Transformationen antiker Wissenschaften 9783110228229, 9783110228212

Antiquity saw the development of influential forms of the creation and organization of knowledge, not just in social and

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German Pages 366 Year 2010

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Table of contents :
Frontmatter
Inhalt
Vorwort
Einige Transformationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes
Sokratische Ignoranz und aristotelische Anerkennung: Über den Umgang mit Autorität und Zeugnissen in der antiken Philosophie
Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie bei Ralph Cudworth
Assimilation und Negation: Antikes Traumwissen in neuzeitlichen Wissenschaften
›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹: The Transformation of Ptolemy’s Almagest in its Transmission via Arabic into Latin
Voß, Wolf, Heyne und ihr Homerverständnis
Institutionalisierung der Alten Geschichte im 19. Jahrhundert
Institution und Habitus. Das Erbe der Antike und die Wissenskultur der Universitäten
Gelehrte Fremde – italienische Humanisten und die Transformation der europäischen Historiographie
Überlegungen zur Transformation des antik-scholastischen Methoden- und Wissensbegriffs in der Frühen Neuzeit: Autopsie, Experiment, Induktion
The Transformation of Ancient Mechanics into a Mechanistic World View
Das Geschlecht der Pflanzen in Antike und Früher Neuzeit: Plurale Transformationen antiker Wissensordnungen in den pflanzenanatomischen Werken von Marcello Malpighi (Bologna) und Nehemiah Grew (London)
Transformationen der Lebendigkeit – Kontinuitäten und Brüche in biologischen Grundkonzepten seit der Antike
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Transformationen antiker Wissenschaften
 9783110228229, 9783110228212

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Transformationen antiker Wissenschaften

Transformationen der Antike

Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer

Wissenschaftlicher Beirat: Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A. Schmidt, Jürgen Paul Schwindt

Band 15

De Gruyter

Transformationen antiker Wissenschaften Herausgegeben von

Georg Toepfer und Hartmut Böhme

De Gruyter

Dieser Band ist aus einer Tagung des Berliner Sonderforschungsbereichs 644 „Transformationen der Antike“ hervorgegangen und wurde mit finanzieller Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft erstellt.

Library of Congress Cataloging-in-Publication Data Sonderforschungsbereich Transformationen der Antike. Jahrestagung (3rd : 2007 : Berlin, Germany) Transformationen antiker Wissenschaften / herausgegeben von Georg Toepfer und Hartmut Böhme. p. cm. -- (Transformationen der Antike, ISSN 18645208 ; Bd. 15) Includes bibliographical references and indexes. ISBN 978-3-11-022821-2 (hardcover : alk. paper) 1. Learning and scholarship--History--Congresses. 2. Knowledge, Sociology of--History--Congresses. 3. Research--History--Congresses. 4. Intellectual life--History-Congresses. 5. Science, Ancient--History--Congresses. 6. Social change--History--Congresses. I. Toepfer, Georg. II. Böhme, Hartmut. III. Title. AZ301.S68 2007 001.093--dc22 2010015676

ISBN 978-3-11-022821-2 e-ISBN 978-3-11-022822-9 ISSN 1864-5208 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York. Cover Design: Martin Zech, Bremen Logo „Transformationen der Antike“: Karsten Asshauer – SEQUENZ Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt

Vorwort ........................................................................................................... VII WOLFGANG DETEL Einige Transformationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes .................

1

COLIN GUTHRIE KING Sokratische Ignoranz und aristotelische Anerkennung: Über den Umgang mit Autorität und Zeugnissen in der antiken Philosophie .....................................

35

LUTZ BERGEMANN Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie bei Ralph Cudworth ......................................................... 63 ALBERT SCHIRRMEISTER Assimilation und Negation: Antikes Traumwissen in neuzeitlichen Wissenschaften ...........................................................................................................

93

CHARLES BURNETT ›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹: The Transformation of Ptolemy’s Almagest in its Transmission via Arabic into Latin ........................................................ 115 MICHEL ESPAGNE Voss, Wolf, Heyne und ihr Homerverständnis ............................................... 141 WILFRIED NIPPEL Institutionalisierung der Alten Geschichte im 19. Jahrhundert ....................... 157 MARIAN FÜSSEL Institution und Habitus. Das Erbe der Antike und die Wissenskultur der Universitäten .................................................................................................... 171 STEFAN SCHLELEIN Gelehrte Fremde – italienische Humanisten und die Transformation der europäischen Historiographie ......................................................................... 191

VI

Inhalt

THOMAS LEINKAUF Überlegungen zur Transformation des antik-scholastischen Methoden- und Wissensbegriffs in der Frühen Neuzeit: Autopsie, Experiment, Induktion .... 215 PETER DAMEROW/JÜRGEN RENN The Transformation of Ancient Mechanics into a Mechanistic World View . 243 NICOLE C. KARAFYLLIS Das Geschlecht der Pflanzen in Antike und Früher Neuzeit: Plurale Transformationen antiker Wissensordnungen in den pflanzenanatomischen Werken von Marcello Malpighi (Bologna) und Nehemiah Grew (London) ... 269 GEORG TOEPFER Transformationen der Lebendigkeit – Kontinuitäten und Brüche in biologischen Grundkonzepten seit der Antike ................................................ 313

Autorenverzeichnis ......................................................................................... 331 Abkürzungsverzeichnis ................................................................................... 335 Personenregister .............................................................................................. 337 Sachregister ..................................................................................................... 343

Vorwort

Die Antike hat prägende Formen der Wissenserzeugung und Wissensorganisation hervorgebracht. Dies gilt in sozialer Hinsicht für die Konstituierung lokaler Vereinigungen und Schulen; es gilt für die theoretischen Bemühungen um eine Systematisierung des Wissens in argumentativ geschlossenen Abhandlungen sowie die methodische Reflexion über den Status und die Begründbarkeit von Wissen; und es gilt auch für Ansätze einer experimentellen Methodik und die Verkörperungen des Wissens in routinierten Praktiken und Produkten der Technik. Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht die Frage nach diesen Formen der Wissenserzeugung und Wissensorganisation und ihren Transformationen. Nicht nach dem einfachen Nachweis der Rezeption antiken Wissens in späteren Kulturen wird gefragt, sondern überhaupt erst nach der Begründung und Veränderung des Komplexes von Faktoren, die zusammen Wissenschaft ausmachen. Am Beispiel verschiedener Wissensfelder werden unterschiedliche Aspekte der Transformation der antiken Wissensformen behandelt. Die leitende Frage lautet dabei, worin sich jeweils die Wissenschaftlichkeit des Wissens manifestiert, worin also die je eigenen Merkmale und Kriterien der Wissenschaftlichkeit unterschiedlicher Wissenschaften bestehen. In einem spezifischen Verständnis liefert das Konzept der Transformation dabei den zentralen Ausgangspunkt: Der Bezug zur Antike besteht nicht in einer einseitigen Rezeption eines über die Zeiten gleich bleibenden Gegenstandes, sondern stellt vielmehr eine zweistellige Relation der voneinander abhängigen Fremd- und Selbstkonstruktion dar. Wissenschaftsgeschichtlich bildeten sich einerseits die Maßstäbe der Wissenschaften vielfach über die Rezeption der antiken Wissensformen, andererseits führte umgekehrt die jeweilige Konstituierung einer Wissenschaft zu einer Transformation dieser Maßstäbe und damit auch zu einer unterschiedlichen Einschätzung der Wissenschaftlichkeit antiker Vorläufer. Weil in dem Prozess der Transformation Bedingungen erzeugt werden, die das Rezipierte selbst verändern, ergibt sich damit insgesamt ein komplexes transformationstheoretisches Verhältnis der doppelpoligen Beziehung. Dieses Verhältnis wird in den hier versammelten Beiträgen aus verschiedener Perspektive untersucht. Auf einer grundlegenden Ebene geht es in allen Beiträgen um die Möglichkeiten und Bedingungen der Antike als Referenzkultur der Wissenschaften. Die exemplarischen historischen Untersuchungen stellen jeweils andere Dimensionen und Formen der Konstitution und Transformation der Wissenschaften in den Mittelpunkt, insbesondere die Medien der Transformation, die

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Vorwort

soziale Dimension der Entfaltung der Wissenschaften und das Selbstverständnis der Wissenschaften in ihrer methodischen und systematischen Verfasstheit. Die gemeinsame Perspektive in allen Beiträgen ist dabei eine doppelte Frage: einerseits danach, welche Faktoren die Wissenschaftlichkeit jeweils ausmachen und die Prozesse der Verwissenschaftlichung regulieren, und andererseits danach, welcher Bezug zur Antike – sei es manifest oder latent, affirmativ oder distanzierend – in einem jeweiligen Ansatz enthalten ist. Die Fragerichtung des Bandes ist damit insgesamt wissenschaftshistorisch: Untersucht werden die Prozesse der Formierung der Wissenschaften in ihrem Selbstverständnis nach innen und ihrer Abgrenzung nach außen – unter jeweiligem Bezug auf die Antike. Es werden also, kurz gesagt, in exemplarischen Studien die Bedingungen und Faktoren der Verwissenschaftlichung und deren Transformation seit der Antike analysiert. Eine erste grundlegende Frage jeder Transformationsanalyse ist die nach den Modellen der Tradition und Transformation. Eine Kontinuität des Wissens kann zunächst über die Legitimierung eines Wissensbestandes mittels des Verweises auf antike Vorläufer erzeugt werden (Autorisierung). Eine Transformation des antiken Wissens erfolgt dabei aber bereits durch die Auswahl bestimmten Wissens oder durch die Vernachlässigung einzelner Aspekte oder ganzer Wissensbereiche – das Spektrum der Gründe dafür kann von fehlender Überlieferung über ein Vergessen oder eine Unzugänglichkeit wegen fehlender griechischer Sprachkenntnisse bis zu einer bewussten und gerechtfertigten Vernachlässigung reichen (legitimierte Ignoranz). Ein weiteres Modell der Haltung gegenüber überliefertem Wissen kann in der gezielten Absetzung und dem Widerspruch gegenüber den antiken Wissensinhalten bestehen (Distanzierung). In ihrem Zusammenspiel leisten diese Verfahren eine Kanonisierung des Wissens unter Einschluss von normativen Bestimmungen darüber, was gewusst werden soll und was nicht gewusst werden muss – oder darf. Neben diesen Verfahren der Restrukturierung entfaltet die europäische Wissensorganisation eine Dynamik und Innovationsfähigkeit, die sowohl die Integration neuen Wissens in das alte leistet als auch gänzlich von den antiken Wissensbeständen fortführen kann. Vor diesem Hintergrund fragen die Beiträge dieses Bandes nach den Mechanismen und Strategien, den argumentativen Wegen und rhetorischen Verfahren, mittels derer in den verschiedenen Wissensfeldern eine Transformation des antiken Wissensbestandes erfolgt. Anspruch und Umsetzung müssen dabei nicht miteinander übereinstimmen: In der bewussten Aneignung antiken Wissens liegt oft schon seine Transformation, und umgekehrt ist die Distanzierung von tradiertem Wissen häufig von dessen Struktur oder Argumentationsweise bestimmt. Vermeintlich rein »empirisch« oder »systematisch« gewonnenes Wissen kann sich somit auch in einer (unbewussten) Tradition antiken Wissens befinden. Weil die Prozesse der Autorisierung, Distanzierung und Ignoranz in der Bezugnahme auf die Antike gleichzeitig stattfinden, ergibt sich hier insgesamt ein komplexes Bild von übereinander gelagerten Transformationen. Ein zweiter Aspekt der Transformation antiker Wissenschaften betrifft die Medien der Formulierung, der Überlieferung und Transformation des Wissens.

Vorwort

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Diese üben einen erheblichen Einfluss auf die Gestalt des Wissens aus. Sie liefern das Spektrum der Formen und Regeln möglicher Umgestaltungen. Als transformationstheoretischer Begriff bildet das Medium dabei nicht allein die besondere Erscheinungsform der Entitäten als isolierte Phänomene (z. B. ihren Schrift- oder Bildcharakter), sondern auch das Vermittelnde zwischen dem Referenzobjekt und dem Zielpunkt einer Transformation. Über Mechanismen der Kodifizierung des Wissens und die Entwicklung fachspezifischer Terminologien ermöglichen die Medien des Wissens eine jeweilige Spezialisierung und Abgrenzung gegenüber außerwissenschaftlichen Darstellungsformen. Einzelne Medien – wie Tabellen, Diagramme, Schemata oder mathematische Formeln – dienen dabei geradezu als Ausweis der Wissenschaftlichkeit des Wissens. Gleichzeitig ermöglicht die Übersetzbarkeit eines Wissensinhalts in ein anderes Medium stets den Anschluss an andere Wissensbestände. So kann beispielsweise archäologisches Wissen eine Plausibilisierung im Medium der Narration erfahren: Die narrative Einbindung leistet eine Erprobung und Integration des Wissens und stellt zugleich die Frage nach seiner Rechtfertigung im Zusammenhang mit anderem Wissen. Die Kontinuität antiker Wissensbestände und deren fortwährende Übersetzung haben dabei den Prozess der Entwicklung fachspezifischer Terminologien nachhaltig beeinflusst und unterstützt. Bestimmte Medien (z. B. Kommentare) haben auf eine jeweils spezifische Weise den Bestand antiker Wissensformen transformiert. Einige Medien begünstigen dabei typischerweise eine Kontinuität, andere dagegen eher eine Differenzierung oder sogar Distanzierung von dem Referenzobjekt. Die soziale Ebene der Organisation des Wissens stellt einen dritten Aspekt der Wissenschaftstransformation dar. Im Gegensatz zum direkten Anschluss an die Antike hinsichtlich der begrifflichen und sachlichen Grundlagen vieler wissenschaftlicher Disziplinen besteht in sozialer Hinsicht nicht selten eine Distanzierung von der Antike in Form von Abgrenzungsdiskursen und Distinktionspraktiken sozialer Gruppierungen (z. B. der humanistischen Sodalitäten). Nicht allein die Vereinigung von Wissenschaftlern zu einer Gruppe oder Schule bildet aber einen Ansatz für die Institutionalisierung der Wissenschaften. Diese vollzieht sich vielmehr – antiken Vorbildern folgend – auf allen Ebenen der Öffentlichkeit: in dem Modell der Einsamkeit des einzelnen Forschers, der sich in sozialer Abgeschiedenheit in seinen Gegenstand vertieft, ebenso wie in Schulen oder Klöstern und in den privilegierten Öffentlichkeiten der Akademien und Universitäten, an denen sich eine Professionalisierung der Forschung und Ausbildung auf dem Weg hin zu einer unlimitierten Öffentlichkeit entwickelt. Diese sozialen und kulturellen Praktiken und Repräsentationen von Wissenschaftlichkeit vollziehen sich in ständiger Wechselwirkung mit zahlreichen grundlegenden politischen und ökonomischen Faktoren, wie z. B. der Etablierung der Drucktechnik mit dem sich entfaltenden Verlags- und Zeitschriftenwesen, der Entwicklung der europäischen Städte oder dem Wandel von Herrschaftsstrukturen und -verfahren. In diesen Wechselbeziehungen beteiligen sich Wissenschaften und Wissenschaftler an der Formung und Entfaltung immer neuer Eliten. Als Bezugspunkt für die Akzeptanz

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Vorwort

der Akteure des Wissens wird die Antike dabei auf verschiedene Weise und in unterschiedlichem Ausmaß relevant. Ein viertes, für die Transformation relevantes und oft entscheidendes Moment des wissenschaftlichen Wissens betrifft die methodische Dimension, den methodischen Ausweis seines Status und seiner Begründung. Unterschieden werden kann dabei zwischen einem impliziten, meist allein in Handlungszusammenhängen abgerufenen Wissen von Sachverhalten und einem expliziten Wissen, das unabhängig von pragmatischen Kontexten artikuliert und logisch entfaltet werden kann. In seiner expliziten Form kann das Wissen in einem System dargestellt werden, bestehend aus Beschreibungen (Wissen, dass) und Begründungen (Wissen, weshalb), wobei letztere bereits für Platon und Aristoteles als das eigentliche Merkmal und Ziel der Wissenschaft gelten. Von diesen Ansprüchen an die Wissenschaften zeugen verschiedene Verfahren, wie die von den Humanisten entwickelte Methode der philologisch-historischen Autopsie, die Techniken der Gewinnung kontrollierter Erfahrung (experientia) sowie die Induktion und Deduktion. Methodische Reflexionen bilden häufig auch die Grundlage für Grenzziehungen zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen. Eine besondere Transformation hat z. B. das Verhältnis von Natur und Außernatur seit der Antike erfahren: Die griechische Opposition von techne und physis wird einerseits von den Praktikern in der Renaissance zugespitzt, die Entgegensetzung wird aber andererseits dadurch aufgehoben, dass die mechanischen Künste und damit die Mechanik selbst als Teil der Natur gesehen werden. Schließlich liefern methodische Rechtfertigungen auch die Grundlage für die Problematisierung oder den Ausschluss bestimmter Beobachtungen und Beschreibungen aus dem Bereich des Wissenschaftlichen, z. B. von Singularitäten oder Abnormalitäten. Ein weiterer, für die Transformation der Wissenschaften zentraler Aspekt betrifft die zunehmend systematische Darstellung des Wissens, z. B. in axiomatischer, enzyklopädischer oder mnemotechnischer Form, die eine genaue Abgrenzung, Sicherung und Geschlossenheit des Wissens ermöglicht. Gleichzeitig wird die Fallibilität der Urteile und Theorien zunehmend Teil der Methodenreflexion. Die Beiträge dieses Bandes sind aus der dritten Jahrestagung des Berliner Sonderforschungsbereichs 644 »Transformationen der Antike« hervorgegangen, die vom 6. bis 8. Dezember 2007 unter dem Titel »Was ist Wissenschaft? Wissensformen der Antike und ihre Transformationen« stattfand. Die Leitung der Sektionen hatten Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Renate Schlesier und Christof Rapp. Konzipiert wurde die Tagung von einer seit Mai 2006 bestehenden Arbeitsgruppe des Sonderforschungsbereichs, die sich aus Teilnehmern mit einem sehr unterschiedlichen disziplinären Hintergrund zusammensetzte. Eine Voraussetzung der Arbeit war der Gedanke, dass die Wissenschaftsgeschichte nicht nur für explizit disziplinhistorische Untersuchungen grundlegend ist, sondern auch für Vorhaben, die z. B. die Funktionen der Wissenschaften für die literarischen wie bildkünstlerischen, aber auch für die massenmedialen Vergegenwärtigungen der Antike, für Übersetzungspraktiken oder für Sammlungs- und Ausstattungsprogramme untersuchen. Im Zentrum des Interesses standen Fragen nach der Art des

Vorwort

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wissenschaftlichen Wissens, nach seinen Formen und Strukturen, insofern diese durch die Antike geprägt wurden. Die leitende Frage der Diskussionen betraf die Kriterien und Maßstäbe der Wissenschaftlichkeit; identifiziert wurden die Aspekte, die eine Praxis oder theoretische Ansätze als Wissenschaft qualifizieren. Im Hinblick auf die Verkörperung des Wissens in Praxis und Theorie wurden Formen der Kodifizierung praktischen Wissens (z. B. Handwerkswissen) und dessen Transfer in theoretische Strukturen (Theorien der Mechanik) in Antike und Renaissance näher analysiert. Beleuchtet wurden das Verhältnis von propositionalem und nicht-propositionalem Wissen, die Beziehung von Wissen und Rhetorik sowie die Entwicklung formaler Sprachen für spezielle Wissenschaften. Schließlich wurde herausgearbeitet, wie sich Wissenschaft von bloßer Kenntnis oder isoliertem Wissen unterscheidet, nämlich durch die Fähigkeit, sich selbst methodisch auszuweisen, also eine Verbindung mit dem Wissen des eigenen Wissens, einem Wissen zweiter Ordnung, das an der Basis der regelgeleiteten Generierung und Tradierung von Wissen steht. Die Jahrestagung zur Transformation antiker Wissenschaften, deren Ergebnisse der vorliegende Band enthält, steht in einer Folge von Tagungen des Sonderforschungsbereichs, in denen jeweils andere Aspekte der Wissenstransformation die zentrale Frage bilden. Die Vorläuferjahrestagung (Band 6 der Reihe ›Transformationen der Antike‹) widmete sich unter dem Titel Wissensästhetik besonders der ästhetischen Dimension der Transformationen und ging von der Beobachtung aus, dass die Antike über die Jahrhunderte maßgeblich durch künstlerische Relikte und Quellen präsent geblieben ist, und es dabei immer wieder die Künste gewesen sind, die das jeweils verfügbare Wissen über die Antike aufgenommen, transportiert und transformiert haben. Als ein zentrales Ergebnis wurde dabei festgehalten, dass Transformationen zwischen Wissen und Ästhetik stets reziprok verlaufen: Nicht nur beeinflusst das historisch variable Wissen über die Antike die Formen seiner ästhetischen Darstellung; umgekehrt transformieren die Darstellungsformen immer auch das, was sie an Wissen über die Antike transportieren. In einer nächsten Jahrestagung im Jahr 2011 über die Narrativierung und die Grenzen des Wissens soll ein weiterer, an die beiden Vorläufertagungen anschließender Aspekt der Wissenstransformation näher beleuchtet werden. In den Mittelpunkt rückt damit die Frage, wie mittels der Einbindung in einen narrativen Kontext Wissen eine Dialogisierung, Problematisierung und Dynamisierung erfahren kann, auf welche Weise es also in einem fremden Kontext vorgeführt, reflektiert und plausibilisiert wird. Dabei kann von einem doppelten Bewährungsverhältnis ausgegangen werden: Einerseits einer Bewährung der Narration durch den Verweis auf ein etabliertes Wissen und andererseits einer Bewährung des Wissens durch seine Einbindung in die Narration. In den Blick kommt damit auch die Frage nach der Transformation der Grenzen des Wissens und des Wissbaren, die mit der Theologie und den okkulten Wissensformen – die sich gleichfalls auf die Antike berufen – (bewusst) überschritten werden.

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Vorwort

Die wissenschaftliche Gestalt, die ästhetische Darstellung und die narrative Plausibilisierung sind drei Aspekte der Transformationen des Wissens seit der Antike, die sachlich eng zusammenhängen und formale Parallele aufweisen. In allen dreien zeigt sich die für Transformationsprozesse charakteristische Wechselseitigkeit semantischer Konstruktionen im Verhältnis einer Referenz- und einer Aufnahmekultur: Die wissenschaftliche Gestalt, die ästhetische Darstellung und die narrative Einbindung des Wissens zu einer Zeit sind ebenso Resultierende einer Vorläuferkultur wie sie Determinanten des Verständnisses eben dieser Vorläuferkultur sind. Die Herausgeber danken Kerstin Kaufmann für die redaktionelle Betreuung, Registererstellung und Drucklegung dieses Bandes sowie den beiden externen Gutachtern für die kritische Lektüre der Beiträge und ihre wertvollen Anregungen.

Georg Toepfer Hartmut Böhme

Einige Transformationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes WOLFGANG DETEL

Vorbemerkung Das aristotelische Wissenschaftsbild hat das abendländische Denken über Wissen, Wissenschaft und wissenschaftliche Theorien über mehr als zweitausend Jahre geprägt. Eine Untersuchung historischer Transformationen dieses Bildes ist daher ein Topos, der den Rahmen eines einzigen Artikels bei weitem übersteigt. Ich werde mich daher im Folgenden auf einige wenige Transformationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes konzentrieren und vor allem den unterschiedlichen Deutungen nachgehen, die dieses Bild im Verlauf seiner Transformationen erfahren hat. Aristoteles hat in der Darstellung seiner Wissenschaftstheorie, der Zweiten Analytik (Analytica Posteriora), in methodologischer Hinsicht auf den ersten Blick ein ambivalentes Bild entworfen. Auf der einen Seite scheint er zu behaupten, dass die Prinzipien und obersten Prämissen wissenschaftlicher Theorien durch Erfahrung und Induktion gewonnen werden1; auf der anderen Seite scheint er darauf zu bestehen, dass diese Prinzipien und Prämissen unbeweisbar, unbegründbar und selbstevident sind und dass alle weiteren Theoreme einer wissenschaftlichen Theorie aus ihnen logisch hergeleitet werden müssen.2 Klassische moderne Darstellungen sprechen daher aus wissenschaftstheoretischer Sicht von einer induktiv-deduktiven Methode, ohne dass freilich der induktive (empirische) und deduktive (axiomatische) Aspekt des aristotelischen Wissenschaftsbildes in eine verständliche Beziehung miteinander gebracht würden.3 _____________ 1 2 3

Vgl. z. B. Aristoteles, an. post. II, 19. Vgl. z. B. Aristoteles, an. post. I, 2. Eine der vielen Beispiele ist Losee (1977). Losee betont sowohl den induktiven als auch den deduktiven und axiomatischen Charakter des aristotelischen Wissenschaftsbildes mit großer Entschiedenheit: »Aristoteles behauptete, dass Wissenschaftler aus den zu erklärenden Phänomenen erklärende Prinzipien induktiv gewinnen sollen.« (15). Aber zugleich: »Die ersten Prinzipien können nicht aus noch grundlegenderen Prinzipien abgeleitet werden« (22), und »Die

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Wolfgang Detel

Es ist daher kaum verwunderlich, dass Aristoteles’ Wissenschaftsauffassung unterschiedlich interpretiert worden ist. Im Folgenden wende ich mich dem historischen Schicksal zweier höchst unterschiedlicher Deutungen zu, die vor allem im Mittelalter entwickelt wurden und an jene beiden methodischen Aspekte der empirischen Induktion und der axiomatischen Deduktion anknüpfen, die in der Tat in der Zweiten Analytik angesprochen werden. Man könnte hier von einem kontextuellen Transformationsmodell sprechen, insofern die Art der historischen Transformation von einem spezifischen Deutungskontext abhängig war. In einer längeren Schlussbemerkung kommentiere ich eine aktuelle Transformation eines kleinen Teiles des aristotelischen Wissenschaftsbildes, nämlich der wissenschaftlichen Theologie.

I. In der Geschichte der Transformation des aristotelischen Wissenschaftsbildes haben sich in Gestalt der Rezeption und Interpretation der Zweiten Analytik zwei verschiedene Lesarten entwickelt, die ein unterschiedliches historisches Schicksal erfahren haben: die empiristische Lesart und die axiomatische Lesart. Dieser Befund macht klar, dass bereits von der Spätantike an jene grundlegende Ambivalenz im Verständnis des aristotelischen Wissenschaftsbildes auftauchte, die sich, wie wir gesehen haben, auch in modernen Deutungen findet. Im Mittelalter wurde die Zweite Analytik durch ihre erste Übersetzung ins Lateinische durch Jacobus Venetius Graecus um 1140 bekanntgemacht. Ein Jahrhundert später galt die Zweite Analytik in der mittelalterlichen akademischen Welt in dieser ersten Übersetzung als grundlegender kanonischer Text für die Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie. Einige der führenden Autoren dieser Zeit haben die aristotelische Wissenschaftstheorie als empiristisches Programm aufgefasst. Aus der Fülle der Autoren und Ansätze kann ich hier nur wenige Beispiele exemplarisch und in groben Umrissen skizzieren. So betont Robert Grosseteste (um 1200), dass die Methode der (aristotelischen) Wissenschaft induktiv-deduktiv sei, insofern sie in der Analyse den Gegenstandsbereich einer wissenschaftlichen Theorie zunächst induktiv in ihre einzelnen Elemente zerlegt und diesen Bereich dann deduktiv wieder zusammensetzt. Grosseteste hat auch versucht, diese Methode eigenständig anzuwenden, beispielsweise auf die Spektralfarben. In seinem Kommentar zur Zweiten Analytik entwirft Grosseteste ein differenziertes Bild: Er betrachtet einerseits die axioma_____________ Forderung, dass die Prämissen besser bekannt als die Konklusion sein sollen, spiegelt die Auffassung des Aristoteles wider, dass die allgemeinen Gesetze einer Wissenschaft unmittelbar evident sein sollen« (19). Losee lässt diese beiden Aspekte jedoch in seiner Darstellung unvermittelt nebeneinander stehen. Ein weiteres Beispiel ist die klassische Darstellung in Ross (1949), 41–55.

Einige Transformationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes

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tisch-deduktiven Gestalt der Mathematik als Vorbild für das aristotelische Wissenschaftsbild und betont andererseits die empirische Grundlage aller allgemeinen Sätze, die in wissenschaftlichen Theorien Verwendung finden sollen. Interessanterweise weist er in diesem Zusammenhang auf die Falsifikationsmöglichkeit empirischer Thesen mit Hilfe des Modus Tollens hin. So wichtig die Wahrnehmung in diesem Punkt für Grossteste auch ist, so ist er doch zugleich der Meinung, dass das Erfassen universeller Strukturen und logischer Beziehungen nach Aristoteles eine Sache des Intellekts ist. Roger Bacon (um 1250) hat keinen Kommentar zur Zweiten Analytik verfasst, aber es gibt in seinen Schriften viele nachweisbare Bezüge auf die Zweite Analytik. Dabei streicht Bacon mit Blick auf an. post. II, 19 vor allem die empirische Grundlage aller wissenschaftlichen Prinzipien und Demonstrationen heraus und weist darauf hin, dass die Stufenfolge des Wissens nach Aristoteles mit der Wahrnehmung beginnt. Vor allem aber betont er die Bedeutung umfangreichen Tatsachenwissens als Bedingung für die induktive Methode im Sinne der empirischen Analyse und fordert, die gefundenen wissenschaftlichen Prinzipien weiter an der Erfahrung zu prüfen (erstes Prärogativ der Wissenschaft) und das empirische Wissen so weit wie möglich durch Experimente zu stützen (zweites Prärogativ der Wissenschaft). Mit diesen Prärogativen der Wissenschaft geht er über Aristoteles hinaus und unterstreicht seine eigene empiristische Wissenschaftsauffassung in Anlehnung an Aristoteles.4 Auch ein Hinweis auf Thomas von Aquin (um 1260) darf an dieser Stelle nicht fehlen. In seinem einflussreichen Kommentar zur Zweiten Analytik, zum Teil auch in seinen Kommentaren zur aristotelischen Physik und vor allem zu Buch I der Metaphysik hebt Thomas immer wieder zustimmend hervor, in welchem Sinne die empirische Wahrnehmung und Erfahrung – und damit methodologisch formuliert die Induktion – nach Aristoteles die Grundlage aller Wissenschaften ist. Zwar lassen sich Beweis und Induktion als zwei verschiedene Weisen des Wissenserwerbs unterscheiden, und der Beweis geht aus Universalbegriffen und entsprechenden universellen Sätzen hervor. Aber Universalbegriffe und universelle Sätze beruhen ihrerseits wieder auf Induktion und Wahrnehmung.5 Allerdings war Thomas kein naiver Empirist und hat auch Aristoteles nicht als naiven Empiristen verstanden. Denn er betont auch die zentrale Rolle des Verstandes (des Intellekts) für die Generierung wissenschaftlichen Wissens. Eines der wichtigsten Vermögen des Intellekts ist nach Thomas die Fähigkeit zur Selbstreflexion, die unter anderem auch die Grundlage logischer Kompetenzen ist. Die Logik, die Kunst der Künste (ars artium), ist die Verstandeswissenschaft par excellence. Ihre grundlegende Aufgabe ist das Ordnen gegebenen Materials, wie es für jeden Erkenntnisfortschritt wichtig ist. Die Methode der Ordnung spe_____________ 4 5

Vgl. zu Grossteste und Bacon und ihrem Bezug auf Aristoteles’ an. post. Hackett (2004); Antolic (2004). Vgl. dazu Hoffmann (2007).

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Wolfgang Detel

zifiziert Thomas durch vier Verstandesregeln. Nach der ersten Regel soll der Verstand im Erkennen vom Allgemeineren zum weniger Allgemeinen fortschreiten. Nach der zweiten Regel soll der Verstand vom Ganzen ausgehen und es in seine Elemente zerlegen. Die dritte Regel schreibt vor, dass der Verstand dann vom Einzelnen induktiv wieder zum Zusammengesetzten voranschreiten soll. Und nach der vierten Regel sollen die Prämissen des Wissens vor ihren Konklusionen erforscht werden. Es ist also klar, dass Thomas mit diesen – hier nur sehr grob skizzierten – Überlegungen zum Beitrag des Intellekts zur Generierung wissenschaftlichen Wissens neben der empirischen Erfahrung auch jene Aspekte wissenschaftlicher Aktivität heraushebt, die auch nach Meinung des Aristoteles von grundlegender Bedeutung sind, wenn es darum geht, wissenschaftliche Theorien zu etablieren. Denn schließlich betont auch Aristoteles die Bedeutung der Analyse und der logischen Ordnung des induktiv gegebenen empirischen Materials.6 Viele Experten betrachten Duns Scotus (um 1290) als den mittelalterlichen Theologen, der die Probleme wissenschaftlicher Erkenntnis im Anschluss an Aristoteles am intensivsten und subtilsten untersucht hat.7 Es ist im Rahmen dieses Artikels unmöglich, die vielfältigen Überlegungen, die Duns in diesem Kontext in verschiedenen seiner Schriften präsentiert, auch nur einigermaßen angemessen zu umreißen. Allgemein lässt sich sagen, dass bei Duns ein Problem besonders deutlich hervortritt, das auch andere Autoren (z. B. Grosseteste) umtreibt – nämlich das Problem, wie man die deduktiv-axiomatischen und apriorischen Elemente und die empirischen Grundlagen der Wissenschaften in einer angemessenen Wissenschaftstheorie konsistent miteinander verbinden kann. Die grundlegende Idee, die bei Duns sichtbar ist und zunehmend verfeinert wird, besteht darin, einerseits den infalliblen Charakter einfachen Wissens singulärer Terme und Qualitäten zu betonen und auf dieser Grundlage das Erkennen von zusammengesetzten Propositionen allein auf der Basis der Kenntnis der zugrundeliegenden Terme ebenfalls als apriori und epistemisch sicher anzusehen und andererseits den empirischen Charakter der Konklusionen (also der Theoreme) empirischer Wissenschaften anzuerkennen. Das apriorische Wissen der singulären Terme generiert das Wissen um wissenschaftliche Prinzipien. Im Idealfall startet eine wissenschaftliche Theorie jedoch mit der empirisch gestützten induktiven Sicherung allgemeiner Sätze und verwandelt dieses Wissen dann durch Ableitung eben dieser Sätze aus den unabhängig und apriori gewonnenen Prinzipien in demonstratives Wissen. In seinen späteren Schriften scheint Duns die empirischen Grundlagen auch des einfachen Wissens anerkannt zu haben, besteht jedoch weiterhin darauf, dass damit die Sicherheit des einfachen Wissens nicht tangiert ist. Dass Duns in der Explikation empirischer wissenschaftlicher Methoden zum Teil _____________ 6 7

Vgl. Lutz-Bachmann (2004). Lutz-Bachmann betont, dass die vier Verstandesregeln bei Thomas keineswegs ein axiomatisches Wissenschaftsbild implizieren. Vgl. zum folgenden Marrone (2001) und ders. (2007).

Einige Transformationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes

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über Aristoteles hinausgegangen ist, zeigt unter anderem sein Vorschlag, wie man in komplexen Fällen die entscheidenden Ursachen einer Tatsache herausfinden kann: Wenn in vielen Fällen unterschiedliche Kombinationen von Faktoren denselben Effekt e hervorrufen und ein und nur ein Faktor A in allen Fällen präsent ist, dann ist wahrscheinlich A die Ursache von e (empirische Übereinstimmungsmethode). Und wenn zum Beispiel ABC die Wirkung e hervorrufen, AB jedoch nicht, dann ist C wahrscheinlich Ursache von e (empirische Unterschiedsmethode). In diesen prominenten und auch in vielen anderen Fällen sehen wir also mittelalterliche Autoren mit einer Interpretation des aristotelischen Wissenschaftsbildes ringen, die neben der formalen axiomatischen Gestalt und entsprechendem intellektuellen oder logischen Verstandesvermögen auch die empirische Seite des aristotelischen Wissenschaftsbildes anerkennt und zu integrieren sucht. Daneben wurde jedoch von einigen einflussreichen mittelalterlichen Autoren eher die axiomatische Lesart der aristotelischen Wissenschaftstheorie favorisiert. Auch hier kann ich die verschlungenen historischen Wege, auf denen sich diese Lesart entwickelte, nur durch einige wenige Beispiele illustrieren. Eine Neigung zur axiomatischen Lesart findet sich bereits in neuplatonischen Diskussionen zum aristotelischen Wissenschaftsbild, zum Beispiel im Kommentar von Johannes Philoponus (um 520) zur Zweiten Analytik.8 So betont Philoponus etwa in seinem Kommentar zu an. post. I, 2 ausdrücklich, dass die unvermittelten Prinzipien wissenschaftlicher Theorien in sich vertrauenswürdig sind und keines weiteren Mittelbegriffs oder anderer Hilfsmittel zur Einsicht in ihre Wahrheit bedürfen.9 Und er weist auch auf die logische Abhängigkeit der weiteren Behauptungen der Wissenschaft von den Prinzipien hin. Zur selben Zeit verfasst Boethius, der »Vater der Scholastik«, in seinem schulmeisterlichen, auf klaren und detaillierten Definitionen beruhenden Stil einen rein philosophischen Traktat mit dem Titel Quomodo substantiae in eo quod sint bonae sint (im Mittelalter als De hebdomadibus zitiert), in der er – nicht zuletzt aufgrund seiner Kenntnis des aristotelischen Organon – auch die Stellung der Axiome in den Wissenschaften diskutiert und hervorhebt, dass nicht nur die Axiome im aristotelischen Sinn (also mathematische und logische Grundsätze), sondern auch Definitionen und Hypothesen im Sinne von Axiomen verstanden werden müssen, also als unmittelbare Ausgangspunkte der Erkenntnis, die nicht mehr induktiv-empirisch begründet werden müssen. Es ist zweifelhaft, ob Boethius die Zweite Analytik kannte, aber Johannes von Salisbury (um 1160) kannte mit Sicherheit eine lateinische Übersetzung der Schrift. Seine kurze Zusammenfassung (in seinem Metalogicon IV 8) ist der einzige überlieferte Sekundärtext zur Zweiten Analytik aus dem 12. Jahrhundert. Diese Zusammenfassung konzentriert sich freilich vor allem auf an. post. I, 1 und _____________ 8 9

Philoponus, Analytica Posteriora Commentaria (1909). Vgl. Detel (1993), Bd. II, 45.

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II, 19, also auf das erste und letzte Kapitel der Schrift und hat über den Rest nicht viel zu sagen. Dabei betont Johannes von Salisbury allerdings sehr deutlich, dass die wissenschaftliche Erkenntnis und Theorienbildung nach Aristoteles von allgemeinen Begriffen ausgeht, die der Geist unmittelbar erfasst, sowie von per se nota-Sätzen, die durch sich selbst bekannt und daher selbstevident sind. Diese Sätze sind wahr, bedürfen aber keines weiteren Beweises. Mit Blick auf an. post. II, 19 fügt Johannes freilich hinzu, dass zumindest die allgemeinen Begriffe letztlich auf Wahrnehmung und Erfahrung beruhen. Insgesamt dominiert aber auch bei Johannes von Salisbury das axiomatische Bild der aristotelischen Wissenschaftsauffassung.10 In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts findet man die meisten direkten Äußerungen zur aristotelischen Wissenschaftstheorie in Kommentaren zu Aristoteles’ Sophistici Elenchi. So diskutiert zum Beispiel ein Anonymus Parisiensis in seinem Compendium Sophisticorum Elenchorium recht ausführlich das aristotelische System der wissenschaftlichen Prinzipien und Axiome aus an. post. I, 2. Die Konzentration auf diesen Topos in einer Erörterung des Begriffs der scientia (im Unterschied zur sapientia) ist bemerkenswert.11 Andere Anonymi aus derselben Zeit lassen eine ähnliche Tendenz erkennen und enthalten zum Teil wesentlich ausführlichere Diskussionen desselben Themas, also der Axiome. Dabei schält sich die axiomatische Lesart schon deutlicher heraus. Hier ist eines von mehreren Beispielen – eine Passage aus einem Kommentar des Anonymus Aurelianensis I, der sich sowohl auf die Zweite Analytik selbst als auch auf den Kommentar von Philoponus zu beziehen scheint: Einige unvermittelte Sätze sind allgemeine Axiome, andere sind Thesen. Allgemeine Axiome beschreiben die generellen Beziehungen zwischen den Dingen […]. Sie sind in sich bekannt und brauchen keine Bestätigung. Solche Thesen werden daher unvermittelt genannt, weil sie von den Experten in den einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen festgesetzt werden, wobei ihre unveränderliche Wahrheit von den Prinzipien deduziert wird. Ihre Wahrheit muss nicht empirisch nachgewiesen werden (benötigt keine ostensio), sondern ihre Akzeptanz benötigt allenfalls eine kleine Empfehlung.12

Kurz, die Wissenschaft beginnt diesen Autoren zufolge nach Aristoteles mit unvermittelten Sätzen (immediata), die in sich glaubwürdig (per se nota, intrinsecus fidem habentes), unveränderlich wahr und aus den Prinzipien deduzierbar sind.13 _____________ 10 Dasselbe ließe sich zum Beispiel auch über Alanus (um 1190) und seine Schrift Regulae Caelestis Juris sagen, die einen deutlichen Bezug auf Boethius aufweist. 11 Es ist zweifelhaft, ob der Autor die Zweite Analytik gelesen hat. Seine Hauptquelle scheint eher der Kommentar von Philoponus zu Kap. I, 2 gewesen zu sein. 12 Vgl. das Zitat und die Diskussion dieser Stelle bei Ebbesen (2004), 82. 13 Vgl. zu diesem Komplex vor allem die Arbeiten von Ebbesen, etwa ders. (1993) und (2004). Die Lehre von de per se nota, die die axiomatische Lesart der aristotelischen Wissenschaftstheorie förderte, wurde im Verlauf des Mittelalters ausgebaut und verbreitet. Ihre genauere Definition wurde allerdings kontrovers diskutiert; aber bei den meisten Autoren scheinen die per se nota als analytische Sätze im modernen Sinne verstanden worden zu sein. So definiert etwa

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Diese Autoren des 12. Jahrhunderts benutzten zuweilen die Formel sapientia est virtus artis et scientiae, medium inter intellectum et scientiam locum tenes. Wie Ebbesen bemerkt, fassten sie den Intellekt als das Vermögen auf, die Prinzipien der Wissenschaften zu erfassen, und die scientia als das Vermögen, die logischen Konsequenzen aus den Prinzipien zu erfassen. Die sapientia ist das Meistern axiomatisch-deduktiver Systeme.14 Diese Entwicklung kulminierte im Hochmittelalter (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts) im Werk des Pariser Magisters Boethius Dacia, der alle einzelnen Wissenschaften im Anschluss an Aristoteles als axiomatisch-deduktive Systeme betrachtete und diese Lesart auch weiter ausarbeitete: Kein Experte in irgendeinem wissenschaftlichen Feld kann Begründungen liefern, Behauptungen aufstellen oder bestreiten, es sei denn auf dem Wege der Ableitung aus den Prinzipien seines eigenen wissenschaftlichen Feldes.15

Diese Auffassung wurde von den meisten seiner philosophischen Zeitgenossen geteilt.16 Mit diesen Beispielen muss ich es hier bewenden lassen. Doch machen diese knappen und groben Hinweise hoffentlich deutlich, dass bis zum Hochmittelalter zwei verschiedene Deutungen des aristotelischen Wissenschaftsbildes entwickelt wurden, deren eine eher empiristisch und deren andere eher axiomatisch orientiert war. Wie im ersten Abschnitt dieses Beitrags angedeutet, haben sich diese beiden Lesarten bis in die moderne Aristoteles-Forschung hinein erhalten.

II. Die wissenschaftstheoretische Diskussion der Frühmoderne scheint sich einerseits mit aller Entschiedenheit von Aristoteles abzugrenzen und andererseits die beiden im Mittelalter entwickelten Lesarten des aristotelischen Wissenschaftsbildes als systematische Modelle der Wissenschaftstheorie weiterhin im Spiel zu halten. Viele frühmoderne Strömungen der Wissenschaftstheorie waren von einem empiristischen Geist geprägt. Aber ob man an den milden Skeptizismus eines Mersenne oder Gassendi denkt, ob man auf Galilei oder Robert Boyle und sein Programm einer experimentellen Naturphilosophie schaut oder auch auf britische Empiristen wie John Locke, überall scheint man sich gerade in Hinsicht auf die _____________ Duns Scotus: »principia et per se nota cognoscimus inquantum terminos cognoscimus«. Und für Thomas von Aquin sind per se nota Sätze, für die gilt: »praedicatum includitur in subjecto«. 14 Ebbesen (2004), 85. 15 Boethius Dacus, De aeternitate mundi, 347–348. Zur Erkenntnistheorie bei Boethius Dacus vgl. Pinborg (1984); ferner Ebbesen (2000). 16 So bemerkt Ebbesen: »Boethius of Dacia and his contemporaries saw all sciences, both the real and formal, as axiomatic-deductive systems« ([2004], 70, vgl. 84).

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empiristischen Aspekte des Wissenschaftsbildes von der aristotelischen Wissenschaftsauffassung abzusetzen oder sie zumindest nicht mehr auf Aristoteles zu beziehen. Aber auch das axiomatisch-deduktive Wissenschaftsbild fand bekanntlich von der Frühmoderne an viele einflussreiche Anhänger. Eine der klarsten Artikulationen dieses Bildes findet sich bei Descartes. Die erste der »regulae ad directionem ingenii« erklärt, dass die Produktion wahrer und unerschütterlicher Urteile das Ziel aller wissenschaftlichen Studien ist, und die dritte Regel konstatiert, dass man nur dadurch Wissenschaft erwerben kann, dass wir Dinge oder Sachverhalte entweder auf klare und evidente Weise intuitiv einsehen oder auf zuverlässige Weise deduzieren17, und in seinem Schreiben an Picot, den Übersetzer der Principia Philosophiae, formuliert Descartes eine der klarsten Skizzen des fundamentalistischen Programms der Wissenschaftstheorie.18 Ähnlich deutliche Worte findet Blaise Pascal in den Fragmenten De l’esprit géométrique und De l’art de persuader et de la démonstration. In der Logique du Port Royal wird das axiomatisch-deduktive Bild explizit für alle Wissenschaften vertreten, mit dem Zusatz, dass alle Grundsätze wissenschaftlicher Demonstrationen analytisch wahre Sätze sind (das Prädikat dieser Sätze im Subjekt mit Notwendigkeit enthalten – womit natürlich die mittelalterliche Definition der per se nota-Sätze aufgenommen wird). Die Wissenschaft more geometrico (also axiomatisch-deduktiv) aufzubauen, wird zu einem verbreiteten Modell, wie unter anderem Hobbes’ Schrift De corpore, Spinozas Ethik und Christian Wolffs ge-

_____________ 17 Regula I: »Es muss das Ziel der wissenschaftlichen Studien sein, die Erkenntniskraft darauf auszurichten, dass sie über alles, was vorkommt, unerschütterliche (solida) und wahre (vera) Urteile vorbringt«. Regula III: »Bei den vorgelegten Gegenständen ist nicht danach zu fragen, was andere gemeint haben oder was wir selbst vermuten, sondern danach, was wir auf klare und evidente Weise einsehen oder zuverlässig deduzieren können; nur so nämlich erwirbt man Wissenschaft.« Descartes, Regulae ad directionem ingenii, 7 und 15 (Œuvres de Descartes, hg. v. Charles Adam/Paul Tannery [im Folgenden AT], Bd. X, 358; 366). 18 Descartes, Prinzipien der Philosophie, XXXI f.: »Ich hätte also erstlich gern auseinandergesetzt, was Philosophie ist, indem ich mit den bekanntesten Dingen anfing, so etwa dass das Wort Philosophie das Studium der Weisheit bedeutet und dass man unter Weisheit nicht nur die Klugheit im täglichen Leben versteht, sondern ein vollkommenes Wissen all der Dinge, die der Mensch erkennen kann […]. Ich hätte weiter auseinandergesetzt, dass, damit dieses Wissen derart ist, es notwendig aus den ersten Ursachen abgeleitet werden müsse, so dass, wer sich bemüht, es zu erwerben, mit der Erforschung dieser ersten Ursachen, d. h. mit den Prinzipien, anfangen muss. Es wäre dann zu zeigen, dass diese Prinzipien zwei Grunderfordernisse haben, erstens, dass sie so klar und evident sind, dass der menschliche Geist, solange er sie aufmerksam betrachtet, an ihrer Wahrheit nicht zweifeln kann, zweitens, dass die Erkenntnis der anderen Dinge derart von ihnen abhängt, dass die Prinzipien zwar ohne jene bekannt sind und erkannt werden können, die anderen Dinge aber nicht anders als durch die Prinzipien, und dass man dennoch versuchen muss, aus diesen Prinzipien die Erkenntnis der davon abhängigen Dinge derart abzuleiten, dass es in der ganzen Kette der Deduktionen nichts gibt, das nicht sehr klar wäre.«

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samte Philosophie deutlich machen. Aber auch die frühmodernen Vertreter eines axiomatisch-deduktiven Wissenschaftsbildes beziehen sich gewöhnlich nicht mehr auf Aristoteles. Es ist, als ob mit dem Untergang der aristotelischen Physik und Astronomie auch das aristotelische Wissenschaftsbild als vollständig diskreditiert galt und seine einflussreichsten mittelalterlichen Deutungen daher offiziell totgeschwiegen wurden. Und doch wurden eben diese Deutungen weiter nebeneinander transportiert und transformiert, nun aber als systematische Modelle des Aufbaus, der Struktur und der Methodologie wissenschaftlicher Theorien.19 Eine Erklärung für diesen überraschenden, ja paradoxen Befund ist auf den ersten Blick nicht leicht zu sehen und mag für verschiedene Autoren unterschiedlich ausfallen. Dazu kommt, dass die historischen Verhältnisse natürlich viel verwickelter und komplexer sind, als ich es bisher dargestellt habe. Ich möchte dieser Frage daher zumindest an einem Beispiel ein wenig genauer nachgehen: am Beispiel des Descartes, der auf die wissenschaftstheoretischen Debatten der Frühmoderne zweifellos einen überragenden Einfluss ausgeübt hat. Auf den ersten Blick weist Descartes’ Methodenlehre eine Reihe struktureller Gemeinsamkeiten mit der aristotelischen Wissenschaftstheorie auf: Descartes betont das methodologische Gewicht von Intuition und Deduktion, bezieht die Intuition eng auf die Deduktion, legt größten Wert auf eine wissenschaftliche Heuristik und betrachtet das »synthetische« Beweisverfahren als marginal. Aber diese Vorstellungen werden mit einem ganz neuen Inhalt gefüllt.20 Eine der wichtigsten Grundlagen dafür ist Descartes’ Kritik an der Syllogistik, die er im Einklang mit der zeitgenössischen Logik meist »Dialektik« nennt. Descartes wirft der traditionellen syllogistischen Methode im Wesentlichen vor, dass sie zirkulär, nicht-ampliativ und restriktiv ist.21 Sie ist zirkulär, weil sie Theoreme synthetisch beweist, deren Wahrheit sie bei Beginn der zuvor ausgeführten Analyse bereits unterstellt; sie ist nicht-ampliativ, weil sie als Logik die Erkenntnis nicht erweitert; und sie ist restriktiv, weil sie als Theorie oder Regulierung des Denkens dem menschlichen Geist die engen Fesseln der syllogistischen Figuren anlegt. Descartes’ kritische Einstellung zur syllogistischen Methode ist zwar aus formallogischer Perspektive nicht korrekt, muss aber in den Kontext der Entwicklung der Logik nach Aristoteles bis zur Frühmoderne eingebettet werden.22 Die Vorwürfe der Zirkularität und Nicht-Ampliativität beruhten auf Standard-Argu_____________ 19 Diesem Befund entspricht die Tatsache, dass die antike analytisch-synthetische Methode auch in der Moderne noch lange beachtet und diskutiert wurde, vgl. dazu Hintikka/Remes (1974). 20 Vgl. zum folgenden vor allem Arndt (1971), Williams (1978), Gaukroger (1988) und (1989), Moyal (Ed.) (1991) (besonders die Arbeiten von Van De Pitte, Clarke und Garter/Cohen). 21 Vgl. Descartes, Regulae IV, 25 (AT X 372 f.); VII, a. a. O., 43 (AT X 389); v. a. aber X, 67 (AT X 405 f.); ferner XIII, 107 (AT X 430 f.). 22 Dazu Gaukroger (1989), 26–48.

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menten der antiken Skepsis, die zu Descartes’ Zeiten durch Ciceros »Academica« und Sextus’ Schriften über den Pyrrhonismus und gegen die Mathematiker wohlbekannt waren.23 Diese Argumente sind zwar ebenfalls logisch alles andere als überzeugend, aber wichtig für die spätere Entwicklung ist vor allem die Strategie des Skeptizismus, unser Vertrauen in die Gültigkeit logischer Schlussformen insgesamt zu erschüttern. Der von den Stoikern entdeckte aussagenlogische Modus ›Ponens‹ wurde z. B. folgendermaßen unter das skeptische Feuer genommen: Wird behauptet (1) Wenn p, dann q; (2) p; also (3) q, so folgt entweder q aus p, oder q folgt nicht aus p. Wenn q aus p folgt, ist die Prämisse »Wenn p, dann q« überflüssig; wenn q dagegen nicht aus p folgt, ist diese Prämisse falsch. Also ist der Modus ›Ponens‹ entweder redundant oder ungültig.24 Diese Kritik beruht natürlich auf einer Konfusion von material-konditionaler und logischer Folgerung, aber wir haben einfach zu berücksichtigen, dass der Skeptizismus im Frankreich des 16. und 17. Jahrhunderts eine einflussreiche intellektuelle Strömung war, die u. a. das Vertrauen in die Logik zu erschüttern suchte.25 Wichtiger ist die seit der Spätscholastik zunehmende Tendenz, Syllogistik, Topik und Rhetorik unter dem Titel Dialektik zu einer einheitlichen Argumentationstheorie zusammenzuziehen, die das Spezifikum der Logik aus den Augen verlor. Die älteren mittelalterlichen Logik-Traktate (z. B. die Dialectica des Garlandus Compotista aus dem frühen 11. Jahrhundert) fassen zwar bereits Syllogistik, Topik und Rhetorik zusammen, behandeln die topischen und rhetorischen Argumentationsformen aber in gut aristotelischer Manier als elliptische logische Schlussformen, die genau deshalb gerechtfertigt werden können, weil sie auf impliziten Prämissen beruhen, deren explizite Hinzufügung sie in syllogistisch gültige Argumente verwandelt.26 Diese Position bestimmt noch zwei Jahrhunderte später den kanonischen mittelalterlichen Logik-Text, der sich auch mit der Topik beschäftigt – den Tractatus des Petrus Hispanus.27 Die beiden wichtigsten LogikKonzeptionen des 16. Jahrhunderts, die Descartes direkt beeinflusst haben, gelten als Reaktionen auf den Tractatus des »Peters von Spanien«. Die Humanisten waren bestrebt, die systematische Priorität der formalen Syllogistik durch ein Dialektik-Konzept zu unterminieren, das eher an den Argumentationsformen der Rechtsprechung orientiert war und die methodischen Differenzierungen innerhalb der aristotelischen Analytik und Topik einebnete. Vor allem aber ist die Dialektik nun primär die Kunst des pädagogischen Lehrgesprächs, die das curricular kanonisierte Wissen der Antike und des Mittelalters optimal aufbe_____________ 23 Vgl. Burnyeat (Ed.) (1983) (darin besonders Schmitt: »The Rediscovery of Ancient Scepticism in Modern Times«). 24 Vgl. Sextus Empiricus, Grundriß der Lehre Pyrrhons, II, 159. Dazu Barnes (1980). 25 Vgl. Popkin (1979). 26 Garlandus Compotista, Dialectica. Dazu Stump (1980). 27 Peter of Spain, Tractatus called afterwards Summulae logicales.

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reitet und didaktisch organisiert.28 Die beiden zentralen Schriften der humanistischen Logik von Rudolph Agricola und Petrus Ramus koppeln die Logik und Dialektik von jeder Form der inventio oder Heuristik neuer Erkenntnisse ab.29 Insbesondere die ramistische Logik begrenzt den Inhalt der antiken Weisheit auf Klassifikationen oder Definitionen und transformiert die antike Theorie der syllogistischen Folgerungen und der demonstrativen Wissenschaft in eine mnemotechnische Lehre der Vergewisserung curricularer Lehrinhalte. Beweis und Erklärung sind nicht mehr Methoden der Forschung, sondern allenfalls noch pädagogische Mittel für das Erfassen und Lehren kanonisierten Wissens. Die lebendige, kreative Wissenschaft ist von der Logik als Dialektik vollständig separiert, das Verständnis der formalen Logik kollabiert. Die spätscholastische Logik versteht demgegenüber die Syllogistik als normative Theorie des Denkens, die nicht nur das Schließen und Folgern, sondern das Denken überhaupt diszipliniert und reguliert. Dabei galt das Denken als Aktualisierung der wichtigsten körperlich-seelischen Funktion des Menschen, gleichgültig wie das Verhältnis von Seele und Körper im Einzelnen gedeutet wurde.30 Das angemessene antike Verständnis der formalen Syllogistik blieb in dieser Tradition wie früher bei Petrus Hispanus erhalten, aber der Anwendungsbereich der Syllogistik wurde beträchtlich erweitert – nämlich auf das gesamte Feld der wichtigsten menschlichen Aktivität, des Denkens. Diese überzogene Einstellung prägt die beiden wichtigsten Textbücher der spätscholastischen Logik im 16. Jahrhundert von Toletus und Fonseca, die auch in den jesuitischen Schulen benutzt wurden und die Descartes daher mit hoher Wahrscheinlichkeit in La Flèche kennengelernt hat.31 Wenn die Syllogistik auf diese Weise unser gesamtes Denken reguliert, so insbesondere auch die analytische Heuristik. In diesem Punkt erhielt die spätscholastische Logik Unterstützung durch den brillanten Aristoteles-Kommentator Zabarella, der im Anschluss an die Pappus-Übersetzung von Commandino die gesamte analytische Methode restriktiv – und gegen die weichere aristotelische Auffassung – als Demonstration oder Deduktion der Fakten auslegte und so unter die Herrschaft der Syllogistik brachte.32 Für Descartes präsentierte sich die Logik seiner Zeit also in einer doppelten Gestalt: entweder humanistisch als pädagogische Dialektik, die z. T. unter dem Eindruck skeptischer Argumente jedes Verständnis von formaler Logik verloren _____________ 28 Vgl. Gaukroger (1989), 34–38; ferner Jardine (1982), Valla (1983) und Ong (1958). 29 Rudolph Agricola, De inventione dialectica libri tres, cum scholiis Joannis Matthaei Phrissemii (1529); Peter Ramus, Dialecticae institutiones (1546). Vgl. dazu auch Yates (1978). 30 Vgl. Gaukroger (1989), 38–47. 31 Franciscus Toletus, Introductio in dialecticam Aristotelis (1560); Petrus Fonseca, Institutionum dialecticarum libri octo (1564). 32 Auch Pacius und Schegk argumentierten in dieser Richtung; vgl. dazu Randall (1961); Gilbert (1960).

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hatte und sich als didaktische Kunst der Verwaltung kanonisierten klassifikatorischen Wissens verstand; oder spätscholastisch als formale Syllogistik im antiken Sinne, die jedoch die Regulierung des gesamten Denkens und insbesondere der analytischen Heuristik einzelner Wissenschaften auf ihre Fahnen geschrieben hatte. Beide Logik-Konzeptionen eliminierten je auf ihre Weise den vernünftigen Einsatz der Syllogistik und der analytischen Methode für den methodischen Erwerb neuer Erkenntnisse und hatten sich damit zu methodischen Fesseln des wissenschaftlichen Fortschritts und zu Dienern der apologetischen Fixierung curricularen Wissens entwickelt. Es ist diese doppelte Gestalt der Syllogistik, gegen die Descartes aufbegehrte und die durch seine dreifache Kritik auch getroffen wird. Descartes suchte in offener Opposition zur scholastisch-jesuitischen Logik seiner Zeit nach einer Methode, die wieder dem Erkenntnisgewinn dient und sich den engen Fesseln des syllogistischen Folgerns entzieht. Dabei hätte er ohne weiteres an die ursprüngliche Form der antiken Wissenschaftstheorie bei Aristoteles anknüpfen können. Aber Descartes opponierte zugleich auch gegen die skeptische und probabilistische Logik-Konzeption der Humanisten, die keine sichere Erkenntnis gewährleisten konnte und wollte. Ähnlich wie die spätscholastische Methodenlehre sollte die gesuchte neue Methode vielmehr zur Auffindung sicherer und unerschütterlicher Erkenntnis führen. Dieses Erbe der spätscholastischen Methodendogmatiker, das Descartes unhinterfragt übernahm, schloss die produktive Weiterbildung der weicheren aristotelischen Wissenschaftstheorie aus und verführte ihn zur Entwicklung einer neuen, fundamentalistischen Methodenlehre. Einer der wichtigsten Aspekte dieser Entwicklung ist eine semantische Transformation der traditionellen Termini »Deduktion« und »Intuition«. Der Deduktionsbegriff verliert bei Descartes seine technische logische Bedeutung und wird allgemein als das Erfassen der Relationen zwischen mehreren Dingen oder Sätzen verstanden. Diese Form der Deduktion beruht auf dem klaren und distinkten Erkennen einzelner Sätze oder Dinge, also auf der Intuition, sowie auf einem Vergleich dieser Elemente. Soweit dieser Vergleich nur wenige Elemente betrifft und daher gleichsam auf einen Blick erfasst werden kann, ist er noch Gegenstand der Intuition; erst das schrittweise Erfassen längerer Vergleichsketten erfordert die Deduktion. Die Intuition ist also für Descartes die zentrale und primitive logische Operation; die Deduktion und das Folgern werden in Begriffen der Intuition gedacht, nämlich als Synthesis aus endlich vielen Intuitionen. Es ist das Licht der Vernunft, das uns zu Intuitionen und Deduktionen befähigt. Aber diese These repräsentiert nicht einfach eine Psychologisierung der Logik; Descartes interessiert sich offenbar vor allem für eine Verbesserung unserer mentalen Fähigkeit zur Einsicht in Beweise und andere »weichere« Folgerungsketten. Descartes geht von einem diskursiven zu einem fakultativen Modell der Folgerung über. Für ihn ist die Frage leitend, wie wir unsere Fähigkeiten zur Einsicht in Folgerungsketten methodisch verbessern und damit unsere subjektiven

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Evidenzerlebnisse zuverlässig machen können.33 In diesem Kontext erhalten die vergleichsweise einfachen Regeln aus den Regulae und vor allem die vier Regeln der Evidenz, der Aufgliederung, der Anordnung und der Vollständigkeit aus dem Discours ihren systematischen Ort. Ein weiteres wichtiges Element der cartesianischen Methodenlehre ist die Transformation der traditionellen Methodologie von Analysis und Synthesis. An einer bekannten Stelle der Antwort auf die Zweiten Einwände gegen die Meditationen bemerkt Descartes, dass er in den Meditationen die analytische Methode befolgt habe. Es scheint klar, dass Descartes sich hier jener Verschärfung anschließt, die bereits Zabarella – und übrigens auch Galilei – in die analytische Methode hineingelesen haben: Es handelt sich um einen Weg zu neuen Erkenntnissen, der im Ausgang von wahren Sätzen auf deren notwendige Bedingungen schließt.34 Das »Schließen« und »Beweisen« der analytischen Methode folgt natürlich für Descartes nicht mehr den Regeln der formalen Syllogistik, sondern ist Sache der Intuition, die – wie angedeutet – nicht nur die einzelnen Gegenstände, sondern auch die notwendigen Relationen zwischen je zwei Gegenständen klar und distinkt zu erkennen vermag. Diese Deutung der Analysis unter Verwendung des fakultativen Modells des Folgerns, das Descartes von den Fesseln einer formalen Logik zu befreien scheint, generiert den Eindruck, dass die Analyse in ein Verfahren transformiert werden kann, das methodische Sicherheit mit Ampliativität verbindet: »Die Analysis zeigt den wahren Weg, auf dem eine Sache methodisch und gleichsam a priori gefunden werden kann.«35 Damit ist der Sache nach die Idee einer algorithmischen Heuristik der Wissenschaften geboren, die von sicheren Wahrheiten ausgeht und definitiv in endlich vielen Schritten zu neuen Wahrheiten führt. Im Rahmen der klassischen antiken Wissenschaftstheorie ist diese Idee niemals formuliert worden, denn insbesondere Aristoteles war sich noch darüber im Klaren, dass die methodische Argumentation entweder mittels formaler Logik Wahrheiten sicher transferiert, dann jedoch nicht ampliativ ist, oder ampliativ ist, dann jedoch auf ein sicheres (logisches) Folgern verzichten muss und Wahrheiten nicht mehr sicher transferieren kann. Descartes konnte diese exklusiven Alternativen nur dadurch methodo_____________ 33 Vgl. z. B. Descartes, Regulae IV, AT X 372 f.; Regulae XIV, AT X 439 ff.; Regulae III, AT X 368–370; dazu Gaukroger (1989), 48–60. Bemerkenswert ist in diesem Kontext Descartes’ bekannter Hinweis, dass gewöhnlich niemand beim Deduzieren Fehler macht, vgl. Regulae II, AT X 365; Antwort auf die zweiten Einwände gegen die Meditationen, AT VII, 157. 34 »Die Ordnung (ordo) besteht allein darin, dass die zuerst vorgebrachten Gegenstände ohne Hilfe der folgenden erkannt werden müssen und alles Folgende dann derart anzuordnen ist, dass es allein durch das Vorhergehende bewiesen wird. In den Meditationen habe ich mir wahrlich Mühe gegeben, diese Ordnung so genau als möglich zu befolgen […] und bin ausschließlich den Weg der Analysis gegangen« (Antwort auf Zweite Einwände, AT VII, 210–212). Zur analytisch-synthetischen Methode vgl. z. B. Hintikka/Remes (1974), Szabó (1974) und (1974–1975), Garber/ Cohen (1991). 35 Antwort auf Zweite Einwände, AT VII, 211.

