joinet, Louis  480, 488 ff., 491, 504 Joinet Principles on combating impunity  445, 489, 493 Journal on Rule of Law, Transitional Justice and Human Rights  131, 314 Jugoslawien (Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien, ab  1992 Bundesrepublik Jugoslawien)  192 f., 199 ff., 202, 204 f., 226, 247, 287 f., 303, 323, 328, 331, 335, 372, 387, 468 Justice siehe auch Gerechtigkeit –– A different kind of … 229 –– … in transition  54, 129, 228, 278, 303, 381, 389

–– ordinary … 40, 99, 127, 285, 288 –– trading … for truth  229, –– victor’s … 285, 288 Justitia  70, 98 Justiz  25, 135 f., 143, 145, 148, 151, 153 f., 158, 180, 190, 232, 245 f., 253, 261, 339, 343, 379, 418, 425, 428, 433 –– …gewährungsanspruch  92, 354, 398, 483 f., 498 –– politische … 143, 145, 179 f. –– Reform der … 135 Kambodscha  192, 231, 235, 287 f., 301, 303 f., 326, 333, 378, 400, 509 Kant, Immanuel  76, 79, 81 Kayser-Whande, Undine  54 Khmer Rouge  144, 304, 326, 374 Kindersoldaten  238, 258, 368 King, David  276 Klima der Straflosigkeit  95, 159, 338, 389, 410, 479 Kollektiv, kollektiv  39, 44, 100, 109, 144 ff., 204, 211, 230 f., 245, 272, 274, 359, 363, 425, 432 f., 445 f., 483, 490 ff., 494 –– individuell vs. … siehe Dichotomie –– …rechte  286 –– …schuld  149, 155, 158, 178, 204, 518 –– …verantwortung  329 Kolumbien  166, 287 f., 303, 410 f., 437, 516 kommunitaristisch  84 f., 139 Komplementaritätsprinzip  285, 288, 303, 306, 453, 369, 473 f. Konditionalität  96, 149, 158, 205 Konferenz  26, 50 f., 56, 66, 130, 133, 182 f., 185, 187, 191, 201, 217, 219 ff., 223 ff., 262, 267, 278, 298, 313 f., 318 f., 322, 324, 344 –– … bericht  183, 186, 220, 222 ff., 227, 266 Kononov gegen Lettland (EGMR)  451 Konstituierung  66, 142, 191, 193, 228 konzeptionelle Exzeptionalität siehe Exzeptionalität

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Personen- und Sachverzeichnis

Korea  182, 192, 215, 279 –– …krieg  144 Kosovo  235, 287 f., 303, 336, 338 f., 348, 367, 369 Kriegsverbrechen  94, 147 f., 190, 233, 235, 238, 243, 246, 256 f., 305, 359, 367, 405, 413, 468, 478, 480 Kriegsverbrecherprozess  145, 149 f., 192, 229, 231 Kriminalität  99 ff., 131, 198, 279, 350, 508 Kriminologie  28, 99 ff. kriminologisch  28, 99 ff., 103, 105, 112, 139, 143, 218, 263 Kritz, Neil  50, 52 f., 57, 66, 265, 267, 278, 281 f., 504 Kuba  163 Kultur der Straflosigkeit  260, 329 La Cantuta gegen Peru (IACtHR)  443, 446 Las Hojas gegen El Salvador (IACHR)  428 Laureano Atachahua gegen Peru (CCPR)  399 Law & Contemporary Problems  131 Lawless-Fall (EKMR)  454 f. Lee, Su-Hoon  125, 128, 215, 504 Legalisten  176 f., 187, 189, 240, 315 f., 318, 322 –– absolute … 176 –– relative … 176 legalistisch  81, 91, 126, 255, 265, 383 Lehideux and Isorni (EGMR)  457 Lehrangebot  26, 131, 299 Lehre  25, 28 ff., 32 f., 35, 51, 87, 90, 125, 274, 393, 485, 507 ff. Lexis Nexis  58 ff., 64, 124 Ley de Pacificación  166, 171, 173 Libanon  166, 235, 301, 305, 386 Liberalisierung  70, 86 f., 128, 180, 309 Liberalismus  44, 84, 115, 133, 230 Liberia  166, 238, 249, 287 f., 303, 310, 332, 338, 341, 348, 360, 367 f., 386

Limited Criminal Sanctions  80, 271 Loizidou gegen Türkei (EGMR)  458, 460, 462 Lomé, Friedensabkommen von  53, 114, 134, 243 f., 258 f., 341, 359, 392 Loyaza Tamayo (IACtHR)  439 Lustration  59, 61, 65 f., 67, 88, 93, 98, 129, 191 f., 207 ff., 210, 211 f., 213, 220, 226, 228 f., 231, 241, 263, 265, 267, 273 f., 276, 284, 288, 292 f., 300, 303, 338 f., 341, 348, 353, 360, 366, 371, 378, 412 f., 417, 492, 496, 499 Machtlosigkeitsargument  194 Malamud-Goti, Jaime  50, 168, 173, 176 ff., 183 ff., 197, 266, 504, 510 Malawi African Association u. a. gegen Mauritanien (AfrMRKom)  467 Malhous gegen Tschechische Republik (EGMR)  462 Malik gegen die Tschechische Republik (CCPR)  415 Mani, Rami  265, 277 Mapiripán- Massaker (IACtHR)  442 Mapping  31, 33, 68, 131, 138, 351, 368 Martinez, Jenny  125, 127, 284, 504 Master  26, 129, 299, 508, 513 –– … of Laws Transitional Justice  26, 130 Mastromatteo gegen Italien (EGMR)  453 Materialobjekt  109, 111, 119 Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht  279, 508 Memory –– collective … 291 –– … politics  192, 291 Méndez, Juan E. 50, 92, 126, 132, 178, 186 f., 221, 247 f., 277 f., 282 f., 317, 376, 386, 429, 504, 510, 516 Menem, Carlos  175, 221 Menschenrechte  28 ff., 45, 48, 50 ff., 55 f., 62, 65 ff., 84, 91, 107, 114, 118, 121, 123, 125, 127, 132 ff., 161 f., 168,



