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German Pages 370 [374] Year 2010
Joachim Bauer / Olaf Breidbach / Hans-Werner Hahn (Hg.) Universität im Umbruch
PALLAS ATHENE -----------------------Beiträge zur Universitätsund Wissenschaftsgeschichte
Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Lorenz Friedrich Beck
Band 35
Joachim Bauer / Olaf Breidbach / Hans-Werner Hahn (Hg.)
Universität im Umbruch Universität und Wissenschaft im Spannungsfeld der Gesellschaft um 1800
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2010
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09788-8 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. © 2010 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Printed in Germany
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ........................................................................................................... 7 Teil I: Die Universität im Spannungsfeld der Gesellschaft um 1800 ....... 11 Hans-Werner Hahn Universität und Nation im 19. Jahrhundert. Zur Rolle der Universität Jena in der deutschen Nationalbewegung ....................................................... 13 Klaus Ries Universität und Gesellschaft – ein wechselseitiger Modernisierungsprozeß .................................................................................. 35 Werner Greiling Universität und Öffentlichkeit. Wahrnehmung und „Öffentlichkeitsarbeit“ der Alma mater Jenensis um 1800 ............................ 53 Stefan Gerber Korporation und „Staatsanstalt“. Anmerkungen zum Verhältnis von Universität und Staat um 1800 ........................................................................ 75 Marian Füssel Akademische Konstellationen um 1800. Zeitgenössische Wahrnehmungen der Universitäten Halle und Göttingen im Vergleich ......... 95 Stefan Wallentin „Nach befinden ihrer fähigkeit.“ Zur Professionalisierung medizinischer Berufsausübung und -bildung in Sachsen-Weimar-Eisenach um 1800 .......... 121 Joachim Bauer / Gerhard Müller Irrengesetzgebung in Sachsen-Weimar-Eisenach ........................................... 137
Teil II: Universität und Wissenschaft in der „Sattelzeit“ ......................... 161 Olaf Breidbach Die Ordnung der Wissenschaft und die Strukturierung der Dinge. Bemerkungen zur Naturwissenschaft in Jena vor 1850 .................................. 163
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Inhaltsverzeichnis
Birgit Sandkaulen Knowing how. Ein Plädoyer für Bildung jenseits von Modul und Elfenbeinturm ............................................................................... 183 Notker Hammerstein Akademien, Societäten und Universitäten. Konkurrenz oder Kooperation ........................................................................ 195 Frank Wagner Reform, Innovation, Wettbewerb – Die Universitäten in Jena und Berlin um 1800 ................................................................................ 207 Steffen Kublik / Susanne Zimmermann Zum akademischen Leben an der Medizinischen Fakultät der Universität Jena um 1800 ............................................................................... 225 Franziska Schulz „Hauptsache aber für das Emporkommen der Universität ist die Bibliothek“. Leser und Lektüre der Universitätsbibliothek am Anfang des 19. Jahrhunderts ........................................................................................ 259 Ralf Koerrenz Religiöse Selbstformierung und die Funktionalisierung der Offenbarung. Friedrich Immanuel Niethammer und die universitären Bildungsreformdebatten um 1800 ............................................................................................ 283 Nicolas Robin Struktur der wissenschaftlichen Botanik in Jena und Beispiele ihrer Rezeption nach 1800 ....................................................................................... 297 Thomas Bach Der Begriff der Naturwissenschaften im Lehrangebot der Universität Jena ............................................................................................... 307 Abkürzungen ................................................................................................... 321 Literaturverzeichnis ........................................................................................ 323 Personenregister .............................................................................................. 357 Publikationen des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ ......... 365
Vorwort „Es ist ein großer auffallender Kontrast, wenn man von Erfurt nach Jena kommt. Dort findet man eine veraltete, gleichsam schon im Todesschlummer liegende Universität, hier eine andere voll Leben und frischer Jugendkraft. In der That gehört Jena itzt zu denen Universitäten, die die meiste Aufmerksamkeit und Achtung verdienen“.1
Diese Sätze schrieb der preußische Reformer Friedrich Gedike 1789 nach einer Reise, die ihn durch mehrere Universitäten geführt hatte, an den preußischen König Friedrich Wilhelm II. Leistungskraft und Ansehen der Universität Jena nahmen in den Folgejahren trotz begrenzter materieller Ressourcen der vier Erhalterstaaten noch weiter zu. Zunächst sorgten die vor allem von Fichte, Schelling und Hegel geprägte Philosophie und die von der Anziehungskraft Loders profitierende Medizin für hohe Studentenzahlen und eine europaweite Ausstrahlung. Nach der durch die Abwanderung bedeutender Professoren hervorgerufenen Universitätskrise von 1803 führte wenige Jahre später die starke Politisierung der Studentenschaft dazu, daß Jena mit der Gründung der Urburschenschaft von 1815 und dem Wartburgfest von 1817 nochmals große Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit fand. Neben dem Weimarer Hof bildete die von ihm maßgeblich geförderte Universität Jena somit die entscheidende Grundlage jener kulturellen Blütezeit, der sich der in Jena angesiedelte Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar Jena. Kultur um 1800“ über ein Jahrzehnt in ganz verschiedener Weise gewidmet hat. Folglich stand auch die Geschichte der Universität Jena im Zentrum der interdisziplinär angelegten Forschungen. Zahlreiche Teilprojekte befaßten sich sowohl mit dem Wirken herausragender Personen der Salana als auch mit den Netzwerken und Handlungsebenen von Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft. Im Vergleich mit den allgemeinen Entwicklungen der Universitätsgeschichte des Alten Reiches, des Rheinbundes, des Deutschen Bundes und der gesamteuropäischen Wissenschaftsgeschichte sollte am Fallbeispiel der Universität Jena genauer bestimmt werden, welcher Anteil einer alten, die europäische Kultur über Jahrhunderte bestimmenden Korporation „Universität“ an den kulturellen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Wandlungsprozessen zufiel. Zahlreiche Arbeiten haben neue Einblicke in die Jenaer Universitätsgeschichte eröffnet. Deutlicher als bisher konnte dabei gezeigt werden, daß im Weimarer Territorialstaat der Takt nicht nur in der Residenz vorgegeben wurde, sondern daß seit Gründung der Hohen Schule im Jahre 1548 auch in Jena ein geistig-kulturelles Zentrum entstand, das vor allem an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert auf ganz Deutschland ausstrahlte. Dies war der Grund, warum bereits Goethe gegenüber seinem Ministerkollegen Voigt von „Weimar-Jena, der großen 1
Fester, R., Gedike, 1905, 78.
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Vorwort
Stadt, die an beiden Enden viel Gutes hat“2, sprach. Besonders bemerkenswert war, daß diese Blüte der Jenaer Universität in eine für ganz Europa dramatische Umbruchszeit fiel, in der viele Universitäten eine ganz andere Entwicklung nahmen. Walter Rüegg hat seinem dritten Band der Geschichte der Universität in Europa ein zutreffendes Bild vorangestellt: „Nach der Französischen Revolution und den Eroberungen Napoleons präsentierte sich die europäische Universitätslandschaft als Trümmerfeld.“3 Von den 143 im Jahre 1789 in Europa existierenden Universitäten gab es 1815 nur noch 83. In Deutschland überlebten von 34 noch 18, in Spanien noch 10 von 25 und in Frankreich gab es von den ursprünglich klassisch ausgerichteten 24 Universitäten keine mehr.4 700 Jahre europäische Universitätsgeschichte standen auf dem Prüfstand. 1806 hatte dieses Trümmerfeld auch in direkter Weise Jena und seine Universität erreicht, als Napoleon durch Mitteldeutschland zog. Das Schicksal der Universität Jena hing aber nicht nur von der verloren gegangenen Schlacht ab. Die Krise der Universität hatte die Salana schon drei Jahre zuvor erreicht, als eine Reihe ihrer bedeutendsten Hochschullehrer – Schelling, Loder mit seiner Anatomischen Sammlung, der Theologe Paulus, der Jurist Hufeland, der Philologe Schütz samt der „Allgemeinen Literaturzeitung“ – an auswärtige Universitäten abwanderten. Nach diesen vor allem vom preußischen Halle ausgehenden massiven Abwerbungen konnte die Weimarer Staatsführung einen weiteren Niedergang der Universität aber dadurch aufhalten, daß sie unter Federführung Goethes stärker als zuvor in die Entwicklung der Salana eingriff. Anders als vor 1800 legte man das Hauptgewicht nicht mehr darauf, überragende philosophische Köpfe nach Jena zu holen. Im Vordergrund stand jetzt die Profilierung der Einzelwissenschaften. Vor allem aber strebte die Weimarer Führung jetzt danach, die Herrschaft über alle materiellen Grundlagen und Bedingungen von Wissenschaft zu sichern und sich auf diesem Feld nicht von einzelnen Professoren abhängig zu machen. Die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte besaß seit Beginn des SFB 482 einen hohen Stellenwert. Sie stand im Zentrum mehrerer, sich ergänzender Teilprojekte. Bereits im Jahre 2000 initiierte man eine Tagung unter dem Motto „Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800“. Damals ging es im Fokus „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ darum, den Gegenstand in interdisziplinärer Weise und fachübergreifend zu diskutieren.5 Es ging um die Bedeutung einer alten deutschen Universität in Zeiten des Umbruchs der nationalen und europäischen Hochschullandschaft. Vor allem sollte hinterfragt werden, inwieweit Jena eine Mittlerfunktion zwischen den Reformuniversitäten Halle und Göttingen und der Neugründung in Berlin einnahm. Damals interessierten die Alleinstellungsmerkmale der Salana und jene Strukturen, die sie widerstands- und überlebensfähig machten. Mit der maßgeblich auch von Goethe initiierten „extra2 3 4 5
Goethe an Voigt v. 01.05.1807, in: Tümmler, H., (Hg.), Goethes Briefwechsel mit Voigt, Bd. 3, 1962, 162. Rüegg, W., Themen, in: Geschichte, Bd. 3, 2004, 17. Vgl. ebd. Vgl. Müller, G./Ries, K., /Ziche, P., (Hrsg.), Universität Jena, 2001, 7.
Vorwort
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ordinären Universität“ wurde eine Struktur umschrieben, die sich außerhalb der eigentlichen ständischen Korporation entwickelte, gleichwohl aber mit dieser eng verwoben war. Die Grundelemente bestanden aus innovativen Ansätzen der Personalrekrutierung, neuen, neben der Universität errichteten wissenschaftlichen Institutionen (Sammlungen, Museen, Kabinetten, Laboratorien, der Bibliothek und dem 1794 eingerichteten Botanischen Garten) sowie der Initiierung und Unterstützung privater Sozietäten. Wie sich diese Struktur um 1800 auf die Entwicklung der Universität Jena auswirkte und wie sich der komplizierte Übergang zu den neuen Verhältnissen des 19. Jahrhunderts gestaltete, wurde in den folgenden Jahren in einer stattlichen Anzahl von Veröffentlichungen detailliert untersucht.6 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang vor allem auf Gerhard Müllers große Studie zum Wirken Goethes als Universitäts- und Bildungsreformer.7 Klaus Ries zeigte, welch großen Einfluß „politische“ Professoren wie Luden, Fries und Oken auf die Politisierung von Studenten und Region ausübten und wie sie damit zur programmatischen Orientierung des deutschen Frühliberalismus und -nationalismus beitrugen.8 Joachim Bauer vermittelte in seiner Analyse der universitären Erinnerungskultur neue Einsichten in die Entstehung des Bildes vom nationalen und liberalen Jena, das im 19. Jahrhundert nicht nur zunehmend die Selbstinszenierung der Salana, sondern auch ihre Außenwahrnehmung bestimmte.9 All diese Arbeiten trugen dazu bei, daß Jena inzwischen zu den am besten erforschten alten Universitäten im europäischen Raum gehört und wichtige Anregungen für vergleichende universitäts- und wissenschaftsgeschichtliche Arbeiten bieten kann. Die vom 5. bis 7. November 2008 veranstaltete Tagung, deren Beiträge dieser Band enthält, sollte daher nicht nur die im SFB 482 erzielten Forschungsergebnisse resümieren und präsentieren. Zugleich ging es darum, neue methodische Impulse und Anregungen für die Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte aufzugreifen und einen Vergleich im nationalen Kontext anzustreben. Dies alles spiegelt sich in den einzelnen Beiträgen wider. Im ersten Teil des Bandes liegt der Schwerpunkt auf Fragestellungen aus den historisch orientierten Teilprojekten des SFB. Es geht um das Verhältnis von Universität und Gesellschaft im weiten Sinne. Die Beiträge von Hans-Werner Hahn zu „Universität und Nation im 19. Jahrhundert“, Klaus Ries zu „Universität und Gesellschaft – ein wechselseitiger Modernisierungsprozeß“ und Stefan Gerber zu „Korporation und ,Staatsanstalt’“ nehmen die „großen“ Entwicklungslinien aus ganz unterschiedlichem Blickwinkel ins Visier. Werner Greilings Beitrag zu „Universität und Öffentlichkeit“ und Marian Füssels Beitrag zu „Akademische[n] Konstellationen um 1800“ spüren der Selbstwahrnehmung und systematischen Selbstinszenierung der Universitäten Halle, Göttingen und Jena in der Öffentlichkeit nach. In den Beiträ6 7 8 9
Vgl. Hahn, H.-W., Aufbruch, 2010. Vgl. Müller, G., Regieren, 2006. Vgl, Ries, K., Wort, 2007. Bauer, J., Universitätsgeschichte, 2009.
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Vorwort
gen von Stefan Wallentin, Joachim Bauer und Gerhard Müller stehen wiederum Wechselwirkungen zwischen Universität und Gesellschaft bzw. Staat am Beispiel der Professionalisierung medizinischer Berufsausbildung und der „Irrengesetzgebung“ im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach im Mittelpunkt. Die Beiträge des zweiten Teils nehmen das Wechselverhältnis von Universität und Wissenschaft zwischen 1770 und 1830 in den Blick. In diesen Jahren erwachsen in der Universität neue Konzepte von Bildung. In diesen Jahren löst sich der Anspruch einer Vernunft in der Rationalität der sich formierenden Fachdisziplinen in neuer Weise ein. Diese Jahre markieren denn auch den Umbruch der Lehreinheit Universität zu einer Forschung und Lehre integrierenden Bildungseinheit. War vor 1800 noch die Akademie oder die wissenschaftliche Gesellschaft der Träger und Ort von Forschungsvorhaben, so verlagert sich die Forschung nach 1800 in Jena zusehends an die Universität. Die Grundidee der Einheit von Forschung und Lehre, die Humboldt in Berlin explizit zum Ansatz seiner Neuorganisation der Universität nahm, konturiert sich demnach in seinen wesentlichen Zügen vorab schon in Jena. Eingeleitet durch eine grundsätzliche Skizze der Umschichtungen in der Forschungssituation um 1800 (Olaf Breidbach), thematisieren im vorliegenden Band Ralf Koerrenz und Birgit Sandkaulen die neuen Konzepte von Bildung und die neuen Formen einer Wissenssystematik. Notker Hammerstein beschreibt das konkurrierende und kooperierende Verhältnis von Akademie und Universität um 1800. Frank Wagner vergleicht Jena und Berlin. Franziska Schulz, Nicolas Robin und Thomas Bach thematisieren Struktureinheiten und Strukturierungsvorgaben der Jenaer Universität, und Steffen Kublik und Susanne Zimmermann beschreiben die seinerzeit größte Fakultät der Universität Jena: die Medizinische. So suchen wir in diesem Band die Grundzüge der Wissens- und Wissenschaftsstrukturen in und im Umfeld der Jenaer Universität aufzuweisen. Ziel ist es, in der Vernetzung mit den explizit struktur- und politikgeschichtlich geführten Perspektivierungen den Blick dafür zu öffnen, wie sich schon um 1800 die Konturen des späteren Erfolgsprogramms der „deutschen Universität“ formierten. Zu danken ist unseren Autoren. Zu danken ist dem Rektor der Friedrich-SchillerUniversität Jena, Herrn Prof. Dr. Klaus Dicke, und deren Kanzler, Herrn Dr. Klaus Bartholmé, für vielfältige Unterstützung universitätsgeschichtlicher Arbeiten und den finanziellen Zuschuß zur Drucklegung dieses Bandes. Zu danken ist schließlich Herrn Dr. Steffen Kublik, Herrn Kevin Seifert, Frau Jenny Brys und Herrn Horst Neuper für die kontinuierliche Unterstützung bei der Herstellung des Bandes und dem Franz Steiner Verlag für die Betreuung dieser Publikation. Last but not least gilt unser Dank Herrn Prof. Dr. Rüdiger vom Bruch für die Aufnahme in die Reihe „Pallas Athene“. Jena, im Juni 2010 Joachim Bauer, Hans-Werner Hahn und Olaf Breidbach
TEIL I Die Universität im Spannungsfeld der Gesellschaft um 1800
Universität und Nation im 19. Jahrhundert Zur Rolle der Universität Jena in der deutschen Nationalbewegung1 Hans-Werner Hahn Als dem aus Preußen stammenden Demokraten und Historiker der deutschen Freiheitskriege, Heinrich Beitzke, 1858 die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Jena verliehen worden war, hob er in seinem Dankesschreiben hervor, wie stolz er darauf sei, diese Ehrbezeugung von einer Universität erhalten zu haben, die im Laufe ihrer nun dreihundertjährigen Geschichte „eine so große Wirksamkeit auf das gemeinsame Vaterland ausgeübt hat“.2 Die besonderen Leistungen, welche die Salana für Deutschland erbracht hatte, wurden aber auch von vielen anderen hervorgehoben, die 1858 in Jena feierten oder ihre Glückwünsche nach Jena schickten. Selbst Prinz Wilhelm von Preußen, der spätere preußische König und deutsche Kaiser, schenkte der Universität am 1. August 1858 gemeinsam mit seiner aus dem Hause Sachsen-Weimar stammenden Ehefrau Augusta zu ihrem Jubiläum drei Büsten von Fichte, Schelling und Hegel und verwies in diesem Zusammenhang auf die große Bedeutung Jenas als Hüterin des deutschen Geistes und der deutschen Wissenschaft.3 Auch der linke Demokrat Jacob Venedey, der seinen entschiedenen Kampf für Einheit und Freiheit mehrfach mit großen persönlichen Opfern bezahlt hatte, hob anläßlich des Universitätsjubiläums hervor, daß die Salana dank einer über Jahrhunderte segensreichen Politik der Ernestiner, aber vor allem auch aufgrund des Wirkens der hier tätigen Professoren und Studenten ein Hort deutscher Geistesfreiheit, ein Zentrum liberalen Denkens und damit ein Ort von wissenschaftlichem wie politischem Fortschritt sei.4 Am Beispiel dieser Universität könne ganz Deutschland gezeigt werden, daß ungeachtet aller Rückschläge, wie sie die Schlacht bei Mühlberg 1547, der Sieg Napoleons vor den Toren Jenas im Jahre 1806, die Karlsbader Beschlüsse von 1819 gegen die politisierte Studentenschaft und die gescheiterte Re1
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Der Beitrag geht zurück auf einen öffentlichen Abendvortrag, der am 07.11. 2008 im Rahmen der Tagung „Die Universität Jena um 1800“ gehalten wurde. Aufbau und Stil wurden nur geringfügig geändert. Der Anmerkungsapparat enthält nur die wichtigsten Titel und die Belege für die Zitate. Dekanatsakten der Philosophischen Fakultät 1858/59, Bd. III., UAJ; Zur Ehrenpromotion von Beitzke ausführlich: Hahn, H.-W., Geschichtsschreibung, 2002. Venedey, J., Les Fêtes d’Iéna, 1858, 421. Vgl. hierzu Hahn, H.-W., Gardienne (...), 2007. Venedey folgte hier dem Geschichtsbild, das Karl Biedermann in seiner großen Abhandlung zur Jenaer Universitätsgeschichte im Jubiläumsjahr 1858 präsentierte. Vgl. Biedermann, K., Universität Jena, 1858.
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Hans-Werner Hahn
volution von 1848/49 darstellten, der gesellschaftliche und politische Fortschritt auf Dauer nicht aufzuhalten war. Für Venedey war daher die ihr dreihundertjähriges Bestehen feiernde Universität Jena besonders geeignet, um zehn Jahre nach der gescheiterten Revolution von 1848/49 einen neuen politischen Aufbruch einzuläuten. Nach 1815 hätten Jenaer Studenten als erste versucht, das „jämmerliche Bild der Zersplitterung des deutschen Volkes“ zu überwinden5, nun sollte von Jena aus nach dem Willen Venedeys ein neues Signal für ein freies und einiges Deutschland gesetzt werden. Die Universität Jena hielt sich gegenüber einer solch klaren Politisierung ihres Gründungsjubiläums zwar zurück. Aber auch sie gab in mehrfacher Hinsicht zu erkennen, wie sehr sie sich den seit den Freiheitskriegen gegen Napoleon von Jena aus immer wieder artikulierten Einheits- und Freiheitsvorstellungen verbunden fühlte.6 Dies zeigten die zahlreichen Ehrenpromotionen, die 1858 anläßlich des Jubiläums an liberale Theologen, liberal-demokratische Publizisten und Politiker, die sich 1848/49 als Verteidiger der deutschen Ansprüche auf SchleswigHolstein hervorgetan hatten, vergeben wurden. Auch wenn in der Festrede des Jenaer Professors der Beredsamkeit, Göttling, die wissenschaftlichen Leistungen der Salana und die ernestinische Tradition im Zentrum standen, so hob doch auch er zugleich die besonderen Verdienste hervor, die sich Professoren und Studenten Jenas in den Freiheitskriegen gegen Napoleon und bei den mit ihnen einsetzenden deutschen Einheitsbestrebungen erworben hatten.7 Dieses Bild vom „nationalen Jena“ hatte längst einen festen Platz im kulturellen Gedächtnis der Universität. Die politischen Professoren mit ihrem antinapoleonischen und frühliberalen Schrifttum, die Gründung der Urburschenschaft und das durch sie initiierte Wartburgfest des Jahres 1817 hatten den Ruf Jenas begründet, stärker als die anderen Landesuniversitäten der gesamtdeutschen Sache verpflichtet zu sein. Zudem ließ sich dieser neue Mythos vom „nationalen Jena“ leicht mit dem alten lutherischprotestantischen Gründungsmythos von Jena verknüpfen8, denn das Beispiel der thüringischen Universität erschien den liberalen Kräften besonders geeignet, die engen Zusammenhänge zwischen der Reformation einerseits und den seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert aufgekommenen Bestrebungen nach politischer Emanzipation und nationaler Selbstbestimmung andererseits deutlich zu machen. Über die Bedeutung, die der Universität Jena im Prozeß der deutschen Nationsbildung des 19. Jahrhunderts zufiel, ist schon viel geschrieben worden. Der folgende Beitrag betritt daher kein wissenschaftliches Neuland, sondern verfolgt das Ziel, in mehreren Schritten den neueren Forschungsstand zu diesem Thema zu skizzieren und dabei vor allem auch Ergebnisse aus Arbeiten des Jenaer Sonderforschungsbereichs „Ereignis Weimar-Jena“ und der Senatskommission zur Aufarbeitung des Universitätsgeschichte des 20. Jahrhunderts mit den neueren For5 6 7 8
Venedey, J., Les Fêtes d’Iéna, 1858, 416. Zum Universitätsjubiläum von 1858 vgl. Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 396 ff.; Halle, A., Forum, 2007. Halle, A., Erinnerungskulturen, 2009, 261. Hierzu jetzt ausführlich, Bauer, J., Universitätsgeschichte, 2009 (MS).
Universität und Nation im 19. Jahrhundert
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schungen zu Nationalismus und Nationsbildung zu verknüpfen. Erstens soll danach gefragt werden, wo die Gründe dafür lagen, daß Jena um 1815 eine führende Rolle im frühen deutschen Nationsbildungsprozeß einnehmen konnte. Zweitens sollen die politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Zielvorstellungen dieses hier sehr früh und intensiv hervortretenden Einsatzes für die deutsche Einheit skizziert werden. Drittens soll gezeigt werden, wie diese frühen Anstöße zwischen 1819 und der Reichsgründung von 1871 weiterwirkten und über welche Wege und mit welchen Mitteln die Universität Jena die innere Nationsbildung der Deutschen beeinflußte. Anschließend soll ein kurzer Ausblick auf die Zeit nach 1871 gegeben werden. Wenn man nach den Gründen fragt, welche die Universität Jena um 1815 zu einem Zentrum der frühnationalen und liberalen Bewegung werden ließen, so sind mehrere Dinge anzusprechen. Wichtige Voraussetzungen wurden zunächst einmal durch eine Universitätspolitik geschaffen, die unter Führung Sachsen-Weimars im ausgehenden 18. Jahrhundert Innovations- und Leistungskraft der Universität durch neue wissenschaftliche Einrichtungen und die Berufung von Vertretern neuer Denk- und Wissenschaftsrichtungen gesteigert hatte.9 In diesem Zusammenhang waren es vor allem zwei Dinge, die Jenas spätere Rolle im Prozeß der inneren Nationsbildung vorbereiteten: zum einen war es der Glanz, der vom Ereignis Weimar-Jena mit seinen herausragenden kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen ausging. Zum anderen war es die relativ freie intellektuelle und literarische Atmosphäre, die Jena von vielen Zeitgenossen nachgesagt wurde. So schrieb Schiller 1787: „Die unter 4 sächsische Herzoge vertheilte Gewalt über die Academie macht diese zu einer ziemlich freien und sichern Republick, in welcher nicht leicht Unterdrückung stattfindet (…) Die Professoren sind in Jena fast unabhängige Leute und dürfen sich um keine Fürstlichkeit bekümmern. Diesen Vorzug hat Jena unter den Akademien voraus“.10
Obwohl die Herrschaft gerade in den 1790er Jahren – wie der Konflikt um Fichte oder das Vorgehen gegen die Studentenorden zeigte – die Politisierung der Lehre und ein praktisches politisches Wirken von Gelehrten zu blockieren versuchte und daher auch vor Eingriffen in die Autonomie der Universität nicht zurückschreckte11, boten sich in Jena um 1800 doch in vielfacher Hinsicht für Studenten
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Grundlegend hierzu Müller, G., Regieren, 2006; vgl. ferner: Müller, G. / Ries, K. / Ziche, P. (Hg.), Universität Jena, 2001. 10 Schiller an Körner vom 29.08. 1787, in: SNA, Bd. 24: Briefwechsel, Weimar 1989, 148. Zum Lob der akademischen Freiheit in Jena vgl. etwa auch: Rebmann, A. G. F., Jena fängt an, mir zu gefallen, 1994, 65 f. 11 Hierauf verweist vor allem der amerikanische Germanist Wilson, der für die Zeit um 1800 von einer wachsenden Unterdrückung der Lehr- und Denkfreiheit an der Salana und von der schleichenden Unterhöhlung der Universitätsautonomie durch den weimarischen Staat spricht. Vgl. Wilson, W. D., Goethe-Tabu, 1999, 175 ff.; vgl. auch: ders. (Hg.), Goethes Weimar, 2004. Eine ausführliche kritische Auseinandersetzung mit Wilsons Weimar-Bild liefern: Bauer, J. / Müller, G., „Des Maurers Wandeln, (...)“, 2000.
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und Professoren größere Freiräume als an anderen deutschen Universitäten.12 Die großen Veränderungen, die mit dem Ende des Alten Reiches und dem Eintritt der thüringischen Staaten in den Rheinbund verbunden waren, schränkten den Entfaltungsspielraum der um ihre Existenz ringenden Universität zwar vorübergehend wieder ein.13 Der repressive Grundzug der napoleonischen Politik und die Bestrebungen von Teilen der Weimarer Herrschaftseliten, sich mit der Rheinbundpolitik zu arrangieren, blockierten zwar zunächst die von der Universität ausgehenden Politisierungsprozesse. Auf der anderen Seite aber gewannen Rheinbundskeptiker und -kritiker wie der Historiker Heinrich Luden in Jena bald Freiräume, die anderswo im rheinbündischen Deutschland so nicht existierten. Dies hing zum einen mit der napoleonkritischen Haltung von Teilen der Herrschaftselite zusammen. Zum anderen war es aber vor allem auch darauf zurückzuführen, daß Kultur und Wissenschaft unter den neuen Verhältnissen nun noch mehr als früher zu einer zentralen Legitimationsgrundlage kleinstaatlicher Existenz geworden waren.14 Je mehr man sich aber auf die Kultur als entscheidende Legitimationsgrundlage einer vielfach in Frage gestellten kleinstaatlichen Existenz berief, desto mehr war man auf die Kräfte des Bildungsbürgertums angewiesen, in dem vor allem nach 1809 die Unzufriedenheit mit der napoleonischen Herrschaft und die Kritik an verweigerten Freiheits- und Partizipationsrechten zunehmend größer wurden. In dieser Situation gelang es Jenaer Gelehrten wie dem Historiker Heinrich Luden und dem Naturphilosophen und Naturforscher Lorenz Oken, die Universität Jena zu einem wichtigen Ausgangspunkt des deutschen Frühnationalismus und -liberalismus zu machen.15 Diese über Lehre, Publizistik und öffentliches Engagement in die politische Praxis drängenden Professoren wurden zugleich zu Impulsund Ideengebern einer neuen studentischen Bewegung. Der im ausgehenden 18. Jahrhundert begonnene Versittlichungs- und Verbürgerlichungsprozeß der Studenten16 verband sich unter dem Einfluß von Ludens Vorlesungen über vaterländische Geschichte mit den neuen Ideen eines politisch geeinten und die Freiheitsrechte seiner Bürger sichernden Deutschland und führte schließlich unter dem Eindruck der Freiheitskriege im Juni 1815 zur Gründung der Jenaer Urburschenschaft.17 Zu den Jenaer Besonderheiten gehörte aber nicht nur die enge intergenerationelle akademische Wertegemeinschaft zwischen politischen Professoren und Studenten, die durch das Bekenntnis zu den neuformulierten bürgerlichen Werten, den frühliberalen Ideen und einem stark von der Romantik beeinflußten Nationalismus zusammengehalten wurde.18 Auch das neue Verhältnis von 12 Vgl. Ries, K., Wort, 2007. 13 Zu den Folgen des Umbruchs vgl. die entsprechenden Beiträge in: Klinger, A. / Hahn, H.W. / Schmidt, G. (Hg.), Jahr 1806, 2008. 14 Ries, K., Kultur, 2007. 15 Ausführlich hierzu Ries, K., Wort, 2007. 16 Vgl. Hardtwig, W., Krise, 1985. 17 Vgl. Bauer, J. / Gerber, S., Politisierung, 2008. 18 Hierzu Ries, K., Wort, 2007, 283 ff.
Universität und Nation im 19. Jahrhundert
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Stadt und Universität begünstigte in Jena die Verbreitung der neuen politischen Leitideen. Zwar war das Distinktionsbedürfnis der Gebildeten gegenüber den Stadtbürgern noch immer recht ausgeprägt. Das zeigen nicht zuletzt die neueren demographischen Studien.19 Dennoch ließen die großen Herausforderungen, denen auch und gerade die Stadt Jena zu Beginn des 19. Jahrhunderts unterworfen war, reformorientierte Kräfte des akademischen wie des städtischen Bürgertums enger zusammenrücken. Dadurch entfaltete sich eine neue, von Universität und Stadt getragene gesellschaftliche Dynamik, die mit den Freiheitskriegen voll zum Ausdruck kommen sollte.20 Das Zusammengehen der verschiedenen bürgerlichen Sozialformationen wurde durch den Diskurs über bürgerliche Werte, praxisnähere Konzepte des aufklärerisch orientierten Bildungsbürgertums, negative Erfahrungen mit Staatseingriffen in die Autonomie von Korporationen und nicht zuletzt durch den gemeinsamen Kampf gegen die napoleonische Herrschaft gefördert. Dieses neue Gemeinschaftsgefühl wurde durch gemeinsame Feste wie das erste „teutsche Nationalfest“ bekräftigt, das ein Jahr nach der Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1814 gerade in Jena groß gefeiert wurde. Es war bewußt als Fest aller Einwohner angelegt, sollte bisherige ständische Grenzen überwinden und für die gemeinsamen politischen Ziele eines nicht nur nach außen freien deutschen Vaterlandes werben.21 Bei dem Anfang 1816 begangenen Friedensfest pflanzten Vertreter von Stadt und Universität Jena auf dem durch den Häuserbrand der Schlachttage von 1806 entstandenen freien Platz eine Eiche, die nicht nur als Zeichen neuer städtischer Prosperität gedacht war, sondern vor allem „als ein Denkmal der erkämpften teutschen Freiheit und der neu aufgeblühten teutschen Manneskraft“ wirken sollte.22 Auch in dem sich nun verbreiternden Jenaer Vereinswesen, vor allem in dem sowohl auf politische Freiheit als auch auf Überwindung von alten Ständegrenzen zielenden Turnwesen, schlugen sich diese neuen Gemeinsamkeiten deutlich nieder. Ähnliche Entwicklungen gab es zweifellos auch in anderen deutschen Universitätsstädten. In Gießen, wo es im Verlauf der Freiheitskriege ebenfalls zu einer starken Politisierung der Studentenschaft und zu einer Annäherung von akademischem und städtischem Bürgertum gekommen war23, blieb ein Teil der „höheren Klassen“ der Stadt – Beamte, Offiziere und ein Teil der Professoren – dem Nationalfest von 1814 fern.24 In Gießen stand der Landesherr, der 1806 mit dem Rheinbund souverän gewordene Großherzog Ludwig I., den auch im hessischen Raum stark aufkommenden Forderungen nach einer festeren politischen Einheit der Deutschen eher reserviert gegenüber. Die hessen-darmstädtische Staatsführung 19 Vgl. Ries, K. (Hg.), Universität, 2004; Deinhardt, K., Stapelstadt, 2007, 345 ff. 20 Vgl. Hahn, H.-W., Traditionen, 2004. 21 Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 208 ff. Zum Nationalfest allgemein vgl. Düding, D., Nationalfest, 1988. Die Beschreibung der einzelnen Feste findet sich bei Hoffmann, K., Des Teutschen Volkes (...) Bd. 2, 1815. 22 Danz, J. T. L., Beschreibung, 1816; Zum Fest selbst Deile, L., Friedensfest, 2005. 23 Vgl. Hahn, H.-W., Umbruch, 1997. 24 Hoffmann, K., Des Teutschen Volkes (...), 1815, 410.
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favorisierte staatenbündische Lösungen, die dem Einzelstaat möglichst viele Freiräume bei der Gestaltung seiner inneren Angelegenheiten ließen. In SachsenWeimar betrieb man im Vorfeld der deutschen Neuordnung auf dem Wiener Kongreß eine etwas andere Politik. Das Fortwirken der Reichstradition, vor allem aber auch die spezifischen Bedürfnisse eines kleinen Staates, der auf vielen Politikfeldern – auf dem der Sicherheit wie auf dem der Wirtschaft – auf die Kooperation mit größeren Staaten angewiesen war, führten zu einem stärker bundesstaatlich ausgerichteten Kurs. Zwar wünschten auch der 1815 zum Großherzog aufsteigende Carl August und sein neuer Staatsminister von Gersdorff eine Lösung der deutschen Frage, die den föderativen Traditionen25 der deutschen Geschichte gerecht wurde, aber sie strebten doch ein festeres Band zwischen den deutschen Staaten an und kamen damit den einheitspolitischen Forderungen der bürgerlichen Kräfte weit stärker entgegen als andere deutsche Regierungen. Schon im Oktober 1814 hatte mit Prinz Bernhard von Sachsen-Weimar ein Mitglied der Herrscherfamilie am Jenaer Nationalfest teilgenommen, und im Sommer 1815 setzte Großherzog Carl August mit der Erneuerung des „Ordens der Wachsamkeit oder weißen Falkenordens“ ein nationalpolitisches Zeichen, das in der deutschen Staatenwelt von 1815 wohl einzigartig war. Der Orden war vom Großvater des Herrschers, Herzog Ernst August, 1732 gestiftet worden, um patriotische Gesinnungen für das „teutsche Reich“ zu belohnen. Die neue Ordensstiftung stand also einerseits in der Tradition des Alten Reiches, sie sollte aber – wie es in der Satzung hieß – andererseits den „veränderten Zeitverhältnissen“ Rechnung tragen. Von den früheren adligen Ordensrittern waren patriotische Gesinnungen für das teutsche Reich und dessen Oberhaupt verlangt worden. Im neuen Orden, der nun auch Bürgerlichen offenstand, sollte jedes Mitglied nicht nur Treue gegen das gemeinsame Vaterland und die „jedesmalige rechtmäßige höchste Nationalbehörde“ üben, sondern auch dahin wirken, „daß vaterländische Gesinnung, daß Teutsche Art und Kunst, Vervollkommnung der gesellschaftlichen Einrichtungen in Gesetzgebung, Verwaltung, Staats-Verfassung und Rechtspflege sich immer weiter entwickle, und daß auf eine gründliche und des Ernsts des Teutschen NationalCharakters würdige Weise sich Licht und Wahrheit verbreiten“.26 Sachsen-Weimar übernahm damit eine Vorreiterrolle für eine den Idealen der Aufklärung verpflichtete gesamtdeutsche Politik und verlangte von den Ordensmitgliedern ausdrücklich Treue gegenüber der höchsten deutschen Nationalbehörde, die es zum Zeitpunkt der Ordenserneuerung noch gar nicht gab. Die Neustiftung des Ordens kann auch deshalb als ein Signal an die bürgerlich-liberale Nationalbewegung gedeutet werden, weil das jährliche Ordensfest stets am 18. Oktober „als dem Nationalfeste der Befreiung Teutschlands“ gefeiert werden sollte. Dieses seit 1814 gefeierte Nationalfest war bekanntlich nicht von Herr25 Zur Bedeutung föderativer Nationsvorstellungen im 19. Jahrhundert vgl. vor allem Langewiesche, D., Nationalismus, 2000. 26 Statuten 1815, 6 f. Zu den Hintergründen und Motiven der Ordensgründung vgl. Kästner, H., Falkenorden, 2009.
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schaftsträgern, sondern von Vertretern der neuen Nationalbewegung initiiert worden. Großherzog Carl August trug dem Symboldatum 18. Oktober ferner dadurch Rechnung, daß die Wahlen zur neuen Weimarer Ständeversammlung ebenfalls auf diesen Tag gelegt wurden.27 1816 hatte Sachsen-Weimar als erster deutscher Staat nach dem Wiener Kongreß die Forderung des Artikels 13 der deutschen Bundesakte erfüllt, nach dem in allen deutschen Staaten landständische Verfassungen eingeführt werden sollten. Auch wenn die von politischen Professoren wie Oken kritisierte neue Weimarer Verfassung noch nicht allen liberalen Forderungen nachkam, so stärkte auch sie die Pionierfunktion, die dem Raum Weimar-Jena und nicht zuletzt der Salana in der deutschen frühliberalen und -nationalen Bewegung zufiel. Die Konstitutionalisierung und die mit ihr nochmals bestätigte Aufhebung der Zensur ermutigten die bürgerlich-liberalen Kräfte der Universität Jena, ihren Unmut über die Ergebnisse der deutschen Neuordnung von 1815 öffentlich deutlich zu machen.28 Wie sehr man sich dabei der verfassungs- und nationalpolitischen Sonderrolle Sachsen-Weimars bewußt war, zeigte die Rede des Jenaer Philosophen Jakob Friedrich Fries auf dem Wartburgfest vom Oktober 1817, als er den Studenten zurief: „Deutsche Jünglinge! Ihr stehet auf dem freyesten Boden der Deutschen. Kehret wieder zu den Eurigen und sagt: Ihr waret im Lande deutscher Volksfreyheit, deutscher Gedankenfreyheit. Hier wirken entfesselnd Volks- und Fürstenwille“.29
Obwohl bei genauem Hinsehen die politischen Ziele der Weimarer Herrschaftselite und der neu entstandenen liberal-nationalen Bewegung durchaus nicht deckungsgleich waren, war durch die Politik Carl Augusts ein Handlungsrahmen entstanden, der den neuen politischen Kräften einer politisierten Universität für eine kurze Zeit Möglichkeiten eröffnete, die ihre Gesinnungsgenossen zu diesem Zeitpunkt an keinem anderen Ort in Deutschland besaßen. Mit dem Wartburgfest von 1817, der Gründung der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft im Jahre 1818 und der politischen Publizistik Jenaer Professoren übernahm die Salana somit in den Jahren nach dem Wiener Kongreß eine Pionierfunktion im deutschen Frühnationalismus und -liberalismus. Die Jenaer Aktivitäten trugen dazu bei, die Voraussetzungen für eine oppositionelle Massenbewegung zu schaffen. Die Bedeutung, die Jena in diesem Zusammenhang nach 1815 besaß, kam auch darin zum Ausdruck, daß die Studentenzahlen der Salana für kurze Zeit noch einmal das Spitzenniveau der 1790er Jahre erreichten. Unmittelbar nach dem Wartburgfest von 1817 stieg die Frequenz steil an.30 Nach dem Attentat, das der Jenaer Theologiestudent Karl Ludwig Sand im März 1819 auf August von Kotzebue verübte, wurde dieser Entwicklung durch die Karlsbader Beschlüsse des Deutschen Bundes der Boden entzogen. Die Verantwortlichen der Jenaer Universität standen nun bei den Vormächten des Deutschen Bundes endgültig im 27 28 29 30
Müller, G., Landtagsfeste, 1997. Hierzu ausführlich Ries, K., Wort, 2007, 227 ff. Zitiert nach Steiger, G., Urburschenschaft, 1991, 69. Rasche, U., Umbrüche, 2001.
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Verdacht, den geistigen Nährboden für umstürzlerische Kreise bereitet zu haben31, und Jena konnte in der Folgezeit die ursprüngliche Pionierrolle in der bürgerlichliberalen Bewegung nicht weiterführen. Seit den 1820er Jahren, vor allem aber nach der Französischen Julirevolution von 1830 übernahm der deutsche Südwesten mit seinen dichteren Kommunikationsnetzen, den moderneren Verfassungen und einem bereits weiter entwickelten Vereinswesen die Führungsrolle in den verfassungs- und nationalpolitischen Diskursen.32 Hierin mag ein Grund dafür liegen, daß die Bedeutung der Universität Jena für die frühe liberale und nationale Bewegung in übergreifenden Darstellungen zur deutschen Geschichte lange Zeit eher unterbelichtet geblieben beziehungsweise verkürzt dargestellt worden ist. Letzteres gilt vor allem für die in Jena vertretenen verfassungs- und gesellschaftspolitischen Vorstellungen. In Standardwerken zur Geschichte des deutschen Liberalismus kommen die Jenaer politischen Professoren Fries, Oken und Luden teilweise gar nicht vor.33 Eine stärkere Berücksichtigung finden die politischen Aktivitäten im Umfeld der Salana dagegen in den Arbeiten zur Geschichte des deutschen Frühnationalismus34, wobei aber auch hier die nationalpolitischen Vorstellungen im Umfeld der Jenaer Burschenschaft und der politischen Professoren teilweise deutlich abgesetzt werden von den Konzepten des südwestdeutschen Liberalismus. Beim Frühnationalismus im Umfeld der Salana mit seinen engen Beziehungen zum „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn35 und zu Ernst Moritz Arndt wurden lange Zeit eher die starken antifranzösischen, antijüdischen, chauvinistischen und vormodernen Elemente hervorgehoben, während seine modernen verfassungs- und gesellschaftspolitischen Inhalte in den Hintergrund traten.36 Zweifellos ist es nicht zu bestreiten, daß die im Jenaer Umfeld seit 1813 laut werdenden Forderungen nach einem neuen politischen Zusammenschluß der deutschen Nation nicht nur von einer überbordenden Kritik an Napoleon und zugleich von einer entschiedenen Absage an französische Wesensart gekennzeichnet waren.37 Dies zeigen etwa die Artikel in der von Heinrich Luden herausgegebenen Zeitschrift „Nemesis“ oder die von Lorenz Oken 1814 veröffentlichte Schrift „Neue Bewaffnung, neues Frankreich, neues Teutschland“.38 Die in den Freiheitskriegen beschworenen Feindbilder standen in der Kontinuität frühneuzeitlicher Kriegspropaganda, und in den nationalen Zielsetzungen spiegelten sich, wie die starke Betonung auf Sprache, Kultur und Geschichte der Deutschen und der Bezug auf die Reichstradition unterstrichen, noch 31 32 33 34 35 36 37 38
Ausführlich Ries, K., Wort, 2007, 437 ff. Vgl. Fehrenbach, E., Verfassungsstaat, 2005, 110. Vgl. etwa Sheehan, J., Liberalismus, 1983. Vgl. etwa Echternkamp, J., Aufstieg, 1998, 163 ff. Vgl. hierzu jetzt Bartmuß, H.-J. / Kuntze, E. / Ulfkotte, J. (Hg.), Turnvater, 2008. Differenzierter jetzt Ries, K., Wort, 2007. Vgl. etwa Greiling, W., Napoleon, 2006. Oken, L., Bewaffnung, 1814. Bei Oken heißt es unter anderem: „Wenn man die Franzosen als ein Volk von der Erde ausrotten könnte, ohne Grausamkeit, so würde der Menschheit ein großer Dienst erzeigt.“ Ebd., 100.
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eine Fülle von Elementen eines weniger auf die moderne Staatsnation, die gesellschaftliche Emanzipation und den verfassungspolitischen Fortschritt gerichteten Nationalismus wider.39 Hinzu kam eine an der Salana besonders starke, nationalprotestantisch geprägte Sakralisierung des Nationalen, der die Integration des katholischen Deutschland in die neuen Konzepte zweifellos erschweren mußte. „Nation und Religion, speziell protestantisches Christentum, wurden in einen unauflöslichen Zusammenhang gebracht, der Kampf für das Vaterland geradezu als Gebot der Religion dargestellt“40, wobei es zu einer engen Verbindung zwischen dem lutherischen Gründungsmythos der Jenaer Universität und ihrer neuen nationalen Führungsrolle kam. In Festreden und Predigten wurde das Weimarer Herrscherhaus als Protektor von Reformation wie der jetzt erwachenden deutschen Nation gepriesen, und auch die Weiterentwicklung des als unzureichend angesehenen Deutschen Bundes mußte daher von einem nationalprotestantischen Geist geprägt sein41, den die Salana mit ihrer traditionsreichen Geschichte wie keine andere deutsche Universität verkörperte. Weder der auch mit der Situation der abgeschüttelten Fremdherrschaft zusammenhängende übersteigerte Nationalismus noch die protestantisch verengte Nationsvorstellung können freilich darüber hinwegtäuschen, daß die neue nationale Programmatik von Anfang an gerade auch in Jena in einem engen Zusammenhang mit emanzipatorischen Zielsetzungen stand. Wer wie die Jenaer Professoren die Deutschen unter der Legitimationsformel Nation dazu aufrief, ihr Vaterland mit dem eigenen Blut zu verteidigen, konnte nach den Erfahrungen mit der Französischen Revolution nicht umhin, dies mit neuen politischen und gesellschaftlichen Zukunftsverheißungen zu verbinden. Die neue Ordnung, die nach dem Sieg über Napoleon zu schaffen war, konnte nicht mehr bruchlos an das Alte anknüpfen, durfte nicht mehr nur den Herrschaftsansprüchen der Fürsten genügen, sondern mußte auch den veränderten Interessen und Bedürfnissen des Volkes gerecht werden. Den politischen Professoren Jenas ging es deshalb nicht nur um die politische und wirtschaftliche Einheit der Nation und den Ausbau ihrer Wehrkraft. Vielmehr vertraten sie mit dem Verlangen nach Gleichheit vor dem Gesetz, Öffentlichkeit der Rechtspflege, Meinungs- und Pressefreiheit und Schutz von Eigentum und persönlicher Freiheit entschieden die politischen Forderungen des Liberalismus. Durch die Einführung von Verfassungen und die mit ihnen geregelte politische Partizipation des Volkes sollte jede monarchische Willkürherrschaft 39 Heinrich Luden wird in diesem Zusammenhang allerdings fälschlicherweise unterstellt, Wegbereiter einer „germanozentrischen Verengung der Volksidee“ gewesen zu sein und im Blut „das eigentlich Gemeinsame eines Volkes“ gesehen zu haben. So Schulze, H., Staat, 1994, 181 f. Schulze übersieht, daß Luden in seinem 1814 publizierten Artikel „Das Vaterland, oder Staat und Volk“ davon ausging, daß „ursprünglich verschiedene Menschen“ durch das Zusammenleben „mit der Zeit ein Volkstum“ begründen könnten. Text abgedruckt in: Brandt, H. (Hg.), Restauration, 1979, 103. Im übrigen sprach sich Luden auch klar für die staatsrechtliche Gleichstellung der jüdischen Minderheit aus. 40 Gerber, S., Stadtkirche St. Michael, 2004, 169. 41 Vgl. Gerber, S., Konfession, 2005.
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ausgeschlossen werden. Der Verfassungsfrage kam in den von den Jenaer Professoren herausgegebenen Zeitschriften eine herausragende Bedeutung zu.42 Die von den Professoren entwickelten Vorstellungen fanden Eingang in die politische Programmatik der Urburschenschaft und kamen auf dem Wartburgfest von 1817 etwa in der Rede des Jenaer Studenten Riemann nachhaltig zum Ausdruck. Die von Riemann im Anschluß an das Fest schriftlich niedergelegten „Grundsätze der Wartburgfeier“ enthielten bereits alle wesentlichen Forderungen, die den deutschen Liberalismus des Vormärz und der Revolution von 1848/49 prägen sollten. Sie waren noch kein „Parteiprogramm im modernen Sinne“, wohl aber eine „Fixierung der politischen Grundüberzeugung einer Gruppe, die mehr war als eine bloße Überzeugungsgemeinschaft“.43 Sie waren die Basis der „Grundsätze und Beschlüsse des 18. Oktober“, auf die sich 1818 die in Jena gegründete „Allgemeine Deutsche Burschenschaft“ verständigte.44 Die Universität Jena kann daher durchaus eine Pionierrolle bei der Herausbildung einer liberalen Parteiprogrammatik beanspruchen. Zudem traten innerhalb der Jenaer Professoren und studentischen Gruppen in Einzelfragen unterschiedliche Auffassungen zutage, welche die späteren politischen Differenzierungen innerhalb der bürgerlichen Bewegung schon andeuteten.45 Heinrich Luden stand für reformliberale Positionen und eine gemäßigte Politik im Rahmen der vom Großherzog gewährten Konstitution. Der aus dem deutschen Südwesten stammende Lorenz Oken unterzog die Weimarer Verfassung von 1816 dagegen einer harschen Kritik und orientierte sich in seinen verfassungspolitischen Positionen viel stärker an dem westeuropäischen repräsentativstaatlichen Denken. Einig waren sich die Vertreter des Jenaer Frühliberalismus und -nationalismus dagegen in der Notwendigkeit, die alte Ständegesellschaft zu überwinden. Auch wenn ein Mann wie Oken davon überzeugt war, daß den Gelehrten als Mittler zwischen Staat und Gesellschaft noch eine besondere Führungsrolle zufallen sollte, so wollte man doch einer Gesellschaft Bahn brechen, die dem Einzelnen unabhängig von seiner Herkunft gleiche Entfaltungschancen geben sollte. Dabei zielte das sozialökonomische Programm des Jenaer Frühliberalismus nicht auf die spätere Industriegesellschaft mit ihren großen sozialen Zerklüftungen, sondern auf eine bürgerliche Mittelstandsgesellschaft.46 Über das auch in Jena aufblühende bürgerliche Vereinswesen wollten Professoren der Universität in Kooperation mit dem städtischen Bürgertum dazu beitragen, daß auch jene den Aufstieg in diese Gesellschaft mittlerer Existenzen schafften, die aufgrund ihrer Armut und ihrer unzureichenden Bildungsmöglichkeiten aus eigener Kraft dazu nicht in der Lage
42 Ausführlich zu den einzelnen Positionen der Jenaer politischen Professoren: Ries, K., Wort, 2007, 227 ff. 43 Hardtwig, W., Vormärz, 1998, 12. 44 Text in: John, J. (Hg.), Quellen, 1995, 154–157. 45 Ausführlich hierzu Ries, K., Wort, 2007, 227 ff. 46 Gall, L., Liberalismus, 1996.
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waren.47 Der stärker etatistisch orientierte Heinrich Luden sah es allerdings auch als Aufgabe des Staates an, zu großen sozialen Zerklüftungen entgegenzusteuern. Er hatte schon 1811 in seinem „Handbuch der Staatsweisheit“ geschrieben, daß der Staat für Nahrung und Beschäftigung zu sorgen habe, den Bedürftigen helfen und die Bildung fördern müsse. Die Regierung müsse alle Armut unter den Bürgern verhindern, „weil diese Geist und Körper verderben, das menschliche Bestreben nach Cultur unterdrücken, zu Unzufriedenheit, Unordnung, Verwirrung, Laster und Frevel verleiten, und also überall dem Zwecke des Staates nachteilig werden mag.“48 Ob das Bekenntnis zu einer egalitären Gesellschaft aber auch für die jüdische Minderheit gelten sollte, war innerhalb des Jenaer Frühliberalismus noch sehr umstritten. Während Luden im Weimarer Landtag 1823 für die uneingeschränkte staatsbürgerliche Gleichstellung der Juden eintrat, hatte sein Jenaer Kollege Fries in seiner von antijüdischen Haßtiraden durchsetzten Schrift „Ueber die Gefährdung des Wohlstandes und des Charakters der Deutschen durch die Juden“ eine Einbeziehung der jüdischen Minderheit in eine moderne deutsche Nation strikt verworfen und von den Juden als Preis für ihre Integration die vollkommene Assimilation an die Mehrheitsgesellschaft verlangt.49 Diese Grundeinstellung wurde auch von der Mehrheit der Burschenschaften deutscher Universitäten übernommen, die sich 1818 gegen eine Aufnahme jüdischer Studenten aussprachen.50 Neben den antifranzösischen Elementen und einem starken romantisch bezeichneten Nationalismus51 hat gerade die skeptische bis offen ablehnende Haltung zur Emanzipation der Juden maßgeblich dazu beigetragen, der im Umfeld der Salana entstandenen bürgerlich-liberalen Bewegung einen „deutschtümelnden“ Charakter zuzusprechen und ihre Bedeutung für die Entwicklung verfassungs- und gesellschaftspolitischer Ideen in den Hintergrund zu drängen. Die nach dem Sieg über Napoleon einsetzenden Debatten über eine deutsche Neuordnung und die Enttäuschungen über die Ergebnisse des Wiener Kongresses hatten allerdings gerade in Jena dazu geführt, daß den Fragen der deutschen Einheit eine besondere Priorität eingeräumt wurde. Über die Form dieser Einheit gab es jedoch innerhalb der bürgerlich-liberalen Bewegung an der Salana unterschiedliche Auffassungen. Während Oken von Anfang stärker unitarische Konzepte verfolgte, verwies Fries auf die Vorteile eines föderativen Aufbaus. Ähnlich wie Goethe betonte der Jenaer Philosoph, daß Kultur und Wissenschaft nicht dem Übermut und dem Despotismus einer Hauptstadt unterliegen dürften, weil die aus dem Föderalismus resultierenden freieren Gestaltungsräume und interne Rivalitä47 Zu Ausmaß und Kontinuität sozialreformerischer Aktivitäten Jenaer Professoren vgl. Steinbach, M., Ökonomisten, 2008. 48 Luden, H., Handbuch, 1811, 395 f. 49 Hierzu ausführlich Schramm-Häder, U., Gleichheit, 2001, 31 ff., ferner Hahn, H.-W., Fremde, 1997. 50 Berding, H., Antisemitismus, 1988, 65. 51 Vgl. hierzu Ries, K., Wort, 2007, 241. So griff Oken 1815 in seinen deutschlandpolitischen Konzepten auf ein idealisiertes mittelalterliches Kaisertum zurück.
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ten zwischen den einzelnen Teilen wichtige Voraussetzungen für das Aufblühen deutscher Kultur gewesen seien.52 Nach diesen Vorstellungen eines föderativen Nationalismus mußte es darum gehen, auf den wichtigen Feldern wie äußere Sicherheit, Freizügigkeit und Rechtstaatlichkeit sowie Wirtschaftspolitik so viel Einheit wie nötig herzustellen, zugleich aber auch den einzelnen Staaten in ihrer inneren Politik so viel Freiheit wie möglich zu belassen. Der Deutsche Bund bot daher aus der Sicht von Fries zunächst durchaus Entwicklungsmöglichkeiten, doch die Hoffnungen wurden dann allzu schnell enttäuscht. Nach der Ermordung von Kotzebue mußten die Jenaer Protagonisten der Einheits- und Freiheitsideen auf schmerzhafte Weise erfahren, daß der von ihnen als zu staatenbündisch kritisierte Deutsche Bund auf dem Felde der Unterdrückungspolitik gegenüber fortschrittlichen Kräften durchaus zu einem einheitlichen Handeln zusammenfinden konnte. Mit den von Österreich und Preußen den anderen Bundesstaaten aufgezwungenen Karlsbader Beschlüssen53 und ihren Überwachungs- und Zensurbestimmungen war Jenas Pionierrolle in der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung beendet. Die strengen Bestimmungen der Karlsbader Beschlüsse und der von den Vormächten des Deutschen Bundes sowie von Rußland ausgehende Druck blieben auch an der Universität Jena nicht ohne Wirkung. Den oppositionellen Kräften war es unter dem Metternichschen System vorerst nicht mehr möglich, Jena zum Ausgangspunkt einer gesamtdeutschen Oppositionspolitik zu machen. Oken mußte im Streit um seine publizistische Tätigkeit seinen Dienst quittieren, Fries durfte für viele Jahre nur in den Fächern Mathematik und Physik lehren, und Luden entsagte seiner publizistischen Tätigkeit. Die Politisierungsprozesse im studentischen Milieu wurden durch das Verbot der Burschenschaft und weitere Disziplinierungs- und Überwachungsvorgaben unterbunden.54 Durch die vom Deutschen Bund verlangte Einsetzung eines lokal präsenten, mit klar definierten Rechten gegenüber der Universität ausgestatteten Kurators erhielten die Bemühungen um die Jenaer Universitätsreform einen anderen Charakter als ursprünglich vorgesehen.55 Mit den Statutenänderungen, die 1829 nach dem Tod Carl Augusts durchgeführt wurden, verschwand auch der Hinweis auf den nationalpolitischen Zweck akademischer Bildung, der im Statut von 1821 noch enthalten war. Durch die stärkeren Eingriffe des Staates in die inneren Angelegenheiten der Universität sollte verhindert werden, daß die Universität noch einmal direkt in das politische Leben eingriff oder wie nach 1815 sogar zum Motor politischer Prozesse werden konnte, die weit über die Grenzen Thüringens hinauswirkten und deshalb entsprechende Gegenreaktionen der restaurativen Großmächte hervorriefen. Trotz der nun völlig veränderten Ausgangslage wirkte die Universität Jena auch in der Folgezeit auf vielfältige Weise auf die Prozesse der inneren Nations52 53 54 55
Vgl. Fries, J. F., Staatsverfassung, 1816, hg. v. G. Hubmann, Heidelberg 1997, 7. Vgl. Büssem, E., Karlsbader Beschlüsse, 1974. Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 437 ff. Vgl. Müller, G., Regieren, 2006, 683 ff.
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bildung ein. Das kleine Großherzogtum Sachsen-Weimar mußte sich zwar der vom Deutschen Bund ausgehenden Repressionspolitik anpassen, handhabte aber viele Bestimmungen eher milde. Die Instruktionen für den ersten Jenaer Kurator liefen jedenfalls nicht auf jene fast lückenlose Kontrolle der Lehrtätigkeit hinaus, wie es an anderen Universitäten der Fall war, sondern ließen eher einen erzieherischen Impetus erkennen. Die beiden Kuratoren, die das Amt bis 1848 bekleideten, Philipp Wilhelm von Motz und Anton von Ziegesar, gehörten in der Weimarer Staatsverwaltung zu den eher moderaten Kräften. Unter ihrer Aufsicht behielten Professoren und Studenten in Jena weiterhin Freiräume, die an anderen Universitäten des Deutschen Bundes schwer möglich waren. Auf dem Familiengut Drackendorf feierte die Adelsfamilie Ziegesar gemeinsam mit Regierungsbeamten und Professoren, die früher aktiv an der Burschenschaft beteiligt waren, in Anlehnung an das Nationalfest von 1814 noch bis in die zwanziger Jahre den Jahrestag der Völkerschlacht von Leipzig, während derartige Feiern wegen der mit ihnen verbundenen liberal-nationalen Tendenzen in vielen deutschen Bundesstaaten längst verboten waren.56 Der Universitätskurator von Motz wirkte zudem mäßigend auf das Disziplinarverfahren gegen den Historiker Luden ein und versuchte zugleich, Relegationen gegen führende Mitglieder der Burschenschaft rückgängig zu machen.57 Man sollte deshalb die von der Bundespolitik aufgezwungene politische Friedhofsruhe der 1820er Jahre nicht überschätzen. Der Politisierungsprozeß hatte an Dynamik verloren, aber er konnte nicht abrupt abgebrochen werden. Dies zeigte sich bei der Unterstützung des griechischen Freiheitskampfes, in weiter aufrecht erhaltenen geheimen Netzwerken von Professoren und Studenten oder in Ludens Tätigkeit im Weimarer Landtag, die im übrigen auch noch einmal die nun viel engere Vernetzung von politischen Professoren und stadtbürgerlicher Gesellschaft unterstrich.58 Das Eintreten Jenaer Professoren und Studenten für die liberalen und nationalen Ziele konnte somit auch nach den Karlsbader Beschlüssen zu keinem Zeitpunkt völlig unterbunden werden. Zudem bekräftigte die Universität Jena ihre liberalere Ausrichtung auch dadurch, daß schon Ende der zwanziger Jahre mit dem Kirchenhistoriker Karl Hase ein ehemaliger inhaftierter Burschenschafter auf eine wichtige Professur berufen wurde. Wie stark die Universität Jena weiterhin in den Prozeß der inneren Nationsbildung einbezogen blieb, zeigte sich dann im politischen Aufbruch, der 1830 im Gefolge der Französischen Julirevolution auch in Deutschland einsetzte. Er führte im September 1830 auch in Jena zu Unruhen, die mit dem Ruf begannen „Bursche heraus! Bürger heraus! Es lebe die allgemeine deutsche bürgerliche Freiheit!“59 Obwohl die Ziele des Protests noch sehr heterogen waren und die Unruhen rasch wieder eingedämmt werden konnten, waren sie doch Ausdruck einer weit 56 Kreutzmann, M., Lebenswelt, 2008, 419. 57 Zur Universitätskuratel ausführlich Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 231 ff. 58 Vgl. Müller, G., Heinrich Luden und der Landtag, 1998; Boblenz, F., Landschafts- und Landtagssyndikus, 1998, 11–177. 59 Zitiert nach Deinhardt, K., Stapelstadt, 2007, 325.
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verbreiteten Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen und leiteten neue Jenaer Aktivitäten im Kampf um Einheit und Freiheit ein. Professoren, Studenten und Bürger beteiligten sich an den Vereinen zur Unterstützung der polnischen Emigranten, die in Jena nach ihrem gescheiterten Aufstand gegen die zaristische Herrschaft begeistert gefeiert wurden. Die politisierte Jenaer Studentenschaft, die sich inzwischen in radikaldemokratische Germanen und eher liberal orientierte Arminen aufgespalten hatte, unterstützte den 1832 in der Pfalz gegründeten Deutschen Preß- und Vaterlandsverein, der mit Hilfe der Publizistik und politischer Feste dem Kampf um Einheit und Freiheit neue Dynamik verleihen konnte.60 Auf dem vom Verein organisierten Hambacher Fest vom Mai 1832 wurden die Farben der Jenaer Burschenschaftsfahne von 1816 erstmals für breite Schichten der Bevölkerung zum Symbol deutscher Einheit und Freiheit. Die Jenaer Burschenschaftsfahne, die von „Frauen und Jungfrauen zu Jena“ aus Anlaß des Friedensfestes von 1816 geschneidert und bestickt worden war, bestand aus den Farben Schwarz und Rot und war mit Gold umsäumt. 1818 einigten sich die in Jena versammelten deutschen Burschenschaften darauf, Schwarz, Rot und Gold als „deutsche Farben“ und damit als patriotisch-nationales Symbol festzulegen, die zugleich als angebliche Farben des untergegangenen alten Reiches eine fragwürdige Legitimation erhielten.61 In der Zeit der sogenannten Demagogenverfolgung wurden auch die Farben Schwarz-Rot-Gold verboten, und die alte Jenaer Fahne wurde in die Schweiz verbracht, um sie dem Zugriff der Behörden zu entziehen. Im Vorfeld des Hambacher Festes war es dann Johann Georg August Wirth, der an das schwarz-rot-goldene Band der Burschenschaften und die mit ihm verbundenen politischen Ziele erinnerte.62 Wirth trug maßgeblich dazu bei, daß die Farben der Jenaer Burschenschaft auf dem Hambacher Fest in Anlehnung an westeuropäische Vorbilder erstmals mit drei gleich breiten Streifen als deutsche Trikolore präsentiert wurden.63 Das Hambacher Fest, der Frankfurter Wachensturm des Jahres 1833 sowie die Vereinsbewegung und die Verfassungskämpfe in den süddeutschen Staaten zeigten, daß der deutsche Südwesten nun die Speerspitze der liberalen und nationalen Kräfte bildete und daß man dort den eigenen Kampf zugleich stärker in die westeuropäischen Freiheits- und Verfassungstraditionen stellte als dies nach 1815 im Jenaer Umfeld der Fall gewesen war. Der Ereignisraum Weimar-Jena besaß für die liberalen und nationalen Kräfte, die hier zunächst wichtige gesamtdeutsche Impulse gesetzt hatten, nach 1830 nicht mehr die frühere Bedeutung. Dennoch blieb gerade die Universität Jena für die bürgerlich-liberalen Kräfte auch weiterhin ein wichtiger Ort, an dem sich ungeachtet neuer Verfolgungsmaßnahmen des 60 Foerster, C., Preß- und Vaterlandsverein, 1982, 48. 61 Vgl. hierzu Bauer, J. / Nowak, H. / Pester, T., Jena, 2007, 166 ff. Ferner: Lönnecker, H., Rebellen, 2008. 62 Aufruf an Deutschlands Hochschulen, 4. März 1832. 63 Berichte des britischen Gesandten Thomas Cartwright an Außenminister Viscount Palmerston, Frankfurt, 2. u. 6. June 1832, in: Mösslang, M. / Freitag, S. / Wende, P. (Hg.), Envoys, Vol. II: 1830–1847, 2002.
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Deutschen Bundes Professoren und Studenten für freiheits- und einheitspolitische Ziele einsetzten. Die sich nach 1830 zunächst wieder öffnenden Handlungsräume wurden allerdings durch die neue Welle politischer Repression von seiten des Deutschen Bundes seit 1832 wieder eingeengt. Die Vereins-, Versammlungs- und Festverbote, das ausdrückliche Verbot aller Fahnen und Kokarden in den Farben Schwarz-Rot-Gold und die gerichtlichen Verfolgungen trafen vor allem die politisierte Studentenschaft.64 Aber auch die liberalen Professoren spürten erneut den Druck des Metternichschen Repressionssystems. Am 18. September 1832 erklärte Heinrich Luden seinen Austritt aus dem Weimarer Landtag. Luden hatte viele Jahre als Vertreter der Jenaer Universität im Landtag gewirkt und sah nach der vom Großherzog Carl Friedrich betriebenen, auf die Bundesbeschlüsse gestützten Repressionspolitik keine Chance mehr für ein freies einzelstaatliches Verfassungsleben.65 Zu seinem Nachfolger im Landtagsmandat wurde mit dem Mediziner Georg Kieser von der Universität Jena jedoch ein weiterer Professor gewählt, der sich zwischen Wartburgfest und Revolution von 1848 stets entschieden für die freiheitlichen und nationalpolitischen Ziele einsetzte.66 Im übrigen resignierte aber auch Luden nicht völlig, sondern nutzte in den folgenden Jahren seine Stellung in der Universität dazu, durch symbolische Handlungen deutlich zu machen, daß die Salana ungeachtet aller Unterdrückungsmaßnahmen die großen politischen Ziele nicht aus den Augen verlor. Dies zeigt vor allem der Blick auf die Jenaer Ehrenpromotionen.67 In den Jahren nach 1806 hatten Ehrenpromotionen in Jena mehrfach das Ziel, die französische Besatzungsmacht freundlich zu stimmen. Auch nach 1814 wurden Ehrenpromotionen nicht nur wegen der Verdienste um die nationale Einigung vergeben. Es fällt aber auf, daß dieser Aspekt offenbar in Jena besondere Beachtung fand. 1814 wurden mehrere Kriegsfreiwillige in dieser Form geehrt; 1817 erhielt der Turnvater Jahn die Jenaer Ehrendoktorwürde, 1824 der sich für Verfassungen und bundesstaatliche Strukturen einsetzende Gothaer Minister von Lindenau. Nach 1832 wurden diese Signale noch deutlicher. So zeichnete man 1835 den sächsischen Liberalen Runde mit der Jenaer Ehrendoktorwürde aus und unterstützte damit das neue konstitutionelle Leben im Königreich Sachsen. 1835 folgte mit der Ehrenpromotion des britischen Außenministers Palmerston ein höchst bemerkenswerter Vorgang. Ausgangspunkt war eine englische Bücherspende für die Jenaer Bibliothek, aber zugleich würdigte die Universität ausdrücklich Palmerstons Verdienste um Europa und erwähnte in diesem Zusammenhang die Quadrupelallianz, die 1834 zwischen Großbritannien, Frankreich, Spanien und Portugal zum Schutz der europäischen Verfassungen und gegen die Allianz der konservativ-restaurativen Ostmächte geschlossen worden war.68 Da Palmerston als britischer Außenminister auch offiziell gegen die repressiven Bundesbeschlüsse von 1832 protestiert hatte, 64 65 66 67 68
Vgl. Jarausch, K. H., Studenten, 1984, 42 ff. Vgl. Müller, G., Heinrich Luden als Parlamentarier, 1998, 134 ff. Vgl. Müller, G., Universität, 2002, 58 f. Ausführlich hierzu Bauer, J. / Hartung, J. / Dicke, K.(Hg.), Ehrendoktoren, 2007. Vgl. Gombocz, I., Kulturdiplomatie, 2001.
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darf die Jenaer Ehrenpromotion im Grunde als bewußte „Ohrfeige“ für Metternich verstanden werden. Ebenso bemerkenswert war die nur drei Jahre später erfolgte Ehrenpromotion des Freiherrn von Wangenheim. Dieser aus Thüringen stammende ehemalige württembergische Staatsminister wurde von der Universität Jena 1838 für seine Verdienste als ehemaliger Gesandter beim Deutschen Bundestag gewürdigt. Dort hatte Wangenheim bis 1823 nichts weniger versucht, als durch eine Allianz der Verfassungsstaaten das Metternichsche Restaurationssystem auszuhebeln, und war auf Druck Wiens und Berlins schließlich von seinem Posten entfernt worden. 1840 wurde mit dem Nationalökonom Friedrich List ein weiterer Vorkämpfer deutscher Einheit und Freiheit geehrt, der wie Wangenheim in die Mühlen der Repressionspolitik geraten war. Mit diesen Ehrenpromotionen oder mit der Unterstützung Friedrich Christoph Dahlmanns, der sich nach seiner Entlassung durch den König von Hannover im Jahre 1837 mehrere Jahre in Jena aufhielt, blieb die Salana im Vormärz ein wichtiger Ort der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Als Dahlmann 1842 vom neuen preußischen König Friedrich Wilhelm IV. nach Bonn berufen wurde, bereiteten ihm Angehörige der Universität Jena einen glanzvollen Abschied.69 Zudem waren zahlreiche Jenaer Professoren im Vormärz eifrig bestrebt, über die von ihnen geförderten, scheinbar unpolitischen und daher nicht verbotenen Vereine der Sänger, der Kriegsveteranen, der Turner und der Landwirte die nationalen Netzwerke der bürgerlich-liberalen Kräfte zu erhalten und auszubauen. In einer Prorektoratsrede von 1843 hob der Jenaer Professor und Begründer der Agrarwissenschaft, Friedrich Gottlob Schulze, die besondere Bedeutung Jenas und Thüringens für gesamtdeutsche Bestrebungen mit den Sätzen hervor: „Thüringen ist Deutschland im Kleinen. Diese sonst freilich sehr störende Zerstückelung gewährt insofern einen Vorteil, als der wahrhaft Gebildete um so mehr sein Auge auf die große Volksgesellschaft richtet, je kleiner die Staatsgesellschaft ist, welcher er angehört. Daher kommt es, daß in Thüringen mehr deutsches Vereinsleben sich regt, als in anderen Ländern. Oken der Stifter der wandernden Nationalversammlungen der Naturforscher, war ein Jenenser. Ich erinnere an die Versammlung der thüringischen Landwirthe, an die thüringischen Liedertafeln und Kriegerfeste, auch an die deutschen Versicherungsanstalten in den thüringischen Städten.“70
Professoren und Studenten der Salana bemühten sich aber nicht nur um überregionale Netzwerke der Gebildeten. Noch wichtiger war in den 1840er Jahren ihre immer stärkere Öffnung gegenüber den nichtakademischen Teilen der Gesellschaft. Die in Jena recht starke studentische Progreßbewegung kritisierte das bisherige studentische Leben, wollte noch bestehende Schranken zwischen akademischer und übriger bürgerlicher Lebenswelt beseitigen und auf diese Weise den Einheits- und Freiheitsforderungen neue Durchschlagskraft verleihen.71 Bei der Verbreitung der liberal-nationalen Reformideen spielten Jenaer Professoren als 69 Haeusler, D., Berichte, 2003, 73 f. 70 Schulze, F. G., Selbständigkeit, 1858, 160. 71 Vgl. Jarausch, K. H., Studenten, 1984, 47 ff.
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Ideengeber, Publizisten und Vereinsgründer in den 1840er Jahren erneut eine wichtige Rolle. Karl Hermann Scheidler, Professor der Philosophie und ehemaliger Burschenschafter, unterstützte die Progreßstudenten und erinnerte als Redner auf dem Fest der liberal-national gesinnten Thüringer Kriegervereine im Oktober 1847 an das Erbe der Freiheitskriege und die von den Herrschenden in Deutschland noch immer nicht eingelösten Freiheitsversprechen.72 Der Einbeziehung möglichst großer Teile der Gesellschaft in ein gesamtdeutsches Fortschrittsprogramm dienten auch die sozialreformerischen Ansätze Jenaer Professoren. Man beschränkte sich nicht nur auf allgemeine Hinweise, daß Einheit und Freiheit der beste Weg sei, um die schweren sozialen Krisen des Vormärz zu überwinden, sondern entwickelte wie der Mediziner Kieser, der Agrarwissenschaftler Schulze oder der klassische Philologe Hand konkrete Maßnahmen für die Gesellschaft in Stadt und Region.73 Auch wenn sich das Schwergewicht der politischen Diskurse und oppositionellen Aktivitäten in den 1840er längst in den deutschen Südwesten und, bedingt durch die schnelleren ökonomischen Entwicklungen, in die preußischen Westprovinzen verlagert hatte, blieben die Stadt Jena und ihre Universität weiter ein nicht unbedeutender Vorposten der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Die Salana leistete im Vormärz wichtige Beiträge zur Herausbildung einer neuen bürgerlichen Öffentlichkeit und zur Propagierung eines politischen Zukunftskonzeptes, das den engen Zusammenhang von politischer Einheit, verfassungsmäßig garantierten Freiheits- und Partizipationsrechten und gesellschaftlicher Modernisierung betonte. Dieses politische Konzept stieß in Stadt und Region zudem auf wachsenden Zuspruch einer nach neuer Orientierung suchenden Gesellschaft. Während der Revolution von 1848/49 gehörte die kleine Universitätsstadt an der Saale zwar nicht zu den Zentralorten der freiheitlichen und nationalen Bestrebungen und konnte mit den Revolutionszentren wie Wien, Berlin und Frankfurt am Main nicht konkurrieren. Dennoch zeigte sich auch im Revolutionsgeschehen von 1848/49, wie eng gerade Jena mit dem Kampf um ein einheitliches und freiheitliches Deutschland verbunden war.74 Dies kam schon darin zum Ausdruck, daß der Deutsche Bund im März 1848 jene schwarz-rot-goldenen Farben nach jahrelangen Verboten nun als die deutschen Farben anerkannte, die in der Frühphase der Nationalbewegung in Jena kreiert worden waren und nun zum wichtigsten Symbol des politischen Aufbruchs wurden.75 Zudem unterstrichen das zweite Wartburgtreffen deutscher Studenten im Juni 1848, das die Jenenser Germanen angeregt hatten, sowie die im September 1848 in Jena stattfindende erste Versammlung deutscher Hochschullehrer, daß Jena für die gesamtdeutschen Bestrebungen nach wie vor ein wichtiger Ort war.76 Jenaer Professoren und Studenten diskutierten aber 1848 nicht nur über den Platz der Universität in einem sich wandelnden poli72 73 74 75 76
Scheidler, C.-H., Feier, 1847; Vgl. hierzu auch Kreutzmann, M., Kriegervereine, 2003. Ausführlich hierzu Steinbach, M., Ökonomisten, 2008. Vgl. hierzu die Beiträge in: Hahn, H.-W. / Greiling, W. (Hg.), Revolution, 1998. Zur Bedeutung dieses Symbols in der Revolution vgl. Gall, L. (Hg.), 1848, 1998. Vgl. Wogawa, F., Universität, 1998.
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tischen und gesellschaftlichen Umfeld, sondern spielten eine führende Rolle im politischen Vereinswesen der Stadt. Zugleich waren die Jenaer Vereine in besonderem Maße bestrebt, regionale und gesamtdeutsche Organisationsnetze und damit moderne Parteistrukturen zu schaffen. Der Jenaer Paulskirchenabgeordnete Gottlieb Christian Schüler, Richter am Oberappellationsgericht und Honorarprofessor der Salana, gehörte zum Vorstand des „Zentralen Märzvereins“, zu dem sich die Fraktionen der Paulskirchenlinken im November 1848 zusammenschlossen und der wegen seiner Verbindung von Parlamentstätigkeit und außerparlamentarischer Arbeit als erste moderne Partei Deutschlands bezeichnet worden ist.77 Die Salana gehörte damit in den Revolutionsmonaten 1848/49 zu den am stärksten politisierten Hochschulen Deutschlands. Dies lag in der Konsequenz der vorausgegangenen Entwicklungen. Mit der Revolution wurde dann aber auch endgültig deutlich, daß es unter den nach Einheit und Freiheit strebenden Hochschulangehörigen unterschiedliche politische Lager gab. Die Spaltung des deutschen Bürgertums in gemäßigte Liberale, Demokraten und entschiedene Republikaner, die sich in den frühen Jenaer programmatischen Debatten schon angedeutet hatte, trat nun auch in den inneruniversitären und städtischen Konflikten deutlich hervor. Die entscheidenden Fragen nach der Staatsform eines geeinten Deutschlands – konstitutionelle Monarchie oder Republik – , nach der Entscheidungsmacht des Staatsoberhauptes, nach dem Wahlrecht und nach dem Ausmaß sozialpolitischer Reformen, all das war auch innerhalb der Salana 1848/49 höchst umstritten. Gemeinsam waren den Universitätsangehörigen nur noch das Streben nach Einheit und die Sicherung der deutschen Ansprüche auf Schleswig. Aber auch in der Einheitsfrage gab es unterschiedliche Auffassungen zwischen der eher von den gemäßigten Liberalen vertretenen kleindeutsch-preußischen Richtung und der mehr von der Linken geforderten großdeutschen Politik. In der Ehrendoktorwürde, welche die Universität im Januar 1849 dem ehemaligen Jenaer Studenten, Paulskirchenpräsidenten und Ministerpräsidenten der provisorischen Reichszentralgewalt, Heinrich von Gagern, „in Würdigung seiner ehrlichen und aufrichtigen Politik“ verlieh78, spiegelte sich der Einheitswille der Salana deutlich wider, denn noch war Gagern die große Symbolfigur des deutschen Einheitsstrebens.79 Zugleich kann sie aber auch als Beleg dafür angesehen werden, daß die Universität Jena jenen gemäßigt liberalen, kleindeutschen Einigungsweg favorisierte, den Gagern seit Herbst 1848 verfolgte. Diese politische Grundrichtung blieb an der Salana auch im nachrevolutionären Jahrzehnt bestimmend. Jena war eine vom sogenannten Gothaer Liberalismus, der 1849/50 vergeblich auf einen Kompromiß zwischen liberaler Bewegung und preußischem Staat gesetzt hatte, dominierte Universität. Die Politik des kleindeutsch orientierten Liberalismus war zwar 1850 kläglich gescheitert, weil sich Preußen am Ende dem Druck Österreichs und Rußlands beugen und zu den alten 77 Schüler, S. / Möller, F. (Hg.), Demokrat, 2007. 78 Bauer, J. / Hartung, J. / Dicke, K.(Hg.), Ehrendoktoren, 2007, 216. 79 Vgl. Möller, F., Heinrich von Gagern, 2003.
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Strukturen des Deutschen Bundes zurückkehren mußte. Dennoch setzte die Mehrheit der Jenaer Professoren in den 1850er Jahren darauf, daß die entscheidenden Fortschritte in der Einheitsfrage langfristig nur durch eine Kooperation mit Preußen erreicht werden könnten. Die preußische Politik, die seit 1851 gemeinsam mit Österreich dem Deutschen Bund eine neue Phase politischer Repression aufzwang, gab zu solchen Hoffnungen zunächst freilich wenig Anlaß. Die Unterdrückungs- und Verfolgungspolitik, mit der die konservativen Vormächte des Bundes jegliche Opposition in Deutschland ersticken wollten, führte im übrigen dazu, daß Thüringen und gerade auch die Universität Jena in den 1850er Jahren für die auf Einheit und Freiheit drängenden Kräfte nochmals eine besondere Bedeutung gewannen. Thüringische Kleinstaaten wie Sachsen-Weimar und SachsenCoburg und Gotha bildeten mit ihrer vergleichsweise liberalen Politik in den Jahren nach der Revolution von 1848/49 einen Rückzugsraum, in dem sich die geschlagene liberal-demokratische Bewegung allmählich neu formieren konnte. Auch die Universität Jena war in den Jahren der Reaktion darum bemüht, sich ein liberales Image zu geben, das im Wettbewerb der deutschen Universitäten sogar zu einem Standortfaktor wurde. So konnte die Universität um 1860 mit den früheren Paulskirchenlinken Bruno Hildebrand und Wilhelm Adolf Schmidt angesehene Professoren gewinnen, die nach der Revolution von 1848 in die Schweiz gegangen waren und bei konservativen Regierungen anderer deutscher Staaten aus politischen Gründen zu diesem Zeitpunkt noch unerwünscht waren.80 An der Universität der Ernestiner, so hat der nach Jena berufene Johann Gustav Droysen 1853 geschrieben, habe sich nach 1848/49 im Unterschied zu allen anderen deutschen Universitäten „die alte freie Luft des geistigen Lebens und die Deferenz der Regierenden gegen die Wissenschaftlichkeit erhalten“ können.81 In Jena präzisierte Droysen in den 1850er Jahren seine Vorstellungen von der politischen Zukunft Deutschlands, die zum Kernbestandteil des bürgerlich-liberalen Fortschrittsglaubens werden sollten. Die deutsche Einheit konnte demnach nur in Kooperation mit dem preußischen Machtstaat geschaffen werden, der in den letzten Jahrhunderten zum Teil als bewußtes, zum Teil aber auch als blindes Werkzeug des geschichtlichen Fortschritts zu Einheit und Freiheit gewirkt hatte.82 Droysens Vorstellungen von der historischen Mission ließen sich im übrigen gut mit den Selbstbildern der Salana verknüpfen. Das zum wichtigsten protestantischen deutschen Staat aufgestiegene Preußen schirmte mit seiner Macht einen protestantisch geprägten Fortschrittsprozeß ab, zu dem die Salana seit ihrer Gründung so wichtige Beiträge geleistet hatte. Der lutherische Gründungsmythos der Universität Jena wurde zwar im 19. Jahrhundert durch den kulturell wie politisch legitimierten Mythos eines „nationalen Jena“ überlagert83; dennoch stand die Salana für ein spezifisch protestantisches Nationsverständnis, in dem ein enger 80 Vgl. Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 434 ff. 81 Johann Gustav Droysen in einem Brief an Georg Beseler vom 20.10. 1853, in: Hübner, R. (Hg.), Johann Gustav Droysen, 1929, 183–185, hier 185. 82 Zu Droysens Jenaer Jahren vgl. Nippel, W., Johann Gustav Droysen, 2008, 206 ff. 83 Vgl. hierzu Bauer, J., Universitätsgeschichte, 2009 (MS).
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Zusammenhang zwischen der von den Ernestinern geförderten Reformation, den kulturellen und wissenschaftlichen Leistungen des lutherischen Thüringens und den einheitspolitischen Zielen des 19. Jahrhunderts hergestellt wurde. Trotz der Dominanz des gemäßigten und kleindeutschen Liberalismus versuchten aber in den 1850er Jahren auch Vertreter der bürgerlichen Linken, sowohl die spezifischen Traditionen als auch die Freiräume der Salana für einen neuen politischen Aufbruch zu nutzen. Dies zeigen die eingangs erwähnten Aktivitäten, die der ehemalige Paulskirchenabgeordnete Venedey im Umfeld des Jenaer Universitätsjubiläums entfaltete. Venedey beschwor 1858 am Gründungsort der Urburschenschaft die akademische Jugend Deutschlands, ihre inneren Gegensätze wieder zu überwinden und den Blick auf die großen Ziele der nationalen Einheit zu richten. Er erinnerte an die politischen Aufbrüche von 1817, 1832 und 1848 und an die Verfolgungen und beklagte, die „Opfer und Leiden jener Männer, die für die Idee der Burschenschaft, dieses idealen Abbildes von Deutschlands erstrebter Einheit und tatsächlicher Zerrissenheit, so viel gelitten (…) von der jüngeren Generation so arg verkannt und verläugnet zu sehen“.84 Als sich die liberale und nationale Bewegung am Ende der 1850er Jahre wieder zu formieren begann, waren die Universität Jena und überhaupt der Raum Thüringen beim Aufbau von Netzwerken der liberal-demokratischen Kräfte noch einmal in beachtlichem Maße beteiligt.85 Insgesamt sollte man daher den Beitrag der Salana zur sogenannten „inneren Reichsgründung“, die der machtpolitisch durchgesetzten Bismarckschen Reichsgründung vorausging und mit ihren organisatorischen, kulturellen und publizistischen Aktivitäten wichtige Voraussetzungen schuf86, nicht unterschätzen. Die Art und Weise, wie Bismarck zwischen 1866 und 1871 die Einheit Deutschlands herstellte, entsprach freilich nur partiell jenen Zielen, mit denen die liberale und nationale Bewegung an der Salana einst angetreten war und die sie über Jahrzehnte hinweg verfolgt hatte.87 Die Minderheit der linksliberal gesinnten Professoren und Studenten, für die vor allem der Mathematiker Karl Snell sprach, kritisierte den von Bismarck provozierten deutschen Krieg des Jahres 1866 und orientierte sich weiterhin an den großdeutsch-demokratischen Idealen. Die Mehrheit der Jenaer Universitätsangehörigen befürwortete zwar die kleindeutsche Lösung und war zum Kompromiß mit der Bismarckschen Politik bereit. Aber auch sie blieb zunächst auf einem Kurs, den der preußische Gesandte in Weimar 1869 als „demokratisch-deutsch“ bezeichnete.88 Damit war ein Politikkonzept gemeint, das auf der Grundlage der neugeschaffenen Einheit möglichst rasch auch die noch offenen verfassungspolitischen Forderungen des Bürgertums durchsetzen 84 Die versuchte Einigung (...), 1858, 19. 85 Vgl. Biefang, A., Thüringen, 1998. 86 Zur Neubewertung der inneren Reichsgründung vgl. Fehrenbach, E., Verfassungsstaat, 2005, 109 ff. 87 Zur Haltung der Universität zur Einheitsfrage vgl. Gerber, S., Universität Jena 1850–1918, 2009. 88 Vgl. Hess, U., Geschichte, 1991, 51.
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wollte. Hierzu gehörte vor allem die Stärkung der Rechte des nationalen Parlaments. Zudem hätten es die liberalen Kräfte in Thüringen gerne gesehen, wenn die in Jena entstandenen Farben Schwarz-Rot-Gold zur Fahne des neuen Deutschland geworden wären. Der Jenaer Historiker Wilhelm Adolf Schmidt war bestrebt, mit umfangreichen geschichtspolitischen Schriften diese weitergehenden Forderungen des liberalen Bürgertums im Gedächtnis zu halten und als liberaler Reichstagsabgeordneter für ihre Verwirklichung einzutreten.89 Die politischen Entwicklungen im 1871 gegründeten Deutschen Kaiserreich gingen jedoch bekanntlich in andere Richtungen. Spätestens mit der Reichsgründung war die Sonderrolle, welche die Salana für die gesamtdeutsche Politik zeitweise gespielt hatte, zu Ende. Das liberale Bürgertum, das auf der neuen nationalen Ebene mit Bismarck kooperierte und konkurrierte, brauchte keine Nischen in Kleinstaaten oder kleinstaatlichen Universitätsstädten mehr, um sich zu versammeln und die eigenen Ziele zu propagieren. Das war nun bei der sich formierenden Arbeiterbewegung der Fall, die 1869 oder 1875 die günstigeren Versammlungsbedingungen von kleinstaatlichen Städten wie Eisenach oder Gotha nutzte. Das Zentrum der großen politischen Debatten lag seit 1871 in der Hauptstadt des Reiches, und es waren nicht mehr Jenaer, sondern die Berliner Historiker wie Heinrich von Treitschke, Heinrich von Sybel und Johann Gustav Droysen, die die geschichtspolitischen Leitlinien des neuen Reichs bestimmten. Auch die gesellschaftlichen Konzepte, welche die liberalen Professoren in Jena lange verfolgt hatten, wurden von den neuen wirtschaftlichen Entwicklungen überrollt. Das mittelständische, auf sozialen Ausgleich angelegte Zukunftsmodell erwies sich als Illusion, und die wachsenden Spannungen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft schwächten in der Gesellschaft die Akzeptanz liberaler Ideen. Dennoch blieben wichtige Jenaer Professoren wie der Nationalökonom Bruno Hildebrand und schließlich vor allem Ernst Abbe auch im Kaiserreich sozialreformerischen Zielsetzungen eng verbunden.90 Die Verwirklichung des wichtigen Ziels der deutschen Einheit ließ die ursprünglichen gesellschaftlichen und verfassungspolitischen Leitideen des Liberalismus und eines modernen Nationalstaats an der Salana keineswegs völlig verschwinden. Je mehr aber das Bürgertum erkannte, daß viele seiner Zukunftserwartungen nicht in der erhofften Form Realität werden würden, je größer der Druck konkurrierender politischer Kräfte wurde und je mehr die Angst vor äußeren Bedrohungen des jungen Deutschen Reiches wuchs, desto mehr suchte die Mehrheit von Professoren und Studenten den Schutz eines starken Staates und einer starken Führungspersönlichkeit, wie sie Bismarck als „eiserner Kanzler“ darzustellen schien. Der von Professoren der Universität im Sommer 1892 organisierte Jena-Besuch des zwei Jahre zuvor entlassenen Reichskanzlers ließ klar erkennen, wie sehr die früheren Ideale eines
89 Vgl. Hahn, H.-W., Geschichtswissenschaft, 2006. 90 Hierzu Steinbach, M., Ökonomisten, 2008, 259 ff.
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emanzipatorischen Nationalismus zurückgetreten waren.91 Die den Reichsgründer euphorisch feiernden Vertreter der Salana bekannten sich zwar mit Stolz zu den eigenen Leistungen im deutschen Einigungsprozeß und betonten die Pionierfunktion von Universität und Burschenschaft, aber man brachte dabei ein Nationsverständnis zum Ausdruck, bei dem nicht mehr verfassungs- und gesellschaftspolitische Aspekte im Vordergrund standen, sondern die wehrhafte Nation, die allen äußeren und inneren Feinden trotzen sollte. Für Ernst Haeckel war nur ein Mann vom Schlage Bismarcks in der Lage, das Reich vor seinen äußeren Feinden zu schützen und die Weiterentwicklung der bürgerlichen Ordnung gegen Ultrakonservative, Ultramontane und Sozialdemokraten zu garantieren. Gewiß gab es im Jenaer Bürgertum um 1900 auch andere Stimmen, die an den alten bürgerlichen Idealen festhielten und nicht in die Bahnen eines neuen integralen, die liberalen und emanzipatorischen Elemente zurückdrängenden Nationalismus einschwenkten.92 Dennoch war nicht zu übersehen, daß sich die Akzente im Verhältnis von Universität und Nation zwischen den Freiheitskriegen des frühen 19. Jahrhunderts und dem Ersten Weltkrieg deutlich verschoben hatten.
91 Ausführliche Beiträge zum Bismarckbesuch von 1892 und dem Bismarck-Kult an der Universität Jena in Greiling, W. / Hahn, H.-W. (Hg.), Bismarck, 2003. 92 Gerber, S., Universität Jena 1850–1918, 2009, 229 ff.; Hahn, H.-W., Freiheitshoffnung, 2007.
Universität und Gesellschaft – ein wechselseitiger Modernisierungsprozeß Klaus Ries Vor allem aus modernisierungsgeschichtlicher Perspektive hat die Frage nach dem Verhältnis von Universität und Gesellschaft eine bis heute gültige Relevanz. Steckt dahinter doch die leise Hoffnung auf eine gegenseitige Durchdringung beider Bereiche und damit auf eine Wissenschafts- und Bildungsvermittlung in breite soziale Schichten. Noch im letzten Band der „Veröffentlichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte“, dem von Rainer Christoph Schwinges herausgegebenen Sammelband „Universität im öffentlichen Raum“, widmete sich eine eigene Sektion dem Thema: „Universität und Gesellschaft“.1 Behandelt werden dort u. a. die Berliner „Professoren in Stadt und Staat“, die „Studenten in der Gesellschaft“ sowie „die Sprengung des Elfenbeinturms“.2 Für die hier zur Diskussion stehende Zeit um 1800 sind diese Problemfelder von besonderer Relevanz. In doppelter Hinsicht stellt nämlich die Umbruchszeit von etwa 1770 bis 1840 für Universität und Gesellschaft eine tiefgreifende, ja bis heute nachwirkende Zäsur dar: Sie leitet zum einen den grundlegenden Transformationsprozeß von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft ein – einen Prozeß, den wir längst noch nicht in all seinen Facetten erfaßt haben und der vor kurzem auf dem Historikertag in Dresden von Reinhard Blänkner mit der Kategorie der „neuständischen Gesellschaft“ einer neuerlichen Prüfung unterzogen wurde.3 Es ist ein deutsches Spezifikum, daß dieser gesellschaftliche Wandlungsprozeß in seinen Anfängen ganz wesentlich von staatlicher Seite (von der Reformbürokratie und den reformorientierten Landesherrn) angestoßen und mitgetragen wurde. Hierbei spielten auch die staatlich eingebundenen und sich politisch engagierenden Universitätsprofessoren eine nicht unbedeutende Rolle. Die Katalysatorfunktion des Staates reichte bis etwa 1830 (spätestens 1840), ab dann – so kann man sagen – wollte die Gesellschaft nicht mehr befreit werden, sondern sich selbst befreien.4 Auf der anderen Seite läßt sich für die Entwicklung der deutschen Universitäten in jener Phase um 1800 ebenfalls ein „Traditionsbruch“ konstatieren5 – ein Traditionsbruch, der gleichsam produktiv genutzt und relativ rasch positiv umgesetzt wurde, wenn man beispielsweise an die vielen Universitätsreformen 1 2 3 4 5
Schwinges, R. C. (Hg.), Universität, 2008, hier 347 ff. Ebd., 365 ff. Vgl. den Tagungsbericht des Historikertages zur Sektion: ,Neuständische Gesellschaft‘ – Europäische Geschichte im globalen Kontext (1750–1830/40) vom 30.09. 2008–03.10. 2008, Dresden. In: H-Soz-u-Kult (20.11. 2008). Vgl. Nipperdey, T., Deutsche Geschichte, 1983, 299 f. Vgl. Hardtwig, W., Krise, 1985.
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im Vor- und Umfeld der Humboldtschen Neugründung in Berlin denkt. Bezogen auf die Universitätsstruktur wird mit dem seit etwa 1770 schleichend laufenden Verstaatlichungsprozeß eine unumkehrbare Entwicklung zur modernen Staatsanstalt eingeleitet, ebenso wie sich etwa zur gleichen Zeit – um die Morawschen Kategorien zu bemühen – der Übergang von der vorklassischen zur klassischen Universität (also zur Forschungsuniversität) abzeichnet.6 In vielerlei Hinsicht stellt also die Zeit um 1800 für „Universität und Gesellschaft“ eine Scharnierzeit bzw. eine „Sattelzeit“ (Koselleck) dar. Die Frage, die uns hier interessiert, ist vor allem diejenige nach dem Verhältnis und dem Zusammenhang von gesellschaftlichem Modernisierungsprozeß und universitärem Aufbruch: Inwieweit bedingten sich beide Prozesse gegenseitig und wie läßt sich gegebenenfalls diese wechselseitige Beeinflussung nachweisen und darstellen? Ich will dieser Frage anhand der folgenden vier allgemeinen Punkte nachgehen und dabei jeweils den Bezug zur Universität Jena herstellen: 1. des Vereins- und Verbindungswesens, das seit dem bekannten Diktum von Thomas Nipperdey als entscheidender „Faktor der Mobilisierung im Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft fungierte“ und damit einen wichtigen Indikator einer neu entstehenden Öffentlichkeit und einer sich strukturell verändernden Gesellschaft darstellt7, 2. der Feste und Feiern, anhand deren sich ebenfalls der „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas) und die Verbindungslinien zwischen Universität und städtischer Gesellschaft ablesen und beschreiben lassen8, 3. der individuellen und kollektiven Netzwerke und Netzwerkbeziehungen zwischen Universitätsangehörigen und Stadtbürgern, die einen Indikator für die Öffnung der Universität gegenüber der städtischen Gesellschaft darstellen, 4. des Werte- und Tugenddiskurses, an welchem sich besonders gut der ideelle Austausch universitärer Ideenproduzenten und gesellschaftlicher Rezipienten und/oder umgekehrt untersuchen läßt. 1. Das Vereins- und Verbindungswesen Es ist ein besonderes Kennzeichen des sogenannten „Ereignisraumes WeimarJena“9, daß vor allem das geheime Logen- und Freimaurerwesen seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts hier in relativ verdichteter Form auftritt.10 Man kann 6 7 8
Vgl. Moraw, P., Aspekte und Dimensionen 1982, 1–43. Vgl. Nipperdey, T., Verein, 1976, 204. Erstaunlicherweise spielt dieser Bereich der Feste und Feiern bei der Untersuchung von Habermas kaum eine Rolle, vgl. Habermas, J., Strukturwandel, 2001. 9 Zum Ereignisraum Weimar-Jena vgl. jetzt die Beiträge in: Schmidt, G. / Ehrlich, L. (Hg.), Ereignis Weimar-Jena, 2008. 10 Vgl. zum geheimen Verbindungs- und Logenwesen in Sachsen-Weimar-Eisenach: Bauer, J. / Müller, G., „Des Maurers Wandeln (...)“, 2000 sowie die Beiträge in: Bauer, J. / Hellmann, B., Müller, G. (Hg.), Logenbrüder, 2002 und Wilson, W. D., Gänge, 1999.
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diese geheimen Gesellschaften durchaus als Vorstufe der später dann öffentlichen Vereine ansehen.11 Für den Übergang vom geheimen zum öffentlichen Sozietätswesen spielte die Universität eine nicht zu verachtende (und bislang viel zu wenig beachtete) Rolle. Unter dem Eindruck der Französischen Revolution entstanden in Jena unter der Federführung des frisch berufenen Kantianers Johann Gottlieb Fichte relativ rasch eine sogenannte „Tischgesellschaft“12 und die „Gesellschaft der freien Männer“, besser bekannt unter dem Namen „Bund der Freien Männer“.13 Die Tischgesellschaft, die zunächst einmal aus dem ganz simplen Grund zustande kam, daß Fichte dadurch den Kreis seiner Zuhörerschaft erweitern und so seine ökonomische Situation verbessern wollte, war eine – wie es hieß – bewußt „offene“ und „demokratische“ Gesellschaft.14 Darunter war zu verstehen, daß es keine Hierarchie zwischen Professoren und Studenten (Fichtes Kollegen Niethammer und Woltmann waren Mitglieder) geben sollte und jeder frei das Wort ergreifen durfte. Die Mitgliederstruktur blieb zwar auf den akademischen Bereich beschränkt, hatte aber einen regelrecht internationalen Charakter, indem nicht nur deutsche „Landsleute“ – wie es hieß – zusammenkamen, sondern Schweizer, Dänen, Franzosen und sogar ein Schotte sich regelmäßig bei Fichte trafen. Die Tischgesellschaft war kein unpolitischer Debattierklub, sondern wurde in den allgemeinen Politisierungssog, der von der Französischen Revolution ausging, hinein gezogen: Ein gewisser Johann Jakob Brechtel, den man – wenn man will (und Alain Ruiz hat dies getan) – als „deutschen Jakobiner“ bezeichnen kann, fungierte gewissermaßen als „Geheimagent“ und baute ein Netz revolutionsfreundlicher Studenten in Jena auf. Er berichtete, daß man in der Tischgesellschaft die Marseillaise gesungen und eine Jakobinermütze die Runde gemacht habe.15 Von etwas anderem Zuschnitt und schon weitaus öffentlicher und auch besser bekannt war die „Gesellschaft der freien Männer“, die von Felicitas Marwinski en détail untersucht wurde und die mit ihren über 50 Mitgliedern durchaus als wichtiges Glied in der Entstehungskette des öffentlichen Vereinswesens in Jena angesehen werden kann.16 Hier wurden vor allem Fichtes Philosophie und die klassische Literatur diskutiert, und es waren nicht mehr nur Akademiker bzw. Universitätsangehörige unter den Mitgliedern, sondern auch freie Publizisten, Schriftsteller und Gelehrte (wie z. B. der Hölderlin-Freund Boehlendorff oder der Übersetzer Gries). Wenn der Bund der freien Männer auch nicht den Sprung in eine breitere Öffentlichkeit fand, sondern im Grunde ein Intellektuellen-Zirkel blieb, so war damit doch ein Anfang gemacht – ein Anfang, der ganz wesentlich 11 Zum Vereinswesen in Sachsen-Weimar-Eisenach vgl. Riederer, J., Sozietäten, MS, 1995. Die These bis zur Entstehung der politischen Parteien pointiert bei Rogalla von Bieberstein, J., Gesellschaften, 1979. 12 Die Tischgesellschaft ist noch nicht im einzelnen untersucht worden. Sie findet u. a. Erwähnung bei Dann, O., Jena, 1994. 13 Vgl. dazu Marwinski, F., „Societas litteraria“, 1982. 14 Vgl. zum Folgenden Ries, K., Wort, 2007, 135 ff. 15 Vgl. Ruiz, A., Universität Jena, 1979, 95–132, bes. 101. 16 Vgl. Marwinski, F., „Societas litteraria“, 1982, 70 ff.
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von der Universität Jena – und hier vor allem der Person Fichtes – mitbestimmt und mitgeprägt wurde.17 Mit der Jenaer Universitätskrise von 1803 und der allgemeinen politischen Krise nach 1806 erlahmten dann zunächst einmal das öffentliche Leben und die Vereinsarbeit.18 Erst ganz allmählich begann sich wieder ein geselliges Leben aufzubauen. Heinrich Luden, der 1806 frisch bestallte Historiker der Salana, schrieb rückblickend: „In dem ersten Winter (1806/07, K. R.) freilich waren alle geselligen Verhältnisse in Jena im eigentlichen Sinne aufgelöst; im Sommer des folgenden Jahres aber fingen die Menschen an, sich einander wieder zu nähern und die alten Bande von neuem zu knüpfen“.19
Das öffentliche Leben stand und fiel mit der Universität. Das „Frommannsche Haus und seine Freunde“ ragten in jener Zeit heraus, dort traf man sich weiterhin im Kreise des Buchhändlers Karl Friedrich Ernst Frommann, zu dessen Familie auch Minchen Herzlieb, die Altersliebe von Goethe, gehörte.20 Weiterhin galten das Sommerhaus von Griesbach, dem Theologen, oder der Landsitz der Familie Ziegesar in Drackendorf bei Jena als Orte geselligen Beisammenseins.21 Auch Heinrich Luden, der nach Selbstaussagen kein sonderlich geselliger Mensch war, rief im Winter 1807/08 „eine literarische Gesellschaft“ ins Leben, die – wie er dem Herzog gegenüber versicherte – „gut gedeihet“.22 Die Gesellschaft sollte an den Fichteschen „Bund der Freien Männer“ anknüpfen und nahm sich die Verbesserung der studentischen Sitten und Lebensweisen zum Ziel. Aber vorerst wurde sowohl daraus als auch aus der Entwicklung eines öffentlichen Lebens überhaupt nicht viel. Erst mit und nach dem Freiheitskrieg, der Gründung des Deutschen Bundes und der Frühkonstitutionalisierung des nunmehr zum Großherzogtum erhobenen Kleinstaates Sachsen-Weimar-Eisenach zeigten sich wieder erste zukunftsweisende Ansätze von politischer und öffentlicher Vereinstätigkeit. Man kann die Gründung der ersten deutschen Burschenschaft, der sogenannten Jenaer Urburschenschaft am 12. Juni 1815, durchaus in den Kontext des Vereinswesens stellen.23 Die nun entstehenden Burschenschaften blieben zwar auf das akademischuniversitäre Milieu beschränkt und waren auch nicht in erster Linie politisch mo17 Auch Fichtes Entlassung 1799 und die von ihm inszenierte „Appellation an das Publikum“ belegen die Tendenz einer sich ausweitenden politischen Öffentlichkeit im Revolutionsjahrzehnt; vgl. dazu die Aktensammlung und Kommentierung von Röhr, W. (Hg.), Appellation, 1987. 18 Zur Universitätskrise und den Bewältigungsstrategien vgl. Müller, G., Regieren, 2006, 476 ff. sowie Steinmetz, M. (Hg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58–1958, Bd. 1, 1958, 235 ff. 19 Luden, H., Rückblicke, 1847, 190. 20 Vgl. die Selbstbeschreibung aus dem Jahre 1870 von Frommann, F. J., Haus, 1870. 21 Vgl. knapp bei Schmidt, S. (Hg.), Alma mater Jenensis, 1983, 163 f. 22 Luden an Voigt v. 22.07. 1808, in: ThHStAW A6438, fol. 229 f. 23 Vgl. dazu Nipperdey, T., Verein, 1976, 199 f.; zur Jenaer Burschenschaft im besonderen vgl. die verbandsgeschichtlich orientierte Arbeit von Haupt, H., Burschenschaft, 1910.
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tiviert, sondern zielten auf die Reformierung des studentischen Lebens ab.24 Aber sie besaßen große Ähnlichkeiten mit dem politischen und öffentlichen Vereinswesen: Es gab klar festgelegte Statuten (regelrechte Parteiprogramme), Wahlen fanden statt, Vorstände und Ausschüsse wurden nach klaren Regeln bestimmt, und man hatte den Drang, in die Öffentlichkeit zu gehen, plante Feste und Feiern, ja wollte Öffentlichkeit eigentlich erst herstellen; nicht zuletzt hatten die Burschenschaften auch eine nationale, politische Zielsetzung, die sie neben dem Motiv der Sittenverbesserung und der Zivilisierung studentischen Lebens nicht aus dem Blick verloren. Man kann ihnen daher in der Tat „den Charakter apokrypher Parteien“ zuschreiben.25 So sehr sie eine rein universitäre Institution darstellten (die Statuten sprechen hier eine deutliche Sprache), von ihrem Selbstverständnis her waren die Burschenschaften mehr als dies: Sie sahen sich in einer Mittlerfunktion zwischen Universität und Gesellschaft, ja noch allgemeiner zwischen Universität und Öffentlichkeit.26 Die zweite wichtige Institution, die auch von der Universität ihren Ausgang nahm und in die Gesellschaft hinein wirkte, waren die Turnvereine.27 Hier lagen die Ursprünge nicht in Jena (wie bei der Burschenschaft), sondern in Berlin, wo 1810/11 in der Hasenheide unter Leitung des „Turnvaters“ Jahn der erste Turnplatz errichtet wurde. Im Unterschied zur Burschenschaftsbewegung drangen die Turner viel weiter in die Öffentlichkeit vor, waren breiter verankert in der Gesellschaft, besaßen eine straffere Organisationsstruktur und ein viel dezidierteres nationalpolitisches Programm. Wolfgang Hardtwig setzt in seiner Langzeitanalyse des deutschen Nationalismus von 1495 bis 1871 exakt wegen dieses öffentlichkeitswirksamen Aspektes der Turnbewegung mit dem Jahr 1810 eine neue (bis 1871 reichende) Phase der deutschen Nationalbewegung an, weil von nun an „die strukturellen Voraussetzungen für die Ausweitung zur Massenbewegung“ gegeben waren.28 Von ihrem ersten Auftreten bis zum Turnverbot im Jahre 1820 waren nach eigenen Angaben etwa 12.000 Turner in rund 150 sogenannten „Turngemeinden“ organisiert, während es die Burschenschaften in jener Zeit gerade einmal auf 1.000 bis 2.000 Mitglieder brachten. Auch in Jena fand sich ein Ableger der Berliner Zentrale. Es waren vor allem zwei „politische Professoren“, der schon erwähnte Historiker Heinrich Luden und der Mediziner Dietrich Georg Kieser, die den Jenaer Turnverein im Frühsommer 1816 aus der Taufe hoben.29 Die Gründung des Jenaer Turnvereins bietet ein schönes Beispiel dafür, daß der Reformprozeß zwischen Universität und Gesellschaft kein einseitiger, ausschließlich von der Universität gesteuerter, sondern ein wechselseitiger Vorgang war. Die beiden Professoren entsprachen nämlich mit ihrer Bitte zur Errichtung eines Turnplatzes nur – wie sie in ihrer Eingabe gegenüber dem Prorektor 24 25 26 27 28 29
Vgl. dazu vor allem Hardtwig, W., Zivilisierung, 1992. Nipperdey, T., Verein, 1976, 200. Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 283 ff. Allgem. dazu Düding, D., Nationalismus, 1984. Hardtwig, W., Elitebewußtsein, 1994, 47 f. Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 314 ff.
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versicherten – „den an uns ergangenen Wünschen mehrerer hiesiger Einwohner“, um „dieser volkstümlichen Anstalt die größtmögliche Ausdehnung, feste Begründung und stete Dauer zu geben“.30 In Jena war die Turnerei ganz offenkundig von der Stadt ausgegangen; die Universitätsprofessoren setzten sich frühzeitig an die Spitze der aufkeimenden Bewegung, um der ganzen Angelegenheit ihre eventuelle Schärfe zu nehmen und sie für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Man wollte diese ständeübergreifende, volkstümliche, dem allgemeinen Wohl dienende Bewegung nicht der Öffentlichkeit überlassen, sondern universitär einbinden und zähmen. Der Jenaer Turnverein kam zustande, selbst der Großherzog unterstützte die Initiative, und er blieb relativ lange bis 1824 bestehen, bis er dann wie die anderen Vereine auch dem allgemeinen Turnverbot im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse zum Opfer fiel.31 Er fungierte, wie es in den von den Universitätsprofessoren verfaßten Statuten hieß, als „universelle Bildungsanstalt des Leibes und des Geistes“32; er sorgte durch die Verbindung von Studenten, Schülern und „Kindern hiesiger Einwohner“ letztlich für ein allmähliches Zusammenwachsen der beiden Sozialformationen des universitär-akademischen und des stadtbürgerlichen Milieus und schuf so – zumindest punktuell – eine gemeinbürgerliche Identität: Gemeinsam traf man sich jeden Mittwoch und Sonnabend am späten Nachmittag zwischen vier und sieben Uhr und hielt unter Anleitung der in Jena studierenden Jahn-Schüler Maßmann und Dürre die gemeinsamen Übungen – Gymnastik, Schwingen, Klettern – ab. „Der Turnplatz hatte Knaben und Studenten zu Besuchern“, meinte Dürre später, in fröhlicher Eintracht besuchte man ihn.33 Die Turnerei suchte in Jena den Anschluß an die Burschenschaftsbewegung (nicht von ungefähr sprach man fortan häufig von den „Burschenturnern“34) und sorgte auf diese Weise auch für die soziale Öffnung der Burschenschaft. Turnerund Burschenschaften stellen nicht nur wichtige Katalysatoren politischer Öffentlichkeit, sondern auch erste Vorformen politischer Parteien dar, weil sie sehr früh bereits, gewissermaßen in nuce, den Riß offenlegten, der seit den 1830er Jahren für jedermann erkennbar durch die liberale Bewegung in Deutschland ging:35 Die Turner repräsentierten stärker das radikal-demokratische Potential, während die Burschenschaften eher eine gemäßigte liberale Reformbewegung waren.36 Man darf die öffentliche Wirkung beider Vorformen des Vereins- und Parteiwesens allerdings auch nicht übertreiben: Ihre Öffnung gegenüber der Stadt war begrenzt; 30 Schreiben von Luden und Kieser vom 1. Mai 1816, in: UAJ A/1471 (unpag.). 31 Vgl. dazu auch die Akte im UAJ: A/1471 (Einrichtung einer Turnanstalt durch die Hofräte Luden und Kieser 1816–1824). 32 Ebd., unpag. 33 Dürre, C. E. L., Aufzeichnungen, 1881, 194. 34 Der Ausdruck stammt von Jahn selbst; Schröder hat ihn zum Aufhänger seiner Habilitationsschrift gemacht (vgl. Schröder, W., Burschenturner, 1967). 35 Vgl. dazu jetzt aus ideengeschichtlicher Perspektive die politikwissenschaftliche Habilitationsschrift von Backes, U., Liberalismus, 2000. 36 Vgl. zu dieser These auch Asmus, H., Burschenschaften, 1988/89, 155–175.
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selbst bei den wesentlich tiefer in der Gesellschaft verankerten Turnvereinen muß man sagen, daß es sich zunächst und vor allem um eine Jugendbewegung handelte, die nur in eingeschränktem Maße Verbindungslinien zwischen Universität und Gesellschaft herstellte. Aber ein erster Anfang war getan, und er bildete eine wichtige Grundlage für die Entstehung einer neuen, politischen Öffentlichkeit. Noch eine letzte Gruppe von Vereinen muß erwähnt werden, weil vor allem sie eine nicht zu verachtende öffentliche Wirkung entfalteten. Es handelt sich um die sogenannten „engeren Vereine“, die in Jena erst nach dem Wartburgfest zum ersten Mal in Erscheinung traten und von der Universität Gießen und der dortigen radikalen Studentenverbindung der „Unbedingten“ um Karl Follen importiert wurden.37 Die „engeren Vereine“, die in Jena nur ein Jahr lang vom Frühjahr 1818 bis zum Frühjahr 1819 existierten, waren regelrechte politische Gesinnungszirkel radikal eingestellter Studenten und Professoren bzw. Privatdozenten. Ihr Staatsideal war tatsächlich schon die Republik, die nach dem Rousseauschen Prinzip der Volkssouveränität organisiert und zur Not auch mit Gewalt und Revolution errichtet werden sollte. Die Handvoll engerer Vereine, die in jener Zeit in Jena entstanden, besaßen bereits eine relativ gut ausgebildete Organisationsstruktur und hatten vor allem den Drang, in und auf die Öffentlichkeit einzuwirken. In diesen Zirkeln reifte im Dezember 1818 der Plan, den preußischen König oder den russischen Zaren, die beide auf der Rückreise vom Aachener Fürstenkongreß einen Zwischenstop in Weimar einlegen wollten, zu ermorden.38 Vom Zaren wußte man, daß er ins Weimarer Theater gehen wollte, und so heckte man den Plan aus, „im Parterre durch einige hingeworfene Schwärmer einen Aufstand zu erregen (...), wo dann, da nur ein einziger Ausgang vorhanden, der Kaiser sehr leicht und ohne Gefahr erdolcht werden würde“.39 Wenn man auch sowohl von diesem als auch vom Attentatsplan auf den preußischen König wieder abrückte und stattdessen am 15. Dezember einen Triumphbogen, der zu Ehren der Kaiserin-Mutter in der Universitätsstadt errichtet worden war, niederriß, um zumindest ein öffentliches Zeichen zu setzen, so zeugen doch die Aktivitäten der studentischen Mitglieder der engeren Vereine von einem über die Korporation hinausgehenden, öffentlichkeitswirksamen Denken und Handeln. Nicht zuletzt war es ein Mitglied des engeren Jenaer Wintervereins, der Theologiestudent Carl Ludwig Sand, der nach reiflicher Überlegung im März 1819 nach Mannheim reiste und den Weimarer Lustspielautor und angeblichen russischen Agenten August von Kotzebue in seiner Wohnung ermordete – eine Tat, die über die einzelstaatlichen Grenzen hinweg die deutsche Öffentlichkeit wachrüttelte und zugleich polarisierte und schließlich die Karlsbader Beschlüsse auslöste, die dann nicht nur in Jena, sondern im ganzen Deutschen Bund das politische Vereinswesen zunächst einmal lahm legten.
37 Vgl. zum Folgenden Ries, K., Wort, 2007, 405 ff. 38 Vgl. den gedruckten Hauptbericht der Mainzer Untersuchungskommission von 1827, hier § 365 f. 39 Ebd., § 365.
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2. Feste und Feierlichkeiten Man kann sagen, daß noch bis etwa 1800 keine bzw. kaum eine nennenswerte Durchdringung von städtischer und universitärer Festkultur stattgefunden hat.40 Zu sehr waren noch im Ancien Régime beide Lebenswelten voneinander getrennt; die universitäre Korporation feierte unter sich, und die stadtbürgerliche Gesellschaft hatte ihre eigenen Festtage. An dieser relativ klaren Trennung änderte sich zunächst einmal auch mit dem Ausbruch der Französischen Revolution und der damit einhergehenden Politisierung nichts. Die in jener Zeit wenigen bekannten studentischen Feste blieben auf das universitär-akademische Milieu beschränkt. Dies gilt selbst noch für das „deutsch-patriotische Studentenfest“, das die Jenaer Vandalen am 5. und 6. September 1812 auf der nahe der Universitätsstadt gelegenen Kunitzburg feierten, wobei sie – wie es später hieß – „mit einem Weheruf über die trübe Gegenwart unverbrüchliche Treue und Ergebenheit dem Vaterlande“ schworen.41 Erst der Freiheitskrieg brachte die bislang getrennt feiernden Sozialformationen von Stadt und Universität zusammen und sollte damit eine wichtige Grundlage für deren allmähliches weiteres Zusammenwachsen schaffen. Das erste in dieser Hinsicht bedeutende und zugleich auch überregional gefeierte Fest stellt das sogenannte Nationalfest von 1814 dar.42 Das Nationalfest war die erste große öffentlichkeitswirksame Inszenierung des Sieges deutscher Truppen über Napoleon. Es wurde am 18. und 19. Oktober in Erinnerung an die Leipziger Schlacht vom Vorjahr in weiten Teilen des „Dritten Deutschland“, also der ehemaligen napoleonischen Rheinbundgebiete, gefeiert. Auch in Jena fand eine derartige Feier statt. Dieter Düding hat eine „Matrix“ des Festes zu erstellen versucht und dabei als „wesentlichen Sinn und Ausdrucksgehalt“ den Charakter eines „nationalen Integrationsfestes“ hervorgehoben, indem er auf die zeitgenössischen Festbeobachter verwies, die immer wieder die „den lokalen Feierlichkeiten innewohnende national-integrierende Kraft“ betonten, welche sich vor allem in der überständischen, überkonfessionellen, geschlechter- und altersübergreifenden Teilnehmerstruktur niederschlug.43 Im Falle Jenas kann man diese Beobachtung nur voll und ganz unterstreichen. Hier fand in der Tat ein „nationales Integrationsfest“ statt, was allein schon in der Predigt des Konsistorialrates und Kanzelredners Dr. Marezoll mit dem Appell an die Anwesenden zum Ausdruck gebracht wurde: „Und kein Stand verachte, kein Stand beneide, kein Stand drücke und bevortheile den andern; denn alle hatten unter der vorigen Tyrannei verhältnißmäßig gleich viel gelitten; alle waren ihrer theuersten, wohl hergebrachten Rechte beraubt; alle hatten die traurige Aussicht, immer härter und schimpflicher unterjocht zu werden; alle haben gegründete Ursache, sich der Ret-
40 Vgl. zur Jenaer Festkultur um 1800 die Beiträge in: Sänger, J. / Deile, L. (Hg.), Spannungsreich, 2005; zur Theorie und Systematik des Festes vgl. Maurer, M., Fest, 2002. 41 Pabst, K. R., Jugendleben, 1861, 124. 42 Allgem. dazu Düding, D., Nationalfest, 1988, 67–88. 43 Ebd., 73.
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tung des Vaterlandes hoch zu freuen und das neue Heil nicht durch ihre eigene Schuld wieder zu verscherzen“.44
Das entscheidende, sozusagen integrierende Moment war demnach die negative Erinnerung an die Rheinbundzeit, die – zumindest im Nachhinein – zusammenschweißte und eine solidarisierende Funktion übernahm. Dieses sozialintegrative Moment erstreckte sich in Jena auch auf die herrschenden Schichten; denn in dem regelrecht propagandistisch mitreißenden Festbericht hieß es, daß „der wegen seiner ganz vortrefflichen Tugenden allgemein geliebte Prinz Bernhard von SachsenWeimar“ das Fest ebenfalls „mit seiner Gegenwart beehrte“.45 Die aus der Kriegsnot und der – offenbar – gemeinsamen Rheinbunderfahrung geborene Einheit der unterschiedlichen Sozialformationen feierte in Jena den Sieg über Napoleon. Durch die Tatsache, daß Professoren, Studenten und Bürgersöhne Seite an Seite gekämpft hatten, war eine nationale Identifikationsgemeinschaft entstanden, die sich so schnell nicht wieder auseinanderreißen ließ. Auch und vor allem im Verhältnis von Universität und Stadt stellte der Freiheitskrieg eine wichtige Zäsur dar, einen Markstein auf dem Weg zur „öffentlichen Universität“, wie sie dann das späte 19. und frühe 20. Jahrhundert kennzeichnete.46 Die nun folgenden studentischen Feste belegen die Fortwirkung der neuen gemeinbürgerlichen Identität. Die Öffnung der universitären Gesellschaft gegenüber der Stadt zeigte sich auch und vor allem an den studentischen bzw. burschenschaftlichen Festen, die jetzt nahezu allesamt auch zu städtischen Angelegenheiten wurden. Das war ein völlig neuartiges Verhalten, daß nunmehr die von der Universität durchgeführten Feste in die stadtbürgerliche Gesellschaft integriert waren und diese bewußt mit einbezogen. Ich will dies anhand von drei mehr oder weniger bekannten Studentenfesten aufzeigen. Schon das erste größere Fest nach dem Krieg, das Friedensfest vom Januar 1816 in Erinnerung an den zweiten Pariser Frieden, wurde gemeinsam begangen und ganz bewußt als eine öffentliche Demonstration von Einigkeit inszeniert: „Stadt und Universität, Burschen und Landsturm, begingen in fröhlicher Einigkeit in den Tagen vom 18. bis 20. Januar 1816 das Friedensfest, dessen Erinnerung jahrzehntelang die auf der Trümmerstätte des Unglücksjahrs 1806, auf dem Eichplatz, gepflanzte Friedenseiche wachhielt“,
hieß es in einer Festbeschreibung.47 Das Bild eines anonymen Künstlers über den Festtag illustriert sehr deutlich die breite Öffentlichkeit des Festaktes.48 Der erste Tag, der 18. Januar, war gewissermaßen der „öffentliche“ Tag der Feierlichkeit: Burschenschafter, befreundete Studenten, Professoren (darunter u. a. der Jurist
44 Rede von Marezoll abgedruckt in: Hoffmann, K., Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel (...), 1815, 928. 45 Hoffmann, K., Des Teutschen Volkes feuriger Dank- und Ehrentempel (...), 1815, 922. 46 Vgl. am Beispiel von Tübingen Kotowski, M., Universität, 1999. 47 Vgl. zum Friedenfest von 1816 die Akte im UAJ A/1257, unpag. 48 Vgl. die Abbildung Nr. 11 in Ries, K., Wort, 2007.
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Schweitzer als „Feldoberst“ des Jenaer Landsturms sowie Kieser und Luden49) und städtische Bürger gingen gemeinsam zum öffentlichen Festgottesdienst und danach auf den Markt, um eine Privatandacht abzuhalten, wo sie zusammen ein von einem Studenten verfertigtes Lied anstimmten; der ebenfalls anwesende Theologieprofessor Gabler dankte den Studenten für die erhabene Feier. Am nächsten Tag blieb die Burschenschaft unter sich und pflanzte gemeinsam mit den anwesenden Professoren eine Eiche auf dem Marktplatz als Symbol der Befreiung von der französischen Herrschaft. Die Stadtbevölkerung war jetzt zwar nicht unmittelbar in das Festgeschehen integriert, aber auch an diesem Tag standen – wie es in einem Zeitungsbericht hieß – eine „große Menge von Zuschauern um den Platz herum, mehrere Professoren und frohe Teilnehmer aus der Stadt, in der Nähe der Eiche“.50 Die Friedensfeier war bereits eine öffentliche Feier, die zwar von der Universität ausging, aber nicht mehr auf diese beschränkt blieb. Eine ganz ähnliche Feierlichkeit fand ein Vierteljahr später, am 31. März 1816, dem zweiten Jahrestag der Einnahme von Paris, wiederum auf dem Eichplatz statt. Jetzt waren es die Frauen und „Jungfrauen“ von Jena, die mit teilnahmen und der Burschenschaft eine selbstgestickte schwarz-rot-goldene, reich mit Gold verzierte Fahne überreichten, die fortan bei jedem öffentlichen feierlichen Auszug der Burschenschaft wehen sollte und von ihr als „Panier der deutschen Einheit und Volksehre“ hochgehalten wurde.51 Die Fahne trug eingestickt die Buchstaben E. F. V. (Ehre, Freiheit, Vaterland) für den Wahlspruch der Burschenschaft, die sich wiederum mit einem Gedicht bedankte, dessen Titel bereits verdeutlichte, daß man über die gemeinsamen Werte zu einer gemeinbürgerlichen und auch geschlechterübergreifenden Gemeinschaft in der Lage war, was für die Burschenschafter mit ihren speziellen Anschauungen über das weibliche Geschlecht ein nicht unerhebliches Umdenken erforderte.52 Die Überschrift bzw. Widmung lautete: „Den biedern Frauen und Jungfrauen dieser Stadt, welche ihre edlen vaterländischen Gesinnungen durch Überreichung einer Fahne an die Studirenden unserer Academie auf eine schöne Weise an den Tag legten und durch dieses geheiligte Geschenk den hohen Sinn für Ehre, Freiheit und Vaterland, welchen sie in denselben erkannten, zu fördern strebten, sind diese herzlichen Worte des Dankes und der Freude gewidmet, zur bleibenden Erinnerung an den heutigen festlichen Tag als den 31. März des Jahres 1816 von der Burschenschaft zu Jena“.53
49 Schweitzer und Kieser sind belegt durch die Akte im UAJ A/1257. Zu Luden vgl. seine Aussage gegenüber dem Weimarer Verleger Bertuch über den „Friedens-Hokus-Pokus“ vom 19. Januar 1816 in: GSAW 06/1180. 50 So der Bericht über die Feier in der Frankfurter Oberpostamtszeitung vom 16.02. 1816 abgedr. in: Steinmetz, M. (Hg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58–1958, Bd. 2, 1962, 665. 51 Vgl. den Bericht der Mainzer Untersuchungskommission in: HeHStAW Abt. 210/12543, §18; s. dazu auch Keil, R. u. R., Geschichte, 1858, 375 f. 52 Vgl. dazu und dem entsprechenden Wandel Haupt, H., Burschenschaft, 1910, 75 ff. 53 Zit. nach Keil, R. u. R., Gründung, 1865, 90.
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Das Fest zur Erinnerung an die Einnahme von Paris war dergestalt ein Integrationsfest, daß hier eine Kultur der Reziprozität zwischen städtischer und universitärer Gesellschaft erkennbar wurde. Es fand auf dem Fest ein kommunikativer Austausch der beiden unterschiedlichen Sozialmilieus statt, der auf eine neue Kultur des Umgangs miteinander verwies. Dies läßt sich von dem letzten hier zu erwähnenden Fest nicht behaupten. Dennoch gehört es unbestritten zu den wohl öffentlichkeitswirksamsten Festen des Vormärz: Das Wartburgfest vom 18. Oktober 1817 läßt sich – ganz pointiert formuliert – als „die erste ,Demo‘ in Deutschland“ bezeichnen.54 Zwar war es ein rein studentisches Fest – ca. 500 Studenten von beinahe sämtlichen protestantischen Universitäten versammelten sich, um an Luthers Thesenanschlag und den Sieg über Napoleon zu erinnern. Aber die ganze Aktion war ein einziger Appell an die Öffentlichkeit, die Reden der Studenten und der Professoren sollten einen nationalen Ruck auslösen, und die Bücherverbrennung am Abend auf dem gegenüberliegenden Wartenberg war allein für die Öffentlichkeit als Symbol des Aufbruchs und der Radikalität gedacht, hinter der sich eine kleine Schar von Turnern um Jahn verbarg. Und schließlich entfaltete das Fest nicht zuletzt auch deswegen eine enorme öffentliche Wirkung, weil es von den Mächten der Reaktion, allen voran von Metternich, hochgespielt und als quasi-revolutionäre, jakobinische Untat verteufelt wurde. Das Wartburgfest war wohl in der Tat das erste deutsche Nationalfest, das überregional Aufsehen erregte und den herrschenden Mächten zum ersten Mal klar machte, daß eine gesellschaftliche Bewegung in Gang geraten war, die sich nicht mehr so einfach eindämmen ließ, und die ganz offenbar von der Universität ihren Ausgang nahm. Die Entwicklung der öffentlichen Feste seit dem Freiheitskrieg, welche die ersten feinen Verbindungslinien zwischen Universität und Gesellschaft herstellten, wurde zunächst einmal abrupt beendet durch die Karlsbader Beschlüsse. Wollte man die Stoßrichtung dieser Repressionsbeschlüsse auf den Punkt bringen, so müßte man sagen, daß sie in erster Linie einen Schlag gegen das Prinzip der Öffentlichkeit, ja gegen den vielbeschworenen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Habermas) darstellten. Das war ihre eigentliche Stoßrichtung: die in Vereinen, Gesellschaften, Festen und Feiern aufkeimende politische und in rudimentären Formen nationale Öffentlichkeit zu zerstören. Bekanntlich gelang dies nur in unzureichendem Maße, weil die mit der Aufklärung, der Französischen Revolution und der napoleonischen Modernisierung in die Welt gesetzten Ideen und Prinzipien sich nicht mehr so einfach mit herrschaftlichen Dekreten umkehren ließen.
54 So Nipperdey, T., Rede, 1990, 49.
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3. Die individuellen und kollektiven Netzwerke Einen weiteren Bereich, in welchem sich die Öffnung der Universität gegenüber der stadtbürgerlichen Gesellschaft nachweisen läßt, stellen die sozialen Verflechtungen und Netzwerke dar. Für die frühneuzeitliche Gesellschaft hat Wolfgang Reinhard, der dieses Konzept in die historische Forschung eingeführt und für seine Arbeiten fruchtbar gemacht hat, zwischen potentieller Gruppensolidarität (= ruhende Beziehungen) und aktueller Interaktion (= aktive Beziehungen) unterschieden.55 Wir sind über die familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen in der Universitätsstadt Jena noch nicht ausreichend informiert, um diesbezüglich abschließende Aussagen treffen zu können. Aber einige Tendenzen, was die ruhenden Beziehungen, die Reinhard nochmals in zugeschriebene und erworbene Solidarität (z. B. Verschwägerung und Patenschaft) untergliedert, betrifft, lassen sich erkennen.56 Das unterschiedliche Heiratsverhalten der Ordinarien, der Extraordinarien und der Privatdozenten scheint zu zeigen, daß die Universität Jena mit ihrem spezifisch „extraordinären“ Charakter, d. h. der Anlagerung von außerordentlichen Instituten57, die vor allem vom Weimarer Hof finanziert wurden, viel stärker mit der Stadt verflochten war als dies etwa bei der Universitätsstadt Gießen der Fall war.58 In Jena kam es wohl aus diesem Grund auch nicht wie in Gießen zu einer „Versippung“ und exklusiven Abschottung der Universitätsgelehrtenschaft. Die extraordinären Professoren und die Privatdozenten gingen hier häufiger als die ordentlichen Professoren eine Heiratsverbindung mit Handwerkstöchtern ein; außerdem heirateten sie auch mehrfach Töchter von höheren und niederen Beamten, Kaufleuten, Geistlichen und Universitätsangehörigen. Während das Heiratsverhalten der ordentlichen Professoren eine erstaunliche Homogenität mit der Tendenz zum „endogamen“ oder sogar „berufsständischen Konnubium“ aufwies, richtete sich das Heiratsverhalten der außerordentlichen Professoren mehr nach der eigenen sozialen Herkunft und tendierte nicht zur berufs- bzw. neuständischen Abschließung. Es ist anzunehmen, daß die „extraordinäre“ Universität ein wichtiges Brückenglied zur Stadt herstellte und mit dazu beitrug, daß sich die beiden unterschiedlichen Sozialformationen des traditionellen Stadtbürgertums und des neuen staatlichen Bildungsbürgertums anzunähern begannen. So bildete die Universität Jena auch aus dieser Perspektive schon vor ihrer endgültigen „Verstaatlichung“ im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse keine abgeschlossene Korporation mehr, sondern begann bereits in die Stadt hineinzuwachsen. 55 Reinhard, W., Freunde, 1979. 56 Das Folgende vor allem nach Frindte, J., Heiraten, 2004. Der Aufsatz basiert auf der Staatsexamensarbeit von Frau Frindte, J., Verflechtungen zwischen Universitäts- und Stadtbürgertum im Jena des späten 18. Jahrhunderts, MS Jena 2000. Die Daten befinden sich in einer umfänglichen Datenbank, die vom SFB 482 an der FSU Jena verwaltet wird. 57 Zur „extraordinären Universität“ Jena vgl. die Beiträge in: Müller, G. / Ries, K. / Ziche, P. (Hg.), Universität Jena, 2001. 58 Zu Gießen vgl. Bücking, J., Reformversuch, 1976, 355–369, bes. 363.