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logisch zusammen denken, dass er aus historisch zwar verständlichen, sachlich aber unzulässigen Gründen die traditionellen weichen Vorstellungen von Analysis sowie die alte harte Auffassung von formaler Logik propagandistisch eliminierte und durch ein methodisch bedenkliches fakultatives Modell ersetzte. Das wichtigste Motiv, das die Neufassung des Methodenbegriffs bei Descartes leitete, ist mit der Syllogistik-Kritik und der Transformation der Analytik aber noch nicht benannt. Denn es war vor allem sein Verständnis der zeitgenössischen Algebra als Potential einer zuverlässigen Methode der Entdeckung, die den verführerischen Gedanken einer sicher voranschreitenden algorithmischen Heuristik der Wissenschaften zu konkretisieren erlaubte.36 Zum Paradigma dieser Konkretion wurde die analytische Geometrie, deren Grundzüge Descartes zusammen mit dem Discours veröffentlichte. Jenseits aller wissenschaftshistorischen Details scheint es offensichtlich zu sein, dass die Reduktion geometrischer Probleme auf lösbare algebraische Gleichungssysteme die kreativen Beweistechniken der traditionellen Geometrie durch einen algebraischen Lösungsalgorithmus zu ersetzen schien. Descartes’ Geometrie von 1637 enthält weder Definitionen oder Postulate noch Beweise von Theoremen, sondern eine »Analysis« geometrischer Probleme in Form algebraischer Gleichungen und deren algebraische Lösungen. Diese Analysis, die auf einer eineindeutigen Abbildung geometrischer Gebilde auf Punktmengen beruhte, die ihrerseits als algebraische Gleichungen repräsentiert wurden, hat Descartes als Transformation der klassischen geometrischen Beweistechnik in eine algorithmische Heuristik verstanden, die ihre Überlegenheit und Fruchtbarkeit unzweideutig an den Tag legte. Zugleich macht diese Form der Heuristik ein zusätzliches synthetisches Arrangement bekannter Wahrheiten im Prinzip überflüssig; in jedem Falle sollte aber die Synthesis nicht syllogistische Form, sondern eher die Gestalt einer allgemeineren künstlichen Kalkülsprache haben (mathesis universalis).37 Es ist in der einschlägigen Literatur bis heute umstritten, welche Verallgemeinerbarkeit Descartes der mathesis universalis zuschreiben wollte; aber es scheint weitgehend Einigkeit darüber zu bestehen, dass Descartes den algebraischen Lösungsalgorithmus in den Regulae und im Discours zu Elementen einer abstrakten Methode verallgemeinern wollte, die als verbindlich für jede wissenschaftliche, auf gesicherte Wahrheit zielende Heuristik gelten sollte, sich zugleich jedoch nicht so weit von den algebraischen Methoden lösen konnte, dass er zu einem klaren Begriff einer allgemeinen Kalkülsprache vorstoßen konnte.38 _____________ 36 Zugleich verhielt sich Descartes durchaus kritisch gegenüber dem methodischen Bewusstsein der zeitgenössischen Algebra, vgl. z. B. Regulae XIV, AT X, 455–458; dazu Gaukroger (1989), 800–888; Grosholz (1980); Vuillemin (1960); zum allgemeinen Umfeld siehe Mancosu (1996). 37 Vgl. Descartes’ Brief an Mersenne vom 20.11.1629, AT I, 81–82. Zum Konzept einer Kalkülsprache bei Descartes vgl. Arndt (1971), 29–68. 38 Vgl. dazu etwa Clarke (1982); Mittelstraß (1979). Eine sehr detaillierte Interpretation der entscheidenden Passagen in Regulae IV bietet Van De Pitte (1991). Diese beiden Aspekte sind von erheblicher historischer Bedeutung, denn eine genauere Vorstellung von künstlichen Kalkülen hätte Descartes vielleicht vor dem Irrtum bewahren können, dass Algorithmen von großer

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Dieser neue Methodenbegriff erhielt seine entscheidende theoretische und historische Schubkraft vor allem durch Descartes’ Konzept einer mathematischen Physik. Wenn die Extension, also geometrische Form oder Teilbarkeit sowie Bewegung in geometrischen Dimensionen die exklusiven Parameter physikalischer Phänomene sind, dann werden diese Phänomene der Behandlung durch analytische Geometrie direkt zugänglich. Es gibt Stellen, an denen Descartes zu behaupten scheint, dass alle physikalischen Behauptungen aus mathematischen Prinzipien deduzierbar sind; aber bei genauerem Zusehen macht er doch einen wichtigen Unterschied zwischen Mathematik und mathematischer Physik: Reine Mathematik untersucht mögliche extensionale Welten, mathematische Physik dagegen die aktuale extensionale Welt. Die Implikationen der reinen Mathematik sind also für die Physik zwar von großer Bedeutung, aber sachlich zu weit und zu allgemein.39 An genau dieser Stelle kommt für Descartes die methodische Bedeutung des Experimentes in der Physik ins Spiel, wie er z. B. im sechsten Teil des Discours betont. In einem Brief an Vatier vom Februar 1638 bemerkt Descartes, dass er in seiner Meteorologie, z. B. in der Theorie des Regenbogens, Beispiele seiner neuen physikalischen Methode präsentiert hat.40 Ich kann diese Beispiele hier nicht im Einzelnen diskutieren, aber das allgemeine Bild, das sich aus ihnen ergibt, ist das folgende: Wir beginnen nicht mit einem möglichen Theorem, sondern mit einem bisher ungelösten Problem, das quantitativ formuliert ist (z. B. unter welchem Winkel erscheinen die Bogen des Regenbogens am Himmel, und warum unter diesem Winkel?). Jede mögliche Lösung muss die Bedingungen der cartesischen Physik erfüllen (z. B. Vermeidung okkulter Qualitäten, Suche nach einfachen Naturen etc.). Die quantitative Lösung wird anhand empirischer Hypothesen entworfen und getestet (z. B. die Hypothese, dass der Regenbogen durch Lichtbrechung in Wassertropfen erzeugt wird, führt zu Experimenten mit Prismen und Kugeln, die zeigen, dass die farbige Sichtbarkeit der einfallenden Strahlen zwischen 51q und 52q, der gebrochenen Strahlen zwischen 41q und 42q liegt). Diese Lösung wird mit alternativen Lösungen verglichen und in das quantitative System der cartesischen Naturphilosophie integriert, d. h. als vereinbar mit deren mathematischen Prinzipien und ihren Folgerungen erwiesen (z. B. rekurriert die Lösung

_____________ methodischer Bedeutung sind. So aber glaubte er tatsächlich, den Schlüssel und den Umriss einer algorithmischen Methode in der Hand zu haben, die in jeder Wissenschaft auf zuverlässige Weise neue Wahrheiten zu generieren gestattet. 39 Vgl. Gaukroger (1989) und (1980). 40 Vgl. AT I, 559; zwei neuere Studien belegen, dass und inwiefern für Descartes die Rolle der »Erfahrung« (expérience) in der Wissenschaft unverzichtbar ist, vgl. Gewirth (1991) und Clarke (1991). Clarke zeigt insbesondere, dass für Descartes reflektierte, theoriegeleitete Erfahrung nicht durch reine Vernunftargumente überspielt werden darf, sondern für den Test bestimmter Teile physikalischer Theorien stets wichtig ist.

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des Winkelproblems beim Regenbogen nur auf Extensionen, nicht auf okkulte Qualitäten, und folgt aus der Berechnung des Brechungswinkels für Regenwasser). Die möglichst weitgehende Integration quantitativ formulierter und experimentell getesteter Hypothesen und Lösungen in die cartesianische Naturphilosophie gewährleistet für Descartes unbezweifelbare physikalische Erkenntnis. Solange diese Integration nicht gelingt, bleiben die Lösungen fallibel, aber Descartes hofft und fordert methodisch, möglichst viele Teile der Physik in diese Form unbezweifelbarer Erkenntnis zu überführen. Von dem umstrittenen logischen Status dieser Integration hängt es schließlich ab, ob wir annehmen können, dass Descartes letztlich auch auf einen physikalischen Lösungsalgorithmus setzte. Sicher ist aber, dass er an die physikalischen Theorien seiner Zeit, einschließlich seiner eigenen Physik, weniger hohe Ansprüche stellte, sondern vielmehr den falliblen empirischen Hypothesen einen unverzichtbaren Stellenwert zuzuschreiben bereit war. Diese Einschränkung kommt freilich in den Methodentraktaten kaum ausdrücklich zum Vorschein, und so bleibt es insgesamt bei dem Eindruck, dass Descartes einen scharfen wissenschaftstheoretischen Fundamentalismus propagierte, der sich zumindest auf allgemeine Mathematik und Naturphilosophie erstreckte und vermutlich in ferner Zukunft auch den hypothetischen Teil der empirischen Physik methodologisch aufsaugen sollte.41 Dieser Ansatz implizierte unmittelbar die Erwartung, dass sich die Natur algorithmisch theoretisieren lässt – eine Einschätzung, von der die antike Wissenschaftstheorie weit entfernt war. Der Fall Descartes zeigt, wie vielschichtig und komplex die Transformation des aristotelischen Wissenschaftsbildes beispielsweise in der Frühmoderne sein konnte. Zugleich werden die Gründe und Motive deutlich, die Descartes dazu brachten, gewisse Aspekte des aristotelischen Wissenschaftsbildes aufrechtzuerhalten, ohne sich explizit auf Aristoteles zu beziehen.

III. Ich möchte jetzt einen großen historischen Sprung machen und auf einige Aspekte der Transformation aufmerksam machen, die das aristotelische Wissenschaftsbild im 20. Jahrhundert erfahren hat. Diese Transformation wurde zunächst maßgeblich vom logischen Empirismus im Wiener Kreis und dem kritischen Rationalismus Poppers zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt. Ihre entscheidende Grundlage war die klare Trennung von Formalwissenschaften und empirischen Wissenschaften – im Anschluss an Bemerkungen von David Hume und auf der Grundlage der strikten Differenz _____________ 41 Vgl. Gaukroger (1989), 110–116.

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zwischen analytischen und synthetischen Sätzen. Damit konnte klargestellt werden, dass die Theorien der Formalwissenschaften apriorische und epistemisch gewisse Theoreme liefern, während die grundlegenden Annahmen in Theorien der empirischen Wissenschaften aposteriori, epistemisch höchstens gut bestätigt und im Prinzip stets falsifizierbar sind. Kurz, die beiden Deutungen des aristotelischen Wissenschaftsbildes, die von der Frühmoderne als systematische Wissenschaftsmodelle betrachtet wurden, konnten jetzt säuberlich auf Formalwissenschaften und empirische Wissenschaften verteilt werden. Das axiomatische Wissenschaftsbild galt für Formalwissenschaften (formale Logik und Mathematik), das empiristisch-falsifikationistische Modell für die empirischen Wissenschaften. Zugleich war am Ende des 19. Jahrhunderts der strenge Begriff von Logik wiedergewonnen und entschieden ausgebaut worden. Auf dieser Grundlage wurde die aristotelische Wissenschaftsauffassung von führenden Vertretern des logischen Empirismus wie àukasiewicz, Quine und Ayer (die natürlich keine Aristoteles-Experten waren) im Sinne des axiomatischen Wissenschaftsbildes interpretiert. Insbesondere wurden die aristotelischen Definitionen, also (nach Aristoteles) die grundlegenden explanatorischen empirischen Prämissen wissenschaftlicher Theorien, (fälschlicherweise) als analytische Sätze betrachtet, ganz im Sinne der Auffassung von Definitionen, die im logischen Empirismus üblich war.42 Diese Interpretation war dann ihrerseits die Grundlage für eine harte wissenschaftstheoretische Kritik an Aristoteles seitens der Vertreter des logischen Empirismus. Man warf Aristoteles vor, die Methodologien formaler und empirischer Wissenschaften konfundiert, das axiomatische Wissenschaftsbild zu Unrecht auf die empirischen Wissenschaften übertragen und daher einem unbeschränkten wissenschaftlichen Dogmatismus gehuldigt zu haben. Daher konnten Karl Popper und seine Anhänger behaupten, als erste Wissenschaftsphilosophen in der Geschichte der westlichen Philosophie radikal mit einem axiomatisch-deduktiven und somit dogmatischen Bild von empirischen Wissenschaften gebrochen zu haben.43 Vor diesem Hintergrund klassischer moderner wissenschaftstheoretischer Auffassungen und ihrer Abgrenzung vom aristotelischen Wissenschaftsbild ist es aufschlussreich, die wichtigsten modernen professionellen Deutungen der aristotelischen Wissenschaftstheorie durchzugehen, um zu prüfen, wie das aristotelische Wissenschaftsbild in diesem Kontext rezipiert wurde. Dabei ergibt sich ein überraschender Befund. Unter den modernen professionellen Interpretationen der Zweiten Analytik lassen sich nämlich einige wenige Modelle voneinander unterscheiden. Die axiomatische Lesart ist bis heute einflussreich und dominant.44 Ihr zufolge zielt eine _____________ 42 Vgl. z. B. Ayer (1967), 56 f.; Quine (1979), 28, 147 f.; àukasiewicz (1951). 43 Vgl. z. B. Popper (1980), 368 Anm. 47 zu Kap. 1; ders. (1973), 11, 2218 f.; Lakatos (1970), 90. 44 Zur Literatur zu diesem Punkt vgl. Detel (1998), 157–158, Anm. 2.

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wissenschaftliche Theorie W nach Aristoteles auf die Entdeckung von Prinzipen, die (1) alle Theoreme von W logisch implizieren und eine Axiomatisierung von W konstituieren, (2) weder innerhalb noch außerhalb von W argumentativ begründet werden können, (3) durch Induktion und Einsicht erfasst werden, (4) immer wahr sind und niemals falsch sein können, (5) sich auf ontologisch notwendige Essenzen im Gegenstandsbereich von W beziehen, und (6) auf kausale, naturgesetzliche Relationen im Kosmos verweisen. Kurz: Wissenschaftliche Erkenntnis ist axiomatisch, fundamentalistisch und essentialistisch. Man könnte deshalb auch von einem AFE-Modell sprechen.45 Tatsächlich sagt Aristoteles, dass Wissen und Einsicht epistemische Zustände sind, mit denen wir die Wahrheit erfassen und die immer wahr sind (an. post. 100b6–8). Er betont, dass wir von den Prinzipien einer wissenschaftlichen Theorie mehr überzeugt sein sollten als von ihren Theoremen und Konklusionen (an. post. 72a15–b4) und dass wissenschaftliche Prinzipien weder bewiesen noch demonstriert werden können (an. post. I, 2). Diese und ähnliche Bemerkungen sind als Belege der axiomatischen Lesart betrachtet worden. Neuerdings haben einige Gelehrte eine alternative Interpretation vorgeschlagen: »Es gibt deutliche Hinweise, dass die Theorie der Zweiten Analytik die angemessene formale Darstellung und Präsentation eines abgeschlossenen wissenschaftlichen Systems vorlegen sollte«.46 Diesem Bild zufolge ist es wichtig, bei Aristoteles den Aspekt der wissenschaftlichen Entdeckung und Forschung klar von dem Aspekt der Lehrens, Lernens und der pädagogischen Präsentation einer abgeschlossenen wissenschaftlichen Theorie zu unterscheiden. Und es ist der zweite dieser Aspekte, der in der Darstellung der aristotelischen Wissenschaftstheorie in der Zweiten Analytik dominiert. Unter diesem zweiten Aspekt sollte eine wissenschaftliche Theorie axiomatisch aufgebaut und logisch so transparent wie möglich sein. Unter dem ersten Aspekt dagegen betont Aristoteles dieser Lesart zufolge, dass sich wissenschaftliche Forschung mit den empirischen Phänomenen beschäftigt. So genannte Essenzen sind nichts anderes als kausal grundlegende Eigenschaften der empirischen Phänomene. Die Einsicht als angeblich höchstes epistemisches Vermögen spielt hier keine Rolle; vielmehr beruht die Forschung auf Wahrnehmung und Induktion, und daher erweist sich Aristoteles im Rahmen seiner Theorie von wissenschaftlicher Forschung als überzeugter Empirist.47 Einflussreiche Aristotelesforscher sehen diese pädagogisch-empiris_____________ 45 Vgl. Detel (1993). 46 Barnes (1975), X; ders. (1969) und (1981). 47 Vgl. Owen (1961); Wieland (1962); Barnes (1975), 259.

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tische Deutung als neue Orthodoxie in unserem Verständnis des aristotelischen Wissenschaftsbildes an.48 Und schließlich haben einige Aristoteles-Interpreten betont, dass Aristoteles der Meinung ist, wissenschaftliche Aktivität ziele nicht auf die Entdeckung neuer Sachverhalte, sondern eher auf die Vertiefung vorhandenen Wissens durch Erklärungen wohlbekannter Phänomene, deren Prämissen meist ebenfalls aus einem Reservoir bekannter Tatsachen stammen. Das ist dieser Vertiefungslesart zufolge auch der Grund dafür, dass Fragen der Rechtfertigung in der Zweiten Analytik allenfalls eine höchst untergeordnete Rolle spielen. Unser vorhandenes Wissen wird durch Erklärungen nicht erst gerechtfertigt, sondern besser verständlich.49 Damit wird deutlich, dass unter den professionellen Interpreten der aristotelischen Wissenschaftstheorie im 20. Jahrhundert dieselbe Spaltung auftritt wie schon im Mittelalter. Es gibt nach wie vor die empiristische Deutung, die nun mit einem pädagogischen Aspekt angereichert wird. Vorherrschend ist aber nach wie vor die axiomatische Lesart, die zweifellos von der Aristoteles-Deutung der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts beeinflusst ist, nun aber vor dem Hintergrund des modernen fallibilistischen Bildes empirischer Wissenschaften im Gegensatz zu der entsprechenden mittelalterlichen Lesart zugleich kritisch gegen Aristoteles gewendet wird. Ich möchte zum Abschluss dieses Abschnittes allerdings eine weitere Lesart vorstellen, die vielleicht dazu beitragen kann, das historisch uneinheitliche Bild der Rezeption und Transformation des aristotelischen Wissenschaftsbildes konsistent zu machen.50 In der Metaphysik macht Aristoteles eine nette kleine Bemerkung über das Treffen der Wahrheit: »Niemand ist in der Lage, die Wahrheit voll zu erfassen, aber jeder sagt etwas Wahres über die Natur der Dinge« (metaph. 993a31–3b4). Diese Bemerkung trifft auch auf die skizzierten drei führenden modernen Interpretationen des aristotelischen Wissenschaftsbildes zu. Der Beginn der Weisheit in unserem Verständnis dieses Bildes ist die Unterscheidung von Bemerkungen des Aristoteles über die ideale, perfekte Gestalt einer wissenschaftlichen Theorie und Aktivität einerseits, und Bemerkungen über die begrenzte epistemische Situation, in der endliche Wesen wie menschliche Forscher an fast jedem Punkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit und Karriere stecken. Wenn wir uns diese Unterscheidung vor Augen führen, so wird deutlich, dass es gerade das Ideal einer wissenschaftlichen Theorie ist (nämlich dass sie unabänderlich wahr sein, auf grundlegendsten Prinzipien beruhen und eine perfekte logische Ordnung aufweisen sollte), vor dessen Hintergrund klar wird, in welcher Weise konkrete menschliche Forschung fehlgehen kann und zumeist fallibel ist. In seiner Wissenschaftstheorie sehen wir Aristoteles beides tun – skizzieren, wie eine perfekte wissenschaftliche _____________ 48 Vgl. z. B. Bolton (1987), 121; Sorabji (1980), 188, 194. 49 Vgl. Kosman (1973); Lesher (1973); Burnyeat (1981); Lear (1988). 50 Zum folgenden vgl. Detel (1993), Bd. I, 263–334.

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Theorie idealerweise aussehen sollte, und darauf hinweisen, wie endlich und fragil unser Wissen im konkreten Falle meist ist. Nur wenn wir beide Aspekte berücksichtigen, können wir nach Aristoteles (und übrigens auch schon nach der Überzeugung seines Lehrers Platon51) unseren jeweiligen Wissensstand ständig und nachhaltig verbessern. Das ist die grundlegende These der komplexen Lesart der aristotelischen Wissenschaftstheorie.52 Aus der Perspektive der komplexen Lesart konzentriert sich die axiomatische Deutung ausschließlich auf das aristotelische Wissenschaftsideal. Wenn Aristoteles beispielsweise sagt, die Wissenschaft sei immer wahr, macht er eine Bemerkung darüber, wie Wissenschaft idealerweise sein sollte und wie wir Wissenschaft definieren. Die entscheidende Schwäche der axiomatischen Lesart ist, dass sie Aristoteles’ Hinweise auf das Wissenschaftsideal auch auf die konkrete epistemische Situation von Forschern und die epistemische Sicherheit konkreter Wissenschaftsprojekte bezieht. Die pädagogische Lesart dagegen betont mit Recht, dass Aristoteles im ersten Satz der Zweiten Analytik und an anderen Stellen über den Lehr- und Lernkontext spricht, in dem jede wissenschaftliche Theorienbildung steht. Es ist auch wahr, dass nach Aristoteles’ Meinung das Lehren und Lernen einer wissenschaftlichen Theorie dadurch erleichtert wird, dass die Theorie in einem axiomatischen Rahmen präsentiert wird, so dass die Lernenden klar sehen können, wie die verschiedenen Behauptungen der Theorie logisch voneinander abhängen. Aber es ist klarerweise falsch anzunehmen (wie es die Vertreter der pädagogischen Lesart tun), dass Aristoteles Wahrnehmung, Induktion und dialektische Argumentation eindeutig dem Kontext der Forschung und Theorienbildung, Deduktion und Demonstration dagegen eindeutig dem Kontext der Präsentation einer abgeschlossenen Theorie zugeschlagen hat. Diese Annahme ist nämlich unvereinbar mit der – für Aristoteles so zentralen – wissenschaftstheoretischen These, dass Wissenschaft primär auf die Entdeckung von Ursachen und Prinzipien wahrnehmbarer Phänomene zielt (jedenfalls sofern es sich um empirische Wissenschaft handelt). Denn die Entdeckung von Ursachen und Prinzipien erfordert notwendigerweise die Konstruktion von logisch geordneten Netzen deduktiver Demonstration und ihrer Axiomatisierung. Insofern gehören Deduktion und Demonstration auch zum Kontext der Forschung. Endlich betont die Vertiefungsdeutung mit Recht, dass Aristoteles in der Zweiten Analytik nicht primär am Wissen von Fakten, sondern am Prozess der deduktiven Erklärung von Fakten interessiert ist. Doch reflektiert Aristoteles zugleich auch über Methoden einer adäquaten Sicherung von allgemeinen Fakten, und Fragen der Rechtfertigung von Wissensansprüchen auf verschiedenen Ebenen _____________ 51 Vgl. dazu Rowe (2003), 57–68; Detel (2003), 79–96. 52 Diese Deutung wird ausführlich dargestellt, belegt und begründet in Detel (1993) und ders. (1998). Vgl. neuerdings auch eine Zusammenfassung in Detel (2006).

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wissenschaftlicher Theorien werden durchaus angeschnitten. Dies gilt insbesondere auch für wissenschaftliche Prinzipien. Sicherlich ist Aristoteles der Meinung, dass diese Prinzipien nicht deduziert (d. h. logisch von grundlegenderen Prämissen abgeleitet) oder gar demonstriert (d. h. deduktiv durch Verweis auf Ursachen erklärt) werden können – andernfalls wären sie keine Prinzipien. Aber zwei der drei Arten von Prinzipien, nämlich Postulate (logische Annahmen) und Existenzannahmen über grundlegende wissenschaftliche Entitäten (so genannte Hypothesen) können in Logik und Metaphysik begründet werden. So begründet Aristoteles zum Beispiel das grundlegende logische Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten (also dass für jeden Satz p gilt: p oder nicht-p) in der Metaphysik (Buch IV) und die Gültigkeit syllogistischer Inferenzen in der Ersten Analytik (Buch I). Außerdem diskutiert er etwa die Rechtfertigung für Annahmen über die Existenz mathematischer Entitäten (metaph. XIII). Endlich können und müssen auch die so genannten Definitionen, also die höchsten explanatorischen Annahmen und demonstrativen Prämissen einer wissenschaftlichen Theorie nach Aristoteles in einem doppelten Sinne gerechtfertigt werden: Als universelle Sätze müssen sie induktiv gerechtfertigt werden (an. post. II, 19), und als Prinzipien müssen sie dadurch gerechtfertigt werden, dass sie nach Konstruktion einer gesamten wissenschaftlichen Theorie an der axiomatischen Spitze der Theorie auftreten. Auf diese Weise lässt sich zeigen, dass die komplexe Deutung des aristotelischen Wissenschaftsbildes die Stärken der axiomatischen, pädagogischen und vertiefenden Interpretation bewahrt, aber ihre Schwächen vermeiden kann. Es könnte hilfreich sein, diese Lesart durch einige ergänzende Details zu verdeutlichen. Gewiss behauptet Aristoteles, dass die Wissenschaften ihre Prinzipien durch Intuition (nous) erfassen und ihre Theoreme aus den Prinzipien demonstrieren, und zuweilen heißt es sogar, dass Intuition und Wissen »immer wahr« sind; aber diese Formeln müssen sorgfältig rekonstruiert werden. Intuition und Wissen sind für Aristoteles »immer wahr« in dreifacher Hinsicht: Erstens, wir verwenden die Formel »P hat eine Intuition (ein Wissen) von X« so, dass daraus analytisch folgt, dass der Satz »X« wahr ist; zweitens, die Intuition oder das Wissen von X ist immer wahr, wenn der Satz ›X‹ wahr und X eine ewige Struktur ist; und drittens, die Intuition oder das Wissen des Prinzips X resultiert in einer explanatorischen Definition von X, die X voll identifiziert und daher nicht prädikativ falsch sein kann. In keinem dieser drei Fälle folgt jedoch, dass epistemische Aktivitäten, die praktizierende Wissenschaftler als Intuitionen oder Wissen von X beschreiben, die Wahrheit von »X« prozedural garantieren. Denn, wie Aristoteles einmal bemerkt, es ist schwer zu wissen, ob wir wissen. Der Kernbegriff der aristotelischen Wissenschaftstheorie ist »Apodeixis«. Eine Apodeixis oder Demonstration von X ist eine deduktive Erklärung von X, d. h. ein logisch gültiger Syllogismus mit der Konklusion X, derart dass seine

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Prämissen als wahr gelten können und seine Unterprämisse auf ein Ereignis verweist, das als aristotelische Ursache (z. B. als Bewegungsursprung oder Material) von X klassifiziert werden kann. Eine wissenschaftliche Theorie besteht nach Aristoteles aus einem Netz von Demonstrationen, dessen logische Ordnung möglichst hierarchisch sein soll, aber auch durchaus flexibel sein kann. Dieses Netz repräsentiert die formale Struktur einer ausgearbeiteten Theorie, also die logische Ordnung ihrer kausalen Erklärungen. Jene demonstrativen Prämissen, die an der Spitze dieser Ordnung stehen, d. h. ihrerseits nicht mehr demonstriert werden können, sind die Prinzipien der Theorie. Aber die aristotelische Wissenschaftstheorie hat nicht nur über die formale Gestalt wissenschaftlicher Theorien und Disziplinen, sondern auch über den »Weg zu den Prinzipien« vieles zu sagen. Es ist von größtem methodologischen Gewicht, dass Aristoteles sowohl seine Logik als auch seine Wissenschaftstheorie »Analytik«, also »Kunst der Analyse« nennt, denn die Analyse ist der wichtigste Teil des Weges zu den Prinzipien: Die wissenschaftliche Heuristik, die »Logik der Entdeckung«, spielt für Aristoteles also eine überragende Rolle, und ich möchte daher ihre wichtigsten Aspekte kurz skizzieren, und zwar zunächst für die empirischen Wissenschaften. Der Weg zu den Prinzipien einer empirischen Theorie oder Disziplin beginnt mit der Feststellung möglichst vieler allgemeiner empirischer Fakten, beschrieben in syllogistischen Allsätzen. Das wichtigste methodische Instrument dafür ist die Induktion, die für Aristoteles nicht eine Argumentationsform, sondern eine Aufzählung endlich vieler singulärer Sätze unter einem Ähnlichkeitsgesichtspunkt ist. Für Aristoteles steht fest, dass eine Induktion syllogistische Allsätze logisch nicht impliziert, wohl aber einen guten Grund für das Postulat einer universellen Struktur abgeben kann, – vor allem aber ist er explizit der Meinung, dass jeder syllogistische Allsatz, der universelle Strukturen beschreibt, prinzipiell durch Einzelinstanzen falsifizierbar ist: Die These »das A kommt allen B zu« wird widerlegt durch Vorweisen eines B, das nicht A ist. Aristoteles war sich aufgrund eigener Erfahrungen völlig darüber im Klaren, wie schwierig es oft ist, zuverlässige universelle Fakten zu etablieren. In einigen Fällen können Prämissen von Demonstrationen ihrerseits aus Symptomen syllogistisch deduziert werden. Dass die Planeten nicht funkeln, kann kausal demonstriert werden dadurch, dass sie nahe sind; aber dass sie nahe sind, kann daraus deduziert werden, dass sie nicht funkeln. Diese Deduktion nannte man später demonstratio propter quid, im Unterschied zur genuinen demonstratio quia; aber Aristoteles ist klar darüber, dass die Deduktion von Fakten oder gar demonstrativen Prämissen ein seltener Sonderfall ist, weil hier der syllogistische Mittelbegriff und Unterbegriff koextensiv sein müssen. Außerdem basiert auch die Deduktion von Fakten oder Prinzipien auf induktiv gesicherten universellen Prämissen. Sind die universellen Fakten gesammelt, so beginnt die Analyse. Die Analyse geht von einem induktiv gesicherten Allsatz als Theorem aus und sucht diesen

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Allsatz durch möglichst viele syllogistische Mittelbegriffe zu »verdicken« und »verdichten«. Jeder gefundene Mittelbegriff definiert syllogistische Prämissen, die ihrerseits induktiv zu bestätigen sind, und das analytische Verfahren wird solange fortgesetzt, bis eine umgekehrte syllogistische Pyramide gefunden ist, deren Prämissen sämtlich »unvermittelt« sind. Die Analyse hat dann die kleinsten logischen Elemente des ursprünglichen Theorems gefunden: Sie »zerlegt« das Theorem logisch in seine unvermittelten syllogistischen Prämissen. Damit ist allerdings der Weg zu den Prinzipien noch lange nicht abgeschlossen, denn zunächst sind nur deduktive Prämissen für ein Theorem gefunden. Aus diesen Prämissen lassen sich, wenn es mehr als zwei sind, mehr Folgerungen deduzieren als nur das eine Theorem, von dem die Analyse ausging, und diese Deduktionen sind auszuführen; ferner sind aus den etablierten Deduktionen die Demonstrationen auszuwählen, und diese gesamte Prozedur ist für jedes mögliche Theorem der Theorie durchzuführen. Endlich müssen all diese Demonstrationen logisch und explanatorisch vernetzt werden; diese Vernetzung kann weitere Demonstrationen oder Deduktionen ermöglichen, und erst nach Abschluss all dieser Verfahren werden die Prinzipien sichtbar. Dann ist aber die gesamte Theorie voll ausgearbeitet – die Synthese ist Teil der Analyse, und die Prinzipien können nicht unabhängig von der Analyse, sondern nur auf der Grundlage zahlreicher Analysen eingesehen werden. Die Analyse ist nicht eine top-down-Prozedur, sondern ein empirisches bottom-up-Verfahren: Zu allgemeinen empirischen Theoremen, die als wahr gelten, werden empirisch wahre syllogistische Prämissen gesucht, die explanatorische Kraft haben. Die Form des Verfahrens ist syllogistisch, aber sein Inhalt ist empirisch: Die Analyse kann also nur auf der Basis empirischen Wissens durchgeführt werden. Jede vorgeschlagene Analyse kann sich daher, wie Aristoteles klar macht, in dreierlei Hinsicht als falsch erweisen: Erstens, die Annahme der empirischen Wahrheit der gefundenen Prämissen wird induktiv widerlegt; zweitens, die gefundenen Prämissen implizieren logisch neben dem Ausgangstheorem weitere universelle Sätze, die sich als falsch erweisen; und drittens, die Annahme der Unvermitteltheit der obersten Prämissen erweist sich durch nachträgliche Entdeckung weiterer empirischer Tatsachen und entsprechender Mittelbegriffe als unrichtig. Diese Falsifikationsmöglichkeiten folgen nach Aristoteles bereits daraus, dass jeder empirische Allsatz nur induktiv gesichert ist, dass sich wahre Sätze logisch korrekt aus falschen Prämissen ableiten lassen, dass eine korrekte Deduktion eines falschen Satzes die Konjunktion seiner Prämissen falsch macht und dass uns nicht sämtliche empirischen Tatsachen bekannt sind. Aristoteles entwickelt ein kompliziertes Argument für die Endlichkeit jeder Analyse, aber es ist bezeichnend, dass dieses Argument nur einen ontologischen Existenzbeweis für unvermittelte Prämissen bietet und nicht die These enthält, dass wir diese Prämissen auch sämtlich finden können. Die Analyse als wissenschaftliche Heuristik ist für Aristoteles eine fallible Methode, die aus logischen und empirischen Gründen keinen sicheren Lösungsweg bieten kann.

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Die Intuition (Einsicht, nous) in eine Sache besteht für Aristoteles allgemein in der Kenntnis der einfachsten Elemente dieser Sache. In der Wissenschaft bilden universelle Fakten bzw. Theoreme den spezifischen Gegenstandsbereich, und ihre einfachsten Elemente sind gerade ihre unvermittelten syllogistischen Prämissen. Die wissenschaftliche Intuition wird daher von Aristoteles bündig als Annahme der unvermittelten Prämissen definiert und als jener epistemische Zustand beschrieben, in dem wir uns befinden, wenn wir die Prinzipien einer Sache kennen. Die Intuition eines wissenschaftlichen Gegenstands X besteht demnach präzise in der Kenntnis der Analyse von X. Für Aristoteles kann keine Rede davon sein, dass wir uns mittels Intuition der Wahrheit der Prinzipien unmittelbar und endgültig versichern und sodann alle Theoreme logisch aus den Prinzipien deduzieren. Vielmehr steht die Einsicht in die Prinzipien erst am Ende eines langen und komplizierten analytischen Verfahrens, das zugleich die deduktive und demonstrative Struktur der verhandelten Theorie klärt. Der Anspruch auf Intuition teilt daher mit der Analyse deren volle Fallibilität. Die heuristische Analytik der empirischen Wissenschaften hat im Rahmen der aristotelischen Wissenschaftstheorie eine glasklare, konsistente und vernünftige Gestalt, die der Syllogistik einen wohlbestimmten systematischen Sitz zuweist.53 Die analytische Methode im aristotelischen Sinne führt stets auf Elemente, die noch universelle Strukturen sind. Aristoteles war mit Platon der Meinung, dass hochkomplexe Bereiche wie die Welt sinnlich wahrnehmbarer Dinge, die in erheblichem Ausmaß von Kontingenzen durchzogen sind, nicht methodisch analysierbar und daher nicht wissenschaftlich theoretisierbar sind. Wissenschaften einschließlich der Mathematik werden nur durch Abstraktionen konstituiert, die die Kontingenz aus der sinnlich wahrnehmbaren Welt mit ihrer ontologischen Priorität herausfiltern. Nimmt man hinzu, dass aristotelische Ursachenforschung ihrer Struktur nach keine empirischen Prognosen ermöglicht, so lässt sich leicht erkennen, dass die aristotelische Wissenschaftstheorie nicht nur vom wissen_____________ 53 Nach Aristoteles ist die analytische Methode nicht auf die empirischen Wissenschaften beschränkt. Die Analyse soll vielmehr auch in der Logik und Mathematik Anwendung finden. Aristoteles nennt in der Tat auch seine Syllogistik »Analytik«. Die Kunst der Analyse besteht in diesem Falle darin, die unvollkommenen Syllogismen selbst in ihre einfachsten Elemente zu zerlegen – nämlich in die perfekten Syllogismen und die Konversionsregeln. Diese Deutung wird allerdings durch die axiomatische Interpretation der Syllogistik, die lange Zeit verbreitet war, eher verbaut. Neuerdings hat sich eine angemessenere Auslegung durchgesetzt, der zufolge die Syllogistik eine Art Kalkül des natürlichen Schließens ist. Perfekte Syllogismen und Konversionsregeln sind Schlussregeln, aus denen sich die – ebenfalls als Schlussregeln aufgefassten – imperfekten Syllogismen analytisch zusammensetzen lassen, und genau so sind die Beweise der imperfekten Syllogismen im Text der »Ersten Analytik« auch gestaltet. Die Beweise der imperfekten Syllogismen repräsentieren ihre metalogische Analyse, und perfekte Syllogismen und Konversionsregeln sind die »Prinzipien« der Syllogistik. Auch hier ist das Finden der Beweise im Prinzip jedoch kein sicherer Algorithmus, sondern ein kreatives Verfahren. Ferner lässt sich die analytische Methode auch in der Ethik und Handlungstheorie zur Etablierung wissenschaftlicher Erklärungen verwenden.

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schaftstheoretischen Fundamentalismus und Dogmatismus, sondern auch von jedem Vertrauen auf die wissenschaftliche Kontrollierbarkeit und Manipulierbarkeit der uns umgebenden Natur weit entfernt war. Wenn man aus der Sicht dieser komplexen Deutung des aristotelischen Wissenschaftsbildes auf die skizzierten historischen Transformationen zurückblickt, dann lässt sich erkennen, dass diese Transformationen einseitige Rezeptionen waren, die jeweils nur bestimmte Aspekte der aristotelischen Wissenschaftsauffassung fokussiert haben – aus Gründen, die ihrem jeweiligen wissenschaftshistorischen Kontext geschuldet waren. Die Behauptung der analytischen Philosophen allerdings, Aristoteles habe für empirische Wissenschaften einen unhaltbaren methodologischen Dogmatismus vertreten, der in ein fallibilistisches Wissenschaftsbild zu transformieren sei, ist nicht eine echte Transformation des aristotelischen Wissenschaftsbildes selbst, sondern erweist sich als Transformation eines Zerrbildes der aristotelischen Wissenschaftsauffassung. Abschließend möchte ich auf einen weiteren aktuellen Fall einer zweifelhaften Transformation aufmerksam machen, die mit einem spezifischen Aspekt des aristotelischen Wissenschaftsbildes zusammenhängt.

Christliche und aristotelische Theologie Einer der Bestandteile des aristotelischen Wissenschaftsbildes ist die Idee, dass auch die Theologie eine Wissenschaft sein muss. Der programmatische Kern dieser Idee ist, dass Aussagen über Gott oder das Göttliche aus den besten verfügbaren naturwissenschaftlichen Theorien über die Welt abgeleitet werden sollten. Erst dieser logische Kontext verleiht der Theologie wissenschaftlichen Status.54 Aristoteles führt dieses steile Programm in seiner wissenschaftlichen Theologie auf exemplarische Weise aus. Denn er versucht mit erheblichem Aufwand und Scharfsinn, die Existenz und die zentralen Eigenschaften Gottes als eines unbewegten Bewegers strikt aus Bestandteilen seiner metaphysischen und physikalischen Lehren abzuleiten.55 Seiner physikalischen Rolle nach ist der aristotelische Gott dieser Ableitung zufolge der Kern der funktionalen Organisation des Kosmos im Ganzen. Seinen zentralen Eigenschaften nach muss der aristotelische Gott numerisch einer, immateriell, reine Aktivität, ohne Teile und Ausdehnung, ewig und unbewegte Ursache aller kosmischen Bewegung sein. Aristoteles betont, dass wir Menschen für das Ensemble dieser Eigenschaften nur ein Modell haben – das reine Denken. Und darum bestimmt er unter Verwendung dieses Modells Gott als reine, sich selbst denkende Vernunft. Aber dieser Gott ist weder aktiver und _____________ 54 Zu einem Überblick vgl. Detel (2005), 43–46. 55 Vgl. Aristoteles, phys. VIII 10 und metaph. XII, 1–5.

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vorausbestimmender Lenker der Welt noch Ursprung von Ethik oder Moral; er ist keine Person, kein Wesen, das mit den Menschen kommuniziert oder mit dem wir Menschen kommunizieren können, also auch kein Wesen, das Gebete entgegennehmen könnte, und keine bewachende, belohnende oder strafende Instanz, erst recht nicht im Jenseits, denn der aristotelischen Psychologie zufolge stirbt unsere persönliche Seele mit unserem Körper. Vor allem aber ist der aristotelische Gott kein Schöpfergott, sondern der strukturelle und tragende Bestandteil des ewigen Kosmos. In dieser theologischen Konzeption gibt es für eine Differenz zwischen religiösem Glauben und theologischem Wissen keinerlei begrifflichen Spielraum. Zugleich hat das Phänomen der Religiosität in der wissenschaftlichen Theologie einen festen und zentralen systematischen Sitz: Der Kern der Religiosität ist das Bemühen endlicher Wesen, ihr begrenztes Leben auf die eine oder andere Weise auf etwas Über-Endliches oder gar Ewiges zu beziehen und sich auf diese Weise mit dem Leiden und dem endgültigen Ende ihrer individuellen Existenz zu versöhnen. Für Aristoteles kann dieses Streben nach einem Anteil an der Ewigkeit sehr verschiedene Formen annehmen, beispielsweise als Reproduktion der Arten bei Tieren, als Bezug auf Ahnen und Nachkommen bei normalen griechischen Familien oder als Bildung und geistige Zeugung bei Wissenschaftlern.56 Gott kann mit vernünftigen Methoden erkannt werden, er ist selbst reine Vernunft, und Religiosität ist als Versuch, Gott näher zu kommen, allen Lebewesen eigen – das sind die grundlegenden Ideen der aristotelischen Theologie und zugleich des Programms der antiken Vernunftreligion. In seiner Regensburger Rede aus dem Jahre 2006, die in vielen Kommentaren als wegweisend bezeichnet wurde, scheint Papst Benedikt XVI. an das Programm einer Vernunftreligion anzuknüpfen. Denn er versucht die These zu verteidigen, dass christlicher Glaube und Vernunft unzertrennlich zusammengehören und dass daher die christliche Theologie den Status einer Wissenschaft hat.57 Christliche Theologie steht der Auffassung des Papstes zufolge mit allen anderen Wissenschaften in einer »gemeinschaftlichen Verantwortung für den rechten Gebrauch der Vernunft.« Damit stellt sich der Papst prima facie in die Tradition der Vernunftreligion. Und wenn Benedikt XVI. zur Begründung seiner These auf die Verbindung des christlichen Glaubens mit dem »Besten« der klassischen griechischen Philosophie hinweist, die stets den Grundsatz verteidigt habe, »dass vernunftwidrig zu handeln dem Wesen Gottes zuwider ist«, dann behauptet er damit zumindest implizit, dass die christliche Theologie auch als moderne Transformation der aristotelischen Theologie betrachtet werden kann. Denn Aristoteles gehört aus christlicher Sicht sicherlich zum Besten der klassischen griechischen Philosophie und kennzeichnet Gott als reine Vernunft. Tatsächlich bemerkt der Papst ausdrücklich, dass es gerade die Verbindung weiter Teile und Perioden des _____________ 56 Vgl. Detel (1997). 57 Eine Dokumentation der Rede findet sich z. B. in der Süddeutschen Zeitung vom 12.9.2006.

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Christentums mit der großen antiken Tradition war, die zur Geburt Europas und des europäischen Denkens geführt hat. In einem zweiten Schritt charakterisiert und kritisiert der Papst die wichtigsten historischen Bewegungen, die versucht haben, die innige Verbindung von Vernunft und Glaube zu zerreißen (die »Enthellenisierungswellen«) – die Reformation des 16. Jahrhunderts, die liberale Theologie des 19. und 20. Jahrhunderts und den Kulturrelativismus der Gegenwart. Der spätmittelalterliche Vorläufer dieser Bewegungen ist, wie der Papst kritisch bemerkt, der Voluntarismus beispielsweise eines Duns Scotus. Diese Position behauptet, Gottes Allmacht erlaube ihm, alles zu tun, was er will – unter anderem auch unvernünftig zu sein, logische Widersprüche zu akzeptieren oder seine Verkündigungen unerfüllt zu lassen.58 Dem Voluntarismus zufolge könnte es folglich ein Wort Gottes überhaupt nicht geben, jedenfalls keines, das wir Menschen vernehmen könnten. In einem dritten und letzten Schritt macht der Papst auf die positivistisch und naturwissenschaftlich inspirierte Verkürzung der Vernunft seit Kant aufmerksam – eine Verkürzung, die im Kern darin bestehe, dass nur noch jenes Wissen, dass sich empirisch rechtfertigen und mathematisch formulieren lässt, als wissenschaftlich und vernünftig anerkannt wird. Nur aufgrund dieser Verarmung des Vernunftbegriffes konnten, wie der Papst abschließend argumentiert, der christliche Glaube aus dem Bereich der Vernunft und die christliche Theologie aus dem Bereich der anerkannten Wissenschaften ausgeschlossen werden. Sein eindringliches Plädoyer für die Rehabilitierung eines umfassenderen und reicheren Vernunftbegriffes soll das Band zwischen Glaube und Vernunft, zwischen Theologie und Wissenschaft wieder instand setzen. In der Regensburger Rede wird diese Argumentation in wohlgesetzten Worten und geschliffenem Stil vorgetragen, doch inhaltlich betrachtet ist diese Rede wenig beeindruckend. Wenn Benedikt XVI. von einer »gegenseitigen Berührung« und »Begegnung« zwischen christlichem Glaube und griechischer Vernunft sprechen möchte, dann handelt es sich zumindest im exemplarischen Fall der aristotelischen Philosophie eher um einen Euphemismus. Denn die christliche Umdeutung des aristotelischen unbewegten Bewegers zum christlichen Schöpfergott war keine Begegnung, sondern eine dramatische Veränderung der zentralen Ideen der aristotelischen Theologie und eine Abkehr vom vernunftreligiösen Programm des Aristoteles. Die Vorstellung zum Beispiel, dass Gott die Menschen liebt und seinen Sohn auf die Erde geschickt hat, um die Sünden der Welt auf sich zu nehmen, ist im Rahmen der aristotelischen wissenschaftlichen Theologie offenkundig nicht falsch, sondern sinnlos, weil sie mit dem Gottesbegriff unvereinbar ist. Denn wer liebt, ist Aristoteles zufolge defizitär, und wer einen materiellen Sohn entsenden _____________ 58 Duns hat daher auch auf einer Trennung von Glauben und Wissen bestanden, d. h. er hielt das aristotelische Programm der Vernunftreligion im Rahmen des christlichen Glaubens für undurchführbar, ganz im Gegensatz zu Thomas von Aquin, der alles daran setzte, christlichen Glauben und das wissenschaftliche Weltbild des Aristoteles miteinander zu versöhnen.

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kann, muss Materie enthalten. Vor allem aber konnte ein persönlicher, lenkender, kommunizierender, strafender, belohnender und richtender göttlicher Schöpfer des Universums weder aus der aristotelischen noch aus einer nach-aristotelischen Metaphysik und Physik abgeleitet werden. Es ist denn auch bezeichnend, dass der Papst die Entwicklung der modernen christlichen Theologie unter dem Aspekt der Enthellenisierungswellen, aber nicht unter dem Aspekt der Vernunftreligion betrachtet. Die aristotelische Theologie und Hegel als größter philosophischer Vertreter einer neuzeitlichen christlichen Vernunftreligion hätten zumindest erwähnt werden müssen, aber zum Beispiel auch die deistische Position vieler Denker der Aufklärung, beispielsweise des Philosophen Locke oder des Dichters Lessing. Dem Deismus zufolge – das ist mittlerweile allgemeines Bildungsgut – gibt es nur einen Gott, der die Natur samt ihrer Naturgesetze erschaffen hat (ob auch das moralische Gesetz, ist fraglich). Seit der Erschaffung der Welt greift Gott jedoch nicht mehr in das Geschehen ein. Er richtet nicht auf Erden, und ob im Jenseits, ist fraglich. Es gibt keine Offenbarungsschriften und keine Offenbarung, sondern Gott kann als Schöpfer der Welt durch natürliche Vernunft erkannt werden. Die Menschen müssen sich daher ihrer eigenen Vernunft bedienen, um ihr Leben zu gestalten und den moralischen Standpunkt zu verbreiten. Diese wenigen Grundsätze bilden die natürliche Religion – den wahren Kern aller positiven Religionen wie Judentum, Islam und Christentum. Dieser religiöse Kern ist zwar nicht aus der klassischen Physik ableitbar, aber doch zumindest mit ihr vereinbar. Alles, was von den positiven Religionen über diesen Kern hinaus behauptet wird, ist unüberprüfbar und darf daher nicht als Wahrheit ausgegeben werden. Daraus folgt dem Deismus zufolge, dass sich die Vertreter der positiven Religionen ohne Dogmatismus und mit Respekt und Nachsicht begegnen sollten und dass im Namen positiver Religionen weder Kriege geführt noch Gewalt angewendet werden dürfen.59 Das Resultat dieser kurzen Analyse ist ernüchternd. Der Papst betont in seiner Regensburger Rede den historischen Bezug der christlichen Lehre auf die Tradition der Vernunftreligion, doch in den wichtigsten und einflussreichsten historischen Fällen lässt sich diese Verbindung nicht nachweisen. Überdies lässt der Papst offen, in welchem Umfang die Reflexion auf historische Modelle der Vernunftreligion positionelle und wissenschaftstheoretische Konsequenzen für die gegenwärtige christliche Theologie haben könnte. _____________ 59 Vgl. z. B. Byrne (1989). Der Deismus ist zudem voll vereinbar mit der uneingeschränkten Geltung der weitreichendsten Errungenschaft der frühen westeuropäischen Moderne – der klassischen Physik. Und es gibt gute Gründe anzunehmen, dass die deistische Position auch die moderne Physik integrieren kann. Denn die gegenwärtige Kosmologie kann vieles am Big Bang erklären, aber bislang nicht (und vielleicht sogar prinzipiell nicht), welche letzte Ursache der Urknall hat und warum er ein sehr enges Feld von schmalen Energiedifferenzen produzierte, das allein die faktische Entwicklung des Universums ermöglichte. Wir können diese Ursache Gott nennen – und ansonsten die deistischen Grundsätze beibehalten.

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Ähnlich enttäuschend fallen die abschließenden Bemerkungen des Papstes zur angeblichen Verkürzung der Begriffe von Vernunft und Wissenschaftlichkeit in der gegenwärtigen westeuropäischen Kultur aus. Denn Benedikt XVI. geht dabei vom positivistischen Wissenschaftsbild der zwanziger und dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts und vielleicht auch von der kritischen Diagnose der Dialektik der Aufklärung zur Moderne aus, die schon immer umstritten waren und heute endgültig als überholt gelten müssen. Unter dem Einfluss der gegenwärtigen Philosophie des Geistes, der Semantik und Sprachphilosophie ist nämlich ein sachlich und methodisch reiches Bild von verstehenden Wissenschaften entwickelt worden, das die Methode des Verstehens als sui generis gegenüber der naturwissenschaftlichen Methode erweist. Dabei werden übrigens exzellente Argumente für die These entwickelt, dass bereits ein erfolgreiches gegenseitiges Sprachverstehen eine basale universelle Rationalität voraussetzt, an der alle Varianten des Relativismus ihre Grenze finden.60 Diese Erweiterung der Idee von Vernunft und Wissenschaftlichkeit wird verstärkt durch die überzeugenden Angebote der klassischen und gegenwärtigen politischen Philosophie und Moraltheorie, die Grundsätze der Moral und der politischen Gerechtigkeit ohne jeden Bezug auf göttliche Offenbarung rational zu rechtfertigen. Wenn der Papst in seiner Regensburger Rede lediglich Versuche der Evolutionstheorie, Psychologie und Soziologie erwähnt, um heute Ethos und Moral zu begründen, dann manifestiert er selbst, und nicht die westeuropäische Kultur unserer Tage, einen eingeschränkten Blickwinkel. Im Rahmen dieser Konzeption kann der Theologie ein wissenschaftlicher Status im vollen Sinne zugesprochen werden – freilich nur als verstehender, exegetischer Wissenschaft.61 Der Papst ist uns in seiner Regensburger Rede überzeugende historische und wissenschaftstheoretische Argumente schuldig geblieben, die eine genuine Verbindung von christlichem Glauben und Vernunft, von christlicher Theologie und Wissenschaft (über den exegetischen Aspekt hinaus) begründen könnten. Und daher präsentiert der Papst auch keine überzeugenden Gründe für die These, die christliche Lehre sei unter dem Aspekt des wissenschaftlichen Status eine erkennbare Transformation der leitenden antiken Theologien. Aufgrund dieser historischen und methodischen Defizite können die Ausführungen des Papstes seiner abschließenden Diagnose keine Substanz verleihen, der zufolge die Abkehr der gegenwärtigen westeuropäischen Kultur von der Religion, die »Schwerhörigkeit gegenüber Gott«, ein Symptom für die Pathologie der modernen Vernunft ist – eine Pathologie, die angeblich auch die interkulturelle Verständigung zuneh_____________ 60 Exemplarisch für diese Position sind die Arbeiten von Donald Davidson, vgl. z. B. ders. (1990). 61 Ähnliche Argumente gelten für die anthropologischen Grundfragen, die der Papst als genuin theologische Fragen kennzeichnet – was ist der Mensch, und woher kommt er? Die faszinierende Gestalt der gegenwärtigen Anthropologie, an der nicht nur die Evolutionstheorie, sondern unter anderem auch Primatologie, Psychologie (insbesondere Säuglingsforschung), Geist-Theorie, Kognitionswissenschaften und Kulturwissenschaften beteiligt sind, weist in eine ganz andere Richtung und scheint der Theologie auch dieses Feld zu entreißen.

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mend erschwert. Die europäische Kultur verfügt nämlich im Gegenteil heute über einen reichen und differenzierten Vernunftbegriff, der weit genug für eine Verständigung mit diskussionsbereiten Menschen aller Kulturen ist – der es jedoch schwer werden lässt zu erkennen, inwiefern Glaube und Theologie der positiven Religionen jenseits deistischer Grundsätze noch vernünftig sein können. Die Sehnsucht christlichen Glaubens nach griechischer Vernunft und die Bemühung christlicher Theologie um Wissenschaftlichkeit werden vermutlich auf absehbare Zeit unerfüllt bleiben müssen – es sei denn, die christlichen Theologen würden sich entschließen, ernsthaft an einem modernen vernunftreligiösen Entwurf zu arbeiten. In seiner gegenwärtigen Gestalt ist das Christentum nicht, wie von Benedikt XVI. behauptet, eine wichtige Transformation, sondern allenfalls eine extreme Verwässerung des vernunftreligiösen Programms, wie es in der aristotelischen Theologie so strikt und konsequent ausgearbeitet worden ist.

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Sokratische Ignoranz und aristotelische Anerkennung: Über den Umgang mit Autorität und Zeugnissen in der antiken Philosophie COLIN GUTHRIE KING

I. Einleitung Eine gängige Antwort der antiken Philosophie auf die Frage, was Wissenschaft sei, wird am Anfang von Aristotelesૃ Zweiten Analytiken entfaltet. Dort legt Aristoteles u. a. dar, dass wir »ohne Qualifizierung« (ԑʍȝ‫׭‬ȣ) etwas zu wissen meinen – und nicht etwa auf sophistische, d. h. bloß zufällige Art – wenn wir denken, dass wir die Ursache einsehen, auf deren Grundlage ein bestimmter Sachverhalt besteht; und: Wir sehen ein, dass die Sache nicht anders sein kann (an. post. A 2, 71b9–12). Für die Richtigkeit dieser Wissenskonzeption führt Aristoteles begründend an: […] denn während die Nichtwissenden denken, dass sie selbst so seien, sind die Wissenden wirklich so, so dass dasjenige, wovon es Wissen schlechthin oder im nicht qualifizierten Sinne gibt, etwas ist, was unmöglich anders sein kann […]. (71b12–16)

Dass an dieser Stelle ›unsere‹ Meinung und sogar die Meinung der Nichtwissenden als Evidenz für eine Theorie des Wissens angeführt werden, macht einen besonderen Umstand deutlich, der auch bei heutigen Wissenschaftstheoretikern zunehmend Beachtung findet: Was Wissenschaft und Wissenschaftlichkeit sind, wird nicht zuletzt in einem Bereich von öffentlichen Meinungen und Auseinandersetzungen entschieden, der nicht selbst dem Anspruch auf eine (wie auch immer verstandene) Wissenschaftlichkeit genügt. Die antike Philosophie bietet uns ein besonderes Beispiel dieser Konstellation. Denn in ihr werden Konzeptionen des Wissens und der Wissenschaftlichkeit entwickelt, die sehr wenig gemein zu haben scheinen mit den Mitteln, mit denen sie formuliert werden. Hier werden Begriffe des Wissens und der Wissenschaft sogar diskutiert von einer Figur, die den Anspruch auf Wissen schlicht abstreitet und sich überhaupt nicht für ›fachliches‹ Wissen zu interessieren scheint (der frühplatonische Sokrates). Gleichwohl weist dieses Geschäft der Nichtwissenden Merkmale auf, die für den Umgang mit Wissen und Wissensansprüchen von hoher Bedeutung sind. Es ist nämlich ein Geschäft im Umgang mit Zeugnissen aller Art sowie mit der Einschätzung von

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Autorität. Mein Thema im Folgenden ist die Bildung und Verwandlung des Umgangs mit Autorität und Zeugnissen, insbesondere mit Blick auf die merkwürdige Beschreibung dieses Umgangs als das, was nicht Wissen ist. Der Name für dieses eigentümliche Geschäft ist wohlbekannt; es heißt ›Dialektik‹. Auch wenn der Begriff dessen, was mit diesem Namen verbunden sein soll, keineswegs klar ist, finden wir eine wichtige Bestimmung des Verfahrens bei Aristoteles, der es als ein deduktives Verfahren auf der Grundlage von »anerkannten Sätzen« (ԤȟİȡȠį) beschreibt.1 Solche »anerkannten« Sätze sind Meinungen und Aussagen, die allgemein als Zeugnisse oder Zeugenaussagen bezeichnet werden können.2 Der philosophische Gebrauch von solchen Aussagen geht mindestens auf frühere Anleiter dialektischer Gespräche wie Sokrates zurück, aber wir verdanken Aristoteles und insbesondere seiner Schrift Topik die erste ausführliche Theorie dieser Art von Argumentation. Der aristotelischen Charakterisierung der Dialektik als eines zeugnisbasierten Verfahrens folgend, werde ich zunächst den dialektischen Umgang mit Zeugnissen vor dem historischen Hintergrund anderer, insbesondere historisch motivierter Verwendungen von Zeugnissen zu verorten suchen. Wie in Abschnitt 2 einige Passagen aus Herodot und Thukydides bezeugen, war die Frage nach einem angemessenen Umgang mit Zeugnissen auch vor Aristoteles durchaus einigen Autoren bekannt. Das Ziel des Historikers – Erkenntnis über das Geschehene zu erlangen – verlangt einen methodisch informierten Umgang mit Zeugnissen. In Abschnitt 3 möchte ich zunächst die historische Situation der antiken Philosophie und des dialektischen Umgangs mit Zeugnissen skizzieren, um sie von der historisch orientierten Verwendung von Zeugnissen zu unterscheiden. In Abschnitt 4 wird anhand von Beispielen aus frühen platonischen Dialogen ein sokratisches Modell für den Umgang mit Zeugnissen rekonstruiert. Die Beispiele zeigen einen personalisierten und vor allem ethisch motivierten Zugang zu den Aussagen des dialektischen Gesprächspartners. Der epistemische Standpunkt des Fragestellenden in diesem persönlichen und konfliktorientierten Verfahren ist derjenige der Ignoranz: Sokrates gibt bekanntlich vor, selbst nichts zu wissen. Mit der sokratischen Haltung der Ignoranz geht, so meine These, auch eine bewusste und entschiedene Weigerung einher, die Autorität von Zeugnissen von außerhalb des jeweils von ihm durchgeführten dialektischen Verfahrens anzuerkennen. Die Transformation im philosophischen Umgang mit Zeugnissen, die ich in Abschnitt 5 in einer Interpretation der aristotelischen Theorie der dialektischen Argumentation festmachen möchte, besteht vor allem in der reflektierten Akzeptanz ›auswärtiger‹ Autoritäten im dialektischen Gespräch, das im Übrigen thematisch _____________ 1 2

Aristoteles, top. A 1, 100a18–20. Im Folgenden subsumiere ich ›Meinungen‹ und ›Aussagen anderer‹ unter dem allgemeinen Begriff ›Zeugnis‹, wobei es mir bewusst ist, dass der griechische Zeugnisbegriff (ȞȑȢijȤȢ, ȞįȢijȤȢȒȧ und verwandte Wörter) enger gefasst ist und sich hauptsächlich auf Aussagen im rechtlichen Zusammenhang bezieht.

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nicht mehr an die ethischen Prüfungsaufgaben sokratischer Dialektik gebunden ist. In dieser Theorie werden außerdem unterschiedliche Grade der Akzeptabilität bzw. Autorität von Zeugnissen unterschieden. Diese Transformation im philosophischen Umgang mit Zeugnissen führt, wie in Abschnitt 6 anhand eines Beispiels kurz illustriert werden soll, zu einer Öffnung gerade ethisch motivierter Dialektik gegenüber zwei Hauptquellen epistemischer Autorität – breiter Konsens und Expertise –, die in der auf Ethik konzentrierten sokratischen Dialektik ausgeschlossen sind.

II. Der Umgang mit Zeugnissen für die Erkenntnis des Geschehenen Dass es im Umgang mit Zeugnissen und testimonialem Wissen Schwierigkeiten geben kann, war antiken Autoren vor Aristoteles natürlich bereits bekannt. Ein Bewusstsein für Probleme mit der Einschätzung von Berichten zeigt z. B. Herodot, wiewohl er gelegentlich als naiver Ethnograph angesehen wurde. An einer berühmten Stelle zum Anfang seiner Historie (I 5) stellt er Unterschiede in Erzählungen über den Raub Ios bei den Phönikern einerseits und den Persern andererseits fest. Den Details der angeblichen Entführung Ios misst Herodots Darstellung einiges Gewicht zu als Evidenz für die Entscheidung der Frage, wer am Konflikt zwischen den Griechen und den Persern die Urschuld trage. Seine Feststellung von abweichenden Schilderungen über den Raub veranlasst folgenden Exkurs: Ich selbst werde nicht sagen, ob es so oder irgendwie anders gewesen ist. Aber ich weiß wer als Erster mit den Feindseligkeiten gegen die Griechen angefangen hat, und werde ihn nennen. Darauf werde ich in meiner Darstellung fortfahren und auf gleiche Weise kleine und große Städte der Menschen behandeln. Denn die Städte, die einst von Größe waren, sind größtenteils klein geworden, und die Städte, die in meiner Zeit groß sind, waren vorher klein. Da ich weiß, dass Glück und Größe keinen Bestand haben, werde ich beider bedenken.3

Für eine Charakterisierung des historisch motivierten Umgangs mit Zeugnissen enthält diese Stelle zwei relevante Aussagen. Die erste Aussage ist in Herodots einleitender Ankündigung enthalten, dass er sich des Urteils über die sich widersprechenden Zeugnisse enthalten wird (1.5.9–10). Zusammen mit der Aussage, dass er nur dasjenige als Evidenz in der umstrittenen Frage der Urschuld vorbringen wird, was er weiß, enthält die Enthaltung des Urteils auch ein Bekenntnis zur Ignoranz – oder jedenfalls eine Bereitschaft, im Falle widersprüchlicher Überlie_____________ 3

Herodot, hist., 1.5.9–18: »Ԧȗք İպ ʍıȢվ Ȟպȟ ijȡȫijȧȟ ȡ՘Ȝ ԤȢȥȡȞįț ԚȢȒȧȟ թȣ ȡ՝ijȧȣ Ԯ Ԕȝȝȧȣ Ȝȧȣ ijį‫ף‬ijį ԚȗȒȟıijȡ, ijրȟ İպ ȡՂİį į՘ijրȣ ʍȢ‫׭‬ijȡȟ ՙʍȑȢȠįȟijį ԐİȔȜȧȟ ԤȢȗȧȟ Ԛȣ ijȡւȣ ԫȝȝșȟįȣ, ijȡ‫ף‬ijȡȟ IJșȞȓȟįȣ ʍȢȡȖȓIJȡȞįț Ԛȣ ijր ʍȢȪIJȧ ijȡ‫ ף‬ȝȪȗȡȤ, ՍȞȡȔȧȣ ȞțȜȢո Ȝįվ Ȟıȗȑȝį ԔIJijıį ԐȟȚȢȬʍȧȟ ԚʍıȠțȬȟ. Ȋո ȗոȢ ijր ʍȑȝįț Ȟıȗȑȝį Բȟ, ijո ʍȡȝȝո į՘ij‫׭‬ȟ IJȞțȜȢո ȗȒȗȡȟıǝ ijո İպ Ԛʍ‫ ׶‬ԚȞȒȡ Բȟ Ȟıȗȑȝį, ʍȢȪijıȢȡȟ Բȟ IJȞțȜȢȑ. Ȋռȟ ԐȟȚȢȧʍșȔșȟ ծȟ ԚʍțIJijȑȞıȟȡȣ ı՘İįțȞȡȟȔșȟ ȡ՘İįȞո Ԛȟ ijըȤij‫׮‬ ȞȒȟȡȤIJįȟ, ԚʍțȞȟȓIJȡȞįț ԐȞĴȡijȒȢȧȟ ՍȞȡȔȧȣ«.

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ferung eine neutrale Position einzunehmen gegenüber den Berichten, die im Widerspruch stehen. Die Bereitschaft, sich gegenüber Berichten epistemisch neutral zu verhalten, ist natürlich ein wichtiges Indiz für Wissenschaftlichkeit im Umgang mit Berichten, und somit ein wichtiges Merkmal historischer Forschung. Freilich muss diese Bereitschaft in der Form einer ausdrücklichen policy of assent artikuliert werden, um den Status des Methodologischen zu erlangen. Aber auch dies kann Herodot leisten, so umstritten die Frage nach Herodots Umsetzung eines solchen Prinzips auch sein mag. In einem ähnlichen Kontext der Behandlung widersprüchlicher Darlegungen formuliert er nämlich folgendes methodisches Prinzip für den Umgang mit Berichten: »Ich bin verpflichtet, die Dinge, die gesagt werden, zu sagen, keineswegs aber bin ich verpflichtet, ihnen zu glauben« – ein Grundsatz, der für »seinen ganzen ȝȪȗȡȣ« gelte.4 Diese Formulierung aus dem 7. Buch enthält noch mehr als die zuerst zitierte, sofern sie eine Verpflichtung aufnimmt, Zeugnisse zu berichten. Die Verpflichtung, Zeugnisse auch dann zu überliefern, wenn sie nicht geglaubt werden, kann vor dem Hintergrund eines Gedankens im zweiten Teil der ersten Passage verstanden werden. Dieser Gedanke – dass menschliche Werke und Gemeinschaften unbeständig sind – hat die wichtige Konsequenz, dass man sich nicht auf die Evidenz gegenwärtig gemachter Beobachtungen und Aussagen verlassen kann. In diesem Zusammenhang können Zeugnisse wie ijո ȝıȗȪȞıȟį oft die beste oder gar einzige evidentielle Basis für Wissen um die Vergangenheit sein. Mit Blick insbesondere auf menschliche Verhältnisse in nichtgriechischen Gemeinschaften scheinen Berichte für Herodot sogar einen gewissen Selbstwert zu besitzen, so dass auch merkwürdige oder wundersame Geschichten in seinen ȝȪȗȡȣ aufgenommen und ohne besondere kritische Prüfung auch berichtet werden.5 Auch Thukydides rechtfertigt sich methodologisch mit Blick auf den Umgang mit Zeugnissen, insbesondere in Distanzierung von Herodot und dessen erwähntem, gelegentlichem Hang dazu, ijո ȝıȗȪȞıȟį ohne Prüfung wiederzugeben. Aber Thukydides bringt das epistemische Ideal der Genauigkeit zur Einschätzung von Berichten über das Geschehene (auch wenn er eben dieses Ideal für die Wiedergabe der Reden in seiner Geschichte nicht gelten lassen will). Für ihn sei es nicht hinreichend, das von irgendwem Gesagte nach bestem Dafürhalten zu berichten; er habe es daher auf sich genommen, nach Möglichkeiten die Berichte Anderer »mit Genauigkeit« und »im einzelnen« durchzugehen.6 Und Thukydides gibt seinen Lesern zu verstehen, auf welche Weise auch Berichte von Augenzeugen _____________ 4 5

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Herodot, hist., 7.152.11–13: »Ԧȗք İպ ՌĴıȔȝȧ ȝȒȗıțȟ ijո ȝıȗȪȞıȟį, ʍıȔȚıIJȚįȔ ȗı Ȟպȟ ȡ՘ ʍįȟijȑʍįIJțȟ ՌĴıȔȝȧ (ȜįȔ Ȟȡț ijȡ‫ף‬ijȡ ijր Ԥʍȡȣ ԚȥȒijȧ Ԛȣ ʍȑȟijį ijրȟ ȝȪȗȡȟ)«. Siehe z. B. Herodot, hist., 2.123.1, wo es in Bezug auf einen von Herodot selbst als unplausibel angesehenen ägyptischen Bericht heißt: »ԚȞȡվ İպ ʍįȢո ʍȑȟijį ijրȟ ȝȪȗȡȟ ՙʍȪȜıțijįț Ցijț ijո ȝıȗȪȞıȟį ՙʍૃ ԛȜȑIJijȧȟ ԐȜȡ‫ ׇ‬ȗȢȑĴȧ«. Thukydides, 1.22.2–3: »ijո İૃ ԤȢȗį ij‫׭‬ȟ ʍȢįȥȚȒȟijȧȟ Ԛȟ ij‫ ׮‬ʍȡȝȒȞ‫ ׫‬ȡ՘Ȝ ԚȜ ijȡ‫ ף‬ʍįȢįijȤȥȪȟijȡȣ ʍȤȟȚįȟȪȞıȟȡȣ ԬȠȔȧIJį ȗȢȑĴıțȟ, ȡ՘İૃ թȣ ԚȞȡվ ԚİȪȜıț, Ԑȝȝૃ ȡՃȣ ijı į՘ijրȣ ʍįȢ‫׆‬ȟ Ȝįվ ʍįȢո ij‫׭‬ȟ Ԕȝȝȧȟ ՑIJȡȟ İȤȟįijրȟ ԐȜȢțȖıȔֹ ʍıȢվ ԛȜȑIJijȡȤ ԚʍıȠıȝȚȬȟ«.

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über Ereignisse fehlerhaft sein können, etwa durch Parteilichkeit, oder aufgrund von (selektiver) Erinnerung.7 Indem er die Schwächen von Zeugnissen als evidentielle Grundlage für die Erkenntnis von Ereignissen betont, verschärft Thukydides die Normen für ihre Akzeptanz. Sein Gebrauch von fingierten Reden und Plausibilitätsargumenten verrät dennoch einen sophistisch geschulten Sinn für die Rolle von Plausibilität in seiner Darstellung. Wichtig für die Einordnung des Umgangs mit Zeugnissen bei sowohl Herodot als auch Thukydides ist aber vielmehr der unzweideutige Tatbestand, dass beide Autoren sich der Bedeutung von Zeugnissen für die Erkenntnis des Geschehenen bewusst sind. Wichtiger noch, sie sind sich dessen bewusst, dass der Gebrauch von Zeugnissen zu diesem Zweck zunächst eine Einstellung der epistemischen Neutralität oder gar der kritischen Distanz gegenüber Berichten erforderlich macht. Die Einsicht in die Schwäche von testimonialem Wissen, die damit vorliegt, wird somit vor dem Hintergrund gewisser Urteile über den richtigen Umgang mit Zeugnissen und deren Autorität gewonnen.