Personen- und Sachverzeichnis587

176, 185, 188, 203, 205, 223, 228, 230 f., 242, 246, 248, 252, 273, 275, 280 f., 282, 286, 298, 301, 318, 324 f., 328 f., 331 ff., 335, 337 f., 342, 346, 360 ff., 366, 372, 380, 383, 387 f., 393, 395, 402 ff., 406, 410, 417, 426, 431, 437, 440, 449, 451, 478, 485, 488 f., 496, 498, 505, 507, 513, 515 f., 518 –– gross violations of human rights  182, 252, 347, 355, 365, 377, 393, 403, 405, 408, 484, 486 ff. –– menschen- oder humanitärrechtlicher Ansatz  92 ff., 95 ff., 160 ff., 193 ff., 240 ff., 335 Menschenrechtsbewegung  57, 66, 142, 161, 166 f., 169 ff., 177 f., 187 f., 248, 316, 318 f., 376, 387 ff., 447 –– lateinamerikanische … 66, 142, 167, 187 f. –– nationale … 167, 178 Menschenrechtsdiskurs  52, 57, 66, 161 f., 178, 252, 318 Menschenrechtsorganisation  132 f., 141, 170, 173, 175 f., 182, 201, 262, 266, 375 f., 378, 380, 382, 384, 387 f., 390, 392 Menschenrechtsverletzungen  28, 32, 47, 49, 52, 74, 88, 90, 92, 94 f., 97, 101, 104 f., 110, 113, 134, 138, 143 ff., 147, 155, 158 ff., 167 ff., 174, 176 ff., 180, 183 ff., 188, 193, 195 f., 199 ff., 204 f., 207, 210, 212, 215 ff., 220, 227, 232 f., 235, 240 ff., 245 f., 249 f., 252, 255 ff., 259 ff., 264, 279 f., 297, 302 f., 306 f., 316, 319, 323, 325 ff., 330 ff., 334, 336, 338 ff., 346, 359 f., 365 ff., 371, 377, 383, 389 ff., 395, 397, 399 ff., 406 ff., 412 f., 416 ff., 421, 425 f., 428, 430 f., 433, 436, 439 f., 442 f., 445 ff., 449 f., 452, 454 f., 464, 467, 478 ff., 481, 488, 495 ff., 498, 500 f., 510, 516 ff. –– human rights crimes  195 –– schwere und systematische (gross and systematic) … 147, 162, 170, 408, 436, 492 Methode  33 f., 36, 39, 117 ff., 120, 180, 269, 279, 286, 288, 321, 334, 462

Methodik  33 f., 299, 321, 324, 507 Metropolitan Church of Bessarabia gegen Moldavien (EGMR)  456 Mexiko  166, 287 f., 303, 400 Mignone, Emilio Fermin  178, 189 Militärgerichtsbarkeit  168 f., 174 f. Militärregierung  160 f., 429, 455 Militärregime  160, 167 f., 174, 397 f. Milošević 286, 288 Monseñor Oscar Arnulfo Romero und Galdámez gegen El Salvador (IACHR)  431 Moreno-Ocampo, Luis  174 Multidisziplinarität  119, 190, 225, 227, 263, 282, 507 Nachfolgeprozesse  145, 149 f., 157 nahe biti-Ritual  30 Namibia  330 Narration  40 f., 52, 57, 123, 140, 215 Narrative  78, 155 f., 212, 251, 253, 272, 288, 302 f., 509 –– Meta… 251 nationalsozialistisch  56, 98, 145 ff., 149, 152, 154 ff., 201, 205, 217 Nationbuilding  226, 230 f., 253, 300, 302, 323 Naturrecht  98, 146, 156, 275 ne bis in idem  469 f. Neier, Aryeh  50 f., 186 f., 221 ff., 277, 504, 510 nemo tenetur se ipsum accusare  239, 257 New Haven School  115, 506 New York Law School Journal of International & Comparative Law  131, 217 New York School of Law  26, 278 New York University  129, 182, 385 –– … Program on Transitional Justice (auch Justice in Transition)  129, 278 NGO siehe international non-governmental organisations Nicaragua  163, 166 f., 197, 221, 303, 326, 401, 429