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Ein anderes Verhalten, aber in der Konsequenz mit ganz ähnlichem Ergebnis, nämlich einer Öffnung beider städtischer Sozialformationen, läßt sich bei der Auswahl der Paten feststellen. Bei dieser Spielart der „erworbenen Solidarität“ herrschte in Jena grundsätzlich die Tendenz einer Orientierung „nach oben“, also zu den sozial höher gestellten Schichten vor. Man wählte die Paten nicht so sehr nach verwandtschaftlichen Kriterien als nach sozialen Statusfragen aus. Aus der Perspektive der Universitätsgelehrten bedeutete dies die Tendenz zur Abschließung bzw. zur Erweiterung ihrer sozialen Kreise bis in die Weimarer Regierung oder gar Fürstenfamilie hinein. Das prominenteste Beispiel ist in diesem Falle der Leibarzt des Weimarer Herzogs und Universitätsprofessor für Medizin Johann Christian Stark, bei dessen drittem Kind die Herzogin-Mutter Anna Amalia als Patin fungierte. Allerdings führte das gleiche Verhalten bei der Stadtbürgerschaft dazu, daß nunmehr auch von dieser Seite her eine Öffnung gegenüber der Universität erfolgte, weil viele Professoren bei angesehenen Beamten- und Handwerkerfamilien als Paten bevorzugt wurden und die Patenschaft auch gerne übernahmen. So zeigt allein schon dieser kurze Blick auf die sozialen Verflechtungen der Universitätsstadt Jena, daß es sich um einen wechselseitigen Vorgang handelt: Nicht nur von Seiten der Universität, sondern auch von Seiten der Stadt läßt sich ein allmählicher Verschmelzungsprozeß erkennen. 4. Der Werte- und Tugenddiskurs Der letzte Punkt gewinnt in der historischen Forschung zunehmend an Bedeutung, weil man das deutsche Bürgertum – ob als verstaatlichte Intelligenz oder als traditionales Stadtbürgertum – immer weniger als sozial-ökonomische denn als kulturelle Formation ansieht und definiert.59 Wenn Kultur und Kommunikation wichtige Treibsätze der Genese der bürgerlichen Gesellschaft darstellen, dann ist es wichtig zu sehen, wie diese Wertevermittlung vonstatten ging, von wem sie ausging und welche Akkulturation, d. h. Umwertung und Aneignung vorgegebener Wertvorstellungen, stattfand.60 Für Jena kann man sagen, daß die Wertediskussion im wesentlichen von den Universitätsgelehrten ihren Ausgang nahm und hier vor allem von denjenigen Professoren, die sich als Mentoren der studentischen Jugend begriffen. Neben dem Historiker Heinrich Luden und dem Naturforscher Lorenz Oken ist dies für die Wertedebatte vor allem der Philosoph Jakob Friedrich Fries, der im Sommer 1816 von Heidelberg nach Jena wechselte und hier bis zu seinem Tod blieb.61 Fries hat eine „Tugendlehre“ bzw. „Ethik“ verfaßt, die er in regelmäßigen Abständen auch als Vorlesung in Jena hielt und die eine enorme Bedeutung nicht
59 Vgl. zu diesem Konzept schon recht früh Kaschuba, W., Bürgerlichkeit, 1995. 60 Vgl. dazu die Beiträge in: Hahn, H.-W. / Hein, D. (Hg.), Werte, 2005. 61 Zu Fries vgl. Hubmann, G., Überzeugung, 1997.
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nur für die Studenten, sondern überhaupt für das Zusammenwachsen von Universität und städtischer Gesellschaft besaß.62 Fries verband in dieser Schrift die Werte „Freiheit“, „Ehre“ und „Vaterlandsliebe“ zu einer Einheit, wie sie später dann in Abwandlung des ursprünglichen Mottos „Dem Biedern Ehre und Achtung“ zum offiziellen Wahlspruch der Jenaer Urburschenschaft wurde.63 Die praktische Wirkung seiner Tugendlehre auf die Burschenschaftsbewegung läßt sich wohl am deutlichsten an dem Begriff der „Ehre“ zeigen, weil er zentral für das studentische Ethos war.64 Fries revolutionierte den alten, ständisch geprägten Ehrbegriff, indem er ihn individualisierte und so für eine neue, überständische, ja bereits bürgerliche Werte- und Kommunikationsgemeinschaft aufbereitete. Ehre war nun kein rituelles Mittel der Standesabgrenzung mehr (wie es noch in der Vorstellung der altständischen Dorf- und Stadtehrbarkeit zum Ausdruck kommt), sondern Ehre wurde – ganz modern – an die persönliche Würde gekoppelt und damit zum bürgerlichen Emanzipationsbegriff. Ehre wurde – kurz und gut – ein Menschenrecht, das Recht auf Unverletzlichkeit der eigenen Würde.65 Daraus ergaben sich Konsequenzen für die „Ehrenwahrung“: Fries plädierte für die Abschaffung oder wenigstens die Reduzierung des Duells als einer nicht mehr zeitgemäßen, unzivilisierten Form studentischer Konfliktaustragung und sprach sich offen für „Ehrengerichte“, also für friedliche Konfliktregelungen aus; das Duell wurde nur noch als ultima ratio akzeptiert, und zwar – und das ist das Entscheidende – zur Verteidigung der persönlichen Ehre, die jetzt zu einer bürgerlichen Pflicht erhoben wurde. Diese Theorie hatte ihre praktische Wirkung, indem sie sich zunächst im Alltag der Burschenschaftsbewegung niederschlug und von hier aus sozial integrierend in die städtische Öffentlichkeit hineinwirkte. Schon in der Jenaer Verfassungsurkunde wurde die zentrale Bedeutung der studentischen Ehre betont, und im Laufe der Zeit wurden einige Verfassungsänderungen vorgenommen, die deutlich machen, wie schnell der Friessche Ehrbegriff Eingang in Alltag und Gedankenwelt der Burschenschaft fand.66 An mehreren Stellen läßt sich ein regelrechter Mentalitätswandel der Studenten erkennen, ein neues Rechtsbewußtsein scheint auf, das den alten emotionalen, mehr oder weniger unreflektierten korporativen Ehrbegriff beiseite schiebt und an seine Stelle ein neues, ethisch begründetes individuelles Pflichtgefühl setzt. Der Student Wesselhöft, der zum engeren Kreis der Anhänger von Fries zählte, zog aus dieser individualistischen Neufassung des nicht mehr aus Rache und Affekt gespeisten Handelns für sich und seine Mitstreiter die Konsequenz: 62 Vgl. Fries, J. F., Lehren, 1818. 63 Vgl. Haupt, H., Verfassungsurkunde, 1910, 114 ff. Haupt führt dies auf den Einfluß von Halle zurück. 64 Vgl. dazu vor allem Hardtwig, W., Mentalität, 1994. 65 Vgl. dazu und zum Folgenden das Kapitel über „Ehre“ in der Tugendlehre von Fries, das bezeichnenderweise überschrieben ist: „Das Ideal der Menschenwürde oder die Tugendpflicht der Ehre“ (Fries, J. F., Lehren, 1818, 331–340). 66 Vgl. zu den Änderungen Haupt, H., Burschenschaft, 1910, 18–113, bes. 38 ff.
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„Deutsche Brüder! fragt nicht mehr, ob es Ehre sei, das Eisen zu führen mit Kraft und Mut und mit dem Stahl Richter zu sein in jeder Sache, mit der blutsüchtigen Spitze aufzuklären Mißverständnisse und Irrungen! Wahrlich, Brüder, das ist keine Ehre, das ist ewige Schande, schwer lastende Schmach. So wollen wir denn offen gestehen vor aller Welt, daß wir jeden für ehrlos halten, der Ehre sucht im Stahl, daß wir jeden für ehrlos fortan halten, der seine Vergehungen, statt sie einzugestehen, mit der Faust beschönigen und der Wahrheit den Mund zu stopfen sich vermißt, daß wir fortan jeden für ehrlos halten, der sich nach solchen Erklärungen mit dem Begriff der Ehre nicht vertrauter zu machen suchen wird, um zu handeln wie ein deutscher, edler Mann.“67
Die immer deutlicher erkennbare Zivilisierung studentischer Sitten, die mit der Individualisierung des Ehrbegriffs einherging, schlug sich auch ganz konkret in einer erkennbaren Abnahme der Duellfrequenz nieder: Von 147 im Sommer 1815 auf gerade einmal 11 im Sommersemester 1819.68 Über diese Verbürgerlichung und Zivilisierung öffnete sich die Burschenschaft auch gegenüber der Stadt, und es kam zu ersten Annäherungen zwischen stadtbürgerlicher und universitärer Gesellschaft. Bislang galt es trotz der seit der Aufklärung erkennbaren Reformbewegung immer noch als nicht „unehrenhaft“, die „Philister“ (also die Stadtbürger) zu „prellen“, standen sich doch beide Sozialmilieus relativ unversöhnlich gegenüber. Dies änderte sich sukzessive. Als sich im November 1816 einige Burschenschafter im Weimarer Theater ungebührlich aufgeführt hatten, richtete der Vorstand der Burschenschaft an die Theaterdirektion ein Entschuldigungsschreiben, „das die Täter schonungslos bloßstellte und die verübte Ungebühr scharf verurteilte“.69 Etwas Ähnliches geschah im Januar 1817 auf der Ölmühle, wo es zu einer Schlägerei zwischen Studenten und Handwerksgesellen gekommen war und die Burschenschaftsversammlung daraufhin einen Erlaß an den Universitätssenat verfügte, in welchem sie die Ausschreitungen mißbilligte, „dem Aufbrausen gereizter Leidenschaften“ zuschrieb und „mit väterlicher Milde zu entschuldigen“ bat – ein absolutes „Novum im ewig gespannten Verhältnis zwischen den Verbindungen und den universitären und staatlichen Behörden“.70 Die Annäherungen zwischen Burschenschaftern und Handwerksgesellen, die sich bereits im Jenaer „Landsturm“ angedeutet hatten, weil dort erstmals Handwerksburschen zugelassen waren, ging schließlich so weit, daß der Vorstand der Burschenschaft in einem Streiturteil von 1818 dezidiert für die Handwerksburschen und gegen die studentischen Schläger Stellung bezog – für Günter Steiger, einen der besten Kenner der Jenaer Burschenschaftsgeschichte, war dies „zweifellos sensationell und wohl einmalig in der bisherigen Geschichte der Jenaer Studentenverbindungen.“71 Die Beispiele stehen nicht vereinzelt da. So war es etwa eine alte Gepflogenheit aus 67 68 69 70 71
Zit. nach ebd., 73. Für die Zahlen vgl. ebd., passim. Ebd., 70. Hardtwig, W., Mentalität, 1994, 121; für den Fall vgl. Haupt, H., Burschenschaft, 1910, 73. Dazu und zu dem Vorfall Günter Steiger als Bearbeiter des entsprechenden Kapitels, in: Steinmetz, M. (Hg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58–1958, Bd. 1, 1958, 348.
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landsmannschaftlichen Zeiten, daß man über Wirte, Vermieter und Geschäftsleute, die sich mißliebig gezeigt hatten, den „Verruf“ verhängte; die Burschenschaft hatte anfangs diese Tradition übernommen, änderte sie dann aber im Sommer 1817 dahingehend, in solchen Fällen fortan zuerst „den widerspenstigen Philister zu verhören, ut audiatur altera pars.“72 Der veränderte, gesittetere Umgang mit den Stadtbürgern fand jetzt sogar Eingang in die Burschenschaftsverfassung, die immer häufiger diesbezüglichen Modifizierungen unterzogen wurde. Am Ende war man schließlich soweit, daß man in die vorläufig letzte Burschenschaftsverfassung von 1819 einen Paragraphen aufnahm, der das Verhältnis zwischen Burschenschaftern und Bürgern gegenüber der einstigen Sprachregelung von 1815 völlig neu regelte und geradezu auf den Kopf stellte: „Weil die Burschenschaft den Zweck hat, in jedem Einzelnen Liebe zu Volk und Vaterland zu wecken und rege zu erhalten, so leidet sie keine diesem Zwecke feindliche Absonderung von Bürgern, sondern sucht einträchtiges Zusammenhalten mit denselben zu befördern.“73 Über die gemeinsamen Werte von Nation und Volk, Freiheit und Ehre wurde der Weg geebnet zu einer identitätsstiftenden, gemeinbürgerlichen Einheit. Diese „intergenerationelle Werte- und Kommunikationsgemeinschaft“ (Rüdiger vom Bruch), die hier im Entstehen begriffen war, hielt über die Repressionsbeschlüsse von Karlsbad hinaus weiterhin an und hinterließ auch ihre Spuren in den vorgeblich „dunklen“ entpolitisierten 1820er Jahren.74 Der Universitätsprofessor Heinrich Luden beispielsweise wurde im Herbst 1822 in den sachsen-weimarischen Landtag gewählt. Das Erstaunliche an dieser Wahl war allerdings, daß er nicht nur von der Universität als Vertreter, sondern zugleich auch von der Stadt als deren Abgeordneter gewählt wurde.75 Kaum ein Faktum verdeutlicht den Integrationsprozeß zwischen Universität und Stadt so sehr wie die Wahl Ludens zum Weimarer Landtag. Luden widmete sich dann im Landtag vor allem städtischen Angelegenheiten, und er trat vehement dafür ein, daß Professoren, die nach der neuen Stadtordnung von 1810 auch den Bürgerstatus erlangt hatten, grundsätzlich Bürger der Stadt seien und daher – wie er ausführte – auch nicht „des schönsten Rechts beraubt“ sein dürften, „welches ein Mitglied der städtischen Gemeinde genießen kann, des Rechtes, mit dem Vertrauen seiner Mitbürger beehrt zu werden und in deren Auftrage und nach deren Willen ihre und des ganzen Vaterlandes Sache zu führen.“76 Luden fühlte sich offenbar geehrt, als Deputierter der Stadt im Landtag zu sitzen und die kommunalen und nationalen Angelegenheiten zu vertreten. Die Kommunikationsnetze zwischen Universität und Stadt blieben in der restaurativen Zeit bestehen. Sie prägten auch noch das 72 Vgl. Haupt, H., Burschenschaft, 1910, 71. 73 Zit. nach Steinmetz, M. (Hg.), Geschichte der Universität Jena 1548/58–1958, Bd. 1, 1958, 348. 74 Kritisch dazu Ullmann, H. P. / Zimmermann, C. (Hg.), Restaurationssystem, 1996. 75 Ausführlich dazu Müller, G., Heinrich Luden, 1998, 71 ff. 76 So Luden 1822 in dem Konflikt, der dadurch entstand, daß seinem Professorenkollegen Succow dieses Recht von seiten der Regierung versagt wurde (zit. nach ebd., 76).
Universität und Gesellschaft – ein wechselseitiger Modernisierungsprozeß
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Bild der 1830er Jahre und vor allem dann dasjenige der studentischen Progreßbewegung in den 1840er Jahren, die viel tiefer in der städtischen Gesellschaft verankert war als die Urburschenschaft und bereits ein Symptom des Wandels des deutschen Nationalismus vom Elitenphänomen zur Massenbewegung darstellte.77 5. Fazit Anhand der vier Punkte, die sich problemlos erweitern ließen (durch Zeitschriften, Medien usw.), konnte gezeigt werden, daß Universität und Gesellschaft um 1800 in Bewegung geraten waren und sich allmählich annäherten. Dabei ist wichtig zu betonen, daß dieser modernisierungsgeschichtliche Vorgang kein einseitiger Prozeß war, d. h. nicht allein „von oben“, in diesem Falle von der Universität, ausging, sondern zugleich auch von der Stadt bzw. der Gesellschaft wesentliche Impulse erfuhr. Erst durch diese wechselseitige Beeinflussung entwickelte der Reformprozeß seine spezifische Dynamik. Nur so läßt sich der gesellschaftliche und universitäre Auf- und Umbruch um 1800 einigermaßen korrekt erfassen. Dies ist das eine wichtige Ergebnis, das es festzuhalten gilt. Der zweite Punkt ist die auffallende Tatsache, daß der Freiheitskrieg von 1813/14 als „Kommunikationsereignis“ (Jürgen Wilke) eine bedeutende Zäsur für das Verhältnis von Universität und Gesellschaft darstellt. Erst danach scheinen sich die unterschiedlichen Sozialformationen zusammen zu finden und identitätsstiftende Muster auszubilden, welche die Moderne prägen sollten. Der Freiheitskrieg hat unter diesem modernisierungs- und mentalitätsgeschichtlichen Aspekt eine enorm wichtige Bedeutung. Aber man darf die Annäherung zwischen Universität und Stadt bzw. Gesellschaft in der Zeit um 1800 auch nicht überstrapazieren. Es handelte sich um allererste Anfänge, und noch war es ein weiter Weg bis zur „öffentlichen Universität“, wie sie sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte. Ja selbst heute noch erkennen wir die Grenzen dieser Öffnung, indem wir über so wichtige Themen wie Universität und Öffentlichkeit häufig noch unter Ausschluß der Öffentlichkeit diskutieren.
77 Zur studentischen Progreßbewegung vgl. Griewank, K., Bedeutung, 1952/53.
Universität und Öffentlichkeit Wahrnehmung und „Öffentlichkeitsarbeit“ der Alma mater Jenensis um 1800 Werner Greiling „Ich habe Dir also von Jena zu erzählen“, schrieb Friedrich Schiller am 29. August 1787 an den Freund Christian Gottfried Körner. „Mit der Reinhold und Charlotte reiste ich dahin. Es ist 3 Meilen von Weimar, und der Weg dahin ist Chaussee, aber eine leere, traurige Landschaft. Nahe bei Jena belebt sich die Gegend und verspricht eine schöne Natur, die man dort in reichem Maße auch findet. Jena ist oder scheint ansehnlicher als Weimar; längere Gassen und höhere Häuser erinnern einen, daß man doch wenigsten in einer Stadt ist.“
Doch es ist nicht die Stadt Jena an sich, die den Dichter interessiert, sondern es ist in erster Linie die Universität, in die er zwei Jahre später als Extraordinarius eintreten sollte. So kam Schiller im Brief an Körner auch ausführlich auf die Alma mater Jenensis und die hier wirkenden Professoren zu sprechen: „Die unter 4 sächsische Herzöge verteilte Gewalt über die Akademie macht diese zu einer ziemlich freien und sichern Republik, in welcher nicht leicht Unterdrückung stattfindet. Diesen Vorzug rühmten mir alle Professoren, die ich sprach, und besonders Griesbach mit vielem Nachdruck. Die Professoren sind in Jena fast unabhängige Leute und dürfen sich um keine Fürstlichkeit bekümmern. Diesen Vorzug hat Jena unter den Akademien voraus.“1
Öffentlich gemacht wurde dieses inzwischen viel zitierte Bonmot des späteren Jenaer Professors erst Jahre später, als sein Briefwechsel mit Christian Gottfried Körner 1847 publiziert wurde. Doch Schillers Worte entsprachen offensichtlich der öffentlichen Meinung dieser Zeit. Die Universität Jena galt Schiller zufolge als sicherer und freier Ort der Wissenschaften. Und in der Tat wissen wir, trotz mancher zwischenzeitlicher Relativierung dieses Urteils2, daß die Situation der Jenaer Universität eine besondere war. Für die Salana zeichneten die vier ernestinischen Herzogtümer Sachsen-Coburg-Saalfeld, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Gotha-Altenburg und Sachsen-Weimar-Eisenach als Nutritoren gemeinsam verantwortlich. Der Situation, die hierdurch zustande kam, kann man eine gewisse Liberalität zweifellos nicht absprechen, auch wenn einige spektakuläre Fälle der 1 2
Friedrich Schiller an Körner, 29.08. 1787, in: Streitfeld, E. / Zmegac, V. (Hg.), Schillers Briefe, 1983, 108–115. Vgl. Müller, G., Regieren, 2006; Wilson, W.D., (Hg.), Goethes Weimar, 2004. – Zur Universitäts- und Studentengeschichte Jenas vgl. auch Keil, R. u. R., Geschichte, 1858; Borkowsky, E., Jena, 1908; Steinmetz, M., u. a. (Hg.), Geschichte, Bd. 1, 1958; Schmidt, S. (Hg.), Alma mater Jenensis, 1983.
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1790er Jahre deren Grenzen aufzeigten und eine andere Sprache zu sprechen scheinen. So könnte man als Gegenargumente für Schillers sehr positives Urteil etwa jene Ereignisse anführen, die im Juli 1792 zum Auszug der Jenenser Studenten nach Nohra führten. Auch der Atheismus-Streit von 1798/99, der zur Entlassung Johann Gottlieb Fichtes aus seiner Jenaer Professur führte, ist wohl nicht als Beispiel eines besonderen Maßes an akademischer Freiheit zu reklamieren. Doch beides wirkte auch in die Öffentlichkeit und führte zu öffentlichen Stellungnahmen. Im Zusammenhang mit dem Auszug der Studenten entwickelte sich sogar „ein regelrechter Propagandakrieg“3, in dem es nicht zuletzt um das öffentliche Bild der Jenenser Universität ging. Im Zusammenhang der hier behandelten Thematik wird noch darauf zurückzukommen sein. Friedrich Schillers Urteil über die Jenaer Universität von 1787 war also zunächst nicht öffentlich. Es war keine geheime, aber doch eine private Meinungsäußerung. Das Verhältnis von Universität und Öffentlichkeit insgesamt war in dieser Zeit vielfältig und spannungsvoll. Denn in den Jahrzehnten vor 1800 war „Öffentlichkeit“ als Grundprinzip für alle Fragen von Staat und Gesellschaft noch Postulat. Zugleich gab es bereits zahllose Möglichkeiten für die Etablierung von Öffentlichkeit. Und es waren nicht zuletzt viele Gelehrte, auch an der Universität Jena, die in dieser Zeit in öffentliche Diskurse eintraten. Wissenschaft und ihre Ergebnisse wurden öffentlich gemacht und öffentlich zur Diskussion gestellt. Ein Indiz für den zunehmend öffentlichen Charakter von Gelehrsamkeit und Wissenschaft ist nicht zuletzt der große Publikumserfolg von Rezensionsorganen. Und auch hierfür bietet Jena mit der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ ein herausragendes Beispiel, das wir noch betrachten werden. Im vorliegenden Beitrag sollen – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige Aspekte der Problematik herausgegriffen werden.4 Dabei geht es nicht um jene – gleichsam interne – Öffentlichkeit, ohne die eine Universität ohnehin nicht zu existieren vermochte, die Vorlesung. Sie war und blieb die traditionelle Form der Wissensvermittlung und wirkte in Einzelfällen bereits über das akademische Milieu hinaus. Ein markantes Beispiel hierfür ist die Antrittsvorlesung Friedrich Schillers am 26. Mai 1789.5 Es geht auch nicht um jene Facetten von Öffentlichkeit, die sich um 1800 neben der Vorlesung auszuprägen begannen, also Conversatorien, Tischgesellschaften im Hause eines Professors und studentische Organisationsversuche nach dem Muster der „Gesellschaft der freien Männer“.6 Sie erweiterten das Reservoir der Kommunikations- und Wirkungsmöglichkeiten an der Universität, zielten tendenziell auf eine Verbindung der universitären Gesellschaft mit der im Entstehen begriffenen bürgerlichen Gesellschaft, überwan3 4
5 6
Ebd., 26. Ein zusätzliches Kapitel dieser Frage stellt das Verhältnis der Studenten, ihrer Verbindungen und Orden zur Öffentlichkeit dar. Dies spielte u. a. im Vorfeld des Auszugs der Jenaer Studenten nach Nohra 1792 eine wichtige Rolle, wird in diesem Beitrag aber nicht eigens thematisiert. Vgl. hierzu Bauer, J. / Riederer, J. (Hg.), Geheimnis, 1991. Vgl. Greiling, W., Schiller 1789, 2007. Vgl. Marwinski, F., Unternehmen, 1992.
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den aber selbst dort, wo sie – wie in den Jenaer Jahren Johann Gottlieb Fichtes zwischen 1794 und 1799 – gleichsam strategisch eingesetzt wurden, bestenfalls ansatzweise das akademische Milieu.7 Selbstverständlich sind die Grenzen zwischen einer „internen“ akademischen und einer weitgehend uneingeschränkten Öffentlichkeit, die die gesamte Nation als Publikum betrachtet, fließend. Der Schwerpunkt des Beitrags liegt auf dieser zweiten Ebene, die Johann Gottlieb Fichte mit seinen „Revolutionsschriften“ ebenfalls bereits früh betrat8, noch vor seiner Jenaer Zeit, auf der sich 1798/99 zu weiten Teilen der „Atheismusstreit“ abspielte und die er dann 1808 mit seinen öffentlichen Berliner „Reden an die Deutsche Nation“ geradezu ins Pathetische steigerte.9 Gefragt wird im folgenden nach dem öffentlichen Bild der Universität Jena im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Betrachtet wird ferner anhand von Fallbeispielen – auch hierbei wird Fichte vertreten sein – das Verhältnis der Jenaer Universität zur (außeruniversitären) Öffentlichkeit. Und schließlich werden die Möglichkeiten, Medien und Strategien erörtert, mit denen seitens der Universität Öffentlichkeit hergestellt und auf diese eingewirkt wurde. 1. Die Universität Jena in den Reiseberichten der Zeit Anders als Schillers Brief von 1787 wurde das Bild von der Jenaer Universität, das diverse Reiseberichte zeichneten, bereits für die Zeitgenossen öffentlich, es wurde veröffentlicht. Dies gilt etwa für Friedrich Christian Laukhard, dessen legendäre Autobiographie seit 1792 herauskam. Die ersten beiden Teile verstehen sich zugleich als „Ein Beitrag zur Charakteristik der Universitäten in Deutschland“, speziell der Universitäten zu Gießen, Göttingen und Halle. Doch Laukhard, der im Herbst 1776 für etwa drei Wochen in Jena weilte, kommt auch auf die Universität Jena zu sprechen. Er lobt die Freundlichkeit und Gastfreiheit der Jenenser Studenten sowie „die Wohlfeilheit des Unterhalts zu Jena.“10 Er schildert das studentische Leben und den Alltag in Jena sowie in großer Ausführlichkeit die in hoher Blüte stehenden studentischen Orden. Im Urteil über die Universität selbst und die hier lehrenden Professoren übt er Zurückhaltung, zumal sein Aufenthalt in die Vorlesungspause fiel. Allerdings kommt Laukhard bereits am Beginn des Kapitels über Jena auf das Bild zu sprechen, das in der deutschen Öffentlichkeit über die Salana vorherrschte und das auch er sich zu eigen gemacht hatte. „Lange hatte ich den Wunsch genährt, die ihres Komments wegen hochberühmte Universität zu Jena kennen zu lernen“11, schreibt Laukhard, und er ver7 8 9
Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 132–139. Vgl. Fichte, J. G., Zurückforderung, 1793; ders., Beiträge, 1793. Erstaunlicherweise findet Johann Gottlieb Fichte, der für ein modernes Verständnis von Öffentlichkeit in Deutschland eine große Rolle spielte, im viel zitierten Standardwerk von Habermas keinerlei Erwähnung. Vgl. Habermas, J., Strukturwandel, 2001. 10 Laukhard, F. C., Leben, 1. Teil, 1792, 191. 11 Ebd., 187.
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säumt es nicht, wenige Seiten weiter auch den Herzog Carl August zu erwähnen, der im Jahre 1774 zum ständigen Rector magnificentissimus ernannt worden war und im Jahr darauf die Regierungsgeschäfte übernommen hatte: „Auch soll der Herzog von Weimar, dieses edle Muster aller Humanität an einem Fürsten, sich auf die liberaleste Art bemühen, die Denkungs- und Lebensart der Studenten zu Jena so zu modificiren, dass die akademische Freiheit auf eine angemessene Art dabei bestehen könne. Heil diesem Vater seiner Länder!“12 Veröffentlicht und in ihrer Zeit viel gelesen wurde auch die „Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781“ von Friedrich Nicolai, die 1783 herauskam. Nicolai bietet dem Leser auf knapp 20 Seiten eine Reihe topographischer, historischer und statistischer Informationen zur Stadt Jena und ihrer Universität, bevor er dann den Zustand der letzteren zu beurteilen sucht. „Auch sind“, schreibt der berühmte Berliner Aufklärer, „(…) hauptsächlich durch den jetztregierenden Herzog zu Weimar, nicht wenige nützliche Einrichtungen zu Jena gemacht worden, die sich zum Theil auch über das ganze Land erstrecken. Der Herzog hat das Walchische Naturalienkabinet gekauft und der Universität geschenkt, läßt es auch täglich vermehren. Die anatomischen Anstalten sind sehr verbessert und ein Institut für Hebammen errichtet worden. Auch ist ein klinisches Institut errichtet worden, wo arme Kranke aufgenommen, verpflegt, und unter Aufsicht eines Arztes (des Hrn. Prof. Starke) von den medicinischen Lehrlingen besucht werden. Besonders aber ist durch die vielen Männer von Talenten und Gelehrsamkeit, welche seit wenigen Jahren dahin berufen worden, die Universität gänzlich zu ihrem Vortheile geändert worden.“13
Seinen Ausführungen über das Hebammeninstitut und den anderen „nützlichen Anstalten“ im Umfeld der Universität fügte Nicolai noch eine detaillierte Beilage an.14 Im Haupttext nennt er dann die sieben Wunder Jenas, von ihm verächtlich als „siebenerley Plunder“15 apostrophiert, um im Anschluß sehr pointiert auf das akademische Personal zu sprechen zu kommen: „Anstatt dieser sehr unwunderbaren sieben Wunderwerke, will ich lieber sechs Professoren nennen, die der Universität durch ihre Talente gewiß Ehre bringen: Eichhorn, Griesbach, Gruner, Hellfeld, Loder, Suckow, und überlasse es jedem meiner Leser, aus der Zahl der übrigen, nach seinem Gefallen, den siebenten hinzuzusetzen.“16 Im Jahre 1792 publizierte Carl Heun „Vertraute Briefe an alle edelgesinnte Jünglinge die auf Universitäten gehen wollen“. In diesem studentischen Ratgeber finden sich eine Skizze zur Geschichte der Jenaer Universität, Angaben zu deren wichtigsten Institutionen, Informationen zu den Kosten eines Studiums, vom Bierpreis bis zu den Promotionsgebühren, sowie Ausführungen über die beliebtesten Kneipen und die umliegenden „Bierdörfer“. Das Gesamturteil fällt sehr positiv aus. Die Jenaer Universität, so Heun, behauptete „fast ununterbrochen sowohl in Rücksicht ihrer innern guten Verfassung, als auch der Menge von Studieren12 13 14 15 16
Ebd., 194. Nicolai, F., Beschreibung, 1. Bd., 1783, 57. Vgl. ebd., Beilagen, 42–48. Ebd., 58. Ebd., 59.
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den, mit allem Recht unter die vornehmsten ihrer Schwestern gerechnet zu werden. Sie heißt Gesamtuniversität, weil die Herzoge von Sachsen-Gotha, SachsenWeimar, Sachsen-Coburg und Sachsen-Meiningen Antheil an derselben haben, die mit gemeinschaftlichen Kräften derselben Bestes zu befördern suchen, wie die hiesigen vielen nützlichen Anstalten sattsam beweisen; auch war man hier in der Auswahl der Lehrer immer glücklich, so daß von jeher die Lehrstühle von Männern besetzt waren, deren Ruhm auf den Namen der Universität selbst das glänzendste Licht zurück warf, und die in den Jahrbüchern der Aufklärung mit unauslöschlichen Buchstaben aufgezeichnet stehen.“17 Überaus freundlich ist das Bild in Georg Friedrich Rebmanns elf „Briefe[n] über Jena“, die 1793 anonym veröffentlicht wurden. Rebmann hatte von 1787 bis 1789 in Jena studiert und liefert somit Informationen aus erster Hand. Diese betreffen beispielsweise die vier Fakultäten und ihre Professoren, akademische Einrichtungen und öffentliche Gebäude, die akademische Freiheit in Jena, eine Charakteristik der Jenenser Studenten, ihrer Verbindungen und des studentischen Alltags, sowie vielerlei Beobachtungen über die Stadt und ihre Bürger. Die Universität Jena sei „jetzt eine der beträchtlichsten in Deutschland“, zeigt sich Rebmann überzeugt, nur sei man „auswärts von ihrem wahren Zustande nichts weniger als getreu unterrichtet.“18 Und so unternimmt er es, mit jeweils knappen Strichen die akademischen Lehrer und die wichtigsten Institutionen vorzustellen, die allesamt in einem sehr positiven Licht erscheinen. Und er resümiert: „Was aber den Nutzen, den alle diese wissenschaftlichen Anstalten, alle diese Lehrer stiften können, um so viel erhöht, ist die Freiheit, die in Jena herrscht. Hoch auf dem Gipfel der Freiheit, da schimmert all unser Wissen noch einmal so schön. Und hier ist vollkommene Freiheit zu denken, zu lehren und zu schreiben, obgleich in Ansehung des letzten Punkts eine Zensur vorhanden ist, die Zügellosigkeit, aber auch bloß Zügellosigkeit verhindert.“19
Und wenige Seiten weiter betont der Verfasser nochmals pointiert: „Kurz, auch in Ansehung ihrer Gesetze und deren Verwaltung hat die Akademie Jena beträchtliche Vorzüge, und wo hier und da noch eine Lücke ist, wird gewiß in etlichen Jahren keine mehr sein.“20 Dieses sehr positive Bild von der Jenaer Universität zeichnete Rebmann auch in weiteren Schriften, so in den bereits 1792 veröffentlichten „Briefe[n] über Erlangen“, in der 1794 unter dem Pseudonym Justinus Pfefferkorn publizierten „Katheder-Beleuchtung“ und in dem Reisebericht „Wanderungen und Kreuzzüge durch einen Teil Deutschlands“. In den „Briefe[n] über Erlangen“ bilden Jena und seine Universität den Vergleichsmaßstab der Darstellung, in welcher das Urteil des Verfassers, etwa bei den akademischen Einrichtungen und beim Bildungsgrad
17 Heun, C., Uebersicht, 1792, 121 f. 18 Rebmann, A. G. F., „Briefe über Jena“, 1994, 40. – Zu Rebmann und Jena vgl. Greiling, W., „Berichte (...)“, 1994; Ders., Jakobiner, 2008. 19 Rebmann, A. G. F., „Briefe über Jena“, 1994, 65. 20 Ebd., 71.
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der Studenten, deutlich zugunsten Jenas ausfällt.21 Die Absicht der „Katheder-Beleuchtung“, einer Sammlung mit Charakteristiken von Professoren verschiedener Universitäten, besteht darin, die akademischen Lehrer Deutschlands „nicht nach deren Schriften, sondern nach deren Katheder-Fähigkeiten [zu] beurteilen“, wohl wissend, „daß der beste Schriftsteller oft nur ein mittelmäßiger Professor ist.“22 In der Schrift werden die berühmtesten Gelehrten der Alma mater Jenensis jener Jahre, nämlich Johann Ludwig von Eckardt, Johann Jakob Griesbach, Gottlieb Hufeland, Carl Leonhard Reinhold und Friedrich Schiller, jeweils knapp porträtiert und ohne Ausnahme sehr positiv gewürdigt.23 In den „Wanderungen und Kreuzzüge[n] durch einen Teil Deutschlands“ schließlich rekurriert der Verfasser auf den Ruf des Jenenser Studenten, der lange Zeit als biertrinkender Rohling und Renommist galt, als Draufgänger und Raufbold, jederzeit zum Duell bereit, und auf den Sprichwörter wie die folgenden gemünzt waren: „Aus Jena kommt der Renommist, der Galle zeigt und Eisen frißt.“; „Wer von Jena kommt ungeschlagen, der hat von großem Glück zu sagen.“ Dieses Bild, das in der Mitte des 18. Jahrhunderts nicht zuletzt durch Friedrich Wilhelm Zachariäs Versepos „Der Renommiste“ populär geworden war24, hatte Rebmann bereits im siebenten der „Briefe über Jena“ als nicht mehr zutreffend bezeichnet.25 Im ersten Satz des Jena-Kapitels in seinem Reisebericht rückt er dieses Bild erneut zurecht und schlägt dabei zugleich den sehr lobenden Ton an, der auch in diesem Text das Urteil über die Jenaer Universität dominiert: „Wenn man sich den Begriff eines Jenensers aus dem bekannten alten Sprüchwort oder aus Zachariäs „Renommisten“ abstrahiert hat, so wird man sehr angenehm überrascht, jetzt fast das Gegenteil von dem allen zu finden. Unsre Akademien liefern so ziemlich einen augenscheinlichen Maßstab der Veredlung und Humanität der neuern Erziehung.“26
Im ausgehenden 17. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts fallen im Zusammenhang mit der Universität Jena vor allem zwei Topoi ins Auge, nämlich die Wohlfeilheit der Lebenshaltungskosten in Jena und die Rohheit der Jenaer Studenten. Versucht man hingegen, eine Quersumme aus der veröffentlichten Meinung über die Universität um 1800 zu ziehen, so bleibt es auch in „klassischer Zeit“ beim Topos der Wohlfeilheit. Zugleich fallen aber das fast einhellige Lob von deren liberalen Rahmenbedingungen sowie eine Betonung der großen Gelehrsamkeit und Tüchtigkeit zahlreicher Jenaer Professoren ins Auge. Henrich Steffens, der im Sommer 1798 Jena und seine Universität besuchte, spricht gar von „dem eigentlichen Sitze der geistigen Bestrebungen in Deutschland.“27 Ähnlich wie das eingangs zitierte Bonmot Friedrich Schillers wurde die21 22 23 24
Vgl. Rebmann, A. G. F., „Briefe über Erlangen“, 1994. Rebmann, A. G. F., „Katheder-Beleuchtung“, 1994. Vgl. ebd., 109–115. Vgl. Friedrich Wilhelm Zachariä, Der Renommiste. Ein komisches Heldengedicht. Erstmals erschienen im Jahre 1744. 25 Vgl. Rebmann, A. G. F., Briefe über Jena, 1994, 72–75. 26 Rebmann, A. G. F., Wanderungen, 1994. 27 Steffens, H., Was ich erlebte, Bd. 4, 1841, 20.
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ses Diktum von Henrich Steffens aber ebenfalls erst in den 1840er Jahren öffentlich gemacht. Das Urteil von Germaine de Staël hingegen, die sich im Winter 1803/04 im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach aufhielt und geselligen Umgang mit der Hofgesellschaft und den dortigen Geistesgrößen pflegte, wirkte zeitnah und europaweit. In ihrem legendären Deutschland-Report „De l’Allemagne“, dessen französische Erstausgabe im Herbst 1813 in London erschien und von dem im Jahr darauf eine kompetent übersetzte deutsche Fassung herauskam28, gibt die gebildete Französin im Kapitel über Weimar auch Kunde von der kleinen Universitätsstadt an der Saale: „In demselben Herzogtum (…) liegt Jena, eine der wichtigsten Stätten der Gelehrsamkeit in Deutschland. So fanden sich, im engsten Raume, bewundernswürdige Geistesstrahlen aller Art, wie in einem Brennpunkte, zusammen.“29 2. Der Fragmente-Streit von 1791/92 Betrachtet man das öffentliche Bild von der Jenaer Universität um 1800, kann man konstatieren, daß es hier viel Übereinstimmung mit den neueren Forschungen zur Universitätsgeschichte gibt. Die Jahrzehnte nach der Universitätsvisitation von 1767/68 waren sowohl von einer erfolgreichen Berufungsstrategie als auch von Innovationen im institutionellen Bereich charakterisiert. Die Universitätspolitik der Nutritoren war an einem ökonomisch krisenfreien Universitätsbetrieb orientiert, der zugleich von einem modernen, aufgeklärten Geist getragen wurde.30 Die Wissenschaften selbst erlebten im ausgehenden 18. Jahrhundert vornehmlich an den protestantischen Universitäten einen geistigen Umbruch „von der Aufklärung hin zur idealistischen Philosophie, zu Klassik und Romantik, zum Neuhumanismus und zur Philosophischen Fakultät als der (vermeintlich) führenden“. Jena war an diesen Entwicklungen seit den 1780er Jahren maßgeblich beteiligt und hatte für mehr als zwei Dezennien einen „unerwartet glänzende[n] Auftritt“31 in der deutschen Universitätslandschaft. Dabei war Jenas Modernisierungsweg für einige Zeit nicht zuletzt vom Phänomen der „extraordinären Universität“ geprägt.32
28 Die Originalausgabe von „De l’Allemagne“ war 1810 noch vor ihrer drucktechnischen Fertigstellung auf Geheiß Napoleon Bonapartes verboten, eingezogen und vernichtet worden. Die Londoner Exilausgabe von 1813 war in kurzer Zeit vergriffen. Nach Napoleons Sturz avancierte das Buch rasch zu einem europäischen Bestseller. Vgl. auch Kaiser, G. R. / Müller, O. (Hg.), Germaine de Staël, 2008. 29 de Staël, A. G., Deutschland, 1985, 99. 30 Vgl. zuletzt Bauer, J., e. a. (Hg.), Universität, 2008, 109–131. 31 Hammerstein, N., Universitätslandschaft, 2001, 16. Vgl. auch Bauer, J., Universität Jena, 2001. 32 Vgl. Müller, G., Universität, 2001.
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Von der Mitwirkung Johann Wolfgang von Goethes an der Universitätspolitik um 1800 ist in den zeitgenössischen Berichten übrigens höchst selten die Rede, obwohl diese – zumindest bis zur „Universitätskrise“ von 1803 – ja durchaus von Erfolg gekrönt war.33 Dagegen erscheint der Weimarer Herzog Carl August vielfach in einem außerordentlich positiven Licht. Rebmann beispielsweise notierte in den „Briefe[n] über Jena“: „Der Herzog liebt und schätzt die Wissenschaften und – kennt sie, weiß, daß weder Dragonaden noch Edikte den Gang des menschlichen Denkens hemmen und die innere Überzeugung anders bestimmen können.“34 Wie die Verantwortlichen für die Geschicke der Universität im Einzelnen agierten, konnte ein zeitweiliger Gast und späterer Verfasser eines Reiseberichts natürlich kaum erfassen. Dennoch ergab sich auch für die Zeitgenossen gelegentlich die Möglichkeit zu einem Blick hinter die Kulissen des Universitätsbetriebs, insbesondere dann, wenn es Kontroversen gab und diese öffentlich ausgetragen wurden. Deren Betrachtung vermag es, dem Spannungsfeld von Universität und Öffentlichkeit einen weiteren Akzent hinzuzufügen. Im Augustheft des Jahres 1791 erschien in dem weit verbreiteten „Journal von und für Deutschland“ der Aufsatz „Fragmente über Jena und die dortige Universität“. Darin wird ein recht komplexes und differenziertes, wenn auch nicht in jedem Detail exaktes Bild von der Alma mater Jenensis gezeichnet. „Von seiner ersten Stiftung an nahm Jena einen hohen Rang unter Deutschlands Universitäten ein, und hat ihn bis jetzt behauptet“35, meint der anonyme Verfasser. „Die vier sächsischen Herzoge sind, wie bekannt, Erhalter der Universität; doch ist der Herzog von Weimar Rector, und ihm gehört auch die Stadt und ihr städtisches Gebiete. Ich finde es unnöthig weitläuftig den jetzigen Herzog Carl August zu schildern, den theils würde dies hier nicht der rechte Ort seyn, und wer kennt nicht einen der ersten Fürsten Deutschlands wegen seiner Menschlichkeit und Liebe zu den Wissenschaften, die er auch dadurch bewieß, daß er einen Zirkel von Gelehrten an seinem Hofe versammlete [sic!], der seines gleichen sucht; nur seine Verdienste um die Akademie darf ich hier nicht übergehen. Denn Er, nur Er hat so viel gewirkt, um der Universität ihre alte Würde und Ansehn wieder zu verschaffen, und sie auf die Stufe auf welcher sie steht, zu heben, und auf derselben zu behaupten.“36
Des weiteren schreibt der Verfasser, daß sich von den Professoren wenig sagen lasse. „Die meisten Fächer sind mit Männern besetzt, auf die Deutschland stolz ist, und sie bemühen sich, ihren erworbenen Ruhm auch durch ihre Vorlesungen zu behaupten. (…) Im Ganzen ist der musterhafte Fleiß, mit welchem die Professoren die Collegia lesen und endigen, beyspiellos. Der allgemein herrschende Ton ist Fleis, und so wetteifert einer mit dem andern im schönsten Kampfe.“37
So viel Rühmliches wie von den Professoren lasse sich von den Studenten nicht sagen, fährt der Verfasser der „Fragmente“ fort, um dann aber doch – ähnlich wie 33 34 35 36 37
Vgl. Ders., Perioden, 2001; ders., Regieren, 2006, 39–57. Rebmann, A. G. F., „Briefe über Jena“, 1994, 66. Fragmente über Jena, 1791, hier 712. Ebd., 714. Ebd., 715.
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Georg Friedrich Rebmann und andere Zeitgenossen – ein insgesamt positives Urteil zu fällen und insbesondere auf die Fortschritte der letzten Jahre zu verweisen. „Freylich findet man auch hier viele, die man andern zum Muster in dieser Rücksicht aufstellen könnte, aber im Ganzen ist doch der Eifer im Studiren nicht so stark, als man es wünschen könnte, und sehr oft artet er in Hefftenfleis aus. (…) Auch Jena hat stets seinen herrschenden Ton gehabt, und Schade daß er sich meistens durch Ungesittetheit und Rohheit auszeichnete, deswegen er auswärts gewiß nicht zu Unrecht in eben keinem guten Geruche stand. Doch hat sich dieß seit 6–8 Jahren sehr geändert. Denn von 1780 kann man die Periode der Verbesserung auch in dieser Rücksicht annehmen. Der wilde herrschende brutale Ton ist fast ganz von der Universität verbannt …“38
Obwohl der Tenor dieses 15seitigen Aufsatzes insgesamt also lobend war und der Verfasser als besondere Vorzüge der Jenaer Universität unter anderem ihre Wohlfeilheit, den Ruhm ihrer akademischen Lehrer und die liberale Wissenschaftspolitik des Weimarer Herzogs betonte, rief er eine publizistische Gegenreaktion hervor. Dies war die „Eingesandte Antwort auf eines Ungenannten Verläumdungen der Bürgerschaft zu Jena“, die – ebenfalls anonym – im Mai 1792 im Intelligenzblatt der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ erschien. Darin wurde insbesondere die Aussage attackiert, daß es in Jena „gar keine Industrie und Betriebsamkeit“ gebe und „sich fast alles von den Studenten“ 39 nähre. In Wirklichkeit waren es aber wohl die kleinen Seitenhiebe auf das Philistertum in Jena, die der Aufsatz im „Journal von und für Deutschland“ enthielt. Diese brachten die so genannte „Bürgerschaft zu Jena“ gegen den anonymen Verfasser auf und führten zur Gegendarstellung40, die allerdings ausdrücklich nicht die Aussagen zur Universität selbst betrafen. Der von den Jenaer Bürgern abfällig als „Scribler“41 bezeichnete Verfasser der „Fragmente“ nutzte die „Eingesandte Antwort“, um seinerseits ebenfalls zu replizieren, und zwar wiederum im „Journal von und für Deutschland“. Er blieb bei seiner ursprünglichen Darstellung, fügte dieser öffentlichen Debatte über Jena und seine Universität aber dadurch noch eine neue Facette hinzu, daß er ausdrücklich an das Publikum und dessen Urteilskraft appellierte. Einleitend schreibt er: „Das Publicum mag selbst aus meinem Aufsatz beurtheilen, ob es meine Absicht seyn konnte, jemand zu verläumden. Nach meiner Ueberzeugung habe ich nichts als Wahrheit geschrieben.“42 Und auch an anderer Stelle seiner Replik appelliert er an die Urteilskraft des Publikums, das zwischen unbewiesenen Verleumdungen und Tatsachen unterscheiden könne. Letztlich läuft die Gegenantwort des anonymen Verfassers darauf hinaus, den Kontrast zwischen der sehr wohlwollend apostrophierten Universität und der kleinen Universitätsstadt samt ihren philisterhaften Bürgern noch schärfer zu zeichnen.
38 39 40 41 42
Ebd., 715 f. Ebd., 725. Vgl. Eingesandte Antwort, 1792. Ebd., 441. Vertheidigung, 1792, 530.
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3. Kampf um die öffentliche Meinung: Der Auszug der Jenenser Studenten 1792 Als am Morgen des 19. Juli 1792 etwa 300 bis 400 Studenten die Universitätsstadt Jena mit Sack und Pack in westlicher Richtung verließen, um über Weimar ins ausländische, nämlich kurmainzische Erfurt zu ziehen und sich an der dortigen Universität gegebenenfalls zu immatrikulieren, war dies der Höhepunkt eines langwierigen Konfliktes mit der Universität und den obrigkeitlichen Behörden. Auslöser war der scharfe Konfrontationskurs des Weimarer Hofes gegen die studentischen Orden, der insbesondere von Christian Gottlob Voigt inszeniert wurde und die Jenaer Universität an den Rand einer Katastrophe führte. Er hatte bereits am 10. Juni 1792 zu gewalttätigen Studentenausschreitungen geführt, bei denen das Gartenhaus des Prorektors Johann August Heinrich Ulrich demoliert worden war. Ulrich hatte bei der Verfolgung der studentischen Orden besonderen Eifer an den Tag gelegt und sich bei den Studenten entsprechend verhaßt gemacht. Am 17. Juli versammelten sich dann mehrere hundert bewaffnete Studenten auf dem Jenaer Marktplatz und forderten den Abzug des herzoglichen Militärs aus Jena. Die Situation wäre zwar fast eskaliert, blieb letztlich aber friedlich. Nachdem den studentischen Forderungen nicht nachgekommen worden war, kam es zwei Tage später zum Studentenauszug, der die Studenten allerdings nur bis nach Nohra führte. Hier warteten die Jenaer Studenten die Verhandlungen mit der Universität ab, die letztlich mit einem Kompromiß endeten. Dadurch konnten beide Seiten ihr Gesicht wahren und die Studenten nach Jena zurückkehren. Der amerikanische Germanist und Goetheforscher W. Daniel Wilson rückt das Geschehen im Sommer 1792, das in der wissenschaftlichen Literatur bereits mehrfach dargestellt wurde43, in den Kontext der Französischen Revolution und ihrer Auswirkungen auf Deutschland.44 Auch einige der Professoren waren 1792 der Meinung, daß es sich zumindest bei einigen der Studenten um „von dem jetzt gewöhnlichen übertriebenen Freyheits-Sinn erhizte Subjecta“45 gehandelt habe. Gerhard Müller hingegen meint, daß „der Auszug nach Nohra (…) alles andere als eine revolutionäre Aktion gewesen“ sei und „auch keinen politischen Hintergrund“46 besessen habe. Dabei läßt sich natürlich nur schwer ermessen, inwieweit die Französische Revolution und die auch in Jena geführte Debatte um Freiheit, Gleichheit und Menschenrechte zum sehr selbstbewußten Handeln der Jenenser Studenten nicht doch beigetragen hatte. Der Auszug nach Nohra war der Höhepunkt, aber nicht der Schlußpunkt des Konflikts der Studenten mit dem akademischen Senat und letztlich mit der Obrigkeit des Herzogtums in Gestalt des Geheimen Consiliums. Den Schlußpunkt bildete vielmehr eine publizistische Auseinandersetzung, in der beide Seiten das Geschehen 43 Vgl. Keil, R. u. R., Geschichte, 1858, 263 ff.; Götze, O., Logen, 1932, 103 ff.; Koch, H., Auszug, 1955/56. 44 Wilson, W. D. (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 20–31. 45 Protokoll einer Beratung im Geheimen Consilium vom 21.07. 1792, in: Wilson, W. D. (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 255 (Dokument 135). 46 Müller, G., Regieren, 2006, 347.
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im Juli 1792 als Erfolg ihrer Partei darzustellen versuchten und in der Öffentlichkeit um die Deutungshoheit der Geschehnisse rangen. Zwar hatte das Geheime Consilium zunächst jegliche Darstellung der Ereignisse aus der Sicht der Universität untersagt. Doch nachdem die Studenten ihre Sicht der Dinge gleich in drei Schriften dargestellt hatten, kam es zu einem regelrechten „Propagandakrieg“47, an dem sich auch Johann Wolfgang von Goethe beteiligte. Er macht deutlich, wie sich das Verhältnis zwischen Universität und Öffentlichkeit in den 1790er Jahren konkret gestaltete und wie man jetzt auch seitens der Universitätsbehörden und der staatlichen Stellen im Herzogtum auf ein neues Phänomen Rücksicht zu nehmen begann, die öffentliche Meinung. Es würde zu weit führen, die Beiträge dieser publizistischen Debatte hier im einzelnen auszubreiten und quellenkritisch zu analysieren, zumal sie in der Edition von W. Daniel Wilson fast komplett vorliegen und dort noch durch zahlreiche, damals unveröffentlichte Wortmeldungen, wie Briefe, Denkschriften, Aktennotizen und Sitzungsprotokolle, ergänzt werden. So sei lediglich der Ablauf skizziert und auf einige Grundtendenzen eingegangen. Am Anfang stand eine verharmlosende Kurzdarstellung der Ereignisse, die Christian Gottlob Voigt am 23. Juli 1792 an die Frankfurtische, Gothaische, Hamburgische, Berlinische und Bayreuthische Zeitung richtete und in der betont wurde, daß der Vorgang bereits in Ruhe und Ordnung wieder beendet sei.48 Die studentische Sicht wurde zunächst in einem mittels Flugblatt verbreiteten Gedicht dargelegt, das dem Freiheitslied aus Schillers Drama „Die Räuber“ nachempfunden war und den Auszug nach Nohra als Erfolg darstellte.49 Dem folgte am 26. Juli 1792 eine Druckschrift, in der der anonyme Verfasser zunächst die Authentizität und Unparteilichkeit seiner Darstellung betonte. Er stellte das Geschehen als eine Folge der allgemeinen Unzufriedenheit und jener Unruhen dar, „welche seit einiger Zeit in Jena unter den Studirenden geherrscht haben“, kritisierte die „zu rasche, zu strenge Aufhebung der Orden und die dabey angewandte Verfahrensart“ und skizzierte das weitere Geschehen bis zum Auszug der Studenten, ihren Verhandlungen mit dem Weimarer Abgesandten Carl Kirmß und der Rückkehr nach Jena am 23. Juli, nachdem die studentischen Forderungen zugesichert worden seien.50 Die „Authentische Nachricht“ stellt die Ereignisse seit dem 19. Juli sowie deren Vorgeschichte sehr ausführlich dar, ergänzt diese durch eingefügte Quellen, beispielsweise mit dem studentischen Forderungskatalog, und bemüht sich um einen sachlich-berichtenden Ton, der beim neutralen und unbefangenen Leser dennoch 47 Wilson, W. D., (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 26. 48 Zeitungsbericht von Geheimrat Voigt, in: Wilson, W. D. (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 270 f. (Dokument 144). 49 „Anonymes Flugblatt“, in: Wilson, W. D. (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 263 f. (Dokument 140). 50 Authentische Nachricht von dem am 19ten Julius gehaltenen Auszuge der Studirenden aus Jena und von dem Wiedereinzuge derselben, nebst einer getreuen Darstellung der Ursachen, welche diese Begebenheit veranlaßten, in: Wilson, W. D. (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 272– 294 (Dokument 147).
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keine Zweifel über die Rechtmäßigkeit des studentischen Protestes aufkommen läßt. Einen Schritt weiter geht dann allerdings ein anonymer Artikel im Frankfurter „Staats-Ristretto“, der ebenfalls die studentische Perspektive einnimmt, durch seine verknappte, wenig differenzierte Darstellung mit eindeutiger Schuldzuweisung an die Obrigkeit aber deren Reaktion geradezu herausfordern mußte.51 Unter maßgeblicher Mitwirkung Goethes52 wurde nun eine „Actenmäßige Nachricht über die seit dem 10ten Junius 1792. auf der Academie zu Jena vorgefallenen Unruhen“ verfaßt. Deren Ziel war es, wie Wilson zugespitzt formuliert, „die Sache zum Vorteil der Universität und des Herzogtums ins Reine zu bringen.“53 So schrieben die Verfasser der „Actenmäßigen Nachricht“, daß sich die Studenten als Grund für ihren Auszug aus Jena „der schon so oft gemißbrauchten Formul, dass die academische Freyheit itzt in Gefahr sey“, bedient hätten. „Es war nichts Außerordentliches, wenn diese Ueberredung, zu welcher man einige scheinbare Umstände benutzte, auch diesmal bey einem großen Theile der Studierenden gelang; zumal es während der Unruhen nicht an Subjecten gefehlt hatte, die ihre schiefen Begriffe von Freyheit sowohl mündlich als schriftlich in Gang bringen wollten.“54
Mit der Wahrheit nahmen es Johann Wolfgang von Goethe und die anderen Weimarer Räte bei Abfassung der „Actenmäßigen Nachricht“ also nicht allzu genau. Doch es war vor allem die Tendenz der Darstellung, die den Unterschied und die Gegenposition zu den studentischen Wortmeldungen deutlich machte. Und dabei wird dem Verhältnis von Universität und Öffentlichkeit zugleich eine weitere Facette angefügt, nämlich der Übergang von einer aufklärenden und informierenden Öffentlichkeitsarbeit zur Propaganda, die um die Deutungshoheit kämpft und hierfür das Publikum zu manipulieren bereit ist. 4. Der Atheismus-Streit von 1798/99 Öffentliche Stellungnahmen mit dem Ziel, das Publikum von der jeweils eigenen Position zu überzeugen und eine Interpretation des Geschehens zu etablieren, die sich in der öffentlichen Meinung dauerhaft festsetzt, erfolgten auch im Zuge des sogenannten Atheismus-Streits von 1798/99. Dessen inhaltliche Substanz und vor allem dessen Konsequenzen wogen allerdings noch schwerer als die Jenaer Ereignisse von 1792. Der Atheismus-Streit um Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Immanuel Niethammer und Friedrich Karl Forberg umfaßt eine Reihe recht heterogener Vorgänge sowie Prozesse unterschiedlicher Dimensionen und verschiedener Handlungsebenen. Da die Substanz dieses Streits und dessen Ausgang, der in der 51 Vgl. den anonymen Artikel im Frankfurter Staats-Ristretto vom 3.08. 1792, in: Wilson, W. D. (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 307 f. (Dokument 162). 52 Vgl. Wilson, W. D., (Hg.), Goethes Weimar, 2004, 697–703. 53 Ebd., 702. 54 Actenmäßige Nachricht über die seit dem 10ten Junius 1792. auf der Academie zu Jena vorgefallenen Unruhen, in: Ebd., 322–328, hier 325 (Dokument 172).
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Entlassung Johann Gottlieb Fichtes aus seiner Jenaer Professur kulminierte, in der Forschung bestens bekannt sind, sollen die Details des Geschehens im vorliegenden Beitrag nicht erneut ausgebreitet werden.55 Der entscheidende Vorgang war die gerichtliche, polizeiliche und öffentliche Verfolgung des „Philosophischen Journals“, seiner Herausgeber und zweier Autoren, zu der das kursächsische Oberkonsistorium in Dresden den ersten Anstoß gegeben hatte. Den quantitativ überwiegenden, wenn auch nicht inhaltlich dominanten Teil des Atheismus-Streits machte die Debatte über Fichtes Religionsphilosophie aus. Diese Debatte wurde vorwiegend öffentlich geführt, mit Flugschriften, Rezensionen und Zeitungsartikeln, wurde aber auch von einem ausführlichen amtlichen und privaten Schriftverkehr begleitet, der erst Jahrzehnte später für die Forschung öffentlich gemacht wurde. Der Gegenstand des Streits, die Streitpunkte, waren anfangs philosophische Positionen, die Forberg und Fichte in Beiträgen für das „Philosophische Journal“ vertreten hatten. Doch es ging nicht nur um Positionen, sondern auch um Personen. Das hatten Fichte, Forberg und Niethammer schon zu jenem Zeitpunkt erkannt, als sie – auch im Namen ihrer Verleger – Johann Gottlieb Fichtes „Appellation an das Publikum“ im Intelligenzblatt der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ ankündigten und damit das Lesepublikum natürlich auch für die eigene Position einzunehmen versuchten. Dabei waren die Ankündigung der Appellations-Schrift und diese Schrift selbst auch eine konsequente Umsetzung von Fichtes Wissenschaftsverständnis, hatte sich dieser doch ausdrücklich ein Wirken in der Öffentlichkeit auf seine Fahnen geschrieben, als konstitutives Element eines frühen politischen Professorentums:56 „Es muß die Aufmerksamkeit des deutschen Publikums erregen, wenn es, kaum mit der Begegnung bekannt gemacht, welche der verehrungswürdige Kant (m. s. dessen Vorrede zum Streite der Fakultäten) erfahren, neuerdings vernimmt, dass abermals durch ein deutsches landesherrliches Reskript zwei philosophische Schriftsteller als die gröbsten Gottesleugner angekündigt worden; wenn es in kurzem bestimmter vernehmen wird, dass diesem ersten Schritte ein zweiter gefolgt ist, der sich nicht mehr gegen die Schriften, sondern gegen die Personen ihrer Verfasser und Herausgeber richtet. Jenes ist, laut National-Zeitung St. 51 v. Jahr 1798 und laut handschriftlicher in unsern Händen befindlicher Attestate, durch ein Kurfürstlich Sächsisches Konfiskationsreskript gegen den ersten Heft des philosophischen Journals, herausgegeben von Fichte und Niethammer, in welchem die beiden ersten Aufsätze des genannten Heftes der gröbsten atheistischen Äußerungen bezüchtigt werden, an den Verfassern dieser beiden Aufsätze, den Herrn Fichte und Forberg, geschehen; über dieses wird man erst nach Beendigung der Sache dem Publikum vollständige Auskunft geben können.“57
Nach dieser Einführung und der Ankündigung seiner „Appellation an das Publikum“ gab Fichte seiner Hoffnung auf Verteidigung seiner Position durch die
55 Vgl. Röhr, W. (Hg.), Appellation, 1987. 56 Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 120 ff. 57 Fichtes „Appellation an das Publikum“ über die ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen (Ankündigung), in: Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung vom 09.01. 1799, zit. nach Röhr, W. (Hg.), Appellation, 1987, 79–81, hier 79.
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deutsche Gelehrtenrepublik Ausdruck, um den Vorgang dann ins Grundsätzliche zu heben: „Jeder, dem die freie Untersuchung am Herzen liegt, wird einsehen, daß es gegenwärtig am allerwenigsten um jene Individuen, sondern um alle zu tun ist. Das Beispiel ist ansteckend; es gibt ihrer allenthalben genug, die der freien Untersuchung feind sind und nur nicht den Mut haben, die ersten zu sein, welche Verfolgungen gegen sie erregen; die zweiten, die dritten zu sein, werden sie schon weniger Bedenken tragen.“58
Wenige Tage nach dieser Ankündigung wurde Johann Gottlieb Fichtes „Appellation an das Publikum“ in Umlauf gebracht. Der Jenaer Philosoph suchte die Öffentlichkeit, er wollte sich vor der ganzen Nation rechtfertigen, „die schnellste und möglichst weite Verbreitung ist mein Hauptzweck“59, schrieb er an den Verleger Cotta. Und in der Tat machte die Schrift ein ungeheures Aufsehen, sie wurde im besten Sinne öffentlich und zog mehr als 50 öffentliche Reaktionen in Gestalt von Rezensionen, Artikeln und weiteren Flugschriften nach sich. Fortan rückten Fichtes Text, die Philosophie Fichtes insgesamt sowie seine Person in den Mittelpunkt einer breiten Debatte, die allerdings gegenüber Fichte durchaus kritisch war. Diese Debatte über einen Jenaer Professor wurde weiterhin vorwiegend öffentlich geführt und zog dabei auch die Universität Jena in den Fokus des öffentlichen Interesses. So stellt also auch der Atheismus-Streit von 1798/99 eine Facette des Verhältnisses von Universität und Öffentlichkeit dar, wenn auch begleitet von vielerlei Privatbriefen sowie von amtlichen Schriften und Korrespondenzen des damit befaßten obrigkeitlichen Personals. Die Tatsachen, daß im Laufe des Atheismus-Streits das „Philosophische Journal“ verboten und Johann Gottlieb Fichte im April 1799 aus seiner Jenaer Professur entlassen wurde, sind das Eine. Dabei wurde in der wissenschaftlichen Literatur gezeigt, daß sich die Vorgänge von 1798/99 auch als Auseinandersetzung um die Freiheit des Glaubens, die Freiheit des Gewissens sowie die Freiheit der wissenschaftlichen Lehre und Forschung interpretieren lassen60, wenngleich man Fichtes „Demokratismus“ und „Jakobinertum“ im Kontext der neueren Forschung unbedingt auch relativieren muß.61 Zugleich kann man den Atheismus-Streit aber auch als ein Lehrstück über unterschiedliche Konzepte von Öffentlichkeit sowie über deren Möglichkeiten und Grenzen lesen. Nach Fichtes Selbstverständnis hätte es niemals zum Verbot des „Philosophische Journals“ kommen dürfen, war er doch davon überzeugt, daß Schriften für Gelehrte – und um solche handelte es sich bei den Beiträgen Forbergs und Fichtes zweifellos – einer Zensur nicht unterworfen werden dürfen. Zudem sprengte er bereits mit der Veröffentlichung der „Appellation“ die Konventionen der ständischen Gesellschaft, hatte er – der Staatsdiener – zuvor bei Hofe doch weder Rücksprache in der Sache genommen 58 Ebd., 80. 59 Johann Gottlieb Fichte an Johann Friedrich Cotta vom 10.12. 1798, in: Röhr, W. (Hg.), Appellation, 1987, 78. 60 Vgl. ebd., 490 f. 61 Vgl. Ries, K., Wort, 2007, 149.
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noch angefragt, ob er eine öffentliche Stellungnahme denn erscheinen lassen dürfe. Und schließlich machte Fichte deutlich, was er sich von der Öffentlichkeit erhoffte, warum er an das Publikum, das gelehrte und das allgemeine, appellierte. Es sollte, ganz im aufklärerischen Sinne und ähnlich wie es 1792 der Verfasser der „Fragmente über Jena“ gefordert hatte62, ein unabhängiges, allein von Vernunftgründen geleitetes Urteil in der Streitsache sprechen. Dementsprechend fiel auch die Formulierung in Fichtes gedrucktem Anschreiben aus, mit dem er die „Appellation an das Publikum“ August Wilhelm Schlegel übersandte: „Die Angelegenheit, mit welcher ich durch die beigelegte Schrift Sie näher bekannt zu machen wage, gehört ohne Zweifel vor den Richterstuhl des gelehrten und denkenden Publikums und fällt zunächst der Beurteilung solcher Männer anheim, die Ihnen gleichen.“63
Das von Johann Gottlieb Fichte angerufene Publikum reagierte rasch, vielstimmig und kontrovers. Innerhalb weniger Wochen erschienen zunächst mehrere Rezensionen der „Appellation“, in denen der Eingriff der Regierungen in die „Verhandlungen der Gelehrten“ zurückgewiesen wurde.64 „Die Luft ist zur Fortsetzung des Lebens nicht unentbehrlicher als unbeschränkte Publizität zur Möglichkeit gelehrter Untersuchungen. Wo der öffentlichen Mitteilung Grenzen gesetzt werden, da flieht die verfolgte Wahrheit und läßt nichts von sich als den toten Namen zurück“65,
schrieb beispielsweise die Erlanger „Literatur-Zeitung“. Doch in der Folge nahm die Parteinahme für die Obrigkeit und gegen den des Atheismus verdächtigten Philosophen zu. Dessen Entlassung brachte dann die entscheidende Wende in der öffentlichen Meinung, und Fichte, der wenige Wochen zuvor noch an die Unabhängigkeit und Urteilskraft des Publikums geglaubt hatte, resignierte. „Dem großen Haufen ist durch die Autorität imponiert, die gegen mich entschieden hat“66, schrieb Fichte jetzt an Reinhold und war zugleich voller „Widerwille gegen das gelehrte Publikum und sein ganzes Wesen.“67 So siegten 1799 im öffentlich ausgetragenen „Atheismusstreit“ letztlich die Einschränkung von Öffentlichkeit, obrigkeitliche Willkür, Zensur, Einflußnahme und Verbot. Aber es war ein Sieg, der – so Hans Tümmler – wie ein Sturm „die ganze Universität in ihren Grundfesten erzittern ließ und auch Goethe und Voigt in ihrer dienstlichen und menschlichen Sphäre gewaltig in seine Strudel riß.“68
62 Vgl. Anm. 39. 63 Johann Gottlieb Fichte an August Wilhelm Schlegel vom 16.01. 1799, in: Röhr, W., (Hg.), Appellation, 1987, 81 f. 64 Vgl. ebd., 546. 65 Erlanger Literatur-Zeitung, Nr. 30 und Beilage zur Nr. 30 vom 12.02. 1799, 233–244. 66 Johann Gottlieb Fichte an Karl Leonhard Reinhold vom 22.05. 1799, in: Röhr, W., (Hg.), Appellation, 1987, 391. 67 Ebd., 387. 68 Tümmler, H., Goethes Anteil (...), 1964, 141.
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5. Die Etablierung von Öffentlichkeit durch die Universität: Periodika Dem Prinzip, daß Wissenschaft einen öffentlichen Charakter besitzt, wurde an der Universität Jena um 1800 in verschiedener Weise Geltung verschafft. Der Information der Studenten, aber auch der Eigenwerbung einzelner Professoren und dem Image der Universität insgesamt dienten die Vorlesungsverzeichnisse, die heute zugleich eine wichtige Quelle für die Rekonstruktion des Lehrbetriebs in Jena um 1800 darstellen.69 Öffentliche Aufmerksamkeit und ein tendenziell liberales Image schuf sich die Universität Jena unter anderem mit zahlreichen Ehrenpromotionen, über die auch in der Presse berichtet wurde.70 Die Presse erwies sich aber auch als ein öffentliches Forum für neue wissenschaftliche Forschungen, als ein Forum für die Diskussion inneruniversitärer Angelegenheiten und zunehmend auch als Forum zur Debatte über Fragen von Staat und Gesellschaft. Dem dienten zahlreiche Zeitschriften und einige wenige Zeitungen, die in Jena herauskamen und in einer unmittelbaren Beziehung zur Universität und deren Personal standen. Sie etablierten Öffentlichkeit, und zwar kontinuierlich und periodisch. Jena war bereits frühzeitig ein wichtiger deutscher Druck- und Verlagsstandort. Zwischen 1670 und 1700 war Jena sogar die drittgrößte Druckerstadt Deutschlands. Dabei wurde auch Erhebliches zur Presseproduktion beigetragen. Neben den „Privilegirten Jenaischen Zeitungen“ seit 1674 erschienen frühzeitig auch gelehrte und wissenschaftliche Journale in Jena. Zu ihnen zählten „Monathliche jedoch unmassgebliche Gedancken über allerhand vorkommende Sachen in der gelehrten Welt“ (1691), die „Bibliotheca antiqua“ (1705–1707) sowie „Monathliche nutzspielende Lustfragen zu gelehrter und ungelehrter sonderbarer Ergetzung“ (1692). Diese Zeitschriftentradition stand um 1800 in voller Blüte, nur war die Zahl und Vielfalt der Blätter inzwischen noch größer geworden. Längst waren auch Periodika zur Unterhaltung und Belehrung sowie theologische und medizinische Fachzeitschriften hinzugekommen. Verlegt wurden ferner Periodika mit einer pädagogischen, philosophischen und literarisch-literaturwissenschaftlichen Ausrichtung. Im frühen 19. Jahrhundert traten dann Journale mit einem deutlichen historisch-politischen Profil hinzu. Von den Anfängen bis 1830 konnten für den Verlagsort Jena mehr als 120 Periodika nachgewiesen werden. Sie versetzten die Universitätsleitung, aber auch die an der Universität wirkenden Gelehrten in die Lage, Öffentlichkeit herzustellen und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Sie dienten der Information über Entdeckungen und Erfindungen und über den alltäglichen Universitätsbetrieb. Sie schufen in Teilen aber auch die Voraussetzungen zum öffentlichen Diskurs über Themen wie Preßfreiheit und Policey, Aufklärung und Öffentlichkeit und ermöglichten damit ein kritisches Räsonnement über Staat und Gesellschaft.
69 Vgl. Neuper, H. (Hg.), Vorlesungsangebot, 2003. 70 Vgl. Bauer, J. / Hartung, J. / Dicke, K. (Hg.), Ehrendoktoren, 2007.
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Als ein prominentes Beispiel kann die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ gelten.71 Deren „Societät der Herausgeber“ bildeten Friedrich Justin Bertuch, Christian Gottfried Schütz und seit 1788 Gottlieb Hufeland.72 Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ erschien seit dem 3. Januar 1785 täglich außer sonntags und avancierte rasch zum führenden philosophisch-literaturkritischen Rezensionsorgan in Deutschland. Basierend auf einem enzyklopädischen Wissenschaftskonzept, konnten für den Kreis ihrer Mitarbeiter die führenden Vertreter verschiedener Wissenschaftsdisziplinen gewonnen werden. Einen inhaltlichen Schwerpunkt bildete die Rezeption und Verbreitung der Philosophie Immanuel Kants73, formulierte das Journal doch dezidiert die Absicht, „nach und nach eine vollständige Uebersicht der Kantischen Grundsätze“74 zu liefern. Über ihre literarhistorischwissenschaftliche Bedeutung hinaus ist die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ ein herausragendes Beispiel für das Prinzip Öffentlichkeit, für „Öffentlichkeitsarbeit“ und für eine intensive Kommunikationsverdichtung in Jena. Dies gilt nicht allein für den Austausch mit den zahlreichen Mitarbeitern, sondern auch für die Leser der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“. Sie hatten die Möglichkeit, im „Intelligenzblatt“ der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ mit Antikritiken auf Veröffentlichungen des Hauptblattes zu reagieren.75 Die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ hatte um 1800 die Spitzenposition unter den literaturkritischen, rezensierenden Organen Europas inne und steht zugleich als ein Beispiel für den Zusammenhang von Universität und Öffentlichkeit. Es existierte eine enge personelle Vernetzung des Mediums Zeitschrift mit der Institution Universität, die bei den Herausgebern Schütz und Hufeland und nicht zuletzt bei einem der Hauptmitarbeiter, dem Theologieprofessor Johann Jakob Griesbach, besonders augenscheinlich war.76 Seine Rezensenten rekrutierte das Blatt zu einem beträchtlichen Teil aus Angehörigen der Alma mater Jenensis77, allen voran den Professoren der Philosophischen Fakultät78, und in ihren Spalten finden sich immer wieder auch Nachrichten und Informationen über die Jenaer Universität und deren Personal. Durchsucht man die elektronisch vorliegenden Fassungen der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ und der „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“ nach dem Begriffspaar „Universität Jena“, kommt man auf mehr als 800 Nennungen. So werden im Intelligenzblatt der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ seit 1790 beispielsweise auch die Vorlesungsverzeichnisse der Salana publiziert. Insgesamt trug die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ ganz wesentlich zum Bekanntheitsgrad und zum positiven Image der Universität Jena 71 72 73 74 75
Vgl. Schönfuß, W., Jahrzehnt, 1914, bes. 5–16; Matuschek, S. (Hg.), Organisation, 2004. Vgl. Mildenberger, M., Bertuch, 2000. Vgl. Schröpfer, H., Gelehrsamkeit, 1995. Allgemeine Literatur-Zeitung, Nr. 17 vom 21.01. 1785, 21. Irena Denissenko spricht in diesem Zusammenhang von einer inszenierten Öffentlichkeit des Streites. Vgl. Denissenko, I., Öffentlichkeit, 2004. 76 Vgl. Mildenberger, M., ,Allgemeine Literatur-Zeitung‘, 2001, 198. 77 Vgl. ebd., 199–201. 78 Schönfuß, W., Jahrzehnt, 1914, 36 f.
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bei. Dem Historiker Fritz Hartung gilt sie als „Wahrzeichen der Glanzzeit Jenas“79, und Hans Tümmler meint: „Die Allgemeine Literaturzeitung (…) war von größerer Breitenwirkung als die Lehrtätigkeit der Jenaer Professoren. Der Name Jena erhielt geradezu Weltgeltung durch dieses publizistische Organ.“80 Dieses Urteil mag etwas übertrieben erscheinen. Zudem nahm die Einflußnahme der Weimarer Obrigkeit in Person Johann Wolfgang von Goethes auf die Redaktion der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ im Frühjahr 1803 in einer Weise zu, daß von einer Einschränkung ihrer Unabhängigkeit und des Prinzips Öffentlichkeit gesprochen werden muß.81 Goethe forderte nunmehr eine affirmative Berichterstattung, wodurch das Blatt zum offiziösen Organ des Weimarer Hofes geworden wäre. Aus diesen und weiteren Gründen, die hier im Detail nicht diskutiert werden können, verlegte Johann Gottfried Schütz die Redaktion nach Halle.82 Ernsthafte Bemühungen, Schütz und die „Allgemeine Literatur-Zeitung“ in Jena zu halten, gab es nicht, zumal sich das Umzugsszenario sehr rasch vollzog. Umso intensiver waren die Bemühungen, möglichst bald und ohne Unterbrechung einen gleichwertigen Ersatz zu organisieren.83 Die große Bedeutung der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ für die Universität und deren öffentliche Wahrnehmung wird auch im Kommentar Goethes zu deren Abwanderung nach Halle deutlich. Goethe sah dadurch gleichsam die Existenz der Universität gefährdet und notierte: „Die Sache war von der größten Bedeutsamkeit und (…) bedrohte die Akademie für den Augenblick mit völliger Auflösung.“84 So wurde denn auch das Folge- und Ersatzblatt rasch etabliert, die „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung“. Sie avancierte durch eine direkte Einflußnahme auf den Herausgeber Heinrich Karl Abraham Eichstädt quasi zum offiziösen Organ, als „ein landesfürstliches, aber doch akademisches Institut.“85 Auch dies zeigt, daß die zuständigen Räte wie Goethe und Voigt den Zusammenhang von Universität und Öffentlichkeit erkannt hatten und diesen in ihrem Interesse zu gestalten suchten. 6. „Öffentlichkeitsarbeit“: Die Universität nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt Am 18. Oktober 1806 hatte Johann Wolfgang von Goethe in einem Zirkular „An die Jenaer Freunde“ seine Sorge um deren Schicksal mitgeteilt und um Nachrich79 80 81 82
Hartung, F., Großherzogtum Sachsen, 1923, 187. Tümmler, H., Goethe im Jenaer Krisenjahr, 1964, 182 f. Vgl. Müller, G., Regieren, 2006, 465–476. Vgl. Schröpfer, H., Christian Gottfried Schütz, 1995; jetzt vor allem Kertscher, H.-J., „Wir sind entschloßen (...)“, im Druck. 83 Vgl. Schmid, I., Gründung, 1987. 84 Goethe, J. W. v., Tag- und Jahreshefte 1803, 1994, 115. 85 Protokollniederschrift Christian Gottlob von Voigts vom 28.08. 1803, zit. nach: Schmid, I., Gründung, 1987, 241.
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ten aus der Universitätsstadt gebeten86, woraufhin ihm der Redakteur der „Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“ Heinrich Karl Abraham Eichstädt antwortete: „Unser Institut der A. L. Z. macht mir jetzt vorzügl. Bekümmerniß. Weniger in unserer Expedition, welche zweymal erbrochen worden, als in den Officinen der Drucker u. Buchbinder ist eine große Verwirrung entstanden. Durch Ausharren und Fleiß soll aber auch dieß überwunden werden, wenn ich nur ausharre.“87
Mit diesen Worten ist die verheerende Situation in Jena wenige Tage nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt noch relativ zurückhaltend beschrieben.88 Der Lebensrhythmus der Menschen war erheblich gestört, an gleichmäßige Arbeit war nicht zu denken. Allerdings hatte die „Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung“, um die es sich hier dreht, einen redaktionellen Vorlauf von rund 14 Tagen. Eine Lücke trat also erst in den Ausgaben vom 30. und 31. Oktober auf.89 Im zugehörigen Intelligenzblatt vom 27. Oktober war dann der folgende Artikel eingerückt: „Unter allen literarischen Nachrichten, welche dieses Intelligenzblatt liefert, erwartet der theilnehmende Leser jetzt gewiß keine mit gespannterem Interesse, als die, welche sich unmittelbar auf unsere Universität und auf die in den verflossenen Tagen von uns erlebten Schicksale beziehen. Die Heere Napoleons kamen in diesen Tagen von Saalfeld durch den Saalgrund und von Gera aus zu uns herab. Am 12ten d.M. erschienen sie in der Gegend des eine gute halbe Stunde von Jena liegenden Dorfes Winzerla. Den Tag darauf waren sie bereits in unserer Mitte. Am 14. fiel die wichtige Schlacht vor, die aus mehr als einem Grunde die Schlacht bey Jena genannt zu werden verdient.“90
Im „Intelligenzblatt zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung“, in einem Blatt also, dessen Profil politische oder Kriegsnachrichten normalerweise nicht vorsah, wird knapp vierzehn Tage nach der Niederlage der Preußen und Sachsen gegen Napoleon über das Geschehen bei Jena berichtet. Damit kommt man einem dringenden Informationsbedürfnis nach und macht die Kernnachrichten des Geschehens öffentlich. Doch bei diesen allgemeinen Informationen ließ man es seitens der Universität nicht bewenden. Denn zu den ersten offiziösen Verlautbarungen, die zudem in mehreren thüringischen Blättern fast gleichzeitig eingerückt wurden, zählten die Mitteilung des Jenenser Prorektors Johann Philipp Gabler über die Fortsetzung der Vorlesungstätigkeit an der Universität Jena mit Beginn des Wintersemesters am 3. November 1806 sowie ein Dekret des französischen Intendanten im ersten Arrondissement von Sachsen, Joseph François Villain, vom
86 Vgl. Johann Wolfgang von Goethe an die Jenaer Freunde vom 18.10. 1806, in: Hellmann, B. (Hg.), Bürger, 2005, 71–73. 87 Heinrich Karl Abraham Eichstädt an Johann Wolfgang Goethe vom 18.10. 1806, in: Ebd., 74. 88 Vgl. auch Paul, G., Schicksale, 1920, 23–87; Hellmann, B. (Hg.), Bürger, 2005. 89 Vom 13.10. bis 29.10. sind mit den Nummern 242 bis 256 turnusgemäß täglich (außer sonntags) Ausgaben der Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung erschienen. Die 257. Ausgabe ist dann auf den 01.11. 1806 datiert, einen Samstag. 90 Intelligenzblatt zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 98 vom 27.10. 1806, 801.
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9. November.91 Letzteres zielte auf die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung in den französisch besetzten Territorien. In der Mitteilung des Prorektors Gabler hingegen wurde davon berichtet, daß eine Universitätsdeputation am 15. Oktober bei Napoleon Bonaparte habe vorsprechen dürfen. Sie habe dabei vom Kaiser der Franzosen die Versicherung erhalten, „die Universität Jena in Ihren besonderen kaiserlichen und königlichen Schutz zu nehmen, sie und ihre Mitglieder bei ihren Privilegien ungekränkt zu lassen, und ihr dieselbe Auszeichnung zu gönnen, deren sich, unter ähnlichen Umständen, andere deutsche Universitäten zu erfreuen gehabt haben.“92
Diese Vorgänge und Verlautbarungen können an dieser Stelle nicht genauer vorgestellt und interpretiert werden. Festzuhalten ist jedenfalls, daß sie als markantes Beispiel dafür gelten können, wie seitens der Universitätsleitung „Öffentlichkeitsarbeit“ realisiert wurde, gerade im Schicksalsjahr 1806, nur kurze Zeit nach dem Krisenjahr 1803. Dabei prallten die große Welt der Politik und die eher stille Welt der Gelehrten aufeinander, ja sie waren nicht mehr voneinander zu trennen. Um die universitären Geschäfte am Laufen zu halten, mußte man „Öffentlichkeitsarbeit“ betreiben, weit über die Mitteilung gelehrter Nachrichten und wissenschaftlicher Erkenntnisse hinaus. Und während der Herzog Carl August bis zum Sommer 1807 einer Begegnung mit Napoleon Bonaparte aus dem Wege ging, adressierte die auf seinem Territorium gelegene Universität ihre „öffentlichen“ Aktivitäten nunmehr auch an die neuen Machthaber. Hierzu zählt neben dem Geschilderten auch die Verleihung akademischer Würden an Persönlichkeiten aus dem Gefolge Napoleons. Bereits im November 1806 erhielten die Chirurgen Jacobus Canin und Ferdinand Leclerc, beide im Militärlazarett tätig, von der Medizinischen Fakultät eine Promotion honoris causa. Im Jahr darauf wurde dem Generalinspekteur für das Militärmedizinwesen Baron Jean Dominique Larrey, einem der bekanntesten Chirurgen seiner Zeit, ebenfalls der Doktortitel ehrenhalber verliehen. Und schließlich beteiligte sich auch die Philosophische Fakultät an dieser öffentlichen Imagepflege mit dem Ziel „moralischer Eroberungen“. Sie verlieh 1808 an den französischen Kommissar in Erfurt, Jean Baptiste Louis de Lemarquant, und an den französischen Militärgeneralintendanten in Erfurt, Jaques Pierre Villemancy, den Doktortitel ehrenhalber.93 Auch die militärischen und politischen Vorgänge seit Oktober 1806 und die entsprechenden Reaktionen der Alma mater Jenensis und ihres führenden Personals können also als ein Beleg für das gleichermaßen spannungsvolle wie vielfältige Wechselverhältnis zwischen Universität und Öffentlichkeit gelesen werden. 91 Vgl. Arnstädtische wöchentliche Anzeigen und Nachrichten, 46. Stück vom 15.11. 1806, 369 ff.; Gemeinnützige Blätter für Schwarzburg, Nr. 47 vom 19.11. 1806, 369–371; Wöchentliches Frankenhäusisches Intelligenzblatt, 47. Stück vom 24.11. 1806, Sp. 742–748; Rudolstädtisches Wochenblatt, 46. und 47. Stück vom 25.11. 1806, 181 f. 92 Vgl. Intelligenzblatt zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung, Nr. 98 vom 27.10. 1806, Sp. 805–808. 93 Vgl. Wahl, V., „ … schon ist der Sturm vorüber (...)“, 1998; Bauer, J. / Hartung, J. / Dicke, K. (Hg.), Ehrendoktoren, 2007, 20–22.
Universität und Öffentlichkeit
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Zweifellos hatte dieses um 1800 eine neue, moderne Qualität erreicht, wie sich dies in den vorgestellten Episoden und Teilbereichen gezeigt haben dürfte. Eine komplexe und systematische Analyse beider Kategorien konnte im Rahmen dieses Beitrags nicht geleistet werden. Die große Bedeutung von Öffentlichkeit um 1800 jedoch, auch für die Universität Jena, dürfte deutlich geworden sein.
Korporation und „Staatsanstalt“ Anmerkungen zum Verhältnis von Universität und Staat um 1800 Stefan Gerber Sowohl für die rechts- wie für die universitätsgeschichtliche Forschung ist der Terminus „Staatsanstalt“, auf die Universität angewendet, ein Reizbegriff. Die neuere Rechtsgeschichte bemängelt einhellig, daß mit dieser Bezeichnung eine „rechtsdogmatisch-formale Interpretation“ der Rechtsstellung der modernen Universitäten befördert werde, die im Lichte einer „rechtsdogmatisch-historischen“ Betrachtung nicht bestehen könne und letztlich ein verzerrtes Bild der universitären Rechtswirklichkeit zeichne.1 Trotz ihrer sich seit dem 17. Jahrhundert unverkennbar verstärkenden Einbindung in den sich formierenden modernen Staat, die im 18. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreicht habe, trotz der „Verstärkung des anstaltlichen Elements“ durch den Einfluß der großen Neugründungen des späten 17. und des 18. Jahrhunderts in Halle und Göttingen2 seien die Universitäten doch „zu keiner Zeit“ zu „reinen Staatsanstalten“ geworden.3 Vielmehr habe sich ein anstaltlich-korporativer Mischcharakter herausgebildet, eine „Korporation mit Zügen anstaltlicher Organisation“. Dieser „dualistische Rechtsstatus“, so Wolfgang Kahl in seiner instruktiven Studie zur Entwicklung des Verhältnisses von Universität und Staat vor allem am Beispiel Preußens, habe die deutsche Universitätsgeschichte „vom 17. Jahrhundert bis in die Weimarer Republik“ geprägt, „wobei die anstaltlichen Elemente innerhalb dieses irregulären korporativen Organisationstypus von Zeit zu Zeit unterschiedlich ausgeprägt waren.“4 Zweifellos stellte das 18. Jahrhundert, zumindest in den großen Territorien des Reichs, allen voran in Preußen und in der Habsburgermonarchie mit den etatistischen Theresianisch-Josephinischen Universitätsreformen5, eine Periode dar, in der die „spürbar gestiegene Intensität staatlicher Universitätsaufsicht“6 anstaltliche Züge deutlicher hervortreten ließ. Dennoch konnte diese verstärkte herr1 2
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Diese Interpretationswege für die Entwicklung des Verhältnisses von Staat und Universität in der Neuzeit unterscheidet: Winkler, G., Rechtspersönlichkeit, 1988, 190 f. Zum Gründungsprozeß der Universität Halle und zu ihrer Verfassung vgl. u. a. Nettelbladt, D., Geschichte, 1792, 445; Sehling, E., Daniel von Superville, 1893, 84f.; Schrader, W., Geschichte, 1.Teil, 1894, 19–129, besonders 19–73; Bornhak, C., Geschichte, 1900, 174 ff.; Brümmer, M., Staat, 1991, 18ff; Zu Göttingen und seiner Verfassung vgl. u. a. Rössler, E. F., Gründung, 1855; Gundelach, E., Verfassung, 1955; Boockmann, H., Verfassung, 1994; Vierhaus, R., Göttingen, 1999; Walther, G., Ideal, 2001. Kahl, W., Hochschule, 2004, 14. Ebd. Zum knappen Überblick und weiterführend: Hammerstein, N., Besonderheiten, 1985. Kahl, W., Hochschule, 2004, 17.
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schaftliche Fürsorge“ weder hergebrachte Privilegien der Universitäten gänzlich beseitigen, noch konnte sie realistisch die Absicht verfolgen wollen, den Korporationscharakter der Universitäten vollkommen aufzuheben. Eine solche offene „Immediatisierung“ hätte nicht nur einen konfliktträchtigen schroffen Bruch mit dem Herkommen, mit Reichs- und Landesrecht heraufbeschworen, sondern vor allem auch dem herrschaftlichen Anliegen einer effektiven universitären Ausbildung von zukünftigen Staats- und Verwaltungseliten widersprochen, war die staatliche Reformtätigkeit doch vor allem auf „die engere Zweckbindung der anstaltlichen Funktion der Universität als Vorbereitungsschule für die Staatsbeamten“ ausgerichtet.7 Verstärkter administrativer Kontrolle standen somit weiterbestehende oder sogar ausgeweitete Freiräume der Korporation in ihrer inneren Ordnung gegenüber; eine „Renaissance der Universität als ständische Korporation“8 stabilisierte, trotz der effizienteren staatlichen Zugriffe, wesentliche Autonomiebereiche, nicht zuletzt – dafür ist z. B. Göttingen ein beeindruckendes Beispiel – im Bereich der Lehrfreiheit oder der ökonomischen Grundlagen. Auch das korporative Selbstbewußtsein der Fakultäten und Senate erfuhr damit eine neue Befestigung. Einer vom Paradigma des „Absolutismus“ geprägten und von dem Gedanken einer linear wachsenden „Verdichtung“ von Herrschaft und staatlicher Intervention in allen Lebensbereichen der Gesellschaft geprägten rechtsgeschichtlichen und historischen Betrachtung ist es oft schwergefallen, diese Dichotomie des Verhältnisses von Universität und Staat im 18. Jahrhundert, die „Mischung aus körperschaftlicher Selbstverwaltung und staatlichem Regiment“9, zu erfassen. Für die Rechtsgeschichte der Universitäten bedeutete dies, die Begriffe der „Anstalt“ oder der „Staatsanstalt“ als Ausdruck einer vollständigen Transformation der Universität in eine nachgeordnete staatliche „Bildungsbehörde“ verstehen zu wollen – ein Verständnis, das im Sprachgebrauch des 18. Jahrhunderts keinen Anhalt findet, wollte dieser mit dem Terminus der „Staatsanstalt“ doch vor allem den nichtkirchlichen Charakter der Universitäten und ihre funktionelle Ausrichtung auf die Ausbildung von Beamten, nicht aber ihre korporative Unselbständigkeit bezeichnen.10 In der universitätsgeschichtlichen Forschung der zweiten Hälfte des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts brachte diese Staatsorientierung eine Suchbewegung hervor, die vor allem nach den Normierungsprozessen der staatlichen Universitätsaufsicht und nach den Instrumenten ihrer Durchsetzung im 18. Jahrhundert fragte. Dem borussisch-machtstaatlichen Hauptstrom der deutschen Geschichtswissenschaft am Ende des 19. Jahrhunderts entsprechend, stand dabei oft die preußische Universitätspolitik in der Periode zwischen der Einführung des Allgemeinen Landrechts 1794 und den preußischen Universitätsreformen nach 1806 im Mittelpunkt; die am Vorbild Göttingens orientierten staatlichen 7 8 9 10
Winkler, G., Rechtspersönlichkeit, 1988, 15. So für Jena: Bauer, J., Universität Jena, 2001, 47–62, hier 55. Hammerstein, N., Universitäten, 2005, 374. Winkler, G., Rechtspersönlichkeit, 1988, 197 f.
Korporation und „Staatsanstalt“
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Universitätsreformen des späten 18. Jahrhunderts in einer ganzen Reihe deutscher Territorien mit ihren Universitäten11, die Reformbestrebungen an katholischen Universitäten zumal12, kamen kaum in den Blick. Prägend für diese Sicht auf das Verhältnis von Universität und Staat und auf die staatliche Universitätsadministration wurden die Arbeiten des Berliner Staatsrechtlers Conrad Bornhak zur Geschichte der preußischen Universitätsverwaltung und zur Korporationsverfassung der Universitäten.13 Seine Darstellungen sind von dem Grundgedanken durchzogen, daß die „aufstrebende absolute Staatsgewalt“ in Preußen mit ihrem immer mehr intensivierten Bestreben, „die bessernde Hand an die verfallenden Universitäten zu legen“14, nicht nur den Staat auf einem seiner wichtigen Handlungsfelder – dem der Bildung und Elitenreproduktion – konsolidiert, sondern auch ein allgemeingültiges Modell der Universitätsverwaltung geschaffen habe: Weitestgehende staatliche Durchdringung mußte für die Universitäten, die sich – „thöricht genug“15 – bisweilen dagegen auflehnten, Garant einer gedeihlichen Entwicklung sein. Die Fixierung auf den „Zugriff“, den korrigierenden, bessernden „Eingriff“, die „Fürsorge“ des Staates gegenüber der Universität, welcher Universitätspolitik nicht als Ausgleichsprozeß, sondern – selbst wenn sie „Verständnis“ für das Agieren der Korporation aufbrachte – stets als Angriff und mehr oder minder erfolgreiche Durchsetzung des am allgemeinen und speziell-universitären „Besten“ orientierten, auf diesem Wege an Geschlossenheit gewinnenden Staates gegenüber einer auf zukunftslosen Privilegien beharrenden Institution erscheinen mußte, blieb lange bestimmend für die Beurteilung des Verhältnisses von Universität und Staat am Ende des 18. Jahrhunderts. Noch der späterhin vor allem als Regisseur und Schriftsteller bekannt gewordene Alexander Kluge blieb, auch wenn er eine Gegenposition beziehen wollte, letztlich an diesem historiographischen Schema orientiert, wenn er, der Mitarbeiter des Frankfurter „Instituts für Sozialforschung“, in seiner bis heute vielzitierten juristischen Dissertation zur „Universitäts-Selbstverwaltung“ von 1958 eine spezifische, von der „kritischen Theorie“ beeinflußte Betrachtung der Universitätsverwaltung des „Absolutismus“ präsentierte.16 Gestützt nicht zuletzt auf Bornhak und ohne Seitenblicke auf das möglicherweise „Nichtabsolutistische am Absolutismus“, das schon wenig später Historiker wie Gerhard Oestreich und Dietrich Gerhard in den Mittelpunkt rücken sollten17, lenkte Kluge die Aufmerksamkeit mit der Frage, „wer diese absolute Macht auf dem einzelnen Sachgebiet, also hier auf dem des Universitätsrechts,
11 Vgl. Cobb, J. D., Reforms, 1980; einen knappen europäischen Überblick bietet: Hammerstein, N., Universitäten, 1996. 12 Vgl. Hammerstein, N., Aufklärung, 1977. 13 Vgl. Bornhak, C., Geschichte, 1900; Ders., Korporationsverfassung, 1910. 14 Bornhak, C., Geschichte, 1900, 52. 15 Ebd., 187. 16 Vgl. Kluge, A., Universitäts-Selbstverwaltung, 1958. 17 Vgl. Oestreich, G., Strukturprobleme, 1969, 183; Gerhard, D. (Hg.), Vertretungen, 1969.
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tatsächlich ausübte“18, auf die Bedeutung der Einzelpersönlichkeit in der Universitätsverwaltung des 18. Jahrhunderts. Nicht Universität und Staat seien „Partner“ der Universitätsreformen dieses Zeitabschnitts gewesen, sondern „vielmehr der bedeutende Dozent und der Verwaltungsmann“.19 Tatsächlich war es notwendig, stärker als in älteren Darstellungen geschehen, die entscheidende persönliche Rolle des „Universitätsorganisateurs“ vom Schlage eines Seckendorff in Halle, eines Münchhausen in Göttingen oder eines Superville in Erlangen in den Blick zu nehmen und ihr administrativ-organisatorisches Wirken im Rahmen des „Universitätskameralismus“ zu systematisieren.20 Bornhak hatte dagegen noch betont, es liege im „Wesen des aristokratischen Staatswesens und damit auch der Büreaukratie, daß die Individualitäten im öffentlichen Leben nicht besonders hervortreten.“21 Doch auch der nicht nur für die beiden „Reformuniversitäten“, sondern besonders für die Universitäten kleinerer deutscher Territorien zentrale Hinweis Kluges auf die Individualität der Universitätsverwalter als entscheidenden Einflußfaktor der Universitätspolitik ging unverändert vom Paradigma staatlicher „Durchherrschung“ und Durchsetzung – wenn auch ihrer impliziten Kritik – aus. Außerdem trennte er die Tätigkeit der Universitätsorganisatoren tendenziell viel zu stark von der Ausprägung anstaltlicher Züge innerhalb der universitären Korporation durch das Wirken des Fürstenstaates ab; ohne diesen – bei Kluge einerseits überdehnten, andererseits unterschätzen – Prozeß wäre das Wirken dieser Verwalter nicht möglich gewesen. So können die staatlichen „Universitätsorganisateurs“ des 18. Jahrhunderts bei Kluge als administrative Vertreter einer noch genuin „aufklärerischen“, nicht-„instrumentellen“ Vernunft zu Projektionsflächen der Bürokratiekritik werden: „Insgesamt“ lasse sich sagen, „daß das akademische Leben des 18. Jahrhunderts von den verantwortlichen Universitätsorganisatoren vollständig beherrscht wurde.“ Von der „gleichfalls nach totaler Beherrschung strebenden Bürokratie“, so Kluge in einer Einschätzung, die seinen von der Organisations- und Bürokratiekritik der „Frankfurter Schule“ gelenkten Blick auf die Universitätsverwaltung des 18. Jahrhunderts offenbart, seien diese Universitätsverwalter aber vor allem dadurch unterschieden, daß diese „ihre Macht immer nur als Mittel, d. h. rational (‚vernünftig‘) gebrauchten“.22 Die unterschiedlichen Handlungslogiken und -rationalitäten von Staatsverwaltung, einzelnem Kurator oder Direktor und universitärer Korporation erfuhren so eine qualitative Gewichtung: Im Spannungsfeld von Spontanität und Individualität einerseits und Bürokratisierung und „verwalteter Welt“ andererseits schienen diese Gestalten für Kluge in ihrer vor allem über das Persönliche-Individuelle wirksamen Gestaltungskraft für die Universitäten ein positives Beispiel zu sein: 18 Kluge, A., Universitäts-Selbstverwaltung, 1958, 57. 19 Ebd., 53. 20 Vgl. zu den genannten Stolleis, M., Seckendorff, 1987; Schrader, W., Geschichte, 1. Teil, 1894, 19–129; Rössler, E. F., Gründung, 1855, besonders 10 f.; Frensdorff, F., Art. Münchhausen, 1885; Buff, W., Münchhausen, 1936; Sehling, E., Superville, 1893. 21 Bornhak, C., Geschichte, 1900, 186. 22 Kluge, A., Universitäts-Selbstverwaltung, 1958, 71 f.
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„Die Oberleitung der Universitäten durch jene Leute war von Grund aus persönlich. Anstelle eines bürokratischen Mechanismus stand hier eine lebendige Vorstellung von dem, was aus der Universität gemacht werden könnte. Es handelte sich um Persönlichkeiten auf oberster Regierungsebene, um allgemein gebildete Leute, die den eigentlichen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in allgemeinen Staatsgeschäften hatten, sich also aus persönlichem Interesse und nicht aus Routine der Universität widmeten und die für Universitätssachen zunächst keine besondere Verwaltungsorganisation besaßen.“23
Ist also für das Verhältnis von Universität und Staat in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vor allem das Schema des staatlichen Zugriffs und der universitärkorporativen Reaktion zu überwinden und sind damit die kommunikativen und negatorischen Aspekte in den Vordergrund zu rücken, die im Sinne einer modernen Institutionengeschichte die Entwicklung, Funktionalität oder Dysfunktionalität von Institutionen als politische und kulturelle Praxis zu erfassen versuchen, gilt es für die Umbruchszeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts und für die Jahre bis zur Jahrhundertmitte vor allem das sich wandelnde Staatsverständnis zu beachten: Zwar öffneten eine zunehmende Orientierung an der Idee des Staates als „geistig-sittlichem bzw. ethischem Organismus“24 und das damit verbundene Zurücktreten mechanistischer Staatsvorstellungen neuen Raum für körperschaftliche Gliederung im Staat – z. B. der Kommunen in den preußischen Reformen25 –, zugleich bedeutete diese Organisation aber den endgültigen Abschied von allen ständestaatlichen Elementen. „Universitäre Selbstverwaltung“, wie sie seit dem 19. Jahrhundert in Anlehnung an die kommunale Selbstverwaltung zum Schlagwort wurde, sicherte der Hochschule zwar eine korporativ-kollegiale Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten, bedeutete aber zugleich die Eingliederung der zu Körperschaften des öffentlichen Rechts mutierenden Universitäten in den staatlichen Bereich: Sie führten nun die ihnen gesetzlich übertragenen öffentlich-hoheitlichen Aufgaben im Bereich der akademischen Bildung und Graduierung in Eigenverantwortung aus. Mit diesem Wandel von der ständischen zur öffentlichrechtlichen Körperschaft wurden auch – zumindest normativ – die Konturen einer „konsequent entpolitisierten Gestalt“ der Universität sichtbar.26 Die mitgliedschaftlich verfaßte, ihre inneren Angelegenheiten selbst regelnde, aber einer staatlichen Rechtsaufsicht unterstehende Körperschaft war gewissermaßen das rechtliche Gefäß eines politisch entschärften neuhumanistischen Universitätsideals – auch wenn sich in Jena, wie noch zu zeigen sein wird, in der kurzen Reformphase zwischen 1815 und 1818/19 die Konturen eines alternativen Modells zeigten und der Befund der „Entpolitisierung“ zu differenzieren ist. In dieser Form wurden die Universitätskörperschaften im 19. Jahrhundert integraler Bestandteil der konstitutionellen Systeme in den deutschen Staaten und die Konflikte zwischen Universi23 Ebd., 60 f. 24 Kahl, W., Staatsaufsicht, 2000, 66. 25 Vgl. z. B. Mieck, I., Wege, 1993; Botzenhart, M., Landgemeinden, 1993; Einen knappen Gesamtüberblick aus rechtsgeschichtlicher Perspektive ermöglicht: Thiel, M., Selbstverwaltung, 2002. 26 So Müller, G., Regieren, 2006, 720.
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tät und Staat im deutschen Konstitutionalismus – deshalb sollten sie mit den Versuchen der korporativen Rechts- und Privilegienwahrung der Universitätskorporationen gegenüber dem frühmodernen Staat nicht vermischt werden – entzündeten sich an Übergriffen der Staatsaufsicht auf diesen konstitutionell gesicherten Rechtsbereich der öffentlichen Körperschaft Universität, vor allem den der Wissenschafts- und Lehrfreiheit.27 All das – und dies ist ein Aspekt, der innerhalb der neueren universitätsgeschichtlichen Forschung eine immer schärfere Prononcierung erfährt28 – bedeutete freilich nicht, daß in der Realität der universitären Selbstverwaltung, im engen und traditionsbestimmten Geflecht des universitären Berechtigungswesens und der durch dieses zugleich hervorgebrachten und von ihm immer neu stabilisierten inneruniversitären Hierarchien, alt-korporative Handlungsmuster verschwanden. Sie erwiesen sich im Gegenteil als äußerst zählebig – nicht als Residuen und „Überhänge“ einer eigentlich überholten Praxis, sondern als Verhaltens- und Aktionsformen, deren Grundlage auch im Inneren der Selbstverwaltung der öffentlich-rechtlichen Körperschaft Universität weiterhin gegeben waren. Das galt – frühmodern gesprochen – vor allem für die akademische Konkurrenz um die „Nahrung“: Je geringer die staatliche Besoldung – und an der Universität Jena z. B. zählte sie im gesamten 19. Jahrhundert zu den geringsten im deutschsprachigen Universitätswesen – desto stärker die Hierarchisierung und die Auseinandersetzung um die Beteiligung an den universitären Eigeneinnahmen, desto stärker die institutionelle Behaarungskraft, was die Erweiterung des Kreises der an der universitären Selbstverwaltung Beteiligten, vor allem auf die Extraordinarien, anging, desto entschiedener auch – wie in Jena in der Frage der einträglichen, aber von der Staatsaufsicht als zunehmende Belastung empfundenen Absenzpromotionen29 – die körperschaftliche Solidarität, wenn der Staat regelnd in diese Binnensituation der Universität einzugreifen versuchte. Für das 19. Jahrhundert stellt sich auf dem Problemfeld Universität und Staat also vor allem die Frage, welchen Weg eine konkrete Universität von der ständischen Korporation zur Körperschaft des öffentlichen Rechts im konstitutionellen Staat beschritt. Immer stärker hat sich die universitätsgeschichtliche Forschung von der im frühen 20. Jahrhundert vor allem durch die kleindeutsch-borussische Universitätshistoriographie zu breiter Wahrnehmung gebrachten Vorstellung gelöst, mit den preußischen Universitätsreformen – die zudem verkürzend als „Humboldtsche Reformen“ bezeichnet wurden – sei das Paradigma und der „Königsweg“ deutscher Universitätsreform an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bezeichnet. Hatte schon der amerikanische Historiker James Denis Cobb zu Beginn der 1980er Jahre auf die „forgotten reforms“ hingewiesen30 und hatte Peter Moraw in einem 1984 unter dem ironisierenden Titel „Humboldt in Gießen“ 27 28 29 30
Vgl. zusammenfassend: Siemann, W., Chancen, 1987. Vgl. Rasche, U., Universitäten zwischen Beharrung und Reform, 2007. Vgl. Rasche, U., Geschichte, 2007. Vgl. Cobb, J. D., Reforms, 1980.
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erschienenen Beitrag nicht nur einen spezifischen Gießener Reformweg skizziert, sondern auch vermutet, die Universitätsreform in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sei vor allem als „konzeptionsloser Wandel durch Anpassung“ erfolgt31, so öffnete die historiographiegeschichtliche Auseinandersetzung mit dem „Mythos Humboldt“, vorangetrieben vor allem von Rüdiger vom Bruch und Sylvia Paletschek, den Blick vollends für die Diversität universitärer Reformwege im Deutschland des 19. Jahrhunderts.32 Es kann dabei nicht darum gehen, im Sinne einer in der Historiographiegeschichte zuweilen zu beobachtenden Überreaktion auf in die Kritik geratene und zu überwindende Paradigmen der Geschichtsschreibung, die entscheidende Bedeutung in Abrede zu stellen, die den preußischen Universitäts- und Bildungsreformen nach 1806 im Gesamtzusammenhang der deutschen Bildungsgeschichte zukommt. Es ginge am Kern des Problems vorbei, wollte man die vom – keineswegs monolithischen – preußischen „Modell“ abweichenden Veränderungswege deutscher Universitäten als Teil einer Projektion „alternativer“ Entwicklungswege gegen eine perhorreszierte preußische „Machtstaatlichkeit“ im Bildungswesen in Stellung bringen. Das preußische Universitäts- und Gymnasialwesen war zweifellos schon seit den 1820er Jahren einer der Faktoren, mit dem Preußen tatsächlich, wie König Wilhelm I. es 1858 noch als Prinzregent zu Beginn der „Neuen Ära“ fordern sollte, „moralische Eroberungen“ in Deutschland machte.33 Vielmehr gilt es den Blick der universitätsgeschichtlichen Forschung für diejenigen Universitätsreformen zu schärfen, die – keineswegs in „ideologischer“ Abgrenzung gegen ein anderes „Modell“ – im Hinblick auf die konkreten Voraussetzungen und Anforderungen des jeweiligen Universitätsstandortes und seines Territoriums bzw. Staates formuliert wurden und Wirkung entfalten konnten. Welche Antworten können aus der Perspektive der Universität Jena und der universitätsgeschichtlichen Forschungen, die im Sonderforschungsbereich „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ betrieben worden sind, auf die beiden vorstehend skizzierten entscheidenden Fragen des Verhältnisses von Universität und Staat um 1800, die Frage nach den Motiven, Zielen, Möglichkeiten und Grenzen bei der Durchsetzung stärker „anstaltlicher“ Züge der universitären Korporation im 18. Jahrhundert und die Frage nach der möglichen Spezifik universitärer Reformansätze im 19. Jahrhundert gegeben werden? Für das Verhältnis von Universität Jena und Herrschaft bzw. Staat im 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts – einen seit den Forschungen Heinz Wießners zu Dotierung, Staatszuschüssen, Visitationen und Verwaltungsreformen
31 Moraw, P., Humboldt, 1984, 70. Für die Leipziger Reformwege: Huttner, M., Humboldt, 2002. 32 Einen Überblick zu entsprechenden Publikationen bietet: Huttner, M., Mythos Humboldt, 2004; Vgl. besonders Rüegg, W., Mythos, 1997; Bruch, R. v., Abschied, 1999; Paletschek, S., Humboldtsches Modell, 2001. 33 Ansprache an das Staatsministerium, 8. November 1858, in: Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Bd. 1: 1797–1860, 3. Aufl. 1906, 449.
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aus den 1950er Jahren weitgehend unbeachteten Bereich34 – muß dabei zunächst von der Grundtatsache der Jenaer Universitätsgeschichte, der seit den Landesteilungen des 16. Jahrhunderts bis 1920 andauernden Unterhaltung und Verwaltung der Universität durch mehrere ernestinische Staaten, die „Nutritoren“, ausgegangen werden.35 Die Jenaer Nutritorenverwaltung war – trotz vielfältiger dynastischer Kondominatsverhältnisse im Alten Reich36 – ein in ihrer Ausprägung und Dauer einmaliges universitäres Verfassungsphänomen im deutschsprachigen Raum. Die „klassische“, seit den lange diskussionsprägenden Forschungen von Fritz Hartung und Georg Mentz immer wieder reproduzierte Interpretation lautet37, diese gemeinschaftliche Unterhaltung und die wechselnden Interessenlagen der Erhalter hätten der Universität als Körperschaft, aber auch dem einzelnen Hochschullehrer – nicht zuletzt über das zwischen 1817 und 1882 ausgebaute System der Separatkassen38 – Freiräume und Handlungsmöglichkeiten verschafft: die Handlungsmöglichkeiten einer „ziemlich freien und sicheren Republik“, als die Schiller 1787 die Jenaer Universität in berühmt gewordener Formulierung gegenüber Christian Gottfried Körner bezeichnete.39 Schillers Eindruck, die Professoren seien „in Jena fast unabhängige Leute und dürfen sich um keine Fürstlichkeit bekümmern“40, dürfte viel dazu beigetragen haben, daß das Bild der wegen des ernestinischen Kondominats mit einer „wohltätigen“ herrschaftlichen Vernachlässigung „beschenkten“ Universität Jena im deutschen Bildungsbürgertum lange tradiert wurde – noch über die Mitte des 19. Jahrhunderts hinaus lebte die Salana auch von diesem Nimbus und suchte ihn unter Kurator Moritz Seebeck auch zum bewußt eingesetzten Instrument der Berufungs- und Strukturpolitik zu machen.41 Auf der anderen Seite wurde das Urteil einer strukturellen Schwäche der Jenaer Nutritoren in der Universitätsverwaltung lange Zeit – anders als es aus der grundlegend veränderten Sicht auf Staat und Staatlichkeit in der Gegenwart gefolgert werden könnte – zwar positiv als eine der Voraussetzungen für Jena als Universität der Klassik und des Idealismus ins Feld geführt, gleichzeitig aber als Bestätigung der machtstaatlich-etatistischen Kritik am deutschen Kleinstaat herausgestrichen: Nicht einmal zu einer Durchsetzung seiner universitätspolitischen Prämissen war „Duodez“ in Thüringen fähig gewesen. Diese Sichtweise des 19. Jahrhunderts wurde auch in der marxistisch grundierten Universitätshistoriographie der DDR weitergeführt: Das kleine 34 Vgl. Wießner, H., Grundlagen, 1955; ders., Staatszuschüsse,1956/57; ders., Concilium Arctius, 1958. 35 Knapp zusammenfassend dazu: Gerber, S., Universität Jena, 2009, 47–50. 36 Einen knappen weiterführenden Überblick gibt: Brauneder, W., Kondominat, 2007. Für den Bereich der Universitäten vgl. Schindling, A., Universität, 2003. 37 Vgl. Hartung, F., Großherzogtum Sachsen, 1923, zur Universität vor 1806 dort 135–188, ab 1815: 404–442; Mentz, G., Staats- und Regentengeschichte, 1936, passim. 38 Vgl. dazu knapp Gerber, S., Universität Jena, 2009, 77–79. 39 Brief Friedrich Schillers an Christian Gottfried Körner, Weimar, 29. August 1787, in: [Goedeke, K.] (Hg.), Briefwechsel, 1859, 170. 40 Ebd. 41 Vgl. Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 403–411, 507–510.
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Territorium, der kleine Staat, blieb das Paradigma einer Organisationsform, die den Aufgaben des Staates nicht gerecht werden könne und deshalb sowohl verschärfte „Ausbeutung“ mit sich bringen als auch ein „objektives“ Hindernis des sozialen und politischen „Fortschritts“ darstellen müsse. Jenaer Forschungen haben hier differenziert. Vor allem Stefan Wallentin weist in seiner Untersuchung zur universitären Selbstverwaltung in den letzten beiden Dritteln des 17. und im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts auf das Kompromiß- und Konsensstreben beider Seiten im Hinblick auf den „Flor“ der Universität hin.42 Die Interaktion zwischen universitärer Korporation und Nutritoren sei ein Mosaikstein zur Neubestimmung von „Herrschaft“ in der Frühen Neuzeit als Aushandlungs- und Ausgleichsstruktur, innerhalb deren sich Akteure mit gegenläufigen, sich überkreuzenden und neu verbindenden Interessenlagen und verschiedenartigen Mitteln und Hilfsquellen gegenüberstehen.43 Gerade die multipolare Herrschafts- und Verwaltungsstruktur, die mit der ernestinischen Gesamtherrschaft über die Jenaer Universität gegeben war, könnte die Salana als Idealbeispiel für einen solchen, letztlich mit kulturgeschichtlichen Argumenten noch immer gegen die Paradigmen des „Absolutismus“ und der Staatsfixierung des 19. Jahrhunderts angehenden Interpretationsansatz erscheinen lassen. Andererseits verweist Wallentin mit seinen konkreten Jenaer Belegen deutlich auf die in der Diskussion um die kulturgeschichtlich-kommunikationstheoretische Neubestimmung von frühmoderner Herrschaft bzw. Staatlichkeit bereits herausgestellten Grenzen des Konzepts: Das Verhältnis von Universität und herzoglichen Erhaltern dürfe für den untersuchten Zeitraum, so Wallentin, nicht als „egalitäre Interaktion“ beschrieben werden44 – eine Gefahr der Überdehnung, die nicht nur für die frühe Neuzeit, sondern auch dann besteht, wenn der Blick auf die Möglichkeiten von Kleinstaatlichkeit im 19. Jahrhundert durch den Versuch überlastet wird, in ihnen ein auf „humaner“, überschaubarer Kommunikation beruhendes, freiheitssicherndes und letztlich „sympathischeres“ Gegenbild zum bürokratischen „Anstaltsstaat“ synthetisieren zu wollen. Solche überzeichnenden Projektionen gehen, auch wenn sie sich vielfältige und plausible Befunde einer spezifisch geprägten politischen Kultur im kleinen Herrschaftsraum dienstbar zu machen suchen und auch wenn sie von einer nachvollziehbaren Kritik an der etatistischen Grundströmung der kleindeutschen Geschichtswissenschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts ausgehen, letztlich an der Herrschafts- und Lebenswirklichkeit sowohl der Frühen Neuzeit wie auch des 19. und 20. Jahrhunderts vorbei. Stefan Wallentin betont für Jena, die Initiative für die Normsetzung habe stets bei den fürstlichen Erhaltern gelegen, die sich im Bereich der Rechtsetzung für die ernestinische Gesamtuniversität das Heft nicht aus der Hand nehmen lassen konnten und wollten. Die schon im noch heute vielbenutzten „Klassiker“ zur älte42 Vgl. Wallentin, S., Normen, 2009, 392. 43 Vgl. zu diesem Ansatz z. B. die Beiträge in: Meumann, M. / Pröve, R. (Hg.), Herrschaft, 2005. 44 Wallentin, S., Normen, 2009, 392.
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ren Rechtsgeschichte der Universität, der ausgearbeiteten Preisverleihungsrede des Jenaer Juristen Richard Loening, zitierte Warnung des unmittelbaren Landesherrn der Universität von 1737, Herzog Wilhelm Heinrich von Sachsen-Eisenach, er könne sich gezwungen sehen, der Universität zu zeigen, „daß Unsere landesherrliche Macht nicht so eingeschränket sey, wie ihr es euch bishero vielleicht eingebildet“, war mehr als die wütende Kraftmeierei eines Kleinfürsten.45 In diesem Zusammenhang „rehabilitiert“ Wallentin auch die Visitationen als Mittel der Staatsaufsicht über die Universitäten. Visitationen haben in der Literatur zur Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der Universitäten seit längerem einen schlechten Ruf. Der bereits zitierte Alexander Kluge z. B. schreibt, die Visitationen als in Jena „besonders umständliche Verfahren“ hätten sich mit „trostlosen Einzelheiten“ befaßt und seien nicht nur ein ganz und gar untaugliches Mittel der Universitätsaufsicht gewesen, sondern von vielen Universitäten geradezu unmittelbar für ihren Niedergang verantwortlich gemacht worden.46 Auch mit diesen Aussagen bezieht sich Kluge, dessen Schrift unverkennbar auch eine universitätsreformerische Stoßrichtung hatte, vielfach auf Conrad Bornhak47, der das Visitationswesen 1900 in mokanten Formulierungen und Beispielen als einen hilflosen Versuch des frühmodernen Staates beschrieb, eine wirksame Universitätsaufsicht durchzuführen. Visitationen, so der Berliner Staatsrechtler, seien „mit großem Lärm in Szene gesetzt“ worden, doch hätten die Kommissionen dabei „schließlich doch nicht viel mehr“ gesehen „als was auf der Oberfläche lag“; die „verfallende“ brandenburgische Landesuniversität in Frankfurt an der Oder etwa, sei wiederholt „mit solchen Visitationen heimgesucht“ worden, „ohne dass sie viel geholfen hätten.“48 Während für Kluge gerade Jena ein Beispiel für seine Negativdeutung des frühneuzeitlichen Visitationswesens ist, faßt Wallentin das Visitationswesen wesentlich differenzierter als „umfassendes Kommunikationsforum zwischen den Herzögen und ihrer Hochschule“49: Die Nutritoren hätten während der Visitationen nicht nur aufgrund der Eigeninteressen von Korporation und einzelnen Hochschullehrern umfassende Informationen aus der Universität gewonnen, sondern auch so intensiv wie sonst nicht ihre universitätspolitischen Vorstellungen erörtert und aufeinander abzustimmen versucht. Steffen Kublik hebt in seiner Studie zur Universitätspolitik der ernestinischen Höfe um 180050 die letzte Visitation „alten Typs“ von 1766/67 heraus, die in der älteren universitätsgeschichtlichen Literatur zu Jena bereits Beachtung gefunden, aber ebenfalls stets im Rahmen des negativen Deutungsrahmens für das universi-
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So zit. in Loening, R., Rechts- und Kulturzustände, 1897, 17 f. Kluge, A., Universitäts-Selbstverwaltung, 1958, 56. Vgl. die Anmerkungen ebd. Vgl. Bornhak, C., Geschichte, 1900, 183. Wallentin, S., Normen, 2009, 391. Umfassend zu den Visitationen und Revisionen von 1669, 1679, 1681, 1688, 1696 und den zur Untersuchung der Wirtschaftsverhältnisse Anfang des 18. Jahrhunderts eingesetzten herzoglichen Wirtschaftskommissionen ebd., 95–187. 50 Vgl. Kublik, S., Universität Jena, 2009.
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täre Visitationswesens behandelt worden war.51 Kublik vertieft die von Gerhard Müller und Joachim Bauer vertretene Auffassung, bei den Reformansätzen der Visitation – die vor allem die nun stärker kontrollierte Verwaltung des akademischen Vermögens, die Feststellung eines die Anteile der einzelnen Nutritoren genau beziffernden Universitätsetats und das nach Göttinger Vorbild umgestaltete Concilium Arctius betrafen – handele es sich um eine „innovative Restauration“, die mit der „Beseitigung von Nepotismus, verkrusteten Statushierarchien und Tendenzen zu einem innerkorporativen ‚Dominat‘“ dafür gesorgt habe, „das im Prinzip der Universität als autonomer, sich selbst organisierender Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden liegende Potential freizusetzen.“.52 Kublik verbindet diesen Befund ähnlich wie Wallentin für das frühere 18. Jahrhundert mit dem Verweis auf die Konsens- und Kompromißorientierung der ernestinischen, besonders der Weimarer Universitätspolitik: Ein obrigkeitlicher Zugriff, der tief und offen in die Autonomierechte der Korporation eingeschnitten hätte, schien auch 1766/67 undenkbar – schon deshalb, weil die Befürchtung bestand, daß ein weiterreichender Konflikt zwischen Nutritoren und Universität den weiterbestehenden Frequenzrückgang beschleunigen würde. Neben diesem Verweis auf konsensuale, auf Vereinbarung, auf Einkapselung älterer Zustände setzende Reformwege hebt Kublik die kommunikative Struktur der weimarischen Universitätspolitik auch nach außen hervor: Den Erfolg der Kulturpolitik des Herzogtums sieht er vor allem in dem weitgehend gelungenen Versuch der Weimarer Herrschaftsträger, das gesamte Territorium und die Universität Jena im besonderen einem aufgeklärten Publikum als vergleichsweise „liberal“ zu kommunizieren und diese Wahrnehmung durch die Wirkungen dieser Politik, durch die europäische Dimensionen gewinnende kulturelle Verdichtung in Weimar und Jena ständig zu befestigen und auszubauen.53 Dieses im späten 18. Jahrhundert entworfene und unter dem Eindruck der napoleonischen Herausforderung als „Prestigepolitik“ auch außenpolitisch wirksam gemachte Konzept54, in dem die Jenaer Universität einen zentralen Platz einnahm, sollte seine Wirkung im gesamten 19. Jahrhundert entfalten. Es sollte – auch und gerade als es nicht mehr auf ein aktuelles „Ereignis“ rekurrieren konnte, sondern Erinnerung war – wesentliches Element der Apologie besonders des weimarischen Staates gegenüber einer auch im Kaiserreich nie verstummenden Kleinstaatenkritik bleiben.55 Für den Staat SachsenWeimar – dies unterscheidet das Verhältnis von Universität und Staat hier zentral
51 Vgl. u. a. Hartung, F., Großherzogtum Sachsen, 1923, 142; Wießner, H., Concilium Arctius, 1958, 492f.; Steinmetz, M., (Hg.), Geschichte, Bd. 1, 1958, 227 ff. 52 Müller, G., Regieren, 2006, 43. 53 Vgl. Kublik, S., Universität Jena, 2009, 39–67 (zur Visitation), 287–289. 54 Vgl. Schmidt, A., Prestige, 2005/06; Müller, G. „(...) Aussicht “, 2008; Knapp zusammengefaßt auch in Müller, G., Dauer, 2007; Schmidt, A., Macht, 2007; Vgl. auch Ries, K., Kultur, 2007. 55 Vgl. Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 400–411; am Beispiel der Finanzierungsdebatten 575–579, 582–589. Vgl. auch Gerber, S., Universität Jena, 2009, 23–46.
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von dem in größeren Territorien bzw. Staaten – war diese, „seine“ Universität zentrales Element eigener Überlebens- und Existenzsicherungsrationalität. Galt dies vor allem für Sachsen-Weimar-Eisenach, das im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer mehr in die Rolle des eigentlichen Universitätserhalters hineinwuchs56, so kommt es Kublik auch darauf an, den Weimar-zentrierten Blick der älteren Forschung, der auch heutige Sichtweisen noch immer mitbestimmt, vor allem in Richtung Sachsen-Gotha-Altenburg, aber auch Sachsen-Meiningen und Sachsen-Coburg-Saalfeld zu weiten. Zumindest Gotha, das sich aktiv an der Neuordnung der Jenaer Universität 1815 bis 1817 beteiligte, spielte, auch wenn sein universitätspolitisches Interesse deutlich hinter dem weimarischen Engagement zurückblieb, eine größere Rolle als es die Forschung bislang wahrgenommen hat. Die südthüringischen Herzogtümer fielen nicht nur wegen ihrer an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert äußerst prekären Finanzlage, sondern auch wegen der deutlich geringeren wirtschaftlichen Bedeutung der Universität Jena für die Territorien nur wenig ins Gewicht. Sachsen-Meiningen und SachsenCoburg-Saalfeld sollten 1817 von der unmittelbaren Beteiligung an den Jenaer Universitätsangelegenheiten zurücktreten und ihre Anteile auf Sachsen-GothaAltenburg übertragen, auch wenn jede der Linien Wert darauf legte, weiterhin zur hausrechtlich gesicherten Nutritorengemeinschaft zu gehören und jederzeit – so wie Meiningen und das verselbständigte Sachsen-Altenburg nach 1826 – in die aktive Mitberatung und Mitentscheidung über die Gesamtuniversität zurückkehren zu können.57 Das unterstreicht die über Prestigepolitik und öffentliche Kleinstaatenapologie hinausreichende staatsrechtliche Funktion der Jenaer Universität als Bindeglied des ernestinischen Herrschafts- und Staatsverbandes. Gerade die Universität Jena erweist sich somit für die zweite Hälfte des 17. und die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts als gut geeignet, am Beispiel einer mehr und mehr anstaltliche Züge gewinnenden, aber gleichwohl ihre ständisch-korporative Identität wahrenden universitären Körperschaft die Differenzierungen deutlich zu machen, die eine Beschreibung des Verhältnisses von staatlicher Herrschaft und gesellschaftlicher Organisation für diesen Zeitraum erfordert: Sie zeigt einmal mehr die begrenzte Reichweite einer am Paradigma von beständig wachsender Herrschaftsdichte und einer alle sozialen Bereiche einseitig durchdringenden staatlichen Gewalt orientierten Interpretation, macht aber gleichzeitig ebenso deutlich, daß Staat und Herrschaft selbst in kleinen, „mindermächtigen“ Territorien nicht nur „Aushandeln“ bedeutete, sondern durchaus von dem Willen zur Durchherrschung bestimmt war, der – wie Kublik in seiner Studie im Anschluß an Winfried Speitkamp betont – gesellschaftliche Kräfte mit der Förderung ihrer Entfaltung zugleich an den Staatszweck zu binden suchte.58 Wallentin und Kublik zeigen in ihren Studien auf, daß es Sachsen-Weimar und den übrigen Erhaltern oft 56 Vgl. ebd., 73–77. 57 Zur Rechtsgeschichte der Nutritorengemeinschaft vgl. auch die Erörterungen in: Schiedsspruch (...) vom 17. Mai 1916, 1916. 58 Vgl. Kublik, S., Universität Jena, 2009, 285; Vgl. den Bezugstext Speitkamp, W., Staat, 1990, besonders 552–554.
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nicht gelang, die staatliche Forcierung und Kontrolle der Normdurchsetzung zu effektivieren, daß aber universitäre Obstruktion und Berufung auf Observanz und „Herkommen“ sowie extensiv genutzte Spielräume bei der Umsetzung herrschaftlich-staatlicher Anordnungen nicht zu der anachronistischen Vorstellung einer „gleichberechtigten“ Interaktion von Herrschaft und Universitätskorporation führen dürfen. Auch der frühneuzeitliche Kleinstaat verfügte über Herrschaftsund Durchsetzungsressourcen, die der Universität – oder einer anderen Korporation innerhalb des Herrschafts- und Untertanenverbandes – nicht zu Gebote standen. Daß die Universität Jena im 17. und 18. Jahrhundert „den Ernst des Staates nie gekannt“ habe, wie Heinrich von Treitschke es in seiner „Deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert“ vom gesamten thüringischen Raum behauptete59, ist eine Projektion, die sich von einer macht- und zentralstaatlichen Perspektive nicht zu lösen vermag, der alle Formen zusammengesetzter Staatlichkeit oder kleinstaatlicher Organisation als historisch-politische Mißbildungen erscheinen müssen. Das wirksamste Mittel einer Effektivierung staatlicher Einflußnahme innerhalb der universitären Korporation allerdings vermochten die Jenaer Nutritoren im 17. und dem größten Teil des 18. Jahrhunderts in der Tat nicht durchzusetzen: Ein immediates herrschaftliches Kontrollorgan an der Universität in der Gestalt eines Direktors, Kanzlers „neuen Typs“, Intendanten oder Kurators, wie sie etwa die beiden Reformuniversitäten in Halle und Göttingen von Beginn an besaßen.60 Zu Beginn des 18. Jahrhunderts scheiterte, wie Stefan Wallentin dargestellt hat, der Plan der Universitätserhalter, einen Universitätskanzler „neuen Typs“, einen staatlichen Aufsichtsbeamten, mit der Kuratel zu beauftragen und damit, so die Klage der Korporation, das „Regiment einer einzigen Person extra corpus“ zu konstituieren, an der Besoldungsfrage.61 In den Jahren um 1800 stellte sich dies im Zuge der Goetheschen Universitätspolitik und neuer, im Zusammenhang der Konstitutionalisierung Sachsen-Weimar-Eisenachs stehender Universitätsreformpläne anders dar. Vor allem Gerhard Müller verweist in seinen Studien zu beiden Bereichen darauf, daß der 1801 zur Beilegung von Fakultätskonflikten und zur Bestandsaufnahme für eine Verfassungsreform der Salana zum Universitätskommissar der Nutritoren ernannte Gothaer Rat August Friedrich Carl von Ziegesar 1802 auf seinen eigenen Wunsch hin auf unbegrenzte Zeit mit einem umfassenden kommissarischen Auftrag für die akademischen Angelegenheiten ausgestattet und mit der Befugnis versehen wurde, gegenüber der Universität im Auftrag der Erhalter zu handeln, und schätzt ein: „Formalrechtlich kam seine Stellung damit der 59 Treitschke, H. v., Deutsche Geschichte, 1927, 388 f. 60 Zum Überblick über die Entwicklung des Kanzler- und Kuratorenamtes vgl. Sehling, E., Daniel von Superville, 1893; Bernhard, L., Selbstverwaltung, 1930; Kluge, A., UniversitätsSelbstverwaltung, 1958, 63–65; Boehm, L., Cancellarius Universitatis, 1996; dies., Verfassung, 1996; Gerber, S., „Art. ‚Kurator‘“, in: Jaeger, F. (Hg.), Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 7, 2008, Sp. 390–393. 61 Vgl. Stier, F., Geschichte, 1952 (MS). Zum Vorgang insgesamt vgl. Wallentin, S., Anstalten, 2007.