III. Der Umgang mit Zeugnissen in der antiken Philosophie Wenn man von der späteren Entwicklung eines »doxographischen« Umgangs mit Zeugnissen absieht, der u. a. aus einem Interesse an der systematischen Sammlung von Meinungen und deren Zuordnung erwächst, gilt für den Umgang mit Zeugnissen in der antiken Philosophie zunächst auch, dass Zeugnisse primär in erkenntniskritischer Absicht herangezogen werden. Natürlich können aber die näheren Zwecke der Verwendung von Zeugen und Zeugnissen sowie die Ideale der Erkenntnis, in deren Licht Zeugenaussagen geprüft werden, ganz unterschiedlich sein. Ein gängiges, und wohl auch das wichtigste Motiv bei der Berücksichtigung von Meinungen und Zeugnissen in antiken philosophischen Texten ist es jedoch, diese als irrig zu erweisen. Das wird insbesondere in der eleatischen Philosophie deutlich. Bereits Xenophanes von Kolophon (aus Ionien also, nicht Elea) bezieht sich im frühen 5. Jahrhundert auf das, was die »Sterblichen«, die »Äthiopen« oder auch die »Thraker« über die Götter denken, offenbar in der Absicht, ihre jeweiligen Meinungen im Lichte seiner eigenen Theologie zu kritisieren.8 Die zweite Hälfte des parmenideischen Gedichts beschäftigt sich ebenfalls ausdrücklich mit gewissen »sterblichen Meinungen«, deren Inhalt dem »verlässli_____________ 7 8

Siehe Thukydides, 1.22.3–4. Siehe Xenophanes (zitiert aus: Die Fragmente der Vorsokratiker, hg. v. Hermann Diels, überarbeitet v. Walther Kranz, Berlin 1903 [6. Aufl. 1952]; im Folgenden DK), DK B 14: »Ԑȝȝ‫ ׶‬ȡԽ ȖȢȡijȡվ İȡȜȒȡȤIJț ȗıȟȟֻIJȚįț Țıȡȫȣ, ijռȟ IJĴıijȒȢșȟ İ‫ ׶‬ԚIJȚ‫׆‬ijį Ԥȥıțȟ Ĵȧȟȓȟ ijı İȒȞįȣ ijı«, sowie DK B 16: »ǺԼȚȔȡʍȒȣ ijı IJțȞȡւȣ ȞȒȝįȟȑȣ ijı ĭȢ‫׆‬țȜȒȣ ijı ȗȝįȤȜȡւȣ Ȝįվ ʍȤȢȢȡȫȣ «. Siehe auch DK B 15 sowie die theologischen Aussagen in DK B 23–26, die von Diels unter der Überschrift ȆǼȇǿ ĭȊȈǼȍȈ versammelt werden.

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chen Reden und Denken der Wahrheit« gegenübergestellt wird.9 Auch wenn es nicht klar ist, wie die kosmologischen Ausführungen in der zweiten Hälfte des Gedichts durch die Ausführungen in der ersten Hälfte des Gedichts als widerlegt gelten sollen, ist die Absicht ihrer Zurückweisung deutlich genug. Schließlich hat Zenon von Elea einen Typ von Argumentation entwickelt, mit dem die Aussagen eines argumentativen Gegners dadurch zurückgewiesen werden, dass man absurde Konsequenzen aus diesen Aussagen zieht (ad absurdum-Argumente). Ein wichtiges Merkmal dieses Argumentationsverfahrens ist, dass es nur auf Zeugnissen oder Meinungen basiert und von diesen ausgeht. Da die Anwendung eines solchen Verfahrens nicht das explizite Bekenntnis zu irgendeiner positiven Aussage erfordert, kann das Verfahren von einem epistemisch neutralen Standpunkt aus angewendet werden, d. h., es kann angewendet werden, ohne sich auf die Wahrheit von gewissen Aussagen (jedenfalls explizit) festzulegen. Für den Umgang mit Zeugnissen in der antiken Philosophie sind Zenons Argumente von kaum zu überschätzender Bedeutung. Sie scheinen die Vorgänger einer späteren personalisierten und zeugnisbasierten Art der Argumentation zu sein, die Platon als (Kunst der) Dialektik bezeichnet, wobei er darunter zunächst jenes Frage-und-Antwort Gespräch versteht, das in seinen Dialogen immer wieder vorgeführt wird.10 Allerdings gewinnt der Begriff der Dialektik in einigen Dialogen Platons eine neue und spezifischere Dimension, z. B. als Wissen um die Methode der Unterscheidung von Dingen nach ihrer Form (soph. 253d1–3; Phaidr. 266b3–c1) oder auch als eine Methode der epistemischen Offenbarung, mittels derer man gewisse »Vorannahmen« (ՙʍȡȚȒIJıțȣ) aufhebt und zu einem ersten Prinzip dieser Annahmen gelangt (rep. 533c7 ff.). Während diese Ausprägungen des Dialektikbegriffs dazu tendieren, Dialektik in einem epistemologischen und gleichsam ›objektivierten‹ Sinn als eine Form des Wissens um Allgemeines darzustellen, ist das wichtigste Merkmal dialektischer Verfahren in den frühen, sokratischen Dialogen ihre Funktion mit Bezug auf einen Gesprächspartner. Dieser nimmt im dialektischen Gespräch Thesen auf, die im Laufe des Gesprächs mithilfe seiner eigenen Aussagen widerlegt werden; und so wird die Funktion sokratischer Dialektik vor allem in einer Art von personenbezogener Widerlegung gesehen.11 Die ›Widerlegung‹, die in solchen Gesprächen herbeigeführt wird, nennt Platon Ԥȝıȗȥȡȣ, und so heißen die sokratischen Unterredungen auch ›elenktische‹ Gespräche. Mit dem elenktischen Gespräch wurde ein philosophisches Argumentationsverfahren entwickelt, das ausdrücklich und exklusiv auf Zeugnisse – näherhin: Zeugnisse eines einzigen Individuums, des Gesprächspartners – ausgerichtet war. _____________ 9 Parmenides, DK B 8, 50 ff. 10 Siehe Platon, Krat., 390c10–11: »Ȋրȟ İպ ԚȢȧijֻȟ Ȝįվ ԐʍȡȜȢȔȟıIJȚįț ԚʍțIJijȑȞıȟȡȟ Ԕȝȝȡ ijț IJւ Ȝįȝı‫ה‬ȣ Ԯ İțįȝıȜijțȜȪȟ«. 11 Robinson (1954) hat diese Verwandlung des platonischen Dialektikbegriffs eingehend analysiert und den personalisierten Charakter der frühplatonischen Dialektik herausgestellt.

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Das zeugnisbasierte elenktische Argument der sokratischen Dialektik ist mit Blick auf die Entwicklung von Begriffen der Wissenschaft und der Wissenschaftlichkeit des Wissens in zweifacher Hinsicht interessant. Einerseits wird in den sokratischen Dialogen immer wieder eine epistemologische Norm der Expertise oder IJȑȤȞȘ entwickelt, mit der das Wissen des sokratischen Gesprächspartners geprüft wird. Damit dienen sokratische Gespräche zur Etablierung einer bestimmten Form von epistemischer Autorität, die in Expertise besteht. Andererseits – und zumindest in scheinbarem Widerspruch zur erstgenannten Tendenz – erfolgt das ganze Verfahren als Widerlegung unter der Leitung einer Person, die immer wieder großen Wert darauf legt, selbst nicht in Besitz von Expertise zu sein. Ganz anders als etwa beim historisch motivierten Umgang mit Zeugnissen ist der sokratische Dialektiker also nicht mit der Suche danach beschäftigt, was wirklich gewesen ist, noch zeigt er Interesse dafür, wie die Welt der Natur wahrhaft konstituiert ist. Wichtiger noch: Der sokratische Dialektiker zeigt wenig Ehrfurcht vor der Autorität von Zeugnissen, die von Quellen außerhalb des dialektischen Verfahrens stammen.12 In dieser Beziehung wird die sokratische Ignoranz von einer policy der Ausblendung aller Zeugnisse und somit aller Autoritäten begleitet, die nicht vom Gesprächspartner selbst kommen, wobei Sokrates durch den Vorgang der Widerlegung auch die epistemische Autorität seines Gesprächspartners vernichtet und selbst zur Autorität in Bezug auf den epistemischen Zustand seines Gesprächspartners wird.13 Wenn wir uns aber nun den Schriften von Aristoteles zuwenden, insbesondere seiner in der Topik entwickelten Theorie dialektischer Argumentation, können wir in mehrerlei Hinsicht eine Transformation des dialektischen Verfahrens feststellen. Hier finden wir nämlich eine Transformation des Umgangs mit Zeugnissen und Autorität sowie des epistemischen Stellenwerts, den diese im Rahmen philosophischer Verfahren haben können. Mit sokratischer Dialektik stimmt zwar die aristotelische Theorie der Dialektik insofern überein, als dass sie dialektische Argumente als nichtwissenschaftliche Argumente kennzeichnet.14 Somit wird der Ort des dialektischen Gesprächs, dessen epistemische Ziele bei Sokrates weder von naturphilosophischem Wissen noch von anderen Formen der Weisheit erfasst waren, nun bei Aristoteles explizit vom wissenschaftlichen Wissen distanziert. Aber, erstens, im Unterschied zur ethisch orientierten sokratischen Dialektik haben dialektische Argumente laut Aristotelesૃ Theorie der Dialektik einen uneingeschränkten Gegenstandsbereich. Wie es im ersten Satz der Ankündigung der aristotelischen ›Methode‹ der Dialektik heißt, »das Ziel der Abhandlung ist es, _____________ 12 Siehe z. B. Platon, Krit., 44b–c. 13 Siehe Woolf (2008), auf dessen Thesen über sokratische epistemische Autorität wir noch zu sprechen kommen werden. 14 In dieser entscheidenden Hinsicht stimmt die aristotelische Theorie der Dialektik im Übrigen nicht mit den bereits erwähnten, wohl späteren Ausprägungen des platonischen Dialektikbegriffs überein, weshalb es sich hier empfohlen hat, den transformationstheoretischen Vergleich zwischen frühplatonischer (i.e. sokratischer) und aristotelischer Dialektik anzusetzen.

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eine Methode zu entdecken, mittels derer wir in der Lage sein werden, über jedes vorgelegte Problem auf der Grundlage von anerkannten Sätzen Schlüsse zu bilden« (top. A 1, 100a18–20). Und zweitens, wie bereits in diesem ersten Satz sichtbar wird, sind nach der aristotelischen Theorie der Dialektik dialektische Argumente auf »anerkannte Sätze«, also auf gewisse qualifizierte Zeugnisse, angewiesen. Mit der Theorie der endoxischen Sätze, die Aristoteles vor allem in den Büchern I und VIII der Topik entwickelt, werden bestimmte Quellen von Autorität identifiziert und eine Anleitung für den Umgang mit solchen Autoritäten und Zeugnisquellen entwickelt. Daraus ergeben sich wichtige Impulse für eine nichtwissenschaftliche aber regelgeleitete Kunst des Umgangs mit testimonialen Aussagen, die als eine Tradition von ›reasonableness‹ eine ganz eigene Transformationsgeschichte erfuhr.15 Unsere Aufgabe im Folgenden ist aber nun, diese Transformationsgeschichte mit einer Vorgeschichte zu versehen. Diese ist die Geschichte einer Transformation im dialektischen Umgang mit Zeugnissen von einer sokratischen Haltung der tendenziellen Insolenz und bewussten Ignoranz gegenüber epistemischen Autoritäten hin zur aristotelischen Konzeption des Anerkannten, die eine qualifizierte Akzeptanz von Zeugnissen als soziale Quellen der Information vorsieht. Zu diesem Zweck werde ich zunächst zwei (vielleicht etwas überzeichnete) Modelle epistemischer Autorität und des Umgangs mit Zeugnissen aufstellen. Das im Folgenden ›sokratisch‹ genannte Modell wird nicht mit Blick auf den historischen Sokrates, sondern mit der platonischen Sokratesfigur konstruiert. Für dieses Modell liegen viele Aussagen in Platons sokratischen Dialogen darüber vor, was wirkliches Wissen ist und damit worin epistemische Autorität bestehen soll, doch sind die Hinweise auf den richtigen Umgang mit Zeugnissen spärlich. Hier ist die Rede von einem ›Modell‹ etwa im Sinne eines Idealtyps zu verstehen, da eine genaue Rekonstruktion der platonischen Position mit vielen Schwierigkeiten behaftet ist. Bei Aristotelesૃ einschlägigen Texten zur Theorie der dialektischen Argumentation liegt eine andere Situation vor: Hier finden wir zahlreiche Hinweise für den Umgang mit Quellen von Autorität im Geben und Nehmen von Zeugnissen, so dass das Modell für diesen Umgang eines ist, das bereits auf theoretischer Ebene von Aristoteles selbst formuliert wird.

IV. ijȒȥȟș und Ignoranz: das sokratische Modell In den frühen Dialogen von Platon findet man an vielen Stellen folgende seltsame Situation: Ein Gesprächsführer namens Sokrates prüft und widerlegt die Aussagen von diversen Gesprächspartnern unter Berufung auf gewisse epistemische Standards von Expertise, auf die er seine Gesprächspartner durch ihre eigenen _____________ 15 Einen wertvollen Beitrag zur Rekonstruktion der Geschichte dieser Tradition leistet Kennedy (2004).

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Aussagen zu verpflichten versteht, während er selbst von sich behauptet, dass er über das jeweils in Frage stehende Wissen nicht verfügt. Über die Legitimität dieses bemerkenswerten Widerlegungsverfahrens und seiner Ergebnisse ist inzwischen viel geforscht worden. Insbesondere der sokratische Ԥȝıȗȥȡȣ wurde als Methode interpretiert16, auch unter Rückgriff auf Aristotelesૃ Theorie des Ԥȝıȗȥȡȣ in den Sophistischen Widerlegungen; auch die epistemische Grundlage ›sokratischer Peirastik‹ wurde thematisiert17. Die Rolle von Zeugenschaft und Autorität im sokratischen elenktischen Gespräch hat dagegen bisher meines Wissens wenig Beachtung gefunden – mit der Ausnahme von zwei Beiträgen, die im Folgenden zu besprechen sind. In einer vergleichenden Studie über den dialektischen Ԥȝıȗȥȡȣ und juristische Beweispraktiken hat Louis-André Dorion gezeigt, dass es – entgegen der Annahme, der dialektische Ԥȝıȗȥȡȣ würde einfach aus forensischer Beweispraxis stammen – erhebliche Unterschiede gibt zwischen der Art von ›Widerlegung‹, wie sie vor Gericht geführt und bei den attischen Rednern dokumentiert wurde, und dem sokratischen elenktischen Gespräch.18 Die Unterschiede zwischen herkömmlichen forensischen Widerlegungen und sokratischer Widerlegung besteht vor allem in der Art von Zeugenschaft, die in den jeweiligen Verfahren zur Anwendung kommen. Während die zwei Prozesskontrahenten vor Gericht versuchen, durch die Vorführung von Zeugenaussagen Dritter die jeweils andere Seite zu ›widerlegen‹ in einem ganz bestimmten Sinn des Wortes (nämlich im Sinne eines ›Schuldbeweises‹), hat die sokratische Praxis der Widerlegung ihren Ursprung in einer ganz besonderen und im forensischen Ԥȝıȗȥȡȣ eher selten verwendeten direkten Konfrontation durch ›Befragung‹, oder ԚȢȬijșIJțȣ.19 Im Unterschied insbesondere zu ›externen‹ Zeugen, deren Zeugenschaft oft unter Zwang und Folter abgegeben wurden, wird im Verfahren der ԚȢȬijșIJțȣ Zeugenschaft durch freie Unterredung gewonnen.20 Kurioserweise ist das einzige überlieferte Beispiel eines solchen Verfahrens zwecks Beweisführung im Kontext eines Rechtsprozesses die Befragung von Meletus durch Sokrates in der Apologie. Doch bei dieser Stelle der Apologie handelt es sich vermutlich, so die These von Dorion, nicht um die Wiedergabe des Prozesses wie er war, sondern um eine von Platon bewusst vorgenommene ›subversion‹ herkömmlicher forensischer Beweisführung.21 Die Unterwanderung des juristischen Ԥȝıȗȥȡȣ besteht darin, dass im dialektischen Ԥȝıȗȥȡȣ der Nachweis von Widerspruch den Beweis liefert, während die Beweiskraft forensischer Ԥȝıȗȥȡț aus der akkumulierten Überzeugungskraft der vorgebrachten externen Zeugnisse entsteht. _____________ 16 17 18 19 20 21

Den Auftakt zu einer ganzen Reihe von Beiträgen zu diesem Thema gab Vlastos (1983). Zum Beispiel von Gentzler (1995). Dorion (1990). Siehe ebd., 322–327 sowie 328–331. Ebd. Ebd., 336–343.

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Der Vergleich mit forensischen Widerlegungspraktiken macht einen bedeutsamen Aspekt des sokratischen Ԥȝıȗȥȡȣ deutlich: Der sokratische Dialektiker ignoriert selbstbewusst externe und sozial anerkannte Autoritäten, zumindest für die Zwecke seiner Beweisführung. Die Radikalität und Gefährlichkeit dieser Art von Argumentation in den Augen von Sokrates’ Zeitgenossen wird nicht zuletzt auf dieses Merkmal sokratischer Dialektik zurückzuführen sein. Nimmt diese Art von Dialektik denn keinen Bezug auf Autoritäten? Für den Gesprächspartner werden die Ergebnisse der Widerlegung natürlich zunächst deshalb zwingend, da sie aus Prämissen abgeleitet wurden, die der Gesprächspartner selbst explizit akzeptiert hat. Aus der Akzeptanz der Prämissen sowie weiterer Inferenzen aus diesen Prämissen, die wiederum als Prämissen verwendet werden, entsteht bei den Gesprächspartnern also ein inferentieller Zwang. Daher kann Sokrates auch vorgeben, »das Argument selbst« habe den Gesprächspartner widerlegt. Der Zwang, der durch eine Kette von Inferenzen erzeugt wird, kann aber nicht als Autorität gelten. Autoritäten sind vielmehr Instanzen, die für sich genommen und ohne weitere Rechtfertigung Plausibilität oder Akzeptanz erzeugen können. Wenn sokratische Dialektik ohne jeglichen Bezug auf Autorität auskäme, hätten sokratisch-dialektische Argumente etwas gemeinsam mit geometrischen Beweisen. Aber sokratische Argumente, und dialektische Argumente im Allgemeinen, sind offensichtlich nicht von dieser Art, denn sie werden mit Bezug auf jemanden geführt. Im Übrigen gibt es eine Quelle von Autorität, die in sokratischen Dialogen explizit anerkannt wird: die Autorität des wirklich Wissenden, des Experten, kurzum: epistemische Autorität. Da Sokrates aber, wie bereits erwähnt, auch in Bezug auf sich selbst den Besitz von gerade dieser Art von Wissen abstreitet, stellt sich die Frage, wie diese Autorität für seine elenktischen Argumente zur Geltung kommen kann. Nach einer Auffassung ist die Quelle der epistemischen Autorität in sokratischer Dialektik Sokrates selbst.22 Sokratische epistemische Autorität gegenüber anderen bestehe einerseits darin, dass während andere sich irrtümlich im Besitz von Wissen wähnen würden, Sokrates über sein eigenes Unwissen im Klaren wäre. Sokrates hätte in dieser Hinsicht epistemische Autorität in Bezug auf sich selbst, die andere nicht hätten: epistemische Autorität ›der ersten Person‹. Und in dieser Beziehung sei Sokrates einzigartig und gegenüber allen anderen epistemischen Subjekten privilegiert. Andererseits hätte Sokrates (in dieser Beziehung im Übrigen nicht einzigartig) epistemische Autorität in ›der dritten Person‹, d. h. in Bezug auf andere, denn er könne durch die Anwendung des Ԥȝıȗȥȡȣ zeigen, dass andere über kein Wissen verfügen würden. Eine solche Rekonstruktion von epistemischer Autorität bei Platon scheint mir aus methodologischen und historiographischen Gründen problematisch, da sie in der Unterscheidung zwischen erster und dritter Person eine Konzeptualisierung des Zugangs zum Psychischen zugrunde legt, die Platon vermutlich fremd gewe_____________ 22 Woolf (2008).

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sen wäre. Doch hier kann das Problem des Zugangs zum Mentalen nicht näher diskutiert werden. Die Verwendung des Begriffs in diesem Zusammenhang illustriert jedenfalls einen wichtigen Sinn von Autorität, der für unsere Fragestellung nicht relevant ist. Die Autorität, die mit Zeugenschaft zusammenhängt, ist eine extrinsische Quelle von Rechtfertigung, die in der philosophischen Tradition oft der Vernunft als einer ›intrinsischen‹ Quelle des Wissens gegenübergestellt wird.23 Der Ausdruck ›epistemische Autorität‹ ist im sozialen Kontext der Evaluierung von Zeugnissen als eine Art von Autorität zu verstehen, mittels derer jemand als ein Wissender anerkannt wird. Und es sind Indizien für Kriterien für diese Art von Autorität, die wir in Platons sokratischen Dialogen suchen müssen. Für die Zuschreibung der Art von Autorität, die von Expertise (und nicht etwa nur aufgrund von Erfahrung) kommt, können zwei allgemeine Kriterien identifiziert werden.24 Ansprüche auf die Autorität, die mit dem Besitz spezialisierten Wissens einhergehen, sind erstens vor dem spezifischen Hintergrund eines wissenskonstituierenden Feldes sowie zweitens mit Rücksicht auf die Qualifikation für das jeweilige Feld einzuschätzen. Schon aus älteren begriffsgeschichtlichen Studien geht es hervor, dass im Vokabular der vorsokratischen Philosophie eine Vielfalt von unterschiedlichen Wissenskonzeptionen vorhanden war.25 Dass diese Studien sich auf ›Vorplatonisches‹ beziehen, kann man durch den Sachverhalt erklären, dass Kriterien für die Bestimmung dessen, was ein wissenskonstituierendes Feld ist und sein soll, wohl erst in den frühplatonischen Ausführungen zur ijȒȥȟș zum Thema werden.26 Den frühen Dialogen Platons können v. a. drei allgemeine Kriterien für ijȒȥȟįț und den Besitzer einer ijȒȥȟș, den Experten, entnommen werden27: 1. Der Gegenstand einer ijȒȥȟș ist lehrbar (İțİįȜijȪȟ), und der Besitzer einer ijȒȥȟș zeichnet sich dadurch aus, dass er seine ijȒȥȟș lehren kann.28 _____________ 23 Siehe z. B. Augustinus, Contra Academicos, III.XX.43: »nulli autem dubium est gemino pondere nos impelli ad discendum auctoritatis atque rationis«. Zu dieser Stelle siehe Kennedy (2004), 56–57. 24 Freeman (2005), 304–305, entwickelt diese zwei Kriterien für Expertenzeugnisse. 25 Snell (1924) ist immer noch wertvoll als eine Analyse der unterschiedlichen sachlichen und sprachlichen Zusammenhänge, die zur Differenzierung des Vokabulars für die Begriffe des Wissens beigetragen haben könnten. 26 Eine kommentierte Sammlung von vorplatonischen Instanziierungen des ijȒȥȟș-Begriffs bietet Löbl (1997); dagegen wird im ersten Kapitel von Roochnik (1996), 17–88, eine zusammenhängende Geschichte des vorplatonischen Gebrauchs erzählt. Zu Platons Verwendung des Begriffs siehe außer Roochnik (1996) auch Löbl (2003), Balansard (2001) und Jeffré (1922). (Letztere Arbeit, eine Dissertation unter Werner Jäger, wurde offenbar nur als handschriftliche Kopie veröffentlicht.) 27 Für eine ausführliche Erläuterung dieser Kriterien, siehe Woodruff (1990), 68–75. Woodruff geht von einer etwas anderen Bestimmung der Kriterien aus, bespricht jedoch alle hier genannten. 28 In Platon, Prot., 319a8–b1, zum Beispiel, wundert sich Sokrates über Protagorasૃ Versprechen, ʍȡȝțijțȜռ ijȒȥȟș zu vermitteln, da er dieses »Kunststück« (ijȒȥȟșȞį) nicht für lehrbar (İțİįȜijȪȟ)

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2. Das in einer ijȒȥȟș enthaltene Wissen ist ein Spezialistenwissen; der Besitzer einer ijȒȥȟș muss als Experte gelten.29 3. Eine IJȑȤȞȘ ist bezogen auf ein bestimmbares, ganzes Feld von Wissen.30 Die Prominenz des ijȒȥȟș-Begriffs in Platons sokratischen Dialogen ist vielfach bemerkt worden.31 In diesen Dialogen wird gelegentlich auch der Umgang mit der epistemischen Autorität, die eine ijȒȥȟș als Feld der Expertise auf seinen Besitzer und dessen Aussagen überträgt, thematisiert. Eine solche Stelle finden wir z. B. in Laches (184d8 ff.). Sokrates wird aufgefordert, über die Frage nach der Eignung von Fechten zur Ausbildung von Tapferkeit mit abzustimmen, aber er weigert sich, ein solches Wahlverfahren als legitim anzuerkennen. Gegen den Verfahrensvorschlag wendet er ein (ȗȑȢ): Denn es ist notwendig, denke ich, dass die Sache durch Verständigkeit (ԚʍțIJijȓȞׄ) beurteilt werden muss, und dass das Künftige nicht durch Mehrheit (ʍȝȓȚıț) gut entschieden werden kann.32

Hier wird für Expertise eine höhere Autorität reklamiert als diejenige, die Mehrheitsentscheidungen beanspruchen können. Die Einigung darauf, Expertise und nicht etwa mehrheitlicher Konsens als Autorität anzuerkennen, führt in Laches zu der weiteren Frage, wer die relevante Form von Expertise besitzt (184e11–185 a8). Gesucht wird der ijıȥȟțȜȪȣ, denn nach dieser Vereinbarung ist nicht nur irgendeine Autorität, sondern eine epistemische Autorität für die Entscheidung der Sache gefragt. Da aber die zu entscheidende Frage als die nach der richtigen Pflege und Erziehung der Seele formuliert wird, ist es vorhersehbar, dass auch die traditionellen Quellen von Autorität für das genannte Feld – die Erziehungsfächer und ihre verwandten ijȒȥȟįț – als mangelhaft und inkompetent gezeigt werden. Dieses Argumentationsmuster kehrt an zahlreichen Stellen sokratischer Widerle_____________

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hielt. Er hatte soeben das Kriterium der Lehrbarkeit explizit gemacht Sokrates unter Angabe von zwei bekannten Experten für »Malkunst« und »Flötenspiel«, 318b1–d4. Er bittet Protagoras darum, in Analogie zu diesen bekannten Experten genau das anzugeben, in Bezug auf welches man durch seinen Unterricht »besser« werde. Für das Kriterium der Spezialisierung siehe beispielsweise Platon, Gorg., 450a7–b2: »Und so verhält es sich doch auch bei allen anderen Disziplinen, Gorgias: jede von ihnen hat mit Argumenten zu tun, die sich auf die Sache beziehen, mit der die jeweilige Disziplin befasst ist«. So wird in Ion, 532c5–10, Ions Behauptung, dass er durch ijȒȥȟș seine Rhapsodenkunst ausführe, mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, dass dieser Anspruch erst dann berechtigt wäre, wenn seine Fähigkeit nicht nur für Homer-Rezitation, sondern auch für den Vortrag der Werke anderer Dichter ausgeprägt wäre; denn »die Dichtkunst ist irgendwie wohl ein Ganzes«, c8–9. Der Stellenwert der Analogie zwischen ijȒȥȟș und ԐȢıijȓ bei Platon ist der Gegenstand zahlreicher Interpretationen. Um nur einige Monographien zu nennen, die auf diese Frage eingehen: Kube (1965); Irwin (1977); Roochnik (1986) und (1996); Balansard (2001). Platon, Lach., 184e8–9. Wie auch sonst in vielen frühen Dialogen wird ԚʍțIJijȓȞș hier als Synonym zu ijȒȥȟș verwendet; vgl. z. B. Ion, 532c6 sowie Prot., 318e1–5, wo Astronomie, Geometrie und die Kunst der Musik als ijȒȥȟįț – hier wohl: sophistische Lehrfächer – bezeichnet werden.

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gungen wieder.33 In solchen elenktischen Kontexten steht ijȒȥȟș für ein epistemisches Modell, das Expertise als die Quelle epistemischer Autorität einführt und diese Autorität in einem nächsten Schritt dem Vertreter eines bestehenden Fachs entzieht – sei es, weil er überhaupt kein ijȒȥȟș-Wissen besitzt, sei es, weil er nicht über die relevante Art des Wissens verfügt für die Fragen, die er beantworten zu können glaubte. Für das Problem des Umgangs mit epistemischer Autorität ist allerdings die Kritik an einer bestimmten vermeintlichen ijȒȥȟș von besonderem Interesse, die Kritik an der Rhetorik. Eine Schatztruhe von Argumenten in dieser Absicht finden wir in Platons Gorgias. Dort wird die Rhetorik als ijȒȥȟș einerseits diskreditiert, weil sie gefällige, nicht aber wahre Reden zum Gegenstand habe.34 Die diskreditierende Gangart der Argumentation räumt der Rhetorik zwar einen eigenen Zweck als ijȒȥȟș ein, stellt diese jedoch als niederträchtig in Analogie zu anderen ijȒȥȟįț dar, die tatsächlich ein Gut (und nicht nur ein scheinbares Gut) zum Ziele haben.35 Andererseits wird Rhetorik als ijȒȥȟș durch zwei Argumente richtiggehend disqualifiziert. Das eine Argument streitet der Rhetorik den Rang einer ijȒȥȟș ab, weil sie Sache der Erfahrung und der Übung (ԚȞʍıțȢտį Ȝįվ ijȢțȖȓ) sei,36 was die Lehrbarkeit und Systematisierbarkeit ihres Gegenstands unter generellen Verdacht zu bringen scheint. Das andere und hier relevantere Argument lautet, dass die Rhetorik eine »rechenschaftslose Angelegenheit« (Ԕȝȡȗȡȟ ʍȢֻȗȞį) sei, was man vielleicht auch so formulieren kann: Die Rhetorik sei ein defektes Argumentationsverfahren.37 Insbesondere sind rhetorische Argumentation und rhetorische Widerlegung deshalb defekt, weil sie – wie z. B. in der forensischen Rhetorik – auf eine Ansammlung von Zeugen und Zeugenaussagen zurückgreifen und einen Konsens unter diesen als Beweis anführen.38 Sokrates weigert sich jedoch, die Legitimität dieses Beweisverfahrens anzuerkennen, mit der Begründung, dass »einer mal durch die falschen Aussagen von vielen, irgendwie anerkannten Menschen widerlegt werden könnte«:39 Daher sei die Art von Widerle_____________ 33 Die Berechtigung von bestehenden Formen von Expertenwissen als ijȒȥȟįț in einem (wie auch immer festgelegten) tieferen Sinn wird angefochten in Ion (Rhapsodenkunst), Lach. (militärische und gymnastische ijȒȥȟįț), Prot. (die politische ijȒȥȟș), Gorg. (Rhetorik) und soph. (die ijȒȥȟș vom Wissen schlechthin). 34 Platon, Gorg., 463a6 f. 35 Siehe ebd., 463a6–464b8. Hier wird in einer Diärese Rhetorik als eine von zwei Arten von Schmeichelei (ȜȡȝįȜıȔį) bestimmt, die sich nur auf die scheinbare Gesundheit der Seele richten, und der Tugend der Rechtschaffenheit (İțȜįțȡIJȫȟș) entgegengestellt. Ein ähnliches Verfahren wird zur Diskreditierung der Sophistik in Sophistes angewendet, wo die Sophistik in Analogie zur »Anglerkunst« bestimmt wird. 36 Ebd., 462b8 f.; 463b1 f. Die Unterscheidung zwischen Erfahrung und ijȒȥȟș kehrt bei Aristoteles, metaph. A, 980b28–981a3, in einem differenzierteren Aufbaumodell von Erinnerung (ȞȟȓȞș), Erfahrung (ԚȞʍıțȢȔį) und ijȒȥȟș. 37 Platon, Gorg., 465a6. 38 Ebd., 471e1–472b3, 473e6–474b5. 39 Ebd., 472a1–2.

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gung, die das rhetorische Verfahren benutze, wertlos für die Wahrheit.40 Sokrates stellt dagegen als Verfahrensprinzip auf: Nur unter der Bedingung, dass einer der Gesprächspartner selbst Zeugnis für den anderen leiste, soll das Ergebnis der Argumentation gelten: Auch jetzt werden beinahe alle Athener und Fremde Dir dasselbe mit abstimmen in dem, was Du sagst, wenn Du Zeugen gegen mich anführen willst, die sagen, dass ich nicht die Wahrheit sage […]. Aber ich, obwohl ich nur einer bin, werde mich nicht einverstanden geben, denn du zwingst mich nicht, sondern versuchst mich aus meinem Erbe, der Wahrheit, hinauszuwerfen, indem du viele falsche Zeugen anführst. Ich dagegen, wenn ich dich einzeln und allein als Zeugen nicht vorbringen kann, der mir zustimmt in dem, was ich sage, werde nicht denken, dass ich etwas ausgerichtet habe in der Sache unseres Arguments, das der Rede wert ist. Aber auch dir werde ich das nicht zuerkennen, wenn nicht ich selbst und allein dir Zeugnis gebe und du alle anderen beiseite lässt. Denn es gibt eine Art von Widerlegung, welche du und viele andere für einen Beweis hältst, eine andere ist jedoch die, die ich für einen Beweis halte.41

Diese Stelle wirft einige Fragen und Probleme auf. Einerseits weist Sokrates hier Beweisführung durch die Anführung von vielen externen Zeugen als illegitim zurück, da diese falsche Aussagen machen könnten. Die Notwendigkeit, dass man sich nur auf Wissende verlassen soll, wird mit Blick auf die epistemische Dringlichkeit der vorliegenden Frage besonders hervorgehoben: »Der Hauptpunkt von alledem ist entweder zu wissen oder nicht zu wissen, wer glücklich ist und wer nicht« (472c8–d1). Doch das Argumentationsmodell, das Sokrates dem rhetorisch-forensischen Beweisverfahren entgegenstellt, ist nicht weniger auf Konsens angewiesen. Der hier eingeforderte Konsens ist lediglich nur auf zwei Personen beschränkt: Sokrates und seinen Gesprächspartner.42 Welche Art von Autorität kann ein solcher Konsens für die Erforschung der Wahrheit reklamieren? Auf der epistemischen Autorität des Sokrates kann der Vorzug des sokratischen Verfahrens offenbar nicht begründet sein; auch im Gorgias beteuert Sokrates sein Nichtwissen.43 Die Autorität im Verfahren scheint vielmehr auf die Zustimmung und Anerkennung des Antwortenden zu allgemein anerkannten Normen zurückzuführen sein. Ein solches Argumentationsverfahren hat offensichtlich gewisse Defizite, sei es als Verfahren für Wahrheitsforschung oder auch nur als Prüfungsverfahren.44 _____________ 40 Platon, Gorg., 471e2–472a1. 41 Ebd., 472a2–c2. 42 Siehe auch ebd., 486e5–6: »Wisse wohl, dass, wenn Du mit mir übereinstimmst in den Dingen, die meine Seele für wahr hält, werden eben diese Dinge wahr sein«. 43 Ebd., 506a3–5: »Für meinen Teil jedenfalls gilt, dass ich nicht als ein Wissender das sage, was ich sage, sondern ich suche gemeinsam mit euch, und wenn jemand mir widersprechend was zu sagen scheint, so werde ich der erste sein, der ihm beipflichtet«. 44 Vlastos (1983) diskutiert die Probleme, die dem elenktischen Gespräch als einem Beweisverfahren anhaften; Gentzler (1995) bespricht die Schwierigkeiten für die peirastische Zielsetzung des Verfahrens, zwischen Experten und Nicht-Experten zu unterscheiden.

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Was die Eignung eines solchen Verfahrens als Wahrheitsforschung betrifft, ist es ebenso möglich, dass der Antwortende in einem elenktischen Gespräch zweifelhafte Prämissen akzeptiert und auf diese Weise sich ungültigen Schlüssen übergibt; in platonischen Dialogen passiert derlei auch oft genug. Und auch nur für die Prüfung des Sachwissens oder Expertise eines anderen ist es nicht hinreichend, Inkonsistenzen in seinen Aussagen zu einer gegebenen Frage nachzuweisen. Die Widerlegung seiner Aussagen zu Fragen, die in den Bereich seiner Expertise fallen, wird den angeblichen Experten lediglich diskreditieren; über den Stand seines Sachwissens sagt es noch nicht viel aus. In Anbetracht dieser Probleme sind neuere Interpreten darum bemüht, für Sokrates eine Art von nicht-technischem moralischem Wissen zu reklamieren, auf dessen Grundlage die Erträge des sokratischen Argumentationsverfahrens legitimiert werden können. Am prominentesten unter solchen Interpreten ist wohl Gregory Vlastos.45 Er hat argumentiert, dass Sokratesૃ Leugnung des Wissens als eine Leugnung von sicherem, infalliblen Wissen (»knowledgeC«, oder »certain knowledge«) in allen, insbesondere in wissenschaftlichen Bereichen zu verstehen ist; und dass Sokrates trotzdem gelegentlich den Anspruch auf ein fallibles, elenktisch geprüftes Wissen (»knowledgeE«) im moralischen Bereich erheben kann.46 Richtig (wenn nicht gerade schmeichelhaft) an dieser Interpretation ist sicherlich, dass viele Argumente in den frühen Dialogen mit der Mehrdeutigkeit von Begriffen operieren. Treffend ist auch, dass Sokrates in seiner Selbstzuschreibung der Ignoranz einen bestimmten Wissenstyp von sich weist. Irreführend ist die Deutung von Vlastos jedoch in zwei Hinsichten. Erstens ist der Typ des Wissens, den Sokrates leugnet, nicht durch die Art von Unfehlbarkeit charakterisiert, die Vlastos für ihn ausmacht.47 Insbesondere entspricht das ijȒȥȟș-Wissen, das Sokrates selbst leugnet, nicht dem Wissen von dem, was nicht anders sein kann. Und zweitens ist es nicht richtig, das genuin platonische und aristotelische Modell von ਥʌȚıIJȒȝȘ als einem Wissen von dem, was nicht anders sein kann, als unfehlbares Wissen zu kennzeichnen. Denn dieses Modell des Wissens wird vor allem durch den ontologischen Charakter seines Gegenstands und nicht durch den Grad seiner subjektiven Sicherheit bestimmt.48 Gegen die Interpretation von Vlastos spricht _____________ 45 Vlastos (1985). 46 Ebd., 20: »So this is the hypothesis: in the domain of morals – the one to which all of his inquiries are confined – when he says he knows something he is referring to knowledgeE; when he says he knows nothing […] he refers to knowledgeC; when he says he has no knowledge of a particular topic he may mean either in this case, as in all others, he has no knowledgeC and does not look for any or that what he lacks on that topic is knowledgeE which, with good luck, he might still reach by further searching«. 47 Ebd., 11–20. 48 Siehe die Bestimmung von ›Meinung‹ und ›Wissen‹ in Platon, rep. V, 477a9–b4: »Ist es nicht der Fall dass, da Wissen auf dasjenige zielt, was (wahr) ist (Ԛʍվ ij‫ ׮‬Րȟijț), und Nichtwissen notwendig gerichtet ist auf dasjenige, was nicht (wahr) ist (Ԛʍվ Ȟռ Րȟijț), mit Blick auf das, was da-

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auch, dass die Konzeption des Expertenwissens, die mit ijȒȥȟș verbunden ist und deren sich Sokrates entsagt, nicht in erster Linie mit theoretischem Wissen verbunden wird. Sie ist vielmehr mit einem praktischen Begriff des Wissens als einem Können verbunden, das für den ›moralischen‹, oder besser: für den pädagogischen Bereich der Erziehung relevant und sogar zentral war.49 Die Relevanz von sokratischer Ignoranz möchte ich vielmehr in Bezug auf den Umgang mit Autorität im Kontext von dialektischen Gesprächen erklären. In diesem Zusammenhang kann die Selbstzuschreibung von Nichtwissen vor allem zwei Funktionen haben. In einer Hinsicht ist die Position des Nichtwissens eine natürliche für den fragenden Dialektiker. Wie Aristoteles feststellt: »Sokrates hat nur gefragt und nicht Antwort gegeben, denn er bekannte sich dazu, nichts zu wissen«.50 Auch fordert die erklärte Ignoranz des Fragenden eine bestimmte Art von dialektischem Gespräch, in dem der Antwortende für das Ergebnis des Gesprächs den größten Teil der Verantwortung tragen muss. Ein zweiter und bisher nicht berücksichtigter Aspekt von Ignoranz scheint mit dem nichtfachlichen Charakter sokratischer Gespräche zusammenzuhängen. Hier liegt ein Gegenstandsbereich vor, in dem viele Kompetenz reklamieren, in dem es jedoch schwer ist, ein Fachwissen auszumachen, das den Kriterien eines wissenskonstituierenden Feldes, also einer ijȒȥȟș, entspricht. In dieser Hinsicht drückt sokratische Ignoranz möglicherweise keine falsche epistemische Bescheidenheit aus, sondern eine Distanzierung von einem Wissensmodell, das für den ethischen Gegenstandsbereich sowie den Charakter des dialektischen Gesprächs nicht haltbar ist. Eine solche Absicht könnte man jedenfalls in den Widerlegungen von gerade denjenigen Autoritäten, die als pädagogische Experten galten, vermuten. Aber während in der Behandlung von solchen Figuren die Autorität von Expertise grundsätzlich anerkannt wird – wenngleich nicht als epistemische Autorität im Bereich der Ethik – weigert sich der frühplatonische Sokrates konsequent, die _____________ zwischen ist, wir eine Haltung zwischen Wissen und Nichtwissen suchen müssen, wenn es denn eine solche gibt? – Gewiss. – Sagen wir, dass dieses etwas Meinung (İՌȠį) ist? – Was sonst?« 49 Snell (1924), 15–16, ordnet den Begriff der ijȒȥȟș in einem Spannungsfeld zwischen theoretischen und praktischen Leitmodellen des Wissens, und insbesondere im historischen Verhältnis zum Begriff der IJȡĴȔį, ein. Nach Snells Auffassung wurden die beiden Begriffe durch die »Hervorhebung intellektueller Bildung bei den Sophisten […] immer weiter voneinander getrennt« (16). Es ist bemerkenswert (und tut Snells Auffassung keinen Abbruch), dass der aristotelische Text in metaph. A tatsächlich über eine solche Entwicklung zu reflektieren scheint: »Wer nun zuerst eine gewisse ijȒȥȟș entdeckt hat, die über die allgemeinen Sinneswahrnehmungen hinaus ging, wurde wahrscheinlich von Menschen nicht nur deshalb bewundert, weil er eine irgendwie nützliche Entdeckung machte, sondern auch deshalb, weil er weise und im Vergleich zu anderen überragend sei. Und als mehrere ijȒȥȟįț entdeckt wurden, teils für die notwenigen Bedürfnisse und teils für die Lebensführung, wurden immer diejenigen Vertreter dieser ijȒȥȟįț für weiser gehalten wenn ihre Wissensbereiche (ԚʍțIJij‫׆‬Ȟįț) nicht auf Nutzen orientiert waren« (981b13–20). 50 Aristoteles, soph. el. 34, 183b6–8.

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Autorität von einem außenstehenden Konsens als hinreichend für die Akzeptanz einer Aussage anzuerkennen. Diese Teilaspekte, die mit der Position der sokratischen Ignoranz zusammenhängen, können wir in einem Modell für den Umgang mit epistemischer Autorität in sokratischer Dialektik zusammenfassen. Dieses zeichnet sich durch folgende Züge aus: 1. Durch den Begriff der ijȒȥȟș wird eine allgemeine Form von epistemischer Autorität anerkannt; aber 2. bestehenden ijȒȥȟįț wird die spezifische Form von epistemischer Autorität für praktisch-ethische Fragen abgesprochen und das Verfahren als Ganzes erhebt nirgends den Anspruch, ein Fachgespräch zu sein. Im sokratischen Argumentationsverfahren liegt offenbar 3. die Hauptverantwortung für den Ausgang des Gesprächs offiziell beim Antwortenden, da er etwas zu wissen vorgibt; und 4. die Autorität von Mehrheitsmeinungen wird für das Verfahren als grundsätzlich irrelevant angesehen – auch wenn diese Quelle der Autorität für die Zustimmung des Gesprächspartners zu den von Sokrates angebotenen Prämissen sehr wohl von Bedeutung gewesen sein wird.

V. ԤȟİȡȠį und Akzeptanz: das aristotelische Modell Für die Rekonstruktion eines sokratischen Modells für den Umgang mit Autorität sind wir auf Stellen in den frühplatonischen Dialogen angewiesen, in denen das Gesprächsverfahren selbst thematisiert wird. Um die Rekonstruktion eines entsprechenden aristotelischen Modells steht es wesentlich günstiger, da wir bei Aristoteles eine ausgereifte Theorie der Argumentation aus Autorität und Zeugnissen als Teil seiner Theorie der dialektischen Argumentation in der Topik vorfinden.51 Es ist nicht möglich, diese Theorie in auch nur annährender Vollständigkeit hier zu behandeln, und dennoch lässt sich die Rolle von Zeugnissen und Autorität bei Aristoteles nicht erläutern, ohne seine Theorie der dialektischen Argumentation im Umriss vorzustellen. Ich werde mich dabei so kurz fassen wie möglich. Zum Anfang der Topik formuliert Aristoteles einleitend die allgemeine Aufgabe seiner Theorie der dialektischen Argumentation in folgenden Worten: Die Abhandlung beabsichtigt, ein Verfahren zu finden, aufgrund dessen wir in der Lage sein werden, über jedes vorgelegte Problem aus anerkannten Meinungen (ԤȟİȡȠį) zu deduzieren und, wenn wir selbst ein Argument vertreten, nichts Widersprüchliches zu sagen.52

Die Zielsetzung der aristotelischen Theorie der dialektischen Argumentation bringt – wenngleich indirekt53 – mehrere formale Züge des dialektischen Ge_____________ 51 Siehe Kennedy (2004), 9 f. 52 Aristoteles, top. A 1, 100a18–20, Übersetzung von Wagner/Rapp (2004). 53 Für die Interpretation der Topik mit Blick auf sokratische und platonische – aber auch aristotelische – Dialektik ist aus mehreren Gründen Vorsicht geboten. Erstens ist die Theorie, wie Smith

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sprächs zum Ausdruck, wie wir es auch in den Dialogen Platons inszeniert finden. Ein allgemeingültiger Zug des dialektischen Gesprächs ist die Rollenverteilung zwischen zwei Teilnehmern, dem Fragenden und dem Antwortenden.54 Die Rollenverteilung zwischen Fragendem und Antwortendem entspricht einer argumentativen Arbeitsverteilung. Die Arbeit des Fragenden ist es, aus anerkannten Sätzen Schlüsse zu bilden, aus welchen das Gegenteil der These des Antwortenden abgeleitet werden kann; und die Aufgabe des Antwortenden ist es, seine These zu vertreten, ohne sich selbst zu widersprechen. Ein zweiter wichtiger Aspekt des beschriebenen Verfahrens ist, dass es dazu anleitet, über »jedes vorgelegte Problem« deduktiv zu argumentieren – »Problem« hier verstanden im Sinne der aristotelischen Theorie der Dialektik als eines zur Diskussion gestellten Satzes. Das heißt, das Verfahren ist universell. Der dritte Aspekt des dialektischen Argumentierens, der hier von besonderer Bedeutung ist, lautet: Es ist ein Verfahren zur Argumentation, das nicht auf der Grundlage von Expertenwissen operiert.55 Viertens ist es Aristotelesૃ Auffassung, dass die Prämissen (guter) dialektischer Argumentation »anerkannte Sätze« (ԤȟİȡȠį) sind. Was solche Sätze sind, und wie sie sich von den Sätzen in wissenschaftlichen Beweisen unterscheiden, führt Aristoteles an folgender Stelle aus: Wahre und erste Sätze sind diejenigen, die nicht durch etwas anderes, sondern durch sich selbst überzeugend sind. (Man muss nämlich bei den wissenschaftlichen Prinzipien nicht nach dem Warum suchen, sondern jedes der Prinzipien ist an sich überzeugend.) Anerkannte Sätze (ԤȟİȡȠį) dagegen sind diejenigen, die entweder von allen oder den meisten oder den Experten (ijȡ‫ה‬ȣ IJȡĴȡ‫ה‬ȣ) und von diesen entweder allen oder den meisten oder den bekanntesten und anerkanntesten für richtig gehalten werden.56

Hier unterscheidet Aristoteles zwischen zwei Arten von Sätzen, welche die argumentative Funktion von Prämissen haben.57 Der erste Satz in dieser Stelle nennt _____________

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(1997), xii–xiii, betont, nicht etwa für eine Nachwelt konzipiert, die nicht weiß, was Dialektik ist. Aristoteles entwickelt diese Theorie für ein Publikum, das mit der seit längerem bestehenden Praxis des dialektischen Gesprächs vertraut ist. Er tut dies in der Absicht, eine ijȒȥȟș der dialektischen Argumentation zu entwickeln, die zur guten dialektischen Praxis anleiten soll. Eine solche ijȒȥȟș reflektiert bestehende dialektische Praktiken aus einer bestimmten theoretischen Warte heraus. Zweitens haben wir wahrscheinlich anzunehmen, dass Topik I, VIII und die Sophistici Elenchi verschiedene dialektische Verfahren beschreiben, die nicht mit einer einheitlichen Konzeption von »der Dialektik« angesprochen werden sollten. (Für den nachdrücklichen Hinweis auf letzteres habe ich Christof Rapp zu danken.) In Aristoteles, top. Ĭ 1–3 werden verschiedene Aspekte des Fragens, in ĭ 4–7 werden Ratschläge für das Antworten im dialektischen Gespräch formuliert. Siehe dazu Bolton (1990), 189. Aristoteles, top. A 1, 100b18–23. Aristotelesૃ Wort für Prämisse, ʍȢȪijįIJțȣ, bekommt erst im Laufe der Entwicklung seiner Argumentationstheorie und Logik die Bedeutung, die wir mit dem Begriff ›Prämisse‹ verbinden. In der Topik ist eine ʍȢȪijįIJțȣ ein Satz, der in Form einer Frage dem Antwortenden zur Akzeptanz vorgelegt wird, z. B. »Ist das Wissen von entgegengesetzten Dingen eines und dasselbe?« Bejaht der Gesprächspartner die Frage, so wird der Satz, »Das Wissen von entgegengesetzten Din-

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ein epistemisches Merkmal für wissenschaftliche Prinzipien und gibt eine Norm für die Akzeptanz dieser Sätze an. Die Norm besagt, dass die Sätze, die im wissenschaftlichen Kontext als Prämissen gebraucht werden und als ›Prinzipien‹ gelten, keiner weiteren epistemischen Autorität bedürfen: Denn sie sind »nicht durch etwas anderes, sondern durch sich selbst überzeugend«, daher muss man nicht nach einer weiteren Quelle der Rechtfertigung für sie suchen.58 Man könnte auch sagen, dass wissenschaftliche Prämissen die Rechtfertigung ihrer Akzeptanz in sich tragen, da sie im Kontext einer Demonstration oder eines wissenschaftlichen Beweises deshalb als Prämissen fungieren können, weil sie eine erklärende Funktion haben für den Schluss, in dem sie vorkommen.59 Anerkannte oder endoxische Sätze beziehen ihre Autorität dagegen aus drei verschiedenen Quellen: aus einem consensus omnium (das, was alle für richtig halten), aus Mehrheitsmeinungen (das, was die meisten für richtig halten), sowie aus Expertenmeinungen (die Meinungen der IJȡĴȡȔ). Demonstrative Argumente sind epistemisch so strukturiert, dass ihre Prämissen ohne jede weitere Autorität akzeptiert werden. Dialektische Argumente sind mit demonstrativen Argumenten vergleichbar, insofern sie ebenfalls von akzeptierten Prämissen ausgehen, aber der epistemische Charakter der Anerkennung, die zu ihrer Akzeptanz führt, ist ein anderer. Da die Auslegung dieses Unterschieds zu einigen Verwirrungen geführt hat, soll er hier näher erläutert werden. Zuerst ist zu betonen, dass die Unterscheidung zwischen wahren ersten Prinzipien und endoxischen Sätzen im Zusammenhang der Theorie der Dialektik zunächst nur auf den Sachverhalt abzielt, dass die Sätze, die in wissenschaftlichen Beweisen und in der Dialektik als Prämissen dienen, auf unterschiedliche Weise anerkannt werden. Diese Unterscheidung ist nicht als ein Verweis auf zwei diskrete und homogene Arten von Sätzen zu verstehen – etwa die Klasse aller wissenschaftlichen Prinzipien und die Klasse aller endoxischen Sätze. Zu dieser Annahme kann eine traditionelle Lesart dieser Stelle führen, die sie interpretiert im Sinne einer Unterscheidung zwischen den wahren Sätzen der Wissenschaften und _____________ gen ist eines und dasselbe« zur Prämisse; verneint er sie, dient die Verneinung des Satzes als Prämisse für die weitere Argumentation. So ist es verständlich, dass das Wort, das ursprünglich eine Art von ja-nein-Frage im dialektischen Kontext bezeichnete, zur Bezeichnung für die darin enthaltene Proposition wurde, die als Annahme in einem deduktiven Argument verwendet wird. 58 Siehe auch Aristoteles, top. A 1, 100a27–29, wo die unmittelbare Autorität von demonstrativen Prämissen so formuliert wird: »Eine Demonstration kommt zustande, wenn ein deduktives Argument aus wahren und ersten Sätzen erfolgt, oder aus solchen Sätzen, welche durch gewisse wahre und erste Sätze das Prinzip des Wissens über sie ergriffen hat«. Zum Unterschied zwischen dialektischen und wissenschaftlichen Prämissen siehe auch an. pr. A 1, 24a22–b12. 59 Siehe Aristoteles, an. post. A 2, 71b29–33: »[Demonstrative Prämissen] müssen erklärend und eher vertraut und auch früher sein: erklärend, da wir dann etwas wissen wenn wir seine Ursache verstehen; und früher sind sie wenn sie erklärend sind und wir sie schon wissen, nicht nur in dem wir sie schon auf andere Art begreifen, sondern auf die Weise, wodurch wir wissen, dass sie zutreffen«.

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den wahrscheinlichen Sätzen, die Gegenstand von Meinungen sind.60 Von einer solchen Auslegung scheinen auch einige neuere Interpreten ausgegangen zu sein, die Aristotelesૃ ԤȟİȡȠį als ›common beliefs‹ verstehen und Belege für ein dialektisches Verfahren suchen, mit dem mindestens einige von unseren Überzeugungen als erste Prinzipien erwiesen werden können.61 Gegen beide Deutungstendenzen ist festzuhalten, dass das wesentliche Merkmal endoxischer Sätze weder ihre Wahrscheinlichkeit noch ihre Verbreitung sein kann – Kriterien, an denen vermutlich nicht wenige Expertenmeinungen scheitern würden. Das konstitutive Merkmal für ԤȟİȡȠį ist, dass sie akzeptiert sind.62 Dieses Merkmal hängt mit ihrer argumentativen Funktion als Prämissen in einer deduktiven aber nicht demonstrativen Argumentation zusammen. Ein deduktives Argument (IJȤȝȝȡȗțIJȞȪȣ) bestimmt Aristoteles als »ein Argument, in welchem sich, wenn bestimmte Dinge vorausgesetzt werden, etwas von dem Vorausgesetzten Verschiedenes durch das Vorausgesetzte mit Notwendigkeit ergibt«.63 Für die Durchführung einer solchen Argumentation im dialektischen Kontext braucht der Fragende Sätze, die vom Antwortenden eingeräumt werden, damit sie als Prämissen dienen können. Das heißt, der Dialektiker braucht Sätze, die annehmbare Prämissen sind. Annehmbar werden vor allem diejenigen Sätze sein, für welche es eine Vorannahme zu ihrem Gunsten gibt.64 Dafür kommen bereits anerkannte Sätze in Frage, aber nicht nur irgendwelche anerkannten Sätze, sondern Sätze, die von Gruppen oder Individuen anerkannt werden, deren Anerkennung zur Autorität führt.65 Die Bestimmung von ԤȟİȡȠį als »Sätzen, die entweder allen oder den meisten oder den Experten wahr zu sein scheinen« usw., nennt die Quellen von Autorität, die für die Akzeptanz von Sätzen hinreichend sein können. _____________ 60 Le Blond (1939), 9: »Le domaine de la dialectique est donc le domaine de l’opinion, du ›probable‹, tandis que celui de la science, est celui du vrai«. 61 Irwin (1988), 38, möchte ԤȟİȡȠį verstehen als »the relevant beliefs of fairly reflective people after some degree of reflection«. Damit wird eigentlich nur festgelegt, dass ԤȟİȡȠį wirklich plausibel sind – ihrem Charakter als Sätze mit einer bestimmten Art von epistemischer Autorität, die sie zu akzeptablen Prämissen macht, wird diese Bestimmung nicht gerecht. 62 Siehe Brunschwig (1968), 113–114, ad loc.: »Il faut souligner que le caractère ›endoxal‹ d’une opinion ou d’une idée n’est pas, en son principe, une propriété qui lui appertient de droit, en virtu de son contenu intrinsèque (ce qui interdit les traductions par probable, vraisemblable, plausible, et autres adjectives comportant un suffixe analogue), mais une propriété qui lui appartient de fait: […] les énoncés ›endoxaux‹ sont ceux qui ont des garants réels, qui sont autorisés ou accrédités par l’adhésion effective que leur donnent, soit la totalité ou la quisitotalité des homes, soit la totalité ou quasi-totalité des ıȠijȠȓ […]« [Hervorh. v. Brunschwig]. 63 Aristoteles, top. A 1, 100a25–27: »ԪIJijț İռ IJȤȝȝȡȗțIJȞրȣ ȝցȗȡȣ Ԛȟ ֭ ijıȚջȟijȧȟ ijțȟ‫׭‬ȟ ԥijıȢցȟ ijț ij‫׭‬ȟ ȜıțȞջȟȧȟ ԚȠ ԐȟչȗȜșȣ IJȤȞȖįտȟıț İțո ij‫׭‬ȟ ȜıțȞջȟȧȟ«. Vgl. auch Aristoteles, an. pr. A 1, 24b18–20; soph. el. 1, 165a1 ff. 64 Siehe Freeman (2005), der im Anschluss an Rescher (1977) eine Theorie von akzeptablen Prämissen entwickelt, der zufolge ein Satz dann eine akzeptable Prämisse ist, wenn es für diesen Satz eine Vorannahme (»presumption«) gibt. 65 Siehe Aristoteles, top. A, 104a5–8 sowie eth. Nic. I 4, 1098a28–30.

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Eine weitere Erläuterung dieser Stelle (top. A 1, 100b18–23) ist angebracht. Da Aristoteles hier Dialektik als ein deduktives Argumentieren aus ԤȟİȡȠį vorstellt, wird oft angenommen, dass die aristotelische Dialektik mit Argumenten aus ԤȟİȡȠį identisch ist. Das ist nicht ganz richtig. Der Begriff des ԤȟİȡȠȡȟ wird in der aristotelischen Theorie der Dialektik eingesetzt, um Sätze zu kennzeichnen, die für den praktizierenden Dialektiker besonders nützlich sind, da sie Autorität besitzen und somit Akzeptanz bewirken. Der ԤȟİȡȠȡȟ-Begriff ist aber auch für den Theoretiker der Dialektik zentral, da er eingesetzt wird, um etwas über die epistemische Struktur dialektischer Deduktionen zu zeigen. Dialektische Argumente werden vom Autor der Topik nämlich als solche beschrieben, in denen wir aus Sätzen schließen, die mehr oder eher endoxisch sind, auf solche Sätze, die weniger endoxisch sind.66 Ein Wissen darum, welche Sätze mehr und welche weniger endoxisch sind, wird also für erfolgreiche dialektische Praxis entscheidend und für eine Theorie der Dialektik von zentralem Interesse sein. Aber das bedeutet nicht, dass dialektische Argumente nur mit Fragen befasst sein können, zu denen es anerkannte Meinungen und somit Quellen von Autorität gibt.67 Wenn wir den Anspruch der aristotelischen Dialektik in Topik A, über jedes vorgelegte Problem aus ԤȟİȡȠį zu deduzieren, so verstehen, dass es nur zu jenen Problemen eine Verfahrensanleitung liefert, für die es ausdrückliche ԤȟİȡȠį gibt, verliert das Verfahren seine Universalität. Wir haben daher den universellen Anspruch des Verfahrens so zu verstehen, dass es uns ermöglicht, zu jedem vorgelegten Problem die eher anerkannten Sätze zu finden und diese argumentativ zu verwenden. Diese Präzisierung des dialektischen Verfahrensideals ist jedenfalls notwendig, wenn wir die ԤȟİȡȠį-Theorie von Topik A mit jener aus Topik ĭ vereinbaren möchten. Denn dort sind dialektische Situationen vorgesehen, in denen es zulässig ist, aus Sätzen zu schließen, die zwar nicht anerkannt (adoxisch) sind, aber weniger adoxisch sind als die Konklusion, für die sie verwendet werden.68 Aristotelesૃ Bestimmung von Dialektik als Argumentation auf der Grundlage von ԤȟİȡȠį ist daher nicht als eine allgemeine Beschreibung dialektischer Argumentation zu verstehen, sondern dient einerseits als der Ausdruck von einem bestimmten Standard guter dialektischer Argumentation, die andererseits durch den ԤȟİȡȠȡȟ-Begriff näher zu erläutern ist.69 Insbesondere ermöglicht die Vorstellung von Anerkennung, die für den ԤȟİȡȠȡȟ-Begriff bestimmend ist, die Unter_____________ 66 Aristoteles, top. ĭ 5, 159b25 f. 67 In top. ĭ 5, 159b25–35, sieht Aristoteles den dialektischen Fall vor, dass dasjenige, was der Fragende setzt (ijր ȜıȔȞıȟȡȟ), weder anerkannt noch nicht-anerkannt (ԔİȡȠȡȟ) ist. Siehe auch top. A 11, 104b29–31. 68 Siehe top. ĭ 5, 159b16–20: »Wenn die These schlechthin endoxisch ist, ist es klar, dass die Konklusion schlechthin adoxisch sein wird. Man muss also [als Antwortender] alles gestehen, was wahr zu sein scheint, sowie von dem was nicht wahr zu sein scheint all dasjenige, was weniger adoxisch als die Konklusion ist: denn so dürfte es hinreichend durchgesprochen werden«. 69 In diesem Sinn argumentiert auch Smith (1997), xiii–xv.

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scheidung von zwei funktionalen Aspekten von Sätzen, die für Aristotelesૃ Theorie der Dialektik zentral ist. Die Unterscheidung wird als die begriffliche Unterscheidung zwischen dialektischen Problemen und dialektischen Prämissen auf folgende Weise eingeleitet: Als Erstes ist nun zu bestimmen, was eine dialektische Prämisse und was ein dialektisches Problem ist. Nicht jede Prämisse und nicht jedes Problem ist als dialektisch anzusetzen. Denn niemand, der bei Verstand ist, wird eine Prämisse anbieten, die niemand für richtig hält, oder aus etwas ein Problem machen, was für alle oder die meisten offensichtlich ist. Denn das eine enthält keine Schwierigkeit, das andere würde niemand annehmen.70

Hier liegt eine Unterscheidung von Sätzen vor, die auf dem Grad ihrer Anerkennungsfähigkeit beruht. Nach dieser Unterscheidung gilt, dass Sätze, die niemand anerkennt, nicht als Prämissen dienen können, und Sätze, die von allen oder den meisten bejaht werden würden, nicht als dialektische Probleme auftreten.71 Da es allerdings viele Grade der Anerkennung zwischen diesen beiden Extremen gibt, führt Aristoteles den Begriff der Prämisse weiter aus: Eine dialektische Prämisse ist eine Erfragung von etwas, das entweder von allen oder den meisten oder den Experten anerkannt wird, und von diesen entweder von allen oder den meisten oder den anerkanntesten, solange es nicht gegen die Meinung läuft. Denn man dürfte etwas aufstellen, das den Experten wahr scheint, wenn es nicht den Meinungen der Mehrheit entgegensteht.72

Im letzten Satz führt Aristoteles eine allgemeine Einschränkung für endoxische Sätze ein, die zum Ausdruck bringt, dass Expertenmeinungen weniger Anerkennung genießen als diejenigen, die universellen oder allgemeinen Konsens finden. Demnach hängt der Grad der Autorität eines Satzes davon ab, wie verbreitet seine Akzeptanz tatsächlich ist. Unter dieser Kondition wird es plausibel, die Liste von den Typen endoxischer Sätze als eine absteigende Angabe ihrer Rangordnung nach dem Grad ihrer Anerkennung anzusehen.73 Nach dieser Interpretation gibt die Angabe von den Autoritätsquellen für endoxische Sätze in ihrer Reihenfolge zugleich auch eine Hierarchie endoxischer Autoritäten an, von der anerkanntesten Quelle (das, was alle denken) zu derjenigen, die am wenigsten anerkannt ist (das, was den Experten wahr zu sein scheint, bzw. darunter das, was einem besonders anerkannten Experten wahr zu sein scheint). Eine solche Hierarchie von endoxischen Sätzen ist sowohl für den praktizierenden Dialektiker als auch den Dialektiktheoretiker von großem Nutzen. Dass es _____________ 70 Aristoteles, top. A 10, 104a3–8, eine leicht veränderte Version der Übersetzung von Wagner/ Rapp (2004), 56. 71 Hier tritt eine viel striktere Regel in Bezug auf Prämissenakzeptanz in Kraft als diejenige, die in top. ĭ 5 ausgeführt wird (zitiert oben, Anm. 46). Dies ist ein Indiz dafür, dass top. A und top. ĭ unterschiedliche Argumentationsverfahren beschreiben. 72 Aristoteles, top. A 10, 104a8–12, Übersetzung des Autors. 73 So Bolton (1990) in einem Abschnitt über »Rank Ordering Among Endoxa«, 208–212.

Sokratische Ignoranz und aristotelische Anerkennung

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in der Dialektik darum gehe, aus anerkannten bzw. aus anerkannteren Sätzen zu schließen, sind zwei Ideale der Argumentation in der Topik (inklusive Sophistici Elenchi), die durch das Interesse an endoxischen Sätzen verbunden sind.74 Diese Hierarchie kann auch als ein Modell für den Umgang mit Autorität im dialektischen Gespräch verstanden werden. Auffallend an diesem theoretischen Modell für den Umgang mit Autorität sind ein Unterschied und eine Gemeinsamkeit im Vergleich zu jenen Erklärungen und Argumentationstendenzen, die uns zur Konstruktion eines sokratischen Modells dienten. Dialektik, wie sie Sokrates praktiziert und Aristoteles erklärt, ist in beiden Fällen das Geschäft des Nichtexperten – was für Sokrates heißt, dass er nichtwissend ist und keine Expertise für sich reklamiert, während Aristoteles aus der Warte seiner Beweistheorie dies so ausdrückt, dass der Dialektiker nicht auf der Grundlage von wissenschaftlichen Prinzipien schließt. Auch ist es leicht zu sehen, wie die theoretisch motivierte und in gewisser Hinsicht auch normative Beschreibung von Dialektik als Deduktion auf der Grundlage von ԤȟİȡȠį auf sokratische Dialektik passt. Denn natürlich musste jeder geschickte Dialektiker Prämissen parat haben, die jeder oder die meisten akzeptieren würden. Auch scheut es die Sokratesfigur in Platons Dialogen nicht, Konsens und gelegentlich auch Expertenmeinungen als annehmbare Prämissen einzuführen. Aber die Stellungnahmen zum Konsens und zur Expertise als Kriterien für die Autorität einer Aussage gehen deutlich auseinander. Im sokratischen Gespräch wird der wirkliche Experte als höchste Autorität angesprochen und gesucht (wenngleich selten eingeladen), und Konsens unter vielen wird als ein sachfremdes Beweismittel abgelehnt. Nach der aristotelischen Theorie der Dialektik genießen auch Expertenmeinungen Autorität, aber im Allgemeinen sind sie am wenigsten anerkannt, und die Sätze, die den größten Konsens finden, sind am meisten anerkannt. Diesen Unterschied könnte man auch so charakterisieren, dass sokratische Dialektik etwas andere epistemische Prioritäten in Bezug auf seine Probleme setzt als die Formen der Dialektik, die Gegenstand der aristotelischen Theorie ist. Während sokratische Argumentation in ihren Erträgen Konflikt mit Konsens vermutlich nicht gescheut hat, sucht das aristotelische Modell für den Umgang mit Autorität grundsätzlich eine Integration von den endoxischen Aspekten verschiedener Meinungen. Diese Charakterisierung und ihre Bedeutung für philosophische Argumentation möchte ich abschließend durch die Interpretation einer Stelle illustrieren, an der Aristoteles einen Konflikt zwischen der Autorität einer sokratischen These und der Autorität des allgemeinen Konsens konfrontiert.

_____________ 74 Aristoteles, top. ĭ 5, 159b8–9: »Derjenige, der gute Schlüsse bildet, zeigt das Aufgestellte aus anerkannteren und bekannteren Sätzen«; soph. el. 34, 183a37–b1: »Wir haben es uns vorgenommen, ein gewisses Vermögen der Argumentation über jedes Thema aus den anerkanntesten vorhandenen Prämissen; denn dies ist die Aufgabe von Dialektik im engen Sinne und Peirastik«.