588

Personen- und Sachverzeichnis

Nichtregierungsorganisation (siehe auch international non-governmental organisations)  164, 202, 375 f., 381, 392, 485, 505 Niño, Carlos  168, 178, 266, 510 Nordirland  26, 101, 129, 132, 255, 287 f., 299, 303, 324, 454, 504 Nullum crimen / poena sine lege-Grundsatz  146 Nunca más  172 Nürnberg  146 ff., 149 f., 157 ff., 165, 170, 176, 180, 187 f., 195, 200 f.f, 205, 212, 226, 268, 270, 315 f., 329, 418, 4 –– Nürnberger Prinzipien  148, 157, 159, 250, 316, 418, 468 –– Nürnberger Prozesse  44, 56, 66, 142, 146, 149 f., 157 f., 180, 188, 217, 329 O’Donnell, Guillermo  69, 180, 266 Obedencia Debida  163, 165, 175 Office for the High Commissioner for Human Rights (OHCHR)  113, 137 f., 335, 345, 350 ff., 356 ff., 365, 368, 387, 475, 485 Opfer  45, 72 f., 95, 101, 108 ff., 111 f., 144 f., 154 ff., 161, 165, 172 f., 177 ff., 192, 194, 198, 202 f., 216, 219, 233, 239, 243, 245, 249 ff., 255 f., 258, 260 ff., 266, 273, 279, 286, 288, 296, 302 f., 327, 334, 342, 348, 363, 366, 369, 387 f., 397 ff., 403, 406, 410 ff., 416 ff., 422, 425 ff., 430, 432, 435, 438, 440 f., 447 f., 464, 469, 473, 479 ff., 484, 490, 497 f., 514 ff. –– …perspektive  188, 250, 309 –– …rechte  28, 65, 67, 95, 101, 192, 228, 231 f., 281, 287, 318, 354, 359, 365, 390, 393, 398, 402 f., 410 f., 421, 423, 428, 432, 436, 441, 444 ff., 453, 463, 481 ff., 484, 486, 490, 501, 516 –– …(rechts)diskurs  55 f., 66 Orentlicher, Diane  53, 92, 114, 124 f., 182, 186, 193 ff., 219 f., 225, 227, 241, 266, 314, 355, 362 f., 488, 493 ff., 504 Organisation der Amerikanischen Staaten (OAS)  162, 388, 429, 497

Organisation für Sicherheit und ­Zusammenarbeit in Europa  136, 138, 141, 373 f. Osiel, Mark J. 125, 128, 179, 188, 284, 294, 504 Ostblock  144, 207, 370, 376 Ostdeutschland  133 Osteuropa  150, 154, 191 f., 207, 220, 222 f., 227 f., 314, 323 f., 390, 454 f., 498 Osttimor (siehe auch Timor-Leste)  231, 235 ff., 248, 255 ff., 287 f., 303, 323, 338 ff., 377 Oxford  26, 69 f., 127, 129 ff., 141, 168, 313 f., 324 –– … Transitional Justice ResearchNetzwerk  313 f. –– … University Press  26, 131, 313 Papamichalopoulos gegen Griechenland (EGMR)  460 Paradigma  33, 47, 57, 98, 126, 147, 255, 270, 275, 371 –– Therapeutic Jurisprudence … 109 –– Transitions… 50 Paradigmenwechsel  30, 33, 53, 121, 146, 151, 283 Peacebuilding  61 ff., 64 ff., 89, 107, 135 f., 141, 248, 267, 277, 286, 288, 295, 302 f., 314, 331, 333, 336 f., 349 ff., 364, 373, 386 Peacekeeping  64, 47, 134 ff., 141, 203, 228, 230 f., 281, 313, 325, 327, 330 f., 335 f., 350 f., 357, 361, 366, 392 Peacemaking  135, 267, 295, 336 Perelli, Carina  215 Perpetrator centred  177, 198 Peru  165 ff., 249, 255, 259 ff., 344, 399, 404, 407, 410, 438 f., 440, 443 f., 446, 497 Philosophie  79, 128, 130, 313 Pinochet  231, 286, 288, 297, 378, 391 Plan de Sánchez (IACtHR)  442 Pluralismus  168 Polen  133, 155, 208 ff., 279, 311, 370



Personen- und Sachverzeichnis589

Politik  35, 40, 96, 148, 154, 158, 179, 182, 184, 207 f., 213, 220, 243, 256, 274 f., 279 f., 290, 295, 311, 314, 322, 325 f., 359, 386 f., 506 f., 517, 519 –– political engineering  310 –– Politics of memory (siehe auch memory)  192 Politikwissenschaft(en), politikwissenschaftlich  30 f., 49 f., 54 ff., 66, 69 f., 86 f., 89 f., 106 ff., 110 ff., 118, 120, 126 ff., 130, 138, 143 f., 160, 179 ff., 188, 190 f., 213 ff., 219, 223, 227, 230, 240, 264 f., 268 f., 274, 277, 280, 282, 295 f., 307, 313, 318, 382, 506 Portugal  144 f., 160 ff., 178, 181, 266, 279 Positivisten  146 positivrechtlich  28, 91, 126 Posner, Eric  117, 125, 127, 284, 289 Postkonfliktgerechtigkeit  265, 284, 288, 305 Pragmatiker  148, 177, 184, 187, 189, 240, 315 f., 322, 519 –– pragmatisch  54, 126, 177, 190, 222, 246, 255, 275, 283, 383, 391, 398, 466 –– Pragmatismus  230 Prävention  28, 75 f., 86, 92, 96, 103, 105, 156, 163, 168, 189, 204, 215, 231, 365, 389, 410, 416, 419, 431, 450, 453, 456, 473, 484 Praxis  25 f., 28, 31 ff., 35, 44, 53, 66, 82, 112 ff., 118 f., 122 f., 140, 142, 149, 172, 179, 187, 199, 213, 241, 243, 250, 255, 267, 273 f., 283, 286, 289 ff., 294 f., 298 ff., 302, 309 f., 312 ff., 317, 320, 324, 333, 335, 341, 345, 349 f., 351, 353, 360, 384, 390 ff., 397, 420, 467, 488, 503, 505, 508, 510, 512 f., 519 –– …bereich  61, 68, 137, 141, 277, 351, 391 –– …feld  25, 27, 119, 134, 140, 266, 320, 348 f., 503, 509 f. –– TJ-… 32, 114, 140, 310, 349, 369, 392 preventive diplomacy  135