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eines Universitätskurators nahezu gleich“.62 Auch im Jenaer Krisenjahr 1803 und nach 1806 wurde immer wieder der Gedanke erwogen, einen „Kanzler“ für die Universität Jena zu ernennen. Der Vorschlag Wilhelm von Humboldts, Goethe mit diesem Amt zu betrauen, lag nahe63; auch im Vorfeld des Reformwerks von 1817 bot der Weimarer Großherzog Carl August dem Dichter und Inhaber der Oberaufsicht über die unmittelbaren großherzoglichen Wissenschafts- und Kunstanstalten in Weimar-Jena den – von diesem abgelehnten – Jenaer Kuratorenposten an.64 Tatsächlich bildete sich in den Jahren zwischen 1803 und 1806 ein System koordinierter Lenkung und Einflußnahme an der Universität heraus, das sich durch das Zusammenspiel Goethes mit dem im Weimarer Geheimen Consilium für die Jenaer Universitätsangelegenheiten verantwortlichen Christian Gottlob Voigt und dem Jenaer Professor der Beredsamkeit und Oberbibliothekar Heinrich Karl Abraham Eichstädt als, wie Müller formuliert, „informelle Universitätskuratel“ darstellte.65 Auch die 1817 zu Verhandlungsführern Weimars bzw. Gothas für die Neuordnung der Universität ernannten Räte Karl Friedrich Christian Anton Conta und Carl Ernst Adolph von Hoff wuchsen in die Rolle von Universitätskuratoren hinein, als im Mai 1817 auf ihr Drängen hin eine aus ihnen bestehende ständige weimarisch-gothaische Immediatkommission für die Universitätsangelegenheiten errichtet wurde – eine „Kuratelbehörde in nuce“.66 Diese blieb auch nach der Ernennung des ersten Regierungsbevollmächtigten und Kurators nach „Karlsbader Muster“, Philipp Wilhelm von Motz, bestehen und stellte einen Damm gegen die Expansionstendenz dar, die der Regierungsbevollmächtigte in der Universitätskuratel zeigte. In den fünfziger und sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts sollte dann die Entwicklung Moritz Seebecks zum „bevollmächtigten Kurator“67, dem Organ der Staatsaufsicht an der Universität, erneut eine gestaltende Rolle zwischen Universität und Staat ermöglichen. Die mißmutige Einschätzung des Jenaer Orientalisten Johann Gustav Stickel, Seebecks Kuratel sei „ein ganz persönliches Regiment“ und der Kurator „Autokrat bis in die kleinsten Dinge“ gewesen68, verweist indes darauf, daß auch die starke Kuratel in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht zwangsläufig direkten und konsequenten staatlichen Zugriff auf die Universität bedeutete: Seebeck, an dessen Person, Kommunikationsweise und individuellen Vernetzungen diese Form der Kuratel in einer für die kleinstaatlichen Verhältnisse charakteristischen Weise gekoppelt 62 63 64 65 66 67
Müller, G., Regieren, 2006, 452. Ebd., 545. Vgl. Stier, F., Geschichte, Bd. 1, 1952 (MS), 2; Müller, G., Regieren, 2006, 631. Ebd., 510–526 (mit einer Reihe von konkreten Beispielen für das Zusammenwirken). Müller, G., Regieren, 2006, 640. Zum Begriff des „bevollmächtigten Kurators“ vgl. Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 505 f. 68 Tagebucheintrag von Johann Gustav Stickel, 31. August 1877, in: ThULB Jena, Abteilung Handschriften und Sondersammlungen, Nachlaß Stickel 2, 7, 425v. Zum Verhältnis Stickels zu Seebeck vgl. Gerber, S., Universitätsverwaltung, 2004, 279, 304–306, 661. Insgesamt vgl. Heidemann, S., Theologie, 2008.
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blieb, verstand sich bei aller Loyalität Weimar und den übrigen Erhaltern gegenüber doch auch als Anwalt der Universität. Diese Überlegungen führen in die Mitte der Frage, welchen Weg Jena von der ständischen Korporation zur öffentlich-rechtlichen Körperschaft im konstitutionellen Staat beschritt. Die bestimmenden Faktoren dieses Weges, die Gerhard Müller 2006 in seiner grundlegenden Monographie zu Goethe und der Universität Jena – sicher das Hauptergebnis der universitätsgeschichtlichen Forschungen des Jenaer Sonderforschungsbereichs zum „Ereignis Weimar-Jena“ – bezeichnet hat, liegen in Goethes Wissenschaftspolitik besonders angesichts der Jenaer Universitätskrise 1803/04, die auf bereits zuvor entwickelte Vorstellungen zurückgriff, und in dem eng mit der frühkonstitutionellen Entwicklung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach verbundenen Versuch einer konstitutionellen Universitätsreform in den Jahren zwischen 1815 und 1819. War Goethes Einwirkung auf die Etablierung der Universität Jena als Zentrum des deutschen Idealismus im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts schon längere Zeit im Fokus der Forschung, wird nun immer deutlicher, daß die „bedeutendste hochschulpolitische Leistung“ Goethes in der „Schaffung eines für die Jenaer Verhältnisse spezifischen innovativen Strukturmodells“ bestand, „das trotz äußerst begrenzter finanzieller Spielräume ein außerordentlich hohes Maß an wissenschaftlicher Pluralität ermöglichte und die Chance bot, die sich herausbildenden neuen naturwissenschaftlichen Disziplinen an der Universität zu verankern.“69
Die Förderung von Extraordinarien, der Ausbau von an die Universität angelagerten, aber unter direkter Weimarer, d. h. Goethescher Aufsicht stehenden naturwissenschaftlich-medizinischen Sammlungen und Institutionen, die Gründung einer neuen „Jenaischen“ Allgemeinen Literaturzeitung als „Ersatz“ für die 1803 nach Halle abgewanderte „Allgemeine Literatur-Zeitung“ verdichteten sich, so Müllers zugespitzte Formulierung, zur Herausbildung eines „Goetheschen Wissenschaftskonzern[s]“70, der 1815 durch die Schaffung einer besonderen, von Goethe geleiteten Aufsichtsbehörde auch institutionell sichtbar wurde. Erst in den 1820er und 1830er Jahren sollte dieses Modell wissenschaftlicher Modernisierung als Teil eines konkreten Jenaer Weges der Universitätsreform, das von Goethes holistischem Wissenschaftsverständnis inspiriert war71, an seine Grenzen stoßen und zunehmender Reserve, ja positivistischer Kritik begegnen: Auch Jenaer Fachvertreter sahen die Zukunft ihrer Disziplinen nun nicht mehr in einer naturphilosophisch grundgelegten „Einheit“ der Forschung, die eine wesentliche geistige Grundlage der Organisationsform der „extraordinären Universität“ gebildet hatte, sondern in einer weiteren disziplinären Entfaltung und Spezialisierung. Dieses in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dominierende (Natur-)Wissenschaftsverständnis ließ die Frage, mit welchen Strategien eine finanziell nur schwach ausgestattete Universität den Erfordernissen der immer schneller 69 Müller, G., Regieren, 2006, 747. 70 Ebd., 751. 71 Vgl. dazu ebd., 751 f.
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voranschreitenden Wissenschaftsentwicklung genügen könne, für Jena wieder akut werden.72 Der vom Weimarer Großherzog nach 1815 betriebenen liberal-konstitutionellen und nationalen Politik, die auch eine Einbindung der Universität in den konstitutionellen Staat über eine in Kooperation mit dem ersten konstitutionellen Landtag nach der weimarischen Verfassung von 1816 durchgeführte Universitätsreform beinhaltete, stand Goethe aufgrund seiner politischen Überzeugungen, vor allem aber in Sorge um sein Jenaer Wissenschaftskonglomerat zunächst ablehnend gegenüber, schloß sich dann auf Druck des Großherzogs aber den Bestrebungen an.73 Die mit dem neuen Staatsvertrag zwischen Sachsen-Weimar-Eisenach und Sachsen-Gotha-Altenburg über die Unterhaltung der Universität von 1817 und mit der seit Anfang 1817 betriebenen konstitutionellen Statutenreform für die Universität Jena verknüpfte Reformpolitik ist – trotz ihrer zeitlichen Beschränkung und ihres schnellen Endes mit den „Karlsbader Beschlüssen“ von 1819 – ein bemerkenswertes Kapitel in der Geschichte des Verhältnisses von Universität und Staat um 1800 in Deutschland. Sie war zum einen, hier ganz dem oben skizzierten Trend der Zeit entsprechend, der Versuch, „die Universität aus einer privilegierten altständischen Korporation in eine staatliche Anstalt“ – genauer wohl eine öffentlich-rechtliche Körperschaft mit anstaltlichen Zügen – „umzuformen, mithin ihre Integration in die neue Staatlichkeit ohne Verlust der universitären Identität und Tradition zu bewirken.“74 Die Finanzverwaltung der Universität wurde der Korporation entzogen und damit stabil neugeordnet, Privilegien der universitären Rechtsprechung wurden abgebaut, aber die Binnenorganisation der Hochschule blieb – gerade weil sie als Voraussetzung der erwünschten Lehr- und Wissenschaftsfreiheit erschien – unangetastet. Schon dieser Aspekt hat für die Universitätsgeschichte der Zeit etwas durchaus paradigmatisches, weil in Jena, das im Gegensatz zu Halle, Göttingen und schließlich Berlin noch fest in der korporativen Universitätstradition des Alten Reiches verankert war, der in der damaligen Universitätslandschaft wohl konsequenteste Versuch einer evolutionären Umbildung zur öffentlich-rechtlichen Körperschaft anstaltlicher Prägung unternommen wurde. Zum anderen aber, und darin lag die politische Sprengkraft des Konzepts, sollte diese konstitutionelle Universität Institution einer politischsittlich-nationalen Wissenschaft und Erziehung sein – eine Vorstellung, die noch in der Formulierung der Universitätsstatuten von 1821 über den Zweck der Universität aufscheint, die trotz des Rückschlags von 1818/19 in dem Regelwerk verblieb und erst in der Revision von 1829 getilgt wurde. Aufgabe der Universität Jena, so hieß es in Paragraph 1, sei es nicht nur, Nachwuchs für den Staatsdienst bereitzustellen, sondern auch, über die Bewahrung und Verbreitung des Wahren, Schönen, Guten und Heiligen „in den Gang der geistigen, sittlichen, religiösen
72 Vgl. dazu zusammenfassend Gerber, S., Universität, 2008. 73 Vgl. ausführlich zu diesen Zusammenhängen Müller, G., Regieren, 594, 721. 74 Ebd., 699.
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und bürgerlichen Fortbildung des teutschen Volkes einzugreifen.“75 Die Formierung eines politischen Professorentums an der Universität Jena und damit die Konzentration von Impulsen frühliberaler Parteibildung im Umfeld der Hochschule, die Klaus Ries in einer umfassenden Monographie im Rahmen des Sonderforschungsbereichs untersucht hat, ordnet sich in dieses Universitätskonzept ein.76 Das originellste und zugleich gefahrenvollste Moment dieser konstitutionellen Universitätsreformpolitik stellte der Versuch Weimars dar, die 1815 in Jena begründete Burschenschaft „als legale, auf Verfassungsgesetzen und demokratischen Verfahrensregeln beruhende Studentenverbindung mit nationalpolitischem Anspruch“77 in die Jenaer Universitätsreform einzubeziehen. Er war an Überlegungen Goethes und Herders zur Förderung der Antiduellbewegung als einer offiziösen, Landsmannschaften und Orden „versittlichend“ entgegentretenden Studentenverbindung aus den 1780er Jahren angelehnt, was Goethe, vor allem wohl wegen der starken neu-nationalen Komponente der Burschenschaft nicht daran hinderte, dem neuerlichen Versuch einer „erlaubten“ Studentenverbindung in Jena mit Skepsis zu begegnen. Nicht zuletzt diese Verknüpfung, wie insgesamt das Ende der stärker reformorientierten Frühphase des Deutschen Bundes führte dazu78, daß die Radikalisierung einer aktivistischen Minderheit der burschenschaftlichen Bewegung, die im Attentat des Jenaer Studenten Karl Ludwig Sand auf August von Kotzebue ihren Ausdruck fand, und die auf diesen (willkommenen) Anlaß gestützten Reaktionen des Deutschen Bundes das Ende der konstitutionellen Universitätsreform in Jena mit sich brachten. An ein Ende gekommen war in dieser Situation, in der Weimar sich um Schadensbegrenzung bemühte und die für die Universität Jena, ja für das Großherzogtum existenzbedrohend erscheinen konnte, zunächst auch ein konsensuales, trotz aller herrschaftlich-administrativen Impulse der zurückliegenden Reformbemühungen auf Vereinbarung setzendes Politikmodell. Nun mußte auf eine sichtbar durchsetzungsfähige Administration der Hochschule gesetzt werden, um dem gefährlichen Vorwurf der Vormächte des Bundes begegnen zu können, der Kleinstaat werde des politischen Unruheherdes Universität alleine nicht Herr. Erst nachdem der Sturm überstanden war, konnte – was für eine nachhaltige Prägung der politischen Kultur spricht – an die politischen Aushandlungspraktiken der kleinstaatlichen Universitätspolitik neu angeknüpft werden. Anders als die erfolgreiche Anpassungs- und Anschlußleistung, die in der Wissenschaftspolitik über die „extraordinäre Universität“ gelang,
75 Vgl. Hauptstatut der Universität Jena, 5. Oktober 1821, in: UAJ A 25b. Vgl. auch die Hinweise in: Müller, G., Regieren., 2006, 720; Gerber, S., Universität Jena, 2009, 51 (Hier mit Vergleich zum Statut von 1907). 76 Vgl. Ries, K., Wort, 2007. 77 Müller, G., Regieren, 2006, 699. 78 Vgl. dazu u. a. Müller, J., Deutsche Bund, 2006, 1–8; Treichel, E., „Einleitung“, in: ders. (Bearb.), Entstehung, 2 Bde., 2000, XI–CXXXVII.
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blieb die politische Säule von „Jenas Modernisierungsweg“ 79 im frühen 19. Jahrhundert Fragment. Wirkungslos blieb sie indessen keineswegs. Zweifellos bedeutete die weimarische Strategie, aus der gescheiterten konstitutionellen Universitätsreform alle nach 1819 politisch noch irgend vertretbaren Elemente zu retten, die eine Einengung auf die Sicherung binnenkörperschaftlicher Rechte der Universität mit sich brachte, einen weitgehenden Verzicht auf direkte Politisierung der Hochschule. Aber sie war doch die Gewähr dafür, daß die Jenaer Universität nicht in eine bürokratisch strukturierte Bildungsbehörde umgewandelt wurde, sondern als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit anstaltlichen Zügen, die sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts weiter verstärken sollten, ein Eigenbewußtsein als selbstverwalteter Raum wissenschaftlicher Forschung und Lehre bewahren konnte. Wenn die Instruktion der Nutritoren für den ersten Regierungsbevollmächtigten der Jenaer Universität im Sinne des Karlsbader Universitätsgesetzes, Philipp Wilhelm von Motz, im Dezember 1819 betonte, es sei nicht zuletzt seine Aufgabe, „den Irrthum“ zu „vertilgen, daß die Universität nicht in dem Staate, sondern als Corporation neben dem Staate stehe und Privilegien habe, welche den Staatsdienst zum Gegenstande privatrechtlicher Erörterungen machen würden“80, so war damit zwar eindeutig die auch in Jena nun abgeschlossene Transformation von der ständischen Korporation zur Körperschaft öffentlichen Rechts bezeichnet, aber eben nicht die Schaffung einer immediaten Bildungsbehörde mit einer „bürokratischhierarchischen Leitungsstruktur“81, wie sie Motz vorschwebte. Vor allem bedeutete der Abschied vom Konzept einer konstitutionellen Universität in Jena ebenso wenig eine völlige politische Neutralisierung, wie die Durchsetzung eines nach „innen“, auf körperschaftliche Selbstverwaltung als Fundament wissenschaftlicher Freiheit gerichteten neuhumanistischen Universitätsideals an den übrigen Universitäten des Deutschen Bundes. Formulierungen wie die, Jenas Universität habe nach dem Erlaß der Statuten von 1821 „aufgehört ein politischer Faktor zu sein“82, sind aus der Perspektive der Reformpläne in der Phase zwischen 1815 und 1819 zwar zutreffend, könnten aber gleichzeitig zu dem Mißverständnis Anlaß geben, die deutsche Universität als öffentliche Körperschaft mit ihrer im weiteren Sinne neuhumanistischen Prägung sei im Fortgang des 19. Jahrhunderts zwar das „Erfolgsmodell der höheren Bildung“, aber „unpolitisch“ gewesen. Die Entwicklung der deutschen Universität bis über die Mitte des Jahrhunderts hinaus sollte indessen zeigen, daß auch der Bezug auf die Wissenschaftsfreiheit als Dreh- und Angelpunkt universitären Selbstverständnisses beträchtliches Politisierungs- und Konfliktpotential bot. Für die „politischen Professoren“ der 1830er bis 1860er Jahre war Lehrfreiheit der archimedische Punkt 79 Vgl. diese Formulierung in: Müller, G., Universität, 2001, 191–195. 80 Instruction für den Herrn Landes Direktions Präsidenten von Motz als außerordentlichen Bevollmächtigten bei der Universität Jena, Weimar, 7. Dezember 1819, in: UAJ A 288a, 1rv, hier 1v. Wiedergeben auch in: Deinhardt, K., Auswirkungen, 2001, (MS) 139–142. 81 Müller, G., Regieren, 2006, 746. 82 Ebd., 720.
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ihres öffentlichen Wirkens; sie mußte eine katalytische Wirkung auf politische und soziale Veränderungen ausüben.83 Mehr und mehr begriff das deutsche Bildungsbürgertum des Vormärz, der Reichsgründungszeit und noch des Kaiserreichs nach 1871 die Universität in der Gestalt, die sie nach 1815 gewonnen hatte, als seinen ureigenen Verwirklichungsraum und als ein Substitut für fehlende oder enge parlamentarisch-politische Betätigungsfelder – Universitäten wurden weiterhin als nationalpolitische Institutionen gesehen.84 Die Ambivalenzen einer Entwicklung, die mit der Effizienzsteigerung ständestaatlich eingehegter herrschaftlicher Universitätsaufsicht im 17. Jahrhundert begonnen und sich über die Verstärkung anstaltlicher Züge in der zum Teil regenerierten Universitätskorporation des 18. Jahrhunderts bis hin zur Universität als Körperschaft des öffentlichen Rechts unter staatlicher Aufsicht fortgesetzt hatte, wurden in Deutschland erst später deutlicher sichtbar: An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auf einem Gipfel ihrer wissenschaftlichen Leistungsfähigkeit und Anerkennung stehend, nahmen die deutschen Universitäten, stärker als es ihrem Selbstverständnis seit der Entstehung moderner Staatlichkeit jemals entsprochen hatte, eine „staatseinvernehmliche Haltung“ ein85, die auch die Ausprägung einer politischen „Untertanenmentalität“ in manchen Bereichen des Universitätswesens billigend in Kauf nahm, weil nur dieser Staat, der – in vielen Belangen zu Recht – bewunderte „Kulturstaat“86, in der Lage schien, die Möglichkeiten eines akademischen Meinungsstreits zu sichern, mit dessen Ergebnissen man sich nach wie vor handelnd nach außen, in die Gesellschaft, wenden wollte. Der monarchische „Machtstaat vor der Demokratie“ war den Universitäten des Kaiserreichs nicht nur Garant einer „machtgeschützten Innerlichkeit“, nicht nur Instrument eines imperialen Ausgreifens, sondern vor allem ein gesicherter Rahmen, innerhalb dessen man sich den Herausforderungen der politischen und sozialen Moderne stellen wollte.
83 Vgl. Siemann, W., Chancen, 1987. 84 Vgl. z. B. Langewiesche, D., Universität, 2008, hier 197 f. 85 Hammerstein, N., Forschungsgemeinschaft, 1999, 22. Vgl. auch ders., Universitätsidee, 2000, 177–191. 86 Vgl. Bruch, R. v., Kulturstaat, 1989.
Akademische Konstellationen um 1800 Zeitgenössische Wahrnehmungen der Universitäten Halle und Göttingen im Vergleich* Marian Füssel Die Zeit um 1800 bedeutete für die gesamte Gesellschaft wie auch für die meisten Hochschulen des Alten Reiches eine signifikante Umbruchsphase. Viele Universitäten wurden im Zuge der napoleonischen Herrschaftsübernahme geschlossen, andere stiegen zu neuer Bedeutung auf.1 Die dichte mitteldeutsche Universitätslandschaft zählte dabei mit Halle, Wittenberg, Jena, Leipzig, Erfurt, Helmstedt und Göttingen wohl zu den einflußreichsten kulturellen Räumen.2 Im folgenden soll die Aufmerksamkeit auf zwei Universitäten gerichtet werden, die als Inbegriffe akademischer Aufklärung gelten: Halle und Göttingen.3 Verkörpert die 1694 inaugurierte Universität Halle die Universität der Frühaufklärung, so steht die 1737 gegründete Universität Göttingen, die sich in vielem am Hallenser Vorbild orientierte, für die Hoch- und Spätaufklärung.4 Der Forschungsstand zu beiden Universitäten fällt jedoch deutlich ungleich aus. Während keine der beiden Speerspitzen der deutschen Aufklärungsuniversitäten über eine ausführlichere neuere Gesamtdarstellung verfügt, ist die Universität Göttingen im Gegensatz zu Halle in den letzten vierzig Jahren allerdings zum Gegenstand einer Vielzahl sozial-, kultur- und wissenschaftsgeschichtlicher Einzeluntersuchungen gemacht worden.5 Vergleichende Studien haben bezüglich der seit der Gründung Göttingens einsetzenden Konkurrenzsituation vor allem auf die ungleiche Finanzierung und den Wandel im Besucherprofil hingewiesen.6 Während Halles Etat bei rund 7.000 Talern festfuhr, begann Göttingen bereits mit 16.800 Talern.7 In der Ära von Christian Thomasius in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung blühte das Jurastudium in Halle und damit auch die Frequenz adliger Studenten dort, ab der * 1 2 3 4 5 6 7
Für Lektüre und Hinweise danke ich Steffen Hölscher (Göttingen). Als knappen Überblick vgl. zuletzt Weiß, D. J. Weiß, Universitätssterben, 2010. Blaschke, K. / Döring, D. (Hg.), Universitäten und Wissenschaften, 2004. Als Überblick vgl. Füssel, M., Akademische Aufklärung, 2010. Jerouschek, G. / Sames, Arno (Hg.), Aufklärung und Erneuerung, 1994; Walther, G., Ideal, 2001; aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive vgl. zuletzt Bödeker, H. E., Büttgen, P. und Espagne, M. (Hg.), Wissenschaft, 2008. Die jüngste Gesamtdarstellung zu Göttingen bleibt immer noch v. Selle, G., Georg- AugustUniversität, 1937, vgl. aber Hunger, U., Georgia Augusta, 2002; für Halle gilt das gleiche für Schrader, W., Universität Halle, 1894. McClelland, C. E., State, 1980, 35–57; Costas, I., Sozialstruktur, 1987; Saada, Göttingen, Göttingen 2008. Kathe, Geist, 1980, 14.
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Mitte des 18. Jahrhunderts verlagerte sich die Anziehungskraft dieser Fakultät jedoch an den Standort Göttingen. Halle wurde fortan zum Zentrum des Theologiestudiums, innerhalb dessen sich die Einschreibungen von 27% zu Beginn auf 67 % der Gesamtimmatrikulationen in den 1780er Jahren erweiterten.8 Rein sozialgeschichtlich betrachtet, fielen die Bilanzen sowohl im Bereich des ökonomischen als auch des symbolischen Kapitals von nun an eher zugunsten Göttingens aus, obwohl es am Ende des 18. Jahrhunderts in Halle wieder zu einem kurzzeitigen Anstieg der Jurastudenten kam. 1799 schrieben sich hier 357 Studenten ein und überflügelten damit die Theologen mit 321 Immatrikulationen.9 Doch an welchen Faktoren bemaß sich für die Zeitgenossen um 1800 die Qualität einer Hochschule? Was nahmen die Besucher der beiden Universitätsstädte jeweils von den Hochschulen wahr? Welches Selbstbild versuchten die beiden Mustergründungen der Aufklärung zu kommunizieren? Diesen Fragen soll anhand von Selbstzeugnissen von Studenten und Professoren, wie Reiseberichten, Briefen, Tagebüchern und Lebensbeschreibungen, nachgegangen werden, um daran unterschiedliche Formen akademischer Lebenswelten zu rekonstruieren.10 So konnten sich einem primär an wissenschaftlichen Einrichtungen orientierten Besucher andere Orte präsentieren als einem an studentischer Geselligkeitskultur interessierten Ordensbruder. Von den zeremoniellen Räumen akademischer Festlichkeiten bis hin zum alltäglichen Lehrbetrieb konstituierten sich unterschiedliche öffentliche Räume, welche die Sphäre des für die Mehrheit der Besucher Wahrnehmbaren ausmachten.11 Ein wichtiges Medium der Wahrnehmungssteuerung bildeten dabei Studienführer für die reichsweite Universitätslandschaft wie etwa die 1792 erschienenen „Vertrauten Briefe an alle edelgesinnte Jünglinge die auf Universitäten gehen wollen“ von Carl Heun.12 Der Vergleich geht dabei von der Grundannahme aus, daß sich das Profil und die Attraktivität einer Hochschule nicht einigen wenigen intellektuellen „Leuchttürmen“ verdankten, sondern einer spezifischen Konstellation von Akteuren, Praktiken und Institutionen.13 Als Teile der Konstellation werden dabei bewußt nicht nur Personen, sondern auch Artefakte und Strukturbedingungen einbezogen. Im folgenden wird in fünf Schritten vorgegangen, die sich an den inhaltlichen Schwerpunkten der Berichte orientieren: Nach einem Vergleich der Sozialstrukturen der beiden Universitätsstädte (I.) werden die jeweiligen Studentenkul8 Ebd., 97; zum Sozialprofil der Studenten vgl. auch Kathe, H., Studentenschaft, 2001. 9 Ders., „Regionale Bezüge“, 1997), 138. 10 Als Überblick über diese Quellengattung in der Universitätsgeschichte vgl. Füssel, M., Selbstzeugnisse, 2011 (im Druck); zu Halle vgl. Kertscher, H.-J., Blick, 2006, ders., Lebensbeschreibungen, 2007; als Quellenanthologie vgl. auch Piechocki, W. (Hg.), Halle, 1994. Zu Göttingen vgl. die Bibliographie von Sürig, E., Göttingen als Universitätsstadt 1987, 353–359 sowie die grundlegende Studie von Schwibbe, G., Wahrgenommen, 2002. 11 Zum Verhältnis von Universität und Öffentlichkeit vgl. Stichweh, R., Universität und Öffentlichkeit; Schwinges, R., (Hg.), Universität, 2008. 12 Heun, C., Briefe, 1792, Theil 2, zu Göttingen 74–82, zu Halle 94–101. 13 Konzeptionelle Anregungen entnehme ich Mulsow, M. / Stamm, M. (Hg.), 2005.
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turen gegenübergestellt (II.), gefolgt von der Lehr- und Vorlesungspraxis (III.), der akademischen Sammlungskultur (IV.) sowie schließlich den zeremoniellen Öffentlichkeiten beider Universitäten (V.). 1. Soziale Profile einer Universitätsstadt Halle und Göttingen zählen am Ende des 18. Jahrhunderts zu den klassischen Universitätsstädten des Alten Reiches, in denen die Universität zur Hauptlebensader der Stadt geworden war. Johann Georg Heinzmann schreibt etwa 1788 in einer Reisebeschreibung über den Besuch Halles: „Halle wäre ein nahrloser Ort, wenn die Universität nicht wäre. Das Bierbrauen, die Viehzucht und der Ackerbau in den Vorstädten, die Stärkemacherey, Salzsiederey und einige andere Manufakturen, die nicht ins Große gehen, würden nicht zureichen den Einwohnern Nahrung und Unterhalt zu geben, Das Geld, welches die Studenten aus ihren väterlichen Provinzen herziehen, muß dazukommen, und der Stadt und Lebhaftigkeit zu bringen.“14
So verwundert es wenig, daß die Professoren mit den Staatsbeamten zu den wohlhabenderen Bürgern Halles zählten.15 In seinen „Bemerkungen eines Akademikers über Halle“ von 1795 resümiert Christian Friedrich Bernhard Augustin: Unter den „verschiedenen Volksklassen […], welche die Bewohner von Halle bilden“, ist „die erste dieser Klassen […] in jeder Rücksicht die Universität. Dazu gehören die Professoren, Studenten, sämmtlichen Sprach- und Exercitienmeister, die Buchdrucker, Buchhändler, Buchbinder und von jedem Gewerke ein Meister.“16 Erst dann folgen der Stadtmagistrat, die Pfännerschaft, die französische Kolonie, das Militär und schließlich die Juden.17 Die Universität war nicht zuletzt in ökonomischer Hinsicht zu einem der zentralen Faktoren von Halles Gesellschaft geworden.18 Augustin summierte die Gelder, die in den hundert Jahren seit der Gründung der Universität durch sie nach Halle geflossen seien, auf insgesamt 24.833.333 Taler.19 Zu den ausführlichsten Beschreibungen der Göttinger Bevölkerung zählt Johann Georg Bärens „Kurze Nachricht von Göttingen“ von 1754, die deutlich macht, welche Schwierigkeiten, aber auch Chancen die Einrichtung einer Universität mit sich brachte: „Die Einwohner sind im Grunde ein rohes, ungehobeltes und unfreundliches Volck, die mit der größten Mühe von ihren ungeschlachten Sitten nicht abzubringen sind, wenn sie auch zu 14 Heinzmann, J. G. Beobachtungen, 1788, 363. Ganz ähnlich auch die „Bemerkungen eines Reisenden durch die königlich preußischen Staaten in Briefen“ bei Piechocki, Halle, 1994, 66 f. 15 Straubel, R., Kaufleute, 1995, 263 f. 16 Augustin, C. F. B., Bemerkungen, 1795, 26 f. 17 Ebd., 27 f. 18 Als Überblick über die Sozialgeschichte Halles im 18. Jahrhundert vgl. Freitag, W., Sicht, 2001. 19 Augustin, C. F. B., Bemerkungen, 1795, 59.
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Marian Füssel ihrer größten Schande gereichen sollten. […] Man muß erstaunen, wenn man Leute eine Beschreibung von Göttingen machen hört, die den Ort vor der Universität gesehen haben; denn ungeachtet eines blühenden Gymnasii illustris, einer Garnison von einem Bataillon Infanterie war er unbeschreiblich schmutzig, räucherig und die Einwohner so unumgänglich, dass sich die Officiers vor ungefeher 40 Jahren genöthiget sahen, ihren Tisch bey dem Scharfrichter zu nehmen.“20
Sowohl Halle wie Göttingen waren Garnisonsstädte.21 Konflikte zwischen Studenten und Soldaten waren daher gleichsam vorprogrammiert.22 Die Göttinger verstünden laut Bärens „keinen Handel, wollen ihn auch nicht lernen, und derjenige, der Bremen und Franckfuhrt gesehen hat, heißt schon ein vorzüglich gereister Kaufmann. Es kostete unsägliche Mühe ihnen begreiflich zu machen, dass die Universitaet ihnen einträglich wäre, und noch wollen es die wenigsten glauben. Sie haben einen unsäglichen Haß gegen alle Fremde, die sie um desto weniger vorher konnten kennen lernen, weil auch nicht einmahl eine Post bey ihnen angelegt war.“23
Aufschlußreich sind auch seine Ausführungen zu den Entwicklungen der ersten Jahrzehnte: „Die Göttinger sind also nunmehro zwar nicht mehr so hartleibig als vor 20 Jahren, allein sie sind darum weder höflicher noch reicher geworden. Denn die vornehmsten Tischwirthe, Wein- und Kaffe-Schenken, Handwerksleute und Kaufleute sind mehrenteils Fremde, die aber auch zum theil ziemlich Göttingische Sitten zu großem Schaden der Academie an sich genommen haben.“24
Die städtische Obrigkeit bestehe aus „dem Gerichtsschultzen, zweyen Bürgermeistern, zweyen Syndicis, etlichen Ratsherren und einem Secretario“, ferner gäbe es ein „Polizey-Collegio“.25 An Manufakturen werden die Grätzelsche, Scharfische und Funckische Tuch-Fabrik genannt, Künstler gebe es außer einem „Anatomischen und Botanischen Zeichner“ und ein paar „mittelmäßigen Mechanicis“ gar nicht, und die „übrigen Handwerker und Professionen kann man weder recht gut noch recht schlecht nennen.“26 Eine so detaillierte Einteilung der Göttinger Bevölkerung findet jedoch in den meisten Beschreibungen nicht statt, sie wird vielmehr aufgehoben in eine dichotomische Unterscheidung zwischen Universitätsangehörigen und dem gemeinem Volk, das meist mit allerlei abwertenden Etiketten gekennzeichnet wird.
20 Bärens, J. G., Nachricht, 1909, 58 f. Zur Sozialstruktur Göttingens im 18. und 19. Jahrhundert vgl. Sachse, W., Sozialstruktur, 1986; Ders., Göttingen, 1987; zum sozialen und kulturellen Profil der Sattelzeit vgl. Jeske, R., Leben, 1991. 21 Vgl. Fahrig, U., Soldaten, 1995; Pröve, R., Heer, 1995. 22 Brüdermann, S., Göttinger Studenten, 1990, 277–297. 23 Bärens, J. G. Nachricht, 1909, 59. 24 Ebd., 60. 25 Ebd., 62. 26 Ebd., 65 f.
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Zu den hervorstechenden Eigenschaften der Göttinger Professorenschaft gehörte laut dem „Universitätsbereiser“ Friedrich Gedike auch ein ausgeprägter „esprit de corps“: „Nirgends fand ich bei den Professoren soviel Vorliebe für ihre Universität als hier. Sie scheinen es als eine ausgemachte Sache vorauszusetzen, dass ihre Universität die erste und vorzüglichste unter allen in Deutschland sei, und sprechen daher häufig mit einer Art Geringschätzung oder Bedauern von andern Universitäten. Alle sind gleichsam trunken von dem stolzen Gefühl ihrer theils wirklichen, theils nur vorgeblichen oder eingebildeten Vorzüge.“27
Mit einem Begriff der modernen Wissenssoziologie könnte man auch von einer besonderen „Kompetenzdarstellungskompetenz“ der Göttinger Professoren sprechen.28 Sie versammeln nicht nur eine hohe Anzahl tatsächlicher Kompetenz, sondern sie kommunizieren und inszenieren ihre Kompetenz auch auf besonders erfolgreiche Weise, etwa in universitären Selbstdarstellungen und Studienführern wie Johann Stephan Pütters „Versuch einer akademischen Gelehrten-Geschichte“.29 Daß Göttingen im Vergleich mit Halle im Urteil der Zeitgenossen Ende des 18. Jahrhunderts vorne lag, zeigt eine Bemerkung Karl Philipp Moritz’ von 1792: „Der Ruf der Universitäten Göttingen und Halle ist entschieden, aber, wie mich dünkt, mit einiger Partheilichkeit für die Erstere.“30 Beide Städte sind mithin durch ihre Hochschulen sozial, kulturell und ökonomisch maßgeblich geprägt, obwohl es in Halle im Gegensatz zu Göttingen offenbar auch noch ein Leben jenseits der Universität gab. 2. Studentenkulturen Von vorrangigem Interesse vor allem für die studentischen Besucher Halles und Göttingens war der vorherrschende Lebensstil und Habitus der dortigen Studierenden.31 Eine besonders ausführliche Quelle sind die „Leben und Schicksale“ Friedrich Christian Laukhards, der Ende der 1770er und Anfang der 1780er Jahre an mehreren Universitäten des Reiches und unter anderen auch in Halle und Göt27 Fester, R. (Hg.), „Universitäts-Bereiser“, 1905, 13. Fast wortgleich drei Jahre später auch bei Moritz, K. P., Halle, Göttingen und Marburg. Moritz sieht den Grund für den Ruf Göttingens mehr „in dem Selbstgefühl der Professoren und in dem Einverständnisse derselben, sobald es auf ihnen und der Universität Ruhm ankömmt, als in wahren Verdiensten und Vorzügen hat. Die Göttinger handeln auf gut englisch in Corpore gegen alles Fremde und Auswärtige, und rühmen sich untereinander bei allen Gelegenheiten. Die Macht eines solchen Esprit de corps ist bekannt genug, und das Sprichwort, audaces fortuna juvat, gilt von Gesellschaften, wie von einzelnen Menschen“, ebd. 38. 28 Vgl. Pfadenhauer, M., Professionalität, 2005. 29 Pütter, J. S., Gelehrten-Geschichte, 1765, 1788, 1820, 1838. 30 Moritz, K. P., Halle, 1908, 36. 31 Zu Halle vgl. Kathe, H., Studentenschaft zur Zeit Friedrichs des Großen 1740–1786“, 2001, Zaunstöck, H., Brautnacht, 2006, Kertscher, H. J., Studentenleben, 2007; zu Göttingen vgl. Kühn, H.-M., Studentisches Leben; Costas, I., Sozialstruktur, 1987; Brüdermann, S., Göttinger Studenten, 1990.
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tingen studierte.32 Laukhard handelt unter dem Namen der jeweiligen Universitätsstadt einen ganzen Katalog von Themen ab, die sich weitgehend mit dem anderer Universitätsbeschreibungen decken: Nach einem Überblick über die akademischen Lehrer werden der Komment der Studenten, ihre Trink- und Konsumgewohnheiten, ihre Gewaltkultur, ihr Studierstil, ihre Sprache und Kleidung abgehandelt, sowie zentrale Institutionen der studentischen Vergnügung, wie u. a. die umliegenden Dörfer, Wirtshäuser und Orte der Prostitution gekennzeichnet. Laukhards Beschreibungen bedienen sich zudem stets einer vergleichenden Perspektive, die den Zustand des jeweiligen Hochschulstandorts stets mit anderen Orten in Beziehung setzt. Gleich zu Beginn seiner Beschreibung des „hallischen Komments“ geht er auf die ökonomischen Wurzeln unterschiedlicher Studentenkulturen ein: „Wer draussen Geld hat und liberal erzogen ist, läuft nach Göttingen, Jena oder Erlangen; wer aber keins hat, kommt nach Halle, um sich da ans Waisenhaus zu halten, und so seine Brotstudien durchzulaufen“.33 Vergleiche der Lebenshaltungskosten der Studierenden im 18. Jahrhundert zeigen eine deutliche Differenz zwischen Halle und Göttingen auf, welche die geschilderten Wahrnehmungen bestätigen: Setzte man für ein Studienjahr in Halle durchschnittlich rund 200 Reichstaler an, so betrugen die Kosten in Göttingen zwischen 300 und 400 Reichstaler.34 Auffällig ist jedoch trotz aller Stereotype, daß Laukhard sich auch bemüht, historische Wandlungen und Abweichungen vom Klischee kenntlich zu machen. So berichtet er etwa über die Frömmigkeit der Hallenser: „Daß die Hallenser von der Stiftung der Universität an, bis ohngefähr auf die Zeiten des siebenjährigen Krieges Frömmlinge gewesen sind, ist allerdings wahr, und daß der bösartige Einfluß dieses frömmlichen Wesens sich von da aus weit und breit ausgedehnt hat, ist auch wahr. Allein wer noch jetzt über Hyperdulie der Hallenser klagen wollte, würde ihnen wahrlich zu viel thun. Seitdem ich die Studenten in Halle kenne, waren sie zwar keine Atheisten, aber auch keine pietistischen Kopfhänger. […] Unter Friedrichs des Großen Regierung fiel diese Frömmelei in die verdiente Verachtung. Die Singereien, die Stuben und Betstunden und andere sogenannten Andachtsübungen wurden als Fratzen und Possen ansehen, woran nur ein Schwindelkopf und Heuchler Gefallen finden könnte.“35
Die pietistische Frömmigkeit scheint vielmehr in einer soliden Arbeitsmoral aufgegangen zu sein, die den Ruf als Aufklärungsuniversität befestigte: 32 Laukhard, F. C., Leben, 1792. Zu Laukhard vgl. Weiß, C., Laukhard, 1992. Einen Überblick über die umfangreiche Forschungsliteratur gibt die kommentierte Bibliographie ebd., Bd. II, 129–154. 33 Laukhard, F. C., Leben, 1792, Bd. 1. Theil 2, 105. Zu Laukhard in Halle vgl. Kertscher, H.-J., Laukhard, 2007. 34 Bosse, H., Studien- und Lebenshaltungskosten 1995, 154 f. 35 Laukhard, F. C., Leben, 1792, Bd. 1. Theil 2, 125 ff. Ganz ähnlich urteilt wenige Jahre später Heinzmann: „Der Ton der hiesigen Studenten hat sich auch seit vier oder fünf Jahren sehr zu seinem Vortheile verändert. Jetzt sieht man sie anständig und selbst modisch gekleidet, und sie haben die schwarzgraue Ueberröcke und unermesslichen Stiefel abgelegt, die sie sonst vor allen Studenten auf den deutschen Universitäten so sehr auszeichneten.“ Heinzmann, J. G., Beobachtungen, 1788, 364.
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„An Fleiß lassen es die Hallenser nicht fehlen – im Allgemeinen, versteht sich […] In Gießen und Jena sind freilich die Bursche auch nicht faul; aber den Hallensern kommen sie im Eifer zu studiren nicht gleich.“36
Als sich Laukhard bei seinem Kommilitonen Sturm über den Komment der Göttinger Studenten erkundigt, bekommt er folgende wütende Antwort: „Schofel Bruder, sehr schofel! Die Kerls wissen dir den Teufel, was Komment ist: halten ihre Kommerse in Wein und Punsch, saufen ihren Schnaps aus lumpigen Matiergläsern, lassen sich alle Tage frisiren, schmieren sich mit wohlriechender Pommade und Eau de Lavende, ziehn seidne Strümpfe an, gehen fleissig ins Conzert zum Professor Gatterer, küssen den Menschern die Pfoten; kurz Bruder Herz, der Komment ist hier schofel!“.37
Laukhard entgegnet „Hör Bruder, so viel an uns ist, müssen wir den Komment wieder herstellen, oder gar einführen à la Jena.“38 Auch v. Greyerz etwa mißt 1799 die Göttinger an dem Maßstab der Jenenser Studenten: „Die hiesigen Pursche sind im ganzen genommen weit gesitteter als z. B. die Jenenser, Heidelberger u.s.w., aber so wie diese zu roh sind, so sind die hiesigen zu steif, frostig und kalt und haben sozusagen nichts von dem fidelen der anderen; daher man sich einander gar nicht kennt und unbekümmert jeder seinen Weg gehen lässt, ohne zu fragen: wer ist der? Was studiert dieser? Ich glaube, man könnte ½ Jahr lang in einem Collegium neben einem Landsmann sitzen, ohne es zu wissen. Es ist so wie in großen Städten, wo jeder ganz unbemerkt lebt und von niemandem gesehen wird. Von Bruderschaften, Orden usw. die in Jena und anderen Orten so häufig sich bilden, hört man hier wenig, man ist auch immer, wenn Studenten von Jena hierher kommen, wieder sie eingenommen, weil es meistens verjagte Ordensbrüder sind, welches besonders in diesem Cours der Fall war, wo wenigstens 60 Jenaer hierher kamen.“39
Ein Beispiel für jene vertriebenen Ordensbrüder ist Carl von Düring, der 1791 in Jena Mitglied der Konstantisten wurde und ein Jahr darauf nach studentischen Unruhen nach Göttingen wechselte.40 In Göttingen bezog er seine Wohnung in einem Haus, in dem bereits mehrere Mitglieder des Ordens wohnten. Der gesamte Bericht über seine Studienzeit ist vom burschenmäßigen Lebensstil geprägt: ausführlich werden Kneipen, Frauen, Duelle, studentische Vergnügungen und Konsumgewohnheiten behandelt, die von ihm besuchten Collegien jedoch nur in einem Nebensatz. Besonders bezeichnend für die Göttinger Verknüpfung studentischer Devianz mit moderner Arbeitsethik ist dabei folgende Episode aus Dürings Studienzeit 1792: Als er sich vor die Wahl gestellt sah, entweder seine Strafe zu bezahlen oder in den Karzer zu gehen, erklärt er dem Pedell: „ ,Geld habe ich nicht und auf das Karzer könnte ich nicht gehen, ohne die Collegia bey Pütter, Böhmer, Klapproth, Meister etc. zu versäumen‘, worauf selbiger mit dem Bescheide zurückkehrte, dass ich, wenn ich des Abends aufs Karzer gehe, des anderen Morgen zeitig
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Laukhard, F. C., Leben, 1792, Bd. 1. Theil 2, 127. Zur Wahrnehmung der Studentenmode vgl. auch Schwibbe, Wahrgenommen, 2002, 254–269. Laukhard, F. C., Leben, 1792, Bd. 1, Theil 1, 255. Gresky, W. (Bearb.), Göttingen-Schilderung, 1982, 188. Stadtmüller, F. (Bearb.), Erinnerungen, 1968. Zu den Konstantisten Klinger, A., Elite, 2004.
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Marian Füssel wieder entlassen werden sollte. Dies nahm ich an, ließ von meinem Besen41 etwas Bettzeug, ein Licht und eine Flasche Bier dahin bringen, stärkte mich beim Conditor Conradi und ging mit einem Buche abends 9 Uhr aufs Karzer, wurde morgens 7 Uhr entlassen.“42
Fast alle Berichte über Göttingens Studenten bemerken ihren guten Ton, als dessen Ursache ihre soziale Zusammensetzung ausgemacht wurde. So etwa Gedike, der 1789 in aller Deutlichkeit schreibt: „Die Universität Göttingen hat übrigens den allgemeinen Ruf, dass ihre Studenten gesitteter sind, als auf den andern Universitäten. Dies ist in gewisser Rücksicht allerdings sehr wahr, und auch sehr begreiflich, da hier wegen der größern Theurung verhältnismäßig wenig arme Studenten sind, als auf andern Universitäten. Vielmehr hat keine Universität soviel Söhne wohlhabender, vornehmer und reicher Eltern, bei denen man in der Regel eine feinere Erziehung und mehr äußere gute Conduiten voraussetzen kann. Die größere Zahl gibt auf jeder Universität den Ton an. Hier aber ist die Zahl der reichern die größere, wie schon daraus abzunehmen, dass die Zahl der Juristen verhältnismäßig weit größer gewesen als die der Theologen.“43
Hier kommt demnach mit aller Deutlichkeit die soziale Dimension der Schwerpunktbildung des Jurastudiums in Göttingen zur Sprache. Dennoch gelingt die Göttinger Conduite offenbar nicht ganz ohne äußere Zwänge, wie etwa eine Sperrstunde in den Wirtshäusern um 10 Uhr abends, was Mackensen 1791 zu einem Kommentar über den „beständige[n] Streit jugendlicher Munterkeit mit einer gewissen Art lächerlicher Etiquette“ veranlaßt, die jener „gerade zuwider“ sei und dem „Göttinger Burschen das air von Steifheit“ gebe „das man fälschlich für Wohlerzogenheit“ hielte.44 „Eben so könnte man den wohlgewachsen nennen, den eine Schnürbrust zwingt, geradeauf zu gehen.“ Am Ende seiner Schrift mahnt Mackensen jeden, „dem es nicht recht Ernst ist, fleißig zu seyn“, von Göttingen wegzubleiben.45 Der Studienführer von Carl Heun bietet entsprechende Wahrnehmungsmuster explizit an, wenn er über den Göttinger Ton berichtet: „Der Ton des Göttinger Burschen ist nach den Bemerkungen mehrerer Beobachter spröde, kalt und zurückhaltend. In der Auswahl der Kleidung herrscht Geschmack und Pracht, und in der Hauptsache, im Studiren, so viel man von 800 Jünglingen im Durchschnitte allgemeines sagen kann, Fleiß und innere Betriebsamkeit.“46
Eine in vielen Berichten beschriebene Besonderheit der Göttinger Studentenkultur scheint ihr enger geselliger Umgang mit den Professoren gewesen zu sein, die dem einen als Belastung, dem anderen als unbedingter Vorteil erschien.47 Lauk41 „Besen“ bezeichnete in der zeitgenössischen Studentensprache eine Aufwärterin oder Dienstmagd, vgl. Wagener, S., Pedelle, 1996, 41 f. 42 Stadtmüller, Erinnerungen, 1968, 128. 43 Fester, Gedike, 1905, 33 f. Ganz ähnlich die Briefe eines Schweizer Studenten von 1791 bei Ebel, Briefe, 1813, 44. 44 Mackensen, W. F. A., Letztes Wort, 1791 (ND Göttingen 1987), 13. 45 Ebd., 97. 46 Heun, Briefe, Theil 2, 1792, 79. 47 Euphorisch gepriesen wird der gesellige Umgang mit den Professoren bei Wallis, L., Studenten, 1981, 10 f.
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hard etwa tritt aus materiellen wie symbolischen Kostengründen für mehr Distanz zwischen beiden ein: „Da es hier nicht selten geschieht, dass Professoren die Studenten auf ihren Stuben besuchen; so gehört es auch zum guten Ton, dergleichen Herren dann und wann zu sich zu bitten, und sich in große Unkosten zu stecken. Ich halte nichts davon, wenn Professores die Studenten in ihrer Wohnung heimsuchen. Wollen sie Umgang mit ihnen haben; so sey es an einem dritten Ort. Der Professor verliert nach und nach sein Ansehen, und der Student macht sich schwere unnütze Kosten. Am besten ist es, wenn beide in einer gewissen Entfernung von einander bleiben.“48
Karl Philipp Moritz kommentiert die Praxis des sonntäglichen Professorenbesuchs wiederum im Vergleich mit Halle: „Der gerühmte Umgang mit den Professoren besteht in einer sogenannten Cour, welche die Studenten Sonntags frühe machen. Die Frau Professorin und Demoiselles Töchter sitzen bei derselben gewöhnlich auf dem Sopha; der Herr Professor und die Studenten stehen darneben. […] Diese Couren abgerechnet giebt es in Halle mehr Gelegenheit, gute Gesellschaften zu besuchen, als in Göttingen, weil dort mehr zur Universität nicht gehörende Honoratioren und reiche Kaufleute leben, als hier.“49
Eingebettet in einen umfassenderen Zivilisierungs- und Disziplinierungsprozess der deutschen Studentenschaft in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurden Halle und Göttingen zu Leitbildern eines neuen studentischen Lebensstils, der die altständische Kultur der Devianz zunehmend transformierte.50 Gerade die Selbstzeugnisse dokumentieren dabei den beschleunigten Wandel studentischer Kultur innerhalb der Sattelzeit. Während man um 1785 noch von Halle berichtete, wie sich der theologische Habitus langsam auflöste und die Studenten allmählich den Anschluß an ihre weltzugewandteren Kommilitonen fanden, ist die Situation um 1805 bereits eine gänzlich andere: Die Hallenser „Burschenkultur“ scheint sich kaum mehr von der anderer Städte zu unterscheiden.51 3. Lehrer und Lehrpraxis: Vorlesungen Da das eigentliche Geschäft einer Universität in der Lehre gesehen wurde, verwundert es nicht, daß diese einen der zentralen Beobachtungspunkte von Besuchern und Studenten bot.52 Neben professionellen „Universitätsbereisern“, wie Christoph Friedrich Rinck (1783/84) oder Friedrich Gedike (1789), die als fürstliche „headhunter“ unterwegs waren, berichten auch die meisten normalen Besu-
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Laukhard, F. C., Leben, Bd. 1, Theil 1, 263. Moritz, K. P., Halle, 49; vgl. auch Brüdermann, S., Göttinger Studenten, 1990, 160–162. Hardtwig, W., Sozialverhalten, 1986); ders., Zivilisierung, 1994. Vgl. etwa den Bericht in Eichendorffs Tagebüchern von 1805 bei Piechocki, W., Halle, 1994, 108 ff. 52 Vgl. allg. die anregenden Beobachtungen zur akademischen Lehrpraxis im 18. Jahrhundert bei Clark, W., Academic Charisma, 2006, 68–92 u. 398–413.
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cher mehr oder weniger ausführlich von ihren Erfahrungen in den Vorlesungen.53 Rinck berichtet aus Halle vor allem über die gut gefüllte Vorlesung Karl Friedrich Bahrdts: „Hörte, dass um 6 D. Bahrdt läse – ich gieng in das Colleg. Es war gesteckt voll, gegen 130. Einige waren so höfflich, mir einen Stul anzubieten zunächst beym Katheder.“54 Ein Student aus Greifswald berichtet um 1792 über sein Studium in Halle bei Ludwig Heinrich Jacob ganz ähnlich: „Unter allen Docenten hat aber der liebenswürdige Jacob den meisten Beifall; er ist Philosoph und sein Auditorium ist zu enge; man steht oft bis zum Catheder dicht gedrängt und neulich wurden etliche schwächliche Studenten davon ohnmächtig. Er sah sich also genöthigt, auf der sogenannten ‚Stadtwaage‘, in einem der größten Auditorien, wo ehedem die berühmten Männer Thomasius und Wolff lasen, auch zu lesen. Hier athmet man nun freier, aber man sitzt nicht bequemer; jeder Student der so viel Geld hat, um so nahe als möglich am Catheder zu sitzen, lässt sich seinen Platz ‚beschlagen‘, ich habe für den meinigen 16 Groschen an den Fiscal bezahlen müssen.“55
Der Bericht des Greifswalders kann als typisch für die damalige Hörersituation gelten. Überfüllte Hörsäle sind uns aus der modernen Massenuniversität sicher nichts Unbekanntes. Für den 1784 Halle besuchenden Johann Christoph Heinzmann liegt der Grund der Überfüllung in den marktförmigen Mechanismen der freien Lektionswahl, denn so würden die meisten Studenten den Dozenten am liebsten hören, der am schnellsten lese, damit eher fertig werde und mehr Ferienzeit lasse: „Auf diese Weise sind zu Halle die Hörsäle der ältern und verdienstvoller Professoren leer, und die Auditoria der jüngern, die sich den ganzen Nutzen eines rasch abgelesenen Kollegiums gemerkt haben, sind so voll das kein Platz ist.“56 Auch der Sitzplatz in der Vorlesung besaß jedoch im 18. Jahrhundert eine andere soziale Qualität als in der Moderne. Nicht nur, daß hier noch einmal besondere Kosten anfielen, die damit verbundenen Be-Sitz-Ansprüche konnten zu handfesten Sessions-Streitigkeiten unter Studierenden Anlaß geben, wie sie uns unter anderem aus dem Königsberger Hörsaal Immanuel Kants überliefert sind.57 Aus Göttingen wird im Jahr 1754 über die studierenden Grafen berichtet: „In Collegiis sitzen sie mit ihren Hofmeistern an besonderen Tischen auf beschlagenen Stühlen, wofür sie aber doppelt bezahlen.“58 Auch Rinck beobachtet 1784: „In den Collegiis ist ein besonderer Tisch für die Graven, ganz nahe beym Professor, davor zalen sie auch alle Collegia doppelt, ein Prinz zalt 4fach.“59 Johann Stephan Pütter beschreibt die Hörsaalsituation 1788 indes wie folgt: „Die meisten Lehrer haben ihre Hörsääle so eingerichtet, dass die Zuhörer Pulte vor sich haben, auf denen sie bequem schreiben können. Auf den Pulten sind die Plätze mit Ziffern be53 54 55 56 57 58 59
Rinck, C. F., Studienreise, 1897; Fester, R., Gedike, 1905. Rinck, C. F., Studienreise, 1897, 103. Unruh, Th., Studentenbriefe, 1892, 409. Heinzmann, J. G., Beobachtungen, 1788, 367 f. Vgl. Koeppen, H., Auseinandersetzung, 1972, 9–11. Bärens, J. G., Nachricht, 1909, 109. Rinck, C. F., Studienreise, 1897, 196.
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merkt, worauf ein jeder Zuhörer, indem er das Honorarium pränumerirt, ein Billet bekömmt. Unvermögenden macht nicht leicht ein Lehrer Schwierigkeit, das Honorarium zu erlassen“60
Über die Göttinger Lehrpraxis berichtet der Finne Henrik Gabriel Porthan 1779: „Die hiesige Akademie steht im höchsten Flor, hat tüchtige Lehrer und zählt ungefähr 900 Studenten. Man ist außerordentlich fleißig. Von 7 Uhr morgens bis 8 Uhr abends werden täglich Kollegien gehalten, ausgenommen am Sonntag und am Sonnabend nachmittag; und sogar dann lesen einige. Sobald es voll geschlagen hat, sind alles Strassen voll von Studenten. Während der Vorlesungen dagegen sieht man nicht viele herumbummeln. Die Faulenzer spielen und saufen auf ihren Stuben. Ich habe verschiedene Vorlesungen gehört. Es ist nämlich erlaubt, auch die Privatkollegien ein paar Mal frei und unentgeltlich zu besuchen, was man hier hospitieren nennt. Auf diese Weise sollen sich die Studenten darüber klar werden, wessen Kollegien am meisten nach ihrem Geschmack sind; und zwar genießen besonders Neuankömmlinge dieses Privilegium. […] Publica werden nicht gerade mit besonderem Eifer gehalten; einige lesen wöchentlich 2, andere 3 bis 4 Stunden publice, niemals jedoch in der Akademie selbst. Ferien gibt es fast gar nicht, höchstens 14 Tage; aber auch dann liest ein Teil der Professoren.“61
Ein ähnliches Bild ergibt sich auch aus dem Reisebericht Jonas Apelbalds (17171786) sieben Jahre später. Über die Vorlesungen notiert der Schwede: „Bey den Vorlesungen herrscht kein Zwang; ein jeder kommt hervor mit dem, was er kann, oder wozu er Lust hat, und wer am besten arbeitet, erhält die beste Bezahlung und den besten Beyfall. Nacheiferung nähret Geschicklichkeit; Monopolien nähren Faulheit, Einschläferung und Nachlässigkeit. So denkt man hier, und in Folge davon, lieset ein Lehrer griechische und lateinische Eloquenz, Metaphysik und Logik; ein anderer treibt zusammen morgenländische Sprachen und Mathematik; ein anderer Mathematik, Digesten und Jus Civile; ein anderer Metaphysik, Moral und Jus feudale; ein anderer Geographie, Theologie und Erziehungskunst u.s.f. Die Vorlesungen werden Jahr aus und ein, ohne Aufschub fortgesetzt, so dass auch während des Marktes unausgesetzt gelesen wird. Auf Ostern und Michaelis sind wohl 14 Tage Ferien; doch wird auch diese Zeit zur Endigung unvollendeter Collegien und anderer Art Unterricht angewendet.“62
Bei dem ungarischen Studenten Sámuel Fogarasi wird weitere zehn Jahre später 1796/97 die ganze Stadt zu einem großen Lehr-Raum: „Kurtzgesagt: Man kann sich diese nicht allzu große Stadt mit ihren 12.000 Einwohnern wie ein großes Collegium vorstellen, wo fast in jedem Haus Lehrer und Schüler wohnen und beim Stundenschlag aus den Häusern strömen oder hineingehen.“ 63
Hinsichtlich des Fleißes genossen die Studierenden Halles und Göttingens jedoch offenbar denselben Ruf, folgen wir dem Vergleich Karl Philipp Moritz’: „BrodtWissenschaften werden auf Beiden gut, in Halle doch vielleicht besser vorgetragen, und die Studenten beider Orte gehören noch zu den fleissigsten mir bekann60 Pütter, J. S., Gelehrten-Geschichte, Theil 2, 1788, 314. 61 Schmeidler, M.-E., Porthan, 1968, 171 f. sowie Arnheim, F., (Hg.), Göttinger Studenten und Professoren, 1903), 15; zur Disziplin in den Kollegien vgl. Brüdermann, S., Göttinger Studenten, 1990, 155–157. 62 Bernoulli, H., Jonas Apelblad's Beschreibung seiner Reise, 1785, 316. 63 Futáky, I. (Hg.), Selige Tage, 1991, 17.
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ten Universitäts-Bürgern.“64 Warum trotz des Hallenser Fleißes die Göttinger bessere Ergebnisse erzielen, deutet sich unter anderem bei Laukhard an. So würden die Hallenser Professoren ihre Wissenschaften nach „Dictaten“ lesen, und dies sei „allemal verfänglich“: „Warum lassen die Herren kein Kompendium drucken, oder warum nehmen sei nicht schon gedruckte Kompendien zum Leitfaden ihrer Vorlesungen? Man bedenke die Zeit, welche mit dem Dictiren der Paragraphen hingebracht wird, – wie fehlerhaft selbst diese Paragraphen aufgeschrieben werden: und man wird finden, daß die Kuratoren der göttingischen Universität recht hatten, da sie den Professoren befahlen, nur über gedruckte Compendien zu lesen.“65
Es waren mithin auch die akademischen Aufschreibesysteme, die als „little tools of knowledge“ den universitären Lehrbetrieb beflügelten und modernisierten.66 So erfahren wir etwa bei Pütter 1788: „Doch wird auch darin jedem seine Freiheit gelassen, ob und was er nachschreiben will. Weder Ablesen noch Dictiren, nur ein freyer mündlicher Vortrag findet Beyfall. Vorlesungen (praelectiones), wie ehedem vielleicht in ihrem wahren Wortverstande auf manchen hohen Schulen üblich gewesen, sollte man billig unsere academische Lehrvorträge nicht mehr nennen.“67
4. Materielle Konstellationen: akademische Sammlungen und Infrastrukturen Die ältere Ansicht, wissenschaftliche Forschung habe sich im 18. Jahrhundert nicht an den Universitäten, sondern in erster Linie an den Akademien abgespielt, ist in jüngerer Zeit deutlich relativiert worden. So weisen gerade die Aufklärungsuniversitäten Halle und Göttingen eine Vielzahl von Einrichtungen auf, die den Weg zur modernen Forschungsuniversität bahnten. Für Halle erwähnt Heuns Studienführer von 1792 u. a. die Bibliothek, die Münzsammlung, Bibliothek und Museum des Waisenhauses, die Anatomie, das astronomische Observatorium, den botanischen und den ökonomischen Garten, das Hebammeninstitut und das „Kollegium Clinico-Chirurgicum“, das „königliche Pädagogium“ oder das theologische und philologische Seminar. Stärker noch als in Halle wird in Göttingen der städtische Raum vollständig von der Universität dominiert. Der Schweizer Student Gottlieb von Greyerz schreibt 1799: „Von öffentlichen Anstalten, die ohne Rücksicht auf die Universität da wären, lässt sich wenig sprechen. Für die weibliche Bildung des Bürgerstandes ist kein Institut, für die Armen keine so wohltätige Armenanstalt, kurz von vielen nicht die Rede, das man sonst antrifft.“68 Ausführ64 65 66 67 68
Moritz, K. P., Halle, 1908, 38. Laukhard, F. C., Leben, Band 1, Theil 2, 1792 128. Clark, W., Academic Charisma, 2006, 84–88. Pütter, J. S., Gelehrten-Geschichte, Theil 2, 1788, 314. Gresky, W. (Bearb.), Göttingen-Schilderung, 1982, 190.
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lich erwähnt v. Greyerz dann aber das Accouchierhaus, das ihn sehr beeindruckt.69 Nach der Entbindungsklinik findet lediglich noch eine Lesegesellschaft Erwähnung: „Eine andere Anstalt, die zwar mehr um der Studierenden als des gemeinen Besten da ist, ist eine Lesegesellschaft, die zwar nichts Besonderes, aber doch sehr interessant und nützlich ist, und die von Herrn Professor Canzler (ein gelehrter Cameraliste) unternommen und angelegt ist, und wo man sozusagen alle möglichen Journale und Zeitungen aller Art gegen 80 bis 100 an der Zahl zu lesen hat, und wohin man nach Belieben zu allen Stunden des Tages hingehen kann. Man erlegt dafür jährlich einen Louisdor. Von den Journalen bekommt man keine nach Hause. Nur von der damit verbundenen Bibliothek kann man diesen Nutzen ziehen. Solcher Leseinstitute sind zwar mehrere, aber das von Canzler ist das vorzüglichste.“70
Für die öffentliche Wahrnehmung der Universität als Institution und Ort des Wissens war vor allem die Göttinger Universitätsbibliothek bedeutsam, die unzählige Lobeshymnen der Zeitgenossen motivierte.71 Von zentraler wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung waren ferner vor allem die akademischen Sammlungen jenseits der Bücher, die häufig in räumlicher Nähe der Bibliotheken entstanden.72 In Halle war es die Kunstkammer des Waisenhauses, welche die Besucher beeindruckte.73 So berichtet Rinck 1783 über seinen Besuch im Waisenhaus, währenddessen er von Inspektor Schreiber geführt wurde: „Er empfieng mich sehr freundlich, zeigt mir etwas in dem ungeheuren Gebäude. Das Naturalien-Cabinet, womit auch die Kunst-Kammer verbunden ist, ist besonders interessant.“74 Die naturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität haben ihren Ursprung im sogenannten Goldhagenschen Naturalienkabinett.75 Seit 1769 Professor für Naturgeschichte und seit 1778 auch Professor für Medizin, nutzte Johann Friedrich Goldhagen seine privaten Sammlungen zu Unterrichtszwecken. Nach seinem Tod 1787 kaufte die Universität die Sammlung und stellte sie ab 1791/92 in den Räumen der neuen Residenz auf. Dort folgte dann auch die Einrichtung eines anatomischzoologischen Museums. Im Zuge der Zusammenlegung mit der Universität Wittenberg folgten später auch die Bestände des dortigen Museum Anatomicum Augusteum. Die vom Wittenberger Adam Vater und den Hallensern Johann Friedrich Meckel und seinem Sohn Philipp Friedrich Meckel aufgebauten Sammlungen gehörten damit zu den größten Sammlungen ihrer Art. In Göttingen beförderte die luxuriöse Ausstattung der Universität nicht unwesentlich den Ruf der Georgia Augusta, die führende Hochschule der deutschen 69 Zur zeitgenössischen Wahrnehmung des Accouchierhauses vgl. Schwibbe, G., Wahrgenommen, 2002, 201–220. 70 Gresky, W. (Bearb.), Göttingen-Schilderung, 1982, 191 71 Vgl. Fabian, B., Göttinger Universitätsbibliothek, 1980; Schwedt, G., Göttinger Universitätsbibliothek, 1983; Mittler, E. (Hg.), Pauliner Kirche, 1994. 72 Zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Sammlungen vgl. Schwibbe, G., Wahrgenommen, 2002, 174–200. 73 Heun, C., Vertraute Briefe, Theil 2, 1792, 96 f. 74 Rinck, C. F., Studienreise, 1897, 104. 75 Speler, R.-T., Fundgruben, 2002, 384f. weitere Literatur unter http://publicus.culture.hu-berlin.de/sammlungen/sammlung/65/pp (26.04. 2010).
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Aufklärung zu sein.76 In Gedikes Bericht von 1789 heißt es etwa dementsprechend: „Oeffentliche Institute hat Göttingen sowol im Allgemeinen als bei den einzelnen Fakultäten mehr als irgend eine andere Universität“.77 Zu den „allgemeinen Anstalten“ zählt der Berliner u. a. die Bibliothek, das Museum, die Societät der Wissenschaften, die deutsche Gesellschaft, das historische Institut sowie die Stiftung der jährlichen Preisfragen für Studierende, zu den „besonderen Anstalten der Fakultäten“ bei den Theologen das theologische Repetentenkollegium, das Pastoralinstitut und das Predigerseminar, bei den Medizinern den botanischen Garten, das chemische Laboratorium, das anatomische Theater, das Accouchierhaus und das Krankenhospital sowie bei der philosophischen Fakultät das philologische Seminar, das Observatorium und den ökonomischen Garten.78 Akademische Sammlungen besaßen folglich in der dichten Universitätslandschaft des Alten Reiches ein wichtiges Distinktionspotential, das sich auch in der Wahrnehmung ihrer Besucher spiegelte.79 Daß dies in Göttingen nicht von Anfang an so gewesen war, zeigt ein Vergleich von Stadt- und Universitätsbeschreibungen von der Mitte mit solchen vom Ende des 18. Jahrhunderts. Johann Georg Bärens etwa nennt 1754 folgende Gebäude und Anstalten der Universität: „Das vornehmste Universitäts-Gebäude ist das Collegium, in welchem die Bibliothek, die Auditoria jeder Facultaet, die Consilien-Stube, und auch die so beliebten Carceres anzutreffen sind; gleich dabey steht auch eine große und wohlgewölbte Kirche. […] Von anderen Sammlungen und Merkwürdigkeiten, die man öfters bey Bibliothecken anzutreffen pflegt, ist hier nichts zu finden, das sonderlich angeführt zu werden verdiente; ich erinnere mich aber hiebey, dass ich oben vergessen habe zu melden, dass der Ober-Commissarius Grätzel ein Fossilien Cabinet besitzt, welches dem Urtheil aller Kenner nach alle seines gleichen in der Welt an Größe und Vollkommenheit übertrifft.“80
Ganz anders stellte sich die Situation dem ungarischen Studenten Sámuel Fogarasi dar, der 1796/97 in Göttingen weilte. In seiner Autobiographie heißt es über die Göttinger Sehenswürdigkeiten: „Sehenswert sind in dieser Stadt das Rathaus, die Universitätsgebäude, das Theatrum Anatomicum mit den Präparaten, dass heißt den in Spiritus aufbewahrten menschlichen Körperteilen, das Entbindungshaus, der botanische und der ökonomische Garten, die Reitbahn, die berühmte Bibliothek mit 140.000 Bänden, das Museum, die akademische Sammlung von Münzen, Edelsteinen, Bildern und Zeichnungen, die Kammer mit Modellen und Maschinen, 76 Ausführlich Dokumentiert etwa in der Selbstdarstellung von Pütter, J. S. Gelehrten-Geschichte, Theil 2, 1788, 212–279. 77 Fester, R., Gedike, 1905, 26. 78 Ebd. 26–31. 79 Zum „academischen Museum“ in Göttingen vgl. Plesker, N., 2006, und Nawa, C., Sammeln, 2005; zu den Göttinger Sammlungen allg. Hoffmann, D. / Maack-Rheinländer, K. (Hg.), „Ganz für das Studium angelegt“, 2001. 80 Bärens, J. G., Nachricht, 1909, 69 f. u. 73. Zur privaten Sammlung des in Göttingen ansässigen Tuchfabrikanten und deren Einbindung in die universitäre Sammlungslandschaft siehe Beer, G., „Nachbleibsel“ 2008. Erst 1770 wurde die Sammlung wohl Teil des akademischen Museums. Bärens reiste 1754 und nahm das Kabinett noch als Privatsammlung wahr.
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die Monumenten und Gemäldesammlung des Historischen Instituts, das chemische Laboratorium.“81
Der Bericht des ein Jahr später im Mai 1798 Göttingen besuchenden Hinrich Wilhelm Schmeelke, der von 1771-1774 in Göttingen studiert hatte, verdeutlicht dabei besonders gut die Entwicklung der Sammlungen in größeren zeitlichen Abständen. Schmeelke erkennt die Stadt kaum wieder. Über das akademische Museum notiert er: „Dieses war in meinen Studentenjahren noch in seiner ersten Kindheit und hatte fast noch keinen Namen, itzt ist es eine der ansehnlichsten Kunst- und Naturaliensammlungen in Deutschland. Alles, was zur Naturgeschichte des Menschengeschlechts gehört, ist hier sehr vollständig. Ich wurde überrascht hier eine vollständige ägyptische Mumie zu finden, die mein Onkel [Carsten Niebuhr] mitgebracht hatte. Die Sammlung von südländischen Merkwürdigkeiten ist sehr groß und soll über ein Viertelhalbhundert Nummern betragen […] Man findet hier Merkwürdigkeiten aus allen drei Reichen der Natur; es gehört aber ein Kenner dazu, diese mit Nutzen gesehen zu haben. – Der Diener des Hofrats Heyne zeigte uns alle diese Sachen und Meiners versicherte, dass er es ebenso gut könne wie der Aufseher des Museums Hofrat Blumenbach (1752-1840). Meiners sagte, er mache gerade dieselben Späße dabei, die Blumenbach gewöhnlich mache.“82
In einem Studienführer aus dem Jahr 1813 werden zu den „öffentlichen Anstalten“ der Universität zusätzlich zu den bereits genannten die Societät der Wissenschaften und die Gelehrten Anzeigen gerechnet und zum Teil mit aufschlußreichen Informationen zu Zugänglichkeit und Präsentation der Sammlungen versehen. Über das „Musäum“ etwa wird berichtet: „Wer nur den Namen Blumenbach hört, und erfährt, dass das Musäum unter seiner Leitung steht, der wird schon zu nicht geringen Erwartungen sich berechtigt glauben, – und er täuscht sich auch nicht! Lobenswerth ist zugleich der hohe Grad von Gemeinnützigkeit dieser vortrefflichen Sammlung von Merkwürdigkeiten aus allen Naturreichen, in dem man von einem angesetzten Aufseher sich das Ganze zu beliebigen Stunden gegen eine kleine Erkenntlichkeit (von 2 Gulden; wofür aber 6 Personen das Vergnügen genießen können) zeigen lassen kann: ungleich größeres Interesse gewährt es allerdings, wenn man Blumenbachs eigene Ansichten und Bemerkungen zugleich hören kann. Dieser geistige Genuß wird seinen jedesmahligen Zuhörern in der Naturgeschichte zu Theil. In demselben Gebäude befindet sich auch die Gemälde-Sammlung, das Münz-Cabinet und die Modell-Kammer.“83
Über die Anatomie heißt es weiter: „Die vorhandene Sammlung von Präparaten verdient wohl einer Erwähnung: Allein von einem Langenbeck lässt sich auch Vorzügliches erwarten! Der Besuch steht jedem Studirenden offen, nur die erwähnte Sammlung muß man auf besondere Bitten sich von einem der Professoren zeigen lassen.“84
Bereits hier zeichnet sich ab, daß die Sammlungen sowohl einem zahlenden Publikum wie der akademischen Jugend im Rahmen ihrer Ausbildung zugänglich wa81 82 83 84
Futaky, I., Selige Tage, 1991, 15 f. Lohmeyer, K., Land Hadeln, 1938/39, 56. Wallis, L., Student, 1981, 15. Ebd., 16.
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ren, die Sammlungen also durchaus „öffentlichen“ Charakter besaßen, der über reine Studienzwecke hinauswies.85 In den Briefen und Reisebeschreibungen der Zeit um 1800 stellen Johann Friedrich Blumenbach (1752–1840) und seine Sammlung ohne Zweifel eine der größten Attraktionen der Universität dar.86 Seine Vorlesungen über Naturgeschichte werden gar als „Mode-Colleg“ gekennzeichnet. So schreibt der Schweizer Student v. Greyerz 1799: „In dem Naturhistorischen Colleg hat er wenigstens 80-90 Auditores, und es herrscht eine Stille wie in einer Kirche, und jeder hascht nach allem, was er sagt, das ihm kein Wort verloren gehe. In diesem hat Blumenbachs naturhistorisches Colleg einen unendlichen Werth, dass er über alles, was Berichtigungen bedarf, immer die genauesten Erkundigungen einzuziehen weiß, und sich aufs sorgfältigste hütet, uns etwas zu sagen, von dessen Wahrheit oder Unwahrheit er nicht gänzlich überzeugt ist; denn wenn Blumenbach sagt es ist oder es ist nicht so, kann man mit authentischer Gewissheit auf sein Wort gehen. Das ‚man sagt‘ braucht er nicht gerne und nur da, wo Wahrscheinlichkeit dazu da wäre. Es wird von den meisten Studenten fast keiner Göttingen verlassen, ohne Naturgeschichte bei ihm gehört zu haben, es ist ein eigentliches Mode-Colleg.“87
Greyerz ist auch einer der wenigen Besucher, der eine relativ detaillierte Auflistung der im akademischen Museum zu bewundernden Objekte liefert: „Neben der Bibliothek steht das Museum, das ich nur einmal flüchtig gesehen, es aber noch verschiedene male mit Blumenbach und seinem ganzen Colleg [!] besuchen werde. Es entfaltet viele südländische, auch nördliche Produkte, Artefakte, Arbeiten von Othaitischen Arbeiten, Körbchen, Taschen, Stricke von lauter Cocosfasern, Trauer- und Kriegsanzüge, Waffen, eine Menge Fischangeln von wilden Nationen. So schön gearbeitet, dass sie die Europäer mit vollem recht beschämen. Eine Menge Götzen von abscheulichen Verzerrungen des Körpers und der größten Geschmacklosigkeit. Viele Amphibien, eine Menge menschlicher Embryonen, von Negern etc. Ein Schädel von einem Wallroß, ein Seehund, Biber und eine wohlbehaltene Mumie. Viele Vögel und Mineralien, was man in jeder Kunstsammlung etwa findet, doch viele Seltenheiten, die es durch England erhalten, z. B. ein schönes Exemplar von einem eben aus dem Ey kriechenden Krokodil, wovon Blumenbach eine Abbildung gegeben, die ich dir einst zeigen kann. Eine Guianische Kröte (Rana pripa), die ihre Jungen auf dem Rücken aushekt, die ihm das Männchen aufstreicht und befruchtet, da sieht man eben, wie die geschwänzten Kaulquappen aus ihren Löchern kriechen, ein merkwürdiges, aber scheußlich ekelhaftes Exemplar.“88
Die Bemerkung „was man in jeder Kunstsammlung etwa findet“ verweist auf die Ähnlichkeit des akademischen Museums mit einer traditionellen Kunstkammer, aus der es offenbar noch nicht ganz entwachsen ist. Auffällig ist, daß das Bild der Sammlungen fast immer von der Person ihres leitenden Professors geprägt ist. Die Objekte an sich bleiben ohne die lebendige Erklärung eines Gelehrten schlicht stumm. Gelehrte Konversation und Geselligkeit waren dabei sicher zwei der
85 Vgl. zu den Schwierigkeiten des Zugangs im 18. Jh. Plesker, N., Academisches Museum, 2006, 274. 86 Ebd., 273. 87 Gresky, W. (Bearb.), Göttingen-Schilderung, 1982, 193. 88 Ebd. 197 f.
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Hauptattraktionspunkte für ein breiteres Publikum.89 Im Zeichen aufgeklärter Geselligkeitskultur erfüllte das Museum gleichsam die Funktion eines Salons, in dem es auf kulturelle Kontakte und kurzweilige Konversation ankam. So berichtet etwa Johann Wolfgang von Goethe 1801 von seinem Aufenthalt in Göttingen über die Sternwarte: „Auch Professor Seyffer zeigte mir die Instrumente der Sternwarte mit Gefälligkeit umständlich vor. Mehrere bedeutende Fremde, deren man auf frequentierten Universitäten immer als Gäste zu finden pflegt, lernt’ ich daselbst kennen, und mit jedem Tag vermehrte sich der Reichtum meines Wissens über alles Erwarten.“90
Aus Sicht vieler Zeitgenossen ist es gerade Goethes Anwesenheit, welche die Attraktion in öffentlichen „Mode“-Kollegien darstellte. So etwa in Joseph v. Eichendorffs Tagebuchbericht über sein Studium in Halle; am 8. Juli 1805 notiert er: „Hielt der berühmte Doctor Gall hier seine erste Vorlesung über die Schädellehre in dem großen Saale im Kronprintzen. Auch wir beyde hatten uns ein Entreebillet, welches 1 Louisd’or kostete gekauft. Das Publicum, welches über die Hälfte aus Studenten bestand, war sehr zahlreich. Was uns aber fast mehr als die Schädellehre intressirte, war, dass wir hier nicht nur alle unsere berühmten Professoren, die fast in Summa gegenwärtig waren, sondern auch den unsterblichen Goethe kennen lernten.“91
Georg Christoph Lichtenberg rühmte 1779 in einem Artikel den besonderen Charakter „academischer Cabinette“, deren „gänzliche Bestimmung dahin abzweckt, dass sie nicht zum Prunck, sondern lediglich zum Gebrauch, zur Untersuchung und zum Unterricht dient. […] Göttingen ist die erste Universität in Deutschland, vielleicht in Europa, die mit einem eigentlich akademischen Museum versehen worden.“92
Der Göttinger Professor hielt es mithin für notwendig, die zur Gestaltung der Lehre am Objekt angelegten akademischen Sammlungen von auf bloßen „Prunck“ abzielenden repräsentativen Wunderkammern abzugrenzen. Auch Pütter hebt 1788 den Studiencharakter der Sammlung explizit hervor: Die Münzsammlung etwa sei „ganz für das Studium der Münzkunde angelegt und geordnet; also keine Liebhabersammlung“.93 Einige Zeilen später wird jedoch deutlich, daß die entsprechenden Studierenden erst noch gefunden werden mußten: „Immer noch hoffet man, einmal unter unsern Studierenden einige zu finden, welche Numismatik studieren wollen.“.94 Wie der Einbezug in die Lehrpraxis vonstatten gehen konnte, zeigt etwa das Beispiel Hermann Ludwig Heerens (1760–1842), der ab 1803 regelmäßig eine mehrstündige Vorlesung wie folgt ankündigte:
89 90 91 92 93 94
Vgl. Siemer S.; Collet, D., Welt, 2007, 320 f. Ebel, W. (Hg.), Briefe, 1975, 60. Piechocki, W., Halle, 1994, 109. Lichtenberg, G. C., Etwas vom Academischen Museum, 1779, 45–57, 48. Pütter, J. S., Gelehrten-Geschichte, Theil 2, 1788, 232. Ebd., 233.
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Marian Füssel „Allgemeine Länder- und Völkerkunde oder einen crit. und systemat. Inbegriff unserer gegenwärtigen Kenntnisse d. Erde und der sie bewohnenden Völker, trägt Hr. Prof. Heeren um 6 Uhr M. vor, u. erläutert alles durch einen reichen Vorrath der beßten und neuesten Karten, die er seinen Zuhörern vorlegen wird, und, was die Kleidungen, Waffen, Geräthe der entfernten Völker betrifft, durch die ethnograhische Sammlung in dem königl. Museum.“95
Abgesehen davon, daß sie repräsentative Funktionen ausübten, trugen die Sammlungen somit auch zur Herausbildung der modernen Forschungsuniversität und neuer Lehrmethoden bei. Vor dem Hintergrund der traditionellen Verfaßtheit der Hochschulen mit ihrer Gliederung in vier Fakultäten eignete den Sammlungen eine besondere Dynamik im Prozess disziplinärer Ausdifferenzierung.96 Aus der Kunstsammlung heraus wurde „zum ersten Mal an einer deutschen Universität“ die Kunstwissenschaft zur akademischen Disziplin erhoben.97 Blumenbach, von Hause aus Mediziner und seit 1776 „Professore medicinae extraordinario“, betrieb Naturforschung und war vor allem am naturkundlichen Wert der Cook-ForsterSammlung interessiert. Der Inhalt der Sammlung sprengte jedoch die disziplinären Grenzen sowohl der Medizin als auch der Naturkunde. Ständig vermehrt, entwickelte sich die Sammlung zu einer der zentralen völkerkundlichen Sammlungen Deutschlands. Nicht von einem Sammler und Mäzen abhängig, sondern von vielen, wies die Hochschule eine besondere Bandbreite an Sammlungsgebieten und Exponaten auf und wurde zudem von ehemaligen Studenten und befreundeten Gelehrten unterstützt. Die Ausstattung einer Universität war um 1800 längst zu einer „Prestigefrage“ geworden, und so zog Halle in den 1790er Jahren in einem regelrechten „Ausstattungsschub“ gewissermaßen nach. Man erreichte u. a. „einen Zuwachs des Universitätsfonds um 7000 Taler, eine Vergrößerung des Botanischen Gartens, die Gründung eines Ökonomischen Gartens für den Unterricht in Kameralwissenschaften, den Ankauf des Naturalienkabinetts von Johann Friedrich Gottlieb Goldhagen, eine Erweiterung des Bücherbestandes der Universitätsbibliothek, die Anlegung eines neuen anatomischen Theaters, eines chemischen Laboratoriums, die Erbauung einer Sternwarte, die Einrichtung des Philologischen Seminars, die Schaffung gemeinnütziger unentgeltlicher Freikollegien zur Lehrerausbildung, die Gründung des Collegium clinicum“.98
Bis zur Einrichtung zentraler Universitätshauptgebäude und Hörsäle sollte es in beiden Städten noch weit bis ins 19. Jahrhundert dauern. Bis dahin blieben beide Hochschulen mit den Worten des Philosophen Karl Rosenkranz (1805-1879) bei ihrem hergebrachtem „nomandenhaften Zuschnitt“ räumlicher Zerstreuung über das Stadtgebiet.99 95 Vgl. Urban, M., Völkerkundliche Sammlung, 2001, 95. 96 Vgl. allg. Stichweh, R., Ausdifferenzierung, 1982; sowie exemplarisch ders., Entstehung 1984. 97 Plesker, N., Academische Museum, 2006, 269 u. 273. 98 Kathe, H., Regionale Bezüge, 1997, 145 f. 99 „Halle war damals noch nicht so schmuck, wie heutigen Tages. […] Die Universität war noch in dem nomadenhaften Zuschnitt, wie Göttingen und Jena, dass die Studenten von Auditorium zu Auditorium in die Häuser der Professoren wanderten. Im Gebäude der Rathswaage
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5. Zeremonielle Öffentlichkeiten Angefangen mit der feierlichen Inauguration einer Universität war das akademische Leben von einer ganzen Reihe von Ritualen und zeremoniellen actus publici, wie den Rektoratswechseln, Promotionen, Beerdigungen oder Festtagen der jeweiligen Landesherrschaft, vom Geburtstag bis zum Fürstenbesuch geprägt.100 In der Zeit um 1800 waren diese zum Teil jahrhundertealten Traditionen im Zuge allgemeiner gesellschaftlicher Rationalisierungstendenzen in eine merkliche Krise geraten.101 Im Hinblick auf das jeweilige kulturelle Profil der Universitäten Halle und Göttingen um 1800 scheinen mir diesbezüglich vor allem zwei Aspekte von Bedeutung. Zum einen prägte die akademische Festkultur ganz wesentlich das öffentliche Image einer Hochschule, zum anderen läßt sich am Verhältnis zur zeremoniellen Öffentlichkeit auch das zeittypische Lebens- und Arbeitsklima einer Hochschule beobachten. Das hundertjährige Jubiläum der Universität Halle 1794 stand unter einem schlechten Stern. 1788 war in Preußen das berüchtigte Wöllnersche Religionsedikt erlassen worden, von dem in den folgenden Jahren auch die Universität Halle stark betroffen war.102 Insbesondere die Theologieprofessoren August Hermann Niemeyer und Johann August Nösselt wurden nachdrücklich ermahnt, von ihrer neologischen Lehre abzurücken. Diese bemühten sich um Konsens und lenkten ein, doch ließ sich nicht mehr aufhalten, daß es bei einem Besuch der Konsistorialräte Hermes und Hilmer am 14. Mai 1794 zum Eklat kam. Georg Friedrich Rebmann, der später einen bissigen Reisebericht verfasste, wurde unmittelbar Zeuge des Vorgangs. Er berichtet: „Ich logierte im Gasthof zum Löwen, und am nämlichen Abend noch klirrten alle meine Fenster, weil sie von den Studenten eingeworfen wurden. Die Ursache des Übels war folgende. Die Kommission der reinen Lehre zu Berlin, welche sich schon durch viele Albernheiten berüchtigt gemacht hatte, hatte überlegt, dass die leidige Vernunft, ihre Todfeindin, hauptsächlich auf den preußischen Akademien mit der Wurzel ausgerottet werden müsse, um so den beliebten Erfahrungen im Gnadenstande allein freien Lauf zu lassen. So sollten in Halle einige würdige Professoren der Theologie kassiert und ein wegen seines schlechten Lebenswandels und allerhand Verbrechen gegen das sechste Gebot berüchtigter Pastor zum Professor gemacht werden. Die geistlichen Inquisitoren und Ketzerschnüffler waren auch wirklich angekommen, und Papst Hermes gab seinem Schirmling eben Audienz, als der lang gereizte Unwille der Studenten endlich so ausbrach, dass unter dem wiederholten Ausruf ‚Es sterbe die Inquisition! Es lebe die Berliner Bibliothek!‘ ein Hagel von Steinen ins Zimmer der hochwürdigen Herren fiel, die dann den Staub von ihren Füssen schüttelten und bei Nacht
auf dem Markt hatte sie den ersten Stock gemiethet. Die Zimmer nach vorn raus dienten zu den Versammlungen des Senats, nach hinten zu, den Hof entlang, zog sich ein großer Saal, der zum abhalten der größten Collegia benutzt ward. Man kann sich nichts Oederes, Düstereres, Prosaischeres, als diesen Saal vorstellen, der von dem Vorflur nur durch eine Bretterwand abgeschieden war.“ Piechocki, W., Halle, 1994, 138 f. 100 Als Überblick vgl. Füssel, M., Akademische Solennitäten, 2010 (im Druck). 101 Vgl. Derselbe, Rituale, 2009, 137–153. 102 Zum Kontext der folgenden Vorgänge vgl. Neugebauer Wölk, M., Kampf, 1994, 49–53.
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Marian Füssel und Nebel davonschlichen, nach dem sie vorher einige der größten Steine als Corpus delicti mit in ihren Wagen genommen hatten. Von der nächsten Station aus sandten sie einen Brief voller Vorwürfe an den derzeitigen Prorektor, dass dieser ihnen keine Bedeckung von Wächtern und Häschern zugegeben habe, ohne zu bedenken, dass eben diese Bedeckung die gröblichste Beleidigung für eine königliche Kommission gewesen sein würde.“103
In Reaktion auf die so unsanft Vertriebenen verbot ein königliches Reskript vom 3. Juli der Universität nun ihre „Jubelfeier“. Wie auch schon in Reaktion auf die Berliner Commissarien ergriffen jetzt die Studierenden die Initiative und lieferten ein eindrückliches Beispiel akademischen Eigensinns. Rund 250 Studenten versammelten sich am 12. Juli eigenmächtig und luden zu einer Feier. Runde berichtet in seiner Chronik: „Die Jünglinge hatten außer den accademischen Senat, denen Professoren, Doctoren, Magister[n] und Beamten bei der Universität nur die angesehensten Familien der Stadt von den Militär, der Magistrat, der Geistlichkeit und den gebildeten Ständen zu dieser Feierlichkeit eingeladen. Sie wurde mit einer von Herrn Profess. Maas[s] verfertigten und von den MusikDirector Türk in Musik gesetzten Cantate eröffnet, worauf der Studiosus Treuge eine dem Tag angemessene, sehr schöne Rede hielt.“104
Doch die Feierlichkeit fand noch eine gesellige Fortsetzung: „Nach dieser Feierlichkeit war in den Leveauxschen Garten auf den Neumarkt für die aus mehreren Hunderten bestehende Gesellschaft in einem geräumigen Laubengange ein Mahl bereitet, was sich weniger durch Pracht als einen geschmackvollen Anstand auszeichnete. Abends war der Garten sehr schön erleuchtet, und ein froher Tanz in den Laubengange beschloß diesen merkwürdigen Tag.“
Der klassische Festablauf einer universitären Jubiläumsfeier mit Festmusik, Festreden und gemeinschaftsstiftendem Mahl wurde so im Geiste der Spätaufklärung improvisiert. Zum Gedenken an diese besondere Festlichkeit wurde sogar auf private Initiative ein Denkmal errichtet: „Der Besitzer des Gartens, Herr Leveaux, hat zum Andenken dieses Tages ein einfaches Denkmal gestiftet. An dem äußersten Ende des Gartens nach Morgen befindet sich eine Grotte, wo über den grauen Eingang derselben ein schwarzer Stein den Wanderer sagt: ‚In diesem Garten feierte ein Theil der hier Studierenden das erste hundertjährige Fest der Friedrichs-Universität‘.“
Am 19. Oktober 1806 wurde die Universität Halle von Napoleon aufgelöst. Laut Runde, „weil die Studenten einige Tage zuvor dem Kaiser eine Pereat gerufen und bei dem Einmarsch der Franzosen am 17. October auf selbige aus den Fenstern geschossen haben sollten.“105 Der für die Stadt vor allem ökonomisch äußerst nachteilige Zustand währte allerdings nur zwei Jahre, bis am 16. Mai 1808 die Universität feierlich wieder eröffnet wurde. Das dabei geübte Festzeremoniell sollte „einigermaßen das Bild der ersten Inauguration am 12. Juli 1694 zurückru-
103 Rebmann, G. F., Kreuzzüge, 1990, 44 f. 104 Weißenborn, B., (Bearb.), Rundes Chronik, 1933, 207 f. 105 Ebd., 210.
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fen“, und man beobachtete, „was alte Sitte ehrwürdig gemacht hatte“.106 Runde beschreibt die Festlichkeiten in aller Ausführlichkeit: „Um halb 10 Uhr versammelte sich das ganze Personal der Lehrer, sowohl ordentliche als außerordentliche Professoren, und sämtliche Privatdocenten in der großen Concilienstube auf der Waage. Um 10 Uhr, unter Läutung der Glocken, begab sich der Senat nebst dem ganzen Lehrpersonal auf das große Auditorium, welches schon durch die zu dieser Feierlichkeit Eingeladenen sehr gefüllt war. Der Kanzler und Rector, die Decane der vier Facultäten und der Redner der Accademie gingen mit eben den Ornate bekleidet, welchen ihre Vorgänger bei Einweihung der Universität getragen hatten, die übrigen aber in Amtskleidung, Uniform oder sonst anständig, wie es dem Tag gemäß war. […] Bei Ankunft des Zuges im großen Auditorio empfing denselben eine Symphonie, worauf unter der Leitung des Herrn Musicdirector Türk der 65. Psalm nach der Reichard[t]ischen Composition folgte, und an welchen sich der erste Theil der von Herrn Professor Maas[s] gedichteten und von Herrn Musicdirektor Türk in Music gesetzte Cantate schloß. Hierauf hielt der Hofrath Schütz eine sehr schöne lateinische Rede, nach welcher der zweite Theil der Cantate folgte. Alsdann traten nach der Ordnung der Facultäten die Decane auf und renunciirten die Namen derer, welchen als Beweise der Achtung gegen ihre Verdienste und ihre Gelehrsamkeit die höchsten Würden in der Theologie, Jurisprudenz, Medicin und Philosophie ertheilt worden.“107
Mit diesem Neuanfang stellte sich die Universität bewußt in ihre Gründungstradition. Durch die Verleihung der Doktorgrade stellte sie ihre Funktionstüchtigkeit unter Beweis. Doch der Neubeginn sollte nur von kurzer Dauer sein. Am 15. Juli 1813 wurde die Universität durch königlich-westphälisches Dekret ein weiteres Mal aufgehoben, vier Tage später wurde der Vorlesungsbetrieb eingestellt.108 Diesmal währte die Aufhebung jedoch nur wenige Monate; schon im November erklärte der König von Preußen die Universität wieder für eröffnet. Zeigen die Hallenser Beispiele vor allem den spannungsvollen Zusammenhang von universitärem Zeremoniell und Politik auf, so steht das Göttinger Beispiel für interne wie externe Rationalisierungstendenzen im Verhältnis von Zeremoniell und Wissenschaftspraxis. Bei Pütter heißt es 1788: „Zur ununterbrochenen Fortsetzung eines anhaltenden Fleisses ist es der Universität sehr zu statten gekommen, daß seit einigen Jahren ausser den höheren Festen von Ostern, Pfingsten und Weihnachten, Charfreytag und Himmelfahrt alle übrige Feiertage in hiesigen Landen abgestellt oder auf den nächstfolgenden Sonntag verlegt sind. Von den sechs Tagen jeder Woche ist ohnedem keiner von Lehrstunden frey. Selbst die wenigen Tage, da wegen des halbjährigen Prorectoratswechsels und wegen der jährlichen Gedächtnisfeier der Einweihung der Universität öffentliche Feierlichkeiten vorgehen, bleiben doch in der übrigen Tageszeit den gewöhnlichen Lehrstunden gewidmet.“109
Pütter macht hier gewissermaßen die sehr reduzierte Göttinger Festkultur zum Aushängeschild einer rein dem Lehren und Lernen gewidmeten Institution. 106 Ebd. 211. Zu den Einweihungsfeierlichkeiten der Universität 1694 vgl. Füssel, M., Universität und Öffentlichkeit, 2004. 107 Weißenborn, B. (Bearb.), Rundes Chronik, 1933, 211 f. 108 Ebd. 212. Zur zeitgenössischen Wahrnehmung der Schließung vgl. auch den Bericht von Karl Leberecht (1796–1849) bei Piechocki, W., Halle, 1994, 126–128. 109 Pütter, J. S. Gelehrten-Geschichte, Theil 2, 1788, 378 f.
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Im gleichen Zeitraum kam es auch zu Reformen des Promotionswesens als dem akademischen Kernritual schlechthin. Die Anstöße hierzu waren jedoch lange von außen, von seiten der landesherrlichen Regierung, ausgegangen, welche die Kosten der Promotion zu verringern suchte, um die Universität angesichts günstigerer Konkurrenten wettbewerbsfähig zu halten.110 Erst ab 1778 kam es zu durchgreifenden Reformen, die diesmal von den Professoren selbst ausgingen. Johann David Michaelis als Dekan der philosophischen Fakultät ergriff die Initiative, um den Eid zu ändern und auch die „entbehrlichen Ceremonien, die etwas ins altfränkische fallen“, zu reduzieren. So hätte denn auch heute „Socrates nicht schwören können, [und] auch nicht Moses Mendelsohn, wenn Juden Magister würden so wie Doctor Medicinä.“111 Zuspruch erhielt er u. a. von dem Altphilologen Heyne, der anmerkte, daß die Symbole schon „lange zum Gespött dienen“ würden.112 Waren es in erster Linie ökonomische Beweggründe innerhalb des akademischen Berechtigungssystems gewesen, die eine Rationalisierung des Promotionswesens verhindert hatten, so zeigt sich hier, daß vor allem die veränderte Außenwahrnehmung zu einem wichtigen Motiv dafür wurde, sich dem Zeitgeist der Spätaufklärung anzupassen, um keinen Imageverlust zu riskieren.113 Wie eine Göttinger Promotion um 1800 ablief, schildert uns wiederum der ungarische Student Sámuel Fogarasi für das Jahr 1796. Am Tag des Examens versammeln sich Kandidaten und Professoren im Haus des Dekans der jeweiligen Fakultät an einem auf Kosten des Kandidaten mit Speisen und Getränken gedeckten Tisch. „Über die Speisen ist ein Tuch gedeckt; dann redet einer der Professoren zuerst vom Wetter oder etwas anderem, bis er zu einer Fachfrage übergeht; der Kandidat äußert sich dazu, wenn er kann; kann er es nicht dann sagt er wenig. Danach lässt der Dekan den Tisch aufdecken, es wird gegessen und getrunken, und die Prüfung ist zuende.“114
Einige Tage später folgt eine öffentliche lateinische Disputation mit schriftlich verfassten Vorlagen. „Der Dekan sitzt in der oberen Kanzel, der Prozedent in der unteren, und nachdem die Disputationen vorgelesen worden sind, wendet sich der Prozedent dem Dekan zu, der ihn küsst; danach kreuzen die beiden Pedelle die zwei Zepter – das sind Stäbe von der Länge einer Elle mit einem Knauf – , der Prozedent legt drei Finger dazwischen, der Syndikus lässt ihn den Schwur sprechen, und damit hat er das Doktorat; während man auseinandergeht, fährt der Dekan mit dem Prozedenten in einem von diesem besorgten Wagen nach Hause, danach geht der Prozedent seinen Angelegenheiten nach.“115
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Vgl. zum Folgenden Tütken, J., Privatdozenten, 2005, 175–184. Ebd., 179. Ebd. Vgl. Rasche, U., Geld, 2006, 83–99. Futaky, I., Selige Tage, 1991, 19 f.; zum Kontext dieser „Tischprüfungen“ vgl. Clark, W., Table Manners, 1999. 115 Futaky, I., Selige Tage, 1991, 20.
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Von langen Reden, Gottesdiensten, Geschenken oder weiteren aufwendigen Gelagen im Sinne des traditionellen Doktorschmauses ist gegen Ende des 18. Jahrhunderts keine Rede mehr. Immer mehr Professoren ließen sich für die feierlichen Umzüge, etwa anläßlich des Prorektoratswechsels, entschuldigen, da ihnen die Witterungsverhältnisse angeblich gesundheitsschädigend erschienen: Im Januar sei es zu kalt, im Juni zu heiß.116 Laut Christoph Meiners trug zudem die zumeist lautstarke Teilnahme der Studenten zur Abschaffung der Feierlichkeiten bei.117 In einem Reskript der Hannoverschen Regierung vom 22. Februar 1802 heißt es schließlich: „Die für manche mit dem Zuge nach der Kirche und dem Aufenthalte daselbst in der gegenwärtigen Witterung verbundene Beschwerlichkeiten veranlassen Kgl. Kurfürstl. Regierung zu dem Wunsche, dass diese sonst bei dem Wechsel des Prorectorats beobachtete Solennitäten abgestellet werden und die Übertragung und Antretung des Amtes in dem Conciliensaale geschehen solle.“118
Wenig später, am 3. März desselben Jahres, verordnete ein weiteres Reskript, daraus „ergäbe sich zum Teil von selbst, dass die Prozession, das Tragen der Mäntel, die Musik und das Geläute künftig wegfallen würden“.119 Die bereits stark von Motten angegriffenen Talare wurden schließlich für die Summe von 96 Talern verkauft, welche man anschließend der Professoren-Witwenkasse zukommen ließ. Das Katheder schenkte man dem Auditorienwärter, einzig die Zepter überlebten die Reform. Die zeremonielle Verschlankung des Rektoratswechsels hin zum reinen Verwaltungsakt war jedoch kein Göttinger Sonderweg, sondern auch eine andernorts geübte Praxis. Christian Friedrich Bernhard Augustin etwa kommentiert 1795 in der seinen bereits zitierten „Bemerkungen“ beigegebenen deutschen Übersetzung der Hallenser Statuten die entfallenen Stellen im Zeremoniell lakonisch mit den Worten „Hier folgen die Feierlichkeiten in der Kirche u.s.w. beim Antritt des Prorektorats, die aber abgeschafft sind.“120 Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung der Professoren bei diesem actus war das lautstarke Gebaren
116 Wilhelm Ebel hat 1969 angesichts der Reform des akademischen Repräsentationswesens eine kurze historische Rückschau vorgenommen, vgl. Ebel, W., Talare, Mai 1969; vgl. auch Mejer, O., Grimm, 1889, 171–194. 117 „In neueren Zeiten hob man die feierlichen Renuntiationen und Investituren von Rectoren, und Prorectoren auf manchen Universitäten und selbst auch auf unserer Georgia Augusta auf. Man fand, dass Feierlichkeiten, die von Jahrhunderten ehrwürdig gewesen waren, in unseren Zeiten Lachen erregten, und dass besonders die feierliche Uebergabe des Rectorats oder Prorectorats die akademische Jugend veranlasse, Bezeugungen von Freude oder von Unzufriedenheit zu machen, wodurch sehr leicht die öffentliche Ruhe gestört werden könne.“ Meiners, C., Geschichte 1802–1804 [ND Aalen 1973], Bd. 3, 147. 118 Ebel, W., Talare, 1969, 44. 119 Ebd. 120 Augustin, C. F. B., Bemerkungen, 1995, 300.
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der Studenten, welche die Rektoratswechsel gerade in Halle immer wieder zu einem Spektakel gemacht haben.121 Auch anläßlich der Rückkehr der Talare im Zuge des hundertjährigen Jubiläums 1837 argumentierten Göttinger Professoren ähnlich wie ihre Kollegen fünfzig Jahre zuvor. Jakob Grimm etwa fand deutliche Worte für die seiner Ansicht nach unzeitgemäßen Talare: „Ich erkläre mich gegen die neuen Talare. Jede Tracht wirkt nur insofern sie im Einklang mit der Sitte steht. Beim Militair fällt die Kleidung der Officiere nicht auf, weil sie zu der des Soldaten passte. Als im 16., 17. Jh. die Professoren Mantel und Barrett trugen, stimmte das zur Kleidung der Studenten und des Volkes. An den Jünglingen müßte sich die Schönheit und das Günstige einer Tracht entwickeln, die auf ältere Männer angewandt werden sollte. Seltsam aber wäre, wenn jetzt die Professoren unbeholfen in feierlichem Mantel einherschritten, die Studenten in modernem Frack nachfolgten.“122
Die Göttinger Professorenschaft war mithin auf ihr Image der Modernität auch bzw. gerade in Fragen der Etikette bedacht, die für die soziale Anziehungskraft der Universität stets zentrale Bedeutung hatte. 6. Fazit Ein wesentlicher Effekt des bereits von den Zeitgenossen vielfach angestellten Vergleichs der Hochschulen bestand in einer sich intensivierenden Konkurrenzund Nachahmungsdynamik. Die vielfach öffentlich kommunizierten Beschreibungen der Universitäten ermöglichten eine wechselseitige Beobachtung, die insgesamt zu einer Art kulturellen Homogenisierung beitragen konnte, da man dem jeweiligen Konkurrenten stets nachzueifern versuchte – eine Logik, die mit dazu beigetragen haben mag, daß sich die Beschreibungen Halles und Göttingens nach deutlichen Differenzen im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in manchen Bereichen ähnlicher wurden. Weitete man den Vergleich auf weitere Universitäten aus, würden zweifellos auch dort Tendenzen zu Tage treten, die den meisten protestantischen (und zum Teil auch katholischen) Hochschulen um 1800 gemein waren, wie etwa die Rationalisierung des Zeremoniells, die Reorganisation studentischer Vergesellschaftung oder die institutionelle Ausdifferenzierung von Disziplinen und Infrastrukturen. Der Vergleich der zeitgenössischen Wahrnehmungsformen Halles und Göttingens um 1800 zeigt jedoch, daß es bei allen Gemeinsamkeiten und Unterschieden im Detail vor allem die jeweilige Gesamtkonstellation war, die das kulturelle Profil und damit auch die Geltung und Anziehungskraft einer jeweiligen Universität ausmachte.
121 Vgl. zu Halle u. a. die Berichte der „Vertrauten Briefe über Halle“ (1798), Adolph Müllers „Briefe von der Universität“ (1806) und die Tagebücher Joseph von Eichendorffs (1805) in Piechocki, W., Halle, 1994, 90 f., 105 und 110. 122 Ebel, W., Talare, 1969, 46.
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Halles Vorreiterrolle in der Zeit der Frühaufklärung verdankte sich dem Reformcharakter der dort ansässigen Universität, einer starken juristischen Fakultät und der pietistischen Arbeitsethik weiter Teile ihrer Studierenden. In Göttingen radikalisierte sich die Idee des akademischen Fleißes unter aufgeklärt-säkularen Vorzeichen dann abermals. Ein entscheidender Unterschied zu Halle bestand jedoch vor allem im sozialen Profil der Studierenden. Während sich in Halle ab der Mitte des 18. Jahrhunderts immer mehr ärmere Studenten, die in das Pfarramt strebten, einschrieben, war Göttingen eine von Jura-Studenten aus dem Adel und den höheren Schichten des städtischen Bürgertums geprägte Hochschule. Diese Tatsache brachte der Universität nicht nur erhöhte Einnahmen, sondern zeichnete auch für ein spezifisches kulturelles Klima in Lebensstilfragen verantwortlich. In Göttingen ging es nicht nur gesittet zu, sondern vor allem wohlhabend und distinguiert. Neben der Sozialstruktur machten sich Unterschiede vor allem im Bereich der materiellen Ausstattung bemerkbar. Göttingen verfügte nicht nur über die Infrastrukturen für das Adelsstudium, wie Reitbahn, Fecht- und Tanzmeister, sondern vor allem über eine einzigartige Bibliothek, reichhaltige Sammlungen und Ausbildungsinstitutionen, welche den Studierenden den Weg zum Studium an einer modernen Forschungsuniversität bahnten. Die Sammlungen etwa, die in den meisten Selbstzeugnissen erwähnt werden, dienten zunächst nicht allein der Lehre, sondern, in der Tradition fürstlicher wie bürgerlicher Kunstkammern stehend, ebenso dazu, ein attraktives Ambiente zum geselligen, gelehrten Austausch bereitzustellen. Galante Kommunikationspraxis und empirische Forschung gingen hier mithin Hand in Hand. Die sich in den Selbstzeugnissen niederschlagenden Wahrnehmungen der beiden Hochschulen übernahmen häufig die Muster von universitären Selbstbeschreibungen, da – ähnlich wie in der Gattung des Reiseberichts allgemein – auch hier die Deutungs- und Wahrnehmungsmuster diskursiv gesteuert und überformt waren. Vereinfacht ausgedrückt: Wer nach Göttingen kam, wußte in der Regel bereits, daß er dort eine distinguiertere Studentenkultur als anderorts vorfinden würde und die Vorlesungen Pütters oder Blumenbachs als Attraktionen galten; wer nach Halle kam, wußte von der Prägekraft der Frankeschen Stiftungen oder dem Eigensinn eines Carl Friedrich Bahrdt. Insofern ist es wenig verwunderlich, daß viele der Selbstzeugnisse gewissermaßen bestimmte Programme abarbeiten: Den allgemeinen Charakteristika der Stadt folgt meist ein Blick in die Hörsäle der bekannten Professoren sowie eine Kennzeichnung des studentischen Komments. Dennoch bieten diese Quellen zum einen eine Vielzahl von Details und Beobachtungen, die für die Frage, was die Anziehungskraft und Modernität einer Hochschule für die Zeitgenossen ausmachte, künftig noch einigen Aufschluß bieten können. Zum anderen können gerade die eher stereotypen Beschreibungsmuster Einblick in die jeweiligen Mechanismen akademischer Selbstbeschreibungsdiskurse geben, die unser Bild einer Hochschule zum Teil bis heute prägen.
„Nach befinden ihrer fähigkeit.“ Zur Professionalisierung medizinischer Berufsausübung und -bildung in Sachsen-Weimar-Eisenach um 1800 Stefan Wallentin Dem mehrjährigen medizinischen Studium folgte die jahrzehntelange medizinische Praxis der Absolventen. Ausbildung und Praxis standen in einem Wechselverhältnis zueinander, Umgestaltungen hier zogen stets Veränderungen dort nach sich. Deshalb muß der Betrachtung der medizinischen Hochschulausbildung um 1800 ein Blick auf die in der medizinischen Praxis damals stattfindenden Umwälzungen folgen, wenn ein realitätsadäquates Bild vom Medizinalwesen im Untersuchungszeitraum entstehen soll. Im folgenden werden jene im (Groß-)Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts zu beobachtenden Umwälzungen betrachtet und der Frage nachgegangen, welche Rolle die Herrschaftsträger und ihre Beamten bei diesen Vorgängen spielten. Auch soll gezeigt werden, welche Auswirkungen das Zusammenrücken von Residenz und Jenaer Universität, das als ein das „Ereignis Weimar-Jena“ charakterisierendes Moment anzusehen ist, auf die Medizinalpolitik im Ereignisraum hatte. Dabei verdient „die Residenz“ – d. h. der zentrale sachsen-weimarische Verwaltungsapparat – naturgemäß ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit. Diese Weimarer Perspektive ist die Perspektive der mit dem Medizinalwesen befaßten obersten Landesverwaltungsorgane. Deren Repräsentanten reagierten auf Konfliktlagen, die oft nur am Rande und mittelbar mit der akademischen Sphäre der Jenaer Universität verquickt waren, jedoch nicht ohne Folgen für die Hochschule und das Studium an ihr blieben. Im Zentrum der hier vorliegenden Ausführungen steht mithin die zunehmende Verstaatlichung und Professionalierung des Medizinalwesens im Untersuchungszeitraum zwischen 1770 und 1830, also die oft diskutierte und unter dem Stichwort „Medikalisierung“ zusammengefaßte Herrschaftsintensivierung im Bereich des Gesundheitswesens1, die von Herrschaftsträgern und gelehrten Eliten gemeinsam vorangetrieben wurde. Vier separate, aber doch vielfach miteinander verflochtene, für die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen relevante Untersuchungsstränge sind zu verfolgen: Zunächst ist die Organisation der Medizinalverwaltung im Bereich der obersten Landesverwaltung und die Institutionalisierung medizinischer Fachgre1
Die grundlegenden Studien zu diesem Themenfeld haben Frevert, U., Krankheit, 1984 und Jütte, R., Ärzte, 1991 verfaßt. Einführend in die Thematik zuletzt: Stolberg, M., Heilkundige, 1998; Dinges, M., Medicinische Policey, 2000; Wahrig-Schmidt, B. / Sohn, W. (Hg.), Aufklärung, 2003.
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mien zu betrachten. Darauf aufbauend wird zweitens gezeigt, wie jene Gremien ihr Selektionsrecht bei der Auswahl der im Herzogtum zur Praxis zuzulassenden weiteren Heilkundigen ausgeübt und ausgestaltet haben. Daran anknüpfend wird ein entscheidendes Professionalisierungskriterium der „Physiker“ genannten Amtsärzte, nämlich die Frage, ob ihnen eine feste Besoldung zuerkannt werden solle, diskutiert. Zuletzt wird noch ein Blick auf den zünftisch organisierten Teil der vorhandenen Heilkundigen und die auf diesem Sektor zu beobachtenden Veränderungen geworfen. 1. Ein „Collegium medicum“ für Sachsen-Weimar-Eisenach Bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts hinein gestaltete sich der Aufbau des Medizinalwesens in Sachsen-Weimar folgendermaßen: Die Regierung in Weimar verantwortete als die für die gesamte Innenpolitik zuständige Oberbehörde auch das Medizinalwesen. Ihr direkt unterstanden die Amtsärzte, die sogenannten „Physici“, welche auch von ihr bestallt wurden. Sie wurden zur Durchsetzung obrigkeitlicher Maßnahmen, vor allem zu Aufsichtsfunktionen, herangezogen und waren für einen bestimmten Amtsbezirk zuständig. Jedoch existierte, wie Marcus Ventzke herausgearbeitet hat, noch in den 1760er Jahren kein flächendeckendes Netz dieser Physici.2 Sie erhielten für ihren Dienst auch keine feste Besoldung, sondern wurden je nach Arbeitsanfall bezahlt. Daneben durften sie private Heilpraxis treiben. Im Ergebnis einer Diskussion über die Einführung eines Collegium medicum, d. h. einer weiteren, allein für medizinische Belange zuständigen Instanz innerhalb der Landesverwaltung, kam es 1756 zu einer weitreichenden Veränderung. Dabei orientierte man sich im Fürstentum Weimar am Vorbild anderer Territorien, sowohl umliegender ernestinischer3 wie auch der im Reich tonangebenden Staaten, wo die Existenz solcher Gremien längst Tatsache war. Auch im neu hinzugekommenen Eisenacher Landesteil des Herzogtums gab es bereits ein Collegium medicum. Den Anlaß, eine derartige Behörde auch im weimarischen Teil des Herzogtums zu institutionalisieren, hatte ein Schreiben Dr. Carl Martin Webers gegeben, welcher – auf seine Studien in Dresden und Jena sowie seine Jenaer Doktorpromotion verweisend – Herzog Ernst August Konstantin bat, in dessen Herrschaftsbereich praktizieren zu dürfen. Die Weimarer Regierung nahm dieses Schreiben zum Vorwand, um dem Herzog vorzutragen, daß bisher jeder praktizierende Doktor der Medizin außer seinen Universitätsprüfungen „ohne anderweite examination von dem Stadt- und LandPhysico (oder) auch anderen recipirten Doctoribus auszustehen, bisher admittiret worden“, daß er also, anders als in anderen Staaten zu dieser Zeit längst üblich, sich vor seiner Zulassung zur Praxis 2 3
Ventzke, M., Herzogtum, 2004, 290 ff. Klinger, A., Fürstenstaat, 2002, 308.
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keinem gesonderten Examen unterziehen müsse.4 Zwar dürfe gegenüber Dr. Weber, fuhr die Regierung fort, „die gebetene Concessio Praxeos medicae dermahlen noch ohne weiteres tentamen, da er seine inaugural Disputation selbsten ausgearbeitet und mit applausu gehalten, in Gnaden zu conferiren kein Bedencken obwalten“. Jedoch sei es künftighin nötig, „hiesiger Fürstlichen Residenz-Stadt ein Collegium medicum unter dem Vorsitz Ew. Hochfürstl. Durchl. erstern Leib Medici anzuordnen, und dahin Vorkehrung zu thun, daß fürohin im ganzen Lande keinem, er sey ein Promotus oder nicht, ohne vorher von solchem Collegio medico nachmahls tentirt [examiniert – S.W.] zu werden, (...), Praxis medica verstattet werden.“
Die Antwort des Herzogs betonte, daß ein solches Collegium medicum dringend nötig sei, damit „nicht jedermann so schlechterdings ad praxis admittiret, sondern alle diejenige(n), welche solche suchen, vorher explorirt, und nach befinden ihrer fähigkeit entweder abgewiesen, oder dazu gelassen werden.“ Jedoch habe er wegen Geschäftsüberlastung momentan keine Zeit, sich um die Einrichtung eines solchen zu kümmern, weshalb er vorerst „Unserm Hofrath LeibMedico, D. Hufeland, Unserm HofMedico, D. Müller, und dem Garnisons Medico, D. Jacobi“ aufgebe, „daß selbige conjunctim sowohl den um die Praxis sich bewerbenden D. Weber als auch fürohin (…) Medicos, Chirurgos und Barber, welche um solche nachsuchen, zu einem Colloquio Medico und resp. examine“ einladen und anschließend über das Ergebnis an die Regierung berichten.5 Dieser Anordnung, die ganz im Interesse der obersten Landesverwaltung – in diesem Falle dem der Regierung und der zu Prüfern ernannten Weimarer Mediziner – war, zumal sie deren Position stärkte, wurde in den nachfolgenden Jahren unter der Regierung Anna Amalias offensichtlich Folge geleistet. Die sich häufenden Praxisgesuche von Medizinern zeigen dies deutlich. Auch die immer wieder vergeblich eingehenden Bitten um Erlaß des Examens, die die Antragsteller etwa mit dem Hinweis auf ihre andernorts bereits geübte Praxis oder den langen Anreiseweg nach Weimar begründeten, deuten auf eine konsequente Umsetzung der Richtlinie hin. Besonders hart traf es den eingangs erwähnten Dr. Weber als ersten Prüfling, der mit dem nicht von der Hand zu weisenden Argument um Verschonung vom Examen bat, daß, wenn er sich nochmals prüfen lassen müsse, seine Patienten von ihm den Eindruck mangelnder medizinischer Kompetenz bekommen würden, da er „bereits geraume Zeit praxin getrieben.“ 6 Jedoch half ihm dieser Einwand nichts. Als ein Beispiel für den Ablauf des Examens in Weimar sei hier die Prüfung des späteren Hofmedikus Wilhelm Sebastian Buchholz geschildert, der 1763 um 4 5 6
Schreiben der Regierung an den Ernst August Constantin vom 5. Juli 1756, in: ThHStAW, B 5164 (Geheime Canzley-Acta Das Collegium Medicorum zu Weimar und die denen dasigen Medicis gestattete Licentiam praxeos Vol. I betr. 1756–1796), Bl. 6 f. Schreiben Ernst August Constantins an die Regierung vom 20. Juli 1756, in: ThHStAW, B 5164 , Bl. 8r–8v. Schreiben Webers an den Herzog vom 10. August 1756, in: ebd., Bl. 10r.
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die Erlaubnis nachgesucht hatte, sich in Weimar als praktischer Arzt niederzulassen. Die Anweisung der nunmehr regierenden Herzogin Anna Amalia sah vor, durch „Unsern Leib Medico, Hofrath Hufeland, und Hof Medico Dr. Müller, den Supplicanten zu einem Colloquio zu erfordern, ihn sodann besonders in practicis zu tentiren“.7 Das Gutachten der Mediziner, welches die Herzogin anschließend von der Regierung erhielt, führte aus, daß Buchholz einen speziell für ihn vorbereiteten schwierigen praktischen Fall zufriedenstellend gelöst habe, bei weiteren Fragen hätten sich jedoch Lücken gezeigt, „weilen die Zeit, welche er auf der Academie in Jena zu gebracht, sehr kurtz, und es nicht möglich gewesen, in solcher Kürtze alle Theile der Medicin gründlich zu begreiffen.“ Buchholz hätte jedoch seine Bereitschaft zur Weiterbildung glaubhaft gemacht. „So zweifeln wir nicht“, so das Schreiben weiter, „sondern hoffen vielmehr er werde einstens mit seiner angehenden praxi dem Publico nützlich seyn können.“8 Buchholz erhielt die gewünschte Erlaubnis zur medizinischen Praxis. Die besondere Rolle, welche die in der Residenzstadt Weimar zugelassenen Ärzte spielten, differenzierte sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts faktisch auf zwei Ebenen aus. Im erwähnten Prüfungsreskript von 1756 waren alle drei damals dort praktizierenden Mediziner namentlich genannt worden. In den folgenden Jahren nahmen nur sie die Prüfungen der Praxiskandidaten ab. Jedoch war im Laufe der Zeit die Gesamtzahl der Ärzte in Weimar gewachsen, ohne daß die hinzugekommenen Mediziner in das Prüfungskollegium einrückten. Gleichwohl hatten sie eine besondere Stellung im sachsen-weimar-eisenachischen Medizinalwesen inne, denn sie wurden oft als Gruppe mit Gutachten zu medizinalpolizeilichen Fragen betraut. So sollten etwa 1772 alle fünf ordentlichen Weimarer Mediziner, d. h. neben den prüfungsberechtigten Hofmedici Johann Friedrich Hufeland und Friedrich Gottlieb Müller noch der Garnisionsmedikus Paul Johann Friedrich Helmershausen sowie die Ärzte Buchholz und Christian Gottlieb Hufeland, ein Gutachten zur geplanten herzoglichen Verordnung über den Umgang mit Verunglückten erstellen.9 Als 1770 die Generalpolizeidirektion ins Leben gerufenen wurde, verlor die Regierung in Weimar schrittweise zentrale Aufgaben der inneren Verwaltung.10 Die Fragen des Medizinalwesens gingen immer stärker in den Kompetenzbereich der Generalpolizeidirektion über, wobei es jedoch – typisch für Weimar – keine klare Abgrenzung der Zuständigkeiten gab und die Regierung erst nach und nach ihre alten Kompetenzen, wie etwa das Berufungsrecht neuer Amtsärzte, an die neue Behörde abgeben mußte. Trotzdem war die für ordentlichen Mediziner der Residenzstadt weisungsberechtigte Behörde nun eine andere. 7 8
Schreiben der Anna Amalia an die Regierung vom 13. Juni 1763, in: ebd. Bl. 24r. Schreiben von Johann Friedrich Hufeland und Friedrich Gottlieb Müller an Anna Amalia vom 5. Juli 1763, in: ebd., Bl. 26r–26v. 9 Regierungs-Acta, Das wegen Rettung der in Wasser oder durch ander plötzliche Fälle verunglückenden Personen ins Land ergangenen Patente betreffend, in: ThHStAW, B 5255, Bl. 10 ff. 10 Hess, U., Geheimer Rat, 1962, 193.
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In Gestalt der Jenaer Medizinischen Fakultät wandte sich im Jahr 1779 eine Interessengruppe gegen die Examenspflicht für studierte Mediziner, deren Stimme die Herrschaft nicht ignorieren konnte. Die Professoren teilten dem Herzog mit, daß sich der von ihnen zum Doktor promovierte, aber beim anschließenden Praxisexamen in Weimar durchgefallene Dr. Heinrich aus Allstedt hilfesuchend an sie gewandt habe. Zwar sei dieser kein perfekter Arzt gewesen, jedoch habe er für einen Arzt einer kleinen Landstadt wie Allstedt über ausreichende Kenntnisse verfügt. Darüber hinaus sahen die Professoren auch die Ehre und die Einnahmen ihrer Fakultät gefährdet, wenn „die hier promovirten Doctores Medicinae blos deshalb, weil sie noch nicht bei ihrem Abgange von der Akademie vollkommene Meister in der Kunst sind, für unfähig erklärt werden sollten, indeß daß mancher alte Ignorant und eine unübersehbare Menge von Pfuschern in hiesigen Landen ihre Mitbürger ungescheuet mordet, auch zu besorgen steht, daß künftig nicht leicht jemand sich entschließen möchte, hier [in Jena – S.W.] den Gradum anzunehmen.“11
In einem ausführlichen Gegengutachten, dem die herzogliche Entscheidung anschließend auch folgte, wies die Weimarer Regierung die Argumente der Jenaer Professoren zurück. Heinrich habe im Examen bei Leibmedikus Hufeland die einfachsten Fragen nicht beantworten können und zudem erhebliche Lücken im Latein gezeigt. Auch sei „das Anführen“ der Fakultät, „daß derselbe in der kleinen Sphäre seiner GeburthsStadt mit Beyfall zu wirken hinlänglich geschickt zu seyn geschienen, ziemlich sonderbar (…), als wenn die Gesundheit und das Leben der Unterthanen in der kleinen Sphäre der Stadt Allstedt, von minderer Beträchtlichkeit, als in einer grösseren Stadt seyn müssen.“12
Es gebe keinen Grund – und hierin zeigt sich das Fürsorgeverständnis der Weimarer Landesbehörde – „daß man von Seiten der Landes-Obrigkeit, Leib und Leben der Unterthanen einem ungeschickten Subiecto wissentlich Preiß geben dürfe.“13 Wenn die Mitglieder der Medizinischen Fakultät „die Gestaltung der medicinischen Praxis, mit dem von ihnen ertheilt werdenden Doctortitul als unzertrennlich verbunden ansehen; so sind sie hierinn wenigstens in Ansehung hiesiger Lande, sehr irrig; Da besage gnädigsten Rescripts von (...) 1756., (...), alle diejenigen, welche Praxim medicam suchen, vorher allhier examiniret, und, nach Befinden ihrer Fähigkeiten, entweder abgewiesen, oder dazu gelassen werden sollen.“
Dies entspreche im übrigen auch der Praxis bei Verwaltungsjuristen, da „auch in Ansehung der Doctorum juris, ehe sie ad praxim juridicam gelassen werden, die Fertigung eines Speciminis ebenfalls erfordert zu werden pfleget.“14 Darüber hinaus, so die Weimarer Beamten,
11 Schreiben der Medizinischen Fakultät der Universität Jena an Carl August vom Juni 1779, in: ThHStAW, B 5164, Bl. 78r. 12 Schreiben der Regierung an den Herzog vom 27. Juli 1779, in: ThHStAW, B 5164, Bl. 82r. 13 Ebd., Bl. 82v. 14 Ebd., Bl. 83r.
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Stefan Wallentin „können wir unbemerkt nicht lassen, daß die medicinische Facultät, wenn ihr Anführen, als wenn manche alte Ignoranten und eine unübersehbare Menge von Pfuschern in hiesigen Landen ihre Mitbürger ungescheuet mordeten, gegründet ist, (...) billig zur Nahmhaftmachung anzuweisen seyn dürfte, damit solchen angeblich ungescheueten Mördern der Prozeß gemacht werden könne.“15
Damit wurden den ihre alten Rechte geltend machenden Professoren, die darauf beharrten, daß der Erwerb des Doktortitels automatisch auch das Recht zur medizinischen Praxis einschließe, von der führenden und herrschernahen Administration in Weimar der Primat der staatlichen Verwaltungsinstitutionen klar vor Augen geführt. Zudem wurde deutlich, daß die Praxisprüfung kein akademisches, sondern ein von der Verwaltung forciertes Projekt war. Ende der 1780er Jahre ergab sich das Problem, daß mit Hufeland d. Ä., welcher in den letzten Jahren allein die Examen abgehalten hatte, alle im ursprünglichen Befehl von 1756 namentlich zur Praxisprüfung berechtigten Weimarer Mediziner verstorben waren.16 Deshalb wandte sich die Regierung an den Herzog, er möge allen nunmehr in Weimar praktizierenden Ärzten, nämlich dem Rat Helmershausen und den Hofmedici Buchholz, Hufeland und Abt, einen entsprechenden Auftrag erteilen.17 Carl August entschied, die Regierung solle alle Hofmedici und den Ganisionsmedikus beauftragen, „alle anderen Medicos, Chirurgos und Bader“, welche um die Praxiserlaubnis nachsuchen, „zu einem Colloquio medico resp. Examine zu erfordern, und in selbigem deren Profectus untersuchen auch sodann über den Befund an Euch berichten.“18 Ein Jahr darauf, 1788, traten die Regierung und die Generalpolizeidirektion gemeinsam an den Herzog heran, er möge nach dem Beispiel Gothas und Eisenachs ein explizites Collegium medicum vor allem zur Prüfung der Mediziner und Chirurgen ins Leben zu rufen.19 Die herzogliche Antwort befahl beiden Gremien, sie sollten sich in Gotha und Eisenach nach den Instruktionen erkundigen und eine solche dann für Weimar entwerfen. Bis dahin sei durch die hiesigen Hofmediziner mit dem Praxisexamen einstweilen fortzufahren. Damit blieb die Angelegenheit unerledigt, bis 1799 die Generalpolizeidirektion den Herzog an die lang geplante Einrichtung eines Medizinerkollegiums wieder erinnerte, wobei vor allem intendiert war, jene „mit einer aus den Mitteln der Landschaft zu erogirenden fixen Besoldung zu bedencken.“20 Carl August jedoch bremste und wies an, daß ein Medizinerkollegium nicht vor dem Erlaß einer neuen Medizinalordnung, die gerade von der Medizinischen Fakultät in Jena ent15 Ebd., Bl. 83v–84r. 16 Schreiben Carl Augusts an die Regierung vom 16. Januar 1776, in: ebd., Bl. 64; Schreiben der Generalpolizeydirektion an Carl August vom 2. Januar 1799, in: ThHStAW, B 5352, Geheimde Canzley-Acta die in Antrag gebrachte Errichtung eines Collegii medici zu Weimar betr., Bl. 1r–3v, hier 1r. 17 Schreiben der Regierung an Carl August vom 9. Mai 1787, in: ThHStAW, B 5164, Bl. 90r; ThHStAW, B 5352, Bl. 1v. 18 Schreiben Ernst Augusts an die Regierung vom 18. Mai 1787, in: ebd., Bl. 91r. 19 ThHStA Weimar, B 5323, Bl. 1r. 20 Ebd., Bl. 2v.
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worfen werde, ins Leben gerufen werden solle. Für die Praxisexamen sollten die zwei seit der Anweisung von 1787 verbliebenen Physiker von den übrigen in Weimar praktizierenden Medizinern nach Bedarf einen oder mehrere hinzuziehen.21 Damit wird wiederum klar, daß stets nur die in Befehlen namentlich genannten ordentlichen Weimarer Mediziner an den Prüfungskompetenzen teilhatten. Es gab keinen Automatismus, wonach jeder praktizierende Arzt der Regierungsstadt gleichberechtigt mit herangezogen wurde, und der von widersprüchlichen herzoglichen Anordnungen gestiftete Kompetenzwirrwarr in Medizinalfragen zwischen Regierung, Landespolizeidirektion und Medizinischer Fakultät führte zu vielen Reibungen und Unklarheiten. Dieser Zustand änderte sich bis zur Umgestaltung der Landesverwaltung 1816 nicht mehr. Nach der Landesreorganisation war nun die als eines von sieben Landeskollegien ins Leben gerufene Landesdirektion für die Anstellung der Physiker und alle übrigen Fragen des Medizinalwesens zuständig. Ihr wurde ein Collegium medicum, das bald in Sanitätskommission umbenannt wurde, beigegeben, dessen drei Mitglieder die Leibärzte und Hofräte Huschke und Stark sowie der zum Obermedizinalrat ernannte Froriep waren.22 Dieses Gremium fungierte als eine Untergliederung der Landesdirektion und sollte mindestens einmal monatlich bei Sitzungen der Landesdirektion hinzugezogen werden, wenn es um Fragen des Medizinalwesens ging. Als Tätigkeitsbereich dieses Gremiums ausdrücklich angeführt waren: das Abhalten der Examina bei anzustellenden Ärzte und Chirurgen, die Führung der Oberaufsicht über die Krankenanstalten, die Seuchenprophylaxe sowie die Beaufsichtigung des Apothekenwesens und des Hebammeninstituts.23 Der eisenachische Landesteil, welcher nunmehr nicht mehr als Herzogtum, sondern als Kreis bezeichnet wurde, verfügte über einen analogen Behördenaufbau. Es gab eine sogenannte Zweite Sektion der Landesdirektion mit einer dem Weimarer Vorbild entsprechenden Sanitätskommission, welche aus jenen Ärzten bestand, die bereits das vorherige Eisenacher Collegium medicum gebildet hatten. Einmal im Monat wurden auch sie zu den Sitzungen hinzugezogen „und in ihrer Gegenwart und unter ihrem Beirath, die in die Medicinal-Policey gehörigen Gegenstände abgehandelt“.24 Jedoch zeigte sich 1826 anläßlich einer Neubesetzung, daß die Weimarer Sanitätskommission nicht zu einem geregelten Geschäftsgang gefunden hatte, was 21 Schreiben Ernst Augusts an die Generalpolizeydirektion vom 18. Januar 1799, in: ebd., Bl. 5r. 22 Schriftverkehr zur Ernennung Bertuchs von 1816, in: ThHStAW, B 5421, Einrichtung einer Obermedizinalbehörde, Umwandlung der Medizinalkollegien in Weimar und Eisenach in Sanitätskommissionen sowie allgemeine Angelegenheiten des Medizinalwesens, 1816–1847, Bl. 1 ff. 23 Schreiben Anton Freiherr von Ziegesars an Jakob Friedrich von Fritsch vom 16. Januar 1816, in: ebd., Bl. 3v. 24 Bericht der Landesdirektion an Carl August vom 16. Oktober 1816, in: ebd., Bl. 26v; vgl. ebenso ThHStAW, B 27186a, Landesdirektionsakten betr. das Collegium medicum (Sanitätskommission für das Großherzogtum), 1816–1843.