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VI. Autorität im Bereich der Ethik: Sokrates vs. Aristoteles Im siebten Buch der Nikomachischen Ethik diskutiert Aristoteles das Phänomen der ԐȜȢįIJȔį. Für diese Diskussion sind einige eingebürgerte moralische Intuitionen über Affekte und unsere Kontrolle über sie relevant. Diese Intuitionen nehmen zum Teil Antworten auf wichtige und diskutierbare Fragen zum Phänomen der ԐȜȢįIJȔį vorweg. Es ist daher verständlich, dass Aristoteles nicht etwa mit einer Definition oder auch nur einer Beschreibung von ԐȜȢįIJȔį beginnt, sondern zunächst verschiedene Überzeugungen über Handeln im Affekt auslegt, die unsere Beschreibung von ԐȜȢįIJȔį informieren. Er leitet seine Diskussion dieser Überzeugungen auf folgende Weise ein: Man muss aber, wie auch bei den anderen Dingen, zuerst die Phänomene aufstellen und durch die Schwierigkeiten gehen, um somit all die Meinungen, die am meisten anerkannt sind in Bezug auf diese Affekte, zu zeigen, oder wenn nicht alle, so doch die meisten und wichtigsten; wenn nämlich die Schwierigkeiten gelöst sind und anerkannte Meinungen übrig bleiben, dann dürfte genug gezeigt sein.75

Diese Stelle hat bereits zu viel Interpretation Anlass gegeben. In einem einflussreichen Aufsatz von G.E.L. Owen wurde darauf hingewiesen, dass die hier beschriebenen »Phänomene« (ĴįțȟȪȞıȟį) nicht nur sinnlich-empirische sein können, sondern auch sprachlich-logische Bestandteile enthalten und dass solche Phänomene auch Gegenstand der aristotelischen Physik sind.76 Unter dem Einfluss dieses Aufsatzes wurde diese Stelle dann auch so ausgelegt, als würde sie die philosophische Methode des Aristoteles schlechthin zum Ausdruck bringen – wobei diese Interpretation auf der problematischen Annahme beruht, dass sprachlich-logische Phänomene die Grenzen aller philosophischen und wissenschaftlichen Forschung für Aristoteles konstituieren.77 Eine andere Interpretation findet an dieser Stelle das Programm einer Endoxa-Methode der Ethik, die darin bestehe, aus den vorhandenen Überzeugungen des Common Sense eine möglichst konsistente Menge von Sätzen zu gewinnen, welche die »meisten und wichtigsten« ԤȟİȡȠį umfasst.78 Diese Interpretation wird dem argumentationstheoretischen Charakter der Stelle am ehesten gerecht. Aber angesichts der Tendenz, diese Stelle als Beleg für eine dialektische philosophische Methode bei Aristote_____________ 75 Aristoteles, eth. Nic. VII 2, 1145b2–7. 76 Owen (1961). 77 So Nussbaum (1986), die für Aristoteles einen »internal realism« als epistemische Hintergrundtheorie entwickelt. Problematisch ist diese Annahme u. a. deshalb, weil sie mit der Behauptung eingeführt wird, dass Aristoteles sich mit dieser Position gegen einen Platon wendet, dessen Ideen als »Dinge an sich« zu verstehen seien. Doch dies ist weder eine adäquate Rekonstruktion der Platonischen Ideentheorie noch der aristotelischen Kritik an ihr. 78 Barnes (1980). Barnes beschränkt seine Interpretation der Stelle auf eine »Methode der Ethik«, er fügt aber hinzu, dass diese Methode auch in anderen Bereichen der aristotelischen Philosophie zur Anwendung kommt, wenngleich es nicht die einzige Methode ist, über die Aristoteles verfügt.

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les anzuführen, ist es nötig, das hier vorliegende Verfahren von jenem, das im ersten Buch der Topik beschrieben wird, zu unterscheiden. Zunächst ist festzustellen, dass diese Stelle ein Ideal oder eine Norm der Argumentation aufstellt. Die Norm besagt, dass wenn die Phänomene ausgelegt, die Schwierigkeiten durchgegangen und die meisten und wichtigsten ԤȟİȡȠį »gezeigt« werden, dann »dürfte genug gezeigt sein«. Dies wird von den meisten Interpreten als eine allgemeingültige Norm für dialektische Beweise verstanden. Aber sie unterscheidet sich erheblich vom Ideal der dialektischen Argumentation, das wir in der Topik finden. Dort war deduktives Argumentieren auf der Grundlage von möglichst endoxischen Sätzen das Ideal dialektischer Argumentation; hier wird empfohlen, möglichst endoxische Sätze zu »zeigen«, d. h. zu beweisen oder zu begründen. Der Unterschied zwischen diesen Normen ist nicht unwichtig, auch wenn sie einander nicht unbedingt widersprechen: Wer aus möglichst Anerkanntem schließt, kann auch auf möglichst Anerkanntes schließen – auch wenn es mit Blick auf sokratische Dialoge als wohlweislich möglich anzusehen ist, aus Anerkanntem auf Paradoxes zu schließen. Hier könnte man fragen, warum es denn überhaupt nötig ist, dasjenige, was am meisten ԤȟİȡȠȡȟ ist und also die größte Autorität besitzt, zu zeigen oder zu begründen. Nach der Theorie der Argumentation in der Topik sind es doch gerade solche Sätze, die für Schlüsse auf weniger anerkannte Sätze geeignet sind. Ein Grund dafür könnte sein, dass es sich bei einigen der anerkanntesten Meinungen über ԐȜȢįIJȔį um implizite ԤȟİȡȠį handelt, die im alltäglichen Loben und Tadeln zum Ausdruck kommen, aber kaum als Überzeugungen artikuliert sind.79 Die Autorität dieser unartikulierten ԤȟİȡȠį wäre demnach durch den Angriff von anderen, argumentativ unterstützten Autoritäten besonders verwundbar; jedenfalls könnte eine Beweislast auf ihre Seite hin geschoben werden. Im vorliegenden Fall kommt der Angriff auf das, was alle oder die meisten für wahr halten, von dem anderen Extrem des Autoritätsspektrums aller ԤȟİȡȠį, nämlich von der sokratischen Ansicht, dass es ԐȜȢįIJȔį als Handeln wider besseres Wissen nicht gibt. Dieser Konflikt unter ԤȟİȡȠį führt aber nicht zu der schlichten Zurückweisung der Ansicht, die nach der Hierarchie endoxischer Autorität unterlegen wäre. Er setzt ein Verfahren in Gang, das die sokratische These präzisiert und die bestehenden Ansichten über die Schlechtigkeit von unbeherrschten Menschen beibehält. Sokrates war bekanntlich nicht der Erste oder Einzige, der gegen die intuitiven ԤȟİȡȠį seiner Mitmenschen Argumente führte. Die zenon’schen Paradoxien sind Zeugnisse einer ähnlichen Art der Argumentation. Es ist daher nicht überraschend, dass wir ähnliche Bemerkungen in der Physik im Kontext einer Auseinandersetzung mit Zenons Argumenten finden.80 Hier wie dort wird ein besonderes Argumentationsverfahren an der Stelle eingeschaltet, wo bestehende, nicht_____________ 79 Über implizite ԤȟİȡȠį siehe Barnes (1980), 511–512. 80 Aristoteles, phys. IV 4, 211a7–11.

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explizite Ansichten auf den Widerstand einer epistemischen Autorität stoßen. Und an beiden Stellen wird gegen eine Argumentation, die aus Anerkanntem auf Paradoxes oder Nicht-Intuitives schließt, ein anderes Ideal der Argumentation behauptet, das die Lösung der Aporien und das Bewahren anerkannter Ansichten empfiehlt. In dieser Empfehlung liegt offensichtlich ein Bruch mit Aristotelesૃ Vorgängern in der dialektischen Praxis, die Schlüsse aus akzeptierten Meinungen verwendet haben, um Aporien zu erzeugen. Wichtiger noch: Vor dem Hintergrund der aristotelischen Theorie dialektischer Argumentation ist diese Empfehlung neu. Das Ideal der Endoxalität, das für dialektische Prämisse formuliert wurde, wird in einer beweisenden Absicht hier auf die Konklusionen von ›philosophischen‹ Argumenten angewendet.

VII. Zusammenfassung In diesem Beitrag habe ich versucht, zwei Umgangsweisen mit Autorität und Zeugnissen im dialektischen Gespräch zu rekonstruieren. Die erste, sokratische Umgangsweise erwies sich als eine, mit der die Autorität des Experten als die spezifisch epistemische Autorität behauptet wird, während Konsens und Mehrheitsmeinungen als Autoritäten abgewiesen werden. Dabei habe ich sokratische Ignoranz als eine Haltung interpretiert, die darauf hinweist, dass sokratische Dialektik nicht auf der Grundlage von Expertenwissen operiert und folglich für ihre Erträge nicht die Art von Autorität beansprucht, die sie Experten zuschreibt. Ein erheblicher Bestandteil der mit dieser Position einhergehenden Ironie liegt darin, dass Sokrates aus der Warte der Ignoranz immer wieder das Modell des Expertenwissens einsetzt, um gerade die Autorität der ijȒȥȟįț für Wissen im Bereich des Handelns anzufechten.81 Einige Aspekte sokratischer Dialektik sind auch im theoretischen Modell für den Umgang mit epistemischer Autorität im dialektischen Gespräch bei Aristoteles erkennbar. Sokratisch (und nicht platonisch) ist nämlich das theoretische Modell der Dialektik bei Aristoteles insofern, als es ein Verfahren beschreibt, das nicht auf Expertenwissen beruht. Allerdings erkennt diese Konzeption die Meinungen von Experten und Mehrheiten als mögliche Quellen von Autorität an. Der von Aristoteles erklärte grundsätzliche Vorrang an Akzeptanz und Autorität von den anerkanntesten Sätzen gegenüber dem, was den Experten wahr zu sein scheint, entspricht durchaus dem Umstand, dass ein geschickter Dialektiker wie Sokrates sich gegen beide Arten von Meinungen durchsetzt mit Rückgriff auf dasjenige, was niemand zu bezweifeln wagt. Aber die in der Nikomachischen Ethik und der Physik ausgedruckte Norm bricht grundsätzlich mit einer bestehen_____________ 81 Die Aporien, zu denen die Analogie zwischen technischem Wissen und tugendhaftem Handeln führt, scheinen die aristotelische Unterscheidung zwischen ʍȡȔșIJțȣ und ʍȢֻȠțȢ motiviert zu haben; siehe Aristoteles, eth. Nic. II 4, 1105a17 f.

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den Tradition dialektischer Argumentation, indem sie Endoxalität auch für die Konklusionen der Argumentation einfordert. Bei der Einführung dieses Ideals stellt sich allerdings die Frage danach, warum wir davon ausgehen sollen, dass Sätze mit Autorität sowie die Aussagen anerkannter Zeugen grundsätzlich als epistemisch legitim bzw. als prima facie wahrscheinlich angesehen werden sollen. Das zentrale Problem für Aristotelesૃ Theorie der ԤȟİȡȠį, das mit dieser Frage eröffnet ist, habe ich hier zugunsten einer Erläuterung des philosophiehistorischen Hintergrunds, vor dem sich die Frage für Aristoteles gestellt hat, ausgeblendet.82

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_____________ 82 Das Problem der epistemischen Legitimation von ԤȟİȡȠį behandle ich in King (2008).

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Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie bei Ralph Cudworth LUTZ BERGEMANN

Eines der Kennzeichen und eine der charakteristischen Aufgaben von Wissenschaft und Naturwissenschaft ist es, (Natur-)Gesetze und Gesetzmäßigkeiten zu suchen und aufzustellen.1 Präzisiert man diesen Anspruch an Wissenschaft mit Hinblick auf die Naturlehren und Naturphilosophien des 17. Jahrhunderts, ist mit Andreas Hüttemann festzustellen, dass es zu dieser Zeit darum geht, zunächst überhaupt erst ein Verständnis dieses Begriffs und damit auch von Naturwissenschaft zu entwickeln und – je nach Konzeption – nach dem, was jeweils als »Naturgesetz« verstanden werden konnte und sollte, zu suchen.2 Aufgrund dieser engen Verknüpfung von Naturgesetz- und Naturwissenschaftsbegriff scheint es also sinnvoll zu sein, eine Annäherung an den Wissenschaftsbegriff dieser Zeit und seine Beziehungen zur Antike über das Konzept des Naturgesetzes als Ergebnis von Antiketransformationen zu versuchen. Der Naturgesetzbegriff ist in diesem zeitlichen Kontext als »eine Antwort auf ein genuin frühneuzeitliches Problem« zu betrachten,3 nämlich zunächst ganz allgemein im Ausgang von einer grundsätzlich passiv gedachten Materie ohne Rückgriff auf scholastische Lösungen, wie z. B. substantielle Formen oder reale Qualitäten, ordnungsvolle Strukturen und Regelmäßigkeiten zu erklären.4 Dabei ist die Rolle der Naturgesetze funktional bestimmt, so dass es auch bei einer historischen Untersuchung dieses Begriffs primär um die Frage gehen wird, »wie die Ausführung der Naturgesetze gedacht wurde«5 und, so ist im Zusammenhang der _____________ 1 2 3 4 5

Siehe Diemer (1970), 17; vgl. auch Hüttemann (2006), 193. Hüttemann (2006), 193. Hüttemann (2001), 7. Hüttemann (2006), 198–199. Ebd., 199. Vgl. auch ders. (2001), 10: »Das Thema der Kausalität ist in der frühen Neuzeit deshalb ein prominentes Thema, weil – nach der Zurückweisung der scholastischen Begriffe – neue Theorien darüber entwickelt werden müssen, wie ein Gegenstand auf einen anderen einwirken kann.« [Hervorh. L. B.].

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hier zu behandelnden Fragestellung nach der Bedeutung des Antikegebrauchs hinsichtlich des Gesetzes- und Wissenschaftsbegriffs zu ergänzen, als was die Naturgesetze dabei vorgestellt werden können und auf welche historischen Vorläufer und Modelle bei der Beschreibung von Naturgesetzen im 17. Jahrhundert zurückgegriffen wird. Descartes und Hobbes z. B. bestimmen ihre Naturgesetze primär als geometrische Gesetze, denen ihre Körper in Bewegung folgen und deren Funktion primär darin zu sehen ist, diese Bewegungsfolgen beschreiben, berechnen und vorhersagen zu können. Offen bleibt bei beiden Philosophen die Antwort auf die Frage, wie genau die Übertragung von Bewegung von einem Körper auf den anderen erfolgen oder erklärt werden kann.6 Verbunden mit diesem Problemkomplex ist eine Kritik am Naturgesetzbegriff, die Boyle 1686 (oder bereits 1680) in seiner Schrift Free Enquiry Into The Vulgarly Receiv’D Notion Of A Nature formuliert. Er verknüpft dabei die Erfüllung naturgesetzlicher Vorgaben und Strukturen mit dem Besitz kognitiver Fähigkeiten des Wesens bzw. der Sache, die das Gesetz befolgen soll.7 So bleibt für ihn unverständlich, wie vernunftlose Naturdinge Gesetze befolgen können sollen, d. h. der Begriff als solcher besitzt für Boyle keinen explanativen Wert. Cudworth verwendet nun explizit den Begriff des »law of nature«, muss sich also in seiner Diskussion der plastic nature, die die Funktion des Naturgesetzes übernimmt, sowohl mit der an Boyle exemplifizierten Kritik an der Sinnhaftigkeit dieses Begriffs auseinandersetzen als auch auf die Naturgesetzkonzepte von Descartes (und in dessen Nachfolge Hobbes) eingehen, für die es eine Alternative zu entwickeln gilt, die Gottes Wirken in der Welt garantiert und den methodischen Schwächen der cartesischen Konzeption begegnet. Konkret möchte ich im Folgenden darstellen, welche Darstellungsstrategien des Cambridger Theologen und Philosophen Ralph Cudworth sich wie in dessen True Intellectual System of the Universe (kurz: System) zum Problem des naturgesetzlichen Wirkens unter transformationstheoretischer Perspektive auf seinen Umgang mit dem Vorsokratiker Empedokles ausgewirkt haben und welches Verständnis von Wissenschaft sich im Gegenzug in diesem Antikegebrauch formiert und geltend macht. Ich werde dabei von Cudworths Gleichsetzung von Naturgesetz und plastic nature als strukturierender Kraft (İփȟįȞțȣ) ausgehen und besonderes Augenmerk auf die auffällige Charakterisierung des Wirkens der plastic nature als Naturgesetz lenken.8 Diese Charakterisierung soll dann durch die Einbindung in die zeitgenössische Diskussion konturiert und auf inhärente Probleme, die Cudworth im Rahmen bzw. aufgrund der eigenen systematischen Voraussetzungen zu lösen hat, untersucht werden, denn sie bestimmen seinen speziellen _____________ 6 7 8

Cottingham (1997). Steinle (2001), 89 und Hunter/Davis (1996). Auf das von Henry More zuvor entwickelte und in jeder Hinsicht sehr ähnliche Konzept des »spirit of nature« kann hier leider nicht eingegangen werden. Vgl. dazu z. B. die Ausführungen von Hüttemann (2001), 139–147; Cheung (2008), 47–49 und Hall (1990), 112–122.

Naturgesetze, Magie und Liebe

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Gebrauch und die Transformation des Empedokles in diesem Textabschnitt. Cudworth gelangt nämlich von einer auf den ersten Blick stoisch geprägten, rein weltlich-immanenten, beinahe hylozoistischen Erklärung des »Wie« der Ausführung von Naturgesetzen zu einer magischen Erklärung der Funktion des Naturgesetzes nach neuplatonischem Muster, indem er den magisch-stoischen Funktionsträger Pneuma u. a. durch den magisch-kosmogonisch wirkenden Eros neuplatonischer Prägung ersetzt. Diese Umbesetzung bestimmt dann ihrerseits die Konstruktion der Empedoklesfigur, die Cudworth vor dem Hintergrund der plotinischen Magieerklärung vornimmt und zugleich – implizit – sein Wissenschaftsverständnis. Diesen Prozess als Abfolge von aufeinander bezogenen Transformationen nachzuzeichnen, ist Ziel meiner Darstellung, wobei es besonders auch auf die Erhellung impliziter Hintergrundannahmen, die Cudworths Verständnis von Magie ausmachen könnten, ankommen wird. Nicht zuletzt sind es gerade diese Annahmen, die seinen fokussierenden Umgang mit den antiken Bezugstexten lenken und so zugleich die Autorisierung und Legitimation des eigenen Ansatzes durch Empedokles ermöglichen.

Das law of nature als plastic nature Cudworth führt den im 17. Jahrhundert von Descartes im naturwissenschaftlichen Diskurs so prominent gemachten Begriff des »Naturgesetzes« ausdrücklich in seiner Digression concerning the plastic nature of life ein.9 In der Digression geht es Cudworth um die Erklärung gesetz- oder regelmäßiger Strukturen, die seiner Ansicht nach ausschließlich weder mit den rein mathematisch-geometrisch beschreibbaren Bewegungsgesetzen der Mechanisten, als deren Hauptvertreter er Descartes ansieht, noch mit den reduktionistischen Ansätzen der Atomisten be_____________ 9

Zum Naturgesetzbegriff in der Debatte des 17. Jahrhunderts vgl. u. a. Steinle (2001), 78–80, Hüttemann (2006), 195–199 und Waschkies (2006), 175 und 182. Cudworth führt den Begriff law of nature ein in System I, 220 und greift ihn auf in 224–226 und 236: »And indeed those mechanic Theists, […] would have God to contribute nothing more to the mundane system and economy, than only the first impressing of a certain quantity of motion upon matter, and the after-conserving of it, according to some general laws: these men (I say) seem not very well to understand themselves in this. Forasmuch as they must of necessity either suppose these their laws of motion to execute themselves, or else be forced perpetually to concern the Deity in the immediate motion of every atom of matter throughout the universe, in order to the execution and observation of them. The former of which, being a thing plainly absurd and ridiculous, and the latter that, which these philosophers themselves are extremly abhorrent from, we cannot make any other conclusion than this, that they do but unskillfully and unawares establish that very thing, which in words they oppose; and that their laws of nature concerning motion are really nothing else but a plastic nature, acting upon the matter of the whole corporeal universe, both maintaining the same quantity of motion always in it, and also dispensing it (by transferring it out of one body into another) according to such laws fatally impressed upon it«. (System I, 225–226 [Hervorh. L. B.]).

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gründet werden können.10 Für ihn gilt es, im System ein Konzept für die Funktion des neuen, aktuellen Begriffs »Naturgesetz« zu entwickeln, das eine Alternative zu den vielen Formen des Atheismus bietet, den Cudworth in der naturphilosophischen Debatte seiner Zeit nicht nur mit den Mechanisten und Atomisten, sondern auch ebenso mit den Ansichten der Hylozoisten verbindet. In diesem Zusammenhang ist zunächst von Interesse, welche ontologische Position Cudworth seiner plastic nature zuweist, da diese zu einer charakteristischen Gegenüberstellung mit den mechanistischen Konzepten führt und Cudworths fokussierend-transformierenden Gebrauch des antiken Referenzmaterials in einem ersten Zugriff bestimmt. Bei dieser Bestimmung setzt Cudworth zunächst grundsätzlich sein neuplatonisches Weltbild voraus. Das hat zum einen zur Konsequenz, dass Naturdinge nicht in einem naiven Sinne einem von Gott ausgesprochenen Gesetz »gehorchen« können, da der von Cudworth als vollständig passiv konzipierten Materie eben aufgrund ihrer vollständigen Passivität jedwede Möglichkeit genommen ist, die von Gott kommenden Gesetze von sich aus, d. h. aktiv erkennend, in regelmäßige Strukturen und Ordnungsmuster umzusetzen.11 Zum anderen versteht Cudworth in der kritischen Auseinandersetzung mit und in der Abgrenzung von Descartes, den er in dieser Beziehung besonders intensiv ablehnt,12 das Universum als eine dynamische Hierarchie, in der Gott, wenn auch vermittelt, beständig in der Welt anwesend ist. In dieser Hierarchie beschreibt er die plastic nature als eine letzte, äußerste das göttliche Gesetz vermittelnde energetische Ursache, die im weltlichen Bereich jede Wirkung unmittelbar hervorbringt:

_____________ 10 So z. B. System I, 220–221: Organische Komplexität übersteigt mechanistische Erklärungsmodelle; vgl. u. a. Hüttemann (2001), 143–145; 152 und (2006), 200. 11 Siehe System I, 219: »As also, though it be true, that the works of nature are dispensed by a divine law and command, yet this is not to be understood in a vulgar sense, as if they were all effected by the mere force of a verbal law or outward command, because inanimate things are not commendable nor governable by such a law. And therefore besides the divine will and pleasure, there must needs be some other immediate agent and executioner provided, for the producing of every effect; […]«. Zu dieser naturphilosophisch-theologischen Position vgl. Steinle (2001), 89–91. Hinter Cudworths Aussage zum Verhältnis der Naturdinge gegenüber dem göttlichen Gesetz steht also mit einiger Wahrscheinlichkeit zumindest dem Sinn nach das, was Boyle in seiner Kritik an dieser »naiven« Vorstellung 1686 formulieren sollte: »I must freely observe that, to speak properly, a law being but a notional rule of action according to the declared will of a superior, it is plain that nothing but an intellectual being can be properly capable of receiving and acting by a law. For if it does not understand, it cannot know what the will of the legislator is, nor can it have any intention to accomplish it, nor can it act with regard to it, or know when it does, in acting, either conform to it or deviate from it.« (R. Boyle, A Free Inquiry into the Vulgarly Received Notion of Nature, London 1686, Ende sect. II, 24–25; zitiert bei Steinle [2001], 89 mit Anm. 46.) Allerdings kommt Cudworth, wie Steinle (2001), 91 betont, zu einer von Boyles Konzeption hochgradig verschiedenen Auffassung. 12 Vgl. zu dieser Ablehnung z. B. System I, 220 und 280.

Naturgesetze, Magie und Liebe

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Wherefore the divine law and command, by which the things of nature are administered, must be conceived to be the real appointment of some energetic, effectual and operative cause for the production of every effect. (System I, 220) [Hervorh. L. B.]

Da diese vermittelnde Kraft oder ursächlich wirkende Substanz als Ergänzung zu rein stofflich-mechanistischen Abläufen verstanden wird, ist sie folglich unkörperlich und intelligibel.13 Sie ermöglicht in ihrem dezidiert teleologischen Wirken in absolut wesentlicher Ergänzung zum rein mechanistischen Ablauf der Naturvorgänge die planvolle Struktur und das Funktionieren sowohl individueller organischer Ganzheiten als auch des Weltorganismus insgesamt und erhält sie.14 Cudworth entwirft also die Vorstellung einer naturgesetzlichen »Verwaltung der Naturdinge« (administration of the things of nature; System I, 220), der gemäß diese »Verwaltung« als »Übertragung« (appointment; System I, 220) an eine »kraftartige, energetische Ursache« (energetic cause; System I, 220) dargestellt wird. Im Rahmen dieser Vorstellung erfolgt die Übertragung von Strukturvorgaben zu dem Zweck der beständigen Umsetzung dieser Vorgaben im Stofflichen mit dem Ziel, jedes in der Natur zu beobachtende Wirkungsgefüge aus vorgegebenen Dispositionen heraus zu aktuieren.15 Diese Vorstellung illustriert Cudworth schon sehr früh in der Digression passend mit einem Zitat aus der ps.aristotelischen Schrift De mundo, in dem er seine eigene Formulierung des Naturgesetzes als eines appointment in der Herrschaftsanalogie eben dieses Zitates aufgreift und im Sinn einer potentiell neuplatonischen Ausdeutung weiterführt: ǽՀʍıȢ ԔIJıȞȟȡȟ Բȟ į՘ijրȟ İȡȜı‫ה‬ȟ ȅջȢȠșȟ į՘ijȡȤȢȗı‫ה‬ȟ ԕʍįȟijį, Ȝįվ İțįijıȝı‫ה‬ȟ ԓ Ȗȡփȝȡțijȡ, Ȝįվ ԚĴțIJijչȞıȟȡȟ İțȡțȜı‫ה‬ȟ, ʍȡȝւ Ȟֻȝȝȡȟ ԐʍȢıʍպȣ Ԓȟ ıՀș ij‫ ׮‬Țı‫׮‬. ȉıȞȟցijıȢȡȟ İպ Ȝįվ ʍȢıʍȧİջIJijȢıȡȟ ijЀȟ İЇȟįȞțȟ įϜijȡѧ, İțϼ ijȡѧ IJЇȞʍįȟijȡȣ ȜЅIJȞȡȤ İțЁȜȡȤIJįȟ, Աȝțցȟ ijı Ȝțȟı‫ה‬ȟ Ȝįվ IJıȝսȟșȟ, &c. ›If it were not congruous in respect of the state and majesty of Xerxes the great king of Persia, that he should condescend to do all the meanest offices himself; much less can this be thought decorous in respect of God. But it seems far more august, and becoming of the divine majesty, that a certain power and virtue, derived from him, and passing through the universe, should move the sun and moon, and be the immediate cause of those lower things done here upon earth.‹ (System I, 223) [Hervorh. L. B.]

_____________ 13 Vgl. System I, 220 und 281: »The plastic nature no occult quality, but the only intelligible cause of that, which is the grandest of all phenomena, the orderly regularity and harmony of things, which the mechanic Theists, however pretending to solve all phenomena, can give no account at all of.« (281). 14 Siehe System I, 221. Zur plastic nature als regulativ wirkendes Moment bei der Erklärung lebendiger Organismen siehe Cheung (2008), 50–54. 15 Siehe System I, 220–221: Die plastic nature tritt als mixture zum mechanisch-atomistischen Naturablauf hinzu und wirkt in ihm, d. h. ergänzend mit ihm zusammen.

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Dieses Zitat ist in doppelter Hinsicht interessant: Zum einen ist anzunehmen, dass Cudworth hier denselben Text benutzt, der, wie Hans-Joachim Waschkies nachweist, bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit Descartes’ Naturgesetz zugrunde liegt.16 Zum anderen aber ist der Gebrauch, den Cudworth von diesem Text macht, von dem Descartes’ wesentlich verschieden. Denn während Descartes De mundo benutzt haben mag, um aus der Unwandelbarkeit Gottes die Erkennbarkeit der in die Welt eingeprägten Naturgesetze zu folgern und implizit den gesetzmäßigen Weltablauf ohne weiteres Eingreifen Gottes zu sichern,17 fokussiert Cudworth den Text auf eine ganz andere Weise: Er blendet nämlich den Teil des Textes, der sich nach Ansicht von Hans-Joachim Waschkies primär für eine Funktionalisierung des Gesetzesbegriffs im cartesischen Sinne eignet, aus und konzentriert sich im Gegenzug auf die Elemente, die eine neuplatonische Funktionalisierung in seinem Sinne erlauben.18 So schneidet Cudworth sein Zitat passgenau zu, indem er die unmittelbar vor der von ihm selbst auch im Original zitierten Passage stehende Wendung »į՘ijրȟ Ȟպȟ Ԛʍվ ij‫׆‬ȣ Ԑȟȧijչijȧ ȥօȢįȣ ԽİȢ‫ף‬IJȚįț« aus De mundo ebenso weglässt wie die unmittelbar auf den von ihm ausgewählten Textabschnitt folgende »Ԛȟ ԐȜțȟսij‫ ׫‬ȗոȢ ԽİȢȤȞջȟȡȣ […] ijո Ȝįijո ijռȟ ʍȡȝțijıտįȟ«. Beide Wendungen, die für Descartes von zentraler Wichtigkeit sind, erschweren nämlich eine reibungslose Anpassung und Einfügung der De mundo-Passage in den neuplatonischen Argumentationsgang der Ausführungen Cudworths, denn mit ihnen lässt sich, wie offenbar bei Descartes auch geschehen, viel eher die Untätigkeit Gottes gegenüber der Welt und die Selbstumsetzung der Gesetze in der Materie im _____________ 16 Siehe Waschkies (2006), 189. Zum impliziten, aber für die Zeitgenossen sicherlich erkennbaren Bezug Cudworths auf Descartes vgl. auch die Formulierungen System I, 226, 237 und 250 (laws fatally impressed; the stamp or impress; commands and laws impressed upon it) mit der Begrifflichkeit in Descartes, AT I, 145–146, übersetzt und zitiert bei Waschkies (2006), 185: »Nun gibt es kein einziges dieser Gesetze, das wir nicht verstehen könnten, wenn sich unser Geist anschickt, es zu erwägen, und sie alle sind unserem Geist eingeboren (mentibus nostris ingenitae), ganz so wie ein König seine Gesetze in die Herzen aller seiner Untertanen einprägen [Hervorh. L. B.] würde, wenn er die Macht dazu hätte.« 17 Siehe Waschkies (2006), 182 mit 188 f. 18 Waschkies (2006), 189 referiert Descartes’ Position in ihrer Verbindung und Abhängigkeit von De mundo folgendermaßen: »Im Unbewegten thronend bewegt Gott den ordnungsgemäßen Lauf der Dinge im All durch eine Kraft wo und wie er will, ›wie sich ja auch das Gesetz einer Polis, von dem dasjenige, was die Polis betrifft, geregelt wird, um nichts weiter zu kümmern braucht, wenn es in den Seelen derer, die es befolgen, unbeweglich ruht.‹ In diesem Sinne ›ist uns Gott ein ausgewogenes Gesetz, das keiner Nachbesserung oder Veränderung bedarf, stärker und beständiger aber, wie ich glaube, als alles, was in [unsere] Gesetzestafeln eingemeißelt ist.‹« [Hervorh. L. B.] Die Vorstellung des untätigen Gottes und der sich selbst aus ihrem bloßen Vorhandensein realisierenden Gesetze ist es, die Cudworth entschieden ablehnt: »Forasmuch as [the mechanic Theists] must of necessity either suppose these their laws of motion to execute themselves, or else be forced perpetually to concern the Deity in the immediate motion of every atom of matter throughout the universe […]. The former of which, being a thing plainly absurd and ridiculous, […]« (System I, 224).

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Rückgriff auf einen autoritativen antiken Referenztext rechtfertigen. Bei weitem ökonomischer ist es da, das Zitat genau an dem Punkt einsetzen zu lassen, an dem Cudworth es tatsächlich auch einsetzen lässt, und es mit der aktiv lautenden Charakterisierung der Dynamis zu beenden. Zudem ergänzt Cudworth das griechische »ijռȟ İփȟįȞțȟ zu ijռȟ İփȟįȞțȟ įϜijȡѧ«, d. h. er ergänzt im Griechischen ein Personalpronomen im Genitiv Singular. Dadurch hebt er zugleich die Abhängigkeit dieser Kraft von Gott und die daraus resultierende Kontinuität des göttlichen Wirkens hervor. Diese Anpassung des antiken Referenztextes rückt also die Darstellung des Naturgesetzes als beständige und zugleich vermittelte Form der Immanenz Gottes in der Welt in den Vordergrund, die Cudworth als eine Art Kraft (İփȟįȞțȣ, power, virtue) versteht, die von Gott abhängig ist und als Vermittelnde wirkend und strukturierend das Universum durchwaltet. Diese Kraft setzt dabei, wie bereits gezeigt, die von Gott an sie übertragenen Vorgaben beständig um. Eben diese Kraft, das dynamisch-neuplatonische Äquivalent zu Descartes’ Naturgesetz, nennt Cudworth in ihrer derart spezifizierten Funktion und Position plastic nature und identifiziert sie mit dem law of nature.19 Cudworth bestimmt also »Naturgesetze« als von Gott kontinuierlich abhängige, zwischen Gott als erster Ursache und der Welt vermittelnde, unstoffliche, intelligible Wirkkräfte.20 Diese Wirkkräfte sind ihren Wirkungen nach der Welt immanent und wirken derart ordnend und strukturierend in einer atomar gegliederten Materie. Auf diese Weise setzen sie Gottes Gesetze, deren »Träger« sie sind, in der Materie um und bedeuten damit zugleich die beständige vermittelte Immanenz Gottes in der Welt. Wie an seinem Umgang mit dem hellenistischen Text De mundo exemplarisch gezeigt, gelangt Cudworth zu dieser Vorstellung in der kritischen Auseinandersetzung mit dem »Mechanisten« Descartes und dessen Auffassung von einem Naturgesetz. Dabei illustriert Cudworth sein Konzept durch ein Zitat aus diesem auch für Descartes hochrelevanten Text, mit dem er seine eigene Formulierung des Naturgesetzes als eines »appointment of some energetic, effectual and operative cause for the production of every effect« (System I, 220; Hervorh. L. B.) aufgreift und im Sinne seiner späteren neuplatonischen Argumentation weiterführt. So fällt in diesem Zitat der zentrale Begriff der İփȟįȞțȣ/power and virtue, die in Abhängigkeit von Gott steht (į՘ijȡ‫ף‬/derived from him). Zugleich wird in diesem Text die wirkende Immanenz dieser Kraft hervorgehoben: İțո ijȡ‫ ף‬IJփȞʍįȟijȡȣ ȜցIJȞȡȤ İțսȜȡȤIJįȟ/passing through the universe.21 _____________ 19 System I, 225–226; siehe oben Anm. 7. 20 Wirkkräfte sind Naturgesetze und plastic nature deshalb, weil Cudworth die plastic nature, die ja mit dem Naturgesetz gleichgesetzt wird, sowohl als cause als auch als power oder force bezeichnet und damit genau den semantischen Kern der neuplatonischen İЇȟįȞțȣ widergibt. 21 Zur Immanenz der plastic nature als Naturgesetz siehe auch System I, 236: »But as God is inward to every thing, so nature acts immediately upon the matter, as an inward and living soul, or law in it.«

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Eine als Fokussierung zu typologisierende Transformation antiken Materials lässt sich in dieser Phase der Argumentation an dem Umgang mit De mundo meines Erachtens in doppelter Hinsicht erkennen: 1) An der Auswahl dieses Textes überhaupt aufgrund der direkten Auseinandersetzung mit Descartes, der denselben Text benutzt. 2) In der Konzentration auf den Ausschnitt des Werkes, der für Cudworths neuplatonische Funktionalisierung die größte Relevanz besitzt und die am besten geeignete Analogie und Begrifflichkeit aufweist.22

Die weitere Beschreibung des Wirkens der plastic nature in der Welt Nachdem Cudworth derart die plastic nature als Naturgesetz etabliert hat, unternimmt er es im Folgenden, genauer zu beschreiben, wie sie diese Funktion ausführt. Er kommt dabei ca. 20 Seiten später (System I, 249) zu folgendem, zunächst doch erstaunlichen Zwischenergebnis: »Wherefore the plastic nature […] must be concluded to act fatally, magically and sympathetically.«23 Diese Wendung bedeutet, dass Cudworth die im Zusammenhang mit dem Problembegriff »Naturgesetz« absolut zentrale Frage nach der Erklärung ordnungsvoller Strukturen und Regelmäßigkeiten in der Welt damit beantwortet, sie als Ergebnis eines magischen und sympathetischen Wirkens nach Schicksalsart zu betrachten. Das Überraschende in Cudworths Ausführung, auf das auch sein späterer Übersetzer und Kommentator Johann Lorenz Mosheim nur noch mit Unverständnis reagiert,24 wirkt umso herausfordernder, da Cudworth diese Charakterisierung bis zum Ende der Digression beibehält und auch mehrfach verwendet.25 Zu fragen ist also an dieser Stelle, was Cudworth dazu veranlasst haben könnte, das Wirken seiner plastic nature auf diese Weise zu qualifizieren, und auf welche Modelle der Naturerklärung er sich hier beziehen könnte. Aufgrund der Tatsache, dass Cudworth seine plastic nature häufiger mit dem Archeus der Paracelsisten gleichsetzt,26 als »ratio mersa et confusa, reason _____________ 22 Einen Hinweis darauf, wie wichtig bzw. passend Cudworth gerade dieser Textausschnitt erschien, könnte man auch darin sehen, dass er sich in System I, 260 erneut auf ihn bezieht. 23 Cudworths sprachlicher Ausdruck, besonders die durch das Homoioteleuton eindrucksvolle Reihung der Adverbien, zeigt, dass auch er den Begriff der plastic nature bzw. des law of nature primär funktional bestimmt. 24 Siehe System I, 250 Anm. 2: »But what is the true and proper force of these words? Here the excellent author gives no explanation. So that I almost incline to think that he merely indicates that nature acts in some special manner, which to distinguish it from other modes of action he calls fatal, magical and sympathetic; but the precise kind of action intended cannot be explained, nor have these words, when used concerning operations of nature, any fixed and determinate force.« [Hervorh. L. B.]. 25 System I, 221, 236, 250, 281, 282. 26 Z. B. ebd., 232, 238, 260.

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immersed and plunged into matter, and as it were fuddled in it, and confounded with it«27 und als spermatic logos28 bezeichnet, liegt die Annahme nahe, dass er die mit dem Wirken der plastic nature verbundenen drei Adverbien vor dem Hintergrund stoischer Vorstellungen versteht. Die Gleichsetzung von plastic nature und ʍȟı‫ף‬Ȟį, d. h. mit dem aktiv-gestalterischen Prinzip der stoischen Naturphilosophie, scheint diese Annahme weitergehend zu bestätigen.29 Speziell das Adverb fatally, das Cudworth ebenfalls gebraucht, um das Wirken der plastic nature zu qualifizieren, könnte in diesem Fall eine systematische Verknüpfung der Adverbien Cudworths und der weiteren stoischen Begrifflichkeit mit der Naturgesetzauffassung des Systems leisten. Laut Sambursky nämlich charakterisieren die Stoiker die ordnende Funktion des Schicksals als »die dynamische Natur des Fatums«, die sie als »Folge von Ursache und Wirkung mittels Nahwirkung« verstehen, die »dadurch zum Ausdruck gebracht [wird], dass [das] Fatum als pneumaartige Kraft oder einfach Bewegung bezeichnet wird –, eine Bewegung, kontinuierlich und geordnet.«30 Die Attraktivität dieses, Cudworth durchaus bekannten,31 stoischen Konzepts, ist offensichtlich: Die stoische Naturphilosophie, zu Cudworths Zeit ohnehin von großer Bedeutung, bot ihm sowohl im universellen Rahmen als auch beim Einzelding ein plausibles Erklärungsmodell für die Interaktion eines teleologisch wirksamen aktiven Prinzips auf ein passives Prinzip an, ein Modell, in dem zugleich die Immanenz dieses Wirkens besonders betont wird, die auch bei Cudworth eine zentrale Rolle spielt.32 Allerdings weist die stoische Konzeption auch wesentliche Aspekte auf, die mit Cudworths Charakterisierung der plastic nature im speziellen und seinem neuplatonischen Weltmodell im allgemeinen nicht zu vereinbaren sind: Der stoische Logos bzw. das gestaltende Pneuma wird von den Stoikern mit Gott gleichgesetzt und, ebenso _____________ 27 System I, 238. Hier liegt eine enge sprachliche Nähe zu den Formulierungen des Lipsius vor, der in seiner Physiologia Stoicorum von 1604 z. B. folgende Wendung gebraucht: »tamquam Natura sit Deus Mund[o] permistus« [Hervorh. L. B.]. Dazu und zur Bedeutung der stoischen Naturphilosophie in der Frühen Neuzeit siehe Boenke (2005), 309–312, Zitat aus Lipsius 310. 28 System I, 232 mit einem Zitat aus Diogenes Laertios, das dort dem Stoiker Zenon zugeschrieben wird; auch System I, 240. 29 Diese Gleichsetzung in System I, 260. Cudworth scheint allerdings dem Pneuma eine doppelte Funktion zuzusprechen. Folgt man seinen Ausführungen in System I, 245 und 247, ist es außerdem das, was für den Aspekt der plastic nature steht, der die Verbindung zwischen intelligibler Wirkkraft und atomar-körperlich strukturierter Materie herstellt, die vital sympathy oder den »Knoten«, der die Seele mit dem Körper verbindet. Vgl. z. B. auch die Wendung bei Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia 154, 21–22: »spiritus hic fomes est ad animam corpori copulandam, […]«. Diese Vorstellungen reichen bis in die Spätantike zurück, dazu vgl. u. a. Bergemann (2006), 372–410. 30 Sambursky (1965), 252. 31 Vgl. zur Vertrautheit Cudworths mit stoischen Ansichten dieser Art besonders die Darstellungen zum »Pseudo-Stoical, or Stoical atheism« in System I, 195–198. 32 Siehe z. B. System I, 223, 231, 235 und 236. Vgl. auch Gysi (1962), 114.

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unannehmbar für Cudworth, stofflich vorgestellt.33 In Kombination damit führt das stoische Konzept der ȜȢֻIJțȣ İț‘ Ցȝȧȟ zu einer vollständig immanentistischen Welterklärung, in der sich die Materie in letzter Konsequenz in sich und aus sich selbst heraus zu strukturieren vermag.34 Es ist schließlich genau diese Vorstellung, die auch der von Cudworth als hylozoistischer Atheist wiederholt implizit kritisierte Arzt und Naturphilosoph Francis Glisson vertritt.35 In einer »Neuauflage des stoischen Motivs, dass das aktive und das passive Prinzip, das pneumatische und das hyletische Substrat in jedem Teil des mundus vereint sind«,36 ist Glisson der Ansicht, dass die Materie als »Wurzel all ihrer Verrichtungen«37 sich selbst vollendet und »verschiedene Formen als ihre Modi aus sich und in sich (e se et in se) hervorkommen läßt« [Hervorh. L. B.].38 Hier liegt eine Vorstellung vor, der Cudworths neuplatonische Ansichten von der Strukturierung der Materie durch die plastic nature aus den bereits genannten Gründen konträr und unvereinbar entgegenstehen. Meine weiterführende These ist nun, dass die stoisch motivierte Konzeption einer sich selbst aus sich und in sich ordnungsvoll strukturierenden Materie, die ihren zeitgenössischen Ausdruck u. a. bei Glisson findet, einen weiteren Hintergrund bildet, von dem sich Cudworth in Richtung auf seine neuplatonische Metaphysik abzugrenzen versucht, deren Erklärungsmodell für eine gesetzhafte Interaktion zwischen plastic nature und Materie er jedoch auch beibehalten möchte und daher den Anforderungen seines Systems irgendwie an- und einpassen muss. Dabei macht er sich, so zumindest die weiterhin leitende Annahme, das Umformungs- und Anpassungspotential zunutze, das in den beiden Begriffen magically und sympathetically liegt und das zugleich die weiteren Umdeutungs- und Anpassungsmaßnahmen stoischer Philosopheme an neuplatonische in der Digression flankiert. In diesen Anpassungs- und Transformationsprozess eingebunden und seinen Anforderungen unterworfen ist schließlich auch die von Cudworth vorgenommene Funktionalisierung der Lehre des Empedokles. _____________ 33 Siehe Long/Sedley (2000), 327–333 zur Vorstellung Gottes bzw. der Weltvernunft als einer stofflichen und 345–350 zur Vorstellung der »Mischung«. Vgl. dazu die explizite Kritik und Ablehnung dieser Ansätze der stoischen Naturphilosophie als Atheismus durch Cudworth in System II, 288–289. 34 Vgl. den spannungsreichen Monismus der Paracelsisten, dazu Pagel (1979), 61 f. Anm. 26 und Boenke (2005), 312. 35 Zur impliziten Kritik an Glisson im System siehe Hartbecke (2005), 292–298. 36 Hartbecke (2005), 296. 37 Zitat ebd., 294. 38 Zitat ebd., 294. Liegt hier möglicherweise ein Bezug zu Giordano Bruno vor? Die Anklänge an dessen Schrift De vinculis in genere: de vinculo Cupidinis et quodammodo genere, Art. XIV sind fast wörtlich: »Profundius vero philosophantes intelligunt, quod nos alibi declaravimus, ut materia ipsa inchoationem habeat omnium formarum in sinu suo, ita ut ex eo omnia promat et emittat non puram illam exclusionem, ita ut quasi omnia peregrina concipiat ab externo; extra quippe materiae gremium nulla forma est, sed in eo tum omnes latent, et ex eo tum omnes educuntur«, Übersetzung bei Samsonow (1995), 222 (Opera Latine conscripta, 694 [96 v]).

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Pneumatische Magie Die erste Phase dieser Umformung der vollständig immanentistisch-materialistischen Vorstellung des Logos/Pneumas in das Konzept einer zwischen Gott und Materie vermittelnden und daher nur in ihrem Wirken immanenten intelligiblen Kraft liegt meiner Ansicht nach darin, dass Cudworth den stoischen Schicksalsbegriff und so zugleich auch den damit wesentlich verbundenen Begriff des Pneumas folgendermaßen ausdeutet:39 »Fate […] ought […] to be looked upon […] as an energetical and effectual principle, constituted by the Deity […]« (System I, 249). In Abgrenzung von der stoischen Vorstellung eines vollständig weltimmanenten Schicksals in Form des Logos-Pneumas nimmt Cudworth mit constituted by the Deity präzise seine Vorstellung des appointments der plastic nature auf, weist ebenso auf das diese Vorstellung erläuternde Zitat aus De mundo zurück und verdeutlicht auf diese Weise zweierlei nachdrücklich: Erstens, dass plastic nature, Pneuma und fate aufgrund ihrer Funktionsgleichheit gleichzusetzen sind.40 Zweitens bedeuten diese Gleichsetzung und die mit ihr verbundene Rückbindung an De mundo aber auch, dass die Begriffe »Schicksal« bzw. »Pneuma« einen neuplatonischen Wert bekommen, d. h. als Vermittlerinstanz zwischen Höherem/Göttlichem und Stofflichem und nicht länger als rein stofflich-immanente Prinzipien gedacht werden. Diese Anpassung des stoischen Konzepts an die Ansprüche des eigenen Systems kann möglicherweise deshalb in Cudworths Augen relativ problem- und bruchlos verlaufen, da die Adverbien magically und sympathetically eine Verbindung zwischen dem stoischen Begriffskomplex Pneuma-Fatum und dem des magischen Pneumas ermöglichen. Das magische Pneuma kann dann seinerseits ebenfalls im Kontext magischer Vorstellungen mit der neuplatonisch konnotierten Liebe als ebenso vermittelnder wie strukturierender Kraft und damit mit der plastic nature, dem Naturgesetz neuplatonischer Prägung im System identifiziert werden.41 Einige Abschnitte aus dem Standardwerk zur Magie aus dem 16. Jahrhundert, De occulta philosophia von Agrippa von Nettesheim, die Cudworth zumindest inhaltlich vertraut gewesen sein dürften, da sie Referate von und Auszüge aus Ficino-Texten darstellen, liefern für diese erste Phase der Umformung potentielle Anhaltspunkte. In dieser Form der Magie, der so genannten »pneumatischen Magie« wird das Pneuma funktional als das bestimmt, was zwischen dem Bereich des Intelligiblen und dem des Stofflichen vermittelt und einen dieser ambivalenten Position entsprechend ontologisch nicht eindeutig zu klassifizierenden Status _____________ 39 Zum Pneuma vgl. auch System I, 260–261. 40 Siehe auch System I, 250: »[…] the plastic nature may be said to be the true and proper fate of matter, or the corporeal world«; vgl. auch ebd., 260–261. 41 Zum Vorstellungskomplex der »pneumatischen Magie« siehe u. a. Culianu (2001; ursprünglich 1984), 163–191, besonders 179–184 und 188–190.

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besitzt, es changiert nämlich zwischen seelischer und körperlicher Beschaffenheit.42 Zudem wird unter direkter Bezugnahme auf den Begriff der IJȤȞʍչȚıțį auch die magiespezifische innerweltliche Ordnungsleistung des Pneumas, das als Vermittlungsinstanz zwischen göttlich inspirierten Sternen und Materie deutlich Züge des Fatums trägt, hervorgehoben: Es wirkt nämlich, und das ist für die spätere Amalgamierung dieses Konzepts mit der Position Plotins von entscheidender Bedeutung, als eine Art Anziehungskraft.43 Damit kann das Pneuma, wenn man diese semantische Verschiebung vom rein stoischen zum magischen System unter der Ausnutzung der Homonymie implizit vollzieht, leicht nicht mehr als rein materie-immanentes und stoffliches Strukturprinzip verstanden werden, sondern als semi-intelligible Vermittlerinstanz (auf diesen Aspekt weist das Adverb fatally hin). So ist das Konzept des Pneumas zum Bereich des Transzendenten hin geöffnet und in eine kontinuierliche Abhängigkeit zu Gott gesetzt, während gleichzeitig seine innerweltliche Wirksamkeit im Rahmen der magia naturalis gewahrt _____________ 42 Siehe zu diesen Punkten folgende Abschnitte aus De occulta philosophia: »Cum vero anima primum mobile sit, ut dicunt, sponte et per se mobile, corpus vero vel materia per se ad motum inefficax et ab ipsa anima longe degenerans, iccirco ferunt opus esse excellentiori medio (scilicet quod sit quasi non corpus sed quasi iam anima, sive quasi non anima et quasi iam corpus), quo videlicet anima corpori connectatur. Medium autem tale fingunt esse spiritum mundi, scilicet quem dicimus essentiam quintam, quia non ex quatuor elementis, sed quoddam quintum ‹super illa aut› praeter illa subsistens; […]« (113) »[…] sicut enim animae nostrae vires per spiritum adhibentur membris, sic virtus animae mundi per quintam essentiam dilatatur per omnia. Nihil enim reperitur in toto mundo quod suae virtutis scintilla careat: […]« (113). »Ea enim est naturae colligantia et continuitas, ut omnis virtus superior per singula inferiora longa et continua serie radios suos dispertiendo usque ad ultima fluat et inferiora per singula sua superiora ad suprema perveniant.« (155) [alle Hervorh. L. B.]. Gerade der Gedanke der Kontinuität ist Cudworth – in der Auseinandersetzung mit Descartes – besonders wichtig, vgl. z. B. System I, 515: »The second is, because the world produced by God, and really existing without him, is not therefore quite cut off from him, nor subsists alone by itself as a dead thing, but is still livingly united to him, essentially dependent on him, always supported and upheld, quickened and enlivened, acted and pervaded by him; […]. Now, it is very true that some Christian theologers also have made God to be all, according to these latter senses; as when they affirm the whole world to be nothing else but Deum explicatum, ›God expanded or unfolded‹, and when they call the creatures, as St. Jerome and others often do, radios Deitatis, ›the rays of the Deity.‹« 43 Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 154: »[…] e coelis quidem vim illam coelestem, quam quintam essentiam, sive spiritum mundi, sive mediam naturam vocant; ab intellectuali autem mundo spiritualem viventemque vigorem, omnem qualitativam virtutem transcendentem; ab archetypo denique per haec intermedia pro gradu suo originalem vim totius perfectionis. […] ex quarum serie tota magia et omnis occulta philosophia emanat. Trahitur enim quotidie aliquid naturale per artem, trahitur quotidie divinum aliquod per naturam. Quod intuentes Aegyptii naturam magam vocavere, hoc est vim ipsam magicam in attractu similium per similia et convenientium per convenientia. Attractus autem huiusmodi per rerum mutuam convenientiam ad se invicem superiorum cum inferioribus Graeci ıȣȝʌ‫ޠ‬șİȚĮȞ vocaverunt: […]« [Hervorh. L. B.].

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bleibt, die bei Cudworth besonders durch die Anwendung des Adverbs sympathetically zur Bezeichnung des Wirkens von Naturgesetzen ihren Ausdruck findet.44 Cudworth leitet dann seine expliziten und zusammenführenden Überlegungen zum magischen und das heißt ja eben auch: zum naturgesetzhaften Wirken der plastic nature mit einem Zitat aus Alexander von Aphrodisias ein, das die Gleichsetzung von Schicksal und plastic nature als pneumaartige Kraft in dem bekannten Sinne konstatiert, das Wirken der plastic nature als bloßes, ohne Wissen vollzogenes Umsetzen der von Gott an die plastic nature übertragenen Gesetze in der Welt zu verstehen.45 Dieses Wirken charakterisiert er zusätzlich als magisches und sympathetisches Wirken, das er mit einem Plotinzitat illustriert, in dem die »wahre Magie«, d. h. für Cudworth: das Wirken der plastic nature als Naturgesetz, auf die empedokleischen Wirkformen Liebe und Streit – Ĵțȝտį Ȝįվ ȟı‫ה‬Ȝȡȣ – zurückgeführt wird. Liebe und Streit interpretiert Cudworth dann seinerseits zusammenfassend als certain vital energy: Now, that which acts not by any knowledge or fancy, will or appetite of its own, but only fatally according to laws and impresses made upon it, (but differently in different cases) may be said also to act magically and sympathetically. Ե ԐȝșȚțȟռ Ȟįȗıտį (saith the philosopher [Plotin]) ԭ Ԛȟ ij‫ ׮‬ʍįȟijվ Ĵțȝտį Ȝįվ ȟı‫ה‬Ȝȡȣ, ›The true magic is the friendship and discord that is the universe.‹ And again, magic is said to be founded, Ԛȟ ij‫ׇ‬ IJȤȞʍįȚıտֹ Ȝįվ ij‫ ׇ‬ij‫׭‬ȟ İȤȟչȞıȧȟ ij‫׭‬ȟ ʍȡȝȝ‫׭‬ȟ ʍȡțȜțȝտֹ ʍȢȡȣ ԣȟ Ș‫׭‬ȡȟ IJȤȟijıȝȡփȟijȧȟ, ›in the sympathy and variety of diverse powers conspiring together into one animal.‹ Of which passages though the principal meaning seem to be this, that the ground of magical fascinations is one vital unitive principle in the universe; yet they imply also, that there is a certain vital energy, not in the way of knowledge and fancy, will and animal appetite, but fatally sympathetical and magical. (System I, 250)

_____________ 44 Möglicherweise bezieht sich Cudworth auch auf eine Vorstellung aus dem Corpus Hermeticum: »Durch das Pneuma aber wird alles im Kosmos besorgt und belebt; es ist gleichsam als Werkzeug und Hilfsmittel dem Willen des höchsten Gottes unterworfen. Und so soll ›dies‹ von uns bis hierher begriffen werden. […] Durch das Pneuma aber werden alle Einzelformen im Kosmos bewegt oder gelenkt, eine jede gemäß ihrer Natur, die ihr von Gott zugeteilt worden ist. Die Materie aber (੢ȜȘ oder ›mundus‹) nimmt alles auf, bewegt es und läßt es zahlreich werden; Lenker all dessen ist Gott; er teilt allen soviel zu, wie für jedes der irdischen Dinge notwendig ist. Mit dem Pneuma aber erfüllt Gott alles, indem er es einhaucht gemäß der natürlichen Beschaffenheit eines jeden.« (Corpus Hermeticum, Der lateinische Asclepius, §16–17, 274) Da Cudworth sich intensiv mit dem Corpus Hermeticum auseinandersetzt, kann man davon ausgehen, dass er auch diese Stelle kannte und sie als Hintergrund sowohl für die Auswahl der bereits besprochenen Passage aus De mundo als auch seiner Modifikation der Pneumakonzeption vermuten. 45 System I, 250. Wieder scheint Cudworth den nicht nur für sein eigenes Naturgesetzkonzept so zentralen Begriff des appointment, mit dem er sich durchaus im Rahmen des zeitgenössischen Naturgesetzverständnisses bewegt, zu verhandeln. Aber auch jetzt gewinnt er dieser Vorstellung bzw. Analogie einen neuen Aspekt ab, der gegen Descartes gerichtet zu sein scheint. Zum Naturgesetzverständnis der Zeit vgl. u. a. Schnepf (2006), 100–101; Schütte (2006), 140 und Waschkies (2006), 184–189.

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Diese ineinander verschränkten Gleichsetzungen und Übergänge haben nicht nur Johann Lorenz Mosheim, den Übersetzer und Kommentator Cudworths im 18. Jahrhundert, irritiert, der diese Passage als unverständlich und dunkel empfindet.46 Versucht man, Licht in die Argumentation Cudworths zu bringen, ist nach dem thematischen und systematischen Fundament zu fragen, das den Zusammenhang herstellt zwischen dem unreflektierten Ausführen übertragener Gesetze durch eine untergeordnete, unstoffliche Vermittlerinstanz, die als eine Art Anziehungskraft wirkt, einerseits und Sympathie und Magie andererseits, wobei in diesen Zusammenhang auch noch das Plotinzitat hineinpassen sollte, das außerdem den direkten Bezug zu Empedokles herstellt, um dessen transformatorische Aneignung es ja letztendlich gehen soll. Eine systematische Verbindung zwischen Ĵțȝտį und ȟı‫ה‬Ȝȡȣ einerseits und dem mit fatally charakterisierten Wirken des als Formkraft oder energy vorgestellten Naturgesetzes andererseits lässt sich herstellen, wenn man eine Textstelle aus Plotins Enneade IV 4 als an dieser Stelle unexplizierte aber wesentliche systematische Hintergrundannahme heranzieht. Dabei handelt es sich um einen Textabschnitt, der bei Plotin direkt im Kapitel vor dem Zitat zur Magie in System I, 250 zu finden ist und auf den sich Cudworth in verkürzter Form zwei Seiten später, in System I, 252 direkt bezieht. Außerdem muss man die Begriffe Ĵțȝտį und ȟı‫ה‬Ȝȡȣ, besonders den der Ĵțȝտį, vor dem Hintergrund der »erotischen Magie« verstehen, wie sie bei Ficino und auch bei Giordano Bruno verhandelt wird. In Enneade IV 4, 39, 5–17 und 45, 25–26 beschreibt Plotin in ontologischen Termini und mit der bereits aus De mundo bekannten Gesetzesanalogie, die hier allerdings wesentlich nachdrücklicher ins Kraftmetaphysische gewendet wird, wie die IJȤȞʍչȚıțį zustande kommt, die in der von Cudworth in System I, 250 zitierten Stelle zur Erklärung der Magie herangezogen wird, so dass gerade in diesem Kapitel die fundamentale Erklärung von Magie und damit, nach der Vorstellung Cudworths, auch vom Funktionieren der plastic nature als Naturgesetz geliefert wird:47 Die Geschehnisse im All vollziehen sich also nicht gemäß den ›zeugenden Formkräften‹ [ȝցȗȡț IJʍıȢȞįijțȜȡտ], sondern gemäß den geistigen Formen, die in sich höhere Kräfte umfassen, [als die Formen, die die Samen umfassen und] denen gemäß [ebenfalls das All geformt wird;] denn den zeugenden Formkräften wohnt nichts inne von dem Geschehen, das über diese Formkräfte selber hinausgeht, noch von dem Beitrag,

_____________ 46 Vgl. z. B. seine Anmerkungen zu der zitierten Passage in System I, 250, Anm. 2: »Although these matters are discussed with great erudition, yet I doubt not that they who look more deeply into the subject will feel their want of light.« 47 Diese Textstelle aus Plotin ist also auch mitzulesen als Antwort auf die Frage »What magic is« (System I, 282), die Cudworth nach eigener Aussage in diesem Abschnitt abhandelt. Erst jetzt, im von Plotin abgesteckten Rahmen, erfolgt die Bestimmung des Magiebegriffs bzw. der Bedeutung des Adverbs magically, so dass zur Interpretation und zum Verständnis dieses Begriffs notwendig Plotin IV 4, 39 und 45 heranzuziehen ist, wenn man Mosheims Ratlosigkeit vermeiden möchte.

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den die Materie der Gesamtheit beisteuert, oder der Wechselwirkung des Bewirkten aufeinander. Viel eher könnte man die geistige Formkraft des Alls [ȝցȗȡȣ ijȡ‫ ף‬ʍįȟijցȣ] parallel setzen mit dem formenden Gedanken, welcher Ordnung und Gesetz eines Staates festlegt; dieser Gedanke enthält von vornherein das Wissen davon, was die Bürger tun werden und warum sie es tun werden, wobei er in Rücksicht hierauf alles verordnet und durch Gesetze all ihre Leidenschaften und all ihr Tun mit Ehrung oder Ächtung verknüpft, so daß dann alles Geschehen im Staat wie von selbst auf Einklang hinausläuft. […]; denn die Wesen werden wie an Fäden durch die Zugkräfte [ϕȜȝș İЇȟįȞțȣ] von Ort zu Ort versetzt. So wundernswert ist die ordnende Kraft des Alls! (Plotin IV 4, 39, 5–17 und 45, 25–26) [Hervorh. L. B.]

Aus diesem Text geht hervor, dass die ȝցȗȡț IJʍıȢȞįijțȜȡտ, die Plotin außerdem als Bewegung verursachende »ziehende Kräfte« charakterisiert, bei der Realisierung des sympathetisch-harmonischen Weltgefüges kein eigenes Wissen besitzen und ausschließlich den (Gesetzes-)Vorgaben folgen, die der Welt-Logos, gleichsam die Weltseele, vorgibt, der seinerseits vom Nous abhängt, dem im System Cudworths die göttliche Vernunft entspricht.48 Genauso wirken bei Cudworth die plastic natures als äußerste Ausläufer ohne ein eigenes Wissen als pneumatische Kräfte, d. h. mit Agrippa als Kräfte, die durch Anziehung Bewegung bewirken und die so die ihnen eingegebenen Strukturen einfach nur im Rahmen der vorgegebenen Dispositionen umsetzen.49 Da also Ĵțȝտį und ȟı‫ה‬Ȝȡȣ bereits bei Plotin als »ziehende Kräfte« klassifiziert werden, wird in einem ersten Schritt einsichtig und nachvollziehbar, warum Cudworth sie als energy versteht. Systematisch lässt sich der Plotintext als Hintergrundannahme deshalb leicht mit Cudworths Argumentation vereinbaren, da in ihm außerdem die in der bloßen Umsetzung übergeordneter Strukturen bestehende Gesetzmäßigkeit des teleologischen und aufeinander abgestimmten Wirkens der untergeordneten Formkräfte hervorgehoben und wie in De mundo mit einer Staatsanalogie veranschaulicht wird – die Gesetzmäßigkeit, die Cudworth selbst mit den Begriffen appointment und fatally beschreibt. Zudem wird sie von Plotin ontologisch derart fundiert, dass sie zur Erklärung von Magie und somit bei Cudworth zur Erklärung der Wirkweise von Naturgesetzen dienen kann. Dabei konstruiert Cudworth auch in diesem Fall seinen griechischen Referenztext nach seinen Bedürfnissen. Da er die ȗȡսijıțį als Degenerationserscheinung der wahren Magie ablehnt,50 lässt er die bei Plotin einleitend gestellte Frage »Ȋոȣ İպ ȗȡșijıտįȣ ʍ‫׭‬ȣ;« ausfallen, vertauscht die Reihenfolge der Zitate, fügt das zweite durch die Ergänzung eines »Ԛȟ« vor »ij‫ׇ‬ IJȤȞʍįȚıտֹ« geschickt in seinen eigenen Satz ein und verbindet es gleichzeitig mit dem ersten Satzausschnitt aus Plotin, so dass ein Eindruck von argumentatorischer Geschlossenheit entsteht. _____________ 48 Zu diesem Wirken ohne ein (reflektiertes) Wissen vom eigenen Tun bei Plotin siehe auch IV 4, 13, 7–15. 49 Cudworth selbst bezeichnet seine plastic natures in System I, 240 als spermatic logos und zieht dazu ebenfalls Plotin heran. 50 System I, 470.

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Diese konstruierende Fokussierung weist meiner Ansicht nach auf ein weiteres Magiekonzept hin, das für Cudworth in diesem Kontext von ganz besonderer Bedeutung ist und sich zudem widerspruchslos mit der bereits erörterten pneumatischen Magie harmonisieren lässt: das der erotischen oder sympathetischen Magie Ficinos. Die Korrespondenzen zwischen Ficinos Magie und Liebe, Plotins Ausführungen zu diesem Thema und Cudworths naturphilosophischen Ansätzen in der Digression lassen es nämlich einsichtiger werden, warum er ausgerechnet eine auf Empedokles und die Magieprinzipien Liebe und Streit bezogene Plotinstelle und – implizit – die damit verbundenen vorausgehenden Ausführungen in IV 4, 39 in sein System übernommen hat. In Ficinos Schrift De Amore wird die Liebe, aufbauend auf Platons Ausführungen im Symposion, sowohl als zentrales kosmogonisches Element im Sinne einer naturgesetzlich wirkenden Kraft als auch als Magier verhandelt:51 Die Liebe wird in direktem Rückbezug auf Ps. Dionysios Areopagita zunächst als »eine verbindende und einende Macht« bezeichnet, »welche das Höhere zur Fürsorge für das Niedere [bewegt und] das Gleichstehende zu gegenseitiger Mitteilung [zusammenbindet].«52 Dann expliziert Ficino ihre ordnende wie verbindende Wirkung und setzt sie – dabei wörtlich Plotin aufgreifend – in direkten Bezug zur Magie. So erhalten Magie und Liebe die erforderliche kosmogonische Dimension, die sie brauchen, um in Cudworths Argumentation in Form des Adverbs magically in Verbindung mit dem Zitat aus Enneade IV 4 ihre Funktion der Charakterisierung des naturgesetzhaften Wirkens der plastic nature erfüllen zu können:53 Weshalb aber wird Eros Zauberer genannt? Weil alle Macht der Zauberei auf der Liebe beruht. Die Wirkung der Magie besteht in der Anziehung, welche ein Gegenstand auf einen anderen aufgrund einer bestimmten Wesensverwandtschaft ausübt. Die Teile dieser Welt hängen, wie die Gliedmaßen eines Lebewesens, alle von einem Urheber ab und stehen durch die Gemeinschaft ihrer Natur in Zusammenhang. Wie also in uns das Gehirn, die Lunge, das Herz, die Leber und die übrigen Körperteile voneinander etwas empfangen, sich gegenseitig fördern und untereinander in Mitleidenschaft stehen, so hängen die Teile dieses großen Lebewesens, d. h. alle Weltkörper in ihrer Gesamtheit, untereinander zusammen und teilen einander ihr Wesen mit. Aus dieser all-

_____________ 51 Zur Identifikation von Amor und Pneuma siehe Culianu (2001), 179–184; zu Eros als kosmogonischem Prinzip im Sinne der plastic nature im System siehe auch System I, 176–179 und II, 13–14; hier fehlt allerdings der in der Argumentation der Digression entscheidende Bezug zur Magie, der meines Erachtens »den Umweg« über Ficino nötig macht. 52 Ficino, De Amore, 80–81, 10–15: »Amorem […] insitivam quandam intelligamus commiscentemque virtutem, que superiora quidem ad inferiorum providentiam movet, equalia rursus ad socialem sui invicem communionem conciliat, […]«. 53 Möglicherweise hat Cudworth die folgenden Passagen aus Ficino auch vor dem Hintergrund von Plotin, Enn. III 2, 16, 19–24 und IV 4, 42, 4–13 und 45, 23–33 gelesen und ausgelegt, woraus sich eine Anwendung der Magie- und Liebeskonzeption bei Ficino auf das Problem, komplexe Bewegungen erklären zu müssen, ableiten ließe, da Liebe als Anziehungskraft in der Kombination dieser Texte zu einer planvollen Ursache komplexer Bewegungen wird.

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gemeinen Verwandtschaft entspringt gemeinsame Liebe, aus dieser die gegenseitige Anziehung: und dies ist die wahre Magie.54 [Hervorh. L. B.]