Primat  206, 213, 275, 290, 519 –– … der Politik / des Politischen  206, 213 –– … des Rechts  275 Princeton Principles  480 Principles on the Effective Prevention and Investigation of Extra-legal, Arbitrary and Summary Executions  432, 480 Project on Justice in Times of Transition  50, 266 Prosecutor vs. Stakić (ICTY)  78 Prozesshaftigkeit  112, 187 Psychologie  30, 108, 507 Psychotherapie  144 f. Publikationshäufigkeit  38, 43, 58 ff., 67, 230, 264, 301, 304 Publikationskurve  65 Publikationstätigkeit  58 f., 61 ff., 67, 126, 143 f., 160, 191, 282, 284, 302, 316, 321, 385 Punto final  165, 175, 405, 409, 418 f. Purge laws  145 Quinteros gegen Uruguay (CCPR)  398, 482 Quiroga, Cecilia Medina  162 Rawls, John  71 Realismus  115, 230, 506 Realisten  115, 177 Recht –– auf Entschädigung (right to reparations)  95, 353 f., 365, 393, 421, 424, 481, 483 f., 485, 489 ff. –– auf Gerechtigkeit (right to justice)  95, 365, 393, 421, 429 ff., 433, 438, 446, 463, 481, 489 ff. –– auf gerichtliches Gehör  246 –– auf Restitution (right to restitution)  229, 413, 484 –– auf Wahrheit (right to know  /  right to truth)  95, 104, 112, 139, 215, 229, 232, 343, 352, 355, 365, 393, 398, 421, 425, 433, 439, 446, 483, 490 f.

590

Personen- und Sachverzeichnis

Rechtsdiskurs  57, 66, 112, 191, 228, 275, 281, 318 f., 390 –– Menschen… 52, 66, 161 f., 178, 252, 318 –– Opfer… 66 –– retributiver … 66, 191 Rechtsgebiet  28, 34, 61, 91, 122 f., 140, 232, 283, 318, 496, 503 f., 510 –– … sui generis  30, 121 rechtsgenerierend  124, 132, 134, 141 Rechtsphilosophie, rechtsphilosophisch  25, 28, 97, 103 ff., 112, 124, 127, 139, 311 Rechtspraxis  50, 97, 104 Rechtssoziologie, rechtssoziologisch  28, 102 ff., 108, 112, 139, 218, 268 f. Rechtsstaat, rechtsstaatlichen  134, 157, 164, 173, 177, 196, 220, 226, 268, 274, 279, 329, 454, 481 Rechtsstaatlichkeit  104, 115, 164, 169, 185, 211, 275, 372, 404, 410, 459 –– …sargument  193 Rechtstheorie  25 Rechtsweggarantie  195, 351 Rechtswissenschaft, rechtswissen­ schaftlich  25, 28 f., 32 ff., 38, 40, 46, 50, 57, 75, 89 f., 110 ff., 115 ff., 123, 130, 139 f., 143, 145, 186, 188, 190, 192, 197, 199, 205, 213, 219, 224 f., 227, 229 ff., 255, 268, 276, 282, 285 f., 288, 295 f., 298, 301, 303 f., 312 f., 321 f., 503 ff., 506 ff., 513, 516 f., 519 –– Menschen… 505 –– Völker… 25, 28, 31, 34, 37 f., 41, 91, 113, 115 ff., 140, 506 f., 513 Reeducation  153 f. Reform  50 f., 55, 89, 94, 135, 137, 212, 259 ff., 313, 330, 333 f., 346, 350, 357, 359, 364, 374, 378 f., 384, 387, 392, 409, 413, 461, 475 –– … des Sicherheitssektors (SSR)  134 f., 302 f. Regel  40, 43, 48, 71 f., 104 f., 111, 113, 119, 122, 129, 138 f., 157, 176, 189,

196, 206, 232, 242, 251, 265, 284, 304, 344, 482, 514 Regimewechsel  149, 158 f., 163, 189, 323, 452, 460 f., 479, 514, 517 Reintegration  73, 149, 151, 192, 332, 359, 453 Rekvenyi gegen Ungarn (EGMR)  457 Religionswissenschaften  89 Reparationen  65, 67, 74, 137, 145, 228, 273, 281, 288, 303, 313, 348, 363, 384, 387, 411, 445, 484 Reparationsprogramme  257, 348, 353, 357, 374 Reparationszahlungen  59, 61, 66, 74, 254, 378 Responsibility  94, 97, 104, 127, 148, 158 f., 188, 232, 237 f., 257, 316, 402, 487, 493 restaurativ  45, 57, 70, 73 ff., 86, 110 f., 133, 191 f., 229, 231 f., 237, 255, 259, 284, 287 f., 291, 293, 301, 303 Restitution  51, 88, 145, 154, 213, 229, 231, 254, 267, 371, 378, 411, 413 ff., 421, 425, 449, 458, 462, 465, 466, 480, 484, 487, 491, 496, 499 retributiv  49, 57, 66, 70, 72, 74 ff., 78, 85, 139, 171, 176, 191 f., 201, 213, 226 ff., 231, 236, 254, 259, 269, 281, 284, 287, 288, 291 f., 293, 362 f. Ritual  30, 230 f. Rochela Massaker gegen Kolumbien (IACtHR)  437 Rodríguez gegen Uruguay (CCPR)  403 Rogers, George  163, 193 Roht-Arriaza, Naomi  92 ff., 219, 225, 227, 241, 243, 266, 504 Ruanda  77, 138, 192 f., 199, 200, 231, 248, 279, 287 f., 303, 310, 320, 323, 328 ff., 332 f., 335, 468 Rückwirkungsverbot  99, 148, 155 ff. Rule of Law  26 f., 44 f., 47 f., 82, 84, 89, 98, 101, 103 ff., 131, 134 ff., 137, 140 f., 168, 204, 207, 211, 220, 268 ff., 274, 287 f., 303, 314, 328, 331, 333, 337, 339, 341, 345 ff., 348, 350 f., 356,