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die berichtenden Räte der Landesdirektion auf die fehlende Geschäftsordnung und die mangels eigenen Sekretärs unzulängliche Aktenführung zurückführten. Vor allem aber kranke das Gremium an seinem Aufgabenzuschnitt, da die Aufsicht über das Gesundheitswesen bereits Aufgabe der Physiker sei. Ein Jahr später, 1827, wurde deshalb die Sanitätskommissionen in Weimar und Eisenach aufgelöst und in eine der Weimarer Landesdirektion angeschlossene Examinations-Deputation überführt, die nun lediglich für die Prüfung der Ärzte, Wundärzte und Apotheker im gesamten Großherzogtum zuständig war. Sie bestand aus den Weimarer Medizinern Froriep, Schwabe und Vogel. Bei dieser Einrichtung blieb es in den 1830er Jahren.25 2. Mechanismen der Zulassung Wie gestalteten die vorstehend geschilderten Gremien in Weimar und Eisenach in der zweiten Hälfte des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhundert das ihnen verliehene Recht zur Prüfung der um die Erlaubnis zur Praxis nachsuchenden Heilkundigen aus? Die entscheidende Grundkonstellation bei diesem Vorgang war, daß eine aufgrund herrschaftlicher Verordnung herausgehobene Gruppe von akademisch gebildeten Ärzten eine Vormachtstellung erreicht hatte, die es ihr formal erlaubte, den Zugang zum Markt medizinischer Dienstleistungen zu kontrollieren. Als ein zentraler Effekt dieser neuen Einrichtung ist festzuhalten, daß sich die Zahl der praktizierenden Mediziner mehr und mehr reduzierte. Ein erster in den Akten enthaltender Fall ist der des Lizenziaten der Medizin Heinrich Gottfried Trautmann, der im Jahre 1760 um die Anwartschaft auf die Stelle des Stadt- und Landsphysikus in Allstedt und die Erlaubnis zur medizinischen Praxis in Weimar bat und dabei auf seine mehrjährige Praxis in den nicht zum Herzogtum gehörenden Städten Altenburg und Schmölln verwies. Das von der damals regierenden Herzogin Anna Amalia angeforderte Gutachten der Regierung sprach sich prinzipiell für eine mögliche Praxiserlaubnis für Trautmann aus, gab jedoch, da es bereits zwei Mediziner in Allstedt gab, zu bedenken, „daß wann noch einem dritten die praxis medica verstattet wird, einer dem andern seinen Verdienst entziehen und schwächen dürfte.“26 Man legte Trautmann deshalb nahe, sich an einem anderen Orte niederzulassen. Wesentlich schärfer wurde ein Jahrzehnt darauf mit dem Ilmenauer Mediziner Dr. Johann Christoph Eyrich verfahren, der 1773/74 ein weiteres Mal um Praxis25 Schreiben der Landesdirektion an Carl August vom 24. Juni 1826, in: ebd., Bl. 55; vgl. Sitzungsprotokoll der Landesdirektion vom 9. Februar 1826, in: ThHStAW 27186a, Bl. 48– 51v; Bericht der Landesdirektion an Carl August vom 10. Oktober 1826, in: ThHStAW, B 5421, Bl. 63r–63v, und Schreiben Carl Augusts an die Landesdirektion vom 4. Dezember 1827, in: ThHStAW, Bl. 66–66v. 26 Schreiben der Regierung an Anna Amalia vom 7. Februar 1760, in: ThHStAW, B 5164, Bl. 22v.
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erlaubnis nachsuchte, nachdem diese ihm schon einmal verweigert worden war. Er hatte in Jena studiert und in Erfurt den Doktortitel erworben, was angesichts der darniederliegenden und geldbedürftigen Erfurter Universität Zweifel an seiner Kompetenz weckte. Außerdem waren gegen ihn bereits Geldstrafen wegen unerlaubter medizinischer Praxis vom Amt Ilmenau verhängt worden. Jedoch berief er sich bei seinen wiederholten Eingaben auf das mit dem Eid der Medizinischen Fakultät verbundene Recht zur medizinischen Praxis und unterlegte seine Bitte mit zahlreichen Attesten über erfolgreich durchgeführte Behandlungen.27 Das von Anna Amalia von der Generalpolizeidirektion angeforderte Gutachten urteilte, der mehrfach vorbestrafte Eyrich verdiene keine Gnade. Außerdem wäre, wenn sein Fall Schule machte, zu befürchten, „daß dergleichen Indulgenz die aller Orten sich befindende Medicastros zu Fortsetzung der Dispensierung ihrer Medicamente anreitzen, und in casu praesente zu Illmenau denen dortigen beyden Medicis, Scherff, Vater und Sohn, wovon der leztere vorzüglich von dem Hofrath und Leib Medico, D. Hufeland, bey vorgekommenen Gelegenheiten mehrmahlen besonders gelobet worden, die subsistenz und Erwerb entzogen und lezterer sich von dort wegzubegeben, veranlasset werden dürfte.“28
Zwei Jahre später, nun unter Carl August, supplizierte Eyrich erneut, wurde aber wiederum wegen Beschwerden gegen ihn, über die der Ilmenauer Stadt- und Amtsphysikus Scherf Anzeige erstattet hatte, abgewiesen und mit Landesausweisung bedroht, falls er noch einmal unerlaubte medizinische Praxis betreiben sollte.29 Ähnliche Fälle finden sich oft in den Akten. Sie zeigen, daß die eingeführte Praxiserlaubnis als Ausschlußkompetenz nach unten konsequent umgesetzt wurde, und zwar nicht nur gegen die nichtakademischen Heilberufe, sondern auch gegen studierte Ärzte, die in der Residenzstadt Weimar über keine entsprechende Lobby verfügten und in unliebsame Konkurrenz zu anderen, mit dem Hof gut vernetzten Medizinern zu treten drohten, wie etwa Eyrich zu den Ilmenauer Physici der Familie Scherf. Hauptargument, ihnen die Praxis nicht zu gestatten, war dabei zumeist die bei weiterer Erhöhung der Wettbewerberzahl zu befürchtende Übersättigung der lokalen Gesundheitsmärkte. Auch 1822 noch, als in Weimar sieben Ärzte tätig waren, von denen drei als Hofräte die Sanitätskommission bildeten, wurden weitere Praxisgesuche wegen Überfüllung abgelehnt. Jedoch waren in den ersten Jahrzehnten des hier untersuchten Zeitraums auch Ausnahmen möglich, die die Selektionsfunktion des neuen Verwaltungsverfahrens noch deutlicher machen. So hat etwa 1768 der Sohn des prüfenden Hufeland, Christian Gottlieb Hufeland, die Praxiserlaubnis auf herzoglichen Befehl ohne Examen erhalten, jedoch ausdrücklich „ohne Consequenz auf andere Fälle“.30 Zu 27 Schreiben Johann Christoph Eyrichs an Carl August vom 31. Juli 1776, in: ebd., Bl. 65r. 28 Schreiben der Generalpolizeydirektion an Anna Amalia vom 19. März 1774, in: ebd., Bl. 59r–60r. 29 Schreiben der Generalpolizeydirektion an Carl August vom 23. November 1776, in: ebd., Bl. 70r f. 30 Schreiben Anna Amalias an die Regierung vom 5. Februar 1768, in: ebd., Bl. 39r.
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Anfang der 1780er Jahre war das Verfahren jedoch schon so weit gefestigt, daß ein weiterer Sohn Hufelands, „um der Consequenz willen“, seine Kenntnisse in einem Kolloquium unter Beweis stellen mußte. Jedoch avancierte Dr. Friedrich Gottlob Hufeland bald darauf zum Hofmedikus, weil ihm sein Vater Johann Friedrich Platz machte und einen Teil seiner Besoldung abtrat.31 Ähnliche Mechanismen waren auch noch im konstitutionellen Zeitalter wirksam, als beispielsweise 1821 Dr. Karl Huschke mit Unterstützung seines Vaters, des Hofrats und Leibarztes Wilhelm Ernst Christian Huschke, zum Praxisrecht kam und ein äußerst positives Zeugnis der Sanitätskommission erhielt.32 3. Der nervus rerum – Zur schwierigen Frage einer Besoldung der Amtsärzte Ein wichtiger Indikator für den Entwicklungsstand des Medizinalwesens war die Frage der Besoldung für die Physici. Während Staaten wie etwa Preußen diese bereits zu Beginn der 18. Jahrhunderts eingeführt hatten, tat sich in Sachsen-Weimar-Eisenach bis zum Ende des Saeculums in dieser Hinsicht nichts. 1789 schlug die Generalpolizeidirektion vor, Amtsphysikern und -chirurgen des Weimarer und Jenaer Landesteils, die bisher von einzelnen Ausnahmen abgesehen keine Besoldungen genossen, ein Gehalt zu zahlen. Die Mittel dafür sollten, damit der Vorschlag überhaupt eine Chance auf Gehör haben würde, nicht aus der herzoglichen, sondern aus der Landeskasse bestritten werden, da „die öffentliche Vorsorge für Gesundheit und Leben der Unterthanen eine so allgemeine Landes-PoliceyAngelegenheit [ist], daß der darauf zu machende Aufwand sich wohl vorzüglich zu einem landschaftlichen Aufwande qualificiren möchte.“33 Die Stände bewilligten schließlich auch die Hälfte der veranschlagten Mittel, jedoch kamen diese nie zur Auszahlung.34 Mit der neuen Medizinalordnung von 1814 wurde endlich eine Besoldung für die Physiker eingeführt, die je nach Amtsbezirk 13 bis 60 Taler betrug.35 1817 kamen auch noch Fouragerationen hinzu; zudem wurde die Besoldung etwas aufgestockt.36 Jedoch blieb sie bis zum Ende der 1820er Jahre weit unter den in anderen Territorien üblichen Beträgen. Nicht zuletzt die Frage der Bezahlung der Amtsärzte verdeutlicht also, in welchem Maß in einem kleinen und 31 Schreiben Carl Augusts an die Weimarer Kammer vom 30. Juni 1784, in: ThHStAW, B 25840, Leib- und Hofärzte, Chirurgen, Zahnärzte, Apotheker, Barbiere 1570–1843, Bl. 181r. 32 Schreiben der Landesdirektion an Carl August vom 5. Januar 1821, in: ThHStAW, B 27180, Die Besetzung der Physikatstellen im Großherzogtume und deren Besoldung 1814–26, Bl. 122r–122v. 33 Schreiben der Regierung an Carl August vom 6. April 1789, in: ThHStAW, B 27171, Die Bestellung besonderer Amts- und Stadtphysiker und die Aussetzung eines fixen Gehaltes für die Amtsphysiker und Chirurgen 1765–1802, Bl. 4r. 34 Schreiben Carl Augusts an die Weimarischen Stände vom 30. April 1802, in: ebd., Bl. 28r. 35 Schreiben Carl Augusts an die Landesdirektion vom 25. Februar 1814, in: ThHStAW, B 27180, Bl. 7v. 36 Bericht der Landesdirektion vom 20. November 1816, in: ebd., Bl. 19 ff.
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wirtschaftlich schwachen Territorium wie Sachsen-Weimar-Eisenach auch der Ausbau des Medizinalwesens vom Diktat der knappen Mittel beherrscht wurde. 4. Bader, Barbiere und Chirurgen – die nichtakademischen Heilberufe Die äußerst heterogene Personengruppe der nichtakademischen Heilkundigen umfaßte neben den zünftisch organisierten Badern und Barbieren Hebammen, Apotheker, Scharfrichter sowie auch umherwandernde Personen, die von ihren Mitmenschen als heilkundig angesehen und konsultiert wurden.37 In der Frühen Neuzeit wurde der überwiegende Teil medizinischer Dienstleistungen, so hat die bisherige Forschung herausgearbeitet38, von dieser Gruppe erbracht. Dies gilt auch noch für das 18. Jahrhundert. Der dabei jedoch langsam einsetzende tiefgreifende Wandel zeigt gerade bei dieser Berufsgruppe wie in einem Brennglas die gesellschaftlichen Veränderungen im hier untersuchten Zeitraum. Mitte des 18. Jahrhunderts waren die Gewerbe der Bader und Barbiere in Sachsen-Weimar-Eisenach zünftisch organisiert. Wer praktizieren wollte, mußte eine Lehr- und Wanderzeit absolviert haben; zugewanderte Gesellen wurden einer Prüfung bei der jeweiligen Innung unterzogen. Auch konnte es vorkommen, was jedoch noch nicht regelmäßig der Fall war, daß ein Examen beim Physikus der entsprechenden Stadt oder des Amtsbezirks abgelegt wurde.39 Der sich ausbildende Verwaltungsstaat hatte jedoch bereits deutliche Spuren hinterlassen. Daß die Innungen nur an größeren Orten existierten, begünstigte staatliche Regulierungsversuche, und so wurden oft einzelne Bader mit Rückendeckung des zuständigen Amtmannes oder Physikus angestellt.40 Im Bereich der Stadt Weimar und des dazugehörigen Umlandes war in den 1760er Jahren die Praxiserlaubnis für Bader von einer Prüfung durch die erwähnten Weimarer Mediziner abhängig.41 Die Zulassungspraxis folgte auch hier den von den akademischen Ärzten bekannten Prinzipien der Marktregulierung. Das Wissen in der Bevölkerung um die Möglichkeit herzoglicher Privilegienverleihungen stärkte außerdem die Stellung des Landesoberhaupts und seiner Behörden bei der Zulassung von Heilern, denn oft wurde bei Auseinandersetzungen mit den Innungen der 37 Jütte, R., Ärzte, 1991, 17. 38 Ebd. 39 Verschiedene Zulassungsgesuche von Badern, in: ThHStAW, B 5179, Geheime Canzley Acta, Die Bader und Barbier-Stuben in den hiesig Fürstl. Landen betr. Weimar 1756 bis 1840, Bl. 1 ff.; Schreiben der Barbierinnung Weimar an Ernst August vom 10. Dezember 1749, in: ThHStAW, B 7509, Gesuch der Barbiere in Weimar um Ablehnung der Prüfung vor dem Leibchirurgen Schönwalter in Weimar (Obervormundschaftliche Landesverwaltung Weimar) 1749–1755, Bl. 2v. 40 Schreiben Ludwig Kreuchaufs an Ernst August Constantin vom 12. Juli 1757, in: ThHStAW, B 5179, Bl. 31r, Schreiben der Kammer an Ernst August Constantin vom 10. Februar 1757, 42 ff. 41 Schreiben der Regierung an Anna Amalia vom 1767, in: ebd., Bl. 80r, Gutachten der Regierung von 1767, Bl. 87r.
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Herzog angerufen. Wie alte ständische Rechte ohne Bedenken und Widerstand übergangen wurden, zeigt der Fall des Barbiergesellen Martin Dennstedt aus dem Jahr 1775, welcher aufgrund eines herzoglichen Erlasses als Vollmitglied in die Weimarer Barbierinnung aufgenommen werden mußte, obwohl diese ihm die Mitgliedschaft zuvor wegen nichtabsolvierter Wanderzeit verweigert hatte.42 Zum Generalangriff auf die Zunftrechte setzte Weimar dann zum Ausgang des Jahrhunderts zuerst in der Universitätsstadt Jena an, wobei sich die Herrschaft der Hilfe des Medizinprofessors und Stadtphysikus Loder bediente. 1792 hatte Carl August den Jenaer Badern per Reskript bereits untersagt, bestimmte Krankheiten ohne Hinzuziehung eines akademischen Mediziners zu behandeln.43 Anläßlich einer Auseinandersetzung um die Aufnahme eines Neumitglieds in die Jenaer Barbierinnung kam es nach Schilderung der Weimarer Regierung in der Residenzstadt zu „Erörterungen über das in den Innungs-Artikeln gedachter Barbierinnung vorgeschriebene – den heutigen Fortschritten der WundArzney-Kunst durchaus nicht mehr angemeßene Probe Stück“.44 Sie endeten damit, daß besagter Loder mit der Neufassung einer Innungsordnung beauftragt wurde. Diesen Auftrag erfüllte er 1798; sein anschließend von der Generalpolizeidrektion und den „Medicorum ordinariorum“ begutachteter Entwurf sah eine Zusammenlegung der Jenaer Bader- und Barbierinnung vor sowie ein absolutes Verbot innerer Behandlungen und weitreichende obrigkeitliche Aufsichtsrechte. Begründet wurden diese Neuerungen damit, daß „in neuerer Zeit die größeren academischen und Hospital-Anstalten den Zunftgeist unter den Barbieren und Badern ziemlich gemindert haben und die Benennung Wundarzt in der (…) Welt eine höhere Stufe der Ehre gewährt, als jene vulgairen zum Theil herabgewürdigten Zunftnahmen.“45
1804, als die Entscheidung anstand, erschien Carl August der Vollzug dieser Maßnahme noch zu hart, 1813 wurden die neuen Innungsartikel aber mit Signalwirkung für das gesamte Herrschaftsgebiet mit seiner Unterschrift doch vollzogen.46 Neben den Physici war bereits in 1760er Jahren ein Netz von sogenannten Amtschirurgen vorhanden, die durch die Regierung angenommen und bei Bedarf zu obrigkeitlichen Aufgaben, nicht selten zu gutachterlicher Tätigkeit in Gerichtsfällen, herangezogen wurden.47 Wie im Falle der Physici war damit keinerlei feste Bezahlung verbunden, sondern die Chirurgen erhielten nur je nach Tätigkeitsanfall ihre sogenannten Emolumente.48 42 Schreiben der Regierung an Carl August vom 16. August 1777, in: ebd., Bl. 118r. 43 Schreiben Carl Augusts an die Regierung vom 3. August 1792, in: ThHStAW, B 6267, Verbot der Verabreichung von Medikamenten bei venerischen Krankheiten durch die Barbiere und Bader (RW) 1792, Bl. 1r. 44 Schreiben der Regierung an den Herzog vom 12. Juli 1804, in: ThHStAW, B 5179, Bl. 164r. 45 Ebd., Bl. 165v. 46 Schreiben der Landespolizeydirektion an Carl August vom 9. Februar 1813, in: ebd., Bl. 173r. 47 Schreiben der Regierung an Anna Amalia vom 21. Juli 1762, in: ebd., Bl. 54r. 48 Schreiben der Kammer an Anna Amalia vom 17. Januar 1764, in: ebd., Bl. 59r.
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Als 1814 die Besoldung der Physiker eingeführt worden war, intensivierten sich auch Überlegungen zur Umgestaltung der Chirurgikate. In einem Gutachten der Landesdirektion von 1816 wird der Wert guter Chirurgen für das Land betont; es „wären dem Staate geschickte Wundärzte so nöthig, als die innern Kuren [die akademischen Ärzte – S.W.]. Bey letztern deckt der Kirchhof die begangenen Fehler öfters; bey jenen leiden Familien und öffentl Cassen, durch verwahrloßte Cuxationen, Knochenbrüche und Geschwüre etc. und gerade die ärmern Klassen die von gesunden Gliedmaßen leben sollen, entbehren der Hülfe mehr, weil sie zu den theuren Aerzten der vornehmen Welt, die sich mit Chirurgie abgeben, selten Zuflucht nehmen können.“49
Diesen Gedanken griff der Obermedizinalrat Ludwig Friedrich von Froriep 1822 auf und forderte eine feste Besoldung für Amtschirurgen, deren Fehlen bisher verhindert habe, daß gute Chirurgen sich im Herzogtum angesiedelt hätten. Außerdem wäre eine chirurgische Ausbildungsanstalt in Jena hilfreich; das Großherzogtum habe einen Bedarf von 18 bis 20 „Bezirks- und Amts- auch Stadt-Chirurgen“, „für welche höhere Bildung in Anspruch zu nehmen ist.“50 Trotz der zustimmenden Antwort des Herzog kam man bis zum Ende des hier betrachteten Zeitraums in der Frage der Besoldung zu keinem Abschluß, denn die verschiedenen ins Auge gefaßten Fonds waren nicht in der Lage, den Mehraufwand zu tragen. Somit rückte die Frage der Ausbildung der nichtakademischen Heiler in den Mittelpunkt der Betrachtung. Schon in den 1750er Jahren waren erste Anzeichen einer Entwicklung spürbar, die über das traditionelle Zunftwesen hinauswiesen und als Resultat einer Rezeption von Reorganisationsmaßnahmen und Gründungen von chirurgischen Lehranstalten in anderen Territorien gedeutet werden können. Vorreiter dieser Entwicklung war Herzog Ernst August, welcher 1744 den Feldscher Johann Carl Birnbaum zum Hofchirurgen ernannte und mit hohen Kosten für mehrere Jahre nach Berlin schickte, damit er dort chirurgische Kollegien besuche.51 Dem Beispiel Birnbaums folgte ein Jahrzehnt darauf Johann Christoph Herold, der später in Weimar zum herzoglichen Leibchirurgen aufstieg. 1756 hatte sich Herold bei Ernst August Konstantin um den Titel eines Hofchirurgen mit der Begründung beworben, daß er die Badstube des bisherigen Hofchirurgen Schönwalter übernommen und auch dessen Tochter geheiratet habe. Da er ein Jahr in Berlin „auf dasigen Collegio anatomico den Cursum anatomico-Chirurgicum so wohl Theoretice als practice absolviret“ und anschließend an der Universität in Jena Privatunterricht genommen habe, sei er für das Amt vorzüglich qualifiziert.52 Außerdem habe er 1753 ein Examen beim Weimarer Stadt- und Landphysikus Dr. Müller bestanden. Zwar erhielt Herold den begehrten Titel 49 Gutachten der Regierung vom 30. September 1816, in: ThHStAW, B 27180, Bl. 15v. 50 Schreiben der Landesdirektion an Carl August vom 8. März 1822, in: ThHStAW, B 5470, Die Anstellung von Chirurgen auf dem Lande, 1822–1849, Bl. 10r; Promemoria v. Frorieps, ohne Datum, in: ThHStAW, B 5470, Bl. 2r. 51 Akten zur Berufung der Weimarer Hofchirurgen, in: ThHStAW, B 25840, Bl. 140 ff. 52 Schreiben Johann Christoph Herold an Ernst August Constantin vom 15. Juni 1756, in: ThHStAW, B 5179, Bl. 14r.
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nicht sofort, seine höhere Ausbildung war seinem späteren Aufstieg in Weimar jedoch äußerst dienlich. Diese Entwicklung verstärkte sich und gewann an Breite. So wies etwa die Weimarer Regierung 1789 den auf Vorschlag des Amtes Allstedt neu einzunehmenden Amtschirurgen Johann Adam Bierbach an, sich vor dem Antritt seines Amtes bei den Doktoren Loder und Stark in Jena weiterzubilden.53 Drei Beispiele sollen die fortgeschrittene Entwicklung in den 1820er Jahren verdeutlichen: Als standardgemäße Ausbildung chirurgischer Dienststelleninhaber kann die des Johann Carl Hasäus gelten; sie verdeutlicht den inzwischen vollzogenen Übergang von einer zünftischen zu einer staatlich bestimmten und kontrollierten Ausbildung. Hasäus hatte sich 1823 an den Großherzog mit der Bitte um eine Amtschirurgenstelle gewandt und dabei angeführt, er habe, nachdem er von seinem Vater, „dem Chirurgus Karl Hasäus hieselbst in den ersten Anfangsgründen der Chirurgie unterrichtet worden, [sich] auch sonst die entsprechenden Schulkenntnisse erworben, zu Ostern 1821 in [seinem] 17ten Lebensjahre die Universität Halle“ bezogen und „daselbst 1 ½ Jahre hindurch die Chirurgie in ihrem höheren Umfange studiert, wie das unter A. beiliegende UniversitätsZeugniß darthut. In der Ueberzeugung aber“, so der Supplikant, „daß zur gründlichen Erlernung der chirurgischen Wissenschaft hauptsächlich die nähere praktische Unterweisung, verbunden mit der theoretischen erforderlich sey, ging ich nach Dresden und wurde hier als Studierender an der dasigen Königl. Chirurgisch-Medicinischen Academie aufgenommen.“
Nach einem Jahr „glaubte ich mich (...) den Prüfungen der Grosherzogl. Landesdirection und der desfalls beauftragten Grosherzogl. SanitätsCommission zu Weimar unterwerfen zu können, um in EW. Königl. Hoheit Landen eine angemessene Anstellung und Versorgung zu erlangen.“54
Eine positive Antwort belohnte Hasäus für seine Mühen. Anders erging es dem Barbiergesellen Brückner, welcher sich an die Landesdirektion wegen Zulassung zum Examen und Erlaubnis zur Barbierkunst und chirurgischen Praxis in Weimar sowie um Aufnahme in die Weimarer Baderinnung gewandt hatte.55 Das Urteil der Sanitätskommission kam zu dem Schluß, „daß Brückner die dazu nöthigen Kenntnisse besonders in der Anatomie ganz und gar nicht besitzt, indem er weder auf einer Universität, noch sonst sich gründliche anatomische Kenntnisse erworben hat, so daß wir nur auf Erlaubniß zur Übernahme der Barbierstube und
53 Schreiben der Regierung an Carl August vom 6. April 1789, in: ebd., Bl. 144r–144v. 54 Schreiben Johann Carl Hasäus’ an Carl August vom 20. Dezember 1823, in: ThHStAW, B 5476, Unterstützung von Studenten der Tierarzneikunde und Chirurgie in Jena (SW) 1823– 1843, Bl. 5r. 55 Schreiben des Stadtrats von Buttelstedt an die Landesdirektion vom 5. Juli 1821, in: ThHStAW, B 5906a, Barbiere und Wundärzte in Buttstädt, Buttelstedt und Rastenberg, 1821–1863, Bl. 1 f.
„Nach befinden ihrer fähigkeit.“
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allenfalls zu Ausübung der niedern Chirurgie ohnmasgeblich unser Urtheil abgeben können.“56
Mit dem Hinweis auf die zahlreichen bereits vorhandenen Bader verweigerte man Brückner aber jegliche Praxiserlaubnis. Den Verfall ständischer Berufsorganisation und die Verlagerung auf staatliche Ausbildungsinstanzen zeigt besonders anschaulich der Ausbildungsweg Philipp Enders’ aus Geisa, welcher 1825 um Praxiserlaubnis als Chirurg gebeten hatte und abgewiesen worden war, weil „die von Enders angeführte Art seiner Vorbereitung zum chirurgischen Beruf durch bloßen Unterricht bei dem (...) [AmtsS.W.]Physicus, (...), für hinlänglich und sonst geeignet nicht zu achten war.“ Das Gesuch wurde „mit dem Bedeuten zurück[gewiesen], daß Enders (…) erst noch auf der Wanderschaft, als Badergesell, sein Fortkommen sich verschaffen möge.“ Enders begab sich daraufhin aber nicht zu Badermeistern, sondern ans Landeskrankenhaus in Fulda und kehrte mit den besten Zeugnissen von bekannten Medizinern zurück, woraufhin ihn die Eisenacher Sanitätskommission prüfte und für ein Chirurgikat geeignet befand. Da aber keine Stelle frei war, schickte man ihn mit Einverständnis des Herzogs und einem Stipendium zur Vervollkommnung seiner Kenntnisse für einige Zeit an das chirurgische Institut in Würzburg.57 5. Bilanz Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß in Sachsen-Weimar-Eisenach zwischen 1770 und 1830 grundlegende Veränderungen im Medizinalwesen vor sich gingen. Unter der Führung der privilegierten akademischen Mediziner der Residenzstadt Weimar erweiterten die studierten Ärzte ihren Handlungsspielraum, indem sie auf den allgemeinen Nutzen und die Wohlfahrt des Staates verwiesen. Die hof- und damit herzogsnahen Mediziner bestimmten die Professionalisierung des territorialstaatlichen Medizinalwesens entscheidend mit, während die Universität Jena beziehungsweise ihre Medizinische Fakultät nur eine untergeordnete Rolle bei diesen Vorgängen spielte. Wie es auch in anderen Territorien der Fall war58, nutzten die in Weimar und Eisenach niedergelassenen Residenzärzte die ihnen von der Herrschaft verliehene Prüfungskompetenz für die Zulassung zur medizinischen Praxis im Territorium konsequent zum Ausschluß von Konkurrenten auf dem Markt medizinischer Dienstleistungen. Zugleich etablierten sie sich als professionelle Experten und
56 Schreiben der Sanitätskommission an die Landesdirektion vom 22. Oktober 1821, in: ebd., Bl. 18v. 57 Schreiben der Landesdirektion an Carl August vom 5. November 1825, in: ThHStAW, B 27180, Bl. 235 ff. 58 Vgl. hierzu etwa Loetz, F., Medikalisierung, 1994.
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gewannen als Gutachter, Berater und Diskussionspartner der Verwaltungsbehörden und fachpolitischen Gremien des Staates an Bedeutung.59 Es konnte gezeigt werden, daß das Medizinalwesen, zu dem neben der von den akademischen Ärzten exklusiv praktizierten inneren Medizin weitere heilkundlich relevante Teilbereiche, wie etwa die Geburtshilfe oder das Apothekenwesen, gehörten, einen immer größeren Umfang annahm, wobei es aus dem ständischen Privilegiensystem schrittweise in ein rationell kontrolliertes Verwaltungssystem überführt wurde.
59 Hofer, H., 2007, hier 78.
Irrengesetzgebung in Sachsen-Weimar-Eisenach Joachim Bauer / Gerhard Müller Die Geschichte der Psychiatrie ist ein sehr umstrittenes und aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln – sei es aus dem der Medizingeschichte, der Psychologiegeschichte, der Rechts-, Sozial-, politischen, Wirtschafts-, Wissenschafts- oder der Kulturgeschichte – bewertetes Untersuchungsfeld. Das nimmt nicht wunder, denn sie ist auf so komplexe Weise wie kaum ein anderes Phänomen mit allen Bereichen und Vorgängen in der Gesellschaft verbunden. Dies trifft für die Jahrhunderte zurückliegenden Epochen ebenso zu wie für die jüngere Vergangenheit und Gegenwart und führt immer wieder zu Kontroversen. In den letzten Jahrzehnten sorgten vor allem die Debatten um die Deutungen Michel Foucaults1 für Aufsehen. Seine provokanten Thesen motivierten nicht nur die Medizin- und Wissenschaftshistoriker, sondern gaben auch der sozialgeschichtlichen Forschung neue Impulse.2 Vor allem wirkte Foucaults Deutung, der Bildungsprozeß frühneuzeitlicher Gesellschaften habe sich nicht, wie bis dahin allgemein angenommen, nur im Zeichen des bürgerlichen Fortschritts, mithin im Sinne von zunehmender Freiheitsgewährung oder Verwirklichung von Menschenrechten, durchgesetzt, sondern das „aufgeklärte“ Denken habe direkt in eine „Disziplinargesellschaft“ mit perfide ausgefeilter Sozialkontrolle geführt, im französischen und angelsächsischen Sprachraum äußerst anregend. So diagnostizierte z. B. David J. Rothman im Sinne dieser Thesen für Nordamerika ein Anwachsen des Anstaltswesens seit den 1820er Jahren. Er sieht die Triebkraft dieser Tendenz weder in moderner Wissenschaftsentwicklung noch in einem allgegenwärtigen gesellschaftlichen Philanthropismus um 1900, sondern in neuen Ordnungsstrategien, mit denen die Politik auf gesellschaftliche Zerfallserscheinungen reagiert habe. Man habe Asyle gebaut, um die Asylordnung (das Prinzip der Disziplinierung des Denkens und Verhaltens) gesellschaftlich verbindlich zu machen. Damit stand die wohlgeordnete Anstalt, so Rothmans Deutung, für die Erwartung von gesellschaftlichem Wohlverhalten. Ebenso knüpft Robert Castell in seiner Untersuchung über Frankreich an eine „Repressivgeschichte“ an. Sein Postulat lautet: Die psychiatrische Ordnung sei das Produkt einer Vernunft, die alle Störfaktoren bürgerlichen Lebens auszugrenzen suche oder einer Überwachung und Internierung in „Psychiatriekasernen“ unterziehen wolle.3 Im Hinblick auf die Psychiatriegeschichtsschreibung und die Debatten um 1 2 3
Vgl. u. a. Foucault, M., Psychologie, 1968; ders., Überwachen, 1976; ders., Wahnsinn, 1968/1973; ders., Geburt, 1976; ders., Macht, 2005. Vgl. u. a. Dörner, K., Bürger, 1969, 21984; Blasius, D., Wahnsinn, 1980. Exemplarisch vgl. Rothman, D. J., Discovery, 1971; Scull, A., Museum, 1979; Castel, R., Ordnung, 1983; Zur Debatte vgl. Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 9 ff.
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Foucaults Thesen fragt Dirk Blasius, ob „die Verwerfungen der Psychiatrie im 20. Jahrhundert“ mit einem Ansatz zu erklären seien, „der nichts anderes als den Vorgang der Metastasierung von Sozialkontrolle im Blick hat?“4 Mittlerweile gibt es eine Reihe wichtiger medizin- und sozialhistorischer Darstellungen, die Foucaults Thesen differenzierter reflektieren und völlig andere Akzente für die Psychiatriegeschichte bzw. den Umgang mit den „Irren“ in der Gesellschaft überhaupt setzen.5 Dies soll hier jedoch nicht ausgebreitet werden, denn es geht dieser Betrachtung weniger um eine Interpretation von Foucaults Werk, wofür zudem die Philosophie viel kompetenter wäre. Hier stehen auch nicht die methodisch akzentuierten Gegenpositionen von Historikern wie z. B. Hans-Ulrich Wehler6 im Blick, die Foucault attackieren und sich mit der Zuverlässigkeit seiner Quellenauswahl, seinem vermeintlichen Frankozentrismus und der These von der Disziplinargesellschaft7 auseinandersetzen. Was immer man gegen Foucault einwenden mag, so ist ihm doch immerhin, wie Blasius im Anschluß an seine kritische Frage vermerkt, zu verdanken, daß er „den Blick auf jene Austauschprozesse gelenkt“ habe, „die in der neuzeitlichen Gesellschaft zwischen politischer Macht und der Macht des ‚Wissens‘ stattfinden.“8 In der folgenden Betrachtung soll vor diesem Hintergrund der Umgang mit den „Irren“ oder „Wahnsinnigen“ im „klassischen Weimar“ um 1800 in den Blick genommen werden. Ausgangspunkt ist ein interessanter, eigentlich in einem Kleinstaat kaum zu erwartender historischer Befund. In Sachsen-Weimar-Eisenach wurde am 23. Februar 1821 ein Gesetz in Kraft gesetzt, das der Weimar-Historiographie bisher entgangen ist, aber schon in einer 1927 erschienenen Untersuchung über die Entwicklung der „Irrengesetzgebung“ in Deutschland als erstes modernes Irrengesetz in Europa bezeichnet worden ist.9 Es stand im Zusammenhang mit einer umfassenden Reforminitiative, die bereits um die Wende zum 19. Jahrhundert einsetzte, durch die Katastrophe der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt und den anschließenden Beitritt des Herzogtums zum Rheinbund einen massiven Entwicklungsschub erhielt und in den ersten Jahren des Deutschen Bundes mit dem „Grundgesetz einer Landständischen Verfassung für das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach“ vom 5. Mai 1816 ihre bedeutendste Phase erreichte. In Fritz Hartungs Untersuchung zur Geschichte Sachsen-Weimar-Eisenachs unter der Regierung Carl Augusts10, der bisher einzigen und noch immer weithin als Standardwerk geltenden Gesamtdarstellung von Politik, Verwaltung 4 5
Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 11. Zusammenfassend vgl. Kutzer, M., Anatomie, 1998, 13 ff.; Blasius, D., Seelenstörung, 1994; Kaufmann, D., Aufklärung, 1995; Shorters, E., Geschichte, 1999; Schott, H. / Tölle, R., Geschichte, 2006; Watzka, C., Hospital, 2005; Kuban, S., Recht, 1997; Braun, S., Heilung, 2009. 6 Wehler, H.-U., Herausforderung, 1998, 45–95. 7 Vgl. ebd., 45 f. 8 Vgl. Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 12. 9 Darauf machte Rittershaus, E., Irrengesetzgebung, 1927, 55 aufmerksam. 10 Vgl. Hartung, F., Großherzogtum, 1923.
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und Gesetzgebung des weimarischen Staates zwischen 1775 und 1828, hat das „Irrengesetz“ von 1821 nicht einmal marginale Erwähnung gefunden. Die ältere historische Forschung hatte sich zwar bereits mit der Konstitutionalisierung sowie den Reformen der Jenaer Universität und ihres wissenschaftsinfrastrukturellen Umfeldes beschäftigt, wobei insbesondere die Entwicklung der Bibliotheken und wissenschaftlichen Institute unter Goethes Oberaufsicht sowie die Entstehung klinischer Einrichtungen wie z. B. des Jenaer Accouchierhauses untersucht wurde. Die sensible, als Indikator für die Qualität von gesellschaftlichen Wandlungsprozessen wichtige Problematik des Umgangs mit den traditionell ausgegrenzten „Irren“ hingegen wurde bisher kaum thematisiert.11 Neuere Projekte zur Untersuchung des „Ereignisses Weimar Jena. Kultur um 1800“ sowie zur staatlich-politischen Geschichte des Herzogtums/Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach haben jedoch mittlerweile eine erweiterte Perspektive auf diesen Gegenstand eröffnet und dabei auch die Aufmerksamkeit der Forschung auf den Umgang mit Phänomenen der Alterität und Devianz gerichtet. So bot z. B. das 200. Jubiläum des Erscheinens von Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“ Gelegenheit zur Betrachtung unterschiedlicher Aspekte von Goethes dort unter subtiler Analyse psychischer Befindlichkeiten und zwischenmenschlicher Beziehungen vorgenommener Zustandsbeschreibung der zeitgenössischen Gesellschaft.12 Dabei ist unter anderem auch deutlich geworden, daß der Diskurs der Weimar-Jenaer Intellektuellen auch die Phänomene von Devianz und Alterität einer neuen Perspektive unterwarf. Indem Autoren wie Goethe, zuvor schon Moritz und andere, psychische Abnormalität oder Erkrankung als Resultat gesellschaftlicher Verhältnisse darstellten und im Konflikt mit psychischer „Normalität“ zum Gegenstand literarisch-künstlerischer Gestaltung erhoben, durchbrachen sie deren Stigmatisierung durch die „aufgeklärte“ Vernunft. Psychisch Kranke als tragische Helden großer literarischer Werke enttabuisierten das „Irresein“, führten aber teilweise auch zu einer neuen Mystifikationstendenz, indem psychische Abnormität als Zugang zu erweiterten, dem „Normalen“ verschlossenen Bereichen des ästhetischen und intellektuellen Erlebens gedeutet wurde. Das „Irrengesetz“ von 1821 aber blieb vergessen, obgleich es bereits 17 Jahre früher als das als richtungsweisend geltende französischen Irrengesetz von 1838 verabschiedet wurde. Das französische Gesetz löste eine Vorläuferregelung aus dem Jahre 1790 ab. Die Französische Revolution hatte damals zu einer allgemeinen „Befreiung der Internierten“ geführt, die aber die „Irren“ unberücksichtigt gelassen hatte. Auch die Verordnung von 1790 trat noch mit dem Argument auf, daß die Gesellschaft vor Übergriffen geschützt werden müsse, und dehnte den Geltungsbereich der Bürger- und Menschenrechte nicht auf „Irre“ aus. Demnach wurden auch die Gemeinden für Schäden verantwortlich gemacht, die von frei 11 Die 1983 entstandene medizinhistorische Dissertation von Frank Ortmann: Die Entstehung der Psychiatrie in Jena, Diss. Med. Jena 1983 (maschinenschriftlich) behandelt hauptsächlich die institutionelle und personengeschichtliche Seite der Gründung und Entwicklung der Klinik für Psychiatrie und Neurologie an der Universität Jena. 12 Vgl. Hühn, H. (Hg.), Wahlverwandtschaften, 2010.
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herumlaufenden Geisteskranken, oft mit wilden Tieren gleichgesetzt, verursacht werden konnten.13 Diese Betrachtungsweise wurde in den folgenden Jahrzehnten uneingeschränkt beibehalten. In diesem Sinne funktionierte europaweit auch das „Verwahrungssystem“, das eine „Animalisierung“ plastisch hervortreten läßt, wie Michel Foucault in zahlreichen Beispielen aufzeigen konnte.14 Erst das französische Irrengesetz von 1838 billigte den „Irren“ als erster Gruppe aus dem „Heer der gesellschaftlich Abgeschriebenen (...) ein Recht auf Fürsorge und Pflege“15 zu. Die „Irren“ machten zu jener Zeit – im Unterschied zu vorangegangenen Jahrzehnten – lediglich einen verschwindend geringen Teil der pauperisierten und ausgegrenzten Schicht der Armen, Bettler, Landstreicher und Findelkinder aus. Den Grund für diese Regelung sah die Forschung darin, daß die Integration der „Irren“ in die sich etablierende bürgerliche Gesellschaft in Europa um der „Glaubwürdigkeit ihrer Prinzipien“ willen erforderlich gewesen sei. Althergebrachter Umgang mit dem „Wahnsinn“ habe sich nur ungenügend mit den bürgerlichen Begriffen von Ordnung, Recht, Disziplin, Finanzwesen, Verwaltung, Polizei und Regierung vereinbaren lassen, da zeitweilig oder dauerhaft psychisch Erkrankte ebenfalls als Inhaber bürgerlicher Rechts- und Besitztitel respektiert werden mußten. Das schloß jedoch Unterschiede hinsichtlich der territorialen oder nationalen Traditionen im Umgang mit den „Irren“ nicht aus.16 Doris Kaufmann sieht die soziale und kulturelle Positionsbestimmung des Irreseins in der Gesellschaft in ihrer Untersuchung über „Aufklärung, bürgerliche Selbsterfahrung und der ‚Erfindung‘ der Psychiatrie in Deutschland“ ausdrücklich als Teil des langen Prozesses der Selbstdefinition des Bürgertums. Die Ausdifferenzierung des Wahnsinns am Ende des 18. Jahrhunderts bedeute eine Komplementärentwicklung zur bürgerlichen Identitätsbildung. „Der aufklärerische Selbstverständigungsdiskurs zog – ausgehend von dem Bewußtsein der jederzeit möglichen eigenen psychischen Grenzüberschreitung – auch einen Einstellungswandel gegenüber den Irren nach sich.“17 Um die Umstände und Tragweite der Weimarer Gesetzesinitiative verstehen zu können, ist jedoch zunächst das in der Forschung als Konsens geltende Wissen zum Umgang mit den „Irren“ in der sog. „Vormoderne“ zusammenzufassen. Die historische Entwicklung im Umgang mit den „Irren“ und „Wahnsinnigen“ brachte am Ende des 18. Jahrhunderts in den meisten europäischen Staaten einen Reformschub hervor, der einen Bruch mit dem Überkommenen vollzog. Im Mittelalter 13 Auf die juristischen Verhältnisse in Frankreich geht Rittershaus, E., Irrengesetzgebung, 1927, 65 ff. näher ein. 14 Vgl. u. a. Foucault, M., Wahnsinn, 1968/1973, 136 ff. 15 Zusammenfassend vgl. Blasius, D., Wahnsinn, 1980, 20 ff., Zitat 23; ders., Seelenstörung, 1994, 15 ff.; Foucault, M., Psychologie, 1968, 99ff.; ders., Wahnsinn, 1968/1973, 68 ff., 99 ff., 435 ff.; Castel, R., Ordnung, 1983, 25 f.; Zur juristischen Perspektive mit Blick auf das Preußische Allgemeine Landrecht nach 1794 vgl. demgegenüber Kuban, S., Recht, 1997, 28 ff. 16 Vgl. Blasius, D., Wahnsinn, 1980, 23. 17 Kaufmann, D. Aufklärung, 1995, 21.
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beruhte, folgt man den Darstellungen, der Umgang mit „Irren“ vor allem auf dem Caritasgedanken. Wenn der „Irre“ nicht mehr von der in der Regel bäuerlichen Gemeinschaft toleriert oder versorgt werden konnte, verwahrte man ihn in den Hospitälern der geistlichen Orden. Die reformatorische Gesellschaft übernahm diese Praxis und regelte sie zumindest in den Städten über Kasten- und Armenordnungen weiterhin. Im ländlichen Bereich oblag die Fürsorge in weit größerem Maße der Familie oder Gemeinde, denn die Klöster wurden im Zuge der Säkularisierung zumeist aufgehoben und fielen damit als soziale Institutionen aus.18 Diese Probleme wurden im frühneuzeitlichen Fürstenstaat vermittels zunehmender staatlicher Sozialkontrolle geregelt. Die Unterbringung erfolgte in Armen-, Arbeits- und Zuchthäusern nach herrschaftlichem Reglement. Wenn auch diese Phase in der Perspektive des 19. Jahrhunderts als besonders repressiv erscheinen mochte, so ging es dabei doch im 17. und 18. Jahrhundert nicht primär um Strafanstalten, sondern vielmehr um Herbergen einer „Problempopulation der frühneuzeitlichen Gesellschaft“. Erziehung durch Arbeit stand schon aus merkantilen Erwägungen im Vordergrund. Das „Spinnen“ wurde gleichsam zum sprichwörtlichen „Symbol des Irreseins“.19 Die Internierungsmaßnahmen des frühneuzeitlichen Systems waren Maßnahmen der „guten Polizey“, also Regulierungen, die die „Sicherheit des Publikums“ und den „Schutz der Allgemeinheit“ vor dem „Irren“, nicht etwa umgekehrt dessen Schutz vor Übergriffen der Gesellschaft zum Ziel hatten. Dennoch konnte eine unbegrenzte Internierung nicht im herrschaftlichen Interesse liegen. Im Gegenteil: die einschlägigen Untersuchungen zeigen, daß die Schwelle für den staatlichen Zugriff sogar in der Regel relativ hoch lag. Allerdings konnte sich die Situation in den mannigfachen Kriegs- und Krisenzeiten der Frühen Neuzeit auch häufig verändern.20 In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bahnte sich im staatlichadministrativen Bereich ein Umbruch an, den die Forschung für den Zeitraum 1770 bis 1850 unter der Überschrift „Vom Tollhaus über die Irrenanstalt zur psychischen Heil- und Pflegeanstalt“ zusammenfaßte. Die in ganz Europa und Übersee nun aufflammenden „Wahnsinns-Debatten“ schlossen massive Kritik an den Zuständen in den Anstalten ebenso ein wie aus dem Aufklärungsdiskurs resultierenden akademischen oder administrativen Wissenszuwachs oder die Frage nach der Reichweite von Menschenrechten. Das „Irresein“ wird als Krankheit begriffen, mithin als normabweichender körperlich-seelischer Zustand, der jeden ereilen konnte und der infolgedessen auch angsterregend war. Das verschaffte dem Phänomen umfassende öffentliche Aufmerksamkeit. Anteil nahmen die Familie und das unmittelbare lokale Umfeld ebenso wie die akademische und die AnstaltsMedizin oder der Staat.21 18 Vgl. Blasius, D., Wahnsinn, 1980, 20ff.; ders., Seelenstörung, 1994,15 ff. 19 Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 15f.; ders., Wahnsinn, 1980, 20ff.; Foucault, M., Psychologie, 1968, 99 ff.; ders., Wahnsinn, 1968/1973, 19 ff. Zum Problem der gesellschaftlichen Gruppen vgl. Schmidt, G., Wandel, 2009, 30–38, hier auch weiterführende Literatur. 20 Vgl. Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 17. 21 Kaufmann, D., Aufklärung, 1995, 131–194; vgl. auch Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 18 f.
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In Deutschland werden gemeinhin Preußen und dessen Reformminister als Vorreiter der um 1800 einsetzenden Reformen im Irrenwesen angesehen. Die Bemühungen des preußischen Staates, sich des Irren-Problems anzunehmen, reichen bis um 1770 zurück. König Friedrich II. hatte angeregt, in seinen westfälischen Provinzen Tecklenburg, Lingen, Minden und Ravenberg ein Irrenhaus zu installieren. Das Projekt scheiterte an der Finanzierung durch die jeweiligen landschaftlichen Instanzen in den Provinzen. Erst nach 1800 konnten in Preußen erfolgreichere Neugründungen einsetzen. Der kurmärkischen Irrenanstalt in Neuruppin, die 1801 eröffnet wurde, war sofort Erfolg beschieden. Sie stellte bereits eine Spezialanstalt dar. Das Einweisungsrecht oblag jedoch noch ausschließlich den Behörden. Dazu waren eine gerichtliche Anerkennung sowie die Feststellung des Gemütszustandes durch zwei Ärzte, die ihrerseits den zuständigen Prediger zur Rekonstruktion der Krankengeschichte konsultieren mußten, notwendig.22 Einen weiteren Schritt brachte die Gründung eines Irreninstituts in Bayreuth, das als erste deutsche Heilanstalt gilt. Die Initiativen gehen auf einen Reformplan Hardenbergs aus dem Jahr 1803 zurück. Den preußischen Reformbeamten stand eine kleine Gruppe von „psychischen“ Ärzten zur Seite wie z. B. Johann Christian Reil und Johann Gottfried Langemann, der für die Bayreuther Anstalt Vorschläge unterbreitet hatte.23 Neben der administrativen Reform, der Anerkennung des Krankheitszustandes und den Behandlungsmethoden für die Irren spielte jedoch noch ein weiterer Aspekt in den Debatten des frühen 19. Jahrhundert eine wichtige Rolle. Dieser betraf die Frage, welchen Charakter die Heilanstalten besitzen, ob sie durch die Anstaltspsychiatrie oder Universitätspsychiatrie getragen werden und inwieweit Professionalisierung und fachliche Differenzierung der Ärzteschaft hier ihren Niederschlag finden sollten. In Preußen vertrat z. B. der schon erwähnte Johann Gottfried Langemann 1812 den Standpunkt, daß eine solche Heilanstalt weder die Nähe zu einer Universität überhaupt, noch eine Verbindung mit den klinischen Anstalten der Universitäten brauche. Für die Ausbildung von Studenten in Irrenhäusern sah er keinen Bedarf. Lediglich vielseitig gebildete, außerordentlich talentierte und am Beruf des Irrenarztes besonders interessierte junge Ärzte sollten hier eine spezielle Ausbildung genießen können. Überblickswissen könnten die üblichen Vorlesungen bieten, und Erfahrungen könne man in den praktischen Anstalten sammeln.24 Die Orientierung lag also auf einer Anstaltspsychiatrie. 1817, also nahezu gleichzeitig, trat der württembergische Minister Karl August Freiherr von Wangenheim mit seinem Projekt auf den Plan, welches aber das preußische geradezu konterkarierte. Er wollte eine große „Heil- und Lehr-Anstalt für Seelenkranke“ in Verbindung mit der Universität Tübingen gründen. Dies diene der „Befriedigung von Wissenschaft und StaatsPolizey“.25 Der Ordinarius 22 Vgl. u. a. Blasius, D., Wahnsinn, 1980, 23, 26 ff.; ders., Seelenstörung, 1994, 21 ff.; Kaufmann, D. Aufklärung, 1995, 146 ff., 160 ff. 23 Zusammenfassend vgl. Kaufmann, D., Aufklärung, 1995, 169 ff. 24 Zum Bericht vgl. ebd., 177. 25 Ediert bei Fichtner, G., Psychiatrie, 1980, 40 f.
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für praktische Philosophie, der das Fach „Psychische Heilkunde“ vertrat und selbst einen medizinischen Abschluß besaß, applaudierte diesem Vorschlag, da der Patient, dessen Familie, die Gesellschaft und das Fach sowie die Wissenschaft überhaupt Nutzen aus diesem Projekt ziehen und die Ausbildung der Studenten und jungen Ärzte professioneller gestaltet werden könne. Die Fakultät und der Vizekanzler der Universität, Johann Heinrich Ferdinand Autenrieth, ebenfalls ein Mediziner, stellten sich jedoch dagegen. Sie kritisierten vor allem, daß eine „große“, ausschließlich für „Irre“ vorgesehene Klinik vom Staat kaum zu finanzieren sei. Die Gefahr, daß sie sich zum bloßen Aufbewahrungsort für prominente „Irre“ entwickle, sei zu groß. Vor allem aber könne kein Arzt ausschließlich „Irre“ behandeln. 1820 unterbreitete der mittlerweile zum Kanzler der Universität aufgestiegene und als Mitglied des Landtages gewählte Autenrieth sein Gegenkonzept – dezentrale Unterbringung und Behandlung der „Irren“, also eine gemeindenahe Psychiatrie. Das Modell Wangenheims war gescheitert.26 In Preußen setzte um diese Zeit unter den Ministern Altenstein und Hardenberg ein erneuter Reformschub ein. Obwohl Altenstein als Kultusminister den Fürsorgeauftrag des Staates gegenüber der „leidenden Menschheit“ besonders betonte, ergaben sich aus den konkreten Verhältnissen fast unüberwindbare Finanz- und Verwaltungshürden. Mit Blick auf die Zeit um 1815 und die im Zusammenhang mit dem Wiener Kongreß und der Deutschen Bundesakte aufgekommene Verfassungsfrage in den Einzelstaaten hat Dirk Blasius diese Problematik am Beispiel der in der preußischen Rheinprovinz gelegenen, 1823 als „reine“ und von „pflegerischen Aufgaben entlastete Irren-Heilanstalt“ Siegburg näher untersucht. Da das vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. geleistete Verfassungsversprechen nicht eingelöst wurde, also keine gesamtstaatliche Verfassung existierte, führte man 1823 in allen acht Landesteilen Provinzialstände ein, die eine Restaurierung der Möglichkeiten altständischer Einflußnahme mit sich brachten. Die ihnen zugestandenen Selbstverwaltungsaufgaben umfaßten auch die Aufsicht und Fürsorge für die Armen und Irren, die nun von lokalen Verwaltungs- bzw. neu entstandenen Provinzbehörden verwaltet wurden. Die Reformanstalt in Siegburg geriet zwischen die Fronten, und ihr fehlte die nötige Akzeptanz. Die Anstaltsordnung legte nur die Aufnahme von Heilbaren fest. Die Kommunen sahen sich von der Anstalt nun keinesfalls in der Irrenfrage entlastet, verblieben doch die Unheilbaren an den alten Internierungsorten. Die rheinischen Regierungsbezirke hatten die Anstalt zu finanzieren, und zwar aus der Grundsteuer, was wiederum zu einer geringen ständischen Akzeptanz führte. Schließlich beanstandeten die Verwaltungsbehörden die Aufnahmebeschränkung, denn die Unheilbaren würden unverschuldet wie Verbrecher und mit Verbrechern interniert.27
26 Vgl. Kaufmann, D., Aufklärung, 1995, 180 ff.; Grüsser, O.-J., Tollhaus, 1987, hier 385 f. 27 Blasius, D., Seelenstörung, 1994, 24ff., Zitat 24. Zu Siegburg vgl. auch Braun, S., Heilung, 2009; Schott, H. / Tölle, R., Geschichte, 2006; Watzka, C., Hospital, 2005.
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Vor diesem Hintergrund werden die Reformen im „klassischen“ Weimar besonders interessant. Der Einfluß der medizinischen und juristischen Debatten vor und nach 1800 sowie die nach 1806 einsetzenden reformerischen Umgestaltungen in den Rheinbundstaaten ließen auch Sachsen-Weimar-Eisenach nicht unberührt. Wissenschaftliche und klinische Einrichtungen wurden gegründet oder erweitert, die Armen- und Medizinalgesetzgebung reformiert, das Polizeiwesen massiv ausgebaut, neue Kommunalgesetze und Stadtordnungen erlassen sowie das Finanzund Steuerwesen umgestaltet. Doch – und das ist hier zugespitzt zu formulieren – erst mit dem Erlaß einer Konstitution wurde es möglich, eine weitreichende Neuregelung für die Ausgegrenzten – oder wie Foucault sie bezeichnete – die letzten Internierten nach 1789, zu schaffen.28 Das „Grundgesetz über die Landständische Verfassung des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach“ vom 5. Mai 1816 machte aus den Untertanen „Staatsbürger“. Mochte dieser neue Begriff auch nur zögernd Eingang finden, so war doch nun der Steuern zahlende Einwohner, gleich welchen Standes, zum konstituierenden Element des „Staatsvereins“ geworden, der über gewählte „Volksvertreter“ an den politischen Entscheidungsprozessen partizipierte. Hatte bereits der geistig-literarische Diskurs eine neue Sichtweise auf das Phänomen der psychischen Erkrankungen angebahnt, so machte die Verfassung die Rechtsstellung der „Irren“ als besondere, aber ebenfalls zu den Staatsbürgern zählende Bevölkerungsgruppe zum Indikator für das Verfassungsverständnis des Staates, der Behörden und der Bürger. Es bedurfte nunmehr einer gesetzlichen Regelung, um die psychisch Kranken, die ja unverschuldet in eine Bedürftigkeitssituation geraten waren, von den „Strafgefangenen“ und „Armen“ prinzipiell abgrenzen zu können. In diesem Sinne rechnete die sachsen-weimarische Staatsleitung die „möglichst vollkommene Einrichtung“ der Jenaer Irrenanstalt zu den „heiligsten Pflichten der Menschheit“29, und in seinem Dekret an den Landtag vom 14. November 1818 setzte sich der Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach – worauf unten noch näher einzugehen ist – höchstpersönlich dafür ein, dem Landtag die Mittel für den Ausbau der Jenaer Irrenanstalt zu einer psychiatrischen Klinik abzuringen.30 Mit dem „Gesetz, die Irrenanstalt in Jena und die Verpflegung der Irren überhaupt betreffend“ vom 23. Februar 182131 wurde ein Reformprozeß des „Irrenwesens“ in Sachsen-Weimar-Eisenach abgeschlossen, der schon 1801 begonnen hatte. Die Vorgeschichte dieser Reform begann 1793, als diverse Reskripte an die Weimarer Landesbehörden Regelungen über die Feststellung der Verwahrungsbedürftigkeit von „Irren“ durch die Unterobrigkeiten und den Physikus, über die Unterhaltskosten und die aufsichtliche Zuständigkeit der Generalpolizeidirektion 28 Vgl. Zuerst Foucault, M., Psychologie, 1968, 207 f. (Französisches Original 1954). 29 Höchstes Dekret auf die untertänigste Erklärungsschrift vom 21. Dezember 1818, 05.01. 1919, in: Verhandlungen des zu Schloß Dornburg am 1. Dezember 1818 fortgesetzten und am 6. Februar 1819 geendigten ersten Landtages im Großherzogthum Sachsen Weimar-Eisenach, Jena 1819, 133. 30 Höchstes Dekret, 18.11. 1818, in: ebd., 26–127. 31 Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungs-Blatt, 33, 03.08. 1821, 683–687.
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und deren nachgeordneten Instanzen in Kraft setzten.32 1798 kam wieder Bewegung in diesen Bereich, als der Stadtrat zu Jena den Vorschlag unterbreitete, im ehemaligen Waisenhaus der Stadt, das wegen völliger Überschuldung vor der Versteigerung stand, ein Spinn- und Arbeitshaus in Verbindung mit der Krankenanstalt einzurichten, die an die in Jena bestehenden klinischen Institute, das Acchouchierhaus und die Medizinische Klinik Johann Christian Starks, angeschlossen werden sollte. Diese Krankenanstalt sollte auch „Irre“ aufnehmen.33 Der Bürgermeister der Universitätsstadt hielt diese Maßnahme, die schon 1794 erstmals beantragt worden sei, aber wegen des Reichskriegs gegen Frankreich nicht habe verwirklicht werden können, angesichts der namentlich unter den Studenten weiter zunehmenden „Sittenverderbnis“ und Ausbreitung „venerischer Krankheiten“ für dringend erforderlich. Das Geheime Consilium in Weimar forderte daraufhin einen Bericht der Generalpolizeidirektion an34, die wiederum Gutachten in Jena einholte. Sowohl der Jenaer Amtmann, Konsistorialrat Gruner, als auch die Mediziner Justus Christian Loder und Christoph Wilhelm Hufeland äußerten jedoch Bedenken gegen die Vereinigung der Krankenanstalt mit einem Arbeitshaus.35 Als für eine Universitätsstadt passende Form der geplanten Einrichtung schlugen Loder und Hufeland eine räumliche Trennung vor. Das von ihrem Accouchier- und klinischen Institut genutzte Gebäude könne künftig als Arbeitshaus eingerichtet und das Accouchier- und klinische Institut in das zudem größere Waisenhausgebäude verlegt werden. Sollte aber die Idee der Vereinigung des Arbeitshauses mit einer Klinik für venerisch Kranke dennoch ausgeführt werden, würden für diese zwei Zimmer mit acht Betten genügen. Die Krankenversorgung solle dann aber von den Wärtern des Arbeitshauses übernommen und auch aus dessen Fonds bestritten werden. Da die Stellungnahme Loders und Hufelands erkennbar den Zweck verfolgte, ihre schon seit Jahren unablässig vorgetragene Forderung nach Ausstattung mit einer großen medizinischen Klinik zu verwirklichen, forderte das Geheime Consilium in einem Reskript an die Universität Jena einen offiziellen Bericht der medizinischen Fakultät an.36 Dieser Bericht, verfaßt von dem damaligen Dekan, Christian Gottfried Gruner, trat dem Gutachten von Loder und Hufeland, wie angesichts der unter den Jenaer Medizinern herrschenden Rivalität nicht anders zu erwarten war, mit schlagkräftigen Argumenten entgegen. Gruner beurteilte das Projekt als solches zwar durchaus wohlwollend, erklärte aber eine Verbindung der
32 Schmidt, J., Gesetze, Bd. 5, 1802, 14–16. 33 Vgl. Promemoria des Bürgermeisters Paulssen, 24.12. 1798, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 1–10. 34 Vgl. Reskript des Geheimen Consiliums an die Generalpolizeidirektion, 11.01. 1799, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 11r–11v. 35 Vgl. Gutachten der Professoren Justus Christian Loder und Christoph Wilhelm Hufeland, 06.11. 1799, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 25r–25v. Auf die Bedenken Gruners und der Mediziner verweist auch der Bericht der Generalpolizeidirektion, 18.12. 1799, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 12r–15v. 36 Vgl. Reskript an die Universität Jena, 08.11. 1799, ThHStAW, B 6274, Bl. 19r.
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geplanten Einrichtung mit dem Accouchier- und klinischen Institut für bedenklich, da „sich in selbigem wohl kaum ein festes und haltbares Zimmer für Wahnwitzige, wozu in dem Waisenhaus-Gebäude sich ehe Gelegenheit findet, und auf welche doch auch, da neuerer Zeit mehrere solcher Personen vorgekommen, welche bey gänzlicher Ermangelung eines schicklichen und sichern Verwahrungs Orts auf ihren Stuben mit vielen Kosten bewacht werden müßten, Rücksicht zu nehmen, entgegen stehen dürfte“.37
Einen Kompromißvorschlag unterbreitete schließlich der Supernumerarius der Fakultät, Johann Christian Stark. In der „langgewünschten Anstalt“ sollten sowohl seine eigene medizinische Klinik als auch das Institut Loders und Hufelands zwei Zimmer mit je vier bis sechs Betten erhalten, und zwar jeweils ein Zimmer für mit Krätze, venerischen oder anderen ansteckenden Krankheiten Behaftete und eines für medizinische und chirurgische Patienten, sowie darüber hinaus, wenn möglich, auch ein von beiden Instituten zu nutzendes „festes, haltbares Zimmer“ für „Wahnwitzige“.38 Jedes der beteiligten Institute solle seine Kranken selbst versorgen, so daß alle Kollisionen vermieden werden könnten. In ihrem zusammenfassenden Bericht drängte die Generalpolizeidirektion nunmehr auf baldige Entscheidung.39 Auf der Grundlage des Starkschen Vorschlages, der sowohl vom Stadtrat, als auch von der Fakultät gebilligt wurde, bereitete die Weimarer Kammer nunmehr den Erwerb und Umbau des Waisenhausgebäudes vor.40 Am 28. Februar 1800 wies Herzog Carl August die beteiligten Behörden an, die Finanzierung des Spinn- und Arbeitshauses und der anzugliedernden medizinischen Anstalt zu regeln.41 Im Frühjahr 1800 erging ein Antrag an die Jenaer Landschaft auf Bewilligung einer finanziellen Unterstützung des Projekts, dem auch entsprochen wurde. Daraufhin begannen, wie der Bürgermeister Vogel an den Herzog nach Weimar berichtete, die Reparaturarbeiten mit dem Ziel, die Anstalt zu Michaelis 1801 zu eröffnen.42 Noch immer stand die Funktion der neuen Anstalt als „Arbeitshaus“ im Vordergrund. Eingewiesen werden sollten dort nach seiner Auffassung „liederliche Weibspersonen“ nach ihrer Entlassung aus der Entbindungsanstalt, entlaufenes Gesinde, arbeitsfähige Arme und Bettler und verwahrloste Kinder, wenn sie in körperlicher und gesundheitlicher Hinsicht arbeitsfähig waren. Niemandem, so hoffte er, werde nun noch das Betteln erlaubt werden, hingegen aber solle man diejenigen Bürger öffentlich belobigen, die die Anstalt unterhielten. Der Herzog leitete Vogels Bericht wieder an die Landesbehörden weiter, um deren Gutachten 37 38 39 40
Bericht der Universität Jena, 19.12. 1799, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 20–21. Gutachten J.C. Starks, 28.11. 1799, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 23r–24v. Vgl. Bericht der Generalpolizeidirektion, 18.12. 1799, in: Ebd., Bl. 12r–15v. Bericht der Kammer zu Weimar, 03.02. 1800, und der Generalpolizeidirektion, 04.02. 1800, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 26r–32v. 41 Reskript an die Regierung zu Weimar, 28.02. 1800, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 33r–33v. Vgl. auch den folgenden Schriftwechsel zwischen dem Herzog und den Landesbehörden, in: ebd., Bl. 34r–43v. 42 Bericht des Bürgermeisters Vogel, in: ebd., Bl. 48r–49v.
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zu hören. Die Generalpolizeidirektion stimmte Vogels Vorschlag zu, wünschte aber die Einweisung auswärtiger unehelicher Mütter erst zu gestatten, wenn das vom Jenaer Stadtrat abgegebene Versprechen, die Bettelei abzuschaffen, wirklich erfüllt sei. Sobald die Jenaer Einwohner die guten Folgen des Instituts verspürten, würden sie auch bereit sein, ihre Almosenbeiträge zu verdoppeln.43 Ganz in diesem Sinne reskribierte der Herzog am 17. Oktober 1800.44 Er könne nicht finden, daß allein die Errichtung des Arbeitshauses die Beseitigung des Bettelwesens bewirken könne, wenn nicht auch die Einnahmen der Almosenkasse so weit verstärkt würden, daß sie imstande sei, „würcklich Hülfsbedürftige und Alters oder sonstiger Schwachheit halber keiner nützlichen Arbeit fähige Arme nach Nothdurft zu unterstützen“. Die Jenaer Einwohnerschaft sei deshalb „ohne weiteren Anstand“ zur Erhöhung ihrer Almosenbeiträge gemäß ihren Vermögensumständen aufzufordern. Wer dazu nicht bereit sei, solle von der Obrigkeit „sträcklich angehalten werden“. Am 16. August 1801 konnte der Jenaer Bürgermeister Paulsen dem Herzog berichten, daß das Arbeitshaus habe eröffnet werden können.45 Ergänzend berichtete die Generalpolizeidirektion vier Wochen später46, daß mittlerweile auch die Industrie- und Armenschule im Arbeitshaus eingerichtet sei. Die Arbeits-und Krankenanstalt könne zu Michaelis fertig werden. Zur Finanzierung der Kosten schlug sie die Einführung und Erhöhung verschiedener Abgaben vor, darunter ein Arbeitshausbeitrag neu immatrikulierter Studenten, erhöhte Dispensationsgelder und die Erhöhung der Hundesteuer. Sobald die dazu erforderlichen gesetzlichen Regelungen ergangen seien, könne man das Bettelwesen aufheben. Wer künftig einem Bettler noch etwas gebe, solle mit stillschweigender Ausnahme der Geistlichen 5 Taler Strafe zahlen. Hinsichtlich der Organisation und Führung der Anstalt wurde noch ergänzt, daß auch die körperliche Züchtigung weiterhin stattfinden solle, da sie „größtentheils dem Arrest vorzuziehen“ sei. Detaillierte Vorschläge ergingen auch hinsichtlich der angeschlossenen Krankenanstalt. In diese sollten arme Einwohner der Stadt Jena und der Jenaischen Landesportion, die nicht zu Hause kuriert werden könnten, Handwerksburschen und Gesinde, das von seiner Herrschaft nicht verpflegt werden könne, aufgenommen werden. Über die Aufnahme fremder Kranker solle dem Stadtrat die Entscheidung zustehen. Am 1. Oktober 1801 war die gesamte Anstalt betriebsbereit.47 Das für die Krankenanstalt hergerichtete Gebäude habe, so berichtete der Bürgermeister Vogel, vier kleine Vorsäle und sechs Stuben, von denen vier zu eigentlichen Krankenzimmern und zwei zu Zimmern für venerische Patienten eingerichtet worden seien. Die Verbindung des Accouchierhauses mit der Arbeits- und Krankenanstalt war nun gänzlich vom Tisch. Als der Bürgermeister Vogel am 15. September 43 Bericht der Generalpolizeidirektion Weimar, 02.09. 1800, in: ThHStAW, B 6274, Bl. 66r– 67v. 44 Reskript an die Generalpolizeidirektion Weimar, 17.10. 1800, in: ebd., Bl. 68r–69v. 45 Bericht des Oberbürgermeisers Paulssen, 16.08. 1801, in: ebd., Bl. 76r–79v. 46 Bericht der Generalpolizeidirektion, 20.09. 1801, in: ebd., Bl. 82r–84v. 47 Berichte des Bürgermeisters Vogel, 01. und 02.10. 1801, in: ebd., Bl. 88r–86v und 97r–98v.
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1803 nochmals einen Vorstoß für die Vereinigung aller „öffentlichen und in die Medizin einschlagenden Anstalten an einem Ort“ unternahm48, erhob der Arzt Ludwig Friedrich Froriep, der als Stellvertreter des inzwischen an die Universität Halle berufenen Professors Loder das Jenaer Accouchierhaus leitete, schwere Bedenken.49 Die Zusammendrängung mehrerer Krankenanstalten könne nur nachteilig sein, und schon die Menschlichkeit verlange, „daß Schwangere und Wöchnerinnen so schonend als möglich behandelt und von den traurigen Bildern des Schreckens und Elends entfernt gehalten werden.“ Daraufhin entschied ein herzogliches Reskript, daß es aufgrund des Froriepschen Gutachtens bei der bisherigen Einrichtung des Accouchierhauses bleiben solle.50 Daß die Errichtung der Arbeits- und Krankenanstalt zu Jena im Herbst 1801 zugleich den Weg zu einem eigenständigen Irreninstituts zu ebnen vermochte, ging nicht auf die Planungen der weimarischen Landesbehörden zurück, sondern war Folge eines Anstoßes von außen, der auf die Bedeutung des personellen Beziehungsnetzes innerhalb der Universitätsstadt verweist. Eine vermögende Dame, die Witwe Mariane Elisabeth Christiane Hellbach, stiftete im Mai 1801 ein Legat von 3 000 Talern zur Unterhaltung „frommer Anstalten“ in Jena.51 Da der Bürgermeister Vogel sie darauf hingewiesen habe, so erklärte die Stifterin, daß zur Vervollständigung der derzeit in Jena entstehenden Arbeits- und Krankenanstalt noch ein Gebäude für „arme Irre“ fehle, sei sie auf den Gedanken gekommen, die besagten 3 000 Taler „zum Behuf eines solchen Gebäudes und zur Anlegung eines Erbauungs-Saals für die in diesen Arbeits- und Armen-Anstalten sich aufhaltenden Personen“ zu bestimmen. Ein Teilbetrag von 250 Talern aus dieser Summe sollte für den Unterhalt eines Kollaborators zum Unterricht von sechs armen Kindern benutzt werden. Das Gebäude erscheine zweckmäßig, und zweckmäßig sei auch die Einrichtung, daß die Irren von geschickten Ärzten behandelt würden und die Arzneien aus den klinischen Anstalten unentgeltlich bekämen. In dem nun folgenden Schriftwechsel zwischen dem Geheimen Consilium, den Landesbehörden und den Landständen ging es neben der Kofinanzierung der durch das Legat bereitgestellten Mittel durch Zuschüsse der Landschaftskassen vor allem um die Frage, ob das neue Irreninstitut mit der neuen Arbeits- und Krankenanstalt zu kombinieren oder davon getrennt zu errichten sei. Während der Jenaer Stadtrat auf einer Zusammenlegung beharrte52, sprach sich die Generalpolizeidirektion Weimar dafür aus, das „Irrenhaus gänzlich von der Armen- und Arbeits-Anstalt zu
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Bericht des Bürgermeisters Vogel, 15.09. 1803, in: ebd., Bl. 151r–152v. Vgl. Bericht der Generalpolizeidirektion Weimar, 04.10. 1803, in: ebd., Bl. 154r. Vgl. Reskript an die Generalpolizeidirektion, o. D., in: ebd., Bl. 155r. Vgl. Mariana Elisabeth Christiana Hallbach an Herzog Carl August von Sachsen-WeimarEisenach, 12.05. 1801, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 1r–5v, 6v. Vgl. auch Ortmann, F., Entstehung, 1983, 53. 52 Vgl. Bericht des Stadtrats zu Jena, 18.06. 1801, in: ebd., Bl. 14r–14v, und Beilage: Plan, inwiefern das allhier zu errichtende Irrenhaus mit dem hiesigen Arbeitshaus zu verbinden sein möchte, in: ebd., Bl. 15r–16v.
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trennen“.53 Zugleich müsse sichergestellt werden, daß „dergleichen unglückliche, kein Vermögen besitzende Personen darinnen unentgeldlich aufgenommen und gehörig verpflegt werden“. Die Weimarer und Jenaer Stände waren aus finanziellen Ersparnisgründen sofort dafür, die bislang im Weimarer Zuchthaus untergebrachten „Irren“ ebenfalls in die neue Anstalt zu verlegen.54 Im Oktober 1801 wurde das Arbeits- und Krankenhaus bezogen. Die Verteilung der Räume zwischen Loder und Stark erfolgte durch das Los. Am 21. Oktober besichtigte Goethe die neuen Anstalten und gewann einen offensichtlich günstigen Eindruck.55 Im November 1801 erging eine Serie von Dekreten und Reskripten an die weimarische und jenaische Landschaft und die Generalpolizeidirektion, in denen der Herzog auch die Errichtung des Irreninstituts im Zusammenhang mit dem Arbeitshaus in Jena genehmigte und die Landschaften ersuchte, die für die Versorgung der Irren bewilligten Mittel für die Finanzierung dieser Einrichtung zu verwenden.56 Da das Jenaer Irreninstitut zwar in Kombination mit dem Arbeits- und Krankenhaus errichtet werden, aber als für den gesamten Weimarer und Jenaer Landesteil zuständige, gemeinschaftliche Landeseinrichtung ein eigenes, neues Gebäude erhalten sollte, wurde eine Kommission aus Vertretern der beteiligten Landschaften und der Stadt Jena gebildet, die über die Aufbringung der ergänzend zu dem Hellbachschen Legat erforderlichen Finanzmittel verhandeln sollte. Erst im Juli 1803 einigte sich die Kommission nach mehrfachen energischen Mahnungen des Geheimen Consiliums auf einen Kompromiß über die Finanzierung.57 Am 8. September 1803 genehmigte der Herzog diese Vereinbarung und entschied, die Oberaufsicht über das Irreninstitut und die Bestimmung über die Aufzunehmenden der Generalpolizeidirektion zu übertragen. Die Landschaftskassedirektion zu Weimar wurde beauftragt, die Finanzangelegenheiten zu arrangieren.58 53 Bericht der Generalpolizeidirektion Weimar, 07.07. 1801, in: ebd., Bl. 12r–13r. 54 Vgl. Erklärungsschrift der Weimarischen Landschaft, 14.10. 1801, in: ebd., Bl. 18r–18v. 55 Vgl. Tagebucheintrag vom 21.10. 1801: „Nach Tische mit Cammerrath Vogel in der Arbeitsanstalt.“, in: Goethe, J. W., Tagebücher, Bd. III, 1, 2004, 58. Vogel schrieb darüber nach Weimar: „Der Herr Geheime Rath von Goethe hat am vergangenen Mittwoch angesehen, und die ganze Einrichtung schien ihm nicht zu mißfallen.“ Georg Wilhelm Vogel an Christian Gottlob Voigt, 26.10. 1801, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 19r–20r. Goethe war von Anfang an durch Christian Gottlob Voigt über die Entwicklung des Projekts auf dem Laufenden gehalten worden, vgl. z. B. Christian Gottlob Voigt an Goethe, 16.05. 1799, in: Tümmler, H. (Hg.), Briefwechsel, Bd. 2, 1951, 173. Goethe verfolgte den Verlauf des Irrenhausprojekts auch weiterhin, vgl. Tagebucheintrag vom 19. März 1802: Landschaftliches Circular wegen der Combination des Irrenhauses., in: Goethe, J. W., Tagebücher, Bd. III, 1, 2004, 81. 56 Vgl. Dekrete an die Landschaft des Fürstentums Weimar und die Landschaft der Jenaischen Landesportion sowie Reskript an die Generalpolizeidirektion Weimar, 13.11. 1801, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 21r–23r. 57 Vgl. die diesbezüglichen Dekrete, Erklärungsschriften und Berichte vom 16.07. bis 12.08. 1803, in: ebd., Bl. 28r–35v. 58 Vgl. Reskripte an die Regierung zu Weimar, die Landschaftskassedirektion zu Weimar und die Generalpolizeidirektion sowie Dekret an die Landschaft des Fürstentums Weimar, 08.09. 1803, in: ebd., Bl. 36r–39r.
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Das auffällige Drängen des Weimarer Herzogs auf das rasche Zustandekommen des Projekts muß vor dem Hintergrund der Krise gesehen werden, in die sich die Universität Jena im Sommer 1803 nach dem Bekanntwerden der geplanten Abwanderung der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ und ihrer Herausgeber nach Halle gestürzt sah. Der rasch einsetzende Exodus einer Reihe bedeutender Hochschullehrer, die der Universität bis dahin einen bedeutenden Ruf in der gelehrten Welt verschafft hatten, führte zum Zusammenbruch wichtiger Bereiche der Jenaer Wissenschaftsinfrastruktur und schien zeitweilig sogar die Existenz der Alma mater zu bedrohen.59 Das neue Irreninstitut wurde nun zu einem wichtigen Faktor des Krisenmanagements, welches die Weimarer Staatsleitung unter maßgeblicher Beteiligung Goethes in dieser Situation entfaltete, war es doch, wenn es den nach den zeitgenössischen Maßstäben modernsten Ansprüchen genügte und möglichst bald in Betrieb ging, ein markanter Beweis für die Überlebens- und Zukunftsfähigkeit der Jenaer Universität und der sie umgebenden Kliniks- und Wissenschaftseinrichtungen. Schon die von Goethe entworfene, Anfang September 1803 veröffentlichte Gegenerklärung auf den Artikel in August von Kotzebues Zeitschrift „Der Freimüthige“, der mit seiner Prophezeiung des baldigen Untergangs der Jenaer Universität die Abwanderungslawine ausgelöst hatte, führte das Irreninstitut an vorderster Stelle an: „Wenn nun die hießigen medicinischen Anstalten, durch das nicht blos für die Aufbewahrung, sondern zugleich für die Kur der Kranken errichtete Irrenhaus, einen neuen Umfang gewinnen, wenn das naturhistorische Museum, besonders im mineralogischen Fache, bedeutend erweitert worden, wenn die ehemalige Büttnerische Bibliothek im Herzogl. Schlosse geordnet, ein besonderes Botanisches Museum im Fürstengarten errichtet wird, wenn sich eine nahe Aussicht auf ein Seminarium philologicum, dessen Stelle bisher die erneuerte lateinische Gesellschaft vertrat, nicht weniger auf ein Prediger- und Schulmeister Seminarium zeigt; so gehet auf das Deutlichste hervor daß es unserer Academie weder an Thätigkeit noch an Antheil fehle. Wie wir denn auch noch mehrern und größern großmüthigen Unterstützungen der Durchlauchtigsten Herren Ernährer der Academie zuversichtlich entgegen sehen.“60
Mit dieser öffentlichen Verlautbarung erhöhte sich der Druck auf die mit der Fertigstellung des Irreninstituts beauftragten Behörden, die das Projekt nun mit aller Energie vorantrieben. Am 13. Dezember 1803 schlug die Generalpolizeidirektion Alarm. Das Institut habe deswegen noch nicht gebaut werden können, weil die Kosten für das neue Gebäude beträchtlich über das Hellbachsche Legat hinausgingen. Die Anstalt könnte jedoch zwischen Johannis und Michaelis 1804 eröffnet werden, wenn die noch fehlende Summe von den beteiligten beiden Landschaften nach dem für deren gemeinschaftliche Finanzierungsaufgaben geltenden Verteilungsschlüssel übernommen werden würde.61 Verfügte daraufhin bereits ein 59 Vgl. Müller, G., Regieren, 2006, 471 ff., hier auch die weitere Literatur zur Universitätskrise von 1803. 60 Votum Goethes, o. D., [06. oder 07.09. 1803], in: GSAW 30, 242, Bl. 81–81v. Goethes Textentwurf wurde ohne Abänderung in die Erklärung aufgenommen, vgl. Goethes Amtliche Schriften, Bd. II/2, 1968, 695. 61 Vgl. Bericht der Generalpolizeidirektion, 13.12. 1803, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 40r–40v.
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herzogliches Reskript, den Bau so viel wie möglich zu beschleunigen62, so veranlaßte ein auf der Meldung des Jenaer Stadtrats, der Bau könne wegen fehlender Geldmittel nicht fortgesetzt werden, beruhender neuerlicher Bericht der Generalpolizeidirektion63 den Herzog dazu, die Ständedeputierten der Weimarer und Jenaer Landschaft Ende Februar 1804 in einem Dekret energisch aufzufordern, den Differenzbetrag der Baukosten vereinbarungsgemäß zu übernehmen.64 Dem konnten sich die Stände nicht mehr verweigern und sagten die Kostenübernahme ebenso zu wie die im Juli 1804 angemeldete Finanzierungsleistung jener zusätzlichen 300 Taler, die wegen der Einrichtung zweier separater Zimmer für Patienten mit ansteckenden Krankheiten erforderlich geworden waren. Sie beharrten lediglich darauf, daß auch die von Weimar unabhängige Steuerkasse des Amtes Ilmenau mit zu den Kosten herangezogen werde.65 Am 26. Oktober 1804 konnte das Jenaer Irreninstitut endlich eröffnet werden. Die im Weimarer Zuchthaus untergebrachten „Irren“ wurden in den folgenden Wochen nach Jena transportiert.66 Damit wurde der 1803 von Goethe öffentlich proklamierte Grundsatz, die psychisch Kranken getrennt von Zucht- und Arbeitshäuslern unterzubringen, menschenwürdig zu versorgen und sie, soweit die damaligen Möglichkeiten der ärztlichen Kunst es gestatteten, auch einer Heilbehandlung zu unterziehen, zur Wirklichkeit. Lediglich in Ausnahmefällen verblieben solche Personen in Weimar, doch wurden sie auch dort, wie z. B. die unzurechnungsfähige, offensichtlich an einer manischen Erkrankung leidende Caroline von Voß, aus dem Zuchthaus entfernt, unter strengen Sicherheitsauflagen der Generalpolizeidirektion – so sollte täglich ein Polizeidiener zu einem Kontrollbesuch vorsprechen – in einen Privathaushalt aufgenommen und dort weiter betreut.67 Lediglich sieben Personen, die weder als Verbrecher, noch als „Irre“ einzustufen waren, sondern arm, schwach oder „blödsinnig“ seien, verblieben zur Versorgung im Zuchthaus, weil, so das Argument des Landschaftskassedirektors, die Kornpreise in Weimar niedriger seien als in Jena.68 Damit wird deutlich, daß die Klientel des Jenaer Irreninstituts bereits weitgehend auf die Gruppe der psychisch Kranken eingegrenzt war und sowohl von den Straffälligen und Korrektionsbedürftigen, als auch von debilen oder aus anderen Gründen invaliden Personen unterschieden wurde. Zum Zeitpunkt ihrer Eröffnung beherbergte die neue Anstalt acht Kranke. Daß es sich dabei noch nicht um jene ausschließliche Heilanstalt für psychisch Kranke handelte, die den Gründern als Ideal vorgeschwebt hatte, ergibt sich aus
62 Vgl. Reskript an die Generalpolizeidirektion, 30.12. 1803, in: ebd., Bl. 41r. 63 Vgl. Bericht der Polizeidirektion, 31.01. 1804, in: ebd., Bl. 42r–42v. 64 Vgl. Dekret an die Ständedeputierten der Landschaft des Fürstentums Weimar und der Jenaischen Landesportion, 28.02. 1804, in: ebd., Bl. 43r–43v. 65 Vgl. den Schriftwechsel dazu in: ebd., Bl. 43r–56r. 66 Vgl. Reskript an die Generalpolizeidirektion, 30.11. 1804, in: ebd., Bl. 57r. 67 Vgl. die Dokumente zu diesem Vorgang in: ebd., Bl. 67r–80r. 68 Vgl. Bericht der Landschaftskassedirektion, 08.03. 1805, in: ebd., Bl. 91r–84v.
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den heute noch vorliegenden Krankentagebüchern.69 Es mußten auch Pflegefälle aufgenommen werden; eine strikte Unterscheidung zwischen Akutbehandlung, Langzeittherapie und Pflege war zudem beim damaligen Entwicklungsstand der ärztlichen Kunst auch noch gar nicht vorstellbar. Während die Verwaltungsangelegenheiten ebenso wie die der Kranken- und Arbeitsanstalt in den Händen des Bürgermeisters Vogel lagen, oblag die unmittelbare medizinische Leitung dem Extraordinarius Georg Friedrich Christian Fuchs als „Aufseher des Irrenhauses“. Die Anstalt verfügte, Küche, Inspektorwohnung, Wärter- und Mägdestube inbegriffen, über 26 Zimmer, ein Bad, und – angesichts der Fachrichtung ihres medizinischen Leiters auch nicht verwunderlich – über einen Sektionsraum. Obgleich das Bemühen des Professors Fuchs, sich der Kranken auf alle Weise ernsthaft anzunehmen und peinliche Sauberkeit und Ordnung in der Anstalt zu halten, sicherlich zu Recht gerühmt wird, wird man einräumen müssen, daß die deklarierte Gründungsabsicht, „durch die Verbindung einer solchen Anstalt mit den wissenschaftlichen Bestrebungen auf der Universität“ für die „Vervollkommnung der Seelenheilkunde“ sowie „für die Heilung einzelner Kranker“ zu sorgen und den „jungen, in Jena studierenden Ärzten zur Beobachtung, Beurtheilung und Behandlung so wichtiger Krankheitsfälle Gelegenheit“ zu geben70, noch für Jahrzehnte eine idealisierende Vision bleiben mußte. Für die damalige Zeit war es schon ein bedeutender Fortschritt, daß die „Irren“ überhaupt als Kranke betrachtet wurden und eine ihrem Leiden gemäße Unterbringung und ärztliche Versorgung erhielten. Bis zum Ende der napoleonischen Zeit blieb die Patientenzahl der Anstalt weitgehend konstant. Am 1. Januar 1814 wurden 12 Insassen verzeichnet, und seit der Eröffnung 1804 hatte es 43 Neuaufnahmen gegeben.71 Erster Direktor der Krankenanstalten, der nach Loders Weggang nach Halle auch für deren zunächst diesem zugeteilt gewesenen Teil und auch für die Oberaufsicht über das Irreninstitut zuständig war, war Johann Christian Stark der Ältere. Ihm folgte 1811 sein Neffe Johann Christian Stark d. J. Zweiter Direktor war von 1811 bis 1846 Wilhelm Carl Friedrich Suckow. Das Amt des Irrenhausaufsehers wurde nach Fuchsens Tod am 22. August 1813 zunächst für einige Jahre durch den Chirurgen Eulenstein und anschließend von häufig wechselnden Hilfsärzten versehen. Von 1804 an wurden Anstaltsbücher und Krankenjournale geführt, aus denen sich der Eindruck ergibt, daß die Patienten sorgfältig beobachtet, beaufsichtigt und auch therapiert wurden. Auch die Hilfsärzte scheinen ihre Aufgaben mit Engagement und großer Zuwendung für die Patienten wahrgenommen zu haben.72 Sowohl die Medikation der Kranken als auch ihr jeweiliger Zustand und gegebenenfalls die Obduktionsergebnisse in der Anstalt Verstorbener wurden pedantisch verzeichnet. 69 Vgl. Ortmann, F., Entstehung, 1983, 54 ff. 70 So im Präambeltext zum Gesetz, die Irrenanstalt in Jena und die Verpflegung der Irren überhaupt betreffend, vom 23.02. 1821, in: Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 33, 03.08. 1821, 683. 71 Vgl. Ortmann, F., Entstehung, 1983, 57. 72 Vgl. ebd., 1983, 70 ff.
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Der medizinisch-therapeutische Charakter stand stets im Vordergrund, und man achtete darauf, daß die Anstalt nicht zur bloßen Pflege- und Versorgungseinrichtung herabsank, auch wenn die Therapie73 nach dem damaligen Stand der medizinischen Wissenschaft nur sehr begrenzte Effekte haben konnte. Daß die neue Anstalt sich schon in den ersten Jahren nach ihrer Gründung über Sachsen-Weimar-Eisenach hinaus eines guten Ruf erfreuen konnte, zeigen sowohl ihr relativ großer Einzugsbereich als auch Äußerungen prominenter Zeitgenossen. So besuchte der damals berühmte Phrenologe Franz Joseph Gall am 5. August 1805 auch das Jenaer Irreninstitut und gelangte zu dem Urteil, daß es unter den am zweckmäßigsten eingerichteten Anstalten dieser Art eine Stelle behaupte. Ähnlich wohlwollend äußerte sich die Herzogin Charlotte von SachsenHildburghausen, eine Schwester der Königin Luise von Preußen, die auch durch den von ihr in Hildburghausen unterhaltenen kleinen „Musenhof“ bekannt geworden ist, in einem Brief an Herzog Carl August vom September 1807. Die Herzogin bat darum, dem bereits in der Jenaer Anstalt befindlichen, psychisch erkrankten Sohn ihrer Kinderfrau eine Freistelle zu gewähren. Die Herzogin begründete ihre Bitte mit der „Gewißheit“, daß „nur in einer so guten Anstalt wie (die) [der] bewuste[n] den armen Kranken (kann er noch anders genesen) geholfen werden kann.“74 Carl August machte sich ein Vergnügen daraus, dem Wunsch der Herzogin zu entsprechen, und ordnete umgehend an, die Versorgung des Patienten auf Kosten seiner Schatulle sicherzustellen.75 Nach dem Ende der napoleonischen Epoche wurde das Jenaer Institut erneut zum Gegenstand behördlicher Aufmerksamkeit, als sich seine Zuständigkeit infolge des Gebietszuwachses, der Sachsen-Weimar-Eisenach mit der Erhebung zum Großherzogtum auf dem Wiener Kongreß zugesprochen worden war, um die ehemals zum Königreich Sachsen gehörenden Gebiete des Neustädtischen und Thüringischen Kreises sowie die früher Erfurtischen Ämter Tonndorf und Azmannsdorf, Schlossvippach und Teile des Amts Gispersleben erweiterte. Im Februar 1816 forderte ein Bericht der Landesdirektion76, der neu geschaffenen Nachfolgebehörde der Generalpolizeidirektion und des Landespolizeikollegiums zu Weimar, daß das Irrenhaus erweitert werden müsse, um dem steigenden Bedarf gerecht zu werden. Es gehe nicht an, den notwendigen Platz etwa dadurch zu schaffen, daß man die auswärtigen Kranken entferne, da diese gut zahlten und dem Institut durch ihren Wegfall großer Nachteil entstehen würde. Den Hintergrund dieses Vorstoßes bildeten mehrfache Eingaben, die über schlechte Versorgung und Behandlung, räumliche Enge, Unsauberkeit und Ungeziefer klagten.77 Das Staatsministerium beschloß daraufhin, die Sache der auf April 1816 einberu73 Vgl. hierzu eingehend ebd., 80 ff. 74 Herzogin Charlotte von Sachsen-Hildburghausen an Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, 14.09. 1807, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 92r–93v. 75 Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach an Herzogin Charlotte von Sachsen-Hildburghausen, 06.11. 1807, in: ebd., Bl. 97r. 76 Bericht der Landesdirektion, 13.02. 1816, in: ebd., Bl. 116r–117v. 77 Vgl. Ortmann, F., Entstehung, 1983, 58 f.
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fenen Versammlung der Landschaftsdeputation von Sachsen-Weimar-Eisenach vorzulegen.78 Zugleich wurde ein Bauplan mit einem Kostenanschlag erstellt. Die Landschaftsdeputation begrüßte das Anliegen zwar, weigerte sich aber, über diesen Gegenstand eine Erklärung abzugeben, da aufgrund des neuen Grundgesetzes, daß von der zeitgleich mit der Landschaftsdeputation in Weimar tagenden Beratungsversammlung gerade entworfen werde, ein neuer Landtag für das gesamte Großherzogtum einschließlich der neu hinzugekommenen Landesteile gewählt werden solle, über deren Kassen zu disponieren sie als Vertretung der alten Lande nicht berechtigt sei.79 Die Landesdirektion brachte den Plan daher kurz vor Beginn der ersten Tagungsperiode des neuen, konstitutionellen Landtages erneut in Erinnerung.80 Der Landtag, dem der Antrag umgehend vorgelegt wurde, erkannte die Notwendigkeit des Erweiterungsbaues ebenfalls an und sprach sich dafür aus, die erforderlichen Baukosten in Höhe von 1.000 Talern aus der Hauptlandschaftskasse zu decken.81 Allerdings ergab sich in den folgenden Monaten, daß der kalkulierte Erweiterungsbau sich als unzureichend erweisen würde. Der Direktor der Krankenanstalten, der Professor der Medizin Johann Christian Stark d. J., habe, so berichtete die Landesdirektion im April 1818, eingewandt82, daß dem Platzmangel noch besser abgeholfen werden müsse, um die tatsächlich zu erwartende Anzahl an „Irren“ aufnehmen zu können. Er habe beantragt, auf dem Gelände des Anstaltsgartens ein neues Gebäude mit 18 Zimmern zu errichten. Hier sollten jene Patienten aufgenommen werden, deren Heilung wahrscheinlich sei. Der Neubau sei auch deshalb zu wünschen, weil man auf diese Weise mehr zahlende Ausländer aufnehmen und vielleicht auch die „Irren“ aus dem Eisenacher Landesteil, der noch seine eigene kleine Irrenanstalt unterhielt, unterbringen, mithin eine zentrale Landesirrenanstalt für das gesamte Großherzogtum schaffen könne. Die Ausstattung des Instituts wünschte Stark durch die Errichtung einer kompletten Badeanstalt mit einer Dusche und durch die Aufstellung einer „Drillmaschine“, eines damals modernen, aber umstrittenen Apparates zur Behandlung psychisch Kranker83, verbessert zu sehen. Auch die Jenaer Polizeikommission habe sich dazu geäußert und schlage vor, Teile des Arbeitshauses, das nach dem Tod des Bürgermeisters Vogel ohnehin nicht mehr im Sinne seiner ursprünglichen Zweckbestimmung genutzt werde, durch die Erweiterung des Irreninstituts einer zweckmäßigeren Nutzung zuzuführen. Derzeit werde ein Teil des für die Unterhaltung des Arbeitshauses zur Verfügung stehenden Geldes zweckwidrig zur 78 79 80 81
Vgl. Reskript an die Landesdirektion, 20.02. 1816, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 118r. Vgl. Erklärung der Landschaftsdeputation, 29.04. 1816, in: ebd., Bl. 121r. Vgl. Bericht der Landesdirektion, 01.02. 1817, in: ebd., Bl. 123r–123v. Vgl. die Abschriften aus dem Schriftwechsel des Staatsministeriums mit dem Landtag, März 1817, in: ebd., Bl. 126r–132r. 82 Vgl. Bericht der Landesdirektion, 14.04. 1818, in: ebd., Bl. 126r–132r. 83 Vgl. u. a. Kaufmann, D., Aufklärung, 1995, 283 ff.; Reil, J.C., Rhapsodieen, 1803; Blasius, D., Wahnsinn, 1980, 62; Ackerknecht, E. H., Geschichte, 21967, 62; Herzog, G., Heilung, 1988, 439f.; Braun, S., Heilung, 2009, 343 ff.
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Erziehung hilfsbedürftiger Kinder verwendet. Auch die Verwaltung des Irreninstituts könne sehr zweckmäßig im Gebäude des Arbeitshauses untergebracht werden, und man könne dort überdies 10 Zimmer für die „Irren“ einrichten. Insgesamt ließen sich so, wie die Landesdirektion in einem weiteren, ausführlichen Bericht darlegte, 22 Zimmer, also mehr als die Verwirklichung des Starkschen Neubauprojektes erbracht hätte, zu deren Unterbringung gewinnen.84 Der Großherzog reagierte sofort mit einem Reskript an das Landschaftskollegium, das diese Behörde anwies, die für die von der Jenaer Polizeikommission vorgeschlagene Variante der Irrenhauserweiterung erforderlichen, im Vergleich zu Starks Plan indes erheblich geringeren zusätzlichen Baukosten in Höhe von etwas über 800 Talern vorschußweise an die Kasse des Instituts auszuzahlen. Der Antrag auf deren nachträgliche Bewilligung werde dem Landtag bei seiner nächsten Session vorgelegt werden.85 Ein eigenhändiges Billet Carl Augusts vom 19. Juli 1818 genehmigte eine weitere, mit einem erneuten zusätzlichen Kostenaufwand von 140 Talern verbundene Veränderung des Bauplans und verlangte zugleich einen Kostenanschlag für die Mitbenutzung des Arbeitshauses. Es erscheine dem Landesherrn zweckmäßig, diesen Vorschlag gleich auszuführen und nicht auf eine spätere Zeit zu verschieben.86 Bereits im August 1818 wurden die erforderlichen Anweisungen an die Landesbehörden erlassen, und die Auszahlung der Summe wurde angeordnet. Im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Erweiterungsprojekts warf die Landesdirektion im September 1818 die Frage auf, unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen die „irren Landeskinder“ aus dem Neustädter Kreis in die Anstalt aufgenommen werden sollten. Es fehle vor allem eine einheitliche Vorschrift über die Heranziehung von Verwandten und Gemeinden zu den Unterhaltskosten.87 Der Großherzog und sein Staatsministerium teilten diese Ansicht und wiesen die Landesdirektion am 22. September 1818 an, einen Gesetzentwurf „wegen Aufnahme und Unterhaltung der Irrenden“ baldmöglichst auszuarbeiten.88 Die Behörde erstattete ihren Bericht darüber, dem auch ihre Eisenacher Sektion „in der Hauptsache“ beigetreten sei, am 21. November 1818.89 In dem Gesetz sollte ihrer Auffassung nach erstens ausgesprochen werden, „daß das Jenaische Irreninstitut als eine Landes-Anstalt künftig zu betrachten sei, und daß jeder sich für selbige qualificirende Unterthan dorthin resp. zur Cur und bey erwiesener Unheilbarkeit zur fortwährenden Detention zu bringen sey.“ Ausnahmen sollten nur zulässig sein, wenn die Familie oder nächste Verwandte des Kranken sich auf das Bestimmteste verpflichteten, für dessen Behandlung und sichere Verwahrung hin84 Vgl. Bericht der Landesdirektion, 22.11. 1818, in: ThHStAW, B 6284, Bl. 152r–157v. 85 Vgl. Reskripte an das Landschaftskollegium und die Landesdirektion, 17.04. 1818, in: ebd., Bl. 133r–134r. 86 Vgl. Billet des Großherzogs Carl August an das Staatsministerium, 19.07. 1818, in: ebd., Bl. 140r. 87 Vgl. Bericht der Landesdirektion, 08.09. 1818, in: ebd., Bl. 146r–149v. 88 Vgl. Reskript an die Landesdirektion, 22.09. 1818, in: ebd., Bl. 151r–151v. 89 Bericht der Landesdirektion, 21.11. 1818, in: ebd., Bl. 158r–164v.
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reichend zu sorgen, so daß weder für ihn selbst noch für Dritte Schaden entstehen könne. Zweitens solle bestimmt werden, welche Personen sich für die Aufnahme in das Institut eigneten. Dies seien „Melancholische“, „Wahnsinnige“ und „Rasende“. „Blödsinnige“ Personen, die an einem lediglich „organischen Fehler“ litten, seien an die Armenversorgungsanstalten zu verweisen. Drittens sollte das Verfahren zur Entscheidung über eine Aufnahme geregelt werden. Allein die Landesdirektion zu Weimar oder die zu Eisenach solle gültige Entscheidungen über Aufnahmen in das Institut treffen dürfen, und eine Einlieferung solle in der Regel, sofern nicht Gefahr im Verzug sei, nur dann stattfinden können, „wenn vorher über den geistigen und körperlichen Krankheitszustand die erforderlichen Zeugnisse des Beichtvaters und des Arztes, der den Kranken behandelt hat, in Ermangelung des Letzteren des Bezirks-Physikus, vorgelegt worden sind.“ Hinsichtlich der Unterhalts- und Kostenregelung solle es viertens bei der bisherigen Verfahrensweise bleiben, nach der „Arme“ zu den Kosten für Wohnung, ärztliche Behandlung, Transport und Verwaltung nichts beitragen müßten, diese vielmehr von der Landeskasse übernommen würden. Ansonsten sollte der Kostenbeitrag des Staates nur erfolgen, nachdem zuvor das vorhandene Einkommen und Vermögen des „Irrenden“ und die unterhaltspflichtigen Verwandten oder subsidiär die Heimatgemeinden herangezogen worden seien. Angesichts der großen Schwierigkeiten, mit denen die Heranziehung von Verwandten erfahrungsgemäß verbunden sei, habe man die diesbezüglichen Bestimmungen eingehender formuliert als sie in den bisherigen Regelungen enthalten gewesen seien. Hinsichtlich der Kompetenzen der Anstaltsärzte wurde in einem fünften Punkt vorgeschlagen, daß den medizinischen Direktoren der Anstalt das Recht einzuräumen sei, „allein gültig“ über die Behandlung, Verpflegung und Aufenthaltsdauer der Kranken zu disponieren. Es müsse aber zugleich sichergestellt werden, daß das Irreninstitut nicht zu einer Versorgungsanstalt werden könne. Genesene Kranke oder solche, die sich nach ärztlichem Befund für diese Anstalt nicht eigneten oder keinen längeren Aufenthalt benötigten, müßten „unweigerlich“ von ihren Familien oder Gemeinden zurückgenommen werden. Außerdem sei in dem Gesetz noch zu regeln, daß die ganze Anstalt als Landeseinrichtung der Oberaufsicht der Landesdirektion unterstehe, die spezielle Aufsicht und Leitung in allen Verwaltungssachen hingegen der Jenaer Polizeikommission obliege. Als Vorstand der Anstalt solle der Geheime Hofrat Stark in seiner Eigenschaft als medizinischer Direktor fungieren; das Personal solle ihm und der Polizeikommission zu Jena untergeordnet sein – dem auch er selbst rechenschaftspflichtig sein solle. Über den gewöhnlichen Verpflegungssatz hinaus solle auch ein höherer Satz für bessere Verpflegung zulässig sein, worüber jedoch mit der vorgesetzten Behörde verhandelt werden müsse. Ausländer sollten auch weiterhin, aber nur mit ausdrücklicher Genehmigung der Landesdirektion in jedem Einzelfall und nur dann, wenn der Platz nicht für einen Inländer gebraucht werde, aufgenommen werden dürfen. Die als Nebenanstalt zum Zwangsarbeits-
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haus betriebene Eisenacher Irrenanstalt solle mit Inkrafttreten des Gesetzes aufgelöst werden. Mit Dekret vom 14. November 181890 wurden dieser sowie der Bericht der Landesdirektion über die Gesamtkosten der Erweiterung des Irreninstituts dem Landtag vorgelegt. Ergänzend zu den Vorschlägen der Landesdirektion hatte der Großherzog selbst noch seine persönliche Überzeugung in dem Dekret zum Ausdruck bringen lassen, daß er die dauerhafte Unterbringung nur dann als zweckmäßig ansehen könne, wenn die „psychologische Behandlung der Irren“ in der Einrichtung so verbessert werde, daß die nachteilige Wirkung einer Trennung der Leidenden von ihren Angehörigen und Freunden dadurch hinlänglich aufgewogen werde. Hierfür sah er, wie oben erwähnt, insbesondere die Anstellung eines „philosophischen Arztes“ als erforderlich an, der sich dem „psychologischen Studium“ der ihm anvertrauten „Seelenkranken“ besonders widmen und damit auch zugleich Gelegenheit zu wissenschaftlicher und praktischer Ausbildung erhalten sollte. Um diesem Arzt eine für ihn kostenfreie Wohnung und Heizung im Institutsgebäude bereitstellen zu können, wurde der Landtag um die Bewilligung einer jährlichen Summe von 200 Talern ersucht. Es ging Carl August also ganz eindeutig um die Ausgestaltung des Jenaer Irreninstituts zu einer nach den Maßstäben jener Zeit modernen, nicht mehr den polizeilichen Aspekt der Sicherungsverwahrung, sondern die medizinisch-psychologische Versorgung und, soweit möglich, auch die Heilbehandlung der Kranken in das Zentrum ihrer Zweckbestimmung rückenden psychiatrischen Klinik, auch wenn dieser Begriff selbst damals noch unbekannt war. Was einst in der von Goethe entworfenen offiziellen Verlautbarung vom September 1803, mit der die Errichtung des Irreninstituts angekündigt wurde, noch eher als Vision formuliert gewesen war und in der praktischen Umsetzung trotz des guten Rufes, den die Anstalt genoß, zweifellos noch weit hinter dem Ideal zurückblieb, gewann jetzt präzisere Konturen. Der Landtag befand das Projekt zwar für durchaus zweckmäßig und war, da der Erweiterungsbedarf angesichts der wachsenden, durch die neuen Landesteile erheblich vergrößerten Zahl der Anstaltsinsassen unabweisbar erschien, auch zur Bewilligung der erforderlichen Mittel bereit91, zeigte sich aber gegenüber den dezidierten Forderungen des Großherzogs hinsichtlich der psychiatrischen Ausrichtung dennoch skeptisch. Daß den Angehörigen erlaubt sein sollte, ihre kranken Familienmitglieder bei sich zu behalten, wenn sie deren Sicherheit und die Vermeidung öffentlicher Gefährdungen durch diese garantierten, wollten die Abgeordneten gern konzedieren, zumal sie der Auffassung waren, daß die Verwandten ohnehin die „erste Obliegenheit“ zu deren Versorgung hätten. Die Bestimmungen über die subsidiarische Versorgungspflicht der Landeskassen wünschte 90 Dekret an den Landtag, 14.11. 1818, in: ebd., Bl. 165r–165, Druck in: Verhandlungen des […] ersten Landtages (wie Anm. 29), 126–127. 91 Vgl. Untertängiste Erklärungsschrift, die Erhebung der Irrenanstalt zu Jena zu einer allgemeinen Landes-Anstalt, ingleichen den Entwurf eines Gesetzes wegen Aufnahme und Unterhaltung der Irren betreffend, 21.12. 1818, in: Verhandlungen des […] ersten Landtages (wie Anm. 29), 131–132.
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der Landtag daher noch strikter gehalten als der Entwurf sie formuliert hatte. Die Anstellung eines „philosophischen Arztes“ möge jedoch noch so lange ausgesetzt bleiben, bis sich künftig näher ergebe, ob die bisherige medizinische Leitung des Irreninstituts den Anforderungen nicht genüge und die Zahl der bereits angestellten Ärzte nicht ausreichend sei. Die Weimarer Staatsleitung zeigte sich von diesen Vorbehalten unbeeindruckt. Der Großherzog wolle die Erhebung des Instituts zu einer allgemeinen Landesanstalt und die Aufhebung der Eisenacher Irreneinrichtung sofort verfügen. Die in der Erklärungsschrift des Landtags vorgebrachten Erinnerungen werde er zwar berücksichtigen lassen, behalte sich aber die Entschließung hinsichtlich der Aufsicht und Behandlung im Jenaischen Irreninstitut noch bis zum Eingang eines dazu anzufordernden Berichts der Landesdirektion vor. Man halte sich jedoch schon im voraus der Bereitwilligkeit des Landtages versichert, die notwendigen neuen Mittel für eine „für nothwendig erkannte Landesanstalt, deren möglichst vollkommene Einrichtung zu den heiligsten Pflichten der Menschheit gehört“, zu bewilligen.92 Dies ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Carl August war nicht bereit, lediglich aus Sparsamkeitsgründen Abstriche zu machen, die den für ihn entscheidenden Aspekt des ganzen Projekts zunichte gemacht hätten.93 Der Landtag von 1821, dem das Gesetz wieder vorgelegt wurde, ließ es daher auch gar nicht erst auf eine Konfrontation ankommen und vermied eine weitere Debatte darüber.94 Obwohl das den Gesetzentwurf begleitende Dekret auf die in der Landtagserklärung von 1819 angemahnte nochmalige Prüfung der Frage, ob die geforderten 200 Taler für die Anstellung eines auf die psychiatrische Behandlung der Kranken spezialisierten „philosophischen“ Arztes tatsächlich erforderlich seien oder die bisherige Personalausstattung hinreiche, überhaupt nicht eingegangen war und lediglich die Anträge hinsichtlich der subsidiären Regelung der Unterhaltskosten berücksichtigt hatte, erklärten die Abgeordneten, daß sie nunmehr alles beachtet fänden, was in den Anträgen des letzten Landtages vorgebracht worden war. Sie nähmen daher keinen Anstand, die Zustimmung zu dem Patent über das Irrengesetz „verfassungsmäßig zu ertheilen“. Der Landtag glaubte lediglich, die Bemerkung nicht unterdrücken zu können, daß mit dem Gesetz nicht die 92 Höchstes Dekret, 05.01. 1819, in: ebd., 133. 93 Carl August machte die Erhebung der Jenaer Irrenanstalt zu einem Landesinstitut eindeutig von der Anstellung eines „junge[n] phil. Arzt[es]“ abhängig, vgl. Vortrag des Geheimen Referendars Carl Friedrich Anton Conta und Staatsministerialvoten zur Erklärungsschrift des Landtags von Sachsen-Weimar-Eisenach vom 21. Dezember 1818, die Erhebung des Irreninstitut zu Jena zu einer allgemeinen Landesanstalt und den Entwurf eines Gesetzes über die Aufnahme und Unterhaltung der Irren betreffend, 05.01. 1819, in: ThHStAW , B 150g, 164r– 165r. Weiterhin eindeutig zeigen sich hier auch die in der Verfassung garantierten Rechte als motivierende Gesichtspunkte für die Gestaltung eines Irrengesetzes, welches demnach wörtlich „den bürgerl. Zustand u. die Rechte einzelner Staatsbürger“ begreifen sollte, vgl. ebd. 94 Vgl. Protokoll der 50. Sitzung des 2. Ordentlichen Landtages von Sachsen-Weimar-Eisenach, 21.02. 1821, in: Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 10, 02.03. 1821, 198–199, sowie Höchstes Dekret, 01.02. 1821, und Unterthänigste Erklärungsschrift, 09.02. 1821, in: ebd., Beilage, 219–220.
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Einführung einer neuen Versorgungseinrichtung für „Verstandesschwache, blödsinnige und solche Personen, welche an einem blos organischen Fehler leiden“, verbunden werden dürfe, und die betreffende Passage daher zur Vermeidung von Mißverständnissen in diesem Sinne abgeändert werden möge. Auch die beantragten zusätzlichen Kosten für die bauliche Erweiterung der Jenaer Irrenanstalt wurden anstandslos bewilligt.95 Das Gesetz bestätigte zwar nochmals die geltende Alimentationsregelung des Armenrechts auch für die Unterbringung der psychisch Kranken in der Irrenanstalt, doch sollte diese Regelung lediglich einen provisorischen Charakter haben. Die Frage war im Zusammenhang mit dem Entwurf des Irrengesetzes nochmals ausführlich von der Landesdirektion geprüft und im Staatsministerium diskutiert worden. Wiederum hatte der Großherzog persönlich eine Entscheidung herbeigeführt, um zu verhindern, daß die Verabschiedung des Gesetzes durch die innerbürokratische Debatte um die Alimentation auf die lange Bank geschoben würde. Im Billet vom August 182096 hatte er angeordnet, daß künftig eine einheitliche Generalregelung der Unterhaltspflicht über die relativ wenigen Fälle der Alimentation von Insassen der Irrenanstalt hinaus herbeigeführt werden müsse, die im Zusammenhang mit der beabsichtigten Reform der Armenordnung stehen solle. Weder sei der derzeit gültige Satz: „Jede Commun muß ihre Armen ernähren“, immer haltbar, noch dürfe eine zu harte Alimentionsregelung im Fall einer möglicherweise jahrelangen Anstaltsunterbringung dazu führen, daß die wirtschaftliche Existenz der unterhaltspflichtigen Angehörigen geschädigt werde.97 Damit konnte das Gesetz in Kraft treten; es wurde am 3. August 1821 im Regierungsblatt publiziert.98
95 Vgl. Unterthänigste Erklärungsschrift, 10.04. 1821, in: Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungsblatt, Nr. 18, 24.04. 1821, Beilage I, 373. 96 Billet des Großherzogs Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, o. D., [August 1820], in: ThHStAW, B 6284, Bl. 250r–251r. 97 „Ich denke mir z. B. einen Mann, der 800–100 rh. Einnahmen hat; er kann einen verarmten Bruder leicht bey sich im Hause verköstigen, soll er aber denselben als wahnsinnig (vielleicht durch Ausschweifung) im Irrenhaus mehrere Jahre unterhalten, während seine öffentlichen Verhältnisse, seine Kinder-Erziehung usw. seine ganzen Einnahmen in Anspruch nehmen, so dürfte das Gesetz sehr hart angewendet erscheinen. Darum dürfte die Vorstellung des möglichen Details der Gesetzfassung vorangehen. Die Vorbeugung der Alimentations Belastung, die in Aufsicht und Leitung des Fleißes schon bey der Jugend anfängt, darf auch wohl nicht übersehen werden.“ in: ebd. 98 Vgl. Großherzogl. S. Weimar-Eisenachisches Regierungs-Blatt, Nr. 33, 03.08. 1821, 683– 687.
TEIL II Universität und Wissenschaft in der „Sattelzeit“
Die Ordnung der Wissenschaft und die Strukturierung der Dinge Bemerkungen zur Naturwissenschaft in Jena vor 1850 Olaf Breidbach Jena steht um 1800 am Beginn einer Entwicklung zu Neuem, die dann für das 19. Jahrhundert insgesamt bedeutsam wurde. In den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts finden wir eine umfassende Umschichtung nicht nur der Inhalte, sondern auch der Strukturen des Wissens und der Wissensvermittlung, wie sie in ihrem Ansatz mit Blick auf Jena nicht nur exemplarisch beschrieben werden kann, sondern dort geradezu exemplifiziert ist. Darauf setzte dann aber eine Entwicklung ein, die Jena nur noch in engen Grenzen selbst mittragen konnte und die so gerade in der Diskontinuität der Jenaer Entwicklung zu charakterisieren ist. Zentral – aus wissenschaftshistorischer Perspektive – ist dabei die Disziplinbildung der Wissenschaften, die mit einem definierten methodischen Vorgehen der einzelnen Teilbereiche der Wissenschaften einhergeht. Dabei ist diese Entwicklung dann eben nicht auf die einfache Formel vom Siegeszug der Sciences zu bringen. Diese Wissenschaften waren selbst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts noch alles andere als klar konturiert. So zog sich – nicht nur in Jena-Weimar – diese Umbruchsituation bis in die 1830er und 1840er Jahre hin. Selbst die in ihrem Eigenverständnis induktiv gesicherten Disziplinen der Naturforschung waren methodisch noch uneinheitlich aufgebaut und bis 1850 auch keineswegs allein durch analytisch-induktives Denken geprägt. Gegen die These vom Siegeszug der positiven Wissenschaften setze ich hier denn auch die These vom Fortdauern der philosophisch geprägten Naturgeschichte.1 1. Jena nach 1800 Mit Napoleon durchmißt – wie Hegel schreibt – der Weltgeist den kleinen Raum Jena-Weimar. Die Schlacht von 1806 bindet Jena dann auch direkt in ein Weltgeschehen ein, das, über die Plünderungen und Brandschatzungen hinaus, die ökonomische Struktur von Jena-Weimar-Eisenach nachhaltig zerrüttete. Eine Konsequenz war, daß die Universität Jena, die schon nach 1803, nach dem Abwandern einer Reihe von zentralen Professoren, in ihrer inhaltlichen Ausrichtung in Schwierigkeiten geraten war, nunmehr auch in Finanznöte geriet. Goethe, als Administrator dieser Universität, setzte in dieser Situation auf die Berufung junger (und billiger) Nachwuchswissenschaftler. Nach 1806 wird dieses Konzept, auf 1
Breidbach, O., Naturphilosophie, 1998.
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Personen zu setzen, allerdings zunehmend problematischer. Die Situation der Universitäten insgesamt ändert sich nun aber in diesem und dem kommenden Jahrzehnt; interessant ist die neue Universität nun nicht mehr als einfache Lehranstalt.2 Avancierte Lehre verlangt zusehends eigene Forschung und fordert damit Strukturinvestitionen; es sind nicht nur grundsätzliche Fähigkeiten, sondern avancierte Methoden zu lehren. Der Wissenschaftler bekommt sein Labor, er zahlt es nicht selbst – dafür würde auch sein Lohn nicht reichen. Er bekommt seine Infrastruktur gestellt. Damit gewinnt er wissenschaftliche Handlungsfreiheit und muß diese auch zunehmend nutzen, um Anschluß an die Gesamtentwicklung in seinem Bereich halten zu können und dies in der Lehre zu vermitteln. Nur so lassen sich nach 1830 noch Studenten anziehen und halten. Solche Investitionen verursachen aber Kosten, insbesondere da, wo, wie in Jena, das Wenige, was schon vorhanden war, 1806 regelrecht zerschlagen wurde. Mit den Karlsbader Beschlüssen engt sich dann insgesamt – nur trifft dies speziell Jena, das sich einen Ruf als „freie“ Universität erarbeitet hatte – auch der Spielraum der Lehre weiter ein. Zwar können die politischen Professoren Oken, Luden, Fries – und deren Publikationsorgane – hier noch einmal kurzfristig Zeichen setzen.3 Nur gelingt es in dieser Situation auch nicht mehr, diese Freigeister an der und damit deren Attraktion für die Universität zu halten. Sie werden suspendiert oder relegiert; die Idee einer in Freiheit lehrenden Universität zerbricht. Was zählt, ist nun die Qualität einer sachorientierten Ausbildung. Die Details der folgenden Jenaer Mangelwirtschaft, in der Goethe versucht, die Universität Jena zu reaktivieren, mögen hier nicht interessieren.4 Die für ihn verfügbare Finanzdecke ist zu gering, als daß er sich mit ihr administrativ wirklich gestaltend hätte einbringen können. Ein Vorgang mag dieses für die Jahre nach 1816 charakteristische kleinteilige Lavieren belegen: Nach dem Tod des langjährigen Professors für Mathematik und Physik J. H. Voigt ist 1823 dessen Lehrstuhl vakant. Motz, Regierungsbevollmächtigter für die Universität Jena, stellt fest: Anstelle einer auswärtigen Berufung, die zusätzliche Kosten verursachen und angesichts der stark zurückgehenden Kollegienhonorare ohnehin kaum Aussicht auf Erfolg haben würde, wäre es doch zu erwägen, den derzeit noch suspendierten Philosophen Fries zu berufen, der sei ja schließlich billig zu haben. Dem wird entsprochen.5 Als Fries dann vorschlägt, zumindest ein mathematisches Kabinett aufzubauen, indem man – billig – die Apparate des Amtsvorgängers aufkaufen möge, hat er Goethe als Befürworter. Zu modernisieren war der Lehrbetrieb so aber nicht. Hier wird nun aber gerade in der Mangelwirtschaft deutlich, daß sich im Lehrund Wissenschaftsbetrieb etwas grundsätzlich zu ändern beginnt. Die sich nunmehr in Disziplinen organisierenden Wissenschaften gewinnen Anwendungsfelder. Damit einher geht zusehends eine Disziplinierung, nicht nur der Lehre, son2 3 4 5
Vgl. Müller, G., Regieren, 2006. Ries, K., Wort, 2007. Müller, G., Regieren, 2006. Ebd.
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dern auch der Forschung. Es entsteht eine Wissenschaft, die in Laboratorien arbeitet, die kooperiert, die arbeitsteilig einen Gegenstandsbereich in den Blick nimmt, und die genau daraus erstarkt, daß sie das, was sie tut, direkt vermittelt. Dazu bedarf es Investitionen, die – so die These – Sachsen-Weimar-Eisenach nach 1810 nicht mehr in zureichendem Maße einbringen kann. Damit gerät ein Motor des Ereignisraumes Weimar Jena außer Tritt. Noch am Leben gehalten durch die Fama von Goethe, wird dieses Innovationszentrum der Jahre um 1800 sodann in den 1820er Jahren zusehends zum Mahnmal verflossener Bedeutung. Als solches kann es dann schon von Humboldt aufgenommen werden, um nun aus dem Rückverweis von Berlin auf Jena eine moderne, aber eigene, aus Jena herausführende preußische Kulturgeschichte aufnehmen zu können, die dann nach 1871 für den Gesamtbestand der neuen Deutschen Kulturnation kanonisch wurde. Insofern schlägt Goethes Vision für Jena nach 1820 dann selbst um: „Nur die technisch höchstgebildeten Völker“, schrieb Goethe, „wo die Maschinen wieder zu verständigen Organen werden, wo die größte Genauigkeit sich mit der größten Schnelligkeit verbindet, solche reichen an jene hinan und übertreffen sie in vielem. Alles Mittlere ist nur eine Art von Pfuscherei, welche eine Concurrenz, sobald sie entsteht, nicht aushalten kann.“6
Damit zeigt sich dann zugleich mit Blick auf Jena, daß der Abbruch der eigenen Geschichte – im Sinne eines Fortschreibens der derart um 1800 begonnenen Traditionen – diese keineswegs insgesamt außer Geltung setzt, sie aber nur noch bedingt in Jena-Weimar selbst weiter geschrieben werden kann. Dabei gilt dies auch nicht nur für diesen speziellen Ort, vielmehr ändert sich mit den Verlagerungen der Handlungsraum, in dem diese Diskussionen weiter zu verfolgen sind. Wir finden vielmehr Veränderungen in der räumlichen Organisation des Diskurses, in den Publikationsformen, der Sprache, in der Ausbildung und in den Instrumenten der Forschung. 2. Laboratoriumswissenschaften Am Beispiel des Labors kann zumindest ein Aspekt dieser Umschichtung etwas detaillierter konturiert werden, um damit zugleich darzustellen, daß die Verlagerung der Diskussionen aus Jena heraus mit einem Fortdauern der typologischen und philosophischen Traditionen einer Naturforschung einhergeht.7 Dabei bedeutet die Anlage des Labors nun nicht einfach eine Eingrenzung auf bestimmte teuer erkaufte Räume, die sich nur noch finanzstarke Organisationen leisten können. Teure Gerätschaften nutzte schon Lavoisier im vorrevolutionären Frankreich.8 Wichtig ist vor allem die Standardisierung, die ein Labor zumindest der Vorgabe nach als einen Raum darstellt, der unter bestimmten Voraussetzungen an einem beliebigen Ort zu schaffen ist. Unter der Diktion einer sich im Labor ausrichten6 7 8
Goethe, J.W., Naturwissenschaftliche Schriften, 1887–1905 (WA), II, Bd. 3, XXIII. Klein, U., Apothecary-chemists, 2007; Klein, U., Apothecary’s shops, 2007. Lavoisier, A. L., System, 2008.
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den Erfahrung gewinnt der Wissenschaftler ein neues Forum. Seine Erfahrungen werden nicht nur als Ideen, sondern in der Komplexität ihrer Erstbeschreibung vermittelt; die ihn leitenden Dispositionen werden transparent, sein enger privater Erfahrungsraum wird unter der Konstellation des Labors, das es erlaubt die Randbedingungen unseres Erfahrens weitgehend zu kontrollieren, gleichsam entortet. 3. Fragmente zur Darstellung der Wissenschaften nach 1800 3.1. Frankreich Wie nun konturierte sich die Wissenschaft der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts?9 In ihrem – hagiographische Züge tragenden – Rückblick sehen sich die Sciences schon in den ersten Jahrzehnten nach 1800, nach der vermeintlich klar abgrenzbaren Periode einer Romantisierung des Naturalen, in den methodischen Rastern von Analytik und Induktion gesichert. Der Jenaer Botaniker Matthias Jacob Schleiden – einer der maßgeblichen Lehrbuchautoren der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – veröffentlichte 1842 sein Lehrbuch der Botanik als programmatische Schrift dieser neuen, nach induktiver Methode gegründeten Wissenschaft. Derselbe Autor setzte sich 1844 in seiner Schrift „Über Hegel’s und Schelling’s Verhältnis zur Naturwissenschaft“ klar gegen jede spekulative Sicht der Welt ab und postuliert so schon am Beginn der Entwicklung der modernen Naturwissenschaften die zwei Welten, die der Philosophen und die der Naturwissenschaftler, die voneinander nichts wissen können.10 Ist damit die Frage benannt, unter der die Naturwissenschaften vor 1850 thematisierbar sind? Oder ist es angeraten, hier vorsichtig noch einmal nachzufassen und vielleicht auch gerade aufgrund der Intensität einer entsprechenden Proklamation der Geltung und Gewichtung des Induktiv-Analytischen doch noch einmal nachzufragen und die Geschichte dieser Jahre eingehender zu sondieren? Hierbei zeigen sich vielleicht nicht ganz unwichtige Diskussionslinien. Der Beginn des 19. Jahrhunderts zeigt Paris noch als Zentrum der wissenschaftlichen Diskussionen. Auch international, wie es Franz Joseph Gall mustergültig zeigt, sucht und findet man hier Anerkennung.11 Demgegenüber liegt Weimar-Jena mit seinem Umfeld Halle-Leipzig-Göttingen in der Provinz, fernab der politischen Entscheidungen, aber auch fernab der Moden und der politischen Zwänge.12 In Frankreich konzentriert die Französische Revolution die französische Wissenschaft noch eingehender auf den Raum von Paris und bündelt hier mit ihrer Académie française und den von ihr getragenen Institutionen die Diskussion auch 9
Knight, D. M., Science, 1998; Poggi, S., genio, 2000; Breidbach, O. / Ziche, P. (Hg.), Naturwissenschaften, 2001; Brain, R. M. / Cohen, R. S. / Knudsen, O. (Hg.), Hans Christian Ørsted, 2007. 10 Schleiden, M. J., Verhältnis, 1988. 11 Oehler-Klein, S., Schädellehre, 1990. 12 Vgl. Breidbach, O. / Rosa, H. (Hg.), Laboratorium, 2010 (MS).
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strukturell, bleibt dabei aber letztendlich in ihren Organisationsmustern in der Folge des Ancien Régime.13 Die Académie française war nur mehr reformiert, nicht revolutioniert worden. Institutionen wie das Naturhistorische Museum und der Botanische Garten erhielten neue Statuten. Napoleon ließ dann diese Sammlungen mit Beutegut weiter ausbauen. Allerdings formierten sich unter den neuen politischen Zwängen eines sich zunächst verteidigenden und eines dann zusehends expandierenden Frankreich auch neue Notwendigkeiten für die so in ihren prinzipiellen Strukturen erhaltene Wissenschaft. Notwendig war für dieses stark militärisch geprägte System ein gut funktionierendes und großes Geniekorps, notwendig waren Ingenieure, Nautiker und damit „angewandt mathematisch“ denkende Köpfe.14 Die Anekdote, der zufolge Napoleon im Pantheon der Franzosen den Namen Voltaire durch das einfache Streichen von drei Buchstaben auf Volta verkürzte, mag die damit formierten Zwänge in ihrer Konsequenz überzeichnen, sie ist aber ein gutes Bild für das, was das französische Regime napoleonischer Prägung als Bildungsideal ansah. So strukturierte sich denn etwa die Universität Padua nach Ausruf des Königreichs von Italien radikal um.15 Die alten Fakultäten wurden aufgelöst, Theologie und Philosophie wurden gestrichen. Aufgebaut wurde eine neue Fakultätenstruktur von Jurisprudenz, Medizin und Naturwissenschaft, wobei unter den Begriff „Naturwissenschaft“ die mathematischen Disziplinen einer Physik, die Chemie, aber auch Architektur und Fortifikationswesen rubriziert wurden. Der entsprechende Plan des Bruders von Bonaparte kam im deutschen Sprachraum so nicht zur Ausführung. Die spekulative Mathematik eines Laplace oder Lagrange transformierte sich in der Ausbildung in eine angewandte Mathematik.16 In deren Ausbildungsplan interessierten nicht die Grenzen des Infiniten, sondern die Geschoßbahn und der Neigungswinkel der Befestigungsanlagen. Damit wurde Frankreich provinziell. Das böse Wort, daß die Expansion des Territoriums mit einer Eingrenzung des Geistes zusammenging, ist überzeichnet, doch war schon unter Napoleon die Spitze der französischen Avantgarde – das mußte selbst Humboldt erfahren – in ein nationales Korsett gebunden. Der Universalismus seiner Kosmologie ersetzte sich durch den Blick auf die fossilen Funde aus dem Gips von Montmartre. Die Entwürfe eines Laplace ersetzten sich durch die Geschichten eines Georges Cuvier.17 Das Frankreich der 1820er, 1830er und 1840er Jahre war geprägt von diesem Anatomen, einem Mann der Beschreibung. Seine „Ossemens fossiles“, seine „Anatomie comparée“ und zuletzt sein Versuch einer Encyclopädie des naturwissenschaftlichen Wissens waren Manifeste eines Naturgeschichtlers.18 Doch auch 13 14 15 16 17 18
Oster, D., Histoire, 1970. König, W., Verwaltungsstaat, 1998. Breidbach, O. / Frigo, G. F. / Piovan, F., Naturforschung, 2003. Dieudonné, J. A., Geschichte, 1985. Schmitt, S., origines, 2006. Brazier, M. A. B., History, 1988.
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die durch ihn initiierte Schule versank nach 1840 zusehends. Die genialen Physiologen Magendie und Bernard blieben Randerscheinungen.19 Eine Gestalt wie der vergleichend arbeitende Physiologe Flourens dominierte die Physiologie und über diese die Medizin und mit ihr die einflußreichste Fakultät der angewandten Naturforschung.20 Dieser Flourens arbeitete – wenn auch experimentierend – deskriptiv. 1860 ist der große französische Naturforscher Broca nicht einer der Köpfe der Akadémie Française, sondern Mitglied einer eher marginalen Societé d’Anthropologie. Trotzdem blieb Frankreich bis in die 20er Jahre das Mekka der Naturforscher. Wie vormals Mesmer suchte – wie schon angedeutet – ein Franz Joseph Gall 1810 seinen wissenschaftlichen Ritterschlag bei der Akadémie française;21 auch der Jenaer Physiker Wilhelm Ritter suchte – vermittelt über Ørsted – nach 1800 vor diesem Gremium zu reüssieren. Ørsted und – natürlich – Ampère fanden im Zirkel eben dieser Leute ihre Anerkennung.22 Und zu den in dieser Institution versammelten Köpfen pilgerten dann auch noch in den 1820er Jahren Forscher wie Lorenz Oken oder der Brite Richard Owen.23 Daß Owen dann in Paris Oken hörte und in ihm das Denken Cuviers zu erfassen glaubte, steht wieder auf einem anderen Blatt.24 3.2. Sprache und Kommunikation Im Rahmen der hier zu durchschreitenden Jahre bis 1850 wechselte der Hauptschauplatz der wissenschaftlichen Diskussionen von Paris in den deutschen Sprachraum. Diese Verlagerung betraf aber nicht allein Ort und Inhalt der Wissenschaften. Sie betraf auch die Sprache der Wissenschaft. Das vormalige aristokratische Französisch war nach Zerschlagung der Truppen Napoleons zum zweiten Male und vielleicht noch nachhaltiger diskreditiert.25 Es bildeten sich nationale Diskussionsforen der Wissenschaft; deren Texte wurden dabei auch nicht mehr in Latein, sondern – teilweise in direkter Reaktion gegen das Französische – in nationalen Sprachen formuliert. Solche Reaktionen finden sich bei den Italienern wie auch im deutschsprachigen Raum – England klammere ich hier, aufgrund einer Reihe von Besonderheiten, aus dieser Betrachtung weitgehend aus. Mit der Sprache veränderten sich auch die Foren für die Diskussion des Wissens.26 19 20 21 22 23 24 25 26
Albury, W. R., Experiment, 1977; Brazier, M.A.B., History, 1984. Neuburger, M., Entwicklung, 1897. Darnton, R., Mesmerismus, 1983. Brain, R. M. / Cohen, R. S. / Knudsen, O. (Hg.), Hans Christian Ørsted, 2007. Kanz, K. T., Hollundermark (...), 2001. Rupke, N. A., Richard Owen, 1994. Cavanilles, A. J., Principi, 1803, 3 f. Für England wurde dies schon aufgewiesen, es wurde gezeigt, wie hier in den Halls das neue Wissen für das gehobene Bürgertum präsentiert wurde; vgl.: Morus, I. R., Children, 1998.