Das kosmogonische Prinzip der Magie, die Liebe, erwächst aus der vom Schöpfer vorgezeichneten organischen Ordnung des Weltkörpers, deren Dispositionen die Liebe in Form gegenseitiger Anziehung aktuiert. Diese Wirkungen sind als die gegenseitigen Einwirkungen der Weltkörper aufeinander anzusehen, die allerdings allein durch die Liebe als Anziehungskraft realisiert werden und nicht von den Körpern selbst hervorgebracht werden, d. h. die gegenseitige Anziehung ist allein Wirkung der Liebe,55 so dass die innerweltlichen »Werke der Magie« zugleich aufgrund dieser Verschränkung von Magie, Liebe und Wirken in der Natur als »Wirkungen der Natur«56 zu betrachten sind. Auf diese Weise konvergieren die mit dem law of nature identifizierte pneumatische plastic nature Cudworths, der in direktem Bezug zur ontologischen Magiebegründung stehende ȝցȗȡȣ IJʍıȢȞįijțȜցȣ in Plotins Schrift IV 4 und der ebenfalls magiebegründende Amor/Eros Ficinos sowohl in ihrer Funktion als intelligible Vermittler zwischen Göttlichem und Irdischem als auch in ihrer dynamistisch-energetischen und teleologischen Wirkform in einer organisch-animistisch verstandenen Naturganzheit als auch in der Art, wie sie als ordnende und magiekonstituierende Kräfte wirken: nämlich indem sie als Anziehungskräfte und Bewegungsursachen ein wechselseitiges Be- oder Anziehungsgefüge realisieren. Vor diesem Hintergrund bedeutet dann die Aktuierung ordnungsvoller Dispositionen in der Welt zugleich die Konstituierung von Magie und naturgesetzliches Wirken. Diese Konvergenz ist meiner Ansicht nach für Cudworth der Anlass gewesen, die Art und Ausführung der Naturgesetze mit den Begriffen magical, fatal und sympathetical zu beschreiben und seine plastic nature u. a. mal als İփȟįȞțȣ oder ȝցȗȡȣ, mal als energy oder eben auch als Ĵțȝտį und ȟı‫ה‬Ȝȡȣ des Empedokles zu verstehen und einen Text Plotins heranzuziehen, der auf genau diese beiden Wirkformen in der für seine Argumentation in der Digression passenden Form hinweist. _____________ 54 Ficino, De Amore, 242–244, 23–35 und 1–4: »Sed cur magum putamus amorem? Quia tota vis magice in amore consistit. Magice opus est attractio rei unius ab alia ex quadam cognatione nature. Mundi autem huius partes ceu animalis unius membra, omnes ab uno auctore pendentes, unius nature communione invicem copulantur. Ideo sicut in nobis cerebrum, pulmones, cor, iecur et reliqua membra a se invicem trahunt aliquid seque mutuo iuvant et uno illorum aliquo patiente compatiuntur, ita ingentis huius animalis membra, id est, omnia mundi corpora connexa similiter, mutuant invicem naturas et mutuantur. Ex communi cognatione communis innascitur amor, ex amore, communis attractio. Hec autem vera magica est.« 55 Vgl. ebd., 90–91, 19–23: »Somit kann man mit Recht die Liebe als das unvergängliche verknüpfende Band der Welt, die unbeweglich ruhende Stütze aller ihrer Teile und die unerschütterliche Grundlage der gesamten Maschinerie bezeichnen. ([…] ut merito dici possit amor nodus perpetuus et copula mundi partiumque eius immobile substentaculum ac firmum totius machine fundamentum.)«. Die aus dem Bereich der Technik stammende Metaphorik könnte zusätzlich zu einer Annäherung der Konzeption des Eros an die des Naturgesetzes beigetragen haben. 56 Ebd., 244–245, 17–18.

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Es erstaunt vor dem Hintergrund dieses Transformationsgeflechts nicht,57 dass Cudworth die Stilisierung des Empedokles zu einem uranfänglichen Vertreter der Lehre des kosmogonisch wirkenden, magiekonstituierenden Eros von Ficino zum Zweck der Herausbildung einer ebenso autorisierenden wie integrierenden Figur übernimmt und dass er sich gleich zu Beginn der Ausführungen zur plastic nature auf Empedokles bezieht.58

Cudworths Empedokles: Neuplatoniker und Magier Empedokles ist also für die Darstellung der plastic nature als Naturgesetz in der Digression von großer Bedeutung. Er dient Cudworth unter der Perspektive einer neuplatonisch fundierten philosophia perennis dazu, als ebenso prominenter wie ursprünglicher Vertreter der wahren geoffenbarten Lehre die Thesen zu legitimieren und zu autorisieren, die Cudworth selber im System in der Auseinandersetzung mit Descartes’ Naturgesetzbegriff und Glissons Materiekonzeption entwickelt. Diese Autorisierung gelingt jedoch nur aufgrund einer hoch selektiven und argumentationsspezifischen Konstruktion der Empedoklesfigur anhand zweier Texte neuplatonischer Provenienz und auf der Grundlage des von Plotin in Enneade IV 4, 39 beschriebenen magisch-neuplatonischen Weltbildes. In der nun zu betrachtenden frühen ersten Konstruktionsphase, die die Verwendung des Plotintextes an späterer Stelle wesentlich vorbereitet, gelingt es Cudworth, Empedokles in Bezug zu dem Zitat aus De mundo zu setzen und ihn als Vertreter eines auf der neuplatonischen Metaphysik aufbauenden Weltbildes herauszustellen. Dazu gehört gleich zu Beginn, die bei Empedokles klar unterschiedenen Wirkgrößen Ĵțȝտį und ȟı‫ה‬Ȝȡȣ ineins zu setzen und als eine, sogar als »the ԐȢȥռ İȢįIJijսȢțȡȣ, the ›active principle‹ and immediate operator in this lower world« [Hervorh. L. B.] zu bezeichnen,59 eben als plastic nature nach dem Vorbild der İփȟįȞțȣ į՘ijȡ‫ ף‬aus De mundo. Möglicherweise greift Cudworth, wenn er den ȟı‫ה‬Ȝȡȣ in der Ĵțȝտį aufgehen lässt, auf Überlegungen Giordano Brunos zurück, der in seinen magischen Werken mehrfach hervorhebt, dass der Streit eine Form der Liebe und in ihrer bindenden Kraft aufgehoben sei: Die mächtigste Fessel von allen ist die der Venus und ihrer Gattung gemäß, die der Liebe, auf deren Gleichheit und Einheit sich die Fessel des Hasses an erster Stelle und wiederum als mächtigste bezieht. Wie wir nämlich das eine aus Gegenübergestelltem und Gegensätzlichem der Gattung gemäß lieben, so hassen und verschmähen wir folg-

_____________ 57 Cudworth erläutert sein eigenes Konzept in der Auseinandersetzung mit zeitgenössischen Ansätzen (u. a. Descartes und Glisson) durch einen spezifisch ausgewählten Plotintext, der sich auf Empedokles bezieht und den er seinerseits möglicherweise durch Texte aus Ficinos De Amore perspektiviert. 58 Empedokles bei Ficino z. B. in De Amore, 84–85, 10–19. 59 System I, 228–229.

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lich das jeweils andere. Diese zwei Affekte und schließlich dieser eine Affekt, welcher die Liebe ist, herrscht in allem (in seiner Substanz ist der Haß eingeschlossen), herrscht über alle und erregt sie, lenkt sie, bringt sie in Bahnen und mäßigt sie. […] Die Fessel der Fesseln ist freilich die Liebe.60

In diesem Kontext könnte man also von einer Art systematisierenden Fokussierung sprechen, die es Cudworth erlaubt, durch die »Optik« der bereits von Bruno vollzogenen Transformation Empedokles durch die Konzentration auf die Ĵțȝտį als alleinige Wirkgröße in seine magisch-neuplatonisch fundierte Argumentation einzubauen. Das sympathie-stiftende innerweltliche Wirken dieser damit zur Ĵțȝտį konkretisierten İփȟįȞțȣ bzw. plastic nature beschreibt Cudworth entsprechend mit einem Zitat aus Plotin III 2, 16, 32–40: And as this plastic nature is a thing, which seems to be in itself most reasonable, so hath it also had the suffrage of the best philosophers in all ages. […] Moreover, before Plato, Empedocles philosophized also in the same manner, when supposing two worlds, the one archetypal, the other ectypal, he made Ĵțȝտį and ȟı‫ה‬Ȝȡȣ, ›friendship‹ and ›discord‹, to be the ԐȢȥռ İȢįIJijսȢțȡȣ, the ›active principle‹ and ›immediate operator‹ in this lower world; he not understanding thereby, as Plutarch and some others have conceited, two substantial principles in the world, the one good, the other of evil, but only a plastic nature, as Aristotle in sundry places intimates: […] (System I, 226– 228). Which latter is a notion that Plotinus, describing this very seminary reason or plastic nature of the world, (though taking it in something a larger sense than we do in this place) doth ingeniously pursue after this manner: ԘȟijțȚıվȣ İպ Ԑȝȝսȝȡțȣ ijո ȞջȢș, Ȝįվ ʍȡțսIJįȣ Ԛȟİıֻ, ʍȡȝջȞȡȤ Ȝįվ Ȟչȥșȣ IJփIJijįIJțȟ Ȝįվ ȗջȟıIJțȟ ıԼȢȗչIJįijȡǝ Ȝįվ ȡ՝ijȧȣ ԚIJijվȟ ıՃȣ ʍֻȣ, ıԼ Ȟռ ԣȟ ıՀșǝ ȗıȟցȞıȟȡȟ ȗոȢ ԛįȤij‫ ׮‬ijȡ‫ה‬ȣ ȞջȢıIJț ʍȡȝջȞțȡȟ, ȡՙij‫׭‬ȣ ԣȟ ԚIJijț Ȝįվ Ĵտȝȡȟ, խIJʍıȢ Ԓȟ ıԼ İȢչȞįijȡȣ ȝցȗȡȣ ıՃȣ, Ս ijȡ‫ ף‬İȢչȞįijȡȣ, Ԥȥȧȟ Ԛȟ į՘ij‫ ׮‬ʍȡȝȝոȣ Ȟչȥįȣǝ ijր Ȟպȟ ȡ՞ȟ İȢֻȞį ijո ȞıȞįȥșȞջȟį ȡՃȡȟ ıԼȣ Ȟտįȟ ԑȢȞȡȟտįȟ Ԕȗıț IJփȞĴȧȟȡȟ. յȣ ijı Ȟֻȝȝȡȟ Ԕȟ ijțȣ ij‫ ׇ‬ԑȢȞȡȟտֹ ij‫ ׇ‬ԚȜ ȞįȥȡȞջȟȧȟ ıԼȜչIJıțı, ›The seminary reason or plastic nature of the universe, opposing the parts to one another, and making them severally indigent, produces by that means war and contention. And therefore, though it be one, yet notwithstanding it consists of different and contrary things. For there being hostility in its parts, it is nevertheless friendly and agreeable in the whole; after the same manner as in a dramatic poem, clashings and contentions are reconciled into one harmony. And therefore, the seminary and plastic nature of the world may fitly be resembled to the harmony of disagreeing things.‹ Which Plotinic doctrine may well pass for a commentary upon Empedocles, […]. (System I, 230)

_____________ 60 Bruno, De vinculis in genere: de vinculo Cupidinis et quodammodo genere, Art. 16: »Vinculum omnium potissimum est Veneris et secundum genus amoris, ad cuius aequalitatem et unitatem odii vinculum primo atque potissimum refertur. Quantum quippe unum oppositorum et contrariorum secundum genus amamus, tantum alterum consequenter odimus atque spernimus. Duo hi affectus, et tandem unus ille affectus, qui est amor, omnibus dominatur (in cuius substantia includitur odium), super omnes dominatur et eos erigit, dirigit, regulat et moderatur […] vinculum quippe vinculorum amor est.« Übersetzung Samsonow (1995), 224–225; (Opera Latine conscripta, 696–697 [97 r]).

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Mit diesem Text nimmt Cudworth zum einen implizit Bezug auf die Staats- und Ordnungsvorstellungen der Analogie und die mit ihr verbundene Metaphysik aus De mundo und expliziert sie in neuplatonischer Hinsicht.61 So untermauert er seine möglicherweise von Bruno übernommene und mit der christlichen Vorstellung eines gütigen Gottes auch besser zu vereinbarende Ansicht, dass eine harmonische Ordnung auch gegensätzlicher Naturdinge nur als Resultat des Wirkens einer grundsätzlich harmonisierenden Kraft, der Ĵțȝտį, erklärt werden kann. Zum anderen verbindet er durch beinahe wörtliche (und auch thematische) Anklänge des Zitats aus Enneade III 2, 16 an Formulierungen Plotins in IV 4, 39 bereits jetzt die Figur des Empedokles und dessen Wirkgröße der Ĵțȝտį mit den metaphysischen Hintergrundannahmen aus IV 4, die das ebenfalls auf Empedokles zu beziehende Plotin-Zitat in System I, 250, das bereits erörtert wurde, fundieren und tragen.62 Auf diese Weise gelingt es Cudworth, den Eindruck zu vermitteln, als sei die Ĵțȝտį des Empedokles mit dem innerweltlich wirkenden und magiekonstituierenden ȜંȖȠȢ aus Enneade IV 4 gleichzusetzen und somit Empedokles tatsächlich ein früher Vertreter der von Cudworth favorisierten Lehre hinsichtlich der Naturgesetze als intelligibler Formkräfte. Er insinuiert somit, dass die empedokleische ijȚȜ઀Į ebenso wie die į઄ȞĮȝȚȢ aus De mundo als dynamische Vermittlerin intelligibler Strukturen und damit als naturgesetzhafte Kraft anzusehen sei. Um genau diesen Punkt bereits an dieser frühen Stelle in seiner Argumentation zu plausibilisieren und damit seine weiteren Ausführungen zu fundieren, führt Cudworth desweiteren ein bemerkenswertes Textstück aus Simplikios an, in dem Empedokles als Vertreter der platonischen Zwei-Welten-Lehre bezeichnet wird:63 _____________ 61 Die Entsprechungen zwischen III 2, 16 und De mundo erfolgen allerdings nicht auf der Ebene der sprachlichen Anklänge, sondern auf der der Vorstellung einer übergeordneten, sich immanent geltend machenden Ordnung, die insgesamt ausgleichend und harmonisierend wirkt. 62 »[…] ıπȣ ȞЃįȟ ΕȢȞȡȟЃįȟ Ԕȗıț IJЇȞĴȧȟȡȟ« [Hervorh. L. B.] aus III, 2, 16, 37–38 entspricht nämlich »ʍչȟijȧȟ Սİ‫ ׮‬ȡՃȡȟ į՘ijȡȞչijׄ ıπȣ IJȤȞĴȧȟЃįȟ ȥȧȢȡփȟijȧȟ« [Hervorh. L. B.] in IV 4, 39, 16– 17. Neben dieser deutlichen Korrespondenz lassen sich noch weitere, eher inhaltliche Bezüge entdecken: »ԘȟijțȚıվȣ İպ Ԑȝȝսȝȡțȣ ijո ȞջȢș« (ǿǿǿ 2, 16, 32) – »ȜԒȟ Ԑʍ’ Ԛȟįȟijտȧȟ Հș« (ȀV 4, 38, 18); »յȣ ijı Ȟֻȝȝȡȟ Ԓȟ ijțȣ ij‫ ׇ‬ԑȢȞȡȟտֹ ij‫ ׇ‬ԚȜ ȞįȥȡȞջȟȧȟ ıԼȜչIJıțı« (ȀȀȀ 2, 16, 40) – »ʍչȟijį İ’ ՑȞȧȣ ȚįȤȞįIJijռȟ ijռȟ IJȤȞĴȧȟտįȟ Ԥȥıț […] ȜԒȟ Ԑʍ’ Ԛȟįȟijտȧȟ Հș« (ȀV 4, 38, 17–18). Auch die Auslassung, die Cudworth in seinem Zitat von III 2, 16 vornimmt – es »fehlt« das Textstück von »ȡՃȡȟ […] Ȟչȥș« – erleichtert die innertextliche Bezugnahme auf IV 4, da auf diese Weise der Gedanke der umgreifenden Harmonisierung stärker in den Vordergrund gerückt wird. 63 Bereits bei Simplikios ist dabei eine interessante Transformation zu beobachten, die Cudworths Verwendung dieses Textes erst ermöglicht. Offenbar versteht Simplikios den Zustand der Welt, »wenn er von der Liebe geordnet wird« (Fragment 357 Kirk/Raven/Schofield), den »sich selbst gleichen« Sphairos (Fragment 357 Kirk/Raven/Schofield) als ȜցIJȞȡȣ ȟȡșijցȣ, d. h. als den intelligiblen Bereich des Nous, während er den Zustand der Welt, den der Bewegung und der Trennung, mit der stofflichen Welt gleichsetzt. Er versteht also die verschiedenen Phasen in der Entwicklung ein- und derselben Welt oder von Körpern in der Welt, nämlich unserer stofflichen Welt, als Ausdruck bzw. Darstellung zweier vollständig verschiedener Ebenen in der platonischneuplatonischen Ontologie.

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Which Plotinic doctrine may well pass for a commentary upon Empedocles, accordingly as Simplicius briefly represents his sense: ԦȞʍıİȡȜȝ‫׆‬ȣ İփȡ ȜցIJȞȡȤȣ IJȤȟտIJijșIJț, ijրȟ Ȟպȟ ԭȟȧȞջȟȡȟ, Ȝįվ ȟȡșijրȟ, ijրȟ İպ İțįȜıȜȢțȞջȟȡȟ Ȝįվ įԼIJȚșijրȟ Ȝįվ Ԛȟ ijȡփij‫ ׫‬ȜցIJȞ‫ ׫‬ijռȟ ԥȟȧIJțȟ ՍȢּ Ȝįվ İțչȜȢțIJțȟ, ›Empedocles makes two worlds, the one united and intelligible, the other divided and sensible; and in this lower sensible world, he takes notice both of unity and discord.‹ (System I, 230–231)

Es ist anzunehmen, dass Cudworth von einer Parallelisierung von ԥȟȧIJțȣ und İțչȜȢțIJțȣ bei Simplikios mit Ĵțȝտį und Ȟİ૙țȠȢ bei Empedokles ausgeht. Es ist weiter anzunehmen, dass er, nachdem er bereits die Zitate aus De mundo und aus Plotin III 2, 16 angeführt hat, die er wohl aufgrund der ebenso inhaltlichen wie sprachlichen Korrespondenzen in einem Zusammenhang mit seinen auf der magiebegründenden Metaphysik aus Enneade IV 4 aufbauenden naturphilosophischen Ansätzen sieht, Simplikios so versteht und verstanden sehen möchte, dass die ԥȟȧIJțȣ als Ĵțȝտį dem kosmogonischen, vermittelnden Eros entspricht, zwischen dem intelligiblen Kosmos und der stofflichen Welt vermittelt und hier Zusammenhalt und Sympathie hervorbringt und erhält, wie es das direkt vorgeschaltete Plotinzitat ja auch schon ausgeführt hat. Aufgrund dieser kombinierenden und verschränkten Argumentation wird der Eindruck erweckt, Empedokles sei tatsächlich als Platoniker ausgewiesen, so dass Cudworth von dem Plotinzitat aus Enneade III 2, 16 behaupten kann, man könne es geradezu als Interpretation und Kommentar zu Empedokles verstehen. Damit ist Empedokles unter Benutzung von nur zwei Zitaten aus neuplatonischem Kontext und unter der impliziten Übernahme einer Konzeption Giordano Brunos zu einem gut neuplatonischen Philosophen und Magier geworden, wodurch das Alter der von Cudworth favorisierten neuplatonischen Naturphilosophie bis auf Empedokles zurückgeführt und zugleich in der Transformation der Empedoklesfigur eine den eigenen Bedürfnissen entsprechende antike Philosophie bzw. Philosophiegeschichte entwickelt wird.64 Cudworth kann schließlich auf diese Empedokleskonstruktion mit dem dritten Zitat zu Empedokles aus neuplatonischem Kontext zurückgreifen, wenn es an der späteren zentralen Stelle in System I, 250 nicht nur darum geht, naturgesetzhaftes Wirken als magisches Wirken einer stoisch angereicherten neuplatonischen Anziehungs- und Formkraft zu erklären, sondern auch, wenn es ebenso darum geht, dieses Naturgesetzmodell in den traditionellen Termini eines von der Ĵțȝտį geprägten Sympathiezusammenhangs zu autorisieren und zu legitimieren. Bereits durch die in seiner Argumentation recht früh erfolgende Kombination zweier Texte ist nämlich mit der aus _____________ 64 Vgl. auch Brunos Differenzierung der verschiedenen Arten von Magie in De Magia. Empedokles wäre dann der vierten Art von Magie zuzuordnen, der »eigentlich natürlichen Magie«: »Die vierte [Art Magie] arbeitet mit der Antipathie und der Sympathie in der Kraft der Dinge, wie durch das, was treibt, verwandelt und anzieht, wie z. B. die Kraft des Magneten und ähnliches, deren Werke nicht auf die aktiven und passiven Qualitäten reduziert werden, sondern im Ganzen auf einen Geist oder auf eine Seele, die in den Dingen existiert. Diese Magie wird die eigentlich natürliche Magie genannt.« (Übersetzung Samsonow [1995], 115).

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Plotin stammenden und in den Magiekonzepten prominent gemachten Vorstellung der Überordnung der Ĵțȝտį/ԥȟȧIJțȣ über den Streit (Ȟİ૙țȠȢ/įȚ੺țȡȚıȚȢ), die zur Weltharmonie führt, das Fundament für die gesamte folgende Argumentation gelegt, denn diese Harmonie ist eine »Gesamtverknüpfung der gezeugten und immer wieder neu erzeugten Dinge«65 und damit genau die Sympathie, von der Plotin in dem grundlegenden Text IV 4, 40, 1–6 spricht, der seinerseits von Cudworth in System I, 250 zitiert wird. Hier wie dort sind es die durch Anziehung auf und unter stofflichen Teilchen wirkenden Formkräfte, die im Rahmen einer organisch vorgestellten Weltganzheit und aufgrund einer durch eine übergeordnete Kraft vorgegebenen Sympathiestruktur, die sie ebenso nachzeichnen wie aktualisieren,66 innerweltlich und gesetzmäßig, d. h. strukturrealisierend wirken, Atome bewegen und gleichzeitig das Wirken von Magie erklären (sollen). Cudworth kann daher nach einer im wesentlichen neuplatonisch geprägten Erörterung der plastic nature im Vorausgehenden in System I, 250 bruchlos nochmals in ebenfalls neuplatonisch vermittelter Form auf Empedokles zurückgreifen, um so gleichsam die gesamte zwischen System I, 231–250 vollzogene Argumentation in der Figur des Empedokles als Explikation einer bereits vorsokratischen Lehre zusammenzufassen und durch ihr vermeintlich hohes Alter positiv abzusetzen sowie in den drei Adverbien magically, fatally und sympathetically zu bündeln. Die drei Adverbien entwickeln vor diesem Hintergrund durchaus und entgegen der Kritik Mosheims eine »dezidiert festgelegte und bestimmte Aussagekraft«. Auch die von Mosheim in System I, 230 Anm. 7 so scharf kritisierte Anwendung der Texte von Plotin und Simplikios lässt sich unter transformationstheoretischer Perspektive im Zusammenhang von Cudworths Argumentationsstrategie sinnvoll einordnen und nachvollziehen. Diese Fokussierung der Darstellung der Empedoklesfigur und ihrer Lehre auf insgesamt drei neuplatonische Zitate und auf deren systematische Verknüpfung miteinander durch die aus den Magiekonzepten Ficinos und Brunos sowie der Logos-Metaphysik Plotins entlehnten Hintergrundannahmen bedingt eine Transformation der empedokleischen Wirkgrößen ijȚȜંIJȘȢ und Ȟİ૙țȠȢ zu den ȜંȖȠȚ und İȤȟչȞıțȣ der neuplatonischen Metaphysik. Im Zuge dieser funktionalisierenden Aneignung muss Cudworth sehr viele antike und ihm sicherlich auch bekannte Textstellen zu Empedokles’ Lehre bewusst ignorieren, die ihn zu einem differenzierteren und weniger neuplatonischen Empedoklesbild drängen würden. So muss er z. B. die Texte der Fragmente 361 und 362 (Kirk/Raven/Schofield) aus der Metaphysik des Aristoteles ignorieren, aus denen hervorgeht, dass Empedokles »Kosmogonie und Zoogonie nicht unter das Wirken einer Kraft stellen konnte«,67 _____________ 65 Plotin, Enn. III 2, 15, 2–3 [Hervorh. L. B.]. 66 Vgl. dazu ebd. VI 7, 7, 8–16. 67 Hollnagel (2002), 40 [Hervorh. L. B.]. Siehe z. B. Fragment 361: »Denn wenn [zu Beginn einer kosmischen Periode] das All durch den Einfluß des Streits in seine Elemente zerlegt wird, dann wird das Feuer zu einer Einheit vereinigt und ebenso jedes der anderen Elemente. Und wenn sie

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was sich als unvereinbar mit der Aufhebung des ȟı‫ה‬Ȝȡȣ in der Ĵțȝտį und der daraus folgenden Gleichsetzung von Ĵțȝտį und ȟı‫ה‬Ȝȡȣ mit einer plastic nature auf der Ebene des Kosmos erweist.68 Auch wenn Cudworth an der Differenzierung der Wirkungen festhält, bleibt von den zwei Prinzipien oder Wirkgrößen des Empedokles nur eine einzige übrig, nämlich die harmonisierende Liebe, so dass Cudworth z. B. auch Aristoteles gen. corr. 344a5 ff. übergehen muss, wo Aristoteles’ Überlegungen dahin führen, nur den Streit, den Cudworth seinerseits als »evil principle« diskreditiert hat,69 als einziges Prinzip bei Empedokles gelten zu lassen.70 Hinzu kommt, dass Cudworths Konzeption des Naturgesetzes als einer neuplatonisch-magisch wirkenden plastic nature kaum Raum für den Zufall lässt, wenn es um die Erklärung von reinen Naturphänomenen geht. Cudworth muss daher aus systematischen Gründen auch alle Texte ignorieren, aus denen sich ableiten ließe, dass Empedokles dem Zufall in der Naturerklärung den Status einer Ursache einräumt, so z. B. Fragment 372 (Kirk/Raven/Schofield).71 Er muss in diesem Kontext weiterhin alle Texte zu Empedokles ausblenden, die in der Darstellung der Entwicklung der Lebewesen gerade keine teleologische Ursächlichkeit erkennen lassen, z. B. die Fragmente 375–381 (Kirk/Raven/Schofield),72 denn gerade ein teleologisches Wirken im Stofflichen ist ja die herausragende Eigenschaft der plastic nature, während bei Empedokles die Ĵțȝցijșȣ in diesen Darstellungen eher in den Hintergrund tritt.73 So zeichnet Cudworth in einer Mischung aus fokussierender Konstruktion und bewusster Ignoranz ein Bild des Empedokles, das diesen zum Vertreter und Begründer einer Naturgesetzkonzeption werden lässt, die gerade nicht in das Wissenschaftsverständnis der new sciences mündet, sondern in ein neuplatonischmagisches Konzept von Wissen und Wissenschaft.

_____________ 68

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dann durch den Einfluß wieder zur Einheit zusammenkommen, werden die Teile jedes Einzelelements notwendig wieder voneinander getrennt.« Zumal Cudworth in System I, 228–229 die zwei Wirkformen des Empedokles als Dualismus zurückweist und – nach Vorgabe Brunos – unter Heranziehung Plotins in System I, 230 mit einem ȝցȗȡȣ, einer ԤȜȝįȞȦțȣ aus Nous und Weltseele gleichsetzt (III 2, 16, 15: »ԤȜȝįȞȦțȣ ԚȠ ԐȞĴȡ‫ה‬ȟ, ȟȡ‫ ף‬Ȝįվ ȦȤȥ‫׆‬ȣ […]«). System I, 229. Zu Aristoteles siehe Hollnagel (2002), 36–37, Zitat 36. Vgl. ebd., 66. Fragment 372: »Denn obgleich der Haß die Sonderung herbeiführte, war es nicht der Haß, durch den der Äther nach oben getragen wurde; vielmehr sagt er das eine Mal, dies sei aus Zufall geschehen – […]«. Zu beachten ist besonders der Irrealis in Fragment 380: »Also überall, wo sich alles so ereignete, wie es gewesen wäre, wenn es um eines bestimmten Zwecks willen geschehen wäre, da überlebten diese [Gebilde], die durch den Zufall in geeigneter Weise zusammengesetzt waren; wo es aber nicht so war, da gingen sie und gehen sie zugrunde, wie das Empedokles von den ›kuhgeschlechtlichen Gebilden mit menschlichem Bug‹ sagt.« Vgl. Hollnagel (2002), 66.

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Wissenschaft von der Natur unter »empedokleischem« Paradigma: Magisch, ganzheitlich, dynamisch. Was ist für Cudworth Wissenschaft? Ein Rekonstruktionsversuch Zu Beginn der Ausführungen war ich von der wesentlichen Bedeutung des Naturgesetzbegriffs für die Konstituierung des Begriffs von Naturwissenschaft in der Frühen Neuzeit ausgegangen. Im Anschluss daran war zu zeigen, in welchem Sinn Cudworth den Begriff des Naturgesetzes als neuplatonisch-magisches Konzept versteht, als eine Art »ziehende Kraft«. Aus diesen Beobachtungen sind nun die entsprechenden Schlussfolgerungen mit Blick auf Cudworths Konzeption von Wissenschaft von der Natur zu ziehen. Dabei möchte ich auf den Überlegungen von Thomas Leinkauf zum platonischen Begriff der »Naturkunde« aufbauen,74 die es, entsprechend der Rolle, die magisches Wirken in Cudworths System spielt, um Aspekte der scientia magica zu ergänzen gilt.75 Platons Konzept von Naturkunde oder Wissen von der Natur besteht darin, in einer »wenigstens wahrscheinlichen Rede« die Ursachen anzuführen, »wodurch etwas entsteht, wodurch es vergeht und wodurch es besteht«.76 Dem Timaios zufolge geht es weiterhin darum, »die ›Mischungen‹ und ›Verbindungen‹ der elementaren Körper oder Teile [zu] untersuchen und dar[zu]stellen.«77 Gestellt wird nach platonischem Verständnis die Frage nach der Natur als dem »Prinzip von Konstanz, Identität und Struktur«.78 Als ein solches Prinzip ist sie die »rational strukturierte, gesetzmäßige und konstante Präsenz geistiger Formen […] im Materiellen«,79 eben die İփȟįȞțȣ, von der bereits im Zusammenhang mit Cudworths Zitat aus De mundo die Rede war und die in der gesamten Digression unter verschiedenen Bezeichnungen in ihren unterschiedlichen Facetten verhandelt wird. Cudworth beantwortet also mit seinen Ausführungen zur magisch, sympathetisch und nach Art des Schicksals wirkenden plastic nature durchaus die zentralen Fragen einer nach platonischen Vorgaben verstandenen Wissenschaft von der Natur, die er, wie seine Kritik an den mechanic philosophers zeigt, als einzig befriedigende Naturerklärung ansieht.80 Als »Ausstrahlung« aber verweist diese plastic nature als İփȟįȞțȣ über sich hinaus auf das Intelligible, so dass auch die Natur, verstanden als Resultat des Wirkens der plastic nature(s),81 d. h. als Gesamt der Naturphänomene, über sich _____________ 74 75 76 77 78 79 80 81

Leinkauf (2005), 2–5. Zur scientia magica siehe Henrichs (1970), 30–40. Leinkauf (2005), 2, der hier Platon, Phaid. 96a zitiert. Platon, Tim. 57d, zitiert bei Leinkauf (2005), 2. Leinkauf (2005), 3. Ebd. Zur Kritik an den Mechanisten siehe z. B. System I, 234. Zu der Äquivokation, Natur sowohl als Gesamt der Naturphänomene als auch als Wirkprinzip zu verstehen, das diese Phänomene hervorbringt, siehe Neuser (2005), 190–191.

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hinaus weist in den ȜցIJȞȡȣ ȟȡșijցȣ. Die Naturerklärung, die Erklärung der »Mischungen und Verbindungen« kann deshalb nur der Anfang eines Wissens von der Natur sein, eben weil diese Kräfte und damit auch die Naturphänomene als deren Wirkungen die letzten Ausläufer des Intelligiblen darstellen. Sie sind, wie Cudworth selbst mehrfach betont, schwach und unvollkommen, und sie bilden in ihrem Wirken zusammen nur das Abbild der urbildlichen göttlichen Weisheit ab und aus.82 Der neuplatonischen Konzeption der Natur als einer dynamischen Ganzheit, die auf das Intelligible verweist, entspricht auf der Seite der Wissenskonzeption der Aspekt von Magie, der magisches Wissen zunächst als Einsicht in die Kräfteverhältnisse im Bereich der Natur charakterisiert,83 als »Kenntnis der gesamtkosmischen Kräfteverhältnisse«,84 womit sie, wie bereits Plinius feststellt, zur »Universalwissenschaft« werden kann.85 Aber auch die frühneuzeitliche Magie versteht – in platonisch-neuplatonischer Tradition wurzelnd und, wie zur pneumatischen Magie bereits gezeigt, ontologisch fundiert in der Kontinuität zwischen intelligiblem/göttlichem Bereich einerseits und dem stofflichen andererseits – dieses kosmische Kräfteverhältnis »als Aufforderung zu echter Transzendierung«,86 d. h. als Aufforderung zu einer Art Anagoge, die schließlich in der noetischen Schau intelligibler Zusammenhänge im göttlichen Geist gipfelt. Prägt man also wie Plotin und im Anschluss an ihn Cudworth die Ĵțȝտį des Empedokles um in ein neuplatonisches Wirkprinzip, das selber intelligibel ist, intelligible Strukturen aktuiert und auf den Nous als seinen Ursprung verweist,87 kann auch die anagogisch wirkende Naturbetrachtung der Magie im zeitgenössischen Kontext des 17. Jahrhunderts als Wissenschaft gewertet werden.

_____________ 82 Vgl. z. B. System I, 250: »plastic nature […] is […] a low and imperfect creature.«; siehe auch 223 und 237–240 und System II, 189. Das ebenso ontologische wie epistemologische Ungenügen der plastic nature bringt Cudworth auch in System I, 272 in der Formulierung »mere umbrage of intellectuality and shadowy imitation of mind and understanding« klar zum Ausdruck, die den Abbildcharakter der plastic nature im Sinne einer platonisch-neuplatonischen Ideenlehre hervorheben. Als »verschattetes Abbild« genügt die plastic nature damit keinesfalls dem Kriterium für Wissen und Wissenschaft, das Cudworth in Eternal and Immutable Morality aufstellt: der clearness, siehe unten. So ist die plastic nature in ihrem Wirken eben insgesamt ein »schwaches und obskures« Abbild der göttlichen Weisheit in der Welt, wie Cudworth mit dem Zitat aus Plotin IV 4, 13 in System I, 240 zum Ausdruck bringt. 83 Vgl. Henrichs (1970), 32. 84 Ebd., 34. 85 Ebd. 86 Ebd., 40. 87 Vgl. dazu z. B. System I, 240 und 272: »For the plastic life of nature is but the mere umbrage of intellectuality, a faint and shadowy imitation of mind and understanding; upon which it doth as essentially depend, as the shadow doth upon the body, the image in the glass upon the face, or the echo upon the original voice. […] If there be ĮփIJțȣ, then there must be Ȅȡ‫ף‬ȣ.«

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Diese Art des prozessualen Wissens mündet in einer mystischen Vision der intelligiblen Welt, die Plotin in Enneade V 8, 9 beschreibt.88 Erst diese Schau ist wahres Wissen, denn sie ist das Wissen des platonischen Dialektikers, der um die urbildliche IJȤȞʍȝȡȜս, die Sympathie alles Seienden weiß, von der die irdische ıȣȝʌȜȠț੾ nur ein schwaches Abbild ist, bzw. wie Cudworth es beschreibt: Diese Erkenntnis ist das Wissen um Gottes »eternal power« und sein noetisches Wesen, die sich in der Welt manifestieren.89 Der antiken Philosophie und, so ist nun zu ergänzen, der Magie, die diese Lehre zum Ausdruck bringt, also der neuplatonisch fundierten philosophia perennis, spricht Cudworth ausdrücklich zu, »absolute truth and reality« zu sein.90 Diese Qualifikation erfolgt, weil die philosophia perennis und die ihr zugehörige Magie, verstanden im Sinne der neuplatonisch ausgelegten Passage aus der Metaphysik des Aristoteles, in den Augen Cudworths in der Anagoge zu dem hinführen, was allein für Cudworth Objekt der Wissenschaft sein kann, da es seinem Kriterium für Wahrheit von Erkenntnis genügt: zu den Noeta, denn sie zeichnen sich durch Klarheit aus.91 Diese Wissenschaft beruht darauf, ein »Erfassen des Seienden« zu sein (ȜįijչȝșȦțȣ ijȡ‫ ף‬Րȟijȡȣ),92 denn es ist das Seiende, das dem Kriterium der Klarheit genügt und seinen Anspruch auf Wahrheit durch seine absolute, intrinsische Geltung und Evidenz aus sich realisiert.93 Diese als clearness bezeichnete Evidenz erhält also erst vor dem Hintergrund der platonisch-neuplatonischen Metaphysik ihre volle Tiefe. So kann Cudworth schließlich folgern, dass es eine »different nature from sense« gibt, which is not terminated ਥȞ IJ૶ ijĮȚȞȠȝ੼Ȟ૳, ›in mere seeming and appearance only‹, but ਥȞ IJ૶ ੕ȞIJȚ, ›in the truth and reality of things, and reaches to the comprehension of that which really and absolutely is, whose objects are the eternal and immutable essences and natures of things, and their unchangeable relations to one another94 [Hervorh. L. B.],

eben eine Erkenntnis des diaphanen, in sich selbst leuchtenden göttlichen NousSphairos, den Plotin in Enneade V 8, 4, 4–10 beschreibt. _____________ 88 Zur Klassifikation dieser Passage als eines mystischen Textes siehe Sommer (1989), 83 ff. 89 System II, 189. Zur irdischen ıȣȝʌȜȠț੾: Plotin, Enn. III 2, 15, 1; zur noetischen: V 8, 9, 10–18, besonders: »ԥȜįIJijȡȣ ʍչȟijıȣ IJȤȟցȟijıȣ ıԼȣ ԥȟ.« 90 System II, 300. 91 Zu den Noeta als Objekten von Wissenschaft (science) siehe Cudworth, Eternal and Immutable Morality, 626 und 632. Zur Klarheit als Wahrheitskriterium siehe ebd., 638. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Klarheit nicht ihrerseits als Folge der Eigenschaften der ȟȡșijչ zu betrachten ist, also als Konsequenz deren notwendigen, unvergänglichen und ewigen Seins, vgl. ebd., 626. 92 Cudworth, Eternal and Immutable Morality, 625 und 638. 93 Vgl. Plotin, Enn. V 5, 2, 18–20; III 8, 8, 6–11 sowie V 3, 8, 20–22 und 35–40. Zurückzuführen ist diese »Eigenschaft« der Noeta auf das Sonnengleichnis der Platonischen Politeia, wo die Seienden bzw. die Ideen ihre clearness durch die Wahrheit und das Seiende erhalten, die sie bescheinen (Platon, Politeia 508d). Dazu siehe Lowrey (1884), 198–199. 94 Cudworth, Eternal and Immutable Morality, 639.

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Es ist allein dieses ins Neuplatonische gewendete Kriterium der unmittelbaren Evidenz der ebenfalls als organisch-ganzheitlich gedachten Binnenstruktur des Nous, das der neuplatonischen Naturphilosophie und der Magie ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit sichert. Nur die Ideen des göttlichen Geistes, des Nous, können derart evident sein, nur von ihnen gibt es Wissen, nur sie sind die eigentlichen Objekte der Wissenschaft.95 Die Naturbetrachtung führt uns nur zu ihnen hin, wer wahre (Natur-)Wissenschaft (science) betreiben will, der muss also von den durch die plastic nature realisierten Beziehungen und Strukturen, die sich in der Welt in deren gesetzmäßigem Ablauf beobachten lassen und die als abbildhafte Manifestationen des mit dem Göttlichen identifizierten Intelligiblen verstanden werden, absehen und sich den Noeta und ihren Relationen zueinander zuwenden, wie sie im Geist Gottes sind. Erst dann wird die Naturerklärung zur Wissenschaft, da sie auf die »metaphysischen Anfangsgründe« der Naturerklärung ausgerichtet ist, sie ist nicht nur »cognitio ex principiis«, sondern ebenso und im eigentlichen Sinne »cognitio principiorum«.96 Zugespitzt ausgedrückt: Wissenschaft ist für Cudworth die magisch-neuplatonische Naturbetrachtung und Naturerklärung gerade deshalb, weil sie zur mystischen Vision eines dynamischen Ursachengeflechts führt.97 Und es ist die durch bewusste Fokussierung hervorgebrachte Figur des Empedokles als eines neuplatonischen Magiers, die Cudworth als einen der frühesten Exponenten dieser Ansicht und Methode gegen Descartes und die experimentellen Naturwissenschaftler der Royal Society mit der ganzen Autorität der philosophia perennis ins Feld führt.

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_____________ 95 Cudworth, Eternal and Immutable Morality, 625 f., 632 und 636. 96 Diemer (1970), 8. 97 Diese anagogische Tendenz bringt bereits das Motto der Schrift, das Cudworth von Origenes übernimmt, zum Ausdruck: »ĬȤȞȟչIJțȡȟ ij‫׆‬ȣ ȦȤȥ‫׆‬ȣ Ե ǺȄĭȈȎȇ‫י‬Ȅǿ ȉȎĮ‫י‬Ǻ, Ȋջȝȡȣ İպ Ե ĭǽ‫י‬Ǻ.« Siehe Lowrey (1884), 200–201: »Nor are these truths of the soul abstractions. We say that they are living, organic, and yet these are comparatively formal, stiff, inflexible, dead symbols of the eternal reality of spiritual Being, in which mind exerts ist self-activity. […] And yet to the Christian philosopher […] the realm of free spiritual activity is the most concrete, the most real. To him, vital and organic connection of bodily whole and parts furnishes the highest symbols by which he can describe the spiritual relation to those who cannot rise above the relative of sense and of sensuous imagination.«

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Assimilation und Negation: Antikes Traumwissen in neuzeitlichen Wissenschaften ALBERT SCHIRRMEISTER

Träume selbst können kein Gegenstand der Geschichtswissenschaften sein. Untersuchen können wir lediglich ihre Wiedergaben, ob bildlich, wie den berühmten Sintfluttraum von Albrecht Dürer1 oder, wie viel häufiger, Traumerzählungen. Es liegt also zunächst und grundsätzlich außerhalb jeder Möglichkeit zu entscheiden, ob einer Erzählung die Erinnerung an einen realen Traum zu Grunde liegt oder ob sich der Erzähler lediglich der literarischen Form einer Traumerzählung bedient.2 Gleichwohl sind Träume historische Phänomene, deren Bedeutung seit einiger Zeit verstärkt untersucht wird. In den wissenschaftlichen Diskussionen der Frühen Neuzeit sind Traumerzählungen in vielen Kontexten und in sehr unterschiedlichen Formen präsent. In jeder Hinsicht ergeben sich jeweils unterschiedliche Anknüpfungspunkte für »Transformationen der Antike«. Die Traumerzählungen operieren mit den gegensätzlichen und sich zugleich ergänzenden antiken Konzepten von Träumen, für die auf der einen Seite metonymisch Aristoteles genannt werden kann für ein Konzept, in dem Träume generell natürliche körperliche Ursachen haben und auf der anderen Seite ebenso verkürzt Platon für ein Konzept von Träumen, die transzendenten Ursachen zugeschrieben werden.3 Für das späte Mittelalter hat Steven Kruger eine Somatisierung des Traumes und der Traumtheorie beobachtet, die allerdings niemals in der aristotelischen Weise eine vollständige Ablösung von transzendenten Traumursachen erreicht habe. Stattdessen sei bei Albertus Magnus wie auch auf diesen folgend bei Vinzenz von Beauvais ein komplexes Zusammenspiel von internen, körperlichen (aber auch seelischen) und externen Traumursachen konzipiert worden. Als Kon_____________ 1 2 3

Hierzu z. B. Massing (1986); Poeschke (1994). Für die Frühe Neuzeit vgl. z. B. Alt (2002). Zu den unterschiedlichen Zusammenhängen, in denen Träume in der Antike relevant werden vgl. z. B. Walde (2001) für die Dichtung, Weber (2000) für die Politik, Holowchak (2002) für Medizin und Wissenschaften sowie allgemein die von Gregor Weber eingeführte bibliographische Online-Datenbank »Dreams of antiquity« (zuletzt besucht am 23.6.2008).

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sequenz spiele der Körper des Träumenden eine wesentliche Rolle, um die Bedeutung des Traums und seines Inhaltes bestimmen zu können.4 Die natürlichen Träume, die auch in der frühneuzeitlichen Kategorisierung neben den transzendenten Träumen fungieren, sollen allerdings in meinen folgenden Ausführungen genauso wenig eine Rolle spielen wie die Tagträume. Beide Bereiche rücken hier in den Hintergrund, obwohl ihre Gegenüberstellung und ihre Ergänzung zu den übernatürlich-visionären Träumen das Bild nicht nur vervollständigen, sondern auch wichtige gegenseitige Annäherungen sichtbar machen können, wie sie Kruger bereits fürs Mittelalter konstatiert hat. Im Zentrum meiner Ausführungen werden vier Beispiele aus dem 17. Jahrhundert stehen. Sie sollen das Spektrum der gleichzeitigen und teilweise sehr gegensätzlichen Möglichkeiten vorführen, wie in Auseinandersetzung mit den gleichen Vorstellungen über Träume, die auf der Grundlage antiken Materials geprägt wurden, jeweils deutlich unterschiedene wissenschaftliche Kulturen geprägt werden und den Träumen ein je eigener epistemischer Status zugewiesen wird. In diesen Traumerzählungen wird zugleich, in allelopoietischer Weise, eine jeweils eigene Antike konstruiert: Der jeweilige antike Referenzbereich erhält eine spezifische Gestalt. Beginnen werde ich mit einer Traumerzählung von Johannes Kepler, der in mehreren Texten Träume auf unterschiedliche Weise mit wissenschaftlichen Inhalten in Verbindung bringt. Der meistdiskutierte Text ist das Somnium, die Traumerzählung einer lunaren Astronomie, dessen komplizierte Kontextualisierung bei der Erzählform und der elaborierten Darstellung mit einem umfangreichen Apparat beginnt und mit dem behaupteten Zusammenhang mit der Biographie von Keplers Mutter und ihrer Anklage als Hexe nicht endet.5 In den Vordergrund stelle ich hier stattdessen die abschließenden Absätze der Weltharmonik, die Kepler 1619 hat drucken lassen und mit einer Widmung an den englischen König Jakob I. versehen hat. An dieser exponierten Stelle platziert er eine Vision, die sich ganz explizit in eine platonische Tradition stellt. Anschließend gehe ich auf den Fall des Johann van Helmont ein und diskutiere alchemische Traumvisionen, bevor ich die Argumentation der französischen Libertins über die Realität von Visionen vorstelle.

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Kruger (2002). Die Literatur zu Keplers Somnium ist zahlreich. Vgl. als eine der neuesten Auseinandersetzungen, die die Forschung recht zuverlässig anführt: Swinford (2006).

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I. Adaption von Antike: Johannes Kepler Es ist in der Frühen Neuzeit strittig, ob Träume einen möglichen und – das ist eine zweite Frage – einen legitimen Weg zur Erkenntnis bieten.6 Diesen Fragen wird in unterschiedlichen kulturellen Kontexten in unterschiedlicher Weise nachgegangen, sie werden unterschiedlich beantwortet, sie werden auch für die einzelnen wissenschaftlichen Disziplinen unterschiedlich in Anspruch genommen. Keplers Weltharmonik ist nun ein Beispiel, wie eine als philosophisches Vorrecht präsentierte Fähigkeit zur Vision von dem Astronomen für sich in Anspruch genommen wird. Johannes Kepler, geboren 1571, war Astronom und Astrologe am Hof Kaiser Rudolf II. in Prag und starb 1630. Kepler stellt in seinen Harmonices Mundi libri V die musikalische Harmonie dar, die sich in dem für alle Planeten gleichen Entfernungsverhältnis von der Sonne zur Umlaufbahn zeige. Am Ende des gesamten Werkes, im 10. Kapitel des Fünften Buches (astronomisches und metaphysisches Buch), findet sich eine in die Form eines Traumes gekleidete philosophische Spekulation. Kepler beruft sich explizit auf die philosophische Tradition des Cicero (mit dem Somnium Scipionis) und des Plato, als er die Harmonie des Universums und der Planeten darstellt. Explizit ist es auch die neuplatonische Tradition, auf die er sich beruft, in dem er Proklos und Pythagoras aufruft. In einer erläuternden Marginalie und in einleitenden Sätzen präzisiert Kepler den Charakter des Absatzes. Wichtig ist ihm nicht, Plato in so weit nachzuahmen, dass er einen Mythos in seine Darstellung einarbeitet, wichtig ist ihm, einen visionären Text in Nachfolge von Philosophen zu schreiben: Da dem so ist [Kepler in Marg.: Es mag gestattet sein, im Fabulieren den Plato mit seiner Atlantis, und im Träumen den Cicero mit seinem Scipio nachzuahmen], so mag es nicht verwunderlich sein, wenn jemand, der aus dem Mischkrug des Pythagoras, den Proklus gleich im ersten Vers seines Hymnus einem zutrinkt, einen etwas zu kräftigen Zug getan hat und dadurch warm geworden ist, durch die so überaus liebliche Harmonie des Chors der Planeten eingeschläfert wird [in soporem datus] und zu träumen anfängt [somniare incipiat]: Auf die Planetenkugeln, die von Ort zu Ort rings um die Sonne wandern, sind die diskursiven oder schlußweise vorgehenden geistigen Vermögen verteilt. Als vorzüglichstes und vollkommenstes von diesen hat jenes zu gelten, das sich auf der mittleren jener Kugeln, d.i. auf der Erde des Menschen, findet. In der Sonne aber wohnt der einfache Intellekt, das Geistfeuer oder der Nus, die Quelle der Harmonie, wer immer dieser Geist sein mag. […] Wenn wir im Hinblick auf die Mannigfaltigkeit der Werke und Pläne Gottes, die wir auf unserer Erdkugel schauen, mutmaßliche Schlüsse auch der anderen Kugeln ziehen! […] So wenn die Geschlechter der Lebewesen auf unserer Erdkugel im Dodekaeder das Bild des Männlichen, im Ikosaeder das Bild des Weiblichen und in der göttlichen Proportion jenes Paares und in seiner Unaussprechlichkeit das Bild der Zeugung besitzen, welche

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Vgl. Schirrmeister (2002), sowie Clark (2007) mit dem Kapitel »Dreams: The epistemology of Sleep«, 300–328; daneben Broughton (2005).

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Albert Schirrmeister Besonderheiten werden dann wohl die übrigen Kugeln von den übrigen Figuren erhalten haben? Wozu dient es, wenn den Jupiter vier, den Saturn zwei Monde umkreisen, wie dieser unser einziger Mond unseren Wohnsitz? […] Rufen nicht schon die Sinne aus, hier wohnen feurige Körper, die einfache Geister bergen, und die Sonne ist in Wahrheit zwar nicht die Königin, aber doch wenigstens das Königsschloß des Geistfeuers? Ich breche absichtlich den Schlaf und die uferlose Betrachtung ab, indem ich nur mit dem königlichen Psalmist ausrufe [Abrumpo consulto et somnum et speculationem vastissimam; tantum illud exclamans cum Psalte Rege]: Groß ist unser Herr und groß seine Kraft und seiner Weisheit ist keine Zahl. Lobpreist ihn, ihr Himmel, lobpreist ihn, Sonne, Mond und Planeten.7

Der Astronom schreibt (träumt) den Planeten ontische Positionen zu, er denkt über die Besonderheiten der Planeten nach. Kepler erkennt auf den Planeten jeweils Bilder der Lebensprinzipien und geistiger Hierarchien. Wenn schon die Sinne eine zwangsläufige Erweiterung erkennen, so ist es Aufgabe des philosophischen Geistes, darüber zu spekulieren. Mit dem am Ende stehenden, hier deutlich gekürzten psalmierenden Gotteslobpreis stellt sich der Autor in einen theologischen Kontext. Bereits Peter Barker und Bernard Goldstein haben den religiösen Hintergrund für Keplers Forschungen nachgewiesen, die ihn erst dazu führten, das Universum als göttlich geplant und deswegen messbar zu verstehen.8 In den hier zitierten Formulierungen ist noch eine weitere Bewegung nachweisbar: Keplers astronomisch begründete philosophische Spekulation wird geradezu zum Gottesbeweis. Direkt in Anschluss an die Veröffentlichung seiner Harmonik geriet Kepler in eine scharf geführte Auseinandersetzung mit Robert Fludd über kosmologische Fragen, nämlich Fludds Lehre über die Korrespondenz zwischen Mikro- und Makrokosmos.9 Kepler griff Fludd wegen seiner hermetischen Bilder und Hieroglyphen an und stellte gegen dessen symbolisches Verständnis seine mathematischen Messungen. Kepler verwarf Fludds Einwände10 in einer Charakterisierung, deren Worte auf ihn selbst zurückfallen könnten: »Des Mannes Rede gleicht der Philosophie, zu der er sich bekennt; man könnte sie eine Traumgeschichte aus schlecht zusammenhängenden Gliedern nennen.«11 _____________ 7

Kepler, Weltharmonik, V. Buch, 10. Kap. (Schluss), 355 f.; Die Marginalie zu Beginn der zitierten Passage im lateinischen Original: Ders., Harmonice Mundi, 367: »Liceat et fabulando PLATONIS Atlanticam, et somniando CICERONIS Scipionem imitari.« 8 Barker/Goldstein (2001), hier v. a. 99 f., 103. 9 Kepler, Harmonice Mundi, Appendix, 373; vgl. dazu den Nachbericht des Hg. Max Caspar, 513–517. 10 Fludd, Monochordium. 11 Kepler in einem Brief an J. Seussius vom 15.7.1622, in: Kepler, Briefe, Nr. 934, 93 ff. »Quin etiam nuper magna causa fuit insurgendi in Somniatricem hanc Philosophiam, cum Robertus de Fluctibus, […], invectivam edidisset in appendicem operis mei Harmonici, cui respondi typis publicis. Quamvis vero scriptor ille omnibus lineis provocasset meam patientiam in somnia sua«; deutsche Fassung: Nachbericht in: Kepler, Harmonice Mundi, 515.

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Allerdings legte Kepler, der doch gerade selber eine Traumvision hatte drucken lassen, auf entscheidende Unterschiede wert. Er wandte sich gegen eine Wissenschaft, die im Verborgenen arbeite, er stellte die Öffentlichkeit gegen Fludds geträumtes Wissen.12 Er stellte gegen die Offenbarungen aber vor allem seine mathematischen Verfahren und sein Können als Astronom. Seine ausgezeichneten beobachtenden Fähigkeiten, die sich so manifestieren, sind Anzeichen für seine geistigen Fähigkeiten, wie er ebenfalls in der Weltharmonik schreibt: Der Geist vermag dies [nämlich zu prüfen, ob die Quantitäten harmonisch sind oder nicht], weil er freien Willen besitzt; er springt nach Gutdünken auf den unendlich vielen möglichen Teilungen der Quantitäten herum, die ihm allzumal im Denken gegenwärtig sind. Die Sinneswahrnehmungen aber, sowie die anderen natürlichen Wahrnehmungen und schließlich die Bewegungen der Körper, durch welche die Wahrnehmungen unterstützt werden, stehen nicht so in der Gewalt des beseelten Wesens, daß sie sich […] gegen die unbrauchbaren verschließen und nur zu den gefälligen hinwenden könnten. […] Wenn die Augen etwas ähnliches vermögen wie der Geist, […] so ist darin nicht so sehr eine Leistung der Augen, sondern eine solche des Geistes mit Hilfe der Augen zu erblicken, wobei es übrigens […] nicht ganz ohne Bewegung der Hände abgeht.13

Wenn Kepler sich also der Form einer visionären Erzählung bedient, dann geschieht dies in einer Bindung an seine wissenschaftliche Praxis, an seine Beobachtungen, an seine astronomische Tätigkeit. Entgegen der grundsätzlichen Vorsicht, sich nicht zu entscheiden, ob dem als Traumerzählung auftretenden Text tatsächlich ein Traum zu Grunde liegt, ist hier die Situation eindeutig genug. In einem Modus der Identifikation, der ebenso introjizierende wie adaptive Momente aufweist, eignet sich Kepler die visionäre Erzählung an, um einerseits seine soziale Position als Astronom am Hof zu verbessern und andererseits die sehr weitgehenden Aussagen, die auf mathematischen Verfahren beruhen, durch eine philosophische Autorität zu stützen.

II. Negation der Antike: Johann Baptist van Helmont In der Auseinandersetzung Keplers mit Fludd deutete sich bereits ein anderer Modus an, Traumerzählungen und Visionen für ein wissenschaftliches Wissen in Anspruch zu nehmen. Dieser zweite Versuch, dem Keplers Traumerzählung in der Weltharmonik ähnlich sieht, bindet sich an die Vorstellung, die Natur verberge geheimes Wissen, das nur den Eingeweihten zugänglich gemacht werde. Wie verfügbar ein solchermaßen verborgenes (aber eben prinzipiell vorhandenes) Wissen ist, ist strittig; allerdings liegt nahe, dass exklusive Verfahren benötigt werden, um es zu erreichen. So schreibt ein Gelehrter aus Aix-en-Provence 1718 _____________ 12 Kepler, Apologia, 446. 13 Kepler, Weltharmonik, IV. Buch, 3. Kap., 223.

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an die Pariser Akademie der Wissenschaften zur möglichen Entdeckung eines perpetuum mobile – und greift damit Bacons Motto für sein wissenschaftliches Werk auf: »Navez vous jamais fait attention que Daniel nous apprend ep 12 n 4 quil y a des sciences que Dieu veut estre cachées jusques au temps quil a predessiné de le laisser decouvrir.«14 Das göttliche Wissen wird so an das Ende der Welt, an die Apokalypse gebunden. Träume können neben anderen visionären Berichten in diesen Kontexten als eine subversive, weil nonkonformistische Möglichkeit erscheinen, für ein ungesichertes Wissen Autorität zu beanspruchen.15 Michael Stolberg hat den Fall des Chemikers und Mediziners Johann Helmont untersucht, der seine medizinischen Methoden mit geträumten Offenbarungen und Visionen rechtfertigte. In englischen Auseinandersetzungen wurde diese von puritanischen Chemikern zeitweilig genutzt, um gegen die etablierte gelehrte Medizin zu agieren.16 Johann Helmont beurteilte die Konsequenzen solcher visionärer Methoden sehr positiv: Während Vernunft nur Meinungen liefern könne, könne sich eine visionäre Methode auf den von ihm stärker eingeschätzten Glauben stützen.17 Van Helmont, der wohl 1578 geboren wurde und 1640 starb, stellte seiner eigenen wissenschaftlichen Methode die als scholastisch diskreditierten, eitlen Universitätswissenschaften gegenüber: Gelernt habe er nur, wie man »künstlich zancken« sollte und sein Studieren haben ihn zwar »zimlich aufgeblasen gemacht«, aber letztlich sei er nackt dagestanden.18 Van Helmont nahm in dieser Charakterisierung ein Schlüsselwort der Wissenschaftskritik des 16. Jahrhunderts auf, mit dem zumal in der englischen puritanischen Diskussion stolzes Wissen und eitle Neugier diskreditiert wurden und wendete es gegen die etablierten akademischen Wissenschaften. Bereits in van Helmonts Geburtsjahr hat der Calvinist Lambert Daneau die »stolzgeschwellte Naturphilosophie« als Ergebnis des Giftes menschlichen Ehrgeizes gebrandmarkt.19 Im Rahmen dieser Polemiken wurde _____________ 14 Archive de l’Académie des Sciences, Pochette des Séances 1718, 8 Janvier 1718: Lettre de Frère Jean Geoffrey, Vaucluse 3 Janvier 1718, concernant le mouvement perpétuel. 15 Vgl. als locus classicus: Ginzburg (1976). 16 Stolberg (2003), 72. 17 Ebd., 68. 18 Ebd. 19 Harrison (2001), 272: »The expression ›puffed up‹ was to become a commonplace in early modem discussions of proud knowledge. It is most familiar from Bacon’s famous reference and has its origins in St. Paul’s observation: ›Scientia inflat caritas vero aedificat [Knowledge puffeth up, but charity edifieth].‹ John Calvin, endorsing Augustine’s view that pride was the cause of the Fall, wrote that ›Adam was denied the tree of the knowledge of good and evil […] to prevent him from becoming puffed up with wicked lust.‹ Another citizen of Geneva, the Calvinist writer Lambert Daneau, spoke in his popular Wonderfvll Woorkmanship of the World (1578) of ›the swellying and puffed Artes of Naturall Philosophie,‹ further suggesting that heathen natural philosophers had been motivated by ›a moste stronge poison of humane ambition.‹ The great preacher Thomas Adams, the prose Shakespeare of Puritan preachers, spoke of ›proud and puffed up‹ ignorance, which arises when ›a man should be persuaded that hee knowes that

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immer wieder diskutiert, wo die Grenzen des erlaubten menschlichen Wissens und der Neugier lägen. Als Grenzmarkierungen wurden immer wieder Praktiken genannt, die über die menschlichen Fähigkeiten hinaus dämonische, damit letztlich teuflische Hilfen in Anspruch nähmen.20 Die Konsequenz für van Helmont war deshalb aber keinesfalls, auf Wissen zu verzichten, sondern experimentelle Verfahren mit einer religiösen Grundlage zu verknüpfen, die sich in der individuellen göttlichen Berufung und Erleuchtung als notwendiger Voraussetzung für alles medizinische Wissen äußere.21 Diese visionäre Qualität zeigt sich bei van Helmont sowohl in einzelnen wissenschaftlichen Erkenntnissen, wie dem in einem Traum erlangten Wissen über die Insemination, wie er es in seinem Aufgang der Artzney-Kunst schildert22 oder aber auch ganz grundsätzlich für alles medizinische Wissen. Im gleichen Aufgang der ArtzneyKunst schildert er einen ausführlichen Traum, in dem er sich mit der antiken medizinischen Tradition auseinandersetzt. Das Ergebnis seiner Vision ist, dass Galen und Avicenna sich zwar auch schon auf die Suche nach dem Grab der Wahrheit durch unterirdische Höhlen und Grotten begeben hätten, aber erst Paracelsus dorthin gelangt sei, wohin noch kein Mensch vor ihm gekommen war. Da diesen aber die Kräfte vorzeitig verlassen hätten, sei ihm van Helmont nachgefolgt. Er habe, so resümiert Stolberg den Traum, allerdings als wichtigstes nicht das medizinische Wissen aus seiner Höhlenerfahrung mitgenommen, sondern die Erkenntnis, dass wahres Wissen nur durch göttliches Licht und nicht durch menschliche Kraft erlangt werden könne.23 Van Helmonts epistemologische Traumerzählung schreibt sich damit bewusst in antike philosophische (Plato) und mythologische (Orpheus) Traditionen ein. Er nutzt diese Traditionen, um sich mit der antiken medizinischen Tradition als _____________

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soundly whereof he is ignorant.‹ All the learning of the philosophers, Adams claimed, served merely to puff them up with pride. Pierre Charron, the French skeptical writer whose Of Wisdome was a popular moral treatise in seventeenth-century England, also claimed that knowledge might serve merely to exacerbate our natural prejudices and stubbornness: learning ›puffeth up‹ and ›bringeth with it presumption and temeritie‹.« Harrison (2001), 275: »But where exactly were the boundaries of worldly learning supposed to lie? The illicit sciences of divination, magic, and witchcraft – ›forbidden knowledge by forbidden means,‹ to use John Milton’s phrase – selected themselves. Lambert Daneau wrote in his Dialogue of Witches (1575) of those who, ›borne away with fonde vanitie of a proude mynde, whyle they are not able to containe themselues within the compas of mans vnderstanding & capacitie, do yeelde themselves vassals to Satan, being desierous to know things to come & to foretell them to other [sic!].‹ Curiosity beyond its proper bounds might thus lead one determined to arrive at that knowledge that could not be had by ordinary means to a Faustian compact with the devil. Once again, the paradigm was Eve, who had been persuaded by Satan to an attempted mastery of forbidden knowledge.« Stolberg (2003), 63. Ebd., 69, Van Helmont, Aufgang, 1224–1227 zitierend und paraphrasierend. Stolberg (2003), 67.

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Grundlage seiner zeitgenössischen akademischen Medizin auseinanderzusetzen und sie als einen ganz grundsätzlichen Irrweg zu verwerfen. Eine theoretische und explizite Auseinandersetzung mit anderen Traumtheorien oder Traumauffassungen findet dagegen, soweit ich sehe, nicht statt. Für van Helmont ist es, wie seine Traumvision belegt, völlig indiskutabel, sich auf antike medizinische Vorbilder zu berufen. Das bedeutet allerdings nicht, dass antike Vorstellungen in van Helmonts Konzepten nicht präsent wären. Aufgrund einer weiteren, ebenfalls bereits von Stolberg zitierten Traumvision erklärt van Helmont die Zeugungsprozesse. Einerseits versteht er die Insemination in Anlehnung an die aktuellen naturwissenschaftlichen Diskussionen als einen Vakuum-Effekt.24 Umgekehrt vertritt er gleichzeitig mit der Vorstellung der gekammerten Gebärmutter, in der sich der Samen verteilt, ein antikes Konzept – mit der Kammerung wurde auch die Existenz von Zwillingen zu begründen versucht.25 Genauso werden die in den antiken Schriften geprägten Kategorisierungen von Träumen aus seinen eigenen Traumdarstellungen konsequent ausgeblendet. – Dass Galen ebenfalls Heilmittel im Traum gefunden hat, wird eben nur ex negativo thematisiert: Galen hat sich auf die Suche begeben und habe dann mit seinen Schülern Irrtümer verbreitet. In mehrfacher Hinsicht bedient sich van Helmont einer Negation der Antike: Es sind die wissenschaftlichen Inhalte ebenso wie die wissenschaftlichen Verfahren, von denen er sich ostentativ abgrenzt. Der Referenzbereich seiner Traumerzählungen ist allerdings nicht das antike Traumwissen, sondern das antike medizinische Wissen. Antike Wissenschaft dient ihm als Folie, vor der sich seine eigenen Erkenntnisse und Erkenntniswege umso deutlicher abheben sollen.

III. Alternative Antike: Hermetismus und Alchemie Van Helmont rückt mit seiner in Abgrenzung von den wissenschaftlichen Traditionen gewonnenen Stilisierung in die Nähe der Figur eines Magiers. Er geht damit _____________ 24 Stolberg (2003), 66: »Die gottgegebene visionäre Grundlegung seiner medizinischen Erkenntnis insgesamt diente van Helmont als die entscheidende Quelle der Autorisierung seiner Theorien. Zuweilen führte er auch medizinisches Detailwissen auf solche Visionen zurück. ›Die Anfänge unserer Zeugung‹, so berichtete er beispielsweise, habe er ›in einem Traum-Gesicht gesehen‹ und wolle sie nun ›mit der Feder beschreiben, so viel sich mit Worten will thun lassen.‹ Der Traum habe kaum eine ›halbe viertel Stunde‹ gedauert, habe ihm aber ›gleichsam als in einem Spiegel des Dinges selbst, alle die aufeinanderfolgende Wechsel der Geburt‹ vorgeführt. Auf der Grundlage dieses (angeblichen) Traums deutete er beispielsweise die Insemination nicht mit einem abstrakten ›Anziehungsvermögen‹ der Gebärmutter, sondern als physikalisches Phänomen, als Vakuum-Effekt. Er sah nämlich im Traum, wie die Gebärmutter ›mit Falten durch eine unvergleichliche Kunst zusammen gezogen ist, welche sich bey vorhabender Empfängnis durch ihren eignen Magartischen Trieb aufthut, und zwar eben soweit als sich der Samen erstreckt.‹ Durch diese Ausdehnung der Falten entfalte die Gebärmutter eine Saugkraft, die es ihr erlaube, den Samen in sich hineinzuziehen, ›damit nichts leer bleibe‹.« 25 Ich danke Nicole Karafyllis für viele, speziell für diese Hinweise.