Personen- und Sachverzeichnis591

360 f., 364, 373, 391, 404, 410, 413, 426, 431, 450, 475, 488, 517 –– transitional … 98, 229 Rumänien  133, 370, 407 Saker gegen Algerien (CCPR)  400 Schell-Fauçon, Stephanie  54 Schlusspunkt  152, 175 Schlussstrich  149, 155, 158, 279 Schmitter, Philippe C. 69 f., 180, 266 Science Citation Index  38 Scientific Community (siehe auch Gemeinschaft)  33 Scilingo  47, 323, 517 SCU  340, 367 Selektivität  74, 80 f., 148, 196 self-contained subject  122, 289 Senegal  297, 400, 404 Sicherheitsargument  212 Sicherheitssektorreform (Security Sector Reform, SSR) siehe Reform Siegerjustiz  148, 158, 192, 205 Sierra Leone  30, 114, 132 f., 166, 231, 235, 237 ff., 243, 248 f., 258 f., 287 f., 298, 303, 323, 334, 341, 347, 367 ff., 387 Signalwort  104 f., 111 f. Sikkink, Kathryn  125, 127, 161, 301, 307, 312, 390, 441 Somalien  333, 335 Somers gegen Ungarn (CCPR)  413 Sorbonne  128 Sozialpsychologie, sozialpsychologisch  31, 89, 108 ff., 112, 144 f., 216, 230, 264, 282, 296, 321, 513 Soziologie  30, 35 f., 102, 108, 130, 223, 313, 507 Spanien  47, 144 f., 160 ff., 168, 178, 181, 192, 266, 279, 287 f., 456, 517 Special Court for Sierra Leone (SCSL)  237 ff., 244, 259, 368 Special Panels for the Dili District Court  235 f., 239, 367 f. Spezialprävention  76 f., 82, 94

Sri Lanka  287 f. Stabilität  29, 87 f., 103 f., 136, 176, 181, 185, 196, 198, 204, 306, 374, 436, 459, 511, 514, 517 –– …sargument  163, 176, 188, 222, 316 Stanford  127 Straffreiheit  152, 168, 173 Strafgerichtshof  138, 174, 229, 231 f., 240, 283, 288, 301, 305, 329, 341, 468 –– Ad-hoc-… 201, 233, 235, 240, 267, 281, 283, 475, 500 –– hybrider  /  internationalisierter … 231 f., 235, 240, 288, 289, 301, 303, 348, 350, 367 f., 379 –– internationaler … 282, 330, 340, 348, 377, 391, 468, 491 f. Strafgrund  169, 271, 401 Straflosigkeit  48, 52 ff., 55, 95 f., 104, 112, 139, 143, 145, 165, 186, 191 f., 194, 196, 214, 230 f., 240, 246, 248, 260, 286, 288, 303, 329, 334, 338, 363, 366 f., 369, 377 f., 389, 404 f., 410 f., 413, 438, 440, 450, 453 f., 473 f., 493, 497, 517 –– de facto … 95, 204, 414, 420, 444, 458 –– de jure … 95, 204, 461 –– Kampf gegen… (Impunidad)  95, 133, 135, 159, 169, 175, 188, 230, 233, 389, 435, 474, 479, 483, 488 ff., 496, 505 –– …sdebatte  246 –– … vs. Frieden  189 Straftheorie  75 ff., 139, 168, 285 –– deontologische bzw. absolute … 75 f., 79 f., 139 –– relative … 75 f. Strafverfolgung  75, 78 ff., 92 ff., 107, 110, 125 f., 128, 137, 139, 143 ff., 147 ff., 151, 158 ff., 164, 168 ff., 181 f., 184 ff., 188 f., 191 ff., 198, 200, 205 f., 213 ff., 217, 222 f., 226, 228 f., 231 ff., 236 ff., 240 ff., 245, 255, 257, 262 ff., 271, 275 f., 279 ff., 283 ff., 288, 297, 300 ff., 306 f., 309, 311, 313, 316 f., 323, 329, 331 f., 334, 339 f., 342 f., 352 f., 355, 359, 363, 366 f., 378 f., 383 f., 387, 389 ff., 395, 403, 405, 407,