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Buchprojekte wie die von Buffon oder der Encyclopedisten hatten ihre Käuferschicht, den Adel, verloren.27 Zwar suchen Autoren wie Cuvier oder – im deutschen Sprachraum – Ersch und Gruber noch nach 1830 an den Erfolg der französischen Enzyklopädie anzuknüpfen.28 Kennzeichnend scheint mir jedoch für den deutschen Sprachraum nach 1830 der Ersatz der Enzyklopädie durch das Konversationslexikon. Nicht mehr die literarische Kunstkammer, sondern das Kompendium des Mitredenkönnens war Zielstellung dieses neuen publizistischen Unterfangens. Autoren wie Jean Paul demonstrieren dabei, welche Dimensionen dieses Mitredenkönnen schon um 1810/1820 gewonnen hatte. Die Gebildeten formierten den „Adel“, den auch Oken in seiner „Isis“ und in seiner in den 1830er Jahren explizit für alle Stände geschriebenen Naturgeschichte als Käufer avisierte. Die damit implizit formulierte Idee der Adelung durch Bildung wurde dann eines der wesentlichen Motive des sich im deutschen Sprachraum neu initiierenden Wissenschaftsdiskurses. Festzuhalten bleibt, daß sich nach 1800 die Lese- und Rezeptionsgemeinden umschichteten. Die Wissenschaftskultur des fürstlichen Salons mit Séancen und Solarmikroskopen reduzierte sich auf eine sehr viel rezeptivere Aufnahme des Neuen. So gewann die Lektüre für die Vermittlung des Wissens von der Natur zusehends an Bedeutung. Das Buch und seine Illustration wird das Raster, in dem Erfahrungen dieser Natur vermittelt werden. So entwickelt sich eine Kultur der indirekten Beobachtung, in der das Bild des Fernen, des Kleinen und des Großen auch für den, der sich weder die großen Instrumente noch die großen Reisen leisten konnte, erlebbar wurde. Jean Paul zeigte in seinem Schulmeisterlein Wutz die Exzesse dieser Weltwissen durch Buchwissen einholenden Lesekultur, die sich bei Wutz nur noch ihrer Lektüre, nicht aber der Welt sicher war.29 Die neue Zielgruppe auch wissenschaftlicher Publikationen war aber weniger zahlungsfähig. Dies zeigt sich denn auch in der Ausstattung der neuen Literatur: Die neuen, in ihren Illustrationen eher sparsamen Paperbackformate des beginnenden 19. Jahrhunderts ersetzten die üppig illustrierten Quartfolio-Bände des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Autoren wie Soemmerring verzichten selbst in medizinischen Lehrbüchern auf – teure – Abbildungen.30 Andererseits erlangen Verleger wie der Weimarer Bertuch durch den Zusammenbruch des Beschäftigungsgefüges für die dem Adel verpflichteten Illustratoren, die eine etwaige Saure-Gurken-Zeit dann durch Ausmalungen fürstlicher oder auch gräflicher Gemächer hatten überbrücken können, Zugriff auf eine ganze Gemeinschaft hochqualifizierter und sich nun unter-Preis-verkaufen-müssender Illustratoren.31 Bertuchs Bilderbuch für Kinder – einer seiner großen Verlagserfolge im beginnenden 19. Jahrhundert – zehrte von dieser Umschichtung im Ar27 28 29 30 31
St. Clair, W., Nation, 2004. Ersch, J. S. / Gruber, J. G. (Hg.), Allgemeine Enzyklopädie,1818–1889. Paul, J., Leben, 1964. Hierzu Soemmerring, T. S., Bau, 6 Bd., 1791–1796. Regenspurger, K. / Heinstein, P., Loders Tabulae anatomicae (1794–1803), 2003.
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beitsmarkt. Das heißt – und hier wissen wir insgesamt noch viel zu wenig32 –Anfang des 19. Jahrhunderts schichteten sich auch die Struktur der wissenschaftlichen Publikationen, ihr Verteilungsschlüssel und ihre Zielgruppe um. 3.3. Ausbildung Verbunden war dies mit einer im gleichen Zeitraum einsetzenden Umschichtung in der Struktur wissenschaftlicher Ausbildungen. Die Bildung einer naturwissenschaftlichen Fakultät, die an den verschiedenen Universitäten in der Mitte des 19. Jahrhunderts erfolgte, dokumentiert eine Professionalisierung naturwissenschaftlicher Lehrpraxis und eine stärkere Konturierung des Ausbildungsprofils eines Studenten. Noch 1808 konnte ein Charles Villers in seinem „Coup d’oeil sur les universités et le mode d’instruction publique de l’Allemagne protestante“ – einer Denkschrift an seinen König – darauf hinweisen, daß es an einer deutschen Universität schwierig sei, einfach nur Anwalt, Doktor oder homme de lettre zu werden, daß vielmehr hier die Ausbildung explizit auf einen breiteren Wissenshintergrund angelegt sei, der einem nur in einer engen Wissenschaft Ausgebildeten eben fehle.33 Villers sah dies positiv und suchte den König – den Bruder Bonapartes (Jérôme Bonaparte, von 1807 bis 1813 König von Westphalen) – zu überzeugen, in seiner Reform des deutschen Universitätswesens behutsam vorzugehen. Für uns ist diese Stellungnahme ein Indiz für eine eben nicht im engeren Sinne anwendungsorientierte Ausbildungsstruktur. Dies ändert sich mit der Disziplinierung der Wissenschaften. Schließlich aber reorganisiert sich auch die Wissenschaft in einer zunächst äußerlichen, in ihrem Effekt aber fundamentalen Weise. Die vorklassische Universität war ein Unterrichtsinstrumentarium. Der Professor war Teil eines Lehrkörpers. Forschung war Privatsache und wurde denn auch mit privaten Mitteln finanziert. In Jena hatte dies schon kurz nach 1800 drastische Konsequenzen für diese sehr kleine und vergleichsweise mittellose Universität. Waren doch die Sammlungen und Demonstrationsobjekte, mit denen diese Universität um Studenten warb, nur zu geringen Teilen auch Eigentum der Universität oder des Landes. So konnte der Jenaer Anatom Justus Christian Loder 1803 seine berühmte anatomische Sammlung, als er einem Ruf nach Halle folgte, schlicht mitnehmen.34 Die Ausbildung der neuen Medizinstudenten stand damit in Jena vor einem Fiasko. War ihnen doch das Lehrmaterial entzogen. Nach 1800 finden sich in Jena selbst Ansätze zum systematischen Ausbau von Universitätsbibliothek, Sammlungen und Kabinetten (der Chemie und Physik). Diese werden nun zusehends als Ausstattungsstücke der Fachinstitutionen verstanden, d. h. sie werden einzelnen Fakultäten oder selbst einzelnen Lehrstühlen 32 Beck, R. / Schröder, K. (Hg.), Handbuch, 2006, 241 ff. 33 Regenspurger, K. / Heinstein, P., Loders Tabulae anatomicae (1794–1803), 2003, 245–284. 34 Kublik, S., Justus Christian Loder, 2004.
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zugeordnet.35 Das Nebeneinander von Akademie – für die Forschung – und Universität – für die Lehre – wird insgesamt aufgehoben. Zwar bestand auch vor 1800 – zumindest im deutschen Sprachraum – hier oft eine Personalunion zwischen Professoren und in der Akademie arbeitenden Forschern – doch verändert sich nun das Gesicht dessen, was Universität ist, und damit das Gesicht dessen, was Wissenschaft darstellt, zusehends. War es noch vor 1800 teilweise bedeutend lukrativer und sozial keineswegs despektierlich, von einem Lehrstuhl zum Rektorat einer höheren Schule zu wechseln, so konturierten sich hier erst in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zwei zusehends disjunkte Berufsfelder.36 Eines der wesentlichen Kennzeichen des Neuen in den Wissenschaften war dabei das Labor, eine von der Universität getragene Forschungs- und Lehreinrichtung, die für einen entsprechenden Lehrstuhl zusehends an Bedeutung gewann. Dabei waren die Anfänge derartiger Laboratorien zunächst mehr als bescheiden. Der Jenaer Chemiker Döbereiner bekam einen kleineren Schuppen für seine Experimente zugewiesen.37 Ihm standen nun aber Chemikalien und Geräte zur Verfügung. Dabei war die Weimarer Regierung keineswegs an einer Förderung theoretischer Forschung interessiert. Jedoch gab ihr eine neuartige, merkantil zu nutzende Entdeckung dieses jungen Chemikers den Anlaß zu einer entsprechenden Förderung: sein Feuerzeug. Dementsprechend wurde ihm dieses Labor auch mit der ausdrücklichen Maßgabe zur Verfügung gestellt, weiterhin derartige für die ökonomische Situation des Landes fruchtbare Ergebnisse zu liefern. Auch das Laboratorium, das der nachmalig so bekannte Chemiker Justus Liebig in den 1820er Jahren in Gießen aufbaute38, war zunächst alles andere als grandios. Ein einfacher Raum, der an einen Vorlesungssaal anschloß – dies war alles. Als Liebig in den 1820er Jahren seine Vorlesungen begann, bekam er ein mageres Gehalt, kaum Zuwendungen für Apparate und Chemikalien, und er besaß keinerlei Assistentenstellen. Dennoch konnte er mit seinem experimentellen Vorlesungsprogramm alle an dieser Wissenschaft interessierten Studenten seiner Universität in seine Vorlesung bekommen. Sein Erfolg war so umfassend, daß sich sein wesentlich besser bestallter, in der medizinischen Fakultät akkreditierter, aber eben nicht experimentell lesender Kollege schon nach einem Jahr völlig entmutigt das Leben nahm. Das Beispiel demonstriert, mit welch geringen Mitteln in Lehre und Forschung etwas Neues initiiert werden konnte. Liebigs Stellung wurde, was seine finanzielle Ausstattung und sein persönliches Gehalt anbelangte, denn auch in dem Jahrzehnt nach seinem Start in Gießen nur wenig verbessert; erst nach den ersten Rufen an andere Universitäten und gar ins Ausland schnellten die ihm zur Verfü35 Inwieweit hier die Franzosen maßgeblich waren oder inwieweit sie eine vorgegebene Tendenz nur mehr ausbauten, muß in einer eingehenden Untersuchung noch dargelegt werden. 36 Nipperdey, T., Deutsche Geschichte, 1983, 451–482. 37 Döbereiner machte 1823 die wichtige Entdeckung, daß sich ein Knallgasgemisch unter der katalytischen Wirkung von Platinschwamm entzündet, was im „Döbereiner-Feuerzeug“ unmittelbar praktische Anwendung fand. Vgl. Döbereiner, J. W., Eigenschaften, 1823. 38 Stengers, I., Affinität, 1998.
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gung stehenden Mittel rasch in die Höhe, so daß er nach knapp 15 Jahren auch endlich über eine festbesoldete Stelle für einen Assistenten verfügte. Liebigs Labor demonstriert, mit welch geringen Investitionsmitteln hier eine neue Laborpraxis initiiert werden konnte. Dabei waren schon die Vorbereitungen seiner eigentlichen Forschungsarbeiten mehr als aufwendig. So mußten seine Studenten in umständlichen Verfahren zunächst überhaupt die Reaktionssubstanzen herstellen, mit denen dann die eigentliche Forschung ansetzen konnte: Man stelle sich einen kleinen Hörsaal vor, daneben eine Schulklasse mit Arbeitsbänken und einen kleinen Küchenraum zur Destillation nebenan. Und man bedenke, daß Liebig Stoffe zum Teil erst aus Pflanzen und Seltenen Erden destillieren oder ausschlämmen mußte, um dann seine eigentliche Reaktion zu beginnen.39 Sein Hörsaal war dann der eigentliche Demonstrationsraum. Das Experiment war Teil des Unterrichts, in ihm wurde das Verhältnis der Stoffe nicht nur gelehrt, sondern erfahren. Wie ungeheuer attraktiv Liebigs Lehrprogramm war, demonstriert die lange Liste seiner internationalen Studenten. Verfahren, die er anwandte, wurden zum Standard, so daß sich etwa einer seiner Studenten, Heinrich Merck, entschloß, die gelernten Präparationsverfahren zur Produktion der für Liebigs Reaktionen notwendigen Grundstoffe auf industriellem Niveau anzuwenden.40 Damit schließt sich ein Bogen; die industrielle Herstellung der Standards ermöglicht eine Laborpraxis in viel weniger extensivem Umfang. Das Experiment wird fokussierbar auf das, was mit den standardisierten Substanzen bearbeitbar ist. Das Labor selbst induziert seine Professionalisierung und Industrialisierung seiner Praxis und gibt damit Rahmenbedingungen vor, unter denen sich eine angewandte Wissenschaft neu zu definieren weiß. So baute James Muspratt, ebenfalls ein Schüler Liebigs, in Großbritannien eine Düngemittelindustrie auf.41 Daß dieses Unterfangen zunächst ebenso scheiterte wie die Produktion von Liebigs Fleischextrakt in großem Stil, steht dabei noch auf einem anderen Blatt. Die Wissenschaft hatte sich hier zu früh ihre Praxis definiert. Der Enthusiasmus um das neue Wissen hatte dieses Wissen selbst überwipfelt. Aber damit stehen wir auch schon in der zweiten Jahrhunderthälfte. 3.4. Wissenssammlungen Was war nun dieses neue Wissen, das in Lehrbücher gefaßt, in neu strukturierter und disziplinierter Form an den Universitäten offeriert und zunehmend von Spezialisten rezipiert wurde? Daß diese Bewertung der Wissensrezeption gerechtfer-
39 Ebd. 40 Kurzbiographie von Heinrich Emanuel Merck, in: Pötsch, W. R. et al. (Hg.), Lexikon bedeutender Chemiker, 1988. 41 Zur Biographie von James Muspratt vgl. Brock, W. H., Geschichte, 1997, 174 f.
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tigt ist, zeigt ein Blick auf die Genese von Fachjournalen, die in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts konsolidiert wurden.42 Diese Zeitschriften zeigen eine neue Kommunikationslandschaft. Sie vermitteln das Wissen eines Faches; sie zeigen, daß diese Wissenschaften an Neuem interessiert waren, daß sich dieses Neue nicht mehr einfach in Konferenzen und in Briefform darstellen ließ. Der Spezialist war nicht mehr einfach die anerkannte Autorität, die zu verschiedenen spezifischen Fragen konsultiert wurde. Der Spezialist definiert sich als Diskutant im Gefüge eines verschriftlichten und damit umfassender zugänglichen Diskurses. Die Wissenschaft ist nicht mehr enzyklopädisch strukturiert, sondern faßt sich in der offenen Form eines nur grob (nach Fachrichtungen) klassifizierenden Archivs. Diese Entwicklung blieb nun keineswegs unwidersprochen. Lorenz Oken suchte mit seiner ab 1817 erscheinenden Zeitschrift „Isis“, der Idee einer umfassenden enzyklopädischen Bildung gerecht zu werden.43 Wie seine „Naturgeschichte für alle Stände“ richtete sich die „Isis“ an alle Bürger des deutschsprachigen Raumes. Oken suchte eine Enzyklopädie des Wissens zu präsentieren und damit die neue Form der Zeitschrift und die alte Form eines universellen Expertensystems zu vereinen. Dieser Versuch scheiterte. Gerade die „Isis“ zeigt damit, daß solch ein enzyklopädisches Konzept überholt war. Interessanterweise entwickelte sich die „Isis“ aber nicht zu einer Fachzeitschrift, sondern bildete bis in die 1830er Jahre ein Amalgam von spezifischen Beiträgen zur Naturgeschichte, Reiseberichten und Rezensionen. Befriedigt wurde eine noch nicht fachlich strukturierte Neugierde. Autoren waren auch nicht mehr die Fachwissenschaftler ersten Ranges, sondern Amateure und gerade reüssierende Gelehrte. Allerdings erwuchs aus diesem Konzept der „Isis“ die „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“, angelehnt an ein Schweizer Modell und in der deutschen Fassung dann exportiert nach Italien und Großbritannien.44 Schon der Rezensent, der Okens englische Übersetzung der Naturphilosophie im Athenaeum besprach, erinnerte daran, daß The british association for the advancement of science nach diesem Okenschen Modell geformt sei.45 Die Struktur dieser Gesellschaft war eine Fortführung des Programms der „Isis“. Oken dachte sich diese Gesellschaft als Forum für einen nationalen Wissenschaftsdialog, der den Sprachraum insgesamt einigen sollte und dem damit in seiner Ausbildung ganz wesentliche politische Funktionen zukamen. Wissenschaft sollte nach Oken dabei aus ihren Disziplinen treten und sich, modern gesprochen, ihrer gesamtgesellschaftlichen Verantwortung stellen, indem sie durch Berichte und Diskussionen ein wissenschaftliches und das heißt für ihn freies Denken fördert. 42 So erschien etwa das Journal für die reine und angewandte Mathematik (gegründet von August Leopold Crelle) bei de Gruyter in Berlin ab 1826; vgl. insgesamt: http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/aufklaerung/ (09.02. 2009). 43 Taszus, C., Isis, 2009. 44 Breidbach, O., Oken, 2001. 45 Ebd.
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Die politischen Implikationen und die von Oken damit verknüpften teils ausgesprochen reaktionären Implikationen seien hier unbesprochen, bedeutsam ist aber, daß hiermit die Wissenschaften von vornherein in ein umfassenderes Diskussionsforum gestellt wurden. Die „Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte“ blieb dann auch im gesamten 19. Jahrhundert der zentrale Kondensationsraum einer deutschen Naturforschung.46 Hier verschaffte sich die Wissenschaft ein über die Disziplinen hinausführendes Gehör. Diese Art der Wissenschaftsdiskussion wurde damit zugleich auch ein zentrales Moment in der Konsolidierung einer eigenen gesellschaftlichen Identität des Wissenschaftlers. Es ist denn auch kein Zufall, daß bis ins endende 19. Jahrhundert dem gesellschaftlichen Rahmenprogramm der entsprechenden Gesellschaftstreffen eine ganz wesentliche Bedeutung zukam. Hier konstituierte sich eine nationale Wissenschaftskultur – mit all ihren bürger- und kleinbürgerlichen Noten. Die darin zu findende Tendenz einer Darstellung des Wissenschaftlichen deckt sich mit der Verbürgerlichung der wissenschaftlichen Kommunikationsstrukturen insgesamt.47 3.5. Wissenschaftsordnungen Was bedeutet all dies nun inhaltlich? Naturwissenschaftliche Bildung (der Öffentlichkeit) war für Oken wie auch für Cuvier Naturgeschichte. Es ist kein Zufall, daß die Gründung der naturhistorischen Sammlungen in den hier zu betrachtenden Zeitraum fiel. Sie dienten in ihrer Art der Schaustellung, nicht primär der Wissenschaft. Goethe noch wollte geschlossene Schränke in der öffentlichen mineralogischen Sammlung und keine Vitrinen.48 Letztere dienten einer Schaustellung, einem Verfügbarmachen, das demonstrierte und repräsentierte – aber eben nicht der Wissenschaft. Die Architektur des Britischen Museums, aber auch die Diskussion um die Auswahl der Stücke für die Exposition im zentralen Repräsentationsraum des Museums, zeigt dies.49 Die späteren Naturdesigns des Jugendstils, die diese Naturformen dann in ein Design bannen, sind gegenüber dieser Entwicklung einer Nutzung des Naturalen nur konsequent und zeigen eine Tendenz der Popularisierung des Naturwissens, die dieses in eine Kultur einband, es dabei zugleich aber zusehends definierte.
46 Engelhardt, D. v. (Hg.), Forschung, 1997. 47 Oken nutzte die Wissenschaftsdiskurse zur Erziehung des Bürgers. Seine „Naturgeschichte für alle Stände“ stand in dieser Tendenz einer umfassenden Ausbildung des Bürgers, einer Darstellung des Naturalen für denjenigen, dem das Erleben der Kunstkammern und der meist noch nicht vorhandenen öffentlichen naturhistorischen Sammlungen schlicht fehlte. So nimmt es denn auch nicht wunder, wenn sich später Alfred Brehm im ersten Band seines „Thierlebens“ fast entschuldigend auf Oken bezieht, dessen Werk er nur mehr fortzuführen suche. 48 Bach, T., Suiten, 2005. 49 Vgl. Rupke, N. A., Richard Owen, 1994.
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Die mathematisch-physikalische Wissenschaftsdiskussion ist in solchen Demonstrationen sekundär; sie wird in der akademischen und populären Präsenz zurückgedrängt und findet sich eingereiht in eine Naturgeschichte. Das Bürgertum findet zur Biologie. Es wäre lohnend zu fragen, was hiervon noch Reflexe der adeligen Unterhaltungskulturen des Mikroskopierens und der Naturaliensammlungen waren. Bücher wie die noch 1870 erschienenen Alben zur Darstellung des ornamentalen Designs mikroskopisch kleiner Algen stehen in dieser Tradition ebenso wie die ersten Naturphotographien, die eben Atlanten in der Tradition der Stiche eines Ledermüller oder eines Rösl von Rosenhof präsentierten.50 Brehms späteres „Thierleben“ und die damit verknüpften Schauszenarien des Zoos stehen in der Fortführung dieses Naturgeschichtsdenkens.51 Dies ist so noch keine Wissenschaft, aber die damit gefundene Öffentlichkeit für die Wissenschaft wurde – neben der Technik – in einer sich zunehmend durch diese Wissenschaft geprägt findenden Kultur verstanden. Inwieweit Technik und Architektur sich zugleich dann auch in dieser naturgeschichtlichen Tradition sehen wollten, wäre ein zweites, aber über 1850 hinaus zu verfolgendes Motiv einer kulturwissenschaftlichen Analyse der Implikationen des naturgeschichtlichen Denkens.52 Wissenschaft ist in den ersten Jahrzehnten nach 1800 in der öffentlichen Wahrnehmung Naturgeschichte. Auch die Astronomie verstand sich dort als eine Reiseliteratur zu den fernen Welten. Diesem Makrokosmos des zu Erkundenden – wie er dann bis in den 1860er und 1870er Jahren durch Popularisatoren wie Jules Verne und Flammarion skizziert wurde – blieb ein Mikrokosmos zugeordnet.53 Beide – Mikro- wie Makrostrukturen – sollten im Sinne der Humboldtschen Welterkenntnis verfügbar gemacht werden.54 Der Mensch als das Mittelwesen zwischen diesen Welten findet sich als Maßstab, als dasjenige, das in seinem Erkennen diese Vielfalt der Dimensionen auf ein Maß bringt. Schon Kants Vorlesungen zur Geographie, aber eben auch die Reiseliteratur eines Prinz von Wied oder später das Reisetagebuch eines Charles Darwin bedienten genau dieses Interesse und formieren zugleich ein gar nicht so neues Bild des Wissens.55 In den so gewonnenen Bildern von Natur formierte sich für den Leser/Hörer seine Realität. Der Bericht, das in ihm gewonnene Abbild, diente nicht als Führer, sondern als Ersatz für die unmittelbare Anschauung. Auch in den Wissenschaften wird nicht mehr die Demonstration, sondern der Bericht über diese zur Wahrheit. Das ist so nicht unbedingt etwas Neues, haben doch so schon immer die Kartographen gearbeitet, die ihre Weltbilder ebenfalls aus Quellen gewannen. Die Entwicklung der Photographie, aber auch die Kultur der Schaubilder und Panora-
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Fritsch, G. / Müller, O., Sculptur, 1870. Dittrich, L. / Engelhardt, D. v. / Rieke-Müller, A. (Hg.), Kulturgeschichte, 2001. Binet, R., Natur, 2007. Dehs, V., Jules Verne, 2005; vgl. Flammarion, C., fin, 1894. Humboldt, A. v., Kosmos, Bd. 1–3., 1845. Rice, A., Blick, Naturbild, 1999.
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men ist in diesem Zusammenhang zu sehen.56 Die Camera obscura erlaubte es, ebenso wie die Aussichtspunkte eines Parks, eine Sicht zu kanalisieren, eine Anschauung zu normieren und dann diese normierte Ansicht in Schaubildern zu vermitteln. Die neuen Medien offerierten diese Normansichten und strukturierten so eine in ihrer Erfahrungsvielfalt zusehends komplexere Welt.57 Der Anatom Cuvier konnte in seinen „Ossemens Fossiles“ denn auch einen Flugsaurier nach der Abbildung eines Skelettes beschreiben. In seiner Interpretation dieser Abbildung differiert er dabei fundamental vom Erstbeschreiber, verweist aber auf dessen Illustration.58 Das Bild selbst trägt die Natur. Die Mikrophotographen – die in den 1850er und 1860er Jahren ihre Photonegative mikroskopierten, um in die tieferen Dimensionen des Kleinsten zu dringen – standen auch in den Wissenschaften in genau dieser Tradition einer Bildwahrnehmung, die die Registratur, das Abbild und auch die in der Graphik illustrierte Messung selbst zur Notation des Realen gerinnen ließ.59 Auch die Geschichte der graphischen Repräsentation von Messungen steht in dieser Tradition der Bildnutzung, die sich so im 19. Jahrhundert ihre Bahn bricht. 4. Die Strukturierung der Dinge Nun war die Wissenschaft nach 1800 aber nicht nur Naturgeschichte. Die Analyse der Elemente, die Darstellung der tierischen Elektrizität, des Galvanismus, die Aussagen einer Wärmelehre und die sich hieran knüpfende Physik sind ebenso Landmarken einer Wissenschaftsentwicklung wie das Denken des Mathematikers Carl Friedrich Gauss.60 Nur, Gauss etwa wirkte in seiner Disziplin in den Briefen an seine Kollegen. Die Mathematik, das zeigt eine eingehende Analyse der Struktur und der Bedeutung der Mathematischen Seminare, gewinnt erst in den 1860er und 1870er Jahren ein umfassenderes institutionelles Profil.61 Zurückgewiesen in die Standards einer vergleichsweise formelfernen Präsentation der Physik in den Lehrbüchern der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts, stellen sich die entstehenden Naturwissenschaften als keinesfalls nur analytische Wissenschaftsdisziplinen dar. Und wenn man bedenkt, daß Julius Robert Mayer, einer der Begründer der Thermodynamik, seine Überlegungen bei der Messung von Temperatur und Sauerstoffsättigung des Blutes von Europäern in den Tropen anstellte, so wird hieran vielleicht deutlich, daß die Idee einer vor allem deskriptiv ansetzenden Naturforschung keineswegs die bloße Gegenkarikatur des uns übermittelten Naturwissenschaftsbildes dar56 Vgl. Kümmel, A. et al. (Hg.), Einführung, 2004; Wolf, H., Diskurse, Bd. 2., 2003 sowie Steinmetz-Oppelland, A., Camera obscura, 1997. 57 Vgl. im Detail: Klinger, K. / Müller, M., Goethe, 2008. 58 Vgl. hierzu Breidbach, O., Vergleich, 1993. 59 Breidbach, O., Representation, 2002. 60 Reich, K., Carl Friedrich Gauß, 1977. 61 Eccarius, W., August Leopold Crelle, 1976.
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stellt.62 Die Chemie und die Physik gewannen zunächst eine stark anwendungsbezogene Perspektive.63 Solche Anwendungsprobleme – wie das der Triangulation einer Landschaft zur Darstellung von deren Raumverhältnissen und die damit verbundenen Flächenberechnungen – erlaubten es zwanglos, diese Form des analytischen Denkens in einen naturgeschichtlichen Zusammenhang zu stellen.64 Exakt war die Messung eines Beobachtungszusammenhanges. Eine rein innertheoretische Diskussion, ein den Laplaceschen Ansatz weiterführendes mathematisch-physikalisches Denken finden wir im deutschsprachigen Kontext zurückgestellt gegenüber einer deskriptiven Naturforschung. Und so scheint es mir denn auch kennzeichnend, daß der Physiker des 19. Jahrhunderts, Hermann von Helmholtz, seine Karriere als Physiologe im Labor des Funktionsmorphologen und Physiologen Johannes Müller begann.65 Kennzeichnend ist auch, daß das Ausrufen einer mathematischen Begründung alles Wissens im 19. Jahrhundert – zwar im Verweis auf Kant – aber doch durch einen Physiologen, Emil DuBoisReymond, einen weiteren Schüler von Johannes Müller, erfolgte. Ganz kantisch formulierte dieser in den 1870er Jahren, daß wahre Naturwissenschaft allein die Wissenschaft sei, die ihre Aussagen berechnen könne. Mathematik heißt dabei für DuBois-Reymond dann aber eine Beschreibung in Zahlenverhältnissen.66 Entsprechend sind denn auch seine für die physiologische Forschung wegweisenden Untersuchungen über die tierische Elektrizität durch einen umfangreichen Tafelteil ergänzt, in dem er die vorhandenen Meßreihen und – insbesondere auch die Meßmöglichkeiten seiner Instrumentarien augenfällig machte. DuBois-Reymond verfolgte die Idee einer Art von Geometrisierung biologischen Wissens. Reaktionszusammenhänge wurden in Kurvendarstellungen überführt. Diese Kurven waren miteinander zu vergleichen, relative Intensitätsunterschiede waren zu bemessen, und der Forscher konnte dabei von den individuellen Variationen im Gefüge der ihn interessierenden Naturalien absehen. So unterscheidet sich der Muskel eines Frosches in seinem Aussehen ganz erheblich vom Muskel eines Rindes. Zeichne ich aber die Zeitabläufe seiner Kontraktion nach und variiere ich bei beiden Muskeln die Kontraktionsintensität durch chemische und mechanische Manipulationen, so erhalte ich Variationen in der Kontraktionsintensität oder im Zeitmuster der Kontraktion, die unabhängig von der jeweils unterschiedlichen Gestalt des Muskels vergleichbar sind. Dieser Vergleich appelliert dabei nicht bloß an das Augenfällige; Meßkurven sind geometrische Gebilde, die ich aufeinander beziehen kann. Es ist möglich, Berechnungen anzustellen, die grundsätzliche Gemeinsamkeiten dieser Muskelkontraktionen verdeutlichen und damit Ursache-Wirkungs-Prinzipien darzustellen erlauben. Die Überführung der komplexen Gestalt in eine durch die Messung erfaßte Dimension erlaubt damit eine Verallgemeinerung von Aussagen, die ein einfacher Anatom 62 63 64 65 66
Mayer, J. R., Mechanik, ²1874. Stichweh, R., Entstehung, 1984. Gugerli, D. (Hg.), Landschaften, 1999. Zu Helmholtz vgl. Brazier, M. A. B., History, 1988. DuBois-Reymond, E., Abhandlungen, 1875–1877.
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nie zu erhalten vermochte. Die Sektion des Blickes durch das Mikroskop war damit ergänzt durch neue Sonden, die es dem Zuschauer ermöglichten, von dem unmittelbar Erfahrenen zu abstrahieren, ein Abbild zu gewinnen und dieses zu autonomisieren. 5. Die Instrumentation der Analyse Die Naturgeschichte gewinnt in den Instrumentarien dieser Physiologen ein neues Bild der Umwelt; sie gewinnt Meßreihen und gestattet es, Relationen darzustellen. Sie wird damit, gegen Ende der Jahrhundertmitte, in umfassender Weise physikalisiert. Diese Entwicklung setzt zunächst im kleinen Umfeld einer sich neu strukturierenden experimentellen Chemie, Physik und Physiologie an. Ausgangspunkt sind zum einen die Darstellungen der tierischen Elektrizität, in denen Naturforscher wie Humboldt und Ritter eine erste Schematisierung der Weltreaktionen versuchten.67 Ritter entwickelte dabei eine Darstellungsform, in der er ein Experimentalprogramm systematisiert. In Reaktion auf Grundkomponenten wurden die Reaktionsgefüge vereinfacht. Deren Beziehungen zueinander wurden experimentell getestet und dabei in ihrer Zuordnung systematisiert. Ritter entwickelt dazu eine Art von geometrischem Kalkül seiner Formwelten, doch bleibt dieses zunächst nicht quantifizierbar. Erst als es gelang, diese in ihren Formgefügen studierten Reaktionscluster in eine neue Darstellungsebene zu überführen, war diese Art einer Quantifizierung möglich. Bahnbrechend dafür waren die Untersuchungen eines Ørsted und darauf folgend die von Ampére, auf deren Grundlage der Elektromagnetismus entdeckt wurde: Nunmehr war es möglich, Instrumente zu konstruieren, die eine Erregungsintensität in einen Zeigerausschlag und damit in die Skalen einer Meßapparatur zu überführen gestatteten.68 Anfangs zur Messung des Ladungsaufbaus einer Voltaschen Säule benutzt, wurden diese Instrumente jetzt zu einem Detektor für Elektrizität. Eingebracht in die Physiologie, erlaubten sie dort, wo Morphologen und Anatomen nur Verbindungen aufzuweisen vermochten, nun auch quantitative Zuordnungen vorzunehmen. Gefunden war eine Art Sonde und mit dieser Sonde auch eine Art der Sondierung, die es nun erlaubte, eine Vielfalt von Reaktionen auf das herunterzustufen, was in diesem Instrument sichtbar war. Daß die Entdeckung dieser Art der Messung dann zu einem Boom des Registrierens führte und ausgehend von diesem Ansatz der Registratur einer Reaktionsgruppe eine Vielfalt anderer Reaktionen in derselben Art quantifizierbar schien, ist dann kaum verwunderlich. Erstellt wurde ein Szenario der Registraturen, eine neue Welt von Meßkurven und Zahlenreihen, die es erlaubte, eine neue Art von Gesetzmäßigkeit zu studieren. Begonnen hatte dies am Tisch eines Anatomen, der einzelne Organe isolierte und ihre Beziehung zueinander in den 67 Weber, H., Experimentalprogramme, Diss. Jena 2005. 68 Steinle, F., Ampère, 2005.
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Blick nahm. Nerv und Muskel waren die Elemente des Körpers, deren Reaktion zur Debatte stand. Die Schematisierung der hier aufzuweisenden Reaktionsschichtung durch Forscher wie Ritter löste das anatomische Präparat von seinen speziellen Bedingungen und begriff damit Chemie und Physik als nach einem Grundprinzip geordnet. Jedes Reaktionsgefüge, das in das gewonnene Schema paßte, dessen Reaktion in diesem Bild zu zeichnen war, war damit Teil einer entsprechenden Kategorie. Bells Sektion der Kopfnerven, sein Test der Zuordnung von sensiblen und motorischen Elementen, erlaubte es dann Hall, das Konzept eines Reflexbogens zu entwerfen, wonach nicht nur das Nerv-Muskel-Präparat, sondern auch die Organisation des Nervensystems selbst in solch einer Art darstellbar war. Die bloß spekulativen Klassifikationsfiguren eines Bichat, der versuchte, eine Ordnung von Symmetrieverhältnissen in der Organisation des Nervensystems nachzuweisen, waren damit in eine Funktionscharakteristik überführbar.69 Damit schien die bloße Deskription in der Analytik des Experiments geborgen. Eine neue Art der Systematisierung wurde möglich. Kanalisiert wurde diese Art der Umsetzung von Anatomie in die Physiologie durch das Lehrbuch eines Mannes, des deutschen Physiologen Johannes Müller.70 In seinem Lehrbuch zur Physiologie des Menschen systematisiert er das vormalige funktionsanatomische Wissen und erlaubt es seinen Schülern damit, eine funktionelle Sektion der Körperstrukturen vorzunehmen, die dann einer entsprechenden physiologischen Kartierung von Reaktionskinetiken unterworfen werden konnten. Es ist hier nicht Raum, dieses in den 1830er Jahren zuerst und dann in mehreren Überarbeitungen bis Ende der 1840er Jahre vorgelegte Lehrbuch im Detail zu skizzieren. Müller, dies sei vereinfachend gesagt, stellte die methodischen und methodologischen Voraussetzungen für eine entsprechende Physiologisierung der Naturgeschichte zur Verfügung. Seine Wirkung war enorm. Er vermittelte seinen Schülern eine neue Herangehensweise und konturierte damit einen neuen methodischen Ansatz; er führte somit eine ganz neue Art des Messens in bisher rein deskriptiv erfaßte Bereiche, die Medizin und die Zoologie und Botanik, ein und änderte damit das Gesicht der Naturforschung insgesamt. 6. Kanonisierungen Müller gewann – und auch dies wäre eine eigene Geschichte wert – dabei auch wissenschaftssoziologisch eine Zentralposition. Als Inhaber eines Lehrstuhls an der neu gegründeten Universität Berlin und als mehrfacher Rektor dieser Universität errang er im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts maßgeblichen wissenschaftspolitischen Einfluß. Seine Schüler wandten seine oben skizzierte Methodik an, entwickelten sie weiter und gewannen nunmehr eine neuartige Instrumentation 69 Breidbach, O., Materialisierung, 1997. 70 Lohff, B., Johannes Müller, Diss. Hamburg 1977.
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der naturhistorischen Betrachtung: Induktion und Analysis waren hierbei gleichbedeutend mit einer Feinzergliederung des naturwissenschaftlich interessierenden Objektes (Mikroskopie oder Sondierung) und einer Registrierung der Reaktionsbeziehung der so isolierten Komponenten (Messung).71 Müller vertrat damit nicht nur eine Lehre, sondern eine neue Art instrumentierter Wissenschaft. Für ihn wurde das Labor, d. h. die einfache, diesen Ansatz umsetzende Messung, zur notwendigen Voraussetzung einer weitergehenden Analyse. So verwundert es kaum, daß der Siegeszug der Physiologie durch die Universitäten eines der wenigen Beispiele einer klaren und eindeutigen Genealogie von Lehrer und Schülern in der Wissenschaftsgeschichte wurde. Physiologie war im deutschen Sprachraum um 1850 nahezu gleichbedeutend mit „Müller-Schule“.72 Und so läßt sich aufzeigen, daß die Konsolidierung des neuen Faches Physiologie einhergeht mit der Besetzung dieser neuen Institutionseinheiten durch die Köpfe einer Schule. Diese – die Müller-Schule – wirkte dann auch auf mit ihr nur assoziierte Forscher wie den eingangs genannten Matthias Jacob Schleiden; dessen Postulat, daß das Instrument der Wissenschaft das Mikroskop sei, kennzeichnet dabei zunächst nur eine, aber eben die zuerst aufzuschlagende Seite dieser analytischen Schule der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts.73 7. Die Natur der Dinge Diese Müller-Schule stand aber nicht allein. Es läßt sich vielmehr zeigen, daß die Naturforschung in der Zeit bis in die 1840er Jahre markiert ist durch Personen, die einen doch etwas anderen Hintergrund vermitteln. Natur ist ein Komplex verschiedenster Formen. Noch bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts galt es, in dieser Vielfalt das Ordnungsprinzip zu finden, um damit die Natur als Ganzes verfügbar zu machen. Nach Herder war dieses Naturprinzip nun aber als ein einheitliches Strukturierungsprinzip aufzuweisen, das wie für die Geschichte der Natur so auch für die Geschichte der Menschheit gelte. Sprache als Resultat einer Naturentwicklung des Menschen ist damit nicht evolviert, das heißt in der Geschichte der Natur neu entstanden. Sprache ist nur der Ausdruck dessen, was als Gestaltungsprinzip die Natur, von der einfachsten bis zur komplexesten Form, zusammenhält. Natur in ihrer wirklichen Struktur zu begreifen, hieße demnach, diese nur in ihrer höchsten Ausformung zu begreifen. Diese Idee selbst ist alt und reflektiert letzten Endes die Makro- und Mikrokosmosvorstellungen der Renaissance. Neu war, daß mit der Vorstellung von einer Metamorphose der Natur, wie sie zunächst Herder, nach ihm aber Goethe entwickelt hatte, eine solche Idee operationalisiert wurde. Lorenz Oken, der nachmalige Gründungsrektor der 71 Breidbach, O., Argumentations- und Vermittlungsstrategie, 2005. 72 Mendelsohn, E., Revolution, 1974. 73 Olaf Breidbach, Einleitung, in: Schleiden, M. J., Grundzüge, Nachdr. d. 2. Aufl.,1998.
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Universität Zürich, suchte in seinem System der Natur diese Typik aufzuweisen.74 Seine Idee war einfach: Starte ich bei der höchsten Form, so wird diese Form in ihrer Organisation alle weniger entwickelten Detaillierungen in nuce enthalten. Alles was ist, ist ja immer nur Partizipation dieses Höchsten. Demnach sind denn auch für Oken die Tiere nur Organe des Menschen, die in der Natur verselbständigt herumlaufen. Das klingt für uns obskur, hat aber einen Vorteil. Ausgehend von dieser Idee, gewinne ich eine Orientierung für jede Systematik. Die Anatomie des Menschen in der aus ihr herauszulesenden Hierarchie von Ordnungsbeziehungen gibt mir ein Schema der Klassifikation des Naturalen. So obskur dies erscheinen mag, in seiner Jenaer Antrittsvorlesung über die segmentale Struktur des Kopfes konnte Oken diese Idee operationalisieren. Ihm zufolge ist das Grundtier eine Sequenz von Wirbeln, der Archetyp jeder Konstruktion des Naturalen ist eine Variation dieses Grundmusters. Serielle Homologien und Abstufungen in der Zuordnung der Organismen lassen sich hieraus ableiten. Okens Idee wirkte denn auch durchschlagend, war hiermit doch anscheinend der Archetyp alles Naturalen entdeckt. Das Studium von dessen Variation erlaubte es damit nicht nur, eine Systematik zu begründen, sondern diese Systematik auch als Erklärung spezifischer Variationen im Körperbau zu nehmen. Oken wirkte dann nicht nur auf Carus, sondern auch auf Richard Owen, dessen Vorstellungen von Homologie und Analogie bis in die Biowissenschaften von heute wegweisend wurden.75 Oken ist nun kein Spezialfall.76 Er zeigt aber ein wenig von dem Ansatz einer an Formierungsprinzipien interessierten Naturforschung, die die Wissenschaft von der Natur noch in die Nähe einer Philosophie zu stellen suchte. Dieses sind die Forscher, die dann auch Schleiden so vehement attackierte. Für diese Attacke hatte er auch allen Grund, war doch aus diesem Lager, nämlich von Nees v. Esenbeck, dem Präsidenten der Leopoldina, sein Versuch einer neuen Systematisierung der Botanik zerrupft worden.77 Hatte er – Schleiden – doch das Problem, nicht begründen zu können, welche seiner Sektionsversuche des Pflanzenbaus wirklich wesentliche Reaktionseinheiten benannten. Die Sektion stand eben vor der Messung, und in der Sektion wurde das Ganze, das die Naturforscher der anderen Schulen interessierte, zerschnitten. Wissenschaftssoziologisch hielt sich diese Schule einer philosophisch geprägten Naturforschung mit den Naturforschern einer Analytik noch bis in die 1840er Jahre die Waage. Auch ein Mineraloge wie Christian Samuel Weiss,78 dessen Klassifikationsschemata der Minerale auf dem Aufweis von Ordnungsprinzipien beruhten, stand in dieser Tradition einer sich philosophisch fundierenden Wissenschaft. Auch die Diskussion um die Ordnung der Elemente, die schließlich 74 Breidbach, O., Oken, 2001. 75 Wobei sie alles andere als unproblematisch sind; vgl. Kutsch, W. / Breidbach, O., Systems, 1994. 76 Breidbach, O., Carus und Lorenz Oken, 2009. 77 Bohley, J., Interessen, 2001. 78 Heuser-Kessler, M.-L., Schelling, 1994.
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in den 1860er Jahren durch Mendelejew ihre erste Lösung erfuhr, ist nichts als der Versuch eines derart spekulativ begründeten Systems von Ordnungsbeziehungen.79 Naturforschung war dabei zu großen Teilen Naturgeschichte; das 19. Jahrhundert war zunächst ein Jahrhundert der Darstellung von Organisation und Organismen. Die Systematisierung dieser Ordnungsgefüge durch eine Physikalisierung setzt erst in den 1830er Jahren an. Ein Philosoph wie Fries, der gegen eine in den 1820er Jahren noch eher übermächtige spekulative Theorie des Naturalen argumentierte, zeigt sich selbst nicht frei von derartigen Vorstellungen von Ordnungsstrukturen und deren Symmetrien.80 Seine Analogie von Kristall und Lebensformen, die sich dann noch bis Schleiden tradierte, zeigt die Problematik einer reinen Analytik.81 Es galt ein Ganzes zu erfassen, bevor es zerlegt werden konnte. Daß dann auch derjenige, der diese an Typologien interessierte Naturforschung selbst in die Analytik führte, aufwies, daß eine Genese eben historisch zu nehmen sei, mag aus dieser Sicht überraschen. Doch ist Darwins Ansatz einer Evolutionstheorie nichts anderes als die konsequente Historisierung einer Naturgeschichte. Daß dabei auch Darwin in der Tradition stand, die er zernichtete, ist das Eine.82 Daß der bedeutendste Verfechter des Darwinismus auf dem Kontinent, Ernst Haeckel, in seiner Interpretation der Evolutionslehre explizit auf Jena-Weimar um 1800 zurückverweist, ist das Andere und zugleich ein Indiz für ein vormalig naturgeschichtliches Selbstverständnis der Sciences, das erst mit der Dominanz der Physik des beginnenden 20. Jahrhunderts verlorenging.83 Die Naturforschung stand vor 1850 insgesamt in dem aufgezeigten Spannungsverhältnis von Analytik und dem Fortbestehen eines typologischen Denkens. Die Sciences formierten sich so vor diesem Hintergrund einer stark philosophisch ausgerichteten Naturbetrachtung, und sie fanden dann auch schon gegen 1900 wieder zu dieser Philosophie zurück. Aber dies wäre ein eigenes Thema.
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Bensaude-Vincent, B., Mendeleev, 1998. Hogrebe, W. / Herrmann, K. P. (Hg.), Jakob Friedrich Fries, 1999. Breidbach, O., Anwendung, 1999. Richards, R. J., sense, 2009. Eccarius, W., August Leopold Crelle, 1976.
Knowing how Ein Plädoyer für Bildung jenseits von Modul und Elfenbeinturm1 Birgit Sandkaulen 1. Die Institution der Vorlesung und das Prinzip der Wiederholung Wozu brauchen wir Universitäten, wenn es Bücher gibt? Wozu läßt man, „was schon gedruckt vor jedermans Augen liegt, auch noch durch Professoren recitiren“?2 Das Argument, das Fichte vorbringt, ist schlagend. Universitäten wurden gegründet, als der mündliche Austausch die fehlenden Bücher ersetzen mußte. Jetzt aber gibt es Bücher in Hülle und Fülle – und an den Universitäten liest man daraus buchstäblich vor: eine groteske Situation. Nicht allein wird überflüssigerweise wiederholt, was jeder selber lesen könnte. Sogar das Selberlesen treibt man den Studenten aus, nachdem die Vorlesung sie in eine solche Passivität versetzt, daß jeder Ansporn zu eigener Tätigkeit ebenfalls erstickt.3 Unter solchen Umständen vergeht den Studenten beides, sowohl das Hören als auch das Lesen, und am Ende bleiben bestenfalls „abgerissene Bruchstücke“ hängen.4 Zwar mag es hier und da unter der Professorenschaft „selbstthätige Geister“ geben, die die „blosse Wiederholung des vorhandenen Buchinhalts“ durch eigene Gedanken ergänzen.5 Aber deren Anteil ist zu klein, als daß er aufs Ganze gesehen ins Gewicht fallen könnte. Was daraus folgt, ist klar:
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Dieser Beitrag ist auch erschienen in: Jürgen Stolzenberg / Lars-Thade Ulrichs (Hrsg.): Bildung als Kunst. Fichte, Schiller, Humboldt, Nietzsche. Berlin, New York 2009, 223–236. Fichte, J. G., Plan, 1971. Im folgenden wird die Schrift unter der Sigle FW VIII zitiert. „Nun ist von den genannten zwei Mitteln der Belehrung das eigene Studiren der Bücher sogar das vorzüglichere, indem das Buch der frei zu richtenden Aufmerksamkeit Stand hält, und das, wobei diese sich zerstreute, noch einmal gelesen, das aber, was man nicht sogleich versteht, bis zum erfolgten Verständnisse hin und her überlegt werden, auch die Lectüre nach Belieben fortgesetzt werden kann, so lange man Kraft fühlt, oder abgebrochen werden, wo diese uns verlässt; dagegen in der Regel der Professor seine Stunde lang seinen Spruch fortredet, ohne zu achten, ob irgend jemand ihm folge, ihn abbricht, da wo die Stunde schlägt, und ihn nicht eher wieder anknüpft, als bis abermals die Stunde geschlagen. Es wird durch diese Lage des Schülers, in der es ihm unmöglich ist, in den Fluß der Rede seines Lehrers auf irgend eine Weise einzugreifen und ihn nach seinem Bedürfnisse zum Stehen zu bringen, das leidende Hingeben als Regel eingeführt, der Trieb der eigenen Thätigkeit vernichtet, und so dem Jünglinge sogar die Möglichkeit genommen, des zweiten Mittels der Belehrung, der Bücher, mit freithätiger Aufmerksamkeit sich zu bedienen“, FW VIII, 98 f. FW VIII, 98. FW VIII, 99.
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„Eine solche, zunächst überflüssige, sodann in ihren Folgen auch schädliche Wiederholung desselben, was in einer anderen Form weit besser da ist, soll nun gar nicht existiren; es müßten daher die Universitäten, wenn sie nichts Anderes zu seyn vermöchten, sofort abgeschafft, und die Lehrbedürftigen an das Studium der vorhandenen Schriften gewiesen werden.“6
Mit diesem Paukenschlag eröffnet Fichte 1807 eine Schrift, die den bemerkenswerten Titel „Deducirter Plan einer zu Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt“ trägt. Entweder wir schaffen die Universitäten auf der Stelle ab – oder wir reformieren sie an Haupt und Gliedern. Entscheiden wir uns für die Reform, dann heißt es, systematisch ans Werk zu gehen. Nur planmäßig zu verfahren, wäre nicht genug. Der Plan, der die neue Verfassung der Universität bis ins Detail hinein erfaßt, muß deduziert, also aus einem Prinzip, einem „klaren Begriff“ der Sache, „vollständig abgeleitet“ und zu einem „organischen Ganzen“ verbunden sein.7 Wüßte man nichts von Fichte – hier tritt er geradezu leibhaftig auf die Bühne: in seiner Aufrichtigkeit und Konsequenz, die erfrischend radikal den Kompromiß verabscheut, in seinem Interesse an den Verhältnissen des Lebens, das, wie man sieht, auch das Engagement für die konkreten Belange der Universität umfaßt, und in seinem philosophischen Anspruch auf systematische Einheit und Transparenz. Daß Fichte sich zeitlebens dem Projekt der „Wissenschaftslehre“ verschrieben hat, schlägt durch den Universitätsplan erkennbar durch. Um so neugieriger ist man zu erfahren, was denn der „klare Begriff“ ist, aus dem, ginge es nach Fichte, die Verfassung einer neuen Universität deduziert werden soll. Wozu dienen Universitäten, nachdem der völlig marode Vorlesungsbetrieb das beste Argument für ihre Abschaffung liefert? Die Antwort hat etwas mit „Bildung“ zu tun, mit Fichtes Verständnis dieses Konzepts. Genau deshalb aber verrate ich die Antwort vorerst noch nicht. Nicht weil Fichtes Programm so schwer zu verstehen wäre, daß es beträchtlicher Anläufe dorthin bedürfte. Der Grund liegt an anderer Stelle. Denn kennen wir diese Antwort nicht längst? Glauben wir nicht im Rückblick auf die Epoche, die man unter Bildungsaspekten das „Humboldtsche Zeitalter“ nennt, immer schon zu wissen, was Bildung hier meint? 2. Schöngeistige Bildung und ökonomische Ausbildung: Zwei Seiten einer Medaille Bildung, so hat es Georg Bollenbeck formuliert, ist ein „deutsches Deutungsmuster“.8 Das ist unbestreitbar richtig, und darauf spiele ich an, wenn ich die nähere Vorstellung Fichtes noch verschiebe. Dieses Deutungsmuster „Bildung“ hat uns nämlich in erheblichem Maße den Blick dafür verstellt, was Bildung um 1800 bedeutet. Wie Mehltau hat es sich über die ursprünglichen philosophischen Kon6 7 8
FW VIII, 100. FW VIII, 182. Bollenbeck, G., Bildung, 1994.
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zepte und ihre innovativen Ressourcen gelegt. Damit sehe ich die Probleme dieses Deutungsmusters keineswegs da, wo Bollenbeck sie sieht. Seiner Darstellung zufolge wurde das Bildungsprogramm der Aufklärung in seiner nüchternen Ausrichtung auf praktische Interessen durch die Philosophie des deutschen Idealismus auf bedenkliche Weise gebrochen. In bewußter Distanz zu lebensweltlicher Praxis wird Bildung jetzt idealisiert und auf die schöngeistige Idee der harmonisch sich vervollkommnenden Persönlichkeit eingeschworen. Dieses nunmehr typisch deutsche Bildungsprogramm hat dann der Neuhumanismus kanonisiert und im Selbstverständnis eines Kulturbürgertums verankert, dem das hehre Reich der Bildung als willkommene Fluchtburg vor politischen und ökonomischen Mißhelligkeiten galt.9 Zugute halten muß man dieser Darstellung, daß sie wenigstens den Versuch unternimmt, zwischen dem Aufbruch der klassischen deutschen Philosophie und der Strömung des Neuhumanismus zu unterscheiden. Dieser Unterschied wird indes sogleich verwischt, wenn es heißt, daß das Neue des neuhumanistischen Bildungsbegriffs nur in der „Vereinfachung des Gedankens der sich selbstvervollkommnenden Persönlichkeit, in der Verstofflichung der Bildungsmittel und in der Stabilisierung des Bildungsideals durch Institutionen“, bestand.10 Zugespitzt formuliert, könnte man sagen, daß sich die Philosophen demnach wie immer allzu kompliziert und „idealistisch“ in ihren Systemen verstiegen haben, während sich die geistige Originalität der Neuhumanisten in Grenzen hielt. Weshalb aber ihnen, die philosophische Vorlage simplifizierend, der durchschlagende Erfolg gelang. Das ist auch ein einleuchtendes „Deutungsmuster“. Und wenn es nun ganz anders wäre? Wenn der Bildungsbegriff des Neuhumanismus keine Vereinfachung des angeblich selben philosophischen Gedankens, sondern dessen Fehldeutung wäre? Die Wirkungsgeschichte des Neuhumanismus bestreite ich selbstverständlich nicht. Ich halte sie, im Gegenteil, für fatal, weil sie Bildung auf die emphatische Kultivierung der Persönlichkeit einschließlich ihrer Entfremdung von allen praktischen Erfordernissen festgelegt hat.11 Die machtvolle Präsenz dieses Motivs dokumentiert Bollenbecks Darstellung selbst, indem sie die Autoren der klassischen deutschen Philosophie ihrerseits auch nur noch auf einschlägige Wiedererkennungseffekte hin präsentiert. Daraus folgt eine erste These, die mir wichtig ist: Um die philosophische Bildungsidee um 1800 freilegen zu können, muß man das typisch deutsche Bildungsmuster, das unser Bildungsbewußtsein prägt, dezidiert in Klammern rücken. Diesbezügliche Assoziationen führen hier definitiv nicht weiter. Daran schließe ich eine zweite, nicht weniger wichtige These an. Fatal ist die skizzierte Geschichte nämlich auch deshalb, weil sie diejenige Gegenreaktion auf den Plan gerufen hat, die die gegenwärtige Bildungsdiskussion bestimmt und so9 Vgl. ebd. 98 ff., 126 ff. 10 Ebd., 149. 11 Vgl. dazu auch die typisch neuhumanistisch imprägnierten Darlegungen von Fuhrmann, M., Bildung, 2002.
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mit gleichfalls ein Teil unseres aktuellen Bildungsbewußtseins ist. Wenn irgend etwas dem sogenannten „Bologna-Prozeß“ zu seiner – eigentlich unbegreiflichen – Durchschlagskraft verholfen hat, dann war es die Überzeugung, daß das sogenannte „Humboldtsche Bildungsideal“ in die jetzige Welt endgültig nicht mehr paßt. Von Verlautbarungen der Hochschulrektorenkonferenz über Forderungen der Bildungspolitik bis hin zu eindeutigen Willensbekundungen der Wirtschaft: Gegenüber dem traditionellen Bildungsbegriff wird eine neue Bildungsvision gefordert, die das auratisch aufgeladene Wort „Bildung“ unter der Hand mit einem ganz anderen Sinn besetzt. Man sagt „Bildung“, aber was man meint, ist die Reduktion auf instrumentelle Belange der Ausbildung. Die neuen Studiengänge auf die modularisierte Vermittlung arbeitsmarktrelevanter Kompetenzen auszurichten, ist dabei der entscheidende Punkt, der indes leicht mißverstanden werden kann. Daß ein Studium möglichst nicht im Nirwana enden, sondern zu einer qualifizierten Berufstätigkeit führen soll, ist schließlich recht und billig. Diese Lesart übersieht, worin die Tücke des neuen Bildungsbegriffs besteht. Hier geht es um die instrumentelle Logik einer Zweck-Mittel-Relation, die sich nicht darin erschöpft, Bildung als Mittel für eine zukünftige Berufstätigkeit zu begreifen. Wie der Begriff der Zweck-Mittel-Relation selber schon kenntlich macht, kommt es dieser Logik gemäß vielmehr darauf an, daß der Zweck die effektive Ausgestaltung des Mittels je schon bestimmt. Indem der Zweck die Mittel seiner erfolgreichen Durchsetzung definiert, dringt er unmittelbar in das Mittel selbst ein. Die Rolle einer in diesem Sinne effizienten Ausbildung erfüllt Bildung somit nur dann, wenn sie den ökonomischen Zweck nicht etwa nur als zukünftiges Ziel vor Augen hat, sondern unmittelbar selber schon umsetzt und erfüllt. Mit anderen Worten: Während man harmloserweise meint, die instrumentelle Logik hielte Mittel und Zweck auseinander, liegt ihre Tücke darin, daß sie Mittel und Zweck in Wahrheit unmittelbar zusammenfallen läßt. Daß diese Logik, und zwar bis in die getroffenen Sprachregelungen hinein, direkt zur ökonomischen Unterwanderung der Hochschulen führt, ist ebenso evident wie die Pointe der sogenannten „Output-Orientierung“, die daraus entspringt und explizit auch von der HRK vertreten wird: „Die Bologna-Erklärung verlangt, dass in den Studiengängen ‚arbeitsmarktrelevante‘ Inhalte gelehrt und gelernt werden – eine Vorgabe, die gemäß dem Hochschulrahmengesetz für alle Studiengänge schon jetzt gilt. Von den neuen Studiengängen wird verlangt, dass sie für ihre Absolventen ein Qualifikationsprofil definieren, auf [das] die Inhalte und Strukturen ausgerichtet werden. Sie definieren sich also nicht über (traditionelle) Lehrinhalte, sondern über die Frage, welche Kompetenzen ein Absolvent oder eine Absolventin nach Ende des Studiums vorweisen muss, um im Berufsleben erfolgreich zu sein (‚Kompetenzorientierung‘, ‚Outputorientierung‘).“12 12 http://www.hrk-bologna.de/bologna/de/home/1930_2103.php (18.10. 2008). Die im Auftrag der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft e.V. 2003 erstellte Studie „Bildung neu denken! Das Zukunftsprojekt“ folgt ebenfalls diesem Ansatz, wie u. a. die folgenden Leitsätze exemplarisch verdeutlichen: „Das Bildungsverständnis des deutschen Bildungssystems ist revisionsbedürftig im Hinblick auf mehr Verbindlichkeit, mehr Standardisierung, eine stärkere
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Unmißverständlich klar wird so zugleich, daß die Wucht, mit der dieser Ansatz Platz gegriffen hat, aus der genannten Gegenreaktion erwächst: der Reaktion auf das neuhumanistische Deutungsmuster Bildung, dessen kulturbürgerlicher Sitz der Elfenbeinturm und eben nicht das wirkliche Leben ist. Bildung als schöngeistige Kultivierung der Persönlichkeit und der neue Ruf nach ökonomischem „Output“ gehören als zwei Seiten derselben Medaille zusammen. Vor diesem Hintergrund besagt meine zweite These: Um den philosophischen Bildungsbegriff um 1800 freilegen zu können, muß man auch die Opposition von Bildung und Ausbildung aufgeben. Auch sie verstellt, worum es damals ging. Ob man aber, wenn man sich so gerüstet nun wieder Fichte zuwendet, wirklich in die Vergangenheit zurück- und nicht vielmehr in die Zukunft voranschreitet? Meine dritte These kündige ich mit Blick auf die aktuelle Initiative einer Reihe europäischer Hochschulen an, die unter dem Namen „EUniCult“ (European Universities Cultural Competencies Network) auffälligen Fehlentwicklungen des Bologna-Prozesses zu steuern sucht. Bildung sei mehr als „Wissensvermittlung, Anwendungsorientierung oder Kultivierung von Wissensbeständen“. Gerade „in Zeiten durchrationalisierter Studienbedingungen“ sei auch „die Perspektive der Selbstbildung des Menschen bzw. die Vermittlung allseitiger kultureller Kompetenzen“ zu beachten, was allerdings – dies ist der fällige Reflex auf das deutsche Bildungsmuster – auf Belange der „globalen Wissensgesellschaft“ zielt und nicht etwa auf die „Rekultivierung“ des alteuropäischen Elfenbeinturms.13 In die Zukunft weist demnach ein dritter Bildungsbegriff. Diese Zukunft, so meine dritte These, hat um 1800 begonnen, wobei es, wie am Ende hervorzukehren sein wird, ein bezeichnendes Differenzmerkmal gibt. 3. Wissenschaft und Leben Damit zurück zu Fichte. Vorauszuschicken ist, daß sein Konzept den philosophischen Bildungsbegriff um 1800 natürlich nicht zur Gänze abdeckt. Der Aufstieg Vermittlung personaler (Schlüssel-)Qualifikationen und eine deutlichere Orientierung an der Arbeits- und Berufswelt“ (2). „Bildung darf nicht im leeren Raum stattfinden, sondern muß sich am Vollzug des Lebens, der Arbeit und des Berufs orientieren.“ Ebd., 5. „Ziele und Inhalte auch des allgemein bildenden Systems sind an der Tradition und den längerfristigen Beständen an Wissen und Werten der europäischen Kultur zu orientieren. Ebenso bedeutsam ist aber eine konsequente Arbeits- und Berufsorientierung des Lernens. Der Gegensatz zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung ist überholt. Allgemeinbildung im Sinne personaler Kompetenzen kann auch durch arbeitsbezogene bzw. berufliche Bildung erworben werden.“ Ebd., 9. „Das Lernen in akademischen Bildungsgängen muß die enge Fachorientierung schnellstens überwinden und die Prinzipien von Überfachlichkeit, Berufsorientierung, exemplarischem Lernen, Transdisziplinarität, Repräsentativität und Interkulturalität (Internationalität) umsetzen“, http://www.bayme.de. (14.11. 2008). Vgl. zur Problematik dieses Ansatzes auch Liessmann, K. P., Theorie der Unbildung, 2006, sowie Sandkaulen, B., Bildung, 2009. 13 http://www.eunicult.eu/cms/front_content.php. (18.10. 2008).
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der Bildung zu einem modernen Leitbegriff geht vielmehr damit einher, daß um die Bedeutung und Ausgestaltung dieses Konzepts gestritten wird. Bereits in unmittelbarer Nachbarschaft Fichtes legen Schelling und Hegel anders orientierte Konzepte vor. Wenn ich mich also im folgenden auf Fichte, und zwar gezielt auf seine Universitätsschrift, konzentriere, präsentiere ich nur einen Ausschnitt aus dieser Debatte – einen hochinteressanten Ausschnitt allerdings, der eine ausführlichere Betrachtung verdient, und dies zumal deshalb, weil Fichtes Berliner Schrift im Windschatten derjenigen Aufmerksamkeit liegt, die man vorzugsweise Humboldts oder Schleiermachers Universitätsentwürfen zollt. Im Anschluß an die nötige Vorverständigung über unser Bildungsbewußtsein beginne ich ganz bewußt mit dem heikelsten Punkt. Wer ein bürgerliches Gewerbe ergreift, so Fichte, tut gut daran, außerdem eine Schule zu besuchen. Der Besuch dieser Schule, einer Berufsschule nach heutiger Terminologie, ist dann aber nur „Nebensache und blosses Mittel für den besseren Fortgang des bürgerlichen Gewerbes“. Anders der „Gelehrte“: ihm muß die „Wissenschaft nicht Mittel für irgend einen Zweck, sondern sie muss ihm selbst Zweck werden“14. Aha, möchte man jetzt sagen, haben wir es doch geahnt. Das also ist die mit großer Geste angekündigte Universitätsreform. Dem instrumentellen Einsatz der Bildung im Sinne der Ausbildung für einen konkreten Beruf wird die höhere Bildung, deren Ort die Universitäten sind, als Selbstzweck gegenübergestellt. Ohne auf die praktischen Erfordernisse des Lebens zu achten, ja in bewußter Abkehr davon, schneidet der Gedanke des Selbstzwecks einen exklusiven Raum aus der Welt heraus. Und Fichte unterstreicht dies sogar noch, indem er die „Absonderung“ der Studenten „von aller andern Lebensweise, und vollkommene Isolirung“ fordert.15 Was, wenn nicht dies, wäre der sprichwörtliche Elfenbeinturm, der definitiv zur alteuropäischen Vergangenheit gehört? Dem Deutungsmuster Bildung und seinen Folgen gemäß schlägt diese Assoziation in der Tat jederzeit wie eine Falle zu. Während der Ansatz der Zweck-Mittel-Relation über sich hinauszuweisen scheint, beschwört der Gedanke des Selbstzwecks die Vorstellung einer in sich abgeschlossenen Situation herauf, die keinerlei Verbindung zur Außenwelt unterhält. Ein Mißverständnis ist das eine wie das andere. Zwar läßt sich der Gedanke des Selbstzwecks nicht ignorieren – Fichte verteidigt ihn ja ausdrücklich. Entscheidend ist aber, daß und wie er seine Bedeutung aus dem Kontext heraus gewinnt. Denn nicht etwa ist er das Prinzip der Universität, sondern eine Folge, die sich aus dem Prinzip ergibt. Worin liegt also das Prinzip? Diese Frage führt an den Anfang zurück. Angesichts des maroden Vorlesungsbetriebs sind die Universitäten entweder abzuschaffen oder neu zu erfinden. Neu erfinden können wir sie aber nur dann, so lautet die Prämisse der Überlegungen Fichtes, wenn man „die Beziehung der Wissenschaft auf das wirkliche Leben betrachtet“ – und sowie man jetzt noch einmal „aha“ sagen möchte und den El14 FW VIII, 110. 15 Ebd.
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fenbeinturm schon deutlich aufragen sieht, kommt es ganz anders als gedacht. „Man studirt ja nicht“, fährt Fichte fort, „um lebenslänglich und stets dem Examen bereit das Erlernte in Worten wieder von sich zu geben, sondern um dasselbe auf die vorkommenden Fälle des Lebens anzuwenden, und so es in Werke zu verwandeln; es nicht bloss zu wiederholen, sondern etwas Anderes daraus und damit zu machen: es ist demnach auch hier letzter Zweck keineswegs das Wissen, sondern vielmehr die Kunst, das Wissen zu gebrauchen.“16
In scheinbarem Widerspruch zu der eben zitierten These kann vom Selbstzweckscharakter der Wissenschaft demnach keine Rede sein. Alle Wissenschaften beziehen ihre Relevanz aus der anwendungsorientierten Bewährung im Leben. Das gilt generell und radikal. Das heißt: Fichte verzichtet sogar darauf, wie man sieht, zwischen Grundlagenwissenschaften und angewandten Wissenschaften zu trennen. Auch die geläufige Unterscheidung zwischen Forschung und Lehre, zwischen der Generierung von Wissen einerseits und seiner Vermittlung andererseits, kommt hier noch nicht vor. Die Leitperspektive dieses Universitätsentwurfs stellt in jeder Hinsicht auf den Gebrauch des Wissens und damit auf die über die Universität hinausweisende Praxis ab. Die Universität, so Fichte wörtlich, soll keine „in sich selbst abgeschlossene Welt bilden“, sondern „eingreifen in die wirklich vorhandene Welt.“17 Hält man diese Forderung als Prämisse Fichtes fest, dann erübrigt sich die These, daß hier unter „idealistischen“ Vorzeichen das anwendungsorientierte Bildungsprogramm der Aufklärung angeblich verabschiedet wird. Im Gegenteil hält Fichte an den praktischen Intentionen der Aufklärung offenkundig fest. Und mehr noch: sein Projekt scheint mit einem Mal so aktuell, als wolle es die gegenwärtigen Reforminteressen sogar noch übertrumpfen. Plädiert Fichte demnach selbst für einen instrumentellen Bildungsbegriff? Und hätte dabei übersehen, daß er sich in einen Widerspruch verstrickt, wenn er gleichzeitig die auf den praktischen Gebrauch des Wissens zielende Lebensrelevanz der Wissenschaften und auch deren Betreibung als Selbstzweck verlangt? Erst mit dieser bewußt zugespitzten Frage kommt die Pointe des Fichteschen Programms in Sicht. Denn was im Rahmen der eingeschliffenen Semantik unseres Bildungsbewußtseins wie ein Widerspruch aussieht und hier dazu führt, Bildung entweder nach dem schöngeistigen Muster des Selbstzwecks oder nach dem nutzenkalkulierenden Muster der Zweck-MittelRelation zu begreifen, eben dies ist hier kein Widerspruch, sondern des Rätsels Lösung. Damit Universitäten ihren Zweck, nämlich die Ausrichtung auf lebensrelevantes Wissen, erfüllen können, müssen sie sich als selbstzweckhafte Gebilde organisieren. Oder umgekehrt: Universitäten müssen sich gegenüber ihrer Umwelt abschließen, damit sie desto besser ins Leben eingreifen können – das eine ist Folge des andern. Das ist deshalb der Fall, weil Fichte diesen Zusammenhang durch ein Motiv vermittelt, das eigentlich naheliegt, aber eben nicht so präsent ist, 16 Ebd., 100 f. 17 FW VIII, 120.
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wie es sollte. Gemeint ist die Einsicht, daß der Transfer des Wissens in die Praxis wesentlich an einer Fähigkeit hängt, nämlich an der zu übenden „Kunst“, wie Fichte sagt, eine solche Umsetzung adäquat zu leisten. Hier, in diesem Schlüsselwort „Kunst“, löst sich der scheinbare Widerspruch der Optionen auf. Fichtes Bildungsprojekt ist weder instrumentell noch auf die Errichtung des Elfenbeinturms angelegt, weil es im wahrsten Sinne ein künstlerisches Projekt ist. Indem Fichte die Kunst des Umgangs mit Wissen ins Zentrum stellt, ist das Prinzip gefunden, das seinen Universitätsentwurf trägt. 4. Knowing how: Die Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs Was genau zeichnet diese Kunst aus? Wie sehen Universitäten aus, die diese Kunst vermitteln, und wie sollten sie auf keinen Fall verfahren? Ich habe andernorts die These aufgestellt, daß der philosophische Bildungsbegriff um 1800 als neuer Leitbegriff nicht im luftleeren Raum konzipiert wird, sondern gerade in der Orientierung an tradierten Paradigmen und deren Transformation seinen jeweils spezifischen Sinn erhält. Bei Hegel ist dieses Paradigma die Arbeit, bei Schelling die Kunst.18 Dasselbe gilt auch für Fichtes Rede von der Kunst. Bezeichnend ist allerdings, daß er im Unterschied zu Schelling unter „Kunst“ nun gerade nicht die sogenannte „schöne Kunst“ versteht. Vielmehr ist hochinteressant zu sehen, daß Fichte genau zu der Zeit, in der der Terminus „Kunst“ mit der emphatischen Bedeutung der „schönen Kunst“ verwächst und in dieser Form unseren heutigen Sprachgebrauch prägt, eine ältere, bis auf Aristoteles zurückreichende Schicht des Begriffs mobilisiert. Ohne den Einschlag extraordinärer genialischer Talente, der bei Schelling in der Unterscheidung von „Kunst“ und „Poesie“ dafür sorgt, daß Bildung ein Moment von Unwillkürlichkeit, von Unkontrollierbarkeit behält, geht es Fichte dezidiert um die Verbindung von Kunst und Können: um Kunst im Sinne einer „techne“ oder „ars“, der ausgebildeten und im Bewußtsein ihrer Regeln zum Einsatz gebrachten Fähigkeit, mit der jemand sein Metier beherrscht und über die Bedingungen seiner Ausübung professionell verfügt. „Kunst wird dadurch erzeugt, daß man deutlich versteht, was man und wie man es macht.“19 Daß Fichte diese technische oder „poietische“ Bedeutung von „Kunst“ auf das Feld des Wissens zieht und Universitäten auf deren Ausbildung verpflichtet, unterstreicht noch einmal seine aufklärerische Intention: diesmal aus der Perspektive der Einsicht, daß die mit Recht verlangte Anwendung des Wissens im Leben die Kunst des Umgangs mit Wissen zur Voraussetzung hat.20 Drei Stufen kogniti18 Vgl. Sandkaulen, B., Schellings Kunst, 2008. 19 FW VIII, 121. 20 Dazu paßt, daß man gewisse Verwandtschaften zwischen Fichtes Konzept und demjenigen Konzept von Aufklärung feststellen kann, das Rainer Enskat im Rekurs auf Rousseau herausgearbeitet hat. Nach dieser Darstellung zielt Rousseaus Kritik an dem durch die Enzyklopädisten repräsentierten szientifischen Modell von Aufklärung alternativ auf die Kultivierung der Urteilskraft und damit derjenigen Fähigkeit, die den Erwerb von Aufklärung allererst erlaubt.
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ver Dispositionen sind demnach zu unterscheiden. Auf der untersten Stufe waltet ein „blinder Mechanismus“, demzufolge vieles in unserem Geist passiert, ohne daß wir es „mit klarem und freiem Bewußtseyn durchdrungen“ haben. Was wir auf diese Weise mechanisch wissen, steht uns nicht zur Verfügung. Es ist nicht „unser sicheres und stets wieder herbeizurufendes Eigenthum, sondern es kommt wieder oder verschwindet nach den Gesetzen desselben verborgenen Mechanismus, nach welchem es sich erst in uns anlegte“. Erst auf der nächsten Stufe kommt der Verstand als die „freie Thätigkeit des Auffassens“ ins Spiel. Unter Beteiligung des Verstandes lernen wir im Bewußtsein, daß wir lernen und nach welchen Regeln wir lernen. Das so angeeignete Wissen wird deshalb „ein eigenthümlicher Bestandteil unserer Persönlichkeit, und unseres frei und beliebig zu entwickelnden Lebens“. Es gibt demnach, so kann man sich dies auch verdeutlichen, definitiv kein „knowing that“ ohne Bewußtsein des „knowing how“. Die dritte Stufe ist indes die entscheidende. Sie verhält sich reflexiv zur zweiten, indem hier die Verstandestätigkeit als solche „wiederum zu klarem Bewusstseyn erhoben“ und zur „besonnene[n] Kunst des Verstandesgebrauches im Erlernen“ entwickelt wird. Anläßlich des Erlernens bestimmter Sachverhalte geht es hier immer zugleich um die „Bildung des Vermögens zum Lernen“, um die generelle Einsicht also in das „knowing how“ überhaupt. Wer so ausgebildet wird, wird ein „Künstler im Lernen“. Er hat sich die „Fertigkeit“ angeeignet, „ins Unendliche fort nach Belieben leicht und sicher alles Andere zu lernen“. Er weiß prinzipiell, worauf es ankommt und kann sich in allen möglichen Materien und Situationen des Lebens frei und sicher bewegen. Und dementsprechend ist eine Universität, die sich planmäßig der Aufgabe stellt, freie „Künstler im Lernen“ hervorzubringen, eine „Schule der Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs.“21 Daraus ergibt sich nun zugleich, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit diese Vision einer neuen Universität Wirklichkeit werden kann. Negativ formuliert scheiden zwei Varianten aus.22 Die eine Variante attackiert Fichte in Gestalt des gegenwärtigen Zustands der Universitäten. Solange Universitäten dem Prinzip der Wiederholung folgen, Professoren also aus Büchern rezitieren und Studenten das Gehörte mehr schlecht als recht nur repetieren, solange handelt es sich in dieser Form allerdings um alteuropäische Institutionen, die offenbar auf der untersten Stufe mechanischen Wissens verharren und vor den Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft schlicht versagen. Ich verwende diesen Terminus bewußt, ohne Fichte damit in eine künstlich aufstilisierte Aktualität zu ziehen. Umgekehrt gilt, daß er dieses Argument längst antizipiert und seinen Entwurf gerade im Blick auf die Wissensdynamik der Moderne verteidigt hat. Dem EinVgl. Enskat, R., Bedingungen, 2008, v. a. 369 ff. Eben diese Intention verfolgt Fichte unter dem Stichwort „Kunst“, womit er gleichfalls das geübte Urteilsvermögen ins Zentrum des Interesses rückt. 21 FW VIII, 101 f. 22 Es ist bezeichnend, daß die aktuellen Folgen des Bologna-Prozesses offenkundig in einer Gemengelage beider Varianten bestehen.
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wand, daß nur die antiken Völker aufgrund der geringeren Wissensfülle außerdem noch über die Zeit verfügten, das Lernen selber zu kultivieren, hält Fichte entgegen, daß gerade die Moderne die Einübung der Kunst des Umgangs mit Wissen verlangt. Weil wir mehr als jemals zuvor in der „Unermesslichkeit unsers wissenschaftlichen Stoffes“ wie in einem „ungeheuren Ocean“ zu versinken drohen, besteht die Lösung gerade nicht im mechanischen Anhäufen von vermeintlichem Wissen, sondern einzig und allein darin, sich solchen Fluten mittels einer „kunstmässigen Ausbildung des Vermögens“ zu lernen überhaupt gewachsen zu zeigen.23 Die andere Variante, der sich Fichtes Programm entgegenstellt, besteht darin, Universitäten mit Berufsschulen zu verwechseln. Die instrumentelle Ausrichtung auf unmittelbar „arbeitsmarktrelevante“ Erfordernisse verkennt, daß die Lebensrelevanz universitär angeeigneten Wissens sich nur vermittels der Übung von Fähigkeiten erreichen läßt, die das „knowing how“ des Verstandesgebrauchs selbst betreffen. Was Fichte darunter konkret versteht, sagt er klar und deutlich. Gemeint ist die „Kunst der Kritik, des Sichtens des Wahren vom Unwahren, des Nützlichen vom Unnützen, und das Unterordnen des minder Wichtigen unter das Wichtige“ – mit einem Wort: auf das „Beurtheilungsvermögen“ kommt es an.24 Wird der Freiraum, den der Gedanke des Selbstzwecks der Wissenschaft verbürgt, durch die Logik der Zweck-Mittel-Relation unterhöhlt, geht der entscheidende Raum verloren, in dem die kritische Fähigkeit zu kompetentem Urteil gebildet werden kann. Und das hat dann zur Folge, daß man auf die Umstände der Wirklichkeit immer nur reagiert, anstatt sie künstlerisch geübt nach eigenen Kräften zu gestalten. Positiv formuliert heißt das, daß Universitäten als Schulen der „Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs“ ihr ganzes Augenmerk – auf Seiten der Lehrenden wie der Studierenden, quer durch alle Fächer und bis hinein in ihre konkrete Verfassung – auf die Kultivierung des Urteilsvermögens richten müssen.25 Das schließt einerseits die äußere Sicherung des universitären Freiraums ein. Das Studium darf keinen ökonomischen Zwängen unterliegen und muß unabhängig von finanzieller Potenz allgemein zugänglich sein. Fichte, der selber in 23 FW VIII, 108. 24 Ebd., 103. 25 Ein gewisses Privileg kommt dabei der Philosophie zu, jedoch nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern deshalb, weil sie die Disziplin ist, die die „gesammte geistige Thätigkeit, mithin auch alle besonderen und weiter bestimmten Aeusserungen derselben wissenschaftlich erfasst“, FW VIII, 122. „Philosophische Kunstbildung“ in alle anderen Disziplinen einzuführen, hat demnach mit der basalen Übung und Anregung zu „systematische[m] Denken“ zu tun, womit einhergeht, daß der Philosoph gerade nicht auf seinem eigenen System insistieren darf. Er darf nur die „sehr natürliche Voraussetzung“ machen, daß ein gründlich geübtes Denken am Ende zu den Resultaten kommen wird, bei denen auch er angekommen ist. Ebd., 24. Als indirekter Hinweis darauf, wie Fichte das Verhältnis des Universitätsentwurfs zu seiner eigenen Wissenschaftslehre konzipiert, ist dieser Passus aufschlußreich. Entscheidend ist gleichwohl, mit welchem Nachdruck der Ausbildung der kognitiven „Kunst“ und deren Bedeutung für alle Disziplinen – vor inhaltlichen bzw. materialen Entscheidungen der Philosophie – das Wort geredet wird.
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allerärmsten Verhältnissen aufgewachsen war, verlangt staatliche Stipendien für die, die von Hause aus über ausreichende Mittel nicht verfügen, und fordert zugleich, daß die Mittelvergabe allen anderen unbekannt bleibt, um in die eigentlichen Belange des Studierens keine sachfremden Ungleichgewichte einzutragen. Bemerkenswerterweise gehört zu dieser äußeren Sicherung des Freiraums auch die Forderung nach Mobilität. Die Einrichtung von Universitäten in jeder Provinz fördert die Sache der wissenschaftlichen Bildung nicht, sondern liefert sie vielmehr dem Gesichtspunkt lokaler Abhängigkeiten aus.26 Der äußeren Sicherung entspricht andererseits die innere Ausgestaltung der künstlerischen Übung. Wie schon gesagt, geschieht die Bildung der Urteilskraft selbstverständlich nicht im freien Fall, so als seien die Gegenstände des Wissens ohne Belang. Auch das ist ja ein aktuelles Mißverständnis der Bildungsdebatte, wenn arbeitsmarktrelevant vom „Lernen des Lernens“ unter Verzicht auf „traditionell“ genannte Inhalte die Rede ist. Fichtes Konzept ist deutlich elaborierter. Nicht die Auseinandersetzung mit Inhalten ist einzustellen, sondern die Art ihrer Behandlung ist zu ändern. An die Stelle der mechanischen Präsentation von Stoff, der auswendig gelernt und abgefragt wird, muß eine neue Unterrichtsform treten, die die Vermittlung von Wissen jederzeit mit der Aufforderung zum Selbstdenken, zur selbständigen Einsicht in Zusammenhänge und deren produktiver Weiterführung, versieht. Eben das hat Fichte während der Zeit seiner Jenaer Professur vorgemacht. Er ist der erste überhaupt, der hier das Vorlesen aus Lehrbüchern abgeschafft hat und in fortgesetzten Austausch mit seinen Hörern getreten ist.27 Wörtlich verlangt er darum auch in seinem Universitätsentwurf „die dialogische Form“, die Universität „im Sinne der Sokratischen Schule“28, die dazu anhält, mündlich wie schriftlich Aufgaben zu stellen und zu bearbeiten, die „im Geiste der Kunst“ nicht darauf aus sind, Gelerntes wiederzugeben, sondern „etwas Anderes“ damit zu machen.29 Das adressiert sich selbstverständlich nicht nur an die Studierenden, sondern auch an die Lehrenden, deren einschlägigem Qualifikationsprofil Fichte eine Reihe von Seiten widmet. Die „Kunst der wissenschaftlichen Künstlerbildung“ auszuüben 26 „Das Bestreben, die Schule und Universität recht nahe am väterlichen Hause zu haben, und in dem Kreise, in welchem man dumpf und bewußtlos aufwuchs, ebenso dumpf fortzuwachsen und in ihm sein Leben hinzubringen, ist unseres Erachtens zuvörderst entwürdigend für den Menschen; – denn dieser soll einmal herausgehoben werden aus allen den Gängelbändern, mit denen die Familien-, Nachbar- und Landsmannsverhältnisse ihn immerfort tragen und heben, und in einem Kreise von Fremden, denen er durchaus nichts mehr gilt, als was er persönlich werth ist, ein neues und eigenes Leben beginnen, und dieses Recht, das Leben einmal selbstständig von vorn anzufangen, soll keinem geschmälert werden“, FW VIII, 170. 27 In die Jenaer Zeit fallen natürlich auch Fichtes erste bildungstheoretische Einlassungen, insbesondere in den Vorlesungen zur Bestimmung des Gelehrten von 1794. Während Fichte hier aber im weitesten Sinne sozialphilosophisch argumentiert, geht es im späteren Universitätsplan aus aktuellem Berliner Anlaß um die engere und spezifische Frage der Begründung und Verfassung einer neuen Universität. 28 FW VIII, 104. 29 Ebd., 105.
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und zu beherrschen, macht sich schließlich nicht von selbst. Neben intellektuellen Fähigkeiten ist hier vor allem auch eine Passion, die „Liebe zur Kunst“, gefordert, die nicht zuletzt auch soziale Auswirkungen hat: in der Form der Achtung, die Lehrende und Lernende und die Lernenden untereinander zur „wechselseitigen Mittheilung Aller“ verbindet und so den Grundstein auch für den späteren gesellschaftlichen Verkehr miteinander legt.30 5. Modularisierung der Urteilskraft? Auf diese Weise verschreibt sich die Universität der „kunstmässigen Bildung“ des „Selbst“31, der Bildung von Persönlichkeiten also, die, indem sie die „Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs“ beherrschen, nicht in schöngeistige Distanz zum Leben treten, sondern zur Klarheit über ihr Wissen und Wollen befreit den Anforderungen der Wirklichkeit praktisch begegnen können. Man mag bei Gelegenheit darüber streiten, ob Fichte in seinem Anspruch auf die planmäßige Eroberung völliger Klarheit die poietische Kraft der Bildung womöglich überschätzt und im normativen Furor seines Aufklärungsprogramms übersehen hat, daß wir nicht alles „kunstmäßig“ beherrschen. Dessen ungeachtet aber sollte deutlich geworden sein, daß hier in jedem Fall ein anspruchsvoller und produktiver Bildungsbegriff vorliegt, dessen Verdienst es ist, aus den beschriebenen Sackgassen der Bildungsdiskussion und ihrer gegenwärtigen Folgen immer schon herausgeführt zu haben. Das belegt zum Schluß die bemerkenswerte Verwandtschaft des Fichteschen Ansatzes mit dem aktuellen Forderungskatalog der eingangs erwähnten Bildungsinitiative EUniCult. Fehlentwicklungen des Bologna-Prozesses zu steuern, heißt nämlich hier, unter dem Gesichtspunkt der Bildung an erster Stelle für kritisches Denken und stringentes Argumentieren, für Selbstverantwortung und Sozialkompetenz sowie für kulturelle Kompetenz als Voraussetzung für Kreativität zu werben. Das entspricht Fichtes Programm offenkundig genau. Und wo liegt dann der angekündigte Unterschied zwischen seinem Projekt und dem Ansatz der EUniCult-Initiative? Er liegt darin, daß die genannten Fähigkeiten hier, anstatt die Universität insgesamt als eine „Schule der Kunst des wissenschaftlichen Verstandesgebrauchs“ zu engagieren, in der Form eines einzelnen, speziell zu entwickelnden Studienmoduls erworben werden sollen. Das ist sicher besser als nichts. Gleichwohl: Stellt man Fichtes Aufrichtigkeit und Radikalität in Rechnung, mag man sich ausmalen, wie er sich dazu wohl geäußert haben würde.32
30 Ebd., 113 f. 31 Ebd., 161. 32 Vgl. hier auch den alternativen Ansatz in der Denkschrift: Friedrich-Schiller-Universität Jena (Hg.), Spezifikum, 2007.
Akademien, Societäten und Universitäten Konkurrenz oder Kooperation Notker Hammerstein Fast alles ist bereits gesagt und erörtert worden, was im Zusammenhang von universitären und nichtuniversitären Einrichtungen, gelehrten Institutionen, wissenschaftlichen Bemühungen berücksichtigt sein sollte. Da bleibt mir eigentlich nicht mehr viel nachzutragen.1 Dennoch: Ich versuche, dabei hinter die Zeit vor 1800 zurückgreifend, Ihnen von dem Verhältnis, den Bedingungen und der Konkurrenz unterschiedlicher gelehrter Einrichtungen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation ein wenig zu berichten. Da erscheint manches anders als in den west- oder südeuropäischen Ländern, die ja alle teilhatten an der europäischen respublica litteraria, wie sie in der Frühen Neuzeit bestand. Gottfried Wilhelm Leibniz – weit von „um 1800“ entfernt –, aber auch in dieser Zeit immer noch ein geschätzter Autor, hatte 1697 gemeint: „Nun hat man bisher die Erfahrung, daß Gott die Teutschen für andere mit einem Verstand begabt, der auf Realitäten gehe, Andere mögen besser schwätzen, besser singen, bessere Verse machen; keine Nation hat die Teutschen in Erkenntnis der Natur und Proben der tätigen Kunst übertroffen. Es scheinet, daß anjetzo ein Seculum sey, da man zu Societäten Lust hat. Außer der königlichen englischen, die fast in Abgang kommen, der französischen, die durch Besoldungen ihres Königs unterhalten wird, der italienischen Academien, so aber meist auf Konversation und Beredsamkeit angesehen, so haben wir in Teutschland bereits schöne Proben.“2
Einmal abgesehen davon, inwieweit Leibniz die europäische und deutsche Situation zutreffend beschrieb: Er votierte nicht nur hier für die Einrichtung von Societäten, deren Hauptaufgabe darin zu liegen habe, „theoria cum praxi zu vereinigen“ oder, wie es an anderer Stelle heißt: „Demnach sollte man immer die Praxis mit der Theorie verbinden.“3 In den zeitgenössischen Universitäten sah er diese Aufgabe nicht gut aufgehoben. Sie seien pedantische, autoritäts-gebundene, mönchische – also theologisch bevormundete – Institutionen, die theoretischer, intellektueller Anstrengung nicht mehr gerecht zu werden vermöchten und nicht nützliche, praktische, verwertbare Erkenntnisse gewönnen.4 Daher sei es angebracht, Akademien bzw. Societäten einzurichten, die diese Aufgabe übernehmen könnten. Wie in anderen europäischen Ländern könnten solche Institutionen viel1 2 3 4
Den Charakter eines Vortrages habe ich weitgehend beibehalten. Vorschläge für eine Teutschliebende Genossenschaft, in: Holz, H. H. (Hg.), Gottfried Wilhelm Leibniz, Bd. 2, 1967, 83. Vgl. auch Hammerstein, N., Innovation, 2004. Hammerstein, N., Academie, 1981.
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fältigen Nutzen zum Besten der Gemeinwesen stiften. Allein, um dies vorweg zu sagen: außer der Berliner, später der göttingischen und der Münchener Akademie entstanden keine solchen universitätsähnlichen Anstalten. Und auch diese konnten nicht annähernd beanspruchen, den Universitäten gleichrangig zu sein oder gar höherrangig als letztere. Freilich entstanden daneben eine Fülle von Institutionen, die sich dem aufgeklärten Zeitgeist verpflichtet fühlten und in gewisser Weise den Anregungen Leibniz’ zu folgen schienen. Das 18. Jahrhunderts war eine Blütezeit für solche Einrichtungen, Zirkel – meist private Gründungen. Häufig traten sie an Orten ohne Universität ins Leben und nannten sich Societät, Academie oder Gesellschaft. Sie firmierten als Ökonomische, Patriotische, Naturforschende oder auch Medizinisch-Physikalische oder wie immer Gesellschaft, und erstrebten unmittelbaren allgemeinen Nutzen. Sie beschäftigten sich nicht eigentlich mit klassischen Universitätswissenschaften, sondern zielten auf Land- und Forstwirtschaft, Viehzucht, Gartenbau, Bienenzucht, Moorkultur. Aber auch Sozialpolitik, Straßenbau, Gewerbepolitik (modern gesprochen) fielen darunter. Natürlich konnte das – und das war auch der Fall – Rückwirkungen auf die Universitäten und ihre Disziplinen haben, insbesondere auf die des quadriviums, die philosophia practica, die Medizin und die mancherorts eingeführte Cameralistik. Aber es blieb eher die Ausnahme, ganz anders als in Frankreich. Dort waren anstelle der maroden Universitäten écoles spéciales eingerichtet worden, die im Sinne der Aufklärung erfolgreich zu sein vermochten. Diesen Spezialschulen, so war die Meinung vieler europäischer Aufklärer, gehöre die Zukunft. Sie seien besser in der Lage, den Bedürfnissen der Zeit gerecht zu werden denn die Universitäten. All das ist bekannt. Gleichwohl mußte ich darauf verweisen, da diese neuen Ansätze akademischer Ausbildung und gelehrter Tätigkeit in das Umfeld konkurrierender Einrichtungen zur überkommenen Universität gehörten. Zuvor bereits, und gelegentlich auch noch im 18. Jahrhundert, traf dies auch auf die sogenannten Ritterakademien zu. Sie verdankten weniger aufgeklärtem Utilitätsdenken ihre Existenz als vielmehr der Notwendigkeit adliger Ausbildung.5 Für adlige, politische, innerstaatliche – verwaltungstechnische, modern gesprochen – Tätigkeiten, für ein Leben in Diensten von Höfen, böten die Universitäten nicht die angemessene Unterweisung, war die Meinung. Das könnten, wenn auch mit einem eingeschränkten wissenschaftlichem Programm, die mundanen Ritterakademien eben besser. Die neuen Reformuniversitäten, nicht nur Halle und Göttingen, nahmen dies wahr und manches davon auf, und verjüngten sich dementsprechend. Ihr breites Angebot an gelehrter, aber auch hofmännischer Ausbildung zog im Laufe der Zeit die Anhänger einer qualitätvollen Ausbildung von den Ritterakademien ab und führte sie – nicht zuletzt die Adligen – zurück in Universitäten. Um 1800 waren Ritterakademien für die traditionellen Hochschulen kein ernsthaftes Problem mehr. Nach dem Untergang des Alten Reichs dann ohnedies nicht!
5
Conrads, N., Ritterakademien, 1982.
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Im 18. Jahrhundert schienen noch andere Einrichtungen vorübergehend auf eine bessere bzw. zeitangemessenere Weise vernunftgeleitete Ausbildung gewährleisten zu können: die sogenannten Hohen Schulen.6 Sie erscheinen als eine Art Nebenzweig der älteren Ritterakademien, und manche führten deren Namen auch fort. Ein Collegium Carolinum – in Kassel und, infolge Namensgleichheit des Fürsten, in Braunschweig –, Gymnasia Illustria wie in Halle und Weimar, die Academia Friedericiana in Bayreuth, Hochschulen in Bückeburg, Berlin, die Hohe Carls-Schule in Stuttgart – Schillers Alptraum – aber auch Hohe Schulen katholischer Orden in Salzburg, Kremsmünster und Wien gehörten dazu. Sie widersetzen sich einer schlüssigen Einpassung in die gewohnte Zuordnung zu Gymnasien und Universitäten. Ihren Höhepunkt erlebten sie in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Auch sie wollten statt des weltfremden Gelehrten den gebildeten Welt- und Hofmann erziehen. Sie waren nicht nach einem einheitlichen Muster organisiert, folgten jeweiligen, als vordringlich angesehenen Bedürfnissen eines Territoriums. Fast immer waren es Landesherren, die Inhalt und Aufgaben der Anstalten bestimmten. Hohe Schulen sollten ebenso auf ein Universitätsstudium vorbereiten können wie ein – modern gesprochen – spezielles Berufswissen als Alternative zu einem Universitätsstudium anbieten. Man erhoffte sich von diesen Institutionen Prestige für das jeweilige Territorium, in dem sie eingerichtet worden waren, aber auch einen Beitrag zur Meliorisierung des Landes und des Reiches. Sie sollten dann allerdings nicht sonderlich erfolgreich sein. Auf Dauer fehlten die Schüler und damit die Einnahmen, mehr jedoch die Bereitschaft der Fürsten – wie so häufig –, ausreichend Geld zur Verfügung zu stellen. Gleichwohl gehörten die Hohen Schulen in das Umfeld einer Universitätskritik im Zeichen der Aufklärung und dem Ruf nach Reform universitärer Ausbildung. Welche Folgen hatte all dies nun für die Universitäten um 1800? Im Heiligen Römischen Reich hatten – wie Sie alle wissen – aufklärerische Tendenzen einer praxisorientierten Bildung nur bedingt bzw. gebrochen Erfolg. Das war höchst bedeutsam und erklärt auch, daß die zuvor erwähnten Einrichtungen letztlich keine Konkurrenz für Universitäten darstellten! Anders also als in Frankreich, wo das Spezialschulmodell – um es so zu benennen – die traditionelle Universität überrundete, faßten diese Vorstellungen hier nicht eigentlich Fuß. Gewiß gab es Anhänger dieser Idee – darauf komme ich zurück –, aber sie konnte insgesamt nicht überzeugen. Daß dies in Frankreich anders war, lag nicht zuletzt an der mit dem Reich nicht vergleichbaren Lage der dortigen Universitäten.7 Die waren nur selten noch Volluniversitäten, also Hochschulen mit vier Fakultäten und einem breiten Spektrum zeitgenössischer Wissenschaften. Sie waren mehr oder weniger reine Ausbildungs- und Graduierungsinstitute, hielten jedoch am Namen Universität fest, ähnlich wie in Italien.8 Praktisch waren sie aber keine. Allein die Sorbonne blieb in Frankreich Volluniversität, allerdings ei6 7 8
Schikorsky, I., Hohe Schulen, 2005. Voss, J., Universitäten, 1995. Roggero, M., Italian Universities, 1999.
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nes höchst traditionellen Zuschnitts. Neuerungen, zeitgemäßes Wissenschaftsverständnis waren ihr ziemlich fremd. Die Auflösung all dieser Anstalten im Zuge der Französischen Revolution rief folgerichtig keinerlei größere Beunruhigung im Land hervor, galt Intellektuellen und Gelehrten nicht als Menetekel. Sie waren mehrheitlich dafür! Wie bereits erwähnt, garantierte die Übernahme einiger der zeitgemäßen praktischen Künste und adliger Verhaltensnormen von den Ritterakademien – darunter Reiten, Tanzen, Fechten – einen stärkeren weltmännisch-mundanen Charakter der aufgeklärten Universität. Es gehe darum, wie Christian Thomasius sagte, „von dem bey Weltklugen Leuten verhassten Laster der Pedanterey zu einer geschickten wahrhaftig gelehrten Lebens-Art mit guter Manier“ zu erziehen. Der „ohnstreitige (...) Endzweck“ des Studiums müsse sein, daß der Student „auf der Universität zu einem geselligen aber tugendhafften Leben zubereitet würde.“9 Die erfolgreichen Reform-Universitäten hatten zudem die Wissenschaften selbst fortentwickelt und eine Stärkung, Verjüngung und Attraktivitätssteigerung der Hochschulen gebracht. Das trug zu ihrer Revitalisierung bei. Dazu gehörten der Ausbau der Reichsjurisprudenz im Zeichen einer gesteigerten Kaiser- und Reichseuphorie um und nach 1700, die Adaption des usus modernus, Natur- und Völkerrecht, der Abbau polemischer, zelotisch-intransigenter theologischer Positionen bei allen Konfessionen, die Berücksichtigung der Kirchenhistorie, eine vorsichtig historisierende Methode in vielen Fächern, bzw. eine an der Praxis orientierte Medizin. Das führte zu einer neuen Blütezeit der Universitäten und ihrer Wissenschaften, zum mindesten einer ganzen Reihe von ihnen. Sie waren und blieben der Ort, an dem das Reich sein geistiges Weltverständnis, seine Weltorientierung formuliert und seine Weltaneignung vermittelt bekam.10 Entschieden anders als in den west- und südeuropäischen Ländern fand die Aufklärung denn auch durch die und in den Universitäten des Reichs Aufnahme und Ausgestaltung. Höfe und Städte standen dahinter zurück, wenngleich in einigen städtischen gelehrten und intellektuellen Zirkeln parallele Anstrengungen gemacht wurden.11 Diese außeruniversitäre Gelehrsamkeit, die aufklärerischen Zirkel und Intellektuellen, Societäten und Gesellschaften standen bezeichnenderweise nahezu immer im Austausch mit Universitäten.12 Da gab es keine großen Gegensätze und Konkurrenz wie in Frankreich oder Italien, eher förderliche Anregung und Befruchtung. Sprache, geistiger Habitus und Form gelehrter Anstrengung konkurrierten zwar, aber unabhängig davon bestimmten gleichgerichtete Interessen die Entwicklung. Universitäten galten außerhalb ihrer Kritiker insoweit nach wie vor als etwas Besonderes: Geist, Wissenschaften und Kultur Förderndes. Sie waren eine Zier und geistiges Waffenarsenal des Territoriums und der Kirche zugleich: armamentaria reipublicae et ecclesiae. 9 10 11 12
Zit. n. Kühnel, M., Denken, 2001, 298. Insges. auch Hammerstein, N., Geschichte, 1985. Vgl. u. a. Vierhaus, R. (Hg.), Gesellschaften, 1980. Marino, L., Praeceptores Germaniae, 1995, 411.
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In Universitäten um 1800 war denn auch nicht selten die Meinung, wie es der Göttinger Christoph Meiners formulierte, „es wäre ein unverzeihlicher Leichtsinn, wenn die Stifter neuer Universitäten unbewährte idealistische Pläne ausführen wollten, anstatt die besten wirklich bestehenden Universitäten zu Mustern zu nehmen, deren Vorzüge und Fehler man durch die Erfahrung auf das genaueste kennen gelernt hat.“13
Er hatte die französischen Verhältnisse, aber auch deutsche Wortführer einer Nachahmung dieser scheinbar allein zeitangemessenen rationalen Organisation von Wissenschaft und Ausbildung vor Augen. Veränderung, Erneuerung ja, aber mit Augenmaß sowie in Kenntnis, Analyse und Respektierung der Tradition: Das war das Credo der Anhänger aufgeklärter Reform der Universitäten, an dessen Bestand nicht gerüttelt werden durfte. Vorab Göttingen verstand sich so, und dementsprechend meinte Christian Gottlob Heyne 1784: „Man mag für oder wider Göttingen eingenommen seyn, wie man will, so muss man doch eingestehen, daß es das Seinige dazu beygetragen hat die Studien mehr auf das Nützliche und Brauchbare in allen Wissenschaften zu richten und die Erfahrungen, Entdeckungen und Bemerkungen des Auslands zu nutzen“14,
also die zeitgemäße Aufklärung zu befördern und doch zugleich Universität geblieben zu sein. Erfolgreiche Aufklärung durch die Universität bei Wahrung ihres überkommenen Charakters, so lautete die Devise. Begreiflicherweise entmutigte das andersdenkende aufklärerische Heißsporne und radikale Universitätsreformer nicht, an den von ihnen als veraltet, verzopft und abständig empfundenen Anstalten heftige Kritik zu üben. Gleichviel, ob das Moses Mendelssohn oder die Berliner Mittwochgesellschaft war, eine ganze Reihe von Entwürfen im Vorfeld der Berliner Universitätsgründung atmeten diesen anderen Geist. Das hing auch mit dem Charakter der Berliner Aufklärung zusammen, worauf sogleich zurückzukommen sein wird. Man störte sich offensichtlich an der zu starken Stellung der Theologie, an dem zu wenig dem Staatswesen Dienlichen der Fächer, der vermeintlichen unpraktischen Organisation der Universitäten in Fakultäten. Charakteristisch dafür ist die Denkschrift von Theodor Schmalz, die der spätere Berliner Rektor und zuvor Professor der Jurisprudenz in Königsberg und Halle 1807 verfaßte und in der er seine beiden Lehrstätten ansprach. „Dem Preußischen Staate sind zwei wirkliche Universitäten geblieben. Beide befinden sich gerade jetzt in einem solchen Verfalle, daß sie zu den schlechtesten in Deutschland gehören, und der Staat sich unmöglich nützliche Dienst von ihnen versprechen kann. Beide haben einen großen Mangel an Hülfs-Anstalten und gerade jetzt einen noch größeren an tüchtigen Lehrern. Denn ein tüchtiger Lehrer ist nur der, welcher den Geist der Zuhörer zu gewinnen
13 Ebd. 14 Ebd., 48.
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Notker Hammerstein weiß. Dazu gehört, daß er selbst Geist habe, daß er die Tiefen seiner Wissenschaft kenne und umfasse; und ein solcher Mann ist selten ohne literärischen Ruhm.“15
Daran fehle es in Preußen. Daß die in Berlin vorhandenen „Hülfs-Anstalten“ dazu prädestinierten, hier eine Universität einzurichten, klang hörbar mit. An anderer Stelle sagte Schmalz zur äußeren Einrichtung einer Berliner Hochschule: „Es ist unstreitig rathsam und nützlich bey der Einrichtung dieser Anstalt, alle Formen des alten Universitätswesens fallen zu lassen, welche einen Zunftgeist nähren, oder pedantischen Prunk, der ehemals Würde und Ansehen geben mochte, ietzt aber lächerlich macht. (...) Allerdings muß also der Staat Vorsorge und Aufsicht übernehmen und die allgemeine Lehranstalt muß sein Institut seyn. Nur liberalere Form, nur kein Magnificus, keine Iurisdiction, keine Zunft unter dem Namen Facultät! Aber doch so viel points de réunion, als die Leitung und Aufsicht des Gantzen nothwendig macht.“16
Die Universität als Staatsanstalt, nicht als eigene Korporation, Studenten und Professoren als Staatsbürger, nicht mehr ein eigener Stand wie bislang17 – das war damit gemeint. Sie müsse dadurch freilich nicht ihren Charakter, ihr Profil, ändern. Schon gar nicht unterliege sie einem vorgeschriebenen einheitlichen Modell oder habe zentralistischen Vorgaben zu entsprechen. Ihre föderale Struktur konnte und sollte die deutsche Universität denn auch im 19. Jahrhundert beibehalten, was für den Erfolg und den Aufbruch der Wissenschaften von entscheidender Bedeutung sein sollte, um das nochmals anzumerken. Ähnlich wie Schmalz meinten auch andere, es bedürfe zur Abrundung des geistigen Preußens einer eigenen universitätsähnlichen Anstalt. Die Spezialschulen Berlins, wie die Bergakademie (1779), die Tierarzneischule (1790), die Pepinière (1795), genügten hierfür ebensowenig wie die intellektuellen Salons, die geschlossenen Gesellschaften oder die Akademie. Man empfand es mehr als schmerzlich, daß Berlin trotz alledem und ungeachtet seiner vielen Sammlungen keine Universität oder vergleichbare Institution sein eigen nennen konnte, die für die Verbreitung von Aufklärung sorge. Nicht zuletzt die elitäre „Mittwochs Gesellschaft“ plädierte für eine solche Einrichtung, um die preußisch-bürokratische Öffentlichkeit zu erziehen und anzuregen und Preußens Anspruch auf geistige Führung im Reich zu unterstützen. Das französische Modell einer Spezialschule – nur eben breiter – stand für die meisten Gesellschaftsmitglieder dabei vor Augen. Wie denn überhaupt die Berliner Aufklärer sich an Frankreich und England orientierten. Nicht von ungefähr war die Wissenschaftssprache in Berlin das Französische, nicht Latein oder Deutsch, wie im übrigen Reich. Deutsche Aufklärer wie Thomasius oder Christian Wolff fanden kaum Aufmerksamkeit; eine Auseinandersetzung mit den an den Universitäten des Reichs gepflegten und erneuerten Wissenschaften war eher selten. Erst gegen Ende des Jahrhunderts wurde ver-
15 Kraus, H.-C., Theodor Anton Heinrich Schmalz, 1999, 643. 16 Ebd., 636 f. 17 Rasche, U., Universitäten, 2007.
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mehrt auch deutsch geschrieben, was dem Einfluß der westeuropäischen Aufklärer aber nicht schadete. Diese eigentümliche Situation spiegelt sich im zeitgenössischen Urteil über Berlin als Ort wider. Indem die beherrschenden wissenschaftlichen Diskussionen von innerprotestantischen Spannungen zwischen Hugenotten/Reformierten und Lutheranern geprägt waren, um deren Überwindung gestritten wurde, fielen die anderen, an Westeuropa orientierten Positionen nicht sonderlich auf, die andernorts zudem nicht eine vergleichbare Rolle spielten. Berlin galt ohnedies als Militär- und Residenzstadt, deren Lebensstil als überaus karg angesehen wurde. Diese Stadt erschien keineswegs als ein geistiges Zentrum des Reichs, sondern als Ort militärischer Machtentfaltung.18 Die im Vorfeld der Inauguration der Universität geführten Diskussionen über Form, Inhalt und Aufgabe einer solchen Institution, die sich stark am französischen Muster orientierten, blieben nicht ohne Widerspruch, wie bekannt. Sowohl in den Reihen preußischer Reformer wie auch in denen, die von außerhalb ein solches Projekt zu befördern halfen, wurde nachhaltig darüber diskutiert, welcher institutionelle Aufbau einer Hochschule der angemessene sein könnte. Die Vertreter einer nichtfranzösischen Lösung hatten im allgemeinen ihre Erfahrungen an den Erfolgsuniversitäten im Reich gemacht. Sie waren davon überzeugt, daß die deutsche Universitätslandschaft um 1800 eine vortreffliche Grundlage für einen eigenständigen Neubeginn darstelle, der umso erfolgreicher sein müsse, je mehr er sich an dem bewährten Modell Universität ausrichte. Das sollte sich als ungemein produktiv für die letztendliche Gründung Berlins erweisen. Eine Universität wie in anderen Territorien mit herausragenden Gelehrten, mit ebenso breitem wissenschaftlichen Angebot wie dort, schien diesen Männern um Humboldt und Schleiermacher für das geistige – aber auch das politische – Leben unerläßlich, wollte man mit geistigen Mitteln das ersetzen, was im Politischen verloren gegangen war. Das entsprach genau der territorialstaatlichen Tradition deutscher Bildung, und es war daher auch erfolgreich! Dieser – oft gescholtene – Provinzialismus, um das eben einzuschieben, hatte im Heiligen Römischen Reich und darüber hinaus ursächlich die Errichtung von Universitäten gefördert. Sie konkurrierten untereinander, was ihrer Wachheit und gelehrten Anstrengung zugute kam und alles andere als provinziell war. Nicht zuletzt trugen auch die konfessionellen Unterschiede, die theologischen Streitigkeiten dazu bei. Zugleich boten die zahlreichen Universitäten in den unterschiedlichen Territorien theoretisch, aber auch real die Möglichkeit für Professoren und Studenten, im Konfliktfall zu einer anderen Hochschule zu wechseln, diese Art akademischer Freiheit zu nutzen. Aber zurück zur Sattelzeit Reinhard Kosellecks um 1800, in der wegweisende Entscheidungen zur Zukunft auch der Universitäten sich anbahnten und durchsetzten. Da ist auch vom Aufstieg und der Bedeutung Jenas zu berichten! Nicht, daß die Salana in ihrer früheren Geschichte keine bedeutenden Phasen gehabt 18 Döring, D., Daniel Ernst Jablonski, 2008.
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hätte. Gerade noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts durfte sie als eine der wichtigeren Universitäten im Reich gelten. Insbesondere ihre Theologen und Juristen haben für Ansehen und Außenwirkung gesorgt. Jena nahm teil am Aufstieg der zeitgenössischen Wissenschaften, es gestaltete diesen Aufstieg aktiv mit. Man wußte von den neuen Errungenschaften und hatte Kontakt mit den führenden Aufklärungsuniversitäten, befand sich sozusagen auf Augenhöhe mit ihnen. Gegen Ende des Jahrhunderts gehörten die Medizinprofessoren als Schüler Göttingens zu den führenden Vertretern zeitgemäß moderner Wissenschaftskultur einschließlich ihrer Beifächer. Von den Juristen – als wichtigen Protagonisten aufgeklärter Wissenschaft – ließ sich das nicht mehr sagen. Bis in die Mitte des Jahrhunderts erschien die Jurisprudenz in Jena fast gleichrangig mit der in Halle und der jungen Göttinger Rechtswissenschaft. In der zweiten Jahrhunderthälfte verfügte die Juristische Fakultät aber nicht mehr über herausragende Köpfe. Die ihr im Verständnis der Zeit zuarbeitende artistische, besser: Philosophische Fakultät war insoweit herrenlos, frei. Sie konnte sich fast eigenständig als Wert in sich begreifen. Frei erschien darüber hinaus die Universität auch insoweit, als die sie tragenden Nutritoren kaum zu einer einheitlichen Universitätspolitik zu finden wußten. Diese Chance nutzten die in Jena zutreffend „außeruniversitäre Universität“ genannten Personen, nicht unbedingt die etablierten Professoren. Die aufklärerische Entwicklung der Theologie hinwiederum entfernte sich von dogmatischer, polemisierender oder orthodoxer Wissenschaft, strebte hin zu einer historisierenden, offenen, toleranzgeneigten Einstellung und unterstützte das Interesse an philosophischen oder vielleicht zutreffender: philosophierenden Überlegungen und Argumenten. Das Zurücktreten der für die Zeit ersten Fakultät, der juristischen, war in meinen Augen ein wesentliches Moment – neben dem Interesse Goethes und Weimars, dem Desinteresse anderer Nutritoren – für die Blüte einer philosophisch-historisch-theologischen Universität gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Das gründete in der eigenen, inneren Entwicklung Jenas, nicht in von außen kommenden Anstößen seitens konkurrierender Institutionen oder Zirkel. Die Neuerer sammelten sich nicht von ungefähr um die Universität. Sie bot den Reformern, Wissenschaftserneuerern und hellen Köpfen die Möglichkeit, ihre Ideen, Erkenntnisse und Gedanken einem größeren ebenso interessierten wie faszinierten Publikum zu eröffnen. Knapp zwei Dezennien begründete das den Ruf und das überörtliche Ansehen der „Salana“ als eine der aufregendsten, himmelstürmenden Universitäten des Heiligen Römischen Reichs. Nachdem diese günstige Konstellation nicht zuletzt aus allgemeinpolitischen Gründen – Französische Revolution, Koalitions- und Freiheitskriege – vorüber war und universitärer Alltag einkehrte, fiel die Anstalt folgerichtig in Mittelmaß zurück. Zur gleichen Zeit stand auch Göttingen in einer herausragenden Position. Es verkörperte in seinen Wissenschaften – also ihren Professoren und Dozenten – den höchsten Rang und Status aufgeklärter Gelehrsamkeit im Reich. Ich brauche das hier nicht umständlich auszubreiten, es ist bekannt. Erinnern möchte ich nur daran, daß das Neue u. a. in einer durchweg historisierenden Methode, in einer auf das Alte Reich (wie wir heute sagen) ausgerichteten Sicht, auf großzügiger
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Duldung nicht-lutherischer Konfessionen, auf Absage an jegliche metaphysisch begründete und daher intransigent-unverträgliche Lehrmeinung beruhte. Freiheit, soweit sie nicht staats- oder religionsgefährdend auftrat, sicherte unbeschwerten Umgang mit den unterschiedlichsten Fächern und förderte eine kosmopolitische Einstellung unter ihren Dozenten. Eine ganze Reihe von Privatdozenten las über entlegene, andernorts unbekannte Materien, deren Universitätseignung solcherart erprobt werden konnte. In manchem könnte das ebenfalls als eine Art außeruniversitärer Begleitung der ordentlichen Professorenschaft bezeichnet werden, wobei die ordentlichen Professoren von Göttingen im Niveau besser als die in Jena waren. Bei aller Modernität wurden in Göttingen Tradition und historische Institutionen geachtet, sie wurden nicht, wie mancherorts, aufgeklärt zur Seite geschoben. Das Faktische behielt seinen Wert und blieb eigentlicher Gegenstand gelehrter Bemühung. Die bestehende Ordnung wurde letztlich nicht in Frage gestellt. Vernunft durfte nicht in Gegensatz zur positiven Realität treten. Mit dem Ende des Reichs wurde manchen Wissenschaften daher Inhalt und Boden entzogen. Die nachrevolutionäre Welt blieb diesem aufgeklärten Verständnis fremd, führte dann folgerichtig in den Abstieg der Anstalt zur bescheidenen „Normalität“ des frühen 19. Jahrhunderts. Da die Göttinger Akademie seit ihrer Gründung immer auf die Universität bezogen blieb, ihre Mitglieder Professoren der „Georgia Augusta“ waren, war sie immer nur so gut und anregend wie es die Universität selbst war. Sie war nicht Konkurrenz, die Mitgliedschaft war vielmehr Belohnung – Zuckerl, wie die Österreicher sagen – für inneruniversitäre Hierarchien. Ein wenig anders stellen sich die Verhältnisse in Berlin dar, wovon schon kurz die Rede war. Die Gründung profitierte von ihren Vorläufern und der Entwicklung des gelehrten Diskurses im Reich. Inauguratoren, Ratgeber sowie politisch Verantwortliche entstammten weitgehend der aufgeklärten Universität des Heiligen Römischen Reichs. Vorzüge und Nachteile, Möglichkeiten und Reformbedingungen waren ihnen vertraut, ebenso die personelle Situation in den Disziplinen. Eine überschaubare und vertraute Welt war unter grundlegend gewandelten Verhältnissen – den revolutionären Umbrüchen – sorgfältig neu, in Fortführung bewährter Traditionen und jüngster geistiger Errungenschaften, zu ordnen. Die Stabilisierung einer Revolution im Geistigen, wie sie das untergehende Reich erfuhr, mußte nicht zuletzt in der dafür zuständigen Institution gelingen. Wie bisher konnte auf die Welt- und Wertorientierung durch die Universitäten nicht verzichtet werden, zumal diese in einem neuen, revolutions-analogen Wissenschaftsverständnis den Aufbruch zu geistig neuen Ufern angetreten hatten. Viele waren daran beteiligt, nicht nur Berlin. Dort entfalteten sich ohnedies bereits anderorts hervorgetretene Köpfe. Die Preußen blieben in der Minderheit. Aber Preußen als ein reformgeneigtes und ein von einem König wie Friedrich dem Großen guberniertes Territorium genoß soviel Ansehen, daß ihm eine Erneuerung sogar für das Reich zugetraut wurde. Man war „fritzisch“, wie schon Goethe schrieb, nicht preußisch gesinnt.19 19 So in Dichtung und Wahrheit.
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Die hellen Köpfe, die es nach Berlin zog, konnten auf wissenschaftlichen Vorleistungen aufbauen, die den Weg zu einer neuen Universität gebahnt hatten. Die während der Aufklärung erste Fakultät, die Juristische, trat nicht etwa hinter eine andere zurück, die sie abgelöst hätte, wie früher bei solchem Wechsel üblich. Die Fächergewichtung innerhalb der Universität verschob sich grundlegend, so daß andere Kriterien griffen. Die ehemals oberen Fakultäten galten wegen ihrer Praxisorientierung als Brotwissenschaften vermittelnde Instanzen, wobei die Bezeichnung Brotwissenschaft nicht unbedingt als pejorativ angesehen werden muß. Sie blieben notwendig, galten durchaus als wissenschaftlich und gehörten unbedingt zur Universitas litterarum, wie alsbald gesagt wurde. Sie bildeten für unverzichtbare Berufe aus, die, wie man wußte, akademischer Vorbildung bedurften. Sinnstiftend und methodisch leitend waren sie aber nicht. Die Theologie, die diesen Anspruch traditionell erhoben hatte, war infolge ihrer religiösen Bindung nicht in gleichem Maß frei und offen wie die reine Philosophie. Sie und andere Fächer dieser ehemals untersten Fakultät konnten daher beanspruchen, die eigentlichen verbindlichen Leitgedanken, die stilbildenden Ideen und methodischen Grundlagen der Wissenschaften zu vertreten und zu formulieren.20 Aber auch die Brotwissenschaften selbst gewannen dadurch neue, weiterführende methodische und inhaltliche Anregungen. In der Jurisprudenz führte das zur historischen Rechtsschule, wie sie in Savigny zum Durchbruch kam, nachdem Gustav Hugo, aber auch die Reichspublicisten diesen Weg zuvor schon angebahnt hatten. Naturwissenschaften, z. T. auch die Medizin, wenn ich einmal so verallgemeinernd sprechen darf, folgten der neuen Naturphilosophie, nicht der französischen Orientierung an Experiment und Realia. Das sollte letztlich nicht zu ihrem Vorteil sein. Philologie, Historie, aber vor allem die Philosophie gewannen hingegen an Bedeutung, Zulauf und Ansehen. In den Göttinger Seminaren eines Heyne und später in denen Friedrich August Wolfs in Halle, im außeruniversitären Jena hatte sich bereits vor 1800 die gebildet sein wollende Jugend aller Studienrichtungen versammelt, um von diesen neu dargebotenen Wissenschaften Einsichten und Hilfen für ihren künftigen Lebensweg zu erhalten. Da wandte man sich bereits von den rein praxisorientierten aufklärerischen „Erziehungskünstlern“ ab. Die hätten, wie Friedrich August Wolf sagte21, „in Deutschland so viel Papier gefüllt und so viele Köpfe leer gemacht“, daß es ihnen gelungen sei, „dem Genius der Zeit gehorchend die meisten zur Veredlung und Würde des Geistes führenden Studien zu verseichten, und die besten Kräfte fast allein solchen Wissenschaften zuzuwenden, wodurch Gewerbe und Finanzen und Krieg zu Lande und zu Wasser gedeihen.“
Da brach also etwas Neues auf, das ausgebaut werden konnte! Die idealistische Philosophie beanspruchte befugt zu sein, über die allgemeinen Grundlagen aller Wissenschaften hinfort zu befinden. Daß vieles von diesem neuen Wissenschaftsenthusiasmus, der Hoffnung auf die Philosophischen Köpfe in den Universitäten, 20 Vgl. Hammerstein, N., Rang, 2001. 21 Zit. Nach Walther, G., Friedrich August Wolf, 1995, hier 133.
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Theorie blieb, änderte nichts an der umstürzenden Kraft dieser Ideen, die Selbstbildung, neuen Umgang bzw. neues Verständnis der Wissenschaften postulierten und umzusetzen suchten. Der Begriff – auch die Sache, die Praxis selbst – der Forschung als grundlegendes Wesensmerkmal jeglicher Wissenschaft war ins Leben getreten. Die inzwischen fast übliche Auffassung, daß diese Humboldt-Schleiermachersche Idee keineswegs die Universitäten des 19. Jahrhunderts geprägt habe22, daß sie vielmehr ein Ergebnis der Zeit um 1900 gewesen sei, scheint mir dringend einer Modifikation zu bedürfen. Denn fraglos wird die Universitätsgeschichte des 19. Jahrhunderts von dieser regulativen Idee mitbestimmt, die im Bewußtsein präsent war, wenn sie auch nicht unbedingt befolgt wurde. Dem entsprach z. B. auch die veränderte Praxis akademischer Karrieren. Es erschien zunehmend unabdingbar, bestimmte Examina abgelegt zu haben. Promotion und mehr noch Habilitation galten – wenn auch nicht zugleich und in allen Disziplinen – als Voraussetzung einer solchen Laufbahn.23 Diese Entwicklung, die sich von den älteren akademischen Gepflogenheiten weit entfernt hatte, zog sich zwar lange über das 19. Jahrhundert hin, aber sie zeigte ein gewandeltes Verständnis von gelehrter Tätigkeit und ihren Bedingungen. Daß die Praxis des universitären Alltags länger brauchte, bis sich diese Humboldt-Schleiermacherschen Leitgedanken durchsetzten, trifft in manchem zu. Auch in Festreden und Selbststilisierungen der Universitäten dauerte es lange, bis sich regelmäßig auf Humboldt berufen wurde. Der mindestens ebenso wichtige Schleiermacher wurde meist gar nicht erst erwähnt! Aber auch das ist kein hinreichendes Indiz dafür, daß diese Universitätsreformer kaum eine Rolle gespielt haben. Die wissenschaftliche Praxis und Methode folgte durchaus einem im Vergleich zu früher neuen und gewandelten Begriff, was ihre Sache, ihre Aufgabe neben der der reinen Ausbildung sei. Nicht nur in Einzelfällen wurde dieser Idee nachgeeifert, und sie wurde zu realisieren gesucht. Nur dadurch ist schließlich der Aufstieg der deutschen Universität zum Vorbild schlechthin für beispielhafte Forschung und Wissenschaftsvermittlung und ihre weiterhin traditionelle institutionelle Verfaßtheit verständlich. Konkurrenz oder Kooperation? Ja und nein. Beides ging Hand in Hand in vielfachen Brechungen und Schattierungen, wobei den Universitäten in meinen Augen die eigentliche, die stilbildende Funktion zukam. Bildung und Ausbildung waren im Reich seit der Reformation – und anders als in West- und Südeuropa – immer auch Gewissens- und Glaubensfragen. Dafür standen die Universitäten.
22 Statt aller Paletschek, S., Humboldt’sches Modell, 2001. 23 Hammerstein, N., Interesse, 2007.
Reform, Innovation, Wettbewerb – Die Universitäten in Jena und Berlin um 1800 Frank Wagner Lange galt die Gründung der Berliner Universität in den großen Meistererzählungen der preußischen und deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte recht unangefochten als herausragender Bezugspunkt, als Ereignis mit dem die preußische und mittelbar die deutsche Universität in ihr „klassisches Zeitalter“ eintrat.1 Seit ihrer Gründung gilt die Berliner Universität als Vorreiterin und Beispielgeberin einer Modernisierung des deutschen Hochschulwesens im 19. Jahrhundert, als Prototyp der Forschungsuniversität und Wegbereiterin eines „Academic Golden Age“.2 Die Blüte der Jenaer Universität in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dagegen verharrte lange im Schatten der großen Strahlkraft, welche die Entwicklung der deutschen Hochschulen im 19. Jahrhundert entfaltete. Erst im vergangenen Jahrzehnt rückte die Bedeutung der Verdichtung des Geistes- und Kulturlebens in Weimar und Jena an der Wende zum 19. Jahrhundert und damit auch die dortige Universität stärker in das Bewußtsein der Bildungshistoriker.3 Währenddessen hat die besondere Betonung der Berliner Gründung in den vergangenen drei Jahrzehnten einige Korrekturen erlebt. Bereits Charles McClelland mochte in ihr weder ein Novum noch den Beginn oder Abschluß einer Reformbewegung sehen;4 ihre scheinbare Tragweite und weltweite Ausstrahlung, allgemein mit dem Namen Wilhelm von Humboldt verknüpft, wurde in Teilen als Mythos entlarvt.5 Auch bezogen auf die Beurteilung vor allem der Gründungszeit der Berliner Hochschule und die ersten 50 Jahre ihres Bestehens scheint das zu greifen, was Sylvia Paletschek am Beispiel der Tübinger Universität als „permanente Erfindung einer Tradition“ sichtbar machen konnte.6 Insbe1
2 3 4 5 6
Moraw, P., Aspekte, 1982, hier 10. Vgl. zur beispielgebenden Bedeutung der Berliner Universität etwa Kraus, H., Kultur, 2008, 23; Rüegg, W., Themen, 2004, hier 17 ff., Boockmann, H., Wissen, 1999, 192 ff.; Nipperdey, T. Geschichte, 1998, 471; Baumgarten, M., Professoren, 1997, 47, 60, 121. Anderson, R. D., European Universities, 2004, 151; kritisch zur teils überbetonten Bedeutung Berlins Paletschek, S., Permanente Erfindung, 2001, 534 ff.; dies., Erfindung der Humboldtschen Universität,2002; Weber, W., Geschichte, 2002, 154 ff. Vgl. Hammerstein, N., Universitätslandschaft, 2001; sowie Walter, H. G., Universität um 1800, 2001; weiterhin Bauer, J., e. a., Universität Jena, 2008, hier 109 ff. Vgl. McClelland, C., State, 1980, 36. Vgl. Ash, M. G., Mythos Humboldt, 1999; sowie Paletschek‚ S., ,Humboldt’sches Modell‘, 2001; sowie zur Rezeption des Humboldt’schen Modells außerhalb Deutschlands Schalenberg, M., Humboldt, Basel 2003. Vgl. Paletschek, S., Permanente Erfindung, 2001, 534 ff.
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sondere die Blütephase der Berliner Universität im Kaiserreich und nicht zuletzt die Inszenierung des 100jährigen Jubiläums einschließlich der monumental angelegten, von Max Lenz verfaßten vierbändigen Geschichte der Anstalt prägten ein wirkmächtiges Bild, dessen Konturen noch in der aktuellen Historiographie deutlich erkennbar sind. Das Berliner Beispiel macht wohl besonders deutlich, zu welchen Verzerrungen die Differenz zwischen Jubiläumsschrift und Alltagsarbeit im Bereich der Universitätsgeschichtsschreibung führen kann.7 Recht klar ist mittlerweile, daß die Hochschule nicht „Minerva gleich lebensgroß (…) dem Haupte des Herrschers entsprungen“ ist, wie es der Theologe Francis Greenwood Peabody als erster amerikanischer Gastprofessor in seiner Antrittsvorlesung 1905 zu rühmen wußte.8 Dennoch ist der Erfolg der Berliner Universität unverkennbar. Während sie bereits zu Beginn ihrer Geschichte mit einem den anderen großen Universitäten vergleichbaren Lehrkörper ausgestattet worden war, nahm sie schon im Laufe der 1820er Jahre sowohl hinsichtlich ihrer Studentenzahl als auch was die Größe ihres Lehrkörpers anbelangt der ersten Rang unter den deutschen Universitäten ein.9 Spätestens im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts nahm die Berliner Universität eine herausragende und kaum mehr angefochtene Stellung im deutschen Universitätssystem ein. Sie hatte also im Vergleich zu ihren Schwesteranstalten in vielerlei Hinsicht einen größeren Erfolg und konnte im Wettbewerb der Hochschulen einen Spitzenplatz erreichen. Wenn auch der Gedanke des Wettbewerbs zwischen einzelnen Organisationen im tertiären Bildungssektor im frühen 19. Jahrhundert noch nicht in dem Maße propagiert wurde wie wir es aus der heutigen Zeit kennen, so spielten Argumente gegenseitiger Konkurrenz bereits während des 18. Jahrhunderts in den Diskursen um Universitätsreformen und Neugründungen in verschiedener Hinsicht eine Rolle. Aber sieht man von der zeitgenössischen Wahrnehmung ab, so hat es, wie noch zu zeigen sein wird, aus heuristischen Gründen einen gewissen Reiz, heutige Erkenntnisse, Begriffe und Methoden aus der Wettbewerbs- und Organisationssoziologie auf die Gründungsphase der Berliner Universität zu projizieren. Treten doch dadurch Funktionsweisen und Mechanismen zutage, welche die erfolgreiche Reform der deutschen Hochschulen um 1800 und die Entwicklung des Landes zu einem weltweit führenden Wissenschaftsstandort erklären und verstehen helfen. Vor dem aufgezeichneten Hintergrund, dem Spannungsverhältnis zwischen Mythos und Wirklichkeit der Berliner Universität, ergibt sich gleich ein ganzes Bündel an Fragen, von denen für die folgenden Betrachtungen nur zwei herausgegriffen werden sollen: Wie und in welchen Punkten war die Berliner Universität im Vergleich zu ihren Schwesteranstalten wirklich innovativ – erreichte sie also Wettbewerbsvorteile –, und woher erhielt die junge Hochschule ihre wesentlichen Impulse? Die folgenden Ausführungen gliedern sich somit in drei Abschnitte. Ein 7 8 9
Hammerstein, N., Jubiläumsschrift, 1983, 601–633. Peabody, F. G., Akademische Gegenseitigkeit, 1905, 8 f. Titze, H., Wachstum, 1995, 30 ff.
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erster widmet sich grundsätzlicheren Überlegungen zum Verständnis von Universitätsgeschichte als einer Geschichte von Wettbewerbern. Der zweite Abschnitt soll sich mit der konkreten Frage nach innovativen Aspekten der Jenaer Universitätsreform in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Berliner Universitätsgründung beschäftigen, während ein dritter die Verbindungslinien zwischen beiden Hochschulen näher in den Blick nehmen wird. I. Die Soziologie sieht als Ergebnis eingehender empirischer Untersuchungen eine grundsätzliche Konvergenz bei Organisationen, die mit vergleichbarer Zielsetzung und unter ähnlichen Rahmenbedingungen auf einem gemeinsamen, abgrenzbaren und etablierten Feld agieren.10 Verantwortlich dafür ist eine Vielzahl von Einflußfaktoren. So induzieren rechtliche und politische Bedingungen ebenso analoge Organisationsstrukturen wie Professionalisierungsprozesse etwa über die gleichartige Ausbildung und Sozialisation des Personals. Daneben kommt es zu intensiver Imitation ähnlicher Einrichtungen, im wesentlichen mit der Absicht, Risiken für die eigene Organisation zu minimieren und ihren Bestand zu sichern. Dabei werden vornehmlich Einrichtungen imitiert, die als erfolgreicher oder legitimer als andere wahrgenommen werden. Das ist auch in Zusammenhängen erkennbar, bei denen ein besonderer Wert auf die Abkehr vom Alten und Hergekommenen gelegt wird, wie eben in Reformphasen und Gründungssituationen von Hochschulen. Diese sind in ihrer Eigenschaft als kompromißorientierte Abwägungsprozesse mit einer Vielzahl von beteiligten Akteuren regelmäßig Verläufe, in denen sich Imitation und Inventionen fast zwangsläufig vermischen und überlagern. „Much homogeneity in organizational structures stems from the fact that despite considerable search for diversity there is relatively little variation to be selected from.“11 Obwohl sich diese Erkenntnisse im Wesentlichen auf die Untersuchung von Organisationen im 20. Jahrhundert stützen, können sie für die nähere Betrachtung und Beurteilung historischer Zusammenhänge fruchtbar gemacht werden. Auch wenn das Modell nicht ohne empirische Absicherung auf die Zeit um 1800 übertragen werden darf, kann es doch zumindest als Forschungshypothese dienen, deren eingehende Prüfung es ermöglicht, nähere Erkenntnisse über Hochschulen und ihr wechselseitiges Verhältnis als Wettbewerber, Vorbilder oder Imitatoren zu gewinnen. Im allgemeinen agieren Hochschulen seit je in mehreren Wettbewerbssituationen. Sie konkurrieren mit gleichartigen Instituten um Studierende. Diese sieht und bezeichnet man heutzutage in etwas verengter Perspektive gerne als Kunden und versucht sich besonders an ihnen zu orientieren. Für die Bildungsangebote an die Studierenden erhielten Universitäten beziehungsweise Lehrkräfte ein im 18. 10 Di Maggio, P.J. / Powell, W., The Iron Cage, 1983. 11 Ebd., 151 f.