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allerdings Risiken ein, denen er sich zumindest teilweise bewusst zu sein scheint, da er gegenüber dem einflussreichen Pater Mersenne betont, seine Aussagen beruhten auf Beobachtungen und Experimenten – Experimenten, die er nicht alle gemacht haben kann, die er aber allein in der von ihm beschriebenen Weise für wahr hielt.26 Bereits Marcel Mauss hat beschrieben, dass der Magier seine Gegenwart in einer erzählten Repräsentation realisiert und er hat die starke Affinität des sozialen Phänomens Magie zu Technik und Wissenschaften betont, mehr noch als zur Religion.27 Auf die skeptischen Meinungen reagierend, wie sehr der Hermetismus eines Marsilio Ficino überhaupt zur Wissenschaftsgeschichte beigetragen hat, hat Paola Zambelli mit Bezug auf De amore erst kürzlich darauf hingewiesen, dass die Verbindung nicht über eine kodifizierende Wissenschaft sondern in einem Verständnis einer erneuernden Wissenschaft zu finden ist.28 Marsilio Ficino hat im 15. Jahrhundert für sich in Anspruch genommen ein Magier zu sein, nach ihm sind Paracelsus und Agrippa von Nettesheim in dieser Hinsicht die zentralen Figuren für das 16. Jahrhundert.29 Für Ficino sind Träume die bevorzugten Orte göttlicher Inspiration, auf ihn folgt im 16. Jahrhundert besonders Girolamo Cardano, der in seiner Autobiographie an entscheidenden Stellen von Träumen berichtet, in denen ihm neues Wissen zuteil wurde oder nach denen er seinem Lebensweg eine neue Richtung gegeben hat.30 Die Akteure allerdings, denen die engste Verbindung zu magischen Praktiken zugeschrieben wird, sind die Alchemisten. Sie haben immer wieder Beschreibungen von empirischen und experimentellen Praktiken mit einleitenden, eine neue Welt erschließenden Traumerzählungen verbunden. Die Alchemiker befinden sich akademisch in einer selbstgewählten marginalen Position, die zugleich als exklusiv markiert wird, da ihr Wissen nur ausgewählten Adepten zuteil wird. Die sozialen Orte der Alchemie gleichen die akademische Marginalisierung zusätzlich aus: Ort der Alchemie ist in der Frühen Neuzeit der Hof.31 Diese Exzentrität und Exklusivität ist auch an den Orten alchemischer Träume ablesbar. Sie werden in mehrfacher Hinsicht außerhalb gelehrter Kontexte gestellt. Zum einen befindet sich der Träumende häufig im Freien, zum anderen spielt sich der Traum nahezu in jedem Fall in einer Reihe sehr unterschiedlicher Landschaften ab. Die grund_____________ 26 Stolberg (2003), 66. 27 Mauss (1976), 172. Vgl. auch 174: »Die Magie hängt mit der Wissenschaft ebenso zusammen wie mit den Techniken. Sie ist nicht nur eine praktische Kunst, sondern auch ein Schatz von Ideen, sie mißt der Erkenntnis eine äußerst große Bedeutung bei und in ihr sieht sie eine ihrer wichtigsten Aufgaben, denn wir haben ja gesehen, daß Wissen für sie gleich Macht ist.« 28 Zambelli (2007), 45 f.: »I think the McGuire-Schmitt thesis is valid primarily in the field of the history of science; to be more specific: this thesis is correct in the case of codification rather than of invention of science.« 29 Zu Agrippa und Paracelsus vgl. Zambelli (2007), 43 ff., 115–190. Zu Ficino: Bokdam (1995). 30 Toussaint (1999), 80 ff., Kodera (1999), 93 f.; zu Cardano: Grafton (1999), 336 ff. 31 Umfassend dazu Smith (1994).

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legende Rolle dieser Kulisse und von Gärten als Orten mystischen Wissens kann hier nur angedeutet werden.32 Als wesentliche Voraussetzung visionäre Träume zu haben, galt den Alchemikern der unbedingte Wunsch nach Wissen. Im Gegensatz zu neuplatonischen Auffassungen und den strengen kategorialen Trennungen von Träumen und Visionen wurden bei den Alchemikern explizit Ekstase und Traum ununterscheidbar. Gleichzeitig wurde die Bedeutung einer diätetischen Vorbereitung aufs Träumen, die bei Giambattista della Porta (1535–1615) mit der genauen Angabe, welches Essen welche Träume begünstigen bzw. hervorrufen könnte, ebenso ausdrücklich abgelehnt. Als Beispiel nenne ich hier David Lagneau mit seiner Harmonie mystique, gedruckt in Paris 1636 (zuerst 1611 als Harmonia seu consensus philosophorum chemicorum): Lagneau leitet seine Traumerzählung ein mit den Worten, dass er sich auf den Traum in keiner Weise vorbereitet habe, dass er nichts vorher von dem gegessen habe, was für solche Aktionen angeraten werde. Zudem könne er weder entscheiden, ob es sich um einen Traum oder eine Vision gehandelt habe, noch könne er sagen, ob er wach gewesen, geschlafen habe oder sich in einer Ekstase befunden habe. Allerdings habe sich der Traum – für diese Bezeichnung entscheidet er sich nun – so in sein Gedächtnis eingeprägt, dass allein der Tod ihn wieder auslöschen könne (und selbst dann müsste es wohl möglich sein, wenn man seinen Kopf geöffnet habe, dort noch etwas von diesem Traum lesen zu können – doch bittet er, darauf zu verzichten, da man ihm wohl weh tun würde).33 Im Grunde handelt es sich um eine ganze Serie von Träumen, die Lagneau als zusammenhängend erkennt, die ihm aber nicht in einem Stück von seinem directeur des songes hätten geschickt werden können, da er nicht nur spät zu Bett ginge, sondern auch früh aufstehe.34 Einige Charakteristika, die alchemische Traumvisionen von anderen Träumen unterscheiden, sind ihre klare Erkennbarkeit der Träume und die außerordentliche Länge der Träume, die geradezu Traumreisen darstellen. Die Alchemiker werden durch ihre Träume von alten, weisen Männern geleitet – in Marginalien wird in den Drucken auf die Rollen dieser Lehrer teilweise ausdrücklich hingewiesen, so _____________ 32 Kretzulesco-Quaranta (1986), 318: »Poliphile s’endormit à l’aube, dans les pleurs et l’angoisse. Il fut délivré de son tourment au cours d’une vision. Ce dénouement n’eut lieu que parce qu’il avait eu le courage, pendant la nuit de délire, d’invoquer la Sagesse divine et de se nouer à elle.« 33 Lagneau, Harmonie mystique: »je veux vous contenter, mais de vous assurer si c’est songe ou vision, je ne le puis aussi peu que si c’était en dormant, ou veillant ou en extase; mais une chose sais-je bien: que tel qu’il a été, il s’est tellement imprimé dans ma mémoire que je crois que rien que la mort ne l’en pourra effacer, et même après icelle, si l’on ouvre ma tête, j’ai quelque opinion qu’on y en pourra encore lire quelque chose, mais je ne conseille pas qu’on le fasse, car on me pourrait faire mal.« 34 Ebd., »Venons-en donc au songe, lequel a été réitéré en moi souvent, et non tout à la fois; car, me couchant tard et me levant matin, le directeur des songes n’a pu m’exposer toute cette fabrique en si peu d’espace de temps. Ç’a donc été le commencement le premier jour de la Lune, et faut noter que je n’avais mangé à mon souper aucune chose propre et recherchée pour telles actions.«

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steht z. B. im Flambeau de la Philosophie Naturelle die Marginalie »Le philosophe qui enseigne«. Häufig werden mehrere Ortswechsel vorgenommen, und an jedem Ort werden den träumenden Adepten verschiedene Elemente der alchemischen Verfahren, sowie Stadien und Repräsentationen von Wissen vorgeführt, bis hin zu der ausdrücklich den Vorgang des Wissenserwerbs als göttliche Inspiration klassifizierenden Marginalie: »C’est-à-dire par inspiration divine.«35 Eine Deutung der Träume geschieht teilweise innerhalb des Traumes, teilweise aber auch erst im Anschluss daran, nach einem erschreckten Aufwachen. Dies gilt für den Nodus sophicus enodatus. Dort erhält der Träumende Aufschluss über die Bedeutung seines Traums durch Mercurius, den Götterboten. Eingeleitet wird der Traum durch die üblichen Ortsveränderungen, die Wegbegleitung und Anleitung durch einen weisen alten Mann: Einsmahls war mit einem sehr tieffen Schlaff ich umbgeben und eingenommen / und es traumete mir / und sihe / ich sahe einen hohen Berg der thaet sich gar weit auff und theilete sich von einander: Unten im Thal aber war gar ein enger Weg. Aus demselben Berg gieng gegen mir heraus ein feiner Erbarer Mann / hohes Alters / der war bekleidet mit einen langen grünen Mantel oder Rock auff den Huth hat er eine schwarze Binden / am Halß ein weiß Feldzeiches / einen gelben Riemen umb den Leib / und darzu auch rothe Schuh an den Füssen.36

Nach einer Reihe von Traumvisionen, deren aufgeladene Bedeutung durch viele farbliche und personale Akzentuierungen kenntlich gemacht werden37, wird das Versprechen der Ausdeutung seines Traums nach einem erschreckten Erwachen mit der strikten Aufforderung verbunden, die mitgeteilten Dinge geheim zu halten: Ob diesen Ebentheuer erschrack ich anfänglich gantz sehr und war mir sehr bang / also / das aus den Schlaff ich auch erwachete. Ich dachte bey mir hin und her / was doch dieses Bild und Traum bedeuten möchte / bate die Götter inniglich / daß dieses Traumes Bedeutung eröffnen und sein Außlegung aus grosser Barmhertzigkeit mir widerfahren lassen wollten. Und diß geschah auch also: Denn in den herumb sehen / werde ich des Mecurij, Deorum nuncij gewahr / der nahe bey mir stunde / der sprach zu mir: Mein Freund bekümmer dich nicht so sehr / die Götter haben mir befohlen / daß deinen Wuntsch und Begehren ich erfüllen soll / und von diesem Gesicht gründlich dich berichten / vernimb meine Rede wohl / höre mit Fleiß / solcher Sachen

_____________ 35 Le Flambeau de la Philosophie Naturelle, 10 ff. 36 Nodus Sophicus enodatus, 36 ff. 37 Ebd., 38: »Neben ihme gieng ein gar altes Weib / von hundert Jahren alt / die hatte gleichfals einen grawen Rock an / eine schwarze Mütze auff ihren Häupte / mit schneeweissen Zahlperln besetzt / und inwendig mit rothen Taffent gefüttert / mit blawer und gelber Seiden gesticket und gantz künstlich durch genehet: Der Mantel war mit allerhand Türckischen Farben und Indianischen Figuren erhöhet. Diesen altern Mütterlein folgete hinden auff den Fuß nach eine schöne Jungfraw mit entblöster und verwundter Brust / daraus Blut und Wasser trüpfete.«

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Albert Schirrmeister seynd gar wenig vermeldet worden / und halte diß bey dir in grosser Geheimb / denn diß wird dir helffen von deinem Irrthumb / darinnen du viel Jahr anhero gestecket bist.38

Auf diese mehrfach akzentuierte exklusive Position des Träumenden folgt eine Ausdeutung des Traumes über fast zwanzig Seiten, in der eine alchemische Tradition konstruiert wird, indem auf andere Alchemiker (u. a. Nicolaus Flamel) verwiesen wird. Die Ausdeutung endet mit einem Dankesgebet: Da fiel ich nieder auff mein Angesicht / danckete den Göttern / und preisete ihre grosse Thaten / verwunderte zugleich mich nicht ohne Bestürzung / was für ein heimlichs in die Creaaturen sie geleget hatten / und sonderlich in das Gold / welches unter sieben das höheste ist / und das Königliche Metall genandt wird bey allen Philosophis / in welchen auch alleine steckt der gröste Schatz der Könige / so es in seine Geistligkeit gebracht wird / auff Reichthumb und langes Leben in dieser Welt. Als ich aber mich weiter auffrichtete / sahe ich meinem getrewen informatorem auch nit mehr / ohn allein daß ich von ferne in der Lufft hörete eine Stimme / die sprach: DeVs sVa bona VenDIt LaborIbVs & DoLorIbVs. Und es ward Tag.39

Es ist bekannt, und die Nennung Merkurs als Traumdeuter markiert es auch deutlich, dass das Corpus Hermeticum und Hermes Trismegistus die entscheidenden Bezugspunkte für die alchemischen Visionen darstellen. Das von Marsilio Ficino herausgegebene und übersetzte Buch Pimander des Corpus Hermeticum beginnt mit einer ebensolchen Vision: Als sich Hermes mit den Dingen der Natur beschäftigt und seinen Sinn den höheren Dingen zugewendet habe, seien seine Sinne eingeschlafen, ganz so wie bei jemandem, der müde oder satt von Schlaf befallen werde. Er habe eine übergroße Gestalt gesehen, die ihn angesprochen und aufgefordert habe, auszusprechen, was er begreifen und erkennen möchte. Nachdem sich die Gestalt als Pimander, der Geist mit göttlicher Macht zu erkennen gegeben hatte, habe Hermes erklärt, er wolle die Dinge der Natur und Gott erkennen.40 _____________ 38 Nodus Sophicus enodatus, 39. 39 Ebd., 45. 40 Ficino, Pimander (http://diglib.hab.de/drucke/64-9-quod-2/start.htm?image=00000005): »Mercurii Trismegisti liber de Potestate & Sapientia Dei: e Greco in latinum traductus a Marsilio Ficino Florentino: ad Cosmum Medicem Patrie patrem. Pimander I[ncipit]. Cum de rerum natura cogitarem / ac mentis aciem ad superna erigerem: sopitis iam corporis sensibus / quemadmodum accidere solet iis / qui ob saturitatem / uel defatigationem somno grauati sunt: subito mihi visus sum cernere quendam immensa magnitudine corporis / qui me nomine vocans / in hunc modum clamaret. Quid est o Mercuri: quod et audire / et intueri desideras? Quid est quod discere atque intelligere cupis? Tum ego quisnam es inquam? Sum inquit ille Pimander mens diuine potentie / ac tu uide quid uelis: ipse uero tibi ubique adero. Cupio inquam rerum naturam dicere: deumque cognoscere.« Corpus Hermeticum Deutsch, 10: »Hermes Trismegistos: Poimandres. 1. Als ich einmal in Gedanken über das Seiende war und mein Denken sich in große Höhen erhob, während meine sinnlichen Wahrnehmungen ausgeschaltet waren, die wegen Übersättigung an Speisen oder körperlicher Ermüdung von Schlaf überwältigt sind, da glaubte ich, eine übergroße Gestalt von un-

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Ficinos Übersetzung trifft an mehreren Stellen Entscheidungen, die relevante Verschiebungen bedeuten. Die erste Entscheidung macht die Anschlussfähigkeit für die naturwissenschaftlich interessierten Alchemiker deutlich klarer: Ficino übersetzt »IJ੹ ՑȟIJį« an beiden Stellen nicht mit ›Ideen‹ oder – wie in der modernen deutschen Übersetzung des griechischen Textes – dem ›Seienden‹, sondern mit »rerum natura«.41 Die Vision des Hermes wird zudem eindeutig als ein Traum geschildert. Ebenso wie in der oben zitierten Schrift über den Stein der Weisen wird Hermes von der Erscheinung des Geistes und der ihm gewährten Erkenntnis erschüttert.42 Doch obwohl die hermetischen Schriften christlich eingefärbt wurden, stehen sie als alternative kulturelle Referenz, die ihren Akteuren sogar einen exklusiven Zugang zum Wissen zuerkennt, nicht nur außerhalb des akademischen Diskurses, wie die Kritik von Kepler an Fludd vorführte, sie geraten gerade wegen ihrer visionären Träume unter den Verdacht der Häresie. Dass Gott seinen Propheten Offenbarungen durch Träume vermittelt hat, war 1584 für Reginald Scot in seinem Buch über die Hexenkünste eine Selbstverständlichkeit. Doch nun, nachdem Christus gekommen ist, ist es für ihn ein blasphemischer Gedanke, dass Träume Offenbarungen vermitteln könnten: Träume sind allein innere Aktionen des Geistes.43 Mit Hilfe von Träumen Wissen zu erlangen, wird von den Dämonologen als Versuch diskreditiert, verborgenes Wissen zu erlangen, dass nur mit Hilfe des Teufels erreichbar und deswegen verboten ist.44 _____________

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ermeßlicher Größe riefe meinen Namen und sagte zu mir: ›Was willst du hören und sehen und im Geiste begreifen und erkennen?‹ 2. Ich sage: ›Wer bist denn du?‹ Er antwortet: ›Ich bin Poimandres, der Geist, der die höchste Macht hat. Ich weiß was du willst, und stehe dir stets zur Seite.‹ 3. Ich entgegne: ›Ich möchte das Seiende begreifen und seine Natur verstehen und Gott erkennen.‹« Vgl. die Bemerkung des deutschen Übersetzers Jens Holzhausen in Corpus Hermeticum Deutsch, 10, FN 16: »IJ੹ ՑȟIJį meint an beiden Stellen […] ›wie die Dinge sich in Wahrheit verhalten‹«. Ficino, Pimander (http://diglib.hab.de/drucke/64-9-quod-2/start.htm?image=00000006): »Hec ipse percepi per pimandri verbum: qui me stupore attonitum / sic iterum affatus est.« Holland (2002), 131: »[Reginald] Scot himself [in: The Discoverie of Witchcraft, 1584], while accepting that in the past God used to make revelations to his prophets in dreams, is now unwilling to believe that there is any such form of divine revelation in dream visions: dreams ›are the inward actions of the mind in the spirits of the braine, whilest the bodie is occupied with sleepe‹ [101], and the very idea that dreams could still be revelatory is for Scot almost blasphemous, for ›if we expect revelations in our dreames, now, when Christ is come, we shall deceive our selves: for in him are fulfilled all dreames and prophesies‹ [107]. Scot’s greatest venom, even beyond the stupidity of those who trust their dreams, is reserved for those who set themselves up as analysts [101].« Harrison (2001), 275: »In his Daemonologie (1597) James I described the process through which curiosity would eventually lead to the darker arts of magic. Certain learned men, he wrote, ›mounting from degree to degree, vpon the slippery slope and vncertain scale of curiositie,‹ are ›at last entised, that where lawful artes or sciences fails, to satisifie their restlesse mindes, even to seeke to that black and vnlawful science of Magick.‹ In this manner they

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IV. Rekombination als Assimilation: Die Libertins Mit ihren Traumvisionen gerieten die Alchemiker damit unter den gleichen Verdacht, unter dem auch die Hexen standen.45 Der Kapuzinerprediger Jacques d’Autun (oder Jacques de Cheva(n)nes, ca. 1608–1678),46 dehnte die Diskussion über die Realität von Hexenflügen und dämonischen Einflüssen darüber hinaus aber auf weitere Gelehrte wie Girolamo Cardano und Julius Scaliger aus. Dies geschah in einer ausführlichen, erbitterten Auseinandersetzung mit Gabriel Naudés Apologie für diejenigen Persönlichkeiten, die fälschlich der Magie beschuldigt worden seien.47 Grundsätzlich handelte der Streit um die Frage, ob es sich beim Hexensabbat um reale Flüge handeln könnte und entsprechend darum, ob es sich bei den von Cardano und Scaliger für sich in Anspruch genommenen persönlichen Dämonen um reale Wesenheiten handelt. Der französische Libertin Gabriel Naudé (1600–1653) hatte in seiner Apologie dafür plädiert, die Dämonen als metaphorische Rede zu verstehen, die sich der Bescheidenheit der Autoren verdankten, die ihre intellektuelle Brillanz hätten kaschieren wollen. Jacques d’Autun hingegen geißelte neben der ignoranten Leichtgläubigkeit den »gelehrten Unglauben« (»l’incrédulité savante et la crédulité ignorante«48), die den Hexenflug als einen Traum exkulpieren, und entlarvte im Gegenteil die Maskierung des Flugs als eine List des Dämons.49 _____________

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re-enact that original sin of Adam, who by seeking to increase his knowledge extended what he knew only to what was evil: ›and their knowledge, for all that they presume thereof, is nothing increased, except in knowing evil […] as Adam’s was by eating of the forbidden tree.‹ Reginald Scot, in his classic work on the black arts, The Discoverie of Witchcraft (1584), condemned ›the curiositie of figure casters, the vanitie of dreamers.‹ The charge was repeated by William Perkins, who asserted that curiosity leads to ›the cursed art of Magick and witchcraft, as a way to get further knowledge in matters secret and not reueiled.‹ Curiosity, according to Anthony Burgesse, was the author of ›those Magick Arts and Witchcraft, which have abounded in the world; as also in Judicial Astrology, and such deceitful impostures‹.« Hierzu die grundlegenden Ausführungen von Claudia Swan (2005). Die Literatur zu ihm ist spärlich, die biographischen Artikel in den folgenden Nachschlagewerken konzentrieren sich auf seinen Spiritualismus und seine Predigttätigkeiten, von denen sie den hier behandelten Traktat trennen: Dictionnaire d’Histoire et de Géographie ecclésiastiques XXVI, 624; Dictionnaire de Spiritualité VIII, 27–29. Naudé, Apologie. Jacques d’Autun, L’incrédulité scavante, 834: »Crédulité des Ignorans […] attribuent au Sorcier l’ouvrage du Démon«. Ebd.: »Sabat des Sorciers […] quelque fois ils y vont en Songe« [771], »Sages & Magiciens, Sinonymes« [959]. »Scaliger confesse avoir un Genie« [1062], »Songes, ceux qui vont au Sabat en Songe, y ont estés réellement« [621]; »Discours XIII, Les sorciers vont quelquefois au Sabat en songe, doncque, ils n’y vont iamais autrement. Examen de cette consequence.« [777]: C’est l’artifice dont il se sert, quand il tire plus d’avantage du sommeil, qu’il ne feroit de sa veille: car quelque pacte qu’il ait fait avecque luy sans scrainte il le viole […] car quand les Juges sont convaincus, que ceux qui confessent avoir esté au Sabat durant la nuit de leur transport imaginaire, ont esté trouvez endormis dans leur lict, ils se fortifient dans leur Incredulité, & se per-

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Es ist offensichtlich, dass dieser Streit an den konkreten Fragen des Hexenflugs und der Inspiration der Gelehrten die viel grundsätzlichere Frage aushandelt, ob es zwei Welten gibt, die miteinander in Kontakt stehen oder ob es, wofür Naudé plädiert, nur eine einzige Realität gibt. In diesem Fall würden die Gelehrten keinen exklusiven Zugang zu einer übergeordneten Wirklichkeit behaupten, um ihr Wissen zu erlangen und wären vom blasphemischen und dämonischen Verdacht befreit. Naudé versetzt mit seiner Argumentation den Kapuzinerpater deshalb regelrecht in Zorn. Jacques d’Autun möchte nicht akzeptieren, dass Naudé die neuplatonische Auffassung Cardanos, der sich in eine Reihe mit Plotin und anderen gestellt hatte50, ebenso ignoriert wie die antike Vorstellung, dass es in die Wirklichkeit hinein wirkende Dämonen gebe.51 Naudé deute die Geschichte mit einem ebenso simplen wie unzulässigen Kunstgriff allegorisch um, so sein Vorwurf.52 Diese Klage läuft darauf hinaus, dass Naudé gewissermaßen den Habitus des melancholischen Gelehrten innerweltlich konstruiert hat. Traum und visionäre _____________ suadent que toutes les abominations, qui se commettent au Sabat, sont des illusions & des songes.« 50 Vgl. Cardano, Propria Vita liber, Fol. e [!]: Gabrielis Naudaei de Cardano Iudicium [e iiii recto]: »At Hercle si daemon ille Socraticus, non multum diversus fuerit ab eo quem Cardanus sibi comitem fuisse iactar, vereor ne pro fabula uterque deinceps habeatur. Nam quod ad postremum attinet, mirum est quam exaesis & debilibus fulcris innitatur, imo ver quam vanis & ridiculis notis se Cardano prodiderit, primum enim per somnia et strepitus monere eum consueverat: deinde vevero magis adhuc innotuit cum Cardanus, quemadmodum subdit Thetim, sine ullo medicamento liberatus est hernia intestinorum in latere dextro, liberatusque etiam ab virgine urinae: demum que palpitationem cordis, & aurium tinnitum excitavit: sed frustra, neque enim haec omnia satis esse Cardano potuerunt, quominus capite xlvii. de vita sua dixerit, Mihi fuisse bonum et misericordem spiritum diu persuasum est, sed qua ratione me certiorem redderet de imminentibus nonnisi exacto anno vitae lxxiv. deprehendere, dum vitam meam conscribere adortus sum potui.« 51 Jacques d’Autun, L’incrédulité, 777: »De tout ce discours l’Apologiste veut tirer une consequence, que les Philosophes accusés d’avoir eu des Diables familiers, n’estoient pas Magiciens, & que les merveilles qu’ils faisoient par l’assistance des Demons, estoient des operations de leur esprit sublime, & de leur prudence extraordinaire, qui faisoient attribuër à leur Genie la gloire de leur conduite. Il faudroit renoncer à la raison & à l’Histoire, pour dire qu’il n’y a point eu d’autres Genies, que la Raison & la prudence: les Anciens reconoissoient diverses sortes de Genies, des Publics & des Particuliers; les Publics, estoient ceux qui prenoient les Monarques pour le gouvernment de leurs Etats; les particuliers avoient le soing de ceux, qui dés la naissance estoient commis à leur conduite & on les appelloit Genies, comme nays avecque les Hommes, dont ils prenoient la charge […].« 52 Jacques, d’Autun, L’incrédulité, fährt 1042 fort [mit Bezug auf Naudés Apologie, 313 in der dieser den Dämon des Sokrates als Metapher bezeichnet für »la bonne règle de sa vie, la sage conduite des ses actions, l’experience qu’il avoit des choses & le resultat de toutes les vertus qui formeront en lui cette prudence«.]: »Les opinions nouvelles ne sont preferables aux anciennes, ny le sentiment d’un particulier, à la creance commune, quand elle est fondée sur l’authorité des personnages dignes de foy. Bien moins est-il permis de destourner la verité de l’Histoire en un sens allegorique; tous ceux qui ont precedé Apulée, ont attribué la conduite de Socrate à son Demon familier.«

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Schau einer übergeordneten Realität werden als philosophisch-spekulatives Denken zusammengeführt. Doch das melancholische Wesen der Gelehrten sei eben nicht, so betont Jacques d’Autun, Ursache und innerweltlicher Anlass der Ekstase. Diese sei gerade nicht beherrschbar und deswegen übernatürlicher, dämonischer Herkunft.53 Naudé, und mit ihm Giulio Cesare Vanini in seinem Werk De admirandis naturae arcanis, das 1616 in Paris gedruckt wurde, somatisieren (um Steven Krugers Formulierung wieder aufzugreifen) die neuplatonischen Träume der Gelehrten.54 In einer retrospektiven Volte ebnen sie die aus der Antike stammenden konzeptionellen Unterschiede in der Traumlehre ein. Es ist naheliegend, nicht zuletzt, da die Auseinandersetzung im Zusammenhang steht mit den dämonologischen Angriffen der Inquisition gegen Hexen, dass dies nicht in Unkenntnis der Unterschiede geschieht, sondern dass es ihnen darum geht, den theologisch-juristischen Zugriff auf Hexen und vor allem auf heterodoxe Gelehrte abzuwehren. In die gleiche Richtung weist die Argumentation eines weiteren Libertin, des François de La Mothe Le Vayer in seinen 1643 gedruckten Opuscules, in die er ein Kapitel Du sommeil et des Songes eingefügt hat. Er beruhigt den Schlaf und befreit ihn argumentativ von allen Belastungen und Beunruhigungen. Den Gedanken, Träume seien vom Himmel geschickt, weist er mit Hinweis auf mehrere Philosophen (plusieurs philosophes) zurück, die Träume als bedeutungslos eingeordnet hätten. Es hat parodistische Züge und greift einer Exotisierung bedeutsamer Träume vor, die im 18. Jahrhundert bestimmend zu werden scheint, wenn er

_____________ 53 Jacques, d’Autun, L’incrédulité, 1044: »La Melancholie n’est pas la cause de l’extase, encore que ceux en qui cette humeur est predominante soient de grands reveurs & fort propres à la speculation; si est-ce qu’il n’est pas en leur pouvoir d’entrer dans l’extase quand bon leur semble. […] Elles se faisoient par l’operation du Demon, qui cause des extases en deux manieres, ou en bouchant le passage des esprits sensitifs, qui descendent du cerveau pour se communiquer aux sens exterieurs, ou rappellant ses mesmes esprits, & les faisant remonter aux organes interieurs, où il les retient pour empecher leur irradiations & communications aux sens exterieurs, qui en estant privez, laissent le corps comme un cadavre, sans mouvement & sans aucun signe de vie; & alors le Demon peut mouvoir les especes ou images qui sont dans la Phantaisie, & les presenter à l’intellect avecque tant d’attraits, qu’il sort comme hors de luy-mesme, s’appliquant entierement à les contempler: mais de semblables extases ne sont donc pas naturelles.« 54 Foucault (2003), 135–136: »Depuis l’antiquité et particulièrement depuis l’Onirocritique d’Artémidore (IIe siècle), l’on a coutume de distinguer les rêves naturels et les rêves surnaturels. Or la Bible, tant dans les textes vétérotestamentaires que dans les écrits évangéliques, comporte des récits de rêves, directement inspirés par Dieu et faisant office d’avertissements adressés aux dormeurs. Par ailleurs, la récupération chrétienne des démons néoplatoniciens a permis aux démonologues, dont l’activité culmine à la charnière des XVIe et XVIIe siècles, donc à l’époque de Vanini, de faire du songe l’un des moyens utilisés par le diable pour prendre possession de l'âme de ses victimes pendant leur sommeil. Vanini aborde de front la question en faisant référence à une affaire de chasse aux sorcières qui fit grand bruit dans le Bénévent, une région de son pays natal, le royaume de Naples, et en s'inspirant de textes de Cardan.«

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nicht nur das Glück eines langen Schlafs preist, sondern bedeutsame Träume statt den zivilisierten Europäern lieber den Kanadiern überlassen möchte.55 Zugleich mit dieser retrospektiven Entlastung und durch sie eröffnen diese Argumentationsweisen der Libertins einen Weg, Tagtraum und visionären Traum als eine einzige, neuformierte Praktik von Wissenschaftlern zu verbinden. Die Libertins erreichen in einer Montage antiker Elemente den Effekt einer Inversion der antiken Traumkonzepte: Die Vision des Wissenschaftlers ist keine Schau einer anderen Welt, sondern zum Verfahren einer innerweltlichen Erkenntnis gewandelt.

V. Zusammenfassung: Allelopoietische Transformationen Antike Wissensbestände und antike Konzepte werden in der frühneuzeitlichen Verhandlung des Verhältnisses von Traum und Wissen immer wieder als entscheidende Elemente sichtbar. Zu dieser breiten Präsenz trägt das weite Bedeutungsspektrum von Traumerzählungen bei. Sie werden eingesetzt, um einer bestimmten Position zu Autorität zu verhelfen, als Legitimierung einer Aussage – so im Fall des Johannes Kepler. Er beschreibt sich einerseits als handwerklich arbeitender, als mit den Sinnen beobachtender Astronom, bemächtigt sich aber andererseits einer visionären Fähigkeit, die Philosophen auszeichnet. Handelt es sich im hier dargestellten Fall bei Kepler um eine philosophische Spekulation, die in das Gewand einer deutlich als fiktiv markierten Traumerzählung gekleidet ist, so bewegen sich die anderen Traumerzählungen zwar in unterschiedlicher Intensität aber doch alle deutlicher in einem Bereich, in dem nicht von vorneherein ausgeschlossen werden kann oder soll, dass die Erzählungen wahrhaftig Träume wiedergeben. In all diesen Fällen – den Träumen des Johann Helmont ebenso wie _____________ 55 La Mothe Le Vayer, Opuscules ou petits traités, II. Du sommeil et des Songes, 42 ff. : »Permettes moi de vous dire que vous vous plaignez à tor, & que vous apprehendet sans raison. Vostre plainte de dormir dauantage que beaucoup d’autres que vous iugez en cela plus heureus que vous, est injustes; et c’est mal reconnoistre ce don de la Nature q’un ancien disoit comme Payen, estre le seul que nous reçeuions gratuitement des Dieus, de qui nous achetions tout le reste au prix du travail. Pour le regard de vostre apprehension, ie ne pense pas qu’on en puisse auoir de plus mal fondée, puis qu’elle ne l’est que sur le songe d’une nuict, la chose du monde qui a le moins d’existence. Il faut tacher de vous guerir premierement de cette crainte, & puis nous examinerons les couleurs que vous pouuez donner à vostre plainte, puisque vous m’obligez à vous en dire mon sentiment. Ie sçai bien qu’vne infinité de grands personnages ont crû après Homere que les Songes estoient enuoyez du Ciel, & que plusieurs Philosophes les ont tout autrement consideres qu’on ne fait les choses vaines. C’est qui oblige Ciceron à faire vne reflexion tres-digne de luy, sur la fin de son second liure de la Diuination. Le Sommeil, dit-il, est comm vn lieu de retraite, où tous nos trauaus & toutes nos inquietudes viennent chercher du repos.« Vgl. zu einem merkwürdigen Text aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in dem ein parodistischer Umgang mit bedeutsamen Träumen weitergeführt wird und der als eine Kombination verschiedenster Textsorten auftritt Schirrmeister (2008).

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denjenigen der Alchemiker und auch in der Diskussion der französischen Libertins zur Realität von Dämonen, Hexenflügen und Träumen der Gelehrten – sind antike Konzepte des Phänomens Traum die Folie, vor der die eigenen Konzepte ihre Wirkung entfalten sollen. Dabei ist es nicht unerheblich, wie mit der jeweiligen Antike umgegangen wird, um die eigene Autorität zu stützen: Johann Helmont lehnt jeden Vorläufer radikal ab und negiert, ja ignoriert ostentativ die akademisch orthodoxe antike Medizin, antike Mediziner und antike Träume, um seine Einzigartigkeit und seine Abgrenzung gegen die Schulmedizin darzustellen. Alchemische und hermetische Traumvisionen grenzen sich zwar ebenfalls genauso von akademischen Verfahren und orthodoxen wissenschaftlichen Positionen ab. Ihre Exklusivität gewinnen sie allerdings nicht in einer vollständigen Abkehr von antiken Wissensbeständen, sondern im Gegenteil in einer Anbindung an eine alternative antike Tradition, die an die Stelle der griechisch-römischen Wissenschaften die Konstruktion des Hermes Trismegistos stellen. Am folgenreichsten für den Habitus des Gelehrten in der Moderne wirkt aber die Argumentation der Libertins, die auf die Diskreditierung von Vision und Enthusiasmus im Kontext der Wissenschaften reagieren. Ihnen gelingt es, spekulatives Denken in einer Zusammenführung zuvor gedanklich und konzeptionell getrennter Fähigkeiten für Gelehrte zu retten und sogar als ein distinktives Merkmal für einen herausragenden Genius zu adeln. Genau an dieser Stelle wird eine Differenzierung der Geschlechterrollen markant auffällig. Während die visionären Männer bedeutende Gelehrte sind, handelt es sich bei den von Dämonen besessenen Hexen um Frauen – eine emanzipatorische Wirkung entfaltete also die libertinäre Argumentation keineswegs. Doch ist damit nur die eine Seite der Transformation in den Blick genommen. Die vier angeführten Fälle belegen nämlich die allelopoietische Annahme der Transformationstheorie, in den Transformationsprozessen werde in einer reflexiven Bewegung nicht nur der Aufnahmebereich der wissenschaftlichen Praxis, sondern zugleich auch sein Referenzbereich konstruiert. Wie diese Bewegung aussieht und wie weitreichend ihre Konsequenzen sind, markiert gleichzeitig auch wieder in einem nahezu zirkelhaften Schluss die Bedeutung der jeweiligen Antike für die neuzeitlichen Wissenschaften als dem jeweiligen Aufnahmebereich. Am unauffälligsten scheint die Konstruktion der Antike im Beispiel des Johannes Kepler. Er stützt sich auf ein stabiles System semantischer und struktureller Beziehungen, die die Figur des Philosophen als Visionär stützen. Der von ihm konturierte Referenzbereich gewinnt seine besondere Färbung und seine innovative Bedeutung allerdings durch die Einordnung in die wissenschaftliche Archäologie der Astronomie, dem er als legitimierende Basis hinzugefügt wird. Die absolute Negation der Antike durch van Helmont dagegen betont die Neu-Begründung seiner Wissenschaft aus sich selbst heraus – eine Bewegung, wie sie in der Traumforschung ja nicht zuletzt bei Sigmund Freud in der langen historischen Einleitung seiner Traumdeutung an einflussreicher Stelle wieder begegnet. Für die Wissenschaften scheint dieser Modus allerdings nur selten ein

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dauerhaft erfolgreicher Ansatz zu sein. Wenn zugleich mit der Ablehnung von etablierten, orthodoxen Referenzsystemen ein alternativer Referenzbereich konstruiert wird, erhöht dies offenbar die Stabilität des Transformationsprozesses: Die alchemischen und hermetischen Traumdarstellungen konstruieren so gewissermaßen eine höfisch-wissenschaftliche Antike gegen die akademisch-wissenschaftliche Antike. Damit gelingen auf zwei Ebenen Anschlüsse: Im höfischen System ist die Einordnung in eine auch in anderen politischen wie kulturellen Diskursen dominierende »Antike« möglich. Der politisch dominante Hof gewinnt zugleich die Möglichkeit, gegenüber dem kulturell konkurrierenden und auf Autonomie drängenden System der Universitäten und der Wissenschaften ein in seinen Argumentationsweisen ebenso wie in seiner Herkunft exklusives antikes Bezugssystem zu konstruieren, dass damit einer höfischen Rationalität perfekt angepasst ist. Die an den französischen Libertins vorgeführte Volte, die antiken Traumdiskurse in einer radikalen Umwertung zu Bestandteilen eines neuen gelehrten Habitus zusammenzufügen, vervollständigt für die Beispiele die drei übergeordneten Typen der Inklusion, Exklusion und Rekombination von kulturellen Inhalten in der Transformation des Referenzbereichs. Auch hier ist erst im Verständnis des wissenschaftlichen Prozesses als Transformation zu beobachten, dass die Konstruktion eines Referenzbereiches dazu dient, Neuerungen zu etablieren. An bekanntes oder systematisch eingeführtes Material anzuknüpfen, erhöht die Anzahl von möglichen Anknüpfungspunkten in den wissenschaftlichen Diskussionen. Die Akzeptanz von ungesicherten Aussagen kann verstärkt werden, wenn zugleich ein etablierter Referenzbereich als autoritatives Verweissystem herangezogen wird. Umgekehrt macht van Helmonts Beispiel deutlich: Geniales Charisma gewinnt besondere Kraft in einer dezidierten Abwendung von eingeführten Referenzen. Zwischen Assimilation und Negation sind Transformationen auf diese Weise Motor wissenschaftlicher und kultureller Entwicklung.

Literatur Quellen [Anonymus], Das Corpus Hermeticum Deutsch. Teil 1: Die griechischen Traktate und der lateinische ›Asclepius‹, übers. u. eingeleitet v. Jens Holzhausen, bearb. u. hg. v. Carsten Colpe/Dems., Stuttgart-Bad Cannstatt 1997 (= Clavis Pansophiae 7, 1). [Anonymus], Le Flambeau de la Philosophie Naturelle et des effects d’icelle sous l’explication d’un songe ou resverie occulte, par P. N. R. T. autrement la chouette ou le hibou, o. O. 1652 [ND hg. v. Philippe Monville Bibliotheca alchemica, Rennes 1979]. [Anonymus], Nodus Sophicus Enodatus. Das ist, Erleuterung etlicher vornehmen Philosophischen Schrifften und Tractaten vom Stein der Weisen: nach dem Lauff der Natur

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zusammen gewunden vnd verknüpffet / nunmehr aber in diesen letzten Zeiten / nach erschieuener [!] Morgenröthe der Weißheit vnd eingetretenen Seculo Eliæ Artistæ den filiis Doctrinæ Hermeticæ zum besten auffgelöset vnd erkleret / Durch Einen trewen Teutschen Philosophum vnd Liebhabern der Natur gemesen Chymischen Kunst vnd verborgenen Weißheit Gotte, [Coburg]: Gruner, 1639. Cardano, Girolamo, Hieronymi Cardani Mediolanensis de Propria Vita liber: Ex Bibliotheca Gab. Naudaei [enthält: Gabriel Naudé: De Cardano Iudicium], Paris 1643. Ficino, Marsilio, Contenta In Hoc Volvmine. Pimander. Mercurij Trismegisti liber de sapientia et potestate dei [interprete Marsilio Ficino]. Aclepius. Eiusdem Mercurij liber de voluntate diuina. Item Crater Hermetis A Lazarelo Septempedano / Mercurius ›Trismegistus‹. – [Electronic ed.]. Parisiis: Henricus Stephanus, 1505, Permalink: http://diglib.hab.de/drucke/64-9-quod-2/start.htm. Robert Fludd, Monochordium Mundi symphoniacum J. Kepplero oppositum, Frankfurt 1622. Geoffrey, Jean, Lettre de Frère Jean Geoffrey, Vaucluse 3 Janvier 1718, concernant le mouvement perpétuel, in: Archive de l’Académie des Sciences Paris, Pochette des Séances 1718, 8 Janvier 1718. Helmont, Johann Baptist van, Aufgang der Artzney-Kunst, übers. v. Christian Knorr von Rosenroth, München 1971 (Reprografischer ND d. Ausgabe Sulzbach 1683). Jacques d’Autun, L’incrédulité sçavante, et la crédulité ignorante au sujet des magiciens et des sorciers. Avecque la Response à un Livre intitulé APOLOGIE pour tous les Grands Personnages, qui ont ésté faussement soupçonnés de Magie. Par le R. P. Jacques d’Autun, Prédicateur Capucin, Lyon (Jean Certe) 1674. Kepler, Johannes, »Apologia adversus Demonstrationem Analyticam CL. V. D. Roberti de Fluctibus«, in: Ders., Harmonice Mundi, hg. v. Max Caspar, München 1940 (= Johannes Kepler. Gesammelte Werke, 6), 379-458. Kepler, Johannes, Briefe 1620–1630, hg. v. Max Caspar, München 1959 (= Johannes Kepler. Gesammelte Werke, 18). Kepler, Johannes, Harmonice Mundi, hg. v. Max Caspar, München 1940 (= Johannes Kepler. Gesammelte Werke, 6). Kepler, Johannes, Weltharmonik, übers. u. eingel. v. Max Caspar, München 1939. Lagneau, David, Harmonie mystique, Paris 1636 [zuerst 1611 als Harmonia seu consensus philosophorum chemicorum]. La Mothe Le Vayer, François de, Opuscules ou petits traités, Paris 1643. Naudé, Gabriel, Apologie pour tous les Grands Personnages, qui ont été faussement soupçonnés de Magie, La Haye 1653. Scot, Reginald, The Discoverie of Witchcraft, London 1584. Vanini, Giulio Cesare, De admirandis naturae arcanis, Paris 1616.

Literatur Alt, Peter-André, Der Schlaf der Vernunft. Literatur und Traum in der Kulturgeschichte der Neuzeit, München 2002. Barker, Peter/Goldstein, Bernard G., »Theological Foundations of Kepler’s Astronomy«, in: Osiris 2nd Series, 16: Science in Theistic Contexts: Cognitive Dimensions (2001), 88–113.

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›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹: The Transformation of Ptolemy’s Almagest in its Transmission via Arabic into Latin CHARLES BURNETT

Ptolemy’s Almagest is justly regarded as the greatest work on mathematical astronomy of Antiquity. With its trigonometry, its paradigms for the sun and the moon and the five planets, and its descriptions of the 1022 fixed stars, it remained a model for astronomers and mathematicians well into the early modern period. The work was written in Greek in Alexandria a little after AD 150. A Latin translation was planned by Boethius in the early sixth century, but was either never fully executed or subsequently lost. It soon became known, however, in Syriac and Persian and, in the great movement of the eighth to ninth centuries to bring into the Arabic language the achievements of other nations in science and philosophy, several Arabic versions of the text were made. Manuscripts of two of these Arabic versions survive, one by al-Hajjaj ibn Yusuf ibn Matar in AD 827–828, a second by Ishaq ibn Hunayn (ca. AD 880) in the revision of Thabit ibn Qurra (d. AD 901).1 Similarly, when ancient learning was being recovered in the Latin West, the Almagest was one of the main texts that were eagerly sought after (together with Euclid’s Elements, Galen’s medical works and Aristotle’s natural philosophy) and several attempts were made to translate the work, both from Greek and from Arabic. A translation of the complete work was made from Greek in Palermo shortly before 1165. It was, however, the translation from Arabic made by Gerard of Cremona in Toledo, before 1175, that became the most popular version of the text in the Latin Middle Ages. Gerard’s translation combines the two extant Arabic translations, bks I–IX following al-Hajjaj’s version, bks X– XIII, Ishaq/Thabit’s version. Moreover, Gerard’s translation itself has survived in two versions, of which one (B) gives a revised version of the other (A). Characteristic of the revision are the additions in the margins of the translation of al-Hajjaj _____________

1

I am grateful to John Crossley, Alexander Fidora, Richard Jones, David Juste, Paul Kunitzsch, and Hanna Vorholt for reading and commenting on earlier drafts of this article. Kunitzsch (1974), 59–82.

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Charles Burnett

text of excerpts from the Ishaq/Thabit text and vice versa.2 In respect to the original Greek text of the Almagest, the Latin translation of Gerard of Cremona has been transformed in two significant ways: 1) Ptolemy has become an expert on moral instruction, and 2) the Almagest has become a work which leads the reader to know God.

I. The first transformation is due to the addition of a prologue, in both A and B, consisting of three parts: a short biography of Ptolemy, a set of thirty-three moral dicta and an anecdote, and an account of the transmission of the text (see Appendix, text I below). The last part tells us the circumstances of the translation of the al-Hajjaj version and describes the subject matter of the book. The first two parts, however, come from an eleventh-century collection of the sayings of the ancients sages, made by Abu-l-Wafa’ al-Mubashshir ibn Fatik: the Mukhtar al-hikam wa mahasin al-kilam (›The choice of wise sayings and beauties of words‹).3 This popular book was written in Egypt in 1048/9 (or 1053), translated into Castilian before 1257 under the title Los Bocados de Oro, thence into Latin, possible by John of Procida (d. 1299), as the Liber philosophorum moralium antiquorum,4 and subsequently into several European vernaculars. The portion of the Mukhtar al-hikam added to the Prologue of the Latin Almagest represents a different tradition. It predates the Castilian translation by almost a century, it is a more literal translation of the Arabic, and a different selection of dicta has been made.5 It is possible that Gerard had not made the translation himself,6 but its occurrence in _____________ 2 3 4

5

6

Kunitzsch (1990), 50–57. This edition of most of books VII and VIII is the only critical edition of any part of the Latin Almagest. Arabic text edited by Abdurrahmän Badawi (1958), 252–256. See Franz Rosenthal (1960), 132– 158, who discusses the Almagest prologue on 150. Ezio Franceschini (1931–1932), vol. 91.2, 393–597. Franz Boll (1894), 59 differentiates this John of Procida from the famous doctor and minister of that name of Manfred, king of Sicily; an earlier edition of the Liber philosophorum moralium antiquorum was published among the testimonies to this doctor: Collectio Salernitana, ed. Salvatore de Renzi (1854), vol. III, 66–150. Almagest, dicta 16, 19, 21, 28–29 and 33–34 are not in the 13th-century Latin translation of the Castilian version, whereas the Latin adds after dicta 6, 8, 9, 19, 20, 22, 23, 26 and 31 further dicta that are lacking in the Almagest but are in these positions in the Arabic Mukhtar al-hikam. It must be noted, however, that the range of the Almagest’s selection is the same as that of the Castilian, and that the subsequent dicta attributed to ›Asaron‹ in the Castilian, but are regarded as a continuation of Ptolemy’s dicta in Badawi’s edition, are not included in the Almagest’s selection. Kunitzsch (1974), 98–99, points out some differences in terminology between this Prologue and Gerard’s translation of the Almagest itself, which might indicate that the translation was done by someone other than Gerard. It can be added that Gerard’s ›socii‹ (›companions/students‹), in their own biography and list of works of Gerard, written after his death, refer to the length of his

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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the first version of his translation (A) and in the earliest manuscripts of the Almagest shows that it had accompanied Gerard’s translation from the beginning. It may even be the case that the excerpt from the Mukhtar al-hikam was already in the Arabic manuscript that Gerard and his colleagues used, since one of the extant Arabic manuscripts of the Hajjaj version of the Almagest includes Ptolemy’s biography from the Mukhtar.7 The excerpt from the Mukhtar al-hikam describes Ptolemy as a wise man and a supreme mathematician, and distinguishes him from the Ptolemies who were kings of Egypt. It gives a vivid portrait of the man, in a style familiar to works of ancient physiognomy.8 The selection of 33 dicta ascribed to Ptolemy in the Mukhtar al-hikam that follow, begin with six dicta specifically about how one should behave in respect to God and in view of the punishments and rewards of the afterlife. A final anecdote tells us what Ptolemy said when he was invited to dinner by a ruler.9 These dicta had a wide diffusion in the Middle Ages, and in most cases were referred to as being the words of ›Ptolemy in his Almagest‹.10 Perhaps the first to quote one of them (dictum 6) are the ›socii‹ in the biography and list of works of their master that they wrote soon after his death in 1187: › non immemor illius Ptolomei: cum fini appropinquas, bonum cum augmento operare‹ (›[…] , not forgetful of the that of Ptolemy: »When you approach the end of your , do good increasingly«‹).11 In the mid-thirteenth century Albertus Magnus cited dictum 8 in his commentary on Aristotle’s Politics, adding a gloss on the second phrase: »Ptolomaeus in Almagesto dixit, quod non est mortuus qui scientiam vivificavit, nec fuit pauper qui intellectui dominatus est, sive qui intellectum possedit.«12 The same dictum was quoted a century later by Richard de Bury in his Philobiblon (1345): ›liber supererit auctor manens athanatos nequeat interire, teste Ptolemao in prologo Almagesti: non fuit, inquit, mortuus qui scientiam vivificavit‹ (›The book will survive; the author, remaining immortal cannot die, as Ptolemy testifies in the Prologue to the Almagest‹, saying: _____________ life with exactly the same phrase ›anno vite sue‹ and call astronomy ›astrologia‹: see Burnett (2001), 249–288 (see 276). 7 Leiden, University Library, or. 680, contains the biography without the dicta (see Rosenthal [1960], 150 and Kunitzsch [1974], 99) and is a later addition, but makes it plausible that an earlier copy of the Arabic Almagest may also have drawn material from al-Mubashshir. 8 Boll (1894), 61–63. Swain (Ed.) (2007). 9 In Badawi’s Arabic edition this anecdote occurs after no. 20 in the Almagest selection. 10 These can be distinguished from dicta of Ptolemy in the Castilian version of the Mukhtar al-hikam and its derivatives, which are not specifically said to come from the Almagest. 11 The textual variation in the biography of the socii (›cum‹ for ›quanto plus‹) is probably due to their desire to write elegant Latin. The Arabic original (›kullama‹) and John of Proscido’s version (›quanto magis‹) preserve the correlative. 12 Albertus Magnus, Commentarii in Octo Libros Politicorum Aristotelis, vol. VIII, 6ª (quoted in Bertelloni [2000]).

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»He has not died who has brought science to life«) and is still to be seen inscribed over a fireplace in the Frick Chemical Laboratory of Princeton University (1929): NON EST MORTVVS QUI SCIENTIAM VIVIFICAVIT. A fragmentary fourteenth-century commentary on Virgil’s Eclogues, possibly by Nicholas Trevet, begins with the quotation of dictum 7: »Sicut dicit Ptolomeus in Almagesti: ›Disciplina hominis sui intellectus est socius et apud hominess intercessor‹«.13 In Le Roman de la Rose Jean de Meun introduces dictum 2 with the words: Car nous lisons de Tholomee Une parole moult oneste Au comencier de s’Almagest: Que sages est cil qui met peine A ce que sa langue refreine, Fors, senz plus, quant de Deu parole.14 Chaucer quotes dictum 18 in his Prologue to the Wife of Bath’s Tale: ›Whoso that nyl be war by othere men, By hym shul othere men corrected be‹ These same wordes writeth Ptholomee, Rede in his Almageste, and take it there (D180–3). And in the same Prologue Chaucer quotes dictum 23: Of alle men yblessed moot he be, The wise astrologien, Daun Ptholome, That seith this proverbe in his Almageste: ›Of alle men his wisdom is the hyeste That rekketh nevere who have the world in hande‹ (D323–7).15

We cannot, of course, presume that all these citations have been taken from complete copies of Ptolemy’s Almagest. For at least two medieval authors give a résumé of the Prologue: the Dominican, Martin of Poland (13th century), in his very popular Chronicon pontificum et imperatorum (biography and dicta 16, 18,

_____________ 13 Lord (1992), 194, 263, 265. 14 Roman de la Rose, lines 7038–7043, ed. Ernest Langlois, 5 vols., Paris, Honoré Champion, (1914–1924), III, 27–28. In lines 13635–13637 dictum 4 is quoted, in lines 18572–18575, dictum 34. 15 Edgar Laird discusses the significance of these quotations in »The Astronomer Ptolemy and the Morality of the Wife of Bath’s Prologue« (2000), 289–299. He refers to other citations of the dicta in Roger Bacon, Walter Burley, Christine de Pizan, Pèlerin de Prusse and John Gower.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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and 23),16 and Walter Burley (14th century), in his De vita et moribus philosophorum (biography, dicta 3–5, 9–12, 16, 18, 23–24, 27 and 29).17 These quotations, however, show how Ptolemy was regarded as having given some sage moral advice in the Almagest. Medieval readers did not seem to notice that the dicta did not belong to the Almagest itself, but rather to a Prologue that had been added, either in an Arabic text, or when the work was translated from Arabic into Latin. There was a transformation to the Almagest, however, that occurred within the very text of Ptolemy, and that had a significant influence on the understanding of his work, namely the change in some of the wording of the first chapter of the first book. To this transformation the rest of this article will be dedicated.

II. The first chapter of Book 1 of the Almagest is Ptolemy’s introduction to the whole work. In it he emphasized that the teaching and study of the exact science of mathematical astronomy had the highest value for leading a philosophical life. In striving for a noble and disciplined disposition, one should devote one’s time to intellectual matters, and above all, to mathematics. For, ›from the constancy, order, symmetry and calm which are associated with the divine, it (mathematics) makes its followers lovers of this divine beauty, accustoming them and reforming their natures, as it were, to a similar spiritual state.‹18 Ptolemy regarded mathematics, rather than metaphysics, as the highest form of study for a philosopher – a study that brought him or her close to the experience of the divine.19 Latin scholars clearly had a strong interest in Ptolemy’s introduction.20 The first version of Gerard’s translation (A) gave al-Hajjaj’s version of the first chapter (= H), since it followed al-Hajjaj’s text for the first nine books, and included the description of the circumstances of al-Hajjaj’s translation, as we have seen. The revised version (B), however, added a translation of the whole of Ishaq/Tha-

_____________ 16 Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 22 (1872), 447. 17 Burley, De vita et moribus philosophorum (ed. Hermann Knust 1886), 372. Often the text of Burley diverges from that of the manuscripts of the Almagest, as can be seen in Appendix, text I below. 18 Ptolemy, Almagest, 7; ed. Johan Ludwig Heiberg, 2 Bde., Leipzig 1898–1903, lines 19–24; trans. G. J. Toomer, London 1984, 35–37 (slightly adapted), 37. 19 Ptolemy’s attitude is described and analysed in detail in Taub (1993), 19–37. 20 Claude Lafleur (1988), 152, suggests that the first chapter was the only chapter of Ptolemy’s works that was read as part of the university curriculum. Edgar Laird (2000) points out the importance of the moral message of this chapter to medieval readers, but does not note the changes in the text in respect to the original Greek.

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bit’s version of the first chapter (= I).21 One manuscript – RARESF 091 P95A (Sinclair 224) in the State Library of Victoria, Melbourne – in addition to these two versions of the first chapter, includes a second version of the Hajjaj text (= H’).22 This manuscript also betrays the intense interest in this introduction by the copious glosses and the lemmatized commentary that accompany it.23 I would propose, provisionally, that the version of the Hajjaj chapter unique to this manuscript is a first draft of the translation that was then copied into the vulgate text. Both H’ and H, however, show knowledge of the Ishaq/Thabit translation (I), phrases of which are given alongside the alternative version of al-Hajjaj. It is likely that all three versions arose from the same milieu of late twelfth-century Toledo.24 When one compares the Latin versions with the Arabic versions of the Almagest it is immediately noticeable that, whilst the Latin Ishaq/Thabit follows the Arabic Ishaq/Thabit closely, the Latin al-Hajjaj diverges from the Arabic alHajjaj in a significant way. When Ptolemy explains how useful mathematics is for theology, the original Greek text runs as follows: Furthermore it can work in the domains of the other no less than they do. This is the best science to help theology along its way, since it is the only one that can make a good guess at that activity which is unmoved and separated, because of its closeness to those attributes of beings which are on the one hand perceptible, moving and being moved, but on the other hand eternal and unchanging, having to do with motions and the arrangements of motions.25

The Arabic al-Hajjaj version in the available manuscripts is reasonably close to the Greek: In the comprehension of the other two divisions its help is not small. As for the divine kind, it is providing the path and driving one to it, because it alone is of the kind (alone makes it possible to judge that) which does not change, and appraising it without action brings close those attributes in the revolutions

_____________ 21 The Hebrew version of Jacob Anatoli, made between 1231 and 1235, although it combines the Hajjaj and Ishaq/Thabit text in almost the same way as Gerard’s translation does, and shows knowledge of the Latin as well as the Arabic, gives only the translation of Ishaq/Thabit’s version of the first chapter, and makes no reference to al-Hajjaj’s first chapter: see Zonta (1993), 325–350 (see 332). 22 The three Latin versions are given below in the Appendix, Text II. Haskins (1927), 105–107, printed the beginning (sections 1–8) of two of the versions (other than the Melbourne version) from MSS Paris, BNF, lat. 14738 (Ishaq/Thabit) and Wolfenbüttel, Gud. Lat. 147 (al-Hajjaj). 23 For fuller discussion of the contents of this manuscript see Burnett (2008), 127–143. I am very grateful to the editor, Greg Kratzmann, for allowing me to repeat some of the material from this article here. Further illustrations of the manuscript (including the opening page with the Prologue) are given in The Medieval Imagination (2008), 214–217. 24 See Appendix, text 2, for an edition of the three versions in parallel columns. 25 Ptolemy, Almagest, ed. Heiberg, 7, lines 4–10, trans. Toomer (slightly adapted), 36.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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and the ranks of the movements which belong to sensory substances, moving and being moved, eternal, in which there is no difference.26

The Latin versions of the al-Hajjaj text considerably puff out this Arabic text (the extra passages are printed in italic and the section numbers from the edition in the Appendix below are added). Version H’ gives: 14 Et non est parvi adiutorii ad comprehendendam scientiam aliorum duorum modorum, et precipue scientiam Dei gloriosi, quoniam ipsa est semita ad cognoscendum Deum gloriosum propter rationem cum perscrutatione (vel perexperientia) et cogitatione. 15 Et hec et ei similia significant significatione vera et manifesta Deum, qui non alteratur et non separatur et non est novus neque factus, quoniam ipsa est propinquior scientie nostre quam Ipse gloriosus et quia ipsa est viator perducens ad Eum. 16 Quoniam ipsa sola tantum cum perseverantia (vel ›per perseverantiam‹) inquisitionis de sempiternis fixis et de genere considerationis eius quod non alteratur, et cuius estimatio est absque opere, approximat accidentibus que sunt in revolutionibus et ordinibus motuum qui sunt sub iis sensatis moventibus et motis, sempiternis in quibus non est diversitas.

Version H is very similar to H’ in regard to its contents: 14 Hec quoque non parum valet ad reliquorum duorum modorum scientie comprehensionem, et precipue scientie Dei excelsi. Ipsa namque est via ad sciendum Deum altissimum propter rationem cum perscrutatione et intellectu. 15 Que et eius similia vere et manifeste significant Deum, qui non alteratur et non movetur et non est novus neque est factus, quoniam ipsa nostre scientie quam Ipse altissimus vicinior existit et quia ipsa est semita ducens ad Eum. 16 Ipsa namque sola tantum de rebus semper manentibus cum perseveranti inquisitione et de rebus que sunt et ex genere considerationis eius quod non alteratur, et extimatione ipsius absque opere vicinatur accidentibus que sunt in revolutionibus et ordinibus motuum qui sunt in substantiis sensatis, moventibus et motis, sempiternis, in quibus non existit diversitas.

An English translation, based on these two Latin versions, would run as follows: 14 Its help is not small in the comprehension of the other two kinds, especially the knowledge of God, the Glorious. For it is the path to knowing God, the Glorious, because of rationality, together with careful investigation and thought. 15 This and those similar to it truly and clearly indicate God, who does not change and is not divided into parts (does not die) and is not innovated or made, since this is closer to our knowledge than is the Glorious One, and because it is the path leading to Him. 16 Since it alone accompanied by persistence in investigation concerning eternal, fixed and is of the kind of consideration of that which does not alter, and whose appraisal without practice , it comes close to those attributes in the revolutions and the ranks of the movements which are in sensory substances, moving and being moved, eternal, in which there is no difference.

It is immediately obvious that H’ and H are not translating exactly what is in the available Arabic manuscripts of the Hajjaj version. One can isolate in the Latin versions phrases that appear to be two attempts at translating single phrases in Arabic: 1) quoniam ipsa est semita ad cognoscendum Deum H’/ Ipsa namque est via ad sciendum Deum H, 2) quia ipsa est viator perducens ad Eum H’/ quia ipsa est semita ducens ad Eum H.

Both of these are equivalent to the Arabic ›it is providing the path and driving one to it‹. 1) cum perseverantia inquisitionis de sempiternis fixis H’ / de rebus semper manentibus cum perseveranti inquisitione H 2) de genere considerationis eius quod non alteratur H’ / de rebus que sunt ex genere considerationis eius quod non alteratur H

Both of these are equivalent to the Arabic ›of the kind which does not change‹ (perhaps originally: ›of the kind of judgement that does not change‹). These repetitions suggest that we are dealing with glosses that have been incorporated into the text. In the first case ›because it is the way (guide) leading to Him‹ is glossed ›since it is the path to knowing God […] since this (science) is closer to our knowledge than the Glorious One‹. In the second case ›of the kind which does not change‹ is glossed ›persistence in investigation concerning eternal fixed (things)‹. I am inclined to think that these glosses would have been in the Arabic text, rather than in an earlier Latin manuscript. The adjective ›altissimus‹ sounds as if it is a translations of Arabic taҵƗlƗ (›exalted‹; regularly added after ›Allah‹ in Arabic). The variation in terminology between the two Latin versions suggests that the extra phrases (the ›glosses‹) were also in the Arabic. The variant between ›cogitatio‹ (H’) and ›intellectus‹ (H) is found in two other passages of the introduction (sections 4 and 19), where these are, respectively, H’’s and H’s translations of the Arabic fikr. The repetition of the root ›significant significatione vera‹ in H’ (simplified in H to ›vere […] significant‹) is a characteristic Arabism. The fact that H’ and H’ elsewhere translate the Arabic very literally, also makes it unlikely that the translators would have added anything substantial that was not already in the Arabic. What is notable in these Latin versions is that the ›divine science‹, which, in Ptolemy, and in its strict Arabic translation ҵilm ilƗhƯ, is tantamount to ›metaphysics‹, has become the knowledge of God. Instead of putting natural science and divine science on the same level, as two sciences for which mathematics prepares the way, the Latin versions elevate the ›knowledge of God‹ to the position of the

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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major (›precipue‹) science for which astronomy is useful. The philosophical language of Ptolemy has been enhanced by a note of piety. In another context God has been introduced where He is not mentioned at all in Ptolemy’s text, or the Arabic translations. Where the Greek reads ›It is this love of the contemplation of the eternal and unchanging which we constantly strive to increase‹27 the Latin versions of al-Hajjaj’s translation have added after ›eternal and unchanging‹ ›up to the time that their Creator has imposed on them‹ (›21 Et nos quidem laborabimus ut addamus in amorem sempiternorum fixorum usque ad terminum quem posuit eis ipsorum Creator, in eo quod sequitur de hoc nostro libro‹ H’; ›Nos autem laborabimus ut in amorem scientie sempiternorum, manentium usque ad terminum quem eorum Conditor eis imposuit, in sequentibus huius nostri libri addamus‹ H). This added phrase does not appear in Arabic in either the Ishaq/Thabit or the Hajjaj translation. It does, however, occur in a very similar context in another Arabic work: Abu Ma’shar’s Great Introduction to Astrology (written in AD 848). Abu Ma’shar writes: Something else from which one may infer the nobility of the profession of astrology is that it is a lofty profession and its subject is the stars which do not alter and are not subject to coming-to-be and passing-away, for as long as God wills.28

Since Abu Ma’shar adds the same phrase on another occasion when he mentions the perpetuity of natural processes, one may presume that this was a rider commonly used by Muslims when dealing with Greek cosmology in which there was no natural end to the world. The Latin versions of al-Hajjaj preserve this pious phrase, which is equally appropriate in a Christian context. So, in the Latin versions of al-Hajjaj’s translation we find not only that studying astronomy makes one a better character, but also that it leads to the aim of every good Muslim (and, indeed, every good Christian and Jew): to know God more fully, and especially to acknowledge that God’s power is boundless. A tone of piety that is completely lacking in the philosophical language of Ptolemy’s original text has been added. As a consequence of this, Ptolemy himself, in the Latin tradition, becomes both a sage and a pious man. The effect of this religiously enhanced version of al-Hajjaj’s translation can be seen in the reception of Ptolemy in the Latin West. In 1271 Robertus Anglicus _____________ 27 Ed. Heiberg, 7, line 26–p. 8, line 1, trans. Toomer, 37. 28 Abu Ma’shar, Great Introduction to Astrology, Book 1, chapter 2, ed. R. Lemay, 9 vols., Naples 1995–1996, vol. 2, 14, lines 299–301. Compare the Latin translation by John of Seville (AD 1140), ibid., vol. 5, 16, lines 532–536: »Ex hoc intelligitur dignitas magisterii astrorum, quia magisterium astrorum altius est et loca eius planete que non corrumpuntur nec recipiunt augmentum neque diminutionem, effectum neque detrimentum usque ad tempus quod Deus voluerit«; cf. also Book 1, chapter 5, vol. 2, 30, lines 685–686, Latin translation, vol. 5, 34, lines 1187–1190: »Ideoque dixerunt universi antiquorum philosofi quod efficitur ex motibus planetarum naturalibus ac durabilibus effectus naturalis et durabilis, qui fit usque ad tempus quod Deus voluerit«.

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completed for his students a commentary on the basic elementary textbook on cosmology used throughout the Middle Ages, the Sphere of John of Sacrobosco. As the culmination of the praise of astronomy which constitutes the first paragraph, Robertus writes »Et ideo dicit Ptholomeus in principio Almagesti quod ista scientia est quasi semita ducens ad Deum«.29 This is a direct quotation from the vulgate version of the Hajjaj chapter (section 14, with ›Deum‹ making the referent of ›Eum‹ explicit). A fifteenth-century manuscript includes an anonymous ›Recommendatio astronomiae‹ or ›Defense of Astrology‹, which begins with, precisely, the statement that astronomy is the science that leads to the knowledge of God: Astronomia ›est sciencia ad sciendum Deum altissimum‹. Hanc propositionem scribit Ptholomeus vir sapiens, princeps astronomorum, libro suo magno capitulo primo ›in quo huius sciencie ad alias excellenciam‹ ponit.30

Later in the same Recommendatio the author cites two other passages from the texts discussed in this article: ›Hec quoque non parum valet ad reliquorum duorum modorum comprehensionem, et precipue sciencie Dei excelsi‹ (section 14) and ›Laborabimus in amore sciencie et sempiternorum et permanencium usque ad terminum quem Conditor eis imposuit‹ (section 21).31 These are almost the only quotations from the Almagest in the text,32 and yet, as we have seen, they hardly represent the words of Ptolemy himself. Rather, they reflect a transformation of the Almagest in the context of the monotheistic religions of Islam and Christianity. For the prologue and the first chapter in all the manuscripts of the Latin text (probably following an Arabic tradition) have made Ptolemy a teacher of religious morality, and the Almagest a text that leads one to God.

Appendix In the following editions these manuscripts have been used: London, British Library, Burney 275, a manuscript of (A) family (= B). Melbourne, State Library of Victoria, RARESF 091 P95A (Sinclair 224), a manuscript of (B) family (= M). Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Gud. lat. 147, a manuscript of (B) family (= W). Paris, BNF, lat. 14738 (as transcribed in C. H. Haskins, Studies in the History of Mediaeval Science, 2nd ed., Cambridge, Mass. 1927, 105–107), a manuscript of (A) family (= P).

_____________ 29 30 31 32

Thorndike (1949), 143. This text is edited and discussed in Lucentini and Sannino (2006), 187, lines 1–4. Recommendatio astronomie, 187, lines 30–32 and 188, lines 62–63. A further quotation cites the opening phrase of the first chapter: Recommendatio astronomie, 190, lines 157–158.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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Venice 1515 print of Gerard of Cremona’s translation (as given in P. Buttmann, ›Über den Ptolemäus in der Anthologie und den Klaudius Ptolemäus‹, in: Museum der Alterthums-Wissenschaft 2 (1810), 455–506 corrected in F. Boll, Studien über Claudius Ptolemäus, Leipzig 1894, 58), a manuscript of (A) family (= pr.). Walter Burley, De vita et moribus philosophorum, ed. Hermann Knust, Tübingen 1886, 372 (= Burley). Arabic text of the Mukhtar al-Hikam, ed. Abdurrahmän Badawi, Los Bocados de Oro (MujtƗr al-‫ۉ‬ikam) Abnj-l-WafƗ’ al-Mubaššir ibn FƗtik, Madrid, Instituto Egipcio de Estudios Islámicos, 1958 (= Arabic).