592

Personen- und Sachverzeichnis

410 ff., 418, 421 f., 427 ff., 433, 436 f., 440, 445 f., 449, 463 ff., 470 ff., 475, 478 f., 483, 493, 495, 497 ff., 508, 514, 517 –– … gleich Frieden  189 –– „Versöhnung vs. …“ 29, 176 –– … vs. Amnestie  267 –– … vs. Frieden  189 Strafzweck  74, 77 f., 143, 145, 148, 158, 168, 176, 187, 193, 197 f. Strengthening and coordinating United Nations Rule of Law activities (UN-Podiumsdiskussion)  361 Subdisziplin  121 Südafrika  199, 222 ff., 226, 228 f., 231, 243 ff., 249, 252 ff., 262, 278 f., 281, 283, 287 f., 292, 299, 303, 311, 313 f., 323 ff., 334, 381, 385 ff., 389, 392, 394, 419 f., 471, 493, 497, 504 f., 510 f. Südamerika  52 f., 143 f., 148, 159, 164 ff., 174, 179, 183 ff., 187 ff., 192, 198, 220, 223, 225, 227, 315 f., 318 f., 323 f., 375, 383, 387 ff., 392, 424, 447, 478, 496, 511, 516 Sudan  303, 349, 359 f., 366 f., 369 f. Südkorea  128, 266, 287 f. sui generis  30, 121 Superindictment Proceedings  82, 271 Supplement to an Agenda for Peace  332 f. Systemtransformation  69 Systemunrecht  90, 131, 279 f., 508 Systemwandel  69 Systemwechsel  25, 28, 34, 56, 68 f., 87, 96 f., 106, 145, 167, 169, 189, 227, 279 f., 317 f., 323 Täter  45, 52, 56, 72 f., 75 ff., 79 ff., 95, 97, 112, 146, 151 f., 156, 165, 169 f., 172 f., 176 ff., 181, 185, 188 f., 192, 210, 239, 244 f., 249 ff., 254, 256 f., 260 f., 271, 279, 311, 317, 330, 332, 334, 339, 358 f., 367 f., 376, 388 ff., 396, 399 f., 402 f., 405, 412 f., 416 ff., 421, 423, 427 f., 431 ff., 436, 445,

449 ff., 454, 463 f., 475, 478, 481, 484, 488, 497 f., 514, 516 f. –– Exzess… 173 –– -gruppe  176 –– -kategorien  169 Taylor, Charles  238 f., 350, 368 Teitel, Ruti  43 ff., 53, 56, 77, 90, 125 f., 213, 217, 220, 265, 266, 268 ff., 278, 283, 504 „The Rule of Law and Transitional Justice in Conflict and Post-Conflict Societies“ (Bericht UN-GS)  26, 345, 360 Themengebiet  26, 505 Theologie  30, 46, 132, 223, 507 therapeutic jurisprudence  109 Timor-Leste  30, 166, 231, 236, 287, 298, 340, 348, 367 ff., 516 Tool kits  310, 320 Transdisziplinarität  29, 40, 117 ff., 121, 141, 507 Transformation  35, 39, 44, 69, 106 f., 183, 207, 275 –– …sforschung  69, 106, 111 Transition to democracy  408 Transitional Jurisprudence  77, 80, 82, 85, 126, 139, 228, 268 ff., 275, 303 f. Transitional Justice Institute (University of Ulster)  26, 129, 141, 298, 324, 504 Transitionsdilemma  167, 181, 377, 495 Transitionsstrafrecht  279 Transnational Criminal Justice and Crime Prevention – An International and African Perspective  131, 508 Transnationalisierung(sthese)  207, 225, 228, 263, 267, 279, 294, 319 f., 394 –– Theorie transnationaler Rechts­­ prozesse  115 Trauma  110, 230, 279, 285 f., 288, 302 f., 389 Tribunal spécial pour le Liban, TSL  301, 305, 386



Personen- und Sachverzeichnis593

Truth Commission (Sierra Leone)  166, 258 f., 369 Tschechoslowakei  133, 208, 210 Tu quoque  148 Ubuntu  254 Uganda  166, 182 f., 266, 299, 303, 326, 359 f., Ulster  26, 31, 53, 129 f., 141, 298, 324, 333, 504 f. UN Anti-Folterkonvention  195, 483 UN Anti-Völkermordkonvention  200, 232 UN-Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UN Development Programme)  137, 350, 361, 368 UN-Generalversammlung  138, 325 f., 344, 480 UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR)  113, 138, 335, 345, 350 ff., 354, 356 ff., 365, 387, 475, 485 UN-Menschenrechtskommission  27, 138, 325 ff., 349, 356, 478, 485, 489 UN-Menschenrechtsrat  27, 138, 325, 349, 351, 357, 369 UN-Sicherheitsrat  202, 238, 247, 324, 326, 328 f., 332, 346, 349 f., 360 f., 366 ff., 475 UN-Sonderberichterstatter  266, 340, 386, 480 Ungarn  133, 208, 266, 279, 370, 407, 413 „United Nations Approach to Transi­ tional Justice“ 361, 364 f. „Uniting our strengths: Enhancing United Nations support for the Rule of Law“ (UN-Bericht)  361 Universal jurisdiction (Weltrechts­ prinzip)  230, 303, 378, 380 University of Ulster  129, 298, 333 Unmöglichkeitsargument  194 Untersuchungskommission  159, 170, 172, 232, 263, 265 f.,319, 328, 340, 350, 358, 425, 447, 490 f. Updating the Set of Principles to Combat Impunity  494