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und 19. Jahrhundert noch direkt an die Anstalt entrichtetes Entgelt. Die Studenten nahmen im Gegenzug regelmäßig einen allgemein anerkannten Abschluß oder zumindest Kenntnisse und Fähigkeiten mit, welche sie jenseits des Studiums in verschiedenen Zusammenhängen nutzbringend einsetzen konnten. Hochschulen konkurrieren außer um Studenten allerdings auch um Lehrkräfte. Zwischen Dozenten und Hochschulen kann man ein wechselseitiges Verhältnis von Angeboten und Nachfrage erkennen. Der Lehrende bringt etwa seine Expertise und sein Ansehen mit, während er einen Bedarf nach Anstellung und Entlohnung hat. Die Hochschule bietet letztere und nimmt gleichsam Fähigkeiten und Ansehen des Dozenten ab. Dabei steht der Dozent wiederum innerhalb seiner Fachgemeinschaft in einer Konkurrenz zu anderen Lehrkräften seiner Fachrichtung. In ihrer Eigenschaft als juristische oder soziale Einheit steht die Universität nicht nur im Wettbewerb um Studierende und Lehrkräfte. Sie konkurriert mit anderen subventionierten Institutionen um Zuwendungen der meist staatlichen Instanz, die sie trägt und finanziert. So konkurriert die Hochschule bei der staatlichen Mittelzuweisung um 1800 etwa mit der Armee, dem Gestüt oder dem Theater des jeweiligen Fürsten. Mit den Wettbewerbssituationen sind auch die wesentlichen Produkte umrissen, die eine Hochschule anbietet. Die Verwertbarkeit dieser Produkte, ihre Etablierung an einschlägigen Märkten ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg und Bestand der Organisation insgesamt. Die Gründung einer neuen Institution ist damit auch als Markteintritt, als Reaktion auf eine Nachfrage, zu verstehen. Krisen in der Nachfrage nach einzelnen Produkten führen regelmäßig zu Anpassungen auf seiten der anbietenden Organisation und somit zu einem gewissen Innovationsdruck. Innovation meint dabei nicht nur das Neue per se. Im engeren Sinne der von Joseph Schumpeter angestoßenen Innovationsforschung beschreibt Innovation die Gesamtheit eines Prozesses von der Idee über die praktische Umsetzung bis hin zur Verbreitung neuer Produkte, Verfahren oder Organisationsformen.12 Klassisch unterscheidet man dabei die drei Abschnitte der Invention, das heißt die Entwicklung neuer Ideen und Konzepte, die Innovation als Umsetzung derselben in marktfähige Produkte und Verfahren sowie die Diffusion, sprich die Verbreitung derselben. Im gesamten Prozeß wird dem Innovator, dem schöpferischen Unternehmer im Schumpeterschen Sinne, eine entscheidende Rolle zugeschrieben. Er strebt dabei an, seinem Unternehmen entscheidende Vorteile im Wettbewerb zu verschaffen. Die weite Dehnung des Innovationsbegriffs über die gesamte Trichotomie von Invention, Innovation und Diffusion ist heuristisch nicht unproblematisch. Schließt man die Verbreitung einer Neuerung hier als conditio sine qua non mit ein, ergibt sich die Gefahr eines logischen Zirkelschlusses. Produkte oder Verfahren, die zwar neu sind, sich allerdings nicht am Markt bewähren, durchsetzen und 12 Vgl. Schumpeter, J., Theorie, 1961. Zum Stand der Innovationsforschung vgl. BraunThürmann, H., Innovation, 2005; sowie Fagerberg, J., Oxford Handbook, 2008.
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verbreiten, wären somit per definitionem nicht innovativ. Aus einer anderen Perspektive betrachtet, könnte die erfolgreiche Verbreitung eines innovativen Produktes oder Verfahrens zu einer Rekonstruktion oder gar zur nachträglichen Konstruktion einer grundlegenden Idee oder eines Musterbeispiels der praktischen Umsetzung und zur Suche nach bedeutenden Innovatoren führen. Von allzu einheitlichen rechtlichen Rahmenbedingungen für Universitäten an der Schwelle vom 18. zum 19. Jahrhundert kann man aufgrund der föderalen Struktur des Alten Reiches und der landesherrlichen Trägerschaft der Hochschulen und Universitäten nicht reden. Auch die Professionalisierung des Hochschullehrerberufs und der Personalaustausch zwischen den einzelnen Hochschulen waren längst nicht so gestaltet, daß man von einer homogenen Professorenschaft in den deutschsprachigen Universitäten dieser Zeit ausgehen könnte. Der Wettbewerb um Studierende wurde durch zahlreiche, die landesherrliche Hochschule begünstigende Regelungen eingeschränkt, ebenso der Wettbewerb um Lehrkräfte und Ressourcen. Selbst wenn sich wesentliche Mechanismen gleichen, kann man von funktionierenden Märkten im modernen Sinne nur unter Einschränkungen sprechen. Dennoch gibt es gute Gründe, das Hochschulwesen als Organisationsbereich und die Hochschulen als Wettbewerber im Sinne der obigen Ausführungen zu verstehen. So agierten die Hochschulen keineswegs abgeschottet in einem abgeschlossenen lokalen oder regionalen Umfeld. Bereits im Mittelalter gehörten Gelehrte und Studierende zu den mobilsten Gruppen der Gesellschaft. Wer es sich leisten konnte, besuchte mehrere Universitäten, bevor er das Studium abschloß. Die Gewinnung von weithin bekannten Dozenten sowie vornehmen und vor allem zahlungskräftigen Studierenden ist ein immer wiederkehrender Topos im Zusammenhang mit Neugründungen und Reformen bestehender Lehranstalten. Alle Universitäten und Hochschulen agierten zudem in einem vergleichbaren staatlichen Rahmen als öffentliche Anstalten mit einer staatstragenden Funktion und in vielen Beziehungen gleichartigen Wettbewerbern. Die naturgemäß an den Universitäten gepflegte Gelehrsamkeit und Wissenschaft führte nahezu zwangsläufig zu Kommunikation über den eigenen lokalen und regionalen Zusammenhang hinaus. Im 18. Jahrhundert fand zudem eine lebendige, weit über den Dunstkreis einzelner Hochschulen hinausgehende Diskussion über Fragen der Gestaltung des höheren Bildungswesens statt. Das führt zu dem Schluß, daß es bereits vor der Entstehung des modernen deutschen Universitätssystems im 19. Jahrhundert in so mancher Hinsicht einen Wettbewerb zwischen den deutschsprachigen Hochschulen und somit auch immer wieder Innovationsdruck und Angleichungsprozesse gegeben hat, dem sich alte und eingesessene Anstalten ebenso stellen mußten wie junge und gerade erst gegründete. Vor dem Hintergrund einer bereits von den Zeitgenossen wahrgenommenen Konkurrenz und einer weitgehend gemeinsamen mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Universitätstradition liegt der Gedanke nahe, daß die Universitäten und Hochschulen um 1800 eine gewisse Homogenität aufwiesen. Mit einigem Recht kann diese Vermutung zumindest als Arbeitshypothese auch für die Neugründungen des frühen 19. Jahr-
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hunderts gelten. Und nicht zuletzt impliziert die anerkannte Subdisziplin der Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte das Bestehen eines Zusammenhanges, der über die Geschichte der einzelnen Universität hinausgeht. Folglich wird die Gründung der Berliner Universität mit einigem Recht in eine Reihe mit den Reformgründungen und Universitätsreformen des ausgehenden 17. und 18. Jahrhunderts gestellt. Die Gründungen in Halle, Göttingen und Erlangen sowie die weitreichende und erfolgreiche Universitätsreform in Jena werden jeweils als eigene Innovationsschübe in der Weiter- und Höherentwicklung der Universität betrachtet und als Grundlage für einen weiteren Schub der Erneuerung im frühen 19. Jahrhundert, dessen strahlendes Beispiel die Berliner Friedrich-Wilhelms-Hochschule geworden ist. Sie war in diesem Sinne eben nicht die voraussetzungslose Kopfgeburt einer abstrakten Gottheit, eines Fürsten oder eines Verwaltungsbeamten. Sie entstand nicht auf einer tabula rasa, sondern entfaltete ihre unbestritten innovative Wirkung auf der Grundlage der um 1800 vorhandenen Ideen, Konzepte und Vorstellungen der Organisation höherer Bildung. Nicht zuletzt kam man in Berlin kaum umhin, auf vorhandenes Personal zurückzugreifen. Kurz gesagt, auch als Neugründung mußte sich die Berliner Universität in ein bereits bestehendes höheres Bildungswesen in Preußen und Deutschland eingliedern und im Wettbewerb bestehen. Läßt man sich auf die Betrachtung der Universitäten als Innovationsagenturen ein, dann müssen freilich neben der Ebene der Gesamtorganisation auch die gleichsam darunter liegenden Ebenen der Fakultäten und kleineren Einheiten bis hin zur Professur in den Blick genommen werden. Denn zu hinterfragen sind neben der generellen Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Unternehmung auch konkrete Herangehens- und Verhaltensweisen einzelner Teile in ihren jeweils eigenen Wettbewerbssituationen. Ganz konkret konkurrieren Professoren innerhalb ihrer Fachgemeinschaft um Ressourcen, Studierende, Ansehen und in gewisser Weise auch um Marktanteile oder gar die Marktführerschaft in den jeweils für sie einschlägigen Bereichen; sie agieren hier mehr oder weniger als Unternehmer im Schumpeterschen Sinne.13 Die Summierung ihres jeweiligen Einzelerfolgs konstituiert dabei zum guten Teil auch den Gesamterfolg der universitas, selbst wenn das Ganze doch immer noch mehr ist als die Summe seiner Teile. II. Die Universität Jena war im Laufe des 18. Jahrhunderts einem zunehmenden Konkurrenzdruck von seiten der neuen Reformuniversitäten in Halle, Göttingen und Erlangen ausgesetzt.14 Die Frequenz sank, die Lehre wirkte rückständig, große Namen unter den Professoren waren selten, das Verhältnis zwischen 13 Schumpeter, J., Konjunkturzyklen, 1961, 110 ff. 14 Vgl. den Überblick bei Bauer, J., e. a., Universität Jena, 2008, 109 ff.; sowie die detaillierte Analyse der Jenaer Verhältnisse bei Bauer, J., Universität Jena, 2001, 47–62.
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Erhalterstaaten und Universität war zerrüttet. Dieser Zustand war den verantwortlichen Zeitgenossen durchaus bewußt. Impulse zur Verbesserung kamen zunächst vor allem von staatlicher Seite. Die Nutritoren der Salana bemühten sich fortan, ihre Universitätspolitik untereinander und mit den Professoren besser abzustimmen. Gemeinsam erarbeitete man in den Jahren 1766 und 1767 unter der Federführung einer Visitationskommission Reformpläne, verbesserte die Stellung der Privatdozenten, gab der Universität erstmals einen Etat und erhöhte die Entlohnung der Lehrstuhlinhaber. In den Folgejahren wurde die personelle Zusammensetzung der theologischen, der medizinischen und der philosophischen Fakultät stark verändert. Angesehene Gelehrte kamen nach Jena, junge Professoren konnten sich von hier aus einen Namen machten und eine weithin sichtbare Wirkung entfalten. Nicht wenige davon begegnen uns einige Jahre später an der Berliner Universität wieder. Maßgeblicher Veränderungen in der geschriebenen Verfassung der Salana bedurfte es für die Modernisierung der Universität nicht. Vielmehr gelang es, die Wettbewerbsfähigkeit der Hochschule im Rahmen der hergebrachten korporativen Organisation erheblich zu steigern. Das zeigt neben der Tatsache, daß für die Zeit um 1800 große Namen mit Jena verbunden werden können, auch ein spürbarer Anstieg in der Studierendenfrequenz in den 1780er Jahren.15 Darüber hinaus hatten Absolventen und Dozenten auch anderswo recht gute Perspektiven, wenn sie die Jenaer Universität verließen. Neben den oben bereits angeführten Initiativen im Zusammenhang mit der Visitationskommission während der 1760er Jahre werden als Ursachen für den Erfolg der Jenaer Universität fast durchgehend Faktoren aufgezählt, die immer wieder auch als für die Modernisierung während des 19. Jahrhunderts verantwortlich genannt werden: Neben der Aufwertung der Privatdozentur bekam auch das Extraordinariat eine neue Qualität. Die vorher oft gar nicht oder nur gering besoldeten Extraordinariate entwickelten sich zu einer auskömmlichen Lebensstellung und ermöglichten so der Universität eine regelmäßigere Ergänzung und Auffrischung des Lehrkörpers. Kluge staatliche Politik – meist mit dem Namen Johann Wolfgang von Goethe verknüpft – sorgte für zeitgemäße Kliniken, Sammlungen und wissenschaftliche Einrichtungen in direkter Nähe und Verknüpfung mit der Hochschule. Die Verfahren akademischer Weiterqualifikation und der Auswahl neuen Personals wurden rationalisiert und mehr auf Leistungskriterien hin ausgerichtet.16 Nur der genaue Blick auf die Berliner Gründungssituation zeigt, wie man hier durch die Übernahme bewährter Strukturen und Prozesse sowie weiterführende Innovationen Wettbewerbsvorteile erreichen konnte. In der doppelten Krisenphase der Universitäten und des preußischen Staates kurz nach 1800 stand Reform und Innovation im Zentrum der Diskussion um die Gründung einer neuen höheren 15 Vgl. Leich, T., Profil, 2008, 53ff. Entgegen der im Titel genannten Zeitspanne betrachtet Leich die Frequenzentwicklung der Salana bis in das frühe 19. Jahrhundert; Rasche, U., Umbrüche, 2001. 16 Rasche, U., Studien zur Habilitation, 2005, hier der einleitende Abschnitt, 131 ff.; Rasche, U., Geld, 2006.
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Lehranstalt in Berlin. Das ist sicherlich nicht zuletzt der direkten Konkurrenz geschuldet, die den alteingesessenen Universitäten mit Spezial-Hochschulen nach französischem Vorbild oder auch mit Wissenschaftsakademien erwuchs. Ohne näher auf diese Diskurse einzugehen, ist doch für diesen Zusammenhang festzuhalten, daß die lange als Monopolisten des höheren Bildungswesens agierenden Universitäten einem wachsenden Wettbewerb ausgesetzt waren. Das scheinbar mehr Erfolg und Legitimität versprechende französische Spezialschulmodell war um 1800 zugleich Maßstab und Impuls der Hochschulentwicklung in Deutschland. Beurteilt man die Berliner Universitätsgründung im Rahmen des oben skizzierten Wettbewerbsmodells, so resultierte sie weniger aus einer Reaktion auf große Nachfrage nach Studienplätzen. Mehr schon spielt es eine Rolle, daß nach den zahlreichen Universitätsschließungen um 1800 eine erkleckliche Zahl an Professoren nach neuen Anstellungen suchte. So waren es allen voran Hallenser Professoren, welche die Einrichtung einer neuen preußischen Universität als Kompensation für ihre zeitweise geschlossene und im Tilsiter Frieden an das Königreich Westphalen gefallene Hochschule betrieben. Aber auch das schiere Angebot an Lehrkräften hätte nicht derart zum Erfolg geführt, wenn nicht die preußische Regierung die Möglichkeit gesehen hätte, durch die Hochschulgründung wichtige Bedürfnisse zu befriedigen. Unter dem Eindruck der militärischen Niederlage kann die verstärkte Konzentration von Ressourcen und Aufmerksamkeit auf den Bildungsbereich als Versuch gesehen werden, den Zusammenhalt des Staats durch Zugeständnisse an bürgerliche Bevölkerungsteile zu stärken. Wie der gesamte Komplex der preußischen Reformen ist die Neuordnung des höheren Bildungswesens zumindest eine Reaktion auf den zeitgenössisch antizipierten Bedarf nach staatlicher Modernisierung und Innovation. Neben der Gründung der Berliner Universität gehören dazu auch die Zusammenlegung der Viadrina mit der Breslauer Hochschule und später die Bonner Gründung. Selbst als Halle nach dem Wiener Kongreß erneut und 1815 auch die Greifswalder Universität an Preußen gefallen war, betrieb vor allem die Staatsregierung den Ausbau des Hochschulwesens und erfüllte damit gleichsam einen eigenen Bedarf. Im Wettbewerb um staatliche Ressourcen waren die preußischen Universitäten damit wohl besser positioniert als ihre Schwesteranstalten in anderen deutschen Staaten. Ihr gemeinsamer staatlich normativer Rahmen und eine planmäßige, einheitliche und wohlmeinende Kultuspolitik unterschieden sich teils deutlich von der Lage anderer Hochschulen und ließen das preußische Hochschulwesen besonders effizient arbeiten. Das Zurückfallen der Jenaer Universität nach 1800 ist ja nicht zuletzt einem zunehmend problematischen Verhältnisses zwischen Universität und Nutritoren, einem Spannungsverhältnissen zwischen den Anforderungen und Erwartungen der Trägerstaaten sowie den wissenschaftlichen Interessen der Professoren geschuldet.17 Infolge einer wachsenden Unzufriedenheit mit der Leistung der 17 Vgl. Bauer, J., e. a., Universität Jena, 2008, 126 ff.
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Universitäten in der Ausbildung und weithin vertretenen Lehrmeinungen kam es zu ordnenden staatlichen Eingriffen in die Korporation. Die Entlassung Johann Gottlieb Fichtes ist hier der bekannteste von zahlreichen Einzelfällen. Am Beispiel Jena läßt sich damit anschaulich belegen, wie sich Erfolge und Mißerfolge in den verschiedenen für Universitäten relevanten Wettbewerbsfeldern gegenseitig beeinflußten. So führte der Verlust an staatlicher Gunst und Unterstützung nahezu zwangsläufig zu einem Attraktivitätsverlust der Salana in der Konkurrenz um angesehene Lehrkräfte und Studierende. Dabei handelte es sich vor allem um die für das Ansehen und die Bedeutung in der Universitätsgeschichte so wichtigen überregional bedeutenden Lehrkräfte und die Studierenden aus dem Ausland, also von außerhalb der Erhalterstaaten. So mag es zwar sein, daß die Salana nach den Eingriffen um 1800 den Bedarf ihrer Träger nach der Ausbildung tüchtiger und staatstreuer Beamter besser erfüllte. In den Augen anderer Abnehmer fielen die Angebote der Jenaer Universität aber in ihrem Wert. Die Gründung und auch die Reform von Universitäten sind durch ihre Eigenschaft als Abwägungsprozesse unter Einbindung vieler Akteure regelmäßig Vorgänge, in denen sich Imitation und Innovation zwangsläufig vermischen und überlagern. Das ist vor allem der Fall, wenn die Akteure regelmäßig selbst Hochschulabsolventen und dadurch mit der Funktionsweise gleichartiger Anstalten vertraut sind. In Berlin setzten sich mit der Bezeichnung Universität auch deren traditionelle organisatorische Grundlagen und ihre Terminologie durch. Dieser Prozeß geht allerdings einher mit besonderer Betonung der Reform und Innovation sowie der symbolischen Distanzierung von bestimmten universitären Traditionen.18 Bei aller Reformrhetorik und Reformsymbolik stellt sich allerdings die Frage, inwiefern eine neue höhere Bildungsanstalt sich in Organisation und Funktionsweise jenseits der verschiedenen staatlichen Rahmenbedingungen überhaupt maßgeblich von ihren Schwesteranstalten absetzten konnte. Was die Statuten und die Organisationsform der Berliner Universität angeht, ist das bislang eher verneint worden. „Die Universität Berlin unterschied sich in Organisation und Verwaltung nur geringfügig von den modernen protestantischen Universitäten des 18. Jahrhunderts.“19 Zahlreiche innovative Ansätze wie die Verleihung der Doktorgrade mit Fach- statt Fakultätsbezeichnungen und eine gleichwertige Behandlung der deutschen Sprache werden in Berlin zwar diskutiert, aber letztendlich doch nicht verwirklicht.20 Überdies steuerte Friedrich Schuckmann, der Nachfolger Wilhelm von Humboldts an der Spitze der Kultussektion des Innenministeriums, die Universität seit 1810 in wesentlich weniger idealistischer, eher pragmatischer und nutzenorientierter Weise.21
18 19 20 21
Vgl. Lenz, M., Geschichte, Band 2, Teil 2, 1910, 215. Turner, R. S., Universitäten, 1987. Vgl. Lenz, M., Geschichte, Band 1, 1910, 368. Vgl. ebd., 305 ff.
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Auch was die Zusammensetzung des Berliner Professorenkollegiums angeht, zeigt sich ein recht ernüchterndes Bild.22 Die großen Erwartungen der Zeitgenossen konnte der Berliner Lehrkörper nicht erfüllen. Das von Fichte in seinem „deduzierten Plan einer in Berlin zu errichtenden höheren Lehranstalt“23 entworfene Ideal einer nationalen Hochschule konnte nur zum Teil und auch nicht dauerhaft erreicht werden. In der Gründungsphase mußte man naturgemäß zu einem großen Teil auf auswärtige Lehrkräfte zurückgreifen. Betrachtet man die Lehrstuhlbesetzungen bis 1815, dann war rund die Hälfte der 34 neuen Berliner Ordinarien vorher als außerordentliche oder ordentliche Professoren an anderen deutschen Universitäten tätig gewesen. Der überwiegende Teil der übrigen waren Lehrkräfte anderer Berliner Institute.24 Für die Eröffnungsklientel einer Universität kamen damit vergleichsweise viele Lehrkräfte aus der neuen Universitätsstadt selbst. Insgesamt elf der neuen Berliner Professoren mußten zunächst noch promoviert werden, damit sie wenigstens die in den vorläufigen Statuten genannten Voraussetzungen für die Professur erfüllten, darunter sechs Ordinarien. Bereits in den ersten Jahren der Universität griff man bei der Besetzung der Ordinariate mit zunehmender Vorliebe auf Berliner Personal zurück. Diesmal freilich waren es eigene Privatdozenten und Extraordinarien, die mehr und mehr auswärtigen Kandidaten vorgezogen wurden, bis im Vormärz fast ausschließlich eigener oder zumindest preußischer Nachwuchs auf Berliner Professorenstellen zum Zuge kam. Nimmt man die Karriereverläufe der betreffenden Gelehrten genauer in den Blick, dann stellt man fest, daß sie sich zum großen Teil den vergleichsweise strengen preußischen Promotionsbestimmungen und den ebenso strengen Habilitationsregeln gestellt hatten, die in Berlin erstmals an zentraler Stelle in die Universitätsstatuten aufgenommen und entsprechend umgesetzt worden waren. Obwohl viele Ordinarien an der Berliner Universität selbst vom Studium über die Promotion, Habilitation und Extraordinariat aufgestiegen waren, gewannen sie regelmäßig großes Ansehen in der akademischen Welt und wurden zu Leitfiguren ihrer jeweiligen Fachgemeinschaft. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine zunehmende Verengung der Rekrutierungsbasis der Berliner Ordinarien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die landsmannschaftliche, konfessionelle und soziale Zusammensetzung des Berliner Ordinarienkollegiums glich sich nach einer recht offenen Gründungsphase tendenziell den an anderen deutschen Universitäten üblichen Verhältnissen an. Eine solche Entwicklung wird nicht nur in der Universitätsgeschichte regelmäßig als modernisierungshemmend beurteilt. In Berlin implementierte man 22 Die nachfolgend genannten Daten zur Zusammensetzung des Berliner Ordinarienkollegs, zu Leben und Karriere der betreffenden Professoren fußen auf Auswertungen einer prosopographischen Datenbank mit Daten zu allen ordentlichen Professoren der Berliner Universität zwischen 1809 und 1945, die der Verfasser im Rahmen der Arbeiten an seiner Dissertation angelegt hat. 23 Fichte, J. G., Plan, 1971. 24 Als Ordinarien für die Universität wurden Lehrkräfte der Akademie der Wissenschaften, des Collegium Medico Chirurgicum, der Kriegsakademie und der Bauakademie eingesetzt.
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allerdings gleichzeitig nicht lediglich in Statuten, Promotions- und Habilitationsbestimmungen einen Forschungsbezug, indem für die wissenschaftliche Weiterqualifikation wiederholte und innovative Forschungsleistungen vorgeschrieben wurden. Man achtete an der Spree auch recht strikt auf die Umsetzung dieser Regularien. Dementsprechend wurden insbesondere bei der Auswahl künftiger Professoren Fähigkeiten relevant und gefördert, die sehr gut mit denjenigen idealtypischer Unternehmer in der modernen Innovationstheorie vergleichbar sind. Die neue Erkenntnis wurde ganz im Sinne der Humboldtschen Wissenschaftskonzeption in der Praxis der Berliner Universität in allen Fakultäten zur Triebfeder einer permanenten Innovationstätigkeit und Innovationsfähigkeit. Dies erscheint als zentrale Neuerung in der formalen und sozialen Organisation und Funktion der neuen Hochschule und geeignet, innovationsfeindliche Tendenzen hinsichtlich der Rekrutierung der Hochschullehrer mindestens zu kompensieren. Ein glücklicher Umstand für die weitere Verbreitung des Konzepts waren die attraktive Lage der Hochschule in der preußischen Hauptstadt und der allgemeine Aufschwung, den die Studierendenfrequenz in Preußen und Deutschland nach den Befreiungskriegen nahm. Sie halfen, den Bestand der jungen Universitäten zu sichern und förderten den Ausbau des Lehrkörpers, der wiederum die Einrichtung neuer Fächer ermöglichte. Allgemein verbesserten größere Lehrkörper und Frequenzen die Chancen, arrivierte auswärtige Lehrkräfte zu gewinnen. Denn oft war man in Berlin nicht die Speerspitze einer neuen Fächerentwicklung. Aufgrund von Größe und Attraktivität konnte man eine Expansionsstrategie verfolgen, die sehr oft auf die Implementierung anderswo bereits profilierter neuer Fächer hinauslief. Die Friedrich-Wilhelms-Universität war oft nicht die erste Universität, an der ein neues Fach mit einem Ordinariat bedacht wurde. Oft genug allerdings gelang es schon nach wenigen Jahren, den Vertreter eines dieser neuen Fächer nach Berlin zu ziehen. So war es möglich, am Innovationsprozeß des neuen Faches aktiv teilzunehmen und sich auf diese Weise Ansehen und Wettbewerbsvorteile zu sichern.25 Im obenerwähnten, dreistufigen Innovationsablauf agierte die Berliner Universität somit im Bereich der Weiterentwicklung bestehender Fächer und Disziplinen nicht immer vordringlich im Bereich der Invention, der Entwicklung neuer Verfahren und Organisationsformen. Vielmehr begünstigten der rasche Zugewinn an Ansehen, Größe und damit Marktmacht im höheren Bildungswesen eine besondere Position der Berliner Universität. Wie sich die wesentlichen Akteure der Hochschulentwicklung stets an den großen und erfolgreichen Anstalten orientiert hatten, so orientierte man sich im Laufe des 19. Jahrhunderts mehr und mehr an der Friedrich-Wilhelms-Universität, die damit bei der Diffusion und Durchsetzung neuer Ideen und Vorgehensweisen ein immer größeres Gewicht erhielt.26 Eine mit den Berliner Verhältnissen vergleichbare Implementierung und Perpetuierung von Reform und Innovation ist an der Universität Jena und auch an 25 Vgl. Baumgarten, M., Professoren, 1997, 60. 26 Vgl. Bruch, R., Gründung, 2001, 66.
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den übrigen Reformuniversitäten des 18. Jahrhunderts noch nicht in dieser Konsequenz erkennbar. Sie reagierten zwar ebenso wie die Berliner Gründung auf die Reformimpulse ihrer Zeit, sie mischten Bewährtes und Neues und erlangten dadurch Spitzenpositionen im Wettbewerb um Studierende, Lehrkräfte und staatliche Zuwendungen. Aufgrund ihrer begrenzten Innovationsfähigkeit und wohl auch wegen einer trotz allem Erfolg als Wissenschaftsstandort vergleichsweise geringen Größe verblaßte ihr Glanz allerdings recht schnell im Vergleich zur Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. III. Nimmt man die Gründungsphase der Berliner Universität in den Blick, dann fällt es aufgrund der zeitgenössischen und von der späteren Historiographie übernommenen Rhetorik um Reform und Neubeginn zunächst schwer, die zahlreichen Traditionslinien und Einflüsse sichtbar zu machen, die ihre Ursprünge im hergebrachten Universitätswesen haben.27 Wichtigen Protagonisten der Berliner Universitätsgründung – Wilhelm von Humboldt und Johann Gottlieb Fichte – war die Jenaer Situation aus eigener Anschauung und Erfahrung bekannt. Der erstgenannte hatte sich von 1794 bis 1795 längere Zeit hier aufgehalten. Fichte war 1794 als Extraordinarius nach Jena berufen und, mit dem Vorwurf der Förderung des Atheismus konfrontiert, 1799 entlassen worden. Auch Henrik Steffens und Friedrich Schleiermacher, die sich wie Fichte mit eigenen programmatischen Schriften an der Diskussion um die Weiter- und Fortentwicklung der Universitäten beteiligt hatten, können leicht mit der Jenaer Universität in Verbindung gebracht werden.28 Der Norweger Steffens, der 1832 als Ordinarius an die FriedrichWilhelms-Universität zu Berlin berufen werden sollte, hatte sich von 1796 bis 1800 in Jena aufgehalten und als Adjunkt der philosophischen Fakultät gewirkt. Nach einer zweijährigen Rückkehr in seine Heimat lehrte Steffens von 1804 bis 1806 an der Universität Halle und wohnte dort nach der Plünderung der Stadt durch französische Truppen 1806 zeitweise zusammen in einer Wohnung mit Schleiermacher. Beide verband auch in den Folgejahren eine innige Freundschaft. Während Schleiermacher 1807 direkt nach Berlin ging und neben seinem Predigeramt in der Dreifaltigkeitskirche als Mitarbeiter der Kultussektion des preußischen Innenministeriums die Universitätsgründung aktiv begleitete, wurde Steffens nach Kriegsteilnahme und Rückkehr nach Halle 1811 als Ordinarius nach Breslau und 1832 in gleicher Stellung nach Berlin berufen. Auch Friedrich Schelling, der von 1798 bis 1803 in Jena lehrte, beteiligte sich mit seinen Vorlesungen
27 Einen ersten Überblick liefert Bruch, R., Gründung, 2001, insbesondere 65 ff. 28 1809 erschien Henrik Steffens Schrift „Über die Idee der Universitäten in Berlin“. Er ist ebenso wie die zeitgenössischen und thematisch verwandten Vorlesungen beziehungsweise Aufsätze von Friedrich Wilhelm Schelling, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Schleiermacher und Wilhelm von Humboldt abgedruckt in: Anrich, E., Idee, 1964.
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über die Methode des akademischen Studiums29 von 1803 am zeitgenössischen Universitäts-Reformdiskurs. Wenn auch der Einfluß der einzelnen Schriften und Akteure für die Weiterentwicklung des Universitätswesens und die Berliner Gründung beim bisherigen Forschungsstand nur schwierig zu ermessen ist, so wird doch klar, daß die Salana in diesem Zusammenhang einen ernstzunehmenden Bezugspunkt darstellt. Das ist nicht nur hinsichtlich der Diskussion um Universitäten und Universitätsreform der Fall. Mit einer personengeschichtlichen Herangehensweise auf der Ebene der ordentlichen Professoren soll für das Gründungspersonal der Berliner Universität hier ein quantitativer Überblick über personelle Verbindungslinien von Jena nach Berlin und die Einordnung der Berliner Anstalt in das Gefüge der hergebrachten Universitäten gegeben werden. Was läge näher, als bei den Berliner Ordinarien zu beginnen, die in Weimar und Jena geboren wurden? Mit Wilhelm Martin Leberecht De Wette (1780), Friedrich Gottlob Hufeland (1774) und Emil Osann (1787) erblickten drei das Licht der Welt in Weimar oder zumindest in Weimars unmittelbaren Nähe;30 mit Karl Friedrich Eichhorn ein weiterer in Jena. Das ist keine sonderlich auffällige Häufung, wenn man die recht weit verstreute Lage der übrigen Geburtsorte der Berliner Ordinarien betrachtet. Bezogen auf den Schulbesuch der Professoren verhält es sich ebenso. Während Eichhorn aufgrund der Berufung seines Vaters an die Universität Göttingen dort zur Schule ging, besuchten Wilhelm Martin Leberecht De Wette, Emil Osann, Friedrich Gottlob Hufeland sowie dessen in Langensalza (1762) zur Welt gekommener Bruder Christoph Wilhelm das Gymnasium in Weimar.31 Von den 51 bis 1825 nach Berlin berufenen Ordinarien hatten nahezu alle einen Teil ihres Studiums außerhalb Berlins absolviert. Unter den am häufigsten genannten Studienorten folgt Jena nach Göttingen und Halle auf dem dritten Rang. Die nebenstehende Tabelle gibt über die Studienorte hinaus auch einen Überblick über die wichtigsten Karrierestationen der ersten Berliner Ordinarien. Auch hinsichtlich der Promotionen rangiert Jena direkt hinter Göttingen und Halle. Bei den Privatdozenturen folgt Jena gar direkt auf Göttingen, während hinsichtlich der Extraordinariate und Ordinariate Halle und Heidelberg besonders stark vertreten sind. Der zum besseren Vergleich mit aufgeführte, hohe Anteil der Berliner Universität selbst ist in erster Linie durch die rasch nach Universitätsgründung einsetzende bevorzugte Berufung eigenen akademischen Nachwuchses verursacht.
29 Schelling, F. W. J., Vorlesungen, 1830. 30 De Wette wurde in Ulla bei Weimar geboren, wo sein Vater Pastor war. 31 Johann Gottfried Eichhorn war 1775 Professor für orientalische Sprachen in Jena geworden und folgte 1788 einem Ruf nach Göttingen.
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Tab. 1: Karrierestationen der bis 1825 berufenen Berliner Universitätsordinarien32
Jena Halle Göttingen Leipzig Erlangen Berlin Heidelberg Gesamt
Studium
Promotion
8 16 23 5 0 5 1 58/79
5 6 10 3 1 633 1 32/51
Privatdozentur 3 1 6 2 0 5 2 19/25
Extraordinariat 1 3 0 0 1 10 4 19/25
Ordinariat 3 6 0 1 2 1 5 18/36
Insgesamt fand die akademische Sozialisation der Berliner Ordinarien mit einer recht starken Konzentration auf die Reformuniversitäten in Göttingen, Halle und Jena statt. Das Fehlen von ehemaligen Göttinger Professoren im Berliner Kollegium ist wohl auf die hervorragende Position der Göttinger Universität zurückzuführen, die man als Professor kaum mehr verließ – schon gar nicht zugunsten einer mit allerlei Unsicherheiten behafteten Neugründung. Augenfällig ist zudem die recht starke Rekrutierung von Heidelberger Hochschullehrern, die sich allerdings bei genauerer Betrachtung relativiert:34 Die Professoren, die über ein Heidelberger Ordinariat später nach Berlin kamen, hatten vor ihrer Tätigkeit am Neckar überwiegend an den Reformuniversitäten in Halle, Göttingen, Jena und Erlangen studiert und waren dort meist auch schon als Dozenten tätig gewesen. Diese Beobachtung deutet auf eine relative Offenheit und ein gewisses Innovationspotential der Heidelberger Universität hin. Die große Universität in Leipzig und der gesamte süddeutsche Bereich dagegen spielten für die Berliner Anfänge eine vernachlässigenswerte Rolle. Da viele Professoren Eindrücke, Erfahrungen 32 Bis 1825 wurden 51 ordentliche Professoren an die Berliner Universität berufen. Die Tabelle beschränkt sich auf die Karrierestationen an den hier aufgeführten Universitäten. Für die 51 Professoren ließen sich dabei 79 Studienorte ermitteln. Während alle 51 zum Doktor promoviert wurden, waren offenbar nur 24 als Privatdozent und 25 als Extraordinarius tätig. Vor ihrer Berufung auf die Berliner Professur wurden die Betreffenden auf 36 ordentlichen Lehrstühlen an anderen Hochschulen tätig. Die entsprechenden Fallzahlen sind in der letzten Tabellenspalte zur besseren Orientierung aufgeführt. 33 Es handelt sich hier um die bereits obenerwähnten sechs designierten Professoren, die bei Gründung der Universität promoviert wurden, um ihre Lehrstellen antreten zu können. 34 Es handelt sich hier um Wilhelm Martin Leberecht De Wette, August Boeckh, Philipp Conrad Marheineke, Friedrich Wilken und Georg Friedrich Wilhelm Hegel. De Wette und Hegel waren vor ihrer Zeit in Heidelberg schon mehrere Jahre als Dozenten in Jena tätig gewesen. Marheineke war über das Studium in Göttingen, die Promotion und ein Extraordinariat in Erlangen nach Heidelberg gekommen. Friedrich Wilken hatte in Göttingen studiert und war dort als Privatdozent tätig, bevor er zunächst Extraordinarius, dann Ordinarius in Heidelberg wurde. August Boeckh hatte bis zur Promotion in Halle studiert und wurde danach Extraordinarius und schließlich Ordinarius in Heidelberg.
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und Verhaltensweisen von ihren bisherigen Studien- und Karrierestationen mitgebracht haben dürften, kann man bei der Konstituierung einer eigenen universitären Kultur in Berlin von starken Einflüssen aus Göttingen, Halle, Jena und Heidelberg in etwa dieser Rangfolge ausgehen. Damit ist allerdings noch nicht die Frage geklärt, welche einzelnen Traditionen die Ordinarien in Berlin bewußt übernommen oder auch bewußt nicht übernommen haben. Im Bereich des unbewußt Tradierten liegen Kontinuitäten allerdings zwangsläufig auf der Hand. Differenziert hinsichtlich der fachlichen Ausrichtung, ergeben sich eindeutige Schwerpunkte in der Philosophie und der Medizin, was das Durchgreifen und Wirksamwerden von Einflüssen der Salana an der Berliner Universität betrifft. Über die Wirksamkeit Johann Gottlieb Fichtes und Friedrich Hegels in Jena und Berlin muß an dieser Stelle wenig gesagt werden. Neben den beiden – oder gleichsam als Bindeglied zwischen ihnen – kann Karl Wilhelm Ferdinand Solger gelten. Er studierte um die Wende zum 19. Jahrhundert in Jena, wurde hier 1808 zum Dr. phil. promoviert, im Jahr darauf Privatdozent und noch im gleichen Jahr auf ein Extraordinariat an der Viadrina in Frankfurt an der Oder berufen. 1811 wechselt er gerade 31jährig auf ein Berliner Ordinariat und vertrat hier fortan die Philosophie neben dem achtzehn Jahre älteren Fichte, der schon 1814 verstarb. Nach Max Lenz’ Urteil füllte Solger „das Interregnum zwischen Fichte und Hegel.“35 Vor allem aber betrieb er die Berufung Hegels und sicherte so auch die Kontinuität einer Philosophie Jenaer Prägung an der Berliner Universität, die mit der Berufung des oben bereits erwähnten Henrik Steffens als Nachfolger des 1819 verstorbenen Solger im Jahr 1832 eine weitere Stärkung erhielt. Auf den Lehrstuhl Hegels folgte dann 1835 mit Georg Andreas Gabler ein weiterer, grundlegend in Jena geprägter Vertreter der Philosophie. Er hatte 1804 bis 1807 in Jena studiert, war nach der Promotion in Altdorf im selben Jahr zunächst Hauslehrer bei der Familie Schiller, dann bis zu seinem Ruf nach Berlin Lehrer an den Gymnasien in Ansbach und Bayreuth. Im Zusammenhang mit der für das frühe 19. Jahrhundert zu Recht als Leitdisziplin geltenden Philosophie kann man auch Wilhelm Martin Leberecht De Wette betrachten, der einen betont aufgeklärten und kritisch-rationalistischen Ansatz in der Theologie verfolgte – vor allem geprägt durch seine Jenaer Lehrer Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, Johann Philipp Gabler und Johann Jakob Griesbach.36 In Jena hatte er seine Studien 1799 aufgenommen und war schließlich bis zum Privatdozenten aufgestiegen. 1807 war De Wette dann zunächst als Extraordinarius nach Heidelberg berufen, zwei Jahre später zum Ordinarius befördert und kurz darauf nach Berlin geholt worden. Als enger Freund Friedrich Schleiermachers prägte er neben diesem, August Neander und Conrad Philipp Marheineke nicht unwesentlich die ersten Jahre der Berliner theologischen Fakultät. De Wette stand dabei teilweise in offenem Widerstreit mit pietistischen Kreisen in der preußischen Hauptstadt. Gegen den Protest seiner Fakultätskollegen wurde De Wette 35 Lenz, M., Geschichte, Band 1, 1910, 396. 36 Zur Bedeutung der drei Jenaer Professoren vgl. Bauer, J., e. a., Universität, 2008, 125 ff.
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dann auf Befehl des Königs in Berlin entlassen, weil er einen Trostbrief an Karl Ludwig Sands Mutter geschrieben hatte. Allerdings brachte die Relegation De Wettes wissenschaftlicher Karriere keinen Abbruch: Nach dem Rückzug in seine Heimatstadt Weimar wurde der Theologe 1822 an die Universität in Basel berufen und entfaltete hier eine erhebliche Wirksamkeit bis nahe an seinen Tod 1849. Der zweite große Schwerpunkt direkter oder mittelbarer Jenaer Einflüsse sind die medizinischen Disziplinen. Allen voran ist in diesem Zusammenhang Christoph Wilhelm Hufeland anzuführen, der seit 1783 in Jena vor allem bei Justus Christian Loder Medizin studiert hatte.37 Nach der Promotion in Göttingen stieg er als praktischer Arzt in die Praxis seines Vaters Johann Friedrich in Weimar ein, wurde 1793 Professor an der Jenaer Universität und 1796 Hofrat und Leibmedicus, später Hofmedicus in Weimar. Zu seinen Patienten gehörten hier neben der herzoglichen Familie eine Reihe von Protagonisten des öffentlichen und Geisteslebens, wie Goethe, Schiller oder Wieland. Nachdem Hufeland 1800 Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften geworden war, ging er im Jahr darauf nach Berlin, um hier als Leibarzt der königlichen Familie, Professor am Collegium Medico Chirurgicum sowie Erster Arzt und Direktor der Charité zu werden. Bei Gründung der Universität wurde Hufeland der bestimmende Kopf der Medizinischen Fakultät. Sein Einfluß wird unter anderem in der Berufung seines wissenschaftlich wenig herausragenden Bruders Friedrich Gottlob auf ein Extraordinariat im Jahr 1812 deutlich. Dieser hatte seit 1797 in Jena studiert und war hier 1811 Privatdozent geworden. 1826 konnte er dann in Berlin noch vom außerordentlichen zum ordentlichen Professor der Medizin aufsteigen. Im gleichen Jahr wurde der ebenfalls familiär mit Hufeland verbundene Emil Osann Ordinarius für Heilmittellehre. Auch er hatte in Jena Medizin studiert, wechselte jedoch im Anschluß an die Promotion als praktischer Arzt nach Berlin, wo er 1814 Extraordinarius am Collegium Medico Chirurgicum, 1815 Privatdozent und 1818 Extraordinarius an der Universität wurde. Osanns Mutter war eine Schwester der Brüder Hufeland. Zudem heiratete Emil Osann Christoph Wilhelm Hufelands Tochter Julie. Emil Osann, der als Begründer der Balneologie gilt, wurde 1833 schließlich Nachfolger seines Schwiegervaters als Direktor des poliklinischen Instituts. Im Bereich der medizinischen Disziplinen sind hier weiterhin der Botaniker Karl Asmund Rudolphi und der Zoologe Martin Heinrich Karl Lichtenstein zu nennen. Beide hatten unter anderem in Jena Medizin studiert. Lichtenstein wurde 1811 Ordinarius für Zoologie in Berlin, 1813 Direktor des Museums für Naturkunde und betrieb die Gründung des Berliner Zoos, dessen erster Direktor er wurde. Rudolphi war schon 1810 Ordinarius für Anatomische Botanik und Zoologie in der medizinischen Fakultät der Berliner Universität geworden. Neben den beiden Schwerpunktbereichen in der Philosophie und der Medizin führte lediglich die akademische Karriere des Zivilrechtlers Johann Chri37 Zu Loder vgl. Kublik, S. / Westphalen, G. von, Loder, 2003; sowie Kublik, S ., Loder, 2004. Zu Hufelands Bedeutung für die Jenaer und Berliner Universitätsgeschichte vgl. den Beitrag von Frank Lindner und Günther Hufeland im selben Band.
Reform, Innovation, Wettbewerb – Die Universitäten in Jena und Berlin um 1800
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stian Hasse über ein Ordinariat an der Salana an die Berliner Universität. Er hatte nach Studium, Promotion und Privatdozentur in Kiel von 1811 bis 1813 in Jena gelehrt, war dann an die Universität in Königsberg gegangen, von wo er 1818 nach Berlin berufen wurde. Über die reinen Karrierestationen der Berliner Ordinarien hinaus weisen auch deren Verwandtschaftsverhältnisse vielfältige Verbindungen nach Jena auf. Bezogen auf die Zeit um 1800 finden sich etwa gleich viele Jenaer, Hallenser und Göttinger Professoren und Dozenten unter den Vätern, Brüdern, Onkeln, Schwiegervätern, Söhnen und Schwiegersöhnen der Berliner Ordinarien. So war Karl Friedrich Eichhorns Schwiegervater Christoph Gottlob Heinrich von 1782 bis zu seinem Tod 1810 Ordinarius für Geschichte in Jena. Zwei Brüder Emil Osanns, der Philologe und Archäologe Friedrich Gotthilf und der Chemiker und Physiker Gottfried Wilhelm, studierten und dozierten um 1820 in Jena. 1821 heiratete der seit 1812 als Extraordinarius an der Salana angestellte Dietrich Georg Kieser eine Tochter Johann Christian Reils.38 Und der 1835 als Nachfolger Hegels berufene Georg Andreas Gabler war der Sohn des Jenaer Theologen Johann Philipp Gabler.39 Die mit einigen Beispielen angedeuteten Verwandtschaftsbeziehungen sind für sich genommen noch kein Beleg für wirkliche Kontinuitäten und Verbindungslinien von Jena nach Berlin. Sie deuten dennoch einmal mehr auf die überregionalen Beziehungsgeflechte zwischen den deutschen Universitäten um 1800 und eine eingehende soziale, organisatorische und wissenschaftliche Vernetzung der Berliner Universität vor allem mit ihren norddeutschen Schwesteranstalten hin. Damit ergibt sich für die frühen Jahre der Berliner Universität der empirische Befund einer sehr weitgehenden organisatorischen, sozialen und wissenschaftlichen Kontinuität gegenüber den hergebrachten deutschen Universitäten – vor allem den norddeutschen Reformuniversitäten. Für den Erfolg der Berliner Gründung war nicht zuletzt ein Grundstock an innovativem und qualitätsbewußtem sowie gut vernetztem Personal notwendig, das recht konsequent von den seinerzeit herausragenden Reform-Universitäten in Göttingen, Halle und Jena rekrutiert wurde. Daneben gelang es in Berlin, die Idee fortwährender Innovation sowohl in die Organisation und Funktionsweise der Universität als auch in den Bereichen Ausbildung und Personalgewinnung derart zu implementieren, daß die Universität im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts eine gleichsam marktbeherrschende Stellung im preußischen und deutschen Universitätssystem einnehmen konnte. Hält man sich den damit einhergehenden gesellschaftlichen und internationalen Erfolg vor Augen, dann profitierten vom derart forcierten Wettbewerb und der derart forcierten Innovationsfähigkeit auf dem Feld des deutschen beziehungsweise deutschsprachigen Hochschulwesens nicht zuletzt auch die kleineren deutschen Universitäten, wie eben auch die in Jena.
38 Vgl. Wagner, C., Dietrich Georg von Kieser, 2004. 39 Er war von 1804 bis 1826 in Jena ordentlicher Professor der Theologie.
Zum akademischen Leben an der Medizinischen Fakultät der Universität Jena um 1800 Steffen Kublik / Susanne Zimmermann 1. Einleitung Als der Berliner Oberkonsistorialrat Friedrich Gedike (1754–1803) nach seiner 1789 im Auftrag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. (1744–1797) unternommenen Reise durch die deutsche Hochschullandschaft die Universität Jena porträtierte, zeigte er sich von der „sehr gut besetzt[en]“ Medizinischen Fakultät beeindruckt.1 Besonders imponiert hatte ihm Loder, der die Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe vertrat. Dieser Professor wisse seine Zuhörer in ununterbrochener Aufmerksamkeit zu erhalten. Er sei einer von jenen Dozenten, deren Vortrag ihn am meisten befriedigt und interessiert habe. Der „berühmte Hofrath Gruner“ referiere zwar nicht lebhaft genug, dafür sei seine Darstellungsweise aber sehr gründlich. Gehört habe er auch den Hofrat Stark, dessen Methode, angehende Ärzte in die Krankenbehandlung einzuführen, viel didaktisches Geschick beweise.2 Ferner hielt Gedike fest, wie reichlich das Jenaer „Anatomische Theater“ mit „Cadavern versorgt“ werde und wie gut das der Mediziner- und Hebammenausbildung zugleich dienende Entbindungsinstitut eingerichtet sei.3 Aus der Perspektive des Studenten beschrieb hingegen der spätere Jurist und politische Publizist Andreas Georg Friedrich Rebmann (1768–1824), der an der von den Zeitgenossen „Salana“ genannten Universität von 1787 bis 1789 immatrikuliert war, auch die wichtigsten Vertreter der Medizinischen Fakultät. Wie Gedike sprach er voller Respekt von der Gelehrsamkeit Gruners, strich Loders Verdienste um das Studium der Anatomie und Physiologie in Jena heraus und würdigte Starks Fähigkeiten als klinischer Lehrer. Darüber hinaus betonte er, daß der vor allem Chemie und Materia medica4 vermittelnde Professor Nicolai trotz seines hohen Alters noch immer alle „neuern chemischen Schriften“ benutze.5 War es also im Wesentlichen den Lehrkräften zu verdanken, daß sich die Medizinische Fakultät der „Salana“ Ende des 18. Jahrhunderts zu einem Studentenmagneten entwickelte? Die Medizinprofessoren selbst zweifelten nicht daran. Nicht nur in Jena, sondern überall im In- und Ausland seien die „Verdienste, wel1 2 3 4 5
Fester, R., Universitäts-Bereiser, 1905, 78. Ebd., 82 f. Ebd., 80. Das Entbindungsinstitut wurde von den Zeitgenossen auch „Gebärinstitut“, „Gebärhaus“, „Entbindungsanstalt“, meist aber „Accouchierhaus“ genannt. Mit diesem Begriff wurde von den Zeitgenossen die Arzneimittellehre bezeichnet. Rebmann, A. G. F., Jena ,1994, 58 f.
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che die gegenwärtigen Mitglieder unserer Fakultät sich um die Aufnahme der letzteren gemacht haben, (…) notorisch und allgemein anerkannt“, schrieb Loder 1795 in einem den Zuwachs der Fakultätseinkünfte begründenden Brief an den Prorektor.6 Die Zahl der in Jena studierenden Mediziner sei „dermalen bey weitem größer als auf irgend einer anderen Universität in ganz Deutschland.“ Daß diese Aussage den Tatsachen entsprach, haben spätere Untersuchungen bestätigt. 1953 hat Leutenberger gezeigt, welchen bemerkenswerten Zuwachs an Immatrikulationen die Jenaer Medizinische Fakultät in den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts zu verzeichnen hatte: Während 1781 an der „Salana“ nur 37 angehende Mediziner studierten, waren es 16 Jahre später 243.7 Jedoch erst vor einigen Jahren sind diese Angaben systematisch mit den für andere deutsche Hochschulen erhobenen Daten verglichen worden. In einer Studie von 2001 stellt Ulrich Rasche fest, daß während der 1780er Jahre die Jenaer Fakultät mit insgesamt etwa 280 Immatrikulationen gemeinsam mit der von Freiburg den dritten Platz unter den Medizinischen Fakultäten in Deutschland belegte. Durch die Steigerung der Immatrikulationen in den 1790er Jahren auf 880 konnte sie sogar vorübergehend den Medizinischen Fakultäten in Halle und Göttingen den Rang ablaufen, wo zur gleichen Zeit 520 bzw. 491 Medizinstudenten eingeschrieben waren.8 Auch wurden, so Rasche, in Jena in dieser Dekade mit Abstand mehr Mediziner (272) promoviert als an jeder anderen Universität im Reich. Der Anziehungskraft der Jenaer Medizinischen Fakultät war es also ganz wesentlich geschuldet, daß die „Salana“ im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts neben der Universität Göttingen zur bestbesuchten deutschen Hochschule avancieren konnte.9 Alle Ursachen dieser Entwicklung zu benennen ist schwierig, da einerseits nur wenige Quellen überliefert sind, aus denen eindeutige Antworten gewonnen werden können. Andererseits liegen kaum umfangreiche Vergleichsdaten über konkurrierende Medizinische Fakultäten vor. Unbestreitbar trug das Lehrangebot, vor allem die Institutionalisierung der Ausbildung am Krankenbett wie auch das didaktische Vermögen der Hochschullehrer, aber auch deren persönliche Ausstrahlung wesentlich zum Aufschwung der Jenaer Fakultät in den 1780er und 1790er Jahren bei. Eine eingehende Betrachtung des Lehrangebotes ermöglicht Aussagen darüber, was den Studenten durch welche Hochschullehrer an fachlicher Bildung angeboten wurde und inwieweit sich die Medizinerausbildung in jener Zeit, in der die Jenaer Medizinische Fakultät in ihrem „Zenith“ stand10, änderte. Die genauen Inhalte der Lehrveranstaltungen sind hingegen nicht bekannt. Wie aktuell das vermittelte Wissen war, könnte durch genaue Analysen der den Vorlesungen zugrunde liegenden Lehrbücher und der entsprechenden Veröffentlichungen der Dozenten ermittelt werden. Eine solche – sehr anspruchsvolle – Untersuchung steht 6 7 8 9 10
J. C. Loder, Bericht vom 8.9. 1795, in: UAJ, L 2, Bl. 203–204. Leutenberger, H., Untersuchungen, 1953. Rasche, U., Umbrüche, 2001, 112. Ebd., 97. Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 325.
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jedoch noch aus. Quantitative Aussagen sind auf der Basis der bisher erschlossenen Quellen hingegen möglich. Die Jena-Historiographie hat bisher jedoch nur wenige Male versucht, valide Daten über den an der Medizinischen Fakultät vor 200 Jahren üblichen Lehrbetrieb zu erheben. So hat beispielsweise Katja Regenspurger 2008 das Lehrprofil der in diesen fünf Jahrzehnten an der Jenaer Universität beschäftigten Medizindozenten untersucht. Ihr gelang es zu zeigen, inwieweit das Lehrangebot die im Untersuchungszeitraum allmählich beginnende Spezialisierung in der Medizin widerspiegelt und welche Bedeutung der „Salana“ bei der Durchsetzung des Unterrichts am Krankenbett zukommt.11 Ebenfalls 2008 haben Susanne Zimmermann und Horst Neuper ihrer der Jenaer Medizinischen Fakultät von 1770 bis 1820 gewidmeten Publikation eine die Entwicklung des einschlägigen Lehrangebots behandelnde Einleitung vorangestellt.12 Entsprechend dem propädeutischen Zweck, den diese Ausführungen erfüllen sollten, liefern sie allerdings keine detaillierte Analyse. In der vorliegenden Studie werden diese bereits vorhandenen Resultate unter Einbeziehung neuester Forschungen präzisiert, um Veränderungen im Lehrbetrieb und beim Lehrpersonal aufzeigen zu können. Dabei wird auch untersucht, ob personelle Verluste wie beispielsweise das Ausscheiden der Professoren Justus Christian Loder (1753–1832) und Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) aus dem Lehrkörper der „Salana“ sowie der Tod Ernst Anton Nicolais (1722–1802) in den Jahren nach 1800 deutliche Spuren im Lehrangebot hinterlassen haben und somit für den nun zu verzeichnenden Frequenzrückgang an der Jenaer Medizinischen Fakultät mit verantwortlich zu machen sind. In Anbetracht der Tatsache, daß auch das Profil der Lehrkräfte von großer Bedeutung für den Charakter einer akademischen Einrichtung ist, wird dieser Gegenstand einen weiteren Schwerpunkt der vorliegenden Studie bilden. Die prominentesten der im Untersuchungszeitraum an der Jenaer Medizinischen Fakultät lehrenden Dozenten werden vorgestellt; anhand ihrer Schriften wird zu zeigen versucht, welche wissenschaftlichen Positionen sie vertreten haben. Die sich daran anschließenden Ausführungen zu den zwischen ihnen ausgetragenen Konflikten fügen dem von der Fakultät gezeichneten Bild weitere Facetten hinzu. 2. Der Lehrbetrieb Anhand überlieferter Vorlesungsankündigungen läßt sich für die Zeit zwischen 1770 und 1820 ein recht aussagekräftiges Bild vom Lehrbetrieb an der Jenaer Medizinischen Fakultät zeichnen.13 Die geplanten Lehrveranstaltungen wurden vor Semesterbeginn durch die Universitätsleitung in gedruckter Form, geordnet 11 Regenspurger, K., Methodus medendi, 2008, 89–116. 12 Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 8–18. 13 Rasche, U., Jenaer Vorlesungsverzeichnisse, 2008, 13–57.
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nach Fakultäten und dem akademischen Rang der Hochschullehrer, in lateinischer Sprache bekannt gegeben. Zudem wurde unmittelbar zu Semesterbeginn u. a. in der „Jenaischen Zeitung“ und im „Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung“ ein aktualisiertes Programm der an der „Salana“ vorgesehenen Lehrveranstaltungen veröffentlicht. Dies geschah in deutscher Sprache und mitunter in einer etwas anderen Zuordnung als in den bereits gedruckt vorliegenden lateinischen Verzeichnissen. Die Listung erfolgte nicht mehr ausschließlich nach Fakultäten und akademischem Status der Hochschullehrer, sondern auch nach fachlichen Kriterien. So wurden einzelne Lehrveranstaltungen der Chemiker Johann Friedrich August Göttling (1755–1809), Johann Wolfgang Döbereiner (1780–1849), Carl Christoph Friedemann Traugott Göbel (1794–1851) und Alexander Nicolaus Scherer (1771–1824) ebenso wie solche des Mathematikprofessors Lorenz Daniel Succow (1722–1801) der „Arzneygelahrtheit“ zugeordnet, obwohl diese Dozenten Angehörige der Philosophischen Fakultät waren. Ebenso wurden ausgewählte Lehrveranstaltungen der Naturwissenschaftler August Johann Georg Karl Batsch (1761–1802) und Lorenz Oken (1779–1851), nachdem sie 1793 bzw. 1812 als Professoren nicht mehr der Medizinischen, sondern der Philosophischen Fakultät angehörten, unter der Rubrik „Arzneygelahrtheit“ aufgeführt. Diese redaktionelle Zuordnung ist nachvollziehbar, da es sich um Veranstaltungen handelte, die für die ärztliche Ausbildung als notwendig erachtet wurden. Insgesamt lassen sich für den Zeitraum 1770 bis 1820 insgesamt 54 solcher „importierter“ Lehrveranstaltungen von sieben Hochschullehrern, die nicht Angehörige der Medizinischen Fakultät waren, nachweisen.14 Den überwiegenden Anteil des Lehrprogramms gestalteten die Hochschullehrer, die zur Medizinischen Fakultät gehörten. Zwischen 1770 und 1820 kündigten 50 Professoren, Privatdozenten und Doktoren dieser Fakultät fast 3400 Veranstaltungen an. Nicht mehr nachvollziehbar ist, ob alle diese geplanten Kollegien auch tatsächlich stattfanden und ob weitere hinzukamen, die nicht im Druck ausgewiesen, sondern nur am „Schwarzen Brett“ angekündigt worden waren. Einige wurden nachweislich nicht oder nur teilweise gehalten, da einige Hochschullehrer, wie Dr. August Eduard Kessler (1784–1806), Prof. Franz Heinrich Martens (1778–1805) und Prof. Christian Gottfried Gruner kurz vor Beginn bzw. während eines laufenden Semesters starben. Dr. Andreas Johannes Croneberg (geb. 1787) hat zwar Vorlesungen für das Wintersemester 1812/13 und das Sommersemester 1813 angekündigt, kann sie jedoch nicht abgehalten haben. Denn er befand sich, vom Weimarer Großherzog Carl August (1757–1828) finanziell unterstützt, zur Weiterbildung am Berliner Veterinärinstitut.15 Trotz anderslautender Versicherungen kehrte Croneberg nicht nach Jena zurück.16 14 Vgl. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, passim. 15 Schreiben Cronebergs an Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach v. 20.06. 1812, ThHStAW, A 6350. 16 Schreiben Cronebergs an Carl August Sachsen-Weimar-Eisenach v. 01.09. 1812 sowie Schreiben Cronebergs an den Geheimrat Christian Gottlob Voigt v. 26.01. 1813, ThHStAW, A 6350.
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Es gibt andererseits keine Hinweise darauf, inwieweit die Studenten die Lehrangebote wahrnahmen und welche Veranstaltungen wegen mangelnden Interesses gar nicht erst zustande kamen. Die für den Untersuchungszeitraum insgesamt 3383 nachweisbaren, in deutsch geschriebenen Ankündigungen von Lehrveranstaltungen der an der Medizinischen Fakultät akkreditierten Hochschullehrer – zuzüglich der von Angehörigen der Philosophischen Fakultät offerierten 54 Lehrangebote – sind dennoch ein eindrucksvolles Spiegelbild der Ärzteausbildung an der „Salana“. Federführend in der Lehre waren „nach uraltem Herkommen“17 jene die eigentliche Fakultät bildenden, den Dekan und auch den (Pro-)Rektor der Universität stellenden drei Nominalprofessoren. Über diese berichtete 1801 der bereits mehrfach erwähnte Loder: „(...) der eine heißt Professor Chemiae et Praxeos, der andere Botanices et Theoriae, der dritte Anatomes et Chirurgiae.18 Früher hatten diese Nominal-Professoren einen bestimmten Rang in der Fakultät, so daß also jeder Facultist, welcher die erledigte Stelle des ihm vorsitzenden Mitgliedes einnehmen und endlich Senior werden wollte, seine Nominal-Professur ablegen und die höhere annehmen mußte.“19
Letztlich bedeutete das Aufrücken in eine höhere und besser dotierte Nominalprofessur, daß sich das Lehrprofil entsprechend der neuen Professur ändern mußte. Diese, so Loder, „der Wißenschaft höchst nachtheilige, Einrichtung ist in Jena ganz abgeschafft worden, und es kann gegenwärtig jeder in der Facultät hinauf rücken, auch endlich Senior werden, ohne seine Nominal-Professur mit einer anderen zu vertauschen“.20 Die drei Nominalprofessoren verstanden sich als die eigentliche Fakultät. Sie waren vollberechtigte Glieder der Jenaer akademischen Körperschaft, hatten also Anspruch auf ein aus dem Universitätsbudget zu zahlendes festes Gehalt und beteiligten sich als Assessoren des akademischen Senats an der administrativen Selbstverwaltung der Universität.21 Um 1800 gehörten neben diesen drei Nominalprofessoren die „Supernumerarii“22, die „Extraordinarii“ – also die außerordentlichen Professoren –, die Privatdozenten und in Ausnahmefällen auch nur „einfache“ Doctores dem Lehrkörper der Medizinischen Fakultät 17 Bericht Loders Über den Zustand der Überlieferung der Verfassung der Medizinischen Fakultät, in: ThHStAW, A 5589a, Bl. 67r–80v. Loder bietet in diesem Aufsatz einen vollständigen Überblick über die Fakultätsverhältnisse und die Stellung der Fakultät innerhalb der Universität Jena. 18 Mit der Professur für Botanik war zugleich die Aufsicht über den älteren Botanischen Garten (Hortus medicus) verbunden. Dem Prof. der Anatomie oblag die Verwaltung des „Anatomischen Theaters“, eines in einem Turm der Jenaer Stadtmauer befindlichen Anatomiehörsaals, der wegen seiner konzentrisch angeordneten Zuschauerplätze so genannt wurde. 19 Bericht Loders Über den Zustand der Überlieferung der Verfassung der Medizinischen Fakultät, in: ThHStAW, A 5589a, Bl. 67r–80v. 20 Ebd. 21 Müller, G., Regieren, 2006, 40–42. 22 Supernumerarii waren ordentliche Professoren, die jedoch nicht Dekan bzw. Rektor (Prorektor) werden konnten. Für sie bestand die Option, auf eine freigewordene Nominalprofessur aufzusteigen.
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an. Grundsätzlich waren die Supernumerarii und Extraordinarii keiner Beschränkung hinsichtlich der Thematik ihrer Lehrveranstaltungen unterworfen. Für die Privatdozenten gestaltete sich die Wahl der von ihnen zu erörternden Themen mitunter schwieriger. Sie durften letztlich nicht ohne Einverständnis der Nominalprofessoren Fachgebiete bearbeiten, die deren Domäne waren. Gelegentlich kam es in diesem Zusammenhang auch zu Irritationen und Streitigkeiten, so daß Loder 1801 vorschlug: „Jedem Dozenten soll freistehen, das beliebige medizinische Privatkolleg zu lesen, aber jeder Nominalprofessor sollte für die Kollegien, die im strengen Sinne zu seiner Professur gehören, ein halbes Jahr ausschließlich haben, im darauffolgenden Semester aber sollte jeder NichtNominalprofessor eben dieses Kolleg lesen dürfen.“23 Zumindest um 1800 galt die „Observanz, daß jeder der Privatdozent werden will, gleichgültig, ob er schon promoviert ist oder nicht, eine Dissertation pro facultate legendi nach vorangegangener Zensur seitens des Dekans drucken läßt und diese öffentlich verteidigt, wobei er sich die Opponenten selbst wählt. Will jemand vorher Erlaubnis zu lesen haben, muß er die Fakultät darum bitten.“ 24
Letzteres ist beispielsweise für Christian Wilhelm Schmid (1783–1807) nachweisbar. Ohne bereits die Facultas legendi erworben zu haben, bat er 1803 die Fakultät erfolgreich, lesen zu dürfen.25 Die Zahl der Lehrkräfte veränderte sich zwischen 1770 und 1780 nur wenig. So offerierten im Sommersemester 1770 neben den obligatorischen drei Nominalprofessoren drei weitere Dozenten 27 Lehrveranstaltungen. Bis zum Wintersemester 1780 schwankte die Anzahl der Vorlesenden meist zwischen fünf und sieben, im Sommersemester 1777 sank sie auf ein Minimum von vier Vortragenden. Nach 1780 stieg deren Anzahl langsam an. Im Sommersemester 1798 erreichte die Zahl der Dozenten ein bis 1820 nie wieder erreichtes Maximum von 15. Der Zenit der Immatrikulationen, der 1797 mit 243 erreicht worden war, war zu diesem Zeitpunkt jedoch bereits überschritten. Parallel zu weiter fallenden Studentenzahlen verminderte sich nach dem Sommersemester 1798 auch die Zahl der Lehrkräfte, um sich bis zum Sommersemester 1806 bei zehn oder elf einzupendeln. Im Wintersemester 1803 waren an der Fakultät nur acht Dozenten tätig, jedoch erhöhte sich deren Zahl bereits zum Sommersemester 1804 auf elf. In der Zeit zwischen Wintersemester 1806 und Sommersemester 1812 reduzierte sich das Lehrpersonal erneut leicht. Nun gehörten nur noch sieben bis neun Lehrkräfte der Medizinischen Fakultät an. In den nachfolgenden Jahren beteiligten sich mit leichten Schwankungen zehn bis elf Dozenten an der Lehre. Insgesamt zeigt sich, daß in der Zeit von 1800 bis 1806 die Personalfluktuation am größten war. Während dieser sechs Jahre verlor die Fakultät insgesamt 19 Hochschullehrer. Fünf von ihnen starben und 14, wie etwa Hufeland, Loder, Karl Gustav Himly (1772–1837) und Christian Ernst Fischer (1772–1850), verließen Jena, um anderweitig tätig zu werden, bzw. beteiligten sich, wie beispielsweise der Chirurg Dr. Johann Gottlob 23 Bericht Loders „Über den Zustand der Überlieferung der Verfassung der Medizinischen Fakultät“, in: ThHStAW, A 5589a, Bl. 67r–80v. 24 Ebd. 25 Schreiben Schmids v. 26.08. 1803 an die Medizinische Fakultät, in: UAJ, L, Nr. 5, Bl. 62–63.
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Bernstein (1747–1835), nicht regelmäßig am Lehrbetrieb. Diesen herben Verlusten stand der Zuzug von nur 15 neuen Lehrkräften gegenüber, was sich auch recht deutlich im Rückgang der angebotenen Lehrveranstaltungen niederschlug. Erst nach 1810 erreichte der Umfang des Lehrkörpers und der des – quantitativen – Lehrangebots wieder das Niveau von Mitte der 1780er Jahre.26 Für die Zeit ab Sommersemester 1781 ist neben einer vorerst minimalen Erweiterung des Lehrkörpers eine Steigerung der angekündigten Lehrveranstaltungen nachweisbar.
317
1816-1820
305
1811-1815
312
Zeitabschnitt
1806-1810
348
1801-1805
433
1796-1800 411
1791-1795 354
1786-1790 316
1781-1785
1776-1780
266
1771-1775
264
0
100
200
300
Anzahl 400
500
Diagramm: Zwischen Sommersemester 1771 und Wintersemester 1820 an der Medizinischen Fakultät Jena angekündigte Lehrveranstaltungen.
Wurden seit 1770 bis 1780 pro Semester durchschnittlich 27 Lehrveranstaltungen angekündigt, so betrug deren Anzahl nach 1781 bzw. 1785 durchschnittlich 31, um sich zwischen 1796 und 1800 auf durchschnittlich 41 bzw. 43 Lehrveranstaltungen pro Semester zu erhöhen. Bereits nach dem Wintersemester 1800 nahm die Zahl der Lehrveranstaltungen leicht ab; sie fiel auf ein Minimum von 27 im Wintersemester 1803. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet von einem schwankenden Angebot von 22 bis 39 Vorlesungen pro Semester;27 durchschnittlich wurden 30 Kollegien pro Semester angeboten. Es ist festzustellen, daß einschneidende personelle Veränderungen, wie das Ausscheiden Hufelands und sogar das des renommierten Loder aus dem Jenaer Lehrkörper, sich nicht längerfristig im Vorlesungsangebot niederschlugen. Als Hufeland 1801 Jena verließ, kam es zumindest vorerst zu keiner größeren Verminderung des Lehrangebots. Es reduzierte sich im Vergleich zum Wintersemester 1800/01 nur um zwei Veranstaltungen. Größer hingegen war, bedingt durch 26 Vgl. Regenspurger, K., Methodus medendi, 2008, 91 u. 118–121. 27 Im Wintersemester 1815/16 wurden nur 22 Lehrveranstaltungen angeboten.
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den Tod Ernst Anton Nicolais und Friedrich Ferdinand Bretschneiders (1758– 1802), der Rückgang von Lektionen im Wintersemester 1802. In diesem Semester wurden nur noch 32 Lehrveranstaltungen angekündigt, während es im vorangegangenen Sommersemester noch 45 waren. Im Wintersemester 1803, nachdem außer Loder auch Himly und der Privatdozent Konrad Joseph Kilian Jena verlassen hatten, verminderte sich die Zahl der Ankündigungen deutlich. Es wurden, wie bereits erwähnt, nur noch 27 Veranstaltungen offeriert. Für das sich anschließende Sommersemester 1804 lassen sich jedoch bereits wieder 37 nachweisen. Diese quantitativen Veränderungen gestatten natürlich keine Rückschlüsse auf qualitative Verschiebungen. Daß diese personell bedingten Diskontinuitäten Medizinstudenten nach 1800 abgehalten haben könnten, sich in Jena zu immatrikulieren, ist nicht belegbar, aber auch nicht auszuschließen. Neben Veränderungen beim Lehrpersonal und im quantitativen Lehrangebot sind für den zu betrachtenden Zeitraum auch Änderungen in der Vermittlung des Lehrstoffs festzustellen. Ein Anziehungspunkt für Medizinstudenten und daher von besonderer Bedeutung für die ärztliche Ausbildung wurde die Einführung des Unterrichts am Krankenbett. Voraussetzung für diesen Qualitätssprung war die Gründung der dazu notwendigen Institutionen. 1779 erfolgte die bereits Anfang der 1770er Jahre geplante Einrichtung einer Entbindungsanstalt unter dem Direktorat des im Jahr zuvor an die „Salana“ berufenen Loder.28 1781 gründete Stark der Ältere, zu dieser Zeit noch außerordentlicher Professor, und kurze Zeit darauf auch Loder ein vorerst privat geführtes poliklinisches Institut.29 Diese Einrichtungen entwickelten sich einerseits zu Orten der praktischen Ausbildung von Medizinstudenten, andererseits wurden sie zur Keimzelle der späteren Großherzoglichen Landesheilanstalten. Daß sich besonders außerordentliche Professoren, wie Johann Christian Stark der Ältere, und auch Privatdozenten innovativ in die Lehre einbrachten, ist nicht nur für die Medizinische Fakultät nachweisbar, sondern auch für andere Fakultäten – eine Entwicklung, die Gerhard Müller zu der Bezeichnung „extraordinäre Universität“ inspirierte.30 Ordnet man die Lehrfächer hinsichtlich der Häufigkeit ihrer Erwähnung im Lektionskatalog, so steht im betrachteten Zeitraum der große Komplex Materia medica, Pharmakologie, Pharmazie, „Rezepte schreiben“ und die Lehre von den Giften bzw. die Toxikologie mit insgesamt 458 angekündigten Veranstaltungen an erster Stelle. Diesem Komplex nachgeordnet folgen die Pathologie oder Krankheitslehre mit 324, die Geburtshilfe mit 318 – darunter 171 Übungen im Accouchierhaus31, – die Anatomie mit 294, die Chirurgie mit 249, die Therapie 28 Ventzke, M., Herzogtum, 2004, 299–311; Regenspurger, K., Frau, 2005; Kublik, S., Universität Jena, 2009, 108–115. 29 Stark, J. C., Auszüge, 2. Aufl., 1789, Vorrede und 1–6; Schmid-Burgk, J., Landesheilanstalten, 1901, 1; Loder, J. C., Beobachtungen, Bd. 1, 1794, 261–279. 30 Müller, G., Universität, 2001, 191–195. 31 Im Sommersemester 1779 wurden von Loder erstmalig „Übungen im Entbindungshause“ angekündigt. Insgesamt beteiligten sich neun Dozenten an der praktischen Unterweisung in der Geburtshilfe.
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mit 192 und die Gerichtliche Medizin mit 14332 geplanten Lehrveranstaltungen. Vorlesungen zur Semiotik wurden 97mal, Vorlesungen zur Geschichte der Medizin 98mal angekündigt.33 Schwierig ist es, die genaue Zahl derjenigen Lehrveranstaltungen anzugeben, die unmittelbar am Krankenbett abgehalten wurden. Ob alle Lektionen, die die Bezeichnungen „klinische Uebungen“, „klinische Collegien“ und „Klinik“ tragen, ohne nähere Kenntnis der genauen Inhalte der Ausbildung am Krankenbett zugeordnet werden können, ist fraglich. Möglicherweise sind solche „Uebungen“ oder „Collegien“ auch fernab vom Patienten abgehalten worden. Bei annähernd 200 Ankündigungen dürfte es sich jedoch um medizinisch-chirurgische „Lehrveranstaltungen am Krankenbett“ gehandelt haben. Außer mit den umfassenderen Fragestellungen beschäftigten sich zahlreiche Kollegien mit speziellen medizinischen Problemen, bzw. mit „Einzelkrankheiten“. Speziell über Frauenkrankheiten wurden von fünf Dozenten 1834, über Krankheiten der Kinder von ebenfalls fünf Dozenten 53 Vorlesungszyklen35 angekündigt. Letzteres ist bemerkenswert, da es noch keine eigenständige Kinderheilkunde gab. Besonders beliebt scheinen jedoch Vorlesungen über Geschlechtskrankheiten gewesen zu sein. In der Zeit zwischen Wintersemester 1772 und Wintersemester 1816 wurden diese Erkrankungen, oft verbunden mit geschichtlichen Ausführungen, von neun Dozenten in insgesamt 66 Lehrveranstaltungen thematisiert.36 Ebenso wurden den Augen- und Ohrenkrankheiten entsprechende Lektionen gewidmet: In 31 Lehrveranstaltungen sollten Augenkrankheiten allein37, in fünf davon gemeinsam mit Ohrenkrankheiten besprochen werden. Spezielle Kollegien über „Hysterie und Hypochondrie“ und „Wahnsinn“ wurden 39 Mal angeboten38; letztere waren mit gelegentlichen Besuchen im Jenaer „Irrenhaus“ verbunden. Diese thematisch eingegrenzten Vorlesungen sind ein erstes Zeichen beginnender 32 Zwölf Dozenten haben sich diesem Lehrgebiet zugewendet, wobei Christian Gottfried Gruner 44 und Friedrich Johann Christian Hallbauer (1736–1794) 25 entsprechende Veranstaltungen angekündigt hat. 33 Allein Gruner hat zu diesem Thema 57 Veranstaltungen angekündigt. 34 Gruner beteiligte sich mit drei, von Hellfeld mit zwei, Nicolai mit sieben, Stark d. Ältere mit fünf und Stark d. Jüngere mit einer Veranstaltung 35 Eine Vorlesung hat Christian Gottlieb Mayer (1746–1773) zum Wintersemester 1770 angekündigt. Weiterhin wollten Nicolai, Stark d. Ältere, und Eduard Löbenstein-Löbel (1779–1819) diese spezifischen Lektionen abhalten. 36 Zwischen WS 1772/73 und WS 1792/93 hat Ernst Anton Nicolai sieben entsprechende Lehrveranstaltungen angekündigt. Weitere Dozenten, die dieses Fachgebiet vorgetragen haben, waren Friedrich Ferdinand Bretschneider mit 27, Friedrich August Walch (1780–1837) mit 13, Christian August Friedrich von Hellfeld mit neun, Dietrich Georg Kieser (1779–1862) mit fünf, Wilhelm Karl Friedrich Suckow (1770–1848) mit zwei Veranstaltungen, Franz Heinrich Martens (1778–1805), Andreas Johannes Croneberg, Löbenstein-Löbel mit jeweils einer Veranstaltung. 37 Stark d. Jüngere hat 21, Loder sechs, Löbenstein-Löbel drei und von Hellfeld eine dieser Lehrveranstaltungen angekündigt. 38 v. Hellfeld hat vom SS 1796 bis WS 1818 insgesamt 24 Lehrveranstaltungen zu Hysterie und Hypochondrie angekündigt. Eine erste Vorlesung zu „Wahnsinn“ kündigte Martens zum SS 1805 an.
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Spezialisierung in der Medizin. Ferner lassen sich Vorlesungen zur „Medizinischen Polizey“ sowie über „Politik für Ärzte“ nachweisen, wenn auch nur in geringem Umfang. 31mal stand die „Medizinische Polizey“ zur Debatte, in 17 Fällen in Verbindung mit der Gerichtsmedizin.39 Die „Politik für Ärzte“ wurde in 19 Lehrveranstaltungen erörtert. Sie sollten dem Zeitgeist, der staatliche Daseinsvorsorge propagierte, Rechnung tragen. Die meisten Vorlesungen zur „Medizinischen Polizey“ hat Gruner, die meisten zur „Politik der Ärzte“ Stark der Ältere angekündigt.40 Weiterhin standen 69 Vorlesungen zur Diätetik, 30 zur Anthropologie, 31 zur populären Medizin und 59 zur „Thierarzneykunde“ („Vieharzneykunst“ oder „Thierheilkunde“) im Lektionskatalog. Mit dem Angebot von Veranstaltungen zur Veterinärmedizin entsprach die Fakultät der zeitgenössischen Forderung, wonach angehende Ärzte sich auch mit ihr zu beschäftigen hätten: „Sie kommt in ihren Grundsätzen mit der Medicin des Menschen überein und ihr Studium ist dem Arzte auch schon in so fern nützlich und zu empfehlen, als von der Vergleichung der Krankheiten in verschiedenen organischen Körpern weitere Vervollkommnung der Medicin überhaupt zu erwarten ist. Insbesondere wird aber vom Physicus gefordert, daß er in ihr bewandert sey und zumal auch Kenntniß der Viehseuchen (morborum epizooticorum) hat.“41
So verwundert es nicht, daß entsprechende Vorlesungsankündigungen bereits kurz nach Beginn des 19. Jahrhundert im Jenaer Lektionskatalog42 zu finden sind und die 1817 unter Theobald Renner (1779–1850) gegründete „Thierarzneyschule“ zur Medizinischen Fakultät gehörte. Zu diesen Lehrveranstaltungen kam eine Vielzahl von Lektionen, wie beispielsweise solche über „Naturgeschichte“, „Encyclopädie“, „Methodologie“, „Litterärgeschichte“ hinzu. „Examinatoria“ und „Disputierübungen“ setzten weitere Akzente. Sieht man von einzelnen Semestern, vor allem in den Jahren der „Krise“ zu Beginn des 19. Jahrhunderts, ab, so kann für die fünf Jahrzehnte zwischen 1770 und 1820 ein quantitativ recht stabiles Lehrangebot an der Jenaer Medizinischen Fakultät konstatiert werden. Die erfolgreiche Absolvierung eines Medizinstudiums war somit sicherlich jederzeit gewährleistet, auch wenn die Fakultät nach 1800 ihre dominierende Rolle, die sie Ende des 18. Jahrhunderts in der Ärzteausbildung spielte, nicht behalten und auch später nicht mehr zurückgewinnen konnte.
39 Gruner hat 20, Loder drei, Georg Friedrich Christian Fuchs drei, Christian Rickmann (1741– 1772), Nicolai und Ackermann jeweils eine entsprechende Vorlesung angekündigt. 40 Stark d. Ältere hat sieben, Fischer zwei, Loder, Stark d. Jüngere (1769–1837), Johann Gottlob Bernstein und Wilhelm Karl Friedrich Suckow jeweils eine Lehrveranstaltung zur Politik für Ärzte angekündigt. 41 Conradi, J. W. H., Grundriß, 2. Aufl., 1816, 128. 42 Die erste Vorlesung über Tierarzneykunde hat der außerordentliche Prof. Franz Heinrich Martens für das WS 1804 angekündigt.
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3. Der Lehrkörper Im folgenden sollen diejenigen Hochschullehrer vorgestellt werden, die die Gestalt der Jenaer Medizinische Fakultät um 1800 am meisten geformt haben. Die übrigen können im Rahmen dieser Studie keine Berücksichtigung finden, da die Zahl derer, die zwischen 1770 und 1820 in irgendeiner Weise an der Ausbildung von Ärzten in Jena beteiligt waren, bei weitem zu groß ist, als daß sie alle porträtiert werden könnten. Ernst Anton Nicolai, Christian Gottfried Gruner und Justus Christian Loder hatten die drei medizinischen Nominalprofessuren während des Untersuchungszeitraums mehrere Jahrzehnte lang inne. Nicht zuletzt deswegen war es ihnen möglich, das Profil der Fakultät um 1800 maßgeblich zu prägen. Gleiches gilt auch für Johann Christian Stark den Älteren, der zwar nur wenige Jahre den Titel eines Nominalprofessors trug, aber ebenfalls jahrzehntelang als Hochschuldozent in Jena unterrichtete. Von den übrigen damals an der Jenaer Medizinischen Fakultät tätigen Lehrkräften wird Christoph Wilhelm Hufeland, der auch einem größeren Kreis von Nichtmedizinern bekannt geworden ist, eine ausführlichere Darstellung gewidmet. 3.1. Wissenschaftliches Profil der Lehrkräfte 3.1.1. Ernst Anton Nicolai (1722–1802) Der 1722 im schwarzburgischen Sondershausen als Sohn eines Wundarztes geborene Ernst Anton Nicolai studierte von 1740 bis 1745 Medizin an der Universität Halle. Darüber hinaus eignete er sich hier auch umfassende Kenntnisse der zeitgenössischen Philosophie an, die seine medizintheoretischen Positionen entscheidend mitbestimmen sollten. Sein wichtigster akademischer Lehrer war der als Erfinder der nach ihm benannten, vielfach einsetzbaren Tropfen auch gegenwärtig noch einem größeren Publikum bekannte Friedrich Hoffmann (1660–1742).43 An Hoffmanns „chemiatrischen“ Konzepten, wonach alle krankhaften Vorgänge auf chemische Prozesse zurückzuführen sind und die Heilung von Krankheiten darin besteht, die im Körper entstandenen gefährlichen Stoffe in unschädliche umzuwandeln44, sollte sich Nicolai ebenso orientieren wie an den auf Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) zurückgehenden Prinzipien seines philosophischen Lehrers Christian Wolff (1679–1754). Nachdem er 1745 mit einer das Phänomen des Schmerzes behandelnden Dissertation zum Dr. med. promoviert worden war45, erwarb Nicolai die Lehrbefähigung als Privatdozent und eröffnete zugleich 43 Giese, E. / Hagen, B. v., Geschichte, 1958, 268 f. 44 Art. Chemiatrie, in: Meyer’s Konversationslexikon, Band 3, Leipzig 1888, 977. 45 Nicolais Dissertation trug den Titel „De dolore“; Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 270.
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eine ärztliche Praxis in Halle. 1748 wurde er zum außerordentlichen Professor ernannt; als solcher lehrte er zehn Jahre lang an der Hallenser Universität.46 1758 nahm Nicolai einen Ruf auf das Ordinariat für Botanik und Theoretische Medizin an der Universität Jena an. Als jüngstem Nominalprofessor wurde ihm die dritte Fakultätsstelle zuerkannt. Bereits ein Jahr später, nach dem Tod Johann Christian Stocks (1707–1758), übernahm er dessen Lehrstuhl für Chemie und Therapie und rückte in die zweite Fakultätsstelle auf. Als 1769 der bisherige „Senior“ der Fakultät, der Chirurg und Anatom Karl Friedrich Kaltschmid (geb. 1706), starb, wurde Nicolai Rang und Gehalt des ersten Medizinprofessors zugesprochen. Er wechselte aber seine Lehrfächer nicht, sondern amtierte als „Professor Chemiae et Praxeos“ weitere 33 Jahre, bis zu seinem Tod am 28. August 1802, in Jena.47 Nicolai offerierte regelmäßig Lehrveranstaltungen zu den „Materia medica“ sowie Kurse zur allgemeinen und speziellen Therapie.48 Vorlesungen zur Chemie, die zu Beginn seiner Amtstätigkeit noch keine eigenständige Wissenschaftsdisziplin war, sondern als eine auf die Gewinnung pharmakologischer Erkenntnisse ausgerichtete Hilfswissenschaft der Medizin angesehen wurde49, hat er von 1772 bis 1791 27 Mal angeboten.50 Als ihm in den 1790er Jahren Johann Friedrich August Göttling, ein an der Philosophischen Fakultät akkreditierter Experimentalchemiker, Konkurrenz zu machen begann, zog er sich allmählich von diesem Fach zurück. Physiologie und Pathologie standen während seiner gesamten Amtszeit immer wieder auf seiner Agenda. Gelegentlich trug er auch „Semiotik“ vor, die Lehre von den Zeichen, die es ermöglichen, den Zustand eines Patienten zu beurteilen. Daneben informierte er seine Hörer über die Geschlechtskrankheiten sowie die Krankheiten der Kinder beziehungsweise Neugeborenen.51 1769 trat er als Autor eines mehrbändigen Werks zur Pathologie, d. h. zur Krankheitslehre im umfassenden Sinn, an die Öffentlichkeit. Er schrieb Monographien über akute und chronische Erkrankungen, äußerte sich zur Entwicklung des Kindes im Mutterleib und nahm schließlich auch zu psychologischen und psychiatrischen Fragen Stellung.52 Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß es keinen Bereich der zeitgenössischen theoretischen Medizin gab, den Nicolai nicht beherrscht und über den er nicht Lehrveranstaltungen gehalten hätte. Den wissenschaftlichen Standort dieses vielseitig gebildeten Mediziners zu bestimmen, ist problematisch. Von Hoffmann hatte er gelernt, den menschlichen 46 Ebd. 47 Ebd., 271; Regenspurger, K., Methodus medendi, 2008, 117; Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 209 f. 48 Ebd., 20–97. 49 Chemnitius, F., Chemie, 1929, 10–23. 50 Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 272. 51 Vgl. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, insbes. 21–55,23, 25, 27, 28, 29, 32, 34, 37, 49, 50. 52 Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 275.
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Organismus als eine chemischen Veränderungen unterworfene und also strikt nach den Gesetzen der materiellen Welt funktionierende Sache zu betrachten. Als Schüler Wolffs und Anhänger der Leibnizschen Philosophie war er jedoch weit davon entfernt, die Materie für einen zureichenden Grund ihrer eigenen Existenz zu halten. Für ihn stand außer Zweifel, daß der Wesenskern des Menschen seine immaterielle Seele sei.53 Dabei grenzte er das Seelische als das Triebhaft-Sinnliche von dem Verstand und Vernunft konstituierenden Intellekt ab. In seinen Reflexionen über die Entstehung des Kindes im Mutterleib hat seine Weltanschauung ihren deutlichsten Ausdruck gefunden. Leibniz’ Lehre, wonach jedes Wesen eine Welt im kleinen ist, eine „Monade“, die Empfindungen und Vorstellungen aus sich selbst heraus erzeugt54, spiegelt sich in seinen Gedanken über die Entwicklung der Leibesfrucht wider. Bereits das mit dunklen Vorstellungen begabte „Samentierchen“ ist für Nicolai eine eigenständige Entität, etwas substantiell Seelisches. Im Embryo entfaltet die menschliche Seele ihre emotionale Komponente, nach der Geburt wachsen ihr Verstandeskräfte zu. Das Verhältnis von Mutter und ungeborenem Kind aber offenbart für Nicolai augenfällig die von Leibniz behauptete prästabilierte Harmonie des Weltganzen: Wenn Mutter und Frucht auch etwas im Kern Verschiedenes sind, so stehen sie doch in einem durch den Schöpfungsakt bedingten Konsens zueinander.55 Demgegenüber liegt Nicolais Ausführungen zur Übertragung von Krankheiten auf die Leibesfrucht ein strikt materialistisches Kausaldenken zugrunde: Hat beispielsweise die Mutter Pocken, Masern, Fleckfieber, so bekommt auch das Kind dasselbe Leiden. Das Blut fungiert dabei als vermittelnder Stoff.56 Nicolai verkörperte einen Gelehrtentypus, der in einer Zeit, in der empirische Forschung immer größere Erfolge erzielte, sich als Fachmann an diesen Forschungsleistungen orientierte, der sich aber davor hütete, empirisches Wissen für ein Wissen vom Wesen der Dinge zu halten. Daher suchte er die ihm von der Physik und Chemie her bekannten Tatsachen in ein ihm von der Philosophie angebotenes Weltbild einzuordnen. Es gelang ihm jedoch nicht, daraus ein in sich widerspruchsfreies Ganzes zu formen. 3.1.2. Christian Gottfried Gruner (1744–1815) Anders als Nicolai konnte Christian Gottfried Gruner für hochspekulative Gedankengebäude allem Anschein nach kein Verständnis aufbringen. Als der seit 1794 in Jena lehrende Philosophieprofessor Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) im Frühjahr 1799 wegen angeblicher Parteinahme für den Atheismus sein Amt verlor, hielt er es sogar für angebracht, dem Entlassenen einen höhnischen Nachruf 53 54 55 56
Ebd., 278. Leibniz, G. W., Monadologie, 1996. Nicolai, E. A., Gedanken, 1746. Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 279.
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hinterher zu schicken, in dem er verkündete, nie eins von dessen „unverständliche[n] Bücher[n]“ gelesen zu haben.57 Der 1744 im niederschlesischen Sagan als Sohn eines Fleischermeisters geborene Gruner studierte ab 1766 an der Universität Leipzig zunächst Theologie, wechselte ein Jahr später zur Medizin und schloß seine Ausbildung zum Arzt mit einer 1769 in Halle erschienenen Dissertation über die Ausführungen des Hippokrates und anderer Ärzte der Antike zu den Ursachen der Sterilität ab.58 Anschließend eröffnete er in Breslau eine Praxis und erregte mit einer Arbeit über Thesen des Hippokrates Aufsehen.59 Nicht zuletzt deswegen wurde er 1773 zum Nachfolger des nach Göttingen gegangenen Ernst Gottfried Baldinger (1738–1804) auf die Professur für Botanik und medizinische Theorie an die Universität Jena berufen. Dieses Amt sollte er bis zu seinem Tod 1815 ausüben, bereits 1777 aber auf die zweite Fakultätsstelle vorrücken und 1802, nach Nicolais Tod, zum Fakultätssenior aufsteigen.60 Wie Nicolai deckte auch Gruner mit seinen Lehrveranstaltungen das gesamte Spektrum der theoretischen Medizin ab. Pathologie bot er regelmäßig an, auch allgemeine und spezielle Therapie sowie Gerichtsmedizin. Eine von ihm immer wieder vorgetragene Thematik war die „Medizinische Polizey“, worunter man die Grundsätze staatlicher Gesundheitsfürsorge zu verstehen hat. Besonders großen Wert scheint Gruner auf die Kenntnis der medizinischen Zeichenlehre gelegt zu haben. Er war der einzige unter den Jenaer Medizindozenten um 1800, der diesen Gegenstand, die Semiotik, vom Beginn seiner Amtstätigkeit bis zu ihrem Ende, vortrug. Mit seinen medizingeschichtlichen Vorlesungen setzte er neue Akzente. Für die im Titel seiner Professur ausdrücklich genannte Botanik hatte er dagegen nur wenig Interesse. Ab 1780 überließ er sie dem Extraordinarius Friedrich Johann Christian Hallbauer (1736–1794) sowie dem Privatdozenten Johann Heinrich Christoph Schenk (1732–1798).61 Seit Mitte der 1780er Jahre vertrat August Johann Georg Karl Batsch (1761–1802) eine Pflanzenkunde, die ihren Status als Hilfswissenschaft der Medizin zunehmend verlor und zu einer eigenständigen Disziplin avancierte.62 Diese von der Weimarer Herrschaft geförderte Entwicklung war Gruner suspekt; er hielt eine über das Pharmakologische hinausgehende Beschäftigung angehender Ärzte mit Botanik für ein „brodloses Studium“ und verurteilte ihre „Erhebung zur Principalwissenschaft“ als eine „wahre Paradoxie“.63 57 Gruner, C. G., Worte, 1799, 70 f. 58 Gruners Dissertation trug den Titel „De caussis sterilitatis in sexus sequiori ex doctrina Hippocratis veterumque medicorum“, siehe Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 176. 59 Gruner, C. G., Censura, 1772. 60 Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 316; Regenspurger, K., Methodus medendi, 2008, 117. 61 Vgl. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 38–55. 62 Polianski, I., Garten, 2001. 63 Gruner, C. G., Almanach, 1790, 128 f.
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Auch auf dem Gebiet der Forschung arbeitete Gruner zu verschiedenen Fachbereichen. Ihn als einen Medizinprofessor zu etikettieren, der weniger Naturwissenschaftler als Historiker war64, wird seinen Leistungen nicht gerecht. Sein Werk zur Semiotik, von dem Heidelberger Medizinhistoriker Wolfgang Eckart als „Leitdarstellung“ apostrophiert65, erlebte drei Auflagen; seine „Anleitung, Arzneyen zu verschreiben“, ebenso viele. Allerdings bildete die Medizingeschichte einen Schwerpunkt seiner Forschungstätigkeit, wobei ihm seine ausgezeichnete Kenntnis der antiken Sprachen, die ihm der berühmte Theologe Johann August Ernesti (1707–1781) in Leipzig vermittelt hatte, sehr zustatten kam. Gruner schrieb Abhandlungen über die Medizin der Antike und würdigte zudem die Leistungen der mittelalterlichen arabischen Ärzte Ali Abbas und Ibn Sina. Sein besonderes Interesse galt jenen früheren Autoren, die sich mit der Syphilis, damals gemeinhin „Französische Krankheit“ genannt, beschäftigt hatten, sowie dem „Englischen Schweiß“, einer im 16. Jahrhundert auf den Britischen Inseln verbreiteten, oft in kürzester Zeit zum Tod führenden fieberhaften Krankheit, deren Natur noch immer ungeklärt ist.66 Daß Gruner die Philosophie, insbesondere die idealistische Philosophie seiner Zeit, skeptisch betrachtete, heißt nicht, daß er sich über die theoretischen Grundlagen ärztlichen Handelns nicht klar zu werden versucht hätte. In der Vorrede zur dritten Auflage seines Lehrbuchs zur „Zeichenlehre“ bekennt er sich zu einem pragmatischen Eklektizismus, der die „aus unverfangener Beobachtung abstrahirte Wahrheit“ zwar schätzt, aber „kein System zu verteidigen hat“.67 Sein Vertrauen in die Theorie ging nur so weit, wie diese nichts anderes zu leisten versprach, als empirisch gesicherte Daten in einen Kausalzusammenhang zu bringen. Für abwegig hielt er es, aus hypothetischen Grundsätzen therapeutische Handlungsanweisungen abzuleiten. Daher stand er auch der seinerzeit vieldiskutierten Auffassung des irischen Physiologen John Brown (1735–1788) reserviert gegenüber, wonach Krankheit nichts anderes als das Mißverhältnis von der Stärke des auf einen Organismus einwirkenden Reizes und der Erregbarkeit dieses Organismus sei und folglich jede Therapie darin bestehen müsse, dem Patienten das seinem Erregbarkeitsgrad angemessene Beruhigungs- oder Reizmittel zu verabreichen.68 Gruner betonte, daß es dem Praktiker nichts nütze, die Entstehung von Krankheiten auf dysfunktionale Äußerungen einer nicht näher zu definierenden „Lebenskraft“ – einer unbekannten Größe – zurückzuführen. Viele, „die immer von animalischer Chemie, von chemischer Lebenskraft und Mischung und dgl. reden“, wüßten oft nicht, „welcher Unsinn in diesen leeren Worten liegt.“69 Im ersten Jahrgang seines Journals „Almanach für Aerzte und Nichtaerzte“ relativiert Gruner allerdings seine Theoretikerschelte: Man behaupte neuerdings, 64 65 66 67 68 69
Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 318. Eckardt, W. U., Worte, 1996, 5. Giese, E. / v. Hagen LZ, B., Geschichte, 1958, 316–321; Mann, G., Euricius Cordus, 1967. Gruner, C. G., Zeichenlehre, Vorrede zur dritten Ausgabe, 1801, o. P. Schott, H. (Hg.), Arzt, 1998, 242. Gruner, C. G., Zeichenlehre, Vorrede zur dritten Ausgabe, 1801, o. P.
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die Vorfahren hätten „sehr einfältig gehandelt“70, indem sie bei der Vermittlung medizinischer Kenntnisse mit der Medizingeschichte begannen und die therapeutische Praxis an den Schluß stellten. Es sei zwar legitim, der besten Theorie eine vernünftige Erfahrung vorzuziehen; wolle man jedoch kausale Zusammenhänge erkennen, könne man auf theoretisches Wissen nicht verzichten. Dieses aber habe man sich durch gründliches Studium nicht nur der neueren medizinischen Literatur anzueignen. Als ein vom Geist der Aufklärung geprägter Gelehrter wollte Gruner die Errungenschaften der akademischen Heilkunde auch den bildungsfernen Schichten zukommen lassen. Seine seit Mitte der 1790er Jahren angebotenen Lehrveranstaltungen zur „Medicinischen Politik“ bzw. „Medicinischen Policey“71 bezeugen dies ebenso wie sein publikumswirksames Plädoyer für die Ausweitung der staatlichen Gesundheitsfürsorge.72 Maßnahmen, die das Volk zur Inanspruchnahme staatlicherseits offerierter medizinischer Leistungen zwingen sollten, lehnte er aber ab. Die Ende des 18. Jahrhunderts nicht nur von der für Jena zuständigen Herrschaft sanktionierte Praxis, unehelich Schwangere auch gegen ihren Willen in eine Entbindungsanstalt einzuweisen und sie dort ihr Kind unter den Augen von Medizinstudenten gebären zu lassen, kritisierte er öffentlich.73 Christian Gottried Gruner war einer der renommiertesten Vermittler des medizinischen Grundwissens seiner Zeit. Generationen von Ärzten verdankten nicht zuletzt ihm, der 42 Jahre an der Jenaer Universität unterrichtete, ihre Fachkenntnisse und ihr Selbstverständnis als Therapeuten. 3.1.3. Justus Christian Loder (1753–1832) Justus Christian Loder, 1753 im livländischen Riga geboren, stammte aus dem baltendeutschen Bildungsbürgertum. Im Alter von 20 Jahren bezog er die Universität Göttingen und wählte nach einem mehrjährigen Studium generale schließlich die Medizin zu seinem Beruf. Neben Samuel Thomas Soemmerring (1755–1830), einem der später renommiertesten Anatomen seiner Zeit, avancierte er zum Vorzeigeschüler des Anatomieprofessors Heinrich August Wrisberg (1739–1808). Von August Gottlieb Richter (1742–1812), der die erste mit einer Universität verbundene Gebäranstalt Deutschlands leitete, wurde er in Geburtshilfe unterrichtet. Zu seinen akademischen Lehrern zählten ferner Johann Andreas Murray (1740– 1791) sowie Ernst Gottfried Baldinger, der von Jena an die aufstrebende hannoversche Landesuniversität gekommen war.74 70 71 72 73
Ders., Almanach, 1782, 140. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 72 ff. Gruner, C. G., Almanach, 1782, 148. Loder an Ernst Adolph Weber, Brief v. 05.01. 1781, in: ThHStAW, A 6665, Bl. 1–2v; Gruner, C. G., Preisfrage, 1782, 200–229. 74 Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 328–330; Müller-Dietz, H. und W., Familie, 1988; Kublik, S., Loder, 2004, 49 f.
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1778, nur wenige Monate nachdem er sein Studium mit einer Dissertation über die Schädelbasis des Menschen abgeschlossen hatte75, erhielt Loder das Angebot, die durch den Tod Johann Ernst Neubauers vakant gewordene Professur für Anatomie, Chirurgie und „Hebammenkunde“ an der Universität Jena zu übernehmen. Die Zeugnisse seiner Göttinger Lehrer sowie die Fürsprache des herzoglich-weimarischen Leibarztes Johann Friedrich Hufeland (1730–1787) hatten dem erst Fünfundzwanzigjährigen den Ruf eines genialen Nachwuchsgelehrten verschafft, der trotz fehlender Erfahrung die Funktion eines akademischen Lehrers würde ausüben können. Loder trat seine Stelle in Jena mit Beginn des Sommersemesters 1778 an und ließ keinen Zweifel daran, daß er fähig war, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Er bewies nicht nur in seinem Lehramt rhetorisches und didaktisches Geschick, er engagierte sich auch als Hochschulpolitiker. Mit seinem Ehrgeiz und Ideenreichtum qualifizierte er sich zum Mittler zwischen Weimarer Regierung und Jenaer Universität. Ob es sich darum handelte, vakante Professuren zu besetzen oder gegen die von den Herrschaftsträgern als Gefahr für Staat und Gesellschaft angesehenen akademischen Verbindungen vorzugehen – in der Regel fand Loder mit seinen Ratschlägen Gehör. 1803 verließ er Jena, um eine hochdotierte Professur in Halle anzutreten. Enttäuscht über die dortigen Verhältnisse, folgte er bereits 1806 einem schwerkranken russischen Magnaten in dessen Heimat. Nachdem er vom Sieg Napoleons über Preußen erfahren hatte, kehrte er nicht mehr nach Halle zurück, sondern suchte Kontakt zum Zarenhof in Petersburg. Schließlich ließ er sich in Moskau nieder, wo er bis zu seinem Tod 1832 als „graue Eminenz“, ohne ein offizielles Amt auszuüben, das russische Medizinalwesen mit dirigierte.76 Wie seine Fakultätskollegen Nicolai und Gruner beschränkte sich Loder als Jenaer akademischer Lehrer nicht darauf, die im Titel seiner Professur ausdrücklich angeführten Bereiche zu vertreten. Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe unterrichtete er während des gesamten Zeitraums seiner Jenaer Amtstätigkeit in einem bestimmten Rhythmus: die Anatomie jedes Winter- und die Chirurgie jedes Sommerhalbjahr. Vorlesungen zur Geburtshilfe fanden hingegen in jedem Semester statt. Hinzu kamen praktische geburtshilfliche Kurse in der unter seinem Direktorat stehenden Entbindungsanstalt.77 Seit Mitte der 1780er Jahre betrieb Loder zunächst in einem Zimmer seiner Wohnung, später in einem noch ungenutzten Teil der Gebäranstalt, eine Privatklinik; hier bot er auch praktische Chirurgielektionen an.78 Mit Vorlesungen zur Pathologie und Physiologie, die er aber nicht regelmäßig hielt, bereicherte er sein Veranstaltungsspektrum; gelegentlich angekündigte Vorlesungen über Anthropologie, Gerichtsmedizin und „Medizinische Polizey“ rundeten sein Lehrangebot ab.79 75 Loders Dissertation trug den Titel „Descriptio anatomica baseos cranii humani“; vgl. MüllerDietz, W., Verhältnis, 1988, hier 274. 76 Kublik, S., Loder, 2004, 51–65. 77 Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 35–100. 78 Kublik, S., Loder, 2004, 57 f.; Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 54–100. 79 Ebd., 39–100.
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Unter seinen Publikationen verdienen die „Chirurgisch-Medicinischen Beobachtungen“ und die „Anfangsgründe der Chirurgie“ als Erfahrungswissen vermittelnde Lehrbücher hervorgehoben zu werden.80 Wenig bekannt dürfte sein, daß Loder auch ein Kompendium der physiologischen Anthropologie und „Staatsarzneikunde“ veröffentlicht hat.81 In ihm erörtert er zunächst die Funktionen des menschlichen Organismus, geht dann auf besonders den Gerichtsmediziner interessierende Sachverhalte wie Gefährlichkeit verschiedener Wunden, Mord, Suizid und Kindstötung ein, um sich schließlich zur öffentlichen Gesundheitspflege zu bekennen. Wie Gruner, so hält auch er diese für eine Herrschaftspflicht. Einen hohen Popularitätsgrad auch bei Nichtmedizinern erreichten die 1803 erschienenen „Anatomischen Tafeln“, eine Gesamtdarstellung des menschlichen Körpers auf der Basis von detailgetreuen Zeichnungen und Kupferstichen.82 Loder war Empirist. Für die sich seit dem Amtsantritt des Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775–1854) als Jenaer Professor an der „Salana“ etablierende Naturphilosophie hatte er nur Spott übrig83, und mit Befriedigung nahm er nach seinem Wechsel an die Hallenser Universität zur Kenntnis, daß der ebenfalls nach Halle gewechselte Schellingschüler Henrik Steffens (1773–1845) hier keine Resonanz finden konnte.84 Vergegenwärtigt man sich Loders Bildungsweg, so ist diese Position verständlich. Als ehemaliger Göttinger Student war er durch eine Schule gegangen, an der die von John Locke (1632–1704) begründete Erkenntnistheorie, wonach nichts Gegenstand des Verstandes sein könne, was nicht zuvor durch die Erfahrung gegeben sei85, unwidersprochen akzeptiert wurde. Gemäß dieser Auffassung sahen die in Göttingen lehrenden Naturwissenschaftler in der experimentellen Forschung den einzig möglichen Erkenntnisweg. Deduktive Systeme, die das Erforschte zu einem einheitlichen Ganzen zusammenzufassen versuchten, hatten es hier schwer, ernst genommen zu werden.86 So hielt sich auch die hier praktizierte Medizinerausbildung strikt an Augenfälliges. Entsprechend frei von Spekulationen aller Art dürfte auch Loders Lehrvortrag gewesen sein. Seinen „Chirurgisch-Medicinischen Beobachtungen“ fehlt jedenfalls eine die Phänomene Leben und Sterben, Gesundheit, Krankheit und Selbstheilung näher bestimmende Theorie. Loder erörtert die Techniken der verschiedenen chirurgischen Verrichtungen, gibt Hinweise zur Nachbehandlung und illu80 81 82 83
Loder, J. C., Beobachtungen, 1794; Ders., Anfangsgründe, 1800. Ders., Anfangsgründe der physiologischen Anthropologie, 1791. Ders., Anatomische Tafeln, 1803. Loder hatte Schellings Plan, nach Italien zu gehen, gegenüber seinem Gesinnungsgenossen Böttiger mit den Worten kommentiert, er würde sich freuen, wenn Schelling „bliebe, wo die Citronen blühen, denn dahin wo der Pfeffer wächst, kommt er nicht.“ Loder an Karl August Böttiger, Brief v. 02.01. 1802, SLD, Nachlaß Böttiger h 37°4, Bl. 55. 84 Loder an K. A. Böttiger, Brief v. 02.01. 1805, in: SLD, Nachlaß Böttiger h 37°4, Bl. 86. 85 Locke, J., Versuch, 4 Bd.: Band I, Erstes Buch: Prinzipien, passim, Zweites Buch: Ideen, 1981, 29–105, 107–126, besonders 107 f. 86 Sensing, H., Loders Verdienste, 1957, MS, 7 f.
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striert seine Ausführungen mit Krankengeschichten. Dabei verfährt er streng systematisch. Nachdem er die für eine chirurgische Behandlung geeigneten Krankheitsfälle vorgestellt hat, gibt er dem Operateur Verfahrensanleitungen, geht dann auf die postoperative Versorgung des Patienten ein und führt schließlich Beispiele aus der eigenen Praxis an, die die Angemessenheit seiner Vorschriften belegen sollen. Sein prägnanter, alles Überflüssige vermeidender Stil weist ihn als begabten wissenschaftlichen Autor aus und läßt auch Rückschlüsse auf seine Fähigkeiten als akademischer Lehrer zu. Einem angehenden Chirurgen dürfte es leicht gefallen sein, seine Anweisungen nachzuvollziehen. 3.1.4. Johann Christian Stark der Ältere (1853–1811) Johann Christian Stark – zur näheren Kennzeichnung gegenüber seinem um 1800 ebenfalls an der „Salana“ unterrichtenden gleichnamigen Neffen in der Medizingeschichte Stark I oder Stark der Ältere genannt – wurde 1753 als Sohn eines Landwirts in Oßmannstedt bei Weimar geboren. Nachdem er in Jena bei Nicolai, Gruner und Neubauer studiert hatte und 1777 mit einer Abhandlung über den Wundstarrkrampf promoviert worden war87, lehrte er zwei Jahre als Privatdozent an seiner früheren Ausbildungsstätte. 1779 wurde er auf Initiative Loders zum außerordentlichen Professor und stellvertretenden Direktor des neugegründeten Gebärinstituts ernannt. 1783 gelang Stark dem Älteren mit einer Kaiserschnittentbindung, bei der Mutter und Kind überlebten, ein spektakulärer Erfolg. Er avancierte 1784 zum sogenannten überzähligen Ordinarius („Supernumerarius“) mit Anwartschaft auf die nächste freiwerdende Nominalprofessur und 1786 auch zum Leibarzt der Weimarer Herzogsfamilie. Erst nachdem Nicolai 1802 gestorben war, konnte er dessen Lehrstuhl übernehmen und also die ihm zugesicherte Stelle eines ordentlichen Professors antreten. Als solcher stand ihm zunächst Rang und Gehalt des dritten Fakultätsmitglieds zu. Nach Loders Weggang 1803 rückte er in die zweite Fakultätsstelle auf, eine Position, die er bis zu seinem Tod 1811 innehatte.88 Zwar umfaßte das Lehrangebot Starks des Älteren auch die eher theoretischen Fachbereiche Physiologie, Pathologie, allgemeine und spezielle Therapie und Arzneikunde. Sein didaktisches Talent entfaltete er jedoch vor allem bei seinen klinischen Übungen, die er regelmäßig im Entbindungsinstitut und in seiner 1781 zur ambulanten Behandlung von Patienten gegründeten Klinik veranstaltete.89 Bei diesem Unterricht bediente sich Stark einer Methode, die auch heute noch modern erscheint. Jedem seiner Praktikanten wurde ein Patient zugewiesen. Der Praktikant mußte ihn nach seinen Krankheitssymptomen befragen, untersuchen und eine 87 Seine Dissertation trug den Titel „De tetano“. Vgl. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 228. 88 Hesse, V., Johann Christian Stark, 2004, 73 f.; Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 228 f. 89 Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 34–120.
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entsprechende Diagnose stellen. Ein angemessener Therapievorschlag wurde im Kursteilnehmerplenum diskutiert. Schließlich äußerte sich Stark selbst zu dem Fall und korrigierte, was nötig war. Der Praktikant erstellte nun ein Rezept; mit Starks Unterschrift versehen wurde es in die Apotheke gebracht. Die fortgeschritteneren Praktikanten mußten ihre Patienten selbständig betreuen, hatten allerdings im Plenum über den Behandlungsverlauf zu referieren. Stark kontrollierte die Therapie, indem er diese Patienten auch selbst besuchte.90 Obwohl sich Stark vor allem als Praktiker verstand, glaubte er, auf eine Theorie der Krankheitsentstehung und -behandlung nicht verzichten zu dürfen. In der Vorrede seines Handbuchs der inneren Krankheiten vertritt er einen vitalistischen Standpunkt: Dem Organismus seien verschiedene Kräfte eigen, deren vorzüglichste „Lebenskraft“ genannt werde. Diese Kraft, deren Wesen man nicht erkennen könne, sei in jedem Teil des Körpers aktiv.91 Die den Organismus erhaltenden und versorgenden Organe und Gefäße würden auf die Körpersäfte einwirken, allerdings nur in quantitativer Hinsicht: Sie könnten die Menge der Saftmasse verringern oder vermehren, auch den Lauf der Säfte beschleunigen oder bremsen; den Säften aber Stoffe zusetzen oder entziehen könnten sie nicht. Jene Stoffe, die den Körper konstituieren oder unterhalten, seien entweder schon immer in ihm vorhanden oder von außen in ihn hineingekommen. Durch die Zufuhr von Stoffen aber könnten Krankheiten entstehen: Sind es solche, „die der Natur gemäßen Einrichtung entgegen sind, so können sie notwendig große Veränderungen machen.“92 Verbinden sie sich mit den bereits im Körper vorhandenen Stoffen, so sei es unmöglich, daß der eine oder andere Körperteil nicht irgendwie sollte affiziert und also auch schädlichen Veränderungen unterworfen werden. Inwieweit dies geschehen könne, hänge aber nicht zuletzt von der Beschaffenheit der Säfte ab, weshalb diese bei der Erklärung der Krankheitsursachen mit in Anschlag gebracht werden müsse. Verkehrt sei es demnach, wie die Brownianer „blos auf die verminderte oder erhöhte Erregung“ zu blicken, „ohne die Veränderungen, die im Organismus des Körpers selbst vorgehen“, zu berücksichtigen.93 In der Nachfolge Gruners lehnte also auch Stark einerseits Browns Theorie als ein System, auf dessen Grundlage ein Schematismus zur Behandlung aller Krankheiten erstellt werden könne, ab. Andererseits hielt er einige Brownschen Grundsätze für richtig und meinte, sie schon seit langem, noch bevor er Brown kannte, aufgrund eigener Überlegungen beachtet zu haben: „Ich habe manches seiner durchdringenden Reitzmittel oft und reichlich angewendet zu einer Zeit, wo man über den Missbrauch derselben schrie. Ich erinnere mich noch sehr gut der Zeit, wo verschiedene meiner Herrn Kollegen über mich wegen des öftern und reichlichen Gebrauchs des Opiums spöttelten.“94
90 91 92 93 94
Theis, R., Goethes Arzt, Diss. Med., 1949, 14 f. Stark, J. C., Handbuch, 1799, Vorbericht, X, XI. Ebd., XIII. Ebd., X. Ebd., VIII, IX.
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Wie schon sein Lehrer Gruner sah Stark es als dringend zu bewältigendes Problem an, den Ruf des Arztes in der Bevölkerung zu verbessern. In seiner Publikation über die „Politik der Ärzte“95 rügt er die von manchen seiner Berufskollegen praktizierte „Charlatanerie“. Er fordert die Herrschaftsträger auf, das Ansehen des akademisch gebildeten Heilkundigen durch strengere Approbationsprüfungen zu heben und der sogenannten Kurpfuscherei mit wirksamen Mitteln entgegenzuarbeiten.96 Schließlich gibt er Ratschläge, wie sich der Arzt gegenüber seinen Patienten verhalten solle, damit eine für beide Seiten optimale Beziehung zustande kommen könne.97 3.1.5. Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) Christoph Wilhelm Hufeland wurde 1762 im damals kursächsischen Langensalza (Thüringen) geboren. Als er drei Jahre alt war, zog seine Familie nach Weimar, da sein Vater, Johann Friedrich Hufeland, zum Leibarzt der dort residierenden Herzogsfamilie ernannt worden war. So wurde er in der sich zu einem Kulturzentrum entwickelnden Residenzstadt sozialisiert. Hufeland studierte Medizin in Jena – unter anderem bei Loder und Gruner – sowie in Göttingen, wo der berühmte Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) sein wichtigster Lehrer war.98 Unter dessen Anleitung wurde er 1783 mit einer Arbeit über den Gebrauch der Elektrizität zu therapeutischen Zwecken zum Dr. med. promoviert;99 danach kehrte er nach Weimar zurück, um seinen erblindenden Vater bei der Bewältigung seiner Berufaufgaben zu unterstützen. Nachdem er mit Schriften über den Scheintod100, die Pocken101 sowie schließlich mit einem vor der Goetheschen „Freitagsgesellschaft“ gehaltenen Vortrag über lebensverlängernde Diätetik die Aufmerksamkeit des Weimarer Herzogs Carl August erregt hatte, wurde er auf dessen Initiative 1792 zum Honorarprofessor mit Anwartschaft auf ein Ordinariat nach Jena berufen. Einen Ruf der Universität Pavia schlug er 1796 nach dem Versprechen der Weimarer Herrschaft, ein Loder und ihm anzuvertrauendes Hospital zu unterhalten, zwar aus. Nach Auseinandersetzungen mit dem seit 1798 in Jena lehrenden Schelling und seinen Anhängern ging er jedoch 1801 als Leibarzt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) und Direktor der „Charité“ nach Ber-
95 Ders., Versuch, 1784. Gruner hatte bereits mehr als ein Jahrzehnt davor, als praktischer Arzt in Breslau, ein einschlägiges Werk publiziert: Gedanken von der Arzneiwissenschaft und den Aerzten, Breslau 1772, 19–121. 96 Stark, J. C., Versuch, 1784, 128–178. 97 Ebd., 195–351. 98 Lindner, F. / Hufeland, G., Christoph Wilhelm Hufeland, 2004, 81–84. 99 Seine Dissertation trug den Titel „Dissertatio inauguralis medica sistens usum vis electricae in asphyxia experimentis illustratum“. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 189. 100 Hufeland, C. W., Ungewißheit, 1791. 101 Ders., Bemerkungen, 1788.
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lin.102 Seit 1810 als Ordinarius für spezielle Pathologie und Therapie an der neugegründeten Berliner Universität und zugleich als Mitglied der „Medicinalsektion“ bei der preußischen Regierung angestellt103, gehörte Hufeland zu den einflußreichsten deutschen Ärzten. Er starb 1836 in Berlin. Wie Nicolai, Gruner und Stark war auch Hufeland ein sehr vielseitiger Hochschullehrer. Eher theoretische Fachgebiete wie Pathologie, allgemeine und spezielle Therapie sowie Arzneimittelkunde gehörten ebenso zu seinem Lehrveranstaltungsspektrum wie klinische Praktika.104 Über den Kreis seiner Fachkollegen hinaus ist er mit Vorträgen über die „Kunst, das Leben zu verlängern“ bekannt geworden. Diese Vorlesungen, die er regelmäßig in den Sommersemestern hielt, sollen gelegentlich von bis zu 500 Zuhörern besucht worden sein.105 In der Tradition des Horaz, der die „Aurea mediocritas“, das „goldene Mittelmaß“, pries, empfahl Hufeland die Enthaltung von allen Extremen als Weg zur Erreichung eines hohen Alters.106 Das auf der Grundlage dieser Lehrveranstaltung erarbeitete Buch107 wurde ein internationaler Verkaufserfolg und ein bis ins späte 19. Jahrhundert konsultierter Ratgeber in diätetischen Fragen. Für den zeitgenössischen Arzt wie auch den Medizinhistoriker von heute aufschlußreicher hinsichtlich der von Hufeland vertretenen medizintheoretischen Positionen dürfte jedoch sein eigentliches Hauptwerk, „System der practischen Heilkunde“, sein. Im ersten Band dieses Werks entwirft der Autor geradezu eine vitalistische Philosophie der Medizin: Daß es eine für sich existierende Entität gibt, die als Lebenskraft bezeichnet werden kann, ist für ihn ein Axiom; das Leben könne als eine fortdauernde Erregung dieser Kraft definiert werden.108 Früher oder später sei die Lebenskraft eines jeden Organismus erschöpft. Wäre es aber unmöglich, sie bis zu einem gewissen Grad wiederherzustellen, müßte der Organismus sich in kürzester Zeit selbst verzehren. Folglich bestehe die Kunst der Lebenserhaltung darin, die „Lebenstätigkeit“ zu mäßigen und die „Restauration“ der Lebenskraft zu erleichtern.109 Daß sich die Lebenskraft regenerieren kann, ist nach Hufeland auch die Ursache dafür, daß der organische Körper in der Lage ist, Funktionsstörungen zu beheben. Darauf beruhe die Selbstheilungstätigkeit der Natur. Da die Natur ohne Hilfe aber ihren Zweck oft nicht erreicht, zumal dann nicht, wenn sie – wie es bei zivilisierten Mitteleuropäern nicht selten der Fall sei – ihre Integrität verloren habe, müsse man ihr in der Regel durch „Kunst“ beistehen.110
102 103 104 105 106 107 108 109 110
Kublik, S., Universität Jena, 2009, 165, 235–237. Lindner, F. / Hufeland, G., Christoph Wilhelm Hufeland, 2004, 91–93. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 69–92. Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 378. Goldmann, S., Christoph Wilhelm Hufeland, 1993, 175 f. Hufeland, C. W., Kunst, 1797. Ders., System, 1800, Einleitung, 2. Ebd., Einleitung, 6 f. Ebd., 13–16, 46–48.
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Somit hat Hufeland die Aufgaben des Arztes und die Grenzen seiner Möglichkeiten umrissen: Ohne Beihilfe der Naturtätigkeit ist keine Heilung möglich, jedoch kann der Heilkundige die Natur unterstützen beziehungsweise Mittel anwenden, die ihre Tätigkeit wieder in Gang setzen. Hufeland unterscheidet dasjenige, was am Prozeß des Lebens materiell ist – was also von den im Körper anwesenden Stoffen herrührt – von demjenigen, was an diesem Prozeß dynamisch ist, d. h. von den Erscheinungen, die dem Organismus als etwas Lebendigem eigentümlich sind. Da das Leben beide Komponenten aufweise, handle ein Arzt, der lediglich die im Organismus durch Reize veranlaßten Veränderungen berücksichtigt, ebenso falsch wie der, der nur auf die im Organismus stattfindenden chemischen Vorgänge blickt. Die Brownsche Kurmethode sei einseitig, da sie bloß auf den Grad der Erregbarkeit des zu therapierenden Organismus achtet.111 Die Reilsche Schule112, die Krankheit als das Resultat schädlicher chemische Reaktionen definiert, begehe den entgegengesetzten Fehler.113 Wolle man den Zustand der Lebenstätigkeit verändern, könne man dies vielmehr auf zweierlei Weise erreichen: Entweder man verbessert die Lebenstätigkeit so, daß diese in die Lage versetzt wird, materielle Fehler aufzuheben, oder man wirkt direkt, durch Mitteilung oder Entziehung von Stoffen, auf den materiellen Fehler ein.114 Gemäß der Auffassung, wonach dreierlei Störungen der Lebenstätigkeit auftreten können, diese nämlich zu sehr erhöht, zu sehr vermindert oder qualitativ fehlerhaft sein könne, entwickelt Hufeland eine detaillierte Lehre von den „Fundamentalmethoden der Heilkunst“: Während die „exzitierende Methode“ die Lebensäußerungen im Hinblick auf ihre energetische Potenz zu vermehren sucht, dieses Verfahren also bei zu geringer Lebenstätigkeit indiziert ist, zielt die „schwächende Methode“ darauf, die krankhaft hohe Vitalität des Organismus zu dämpfen.115 Als eine Sonderform dieser Methode führt Hufeland die „besänftigende Methode“ an; sie beabsichtige, nicht die Vitalität als solche, sondern nur die zu heftigen Lebensäußerungen zu kalmieren.116 Die „stärkende Methode“ ziele hingegen darauf, „die Lebensquantität eines Organs oder des ganzen Organismus zu vermehren“.117 Die „restaurierende Methode“ ist, so Hufeland, angezeigt, wenn dem Körper Stoffe zugeführt werden sollen, die er in eigene Bestandteile umzuwandeln vermag, die „ausleerende Methode“, wenn die Quantität der den Organismus konstituierenden Elemente vermindert werden soll.118 Ist ein bestimmtes Organ erkrankt, muß die für den Fall passende „spezifische Methode“ 111 Ebd., 61–64, Anmerkung. 112 Johann Christian Reil (1759–1813), deutscher Arzt und Naturwissenschaftler, Professor der Medizin in Halle und Berlin, war wie Hufeland von der Existenz einer eigentümlichen Lebenskraft überzeugt. Er gilt als Mitbegründer der wissenschaftlichen Psychiatrie. 113 Hufeland, C. W., System, 1800, 64, Anmerkung. 114 Ebd., 86 f. 115 Ebd., 307–321, 354–362. 116 Ebd., 346–353. 117 Ebd., 324. 118 Ebd., 399, 451.
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angewandt werden.119 Schließlich sei es auch möglich, durch Überreizung oder Entziehung eines besonderen Reizes die Lebenstätigkeit eines Organs so zu erhöhen oder zu verringern, „dass dadurch der entgegengesetzte Zustand in einem anderen Organ bewirkt wird.“120 Die Anwendung dieser „antagonistischen Methode“ sei jedoch heikel; sie setze eine genaue Kenntnis von den „Erregungsverhältnissen“ des Patienten voraus.121 Außer Konrad Joseph Kilian, der jedoch nur kurzzeitig, von 1801 bis 1803, als Privatdozent an der „Salana“ unterrichtete122, war Christoph Wilhelm Hufeland der einzige der um 1800 an der Jenaer Medizinischen Fakultät akkreditierten Hochschullehrer, der eine umfassendere Theorie der wissenschaftlichen Heilkunde ausgearbeitet hat. Daß er deren Prinzipien auch in seinen Lehrveranstaltungen vortrug, kann zwar nicht nachgewiesen werden, ist jedoch sehr wahrscheinlich. 3.2. Fakultätsinterne Konflikte Der Versuch, ein möglichst realitätsadäquates Bild von der Jenaer Medizinischen Fakultät um 1800 zu zeichnen, kann sich nicht darauf beschränken, ihre Protagonisten zu porträtieren. Die Gruppe der in Jena lehrenden Mediziner war nicht etwa nur die Summe einiger akzentuierter Persönlichkeiten. Sie war eine Körperschaft und als solche Bestandteil einer größeren, die akademische Korporation als Ganzes bildenden Einheit. Umso bemerkenswerter ist, daß die in der Fakultät um 1800 herrschende Atmosphäre spannungsgeladen und vielfach unkollegial war. Ein Grund für die Existenz von Spannungen dürfte die Konkurrenzsituation gewesen sein, in der sich die für dasselbe Studienfach zuständigen Lehrkräfte zwangsläufig befanden. Daß viele Medizindozenten einer großen Hörerzahl zuliebe den Konkurrenzkampf zudem planmäßig verschärften, war erst recht nicht geeignet, ein kameradschaftliches Verhältnis zwischen ihnen aufkommen zu lassen. So warben im Wintersemester 1796/97 die Ordinarien Nicolai und Gruner und Privatdozent Wilhelm Carl Friedrich Suckow (1770–1848) sich die an Pathologie interessierten Studenten gegenseitig ab.123 Im Sommerhalbjahr 1799 boten sowohl Loder als auch Stark der Ältere sowie der Privatdozent Johann Gottlieb Wilhelm von Eckardt (1769–1800) einen Kurs zur Praxis der Geburtshilfe an.124 Ein Jahr später konkurrierten Nicolai und Hufeland in „Allgemeiner Therapie“ miteinander, während nicht weniger als vier Lehrkräfte – der Extraordinarius Fuchs und die Privatdozenten Friedrich Ferdinand Bretschneider, Wilhelm Carl Friedrich Suckow und Christian Friedrich August von Hellfeld (1757–1840) – 119 120 121 122 123 124
Ebd., 363–382. Ebd., 384. Ebd., 392 f. Zimmermann, S. / Neuper, H., Professoren, 2008, 196 f. Ebd., 80. Ebd., 87 f.
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Arzneimittelkunde lasen.125 Man würde jedoch den Tatsachen nicht gerecht, wenn man in dem zwischen den Dozenten ausgetragenen Wettbewerb die einzige Ursache für das in der Fakultät herrschende unfreundliche Klima sehen wollte. So ist beispielsweise die Tatsache, daß von Feindseligkeiten zwischen Nicolai und Gruner nichts bekannt ist, obwohl gerade diese beiden Professoren permanent Lehrveranstaltungen zu denselben Themen angeboten haben, ein Indiz dafür, daß es auch andere Gründe für die das Fakultätsklima vergiftenden Mißhelligkeiten gegeben haben muß. Die Quellen lassen zwei innerhalb der Medizinischen Fakultät bestehende Dauerkonflikte erkennen: den Konflikt zwischen Gruner und Loder und den Konflikt zwischen Loder und Stark dem Älteren. Gruners Kritik an der von der Weimarer Herrschaft sanktionierten Zwangsentbindung unehelich Schwangerer in der Jenaer Entbindungsanstalt und die daraufhin erfolgte Maßregelung des unbotmäßigen Professors ist in die Historiographie eingegangen:126 In einer Ende 1780 gehaltenen Rede hatte Gruner geäußert, daß Herrschaftsträger, die unehelich Schwangere nötigten, sich in Gebärhäusern entbinden zu lassen, den Kindsmord eher begünstigten als daß sie ihn verhinderten.127 Anlaß zu dieser Polemik hatte eine Jenaer Braumeistertochter gegeben, die, nachdem ein Student sie angeblich mit Billigung Loders zu „touchieren“ versucht hatte, die Anstalt fluchtartig verlassen und ihr Kind ohne sachkundige Hilfe geboren hatte, wobei dieses unter ungeklärten Umständen ums Leben gekommen war.128 In ihrem Selbstverständnis von Menschenfreundlichkeit gekränkt, hatte die Weimarer Regierung Gruner einen förmlichen Verweis erteilt und ihm das Versprechen abverlangt, sich fortan aller negativen Äußerungen über das Entbindungsinstitut zu enthalten. Schließlich war sie davon überzeugt, daß die einschlägigen Zwangsdekrete notwendig seien, um die in „ungeordneten Verhältnissen“ gezeugten Kinder so gut wie möglich vor ihren für latent kriminell gehaltenen Müttern schützen zu können. Auch glaubten die Herrschaftsträger, nur so sicherstellen zu können, daß den auszubildenden Medizinstudenten und Hebammen eine hinreichend große Zahl Patientinnen zur Verfügung stehe.129 Die Quellen zeigen, wie sehr sich auch Institutsdirektor Loder von Gruner in seinem philanthropischen Selbstverständnis getroffen fühlte. Bereits Ende 1779 hatte er sich über einen den Institutsbetrieb kritisierenden Zeitungsartikel erregt, als dessen Verfasser er Gruner identifizieren zu können behauptete.130 In einem Brief an einen Freund ließ er seinem Zorn, in den ihn der neuerliche Angriff sei-
125 Ebd., 90 f. 126 Giese, E. / v. Hagen, B., Geschichte, 1958, 312–314; Wolter, S., Accouchier Hospital, 1999, 131 f.; Müller, G., Regieren, 2006, 147. 127 Loder an Ernst Adolph Weber, Brief v. 05.01. 1781, in: ThHStAW. A 6665, Bl. 1–2v. 128 Vgl. ThHStAW, B 6242, Bl. 167–172v. 129 Vgl. ThHStAW, A 6665, Bl. 32. 130 J. C. Loder an J. F. v. Fritsch, Brief vom 29.12. 1779, in: GSAW, 20/II, 1,3, Bl. 68–68v. Der Aufsatz war, wie damals üblich, ohne Angabe des Autors erschienen.