Text 1. Prologue to Gerard of Cremona’s translation of the Almagest, edited from MB and pr. The explicative glosses in M, contemporary with the manuscript, are added in brackets; they are not found in Bpr. Quidam princeps nomine Albuguafe in libro suo quem scientiarum electionem et verborum nominavit pulcritudinem, dixit quod hic Ptolomeus33 fuit vir in disciplinarum scientia prepotens, preminens aliis, in duabus artibus subtilis, scilicet34 geometria et astrologia, et fecit libros multos, de quorum numero iste35 est qui Megasiti dicitur, cuius significatio est ›maior perfectus‹, quem ad linguam volentes convertere Arabicam nominaverunt Almagesti. Hic autem ortus et educatus fuit in Alexandria maiori terre36 Egypti. Cuius tamen propago de terra Sem extitit37 de provincia que dicitur Pheludia.38 Qui in39 Alexandria cursus siderum instrumentis consideravit40 tempore Regis Adriani et aliorum et super considerationes Abrachis quas41 in Rodo42 (scilicet civitate) expertus est suum opus edidit. Ptolomeus vero hic non fuit unus regum Egipti43 qui Ptolomei vocati sunt, sicut quidam estimant,44 sed Ptolomeus45 fuit eius nomen, quemadmodum aliquis nominatus est46 Chosroe47 aut Cesar. Hic autem in statu (i.e. statura) _____________ 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47

Ptholomeus Bpr. passim. id est Bpr. book Arabic. terra pr. et pr. Pheuludia pr. maiori terre…in ArabicB om. (but this passage and the next can be found in the Arabic note in Leiden, University Library, or. 680: see n. 7 above). cursus siderum instrumentis consideravit Arabic om. quas Abrachis pr. Rhodo Bpr. M om. extimant M. hoc B. quemadmodum aliquis nominatus est] ac si aliquis vocaretur Bpr. Cosrohe B, Cosdrohe pr.

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moderatus fuit, colore albus, in incessu48 largus, subtiles habens pedes, in maxilla dextra signum habens rubeum, barba eius spissa et nigra, dentes anteriores habens discoopertos (i.e. in gingivis) et apertos (i.e. raros), os eius parvum, loquele bone et dulcis, fortis ire, tarde sedebatur, multum spatiabatur49 et equitabat, parum comedebat, multum ieiunabat, redolentem habens hanelitum et indumenta nitida. Mortuus est50 anno vite sue septuagessimo octavo. Hec sunt de disciplinis et sapientiis Ptolomei huius: 1 Conveniens est intelligenti51 pro Deo verecundari, cum ea que ipsi non52 sunt grata cogitat.53 2 Intelligens est qui linguam suam semper refrenat nisi ad hoc ut de Deo loquatur. 3 Insipiens54 est qui sui ipsius ignorat quantitatem. 4 Cum aliquis sibi placet, ad hoc deductus est ut ira Dei super ipsum sit. 5 In bono quod Deus operatur, quasi bonitatem largi datoris adtendere debes et in malis (supra: adversis)55 quasi purgationis et eterne remunerationis bonitatem.56 6 Quanto plus fini appropinquas, bonum cum augmento operare. 7 Hominis disciplina sui intellectus socius est, et apud homines intercessor. 8 Non fuit mortuus qui scientiam vivificavit, nec fuit pauper qui intellectui dominatus est.57 9 Qui inter sapientes humilior est, sapientior existit, sicut locus profundior magis habundat aqua omnibus58 aliis lacunis.59 10 Non disseras nisi cum eo qui veritatem concedit, nec respondeas nisi a te querenti consilium60 et cupide recipienti. 11 Tuum consilium non committas nisi qui ipsum61 celaverit.62 12 Qui in mundo permanere voluerit, cor patiens adversitatibus preparet. 13 Parva domus est dolor minor. 14 Plus gaudeas quod non dixisti errorem, quam quod bene dicendo non tacuisti. _____________ 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

in incessu] in cessu B, incessu pr. paciebatur B. B om. intelligencius B. ipsi non] ei Bpr. The serial numbers of the proverbs come after them in M, but are omitted in B. inscipiens M. malis] adversis B, malis adversis pr. In bonis que nobis a Deo conferuntur bonitatem largitorum (read ›largitoris‹?) considera, in malis autem purgationis aut renumerationis bonitatem attende Burley. Burley omits the first phrase, and gives only: nec fuit pauper qui suo intellectui dominator. Bpr. om. sicut locus profundior ceteris lacunis aqua copiosior est Burley. conscilium M passim. B om. Tuum consilium non committas ei qui secretum proprium non celavit Burley.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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15 Cum irasceris, non extendas iram63 tuam ad peccandum et cum vindicte dimissio non fuerit64 debilitas, parce. 16 Ultime hominis promissiones cani65 sunt. 17 Iustorum corda secretorum sunt monimenta.66 18 Qui per alios non corrigitur, alii per ipsum67 corrigentur. 19 Manus intellectuum animarum tenent habenas. 20 Vulgi habenas regere melius est quam multos habere milites. 21 Fiducia est socius consolans, quam, licet non consequaris, eam tamen angariasti.68 22 Securitas solitudinis dolorem removet et pavor multitudinis consolationem aufert. 23 Inter homines altior existit mundo69 qui non curat in cuius manu70 sit mundus. 24 Invido71 videtur quod alterius boni ablatio sit sibi bonum. 25 Homines lucrantur censum et census lucratur72 homines. 26 Qui scientiam suam ultra astuciam que in ipso est extendit est sicut pastor debilis cum multis ovibus. 27 Qui in dignitate sua valde73 extollitur, in eius ammisione nimis74 deprimitur.75 28 Qui male operando vult celari, satis discoopertus est. 29 Qui in mendacio confidit, tempestive deficiet ei. 30 Meditatio veritatis existit clavis. 31 Intercessor est petentis ala.76 32 Anima non egreditur a fiducia usque ad mortem. 33 Anima ignorans suo socio magis inimicatur. 34 Quidam rex invitavit Ptolomeum ad prandium, qui rogans se fore excusatum dixit: Regibus contingit fere quod contingit considerantibus picturas, que cum a longe videntur placent, propinque vero non dulcescunt. Liber hic precepto Maimonis Regis Arabum qui regnavit in Baldahc ab Alahazez77 filio Iosephi78 filii Matre Arimetici79 et Sergio filio Elbe Christiano in _____________ 63 64 65 66 67 68 69 70 71 72 73 74 75 76

M post corr., manum Bpr., ›anger‹ Arabic. fuerit non dimissio debilitas B. cane pr., cave Burley. munipmenta M. B adds ›non‹, nec alii per ipsum pr. ›enjoy‹ Arabic. MBurley om.; Inter altos altior existit Burley. manus B. Invido] Cecitati invidi hominis Burley. lucrantur Bpr. multum Bpr. multum Bpr. Qui in diginitate non extollituer, parum in eius tristatur Burley. B adds ›vel anima‹.

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anno duodecimo et ducentissimo secte Saracenorum translatus est. Qui quidem liber est magnus dictus Almagesti quem Ptolomeus Pheludensis de scientia stellarum et motuum que sunt in celo conscripsit.

Translation: A certain prince called Albuguafe (Abu-l-Wafa’), in his book which he called ›The Choice of Items of Knowledge and the Beauty of Words‹, said that this Ptolemy was a man outstanding in the knowledge of mathematics, rising above others, and skilled in two arts, namely geometry and astronomy. He composed many books, among which is that which is called ›Megasiti‹, which means ›greatest,80 perfect‹; those who wanted to translate it into Arabic called it the ›Almagest‹. He was born and brought up in Alexandria, the Greatest, in the land of Egypt. His family was from the land of Sem (Sha’m = Syria) from a province called Pheludia (a corruption of ›Claudius‹). He observed with instruments the course of the stars in Alexandria in the time of King Hadrian and others and he published his own work, on the observations that Abrachis (Hipparchus) had made in Rhodes. Ptolemy was not one of the kings of Egypt who were called Ptolemy, as some think, but ›Ptolemy‹ was his name, just as someone may be called ›Chosroe‹ or ›Caesar‹. He was moderately tall, of a pale complexion, with a wide gait and thin feet, with a red mark on his right jaw, a thick and black beard, prominent and widely-spaced front teeth,81 and a small mouth. His speech was good and sweet, his anger was intense and took a long time to die away, he walked and rode frequently, he ate little, he fasted much, his breath smelt pleasant and his clothes were sparkling clean. He died in the 78th year of his life. These are some of the proverbs and words of wisdom of this Ptolemy: 1) An intelligent man should feel ashamed before God when his thoughts are not pleasing to Him. 2) The intelligent person is the one who always controls his tongue except to speak about God. 3) The fool is the person who does not know the measure of his .82 4) When someone pleases himself he is reduced to this: that God’s anger is on him. _____________ 77 78 79 80

Baldache ab alahas zez B. Ioseph B. arismetici B. Since literal translators from Arabic usually translated the Arabic rendering of the superlative by a Latin comparative, I have, were appropriate, translated the comparative as a superlative. 81 dentes…apertos] ›gaps between his middle incisors‹ Arabic. 82 The translator may have confused the two Arabic words ›qadar‹ (›divine foreordainment‹) and ›qadr‹ (›measure‹).

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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5) You should treat the good fortune that God deals out as the goodness of a generous donor; the evil, as the goodness of purgation and of an eternal reward. 6) The closer you approach the end of your , do good increasingly. 7) A person’s self-discipline is a companion to his intellect, and he is an advocate among men. 8) He has not died who has brought knowledge to life, nor is he poor who has ruled over his intellect. 9) The most humble among wise men is the wisest, just as the deepest place has more water than all other pools. 10) Only talk with someone who agrees to the truth,83 and only reply to the one asking your advice and eager to receive it.84 11) Only give your advice to someone who can keep it secret. 12) Whoever wishes to remain in the world should prepare his heart to suffer adversities. 13) A small house brings less worry. 14) You should rejoice more for not having said something wrong, than for breaking your silence and saying something correct. 15) When you are angry, do not let your anger lead you into sin, and be sparing, when the avoidance of revenge is not weakness. 16) The last promises for men are grey hairs.85 17) The hearts of the just are the repositories of secrets. 18) When a man is not corrected by others, others are corrected by him. 19) The hands of intellects hold the reins of souls. 20) To hold the reins of the people is better than to have many soldiers. 21) Hope is a cheerful companion which, even if you do not achieve , you have constrained it (?).86 22) Peace removes the pain of loneliness and fear takes away takes away the consolation of the crowd. 23) He stands in the world higher among men who does not care in whose hand the world is. 24) The envious thinks that the loss of another’s good fortune is his own good fortune. 25) Men gain possession of riches and riches gain possession of men. 26) He who extends his own knowledge beyond the talent that is in him is like a weak shepherd with many sheep. _____________ 83 agrees to the truth] is just Arabic. 84 asking your advice and eager to receive it] asking for guidance Arabic. 85 The Arabic means: ›Old age is the last promise (or tryst) in this world‹. The Latin is ungrammatical. 86 The Latin translator seems to have read ›astamta‘ta‹ (›you have enjoyed it‹) as ›astamna›ta‹, which he has understood as deriving from root ›m-n-‘‹ (›constrain, prevent‹). The Arabic makes sense: ›Hope is a cheerful friend. Even if does not come to you, you have enjoyed ‹.

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27) He who is greatly raised in his office, falls greatly when he loses it. 28) He who wishes to hide when he acts badly, is sufficiently revealed. 29) If someone trusts in lying, it will soon fail him. 30) Meditation is the key to the truth. 31) An advocate is the wing of the supplicant. 32) The soul does not cease to hope until death. 33) An ignorant soul is the greatest enemy of its companion .87 34) A certain king invited Ptolemy to dinner. Asking to be excused, he said: ›The same thing happens to kings as happens to those looking at pictures: those seen from a distance please, but close up they do not improve‹. This book was translated on the order of Maimon (Ma’mun), king of the Arabs, who reigned in Baghdad, by Alahazez (al-Hajjaj) son of Joseph, son of Matre (Matar) the arithmetician (al-Hasib), and Sergius son of Elbe (Elias) the Christian, in the 220th year of the Saracen sect. This book is called the great Almagest, which Ptolemy of Pheludia (i.e. Claudius) wrote about the science of the stars and the movements which are in the heavens. Text II. The Three Versions of Ptolemy’s Introduction (Almagest, I, ch. 1). Italics show the differences between the two versions of the translations of alHajjaj’s chapter (H’ and H). Bold face indicates correspondence of H’ and/or H with the Ishaq/Thabit version (I). Underlining in H’ indicates divergences from the original Greek text where the Arabic and Latin texts have diverged significantly from Ptolemy’s original statements (unless otherwise mentioned, the underlined words and phrasing are additions in respect to the Greek); references are made to the Greek text in Toomer’s translation (see n. 18 above). Glosses contemporary with the writing of the text in M are added in brackets (›al.‹ signifies an alternative reading, ›sc‹ and ›i.e.‹ an explanation). \ / indicates an addition by the scribe.

_____________ 87 The soul is the greatest enemy Arabic.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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Al-Hajjaj (Version H’) MS M (fols 172v–173r)

Al-Hajjaj (Version H) MSS M (fols 1v–2r) and B

Ishaq/Thabit (Version I) MSS M (fols 173r–v), W and B Bonum quod (quidem BW) fecerunt in eo quod video (B om. ›in eo quod video‹) illi qui perscrutati sunt scientiam philosophie, Ie Sure (BM; Ie Kirie W, O domine sure Wsupra), in hoc quod partiti sunt partem philosophie speculativam ab activa.

1 Bonum, O Sure, fuit quod sapientibus non fallacibus visum est, cum partem theoricam a parte practica diviserunt, que sunt due sapientie partes.

Bonum, domine, fuit (fuit Sure B) quod sapientibus non deviantibus (i.e. recte docentibus) visum est, cum partem speculationis (i.e. theoricam) a parte operationis (i.e. pratica) diviserunt, que sunt due sapientie partes.

2 Nam etsi accidat ut sit practica theorica prius, non est tamen inter eas differentia parva,

Licet enim contingat ut operatione (i.e. practica) sit speculatio prius (i.e. in quantum est scientia),88 inter eas tamen non parva existit differentia (Hic notandum est in omni scientia theoricam esse et praticam et est utraque scientia, sed differunt in hoc quod theorica est illa cuius finis est solam scientiam inquirere et pratica cuius est investigare ea que in operatione existunt.),

Sed, quamvis activa (Quoniam activa quamvis M) antequam sit activa est speculativa, tamen quod inter eas de diversitate reperitur est magnum,

3 non tantum quoniam89 quasdam bonas virtutes anime possibile est esse in pluribus hominum sine doctrina, et non est possibilis comprehensio totius90 sine doctrina, set91 quoniam plurimum utilitatis eius est in practica92 quod ex multitudine assiduationis operandi in rebus, et in scientia93 quod ex additione in scientia.

non solum quia etsi quorumdam excellentium accidentium anime bonitatem (quorumdam … bonitatem] quorundum morum honestatem P) possibile sit pluribus hominum inesse absque doctrina (scilicet, quia sunt quidam qui sine magistro intelligunt multa recte) non tamen totius scientiam absque doctrina comprehendere est possibile, verum etiam quia plurimum utilitatis consistit (P

non propterea quod quasdam bonas (quedam bone M) virtutes animales possibile est esse (esse] quandoque ut sint M) in multis hominum sine doctrina, sed ad scientiam omnium rerum speculativarum non est possibile aliquem pervenire absque doctrina, sed tantum (tantum sed M) propterea quod perducens ad finem quesitum in parte quidem activa est multitudo assiduationis super operationem

_____________ 88 By substituing ›operatione‹ and ›speculatio‹ the author makes it clear which word is in the nominative and which word is in the ablative, and he has made the correct choice. 89 The Greek has ›in the first place‹. 90 comprehensio totius] ›theoretical knowledge of the universe‹ Greek. 91 Greek: ›furthermore‹. 92 in practica] Greek: ›in the first place‹ (›eius‹ and ›in practica‹ are tautological). 93 in scientia] Greek: ›in the other‹.

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Charles Burnett adds ›aut‹) in operatione (opere P) quod propter plurimam perseverentiam agendi in rebus, et (aut P) in scientia quidem (P om.) propter augmentum in scientia.

et in parte quidem speculativa additio (additionem M) speculationis.

4 Et propter hoc vidimus nobis fore necessarium ut decenter preparemus mensurationem operationum cum doctrina principiorum earum que inveniuntur in mente et cogitatione ideo ne desit aliquid de inquisitione facta de toto decoro bone forme cum bonitate mensurationis, neque in parvis rebus neque in vilibus eorum, et ut expendamus plurimum nostri otii et ponamus plurimum nostre intentionis in doctrina scientie magne, sublimis et proprie (in alio: appropriata nomine scientie) in rebus quibus apropriatum est ut nominentur doctrinales.94

Quapropter nobis visum est expedire nobis ut decoremus mensurationem operationum (decoremus … operationum] sciamus metiri operationem P) cum doctrina principiorum eorum (eius P) que reperiuntur in imaginatione et intellectu ne quid desit ex inquisitione totius pulcre rei decentis forme cum mensurationis bonitate (secundum mensurationis bonitatis P) neque in minimis rebus neque in vilibus et ut expendamus plurimum nostri otii studii (otii P) et plurimum nostre intentionis (studii P) in disciplina scientie magne et excelse et precipue que proprie nominatur scientia.

Et propter illud vidimus quod oportet ut sit rectificatio operationis illud quod credimus per mentes nostras ut non recedamus nec in pauco ex rebus a consideratione perducente ad dispositionem pulcram ordinatam, et ponamus plurimum nostre occupationis in inquisitione scientie rerum speculativarum propter multitudinem earum et superfluam bonitatem ipsarum et proprie in rebus quibus proprium est ut nominentur doctrinales.

5 O quam bonum fuit quod divisit Aristotiles partem practicam95 cum eam in genera prima tria sequestravit, \scilicet/ in naturale et doctrinale et theologicum (hec divisio reperitur in quinto tractatu libri eius qui est de metafisicis)!96

O quam bonum fuit quod Aristotiles divisit theoricam, cum eam in tria prima genera distribuit, in naturale, doctrinale, theologicum!

O quam bonum quod divisit Aristotiles partem speculativam cum divisit eam in tria prima genera (in genera prima tria scilicet M), naturale, (M adds ›et‹) disciplinale et divinum!

6 Generatio enim omnis generati ex97 materia est et

Generatio namque omnis generati ex materia est et

Quoniam essentia omnium rerum ex materia est et forma

_____________ 94 The Greek of this passage is difficult to match with the Latin: ›Hence we thought it fitting to guide our actions (under the impulse of our actual ideas) in such a way as never to forget, even in ordinary affairs, to strive for a noble and disciplined disposition, but to devote most of our time to intellectual matters, in order to teach theories which are so many and beautiful, and especially those to which the epithet ›mathematical‹ is particularly applied.‹ 95 ›practicam‹ is clearly an error. 96 I.e. Metaphysics E 1, 1026a 18 ff. 97 Greek: ›For everything that exists is composed of‹.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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forma et motu, et neque est possibile ut videatur in noto98 unumquodque horum trium solum singulare stans per se absque alio, set quandoque est possibile ut ratiocinetur solum absque alio.99

forma et motu. Neque est possibile ut in aliquo noto unumquodque (aliquod; P om.) horum trium solum per se singillatim stans absque alio videatur. Possibile tamen est ut solum (unum P) absque alio intelligatur

et motu, et non est possibile ut sit una rerum trium secundum singularitatem inventa actu, et est iam possibile ut intelligatur unaqueque earum absqua alia.

7 Si quis autem querit scire que sit causa prima que est motui primo, affirmabitur ei cum exposuerit illud secundum ordines suos100 quod est Deus qui non videtur et non movetur, et quod species theorice qua Ipse scitur101 in superiore celsitudine102 nominatur theologica, et illud est ratiocinatum quod est separatum a substantiis sensibilibus.103

Quod si quis scire querit que sit prima causa primi motus, affirmabitur ei cum illud secundum ordines (P adds ›suos‹) perscrutatum (-us M) fuerit (fuerit declaratum P) quod est Deus invisibilis et immobilis. Species autem theorice qua inquiritur indagatio (perscrutatio BP) (Hoc dicit ideo quia multum queruntur sciendo de Deo que non sunt sub illa specie ut ea que creduntur sine probatione) sciendi de Deo illud (sciendi de Deo illud] qua scitur P) quod est in suprema altitudine ordinum (P adds ›mundi‹) nominatur theologica. Et hoc quidem intelligitur separatum esse a substantiis sensibilibus.

Causa igitur prima motui totali primo quando cogitamus motum simplicem videmus quod est Deus qui non videtur neque movetur, et nominabimus hanc speciem inquisitionem de Deo nostro. Et hanc quidem intelligentiam intelligimus in altiore altitudine rerum tantum seiunctam penitus a substantiis sensatis.

8 Species vero theorice qua fit perscrutatio de speciebus materialibus sempiterne alterationis in album et nigrum et calidum et frigidum et acetosum et dulce104 et que his sunt similia, nominatur naturalis, et hec quidem natura in

Species vero theorice qua species materiales investigantur semper alterate in album et nigrum et calidum et frigidum et acetosum et dulce et que his similantur (assimilantur B), nominatur naturalis. Hec autem natura (B adds

Species autem inquisitionis de qualitate materiali assidue successionis, sicut albedine et caliditate et dulcedine et levitate et similibus illis nominatur naturalis, et substantia in qua sunt ista invenitur secundum plurimum in rebus

_____________ 98 99 100 101 102

Greek: ›in its substratum‹. Greek: ›they can only be imagined‹. Greek: ›if one considers it simply‹. Greek: ›by which one investigates this‹. In this version ›in the highest reaches of the universe‹ appears to go with ›God‹ whereas in the Greek it goes with the science. 103 This is closer to the Greek than Version H, since the Greek has ›it can only be imagined and is completely separated from perceptible reality.‹ 104 The Greek has only one of each of the pairs: ›white, hot, sweet‹ and adds ›soft‹.

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rebus corruptibilibus plurimum est mota sub orbe lune.

›consistit‹) in rebus (has res intelligit sive elementa sive celestia corpora sive quecumque sunt materia) antiquis (vel vetustis) plurimum (quarum plures B) sub orbe lune movetur (moventur B) (vel que finiuntur vel corrumpuntur).

quibus accidit corruptio que sunt sub spera lune.

9 Et singulariter ponam speciem significantem declarationem specierum formarum et motus motorum (scilicet localiter) et quantitatem et magnitudinem et tempus et figuram105 et que eis sunt similia, et appropriabo106 eam nomine scientie.107

Speciem vero indicantem (omnes tres vocat naturas) demonstrationem specierum formarum et motus eorum que localiter moventur et quantitatem et magnitudinem et tempus et figuram et que his similia existunt singilatim ponam et vocabo eam proprie nomine scientie.

Species autem docens de dispositione forme et motuum localium et est illa que inquirit de figura et numero et magnitudine et loco ac (et M) tempore et que similia sunt illis, nominatur disciplinalis.

10 Et hec quidem natura est quasi medium inter illas duas naturas, non tantum quoniam possibile est ut comprehendatur sensu sicut comprehenditur species naturalis et absque sensu sicut comprehenditur species theologica, set quoniam ipsa est communis (in omnibus que de non esse venerunt ad esse in eis que moriuntur et in eis que non moriuntur, alterata cum alteratis in forma numquam separata, adherens formis rerum sempiternis perpetuis que sunt nature etheree absque alteratione) in108 omnibus corporibus, que de eis corrumpuntur et que non corrumpuntur, et in eis quidem que corrumpuntur ipsa alteratur cum eis in forma que non separatur a

Et hec quidem natura est quasi medium inter illas duas naturas, non tantum quoniam possibile est ut comprehendatur sensu (intelligatur secundum sensum B) sicut species comprehenditur naturalis et absque sensu etiam quemadmodum species comprehenditur theologica, verum etiam quia (al. existit in omnibus essentiis110 mortalibus et inmortalibus alterata cum alteratis in forma numquam separata, commutans formas rerum (B omits) semper permanentium que sunt nature etheree absque alteratione) ipsa communiter consistit (quod temperantia communiter existit B) in omnibus corporibus que corrumpuntur et que non corrumpuntur. In eis autem

Et substantia in qua sunt ista est quasi media inter illa duo genera, non tantum propterea quod iam intelligitur per sensum et absque sensu, sed propterea quod est communis (W adds ›vel communi ca(usa)rum‹) iterum omnibus corporibus que corrumpuntur ex eis et que non corrumpuntur. Ipsa igitur est in eo quod corrumpitur ita quod alteratur cum eo in forma que separatur a materia, et in eo quod non corrumpitur, scilicet in natura celesti remanet in forma, absque alteratione.

_____________ 105 106 107 108

The Greek adds ›place‹ and gives a different order. In the Greek the verb is indefinite. Greek: ›mathematics‹. iterum MS.

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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materia, et in eis que non corrumpuntur, scilicet in natura celesti, remanet109 in forma eorum (vel sua) sine alteratione.

que corrumpuntur existit cum alteratione forme que non separatur a materia, set in eis que non corrumpuntur, scilicet in natura celesti, remanet in forma sua absque alteratione.

11 Et propter hoc dico quod duo alia genera que sunt de divisione theorice estimantur et non comprehenduntur veritate scientie,111 theologicum quidem quoniam numquam videtur neque comprehenditur, set naturale propter separationem materiei et levitatem sui cursus et velocitatem sue alterationis et parvitatem sue fixionis.112 Et propter hoc numquam speratur convenientia sapientum in ambobus.

Quapropter dico quod duo reliqua genera divisionis theorice, sola extimatione noscuntur (cognoscuntur B) et non scientie veritate comprehenduntur, theologicum videlicet quia numquam videtur neque comprehenditur, naturale vero propter motionem materie et levitatem sui cursus et velocitatem sue alterationis et parvitatem sue more. Quare convenientia sapientum numquam in eis expectat (expectatur B).

Propterea igitur quia vidimus quod duo genera ex tribus generibus de quibus inquirit pars speculativa non comprehenduntur nisi ex modo qui est magis similis et magis apparens, non per scientiam veram, divinum quidem propterea quod non est ei necessarium ut appareat sensui, et ut comprehendatur, et naturale quidem propterea quod materia est non fixe dispositionis et propter illud non speratur \vel expectatur/ (M omits v.e.) convenientia sapientum in utrisque

12 Genus vero doctrinale solum tantum acquirit ei qui ipsum studiose reponit et cum vehementia inquisitionis, scientiam firmam, veram, absque alteratione et diversitate,113 quoniam demonstratio super ipsum est cum via in qua non est ambiguitas, de scientia numeri et mensure.

Genus vero doctrinale ipsum solum replet eum qui ipsum studiose reponit et vehementi investigatione scientia permanente vera absque alteratione et contrarietate, quoniam demonstrationes que in ipso sunt secundum vias sunt in quibus non est ambiguitas, cum sumantur (affirmantur B) ex scientia numeri (B adds ›i.e. arismethice‹) et mensure (B adds ›i.e. geometrie‹)

quia (et M) vidimus quod per (W omits) partem disciplinalem tantum, si in ea perscrutati fuerimus inquisicionem acquiremus scientiam veram, fixam, quoniam eius demonstrationes sunt per vias in quibus non est ambiguitas) et sunt numerus et geometria.

13 Et nos quidem volumus ut intendamus in tota hac scientia cum quantitate nostre

Nos autem volumus ut in tota hac scientia quantum (in quantum B) possumus desu-

Vocavit nos illud ad studendum in hac scientia tota per quantitatem potentie plus

_____________ 110 Greek: ›all existing things‹. 109 Greek: ›it keeps them‹. 111 Greek: ›should rather be called guesswork than knowledge‹. 112 An expansion of the Greek: ›physics because of the unstable and unclear nature of matter‹. 113 Again the Greek has only ›sure and unshakeable knowledge‹.

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Charles Burnett

potentie super eam et in scientia corporum114 celestium proprie, quoniam inquisitio in hac scientia est de rebus secundum dispositionem unam semper, et propterea possibile est ut sit hec scientia in se propter declarationem sui et bonitatem sui ordinis secundum dispositionem unam. Et hec quidem est proprium scientie vere.

demus et precipue in scientia corporum celestium. In hac namque scientia semper fit investigatio et consideratio de rebus que semper sunt uno modo. Quapropter possibile est ut hec scientia in se ipsa propter (scientia per se ipsam comprehenditur quod B) sui declarationem et sui ordinis bonitatem uno modo semper (B omits) existat (existentis B), quod quidem proprium est scientie vere.

omnibus rebus et proprie in scientia corporum celestium, quoniam inquisitio in hac scientia est de rebus secundum habitudinem unam semper. Et propter illud possibile est ut sit hec scientia in semet (se M) ipsa propter fixionem suam et bonitatem sui ordinis secundum dispositionem unam semper et hec est proprietas scientie vere.

14 Et non est parvi adiutorii ad comprehendendam scientiam aliorum duorum modorum, et precipue scientiam Dei gloriosi,115 quoniam ipsa est semita ad cognoscendum Deum gloriosum propter rationem cum perscrutatione (vel perexperientia) et cogitatione.116

Hec quoque non parum valet ad reliquorum duorum modorum scientie (B omits) comprehensionem, et precipue scientie Dei excelsi. Ipsa namque est via (semita B) ad sciendum Deum altissimum propter rationem cum perscrutatione et intellectu.

Et possibile est ut adiuvet super scientiam duorum generum aliorum, quoniam perducit ad scientiam divinam plus quam perducant omnes scientie, et illud est quoniam nos per hanc scientiam tantum possumus pervenire ad hoc ut esse habeat illa intelligentia cuius esse est sine motu et non incursu (cum cursu M) materie

15 Et hec et ei similia significant significatione vera et manifesta Deum, qui non alteratur et non separatur et non est novus neque factus, quoniam ipsa est propinquior scientie nostre quam Ipse gloriosus et quia ipsa est viator perducens ad Eum.

Que et eius similia vere (B omits) et manifeste significant Deum, qui non alteratur et non movetur (morietur B) et non est novus (accidens B) neque est factus, quoniam (quia B) ipsa nostre scientie quam Ipse altissimus vicinior existit (quam de deo habemus altissimo vicina existit B) et quia ipsa est semita ducens ad Eum.

16 Quoniam ipsa sola tantum cum perseverantia (vel ›per perseverantiam‹) inquisitionis de sempiternis fixis et de

Ipsa namque sola tantum de rebus semper manentibus cum perseveranti (perseveranter B) inquisitione (inqui-

propter propinquitatem suam ad illud quod sequitur substantias sensatas, motas et moventes, que assidue non

_____________ 114 Greek: ›things‹. 115 Greek: ›theology‹. 116 Greek: ›since it is the only one which can make a good guess at that activity which is unmoved and separated.‹

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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genere considerationis eius quod non alteratur, et cuius estimatione absque opere approximat accidentibus que sunt in revolutionibus et ordinibus motuum qui sunt substantiis sensatis moventibus et motis, sempiternis in quibus non est diversitas.117

rit B) et de rebus que sunt (de rebus que sunt] et est B) ex genere considerationis eius quod non alteratur, et extimatione ipsius (eius existimatio B) absque opere vicinatur (hoc ideo dicit quia ea vere comprehendere non potest) accidentibus que sunt in revolutionibus et ordinibus motuum qui sunt in sub(stant)iis sensatis (sensilibus B), moventibus et motis, sempiternis, in quibus non existit diversitas.

alterantur a revolutionibus et ordinibus motuum \id est ordinatis motibus/ (this in M too).

17 In genere vero naturali non est iterum eius iuvamentum parvum. Totalitas enim proprietatis nature materialis non videtur et comprehenditur nisi ex proprietate conversionis motus localis.

Ad genus quoque naturale non parvi extat (existat B) iuvaminis. Totalitas (Universalitas B) enim proprietatis nature materialis non videtur neque comprehenditur nisi ex proprietate conversionis motus localis.

Et scientia quidem corporum celestium confert in scientia naturali iuvamentum maximum (magnum M) quoniam maior pars proprietatum substantie materialis non declaratur nisi ex proprietate motus localis,

18 Et propter hoc videtur illud quod corrumpitur et illud quod non corrumpitur ex motu rectitudinis et revolutionis, et videtur grave et leve et agens et patiens ex motu qui est ex medio et ex illo qui est ad medium.118

Quapropter et quod corrumpitur et quod non corrumpitur per motum rectum et circularem sentitur. Grave namque et leve et agens et patiens videntur per motum a medio et per eum qui est ad medium.

quoniam scimus si corpus corrumpitur, aut non corrumpitur cum contemplamur in motu eius, aut sit secundum rectitudinem aut secundum rotunditatem. Et scimus utrum (si M) est illud corpus leve aut grave aut patiens aut agens cum aspicimus in motu eius an est ad medium aut a medio.

19 Et iterum non est eius excusatio in operationibus et bonitate virtutum laudabilium parva, immo non est aliquid aliud magis iuvans quam ipsa, propterea quod ipsa acuit oculos nostros et cogita-

Preterea in actionibus quoque et honestatibus morum laudabilium non est eius necessitas parva, immo nichil est magis eo adiuvans ad acuendos nostros (nostre B, with order o.m.n.) mentis

Et vocat iterum scientia corporum celestium ad bonitatem in operatione \s. Theologica/ (M omits) et virtutibus anime plus quam omnes scientie, propter illud quod videtur in corporibus de

_____________ 117 Order changed from the Greek: ›it is familiar (= approximat) with the attributes of those beings which are on the one hand perceptible (= sensatis), moving and being moved (= moventibus et motis), but on the other hand eternal and unchanging (= sempiternis in quibus non est diversitas), having to do with motions (= revolutionibus) and the arrangements of motions (= ordinibus motuum).‹ 118 Greek reverses ›from the centre‹ and ›to the centre‹.

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Charles Burnett

tiones nostras per speculationem in eo quod similatur operationibus divinis ex bonitate mensurationis et equalitatis et parvitate arrogantie.119

oculos et intellectus ad considerandum ea que operibus similantur divinis, scilicet (propter B) bonitatem moderaminis et equalitatis et parvitatem arrogantie.

fixione dispositionis et bonitate ordinis et equalitatis et quod non est in aliqua rerum suarum superfluitas, neque quod non sit necessarium quia (et M) vocat scientia huius generis ad dilectionem sui,

20 Et quoniam ipsa ponit illum qui adheret ei et sequitur eam amatorem huius pulcritudinis celestis et vocat eum per assiduationem consuetudinis divine et coniunctionem cum eo ad illud quod assimilatur anime ex bonitate forme et assimilatione cum Creatore suo.120

Et quoniam ipsa facit eum qui eam perseveranter sequitur (inquirit B) hanc celestem pulcritudinem diligere et ducit (vel vocat) (ducet B) eum cum perseverantia (ad perseverantiam B) divini studii et coniunctione eius cum ipso (coniungit eum ipsi B) ad id (B omits ›ad id‹) quod anime simile est bonitate (propter bonitatem B) forme et assimilat eum Creatori suo.

et facit animam adipisci per illud consuetudinem sibi naturalem, similem dispositioni huic.

21 Et nos quidem laborabimus ut addamus in amorem sempiternorum fixorum usque ad terminum quem posuit eis ipsorum Creator, in eo quod sequitur de hoc nostro libro.

Nos autem laborabimus ut in amorem (amore B) scientie sempiternorum (i. faciemus ut magis diligatur hec scientia), manentium usque ad terminum quem eorum Conditor eis imposuit, in sequentibus huius nostri libri addamus.

Nos ergo sumus inquirentes augmentum amoris huic dispositioni fixe

22 Illud vero huius scientie cuius iam completa est comprehensio addiscemus a scientibus eam non fallacibus in ea \scilicet/ ex illis qui sunt huius scientie et inquirunt eam cum perscrutatione et studio.

Ea vero huic scientie quorum comprehensio iam completa est, a scientibus ea (eam B) non deviantibus (i.e. recte docentibus), scilicet habentibus hanc scientiam, et inquirentibus eam cum investigatione et studio addiscemus.

per hoc quod addiscimus illud quod iam comprehenderunt illi qui fuerunt ante nos de huius (hac M) scientia, qui subtiliter percrutati sunt inquisitionem de ea.

23 Et desideramus addere in ea secundum mensuram quam potest nobis addere tempus quod fuit inter nos et eos de expositione.

Desideramus vero addere in ea (eo B) ex declaratione secundum mensuram qua possibile fuit tempus quod fuit inter nos et eos nobis addere.

Et ut addamus super illud secundum quod iam fecit nos adipisci tempus quod fuit inter nos et inter illos.

_____________ 119 Greek: ›from the constancy, order, symmetry and calm which are associated with the divine‹. 120 Greek: ›accustoming them and reforming their natures, as it were, to a similar spiritual state.‹

›Ptolemaeus in Almagesto dixit‹

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24 Et de omnibus que estimamus iam fore declarata et explanata et verificata apud nos de hac scientia usque ad hoc nostrum presens tempus, laborabimus librum scribere compendiosum et quanto plus possibile est brevem et secundum quantitatem qua sit possibile ut intelligant eum qui eruditi sunt in scientia computationis.

De omnibus vero huius scientie que iam estimamus fore manifesta et posita et certificata apud nos usque ad hoc nostrum presens tempus, elaborabimus librum scribere compendiosum et quanto plus possibile est brevem, secundum mensuram tamen qua possibile sit subtiles in arte arimetice (arismetice B) ipsum (eum B) intelligere.

Et aggregabimus totum quod vidimus (videmus M) iam expositum usque ad hunc finem de hac scientia in libro cum eo quod est possibile (possibile est M) de abbreviatione et per quantitatem qua possibilis sit eius intellectus, ei qui iam processit

25 Et quia volumus complere ipsum, ponemus totum per quod possibile est proficere, et quod est necessarium de scientia celesti in loco sibi proprio et secundum suos ordines.

Quia vero ipsam (ipsum?) (tempore B) complere volumus, ponemus quicquid possibile est conferre et quo indigent ex scientia celesti in loco sibi proprio et secundum suos ordines.

Et ut liber sit completus, ponemus omnia quibus sit iuvamentum in scientia corporum celestium secundum ordinem quem oportet.

26 Et ne liber prolongetur, quecumque quidem certificata sunt cum veritate de illis que narraverunt antiqui, pertranseam plane tantum, et illud cuius comprehensionem non sunt consecuti aut posuerunt ipsum aliter quam oporteret, laborabimus complere et speculari in eo secundum quantitatem nostre virtutis.

Ne autem liber prolongetur, quecumque verificata sunt ex eis que ab antiquis posita sunt, simpliciter (i. absque investigatione et perscrutatione et disputatione) solum pertranseam. Que vero comprehendere non potuerunt aut aliter quam oporteret posuerunt, elaborabimus perficere et speculari secundum quantitatem nostre virtutis.

Et ut non prolongemus sermonem, pertransibimus illud cuius scientia perscrutati sunt primi plane et exponemus cum quantitate possibilitatis illud quod primi non comprehenderunt, neque consecuti sunt ex eius comprehensione quod oportet.

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Voß, Wolf, Heyne und ihr Homerverständnis MICHEL ESPAGNE

In keinem europäischen Land hat die Rezeption der Antike eine so zentrale institutionelle Funktion erfüllt wie im deutschsprachigen Raum. Dies hängt bekanntlich damit zusammen, dass der preußische Beamte zum Altphilologen ausgebildet werden musste, bevor er sein Amt antreten durfte. Vor der Reichsgründung ersetzte die Bildung das einheitliche Gefüge des Zentralstaates. Und als Galionsfigur der Altertumswissenschaft gilt immer noch Friedrich August Wolf. Inwieweit dieses Erklärungsschema stimmt, mag dahingestellt bleiben. Sicher ist, dass der Gräzist, der in den Prolegomena ad Homerum die Figur Homers als Konstrukt der griechischen Kulturgeschichte entlarvt hatte, die Aufmerksamkeit von der Werk- auf die Kultureinheit verschoben und dadurch Griechenland zu einem Modell für die deutschen Verhältnisse gemacht hatte. Wolf ist allerdings kein Einzelgänger, sondern der Protagonist in einer Debatte an der vor allem Johann Heinrich Voß und Christian Gottlob Heyne, aber auch Humboldt und Goethe teilgenommen haben. Der Ablauf der Diskussion zwischen Voß1 und Wolf über die homerische Frage hat deshalb eine kulturpolitische und institutionelle Tragweite, weil sie einerseits die deutsche Dichtung als moderne Antike stilisiert und andererseits die unumgängliche Voraussetzung für die Theorie der Bildung in Deutschland, sicher eine weitreichende Transformation der Antike, darstellt.

I. Christian Gottlob Heyne als Feindbild Friedrich August Wolf und Johann Heinrich Voß, auf deren Korrespondenz ich mich stützen möchte, kennzeichnen sich durch eine gemeinsame Einstellung zur Altertumswissenschaft. Beide sind Altphilologen und als solche haben sie die Publikationen von Christian Gottlob Heyne2, dem Philologen, Archäologen und Direktor der Göttinger Bibliothek mit großer Aufmerksamkeit gelesen, bevor sie _____________ 1 2

Die beste Darstellung von Voßens Lebenslauf und Werk bleibt das Buch von Wilhelm Herbst (1872–1876). Vgl. auch Andrea Rudolph (Hg.) (1999). Vgl. Heidenreich (2007).

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Michel Espagne

sich von ihm distanzierten. Voß verließ sein Seminar zu Ostern 1774. Der erste Brief Wolfs an Voß wurde am 10. November 1788 geschrieben, er bezieht sich auf Voßens Ausgabe von Vergils Georgica und lässt sich auf eine Polemik gegen die Unzulänglichkeit von Heynes Ausgabe desselben Autors ein. 1794 sind sich die beiden Männer begegnet; sie unterhielten sich über ihre jeweiligen Projekte und als Voß nach Eutin zurückkehrte, wo er unterrichtete, wurde der Briefwechsel recht freundschaftlich. Im Laufe des Sommers wartete Wolf auf den Druck der Prolegomena und las die Mythologischen Briefe (2 Bde., 1794), wobei er sich ernsthaft begeistert zeigte. Ihr gemeinsames Misstrauen Heyne gegenüber war sicher die stärkste Brücke zwischen beiden Männern. Mein Haß gegen den Heyne hat seit unsrer Bekanntschaft so zugenommen, dass ich ohne Empfindung meiner Nerven nicht an ihn denken kann. Seit November hab ich auch seine Zeitung nicht mehr gesehen, höre aber von Studenten alle Wochen die elendesten Dinge daraus. So soll er ja neulich von Pan alles Pelasgische wiederholt haben, auch von Retractationen gesprochen haben, die er wol wie der heilige Augustin schreiben möchte, nemlich um Ihre Entdeckungen für seine Curas posteriores auszugeben. Kurz mit diesem Chamäleon ist nichts anzufangen.3

Als Wolf Voß seine Prolegomena zuschickt, über deren Inhalt Voß schon informiert war, weiß er, dass letzterer die vorgenommene Kritik an Homers ästhetischer Homogenität nicht gutheißen kann. Er fühlt sich aber von Voßens Beziehung zu den Gegenständen der antiken Kultur überzeugt: So sind Sie mir dann einer der erwünschtesten Leser und Richter, die ich haben kann, oder grade heraus, der erwünschteste. In Ihren Mythologischen Briefen haben Sie mehr als irgend jemand gezeigt, wie man Zeugniße des Alterthums, die redenden wie die schweigenden, prüfen muß; und in mehrerm Betracht hat mein Stoß mit dem Ihrigen Ähnlichkeit.4

Im Oktober 1795 hat Wolf seinerseits mit großem Vergnügen Voßens Luise gelesen, und er behauptet sogar die Luise als Beispiel für griechische Poesie in seinem Unterricht an der Universität Halle ausgewertet zu haben, so dass seine Studenten den Text auswendig wussten. Die beiden Männer tauschen sich seltene Ausgaben antiker Texte und im Jahre 1795 entsteht das Projekt einer gemeinsamen philologischen Zeitschrift.5 1796 unterhalten sie sich über Ruhnkens Vorschlag an Wolf, er solle zu einem Lehrstuhl an der Universität Leiden wechseln. Unter dem Einfluss Wilhelm von Humboldts entscheidet sich Wolf für die Ablehnung. Die Spur der brieflichen Kontakte zwischen Wolf und Voß ist auch in Humboldts Korrespondenz zu erkennen. Humboldt bekennt sich zu der von Voß vertretenen philologischen Tradition in seiner Pindar-Übersetzung, insbesondere in der Übertragung des ersten Pythischen Gedichts (Brief vom 23. März 1794). Voß _____________ 3 4 5

Wolfs Korrespondenz wird nach der Ausgabe von Siegfried Reiter zitiert. Brief an Voß vom 23.4.1795. – Siehe auch Ebert/Zimmermann (Hg.) (1989). Friedrich August Wolf. Ein Leben in Briefen, Brief von Anfang Mai 1795. Ebd., Brief vom 12.10.1795.

Voß, Wolf, Heyne und ihr Homerverständnis

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hat übrigens das Ergebnis von Humboldts Arbeit zur Kenntnis genommen. Humboldt kann aber die Angriffe gegen Heynes wissenschaftliche Ehrlichkeit nicht billigen und wehrt sich gegen den oft geäußerten Verdacht des Plagiats. Die mythologischen Briefe (1. Theil) habe ich selbst und habe sie schon gelesen. Nur besser, natürlicher geschrieben wünschte ich sie. Die Stelle über Heyne? – ja nun, da wissen Sie schon mein Urtheil. Ich habe es sehr gern, dass man Diebe öffentlich geißelt, oder gar hängt, das Land säubert sich. Aber ich bin nicht gern bei der Exekution zugegen.6

Humboldt kritisiert überhaupt in seinen Briefen an Wolf Voßens angebliches Versagen bei der Anwendung der antiken Tradition auf die Deutung der modernen Welt, die sein eigenes Übergleiten von der Philologie zur Anthropologie kennzeichnet. In Humboldts Ansicht komme es oft vor, dass man sich aus Unkenntnis der Antike über die moderne Welt täusche. Voß lasse sich aber den umgekehrten Irrtum zuschulden kommen: Das Gegentheil, dünkt mich, ist es, was den guten Voß so oft nicht bloß einseitig macht, sondern ihm selbst das Alterthum in ein unrichtiges Licht stellt.7

Voß entwickelt eine Auffassung der Philologie, die man insbesondere in seiner langen Kritik von Heynes Ilias (im Mai 1803 in der Allgemeinen Literaturzeitung erschienen) und anschließend in den Kritischen Blättern nebst geographischen Abhandlungen (1828) findet. Er meint, man könne keineswegs Homer erklären, indem man sich am Wort halte, sondern man müsse sich mit dem historischen Kontext vertraut machen und eher eine Philologie der Sachen betreiben. Voß beruft sich ausdrücklich auf Reimarus, den Heyne als Hintergrund der eigenen Forschungen zu lange ignoriert habe: Schon vor 50 Jahren, und lange vor der Epoche der modernen Interpretation, zog dieser gründliche Mann die Erklärungskunst in die Vernunftlehre, deren Regeln sie auf Sprache und Alterthümer anwende. Eine davon, die Herr Heyne nimmehr anerkennt, wiederholen wir, um uns und andere zu ermuntern. ›Da auch Begriffe von den Sachen erfodert werden, wenn einer einen zusammenhangenden Verstand aus den Worten herausbringen will; so muß man so viel historische Erkenntnis von der Natur, von Personen, Örtern, Geschichten, Gebräuchen, Meinungen und so viel Wissenschaften, als möglich ist, mitbringen, oder dieselbe in den gehörigen Hülfsmitteln suchen.‹ So Reimarus oder die gesunde Vernunft.8

Eine wichtige Dimension des Kontextes ist die Geographie. Voß hat zur Gründung der Geographie der Antike einen wichtigen Beitrag geliefert, und sein Schüler Friedrich August Ukert widmet ihm nicht zufällig seine Geographie der Griechen und Römer (1810–1816). Nun beobachtet er in seiner Kritik von Heynes Ilias, dass letzterer Wolf gegen die Möglichkeit geographischer Forschungen _____________ 6 7 8

Humboldt, Briefe an Wolf, 25.7.1794. Ebd., Brief an Wolf vom 23.12.1796. Voß, Kritische Blätter, Bd. 1, 71.

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ausspielt. Wenn die homerischen Gedichte von mehreren Autoren verfasst wurden, wie könne man aus ihnen eine homogene Vorstellung der Erdkunde heraus gewinnen? Heyne übersieht allerdings dabei die Tatsache, dass die verschiedenen Autoren der homerischen Gedichte zu einem einzigen Raum und zur selben Tradition gehört haben. Ein weiterer Gegenstand von Voßens Überlegungen ist das Problem der Häuser und ihrer Gestaltung zu homerischen Zeiten. Heyne gegenüber tritt Voß als Verteidiger der Sachphilologie auf, und man kann schwer bestreiten, dass ein bedeutender Teil der Wolfschen Positionen, zum Beispiel seine Versuche, die genaue Verbreitung der Schreibkunst näher zu beleuchten erst vor diesem Hintergrund zu erklären sind. Im Austausch zwischen Voß und Wolf lassen sich die neuen Ansprüche der Philologie erkennen.

II. Gegen die Mythen In den Krieg der Philologen werden auch Heyne-Schüler wie Martin Gottfried Hermann, der Verfasser eines Handbuchs der Mythologie (1787–1790) einbezogen. Eine der schärfsten Kritiken an Heynes Arbeit findet sich in Voßens Kommentar der Heynischen Ilias, der im Mai (1803) in der Allgemeinen Literaturzeitung publiziert wird. Die Kritik artikuliert sich in zwei Dimensionen, die beide Achsen von Voßens Philologie näher definieren: Worterklärung und Sachkenntnis. Die Liste der Irrtümer, die Voß in Heynes Textfassung entdeckt zu haben glaubt, ist weniger relevant als seine Ausführungen über den historischen Hintergrund. Voß ist der Ansicht, dass man die Ilias nicht nur als Gegenstand einer gelehrten Deutung sehen kann, sondern dass man das Werk als ein gegenwärtiges wahrnehmen, d. h. die Geschichte der Sprache, der Sitten und der Künste und überhaupt die ganze homerische Zeit im Blick haben muss. Voß bekennt sich zu einem geistigen Paradigma, das er auf Reimarus zurückführt und seiner Ansicht nach in der Annäherung von Vernunfttheorie und Theorie der Interpretation besteht. Reimarus wird als Bürgschaft einer Methode zitiert, welche die Schriften in der Kulturgeschichte verortet, um deren Sinn zu begreifen, dabei aber die Texte als Exponenten dieser Kultur versteht. Voß gehörte zu den Gründern der antiken Geographie, und wie die Widmung der Geographie der Griechen und Römer von August Ukert beweist, hat er auch auf diesem Gebiet Schüler ausgebildet. Die homerischen Figuren leben in einem Raum und schlafen unter einem Dach, die es als realia noch zu beschreiben gilt. Ein anderer Interessenschwerpunkt vom Autor der Luise, dieser typischen Idylle des aufklärerischen Bürgertums, bezieht sich auf das homerische Haus, das er nicht nur vom Standpunkt der Architektur, sondern auch vom Standpunkt der Innenausstattung beschrieben hat. Der wichtigste Punkt ist die homerische Mythologie. Zwei Thesen widersprechen einander. Für Heyne bestand die vorhomerische Kosmogonie in einem System symbolischer Bilder, die sich in Gottheiten herauskristallisierten.

Voß, Wolf, Heyne und ihr Homerverständnis

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So war in den vorhomerischen Kosmogonien z. B. der ferntreffende Apollo nichts weiter als ein symbolisches Bild, um bey der Armuth der Sprache die noch namenlose Sonne gleichsam hieroglyphisch zu bezeichnen.9

Voß, der sich nicht anmaßt, in die Naturphilosophie der Zeit von Kekrops oder Kadmos hineinblicken zu können, bemerkt, dass erst zu Pindars Zeiten die griechischen Götter begonnen haben, Begriffe zu verkörpern. Der Sonnengott Apollo konnte tödliche Pfeile schießen und die schwarze Pest verbreiten, merkt Voß in einer Argumentation, die an das Buch von Marcel Detienne Apollon le couteau à la main (1998) erinnert. Ob eine gewisse Rohheit der homerischen Götter auf frühere symbolische Götter zurückzuführen sei oder ob die symbolische Dimension der Gottheit hinzu gedichtet wurde, ist für Voß eine zentrale Frage. Er wirft Heyne vor, seine Mythologischen Briefe nicht gelesen zu haben, und hier verschärft sich die Debatte über den Text als Kristallisierung einer kulturhistorischen Tradition. Voßens Mythologische Briefe sind in drei Bänden erschienen, wobei nur der erste Band sich auf den Kontext der Prolegomena bezieht. Es handelt sich um ein Begleitschreiben zur Homerforschung und Homerübersetzung. In der Einleitung meint Voß, er habe in seinen früheren Forschungen das Problem der homerischen Geographie beleuchtet, und es gehe jetzt darum, ein anderes Kapitel der realia, die Mythologie, zu behandeln. Die von Heyne entworfene Deutung der Mythologie als symbolisches System beruht für Voß auf einem logischen Fehler. Wenn man beispielsweise Heyne fragt, wie er seine Überzeugung legitimieren kann, dass Apoll ein pelasgisches Symbol für die Sonne sei, so kann er sich nur auf die späten homerischen Hymnen berufen. Aber gerade diese Hymnen, wie die von Heyne zitierten Grammatiker auch, gehören zu einer späten Tradition. Heyne ignoriert überhaupt die Geschichte. Er glaubt beispielsweise, dass es mit Flügeln versehene Götter gegeben hat, wobei Winckelmann ihn doch eines besseren belehrt: Aus dem wenigen, was Winckelmann für die ursprünglichen Flügel aller ältesten Gottheiten, der griechischen wie der etruskischen beibringet, ergiebt sich bloß die Beflügelung mehrerer Götter im späteren Alterthum.10

Alle Plastiken, die Winckelmann beobachten konnte, sind selbst zeitlich sehr entfernt von Homers Lebenswelt. Voß verwirft die symbolische und allegorische Ausrichtung der Heyneschen Philologie so radikal, dass er selbst die Vorstellung transzendenter, himmlischer Götter ablehnt. Homers Götter sind für ihn Erdenbewohner. Homers Götter bewohnten nicht das öde Gewölbe des ehernen Himmels, welches am Rande der Erdscheibe auf Bergsäulen ruhte, und dem Zeus in der Theilung zum Lose fiel. Nein, auf der gemeinsamen Erde, der lebenschenkenden, die selbst ihnen Nektar

_____________ 9 Voß, Kritische Blätter, Bd. 1, 115. 10 Voß, Mythologische Briefe, Bd. 1, 86.

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Michel Espagne und Ambrosia trug, näher dem befreundeten Menschengeschlecht, bewohnten sie die heiteren Höhn des thessalischen Olympus […] Als in der Folge, durch nachdenkende Männer der Begrif des Weltalls und der Gottheit erweitert ward, versezte man die ewigen Mächte auf die äußerste, um die Planetenkreise sich drehende Himmelssphäre.11

Man könnte in der von Voß betriebenen anthropologischen Reduktion der symbolischen Transzendenz beinahe eine feuerbachsche Dimension sehen. Eine Form von Interpretation irritiert ihn ganz besonders. Er deckt ihre geheime Feder in einem Kapitel des dritten Bandes Über den Ursprung mystischer Tempellehren. Es handelt sich um die Unterstellung, die Symbole hätten eine orientalische, ja indische Herkunft und gerade von dieser Seite hätte der Sinn für die Transzendenz sich auch auf griechischem Boden spürbar gemacht: Fantasiedenker behaupteten, schon Homers Heldenzeit habe den Begriff über die Olympischen Erbgötter zu erheben gelernt von priesterlichen Geheimlehrern aus Thrake, Frygien, und Fönike, ja aus Ägypten und Libyen. Woher denen der höhere Begriff? Aus himmlischer Uroffenbarung antwortete man; oder aus trüben Bächen der mosaischen Religionsquelle; oder, was neueren glaublich schien, aus dem nordindischen Kaschemir.12

Voß legt den größten Wert darauf, diese Idee eines Imports orientalischer oder indischer Mythen in Griechenland Lügen zu strafen. »Von fönikischen Meerhändlern erlangten sie nicht einmal das Licht der Öllampe, viel weniger Seelenlicht, und aus Ägypten nur dunkle Schiffersagen.«13 In der Auseinandersetzung zwischen Wolfs oder Voßens Realismus und Heynes Symbolik spielt sich für die Philologie die Möglichkeit, zur Grundlage einer säkularisierten Bildung zu werden. Die Frage der Mythologischen Briefe bei Voß ist deshalb wichtig, weil sie mit Wolfs Ansatz eng verwandt ist und die Entwicklung des mythischen Denkens in Deutschland vorwegnimmt. Voß hat mit großer Gereiztheit auf die Bekehrung seines Freundes vom Göttinger Hain Stolberg zu einer mystischen Religion und zu einer revolutionsfeindlichen Einstellung reagiert. Die beiden Freunde und Mitglieder des Göttinger Hains sind sich nach Stolbergs Bekehrung fremd geworden, und dieser Gegensatz führt zur Veröffentlichung von Voßens Pamphlet Wie ward Fritz Stolberg ein Unfreier? in der Zeitschrift des Heidelberger Theologen E. G. Paulus Sophronizon (1819).14 Die Entstehung der Mythologischen Briefe hat mit diesem grundsätzlichen Verdachtsmoment zu tun. Sie führt auch nebenbei zur Absage an Creuzers Symbolik in einem Text des Jahres 1821, wo Voß eine Geschichte des romantischen Denkens skizziert und seinen Feldzug gegen die Theorie einer orientalischen Herkunft der griechischen Götter wieder aufnimmt. Er _____________ 11 12 13 14

Voß, Mythologische Briefe, Bd. 1, 188. Ebd., Bd. 3, 7. Ebd. Wittmann (1982), 444.

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strebt eine Art genealogische Beschreibung des symbolischen Denkens in Deutschland an, in welcher die Rolle der einzelnen Protagonisten, von Heynes Irrtümern bis hin zu Görres Schwächen für den Papst klar verteilt werden. Sein großes Vorbild ist der ›geniale Görres‹, der ein heiliges römisches Reich, abhängig vom Pabst, wie im Mittelalter verlangt. Görres, Professor in Koblenz, weilte bei uns, mit anderen Pabstverehrern, in den Jahren 1805–9, und hielt Vorlesungen, woraus er die Mythengeschichte der asiatischen Welt (Heidelb. 1810) formte, und seinem Freund und Gevatter Creuzer zueignete. Am Schluss des Buchs lehrt er, wie die Religion (welche das individuelle Streben mit Blut und Tod überwältigend, durch vielfältige Wandlungen zum ursprünglichen Gott gelange) aus Oberasien, durch Indien und so weiter, zuletzt in die gothischen Dome eingekehrt sei. […] Natürlich rühmt der Symboliker aus inniger Zuneigung die ›geistreichen Gebrüder Schlegel‹, von welchen Wilhelm durch Wort, Friedrich durch Wort und That, zum Zweck einer unsichtbaren Gemeinschaft sich bekannte.15

Voßens Antisymbolik erschien 1824–1826. Kein Wunder, dass Heine in Voß einen Kampfgefährten erkannte: »Er ist vielleicht nach Lessing der größte Bürger in der deutschen Literatur« kann man in der Romantischen Schule lesen. Voß hatte schon vor Entstehung der neuen Schule den Homer übersetzt, jetzt übersetzte er, mit unerhörtem Fleiß, auch die übrigen heidnischen Dichter des Altertums; während Herr August Wilhelm Schlegel die christlichen Dichter der romantisch katholischen Zeit übersetzte. Beider Arbeiten wurden bestimmt durch die versteckt polemische Absicht: Voß wollte die klassische Poesie und Denkweise durch seine Übersetzungen befördern; während Herr August Wilhelm schlegel die christlichromantischen Dichter in guten Übersetzungen dem Publikum zur Nachahmung und Bildung zugänglich machen wollte. Ja der Antagonismus zeigte sich sogar in den Sprachformen beider Übersetzer. Während Herr Schlegel immer süßlicher und zimperlicher seine Worte glättete, wurde Voß in seinen Übersetzungen immer herber und derber, die späteren sind durch die hineingefeilten Rauheiten unaussprechbar: so dass wenn man auf dem blank polierten schlüpfrigen Mahagoni-Parkett der schlegelschen Verse leicht ausglitschte, so stolperte man eben so leicht über die versifizierten Marmorblöcke des alten Voß.16

III. Homer und die deutsche Sprache Voß teilt sich mit Wolf das Privileg, in der Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts mit Homer eng verbunden zu sein. Sie verkörpern allerdings zwei Orientierungen der Homerphilologie, insofern als Wolf vor allem als Textphilologe oder Kulturtheoretiker, Voß als Übersetzer wahrgenommen wird. Voßens Überlegungen finden ein Endergebnis in der Bereicherung der deutschen Sprache, und man darf _____________ 15 Voß, Ausgewählte Werke, 362. 16 Heine, Sämtliche Schriften in zwölf Bänden, 384.

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sein eigenes dichterisches Werk auch nicht vergessen, noch seine Nähe zum Göttinger Hain, dessen Gedichte in der Tradition von Klopstock, das französische Modell ablösen sollten. In der Dichtung von Voß noch vor der Entstehung der Idylle Luise herrscht ein patriotischer Ton, der sich von der Thematik der Freiheit nährt, und die antiken Vorbildern nachempfundenen Idyllen haben das explizite Programm, das man in den ersten Strophen eines Klopstock gewidmeten Gedichts erkennt: Trit hin, mein Lied! Trit muthig vor’s Angesicht Des Sioniten! Zittre, wer Frevler ist! Du, Keines Knecht, selbst sein nicht! weihtest Frühe dich Gott und dem Vaterlande! In hoher Wolke feyert den Ewigen Der Ruf des Donners; aber ihn feyert auch Des Halmes Grille, die dem Schnitter Fröhlichkeit singt und der jungen Hirtin. (1775)17

Schon in der Rede, die er als junger Rektor in Eutin 1782 gehalten hatte, unterstrich Voß die Notwendigkeit, sich von dem Griechischen und dem Latein zu emanzipieren, um die deutsche Sprache sowohl in der Literatur wie im Unterricht zu pflegen. »Glückliche Stadt, wo ein deutscher Lehrer deutscher Zöglinge vor einer deutschen Versammlung auch deutsch reden darf; glückliche unter wenigen, wo er es muß!«18 und er bemühte sich darum, über den Gegensatz von Modernem und Antikem ab absurdo zu argumentieren. Waren nicht diejenigen, die ihre eigene Sprache versäumt haben, doch nicht imstande, den Griechen und Römern vorzuwerfen, sie hätten sich nicht ägyptisch oder phönikisch ausgedrückt? Je nach dem historischen Moment haben die Musen die Sprache des jüngsten Volkes gelernt, um das poetische Erbe zu überliefern: Geschreckt durch die Rauhigkeit neuerer Sprachen, redeten sie anfangs Athens und Roms harmonische Töne. Aber um dem Volke, nicht blos Gelehrten verständlich zu sein, überwanden sie sich bald, auch die Sprachen der Barbaren nachzulallen; und nicht rauhes Geschnatter sondern Gesang entströmte den Lippen der Göttinnen. So erwuchs die Sprache des melodischen Italiens, so des feinen Galliens, so des forschenden Britten, und später zwar, aber reif und stark, die tonreiche Sprache des männlichen Deutschen.19

Eine praktische Anwendung dieses Programms findet man in der Abhandlung des Jahres 1802 Zeitmessung der deutschen Sprache20, die die Entsprechungen zwi_____________ 17 18 19 20

Voß, Ausgewählte Werke, 99. Ebd., 260. Ebd., 261 Voß, Zeitmessung der deutschen Sprache. Voß wirft den Modernen vor, sie hätten sich vom antiken Modell zu sehr entfernt, indem sie die Länge mit der Höhe verwechselt haben: »Weil

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schen dem Rhythmus der alten Sprachen und dem modernen Deutsch empirisch aber sehr genau untersucht. Ein seltsamer Brief von Wolf an Voß vom 12. Oktober 1795, wo Wolf meint, er könne Voßens Texte, insbesondere die Luise, in seinem Unterricht der Metrik verwenden, beweist, wie überzeugend sich Voß zeigen konnte. In einem Brief vom April 1807 an den Freiherrn von Reitzenstein über die klassische Erziehung beschreibt Voß, was er als eine Entartung der humanistischen Tradition wahrnimmt, d. h. die Streitereien der Philologen um seine eigene Einstellung zum antiken Erbe näher zu definieren. Als endlich Klopstock, Lessing und Winckelmann im Geiste der Alten deutsch redeten, ward die Stimme gegen die trockenen Wortkrämer so laut, dass sie sogar auf Kathedern gehört und mit stachlichten Dictis gegen die Schöngeister beantwortet ward. Etwa in den sechzigern begann dieser noch forttönende Wettgesang, und erscholl gerade am kräftigsten im Anfang der Siebziger, da ich mit Hölty, Leisewitz, Boie, dem Grafen Stolberg und anderen, auch Schöngeister und Barden genannt, in Göttingen nicht eben Collegia besuchte, aber alte und neuere Klassiker las.21

Der erste Versuch, die Theorie einer Erneuerung des Deutschen mithilfe der Alten zu erreichen, beginnt mit der Homer-Übersetzung.22 Voß ist mit dieser HomerÜbersetzung nicht mehr innovativ als Wolf mit seiner Zerstückelung der Homerfigur. Ansätze gab es schon bei Stolberg, der 1778 seine eigene Ilias-Übertragung abschloss, während Bodmer im selben Jahre seine eigene Fassung der beiden Epen schrieb. Früher gab es noch 1764 die Homer-Übersetzung von Paul-Jérémie Bitaubé (der auch Goethes Hermann und Dorothea ins Französische übertrug). Die Sturm und Drang-Dichter haben alle das Bedürfnis nach einer volksnahen Homer-Fassung empfunden. Die vor Voß unternommenen Versuche kennzeichnen sich aber durch eine klassische Sprache, wobei das vorherrschende sprachliche Paradigma von Gottsched und Adelung selbst von französischen Importen abhing und bis Voß eine nicht zu überschreitende Grenze bedeutete. Effizienter als durch die Klopstock nachempfundenen poetischen Leistungen versuchte Voß durch die Übersetzung das herrschende sprachliche Modell zu erschüttern. Es gibt bekanntlich zwei Übersetzungen beziehungsweise zwei Fassungen. Die Odyssee wurde 1781 publiziert und neben der Ilias 1793 neu veröffentlicht. Die IliasFassung des Jahres 1793 wurde deswegen als geschmacklos empfunden, weil Voß zu viele Gräzismen verwendete, die Formeln, die Abfolge der Wörter, die Wiederholungen der griechischen Vorlage im deutschen Text beachtete. Man hat ihm vorgeworfen, er hätte sich mehr wie ein Dolmetscher als wie ein Übersetzer verhalten. Eine Korrespondenz zwischen Voß und Klopstock entwickelte sich _____________ zur Länge am häufigsten der hohe Ton sich gesellt, so wähnten viele, der hohe Ton mache die Länge, und demütigten sich, in unserer Sprache statt des Zeitmasses als bloßes Tonmaß, eine Quantität des Accents anzuerkennen« (ebd., 11). 21 Voß, Ausgewählte Werke, 288. 22 Siehe Häntzschel (1977).