Uruguay  145, 166 ff., 182 f., 188, 198, 217, 266, 279, 382, 398, 403, 404, 407 f., 429, 437, 478 US Institute of Peace  126, 265 Utilitaristen, utilitaristisch  75 f., 78, 80, 169, 177, 197, 222, 316 –– Handlungsutilitarismus  80 –– Regelutilitarist  80 van Boven-Prinzipien  114, 445 Velázquez-Rodríguez gegen Honduras (IACtHR)  186, 217, 273, 383, 423, 427, 434 f., 444, 447 Verantwortlichkeit  49, 53, 94, 110, 121, 135, 145 f., 148 f., 157, 159, 172, 178, 183, 188, 191, 193, 200, 201, 204, 217, 236 f., 241, 246, 250, 256 f., 266, 286, 300, 327, 340, 363, 376, 429, 433, 471 –– Prinzip der … 94, 191, 217 Verantwortung  44 f., 47, 52 f., 81, 88, 94 ff.,104, 112, 133, 139, 146 f., 153, 174, 188, 196, 199, 205, 232, 257, 263, 266, 270, 274 f., 286, 294, 298, 306, 316, 319, 325 f., 329 f., 332 f., 335, 338, 342 f., 345, 347, 359, 365 ff., 368 f., 370 f., 376, 378, 390, 395 f., 412, 417, 419, 426, 439, 449 f., 472, 478, 481, 514 –– individuelle … 94, 369, 412 –– kollektive … 44, 146, 204, 274 –– Personen mit der größten Verant­ wortung (those bearing the most responsibility)  104, 196, 232 –– strafrechtliche … 94 ff., 104, 112, 133, 139, 367 f., 371 –– Vorgesetzten… (command respon­ sibility)  266, 294, 298 Verbrechen gegen den Frieden  146 Verbrechen gegen die Menschlichkeit  47, 91, 94, 145 ff., 156, 172, 202, 230, 233, 235, 238, 246, 256 f., 269, 304 f., 326, 330, 334, 359, 376, 378, 400, 405, 413, 420, 428, 442 f., 468, 480, 498 Verdoolaege, Annelies  251, 292

594

Personen- und Sachverzeichnis

Vereinte Nationen (UN)  53, 135 ff., 236 ff., 243, 304 f., 324 ff. Verfahrensgarantien  99, 115, 160 Verfassungsgerichtsbarkeit  244 ff., 511 f. Vergangenheitsaufarbeitung  116, 142, 187, 280, 509 Vergangenheitsbewältigung  54, 121, 149 ff., 157 f., 164, 166 f., 181, 188, 192, 215, 220, 223, 225, 227, 283, 287, 299, 316 Vergangenheitspolitik  52, 107, 160, 167 f., 181, 196, 279 f., 519 Vergebung  46, 109 ff., 112, 144, 208, 224, 251, 253 f., 288, 303, 310 Vergeltung  72, 75 ff., 78, 82, 86, 98, 275 Verhaftung  76, 152, 168, 233, 239, 332, 350, 378, 405 –– willkürliche … 168, 405 Verhinderungsargument  194 Verjährung  196, 242, 265, –– …sdebatte  151 ff. Vermeule, Adrian  125, 127, 284, 289 Verschwindenlassen, gewaltsames  143, 166, 168, 170, 172, 190 ff., 195, 262, 325, 327, 342, 376, 389 f., 397 ff., 401, 405, 411 f., 418, 420 f., 434 ff., 440 ff., 464, 479, 481 f., 488, 498 „Verschwörungs“tatbestand  146, Versöhnung  155, 163 f., 166, 173, 175 f., 185, 187, 189, 192, 198 f., 204, 210, 215 f., 221 ff., 226, 228 f., 230 ff., 237, 240, 244, 246, 248 f., 251, 253 ff., 262 ff., 267, 271, 273 f., 278 f., 281, 283, 286, 288, 291, 292, 296, 298, 302 f., 306, 309, 317, 321, 329, 332 ff., 337, 341 ff., 360, 363, 365 ff., 368, 377, 389, 407, 410, 418 ff., 422 f., 425, 428, 442, 447, 471, 473, 489 f., 497, 519 –– reconciliation versus restoring justice  229 –– … vs. Strafverfolgung  29, 176 Vietnam  145, 148, 176, 304 f. –– …krieg  143, 158 f., 164, 190, 477 Viktimologische Perspektive  101

Vogt gegen Deutschland (EGMR)  465 Völkerrecht  27 ff., 30 ff., 38 f., 48, 54 f., 57, 62, 64 ff., 72, 79, 91 f., 95, 104, 112 ff., 118, 120, 122, 127, 133 f., 143, 146, 148, 155, 164, 182 f., 200, 203, 205, 220, 232, 235, 238, 240, 246, 271, 273, 282, 298, 309, 316 f., 321, 323 f., 344, 346, 353, 355, 359, 368, 372, 376, 393, 415, 436, 459, 471, 474, 476 ff., 485, 494 f., 500 f., 505 f., 510, 513 ff., 516 f., 519 –– …sdogmatisch  29, 42, 112, 139 –– …sgeschichte  34 –– …shistorisch  36, 41 –– …slehre  38, 507 –– …swissenschaft  25, 27 f., 31, 34, 37 f., 41, 91, 113, 115 ff., 140, 506 f., 513 Völkerstrafrecht  28, 55, 57, 64 ff., 78 f., 81 f., 85, 88, 91, 93 f., 96 f., 104, 112, 123, 127, 139, 143 ff., 158 f., 162, 187 ff., 191, 193, 195 f., 199 ff., 204 f., 217, 219, 225 f., 228, 230 ff., 239 f., 250, 259, 271, 281 ff., 296, 298, 300 f., 303 f., 315 ff., 344 ff., 350 ff., 366, 392, 467, 472, 475, 494, 500 f., 505, 508 f., 511, 518 f. –– …licher Ansatz  94, 96, 104, 315 Vorhersehbarkeit des Rechts  135 Wahrheit  45, 57, 67, 74, 93, 95, 104, 112, 130, 139, 155, 166, 184 ff., 199, 203, 212, 215, 223, 228 f., 231 f., 244, 248, 256, 259, 272, 281, 288, 318 f., 343, 352, 365, 369, 393 f., 398, 421 f., 425, 432 f., 436 ff., 441, 445 ff., 484, 490 –– historische … 190, 210 –– -sfindung  51, 53, 190, 251, 311 –– -skommission  27, 30, 37, 45, 55, 59, 61, 65, 66 f., 74 ff., 84, 88, 93 f., 97, 103, 108, 115, 133, 138, 144 f., 162, 166, 168, 172, 178, 189 f., 191 f., 199, 205, 207, 215, 225 f., 228 ff., 232, 239, 241, 245 f., 248, 255, 257, 259 f., 262 f., 265, 267, 272 f., 275 f., 281, 283, 288, 291, 294, 300, 303 f., 307, 311, 313,