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nes Kollegen versetzt hatte, freien Lauf.131 Er verzichtete aber darauf, diesen wegen Beleidigung zu verklagen. So kam Loder der Herrschaft, die den angesehenen Gelehrten Gruner nicht an eine auswärtige Universität verlieren wollte, entgegen.132 Die erste Auseinandersetzung zwischen Gruner und Loder hatte schon bald nach der Berufung des fünfundzwanzigjährigen Göttinger Studienabsolventen auf den Jenaer Anatomielehrstuhl stattgefunden. Als sich während der Vorbereitungen zur Eröffnung der Entbindungsanstalt Ende 1778 Stark der Ältere um eine außerordentliche Professur bewarb, hatte Gruner in einem dem Gutachten der Fakultät widersprechenden Seperatvotum nicht nur die Qualifikation des ebenfalls erst fünfundzwanzigjährigen Bewerbers angezweifelt, sondern auch dessen Fürsprecher Loder angegriffen: Besondere Leistungen habe Loder noch nicht erbracht; rhetorische Fertigkeiten allein machten noch keinen guten Hochschullehrer. Vor allem hatte sich Gruner berechtigt gefühlt, dem jüngeren Kollegen einen gravierenden Regelverstoß vorzuwerfen: Loder setze sich über die an der „Salana“ geltenden Observanzen hinweg. Auf sein Anraten habe Stark bei der Weimarer Regierung um den Titel nachgesucht, ohne zuvor der Fakultät Gelegenheit gegeben zu haben, sich zu seinem Anliegen zu äußern.133 Loder hatte erwidert, daß dies auch gar nicht erforderlich sei. Auch ein Philosophieprofessor habe neulich seinen Antrag auf Erteilung einer Honorarprofessur der Theologie direkt bei den für die Universität zuständigen Regierungen eingereicht, ohne daß er dafür von irgendjemandem kritisiert worden sei. Es könne also nicht die Rede davon sein, daß jeder, der an der „Salana“ befördert werden wolle, sich zunächst an die jeweilige Fakultät wenden müsse. Im Übrigen sei es seinen „Begriffen von der schuldigen Devotion gegen unsere gnädigsten Nutritoren am gemäßesten“, Gesuche an sie, nicht an die Fakultät, zu richten.134 Dieser Vorgang wirft Licht auf die von beiden Kontrahenten gehegte Vorstellung vom Charakter der Jenaer Universität. Für Gruner war sie ein korporatives Gemeinwesen, dessen Eigenständigkeit gesichert werden sollte. Loder dagegen sah in ihr schlechterdings eine den ernestinischen Herzögen gehörende „Akademie“. Es verwundert nicht, daß Gruner, angesichts der von Loder geradezu trotzig bekundeten Herrschaftskonformität diesen fortan als Gegner der akademischen Körperschaft betrachtete und dessen Einfluß beschränkt sehen wollte. Seine Hal131 J. C. Loder an E. A. Weber, Brief vom 05.01. 1781, in: ThHStAW, A 6665, Bl. 1–2v. 132 Der Gothaer Geheimrat Sylvius Friedrich Ludwig von Frankenberg befürchtete, daß Gruner angesichts eines ihm drohenden Prozesses einen Ruf an eine preußische Universität annehmen könnte; Frankenberg an J. F. v. Fritsch, Brief v. 15./18.02. 1781, in: ThHStAW, H 1558, Bl. 34–36. 133 Fakultätsmissiven, Voten und Gutachten, betreffend die Verhandlungen über die Ernennung J. C. Starks zum außerordentlichen Professor der Medizin, vom 23.12. 1778 bis 09.01. 1779, hier Separatgutachten Gruners vom 27.12. 1778, in: ThHStAW, A 6663, Bl. 3–13, hier Bl. 5– 7. 134 Ebd., Erwiderung Loders auf Gruners Separatgutachten, Bl. 7v–9, hier Bl. 7v.
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tung in dieser Frage gibt Anlaß, seine Polemik gegen die Jenaer Entbindungsanstalt unter zweierlei Aspekten zu sehen: Zweifellos war sie nicht zuletzt Ausdruck humaner Gesinnung. Daß sich Schwangere gegen ihren Willen in einer auch als akademische Ausbildungsstätte dienenden Einrichtung entbinden lassen sollten, empörte Gruner um so mehr, als manche Frauen eher ihr Leben und das ihres Kindes aufs Spiel setzten als daß sie sich den Blicken und Griffen fremder junger Männer ausgesetzt hätten. Seiner negativen Einstellung gegenüber der Jenaer Entbindungsanstalt dürfte aber auch ein anderes Motiv zugrunde gelegen haben. Wenn er die Selbständigkeit der akademischen Korporation für bewahrenswert hielt, so mußte ihm die Errichtung von Instituten suspekt sein, die, wie die Entbindungsanstalt, zwar von der Universität genutzt werden durften, aber nicht ihr, sondern dem Landesherrn gehörten. Daß sich das Lehrangebot in zunehmendem Maß auf solche Institute stützen könnte und dies die Universität mehr und mehr in Abhängigkeit von der Weimarer Landesherrschaft bringen würde, war für Gruner Grund zur Sorge, während Loder eine solche Entwicklung befürwortete und förderte.135 Eine weitere Ursache dafür, daß Gruner und Loder zu Gegnern wurden, waren ihre unterschiedlichen Vorstellungen vom Arztberuf. Gruners Auffassung nach sollte ein Arzt nicht etwa ein Techniker der Heilkunde, sondern ein sich der humanistischen Grundlagen seines Standes bewußter, umfassend gebildeter Gelehrter sein. Fertigkeiten, die seit je von Akademikern erwartet wurden, wie etwa die, Latein sprechen zu können, gehörten für ihn zum Repertoire, das ein Arzt – und erst recht ein Lehrer der wissenschaftlichen Heilkunde – beherrschen müsse.136 Loder dagegen sah derartige Humanoria eher als Ballast an, mit dem sich ein Mediziner nicht unbedingt herumzuschleppen brauche.137 Anfang der 1790er Jahre nahm Gruner den zum Erliegen gekommenen Kampf gegen seinen Kontrahenten wieder auf. Damit trug er der Tatsache Rechnung, daß Loder für die Weimarer Herrschaft nicht mehr, wie im ersten Jahrzehnt seiner Jenaer Tätigkeit, der von ihr in beinahe allen Hochschulangelegenheiten konsultierte Berater war.138 Ein wesentlicher Grund für den Positionsverlust des selbsternannten „wahren Kanzlers“ der Jenaer Universität139 dürfte die Marginalisierung seines Protektors, des bisherigen ersten Weimarer Ministers Jakob Friedrich von Fritsch, gewesen sein. Der neue starke Mann in der Weimarer Regierung war Christian Gottlob Voigt. Dieser hatte bei der Bekämpfung der mißliebigen Studentenverbindungen einen harten Kurs verfolgt und sich nicht
135 Kublik, S., Universität Jena, 2009, 127–130; Ders., Justus Christian Loder, 2004, 52–62. 136 Vgl. Senatsprotokoll, betr. die Beratung über die Verbesserung der Universität vom 19.11. 1791, in: ThHStAW, A 5589, Bl. 20–27. 137 Votum Loders anläßlich der Beratung über die Verbesserung der Universität, o. D. (Winter 1791/92), in: ThHStAW, A 5589, Bl. 35–41v. 138 Kublik, S., Justus Christian Loder, 2004, 56. 139 Loder an Friedrich Jakob, Brief v. 03.02. 1810, in: Archiv für Geschichte der Medizin, Bd. XI, 1919, 303.
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zuletzt damit das Vertrauen des Herzogs erworben.140 Zu Loder, dessen Vielgeschäftigkeit ihm suspekt war, konnte er kein Vertrauen fassen. Ende 1791 ergriff Gruner die Initiative zur Wiedereinführung der Disputation als Voraussetzung zur Erteilung der Lehrerlaubnis: Die Fakultätsstatuten, monierte er in einem für die Herrschaftsträger bestimmten Sitzungsprotokoll des Jenaer akademischen Senats, schrieben die lateinische Disputation als von angehenden Privatdozenten zu absolvierende Leistung vor. Loder aber dispensiere seine Favoriten von dieser Aufgabe.141 Daraufhin versicherte Weimar zwar, daß alles, was die Statuten forderten, auch geleistet werden müsse142, Loder aber machte sich nunmehr die Bestimmung zunutze, daß die Fakultät die Disputation in begründeten Fällen erlassen durfte und der dritte „Fakultist“, Nicolai, sich seinem Votum gewöhnlich anschloß.143 Als 1801 der Privatdozent Kilian Lehrveranstaltungen zu Themen ankündigte, die Gruner als seine Domäne betrachtete, beschwerte er sich erneut über die von Loder nach wie vor geübte Dispensationspraxis.144 Gruners rhetorisch versierte Klage veranlaßte die für die Universität zuständigen Politiker nun doch, die Verfassung der „Salana“ zu revidieren. Das Resultat dieser Revision war unter anderem die Bestätigung der herkömmlichen Habilitationsbestimmungen.145 Auch das Verhältnis zwischen Loder und Stark dem Älteren verdient die Bezeichnung „Dauerfehde“. In der Frühphase ihrer Bekanntschaft war Stark, wie bereits erwähnt, Loders Protegé; er verdankte seinen Aufstieg vom Privatdozenten zum Extraordinarius und Unterdirektor der Jenaer Gebäranstalt im Frühjahr 1779 der Fürsprache des im Jahr zuvor an die „Salana“ berufenen Anatomen.146 Allerdings war Stark nicht gewillt, sich mit einer subalternen Position zufriedenzugeben. Zwei Jahre nach seiner Ernennung zu Loders Stellvertreter in der Entbindungsanstalt gründete er sein auch als Ausbildungsstätte für Studenten genutztes „Klinisches Institut“. Bereits diese Initiative erregte Loders Mißfallen: Nachdem 140 Müller, G., Regieren, 2006, 330 f.; Kublik, S., Universität Jena, 2009, 191 f. 141 Senatsprotokoll, betr. die Beratung über die Verbesserung der Universität vom 19.11. 1791, in: ThHStAW, A 5589, Bl. 20–27. 142 Kanzleischreiben Sachsen-Weimar-Eisenachs an Sachsen-Gotha-Altenburg vom 09.02. 1792, in: ThHStAW, A 5589a, Bl. 67–80, Bl. 44–44v. 143 Erwiderung Gruners auf den Bericht der Jenaer Medizinischen Fakultät vom 12.12. 1801, in: ThHStAW, A 5589a, 291–202v. 144 Gruner an Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, Brief v. 17.03. 1801, Eingabe Gruners an das Geheime Consilium von Sachsen-Weimar-Eisenach vom 20.03. 1801, in: ThHStAW, A 5964, Bl. 1–5, Bl. 14–16. 145 Bericht der Universität Jena, Mitteilung der Senatsbeschlüsse auf die in der kommissarischen Beratung vom 14.12. 1801 ausgesetzten Punkte vom 01.02. 1802, ThHStAW, A 5589a, Bl. 338–348. 146 Fakultätsmissiven, Voten und Gutachten zu den Verhandlungen über die Ernennung Starks zum außerordentlichen Professor der Medizin vom 27.12. 1778, in: ThHStAW, A 6333, Bl. 3–13; Bericht der Weimarer Generalpolizeidirektion, enthaltend u. a. Antrag Loders auf Einsetzung Starks als Unterdirektor der Entbindungsanstalt vom 07.04. 1779, in: ThHStAW, B 6242, Bl. 155–158v.
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er erfahren hatte, daß der Weimarer Herzog Stark anläßlich der Eröffnung seiner Klinik eine Gratifikation von 50 Talern hatte zukommen lassen, appellierte er an die Herrschaft, das neue Institut nicht dauernd zu subventionieren. Dies könnte seinem eigenen Projekt – einem chirurgischen Hospital – „den fonds benehmen“, zumal es „schwer halten würde, dem, der einmal eine Art von precärem Possess hätte“, diesen wieder zu entziehen.147 Loders Studienaufenthalt in Westeuropa, der sich vom Juni 1782 bis in den Frühherbst 1783 erstreckte148, gab dem als kommissarischen Leiter des Accouchierhauses eingesetzten Stark die Gelegenheit, seinen Ruf als Geburtshelfer zu festigen. Die Universität Gießen versuchte ihn abzuwerben, was die für die „Salana“ zuständigen Herrschaftsinstanzen veranlaßte, ihm die Anwartschaft auf eine ordentliche Professur zuzusichern.149 So hatte er allen Grund, dem wieder anwesenden Loder selbstbewußt gegenüberzutreten, und dies erst recht, nachdem er wenige Monate nach Loders Rückkehr mit einer für Mutter und Kind gleichermaßen glücklich verlaufenen Kaiserschnittentbindung über die Grenzen seines Wirkungskreises hinaus bekannt geworden war. Da Loder von ihm gleichwohl Subordination verlangte, steigerten sich die Spannungen zwischen ihnen bis zur offenen Feindseligkeit. Anläßlich eines chirurgischen Notfalls kam es 1784 zum Eklat: Vor Studenten bezichtigte Stark Loder, sich eines Kunstfehlers schuldig gemacht zu haben. Er korrigierte den vermeintlichen Fehler und beging dabei selbst einen, woraufhin Loder den Vorfall bei der Weimarer Regierung anzeigte.150 Diese war jedoch nicht gewillt, Loders vielversprechenden Konkurrenten zu maßregeln. Mit Starks Ausscheiden aus seinem Amt als Subdirektor der Entbindungsanstalt fand 1789 zwar ein unerträgliches Arbeitsverhältnis sein Ende, nicht aber die zwischen Stark und Loder bestehende Rivalität. Besonders demütigend dürfte es für Loder gewesen sein, daß unehelich Schwangeren nun die Wahlmöglichkeit eingeräumt wurde, sich künftig unter seiner oder Starks Aufsicht entbinden zu lassen.151 Daß es ihm gelang, Loder im Wettbewerb um die Sympathie der Herrschaft zu übertrumpfen, verdankte Stark zweifelsohne seinem außergewöhnlichen therapeutischen Geschick. Den Anfang 1801 lebensgefährlich an einem Erysipel erkrankten Goethe rettete nach dessen eigenem Zeugnis der inzwischen „hocherfahrene Leibarzt“ des Herzogs mit seinem „im Praktischen (…) sicheren Griff“.152 Wesentlich zu seiner Beliebtheit dürfte beigetragen haben, daß Stark sein ärztli147 Loder an J. F. v. Fritsch, Brief v. 28.11. 1781, in: GSAW 20/II, 2,1, Bl. 61–63. 148 v. Hagen, B., Loders Studienreise, 1957/58. 149 Gesuch Starks an Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach vom 11.07. 1783 und Reskript Carl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach an die Universität Jena vom 28.08. 1783, in: ThHStAW, A 6333, Bl. 142–142v, Bl. 144. 150 Loder an J. F. v. Fritsch, Brief v. 25.12. 1784, in: GSAW 20/II, 3,1, Bl. 32. 151 Reskript Carl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach an die Generalpolizeidirektion Weimar vom 27.01. 1789, in: ThHStAW, B 6242, Bl. 233–233v. 152 Goethe, J. W., Sämtliche Werke, Münchner Ausgabe Band 14, 1986, 64.
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ches Können allem Anschein nach mit einer betont einfühlsamen Haltung gegenüber seinen Patienten zu verbinden wußte. Jedenfalls hielt er seine Schüler dazu an, ein Hauptaugenmerk auf die Schmerzbekämpfung zu legen. Dabei scheute er sich auch nicht, die Verabreichung von Opium ausdrücklich zu empfehlen: „Selten gehe ich zu einem Kranken, oder einer Kreisenden, ohne meine bekannten OpiatMittel bei mir zu haben. Eine kleine Prise meiner OpiatMittel hat mir so manchen Kranken und so manches Ansehen verschafft.“153 Ihn wegen seiner großzügigen Einstellung gegenüber dem Einsatz eines suchterzeugenden Stoffs zu kritisieren, hieße, die damaligen Möglichkeiten und Grenzen ärztlicher Intervention falsch einzuschätzen. Eine die Krankheit kausal angreifende Therapie war für viele Fälle unbekannt. Meist mußte man sich darauf beschränken, die Symptome zu behandeln und die Selbstheilungskräfte des Organismus zu unterstützen. Stellt man zudem in Rechnung, daß viele chronisch Kranke erst dann professionelle Hilfe suchten, wenn ihr Leiden unerträglich geworden war, so erscheint es verständlich, daß ein Arzt ihnen ohne zu zögern ein unzweifelhaft wirksames Schmerzmittel verordnete. Eine solche Einfühlsamkeit wie Stark sie seinen Patienten gegenüber bewiesen haben dürfte, ließ Loder wohl eher vermissen. Seine unablässigen Bemühungen um die Herbeischaffung von Demonstrationsmaterial für den Anatomieunterricht dürfte Kranken wohl kaum Vertrauen zu ihm eingeflößt haben. Als er im Herbst 1796 die Leiche eines von Starks Patienten mit der Begründung auf „das Anatomische Theater“ bringen ließ, daß niemand ein Begräbnis habe ausrichten wollen und er daher berechtigt sei, den „Cadaver“ zu Lehrzwecken zu verwenden, appellierte Stark an Carl August: Loder habe ungesetzlich gehandelt, sei doch der Dienstherr des Verstorbenen sehr wohl bereit gewesen, die Begräbniskosten zu übernehmen. Im Übrigen halte er es für unumgänglich, eine Verordnung zu erlassen, nach der Verstorbene, die bei ihm in Behandlung waren, nicht auf „der Anatomie“ seziert werden dürften: „Es würden in Zukunft die Clinica in der Zahl der Kranken ungemein verliehren, und selbst der Zweck, armen kranken Personen ihr Elend erträglich zu machen(…) verfehlt werden, indem die Furcht, Hülfe aus dem Clinico zu suchen, verbunden mit der Ungewissheit, ob nicht vielleicht nach ihrem Tode ihre Leichname durch das anatomische Messer auf dem anatomischen Theater zerstückelt [würden], ihnen dergestalt erschütternd (…) seyn würde, daß sie sich eher ihrem traurigen Schicksal überließen, als bey den clinischen Aerzten Hülfe zu suchen.“154
Der Herzog verschloß sich den Argumenten seines Leibarztes nicht. Starks Gesuch wurde stattgegeben, und Loder sah sich als Zweckrationalist bloßgestellt.155 Gewiß ist es kein Zufall, daß sein Antrag, ihm gemeinsam mit Hufeland ein auf 153 Stark, J. C., Versuch, 1784, 286 f. 154 Stark an Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, Promemoria vom 21.11. 1798, in: ThHStAW, A 6343, Bl. 1–7. 155 Reskript Carl Augusts von Sachsen-Weimar-Eisenach an die Regierung Weimar vom 16.12. 1796, in: ThHStAW, A 6343, Bl. 15–15v.
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Staatskosten zu betreibendes chirurgisches Hospital zur Verfügung zu stellen, gerade zu diesem Zeitpunkt abgewiesen wurde.156 4. Zusammenfassung Auch wenn es im Rahmen dieser Studie nicht möglich ist, das akademische Leben der Jenaer Medizinischen Fakultät mit den an anderen Medizinischen Fakultäten herrschenden Verhältnissen zu vergleichen, so erlauben die vorliegenden Untersuchungsergebnisse doch, Gründe für den Aufstieg der „Salana“ zur in den 1790er Jahren bestbesuchten deutschsprachigen Ausbildungsstätte für künftige Mediziner anzuführen. Bereits in den 1770er Jahren waren wichtige Voraussetzungen für diesen Aufstieg gegeben. Zwar stand den Medizindozenten und -studenten neben dem „Hortus medicus“ lediglich ein „Anatomisches Theater“157 als Lehr- und Forschungseinrichtung zur Verfügung, während die damals modernste deutsche Universität, Göttingen, angehenden Ärzten seit 1751 praktischen Unterricht in einer Entbindungsanstalt anbieten konnte.158 Dafür besaß die Jenaer Medizinische Fakultät aber eine beträchtliche Menge sogenannten Humankapitals. Mit Ernst Anton Nicolai und Christian Gottfried Gruner gehörten ihr zwei Gelehrte als Ordinarien an, die weithin großes Ansehen genossen und sich zudem nicht darauf beschränkten, die im Titel ihrer Professur genannten Gebiete zu bearbeiten, sondern ihren Studenten ein darüber hinausgehendes, breitgefächertes Lehrangebot offerierten. Auch hatte die wichtigste für die Jenaer Universität zuständige Herrschaftsinstanz, der weimarische Staat, mit dem Plan, ein auch der universitären Lehre dienendes „Accouchierhaus“ nach Göttinger Vorbild zu errichten, den Grund für die Etablierung des Unterrichts am Krankenbett gelegt. Zwar verzögerte sich die Eröffnung des Entbindungsinstituts wegen Krankheit des als Direktor vorgesehenen Professors Johann Ernst Neubauer und wegen des Widerstands, den die Bevölkerung der Einrichtung eines solchen Instituts entgegensetzte, bis 1779.159 Doch als mit Justus Christian Loder ein junger, dynamischer Nachfolger für Neubauer gefunden war, wurde das Accouchierhausprojekt zügig in die Tat umgesetzt. Die Verwirklichung dieses Projekts markiert den Beginn einer Blüteperiode. Im Jahrfünft zwischen 1781 und 1785 vermehrte sich die Zahl der an der Jenaer Medizinischen Fakultät angebotenen Lehrveranstaltungen auf insgesamt 316 gegenüber 266 im Jahrfünft zwischen 1776 und 1780. Ab 1785 – nachdem die Erweiterung des Lehrbetriebs überall bekannt geworden war – erhöhte sich auch die Studentenfrequenz kontinuierlich.160 Zweifelsohne verdankte sich dieser Auf156 157 158 159 160
Loder an J. F. v. Fritsch, Brief v. 17.11. 1796, in: GSAW 20/II, 5,4, Bl. 23–23v. Vgl. Fröber, R. / Pester, T., Museum anatomicum Jenense, 1996. v. Selle, G., Georg-August-Universität, 1937, 72. Kublik, S., Universität Jena, 2009, 108–112. Rasche, U., Umbrüche, 2001, 107, Diagramm 109.
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schwung nicht zuletzt auch der Tatsache, daß Anfang der 1780er Jahre zwei weitere medizinische Institute eingerichtet worden waren: das Poliklinikum Starks des Älteren sowie Loders chirurgische Krankenstation. Der von Semester zu Semester größere Andrang von Studenten evozierte wiederum ein weiter wachsendes Lehrveranstaltungsangebot. Für zunehmend mehr Lehrkräfte ergab sich nun die Chance, an der Jenaer Medizinischen Fakultät ihr Auskommen zu finden, auch wenn sie als unbesoldete Extraordinarien oder Privatdozenten von Hörergeldern leben mußten. Die für die Universität verantwortlichen Herrschaftsträger trugen der gestiegenen Nachfrage an medizinischen Lehrveranstaltungen Rechnung, indem sie fähigen Dozenten ein Extragehalt aussetzten und besonders talentierte Lehrkräfte, wie etwa Johann Christian Stark den Älteren oder Christoph Wilhelm Hufeland, zum sogenannten überzähligen ordentlichen Professor mit Anwartschaft auf eine Nominalprofessur beförderten. Mit der Vergrößerung des Lehrkörpers und der Vermehrung des Lehrangebots ging die Ausdifferenzierung der Lehre einher. Mediziner, die besondere, auch entlegene Gebiete der Heilkunde bearbeiteten, konnten nun hoffen, einen größeren Interessentenkreis für ihre Forschungsergebnisse zu finden. Neben Vorlesungen, die seit alters zum Kanon der Ärzteausbildung gehörten, wie etwa solchen zur Anatomie, Physiologie, Pathologie, Semiotik sowie zur allgemeinen und speziellen Therapie, traten mehr und mehr Lehrveranstaltungen zu speziellen Krankheiten und zur Problematik der staatlichen Gesundheitsfürsorge, vor allem aber die in den klinischen Instituten offerierten Unterweisungen am Krankenbett hinzu. Abgesehen von den für die Vermittlung medizinischen Grundwissens zuständigen Ordinarien Nicolai und Gruner hatten fast alle längere Zeit an der „Salana“ tätigen Medizindozenten den Ehrgeiz, praktische Übungen bzw. „Klinika“ anzubieten, wobei der dadurch entstandene große Konkurrenzdruck die Lehrkräfte zu Höchstleistungen motiviert haben dürfte. Eine solche Konstellation bot angehenden Medizinern die wünschenswertesten Bedingungen, sich für ihren Beruf zu präparieren. Daß die in den letzten beiden Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts prominentesten Vertreter der Medizin in Jena akzentuierte Persönlichkeiten waren, provozierte einerseits fakultätsinterne Konflikte, trug aber andererseits maßgeblich dazu bei, ein für Studierende anregendes Klima zu schaffen. Jeder dieser akademischen Lehrer verkörperte einen anderen Wissenschaftlertypus: War Nicolai der spekulative Kopf, der nüchternen Blick mit philosophischem Sinn verband, so war Gruner der in vielen Fächern bewanderte Gelehrte, der sich als Arzt strikt an Tatsachen hielt, ohne die theoretische Untermauerung der wissenschaftlichen Heilkunde generell abzulehnen. Während Loder als ein von ethisch-religiösen Erwägungen wenig beeinflußter Naturforscher gelten durfte, erregte Hufeland als Systematiker und Stark der Ältere als therapeutischer Praktiker Aufmerksamkeit. Es versteht sich, daß der Verlust prägender Gelehrter innerhalb weniger Jahre Auswirkungen auf die Gestalt der Jenaer Medizinischen Fakultät haben mußte. Die Anzahl der Lehrveranstaltungen verringerte sich im Jahrfünft von 1801 bis 1806 um ein Viertel, nahm in den nächsten zehn Jahren weiter ab und erholte sich
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erst im darauffolgenden Jahrfünft von 1816 bis 1820 wieder leicht. Zugleich stürzten die Immatrikulationszahlen nach 1803 unter das Niveau von 1780, wobei allerdings die anderen Fakultäten von diesem Frequenzverfall ebenso betroffen waren wie die Medizinische.161 Was Loder und Hufeland, aber auch andere Jenaer Dozenten aller Fakultäten bewogen hat, die „Salana“ zu verlassen, kann hier nicht näher erörtert werden. Festgehalten sei hier lediglich, daß die in den letzten Jahren des 18. Jahrhunderts virulent gewordenen Konflikte zwischen Empiristen und „orthodoxen“ Kantianern einerseits und den Anhängern der Schellingschen Naturphilosophie unter den Jenaer akademischen Lehrern andererseits ein Klima generierten, das es vielen von ihnen ratsam erscheinen ließ, die Offerten des preußischen und bayerischen Staates anzunehmen.162 Daß der Weggang solch angesehener Hochschullehrer wie Loder und Hufeland dem Ruf Jenas geschadet und also angehende Mediziner abgehalten hat, dort zu studieren, darf zumindest vermutet werden. Zwar gelang es den für die „Salana“ zuständigen Herrschaftsträgern, die personellen Verluste durch eine geschickte Berufungspolitik binnen kurzer Zeit auszugleichen. Zwar sorgten die Neuberufenen gemeinsam mit solchen seit langem berühmten Professoren wie etwa Gruner und Stark dem Älteren dafür, daß die Vermittlung medizinischen Wissens und ärztlicher Fertigkeiten in Jena nach wie vor dem Stand der Wissenschaft entsprach. Aber wenn sich das Frequenzniveau – zunächst zögernd und mit kriegsbedingten Rückschlägen – auch wieder erholte, so waren die großen Zeiten der Jenaer Medizinischen Fakultät doch vorbei. Einen Spitzenplatz unter den Ausbildungsstätten für angehende Mediziner konnte die „Salana“ nicht wieder belegen.
161 Rasche, U., Umbrüche, 2001, 124 f. 162 Kublik, S., Universität Jena, 2009, 229–245.
„Hauptsache aber für das Emporkommen der Universität ist die Bibliothek“ Leser und Lektüre der Universitätsbibliothek am Anfang des 19. Jahrhunderts Franziska Schulz 1. Einleitung „Hauptsache aber für das Emporkommen der Universität ist die Bibliothek ohne Zweifel, ich möchte sagen hauptsächlichste Hauptsache. Darum ist Vermehrung ihres Fonds die huldreichste Gewährung.“1 So urteilte Johann Christan Hasse (1779–1830), Professor der Rechte an der Jenaer Universität, Anfang des 19. Jahrhunderts über die Bibliothek, weiter schrieb er: „Soll diese aber auch wirklich Früchte tragen für unser Gemeinwesen, so ist unentbehrlich, daß den Professoren ein viel freyerer Gebrauch vergönnt werde, als bisher Statt gefunden. Für sie, für die Lehrenden und Schaffenden, ist der Gebrauch derselben nur Nebensache, und kann ihnen in Unmaaße und ohne Leitung leicht schädlich werden. Bisher haben die Professoren hierin wenig vor den Studenten voraus gehabt, obgleich diese unter der Bürgschaft jener den Gebrauch haben. In Hinsicht der Zeit, wo ihnen erlaubt ist, auf die Bibliothek zu gehen, stehen sich Lehrer und Lernende gleich. Es sind dazu ein paar Stunden zweimal in der Woche angesetzt, gerade die allerunbequemsten Stunden die es geben kann, die Mittagsstunden, je nachdem man früher oder später ißt, die Eßstunden oder die, da man soeben vom Tische aufgestanden ist. Nicht einmal im Catalog angezeigt sind diese Stunden, noch in diesem Augenblick weiß ich sie nicht genau anzugeben, da ich mich der Gefälligkeit des Herrn Professor Güldenapfel bedient habe, um auf die Bibliothek zu kommen, und sonst meinen Famulus geschickt habe.“2
Wenige Tage später heißt es in einem Ergänzungsschreiben: „Kein einziges Journal, keine einzige Literaturzeitung ist, wie mir Güldenapfel gesagt hat, vollständig auf der Bibliothek, die Heidelb. Jahrbücher, die ich gar nicht zu entbehren weiß, sollen gar nicht vorhanden seyn. Dieß soll nach Güldenapfels Vorgeben daran liegen, daß Eichstädt immer verspricht, sie aus seiner Lesegesellschaft dahin abzuliefern, es aber nie thut. Welch ein Zustand aber, da das Bedürfniß einer öffentlichen Anstalt von den Zufälligkeiten und Launen eines Privatinstituts rein abhängig gemacht ist! Es ist schön, daß auch für die Nachwelt gesorgt werden soll und der H GRath v. Göthe wird sich ohne Zweifel durch Plan
1 2
Zitiert nach: Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 385. Zitiert nach: ebd.
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und Mitwirkung ein unsterbliches Verdienst mehr erwerben; aber möchte doch auch für die Mitwelt, u. zwar für das augenblickliche laut schreiende Bedürfniß gesorgt werden!“3
Professor Hasse war bis zu seiner Berufung nach Berlin 1818 selbst eifriger Nutzer der Bibliothek und daher mit den Begebenheiten sehr vertraut. Die Zustände der Bibliothek wurden aber auch von anderen Nutzern häufig kritisiert. Die kurzen Öffnungszeiten boten immer wieder Anlaß zur Klage, und auch die Beschaffung benötigter Literatur ließ zu wünschen übrig. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) und Christian Gottlob Voigt (1743–1819) übernahmen 1817 die Oberaufsicht über die Universitätsbibliothek in Jena, nachdem ihnen schon 1797 die Herzogliche Bibliothek in Weimar unterstellt worden war. Unter deren Leitung wurden nicht nur Öffnungszeiten und Bestände stetig erweitert, sondern auch weitere Veränderungen in der Bibliotheksverwaltung vorgenommen, die die Ausleihpraxis prägten. Wichtig dabei ist vor allem die Einführung der Ausleihbücher, die es möglich machen, einen umfangreichen Überblick über Leser und Lektüre am Anfang des 19. Jahrhunderts zu erhalten. Die Untersuchung von Universitätsbibliotheken gerät nur selten und dann meist am Rande in das Blickfeld von Universitätsgeschichtsschreibung. Als Sammelstellen für wichtige Literatur und Fundort für zahlreiche an der Universität selbst entstandene Werke ist der Wert einer Universitätsbibliothek jedoch nicht zu unterschätzen. Eine genaue Untersuchung des Bibliotheksalltags, der Zugangsmöglichkeiten, der Leihvorgänge, der Nutzer und der entliehenen Lektüre kann wichtige Aufschlüsse über die Relevanz einer solchen Institution, aber auch über Mentalität und Umgang innerhalb der Universität liefern. Im folgenden sollen auf der Grundlage der Ausleihbücher wesentliche Detailinformationen gegeben werden, die einen tiefen Einblick in das Wesen der Bibliothek am Anfang des 19. Jahrhunderts liefern. Dazu werden zunächst Universitätsgeschichte und Ausleihbedingungen näher erläutert, bevor dann die Ausleihbücher als eine wichtige Quelle der Lese(r)geschichte vorgestellt werden. In einem dritten Kapitel wird eine genaue Analyse der Leserschaft in den Jahren 1799 bis 1822 vorgenommen. Ergänzend hierzu werden die Leser der Schloßbibliothek in Jena einbezogen. In einem letzten Abschnitt wird auf die Entleihungen eingegangen.
2. Geschichte und Verwaltung Mit der Gründung der Jenaer Universität 1558 wurde auch die Etablierung einer neuen Universitätsbibliothek notwendig. Hierfür eignete sich die ebenfalls unter Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen verwaltete berühmte Bibliothek der Universität in Wittenberg.4 Im 16. Jahrhundert gelang es, rund 3000 Bände wertvoller Manuskripte und Bücher über Weimar nach Jena zu transportieren. Die wach3 4
Zitiert nach: ebd., 389. Martell, P., Geschichte, 1928, 28.
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sende Büchersammlung fand einen eher dunklen und feuchten Platz im alten Paulinerkloster, der heutigen Anatomie. Erst Ende des 18. Jahrhunderts unter Friedrich Karl Ernst Mereau (1765–1825) wurde ein beheizbarer Benutzersaal geschaffen, der eine längere Nutzung der Bestände vor Ort ermöglichte.5 Nachdem dem Senat 1817 die Entscheidungsbefugnis über die Bibliothek entzogen worden war, wurden unter der nun zuständigen „Oberaufsicht über die unmittelbaren Anstalten für Wissenschaft und Kunst in Weimar und Jena“ Veränderungen vorgenommen, die der Bibliothek mehr Raum und vor allem bessere Arbeitsbedingungen für das Personal boten.6 Während der Reorganisation ging die Verfügungsgewalt des Senats über die Bibliothek auf die „Oberaufsicht“ über, und auch die Angestellten wurden aus ihren bisherigen akademischen Dienstverhältnissen entbunden und der neuen Behörde unterstellt.7 Goethe urteilte bei der Übernahme der Oberaufsicht über den Zustand der Universitätsbibliothek eher resignierend und benannte die Mißstände: „Die akademische Bibliothek lag hoffnungslos im Argen, ohne daß man deshalb jemand eigentlich die Schuld hätte geben können. Zu den vor 300 Jahren gestifteten Anfängen hatte sich nach und nach eine bedeutende Zahl von einzelnen Büchersammlungen, durch Vermächtnis, Ankauf oder sonstigen Contract, nicht wenige einzelne Bücher, auf mannichfaltige Weise gehäuft, daß sie flötzartig in dem ungünstigen Locale bei der widerwärtigsten, größtenteils zufälligen Einrichtung über und nebeneinander gelagert standen. Wie und wo man ein Buch finden sollte, war beinahe ein ausschließliches Geheimnis mehr des Bibliotheksdieners als der höheren Angestellten.“8
Daß das Amt des Bibliothekars nur als Nebenamt ausgeführt wurde, erschwerte eine tiefgreifende Verbesserung der Situation. Die hierfür angestellten Professoren waren zwar „profunde, enzyklopädisch gebildete Gelehrte und hatten ebenso wie die kümmerlich besoldeten subalternen Bibliotheksmitarbeiter die Bestände gleichsam im Kopf, blieben aber doch vorrangig ihren Lehraufgaben und Wissenschaftsinteressen verpflichtet.“ 9
Die dringend notwendige Reorganisation wurde sieben Jahre später, im Jahr 1824, abgeschlossen, der Leihbetrieb wurde in dieser Zeit nicht unterbrochen. Eines der größten Probleme waren die Bibliothekskataloge, die zum einen unvollständig und zum anderen unübersichtlich waren. Die Bestände der Universitätsbibliothek setzten sich aus mehreren Einzelsammlungen zusammen, die jede für sich von einander unabhängig katalogisiert und damit für eine rege und gewinnbringende Nutzung der Bibliothek hinderlich waren.10 Neuerworbene Werke wurden nach 5 6 7 8 9 10
Marwinski, K., Universitätsbibliothek Jena, 1983, 19. Bulling, K., Goethe, 1932, 3. Müller, G., Regieren, 2006, 660. Marwinski, K., Universitätsbibliothek, 1983, 24. Müller, G., Regieren, 2006, 460. Zu den Stiftern gehören beispielsweise der Professor der Geschichte der Universität Jena, Johann. Andreas Bose (1626–1674; 1676), der Fürstlich Sächsische Obergeleitmann P. Ch. Birkner (1742), der Professor der Theologie und der orientalischen Sprachen zu Jena, Johann
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den vier Fakultäten untergliedert, wobei die zahlende Fakultätskasse und damit nicht immer nachvollziehbare inhaltliche Kriterien den Ausschlag gaben.11 1817 wurde eine neue große Bibliothek, die Jenaer Schloßbibliothek, in die Universitätsbibliothek eingegliedert, die ebenso aus einzelnen zusammengefügten Sammlungen bestand.12 Mit dieser Übernahme bestand die Universitätsbibliothek aus rund 100 000 Bänden, zu denen noch einmal fast ebenso viele ungebundene Schriften hinzukamen.13 Im Untersuchungszeitraum waren von 1804 bis 1817 Heinrich Carl Abraham Eichstädt (1772–1848) und von 1817 bis 1826 Georg Gottlieb Güldenapfel (1776–1826) als Oberbibliothekare tätig.14 Noch unter Eichstädt hatte sich am schlechten Zustand der Bibliothek wenig geändert. „Die Ursachen dafür lagen zum Teil bei Eichstädt selbst, der sich vor allem der JALZ und seinen philologischen Interessen widmete und die Bibliotheksgeschäfte ähnlich wie seine Vorgänger nur nebenher betrieb. Hinzu kamen seine ständigen Querelen mit dem akademischen Senat, die das, was er an Verbesserungen einzuführen versuchte, regelmäßig torpedierten.“15 Erst unter Güldenapfel sollten auch dank dem guten Verhältnis zu Goethe Reformen ermöglicht werden. Neben den Oberbibliothekaren gab es jeweils zwei bis drei Angestellte, wie beispielsweise den Bibliotheksschreiber Ernst August Baum, einen Bibliotheksdiener und Aushilfen für Katalogisierungsarbeiten. Für die Führung der Ausleihbücher war maßgeblich Christian Ernst Friedrich Weller zuständig, der seit 1818 als Hilfsarbeiter und seit 1830 fest als Assistent angestellt wurde. Zu Beginn der Bibliotheksreform waren sogar bis zu sechs Personen mit dem Ausleihgeschäft, dem Abschreiben von Bibliothekskatalogen und der Revision von Teilbeständen beschäftigt.16 3. Ausleihbedingungen Die Bibliotheksordnung wurde in Anlehnung an die der Herzoglichen Bibliothek in Weimar verfaßt. In den „Bedingungen unter welchen der Gebrauch der Univer-
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15 16
Andreas Danz (1654–1727; 1728), der Rechtsgelehrte Christian Gottlieb Buder (1693–1763; 1763), vgl. Martell, P., Geschichte, 1918, 28. Bulling, K., Goethe, 1932, 3. So aus den Sammlungen des Sprach- und Naturforschers Christian Wilhelm Büttner (1716– 1801), des Jenenser Professors Ernst Imm sowie des Chemieprofessors Johann Friedrich August Göttling (1753–1809); Vgl. Martell, P., Geschichte, 1918, 28. Bulling, K., Goethe, 1932, 10. Georg Gottlieb Güldenapfel (1776–1826) war bereits seit 1810 Unterbibliothekar in Jena. Neben seiner Lehrtätigkeit als Professor der Philosophie arbeitete er auch in der Redaktion der Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung, wobei er diese Tätigkeit mehr und mehr zu Gunsten der Bibliothek einschränkte. Für Goethe war Güldenapfel wichtigster Ansprechpartner der Universitätsbibliothek in Jena. Vgl. Bulling, K., Goethe, 1932, 8. Vgl. Müller, G., Regieren, 2006, 441 f. Bulling, K., Goethe, 1932, 9 f.
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sitäts- u. Buderschen Bibliothek zu Jena verstattet ist“ finden sich Informationen zu Öffnungszeiten, Ausleihfristen, Nutzungsanweisungen und Ausleihmodalitäten. Noch 1817 beschränkten sich die Öffnungszeiten der Bibliothek auf wenige Stunden an zwei Tagen der Woche. Im letzten Punkt der Bibliotheksordnung wurde festgehalten: „Das Ausleihen und Annehmen der Bücher geschieht wöchentlich zweimal, Mittwochs und Sonnabends, im Winter von 1 bis 2 Uhr von Anfang April aber bis zu Anfang October von 1 – 3 Uhr Nachmittags.“17 Eine Debatte, den Studenten das Ausleihen von Büchern zu untersagen, wurde erfolgreich abgewehrt und zu Gunsten dieser großen Nutzergruppe gelöst. Schon in einem Decret von 1687 zur Jenaer Akademischen Bibliothek wurde vermerkt: „Den Studenten soll, gegen genugsame Sicherheit und auf eine gewisse Zeit die Entlehnung eines Buchs aus der Bibliothek nicht verweigert werden.“18 Eine gut 130 Jahre später erfolgte Anfrage an den Senat, „gar keine Bücher an Studenten aus der Bibliothek“ zu verleihen, „da ihnen durch die neue Einrichtung in der Bibliothek die Gelegenheit verschafft ist, das nöthige sich zu excerpiren“19, wurde wie folgt kommentiert: „Ich habe nur zu erinnern, ( … ) daß ich dem Wunsch, keine Bücher mehr aus der Bibliothek an Studenten zu leihen, nicht beytreten kann, weil so aller Rast zum Privatfleiß vollends getödtet werden würde, und es auch meines Wissens auf keiner Universitätsbibliothek so gehalten wird. Nur dann könnten solche Maßregeln gutgeheisen werden, wenn die Bibliothek täglich von 8–12 und von 1–6 offen stände, daß jeder Student in jeder ihm freien Stunde da arbeiten könnte.“20
Obwohl die Arbeitsbedingungen in der Bibliothek offenbar nicht ausreichend waren, wurden die Öffnungszeiten erst nach und nach erweitert. Auch Professor Hasse kommentierte die Öffnungszeiten 1817 und plädierte in seinem eingangs schon zitierten Schreiben für eine bessere Zugänglichkeit: „Die eröffnete Aussicht für die Bibliothek ist sehr erfreulich, für jetzt ist es aber das dringendste Bedürfniß, daß der Gebrauch derselben erleichtert werde. Die Hrn. Bibliothekare sind nicht einmal so gefällig, wie ich sie geschildert, das hab’ ich später erfahren; Alles klagt über sie; die zum Gebrauch der Bibliothek angesetzten Stunden sind nur nicht für sie, sonst aber für alle Welt die unbequemsten, und werden nicht einmal ordentlich von ihnen eingehalten. Sie spielen die Tyrannen in ihrem Kreise, statt daß sie wie auf den anderen Universitäten, nämlich die Unterbibliothekare, den Professoren untergeben seyn müßten; man muß erstaunen, wenn man bedenkt, wie weit die Anmaaßung auf der einen, und die Indolenz auf der andern Seite hat gehen müssen, damit es dahin komme. Mich drückt dieß ganz vorzüglich, es drückt mich um so mehr, da ich mich Stundenlang auf der Biblioth. werde herum treiben müßen, um nur ungefähr zu erfahren was da ist. Sollte es sich nicht wenigstens so einrichten laßen, daß auch jetzt noch nicht täglich, doch Mittwochs u. Sonnabends 4 Stunden, etwa 17 18 19 20
Allgemeine Bibliotheksakten, ThULB,HSA, Signatur: AA I 5, Bl. 33. Schmidt, J., Gesetze, Bd. 1., 1800, 459. ThULB, HSA, Signatur: AA I 11, Bl. 28. Rescript vom 8. September 1808, ThULB, HSA, Signatur: AA I 11, Bl. 31. Das Rescript ist unterzeichnet von Johann Jakob Griesbach, Johann Philipp Gabler und Andras Joseph Schnaubert.
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Franziska Schulz Vormittags und Nachmittags, noch beßer freilich alle Nachmittage, da des Morgens gelesen wird, die Bibliothek schlechterdings geöffnet würde, auch dem Unterbibliothekar oder einem Gehülfen möglichste und lebhaftere Gefälligkeit gegen die Professoren, in Nothfällen auch außer den gewöhnlichen Stunden, eigens zur Pflicht gemacht würde. Ich habe noch nicht dazu gelangen können, die nöthigen Bücher, welche ich zu dem Anfange meines Kollegii gebrauche, zu bekommen, weil die vorige Woche Marktwoche war. So schlecht ist gesorgt für uns armen Lehrer, von denen man doch keinen ungründlichen Vortrag erwartet. (...)“.21
Erst ab 1824 stand die Bibliothek dann täglich allen Benutzern zur Verfügung.22 Der Benutzerkreis war durch die Bibliotheksordnung nicht eingeschränkt, anders als beispielsweise in Erlangen.23 Studenten und Fremde aber hatten einen Bürgen anzugeben, der für die ordnungsgemäße Rückgabe der Bücher verantwortlich war. Auch in der Ausleihfrist wurde zwischen ordentlichen Professoren, außerordentlichen Professoren und Studenten unterschieden, die jeweils acht, sechs und vier Wochen Bücher entleihen durften. Eine Verlängerung der Leihfrist war bei Vorlage des gewünschten Buches möglich. In der Bibliotheksordnung heißt es außerdem: „Kein Buch wird von den Bibliotheken ohne Schein verabfolgt; und zwar ist für jedes Werk ein besonderer Empfangsschein von dem, welcher es erhält, abzugeben …“.24 Diese vom Entleiher unterzeichneten Scheine dienten als Absicherung für die Bibliothek gegen den Verlust eines entliehenen Werkes und wurden deshalb sorgfältig unter Verschluß aufbewahrt. Die Scheine bildeten zugleich die Grundlage für die Eintragungen in die Ausleihbücher, die wegen der großen Nutzerzahlen häufig erst nach den „öffentlichen Stunden“ getätigt wurden. Beschädigung oder gar Verlust eines Bibliotheksbuchs wurden in der Regel durch eine Geldzahlung oder durch einen angemessen Ersatz des Werkes geahndet. Die Ordnung schreibt vor: „Wer ein Buch beschmutzt, erstattet ein neues Exemplar, oder den Werth desselben in Gelde, widrigenfalls wird er des Gebrauchs der Bibliothek verlustig. – Dieses gilt überhaupt auch wider diejenigen, welche sich verweigern ihres Theils vorstehende Einrichtung zu beobachten.“25
Für die Mahnung waren zusätzlich zwei Groschen „Erinnerungsgebühren“ an den Bibliotheksdiener zu zahlen, der die Ablieferung eines entliehenen Werkes persönlich erbat. Rohe Schriften wurden grundsätzlich nicht verliehen. „Kupferwerke, Lexika, Glossarien, u. einzelne Theile aus sehr voluminösen und theuren Werken“ wurden nur an Professoren, sonst ausschließlich nach Anfrage bei der Bibliothekskommission, ausgegeben. Um die Werke zu schonen und zu erhalten, sollten diese hauptsächlich in der Bibliothek selbst eingesehen werden. 21 Stellungnahme an den Senat vom 2. November 1817, abgedruckt in: Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 388 f. 22 Vgl. ebd., 431. 23 In Erlangen stand die Universitätsbibliothek laut Benutzerordnung nur Angehörigen der Universität zur Verfügung. Dennoch finden sich auch etliche externe Nutzer in den Ausleihbüchern. Vgl. Lang, G., Leser, 1994, v. a. 68 ff. 24 Allgemeine Bibliotheksakten, ThULB, HSA, Signatur: AA I 5, Bl. 32. 25 Ebd., Bl. 33.
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4. Ausleihbücher Im Generalbericht der Universitätsbibliothek aus dem Jahr 1817/1818 von Georg Gottlieb Güldenapfel findet sich folgender Eintrag, der die Einführung der Ausleihbücher näher erläutert: „Da ich früher häufig den Wunsch geäußert und die Nothwendigkeit dargethan hatte, daß um Unordnung zu vermeiden, die ausgeliehenen Bücher in ein besonderes Buch eingetragen würden: so wurde auf Befehl Ew. Exc. ein neues Ausleihbuch eingerichtet, und die Führung desselben dem Gehülfen Dr. Weller übertragen. Die Einrichtung selbst übernahm Herr Rath Dr. Vulpius. Nach dem Vorgange des Ausleihbuchs bei der Großherzogl. Weimarischen Bibl. traf er die Anordnung, daß die EmpfangScheine der Herren Professoren nach dem Namen der Empfänger in alphabetischer Folge eingeschrieben, die von Doctoren und Studirenden geliehenen Bücher aber, welche den Gesetzen gemäß durch die Unterschrift eines der Professoren verbürgt sind, unter den Namen der Caventen eingetragen wurden.“26
Die Seiten der ersten Ausleihbücher waren jeweils in vier Spalten unterteilt, jede Seite jeweils mit dem Namen des Entleihers und häufig mit einer Berufsbezeichnung als Überschrift versehen. Die erste Spalte enthält die Entleihnummer, die zweite den dazugehörigen Buchtitel. Hier wurden in der Regel Kurztitel verwendet und auch der Name des Autors wurde nur unvollständig oder gar nicht angegeben. Spalte drei und vier verzeichnen das Ausgabe- bzw. Rückgabedatum der entliehenen Lesestoffe. Die Rückgabe wurde mit roter Farbe vermerkt und der gesamte Eintrag damit durchgestrichen. Die Abbildung zeigt exemplarisch eine Seite des Ausleihbuches von 1799 bis 1822. Entleiher ist hier der Consistorialrat Johann Traugott Leberecht Danz (1769–1851), der selbst zahlreiche Bücher entlieh, aber noch häufiger als Bürge diente. In den Klammern hinter den Buchtiteln finden sich die Namen der Studenten, für die der Professor im Falle unsachgemäßer Behandlung oder gar Verlust einer Entleihung Ersatz zu leisten hatte.
26 Generalbericht 1817–1818, ThULB, HSA, Signatur: AA I 12, Bl. 38 f.
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Abb. 1: Ausleihbuch der Universitätsbibliothek Jena 1799–1825.
Erst im zweiten Ausleihbuch, das die Jahre 1821/1822 umfaßt, werden auch Studenten auf einer jeweils eigenen Seite aufgeführt. Der Name des bürgenden Professors wurde von da an in Klammern hinter den entsprechenden Titel eingefügt. Ab 1823 folgen die Ausleihbücher einer neuen Ordnung. Von nun an werden die Entleihungen nicht mehr alphabetisch nach dem Namen des Entleihers, sondern nach den Autoren der entliehenen Werke eingetragen. Da die adäquate Aufnahme der Entleihungen dieser Systematik einer anders konzipierten Datenbank bedarf als es die alte Systematik erforderte, wurden für diese Studie nur die Ausleihbücher ausgewertet, die nach den Bibliotheksbenutzern geordnet sind.27 Als Quelle für die nachstehenden Ergebnisse fungierten zwei Ausleihbücher: das Ausleihbuch der Universitätsbibliothek, in dem die Entleihungen 1799 bis 1820 zu finden sind, und das Ausleihbuch der Universitätsbibliothek für die Jahre 1821 und 1822. Das Ausleihbuch der Schloßbibliothek, welches die Jahre 1811 bis 1818 enthält, wird ergänzend hinzugezogen.28 Dieses wurde nach 27 Die Aufnahme der folgenden Ausleihbücher in eine Datenbank birgt auch deshalb Schwierigkeiten, da durch die neue Systematik die Personeninformationen stark verkürzt wurden. Ab hier wird nur noch selten mehr als der Nachname genannt, so daß beispielsweise Personen mit häufigen Nachnamen gar nicht oder nur schwer auseinanderzuhalten sind. 28 ThULB, HSA, Ausleihbuch UB (nach Entleihern geordnet) 1799–1820 (1825), Signatur: AGI: 1a (Das Ausleihbuch enthält nur teilweise die Entleihungen aus den Jahren 1821–1825);
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dem gleichen Muster wie die Bücher der Universitätsbibliothek geführt. Als Johann David Färber 1811 von seiner Schloßvogtstätigkeit entbunden worden und fortan nur noch als Museums- und Bibliotheksschreiber tätig war, fand sich ausreichend Zeit, die Entleihungen nach dem Vorbild der Herzoglichen Bibliothek in Weimar in ein gesondertes Buch einzutragen und damit das bis dahin übliche, aber leider verschollene Entleih-Diarium abzulösen. Nach dessen Tod 1814 übernahm diese Aufgabe sein Bruder und Nachfolger Johann Michael Christoph Färber (1778–1844), der das Ausleihbuch bis 1818, dem Jahr der Überführung der Schloßbibliothek in die Universitätsbibliothek, beaufsichtigte.29 Die Ausleihbücher der Universitätsbibliothek wurden fast ausschließlich von Christian Ernst Friedrich Weller (1789/90–1854) geführt, der mit Christian August Vulpius (1762–1827) vom 7. bis zum 13. Mai 1818 das erste Ausleihbuch anlegte. Dabei wurden zunächst alle noch ausstehenden Entleihungen bis zum Jahr 1818 eingetragen.30 Ob es vor den hier genannten bereits Ausleihbücher in einer der beiden Bibliotheken gab, bleibt offen. Spätere Ausleihbücher, die dann aber nach Buchtiteln geordnet sind, finden sich lückenlos bis weit über das Ende von Goethes Oberaufsicht hinaus.31 Hier wäre es eine lohnenswerte Aufgabe, sich dieser großen Datenmenge anzunehmen und diese mit den Ausleihbüchern der anderen Universitätsbibliotheken zu vergleichen. Bisher liegt lediglich eine vergleichbare Studie vor. Gisela Lang wertete für ihre Dissertation die Ausleihbücher der Universitätsbibliothek in Erlangen für die Jahre 1805 bis 1818 aus.32 Teilergebnisse dieser Untersuchungen dienen im Folgenden als Referenzwerte. 5. Ausleihpraxis Die Tagebücher der Bibliotheksangestellten zeichnen ein genaues Bild der Ausleihpraxis. Hier finden sich Äußerungen über Nutzerfrequenzen, Kommentare zu einzelnen Entleihern, Tätigkeitsberichte und besondere Vorkommnisse im Ausleihgeschäft. Dank der Auswertung der Ausleihbücher können diese Angaben durch statistisches Material ergänzt werden. Gelegentlich können so auch kurze Notizen aus den Ausleihbüchern mit Leben gefüllt und in den Bibliotheksalltag
29 30 31 32
Ausleihbuch UB (nach Entleihern geordnet) 1821–1822, Signatur: AGI: 2; Ausleihbuch Schloßbibliothek Jena 1811–1818, Signatur: AGI: 1b. Bulling, K., Goethe, 1932, 12 f. Ebd. 13 f. Ausleihbücher sind für die Universitätsbibliothek Jena bis in das Jahr 1869 überliefert. Die Systematik bleibt die Sortierung nach Buchtiteln. Lang[-Hümmer], G., Leser, 1994. Der Vergleich wird durch zwei Umstände erschwert: Zum einen handelt es sich nicht exakt um den gleichen Untersuchungszeitraum und zum anderen findet sich in den Ausarbeitungen zu Erlangen nur selten konkretes statistisches Vergleichsmaterial. Hier wurde häufig nur mit Diagrammen und Prozentzahlen gearbeitet, an denen die tatsächlichen Zahlen nicht ablesbar sind.
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eingeordnet werden. Die Ausleihpraxis zeigt zum einen, daß sich die überwiegende Mehrheit der Nutzer den Regeln anzupassen schien und damit zu keiner Erwähnung in den Akten Anlaß gab. Die Aufarbeitung des Materials belegt zum anderen auch, daß Abweichungen von der Bibliotheksordnung und individuelle Entscheidungen durchaus vorkamen. Durch die Bibliotheksordnung wurden die Nutzer ermahnt, ihre entliehenen Bücher abzugeben, wenn eine Reise bevorstand. Das Bibliothekspersonal behielt es sich vor, in einem solchen Fall die Wohnung der betreffenden Person zu öffnen, um sich des Bibliothekseigentums anzunehmen. Wörtlich heißt es: „Wer verreiset, wird vorher die von der Bibliothek erhaltenen Bücher abliefern, ausser dem hat er es sich zuzuschreiben, wenn im nöthigen Fall, die obrigkeitliche Eröffnung seines Logis ausgewirkt wird, damit die Bücher zurückgenommen werden können.“ 33
Ein Student bringt wegen einer geplanten Reise seine entliehenen Bücher am 22. Dezember 1822 sogar dem Bibliothekar persönlich nach Hause, da die Bibliothek bereits geschlossen hatte.34 Ein kurioser Fall, der die Öffnung einer Wohnung erforderte, ist der eines erfrorenen Studenten aus Buttstädt. Im Tagebuch des Bibliothekars wurde ebenfalls im Dezember 1822 vermerkt: „ … Ein Gerücht brachte uns die Nachricht, dass der Studiosus Theile aus Buttstädt in vorgestriger Nacht auf dem Wege zwischen Apolda und Buttstädt erfroren sey. Es wurde sogleich im Ausleihebuche nachgeschlagen, und da er noch drey Bücher aus der Bibliothek bey sich hatte: so schickte ich den Diener zu dem Depositor Teubner, um dieselben aus seiner Wohnung sich verabfolgen zu lassen und an die Bibliothek zurückzugeben. Zwey Bücher wurden sogleich geschickt, für das dritte hatte H. Depositor Teubner zu sorgen versprochen.“35
Als sich die Vermutung als Irrtum herausstellt, wurde keinerlei Besorgnis über das unberechtigte Eindringen in eine studentische Wohnung empfunden, zwei Tage später heißt es: „Früh kam die Nachricht, dass nicht Herr Stud. Med. Theile, sondern Herr Stud. Med. Gruber aus Buttstädt auf dem Wege dahin erforen sey. Indess konnte die gestern gebrauchte Vorsicht nicht schaden.“36 Auch im Ausleihbuch findet sich zunächst die Todesnachricht des „fleißigen, friedfertigen und allgemein geachteten jungen Mediziners“37, die dann gestrichen und korrigiert wurde (vgl. Abbildung 2).
33 Allgemeine Bibliotheksakten, ThULB, HSA, Signatur: AA I 5, Bl. 33. 34 Georg Gottlieb Güldenapfel, Tagebuch Nr. 6 (1822–1823), ThULB, HSA, Signatur: AB II; 6, Bl. 14. Hier heißt es: „Herr Stud. Beutler brachte mir gestern, da er verreisen wollte, geliehene Bücher, nachdem die Bibliothek schon geschlossen war, ins Haus; ich gab sie heute in die Bibliothek zurück.“ 35 Ebd. 36 Ebd. 37 Vgl. Ausleihbuch 1821 bis 1822, ThULB, HSA, Signatur: AG I 2, Bl. 399.
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Abb. 2: Ausleihbuch 1821 bis 1822 der Akademischen Bibliothek.
Die zahlreichen Kautionsscheine, die durch Professoren ausgestellt wurden, verursachten immer wieder Forderungen von seiten der Bibliothek gegenüber unzuverlässigen Studenten. Daß dem Bibliothekspersonal dabei mitunter Fehler unterliefen, bezeugt ein Reskript an den Senat vom September 1808, in dem der Vorschlag gemacht wird, „daß ein Professor wegen eines Cautionsscheines nicht dürfe in Anspruch genommen werden, wofern nicht das Bibliothecariat nachweisen kann, daß es in Zurückforderung des Buchs vorschriftsmäßig verfahren sey. Denn für eine Nachlässigkeit des Bibliothecariats kann man nicht haften.“38
Fälle, in denen Professoren aufgefordert wurden, ein durch einen Studenten abhanden gekommenes Bibliotheksbuch zu ersetzen, finden sich häufig.39 Aber auch Lehrende scheinen mitunter ihre Verpflichtungen der Bibliothek gegenüber nicht immer ernst genommen zu haben. Im April 1822 erhält Goethe eine Anfrage des Bibliothekars, wie wegen zweier ausstehender Bücher zu verfahren wäre: „1.) Herr Professor Heusinger hat ein aus der Universitätsbibliothek geliehenes, sehr seltenes Werk: A natural history of the Crinoidea or Lily-Shaped-Animals. by. J. S. Miller. Bristol 38 Rescript vom 8. September 1808, ThULB, HSA, Signatur: AA I 11, Bl. 31. 39 Vgl. hierzu z. B. den Fall eines versetzten Buches, für das Johann Philipp Gabler (1753– 1826) zumindest teilweise aufkommen mußte. Vgl. Schulz, F., Entliehen, 2010.
270
Franziska Schulz 1821.40 kl. fol. bey seinem Weggange von hier nach Würzburg im Sept. 1824 nicht zurückgeliefert und auf mehrere Erinnerungsbriefe keine Antwort gegeben. Einer Privatnachricht zufolge soll er das Buch schon von hier aus heimlich an einen Doctor in Heidelberg geschickt haben, was ein arger Verstoß gegen die Bibliotheksgesetze seyn würde. Großherzogl. Ober-Aufsicht wird hiervon pflichtschuldige Anzeige gemacht, und unterthänig angefragt, ob diese Sache der Univesitäts-Curatel in Würzburg angezeigt, oder ob Herr Prof. Heusinger der Justizbehörde zu Würzburg in Klage genommen werden solle. 2) Herr Sprachlehrer de Valenti hat unter dem 16. Nov. 1824 folgende Bücher: 1) Bayley-Fahrenkruegers Wörterbuch der Englischen Sprache 12. Aufl. 1.2. Theil Jena 1822.841 2) de Valenti’s prosaische Blumenlese aus Ital. Jena 1799.842 3) de Valentis Italienisches Lehr- und Lesebuch Leipz. 1801.843 aus der Bibliothek geliehen, und ungeachtet mehrmaliger Erinnerungen nicht zurückgegeben, sich entschuldigend, er habe sie in Weimar, wo er in jener Zeit Unterricht ertheilte. Da Herr de Valenti in der letzten Zeit in seinen ökonomischen Umständen sehr zurückgekommen und fast zu fürchten ist, daß die Bücher nicht mehr in seiner Hand sind: so wird unterthänig angefragt, ob man gegen denselben Klage erheben solle …“44
Goethe antwortet in gewohnt wenig strenger Manier und läßt den Sprachlehrer Ernst Joseph Gustav de Valenti (1794–1871) erneut um die Rückgabe binnen einer Frist von 14 Tagen bitten. Professor Heusinger betreffend soll die Angelegenheit dagegen in Würzburg geklärt werden, so heißt es im Antwortschreiben: „ad 1.) ist zuerst zu versuchen, ob diese Angelegenheit nicht durch die Universitäts-Curatel zu Würtzburg beseitigt werden könne. Herr Professor Bibliothekar Güldenapfel hat sich deshalb schriftlich an dieselbe zu wenden. Sollte dieses ebenfalls fruchtlos bleiben, so ist Herr Professor Heusinger gehörig in Klage zu nehmen und sollen sodann die etwa nöthigen Vorschüsse aus der Bibliothekscasse gemacht werden. ad 2.) Herr Sprachlehrer de Valenti ist an die Zurückgabe der genannten Bücher nochmals zu erinnern; Sollte dieselbige aber binnen 14 Tagen nicht erfolgen, so ist derselbige ebenfalls in Klage zu nehmen …“45
Der Fall des Registrators Friedrich Gabler veranlaßt den Bibliotheksassistenten zu einer allgemeinen Klage über säumige Nutzer und deren Umgang mit den Bibliotheksbüchern. Am 9. September 1822 schreibt Weller in sein Tagebuch: „NB. der Polizei Registrator Gabler besitzt noch: 2 Bände in Fol. und Schnauberts Kirchenrecht der Protestanten und Catholiken in Deutschland 2 Bände46 in 8. Er entschuldigt sich beim Bibliothekar, genannte Bücher seien von seiner Stube vielleicht von einem Freunde mitgenommen worden (?) er wolle sich nun alle Mühe geben sie herbei zu schaffen. Durch solche Unordnungen und durch solche unzuverlässigen Menschen werden unsere Biblioth.Arbeiten am meisten aufgehalten. Renovirt hat der P.R.G. am 26sten April 1821 und fünf zugeschickte Erinnerungs-Zettel hat er weder beachtet noch die gesetzlichen zwei Groschen
40 41 42 43 44 45 46
Miller, J. S., History, 1821. Bailey, N., Wörterbuch, 1822. Valenti, A. G. A. d., Blumenlese, 1799. Valenti, A. G. A. d., Lehr- und Lesebuch, 1801. Allgemeine Bibliotheksakten, ThULB, HSA, Signatur AA I 18, Bl. 194. Ebd., Bl. 196. Schnaubert, A. J., Grundsätze, Abt., 1805; Schnaubert, A. J., Grundsätze, Abt. 2, 1806.
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dem Diener entrichtet.“47 Tatsächlich scheint der Fall noch 1827 nicht abgeschlossen gewesen zu sein.48
Neben immer wiederkehrenden Erwähnungen, daß viele Nutzer die Bibliotheksgeschäfte aufhalten und das Personal von ihren eigentlichen Arbeiten zu sehr ablenken, wird ein reger Gebrauch der Bibliothek doch immer wieder positiv vermerkt. In einer ausführlichen Schilderung zu seinem eigenem Aufgabenbereich schreibt Güldenapfel am 22. Februar 1817 an den Kommissar Carl Friedrich Anton Conta (1778–1850): „Übrigens habe ich im Winter, wo die Bibliothek vorschriftsmäßig, um zwei Uhr geschlossen wird, selten vor halb drei Uhr die Bibliothek verlaßen, vielmehr häufig erst um drei Uhr, um diejenigen der Herrn Professoren oder Studirenden, welche um 1 Uhr Collegia hatten, nicht unbefriedigt weggehen zu laßen. // Daß ich ferner den Gebrauch der Bibliothek vielfach erleichtert habe, das bezeugt die fleißige Benutzung beider Bibliotheken, die sich seit meinem Bibliothekariat nicht verdoppelt, sondern wenigstens verfünffacht hat. Um einen ungefähren Überschlag zu haben, ließ ich zu dem Ende Augusts v. J. die ausgeliehenen Bücher durch den Bibliotheksschreiber zählen: es wären über 5000 Bände ausgeliehen und darunter anderthalbtausend aus der Buderschen Bibliothek. Jeden Bibliothekstag werden 30, 40, 50, auch 60 Bücher ausgeliehen, und ebensoviel zurückgebracht.“49
Güldenapfel zählt weiter auf, welche Faktoren die rege Nutzung begünstigt haben und welche Funktion er selbst dabei im Ausleihgeschäft erfüllt: „Die Ursachen dieses häufigen Gebrauchs sind: 1.) daß ich die Katalogen, wenn der Anfrager das gesuchte Buch nicht findet, gewöhnlich selbst nachschlage. Bey der Beschaffenheit unserer Katalogen ist es oft nur dem Eingeweihten möglich, das Buch aufzufinden. Viele Bücher der Haupt-Bibliothek, welche vorher im Staube ruhten, habe ich dadurch ans Licht gezogen und in Umlauf gesetzt, 2.) daß ich besonders die budersche Bibliothek dem Gebrauch öffnete. Die budersche Bibliothek war vormals fast ganz verschloßen, weil kein Nominalkatalog vorhanden ist. Allein ich habe die Mühe nicht gescheut, die verlangten Bücher, deren Daseyn ich irgend muthmaßen konnte, im buderschen Numeralkatalog, und zwar ein einziges Buch oft in 4–6 Rubriken aufzusuchen. Die oben angegebene Zahl der aus der buderschen Bibliothek verliehenen Bücher zeigt, mit welchem Erfolge … 3.) daß ich, wenn das verlangte Buch nicht vorhanden war, statt dessen andere, vorhandene Bücher über dieselbe Materie vorschlage. Dies kann nur dann geschehen, wenn der Bibliothekar von dem Vorrathe sich einige genauere Kenntniß verschafft hat. 4.) Der Zuwachs aus der Griesbachischen Bibliothek enthält größtentheils Bücher aus der neueren Zeit, und nach solchen ist die Nachfrage der Studirenden häufiger; daß ich die Benutzung auch dieser Bibliothek so viel möglich begünstiget und erleichtert habe, das wißen diejenigen Herrn Professoren und Studirenden, die sie so fleißig benutzen. 5.) Daß auch die Vermehrung der Studirenden selbst zur häufigeren Benutzung der Bibliothek beytrage, ist nicht zu läugnen.“50
47 Tagebuch von Christian Ernst Friedrich Weller, Nr. 3 (1822), ThULB, HSA, Signatur: AB III, 3, Eintrag vom 9. September 1822, Bl. 96. 48 Im Ausleihbuch steht zu den beiden genannten Büchern der Vermerk: „übergetragen 11 Jan. 1827.“, vgl. Ausleihbuch 1821–1822, ThULB, HSA, Signatur: AG I 2, Bl. 126. 49 Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 370 f. 50 Zitiert nach: ebd., Universitätsbibliothek, 1958, 371.
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In der Tat steigen die Studentenzahlen zwischen 1815 und 1817 von 321 auf 493, im Jahr 1818 sogar auf 634 an.51 Da die Ausleihbücher zu dieser Zeit noch nicht zuverlässig geführt, sondern lediglich 1817/1818 nachgetragen wurden, kann hier keine quantitative Angabe erfolgen, wieviele Studenten tatsächlich wieviele Bücher entliehen haben. Es sind aber für das Jahr 1717 noch über 150 Nachtragungen52 im Ausleihbuch von 1799–1820 verzeichnet, die allerdings fast ausschließlich von Professoren stammen. Güldenapfel führt weiter aus, wie zeitraubend das Ausleihgeschäft und die Anmahnung der säumigen Nutzer ist: „ … II. Privat-Geschäfte Für diese Arbeiten bleiben wöchentlich 4 Stunden übrig. Sie betreffen 1. das Ausleihen der Bücher. Mit dem Ausgeben und Zurücknehmen der Bücher in den öffentlichen Stunden ist das Ausleihe-Geschäft nicht abgethan; es bedarf noch mancher Aufsicht, um unter der großen Menge Ordnung zu erhalten. Es müßen von Zeit zu Zeit die Scheine revidirt, die Säumigen angemerkt und erinnert werden. Die Durchsicht von 4–500 Scheinen erfordert jedesmal wenigstens eine Stunde. Denn dadurch, daß jetzt für jedes Buch ein eigener Zettel abgegeben wird, ist auch diese Revision zeitraubender geworden, zumal die Scheine bald groß, bald klein, bald einfach, bald zusammengeschlagen sind. Sind viele Säumige zu notiren, so reicht die eine Stunde nicht aus.“53
Doch dank genau dieser akribischen Führung der Entleihscheine und deren Übertragung in das Ausleihbuch ist es möglich, die Leserschaft und die entliehene Lektüre zu rekonstruieren. 6. Die Leser Schon Karl Bulling bemerkte nach der Durchsicht der Ausleihbücher, daß es sich bei den Nutzern keineswegs nur um Universitätsangehörige handelte. Neben der großen Anzahl an Lehrenden und Studenten fänden sich hier auch „in reichem Maße Mitglieder des Hofes, ferner Offiziere und Beamte jeden Ranges, aber auch von Anfang an viele Privatleute, darunter mancherlei Handwerker und andere schlichte Jenaer Bürger.“54 An anderer Stelle heißt es: „Wir wissen, daß Goethe, der sich um alles kümmerte, oft auch in diese Ausleihebücher Einblick nahm. Offenbar lag ihm an einer regen Benutzung der Bibliothek nicht nur durch die Professorenschaft. Er hat wohl mit Freude gesehen, daß die Handwerksmeister, mit denen er im Anfang viel zu verhandeln hatte, und viele andere der Universität Fernerstehende, durch die Erneuerungsarbeiten angeregt, von den reichen, nunmehr wohlgeordneten und leicht zugänglichen Schätzen der Bibliothek Gebrauch machten.“55
51 S. Leutenberger, H., Untersuchungen, WZ d. FSU Jena, 1953/1954, 366. 52 Also Bücher, die zum Zeitpunkt der Einführung der Ausleihbücher noch nicht zurückgegeben worden waren. 53 Zitiert nach: Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 372. 54 Bulling, K., Goethe, 1932, 14. 55 Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 419 f.
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Bemüht man nun eine Datenbank für den Untersuchungszeitraum der Ausleihbücher56, lassen sich diese Aussagen statistisch nicht untermauern. Der Anteil an nicht-universitären Nutzern ist bis 1822 verschwindend gering. Insgesamt 550 Personen sind als Nutzer der Universitätsbibliothek in den beiden oben genannten Ausleihbüchern verzeichnet. Zu einem sehr großen Anteil beschränken sich die Nutzer auf Angehörige der Universität. Allein 345 Studenten und 103 Lehrende zeigen den akademischen Charakter des Lesepublikums.
Handwerker 3%
Beamte 9%
Sonstige 3%
Geistliche 3% Lehrende 19%
Studenten 63%
Diagramm 1: Berufs-/Tätigkeitsfelder der Bibliotheksnutzer.
Auffällig ist, daß bis auf fünf Ausnahmen keine Frauen in den Ausleihbüchern auftauchen. Obwohl die Nutzerordnung hier keine Einschränkungen deutlich werden läßt, haben Frauen zu dieser Form des akademischen Milieus so gut wie keinen Zugang. Auch die wenigen Entleihungen dieser Nutzergruppe sprechen gegen eine etablierte Bibliotheksbenutzung, die zudem in der Regel über einen Bürgen erfolgte. Zwei der genannten Frauen gehören dem Adel und zwei dem gehobenen Beamtentum an, daneben ist eine „Frau Pfarrerin“ verzeichnet. Auch Bauern oder niedere Angestellte kommen in den Büchern nicht vor. Die von Weller am 21. Juni 1820 erwähnten Besuche der Bibliothek durch Bauern und Frauen blieben damit lediglich Besichtigungen: „NB. Unsere Bibl. wird seit 56 Bei allen Angaben handelt es sich um vorläufige Teilergebnisse im Rahmen einer Promotionsstudie im Sonderforschungsbereich 482. Ziel ist es, auf der Grundlage von Ausleihbüchern die Sozialstruktur der Leserschaft und die entliehene Lektüre für die Universitätsbibliothek in Jena und die (Groß-) Herzogliche Bibliothek in Weimar am Anfang des 19. Jahrhunderts zu untersuchen.
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dem das bunte Fenster eingesetzt ist, tägl. und stündl. von allen Menschen Classen beiderlei Geschlechts besucht, und Sontags kommen die Bauern gewallfahrtet.“57 Trotz des durch das prunkvolle Fenster geschaffenen öffentlichen Interesses an der Bibliothek scheinen weite Teile der nichtakademischen Bevölkerung die Bestände nicht aktiv benutzt zu haben. Auch Bullings Aussagen über die Nutzerfrequenz in „allen Kreisen der Bevölkerung“ halten einer statistischen Untersuchung nicht stand. Der von ihm vermutete Einfluß Goethes auf potentielle Leser bleibt ebenso eine Vermutung: „Da Goethe häufig diese Ausleihebücher einsah, so muß man annehmen, daß die Ausgabe von Werken aus der Akademischen Bibliothek an alle Kreise der Bevölkerung durchaus mit seiner Einwilligung, wenn nicht gar auf seine Veranlassung hin geschah. Denn unter den Entleihern befinden sich gerade auch die Handwerksmeister und Gesellen, mit denen Goethe beim Umbau und bei der Vergrößerung des Bibliotheksgebäudes bekannt geworden war. Voran der in den Akten oft genannte Maurermeister Timler. Daß die ,Bibliotheksverwandten‘, die Buchhändler, Buchdrucker und Buchbinder zu den fleißigen Benutzern der Bibliothek gehörten, kann demnach nicht wundernehmen.“58
Die zuletzt aufgezählten Berufsgruppen nehmen zusammen einen Anteil von nicht einmal zwei Prozent der Leserschaft ein. Ganz offensichtlich nutzten nicht-akademische Kreise andere Möglichkeiten der Lektürebeschaffung – wohl nicht zuletzt, weil die Bestände der Universitätsbibliothek nicht auf deren Lesebedürfnisse abgestimmt waren. Zudem gab es zahlreiche alternative Möglichkeiten der Lektürebeschaffung in Jena. Neben zwei Leihbibliotheken für eher belletristische Literatur und einigen Lesezirkeln diente auch das 1816 gegründete „Literarische Museum zu Jena“ einem akademischen Publikum. Die regelmäßige Beschaffung aktueller Fachzeitschriften, Journale und Zeitungen war wichtige Ergänzung für die Bestände der nicht annähernd so aktuellen Universitätsbibliothek.59 Die hauptsächlich an der Universität beschäftigten Mitglieder60 und die Position des 1826 folgenden Oberbibliothekars Carl Wilhelm Göttling (1793–1869) im Vorstand des Museums lassen auf einen regen Austausch mit der Universitätsbibliothek schließen.61 Im Vergleich zur Leserschaft der Schloßbibliothek in Jena wird der überwiegend akademische Charakter des Publikums deutlich. Hier finden sich in den Jahren 1811 bis 1818 fast 50 Prozent Universitätsangehörige und rund 40 Prozent höhere und mittlere Beamte. Die restlichen 10 Prozent der insgesamt 73 Leser entfallen auf Geistliche, Handwerker und nicht weiter zu klassifizierende Personen.
57 Tagebuch von Christian Ernst Friedrich Weller, Nr. 1, ThULB, HSA, Signatur: AB III 1, Bl. 39. 58 Bulling, K., Goethe, 1932, 15. 59 Marwinski, K., Universitätsbibliothek, 1983, 33. 60 Eine Auflistung der Gründungsmitglieder findet sich bei: Marwinski, F., Societas litteraria, Diss. (MS) 1982, Band 2, Anlage 24, 183. 61 Marwinski, F., „Societas litteraria“, Diss. (MS) 1982, 106.
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Die Schloßbibliothek wurde pro Jahr lediglich von 20 bis 30 Personen genutzt. Die Nutzerfrequenz der Akademischen Bibliothek dagegen liegt in den vollständig untersuchten fünf Jahren bei etwa 200 pro Jahr. Der Anteil von Studenten beläuft sich jeweils auf ca. 100, also etwas mehr als die Hälfte der Nutzer. Der Anstieg im Jahr 1819 ist wohl zu großen Teilen auf die steigenden Studentenzahlen bis 1818 zurückzuführen.62 Für 1819 werden 243 Leser in den Ausleihbüchern aufgeführt, davon waren mehr als 150 Studenten. Auf die einzelnen Jahre verteilen sich die 550 Nutzer wie folgt:
Nutzer gesamt
Anzahl
241
250
213
204
204
200 161
154
150 100 50
106
95
36 12
95
100
89
27
26 3
12
3
0 vor 1817
1817
1818
1819
1820
1821
1822
1823
nach Jahr 1823
Diagramm 2: Nutzerfrequenz nach Jahren.
Zu beachten ist, daß nur die Jahre 1818 bis 1822 wirklich repräsentativ sind, da für den Zeitraum vorher lediglich nachgetragen wurde und nachfolgende Entleihungen in das neue Ausleihbuch verzeichnet wurden. Unter den Nutzern sind 30 nicht in Jena ansässig. Daß die Zahl der Entleihungen „an der auch gerade auswärtige Gelehrte einen großen Anteil hatten, von Jahr zu Jahr bedeutend anstieg“63, kann für den Untersuchungszeitraum bestätigt werden. Bulling zählt zehn auswärtige Nutzer aus dem Ausleibuch 1799–1820 auf, die um weitere 20 aus dem Ausleihbuch 1821–1822 ergänzt werden können.“64 Der spätere Bibliothekar 62 Leutenberger, H., Untersuchungen, WZ d. FSU Jena, 1953/1954, 376 f. 63 Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 420. 64 Bulling zählt hier aus dem ersten Ausleihbuch 1799–1820 auf: v. Hoff, Gotha; Prof. Kühn, Leipzig; Luntze, Leipzig; Dir. Gernhard, Weimar; Thieme, Ilmenau Dir. Ilgen, Pforta;
276
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Göttling scheint die Praxis, Literatur auch an auswärtige Interessenten abzugeben, weiter gefördert zu haben. 1830 heißt es nach einer Befürwortung eines Fernleihgesuchs durch Goethe: „Da eine liberale Mittheilung bibliothekarischer Schätze, dem Geist und Sinn der Zeit gemäß, schon mehrere Jahre obwaltet und wir selbst davon, durch auswärtige Gunst, manches zu genießen gehabt, auch dagegen Andere genießen zu lassen …“65 Schließlich soll die große Gruppe der Studenten näher beleuchtet werden. Von insgesamt 341 sind 203 durch das Studentenalbum nach ihren Fachrichtungen einzuordnen.66 Für diese ergibt sich die Verteilung aus Grafik Nr. 3 „Studenten nach Fachrichtungen“. Mit 133 ist die Gruppe der Theologiestudenten am größten, gefolgt von 43 Juristen und jeweils gut 20 Medizin- und Philosophiestudenten. Für den hier relevanten Zeitraum 1818 bis 1822 waren an der Universität durchschnittlich gut 500 Studenten immatrikuliert. Davon entfielen 43 Prozent auf Theologen, 34 Prozent auf Juristen, 15 Prozent auf Mediziner und acht Prozent auf die übrigen Fächer.67 Der Vergleich mit der Nutzerschaft der Bibliothek zeigt, daß Theologen die Universitätsbibliothek am intensivsten und überdurchschnittlich häufig nutzten, Juristen mit 19 Prozent dagegen eher unterrepräsentiert waren. Auch für Philosophen und Mediziner scheinen die Bestände der Bibliothek von großem Interesse gewesen zu sein, diese waren in der Bibliothek prozentual häufiger vertreten als an der Universität. Dabei sind keine Tendenzen festzustellen, ob die Bibliothek häufiger am Anfang oder zum Ende des Studiums genutzt wurde. Der Nutzungszeitraum aber erstreckte sich häufig auf maximal zwei Jahre.
Froriep, Weimar; de Wette, Weimar; Pfarrer Rost, Hummelshain; Gesenius, Halle; Dr. W. Schneider, Weimar. Vgl. Bulling, K., Universitätsbibliothek, 1958, 420. Ergänzend können aus dem Ausleihbuch 1821–1822 hinzugefügt werden: Goethe, Frau v. Goethe, Dr. Huschke, Regierungssekretär Sachse, Dr. Koch und Hilfslehrer Wilh. Schneider in Weimar; Professor Hesse in Rudolstadt; Pastor Liebeskind zu Dornburg; von Hoff in Gotha; Adjunctus Netto in Utenbach; Dr. Andreä in Thalbürgel; Pastor Harsein in Bürgel; Hofrat Reichardt und Dr. Klinger in Lobenstein; Pastor Thienemann zu Groß-Löbigau; Dr. Vater in Halle; Diaconus Bodinus in Apolda; Rector Brendel in Eisenach; die Keysersche Buchhandlung in Erfurt; Frau von Pogwisch in Weimar. Dazu kommen Vulpius und Kräuter als Mitarbeiter der Herzoglichen Bibliothek in Weimar. 65 Zitiert nach: Karpe, G., Universitätsbibliothek, 1958, 463. 66 Das Studentenalbum der Universität Jena beginnt erst 1818, weswegen Studenten, die sich früher immatrikuliert haben, hier nicht aufgeführt werden. Studentenalbum, ThULB, HSA, Signatur: Ms.Prov.f. 118a. 67 Vgl. Leutenberger, H., Untersuchungen, WZ d. FSU Jena, 1953/1954, 376 f.
„Hauptsache aber für das Emporkommen der Universität ist die Bibliothek“
Medizin 10%
277
Cameralwissenschaften 3%
Philosophie 10%
Theologie 58%
Jura 19%
Diagramm 3: Studenten nach Fachrichtungen.
7. Entleihungen In beiden Ausleihbüchern sind zusammen mehr als 6700 Entleihungen bzw. über 9000 Entleihvorgänge verzeichnet. Rund ein Viertel der Entleihvorgänge diente damit ausschließlich der „Repräsentation“, dem Vorlegen eines bereits entliehenen Werkes zur Verlängerung der Leihfrist. Die Grafik der Entleihungen (vgl. Grafik Nr. 4 „Buch-Entleihungen und -Abgaben nach Jahren der Universitätsbibliothek“) macht deutlich, daß viele Bücher stark verspätet abgegeben wurden. Es wurden bis 1822 grundsätzlich weniger Bücher pro Jahr zurückgegeben als entliehen. Die Anzahl der Entleihungen stieg seit 1819 an. Es ist davon auszugehen, daß dieser Anstieg auch nach 1822 anhält, was durch die Auswertung weiterer Ausleihbücher zu überprüfen wäre. Die Reorganisationsarbeiten wirkten sich offenbar positiv auf die Nutzung der Bibliothek aus. Seit Goethes Übernahme der Oberaufsicht wurden die Ausleihbedingungen durch Katalogisierungsarbeiten, verlängerte Öffnungszeiten und Umbaumaßnahmen merklich verbessert, was sich in der Anzahl der Entleihungen widerspiegelt. Fast alle im Zeitraum des Ausleihbuchs verliehenen Werke wurden auch als „zurückgegeben“ eingetragen, wenn auch oft erst Jahre später. Lediglich 60 Bücher sind bis heute ohne Rückgabedatum vermerkt. Eine Übertragung in das neue
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Ausleihbuch, welches einer neuen Systematik folgt, fand in der Regel nicht statt. Hieraus resultiert die hohe Zahl von fast 600 Buchrückgaben nach 1822 bei nur drei neuen Entleihungen. Entleihungen
Anzahl
Abgaben 1656
1800
1585
1662 1620
1600 1279 1295 1227 1096
1400 1200 1000 649 581
800
575
600 400 200
69
146 2
3
16
0 vor 1817
1817
1818
1819
1820
1821
1822
nach Jahr 1822
Diagramm 4: Buchentleihungen und -abgaben der Universitätsbibliothek nach Jahren.
Im Schnitt wurde die vierwöchige Ausleihfrist für Studenten um eine Woche (38 Tage als durchschnittliche Entleihdauer68), die achtwöchige Frist von Professoren mit 14 Wochen (156 Tage als durchschnittliche Entleihdauer69) überschritten. Dabei wurde von den Studenten mehr als jedes zweite Buch repräsentiert, während das Lehrpersonal an der Uni nur jedes vierte Buch repräsentierte. Die erneute Vorlage zur Verlängerung eines Buches erfolgte durch die Studenten überwiegend diszipliniert und fristgerecht. Dagegen scheinen Professoren und Dozenten die Ausleihzeiten nur wenig ernst genommen und die Ausleihfristen ohne die erfor68 Dabei ist zu beachten, daß das Ausleihbuch von 1799–1820 eine durchschnittliche Entleihdauer von 52 Tagen, das Buch 1821–1822 von nur 18 Tagen aufweist. Im ersten Ausleihbuch sind zu großen Teilen verspätete Rückgaben verzeichnet, wodurch sich das Gesamtbild negativ verzerrt. 69 Im ersten Ausleihbuch 1799–1820 kommt auf die Lehrenden eine durchschnittliche Entleihdauer von 165 Tagen, im zweiten Ausleihbuch 1821–1822 von 144 Tagen. Vgl. Anm. 67.
„Hauptsache aber für das Emporkommen der Universität ist die Bibliothek“
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derliche Verlängerung oft über Monate überschritten zu haben. In der Universitätsbibliothek Jena liehen die Studenten in den Jahren 1819 bis 1822 durchschnittlich vier Bücher pro Jahr und Person aus, die Dozenten dagegen 16. Betrachtet man die einzelnen Nutzergruppen und die Anzahl von deren Entleihungen, so fällt auf, daß die meisten Entleihungen auf das Lehrpersonal der Universität entfallen (vgl. Grafik 5). Dies gilt in gleichem Maße für die Universitäts- wie auch für die Schloßbibliothek. Obwohl davon auszugehen ist, daß vor allem viele der Professoren selbst über gute Privatbibliotheken verfügten, wurden die akademischen Möglichkeiten der Lektürebeschaffung regelmäßig und häufig genutzt. Auf 19 Prozent der Leser der Universitätsbibliothek (Lehrpersonen) kommen gut die Hälfte aller Entleihungen, wohingegen 63 Prozent der Nutzer (Studenten) nur ein knappes Drittel aller Entleihungen auf sich vereinen. Nutzergruppen Sonstige
133 134
Geistliche
12 149 12 53
Handwerker
Schlossbibliothek 1811 bis 1818
242 Beamte
888
Universitätsbibliothek 1799 bis 1823
961 Lehrende
3421 18
Studenten
2132 0
1000
2000
3000
4000
Entleihungen
Diagramm 5: Anzahl der Entleihungen nach Nutzergruppen.
Da für Erlangen keine genauen Zahlen über die Studenten pro Jahr angegeben wurden, können kaum Vergleiche zur gruppenspezifischen Statistik gemacht werden. Die Ausleihbücher vermitteln aber, was die Gesamtzahl der Entleihungen im Verhältnis zur Gesamtzahl der Studenten bzw. Lehrtätigen anbelangt, ein anderes Bild als in Jena. Hier fallen auf die große Gruppe der Studenten (70 Prozent aller Bibliotheksnutzer) über 6500 von 11400 Entleihungen. Die 58 Lehrtätigen (sieben Prozent aller Nutzer) sind mit knapp 3000 Entleihungen innerhalb eines Zeitraums
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von 14 Jahren verzeichnet. Der Unterschied im Nutzerverhalten von Studenten und Lehrenden ist in Jena größer. Dagegen wurde die Bibliothek in Jena von Studenten häufiger genutzt als die in Erlangen. Dies gilt unter der Voraussetzung, daß die Entleihzahlen in Jena für den gleichen Untersuchungszeitraum um ein Vielfaches höher waren als im ersten Ausleihbuch angegeben, in dem lediglich die Nachtragungen, nicht aber alle Entleihvorgänge ab 1817 zu finden sind. Die Nutzerstatistik für Erlangen zeigt, daß Studenten im Durchschnitt etwa 450 Entleihungen pro Jahr tätigten.70 In Jena sind es in den Jahren 1818 bis 1822 knapp 700 Entleihungen pro Jahr. Karl Bulling benennt vor allem das Bibliothekspersonal selbst als „eifrige Entleiher“, die „für wissenschaftliche Forschung, zu eigener Belehrung und Unterhaltung, z. T. wohl auch zu dienstlichen Zwecken große Büchermengen entliehen.“71 Eine genaue Betrachtung der Ausleihbücher zeigt, daß das Bibliothekspersonal72 zusammen 812 Entleihungen auf sich vereint. Davon entfallen 204 auf Dr. Meyer, der hauptsächlich Bücher entlieh, um diese zu katalogisieren. Zwar fallen 274 auf den Oberbibliothekar Güldenapfel, doch lediglich 64 davon entlieh er für sich selbst. Die restlichen über 200 Werke, die unter seinem Namen aufgeführt sind, gingen an Studenten unter seiner Bürgschaft. Auch Weller leistete bei mehr als 200 Entleihungen noch für über 50 Werke Bürgschaft, die damit nicht als seine Entleihungen zu zählen sind. Insgesamt kann das Bibliothekspersonal also nicht als „fleißige Entleiher“ bezeichnet werden, während die Behauptung, „[a]uffällig oft entleihen sie Goethische Werke“73 einer genaueren Überprüfung standhält. Von insgesamt 65 Entleihungen der Werke von Johann Wolfgang von Goethe entfallen 17 auf das Bibliothekspersonal. Im Vergleich zu den drei anderen großen Weimarer Schriftstellern nimmt Goethe mit 65 Entleihungen seiner Werke den ersten Rang ein. Die Werke Friedrich Schillers kommen auf 47, die Christoph Martin Wielands auf 24 und die Johann Gottfried Herders kommen nur noch auf 15 Entleihungen in den untersuchten Ausleihjournalen. Die Strahlungskraft der „Großen Vier“ ist hier kaum zu erkennen. Wissenschaftliche Werke der lehrenden Professoren wie Dietrich Georg Kieser oder Johann Philipp Gabler, das Corpus Juris Civilis und Autoren der Antike wie beispielsweise Homer oder Cicero sind mit deutlich mehr Entleihungen vertreten, was den akademischen Charakter als Universitätsbibliothek betont. Auch insgesamt ist nur ein sehr geringer Prozentsatz belletristischer Literatur entliehen worden. Fast ausschließlich wurde Fachliteratur gewünscht, die dem jeweiligen Studien- oder Lehrfach diente, womit die Bedeutung der Bibliothek für Lehre und Lernen unterstrichen wird. Nur selten finden sich unter 70 Die genaue Zahl wird nicht angegeben und ist lediglich grob aus einer Grafik für den Zeitraum 1805 bis 1818 abzulesen. Vgl. Lang, G., Leser, 1994, v. a. 90. 71 Bulling, K.,Goethe, 1932, 15. 72 Hier wurden berücksichtigt: Georg Gottlieb Güldenapfel (1776–1826), Christian Ernst Friedrich Weller (1790–1854) Johann David Gottlob Compter, Dr. med. Christian Ludwig Meyer, Johann Theopilus Beyer. 73 Bulling, K., Goethe, 1932, 15.
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den studentischen Entleihungen fachfremde Bücher, wie Reisebeschreibungen, Gedichtbände oder Romane. Auch andere Berufsgruppen, wie beispielsweise Pastoren, nutzten die Bibliothek zur Ergänzung ihrer beruflichen Tätigkeit. In den Ausleihbüchern finden sich für diese Personengruppe zahlreiche Predigtsammlungen, Bibelkommentare aber auch Werke zur Kirchengeschichte und allgemeine historische Abhandlungen. Herr Pastor Andreä entleiht darüber hinaus knapp 20 verschiedene Bände aus Sprengels Bibliothek der neuesten Reisebeschreibungen74, während bei Pastor Harsein zahlreiche Hefte der Jenaischen Allgemeinen Literatur Zeitung genannt sind. Im wesentlichen fachbezogene Lektüre findet sich auch bei den Medizinern. Dr. med. Blankenmeister entlieh ausschließlich medizinische Werke, wie beispielsweise Henkes „Handbuch der Kinderkrankheiten“ oder dessen „Handbuch gerichtlicher Medizin“.75 Letzteres stieß auch auf das Interesse von Studenten der Medizin und Rechtswissenschaften. Dr. med. Fiedler dagegen nutzte von Februar 1821 bis November 1821 elf medizinische Werke aber auch ebenso viele verschiedene Reisebeschreibungen. Betrachtet man die Lektüre der Handwerker, so ist es vor allem Reiseliteratur, die häufig entliehen wurde. Mitunter werden auch berufsspezifische Werke ausgewählt, beispielsweise durch den Hofmechanikus Friedrich Körner, der u. a. Beckmanns „Anleitung zur Technologie“ und „Nachrichten zur Verfertigung des Glases“ entleiht.76 8. Fazit Die Ausleihbücher vermögen einen weit detaillierteren und tieferen Einblick in die Ausleihpraxis der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu geben als es lediglich Akten und Bibliothekskataloge können. Gerade für eine Universität ist es unerläßlich, sowohl aktuelle Forschungsliteratur als auch ältere Literatur zu bewahren und verfügbar zu machen. Die Bibliothek als „Herzstück der Forschungsuniversität“77 galt es zu fördern und zu vermehren; nach diesem Grundsatz handelte Goethe besonders in den Jahren der Reorganisation der Universität erfolgreich. Bei der Beleuchtung der Ausleihpraxis zeigten sich weitreichende Veränderungen. Zum einen sorgte die Einführung der Ausleihbücher für eine bessere Übersicht über die entliehene Lektüre, zum anderen wurde durch die nach und nach verlängerten Öffnungszeiten auf die Wünsche der Nutzer eingegangen. Eine im wesentlichen ungefällige oder abweisende Art der Bibliotheksmitarbeiter 74 75 76 77
Sprengel, M. C., Bibliothek, 1800 ff. Henke, A., Handbuch, 1809 und Henke, A., Lehrbuch, 1812. Beckmann, J., Anleitung, 1777; Hochgesang, G. L., Nachricht, 1780. vom Bruch, R., Rezension zu: Müller, G., Regieren, 2006, in: H-Soz-u-Kult, 28.06. 2007, URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-193, abgerufen am 15.06. 2009.
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gegenüber der Leserschaft läßt sich in den Bibliotheksakten nicht nachweisen, wie sie noch 1817 Professor Hasse den „Tyrannen“ unterstellte. Vielmehr zeugen zahlreiche Bemühungen um Literaturbeschaffung und die bereitwillige Verlängerung der „öffentlichen Stunde“ von einem wohlwollenden Entgegenkommen gegenüber dem Nutzerkreis. Auch die wenig strenge Ahndung säumiger Leser zeugt eher von einer weiteren Beförderung als von einer bewußten Einschränkung der Leserzahl. Anhand der Nutzerzahlen pro Jahr ist keine offensichtliche Steigerung in der Nutzerfrequenz auszumachen. Bezieht man allerdings die sinkenden Studentenzahlen in die Statistik mit ein, so ist ein relativer Aufwärtstrend in der Bibliothek zu erkennen. Damit stieg die Zahl der Bibliotheksbenutzer seit Beginn der Reformarbeiten stetig an. Es ist davon auszugehen, daß sich dieser Trend durch die Auswertung weiterer Jahrgänge bestätigen lassen würde. Ähnliches gilt für die Gesamtzahl der Entleihungen. Auch hier steigen die Zahlen von 1818 bis 1822 kontinuierlich an. Ob Goethe selbst diesen Trend aktiv beeinflußt hat, bleibt Spekulation. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Entlastung der Bibliothekare und die bessere Organisation der Bibliothek einer häufigeren Nutzung förderlich waren. Die Auswertung der Ausleihbücher hat gezeigt, daß Studenten die Bestände der Bibliothek nahezu ausnahmslos für wissenschaftliches Arbeiten nutzten. Die Lektüre der Professoren und anderer Dozenten läßt erkennen, daß auch hier hauptsächlich für Vorlesungen und eigene Publikationen Werke entliehen wurden. Belletristische oder fachfremde Literatur bleibt bei den Entleihungen erwartungsgemäß die Ausnahme. Lediglich bei Handwerkern und universitätsfremden Nutzern ist auch Unterhaltungsliteratur zu finden, die allerdings fast ausschließlich auf Reiseliteratur beschränkt ist. Reisebeschreibungen und Reisetagebücher sind damit die neben der fachspezifischen Literatur am häufigsten entliehenen Lesestoffe. Ohne Zweifel haben Ausstattung und Benutzerfreundlichkeit einer akademischen Bibliothek Einfluß auf die Universität selbst. Mißstände werden von einem Großteil der Universitätsangehörigen wahrgenommen, ebenso deren Beseitigung. Die Erweiterung der Bestände und die Verbesserung der Ausleihbedingungen sind einer regen Nutzung förderlich. So wirkt sich die akademische Bibliothek unmittelbar auf die Qualität von Lehre und Lernen aus und beweist sich als „hauptsächlichste Hauptsache für das Emporkommen der Universität“.
Abbildungsnachweis Abb. 1: Ausleihbuch der Universitätsbibliothek Jena 1799–1825. Aus: ThULB, HSA, Ausleihbuch UB (nach Entleihern geordnet) 1799–1820 (1825), Signatur: AGI: 1a. Abb. 2: Ausleihbuch 1821 bis 1822 der Akademischen Bibliothek. Aus: ThULB, HSA, Ausleihbuch UB (nach Entleihern geordnet) 1821–1822, Signatur: AGI: 2.
Religiöse Selbstformierung und die Funktionalisierung der Offenbarung Friedrich Immanuel Niethammer und die universitären Bildungsreformdebatten um 1800 Ralf Koerrenz 1. Annäherungen Das 18. Jahrhundert – wenn Pädagogen auf diesen Zeitraum blicken, sprechen sie des öfteren schlicht von dem „pädagogischen Jahrhundert.“1 In dieser Perspektive entfaltet sich zwischen Pietismus und Aufklärung, zwischen Kant und Herder, zwischen Philanthropismus und Neuhumanismus ein buntes Panorama von Reformprogrammen und Reformpraktiken.2 Eine zentrale Herausforderung der Bildungsreform im 18. Jahrhundert – Bildungsreform: verstanden, wie heute üblich, als eine Zusammenfassung von Reformen auf dem Gebiet des Pädagogischen – bestand um 1800 in der Klärung der Grundlagen, der einheimischen Denkfiguren und Begriffe der Pädagogik.3 Pädagogik war – wie viele andere Fächer im heutigen Universitätsbetrieb – keine eigenständige universitäre Disziplin, auch wenn es mit Ernst Christian Trapp im kurzen Zeitraum von 1779 bis 1783 einen ersten Lehrstuhl speziell für Pädagogik in Halle gegeben hatte. Viele Diskussionen zur Konstituierung des disziplinären Wissenschaftsbereichs, der sich in der Folgezeit mit Fragen von Erziehung und Bildung, Lehren und Lernen auseinandersetzen wird, fanden gerade im semi-akademischen Bereich statt.4 Dies bedeutete jedoch keineswegs, daß pädagogische Fragestellungen an der Universität keine Rolle spielten. Ganz im Gegenteil – Fragen der Vermittlung, des Lehrens und Lernens hatten in vielen Bereichen geradezu eine Schlüsselstellung. Dies gilt für die Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen einer Aufklärung über und durch Literatur ebenso wie für Fragen des Wirtschaftens oder der Durchsetzung von Rechtsvorstellungen. Ein spezieller
1 2 3 4
Vgl. Herrmann, U., Das pädagogische Jahrhundert, 1981. Zur Deutung der Entwicklungen im 18. Jahrhundert als „Reformpädagogik“ vgl. Benner, D. / Kemper, H., Theorie, 2001. Vgl. hierzu paradigmatisch und in gewisser Weise zugleich bilanzierend das Programm von Johann Friedrich Herbart in seiner „Allgemeinen Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet“ aus dem Jahre 1806. Zur Diskussion um die Etablierung von Pädagogik bzw. Erziehungswissenschaft als eigenständiger wissenschaftlicher Disziplin vgl. die Arbeit von Brachmann, J., Diskurs, 2008.
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Bereich, der prominent diskutiert wurde, war der Zusammenhang von Religion und Moralität auf der einen sowie Erziehung und Bildung auf der anderen Seite. Gerade für den Bereich der Religion wurde als Signatur der Folgen des Freiheitspostulats der Aufklärung die vielsagende Formulierung vom „Zwang zur Häresie“5 geprägt. Es ist die Signatur einer Situation, in der der Mensch mit der Möglichkeit, aber auch der Unausweichlichkeit konfrontiert wird, selbst wählen zu müssen. Im Hintergrund steht das Programm einer „Modernität als beinahe unfaßbare Expansion des Bereichs im menschlichen Leben, der Wahlmöglichkeiten offensteht.“6 Für Fragen der Religion war und ist die Erhebung von Autonomie zur Norm für den menschlichen Lebenslauf eine besondere, eine geradezu existentielle Herausforderung. Diese – zunächst nur postulierte – Norm berührt gleichermaßen das Denken und Handeln im religiösen Bereich – gegründet auf einer Fokussierung des Religiösen im Lebenslauf, der in der Folgezeit als Selbstverständigungsprozeß des Individuums in und über sich selbst institutionalisiert wird. Die Dimension der Wahl markiert eine Zäsur in der Deutung des Menschen. „Für den prämodernen Menschen stellt die Häresie eine Möglichkeit dar, für gewöhnlich allerdings eine fernab gelegene; für den modernen Menschen wird Häresie typischerweise zur Notwendigkeit. Oder noch einmal, Modernität schafft eine neue Situation, in der Aussuchen und Auswählen zum Imperativ wird.“7
Dieser Umgang mit Wirklichkeit wird gerade im religiösen Bereich musterhaft für die kulturelle Deutung des Menschen. Das solchermaßen als Kulturmuster8 zu benennende Denken und Handeln kann unter dem Terminus „Religiöse Selbstformierung“ als Herausforderung des Menschen gekennzeichnet werden. In den Blick kommt damit der Sachverhalt, die Haltung zur und das Verhalten in Sachen „Religion“ in die Selbstreflexion des Einzelnen zu verlagern. Die Entscheidung über die „wahre“ Religion wurde über den Freiheits- und Autonomiegedanken mittelfristig erfolgreich an den Lebenslauf gekoppelt, selbst wenn die realen Bedingungen (konfessionelle Milieubindungen, aber auch familiäre Prägungen) dies zunächst zu negieren suchten. Der Prozeß, in und mit dem sich die entsprechend selbstreflexive Auseinandersetzung auch mit Fragen der Religion vollzieht, wird oftmals mit dem Topos „Bildung“ zu erfassen versucht. Für Fragen der Religion bedeutete dies in letzter Konsequenz, daß sich über den Bildungsgedanken eine Transformation der Dogmatik und Ethik in die Gestaltung des Lebenslaufs vollzog und somit (zumindest vordergründig) Dogmatik und Ethik auf eine existentiell-anthropologische Ebene verlagert wurden.
5 6 7 8
So der Titel des gleichnamigen Buches von Berger, P.L., Der Zwang zur Häresie, 1992. Berger, P.L., Zwang, 1992, 16. Ebd., 41. Die nachfolgenden Überlegungen stehen auch im Kontext der an den Universitäten HalleWittenberg und Jena etablierten Forschungsgruppe, die sich mit den „Kulturmuster(n) der Aufklärung“ auseinandersetzt.
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Dies mußte zunächst im 18. Jahrhundert, faktisch aber bis in die Gegenwart hinein Konsequenzen für den Umgang mit Religion, deren Gründungsdokumenten und deren institutionellen Repräsentationen haben. Wenn es der individuelle Lebenslauf sein soll, auf den religiöse Deutungsangebote und Handlungsrahmungen primär zu beziehen waren, so stellte sich vor allem die Aufgabe, Vorgegebenes bzw. Tradiertes an eben diese Lebensläufe zu koppeln. Es stellten sich somit in einer neuen Qualität die Fragen nach Lehren und Lernen, nach Erziehung und Bildung. So bildeten die kritisch-abgrenzende Auseinandersetzung mit kirchlichen Deutungs- und Machtansprüchen einerseits und die konstruktive Suche nach der Elementarbedeutung von Religion für den menschlichen Lebenslauf andererseits einen Kontext, in dem sich vom Pietismus über die Aufklärung bis hin zur Romantik im deutschen Sprachraum wesentliche Aspekte in den Debatten um Bildung und Erziehung formierten.9 Für den Bereich der Theologie10 rückte wiederum faktisch – zumeist jedoch unausgesprochen – die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen des Lehrens und Lernens als Deutung des Menschen im Angesicht Gottes sogar in den Rang eines systematisch-theologischen Kernproblems. In dem Nachdenken über Bildung und Erziehung spiegelte sich letztlich das Verhältnis von Theologie und Anthropologie, der Rede von Gott und der Rede vom Menschen. Die neue Situation der Offenheit tradierter metaphysischer Autoritäten mündete in die anthropologisch-fokussierte Frage: Worauf ist der Mensch angewiesen, was vermag er von sich aus, welchen Autoritäten ist er unterstellt? Diese Konstellation hat Konsequenzen sowohl für die Theologie als auch für die Bestimmung von Erziehung und Bildung. Auf der einen Seite stellte sich zum Beispiel in einer neuen Weise das Problem der Glaubenstradierung – Glaubenstradierung jedoch nicht nur und nicht vornehmlich verstanden in einer im engeren Sinne methodisch verstandenen Herausforderung („wie“). Vielmehr geht es um die fundamentaltheoretischen Aspekte nach der Begründung („warum“) und der Zielstellung („wozu“) der entsprechenden Prozesse. Es handelt sich dabei um ein Problem, das aus der Perspektive der Glaubensgemeinschaften bis heute den Umgang mit dem Zwang zur Wahl im Gefolge des Freiheitspostulats der Aufklärung bestimmt: Wenn Offenbarung in einer neuen Qualität fraglich wird, stellt sich die Frage, wie Menschen dann zu Religion und Glauben gelangen können? Und umgekehrt ergeben sich neue, fundamentale Probleme für die Begründung der sozialen Dimension von Erziehung und Bildung. Fraglich wurde, 9
Dieser Zusammenhang ist in der Geschichte der Pädagogik oftmals einseitig von dem erstgenannten Aspekt der kritischen Abgrenzung aus dargestellt worden. In den letzten Jahren mehren sich jedoch Einzelstudien und Forschungsnetzwerke, die diese Einseitigkeit einer Korrektur unterziehen und den Zusammenhang von Erziehung, Bildung und Religion von der ReInterpretation gerade des 18. Jahrhunderts aus neu in den Blick nehmen. Vgl. hierzu exemplarisch Overhoff, J., Frühgeschichte, 2004 und Oelkers, J. / Osterwalder, F. / Tenorth, H.-E., (Hg.), Erbe, 2003. 10 Vgl. zusammenfassend auch zur Theologie der Aufklärung Beutel, A., Kirchengeschichte, 2009.
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wie sozialpädagogisch das Überindividuelle, das alle Menschen Verbindende nicht nur gedacht, sondern vor allem auch vermittelt werden kann: Wie lassen sich beispielsweise überindividuelle Moralvorstellungen begründen und in LehrLern-Prozessen darstellen, wenn metaphysische Vorgaben (auch solche einer „natürlichen“ Religion) wegfallen und doch die Verpflichtung auf soziale Elementarstandards (sei es der kategorische Imperativ, sei es ein pragmatisch gedachtes Wohlverhalten) notwendig bleiben? Am Ende des 18. Jahrhunderts gelangte in dieser doppelten Problemkonstellation von sich transformierender Theologie und orientierungssuchender „allgemeiner“ Pädagogik gerade das Didaktisieren des Religiösen (im umfassenderen, nicht methodisch reduzierten Sinne) ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Dieses Didaktisieren des Religiösen wird für manche dann gleichzeitig zur Alternative für Offenbarung und mit Blick auf die Lernsteuerung des Lebenslaufs zugleich deren Rettungsanker: nur im Kontext der Didaktik vermag Offenbarung in dieser Sichtweise augenscheinlich eine unverzichtbare Funktion zu bewahren. Als Vermittlungsstrategie für etwas anderes gewinnt Offenbarung eine neue Bedeutung. In den 1790er Jahren rückten auch im Umfeld der Universität Jena solche Fragen in den Mittelpunkt von Debatten, in denen die Vielfalt der Bildungsreformen im 18. Jahrhundert auf ihre anthropologischen und philosophischen Grundlagen befragt wurde. Als Hintergrundfolie für diese Klärungsprozesse dienten dabei vor allem auch Überlegungen Jean-Jacques Rousseaus und Immanuel Kants.11 Rousseaus „Emile“ und Kants Kritiken können in pädagogischer und religionspädagogischer Sicht geradezu als Zwang gesehen werden, Erziehung und Bildung unter dem Postulat individueller Freiheit, die „nur“ über eine universal gedachte Vernunft mit anderen Menschen sozial gekoppelt und so begrenzt ist, auf ihre programmatische Grundlegung hin kritisch zu befragen. Das Spektrum dieser Fragen im Zusammenhang von Erziehung, Bildung und Ethik ist facettenreich: -
Was kann unter Erziehung überhaupt verstanden werden? Wie ist Erziehung zu legitimieren? Wozu soll Erziehung befähigen? Was kann Erziehung leisten?
In Jena waren es neben dem heutigen Namenspatron der Universität, Friedrich Schiller12, um 1800 unter anderem Friedrich Immanuel Niethammer, Johann Friedrich Herbart, Johann Gottlieb Heusinger13 und andere, die die von Rousseau
11 Zur kritischen Auseinandersetzung mit den theologischen Konsequenzen dieser Ansätze vgl. Barth, K., Theologie, 1960. 12 Vgl. hierzu zuletzt die Studie von Schumann, K. / Winkler, M., Schillers Vision, 2009. 13 Vgl. zum wenig erforschten Werk von Heusinger die ältere Arbeit von Teuscher, A., Joh. Heinr. Gottlieb Heusinger, 1911. Einen allerersten Zugang zu den Schriften Heusingers bietet
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und Kant formulierte Aufgabe einer fundamentaltheoretischen Bestimmung von Erziehung und Bildung zu bewältigen suchten. Unter dem Gesichtspunkt der universitären Diskussion des hier angezeigten Zusammenhangs soll der Schwerpunkt nachfolgend auf die Analyse von frühen Schriften Friedrich Immanuel Niethammers gelegt werden. Niethammer hatte an der Universität Jena insbesondere zu der Frage nach der Grundlegung der Erziehungs- und Bildungsreform über einen moralpädagogisch gewendeten Offenbarungsbegriff eigenständige Diskussionsbeiträge formuliert. Verständlich werden diese Überlegungen in ihren pädagogischen Implikationen jedoch erst vor dem Hintergrund von Leitgedanken Rousseaus und Kants, mit denen Niethammer (über eine bestimmte Bezugnahme auf Fichte) die Bildungsreform des 18. Jahrhunderts auf ihre Grundlagen hin reflektiert hat. 2. Rousseau und Kant Rousseau hatte bereits in seinem ersten Discours zur Frage „Hat der Wiederaufstieg der Wissenschaften und Künste zur Läuterung der Sitten beigetragen?“14 der aufklärerischen Hoffnung auf Besserung des Menschengeschlechts durch fortschreitende menschliche Erkenntnis das Ideal einer ursprünglich-natürlichen Unverdorbenheit des Menschen gegenübergestellt. Vor diesem Hintergrund wurde der Kulturzustand seiner Zeit als Ausdruck menschlicher Entfremdung interpretiert – Entfremdung von dem, was dem Menschen von seinen natürlichen Anlagen, d. h. seiner Geschöpflichkeit, her eigen und damit potentiell auch immer möglich wäre. Dies fordert vor allem ein Nachdenken über Möglichkeiten, Grenzen und Ausgestaltung der Vermittlung von „Kultur“ – also über Lehren, Lernen und Erziehung. Vor dem Hintergrund seiner Diagnose entwickelte Rousseau zwei Perspektiven der möglichen Verbesserung der Kultur, in deren Zentrum auch eine bestimmte Verknüpfung mit Fragen der Religion vorgenommen wird: die Erziehungsreform und die Gesellschaftsreform. Die erste Perspektive entfaltet er in seinem Erziehungsroman „Emile“, die zweite in seiner politischen Programmschrift „Du contrat social“ („Der Gesellschaftsvertrag“). Beide Schriften erschienen 1762. Für den Zusammenhang von Religion und Erziehung bzw. Bildung sind beide Zusammenhänge in unterschiedlicher Weise relevant und einschlägig.15 Mit Blick auf die Begründung moralischer Erziehung über eine spezifische Religionsdidaktik ist der im engeren Sinne pädagogische Kontext des „Emile“ aufschlußreicher. Worin bestand die provozierende Position des religiös-pädagogischen
der kleine, von Walter Domseifer herausgegebene Auswahlband: Johann Heinrich Gottlieb Heusinger, Ausgewählte Schriften, 1969. 14 Rousseau, J.-J., Kunst und Wissenschaft, 1955. 15 Vgl. zur politischen Kontextualisierung von Rousseaus Religionsauffassung zuletzt Rehm, M., Glaubensbekenntnis, 2006.
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Denkers Jean-Jacques Rousseau? Hier sind nun im „Emile“16 zwei Aspekte miteinander verbunden: die latent religiöse Dimension seiner gesamten pädagogischen Anthropologie und die explizit konfessorische Infragestellung des Konfessionalismus im „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“, einem längeren literarischen Einschub im vierten der insgesamt fünf Bücher seines Erziehungsromans. „Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen“17 – so beginnt der Roman, und mit dieser anthropologischen Eröffnungsfanfare des „Emile“ formuliert Rousseau eine Frontstellung gegen die traditionelle Erbsündenlehre und ein spezifisches, damit verbundenes Offenbarungsverständnis. Der Ausgangspunkt von Rousseaus Lebenslauf-Didaktik ist ohne die religiöse Konnotation letztlich unverständlich. Die Grundausstattung des Menschen als Voraussetzung sowohl des Weges als auch der Mittel und des Ziels aller Erziehung ist anders zu bestimmen als es auf einem bestimmten Verständnis von Offenbarung beruhende Traditionen des Christentums vorsehen. Sünde im Sinne von Entfremdung des Menschen von sich und der Menschen untereinander ist zwar empirisch zu beobachten – die entscheidende Frage jedoch ist die nach deren Ursprung. Es wird deutlich, daß dieser anthropologische Glaubenssatz Konsequenzen bis in die Reflexion sozialer Strukturen und die Proklamation menschlicher Freiheit hat. Zur entscheidenden politischen, aber mit Blick auf das Generationengefüge auch pädagogischen Herausforderung wird die Antwort auf die Frage: Was tritt an die Stelle der über „Offenbarung“ legitimierten Erbsünden-Erklärung? Wenn nicht aus Geburt und Vererbung – woraus resultiert dann der faktische Entfremdungszustand der Menschen? Rousseaus Antwort als Voraussetzung für sein Plädoyer für eine negativ-strukturelle Erziehungsstrategie lautet bekanntermaßen: Die Entfremdung vollzieht sich durch die Kultur und deren Vermittlung, also letztlich auch über die anthropologischen Elementarprozesse des Lehrens und der Erziehung. So sehr Entfremdung sich faktisch vor allem kulturell und politisch äußert, so sehr sind doch Erziehung und Bildung jene Prozesse, in denen die Praxis der Freiheit nicht nur vorbereitet werden muß, sondern auch selbst zu praktizieren ist. Dies führt Rousseau im weiteren Gang des „Erziehungsromans“ zur Forderung nach einer „naturgemäßen“ Erziehung, in der die ursprünglich gute, „reine“ Verfaßtheit von Kindern, ihre Bewegungs-, Entdeckungs- und Tätigkeitstriebe zur handlungsleitenden Norm von Erziehung bzw. gerade Nicht-Erziehung erhoben werden. Zugespitzt wird Rousseaus Konzept in der Frage, wie inmitten aller strukturell-„natürlichen“ Erziehung religiöses Lernen begründet und gestaltet werden kann. Dies geschieht durch das im vierten Buch des „Emile“ aufgenommene „Glaubensbekenntnis des savoyischen Vikars“.18 Darin formuliert Rousseau in einer komplexen Mischung verschiedener Traditionsfragmente eine gleichzeitige Widerlegung des Atheismus 16 Vgl. zur zeitgenössischen Wahrnehmung der religiösen Dimension in Rousseaus Werk z. B. den von Heusinger herausgegebenen Band: J. J. Rousseau über natürlich und geoffenbarte Religion: Ein Bruchstück aus dem Emil, Neustrelitz 1796. 17 Rousseau, J.-J., Emil, 1971, 11. 18 Ebd., 275 ff.
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und eines supranaturalen Offenbarungsglaubens. All dies führt zu einem Plädoyer für ein Religionsverständnis, das vom menschlichen Vernunftvermögen ausgeht und so zunächst eine Position jenseits von in der Kultur anzutreffenden Konfessionen (sowie dem Autoritäts- und Herrschaftsanspruch von deren Institutionen) einzunehmen vermag. Dies ist der erste und grundlegende Schritt: Im Gewahrwerden der „Natur“ des Menschen trifft der Mensch auf die alle Menschen verbindende natürliche Religiosität – verstanden als spannungsreiche Einheit von Gefühl und Verstehen des Göttlichen. Die positive Funktion des Religiösen richtet sich somit nicht nur auf die anthropologische Dimension des Transzendenten, sondern – unter der Voraussetzung einer universalen Anlage einer ebensolchen Dimension – auf die Begründung zwischenmenschlicher bzw. überindividueller Sozialität. Diese Deutung von „Religion“ ist für Rousseau Grundlage und Norm zugleich. Bei aller Ausrichtung auf eine soziokulturelle Identitätsbildung durch religiöse Selbstreflexion ist einschränkend darauf hinzuweisen, daß diese selbstreflexive Universalität von Rousseau nur für das männliche Geschlecht gedacht war, wie die anders gelagerte Religionsdidaktik im fünften, der Mädchenerziehung gewidmeten Teil seines Romans zeigt.19 Es handelt sich bei der religiösen Selbstvergewisserung im Durchgang durch die natürliche Religion somit um eine geschlechtsspezifisch „partikulare Universalität“ – ein Phänomen, das sich auch in anderen Formen vermeintlich inkludierender, faktisch jedoch exkludierender „Universalität“ gerade im langen 18. Jahrhundert zeigt. Von der Vergewisserung über das Phänomen der (natürlichen) Religion aus ist für Rousseau dann – und erst dann – die Wahl einer positiven Religion durchaus möglich, ja sogar wünschenswert. Deutlich ist – bei aller geschlechtsspezifischen Begrenztheit des Horizonts – die Intention Rousseaus, Religion gleichermaßen für die Konstituierung des individuellen Menschseins wie für die Verbindung unter allen Menschen zu funktionalisieren. Der Ort bzw. der Prozeß, an bzw. in dem dieses Verständnis von Religion wirksam wird, sind der Lebenslauf und in ihm die Steuerung von Lernprozessen in Erziehung. Für das Verständnis der Erwägungen von Friedrich Immanuel Niethammer zur Didaktisierung der Offenbarung erscheint es neben dem Verweis auf Rousseau unverzichtbar, jenes Spannungsgefüge zumindest grob zu skizzieren, das Kant als Strukturprinzip religiöser Erziehung bzw. der Praxis von Erziehung allgemein eingeschrieben hat.20 Zugespitzt formuliert hatte Kant zwei von der Antike her bereits aufgegebene Aporien des Erziehungsgeschehens radikalisiert: Erziehung basiert einerseits auf einem Eingriff in die Freiheit eines anderen Menschen – dies ist letztlich rechtfertigungsbedürftig oder vielleicht auch gar nicht zu rechtfertigen. Und andererseits: Moralität im Sinne der „Kritik der praktischen Vernunft“ ist das Ziel, die Verwirklichung des Menschen – die damit implizit aber 19 Vgl. ebd., z. B. 433. 20 Zur unmittelbaren Rezeption Kants in der Pädagogik am Ausgang des 18. Jahrhunderts siehe als erste Übersicht die kleine Schrift von Schön, Friedrich, Kant und die Kantianer in der Pädagogik, 1911.
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aufgeworfene und unausweichliche Frage lautet: kann dies Ziel der Moralität mit Erziehung verbunden oder gar durch diese befördert werden?21 So sehr Erziehung auf die Begründung von Moralität im Einzelnen zu zielen hat, so wenig kann sie dies Ziel eigentlich praktisch „herstellen“, soll nicht im gleichen Augenblick die Freiheit des anderen aufgehoben werden. Nach Kant kann der Mensch durch äußere Beeinflussung, also beispielsweise durch Steuerung von Lernprozessen, lediglich zu legalem Handeln hingeführt werden. Die Gestaltung des „inneren“ Menschen verbleibt jedoch im Individuum selbst und ist somit letztlich ein Geheimnis. Auf die aus diesem Ansatz folgende und in religiösen Kategorien deutbare Initialisierung von Moralität im Lebenslauf ist verschiedentlich hingewiesen worden: „In psychologischen Kategorien gesprochen, sieht Kant das entscheidende Geschehen in Vorgängen wie Bekehrung, Reue, innere Umkehr, Gelöbnis, spontane innere Umwandlung.“22 Es ist in der Perspektive eines pädagogischen Theoretikers und der eines pädagogischen Praktikers gleichermaßen unbefriedigend, wenn der Mensch zu der ihm möglichen und ihn auszeichnenden Gesinnung letztlich nur durch einen vernunftbasierten Selbstreflexionsprozeß kommen kann. Und an diesem Punkt stellt sich die Frage, ob es quasi von „außen“ eine didaktische Brücke zur Moralität geben kann bzw. geben muß. Niethammer wird diese Frage im Anschluß an Fichtes Religionsschrift mit dem Verweis auf „Offenbarung“ bearbeiten. Herbart, der im Jenaer Umkreis Fichtes nachhaltig inspiriert worden war, wird schließlich sein gesamtes Nachdenken auf die Bedingungen und Möglichkeiten dieser Brücke richten und von dort aus seine „Allgemeine Pädagogik aus dem Zweck der Erziehung abgeleitet“ entwickeln. Im Fokus der weiteren Überlegungen sollen jedoch nicht nur die für die wissenschaftliche Pädagogik wegweisenden Ausführungen Herbarts, sondern die in Pädagogik und Theologie gleichermaßen weitgehend in Vergessenheit geratenen Überlegungen Niethammers stehen – Überlegungen, die er an der Universität Jena in eine literarische Form gebracht hat. 3. Friedrich Immanuel Niethammer oder das Problem religiöser Erziehung Es ist jene Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen einer universal gedachten Vernunft, die auch den protestantischen Theologen und Philosophen Niethammer (1766–1848)23, seit 1790 an der Universität Jena24, umtreibt. In zwei wissen-
21 Dies waren die Fragen, die den vielleicht bedeutendsten Erziehungstheoretiker der letzten Jahrhunderte, Johann Friedrich Herbart, im Gefolge von Kant in Jena, Königsberg und Göttingen umtreiben werden. Herbart sah sich mit der Frage konfrontiert, wie Erziehung angesichts der Freiheit des Anderen, angesichts der Autonomie des Subjekts überhaupt möglich ist und wo sie ihren Anfang nehmen soll. Dies gilt in besonderem Maße für Fragen der ethischen Erziehung. 22 Döpp-Vorwald, H. (Hg.), Jugendschriften, 1962, 15 (Einleitung). 23 Zu Niethammer siehe jetzt die Publikation von Wenz, G., Hegels Freund, 2008.
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schaftlichen Kontexten wird Niethammer vor allem eine prominente Rolle einnehmen. Zum einen: Ein Kulminationspunkt der Religionsdebatten war in Jena zweifelsohne der sogenannte Atheismusstreit in den Jahren 1798 und 1799, in den Niethammer führend involviert war.25 Zum anderen: Nach seiner Zeit in Jena wird Niethammer als Interpret und Repräsentant des sogenannten Neuhumanismus26 in die Geschichte der Pädagogik eingehen, wobei auch der Jenaer Einfluß beispielsweise Schillers zu berücksichtigen ist.27 Die Wurzeln für Niethammers Positionierungen liegen jedoch in den frühen Jahren an der Universität Jena, in denen er seine theologische Herkunft und die Prägung durch die zeitgenössische Philosophie gleichermaßen aufzuarbeiten und zu versöhnen suchte. In diesen ersten Jahren bewegte sich Niethammer noch weitgehend im Kontext von Fragen nach der Legitimität und Legitimation von (christlicher) Religion im Horizont der freiheitlichen Selbstverständigung des Menschen mit und über sich selbst.28 Der Gedanke, daß Vernunft nur dann sich selbst gerecht wird, wenn sie sich ihren eigenen Regeln unterstellt und nicht durch etwas außerhalb ihrer selbst definiert und begrenzt wird, warf auch das Problem einer Neubestimmung von Religion und Glauben auf. Religion und deren Reflexion im theologischen Diskurs erhalten am Ausgang des 18. Jahrhunderts unter der genannten Prämisse eine ganz neue, eine andere Begründungs- und Darstellungslogik: „Gott, Weltganzes und unsterbliche Seele verlieren den Status theoretisch verifizierbarer Realitäten und substantialer Vorgegebenheiten, um Funktionen moralischer Selbstverständigung der auf praktischen Vernunftgebrauch verwiesenen Subjektivität des Menschen zu werden.“29
Von der äußeren Vorgegebenheit, die als Gegenstand geglaubt wird, hin zur Funktionalisierung im Selbstreflexionsprozeß der Vernunft – dies ist jene Transformationsbewegung, die sich vor allem im Christentum protestantischer Spielart schrittweise herausbildete. Diese Form der kritischen Aufnahme vor allem von Kants Kritik sowohl der reinen als auch der praktischen Vernunft bleibt zwar immer nur eine Spielart des Verständnisses von Religion und Theologie innerhalb des Protestantismus. Zu dieser aber steuert Niethammer ein wichtiges Reflexionsmoment bei. Wenn es jetzt um die Funktion von Religion und Glauben im Rahmen der Vernunft geht – wozu ist dann vor allem noch so etwas wie der Ge24 Zu Niethammers Zeit in Jena vgl. auch Schwarzmaier, M., Friedrich Immanuel Niethammer, 1974. 25 Die Rolle Niethammers im Atheismusstreit wäre – gerade unter Fragen des Lehrens und Lernens – ein eigenes Thema. Die hier skizzierten früheren Positionierungen Niethammers in religiösen Fragen enthalten jedoch bereits wesentliche Vorklärungen auch im Hinblick auf diese folgenreiche Debatte. Vgl. hierzu u. a. Röhr, W. (Hg.), Appellation, 1987. 26 Vgl. hierzu Niethammers viel beachtete, jedoch keineswegs klischeefreie Schrift: der Streit des Philanthropinismus und Humanismus in der Theorie des Erziehungs-Unterrichts unsrer Zeit, Jena 1808. Vgl. dazu auch Hojer, E., Bildungslehre, 1965. 27 Vgl. hierzu die Diss. von Thomas, R., Schillers Einfluß, 1993. 28 Vgl. zum philosophischen Kontext die Interpretation von Henrich, D., Grundlegung, 2004. 29 Wenz, G., Hegels Freund, 2008, 53.
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danke an „Offenbarung“ nütze? Offenbarung als etwas, das als auf den Menschen von außen zukommend gedacht wird, steht in Spannung zu dem Anspruch, daß die Vernunft selbst die erste und zugleich letzte Autoritätsinstanz ist. Wohin mit der Offenbarung, wohin mit einer Religion, die das Motiv der Offenbarung mit sich führt? – Die Antwort Niethammers lautet salopp formuliert: ab in die Erziehung, ab in die Pädagogik. Die Grundlage für Niethammers Überlegungen bot die von Johann Gottlieb Fichte im Jahr 1792 zunächst anonym publizierte Schrift über den „Versuch einer Critik aller Offenbarung“. Wenige Monate nach Erscheinen dieser Schrift veröffentlichte Niethammer in Auseinandersetzung mit Fichte im Dezember des gleichen Jahres eine gleichnamige philosophische Abhandlung. Fichte hatte in seiner „Critik aller Offenbarung“ zwei Arten von Religion unterschieden: „ … die natürliche und die geoffenbarte. Die erste setzt das Prinzip des Übernatürlichen in uns, die zweite außer uns. In der religio naturalis ist es unmittelbar die Vernunftnatur des Menschen, in der das Göttliche vernommen wird. Die natürliche Religion ist also Vernunftreligion und von der reinen praktischen Vernunft nur insofern unterscheidbar, als sie diese in Beziehung setzt zu den Verhältnissen der Sinnlichkeit.“30
In Niethammers Schrift zur „Kritik aller Offenbarung“ nun wird die Transformation der Offenbarungstheologie in eine didaktische Vermittlungsstrategie für Moralität als leitender Gedanke ausgebaut. Offenbarung eröffnet (recht verstanden) einen Lernweg zur Moralität – ein Gedanke, der in Grundzügen bereits bei Kant angelegt ist. Offenbarung bietet das, was Menschen vielleicht benötigen, sich innerhalb der Grenzen der praktischen Vernunft aber kaum selber geben können: eine Verknüpfung von Anschauung und Regelhaftigkeit. Damit wird Offenbarung Mittel zum Zweck – dies allerdings nur unter strengen Kriterien. Niethammer faßt diesen Weg von der Offenbarung zur Pädagogik in dem Gedanken zusammen: „Wenn es vernünftige Wesen gibt, welche zur Sittlichkeit nicht anders zu bringen sind als durch Religion, und zur Religion nicht anders als durch Offenbarung: so sind wir berechtigt, Offenbarung als wirklich anzunehmen“.31 Offenbarung wird hier also zu einem Hilfsinstrument, einem Mittel, um an das Ziel, das nach Kants praktischer Philosophie für Niethammer unzweifelhaft feststand, zu gelangen: Sittlichkeit bzw. – wie Herbart es dann vor allem nennen wird – Moralität. In diesem, didaktisch transformierten Sinne von Offenbarung geht es Niethammer darum, den vernünftigen Glauben an die Realität einer Offenbarung auf der Basis praktischer Vernunft zu begründen.32 Mit dem Verweis auf praktische Vernunft ist somit eine didaktische Instrumentalisierung von Offenbarung als Lernweg und als Erziehungsmittel verbunden. Diese Instrumentalisierung von Offenbarung als Erziehungsmittel beruht jedoch auf einem unverrückbar feststehenden normierenden Gefälle. Offenbarung und Sittlichkeit bestimmen sich in einer ganz bestimmten Weise wechselseitig. Nur 30 Wenz, G., Hegels Freund, 2008, 72. 31 Niethammer, F. I., Versuch, 1792, 49. 32 Wenz, G., Hegels Freund, 2008, 64.