Personen- und Sachverzeichnis595

332 f., 338, 342 f., 348, 352 f., 357 f., 368 ff., 378, 380 f., 383, 387, 390 f., 412, 422, 424, 427, 431, 433, 446, 471 ff., 473 ff., 493 ff., 504, 510, 516 –– … und Versöhnung  192, 199, 248 ff. ––südafrikanische … 53, 74, 226, 255, 381 ––…- und Versöhnungskommission  74, 130, 132, 221 f., 229, 232, 244, 253, 258 f., 278, 283 ff., 292, 298, 317, 367 f., 377, 419 f., 519 Walling, Carrie Both  125, 128, 301, 307, 312, 390 War on terror  299 Weidlich u. a. gegen Deutschland (EGMR)  461 Weltkrieg –– Erster … 44, 277 –– Zweiter … 44, 66, 142 f., 145, 147, 149, 157 f., 188, 192, 201, 207, 229, 231, 265 f., 273, 309, 316, 390, 448, 457, 476 Weltrechtsprinzip (universal jurisdiction)  175, 230, 240, 244, 286 ff., 296, 301, 303, 378, 380, 391, 480 f., 483, 494 Weschler, Lawrence  50 f., 182, 198, 220 f., 266 Westlaw  58 f., 60 ff., 64, 124 Whitehead, Laurence  69, 180 Wiedergutmachung  72, 74, 94, 109, 112, 154 f., 232, 254, 412, 421, 513, 516 f.

wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte  91, 360, 375, 489 Wissenschaftler –– Politik… 49 f., 55, 120, 127 f., 182 f., 214, 227, 266, 277, 295, 382, 506 –– Rechts… 28, 37 f., 50, 113, 213, 224, 282, 321 f., 503, 506 f. Wissenschaftliche Institutionen  124 Wissenschaftsgemeinschaft  33, 37 f., 49, 121, 141, 186, 227, 266 f., 278, 282, 317, 324, 503, 505 Wissenschaftssoziologie  35 ff., 39, 41 Wissenssoziologie  36 Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances (WGEID)  327, 482 f. Yale  43, 127, 131, 141, 269, 504, 506 Zalaquett, José  50, 183 f., 186 f., 221 f., 266, 277, 317, 376, 382, 389, 504, 510 Zentralamerika  52, 167, 497 Zitationsanalyse  124, 141, 193, 228, 285, 294, 301 Zitationshäufigkeit  37 f., 124, 298 Zivilgesellschaft  28, 46, 128, 133, 161, 182, 215, 258, 260 ff., 299, 322, 356 f., 379 Zyl, Paul van  130, 132, 221, 278, 383, 389

SUMMARY The publication with the title “Transitional Justice in context - On the genesis of a research area between the poles of science, practice and jurisprudence” looks into the development of “transitional justice” as a keyword in today’s (legal) science and international practice. The first part portrays different accounts of the development of “transitional justice” and tracks the frequency and trends of publication activity on this subject. By adopting an interdisciplinary approach, the second part undertakes a “mapping” of the discourse of transitional justice and defines two key terms in the field (“transition” and “justice”) and their use. The third part presents the development of the field by addressing the key discourse markers during the evolution of the scientific literature on this subject. Different discourse strands within the transitional justice discourse (such as human rights, philosophy of law, international criminal law, political science etc.) are also identified. The following chapters deal with the activities of leading actors in the field of practice, especially governmental and non-governmental actors, and key judgments of international and regional bodies and courts. The final part of the publication summarizes – in a rather critical perspective – the results of the dissertation by analysing the main messages of transitional justice and discussing their potential significance for the theory of human rights.

RÉSUMÉ Cette publication sous le titre «La justice transitionnelle en contexte – La genèse d’un domaine de recherche entre science, activités et jurisprudence» s’intéresse au développement de la «justice transitionnelle» comme mot-clé dans la science (juridique) et la pratique internationale d’aujourd’hui. La première partie présente les différents exposés du développement de la justice transitionnelle et trace les tendances d’activité de publication dans ce domaine. En choisissant une méthodologie interdisciplinaire, la deuxième partie entreprend un «mapping» du discours de la «justice transitionnelle» et définit les deux termes clés du discours («transition» et «justice») et leurs emploi. La troisième partie présente le développement du discours en traitant ses marqueurs de discours principaux. Egalement sont analysés les discours différents en sein de la justice transitionnelle: les droits de l’homme, la philosophie de droit, le droit international pénal, les sciences politiques, etc. Les chapitres suivants traitent du développement des activités des acteurs principaux, en particulier des organisations gouvernementales et non-gouvernementales, et des jugements clés des organes et tribunaux au niveau international et régional. Dans une perspective plutôt critique, la partie finale résume les résultats de la thèse en analysant les messages principaux de la justice transitionnelle et en soulignant leurs signification potentielle pour la théorie des droits de l’homme.