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das kann und darf als Offenbarung gelten, was den Prinzipien der Sittlichkeit entspricht. Was diesen Prinzipien widerspricht, kann nicht Offenbarung sein. „Nur von derjenigen Offenbarung, welche keinen anderen Zweck hat, als uns Gott als moralischen Gesetzgeber anzukündigen, können wir aus moralischen Gründen glauben, daß sie von Gott sei.“33 Und umgekehrt gilt wiederum: „Jede Offenbarung, die sich durch unmoralische Mittel ankündigt, behauptet, fortgepflanzt hat, ist sicher nicht von Gott.“34 Dieser Zirkelschluß mündet bei Niethammer letztlich in die Fixierung Gottes als oberste moralische Instanz, also in der Identifikation Gottes mit dem Sittengesetz insgesamt, so daß „Glaube an Gott nichts anderes ist, als Glaube an das Moralgesez in concreto.“35 Die Didaktisierung der Religion, also die Überführung von Theologie in Pädagogik, führt Niethammer drei Jahre später in der 1795 erschienen Schrift „Ueber Religion als Wissenschaft zur Bestimmung des Inhalts der Religionen und der Behandlungsart ihrer Urkunden“ noch weiter aus. Es seien zwei sehr verschiedene Dinge: „ … die Wissenschaften aufzuklären, und die Entdeckungen der Wissenschaft unter der Menge in Umlauf zu bringen“.36 Wichtig sei eine Strategie der Vermittlung, in die didaktische Überlegungen, Einfühlung und Geduld gleichermaßen einzufließen haben: „Wer alles auf einmal thun will, steht sich selbst im Wege. Wir gelangen alle nur allmählich zu unserm Ziele.“37 Der Religion kommt in der Verbreitung der kritischen Philosophie Kants danach bei Niethammer im Kontext einer konsequenten Pädagogisierung eine Schlüsselstellung zu. Sie ist zum einen ein gesellschaftsrelevantes Gebiet der Freiheit des Denkens. Sie ist zum anderen jedoch – und dies verleiht der Religion einen positiven Wert – auch ein Themenfeld, mit dem die didaktische Lücke, der Sprung in die Offenbarung des „kategorischen Imperativs“, metakritisch reflektiert werden kann. Religion ist von konstruktiver Bedeutung als didaktische Brücke der Vermittlung von praktischer Vernunft in die Alltäglichkeit der Weltbewältigung. Es geht somit um eine Neubestimmung, welche Rolle Religion für den Menschen spielen kann und soll. Ein wissenschaftlicher Wahrheitserweis der Religion und der religiösen Gefühle kann – so Niethammer – im Gefolge Kants nur auf zweifache Weise geführt werden: „Entweder es läßt sich zeigen, daß jenen Gefühlen etwas transcendentales in der ursprünglichen Einrichtung des menschlichen Geistes gegründetes, zu Grunde liege; in welchem Falle die Religion als etwas dem Menschen mit seiner Vernunft selbst gegebenes, Nothwendigkeit und Allgemeinheit hat, und den Grund der Ueberzeugung von ihrer Wahrheit in sich selbst enthält. Oder wir werden von der Wahrheit d. h. der objektiven Gültigkeit jener Gefühle durch Erfahrung unmittelbar überzeugt, indem wir sie mit einer objektiv gegebenen unmittelbar göttlichen Religion übereinstimmend und eben dadurch bestätigt finden.“38 Letztere 33 34 35 36 37 38
Niethammer, F. I., Versuch, 1792, 95. Ebd. Ebd., 103. Niethammer, F. I., Religion, 1795. Ebd. Niethammer, F. I., Religion, 1795, 9.
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Möglichkeit ist gescheitert und damit unmöglich. Es bleibt nur die Begründung der Religion über etwas, was vor aller Erfahrung aufzufinden ist. Dies aber ist in der praktischen Vernunft anzutreffen.
Die praktische Vernunft aber wiederum ist darauf angewiesen, die Grundlage und die Methodik ihres Praktisch-Werdens mit zu reflektieren. Eine wesentliche Grundlage ist die, das höchste Gut mit Gott in Beziehung zu setzen und als die Voraussetzung der Realisierbarkeit praktischer Vernunft zu postulieren. Dies ist eng verbunden mit dem Ausschluß der negativen Annahme, es könne überhaupt keine Methodik entwickelt werden, mit der Moralität unter den gegebenen Bedingungen des Mensch-Seins in der Welt realisiert werden könne. Kant habe – so Niethammer – gezeigt, daß es der Religion und dem Menschen gleichermaßen angemessen sei, „die objektive Gültigkeit der religiösen Gefühle und also der Religion“ auf spezifische Weise zu begründen: indem „sich nämlich die Religion als etwas in der ursprünglichen Anlage des menschlichen Geistes gegründetes darthun lasse.“39 Niethammer schreibt weiter: Es gelte, „die in dem menschlichen Geist a priori vorhandene Grundlage aller Religion aufzusuchen. Können wir diese nachweisen, so können wir aus ihr den Grundbegriff und den Umfang der Religion bestimmen, die Religion als Wissenschaft aufstellen, und so die Wahrheit d. h. die objektive Gültigkeit aller Religion aufs vollkommenste begründen.“40 Dabei ist nun jedoch der Zirkelschluß in Erinnerung zu rufen, den Niethammer seiner Offenbarungsschrift aus dem Jahr 1792 zu Grunde gelegt hatte: „Nur eine Offenbarung, die dem Sittengesetz entspricht, kann von Gott sein, nur eine Religion, welche Moralität befördert, hat Anspruch auf menschliches Gehör.“41 Was für Offenbarung gilt, gilt natürlich mit Blick auf die praktische Vernunft auch für Religion im Allgemeinen. Religion und Moralität müssen konform gehen. Die Inhalte einer solch moralitätskonformen Religion bieten jene Anschaulichkeit, mit der der Mensch im allgemeinen in der Lage ist, sich im Alltag orientierend zu verhalten. Sein Handeln kann sich auf die Regeln der sinnlich gegebenen, positiven Religion mit gutem Recht dann stützen, wenn diese Regeln mit der Vernunft übereinstimmen. Hier gelangt die Didaktisierung der Religion an ihr letztes Ziel: Erziehung steht vor den Toren der Bildung. Die Instrumentalisierung von Offenbarung und Religion im Anbahnungsprozeß von Moralität führt bis in den Vorhof der subjektiven Freiheit – die letzte Umsetzung, der letzte Schritt in das Geltend-Werden der praktischen Vernunft im Individuum bleibt dem Erziehenden versagt. Die Freiheit des Anderen bleibt bei aller Plausibilität des Religiösen eine absolute Grenze. Dort wo Erziehung an ihre Grenze gelangt, beginnt aber das große Thema der Bildung. Der Prozeß schließlich, der moralitätskonformes Handeln im einzelnen Menschen zu stützen und zu festigen vermag, ist nichts anderes als eine Selbstbildung. Unter Selbstbildung ist in diesem Fall jenes Gesche39 Ebd., 102. 40 Ebd. 41 Wenz, G., Hegels Freund, 2008, 74.
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hen zu verstehen, mit dem sich der Mensch den Regeln der praktischen Vernunft unterwirft. Selbstbildung aber setzt einen Zwang zur Häresie als operationale Konsequenz der Freiheits- und Autonomiepostulate der Aufklärung voraus und findet eine wesentliche Ausdrucksform im Kulturmuster der „Religiösen Selbstformierung“. Bei Niethammer heißt es mit Blick auf die im 18. Jahrhundert aufgeworfenen Fragen zu den Grundlagen Pädagogik bilanzierend: „So wird mit dem Bewußtsein des Sittengesetzes als Offenbarung des Willens Gottes /// das Leben ein Wandel vor Gott, /// unsre Moralität Religion, /// das Bewußtsein der Uebereinstimmung oder Nichtuebereinstimmung des Willens mit jenem Gesetze /// Bewußtsein eines göttlichen Gerichts, /// das Bewußtsein eines nothwendigen Verhältnisses zwischen Rechtthun und Wohlbefinden /// Bewußtsein einer göttlichen Gerechtigkeit.“42
42 Niethammer, F. I., Religion, 1795, 119.
Struktur der wissenschaftlichen Botanik in Jena und Beispiele ihrer Rezeption nach 1800 Nicolas Robin 1. Einleitung „Die Botanik ist ein so nothwendiges Fundamentalstudium, daß sie über mehrere Arten der Wissenschaften und Künste Licht verbreitet.“1 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die Botanik jedoch ein rein empirisches Studium, ein Arzneistudium im Dienste der Medizin. Dennoch „taugt die empirische kenntniß der Pflanzen nichts, man muß die Pflanzen nach dem System kennen, und eine bestimmte botanische Sprache in seiner Gewalt besitzen, sich deutlich und verständlich auszudrücken.“2 Mit diesen Worten läutete im Jahre 1770 der Nominalprofessor für Medizinische Theorie und Botanik Ernst Gottfried Baldinger in seinem Beitrag „Über das Studium der Botanik und die Erlernung derselben“ den Ausklang der Medizinischen Pflanzenkunde an der Universität Jena ein. Faktisch gesehen hatten nach dem Abgang Baldingers noch über Jahrzehnte hinweg Mediziner die Botanik mit zu vertreten und u. a. die Position des Gartendirektors im Collegio zu bekleiden. Die Vertretung der medizinischen Pflanzenkunde war – von einzelnen Zwischenperioden abgesehen – in der Folgezeit nicht schwächer als bisher. Dennoch konnten alle Anstrengungen, das Privileg für botanische Vorlesungen zu behalten, nicht verhindern, daß sich die Botanik als eigenständiges Fach zu entwickeln begann und ein nicht mehr allein heilkundlichen Zwecken dienender neuer Botanischer Garten eingerichtet wurde.3 An dieser Stelle sollen diese internen akademischen Streitigkeiten nicht erneut zur Sprache gebracht werden, da sie bereits mehrmals Gegenstand ausführlicher Untersuchungen waren.4 Von besonderem Interesse für die Diskussion um den Status und die Rolle der Botanischen Gärten der Spätaufklärung ist hingegen der Prozeß der Eingliederung jener kleinen akademischen Welt der Botanik in Jena in die Praxis dieser nicht-medizinischen Pflanzenkunde. Es geht um eine Charakterisierung des Botanischen Gartens als wissenschaftliches Instrument der botanischen Lehre an der Universität Jena um 1800; es geht darum, seine spezifische Besonderheit aufzuzeigen und darüberhinaus um die Frage, ob die Lehre der Bo1 2 3 4
Baldinger, E. G., Studium , 1770, o. S. Ebd. Darüber siehe Jahn, I., Geschichte, 2010 (im Druck). Hartung, F., Großherzogtum, 1923; Kublik, S., Universität, 2009 und Müller, G., Regieren, 2006.
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tanik im „Ereignisraum Weimar-Jena“ einen Ereignischarakter besaß. Sind, so ist zu fragen, die Ereignismerkmale der botanischen Lehre in der besonderen, fast idealen Strukturierung der botanischen Praxis an der extraordinären Universität Jena unter der Oberaufsicht Goethes zu sehen?5 Welche Bedeutung hatten in dieser Perspektive die Gründung des Botanischen Gartens am Fürstengraben, der von Batsch mit der Gründung der Naturforschenden Gesellschaft initiierte gelehrte Diskurs und außerdem vielleicht der fruchtbare wissenschaftlich-gesellige Meinungsaustausch innerhalb der Weimar-Jenaer Konstellation von Amateuren, Dilettanten und Fachspezialisten der Pflanzenkunde?6 2. Vom „Hortus medicus“ zum „Hortus botanicus“ Die Einrichtung eines „Hortus medicus“ wurde bereits im Jahre 1579 vom damaligen Rektor der Universität, Johannes Schröter, vorgeschlagen. Dennoch wurde dieser Plan eines medizinischen Gartens erst mit dem Amtsantritt von Werner Rolfinck als Professor für Anatomie, Chirurgie und Botanik im Jahre 1628 verwirklicht. Der Garten als infrastrukturelle Basis der wissenschaftlichen Praxis findet seine Wurzeln in der akademischen Welt Norditaliens, genauer in Padua und Pisa, deren „Horti academici“ als Konzept für ganz Europa dienen sollten.7 Im Zusammenhang mit der Entwicklung in Jena ist darauf hinzuweisen, daß Werner Rolfinck in Padua zum Doktor der Philosophie und Doktor der Medizin promoviert worden war. In erster Linie wurden Wirkungen und wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Schule von Padua auf die Lehre der Botanik in Jena, aber auch auf die Gestaltung des Gartens übertragen, die einerseits das übliche barocke Design zeigt und andererseits durch den Transfer des Gestaltungskonzepts aus Padua die Handschrift Rolfincks trägt. In der Praxis wurde der Garten von Paul Marquart Slegel, Student der Medizin und Schüler Rolfincks, betreut. Erste Abbildungen und eine ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte des Gartens sind im „Catalogus Plantarum Horti Medici Jenensis“ von Johann Theodor Schenk aus dem Jahre 1659 überliefert. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts stellte ein solcher medizinischer Garten nur Pflanzen mit Heilwirkung aus, und zwar meist nach einer alphabetischen Ordnung. Der erste Einfluß der Pflanzensystematik auf die „Designentwicklung“ des Botanischen Gartens war im „Hortus Medicus Jenensis Wilhelminus“ am Fürstengraben zu beobachten.8 Als Schenck seinen Katalog aufstellte, gab es in der Tat jedoch bereits einen zweiten Botanischen Garten in der Saalestadt. Im Jahre 1640 wurde unter der Oberaufsicht des Herzogs Wilhelm IV. zu Sachsen die Leitung eines fürstlichen Gartengeländes jenseits des nördlichen Stadtgrabens zeitweise an 5 6 7 8
Siehe, Müller, G., Regieren, 2006 sowie Müller, G. / Ries, K. / Ziche, P. (Hg.), Universität Jena, 2001. Polianski, I., Kunst, 2004. Minelli, A., Garden, 1995. Siehe Wiedeburg, J. E., Beschreibung, 1785 (1786).
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die Universität bzw. die medizinische Fakultät übertragen. Die Gründung dieses zweiten Botanischen Gartens zeigt einen theoretischen Bruch in der Geschichte der Botanik an der Universität Jena. Einerseits liefert dieser Garten eine Lösung bezüglich des Platzmangels im Collegio, andererseits ist er aber auch ein Novum, das die ersten wirtschaftlichen Anwendungsmöglichkeiten einer wissenschaftlichen Praxis der Botanik aufzeigen sollte. Damit ist u. a. der Beitrag neuer botanischer Erkenntnisse zur Optimierung des Gartenbaus und der Baumzucht gemeint. Allgemein kann der Botanische Garten des 17. Jahrhunderts als Experimentierfeld für die Entwicklung von weiteren Disziplinen wie der des Gartenbaus und neuer Strukturen der botanischen Praxis wie etwa der Baumschule angesehen werden – Strukturen, welche die strukturelle Landschaft der aufklärerischen Botanik prägen sollten. Dennoch wäre es unangemessen, mit Blick auf Jena und die anderen Universitäten in Europa schon für diese Zeit von einer Etablierung und Legitimierung der Botanik als unabhängiges wissenschaftliches Fach zu sprechen. Bis 1794 blieb das Gelände am Stadtgraben vorrangig ein Lustgarten. Neben diesem Lustgarten waren auch Küchen- und Obstgärten vorhanden sowie ein für die pharmazeutische Nutzung bestimmter Gartenabschnitt: „Die Apothekergärten können nun in Hinsicht auf Pflanzerey in zwey Hauptclassen geordnet werden. Erstlich in solche Anlagen, wo die in den Apotheken am meisten vorkommenden Gewächse in großen Quantitäten zum Gebrauche gezogen werden, wie man dieses an mehreren Orten in Deutschland findet; z. B. in Jena Löbnitz bey Jena.“9
Zeitgenössische Darstellungen der Saalestadt zeigen tatsächlich, wie das akademische Leben in Jena um 1800 von der Natur und der Gartenkultur geprägt wurde. 3. Der Weg zur Professionalisierung An dieser Stelle soll nun das gesamte 18. Jahrhundert übersprungen und sich auf die Umbruchzeit um 1800 konzentriert werden. In der Tat schlug die Universität Jena mit der Berufung Batschs an die philosophische Fakultät den Weg zur Professionalisierung der Botanik ein. Auf der Basis von Strukturen wie dem Botanischen Garten und der Naturforschenden Gesellschaft verschaffte sich die botanische Gelehrtenwelt Jenas die Möglichkeit, mit ähnlichen akademischen Einrichtungen wie dem „Muséum national d’Histoire Naturelle“ in Paris und der Universität Leiden kooperieren zu können.10 Die Naturforschende Gesellschaft und der Botanische Garten bot den Jenaer Dozenten der Botanik die Chance, ihre Lehre außerhalb der Hörsäle zu verbreiten und sich zusätzliches Material, d. h. Sammlungen, Lehrbücher, etc. zu verschaffen, mit deren Hilfe sie ihre eigene Lehre zu optimieren vermochten. Leider machte der frühe Tod Batschs im Jahre 1802 diese hervorragenden strukturellen Voraussetzungen zunichte. Trotz des Engagements seines Sekretärs Friedrich Siegmund Voigt konnte die Gesellschaft 9 Vgl. Dietrich, F. G., Apotheker-Garten, 1802, 3. 10 Breidbach, O. / Ziche, P. (Hg.), Naturwissenschaft, 2001.
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die Krise nach Batschs Tod nicht überwinden. Zusätzlich hemmend für die Entwicklung der botanischen Lehre wirkte sich im Laufe der nächsten drei Jahre der geringe Eifer von Batschs Nachfolger, Franz Joseph Schelver, aus. In der Folge war es der Jenaischen Botanischen Gemeinschaft nicht möglich, das wissenschaftliche Netzwerk Batschs zu ihrem Nutzen zu erhalten und weiter auszubauen. Sowohl Batsch als auch Goethe erhoben diesbezüglich beträchtliche wissenschaftliche und didaktische Ansprüche. Außerdem implizierte die Gründung eines wissenschaftlichen Gartens auch eine parallele Professionalisierung der Gärtner, deren Einstellung und Weiterbildung eine stetige Sorge für den Direktor des Gartens, Goethe, und den Herzog Carl August darstellte. Diese Problematik wurde von Johann Samuel Schröter in einem in Weimar veröffentlichten Band zur Ästhetik der Blumen und ihrer Philosophie genau durchleuchtet: „Zu einem Blumengärtner in ästhetischer Hinsicht gehört weit mehr, als dem lernenden Gärtner gelehrt wird, der sich mehr mit Kunst und Schlendrian, als mit der Natur beschäftigen muß. Hier verlangt man, dass er die Botanik wissenschaflich studiere und treibe, dass er die Natur der Blumen kenne, dass er in der Naturgeschichte nicht ganz Fremdling sey, dass er auch die nöthigen Vorkenntnisse der Physik oder der Naturlehre inne habe, dass er richtig denken könne, und daher in der Gelehrsamkeit gerade kein Fremdling sey, dass er mit dem Geschmack des Schönen und des Regelmäßigen eine gute Beurtheilungskraft verbinden könne, dass er nicht träge sey, auch die Blumen nicht leidenschaftlich behandle, dass er Zeit und Willen habe, den Blumen das Ihre zu geben.“11
Mit dem Garten hatten sich Batsch und Goethe ein Werkzeug geschaffen, das es ihnen ermöglichte, die Resultate ihrer neuen Anschauung von der Pflanzenwelt und ihrer Idee von der Ordnung der Natur mit den Studenten zu diskutieren und darüber hinaus die innovativen Charakteristika der botanischen Lehre aus Jena auch der internationalen botanischen Gemeinschaft vorzustellen. Igor Polianski beschließt seine Dissertation zur Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 zu Recht mit folgenden Gedanken: „Somit projiziert sich letzlich das Verhältnis von der Pflanzenmetamorphose und der Urpflanze auf den ‚herrlichen Weltgarten‘ und seinen Jenaer Rückführungsort am Fürstengraben.“12 Diese Schlußfolgerung läßt sich bereits ziehen, wenn man den Briefwechsel von Goethe, Batsch und Knebel sowie die verschiedenen in Jena produzierten Gartenkataloge und Lehrbücher analysiert. Allerdings bietet das Konzept des Sonderforschungsbereiches 482 „Ereignis Weimar-Jena – Kultur um 1800“ die aufschlußreichste Möglichkeit, eben dieses Ereignis von außen zu betrachten. In diesem Sinne ist es auch bemerkenswert, daß der Botanische Garten – der substantielle Träger von Batschs und Goethes Ideen zur Verwandtschaft der Pflanzen – keineswegs als eine Besonderheit in der europäischen akademischen Welt angesehen wurde. Ohne besondere Schwierigkeiten findet man in der fachlichen Literatur der betreffenden Zeit Beschreibungen der Gestaltung und der Pflanzenanordnung zahlrei11 Vgl. Schröter, J. S., Aesthetik , 1803. 12 Polianski, I., Kunst, 2004, 288.
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cher Botanischer Gärten wie z. B. Pisa, Montpellier, Genf, München, Oxford oder Breslau, aber fast nichts über Jena. Beispielsweise berichtet der Botaniker Johannes Flügge aus Hamburg in einem Reisebericht über den Zustand und die Nutzung des Gartens durch die Studenten während seines dreijährigen Aufenthalts in Jena zwischen 1795 und 1798, d. h. über die Gestalt und Funktion des Gartens während seiner Blütezeit unter der Leitung von Batsch: „Meine Sehnsucht nach Jena ließ mich indeß hier [Leipzig] nicht lange verweilen, und mein Erstaunen beim Anblick dieser Berge hatte keine Gränzen (…). Der Direktor desselben Professor Batsch führte mich in demselben [d. h. im Botanischen Garten Jena, N. R.] herum, empfing mich freilich sehr artig, aber ich bemerkte nur gar zu bald, dass er nicht festgesattelt sei, und dass meine zudringlichen Fragen nach dem Nahmen der Pflanzen ihm von tag zu Tag lästiger wurden. (…) Die jungen Leute die jetzt glaubten eine Übersicht der zu den natürlichen Familien gehörigen Gattungen zu erhalten, fanden diese freilich auf dem Papiere des Conspectus mit großen Buchstaben verzeichnet, aber im Garten selbst auch keine Spur von den dort vorhanden sein sollenden Seltenheiten. (…) Ein unbedeutendes Gewächshaus stand unter der Aufsicht eines weimarschen Jägers (…), nebenbei ward der Gärtnerdienst auch von einer gewissen Anzahl wilder Kaninchen besorgt (…).“13
Am 10. November 1820 legte Joseph August Schultes anläßlich der Sitzung der „Königlich botanischen Gesellschaft zu Regensburg“ einen Bericht „Ueber botanische Gärten in Sachsen und Preussen“ vor, in welchem er erklärte, daß während der Reichtum an „kostbarsten und seltensten Gewächsen aller Welttheile, vorzüglich Neuhollands“ des Gartens von Belvedere gerühmt und die musterhafte Wartung und Einrichtung der Gewächshäuser hervorgehoben würde, der Botanische Garten am Fürstengraben „lange Zeit über beinahe vergessen“ worden sei.14 Ziehen wir Bilanz, so ist festzuhalten, daß sich der strukturelle Charakter der Botanik in Weimar-Jena im 19. Jahrhundert folgendermaßen entfaltete: Zunächst, wie gezeigt, entwickelte sich der Botanische Garten am Fürstengraben in Jena als Lehrorgan und Repräsentationsmittel der akademischen Botanik, sodann entstanden die universitären botanischen Sammlungen, womit ein Prozeß der Musealisierung einsetzte, und schließlich, nicht zuletzt infolge wachsender Ausstrahlung auch auf den außerakademischen Bereich, gewann die Jenaer Botanik auch auswärts mehr und mehr Reputation. 4. Außerakademische Strukturen Wie bei Schultes erwähnt, fand die Verwissenschaftlichung und Professionalisierung der Pflanzenkunde und Blumenliebhaberei im Herzogtum Sachsen-Weimar13 Für diese handschriftliche Quelle bedanke ich mich herzlich bei Herrn Dr. Hans-Helmut Poppendieck, vgl. Flügge Johannes (o. J.): Erinnerungen [Tagebuch]: 1775–1816, Handschriftl. Original ohne Seitenzählung, sowie Abschrift des Originals Ingeborg Friederischen. Bibliothek des Instituts für Allgemeine Botanik. 14 Siehe Schultes, J. A., Gärten, 1822.
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Eisenach nicht nur im akademischen Raum Jena, sondern auch in Weimar u. a. mit der Entwicklung der Weimarer Baumschule, dem großherzoglichen Botanischen Garten in Belvedere15 und Goethes Garten am Frauenplan sowie mit der Gründung von gelehrten Gesellschaften statt. Aufgabe der aufgeklärten Sozietäten war es, die geselligen botanischen Tätigkeiten zu institutionalisieren. Zwar versuchte der Verleger und Gartenliebhaber Friedrich Justin Bertuch (1747–1822) bereits im Jahre 1791, den Samenaustausch um Weimar zu professionalisieren, aber die Verwirklichung dieser Initiative erfolgte später im Jahre 1816 nur in Jena mit der Gründung der „Thüringer Saamenbau-Gesellschaft“. Im Jahre 1828 wurde dann der Weimarer „Verein für Blumistik und Gartenanlagen“ gegründet. Des weiteren gab Bertuch das „Allgemeine Teutsche Garten Magazin“ (1804–1824) heraus, eine der bedeutendsten Gartenzeitschriften dieser Zeit, in der die Entfaltung des Gartenbaus aus Weimar-Jena eine besondere Stütze fand. Im Park Belvedere bei Weimar ergab der Botanische Garten des Großherzogs Carl August (1757–1828) mit seinem botanischen Kabinett und seiner Bibliothek ein großes Ganzes, einen Ort, an dem ein breites Publikum mit der Wissenschaft zusammentreffen konnte. So wurde dieser Teil des Parks Belvedere als ein offener wissenschaftlicher Ort betrachtet, an dem man sich für die Schönheit und die Geheimnisse der Pflanzenwelt ebenso begeisterte wie für die neueste „blumistische“ Mode: „Se. königl. Hoheit der Großherzog, dieser hohe Gartenfreund, und warme Liebhaber der Pflanzenkunde, hat hierdurch ein sehr wichtiges botanisches Institut für das Studium der Gewächskunde errichtet, in welchem sich der junge Botaniker, durch Autopsie auch der seltensten Pflanzen, mit hülfe dieses Leitfadens selbst unterrichten kann, und wofür die Wissenschaft diesem edlen Fürsten, dem sie schon auch in andern Fächern so viel zu verdanken hat, unsterblichen Dank bringen muß.“16
Das hier von einem seiner im Park Belvedere beschäftigten Mitarbeiter hervorgehobene wissenschaftliche Interesse Carl Augusts an der Pflanzenwelt trug im ganzen Herzogtum Früchte. 5. Der Garten als Aushängeschild Gewiß kann man den Botanischen Garten als Aushängeschild der neu etablierten Lehre einer institutionalisierten wissenschaftlichen Botanik an der Universität Jena verstehen, aber die Funktionsweise und der Einfluß dieses zentralen strukturellen Moments, um das es sich bei dem Garten handelte, soll gleichzeitig auch im Hinblick auf seine Wechselwirkungen mit allen anderen außerakademischen botanischen Anstalten des Herzogtums betrachtet werden. Was war das Schlüsselereignis im Bereich der Botanik in Jena? Die Gestaltung eines Gartens war es sicher nicht allein, vielmehr trugen auch die neuen theoretischen 15 Robin, N. (Hg.), Gardens, 2008. 16 Vgl. Dennstedt, A. W., Hortus Belvedereanus, 1820, 197.
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Konzepte, die während der häufig im Botanischen Garten stattfindenden Vorlesungen und Demonstrationen von Batsch und Voigt diskutiert wurden und die die Geschichte der Botanik geprägt haben, dazu bei, daß die Entwicklung der Weimar-Jenaer Botanik ein „Ereignis“ wurde. Einerseits waren die Universitätsstadt Jena und der wissenschaftliche Kommunikationsraum Weimar-Jena zwar kaum interessant als Austauschpartner u. a. in Bezug auf Sammlungen für andere Botaniker, andererseits wurde die Lehre der Botanik in Jena wegen der theoretischen und philosophischen Ansprüche ihrer Dozenten durchaus aufmerksam beachtet. „Es ist anerkannt, dass der Mensch eine Menge Keime zu Bildern, Begriffen und Ideen in sich trägt, welche, durch äußere Anregung, in ihm geweckt werden. Erziehung, Unterricht, Erfahrung und Weltbildung thun nichts anderes als diese schlummernden Keime entwickeln, und selbst im erwachsenen Alter wird noch eine ungeregelte Fantasie durch solche äußere Bestimmungen in Ordnung gemacht. (…) Erst nach Empfängnis der realen Eindrücke erhob sich der Denker zur gesonderten Anschauung des Himmels, der menschlichen Seele und des Geistes, und nur aus diesem Urquell aufsteigend durfte er hoffen, den ariadneischen Faden nicht wieder zu verlieren.“
Dies schrieb 1814 Friedrich Siegmund Voigt in einem Pamphlet mit dem Titel „Von der Wichtigkeit des Naturstudiums und einer noch zu wenig beachteten Seiten desselben“.17 Voigt betrachtete den Botanischen Garten am Fürstengraben als sein Labor, als den Ort, an dem er die Möglichkeit fand, seine Vorstellungen von der Verwandtschaft der Pflanzen zu visualisieren, und an dem er vor allem seinen Studenten die Geheimnisse der Natur der Pflanzen am besten demonstrieren konnte. In diesem Sinne war er auch in der Lage, das ursprüngliche Gesamtkonzept von Batsch und Goethe mit Erfolg weiterzuführen. 6. Naturanschauung Die Originalität der Jenaischen Lehre bestand in dem Versuch, die Natur anders anzuschauen, die Natur in ihrer Gesamtheit, in ihrer Dynamik, in ihrer Komplexität zu betrachten.18 Voigt versuchte, ein Lehrideal hervorzuheben, das die Grenzen der üblichen Praxis der Botanik ändern sollte. So beschrieb er den Zustand des Gartens kurz nach seiner Ernennung als Direktor: „Der Herzogliche botanische Garten genießt vor vielen des Vorzuges, daß die Pflanzen in demselben nach natürlichen Gruppen vortheilt sind, eine Einrichtung, die sich vom seel. Batsch herschreibt. Da jedoch die Batschischen Familien etwas allgemeiner, als die Ordnungen des so trefflichen Systems von Jussieu sind, so isst im Verzeichnis immer auf die Nummer der Beete im Garten selbst verwiesen. Dadurch hoffen wir den Besitzern Gelegenheit zu verschaffen, sich sowohl mit diesem System, was den jungen Botanikern zum eifrigsten Stu-
17 Vgl. Voigt, F. S., Wichtigkeit, 1814, 15. 18 Breidbach, O., Metamorphosenlehre, 2006.
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Nicolas Robin dium nicht genug empfohlen werden kann, schnell bekannt zu machen, als auch die genauere Kenntniß des Einzelnen auf eine mehr wissenschaftliche weise zu erleichtern.“19
Im Laufe der folgenden Jahre begann Voigt jedoch, die Beete wissenschaftlich neu anzuordnen, um den aktuellen Stand der Systematikforschung nach der natürlichen Methode von Antoine-Laurent de Jussieu und Louis-Claude Richard in die Gartengestaltung und in seine Lehre einbeziehen zu können.20 Selbstverständlich fand Voigt den theoretischen Rahmen seiner Lehre ebenfalls in Goethes Metamorphosenlehre, die für ihn keine wissenschaftliche Lehre der Pflanzenphysiologie und Anatomie war, sondern der theoretische Rahmen, der Schüssel, der die Visualisierung der Natur in ihrer Selbstentfaltung ermöglichen sollte. So schrieb er im Vorwort seines ersten Lehrbuchs der Botanik von 1808: „Ich bin, so viel wie ich weiß, der erste welcher die Metamorphose der Pflanzen des Herrn von Göthe zum Grund legt.“21 Es ist diese Lehre der Botanik unter dem Dach von Goethes Metamorphosenlehre, die das Bild von Jena in der europäischen botanischen Gemeinschaft dauerhaft geprägt hat. In der Tat fand das botanische Werk Schelvers und Voigts, mit Ausnahme der Arbeiten zur Pilzsystematik von Batsch, die aufgrund ihres großen wissenschaftlichen Wertes vom Großteil der Kryptogamisten vor 1800 anerkannt wurden22, keinen Anklang bei der europäischen wissenschaftlichen Gemeinschaft. Allein der von Goethe hervorgebrachte ontologische Ansatz der Natur sollte das Schaffen einiger deutscher Botaniker wie Christian Gottfried Nees von Esenbeck und Ludwig Reichenbach durchdringen.23 Die botanische Lehre Jenas, in der auf diese Weise das naturwissenschaftliche Denken Goethes deutlich vorherrschte, wurde dennoch auch in anderen akademischen Umgebungen, wie z. B. in Frankreich oder in den Niederlanden – wenn auch in geringerem Maße –, anerkannt und geschätzt. Beispielsweise veröffentlichte der Medizindoktorand Frédéric Anton Miquel (1811–1871) an der Universität zu Groningen im Jahre 1833 eine Arbeit zum Ursprung der pflanzlichen Organe und deren Metamorphose sowie zur Entwicklung und Reproduktion der Pflanzen, in der er versuchte, die Ideen Goethes in deren Verhältnis zu den Arbeiten von Carl de Linné, Augustin-Pyramus de Candolle und Carl Adolph Agardh zu beleuchten.24 Auch Frédéric Kirschleger, Professor an der pharmazeutischen Schule in Straßburg, bezieht sich in seinem Werk auf die Idee der Metamorphose der Pflanzen, die seines Erachtens die Grundlage der modernen Pflanzenmorphologie innerhalb einer von der Systematik dominierten Wissenschaft darstellt.25 Obwohl diese verspätete Rezeption der Gedanken Goethes beinahe anekdotischen Charakter hat, trägt sie dennoch dazu 19 20 21 22 23 24 25
Vgl. Voigt, F. S., Flora, 1809, iii. Siehe Robin, N. (Hg.), Gardens, 2008 und Robin, N., Studies, 2006. Vgl. Voigt, F. S., System, 1808, vi. Siehe Batsch, A. J. G. K., Elenchus fungorum, 1783, Forts. 1786, Forts. 1789. Siehe u. a. Robin, N., Heritage, 2010 (im Druck). Miquel, F. A., Commentatio, 1833. Siehe u. a. Kirschleger, F., Essai, 1845.
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bei, die Reichweite der in Jena und besonders im Botanischen Garten der Universität entstandenen botanischen Errungenschaften zu verdeutlichen. 7. Schlußbemerkungen Die Bedeutung der Botanischen Gärten als wissenschaftliche Orte, die nicht nur als Stütze der medizinischen Lehre, sondern auch als Instrumente der botanischen Praxis einer wachsenden Gemeinschaft von Pflanzenliebhabern, Systematikern und Akademikern dienten, fand gegen Ende des 18. Jh. allseits Anerkennung. Dies wurde in nahezu allen botanischen Lehrbüchern und Lexika deutlich, aber auch in einigen Reiseberichten, wie bei Alire Raffeneau-Delile in den einführenden Worten zur Beschreibung seiner Reise nach Belgien: „La confrontation des herbiers et des figures d’ouvrages chers, qui ne se trouvent que dans les villes capitales, et la fréquentation des jardins et des serres, sont de rigueur pour quiconque veut appliquer à des collections botaniques une nomenclature uniforme.“26
Bereits in den 1780er Jahren sahen der Herzog Carl August, Goethe und Batsch die Notwendigkeit gegeben, kulturelle Anstalten wie die einer Fachbibliothek mit den wissenschaftlichen Sammlungen vom „Hortus vivus“ bis zum „Hortus siccus“ unter dem Dach eines Botanischen Gartens als Lehranstalt effektiv zusammenzuführen und zu etablieren. Dies geschah insbesondere in Anbetracht ihrer Ansprüche hinsichtlich einer wachsenden Einflußnahme des Herzogtums auf die wissenschaftliche Bühne Europas. Ziel dieses zusammenfassenden Beitrags zur Geschichte des Botanischen Gartens Jena war es keinesfalls, eine zu vermutende Einzigartigkeit der Botanik in Weimar-Jena zu demonstrieren. Vielmehr war beabsichtigt, die Vielfältigkeit der akademischen und außeruniversitären Strukturen der botanischen Praxis in Weimar-Jena aufzuzeigen und darüber hinaus die Bedeutung des Botanischen Gartens für die Entwicklung und Etablierung der Botanik als Wissenschaft im Kontext einer solchen heterogenen strukturellen Landschaft darzulegen.
26 Vgl. Raffeneau-Delile, A., Notice, 1838, 3. „Die Gegenüberstellung von Herbarien und Illustrationen in den berühmten Werken, die sich nur in den Hauptstädten finden, sowie der Besuch von Gärten und Gewächshäusern sind für jeden zwingend notwendig, der auf botanische Sammlungen eine einheitliche Nomenklatur anwenden möchte.“
Der Begriff der Naturwissenschaften im Lehrangebot der Universität Jena Thomas Bach Es ist heute ohne großen Aufwand möglich, sich über die aktuellen Studienangebote fast sämtlicher Universitäten zu informieren. Zu dem Lehrangebot der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) gelangt man am schnellsten und einfachsten über die Homepage der Universität. Hier erfährt man zunächst, daß die Jenaer Universität „eine klar konturierte klassische Universität“ ist, „die sich in zehn Fakultäten gliedert“ und deren Studienangebot „praktisch die gesamte Breite des Fächerspektrums“ abdeckt.1 Dieses Fächerspektrum verteilt sich auf folgende Fakultäten: 1. Theologie, 2. Rechtswissenschaft, 3. Wirtschaftswissenschaft, 4. Philosophie, 5. Sozial- und Verhaltenswissenschaft, 6. Mathematik und Informatik, 7. Physik und Astronomie, 8. Chemie und Geowissenschaft, 9. Biologie und Pharmazie und schließlich 10. Medizin. Veranstaltungen im Bereich der Naturwissenschaften wären also schnell über das auf der Friedolin-Seite der FSU2 eingestellte digitale Vorlesungsverzeichnis bei den Fakultäten 7 bis 9, also bei Physik und Astronomie, Chemie und Geowissenschaft sowie Biologie und Pharmazie abzufragen. Man muß dazu nur wissen, daß diese Fakultäten naturwissenschaftliche Fakultäten sind; eine übergreifende naturwissenschaftliche Fakultät gibt es nicht bzw. gibt es nicht mehr, denn zum ersten April 1925 wurde in Jena tatsächlich als fünfte Fakultät (neben der Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie) eine Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät eingerichtet3, allerdings vergleichsweise spät: In Tübingen geschah dies schon 1863.4 Vor 200 Jahren sah nun die Situation insofern ganz anders aus, als es diese fünfte Fakultät, die es heute nicht mehr gibt, deren Gestalt aus den Nachgründungen heraus aber noch deutlich erkennbar ist, damals noch nicht gab. Und, schlimmer noch, auch die Naturwissenschaften selbst existierten nicht in dem Sinne, wie wir heute gewohnt sind von ihnen zu sprechen. Was es freilich schon gab, das waren Vorlesungsverzeichnisse: Über das Vorlesungsangebot informierten damals die von der Universität selbst herausgegebenen offiziellen lateinischen Lektionskataloge, über deren Inhalt wiederum auch die in verschiedenen Zeitschriften abgedruckten deutschen Vorlesungsverzeichnisse Auskunft gaben. Eine 1 2 3 4
Vgl. http://www.uni-jena.de und http://www.uni-jena.de/fakultaeten.html (25.10. 2009 u. 29.03. 2010). Vgl. http://www.friedolin-uni-jena.de.(qisserver/rds?state=user&type=0) (03.05. 2010) Vgl. das Kapitel „Die Gründung der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät“, in: Steinmetz, M. (Hg.), Universität Jena, Bd I., 1958, 569–571. Vgl. Krafft, F., Selbstverständnis, 1982, S. 100–103
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Gesamtbibliographie dieser in Zeitschriften abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse aller Universitäten hat Horst Walter Blanke in den 1980er Jahren erstellt5, und Horst Neuper hat ausgehend von den in den verschiedenen Jenaer Gelehrtenoder Literaturzeitungen abgedruckten deutschsprachigen Vorlesungsverzeichnissen zur Universität Jena „Das Vorlesungsangebot an der Universität Jena von 1749 bis 1854“6 dokumentiert. Eine erste umfassendere Auswertung dieser Zusammenstellung bietet der 2008 publizierte Band über die „Gelehrte Wissenschaft“7, und darin informiert über die Quellengattung der Vorlesungsverzeichnisse insbesondere der Beitrag von Ulrich Rasche „Über Jenaer Vorlesungsverzeichnisse des 16. bis 19. Jahrhunderts“.8 Wenn hier nun nach dem Begriff der Naturwissenschaften im Lehrangebot der Universität Jena zwischen 1770 und 1830 gefragt wird, dann sollen im folgenden die aus dem Jahr 1998 stammenden Überlegungen Paul Ziches über die Bedeutung der Ordnungskategorie der Naturwissenschaften9 aufgegriffen und die begriffsgeschichtliche Dimension einer bereits im Jahr 2001 zusammen mit Olaf Breidbach publizierten Studie weiter vertieft werden.10 Das erkenntnisleitende Interesse richtet sich also nicht auf das naturwissenschaftliche Lehrangebot selbst, sondern nur auf den Begriff der Naturwissenschaften innerhalb des Lehrangebots. Dabei soll danach gefragt werden, seit wann man von Naturwissenschaft spricht, welche Rolle der Begriff der Naturwissenschaften im Vorlesungsangebot spielt und inwiefern er als „Ordnungskategorie“ Verwendung findet. 1. Historische Annäherung an den Begriff der Naturwissenschaft(en) Das „Historische Wörterbuch der Philosophie“ weist darauf hin, daß sich das Wort Naturwissenschaft nicht, wie in Kluges „Etymologischem Wörterbuch“ behauptet, erstmals bei Christian Wolff findet – das wäre 1720 –, sondern bereits vorher – 1703 – bei Johann Jakob Scheuchzer in dessen „Physica, oder NaturWissenschaft“.11 Aber mithilfe moderner digitaler Bibliographien kommt man noch ein kleines Stück weiter zurück: Denn bereits 1695 erscheint in Bremen unter dem Praesidio von Johan Christian Schulenberg Herman Lulmans Arbeit
5 6 7 8
Blanke, H. W., Bibliographie, in: Berichte 6, 205–227; 10, 17–43; 11, 105–117; 13, 31–41. Neuper, H., Vorlesungsangebot, 2003, Quellenverzeichnis 691–693. Bach, T. / Maatsch, J. / Rasche, U., Wissenschaft, 2008. Rasche, R., Vorlesungsverzeichnisse, 2008. Vgl. ferner Clark, W., Academic Charisma, 2006, 33–67. 9 Vgl. Ziche, P., Naturgeschichte, 1998. 10 Vgl. Bach, T. / Breidbach, O., Lehre, 2001. 11 König, G., Naturwissenschaften, 1984, Sp. 641. Vgl. Ziche, Naturgeschichte, 1998, 251 f. und 261 f.
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„Nöthiges Band der Natur-Wissenschafft und Mathematic (...) Allen Liebhabern der wahren Weißheit zu untersuchen fürgestellt“.12 Interessant ist dabei die Engführung von Naturwissenschaft und Mathematik im Titel (im Textteil ist dagegen nur von der Mathematik und Physik bzw. „Mathesis und Physica“ die Rede); zumal im Hinblick auf Scheuchzer, der dann wenig später explizit von der „auf die Erfahrung und Mathematische Grundsätz gebaute[n] Natur-Wissenschaft“ spricht13 und von dieser „Wissenschaft natürlicher Dinge“ in seiner „Einleitung zur Natur-Wissenschaft“ festhält, daß die „Physica“ oder „Natur-Wissenschaft“ auch wirklich eine Wissenschaft sei: „Es ist die Physica eine Wissenschafft natürlicher Dingen. Eine Wissenschafft / ja gewisse Wissenschafft / weilen sie beruhet auf gewissen / ohnfehlbaren Sätzen / und gleichsam vest stehet auf zweyen Säulen / der Vernunft und Erfahrung. Ist hiemit zu underscheiden von dem Glauben / da wir auf eines anderen Wort / oder Schrifft / die Wissenschaft eines Dings gründen / und von der Opinion / oder Meinung / Wehnung / da wir wehnen / nicht eigentlich wissen. Wir gestehen zwahr grad anfangs / das wir dise Natur-Wissenschaft noch nicht haben in demjenigen Grad der Gewißheit / in welchem stehen die Mathematischen Wissenschaften / wir streben aber je mehr und mehr darnach / das wir sie ergreiffen mögen“.14
Die hier projektierte, auf Vernunft und Erfahrung („ratio et experientia“) beruhende Naturwissenschaft hätte aber, zumal wenn sie auf Erfahrung, d. h. Experimenten und auf mathematischen Grundsätzen beruht, einen vergleichsweise engen Begriffsumfang. Es könnte sich bei ihr eigentlich nur um eine Naturlehre oder Physik im Sinne einer Experimentalphysik im engeren Sinne handeln, lassen sich doch damals weder die Chemie noch die Naturgeschichte auf mathematische Grundsätze bringen.15 Und in diesem Sinne wird dann etwa der Begriff auch in den wirkungsgeschichtlich wichtigen Texten von Christian Wolff verwendet: Physik, Naturwissenschaft und Naturlehre sind hier synonym. 12 Lulman, H., Nöthiges Band, 1695. Der Begriff der „Natur-Wissenschafft“ taucht hier aber nur im Titel auf und wird im Text nicht weiter reflektiert, der letztlich nur darauf abzielt, den Nutzen der Mathematik für die Physik aufzuzeigen: „der gegenwärtige Vorsatz gehet dahin / zu zeigen / daß viele Gründe nicht können gegeben werden / viele aber nicht so vollenkommen / wo nicht die Physica und Mathesis zusammen geknüpft werden.“ (ebd. 13). 13 Scheuchzer, J. J., Physica, 1711 (Vorrede) o. P. [3]. – Der Anteil der mathematischen Grundsätze ist bei Scheuchzer in den ersten Kapiteln der Physik freilich nicht allzu groß. Es handelt sich bei diesem Buch im Grunde noch um eine in der Tradition der aristotelischen Physiklehrbücher stehende Naturlehre im weiteren Sinne, die zunächst die natürlichen Körpern und deren Eigenschaften thematisiert, dann auch auf die Phänomene Ton, Licht und Farbe eingeht und mit einer Bewegungslehre inklusive einer Lehre der Veränderung abschließt. Insgesamt betrachtet wird in den Physiklehrbüchern zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Bedeutung der Mathematik noch nicht angemessen gewürdigt, es bleibt im Grunde bei der rhetorischen Beteuerung. Vgl. Lind, G., Physik, 1992, S. 69–88. 14 Scheuchzer, J. J., Physica, 1711, S. 1. 15 Vgl. Lind, G., Physik, 1992, 75: „Aus methodischen Gründen ging die Tendenz der neuen Physik eindeutig in Richtung einer Beschränkung des Gegenstandsbereichs auf das (wenigstens prinzipiell) mathematisch Beschreibbare und experimentell Untersuchbare. Es wäre demnach sinnvoll gewesen, die Naturgeschichte der drei Reiche und die Lehre vom Menschen von der Physik zu trennen.“
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Als Synonym zur Naturlehre findet sich der Begriff „Naturwissenschaft“ dann auch 1740 in Zedlers „Universal-Lexicon“. Neben der Naturwissenschaft werden als weitere Synonyme zur Naturlehre aufgelistet: „Natur-Kunde“, „Physick“, „Physica“ und „Philosophia naturalis“.16 Einen eigenen Artikel zur Naturwissenschaft gibt es aber nicht. In dem Artikel „Naturlehre“ selbst ist der Aspekt der Wissenschaftlichkeit sehr abgeschwächt und es wird – insofern sprachlich konsequent – auch nur von der Physik gesprochen: „Wir sehen sie [d. h. die Physik] für diejenige Lehre an, da wir wahrscheinlich erkennen, welches die selbständigen Principien und Anfänge der Würckungen in der Natur sind, die wenigstens dem ersten Anblick nach mit den Sinnen nicht dürffen begriffen werden, damit wir uns gegen die natürlichen Dinge, wenn wir damit zu thun haben, klug verhalten. In dieser Beschreibung sehen wir die Physick vor eine Lehre der Wahrscheinlichkeit an, welches nicht sowol von den Schlüssen, als vielmehr von den Principien, so vornemlich die Physick ausmachen, zu verstehen.“17
Passend zu der hier zu beobachtenden Zurückstufung der Wissenschaftlichkeit ist dann auch das neue Synonym „Naturkunde“, das im Sinne der Naturgeschichte eher deskriptiv konnotiert ist. Die damit verbundene Erweiterung des Begriffsumfangs geht folglich auch zu Lasten der Wissenschaftlichkeit, eine Tendenz, die man auch an dem für die Zeit um 1800 einschlägigen „Physikalischen Wörterbuch“ von Gehler ablesen kann. Hier kommt es 1790, also nur vier Jahre nach dem Erscheinen von Kants „Metaphysischen Anfangsgründen der Naturwissenschaft“ und der darin propagierten Engführung von Wissenschaft und Mathematik18, in dem Eintrag „Physik, Naturlehre, Naturkunde, Naturwissenschaft, Physica, Physice, Philosophia naturalis, Physique“ zu einer signifikanten Bedeutungsverschiebung: Zur Naturwissenschaft gehört nämlich nach Gehler „im weitläuftigsten Sinne des Worts (...) alles, was jemals über die Körper erfahren oder gedacht worden ist“.19 Insofern ist es auch nötig, von dieser ganz allgemein verstandenen Naturwissenschaft wieder eine „eigentliche Physik oder Naturlehre“ abzutrennen. Gehler schlägt deshalb auch vor, die Naturwissenschaft in drei Hauptabschnitte zu teilen: „Am ordentlichsten möchte es scheinen, alle unsere Kenntniße von den Körpern in historische, philosophische und mathematische zu theilen, und daraus drey Hauptabschnitte der ganzen Naturwissenschaft unter dem Namen der Naturgeschichte, der Physik und der angewandten Mathematik zu bilden. Die Naturgeschichte würde sich alsdann mit der bloßen Aufzählung, Benennung und Beschreibung der allgemeinen Stoffe sowohl, als der besondern Körper, ingleichen ihrer Eigenschaften, Erscheinungen und Wirkungen, die angewandte Mathematik mit Betrachtung der dabey vorkommenden Größen beschäftigen. So würde für die eigentliche Physik die Entwickelung dessen, was die besondern Erscheinungen gemein ha-
16 Zedler, J. H., Universal-Lexicon, Drey und Zwantzigster Band, 1740, Sp. 1147. 17 Ebd., Sp. 1147. 18 Kant, I., Anfangsgründe, 1786, S. VIII: „Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werde könne, als darin Mathematik anzutreffen ist.“ 19 Gehler, J. S. T., Physikalisches Wörterbuch, Dritter Theil, 1790, 488.
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ben, oder die Entdeckung der Naturgesetze, die Erklärung der Erscheinungen und Begebenheiten aus diesen Gesetzen, und die Erforschung der Ursachen und Triebfedern übrig bleiben.“20
Die hier nur kurz angedeutete Begriffsgeschichte der Naturwissenschaft zeigt also geradezu eine Umkehrung des Begriffsgebrauchs. Wurde zunächst zu Beginn des 18. Jahrhunderts mit dem Begriff der Naturwissenschaft eine auf Mathematik und Experimenten beruhende erklärende Naturlehre zumindest projektiert, so schließt der Begriff am Ende des 18. Jahrhunderts auch die naturgeschichtlich-deskriptiven Wissenschaften der Natur ein. Und diese Auffassung der Naturwissenschaft ist natürlich disjunkt zu unserem modernen Verständnis der Naturwissenschaften.21 Paul Ziche hat erstmals 199822 darauf hingewiesen, daß die in der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ abgedruckten Vorlesungsverzeichnisse Jenas, die nicht wie die lateinischen Lektionskataloge nach Fakultätszugehörigkeit (in der Reihe: Theologie, Jurisprudenz, Medizin und Philosophie) und Anciennität (also zuerst Ordinarien, dann Extraordinarien und schließlich Privatdozenten) geordnet waren, seit 1790 der Begriff „Naturwissenschaften“ als Ordnungskategorie auftaucht: „von diesem Zeitpunkt an, also lange vor der institutionellen Aufspaltung in getrennte Fakultäten, wird in den Vorlesungsverzeichnissen der ,Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ (...) der Begriff ‚Naturwissenschaften‘ als Oberbegriff für eine Gruppe von Vorlesungen eingeführt, die vorher unter verschiedenen Fachgebieten aufgeführt wurden.“23
Konkret heißt dies, daß unter der Ordnungskategorie „Naturwissenschaften“ jetzt sowohl naturgeschichtliche als auch naturwissenschaftliche Veranstaltungen aus der Philosophie aufgeführt werden.24 Die so gereinigte Philosophie handelt danach nur noch von Logik und Metaphysik, Ethik, Moral usw., und die Veranstaltungen zur Physik oder Chemie werden jetzt in die neue Rubrik der Naturwissenschaften einsortiert. Neben diesen physikalischen und chemischen Veranstaltungen stehen aber auch naturgeschichtliche, so daß die unter den Naturwissenschaften aufgelisteten Vorlesungen nur im Hinblick auf ihren Gegenstand, die Natur, eine Gruppe bildet, wohingegen sie sich in ihrem Erklärungsanspruch und ihren Methoden signifikant voneinander unterscheiden. Diesen „Übergang vom Begriff der ‚Naturgeschichte‘ zum Begriff der ‚Naturwissenschaften‘“ interpretiert Paul Ziche folgendermaßen: „Die Naturgeschichte verliert ihre Bedeutung als Sammelbegriff, der eine bestimmte Zugangsweise zu verschiedenen Bereichen der Natur bezeichnet und wird zu einer Teildisziplin der Naturwissenschaften. Philosophie und Naturwissenschaften werden konsequent getrennt und gleichberechtigt nebeneinander gestellt.“25 20 Ebd., 489 f. 21 Vgl. Bach, Th. / Breidbach, O., Lehre, 2001. 22 Ziche, P., Naturgeschichte zur Naturwissenschaft, 1998. 23 Ebd., 252. 24 Ebd., 258. 25 Ebd., 260.
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So richtig es nun auch ist, daß der Begriff der Naturgeschichte seine Bedeutung als Sammelbegriff verliert, wenn der Begriff Naturwissenschaft an die Stelle der Naturgeschichte tritt, so muß doch gefragt werden, ob damit die Naturgeschichte schon zu einer Teildisziplin der Naturwissenschaften wird, denn das ist doch die eigentliche Pointe, daß der Befund zeigt, daß es die Naturwissenschaften noch nicht gab. Es gab nur verschiedene Wissenschaften, die nun unter dem gemeinsamen Nenner der Ordnungskategorie Naturwissenschaften als Gruppe im Vorlesungsverzeichnis auftauchen. Denn, und das hat Ziche selbst erwähnt, in dem von ihm untersuchten Zeitraum blieben ja das Lehrpersonal, die zugrunde gelegten Lehrbücher und auch die Inhalte der Veranstaltungen konstant.26 Und fragt man dann weiter nach, was das für Naturwissenschaften sind, dann stellt man wieder mit Ziche fest, daß sie weder auf den modernen Begriff der Naturwissenschaft vorausweisen, noch zur Kantischen Definition der Naturwissenschaften passen, wohl aber zu dem um 1800 gebräuchlichen weiten Begriff der Naturwissenschaften: „Hieraus ergibt sich eine wichtige Konsequenz für den modernen Begriff der Naturwissenschaft: es wird deutlich, daß diesem Begriff keine einheitliche Konzeption zugrunde liegt, sondern daß er gegen Ende des 18. Jahrhunderts verschiedenartige Traditionen – Naturgeschichte einerseits, Teilbereiche der Philosophie andererseits – in sich aufnimmt, ohne daß damit inhaltliche Modifikationen an den einzelnen, neu eingeordneten Lehrinhalten impliziert wären. Die Einheitlichkeit der Zugangsweise zu verschiedenen Aspekten der Natur, die der Begriff ‚Naturwissenschaft‘ suggeriert, erweist sich also als problematisch.“27
Wenn dem modernen Begriff der Naturwissenschaft damit aber keine einheitliche, auf die Zeit um 1800 zurückführbare Konzeption zugrunde liegt, dann wäre in der Tat mit Ziche zu fragen, „ob im Laufe des 19. Jahrhunderts der Begriff der Naturwissenschaft noch einmal grundsätzlich geklärt und präzisiert wurde und wie dieser in sich heterogen bestimmte Begriff zur Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von anderen Gebieten verwendet wurde.“28
2. Der Begriff der Naturwissenschaften im Lehrangebot Bei dieser Diskussion um die Ordnungskategorie der Naturwissenschaften fällt nun aber auf, daß bislang noch nicht untersucht wurde, ob denn der Begriff nicht vielleicht auch in den Titeln der Vorlesungen Verwendung findet und man auf diesem Wege Auskunft darüber erhalten könnte, ob die jeweiligen Lehrer oder Forscher um 1800 den Gegenstand ihrer Vorlesungen selbst als Naturwissenschaft bezeichnet haben. Das Ergebnis einer solchen Abfrage ist interessant: Sucht man den Begriff Naturwissenschaft(en), dann wird man – bis auf zwei Ausnahmen – erst in der Zeit nach 1830 fündig (vgl. Tabelle 1). Ferner fällt auf, daß der Begriff im Zeit26 Ebd., 259. 27 Ebd., 260. 28 Ebd.
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raum zwischen 1750 und 1850 überhaupt äußerst selten verwendet wurde. Und wenn dies überhaupt der Fall ist, dann geht es in diesen Vorlesungen um den „Werth und das Studium der Naturwissenschaften“ oder die „Encyklopädie der Naturwissenschaften“ bzw. auch einmal um die „Geschichte der Naturwissenschaften“. Tabelle 1: Vorlesungen mit dem Begriff der Naturwissenschaften29
1832/33 1833/34 1834/35 1839 1838/39
Über den Werth und das Studium der Naturwissenschaften (Schüler) Repetitorien in den Zweigen der Naturwissenschaft (Succow) Encyklopädie der Naturwissenschaften (Koch) Encyklopädie und Methodologie der Naturwissenschaften (Succow) Encyklopädie der Naturwissenschaften in Verbindung mit den nöthigen Experimenten (Succow) 1839/40 Encyklopädie und Methodologie der Naturwissenschaften (Succow) 1839/40 Experimentalphysik, in Verbindung mit Encyklopädie der Naturwissenschaften (Succow) 1840 Ueber den Gebrauch des Mikroskops in den Naturwissenschaften (Schleiden) 1844/45 Geschichte der Naturwissenschaften (Snell) Zu dem ersten Vorlesungstitel ist anzumerken, daß Lorenz Oken noch 1809 Ueber den Werth der Naturgeschichte besonders für die Bildung der Deutschen (Jena 1809) und Friedrich Siegmund Voigt 1816 über Von dem Werth der Naturgeschichte (Jena 1816) schreiben. Und letzterer liest auch noch im Wintersemester 1827 und 1828 Ueber das Studium der Naturgeschichte und dessen Nutzen. 30 Die 1832 abgehaltene Veranstaltung Über den Werth und das Studium der Naturwissenschaften markiert insofern eine Trendwende, die gut zu den ab den 1830er Jahren vermehrt auftauchenden Publikationen paßt, die den Wert der Naturwissenschaften für das Gymnasium bzw. für die Bildung diskutieren. Tabelle 2: Publikationen, die den Wert der Naturwissenschaft diskutieren
1834 1837
1841
Paul Christoph Engelbrecht: Der hohe Wert der Naturwissenschaften auf Gymnasien. Eisleben 1834. Bericht über den im Gymnasium zu Wertheim im Schuljahr 1836/37 ertheilten Unterricht (...) voran eine Abhandlung von Dr. Neuber über die Frage: In welcher Ausdehnung sollen die Naturwissenschaften Gegenstand des Gymnasialunterrichts seyn? Wertheim 1837 G. Jäger: Ueber den relativen Werth der Naturwissenschaften für die
29 Neuper, H., Vorlesungsangebot, 2003, 526, 533, 539, 566, 569, 573, 573, 576, 609. 30 Ebd., 497, 503.
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1867
formelle Bildung der Jugend. Stuttgart 1841. Gerrit Jan Mulder: Über den Werth und die Bedeutung der Naturwissenschaften für die Medicin: eine Rede, gehalten bei der Eröffnung seiner chemischen Vorlesungen an der Universität zu Utrecht. Aus dem Holländischen übersetzt von Jac. Holeschatt. Heidelberg 1844. Eduard Ernst Kretschmer: Werth und Einfluss der Naturwissenschaften auf die allgemeine Bildung. Vortrag. Frankfurt an der Oder 1867.
Besonders aussagekräftig in Tabelle 1 sind aber die fünf Veranstaltungen zur Enzyklopädie der Naturwissenschaften, denn der Begriff der Enzyklopädie hat, wie jüngst Jonas Maatsch gezeigt hat, insbesondere auch „die Bedeutung einer einführenden Übersicht über das Ganze eines Fachs“.31 Daß diese Veranstaltungen ab den 1830er Jahren auftauchen, zeigt also meines Erachtens, daß man ganz offensichtlich jetzt das Bedürfnis verspürt, die Naturwissenschaften insgesamt in einer Art enzyklopädischen Form zu behandeln. Und dies wirft die Frage auf, ob die Naturwissenschaften vorher überhaupt als dieses einheitliche Fach aufgefaßt wurden. Nebenbei bemerkt: Zwischen 1767 und 1854 werden insgesamt 493 Vorlesungen angekündigt, die das Wort „Enzyklopädie“ oder „enzyklopädisch“ im Titel führen, und wenn man diese Vorlesungen auswertet, sieht man, daß es praktisch zu allen Fächern sehr regelmäßig enzyklopädische Einführungen gibt: zur Theologie, Jurisprudenz und Medizin, aber auch zur Philosophie, Naturgeschichte und Cameralwissenschaft, Litteraturgeschichte, Philologie usw. (vgl. Tabelle 3). Tabelle 3: Auswahl enzyklopädischer Vorlesungen aus den verschiedensten Bereichen32
1766/67 Eine Einleitung in die ganze medicinische Encyclopedie (Truhart) 1768 Encyclopädische Vorlesungen über das Federische Handbuch (Ulrich) 1770/71 Encyclopädische Vorlesungen über alle Theile der Weltweisheit (Ulrich) 1771 Die Encyklopädie der ganzen Rechtsgelahrtheit nach dem Senckenberg (Scheidenmantel) 1773 Encyclopädischer Unterricht in der Naturlehre (Ulrich) 1783/84 Encyclopädie nach Sulzers kurzem Begriff aller Wissenschaften (Schütz) 1786/87 Encyklopädie der Litteraturgeschichte (Schütz) 1792 philosophische Encyclopädie (Kirsten) 1792/93 Militairische Encyclopädie (Gerstenbergk) 1793/94 Die allgemeine Encyclopädie nach Eschenburgs Lehrbuch der Wissenschaftskunde (Schütz) 31 Maatsch, J., Vorlesungen, 2008, 125. 32 Neuper, H., Vorlesungsangebot, 2003, 70, 104, 107, 132, 211, 231, 267, 271, 278, 306, 306, 313, 324, 348, 360.
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1797/98 Encyklopädie der Kantischen Philosophie (Ulrich) 1797/98 Naturhistorische Encyclopädie (Lenz) 1798/99 Philologische Encyclopädie nach Fülleborns Encyclop. philol. (Eichstädt) 1800/01 Theologische Encyclopädie u. Methodologie od. Einleitung in die gesammte Theologie (Paulus) 1804 Über den Organismus der Wissenschaften oder die gemeinhin so genannte Encyclopädie der Wissenschaften (Ast) 1805/06 Encyclopädie der Cameralwissenschaften nach Succow (Gerstenbergk) Zu diesem Befund paßt ein weiterer: Vergleicht man die beiden Universitäts-Almanache für die Universität Jena, der erste, von Güldenapfel herausgegebene, erscheint 181633, der zweite von Heinrich Döring herausgegebene 184534, dann sieht man, daß Güldenapfel zwar von „Naturwissenschaftlichen Museen“ spricht und in der Vita von Wilhelm Carl Friedrich Suckow einmalig die Formulierung „wurde frühzeitig in ihm der Sinn für die Naturwissenschaften und Mathematik geweckt und genährt“35 verwendet. Ungleich öfter liest man so etwas aber bei Döring: Friedrich Siegmund Voigt „studierte zu Jena Naturwissenschaften“36, Eduard Martin „studierte Naturwissenschaften“37, Heinrich Wilhelm Ferdinand Wackenroder studierte in Celle „Medicin und Naturwissenschaften“38, Gustav Suckow absolvierte ein „naturwissenschaftliche[s] Hauptstudium“39, Gustav Schueler führte seine „Neigung zu den Naturwissenschaften“40 zu dem Bergfach, Matthias Jacob Schleiden gab „sich ganz dem Studium der Naturwissenschaften, insbesondere der Physiologie und Botanik hin“41, Wilibald Artus studierte „anfangs Medicin, dann Naturwissenschaft und vorzüglich Chemie“.42 Da Döring seine Viten aufgrund von Zuarbeiten der Lehrer schrieb, ist anzunehmen, daß in diesen Formulierungen auch deren Selbstverständnis zum Ausdruck kommt. Und dies ist ein Indiz für die These, daß man sich um 1845 schon primär als Naturwissenschaftler sah. Damit zu den Ausnahmen: Vor den 1830er Jahren taucht der Begriff „Naturwissenschaft“ in den Vorlesungstiteln selbst nur noch zweimal auf. So läßt im Jahr 1778 der Hofrat Walch eine Vorlesung in den Lektionskatalog einrücken 33 Güldenapfel, G. G., Jenaischer Universitäts-Almanach 1816. 34 Döring, H., Jenaischer Universitäts-Almanach 1845. 35 Güldenapfel, G. G., Jenaischer Universitäts-Almanach 1816, 145. 36 Döring, H., Jenaischer Universitäts-Almanach 1845, 103. 37 Ebd., 107. 38 Ebd., 152. 39 Ebd., 164. 40 Ebd., 171. 41 Ebd., 186. 42 Ebd., 189.
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über „Die biblische NaturGeschichte und Erklärung aller derienigen Stellen A. und N.T. welche ohne NaturWissenschaft nicht gehörig können verstanden werden“ an, und 1804 offeriert der Extraordinarius Franz Joseph Schelver eine Vorlesung mit dem Titel „Ein System der Naturwissenschaft, enthaltend a) Naturphilosophie, b) Elementar-Physik, c) Geognosie, d) Physiologie des Organismus oder Phytonomie, Zoonomie und Anthropologie“. Der Begriff „NaturWissenschaft“ bei der Veranstaltung von Johann Ernst Immanuel Walch steht aber nur in dem deutschen Vorlesungsverzeichnis. In der lateinischen Ankündigung des offiziellen Lektionskatalogs steht „naturae cognitione“, also (Er)Kenntnis der Natur. Naturwissenschaft wird hier also mehr im Sinne einer Naturkunde verstanden, und dies paßt auch zu der „biblischen Naturgeschichte“. So bleibt nur noch zu klären, warum und in welchem Kontext Schelver 1804 von einem System der Naturwissenschaft – im lateinischen Lektionskatalog steht „Systema scientiae naturalis“ – spricht. Die Tatsache, daß der Begriff der Naturwissenschaft vor 1830 nur bei Schelver im Titel einer Veranstaltung auftraucht, wirft aber zunächst die Frage auf, ob die in den deutschsprachigen Vorlesungsverzeichnissen verwendete Ordnungskategorie für sowohl erklärende als auch deskriptive Wissenschaften nicht möglicherweise so inhaltsleer ist, daß der Begriff von den Professoren und Dozenten nicht im Titel ihrer Vorlesungen verwendet wird. Die Einführung des Begriffs als Ordnungskategorie implizierte dann für die Professoren um 1800 zunächst noch überhaupt nichts. Die damit verbundene Bedeutung stiftet möglicherweise erst der dies beobachtende Wissenschaftshistoriker. In diesem Sinne konnte schon gezeigt werden, daß, „die Einführung der Ordnungskategorie ,Naturwissenschaften‘, die sich nur in der ALZ findet, zu keiner Umorientierung im Angebotsspektrum der einzelnen Fächer führte.“43 „Das unter der Ordnungskategorie ,Naturwissenschaften‘ erfasste Ausbildungsprogramm ist sowohl in der Themenstellung als auch in der Breite des Angebots in den Jahren von 1790 bis 1807 im Großen und Ganzen konstant. (...) In den einzelnen Fachbereichen ist schon vor 1790 ein Lehrprogramm fixiert. Dabei beschränkt sich dieses in den Bereichen der Physik und Chemie auf wenige, in ihrer Thematik weitgehend invariante Veranstaltungen.“44
Und noch ein weiterer Punkt ist hier hervorzuheben: „In der Phase nach 1800, in der für die naturphilosophische Diskussion eine umfassende Reaktion auf die spekulative Naturphilosophie Schellings in Jena nachweisbar ist, zeigen sich im Ausbildungsprogramm der zur philosophischen Fakultät gehörenden Naturwissenschaften keine sichtbaren Auswirkungen dieser Diskussion.“45
43 Bach, T. / Breidbach, O., Lehre, 2001, 170. 44 Ebd., 170 f. 45 Ebd., 171.
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Die Veranstaltung von Franz Joseph Schelver ist aber gerade vor diesem Hintergrund zu erklären. Schelver46, der vor Schellings Ankunft in Jena Medizin studierte und dabei auch Fichte hörte, beendete sein Studium in Göttingen und mutierte dann um 1800 schnell zu einem bekennenden Schellingianer und Naturphilosophen. Ab 1803 war er in Jena als außerordentlicher Professor der Medizin und Direktor des Botanischen Gartens beschäftigt und bezog in dieser Zeit schnell zusammen mit Hegel Position gegen Schelling. Er gehört damit eindeutig in das Lager der Jenaer Naturphilosophen.47 Mit dem Begriff „System der Naturwissenschaft“ etikettierte er ein naturphilosophisch begründetes System der Naturwissenschaft, das alle bislang unter dem weiten Begriff der Naturwissenschaften unverbunden nebeneinanderstehenden Fächer integrieren sollte. Hier aufgelistet erscheinen neben der begründenden Naturphilosophie die Einzelwissenschaften der Physik, Geognosie und Physiologie, Phytonomie, Zoonomie und Anthropologie. Das sind zwar nicht alle Fächer, die man unter der Ordnungskategorie Naturwissenschaft antrifft, aber doch einige davon, und dabei auch einige, bei denen die Zugehörigkeit zu den Naturwissenschaften nicht so offensichtlich ist. Diese Veranstaltung Schelvers hatte aber unmittelbar keine Auswirkung auf die Lehre im Bereich der Naturwissenschaften. Sie ist jedoch Ausdruck einer gewissen Desorientierung, die entsteht, wenn so verschiedene Dinge wie Die Naturgeschichte der Eingeweidewürmer und Die Chemie der organischen Körper sowie Theoretische und Experimental-Physik unter der Ordnungskategorie Naturwissenschaften subsumiert werden. Daß dabei die „Naturphilosophie nicht gegen, sondern mit und für die Wissenschaften um 1800 formuliert wurde“ zeigt Olaf Breidbach in seinem Aufsatz über „Schelling und die Erfahrungswissenschaft“: „Ihre Spekulation [also die der Naturphilosophen] ersetzt nicht die Wissenschaften, sondern schafft eine Wissenschaftslehre, die a) diese Wissenschaften voraussetzt und die b) diese Wissenschaften denn auch als Naturwissenschaften zu bestimmen suchte.“48
Glaubt man der Auswertung der Vorlesungsverzeichnisse, dann wurde dieser Ansatz einer Bestimmung unterschiedlicher Wissenschaften von der Natur als Naturwissenschaft erst zeitverzögert wirkungsgeschichtlich bedeutsam und dann auch noch in einer kritischen Inversion. 3. „Naturwissenschaften“ als Ordnungskategorie Bislang stützten sich sowohl meine eigenen als auch die von mir zitierten Ausführungen auf die inoffiziellen deutschsprachigen Vorlesungsverzeichnisse, die zunächst in den „Jenaischen Gelehrten Anzeigen“ und dann im „Intelligenzblatt“ der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ erschienen. Wie Ulrich Rasche gezeigt hat, bo46 Zu Schelver vgl. Bach, T.: „Für wen das hier gesagte nicht gesagt ist“, 2001, und ders., Schelver, 2005. 47 Vgl. Breidbach, O., Jenaer Naturphilosophien um 1800, (2000). 48 Breidbach, O., Schelling und die Erfahrungswissenschaft, 2004, 154.
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ten die „ersten regelmäßigen Zeitschriftenanzeigen (SS 1749 bis SS 1757) (...) lediglich deutsche Übersetzungen des Katalogtextes der Lektionskataloge“. Dies ändert sich erst 1765 in der Jenaer Gelehrtenzeitschrift: „Der Herausgeber Johann Ernst Immanuel Walch hat gleich die erste Anzeige (SS 1765) der neuen Zeitschrift nach dem Vorbild der Göttinger Gelehrtenzeitung gestaltet, in der schon seit 1755 (...) die Veranstaltungen nicht mehr nach der Hierarchie der Dozenten, sondern nach der Systematik der Wissenschaften angeordnet und auch die Veranstaltungen der Privatdozenten aufgenommen worden waren.“49
Innerhalb der deutschsprachigen Vorlesungsverzeichnisse der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“, der Nachfolgezeitschrift der „Jenaischen Gelehrten Anzeigen“, findet dann auch der von Ziche bemerkte Übergang von der Ordnungskategorie Naturgeschichte zur Ordnungskategorie Naturwissenschaften statt.50 Verantwortlich hierfür war vermutlich Christian Gottfried Schütz,51 der als Herausgeber der „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ und bestallter Eloquenzprofessor der Universität an der entscheidenden Schnittstelle saß. Als Zeitschriftenherausgeber war er sich sicher auch dessen bewußt, daß die Vorlesungsverzeichnisse in ihrer gegenüber den Lektionskatalogen veränderten Form für die Allgemeinheit von größerer Bedeutung waren. Diese deutschen Vorlesungsverzeichnisse waren aber, wie gesagt, nicht die offiziellen Lektionskataloge der Universität. Auskunft über das Selbstverständnis der an der Universität wirkenden akademischen Lehrer geben daher eher die lateinischsprachigen Lektionskataloge, mit denen sich die Universität in der Öffentlichkeit präsentierte. Dieser Trend der wissenssystematischen Präsentation des Lehrangebots wird in den offiziellen Lektionskatalogen erst verhältnismäßig spät umgesetzt: „Realisiert wurde die wissenssystematische Ordnung erst mit den zum SS 1866 eingeführten amtlichen deutschen Vorlesungsverzeichnissen (...). Leipzig veröffentlichte deutschsprachige systematisch aufgebaute Vorlesungsverzeichnisse parallel zu den lateinischen Katalogen seit 1773, Göttingen seit 1780, die 1810 gegründete Universität von Anfang an und die anderen preußischen Universitäten seit 1820. Daß Jena nun ebenfalls mit einem systematischen deutschen Vorlesungsverzeichnis nachzog, war also bloß die reichlich späte Reaktion auf Reformen an anderen Universitäten, die ihre Studenten seit langem besser informierten.“52
Es gibt nun aber eine einzige interessante Ausnahme: Das Wintersemester 1816/1817. In diesem Semester erscheint der von Güldenapfel redaktionell bearbeitete lateinische Lektionskatalog in veränderter Form. Güldenapfel beschreibt diese Form folgendermaßen: „Der lateinische Lectionskatalog hat diesmal eine veränderte Form erhalten. Statt dass seither die Professoren, Doctoren und übrigen Lehrer nach ihrer Rangordnung aufgeführt, und die Vorlesungen jedes Einzelnen sogleich dem Namen beygesetzt worden waren: wurde derselbe nunmehr in drey Abtheilungen gebracht: 1) Die Namen der Professoren, Doctoren und übri49 Rasche, U., Vorlesungsverzeichnisse, 2008, 35 f. 50 Vgl. Ziche, P., Naturgeschichte, 1998. 51 Zu Schütz vgl. Schröpfer, H., Kants Weg, 2003. 52 Rasche, U., Vorlesungsverzeichnisse, 2008, 41.
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gen akademischen Lehrer, mit Angabe ihrer Ämter und ihres Ranges, ferner die Namen der Hnn. Oberappellationsgerichtsräthe, welche Vorlesungen halten. 2) Verzeichniss sämmtlicher, von Akademikern und Nichtakademikern angekündigter Vorlesungen in systematischer Ordnung. 3) Ein Stundenverzeichniss, oder eine Übersicht der Vorlesungen, nach den Stunden geordnet.“53
Dieses Verzeichnis trägt im ersten Teil den alten Ansprüchen der Fakultäten und Anciennität mit einer Liste der Professoren und Dozenten Rechnung: Sie werden entsprechend ihrer Fakultätszugehörigkeit und Anciennität aufgeführt. Im zweiten Teil gibt dann ein systematisches Verzeichnis über die angebotenen Veranstaltungen Auskunft, und im dritten werden verschiedene Stundenpläne präsentiert. Obwohl das Vorlesungsverzeichnis damit eigentlich allen Ansprüchen gerecht wird, bleibt es aber leider bei diesem einen Versuch. An diesem ist nun interessant, daß in dem systematischen Teil im Abschnitt „D. Philosophische Vorlesungen“ nach der „Methodologie“, „Philosophie im engeren Sinne“ und der „Mathematik“ die „Naturwissenschaften“ als vierte Ordnungskategorie vor den „Cameral- und Staats-Wissenschaften“ und der „Philologie“ erscheinen. Unter den Naturwissenschaften werden dabei folgende Veranstaltungen angeboten: Zoologie (Oken), Die Naturgeschichte der Eingeweidewürmer (Lenz), Eine Übersicht der ökonomischen Zoologie (Graumüller), Geschichte der Botanik (Graumüller), Die Naturgeschichte der Flechten, Farrnkräuter, Laubmoose (Graumüller), Mineralogie (Lenz), Das natürliche System der Mineralogie, mit Geognosie verbunden (Oken), Übungen der mineralogischen Societät (Lenz), Theoretische und Experimental-Physik (Voigt), Allgemeine Chemie, in Verbindung mit der Stöchiometrie, durch Experimente erläutert (Döbereiner), Die Chemie der organischen Körper (Döbereiner).54 Auch hier ist das Angebot im Bereich der Naturwissenschaften noch immer ein sehr heterogenes. Naturgeschichtlich-deskriptive Kurse stehen neben wissenschaftlich-erklärenden. Will man Gruppen bilden, dann könnte man sagen, es gibt naturgeschichtliche, physikalische und chemische Veranstaltungen. Und dann gibt es noch so etwas wie Zoologie. Also nicht Tierkunde oder Naturgeschichte der Tiere, sondern Zoologie, die Oken nach seinem Lehrbuch der Naturphilosophie liest, in dem er den Anspruch erhebt, streng wissenschaftlich vorzugehen. Insgesamt machen die hier versammelten Veranstaltungen aber noch nicht den Eindruck, daß sie schon auf das vorausweisen, was später unter unserem modernen Begriff der Naturwissenschaften verstanden wird. Und so bleibt das auch bis 1830; im Prinzip nimmt bis dahin nur die Anzahl der Veranstaltungen zu. Will man die Genese des modernen Begriffs der Naturwissenschaften erklären, so ist der im Sonderforschungsbereich untersuchte Zeitraum von 1770 bis 1830 also zu kurz gewählt. All dies gilt es zu beachten, wenn man künftig nicht nur über den
53 Güldenapfel, G. G., Jenaischer Universitäts-Almanach 1816, 383. 54 Ebd., 393 f.
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Begriff der Naturwissenschaften im Lehrangebot, sondern auch über das Lehrangebot im Bereich der Naturwissenschaften forschen möchte.
Abkürzungen FSU
Friedrich-Schiller-Universität
FW
Fichtes Werke
GSAW
Goethe-Schiller-Archiv Weimar
HeHStAW
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden
MS
Manuskipt
SLD
Sächsische Landesbibliothek Dresden
SNA
Schillers Werke. Nationalausgabe
SS
Sommersemester
ThHStAW
Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar
ThULB, HSA
Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek, Handschriftenabteilung
UAJ
Universitätsarchiv Jena
WS
Wintersemester
WZ
Wissenschaftliche Zeitschrift
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Personenregister
A Abbas, Ali (um 950) 239 Abbe, Ernst (1840–1905) 33 Abt, Heinrich Friedrich (gest. 1792) 126 Agardh, Carl Adolph (1785–1859) 304 Altenstein, Karl Sigismund Franz vom Stein zum (1770–1840) 143 Ampère, André-Marie (1775–1836) 168, 178 Anna Amalia, Herzogin von SachsenWeimar-Eisenach (1739–1807) 47, 123f, 128, 129 Andrä (Pastor in Thalbürgel bei Eisenberg/Thür.) 281 Apelbald, Jonas (1717–1786) 105 Aristoteles (384–322 v. Chr.) 190 Arndt, Ernst Moritz (1769–1860) 20 Artus, Willibald (1809–1880) 315 Ast, Friedrich (1778–1841) 315 Augusta, Prinzessin von Sachsen-WeimarEisenach (1811–1890) 13 Augustin, Christian Friedrich Bernhard (1771–1856) 97, 117 Autenrieth, Johann Heinrich Ferdinand (1772–1835) 143
B Bach, Thomas (geb. 1965) 10 Bahrdt, Karl Friedrich (1741–1792) 104, 119 Baldinger, Ernst Gottfried (1738–1804) 238, 240, 297 Bärens, Johann Georg (Göttinger Lokalschriftsteller) 97f, 108 Bartholomé, Klaus (Kanzler der Universität Jena) 10 Batsch, August Johann Georg Karl (1728– 1802) 228, 238, 298–301, 303–305 Bauer, Joachim (geb. 1955) 10, 85 Baum, Ernst August (Weimarer Bibliotheksschreiber), 262 Beitzke, Heinrich (1798–1867), 13
Bell, Charles (1774–1842) 179 Bernard, Claude (1813–1878) 168 Bernhard, Prinz von Sachsen-WeimarEisenach (1792–1862) 18, 43 Bernstein, Johann Gottlob (1747–1835) 230f. Bertuch, Friedrich Justin (1747–1822) 69, 169, 302 Bichat, Marie François Xavier (1771–1802) 179 Bierbach, Johann Adam (sachsenweimarischer Amtschirurg) 134 Birnbaum, Johann Carl (1763–1832) 133 Bismarck, Otto Eduard Leopold Fürst von (1815–1898) 32–34 Blanke, Horst Walter (Bielefelder Historiker) 308 Blankenmeister (Dr. med. in Jena) 281 Blänkner, Reinhard (geb. 1951) 35 Blasius, Dirk (geb. 1941) 138, 143 Blumenbach, Johann Friedrich (1752–1840) 109f, 112, 119 Boehlendorff, Casimir Ulrich Karl (1771– 1825) 37 Böhmer, Georg Ludwig (1715–1797) 101 Bollenbeck, Georg (geb. 1947) 184f Bonaparte, Jérôme (1784–1860) 170 Bonaparte, Napoleon I. (siehe Napoleon Bonaparte) Bornhak, Conrad (1861–1944) 77f, 84 Brechtel, Johann Jakob (1772–1799) 37 Brehm, Alfred Edmund (1829–1884) 174f Breidbach, Olaf (geb. 1957) 10, 308, 317 Bretschneider, Friedrich Ferdinand (1758– 1802) 232, 248 Broca, Paul (1824–1880) 168 Brown, John (1735 oder 1736–1788) 239, 244, 247 Brückner (Weimarer Barbiergeselle) 134f Brys, Jenny (geb. 1979) 10 Buchholz , Wilhelm Heinrich Sebastian (1734–1798) 123f, 126 Buffon, Georges-Louis Leclerc de (1707– 1788) 169
358
Personenregister
Bulling, Karl (1885–1972) 272, 274f, 280
E
C
Eckardt, Johann Gottlieb Wilhelm von (1769–1800) 248 Eckardt, Johann Ludwig von (1737–1827) 58 Eckart, Wolfgang U. (geb. 1952) 239 Eichendorff, Joseph von (1788–1857) 111 Eichhorn, Johann Gottfried (1752–1827) 56 Eichhorn, Karl Friedrich (1781–1854) 219, 223 Eichstädt, Heinrich Karl Abraham (1772– 1848) 70f, 88, 259, 262, 315 Enders (Chirurg in Geisa/Rhön) 135 Engelbrecht, Paul Christoph (Lehrer, Publizist), 313 Enskat, Rainer (geb. 1943) 190 Ernesti, Johann August (1707–1781) 239 Ernst August, Herzog von SachsenWeimar(-Eisenach) (1688–1748) 18, 133 Ernst August C(K)onstantin, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach (1737– 1758) 122, 133 Ersch, Johann Samuel (1766–1828) 169 Esenbeck, siehe Nees von Esenbeck Eulenstein (auch Eylenstein), vermutl. Johann Friedrich (Arzt an der Jenaer Irrenklinik) 152 Eyrich, Johann Christoph (Arzt in Ilmenau) 128
Candolle, Augustin-Pyramus de (1778– 1841) 304 Canin, Jacobus (Chirurg in Napoleons Armee), 72 Carl August, (Groß-)Herzog von SachsenWeimar-Eisenach (1757–1828) 18f, 24, 56, 60, 72, 88, 126, 129, 132, 138, 144, 146, 153, 155, 157f, 228, 245, 254, 300, 302, 305 Carl Friedrich, Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach (1783–1853) 27 Carus, Carl Gustav (1789–1869) 181 Castell, Robert (geb. 1933) 137 Charlotte, Herzogin von SachsenHildburghausen (1787–1847) 153 Cobb, James Denis (US-amerikanischer Historiker) 80 Conta, Karl Friedrich Christian Anton (1778–1850) 88, 271 Conradi (Konditor in Göttingen) 102 Cotta, Johann Friedrich (1764–1832) 66 Croneberg, Andreas Johannes (geb. 1787) 228 Cuvier, Georges Léopold de (1769–1832) 167–169, 174, 176
D Dahlmann, Friedrich Christoph (1785–1860) 28 Danz, Johann Traugott Leberecht (1769– 1851) 265 Darwin, Charles (1809–1882) 175, 182 Dennstedt, (Weimarer Barbiergeselle) 132 De Wette, Wilhelm Martin Leberecht (1780–1849) 219 Dicke, Klaus (geb. 1953) 10 Döbereiner, Johann Wolfgang (1780–1849) 171, 228, 319 Döring, Heinrich (1789–1862) 315 Droysen, Johann Gustav (1838–1887) 31,33 DuBois-Reymond, Emil (1818–1896) 177 Düding, Dieter (geb. 1940) 42 Düring, Carl von (Jenaer Student) 101 Dürre, Eduard (1796–1879) 40
F Färber, Johann David (Jenaer Schloßvogt, dann Bibliotheksschreiber) (gest. 1814) 267 Färber, Johann Michael Christoph (1778– 1844) 267 Fichte, Johann Gottlieb (1762–1814) 7, 37f, 54f, 64–67, 183f, 187–194, 215f, 218, 221, 237, 287, 290, 292, 317 Fiedler (Arzt in Jena) 281 Fischer, Christian Ernst (1772–1850) 230 Flammarion, Camille (1842–1925) 175 Flourens, Pierre (1794–1867) 168 Flügge, Johannes (1775–1816) 301 Fogarasi, Sámuel (Göttinger Student) (geb. 1770) 105, 108, 116 Follen, Karl (1796–1840) 41 Forberg, Friedrich Karl (1770–1848) 64–66
Personenregister Foucault, Michel (1926–1984) 137f, 140, 144 Friedrich II. der Große, preußischer König (1712–1786) 142 Friedrich Wilhelm II., preußischer König (1744–1797) 7, 225 Friedrich Wilhelm III., preußischer König (1770–1840) 143, 245 Friedrich Wilhelm IV., preußischer König (1795–1861) 28 Fries, Jakob Friedrich (1773–1843) 9, 19f, 23f, 47f, 164, 182 Fritsch, Jakob Friedrich von (1731–1814) 251 Frommann, Karl Friedrich Ernst (1765– 1837) 38 Froriep, Ludwig Friedrich von (1779–1828) 127f, 133, 148 Fuchs, Georg Friedrich Christian (1760– 1813) 152, 248 Füssel, Marian (geb. 1953) 9
G Gabler, Friedrich (Jenaer Bibliotheksregistrator) 270 Gabler, Georg Andreas (1786–1853) 221, 223 Gabler, Johann Philipp (1753–1826) 71, 221, 223, 269, 280 Gagern, Heinrich von (1799–1880) 30 Gall, Franz Joseph (1758–1828) 111, 153, 166, 168 Gatterer, Johann Christoph (1727–1799) 101 Gauss, Carl Friedrich (1777–1855) 176 Gedike, Friedrich (1754–1803) 7, 99, 102f, 108, 225 Gehler, Johann Samuel Traugott (1751– 1795) 310 Gerber, Stefan (geb. 1975) 9 Gerhard, Dietrich (1896–1985) 77 Gersdorff, Ernst Christian August von (1781–1852) 18 Gerstenbergk, Johann Laurentius, Julius (Jenaer Mathematiker) (gest. 1813) 314f Göbel, Carl Christoph Friedmann Traugott (1794–1851) 228 Goethe, Johann Wolfgang von (1749–1832) 7–9, 23, 38, 60, 63f, 67, 70, 87–91, 111, 139, 149–151, 157, 163–165, 174, 180,
359
202f, 213, 222, 245, 253, 260–262, 267, 269f, 272, 274, 276f, 280–282, 298, 300, 302–305 Goldhagen, Johann Friedrich (1742–1788) 107, 112 Göttling, Carl Wilhelm (1793–1869) 274– 276 Göttling, Johann Friedrich August (1755– 1809) 228, 236 Grätzel, Johann Heinrich (1691–1770) 98, 108 Graumüller, Johann Christian Friedrich (1770–1825) 319 Greiling, Werner (geb. 1954) 9 Greyerz, Gottlieb von (1778–1855) 101, 106f, 110 Gries, Johann Diederich (1775–1842) 37 Griesbach, Johann Jakob (1745–1812) 38, 53, 56, 58, 69, 221, 271 Grimm, Jakob (1785–1863) 118 Gruber, Johann Gottfried (1774–1851) 169 Gruber (Jenaer Medizinstudent) 268 Gruner, Christian Gottfried (1744–1815) 56, 145, 225, 228, 233–235, 237–246, 248– 252, 255–257 Gruner, Ludwig Gottlieb Friedrich (Oberkonsistorialrat und Amtmann in Jena) 145 Güldenapfel, Georg Gottlieb (Georgius Theophilus) (1776–1826) 259, 262, 265, 270–272, 280, 315, 318
H Habermas, Jürgen (geb. 1927) 36, 45, 55 Haeckel, Ernst (1834–1919) 34, 182 Hall, Marshall (1790–1857) 179 Hahn, Hans-Werner (geb. 1949) 9 Hallbauer, Friedrich Johann Christian (1736–1794) 233, 238 Hammerstein, Notker (geb. 1930) 10 Hand, Ferdinand Gotthelf (1786–1854) 29 Hardenberg, Karl August von (1750–1822) 142f Hardtwig, Wolfgang (geb. 1944) 39 Harsein (auch Harseim) (Pastor in Bürgel bei Eisenberg/Thür.) 276, 281 Hartung, Fritz (1883–1967) 70, 82, 138 Hasäus, Johann Carl (sachsen-weimarischer Chirurg) 134 Hase, Karl (1800–1890) 25
360
Personenregister
Hasse, Johann Christian (1779–1830) 223, 259f, 263, 282 Heeren, Hermann Ludwig (1760–1842) 111f Hegel, Georg Wilhelm Friedrich (1770– 1831) 7, 13, 163, 166, 188, 190, 220f, 223, 317 Heinrich, Christoph Gottlob (1748–1810) 223 Heinrich,(Arzt in Allstedt) 125 Heinzmann, Johann Georg (1757–1802) 97, 104 Hellbach, Marianne Elisabeth Christiane (Kapitelgeberin der Jenaer Irrenanstalt) 148–150 Hellfeld, Christian August Friedrich von (1757–1840) 233, 248 Hellfeld, Johann August von (1717–1782) 56 Helmershausen, Paul Johann Friedrich (1734–1820) 124,126 Helmholtz, Hermann von (1821–1894) 177 Herbart, Johann Friedrich (1776–1841) 283, 286, 290, 292 Herder, Johann Gottfried (1744–1803) 91, 180, 280, 283 Hermes, Johann August (1736–1822) 113 Herold(t), Johann Christoph (gest. 1798) 133 Herzlieb, Christiane Friederike Wilhelmine (gen. Minchen) (1789–1865) 38 Heun, Carl Gottlieb Samuel (Pseudonym Heinrich Clauren) (1771–1854) 56, 96, 102, 106 Heusinger, Johann Gottlieb (1766–1837) 269f, 286 Heyne, Christian Gottlob (1729–1812) 109, 116, 199, 204 Hildebrand, Bruno (1812–1878) 31, 33 Hilmer, Gottlob Friedrich (1756–1835) 113 Himly, Karl Gustav (1772–1837) 230, 232 Hoff, Carl Ernst Adolph von (1771–1837) 88 Hoffmann, Friedrich (1660–1742) 235f Hufeland, Christian Gottlieb (gest. 1791) 124, 129 Hufeland, Christoph Wilhelm (1762–1836) 145, 146, 222, 227, 230f, 235, 245–248, 254, 256f Hufeland, Friedrich Gottlob (1774–1839) 219, 222 Hufeland, Friedrich Wilhelm (Weimarer Hofmedicus) 130
Hufeland, Gottlieb (1760–1817) 8, 58, 69 Hufeland, Johann Friedrich (1730–1787) 123–126, 129, 222, 241, 245 Hugo, Gustav (1764–1844) 204 Humboldt, Wilhelm von (1767–1835) 10, 36, 80f, 88, 165, 167, 184, 186, 188, 201, 207, 215, 217f Humboldt, Alexander von (1769–1859) 175, 178 Huschke, Johann Friedrich Karl (1796– 1883) 130 Huschke, Wilhelm Ernst Christian (1760– 1828) 127, 130
I Ibn Sina (980–1037) 239
J Jacob, Ludwig Heinrich (1759–1821) 104 Jacobi (Weimarer Garnisons-Medicus) 123 Jäger, G. (Publizist) 313 Jahn, Friedrich Ludwig (1778–1852) 20, 27, 39f, 45 Johann Friedrich I. der Großmütige, Kurfürst von Sachsen (1503–1554) 260 Jussieu, Antoine-Laurent de (1747–1836) 303f
K Kahl, Wolfgang (geb. 1965) 75 Kaltschmid, Karl Friedrich (1706–1769) 236 Kant, Immanuel (1724–1804) 37, 65, 69, 175, 177, 257, 283, 286f, 289–294, 310, 312, 315 Kaufmann, Doris (geb. 1953) 140 Kessler, August Eduard (1784–1806) 228 Kieser, Dietrich Georg von (1779–1862) 27, 29, 39, 44, 223, 233, 280 Kilian, Konrad Joseph (1771–1811) 232, 248, 252 Kirmß, Carl (1741–1821) 63 Kirschleger, Frédéric (1804–1869) 304 Kirsten, Johann Friedrich Ernst (1768–1820) 314 Klapproth, Martin Heinrich (1743–1817) 101 Kluge, Alexander (geb. 1932) 77f, 84 Kluge, Friedrich (1856–1926) 308 Knebel, Karl Ludwig von (1744–1834) 300
Personenregister
361
Koch, Karl (1809–1879) 313 Körner, Christian Gottfried (1756–1831) 53, 82 Körner, Friedrich Johann Christian (1778– 1847) 281 Koerrenz, Ralf (geb. 1963) 10 Koselleck, Reinhard (1923–2006) 36, 201 Kotzebue, August von (1761–1819) 19, 24, 41, 91, 150 Kretschmer, Eduard Ernst (Publizist) 314 Kublik, Steffen (geb.1961) (9), (10), 84–86
Luden, Heinrich (1778–1847) (9), 16, 20– 25, 27, 38f, 44, 47, 50, 164 Ludwig I., Großherzog von HessenDarmstadt (1753–1830) 17 Luise Auguste Wilhelmine Amalie, Königin von Preußen (1776–1810) 153 Lulman, Herman (Naturwissenschaftler um 1700) 308f Luther, Martin (1483–1546) 45
L
Maas(s), Johann Gebhard Ehrenreich (1766– 1810) 114f Magendie, François (1783–1855) 168 Marezoll, Johann Gottlob (1761–1828) 42 Marheineke, Conrad Philipp (1780–1846) 220f Martens, Franz Heinrich (1778–1805) 228, 233f Martin, Eduard (Jenaer Student) 315 Marwinski, Felicitas (Jenaer Historikerin) 37 Maßmann, Hans Ferdinand (1797–1874) 40 Max, Prinz von Wied zu Neuwied (Prinz zu Wied) (1782–1867) 175 Mayer, Christian Gottlieb (1746–1773) 233 Mayer, Julius Robert (1814–1878) 176 McClelland, Charles (geb. 1917) 207 Meckel, Johann Friedrich (1724–1774) 107 Meckel, Philipp Friedrich (1756–1803) 107 Meiners, Christoph (1747–1810) 109, 117, 119 Meister, Georg Jakob Friedrich (1755–1832) 101 Mendelejew, Dmitri Iwanowitsch (1834– 1907) 181 Mendelsohn, Moses (1729–1786) 199 Menz, Georg (1870–1943) 82 Merck, Johann Heinrich (1741–1791) 172 Mereau, Friedrich Karl Ernst (1761–1825) 261 Mesmer, Franz Anton (1734–1815) 168 Metternich, Clemens Wenzel Lothar, Fürst von (1773–1859) 24, 27f, 45 Meyer, Christian Ludwig (Arzt in Jena) 280 Michaelis, Johann David (1717–1791) 116 Miquel, Frédéric Anton (1811–1871) 304 Moraw, Peter (geb. 1935) 36, 80 Moritz, Karl Philipp (1756–1793) 99, 103, 105, 139
Lagrange, Joseph Louis (1736–1813) 167 Lang, Gisela (Universität Erlangen) 267 Langemann, Johann Gottfried (1786–1832) 142 Laplace, Pierre-Simon (1749–1827) 167, 177 Larrey, Jean Dominique (1766–1842) 72 Laukhard, Friedrich Christian (1757–1822) 55, 99–103, 106 Lavoisier, Antoine Laurent de (1743–1794) 165 Leclerc, Ferdinand (Chirurg bei der Armee Napoleons) 72 Ledermüller, Martin Frobenius (1719–1769) 175 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) 195f, 235, 237 Lemarquant, Jean Baptiste Louis de (geb. 1761), 72 Lenz, Johann Georg (1745–1832) 315, 319 Lenz, Max (1850–1932) 208, 221 Leutenberger, Hermann (geb. 1886) 226 Leveaux (Gastwirt in Halle) 114 Lichtenberg, Georg Christoph (1742–1799) 111, 245 Lichtenstein, Martin Heinrich Karl (1780– 1857) 222 Liebig, Justus von (1803–1873)171f Lindenau, Bernhard August von (1779– 1854) 27 Linné, Carl de (1707–1778) 304 List, Friedrich (1789–1846) 28 Locke, John (1632–1704) 242 Loder, Justus Christian (1753–1832) 7f, 56, 132, 134, 145f, 148f, 152, 170, 222, 225–235, 240–243, 245, 248–257 Loening, Richard (1848–1913) 84
M
362
Personenregister
Motz, Philipp Wilhelm von (1766–1846) 25, 88, 92, 164 Mulder, Geritt Jan (1802–1880) 314 Müller, Friedrich Gottlieb (gest. 1804) 123f, 133 Müller, Gerhard (geb. 1953) 9f, 62, 85, 87– 99, 232 Müller, Johannes von (1752–1809) 177, 179f Münchhausen, Gerlach Adolph, Freiherr von (1688–1770) 78 Murray, Johann Andreas (1740–1791) 240 Muspratt, James Sheridan (1821–1871), 114, 163, 167f, 241
N Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich (1769–1821) 8, 13f, 20f, 23, 42f, 45, 59, 71f Neander, August (1789–1850) 221 Nees von Esenbeck, Christian Gottfried (1776–1858), 181, 304 Neubauer, Johann Ernst (1742–1777) 241, 243, 255 Neuber (Gymnasiallehrer in Wertheim) 313 Neuper, Horst (geb. 1967) 10, 221 Nicolai, Ernst Anton (1722–1802) 225, 227, 232–238, 241, 243, 246, 248f Nicolai, Friedrich (1733–1811) 56 Niebuhr, Carsten (1733–1815) 109 Niemeyer, August Hermann (1754–1828) 113 Niethammer, Friedrich Immanuel (1766– 1848) 37, 64f, 283, 286f, 289–295 Nipperdey, Thomas (1929–1992) 36 Nösselt, Johann August (1734–1807) 113
O Oestreich, Gerhard (1910–1978) 77 Oken, Lorenz (1779–1851) 9, 16, 19, 20, 22–24, 28, 47, 164, 168f, 173f, 180f, 228, 313, 319 Ørsted, Hans Christian (1777–1851) 168, 178 Osann, Emil (1787–1842) 219, 222f Osann, Friedrich Gotthilf (1794–1858) 223 Osann, Gottfried Wilhelm (1796–1866) 223 Owen, Richard (1804–1892) 168, 181
P Paletschek, Sylvia (geb. 1957) 81, 207 Palmerston, Lord Henry John Temple (1784–1865) 27 Paul, Jean (Johann Paul Friedrich Richter) (1763–1825), 169 Paulsen, Johann Christoph Jakob (1768– 1808) 147 Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob (1761– 1851) (8), 221, 315 Peabody, Francis Greenwoon (1847–1936) 208 Pfefferkorn, Justinus (= Georg Friedrich Rebmann ) 57 Polianski, Igor (geb. 1969) 300 Porthan, Henrik Gabriel (1739–1804) 105 Pütter, Johann Stephan (1725–1807) 98, 101, 104, 106, 111, 115, 119
R Raffeneau-Delile, Alire (1778–1850) 305 Rasche, Ulrich (geb. 1963) 226, 308, 317 Rebmann, Andreas Georg Friedrich (1768– 1824) 57f, 60f, 113, 225 Regenspurger, Katja (geb. 1971) 227 Reichenbach, Heinrich Gottlieb Ludwig (1793–1879) 304 Reil, Johann Christian (1759–1813) 142, 247 Reinhard, Wolfgang (geb. 1937) 46 Reinhold, Karl Leonhard (1758–1823) 58, 67 Renner, Theobald (1779–1850) 234 Richard, Louis-Claude (1754–1821) 304 Richter, August Gottlieb (1742–1812) 240 Riemann, Heinrich Hermann (1793–1872) 22 Ries, Klaus (geb. 1957) 9, 91 Rinck, Christoph Friedrich (1757–1821) 103f, 107 Ritter, Johann Wilhelm (1776–1810) 168, 178f Robin, Nicolas (geb. 1977) 10 Rolfinck, Werner (1599–1673) 298 Rosenkranz, Karl (1805–1879) 112 Rösl von Rosenhof, August Johann (1705– 1759) 175 Rothman, David J. (geb. 1959) 137 Rousseau, Jean-Jaques (1712–1778) 41, 190, 286–289
Personenregister Rudolphi, Karl Asmund (1771–1832) 222 Rüegg, Walter (geb. 1918) 7 Ruiz, Alain (geb. 1938) 37 Runde, Christian Gottlieb August (1778– 1835) 114f
S Sand, C (K)arl Ludwig (1795–1820) 19, 41, 91, 222 Sandkaulen, Birgit (geb. 1959) 10 Scheidemantel, Heinrich Gottlieb (1739– 1788) 314 Scheidler, Karl Hermann (1795–1877) 29 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph (1775– 1854) 7f, 13, 166, 188, 190, 218, 242, 245, 257, 316f Schelver, Franz Joseph (1778–1832) 300, 304, 316f Schenk, Johann Heinrich Christoph (1732– 1798) 238 Schenk, Johann Theodor (1619–1671) 298 Scherer, Alexander Nicolaus von (1771– 1824) 228 Scherf(f), Johann Friedrich (Arzt in Ilmenau) 129 Scheuchzer, Johann Jakob (1672–1733) 308f Schiller, Friedrich (1759–1805) 15, 53–55, 58, 63, 82, 197, 221f, 280, 286, 291 Schleiden, Matthias Jacob (1804–1881) 166, 180–182, 313, 315 Schleiermacher, Friedrich (1768–1834) 188, 201, 205, 218, 221 Schmalz, Theodor Anton Heinrich (1760– 1831) 199f Schmeelke, Hinrich Wilhelm (Göttinger Student, Neffe von Carsten Niebuhr) 109 Schmid, Christian Wilhelm (1783–1807) 230 Schmidt, Wilhelm Adolf (1812–1887) 31, 33 Schönwalter (Weimarer Hofchirurg) 131, 133 Schröter, Johann Samuel (1735–1808) 300 Schröter, Johannes (1513–1593) 298 Schuckmann, Friedrich (1755–1834) 215 Schulenburg, Johann Christian (1668–1834) 308 Schüler, Gottlieb Christian (1798–1874) 30, 313
363
Schultes, Joseph August (1773–1831) 301 Schulz, Franziska (geb. 1981) 10 Schulze, Friedrich Gottlob (1795–1860) 28f Schulze, Hagen (geb. 1943) 21 Schumpeter, Joseph (1883–1950) 210, 212 Schütz, Christian Gottfried (1747–1832) 8, 69f, 115, 314, 318 Schwabe, Friedrich Wilhelm (1780–1844) 128 Schweitzer, Christian Wilhelm (1781–1856) 43f Schwinges, Rainer Christoph (geb. 1943) 35 Seckendorff, Veit Ludwig von (1626–1692) 78 Seebeck, Moritz (1805–1884) 82, 88 Seifert, Kevin (geb. 1980) 10 Seyffer, Karl Felix von (1762–1822) 11 Slegel, Paul Marquart (1605–1653) 298 Snell, Karl (1806–1886) 32, 313 Soemmering, Samuel Thomas (1755–1830) 169, 240 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand (1780– 1819) 221 Speitkamp, Winfried (geb. 1958) 86 Staël, Anne Louis Germaine de (1766–1817) 59 Stark (auch Starke) d.Ä., Johann Christian (1753–1811) 47, 56, 134, 145f, 149, 152, 225, 232–235, 243–246, 248–250, 252–254, 256f Stark d.J., Johann Christian (1769–1837) 127, 152, 154–156, 233f Steffens, Henrich (auch Henrik) (1773– 1845) 58f, 218, 221, 242 Steiger, Günter (1925–1987) 59 Stickel, Johann Gustav (1805–1896) 88 Stock, Johann Christian (1707–1758) 236 Suckow, Gustav (1803–1867) 315 Suckow (auch Succow), Lorenz Johann Daniel (1722–1801) 56, 228 Suckow, Wilhelm C(K)arl Friedrich (1770– 1848) 152, 233f, 248, 313, 315 Superville, Daniel von (1698–1773) 78 Sybel, Heinrich Ludolf von (1817–1895) 33
T Teubner, Johann Carl Friedrich (Depositor der Universität Jena) 268 Thomasius, Christian (1655–1728) 95, 104, 198, 200
364
Personenregister
Timler, Christian Lorenz Moritz (1763– 1826) 274 Trapp, Ernst Christian (1745–1818) 283 Trautmann, Heinrich Gottfried (1794–1839) 128 Treitschke, Heinrich von (1834–1896) 33, 87 Treuge, Ernst Michael (Hallenser Student) 114 Truhart, Anton (1726–1784) 314 Tümmler, Hans (1906–1996) 67, 70 Türk, Daniel Gottlob (1750–1813) 114
U Ulrich, Johann August Heinrich (1746– 1813) 62, 314f
V Valenti, Ernst Joseph Gustav (1794–1871) 270 Venedey, Jacob (1805–1871) 13f, 32 Ventzke, Marcus (geb. 1970) 122 Verne, Jules (1828–1905) 175 Villain, Joseph François (frz. Besatzungsbeamter in Sachsen) 71 Villemancy, Jaques Pierre de (1751–1830) 72 Villers, Charles (1765–1815) 170 Vogel, Georg Wilhelm (Jenaer Bürgermeister) 146–149, 152, 154 Vogel, Karl (1798–1864) 128 Voigt, Christian Gottlob (1743–1819) 7, 62f, 67, 70, 88, 251, 260 Voigt, Friedrich Siegmund (1781–1850) 299, 303f, 313, 315, 319 Voigt, Johann Heinrich (1751–1823) 164 Voltaire (François Marie Arouet) (1694– 1778) 167 vom Bruch, Rüdiger (geb. 1944) 10, 50, 81 Voß, Caroline von (Patientin der Jenaer Irrenklinik) 151 Vulpius, Christian August (1762–1827) 265, 267, 276
W Wackenroder, Heinrich Wilhelm Ferdinand (1773–1798) 315 Wagner, Frank (geb. 1975) 10 Walch, Friedrich August (1780–1837) 233
Walch, Johann Ernst Immanuel (1725–1778) 56, 315f, 318 Wallentin, Stefan (geb. 1977) 10, 83–87 Wangenheim, Karl August Freiherr von (1773–1850) 28, 142f Weber, Carl Martin (Arzt in Jena) 122f Wehler, Hans-Ulrich (geb. 1931) 138 Weiss, Christian Samuel (1780–1856) 181 Weller, Christian Ernst Friedrich (1789– 1854) 262, 265, 267, 270, 273, 280 Wesselhöft, Wilhelm (1794–1858) 48 Wieland, Christoph Martin (1733–1813) 220, 280 Wießner, Heinz (geb. 1928) 81 Wilhelm I., Deutscher Kaiser (= Prinz Wilhelm von Preußen) (1797–1888) 13 Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar (1598–1662) 298 Wilhelm Heinrich, Herzog von SachsenEisenach (1691–1741) 84 Wilke, Jürgen (geb. 1943) 51 Wilken, Friedrich (1777–1840) 220 Wilson, W. Daniel (geb. 1950) 15, 62f Wirth, Johann Georg August (1798–1848) 26 Wolf, Friedrich August (1759–1824) 204 Wolff, Christian (1679–1754) 104, 200, 235, 237, 308f Woltmann, Karl Ludwig von (1770–1817) 37 Wrisberg, Heinrich August (1739–1808) 240
Z Zachariä, Justus Friedrich Wilhelm (1726– 1777) 58 Zedler, Johann Heinrich (1706–1751) 310 Ziche, Paul (geb. 1967) 308, 311f, 318 Ziegesar, Anton von (1783–1843) 25, 38 Ziegesar, August Friedrich Carl von (1746– 1813) 38, 87 Zimmermann, Susanne (geb. 1951) 10, 227
Publikationen des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“
2010 Olaf Breidbach, Peter Heering, Matthias Müller, Heiko Weber (Hrsg.), Experimentelle Wissenschaftsgeschichte (Laboratorium Aufklärung, 3), München 2010. Werner Greiling, Franziska Schulz (Hrsg.): Vom Autor zum Publikum. Kommunikation und Ideenzirkulation um 1800. Bremen 2010. Friedemann Pestel: Weimar als Exil. Erfahrungsräume französischer Revolutionsemigranten 1792–1803 (TRANSFER – Deutsch-Französische Kulturbibliothek, 28). Leipzig 2010. 2009 Stefan Blechschmidt: Goethes lebendiges Archiv. Mensch – Morphologie – Geschichte. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 25). Heidelberg 2009. Cornelia Brockmann: Instrumentalmusik in Weimar-Jena um 1800. Aufführungskontexte – Repertoire – Eigenkompositionen. (Musik und Theater, 7). Sinzig 2009. Stefanie Freyer, Katrin Horn, Nicole Grochowina (Hrsg.): FrauenGestalten. Weimar-Jena um 1800. Ein bio-bibliographisches Lexikon. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 22). Heidelberg 2009. Nicole Grochowina: Das Eigentum der Frauen. Konflikte vor dem Jenaer Schöppenstuhl im ausgehenden 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2009. Steffen Kublik: Die Universität Jena und die Wissenschaftspolitik der ernestinischen Höfe um 1800. (Geschichtswissenschaft, 6). Marburg 2009. Sabine Schimma, Joseph Vogl (Hrsg.): Versuchsanordnungen 1800. Zürich 2009. Stefan Wallentin: Fürstliche Normen und akademische »Observanzen«. Die Verfassung der Universität Jena 1630–1730. Köln 2009. Harald Wentzlaff-Eggebert: Weimars Mann in Leipzig. Johann Georg Keil (1781–1857) und sein Anteil am kulturellen Leben der Epoche. Eine dokumentierte Rekonstruktion. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 26). Heidelberg 2009. Temilo van Zantwijk: Heuristik und Wahrscheinlichkeit in der logischen Methodenlehre. Paderborn 2009. 2008 Thomas Bach, Jonas Maatsch, Ulrich Rasche (Hrsg.): ‚Gelehrte‘ Wissenschaft. Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800. (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 26). Stuttgart 2008. Barbara Becker-Cantarino: Meine Liebe zu Büchern. Sophie von La Roche als professionelle Schriftstellerin. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 20). Heidelberg 2008. Stefan Blechschmidt: Homunculus. Ein Antikosmos auf evolutionärer Reise. Saarbrücken 2008.
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Publikationen des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“
Edoardo Costadura (Hrsg.): Frankreich oder Italien? Konkurrierende Paradigmen des Kulturaustausches in Weimar und Jena um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 21). Heidelberg 2008. Julia Di Bartolo: Selbstbestimmtes Leben um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer und Henriette von Egloffstein in Weimar-Jena. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 17). Heidelberg 2008. Lothar Ehrlich, Georg Schmidt (Hrsg.): Ereignis Weimar-Jena. Gesellschaft und Kultur um 1800 im internationalen Kontext. Köln, Weimar, Wien 2008. Jochen Golz, Manfred Koltes (Hrsg.): Autoren und Redaktoren als Editoren. (Beihefte zu editio, hrsg. von Winfried Woesler, 29). Tübingen 2008. Ernst-Gerhard Güse, Stefan Blechschmidt, Helmut Hühn, Jochen Klauß (Hrsg.): „Eine unbeschreibliche, fast magische Anziehungskraft“. Goethes „Wahlverwandtschaften“. Ausstellungskatalog. Weimar 2008. Hans-Werner Hahn, Andreas Klinger, Georg Schmidt (Hrsg.): Das Jahr 1806 im europäischen Kontext. Balance, Hegemonie und politische Kulturen. Köln, Weimar 2008. Katharina von Hammerstein, Katrin Horn (Hrsg.): Sophie Mereau. Verbindungslinien in Zeit und Raum. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 19). Heidelberg 2008. Jutta Heinz (Hrsg.): Wieland Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart, Weimar 2008. Gerhard R. Kaiser, Olaf Müller (Hrsg.): Germaine de Staël und ihr erstes deutsches Publikum. Literaturpolitik und Kulturtransfer um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 18). Heidelberg 2008. Andre Karliczek: Emil Huschke (1797–1858). Jenaer Anatom und Physiologe. Jena 2008. Marko Kreutzmann: Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-WeimarEisenach 1770 bis 1830. Köln, Weimar, Wien 2008. Jonas Maatsch: „Naturgeschichte der Philosopheme“. Frühromantische Wissensordnungen im Kontext. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 24). Heidelberg 2008. Nicolas Robin (Hrsg.): Designing Botanical Gardens: Science, Culture and Sociability. Studies in the History of Gardens & Designed Landscapes. Special Issue. Volume 28, Number 3–4 (2008). Susanne Zimmermann, Horst Neuper (Hrsg.): Professoren und Dozenten der Medizinischen Fakultät Jena und ihre Lehrveranstaltungen zwischen 1770 und 1820. Jena 2008. 2007 Thomas Bach, Olaf Breidbach, Dietrich von Engelhardt (Hrsg.): Lorenz Oken – Gesammelte Werke. Gesamtwerk in vier Bänden. Weimar 2007. Stefan Blechschmidt, Andrea Heinz (Hrsg.): Dilettantismus um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 16). Heidelberg 2007. Johannes Grave, Hubert Locher, Reinhard Wegner (Hrsg.): Der Körper der Kunst. Konstruktionen der Totalität im Kunstdiskurs um 1800. Göttingen 2007 (Ästhetik um 1800, Band 5). Wiebke von Häfen: Ludwig Friedrich Froriep (1779–1847). Ein Weimarer Verleger zwischen Ämtern, Geschäften und Politik. Köln, Weimar 2007. Klassik Stiftung Weimar, Sonderforschungsbereich 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“ (Hrsg.): Ereignis Weimar. Anna Amalia, Carl August und das Entstehen der Klassik 1757– 1807. Ausstellungskatalog. Weimar 2007.
Publikationen des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“
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Mark Napierala: Archive der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung und das Athenaeum. (Jenaer germanistische Forschungen N.F., 22). Heidelberg 2007. Klaus Ries: Wort und Tat. Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert. (Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, 20). Stuttgart 2007. Klaus Ries (Hrsg.): Zwischen Hof und Stadt. Aspekte der kultur- und sozialgeschichtlichen Entwicklung der Residenzstadt Weimar um 1800. Weimar 2007. 2006 Ralf Beuthan (Hrsg.): Geschichtlichkeit der Vernunft beim Jenaer Hegel. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 9). Heidelberg 2006. Brady Bowman, Klaus Vieweg (Hrsg.): Die freie Seite der Philosophie. Skeptizismus in Hegelscher Perspektive. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie 2005, 10). Würzburg 2006. Olaf Breidbach: Goethes Metamorphosenlehre. München 2006. Gerd Breitfelder: Johann Carl Wilhelm Voigt – seine wissenschaftliche Anschauung, Kommunikation und Kooperation als Mineraloge des Herzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Aachen 2006. Johannes Grave: Der „ideale Kunstkörper“. Johann Wolfgang Goethe als Sammler von Druckgraphiken und Zeichnungen. (Ästhetik um 1800, 4). Göttingen 2006. Jutta Heinz: Narrative Kulturkonzepte. Wielands Aristipp und Goethes Wilhelm Meisters Wanderjahre. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 13). Heidelberg 2006. Klaus Manger (Hrsg.), Nikolas Immer (Mitarb.): Der ganze Schiller – Programm ästhetischer Erziehung. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 15). Heidelberg 2006. Klaus Manger, Ute Pott (Hrsg.): Rituale der Freundschaft. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 7). Heidelberg 2006. Klaus Manger: Wielands Erfindung Weimars. (Oßmannstedter Blätter, 1). Jena 2006. Katharina Middell: „Dann wird es wieder ein Popanz für Otto.“ Das Weimarer Landes-IndustrieComptoir im Übergang zum Familienunternehmen (1800–1830). Leipzig 2006. Gerhard Müller: Vom Regieren zum Gestalten. Goethe und die Universität Jena. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 6). Heidelberg 2006. Beate Schmidt: Musik zu Goethes Faust. Dramaturgie, Rezeption und Aufführungspraxis. (Musik und Theater, 5). Sinzig 2006. Julia A. Schmidt-Funke: Karl August Böttiger (1760–1835). Weltmann und Gelehrter. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 14). Heidelberg 2006. Axel Schröter: Musik zu den Schauspielen August von Kotzebues unter besonderer Berücksichtigung der unter Goethes Leitung in Weimar aufgeführten Bühnenwerke. (Musik und Theater, 4). Sinzig 2006. 2005 Thomas Bach, Olaf Breidbach (Hrsg.): Naturphilosophie nach Schelling. (Schellingiana, 17). Stuttgart-Bad Cannstatt 2005. Thomas Bach: Schelling in Rußland. Die frühen naturphilosophischen Schriften von Daniil Michajloviè Vellanskij (1774–1847). Marburg (Lahn) 2005. Markus Bertsch, Johannes Grave (Hrsg.): Räume der Kunst. Blicke auf Goethes Sammlungen. (Ästhetik um 1800, 3). Göttingen 2005.
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Publikationen des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“
Brady Bowman, Klaus Vieweg (Hrsg.): Johann Friedrich Ernst Kirsten. Grundzüge des neuesten Skepticismus and related writings. Paderborn, München 2005. Lars Deile, Johanna Sänger (Hrsg.), Ulrike Alberti (Mitarb.): Spannungsreich und freudevoll. Jenaer Festkultur um 1800. Köln, Weimar, Wien 2005. Julia Frindte, Siegrid Westphal (Hrsg.): Handlungsspielräume von Frauen um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 10). Heidelberg 2005. Werner Greiling, Andreas Klinger, Christoph Köhler (Hrsg.): Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 15). Köln, Weimar, Wien 2005. Hans-Werner Hahn, Dieter Hein (Hrsg.): Bürgerliche Werte um 1800. Entwurf – Vermittlung – Rezeption. Köln, Weimar, Wien 2005. Andrea Heinz, Jutta Heinz, Nikolas Immer (Hrsg.): Ungesellige Geselligkeit. Festschrift für Klaus Manger. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 12). Heidelberg 2005. Martin Keßler, Volker Leppin (Hrsg.): Johann Gottfried Herder. Aspekte seines Lebenswerks. (Arbeiten zur Kirchengeschichte, 92). Berlin, New York 2005. Klaus Manger: Das Ereignis Weimar-Jena. um 1800 aus literaturwissenschaftlicher Sicht. Sitzungsberichte der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig. Philologisch-historische Klasse. Bd. 139, H. 5., Stuttgart, Leipzig 2005. Klaus Manger, Gottfried Willems (Hrsg.): Schiller im Gespräch der Wissenschaften. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 11). Heidelberg 2005. Katja Regenspurger, Temilo van Zantwijk (Hrsg.): Wissenschaftliche Anthropologie um 1800? Stuttgart 2005. Julia A. Schmidt-Funke: Auf dem Weg in die Bürgergesellschaft. Die politische Publizistik des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch. (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, Bd. 16). Köln, Weimar, Wien 2005. Reinhard Wegner (Hrsg.): Kunst als Wissenschaft. Carl Ludwig Fernow – ein Begründer der Kunstgeschichte. (Ästhetik um 1800, 2). Göttingen 2005. 2004 Angela Borchert, Ralf Dressel (Hrsg.): Das Journal des Luxus und der Moden: Kultur um 1800. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 8). Heidelberg 2004. Gonthier-Louis Fink, Andreas Klinger (Hrsg.): Identitäten – Erfahrungen und Fiktionen um 1800. (Jenaer Beiträge zur Geschichte, 6). Frankfurt am Main [u. a.] 2004. Werner Greiling, Siegfried Seifert (Hrsg.): „Der entfesselte Markt“. Verleger und Verlagsbuchhandel im thüringisch-sächsischen Kulturraum um 1800. Leipzig 2004. Stefan Matuschek (Hrsg.): Organisation der Kritik. Die Allgemeine Literatur-Zeitung in Jena 1785–1803. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 5). Heidelberg 2004. Michael Maurer (Hrsg.): Das Fest. Beiträge zu seiner Theorie und Systematik. Köln, Weimar, Wien 2004. Igor J. Polianski: Die Kunst, die Natur vorzustellen. Die Ästhetisierung der Pflanzenkunde um 1800 und Goethes Gründung des Botanischen Gartens zu Jena im Spannungsfeld kunsttheoretischer und botanischer Diskussionen der Zeit. (Minerva. Jenaer Schriften zur Kunstgeschichte, 14). Köln 2004. Klaus Ries (Hrsg.): Zwischen Universität und Stadt. Aspekte demographischer Entwicklung in Jena um 1800. Jena 2004.
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Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen (Hrsg.): „Ihre Kaiserliche Hoheit“ Maria Pawlowna – Zarentochter am Weimarer Hof. [Eine Ausstellung der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen im Schloßmuseum Weimar, 20. Juni bis 26. September 2004]. Weimar 2004. Astrid Urban: Kunst der Kritik. Die Gattungsgeschichte der Rezension von der Spätaufklärung bis zur Romantik. (Jenaer Germanistische Forschungen, N. F. 18). Heidelberg 2004. Marcus Ventzke: Das Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach (1775–1783). Ein Modellfall aufgeklärter Herrschaft? (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe, 10). Köln, Weimar, Wien 2004. Reinhard Wegner (Hrsg.): Kunst – die andere Natur. (Ästhetik um 1800, 1). Göttingen 2004. 2003 Joachim Berger: Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer ‚aufgeklärten‘ Herzogin. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 4). Heidelberg 2003. Dietrich Briesemeister, Harald Wentzlaff-Eggebert (Hrsg.): Von Spanien nach Deutschland und Weimar-Jena. Verdichtung der Kulturbeziehungen in der Goethezeit. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 3). Heidelberg 2003. Andrea Heinz (Hrsg.): Der Teutsche Merkur – die erste deutsche Kulturzeitschrift? (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 2). Heidelberg 2003. Klaus Manger (Hrsg.): Goethe und die Weltkultur. (Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800: Ästhetische Forschungen, 1). Heidelberg 2003. Horst Neuper (Hrsg.), Katarina Kühn, Matthias Müller (Mitarb.): Das Vorlesungsangebot an der Universität Jena von 1749 bis 1854. 2 Bände. Weimar 2003. Klaus Vieweg, Brady Bowman (Hrsg.): Wissen und Begründung. Die Skeptizismus-Debatte um 1800 im Kontext neuzeitlicher Wissenskonzeptionen. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie, 8). Würzburg 2003. 2002 Katharina Middell: „Die Bertuchs müssen doch in dieser Welt überall Glück haben“. Der Verleger Friedrich Justin Bertuch und sein Landes-Industrie-Comptoir um 1800. Leipzig 2002. Marcus Ventzke (Hrsg.): Hofkultur und aufklärerische Reformen in Thüringen. Die Bedeutung des Hofes im späten 18. Jahrhundert. Köln, Weimar, Wien 2002. Klaus Vieweg (Hrsg.): Gegen das „unphilosophische Unwesen“. Das „Kritische Journal der Philosophie“ von Schelling und Hegel. (Kritisches Jahrbuch der Philosophie, 7). Würzburg 2002. 2001 Joachim Berger (Hrsg.): Der ‚Musenhof‘ Anna Amalias. Geselligkeit, Mäzenatentum und Kunstliebhaberei im klassischen Weimar. Köln, Weimar, Wien 2001. Olaf Breidbach, Hans-Joachim Fliedner, Klaus Ries (Hrsg.): Lorenz Oken (1779–1851). Ein politischer Naturphilosoph. Weimar 2001. Olaf Breidbach, Paul Ziche (Hrsg.): Naturwissenschaften um 1800. Wissenschaftskultur in JenaWeimar. Weimar 2001. Georg Eckardt, Matthias John, Temilo van Zantwijk, Paul Ziche (Hrsg.): Anthropologie und empirische Psychologie um 1800. Ansätze einer Entwicklung zur Wissenschaft. Köln, Weimar, Wien 2001. Hans-Werner Hahn, Werner Greiling, Klaus Ries (Hrsg.): Bürgertum in Thüringen. Lebenswelt und Lebenswege im frühen 19. Jahrhundert. Rudolstadt 2001.
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Publikationen des SFB 482 „Ereignis Weimar-Jena. Kultur um 1800“
Gerhard Müller, Klaus Ries, Paul Ziche (Hrsg.): Die Universität Jena. Tradition und Innovation um 1800. (Pallas Athene, 2). Stuttgart 2001.
PA L L A S AT H E N E Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Herausgegeben von Rüdiger vom Bruch und Lorenz Friedrich Beck.
Franz Steiner Verlag
6.
ISSN 1439–9857
Klaus-Peter Horn / Heidemarie Kemnitz (Hg.) Pädagogik Unter den Linden Von der Gründung der Berliner Universität im Jahre 1810 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts 2002. 314 S., geb. ISBN 978-3-515-08088-6 7. Annekatrin Schaller Michael Tangl (1861–1921) und seine Schule Forschung und Lehre in den Historischen Hilfswissenschaften 2002. 386 S., geb. ISBN 978-3-515-08214-3 8. Dietmar Schenk Die Hochschule für Musik zu Berlin Preußens Konservatorium zwischen romantischem Klassizismus und Neuer Musik, 1869–1932/33 2004. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-08328-7 9. Silviana Galassi Kriminologie im Deutschen Kaiserreich Geschichte einer gebrochenen Verwissenschaftlichung 2004. 452 S., geb. ISBN 978-3-515-08352-2 10. Werner Buchholz (Hg.) Die Universität Greifswald und die deutsche Hochschullandschaft im 19. und 20. Jahrhundert Kolloquium des Lehrstuhls für Pommersche Geschichte der Universität Greifswald in Verbindung mit der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2004. X, 446 S., geb. ISBN 978-3-515-08475-8 11. Sabine Mangold Eine „weltbürgerliche Wissenschaft“ Die deutsche Orientalistik im 19. Jahrhundert 2004. 330 S., geb. ISBN 978-3-515-08515-1
12.
Elke Schulze Nulla dies sine linea Universitärer Zeichenunterricht – eine problemgeschichtliche Studie 2004. 282 S., geb. ISBN 978-3-515-08416-1 13. Christian Saehrendt „Die Brücke“ zwischen Staatskunst und Verfemung Expressionistische Kunst als Politikum in der Weimarer Republik, im „Dritten Reich“ und im Kalten Krieg 2005. 124 S. mit 12 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08614-1 14. Julia Laura Rischbieter Henriette Hertz Mäzenin und Gründerin der Bibliotheca Hertziana in Rom 2004. 184 S. mit 16 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08581-6 15. Katrin Böhme Gemeinschaftsunternehmen Naturforschung Modifikation und Tradition in der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin 1773–1906 2005. 218 S., 9 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08722-3 16. Katharina Zeitz Max von Laue (1879–1960) Seine Bedeutung für den Wiederaufbau der deutschen Wissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg 2006. 299 S. mit 37 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08814-5 17. Annette Vogt Vom Hintereingang zum Hauptportal? Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 2007. 550 S. und 64 Abb. auf 16 Taf., geb. ISBN 978-3-515-08881-7 18. Trude Maurer (Hg.) Kollegen – Kommilitonen – Kämpfer Europäische Universitäten im Ersten
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Weltkrieg 2006. 376 S., geb. ISBN 978-3-515-08925-9 Gisela Bock / Daniel Schönpflug (Hg.) Friedrich Meinecke in seiner Zeit Studien zu Leben und Werk 2006. 294 S., geb. ISBN 978-3-515-08962-3 Klaus Ries Wort und Tat Das politische Professorentum der Universität Jena im frühen 19. Jahrhundert 2007. 531 S. mit 23 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08993-7 Roger Chickering Krieg, Frieden und Geschichte Gesammelte Aufsätze über patriotischen Aktionismus, Geschichtskultur und totalen Krieg 2007. 358 S., geb. ISBN 978-3-515-08937-1 Sigrid Oehler-Klein / Volker Roelcke (Hg.) Vergangenheitspolitik in der universitären Medizin nach 1945 Institutionelle und individuelle Strategien im Umgang mit dem Nationalsozialismus 2007. 419 S. mit 13 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09015-5 Tobias Kaiser Karl Griewank (1900–1953) Ein deutscher Historiker im „Zeitalter der Extreme“ 2007. 528 S. mit 8 Abb. und 3 Tab., geb. ISBN 978-3-515-08653-0 Rainer A. Müller (Hg.) Bilder – Daten – Promotionen Studien zum Promotionswesen an deutschen Universitäten der frühen Neuzeit. Bearb. von Hans-Christoph Liess und Rüdiger vom Bruch 2007. 390 S. mit 56 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09039-1 Holger Stoecker Afrikawissenschaften in Berlin von 1919 bis 1945 Zur Geschichte und Topographie eines wissenschaftlichen Netzwerkes 2008. 359 S. mit 28 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09161-9 Thomas Bach / Jonas Maatsch / Ulrich Rasche (Hg.) ,Gelehrte‘ Wissenschaft Das Vorlesungsprogramm der Universität Jena um 1800
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2008. 325 S. mit 27 Abb., geb. ISBN 978-3-515-08994-4 Christian Saehrendt Kunst als Botschafter einer künstlichen Nation Studien zur Rolle der bildenden Kunst in der Auswärtigen Kulturpolitik der DDR 2008. 197 S. mit 14 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09227-2 Thomas Adam Stipendienstiftungen und der Zugang zu höherer Bildung in Deutschland von 1800 bis 1960 2008. 263 S. mit 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09187-9 Ulrich Päßler Ein „Diplomat aus den Wäldern des Orinoko“ Alexander von Humboldt als Mittler zwischen Preußen und Frankreich 2009. 244 S., geb. ISBN 978-3-515-09344-6 Manuel Schramm Digitale Landschaften 2009. 212 S. mit 9 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09346-0 Wolfram C. Kändler Anpassung und Abgrenzung Zur Sozialgeschichte der Lehrstuhlinhaber der Technischen Hochschule Berlin-Charlottenburg und ihrer Vorgängerakademien, 1851 bis 1945 2009. 318 S. mit 16 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09361-3 Thomas Bryant Friedrich Burgdörfer (1890–1967) Eine diskursbiographische Studie zur deutschen Demographie im 20. Jahrhundert 2010. 430 S. mit 4 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09653-9 Felix Brahm Wissenschaft und Dekolonisation Paradigmenwechsel und institutioneller Wandel in der akademischen Beschäftigung mit Afrika in Deutschland und Frankreich, 1930–1970 2010. 337 S., geb. ISBN 978-3-515-09734-5 Klaus Ries (Hg.) Johann Gustav Droysen Facetten eines Historikers 2010. 230 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09662-1