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1799 als Voß vorgeworfen wurde, die deutschen Regeln verletzt zu haben, die Regeln einer deutschen Sprache, deren bester Verteidiger in seinen Augen Luther gewesen ist. So meinte er, die Adjektive könnten im Deutschen sehr gut den Substantiven oder Pronomina nachfolgen, die sie bestimmen. Und Klopstock hätte manchmal selbst den Weg gezeigt. Der Erfolg der Voß-Übersetzung gab bis zu einem gewissen Grade die Entscheidung, auch wenn dieser Erfolg wohl eher der ersten, eher zahmen Fassung der Odyssee zu verdanken ist. Man müsste die Wirkung der Freiheiten von Voß auf die Lyrik um 1800 näher ermessen können. Sicher ist, dass er durch die Veröffentlichung der Luise (1795), die schon 1783 und 1784 publizierte Texte umfasst, das Beispiel einer griechisch gefärbten Literatursprache liefert, die er für die Schilderung des gegenwärtigen Deutschland, der Familie des Pfarrers zu Grünau, benutzt. Voßens Idylle ist also das Ergebnis einer literarisch-philologischen Transformation der Antike und der Aneignung des Hexameters durch die deutsche Dichtung, ein Prozess der in der Rede des Eutiner Rektors schon angekündigt wird. Die Schilderung einer bürgerlichen Familie beim Kaffee in der Form des Hexameters kann jetzt nur noch ironisch betrachtet werden und wurde in der Zeit der Romantik als Zeichen geistiger Beschränktheit der Aufklärung verstanden. Man muss jedoch sehen, dass die Idylle von Voß, indem sie ein soziales Modell entwirft, auch eine kritische Dimension beibehält.23 Von Schiller der naiven Poesie zugeordnet, fand aber die Luise in Goethe einen begeisterten Leser, der 1796– 1797 sich auf die eigene Verdeutschung des antiken Modells einließ und das eigene Epos Hermann und Dorothea schrieb. In seiner Voßrezension des Jahres 1802 lobte Goethe Voßens deutsche Identität, die Verwurzelung im deutschen Raum seiner niederdeutschen Mundart und seine Fähigkeit, ihr durch fremde Importe ein neues Gesicht zu verleihen. Auf diese Weise ward sein großes Recht begründet, sich vorzüglich an den Urbarden anzuschließen, von ihm die Dichterweihe zu empfangen, ihn auf seinen Wanderungen zu begleiten, um gestärkt und gekräftigt unter seine Landsleute zurückzukehren. So, mit festhaltender Eigenthümlichkeit, wußte er das Eigenthümliche jedes Jahrhunderts, jedes Volkes, jedes Dichters zu schätzen, und reichte die ältren Schriften uns mit geübter Meisterhand dergestalt herüber, dass fremde Nationen künftig die deutsche Sprache, als Ermittlerin zwischen der alten und neuen Zeit, höchlich zu schätzen verbunden sind.24

Goethe wird seine Schuldigkeit gegenüber der von Voß geleisteten Öffnung der deutschen Sprache nicht bestreiten. Die Geschichte der vom französischen Heer vertriebenen Flüchtlinge, die im Rheinland sich aufhalten, wo Dorothea in Hermanns Familie einen sicheren Hafen und eine neue geordnete Welt findet, ist keine reine Nachahmung. Von der Luise zu Hermann und Dorothea geht man von einer Idylle zu einem Epos über. Es handelt sich für Goethe um die Beschreibung _____________ 23 E. Theodor Voß (1976), 391–431. 24 Voß, Ausgewählte Werke, 390.

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einer historischen Krisensituation, die von einzelnen vom historischen Strom getriebenen Figuren überwunden wird. Stereotype epitheta umschreiben die Helden. Die Hexameter – Humboldt und Wolf haben sich darüber unterhalten – sind von minderer Qualität. Was Humboldt in seiner Korrespondenz mit Wolf auch unterstreicht. Neu ist auch ein Hinweis auf Wolf in Hermann und Dorothea, wo Goethe erklärt, dass der Philologe indem er die Dichter von der Last des homerischen Modells befreite, ihnen allen erlaubte sich zu Homeriden zu entwickeln. Das Epos Hermann und Dorothea, das nach der Zeit der Revolution vom Publikum besser akzeptiert wurde als Voßens Luise, ist sowohl eine Nachahmung dieses Modells wie auch eine von Wolf ermöglichte Befreiung von dem Modell.

IV. Die Frage der Werkeinheit Voß wird in Wolfs Prolegomena erwähnt, obwohl der Autor der Luise die Wolfsche Homerinterpretation mit großer Zurückhaltung zur Kenntnis nimmt. Als Wolf im Mai 1795 seine Prolegomena an Voß schickt, weiß er schon, dass Voß, dessen Mythologische Briefe für seine eigene Forschungsarbeit wichtig gewesen sind, mit großer Distanz reagieren wird. Er will ihn überzeugen, beim Lesen der Prolegomena seinen eigenen Forschungsmethoden treu zu bleiben: Doch Sie sind sicherlich der Mann, der das in Giebichenstein ausgesprochene incredulus odi – oder amo, wie es mir izt nachschallt, auf eine gute Weile vergessen kann, um die Acten zu untersuchen. So sind Sie mir dann einer der erwünschtesten Leser und Richter, die ich haben kann, oder grade heraus, der erwünschteste. In Ihren Mythologischen Briefen haben Sie mehr als irgend jemand gezeigt, wie man Zeugniße des Alterthums, die redenden wier die schweigenden, prüfen muß […]. – Da ich durchaus wünsche, dass man immer die Sache und nicht den Sprecher sehen sollte, so ist vieles vielleicht gar zu kunstlos von mir hingeworfen; manches viel zu kurz.25

Indem Wolf sich an Voß als künftigen Leser der Prolegomena wendet, hat er weniger den Homer-Übersetzer oder den Autor der Luise als den Verfasser der Mythologischen Briefe im Blick. Damit ein Kommunikationsraum entstehen kann, hebt Wolf den Gegensatz zwischen »der Sache«, dem philologischen Problem, und »dem Sprecher«, sich selbst, dem Philologen Wolf, hervor, als ob Homers Aktualisierung nicht gerade den Sprecher in Frage stellen würde. Da wir über Voßens Antwort nicht informiert sind, können wir nicht die ganze Debatte rekonstruieren. Als Wolf am 12. Oktober 1795 sich wieder an Voß wendet, gratuliert er ihm zur Veröffentlichung der Luise, erwähnt die Homerübersetzung und klagt über Herders Reaktion: »Er hat mir vielleicht bei vielen Lesern die Freude verdorben, eine ordentliche Prüfung eröffnet zu haben.« Während der Auseinandersetzung mit Herder bemüht sich Wolf, der Kontroverse mit Voß auszuwei_____________ 25 Friedrich August Wolf. Ein Leben in Briefen, Brief von Anfang Mai 1795.

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chen. In der Korrespondenz wird Homer also nur spärlich erwähnt, und wenn von ihm die Rede ist, etwa in dem Brief vom 16. Januar 1797, in dem Wolf eine zu erscheinende parallele Rezension der Prolegomena und der Mythologischen Briefe in einer englischen Zeitschrift ankündigt, dann will er bloß auf ihre Tätigkeit als Philologen hinweisen. Eine explizite Spur von Voßens Stellungnahme zu den Prolegomena findet sich in einem Brief Humboldts an Wolf vom 20. September 1796, als Humboldt von wenigen in Eutin verbrachten Tagen erzählt. Voß und Humboldt haben sich über die Wolfsche Homer-Interpretation unterhalten, und Humboldt, der so tut als möchte er Wolf in Schutz nehmen, schlägt sich schließlich auf die Seite von Voß. Ich bin über nichts fast eigentlich einig mit ihm geworden, aber ich habe auch nur gesucht, mich ganz und gar in seine Gesichtspunkte zu versetzen, und dies ist mir, glaube ich, in hohem Grade gelungen. Ich glaube ihn jetzt zu verstehen, und doch ist dieß nicht leicht. Wenigstens ists nicht leicht bis es einem gelingt, in den Mittelpunkt aller seiner Ansichten einzudringen. Denn es ist eine überaus merkwürdige Einheit in seinem Wesen, seinen Gedanken und seinen Arbeiten. Meine vorigen Ideen über ihn habe ich sehr berichtigt. Ich habe ihn ungleich feiner, zarter und ich möchte sagen poetischer gefunden, als ich mir vorgestellt hatte. Ueber Sie haben wir, wie Sie leicht denken können, unendlich oft gesprochen, er liebt und achtet sie unendlich. Mit Ihren Prolegomena ist er, wie Sie auch wissen, nicht einig. In diesem Punkt, gestehe ich Ihnen, begreife ich ihn noch nicht recht. Er meynt noch, Homer möge dennoch wohl geschrieben haben, Fugen findet er nirgends, die Arbeit der Verbindung der einzelnen Gesänge hält er für so schwierig, dass er meynt, Sie hätten den Homer, der nemlich nun der Verbinder sey, nur um einige Jahrhunderte weiter vorgerückt.26

Ein Widerspruch zwischen der ästhetischen Werkeinheit und der historischphilologischen Notwendigkeit ihrer Verzettelung wird angesprochen. Böttiger erzählt von einem Gespräch zwischen Voß und Herder im Juni 1794: Bey Tische äusserte Herder die Mutmaßung, dass Homer vielleicht nur ein nomen collectivum, u. die Ilias u. Odyssee ein künstlich zusammengesetzter Blüthenkranz vieler verlorengegangener Dichter sey, Voß schien darüber im Ernste betreten, und verteidigte die unité und indivisibilité seines Homers mit eben so großem Eifer, als der eifrigste Jacobiner die Einheit der Republik.27

Goethe schlug sich an diesem Abend auf die Seite von Voß und meinte, dass die Ilias keineswegs eine unter den Pisistratiden entstandene Zusammenstellung früherer Textfragmente sein könne, denn die Athener hätten sonst viel mehr Schiffe zugerechnet. Voß versteht Wolfs Argumente und er hat sie zum Teil angeregt: Noch 1794 behauptete er in Weimar, dass Homer seine Epen nicht geschrieben habe.28 Er argumentiert aber auf den beiden unterschiedlichen Ebenen der Ästhetik und der Philologie und kann mit dem Widerspruch spielen. Wolf verlangt _____________ 26 Humboldt, Briefe an Wolf, 20.9.1796. 27 Böttiger, Literarische Zustände und Zeitgenossen, 417. 28 Ebd., 410.

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seinerseits eine totale Kohärenz zu Ungunsten der ästhetischen Einheit. In beiden Fällen könnte allerdings die ästhetische Dimension geschützt werden. Man kann sich eine Ästhetik der Verzettelung denken, und Wolf, der Ossians Dichtung kannte, hat an diese Möglichkeit gedacht. In seiner Debatte mit Herder geht es ja um die Geburt dieser neuen Ästhetik. Das kollektive Bewusstsein, die Kultur, innerhalb welcher das Werk entstanden ist, kann als Ersatz der Werkeinheit verstanden werden. In seiner Goethe gewidmeten Darstellung der Altertumswissenschaft setzt Wolf eine durchaus willkürliche Zäsur zwischen den Kulturen im Plural und der einzigen griechischen Kultur, deren Geschichte besonders verdient, rekonstruiert zu werden. Es geht ihm um die Entstehung einer Literatur, die alle Schichten des Volkes verbindet: Eine der wichtigsten Verschiedenheiten unter jenen und diesen Nationen ist die, dass die erstern gar nicht oder nur wenige Stufen sich über die Art von Bildung erhoben, welche man bürgerliche Policirung oder Civilisation, im Gegensatze höherer eigentlichen Geisteskultur nennen sollte. Jene Art von Cultur […] ist mit den Bedingungen eines Sicherheit, Ordnung und Bequemlichkeit bedürfenden Lebens fleißig beschäftigt; sie gebraucht dazu selbst edlere Erfindungen und Kenntnisse, die jedoch meistens auf unwissenschaftlichen Wegen gefunden […] sie braucht hingegen weder, noch schafft sie eine Litteratur, d. i. einen Vorrath von Schriften, worin nicht eine einzelne Kaste nach amtlichen Zwecken und Nothdurften sondern jeder aus der Nation, welcher bessern Einsichten vertraut, Beiträge zur Aufklärung der Zeitgenossen darlegt. Das letztere, was bei einem schon glücklich organisierten Volke schon früher anfangen kann als Ordnung und Ruhe des äußeren Lebens, ist vor den Griechen überhaupt von keinem Volke geschehen, und keiner gewann vor ihnen jene höhere Cultur, die geistige oder litterarische.29

Die philologische Erforschung Griechenlands wird eine neue von Voß vermisste Einheit der Kultur gründen. In einem Brief an Voß vom 27. Oktober 1795, in dem von einer neuen philologischen Zeitschrift die Rede ist, bittet Wolf seinen Freund um einen Beitrag und erklärt: »selbst die Geschichte der Behandlung des Alterthums bei den neueren gehört uns.« Wolf geht von der griechischen Kulturgeschichte zur Geschichte der Kulturhistoriker als möglichem Einheitsprinzip über. Voß und Humboldt, die im Unterschied zu Wolf antike Schriften übersetzt haben, teilen ähnliche Ansichten in Bezug auf Homer. Die eigentliche Bedeutung des Werkes lässt sich als dessen mögliche Adaption in einem neuen historischen Kontext definieren. Der Bezug auf die Antike soll vor allem die Gegenwart beleuchten. Man kann leicht verstehen, dass Humboldt seinen großen in Paris entstandenen Beitrag zu einer deutschen Ästhetik auf der Grundlage von Voßens Luise, d. h. einer gelungenen ästhetischen Übertragung der Antike, schreiben wollte. Als er sich eher Hermann und Dorothea zuwandte, griff er auf eine noch besser gelungene Übertragung des antiken Modells zurück. Im Unterschied zum Homeriden Voß hatte der Homeride Goethe ein richtiges Epos geschrieben, das _____________ 29 Wolf, Darstellung der Altertumswissenschaft, 16.

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den ganzen Horizont der Zeit umfasste und eine bessere Beachtung verdiente. Die Homer-Variationen in Hermann und Dorothea hatten zwar einen großen Erfolg. Er wurde allerdings schneller vergessen als der Wolfsche Begriff der Altertumswissenschaft. Die Alternative bei der Verwendung literarischer Modelle der Antike zwischen der Behauptung einer deutschen Originalität und der Historisierung der Verzettelung innerhalb einer Kultur wird zu einer strukturbildenden Zäsur, die man im ganzen 19. Jahrhundert verfolgen kann und deren Paradigma sich schon bei Voß, dem Dichter-Philologen erkennen lässt. Voßens Homer-Übersetzung ist ein entscheidendes Moment in der Geschichte einer vom Modell der französischen Klassik endgültig emanzipierten deutschen Dichtung, und sie liefert die Werkzeuge für die Erarbeitung nationaler bürgerlicher Epen, d. h. die Luise und Hermann und Dorothea. Die Verbindung zwischen dem Anspruch auf die Nationalliteratur und der Entwicklung der Altphilologie als von der Theologie emanzipierter, ja sogar säkularisierter Wissenschaft ermöglicht den politischen und auch pädagogischen Rückgriff auf die Antike als Grundlage der deutschen Bildung. Der Preis, den man zahlen muss, scheint manchmal zu hoch, weil es schließlich darum geht, den Autorbegriff selbst zu hinterfragen. Eine noch tiefere Kluft trennt allerdings die Anhänger einer symbolischen Deutung der antiken Götterlehre und überhaupt des antiken Lebens von den eher anthropologisch, geographisch und historisch orientierten Philologen, die den noch weit entfernten Übergang von der Sachphilologie zu den frühen Geistesund Sozialwissenschaften vorwegnehmen. In der symbolischen Ausrichtung lässt sich eher die Vorwegnahme von Creuzers Symbolik und die Unerlässlichkeit einer Antisymbolik erkennen. Weil die von Voß und Wolf vertretene säkularisierte Homerdeutung vorerst den Sieg davongetragen hat, durfte die Philologie zur Grundlage einer Modernisierung der deutschen Geisteswissenschaften werden.

Literatur Quellen Böttiger, Carl August, Literarische Zustände und Zeitgenossen, Begegnungen und Gespräche im klassischen Weimar, hg. v. Klaus Gerlach, 3. Aufl. Weimar 1998. Heine, Heinrich, Sämtliche Schriften in zwölf Bänden, hg. v. Klaus Briegleb, München 1976. Humboldt, Wilhelm von, Briefe an Friedrich August Wolf, hg. u. komment. v. Philip Mattson, Berlin u. a. 1990. Voß, Johann Heinrich, Zeitmessung der deutschen Sprache, Beilage zu den Oden und Elegieen, Königsberg 1802. Voß, Johann Heinrich, Mythologische Briefe, Bd. 1 und Bd. 3, 2., verm. Ausg., Stuttgart 1827.

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Voß, Johann Heinrich, Kritische Blätter, nebst geographischen Abhandlungen, Bd. 1, Stuttgart 1828. Voß, Johann Heinrich, Ausgewählte Werke, hg. v. Adrian Hummel, Göttingen 1996. Friedrich August Wolf. Ein Leben in Briefen, die Sammlung besorgt u. erl. durch Siegfried Reiter, Bd. 1, Stuttgart 1935.

Literatur Detienne, Marcel, Apollon le couteau à la main, une approche expérimentale du polythéisme grec, Paris 1998. Ebert, Joachim/Zimmermann, Hans-Dietrich (Hg.), Innere und äußere Integration der Altertumswissenschaften, Konferenz zur 200. Wiederkehr der Gründung des Seminarium Philologicum Halense durch Friedrich August Wolf am 15.10.1787, Halle 1989 (= Kongress- und Tagungsberichte der Martin-Luther-Universität HalleWittenberg, Wissenschaftliche Beiträge, 1989/36 ›C 47‹). Häntzschel, Günter, Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung, München 1977. Heidenreich, Marianne, Christian Gottlob Heyne und die alte Geschichte, München 2007. Herbst, Wilhelm, Johann Heinrich Voß, 3 Bde., Leipzig 1872–1876. Rudolph, Andrea (Hg.), Johann Heinrich Voß. Kulturräume in Dichtung und Wirkung, Dettelbach 1999. Voß, E. Theodor, »Arkadien und Grünau. Johann Heinrich Voß und das innere System seines Idyllenwerkes«, in: Europäische Bukolik und Georgik, hg. v. Klaus Garber, Darmstadt 1976 (= Wege der Forschung, 335), 391–431. Wittmann, Reinhard, Ein Verlag und seine Geschichte: 300 Jahre J. B. Metzler, Stuttgart 1982.

Institutionalisierung der Alten Geschichte im 19. Jahrhundert WILFRIED NIPPEL

Bei der Konstituierung wissenschaftlicher Disziplinen liegt immer eine Gemengelage aus innerfachlichen Entwicklungen und Veränderungen im Hochschulsystem vor. In Zeiten der Expansion kommt die Verselbständigung von Disziplinen jeweils verwandten Fächern zugute, unter Bedingungen der Schrumpfung kann dies zu Konkurrenzkämpfen unter ihnen oder auch zur Existenzgefährdung von kleineren Disziplinen führen. Die Abgrenzung von Disziplinen ist immer mit einer gewissen Willkür verbunden, da sie sich nicht notwendig nach Gegenständen und Methoden unterscheiden; sie folgt vor allem aus dem Selbstverständnis von Gruppen von Wissenschaftlern, die sich als Angehörige einer spezifischen disziplinären Kommunität definieren. Die Etablierung der Alten Geschichte als eigenständige Disziplin im deutschen Universitätssystem des 19. Jahrhunderts ist dafür ein aufschlussreiches Beispiel. Das neue Konzept einer umfassenden Altertumswissenschaft, wie es namentlich Friedrich August Wolf 1807 mit seiner Darstellung der Altertumswissenschaft nach Begriff, Umfang, Zweck und Wert vorgelegt hatte, trug in sich ein Spannungsverhältnis zwischen einer »historischen« und einer »exemplarischen« Sicht,1 der Begründung des Gegenstands mit seiner überzeitlichen Gültigkeit einerseits, dem Programm einer durchgehenden Erforschung aller Lebensbereiche der griechisch-römischen Welt andererseits. Das neue Verständnis der Philologie (die sich als Disziplin ja über den Renaissance-Humanismus bis ins hellenistische Alexandria zurückverfolgen ließ2) als Wissenschaft band die Beschäftigung mit der Sache an kritische Forschung. Damit wurde nicht nur das Idealitätspostulat in Frage gestellt,3 wuchs nicht nur die Distanz zu einem allgemein gebildeten Publikum4 (selbst wenn es noch bis Ende des 19. Jahrhunderts durchgehend die alt_____________ 1 2 3 4

Creuzer, Das akademische Studium des Alterthums (1807), 2. Pfeiffer (1978); ders. (1982). »Die Antike als Ideal und Einheit ist dahin; die Wissenschaft selbst hat diesen Glauben zerstört«; Wilamowitz-Moellendorff, Der griechische Unterricht (1901), 79. Was die »altclassische Philologie […] seit 30 Jahren als reine Wissenschaft gewonnen, das scheint sie immer mehr als humanistisches Bildungsmittel zu verlieren«; Koechly, Gottfried Hermann (1874), 103.

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sprachliche Ausbildung auf dem Gymnasium genossen hatte), sondern wurde auch schon früh an die Altertumswissenschaftler die Frage gestellt, wann sie denn bei ihrem vergleichsweise geringem und (jedenfalls, was die literarischen Quellen angeht) kaum wachsenden Quellenbestand ihr Forschungsprogramm vollendet hätten.5 Hinzu kam, dass das Studium der Antike, das man 1818 an der Berliner Universität noch offiziell zum Mittelpunkt aller wissenschaftlicher Bildung deklariert hatte,6 in die Konkurrenz zu einer Vielzahl neuetablierter philologischer und historischer Fächer geriet, die großen Aufschwung nahmen, von den neusprachlichen und orientalischen Philologien7 (denen gegenüber nun die Bezeichnung als »klassische« Philologie der Unterscheidung wie auch der Behauptung eines Ehrenvorrangs diente8), über die vergleichende Sprachwissenschaft, die allgemeine Geschichtswissenschaft bis zur Vorgeschichte und Völkerkunde, die Auskunft über die vor dem Einsetzen der antiken Überlieferung liegenden Epochen versprachen. Vor allem setzte innerhalb der als Einheit verstandenen klassischen Altertumswissenschaft beziehungsweise Philologie selbst eine Differenzierung ein, die zur Institutionalisierung sowohl der Archäologie wie der Alten Geschichte führte. ›Geschichte‹ und ›Alterthümer‹ (oder ›Antiquitäten‹) stellten zwei, nicht unbedingt zentrale, Teildisziplinen der umfassenden Altertumswissenschaft dar, wie sie Wolf konzipiert hatte. Die Geschichte war dabei für die »Begebenheiten und Ereignisse in ihrer Aufeinanderfolge« zuständig, die Altertümer behandelten die »Zustände und Verfassung« im »Politischen, Religiösen, Militärischen und in den damit zusammenhängenden Verhältnissen, nebst den Sitten und Gewohnheiten«.9 Die Herausbildung einer eigenständigen Althistorie ergab sich aus spezifischen Verwissenschaftlichungstendenzen in beiden Genres, die sich wechselseitig verstärkten.10 Die methodischen Innovationen sind vor allem im Bereich der (von der neuhumanistischen Verklärung ausgenommenen) Römischen Geschichte geleistet worden. Ausgangspunkt war Niebuhrs Römische Geschichte. Der sensationelle _____________ Böckh, Gesammelte Kleine Schriften, Bd. 2 (1859), 413 [Akademierede von 1853]; Hirzel Stellung der classischen Philologie (1888). 6 »Die ganze wissenschaftliche Bildung der neueren Zeit ist auf das Studium des Altertums gegründet, von welchem sie sich […] nur zu ihrem eigenen Verderb trennen kann«, hieß es in einer Erklärung von Rektor und Senat der Berliner Universität 1818, die seitdem den Studienanfängern bei der Immatrikulation überreicht wurde; Paulsen (1921), Bd. 2, 252. 7 Böckh, Rede zur Eröffnung der elften Versammlung Deutscher Philologen (1850), 183–199 [gehalten zu Berlin am 30.9.1850]. 8 Ritschl, Über die neueste Entwicklung der Philologie (1833), 15 f. 9 Wolf, Darstellung der Altertumswissenschaft (1807), 55. 10 Die Diskussionslage innerhalb der Altertumswissenschaft der 1830er Jahre war bestimmt durch die harten Auseinandersetzungen zwischen der ›Wortphilologie‹ von Gottfried Hermann und der ›Sachphilologie‹ von August Böckh; vgl. Nippel (1997), 244–253. 5

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Erfolg, den seine Vorlesungen an der neugegründeten Berliner Universität und die Buchveröffentlichung 1811/12 hatten, beruhte darauf, dass hier erstmals, wie es schien, eine moderne Darstellung an die Stelle der antiken Historiographie gesetzt wurde.11 Diesen Schritt hatte die gelehrte Forschung seit der Renaissance in dieser Form nicht vollzogen. Niebuhr hatte aus den Zweifeln an der Zuverlässigkeit der römischen Historiographie die Konsequenz gezogen, nach erfolgter Quellenkritik nunmehr eine eigene Darstellung vorzulegen: Die Trennung der Fabel, die Zerstörung des Betrugs, mag dem Kritiker genügen: er will nur eine täuschende Geschichte enthüllen, und er ist zufrieden einzelne Vermutungen aufzustellen, während der größere Teil des Ganzen in Trümmern bleibt. Der Historiker aber bedarf Positives: er muß wenigstens mit Wahrscheinlichkeit Zusammenhang und eine glaublichere Erzählung an der Stelle derjenigen entdecken welche er seiner Überzeugung aufopfert.12

Wenn Niebuhr (wie noch die spätere deutsche Forschung) auch die Leistungen der italienischen, niederländischen und französischen juristisch-antiquarischen Forschungen des 16.–18. Jahrhunderts mit ihrer Kritik an der livianischen Tradition13 ebenso ignorierte, wie er die eigenen Möglichkeiten zur Rekonstruktion der römischen Frühzeit überschätze, so lag zweifellos eine bedeutende Innovation darin, nun selbst eine Geschichte der römischen Republik anzugehen. Sie strahlte auch auf die allgemeine Geschichtswissenschaft aus, wie das Diktum des alten Ranke zeigt, Niebuhr habe ihn davon überzeugt, »daß es auch in neuerer Zeit Historiker geben könne«.14 Niebuhrs Problem war allerdings, dass die Umsetzung der Forschung nicht in einer darstellerischen Form gelang, die den literarischen Ansprüchen an die Geschichtserzählung genügt hätte, er vielmehr bei einer »Kritik der Schriftsteller, welche uns die römische Geschichte überlieferten« (Goethe)15 beziehungsweise bei »Abhandlungen« stehengeblieben war, die »keineswegs die Einheit der Geschichte haben« (Hegel)16. Niebuhr hatte geglaubt, die Forschungsprobleme der römischen Verfassungsgeschichte ein für allemal lösen zu können, um dann zur reinen Erzählung zurückkehren zu können, wenn dies gelehrte Werk, wodurch der Stoff wieder geschaffen wird, vollendet seyn würde, eine ganz erzählende Geschichte der Römer zu schreiben, ohne Untersuchung, Erweis und Gelehrsamkeit; wie man sie vor 1800 Jahren geschrieben haben würde.17

_____________ 11 Das war jedenfalls die Wahrnehmung des Publikums; für frühere Darstellungen der römischen Geschichte vgl. Nippel (2004), 161–176. 12 Niebuhr, Römische Geschichte, Bd. 1 (1811), X. 13 Dazu Nippel (2004); ders. (2009), 87–113. 14 Dictat vom November 1885, in: Ranke, Zur eigenen Lebensgeschichte, 59. 15 Zitiert nach Grumach (1949), 48. 16 Hegel, Philosophie der Geschichte, 342. 17 Niebuhr, Briefe (1816–1830), 117 [an den preußischen Kronprinzen, 17.11.1830].

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Wenn sich dies auch als illusionär herausstellte, so waren doch mit Niebuhrs Werk »jene Schranken […], die ein uraltes Philistertum zwischen der Geschichte und den sogenannten Antiquitäten errichtet hatte«, niedergerissen worden (Mommsen)18. Dass Niebuhrs methodisches Vorgehen innerhalb kürzester Zeit von der Forschung überholt war, so dass schon der junge Mommsen 1844 über Niebuhrs »glänzende Phantasien« spottete,19 steht auf einem anderen Blatt. Zur Wissenschaftlichkeit gehörte, dass Geschichte nicht mehr ohne die kritische Erforschung der Quellen und der Institutionen auskommen konnte, auch wenn die dem literarischen Werk zugrundeliegenden Untersuchungen gesondert vorgelegt werden mochten.20 Auf der anderen Seite war gefordert, dass die »Altertümer«, die Sammlungen der Realien des staatlichen, religiösen und privaten Lebens, die man traditionell zum Zwecke des Sachkommentars der literarischen Quellen betrieben hatte, eine eigene wissenschaftliche Dignität erhielten.21 Die dafür notwendige Systematisierungsleistung, die »hinsichtlich Zusammenhang, wissenschaftlichem Plan und Einsicht in die politischen Prinzipien« August Böckh mit seiner Staatshaushaltung der Athener (1817) geleistet hatte,22 sollte nun auch auf das gesamte Genre der Staats-, Rechts-, Kriegs-, Religions- und Privataltertümer ausgedehnt werden, denen das Fehlen »jedes wissenschaftlichen Princips«23 attestiert wurde. Eine »wissenschaftliche Begründung und Behandlung«24 der Altertümer war gefordert, die geeignet sein sollte, einer Disciplin, welche früher bey den Meisten ein Mischmasch von verschiedenartigen Dingen, zum Theil auch von unbedeutenden Kleinigkeiten, ja eine Rumpelkammer war […], wieder eine edle und unabhängige Stellung zu verleihen. [Karl Otfried Müller]25

Als Weg dazu erschien vornehmlich die Konzentration auf eine Altertumskunde aus dem »Gesichtspunkte des Staates«26, ein Vorgehen, die Schilderung des Staates, d. h. der Verfassung, Regierung und Verwaltung als ihren eigentlichen Kern und Mittelpunkt anzusehen und sich auf die Darstellung des Privat-

_____________ 18 Mommsen, Aufgabe der historischen Rechtswissenschaft, 587. – Der Text stammt aus dem Jahre 1848. 19 Mommsen, Die römischen Tribus (1844), VII. 20 Mommsen hat die Begründung für seine Behandlung der römischen Frühzeit in der Römischen Geschichte mit seinen späteren, in den Römischen Forschungen 1864 und 1879 gesammelten Aufsätzen nachgeliefert. 21 Lange, Die klassische Philologie (1855), 14. – Zur Debatte um die Umgestaltung der »Altertümer« siehe ausführlicher Nippel (1998), 17–24. 22 Bernhardy, Grundlinien der Encyklopädie der Philologie (1832), 309 f. 23 Ritschl, Über die neueste Entwicklung der Philologie (1833), 9. 24 Platner, Begründung und Behandlung der Antiquitäten (1812). 25 Müller, Rez. Wachsmuth (1831), 1825–1837, hier 1827. 26 Wachsmuth, Hellenische Alterthumskunde (1826–1830).

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lebens auf Religion, Kunst und Wissenschaft nur insoweit einzulassen, als entweder der Staat durch sie, oder sie durch den Staat bedingt werden.27

Zum großen Vorbild wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Mommsens Römisches Staatsrecht, dessen Vorwort zum erstem Band (1871) die Distanzierung von denjenigen enthielt, »die auf dem antiquarischen Bauplatz […] bloss die Balken und Ziegel durch einander werfen, aber weder das Baumaterial zu vermehren noch zu bauen verstehen«.28 Er forderte und praktizierte eine Systematisierung der staatsrechtlichen Begriffe und Institutionen nach dem Modell der Pandektistik. Dies strahlte auf den griechischen Bereich aus; auch hier strebte man im Anschluss an Mommsens Vorbild nach Äquivalenten zu einem »Staatsrecht«,29 zumindest nach einer Ablösung der »Staats- und Rechtsaltertümer« durch eine Griechische Staatskunde,30 endlich gar ein Griechisches Staatsrecht.31 Auf der andern Seite firmierten nun zunehmend in der Tradition der Altertümer stehende systematische Darstellungen als »Rechts-«, »Kultur-«, »Sitten-« oder »Religionsgeschichte«.32 Die Konvergenz von Geschichte und (Staats-)Altertümern hatte sich im 19. Jahrhundert auch daraus ergeben, dass die in der Aufklärung programmatisch geforderte,33 jedoch in der historiographischen Praxis nur sehr begrenzt gelungene Erweiterung der politisch-militärischen Ereignisgeschichte zugunsten einer umfassenden Kulturgeschichte wieder zurückgenommen worden war. Die Erfahrung der eigenen Zeit legte die Konzentration auf Nationalgeschichten und die damit verbundenen Verfassungsfragen nahe. So forderte Niebuhr in seinem Verriss des letzten Bandes von Arnold Heerens Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt (1812); es gelte vielmehr, den »Nationalgeist« primär als den »griechischen eigenthümlichen Sinn, der in den Verfassungen und der Politik erscheint«, zu identifizieren, seine Manifestationen in Kunst und Wissenschaft dagegen als nachgeordnete Phänomene zu verstehen.34 In den Geschichtswerken von Droysen und Mommsen spiegelten sich entsprechend die Probleme einer nationalstaatlichen Einigung am Beispiel des antiken Griechenlands beziehungsweise Italiens. _____________ 27 Schoemann, Rez. Hermann (1836), 729–747, hier 736. 28 Mommsen, Römisches Staatsrecht, Bd. 1, X. Für Mommsens Verhältnis zur älteren antiquarischen Forschung vgl. Nippel (2005), 9–60, hier 27 ff. 29 Thumser, Aufgaben eines zukünftigen griechischen Staatsrechts (1893), 259–271; Swoboda, Griechische Staatsalterthümer (1905), 235. 30 Busolt, Griechische Staats-, Kriegs- und Privatalterthümer (1887). Busolts (schon 1914 abgeschlossene, aber erst 1920 erschienene) Neubearbeitung trug den Titel Griechische Staatskunde. 31 Kahrstedt, Griechisches Staatsrecht, Bd. 1 (1922). 32 Karlowa, Römische Rechtsgeschichte (1885); Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte (1898– 1902); Friedländer, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms (1862–1871); Gruppe, Geschichte der klassischen Mythologie (1921). 33 Vgl. die Texte in: Blanke/Fleischer (Hg.) (1990). 34 In: Niebuhr, Kleine historische und philologische Schriften, 111 f. (Der Text stammt von 1813).

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Die Althistorie ist aber nicht bei einer reinen politischen Geschichte stehengeblieben. Mit den systematischen Sammlungen der monumentalen Quellen, dem Ausbau von Epigraphik, Numismatik und Papyrologie zu Teildisziplinen mit einem ausgefeilten methodischen Instrumentarium war auch verknüpft, dass die gesamte Lebenswirklichkeit der griechisch-römischen Welt in die Geschichte integriert wurde. Die allergische Reaktion in Teilen der Fachwelt auf Jacob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte hing auch mit dessen Übergehen der wissenschaftlichen Leistungen auf diesen Gebieten zusammen.35 In einem verstärkten Eingehen auf wirtschafts-, sozial- und technikgeschichtliche Fragen sahen Althistoriker wie Robert Pöhlmann Ende des 19. Jahrhunderts auch die Chance, die »Relevanz« ihrer Wissenschaft für Gegenwartsfragen zu belegen.36 Gerade deshalb verfochten u. a. Eduard Meyer und Karl Julius Beloch eine forciert moderne Interpretation der antiken Ökonomie und wandten sich scharf gegen als primitivistisch empfundene Einordnungen, wie sie der Nationalökonom Karl Bücher vertrat, dem gegenüber sie die vorrangige wissenschaftliche Kompetenz reklamierten.37 Die Konkurrenz, die auf wirtschafts- und sozialhistorischem Gebiet mit einer historisch orientierten Nationalökonomie bestand, hörte schließlich nach dem Ersten Weltkrieg praktisch auf, als sich die Nationalökonomie und die (erst jetzt als eigenes Fach etablierte) Soziologie schlagartig enthistorisierten. Mit dem Abrücken vom neuhumanistischen Ausgangspunkt und der Hinwendung zu einer betont realistischen Sicht der Antike war im Laufe des 19. Jahrhunderts auch die Ausdehnung der Althistorie über die unter ästhetischen und sprachlichen Gesichtspunkten als eigentlich ›klassisch‹ empfundenen Zeitabschnitte auf die gesamte Zeit der griechisch-römischen Kultur verbunden gewesen, auf den ›Hellenismus‹ (seit Droysen, wenngleich bei ihm noch in ein geschichtsphilosophisches Konzept eingebunden und sachlich wie zeitlich diffus bleibend)38 ebenso wie, gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend, auf die Spätantike. Problematisch blieb die Abgrenzung des Gegenstandes in anderen Hinsichten. Zum einen bezüglich der Einbeziehung der gesamten mittelmeerisch-vorderorientalischen Welt. Für die aufklärerische Universalhistorie war dies, wie das Beispiel von Heeren zeigt, noch selbstverständlich gewesen, da es hier nur darum gegangen war, die griechischen und römischen Quellen historiographischer und ethnographischer Provenienz auszuschöpfen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts waren aber mit der Entschlüsselung von Hieroglyphen und Keilschrift, später durch eine zunehmende Ausgrabungstätigkeit ganz neue Quellengrundlagen erschlossen worden. Eduard Meyer hat mit seiner Geschichte des Altertums (1884 ff.) einen ehrgeizigen Versuch unternommen, eine aus den Quellen geschöpfte Universal_____________ 35 Beloch, Rez. Burckhardt (1899), 928 f. wies daraufhin, dass eine Kulturgeschichte anachronistisch geworden sei, wenn sie die wirtschaftlichen Grundlagen ignoriere. 36 Pöhlmann, Methodik der Geschichte des Altertums (1895), 34–55. 37 Vgl. Schneider (1990), 417–445. 38 Vgl. Nippel (2008), 25 ff.

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geschichte des Altertums aus einer Hand vorzulegen, der ihn bis zu seinem Tode 1930 in Anspruch nehmen sollte. Dabei sah er sich aufgrund laufend neuer Funde und Erkenntnisse zum Alten Orient ständig mit der Notwendigkeit von Umarbeitungen konfrontiert. Meyers letztliches Scheitern trotz einer einzigartigen Kompetenz in den orientalischen Sprachen demonstrierte die immensen Schwierigkeiten, wenn nicht die Unmöglichkeit einer einheitlichen Alten Geschichte in forschungspraktischer Hinsicht.39 Das Postulat originärer Forschungskompetenz bedingte die Etablierung von Spezialdisziplinen wie Ägyptologie oder Assyriologie, die für eine spezifische Kultur in philologischer, historischer und archäologischer Hinsicht zuständig waren. Allerdings ist diese Ausdifferenzierung nicht allein Ergebnis wissenschaftsimmanenter Notwendigkeiten. Wenn die »klassischen Altertumswissenschaften« den Alten Orient an Spezialdisziplinen »abgaben«, entsprach dies auch einem eurozentrischen Weltbild, in dem die Hochkulturen des Alten Orients allenfalls noch wegen ihrer Wirkungen auf die griechisch-römische Welt (als Ausgangspunkt für die dynamische okzidentale Entwicklung) einen gewissen Platz behielten, im Hinblick auf ihre weltgeschichtliche Bedeutung jedoch als weitgehend irrelevant angesehen wurden. Der Abgrenzung bedurfte im späten 19. Jahrhundert die von den antiken Kulturen (ob mit oder ohne Einschluss des Alten Orients) repräsentierte Geschichte gegen die nun als Vor- und Frühgeschichte erfassten, unendlich weiten Zeiträume der Menschheitsgeschichte vor dem Einsetzen schriftlicher Überlieferung, in die man durch Funde von Realien und menschlichen Fossilien ebenso Einsicht gewann wie durch die Darwinsche Evolutionslehre. An Stelle der vergleichenden Sprachwissenschaft, wurde zunehmend die auf ethnographischen Daten aufbauende soziale Evolutionstheorie als Schlüssel zur Rekonstruktion der frühen Menschheitsgeschichte präsentiert.40 Gegenüber deren Entwicklungsgesetzen, die auch wegen der Inanspruchnahme durch die sozialistische Theorie suspekt wurden, ging man zunehmend auf Distanz. Eduard Meyer betonte 1899, diese könne man nicht aus den Bedingungen einer »construierten Urzeit« ableiten, sei diese die »indogermanische Einheitszeit«, sei es das »Phantasiegebilde, welches man sich auf Grund politischer, socialer, anthropologischer Theorien vom Urzustand des Menschen überhaupt entwirft«.41 Eher sei der Erkenntniszuwachs, den man Ende des 19. Jahrhunderts bezüglich der altorientalischen und der kretisch-mykenischen Kulturen gewonnen habe, zur Klärung der Fragen früher Gesellschafts-

_____________ 39 Das Festhalten an einer Gesamtgeschichte der mittelmeerisch-vorderasiatischen Welt ließ sich nur noch in Kollektivunternehmungen wie der Cambridge Ancient History verwirklichen, wobei dort auch die einzelnen Bände auf eine Vielzahl von Autoren zu verteilen waren, mit den dabei unvermeidlichen Überschneidungs- und Abgrenzungsproblemen. 40 Vgl. Nippel (1990a), 102 ff. 41 Meyer, Rechtfertigung (1899), 515.

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entwicklung einzusetzen, heißt es in späteren Äußerungen Meyers.42 Die – in vielem durchaus berechtigte – Distanzierung vom Evolutionismus hat im 20. Jahrhundert insofern nachgewirkt, als die deutsche Althistorie eine viel größere Distanz zu sozialanthropologischen Fragestellungen gezeigt hat, als dies in Teilen der französischen und angelsächsischen Forschung der Fall gewesen ist.43 Das hängt nun wiederum damit zusammen, dass Völkerkunde, ›social anthropology‹ oder wie immer diese Disziplin geheißen haben mag, spätestens seitdem sie sich auf Feldforschung stützte, in Ländern florierte, in denen man über Kolonien verfügte oder wie in den USA Restbestände indigener Kulturen noch im eigenen Lande hatte. Der Zuständigkeitsanspruch, den Althistoriker gegen Ende des 19. Jahrhunderts für die gesamte »Gesellschaftsgeschichte«44 der Antike erhoben, samt den Abgrenzungsbemühungen gegenüber anderen Disziplinen, spiegelt auch die Herausbildung einer eigenen Universitätsdisziplin wider, die zu dieser Zeit einen gewissen Abschluss erreicht hatte. Die alte Tradition der Universalhistorie war im 19. Jahrhundert noch insofern fortgesetzt worden, als Professoren für Geschichte in der Lehre für die gesamte Weltgeschichte zuständig waren. Eine Reihe namhafter Historiker – Wilhelm Drumann, Wilhelm Wachsmuth, Wilhelm Adolf Schmidt, Arnold Schäfer, Max Duncker und Johann Gustav Droysen – ist mit Darstellungen und Forschungen sowohl in der Alten wie in der Neueren Geschichte hervorgetreten.45 Die Ausdifferenzierung epochenspezifischer Lehrstühle seit der Mitte des Jahrhunderts war im Wesentlichen eine Folge des starken Aufschwungs der Mediävistik, für die eigene Professuren beansprucht wurden.46 Dies hing v. a. mit dem 1819 vom Freiherrn vom Stein initiierten Vorhaben einer Edition der deutschen Geschichtsquellen des Mittelalters, also der Monumenta Germaniae Historica zusammen. Solche Editionen erforderten spezifisch technische Kompetenzen. Alte (im Sinne der griechisch-römischen) und Neue Geschichte ließen sich mit der gleichen philologischen und hermeneutischen Kompetenz bewältigen, sofern man sich für das Altertum bevorzugt auf die literarischen, nicht die monumentalen Quellen stützte. Ein frühes Beispiel zeigt sich in Kiel. Droysen war 1840 dorthin berufen worden; Georg Waitz, bis dahin Mitarbeiter der Monumenta, folgte zwei Jahre später. Beide waren gemeinsam für das Gesamtgebiet der Geschichte zuständig, aber Waitz konzentrierte sich auf das Mittelalter, während Droysen sowohl über Alte wie Neue Geschichte las.47 Droysen _____________ 42 Meyer, Alte Geschichte (1908a), 283–299; ders., Bedeutung der Erschließung des alten Orients (1908b), 648–663; zur zweiten Auflage von Meyers »Anthropologie« von 1907 vgl. Nippel (1990b), 311–328. 43 Vgl. Nippel (1988), 300–318. 44 Der Terminus begegnet u. a. bei Otto, Gesellschaftsgeschichte (1905), 700–712, 781–794; Gelzer, Nobilität (1912) (Vorbemerkung). 45 Vgl. Heuß (1989/1995), Bd. 3, 1938–1970. 46 Vgl. Engel (1959), 341 ff. 47 Zu Einzelheiten siehe Nippel (2008), 40 ff.

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hat dies auch in Berlin (seit 1859) so gehalten. Nach seinem Tode (1884) wollten Fakultät und Regierung diesen eigentlich nicht durch einen »Lehrer von einseitiger Fachbildung ersetzen« und hatten deshalb zunächst Max Duncker, der wie Droysen zugleich Alte wie Neue Geschichte betrieb und zuletzt (1867–1874) Direktor der preußischen Staatsarchive gewesen war, für die Nachfolge gewinnen wollen. Duncker, der bereits 73 Jahre alt war, winkte aber ab.48 Mit Ulrich Köhler wurde schließlich ein Spezialist für Griechische Geschichte, namentlich Epigraphik berufen, vor allem im Hinblick auf das griechische Inschriftenprojekt der Berliner Akademie. Das Beispiel steht im Übrigen auch dafür, dass die zunehmende Spezialisierung auf bestimmte Epochen sich nicht sofort in der Denomination von Lehrstühlen niederschlug. So hat sich Heinrich von Treitschke, dessen publizistische und historische Arbeiten sich ganz auf die neuere Geschichte konzentrierten, anlässlich seines Rufes nach Heidelberg 1867 erkundigt, ob er auch Vorlesungen über Alte Geschichte halten müsse. Wenn ja, benötige er eine angemessene Zeit zur Einarbeitung.49 Zwischen 1860 und 1900 sind an der Mehrzahl der deutschen Hochschulen Professuren für Alte Geschichte eingerichtet worden.50 Da sich der Gegenstand der Geschichte inzwischen auf die ›Altertümer‹ erweitert hatte, war die Abgrenzung zur Philologie immer da fließend, wo Philologen die Realienkunde pflegten. Griechische Rechtsgeschichte ist vor allem von klassischen Philologen wie Karl Friedrich Hermann51 und später Justus Hermann Lipsius52 betrieben worden; für das Römische Recht war die Romanistik im Sinne der juristischen Teildisziplin zuständig. Bei Lehrgebieten und Stellenbezeichnungen gab es zum Teil Denominationen, die Philologie und Alte Geschichte verbanden, der Zuschnitt der Verantwortlichkeiten war oft abhängig von den konkreten personellen Konstellationen am Ort53 beziehungsweise von den Bedürfnissen der Lehrerausbildung, bei Berufungsverfahren wurde die philologische im Vergleich zur historischen Kompetenz unterschiedlich gewichtet.54 Es gab auch Bestrebungen, die Alte Geschichte wieder in eine umfassende Altertumswissenschaft zu integrieren. Wilamowitz hat dies nicht nur theoretisch vertreten, sondern in Berlin mit der Einrichtung _____________ 48 Haym, Das Leben Max Dunckers (1891), 466 f. 49 Briefe Heinrich von Treitschkes an Historiker und Politiker vom Oberrhein (1934), 15 [an Julius Jolly, 17.7.1867]. 50 Vgl. die Listen bei Weber (1984), 536 ff. 51 Hermann, Lehrbuch (1852). 52 Lipsius, Das Attische Recht (1905–1915). 53 Vgl. zu Göttingen Bleicken (1989/1998), Bd. 2, 1004–1033. 54 Aufschlussreich dafür ist die Laufbahn Georg Busolts, der in einem zahlreiche Universitäten erfassenden »Berufungskarussell« Ende der 1870er Jahre verschiedentlich wegen angeblich zu geringer philologischer Kompetenz nicht zum Zuge kam; vgl. Chambers (1990), 30, 41 und 43. Die Besetzung althistorischer Stellen mit Philologen statt Historikern in den 1880er Jahren beklagt Karl Julius Beloch (1926), 21 f.

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eines Instituts für Altertumskunde auch organisatorisch umzusetzen versucht.55 Für die dezidierte Gegenposition, dass die Alte Geschichte nichts anderes sein könne als Teil der einen, allgemeinen Geschichte, ist zumal Eduard Meyer eingetreten, der sich ja auch in der durch den Lamprecht-Streit ausgelösten Methodendiskussion der Geschichtswissenschaft engagierte.56 Als Ausdruck des Selbstverständnisses als historischer Disziplin können unter anderem Curt Wachsmuths Einleitung in das Studium der Alten Geschichte (1895), disziplingeschichtliche Rückblicke von Julius Kaerst (1902)57 und Karl Johannes Neumann (1909)58 sowie die Gründung von Klio. Zeitschrift für Alte Geschichte (1901) gelten. Sie verweisen darauf, dass Alte Geschichte nunmehr als eigenständige Disziplin etabliert worden war, wie immer die organisatorische Zuordnung zur Geschichts- oder Altertumswissenschaft vorgenommen wurden und wie immer sich Fachvertreter primär als Historiker (so sicherlich der Trend im 20. Jahrhundert) oder in erster Linie als Altertumswissenschaftler verstanden.

Literatur Beloch, Karl Julius, »Rez. Burckhardt, Griechische Kulturgeschichte«, in: Zeitschrift für Socialwissenschaft 2 (1899), 928 f. Beloch, Karl Julius, xxx, in: Die Geschichtswissenschaft der Gegenwart in Selbstdarstellungen, hg. v. Sigfried Steinberg, Bd. 2, Leipzig 1926, 21 f. Bernhardy, Gottfried, Grundlinien der Encyklopädie der Philologie, Halle 1832. Bleicken, Jochen, Die Herausbildung der Alten Geschichte in Göttingen. Von Heyne bis Busolt [1989], in: ders., Gesammelte Schriften, Bd. 2, Stuttgart 1998, 1004–1033. Böckh, August, Gesammelte Kleine Schriften, Bd. 2: Reden, hg. v. Ferdinand Ascherson, Leipzig 1859. Böckh, August, Rede zur Eröffnung der elften Versammlung Deutscher Philologen, Schulmänner und Orientalisten [1850], in: ders., Gesammelte Kleine Schriften, Bd. 2: Reden, hg. v. Ferdinand Ascherson, Leipzig 1859, 183–199. Briefe Heinrich von Treitschkes an Historiker und Politiker vom Oberrhein, hg. v. Willy Andreas, Berlin 1934 (= Schriftenreihe der Preußischen Jahrbücher, 23). Burckhardt, Jacob, Griechische Kulturgeschichte, Berlin 1898–1902. Busolt, Georg/Bauer, Adolf/Müller, Iwan, Die griechischen Staats-, Kriegs- und Privataltertümer, Nördlingen 1887. Chambers, Mortimer H., Georg Busolt. His Career in his Letters, Leiden 1990.

_____________ 55 Vgl. Wilamowitz-Moellendorff, Klassische Philologie (1893), 457–475; zum Berliner Institut Unte (1985), 730 ff. 56 Meyer, Theorie und Methodik der Geschichte (1902), 65. 57 Kaerst, Geschichte des Altertums (1902), 35–63. 58 Neumann, Entwicklung und Aufgaben der Alten Geschichte (1909).

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Institutionalisierung der Alten Geschichte im 19. Jahrhundert

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Institution und Habitus. Das Erbe der Antike und die Wissenskultur der Universitäten MARIAN FÜSSEL

Das Fortleben antiker Traditionen in der Geschichte der europäischen Universitäten und deren bis heute anhaltende Bedeutung sind allgemein unbestritten. Auch in der Universitätsgeschichte wird das Erbe der Antike fast als selbstverständlicher Teil ihrer Lehr- und Lernkultur betrachtet. So heißt es etwa in einem jüngeren Handbuch in Bezug auf den akademischen Unterricht: […] die Antike war bis tief in das 18. Jahrhundert hinein mit maßgebenden Lehrschriften der Bezugsrahmen für den tatsächlich erteilten akademischen Unterricht und bot einen Kernbestand an Wissen.1

Und Wissenschaftsphilosophen wie Jürgen Mittelstraß raten eine Besinnung auf Ideale der Antike gerade im heutigen Wissenschaftsbetrieb dringend an.2 Der Philosoph hat 1994 in einem Aufsatz die berühmte Formel aus Salomo 9.1 zum Aufhänger genommen, die Idee der Universität einmal historisch in ihrer institutionellen Verwirklichung zu beleuchten: »sapientia aedificavit sibi domum«3: Die ersten Häuser, die sich die Weisheit gebaut hat, sind die Platonische Akademie und der Aristotelische Peripatos. […] Was folgt ist die Transformation der von Platon und Aristoteles noch so gesehenen Einheit des (philosophischen) Wissens in die Vielfalt des Fachwissens und die Institutionalisierung dieses Wissens […] in den Universitäten.4

Für die Entstehung der europäischen Universität sei, so heißt es weiter, weder ein »Ausbildungsauftrag« noch eine »Berufsorientierung« konstitutiv gewesen, sondern in erster Linie eine »Bildungsidee«. Als Gewährsmann für diese These dient Mittelstraß u. a. Herbert Grundmann mit seinem Essay über den »Ursprung der Universität im Mittelalter« von 1956, eine Schrift, die in ihrem idealistischen Gestus inzwischen von der Sozialgeschichtsschreibung, prominent vor allem _____________ 1 2 3 4

Schindling (1994), 52. Mittelstraß (2002). Mittelstraß (1994). Ebd., 206 f.

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1986 von Rainer Christoph Schwinges, empirisch dekonstruiert und mittlerweile selbst wissenschaftsgeschichtlich historisiert wurde.5 Ich möchte den bekannten Salomo-Satz im Hinblick auf die Ausführungen des Philosophen daher einmal so übersetzen: »Die Geistesgeschichte hat sich ein Haus gebaut« und zwar ein Haus, das es so nie gegeben hat. Die Universitäten waren weder im Mittelalter noch in der frühen Neuzeit hierarchiefreie soziale Räume, in denen es um die reine Wissenschaft ging. Gelehrtes Wissen hat vielmehr nie unabhängig von der sozialen Geltung seiner Träger existiert. Und die landesherrlichen Universitätsgründer hatten sicher andere Ziele als eine allgemeine Bildung ihrer Untertanen. Noch ein anderer, die frühe Neuzeit betreffender, inzwischen ebenso überkommener Topos der Universitätsgeschichtsschreibung wird von Mittelstraß weitergetragen: »Die Weisheit suchte sich andere Häuser«, gemeint sind die Akademien, »und das Haus Universität zerfiel«. Wie in jüngerer Zeit u. a. Notker Hammerstein deutlich gezeigt hat, kam den Akademien im Reich insgesamt weniger Bedeutung zu als den Universitäten, und auch deren angebliche Krise im 18. Jahrhundert wird bereits seit langem merklich relativiert.6 Die Universitäten waren und blieben gerade im Jahrhundert der Aufklärung die maßgeblichen Häuser des Wissens. Ich habe Mittelstraß’ Ausführungen aus zwei Gründen als Einstieg gewählt. Zum einen, weil er explizit auf die Transformation der Antike in den europäischen Häusern des Wissens (und damit auch dessen Institutionen) abhebt, zum anderen, weil er die Unterschiede zwischen einer rein geistesgeschichtlich orientierten Perspektive und einem sozial- und kulturgeschichtlichen Zugang – wie er im Folgenden vorgeschlagen wird – besonders augenfällig werden lässt.7 Ich möchte der Diskussion nicht einfach ein weiteres Kapitel Antikenrezeptionsgeschichte hinzufügen – obwohl gerade die Hochschulgeschichte hier sicher ein dankbares Feld wäre –, sondern vielmehr danach fragen, welchen konkreten Stellenwert antike Lebens- und Denkformen in der Entwicklung der universitären Gelehrtenkulturen hatten. Anders ausgedrückt, welchen Einfluss hatte die Aneignung und Transformation antiker Vorbilder für die soziale wie epistemologische Geltung der Institutionen des Wissens und ihrer Akteure. Mittelstraß hat auch hier wichtige Anhaltspunkte gegeben, etwa wenn er über die mittelalterliche Gelehrtenkultur schreibt: »Sokrates wird ein Mönch, Aristoteles ein Kirchenvater – nicht was den Inhalt der Lehre, aber was den Gestus des Lehrenden und die Ergebenheit des Lernenden betrifft.«8 Daher wird es mir insgesamt auch weniger um die Inhalte, als vielmehr um die Formen des gelehrten Habitus gehen. Der Begriff ›Habitus‹ wird dabei im Gegensatz zu manchen Arbeiten im Bereich der Huma_____________ 5 6 7 8

Grundmann (1964); vgl. dazu die Kritik von Schwinges (1986), 5 und 341 f.; historisierend zum Kontext Boockmann (1999), 9 ff.; zuletzt vermittelnd Wieland (2002). Hammerstein (2004). Zur Kulturgeschichte der Universitäten vgl. Clark (2006); Füssel (2006). Mittelstraß (1994), 208.

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nismusforschung in seiner von Elias und Bourdieu entwickelten Konnotation verwendet, also als inkorporiertes Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschema, als »fleischgewordene Geschichte«.9 Ich werde im Folgenden in drei Schritten vorgehen. Zunächst möchte ich kurz beleuchten, wie die Universitäten als Institutionen seit dem Mittelalter Geltungspotentiale aus dem Rekurs auf die antike Tradition zu gewinnen suchten (I.). In einem zweiten Schritt werde ich exemplarisch zeigen, wie schwierig der Eintritt der Humanisten in die Universitäten sich aufgrund von Habitusdifferenzen darstellte (II.), um schließlich drittens in einer Art Ausblick Transformationen einer gelehrten Ferne und Nähe zur Welt zu beleuchten (III.).

I. Die Macht der Tradition. Die vormodernen Universitäten und die Antike Die Erfindung von Traditionen hat selbst eine lange Tradition. Auch die mittelalterlichen Universitäten bemühten sich im Sinne der Idee einer translatio studii um eine möglichst lange Geschichte.10 Während die Pariser Universität mit ihrer Berufung auf eine Gründung durch Karl den Großen noch relativ moderat auftrat, schafften sich Bologna sowie Oxford und Cambridge bis in die Antike zurückreichende Gründungsmythen. Bologna, das um etwa 1230 etwa zur gleichen Zeit wie Paris tatsächlich mit kaiserlicher und päpstlicher Privilegierung institutionalisiert wurde, führte seinen Ursprung auf eine Gründungurkunde des spätantiken Kaisers Theodosius II. aus dem Jahr 433 zurück. Damit stand man jedoch immer noch weit hinter dem Anspruch Oxfords, die älteste Universität zu sein, zurück, denn in England berief man sich auf die Gründungslegende durch eine Gruppe von Trojanern unter Führung von Brutus. Nachdem diese Albion, das spätere Britannien eingenommen hatten, siedelte sich angeblich eine Gruppe griechischer Philosophen in Grekelade nicht weit von Oxonia, dem späteren Oxford an. Cambridge wollte dem in nichts nachstehen und meldete eine Gründung durch König Artus sowie einen spanischen Prinzen namens Cantaber im Jahre 4815 – gezählt seit dem Beginn der Welt – an. Bis weit in die Frühe Neuzeit wurden entsprechende Gründungsmythen in der Selbstbeschreibung der Universitäten weitertransportiert. Ob nun eine unmittelbare lokale Rivalität wie im Falle von Oxford und Cambridge den Ausschlag gab oder eine allgemeiner ausgerichtete ›Öffentlichkeitsarbeit‹ der Hochschulen – der Rekurs auf die Antike kann in jedem Fall als Form der institutionellen Autorisierung durch Anciennität beschrieben werden. _____________ 9 Füssel (2007). 10 Vgl. dazu Rüegg (1993), 26; Gabriel (1988); Rexroth (1997).

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Die moderne Universitätshistoriographie mag dagegen lediglich eine vermittelte Grundlegung erkennen. So etwa wenn Walter Rüegg die Entstehung der Universitäten mit einer humanistischen Renaissance des 12. Jahrhunderts in Verbindung bringt.11 Die Auslegung des römischen Rechts in Bologna, die Lehre der Medizin in Salerno auf Grundlage von Hippokrates, Aristoteles oder Galen oder die Differenzierung der Pariser artes liberales vor dem Hintergrund intensiver Lektüre der antiken Literatur trugen allerorts zu Institutionalisierungsschüben im Sinne der Einung und Privilegierung bei. Ein weiterer fiktiver Traditionsbezug der Universitäten begegnet uns im Ritual der so genannten ›Deposition‹, einem Initiationsritus, den ein junger Mann bei seiner Immatrikulation zu durchlaufen hatte, um zu einem vollwertig anerkannten Studenten zu werden.12 Die tatsächlichen Ursprünge dieses Rituals liegen weitgehend im Dunkeln und werden wohl eine Art Neuschöpfung aus klosterähnlichen Praktiken darstellen. Die frühneuzeitlichen Universitäten datierten ihre Ursprünge hingegen bis zu Platon und Aristoteles zurück.13 Als späterer Beleg wurde häufig die von Gregor von Nazianz beschriebene Wasserweihe der Athener Sophistenschulen angeführt.14 Wie das Ritual seinen Weg von Athen in die mittelalterlichen Universitäten fand, blieb jedoch mindestens so dunkel wie die Reise der Trojaner nach Albion. In der spätmittelalterlichen Gelehrtenikonographie setzte man die antike Tradition sprichwörtlich ins eigene Bild (Abb. 1). So etwa in einer französischen Handschrift von 1449, wo die »Schule des Aristoteles«, mit dem Philosophen in der Mitte thronend, an seiner linken Seite flankiert von Plotin, Demosthenes und dem Redner Aischines (alle in Gelehrtenkleidung des späten Mittelalters) mit zeitgenössischen Gelehrten bzw. Schülern im Dialog dargestellt wird.15 Bei Gruppenbildern von Medizinern finden wir entsprechend u. a. Galen, Hippokrates, Avicenna oder Averroes in die eigene Gegenwart versetzt. Und auch die Begründung einer nobilitas litteraria, um noch ein weiteres Beispiel anzuführen, wie sie zunächst von den Glossatoren des römischen Rechts betrieben wurde und schließlich im 16./17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte, kam nicht ohne Rekurs auf die Rechtsverhältnisse im alten Rom aus.16 War die gesamte so genannte ›vorklassische Zeit‹ der Universitäten mithin von essentiellen Geltungsbehauptungen mit Antiken-Referenz geprägt, so ist auch der Beginn der so genannten ›klassischen Zeit‹ der deutschen Universitätsgeschichte von einer vielfältigen Antikerezeption gerade etwa im Bereich der Universitätsarchi_____________ 11 12 13 14 15 16

Rüegg (1992), 108 f. Füssel (2005). Laut Fabricius findet sich diese Genealogie zuerst bei Middendorp, De celebrioribus. Fabricius (1895), 11; Schöttgen, Historie, 126–131. Von Hülsen-Esch (2006), 225 f. Vgl. Füssel (2006), 109–118.

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Abb. 1: Giovanni Colonna, OFP. Mare historiarum ab urbe condita ad annum Christi 1250, Paris Bibl. Nationale ms.lat.4915, fol.85r, aus: Hülsen-Esch (2006).

tektur geprägt. Eines der eindrucksvollsten Beispiele ist sicher das Göttinger Aulagebäude von 1837, das ausgehend von Entwürfen Schinkels um eine empirisch exakte Aneignung antiker Vorbilder bemüht war und damit gleichzeitig einen tiefen Einblick in das Wissenschaftsverständnis des frühen 19. Jahrhunderts gewährt.17 Doch das ist eine andere hier nicht weiter zu verfolgende Geschichte. _____________ 17 Bergmann/Freigang/Eckardt (2006).

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II. Ungebetene Gäste? Humanistischer Habitus im Konflikt mit den Universitäten All diese legitimitätsstiftenden Rückbezüge auf die Antike dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass mit dem Humanismus eine der zentralen intellektuellen Bewegungen der Antikenrezeption außerhalb der Universitäten entstand und seine Vertreter sich in einem mannigfachen Spannungsverhältnis zu den Mitgliedern der hohen Schulen befanden. Die Humanisten entwickelten einen eigenen Lebensstil, den Christine Treml 1989 in einer wichtigen Arbeit als »Antike als Lebensmodell« würdigte.18 Von der Anredeformel im Du, der Antikisierung der Namen, einer eigenen Briefkultur, den Geselligkeits- und Vergesellschaftungsformen der Sodalitäten bis hin zu Kleidung und Konsum entwickelte sich eine eigene distinkte Gelehrtenkultur in deutlicher Anlehnung an das Geltungszentrum des Fürstenhofes.19 In Italien, dem Mutterland des Humanismus, vollzog sich der Einzug der Humanisten in drei Phasen und nicht ohne Konflikte. Zwischen 1370 und 1425 mieden die Humanisten die universitäre Lehre wie eine ansteckende Krankheit, von 1425 bis 1450 mehrten sich schließlich die Humanisten an den Universitäten und zwischen 1450 und 1520 feierte der Universitätshumanismus eine wahre Blütezeit.20 Zu welchen Schwierigkeiten die Integration in den akademischen Studienzusammenhang zum Teil führen konnte, macht etwa das Schicksal Lorenzo Vallas an der Universität Pavia im Jahre 1433 deutlich. Valla war an die juristische Fakultät berufen worden, verachtete aber die seiner Ansicht nach dem klassischen Latein ferne Kultur der Juristen. In einer öffentlichen Graduierungsveranstaltung in der Kathedrale am 2. Januar 1433 kam es ähnlich einem Hochzeitsritual zu der rhetorischen Frage, ob jemand der Anwesenden etwas gegen die Verleihung des Grades an den Kandidaten einzuwenden habe.21 Zum großen Erstaunen des Publikums meldete sich Valla und kritisierte in scharfen Worten die generelle Ignoranz und das barbarische Latein des Kandidaten. Während der studentische Rektor der Juristen den Kandidaten verteidigte, stellte sich der der Artisten auf die Seite Vallas, der vom Bischof aufgrund seiner Verletzung des Decorums zu Arrest verurteilt wurde und von Jurastudenten verfolgt floh. Valla setzte seine Attacken auf die juristischen Autoritäten wie Bartolo de Sassoferrato oder Baldo de Ubaldi fort und musste die Universität und seinen Posten schließlich verlassen. Mit Baldassare Rasini berief man 1435 einen sich besser in die Universität Pavia einfügenden Humanisten, der zu einer weiter angestrebten Vertiefung der studia humanitatis beitrug. Und auch an der Universität von Florenz engagier_____________ 18 19 20 21

Treml (1989). Vgl. zuletzt die Beiträge von Dieter Mertens und Gábor Almási in Maissen/Walter (2006). Grendler (2004), 205–222. Ebd., 210 f.

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te man mit Francesco Filelfo (1428/29) und Carlo Marsuppini (1431) weitere Humanisten, die allerdings verwickelt in die von den Medici ausgehenden politischen Konflikte zunächst nicht zu einer ruhigen Lehrtätigkeit kamen.22 Seit dem 15. Jahrhundert wurden auch im Reich humanistische Lehrstühle an den Artistenfakultäten eingerichtet. Die Meistererzählung von der humanistischen Bildungsreform an den Universitäten rekurriert dabei immer wieder auf das Wirken Philipp Melanchthons, der ausgehend von seiner Wittenberger Wirkungszeit u. a. das Studium des Griechischen und Hebräischen förderte und Lehrstühle für Poesie und Eloquenz einrichten ließ. Im Sinne einer »sapiens atque eloquens pietas« wurde das humanistische Bildungsprogramm schließlich sowohl an protestantischen wie an katholischen Hochschulen heimisch.23 Doch machten sich die humanistischen Rhetoren und Poeten zunächst nicht nur Freunde an den Universitäten. Dies wird eindrucksvoll in den Dunkelmännerbriefen, einer zwischen 1514 und 1517 anonym publizierten humanistischen Gelehrtensatire, reflektiert, wenn es heißt: Jetzt aber wollen die Studenten Vorlesungen über Virgilius und Plinius und andere neumodische Autoren hören, und wenn sie diese auch fünf Jahre lang hören, so werden sie doch nicht promoviert. […] Die Poeten brächten ihnen nämlich Schaden. Und wenn auch die Eltern ihre Söhne in die Bursen und Kollegien schickten, dann wollten sie dort nicht bleiben, sondern gingen zu den Poeten und studierten dort Nichtsnutzigkeiten. […] Daher müssen wir Gott bitten, dass alle Poeten zugrunde gehen, denn ›es ist besser, ein Mensch sterbe‹ et cetera. Daß heißt, dass lieber die Poeten sterben, deren nur wenige an jeder Universität sind, als dass so viele Universitäten zugrunde gehen.24

An anderer Stelle heißt es nicht minder deutlich: Ich glaube, die Universität wird wegen dieser Poeten noch zugrunde gehen, die so zahlreich sind, dass es einfach erstaunlich ist. […] Und deshalb haben die Magister so wenige Zöglinge, dass es ein Skandal ist. […] Daher wünschte ich, alle Universitäten handelten gemeinsam und schlössen alle Poeten und Humanisten aus, denn sie ruinieren die Universitäten.25

Damit sind wir bereits bei den Praktiken des wissenschaftlichen Unterrichts an den Universitäten. Auch die Vorbilder der klassischen universitären Unterrichtsform schlechthin – der Vorlesung – werden landläufig auf antike Traditionen zurückgeführt. So sprach bereits Quintilian von der praelectio als der »erklären_____________ 22 Grendler (2004), 212 ff. 23 Baumgart (2006), zu Melanchthon, 47 ff.; zum »Wittenberger Humanismus« vgl. zuletzt auch den Beitrag von Manfred Rudersdorf und Thomas Töpfer in Maissen/Walther (2006). 24 Briefe von Dunkelmännern, 358 ff., Bömer (1924/1978), Nr. 46, 167 f. 25 Ebd., 396 ff., Bömer (1924/1978), Nr. 58, 184 ff.

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den Darstellung eines Textes«.26 In der Frühen Neuzeit erfuhr diese extrem geregelte und standardisierte Praxis der Reproduktion und Auslegung kanonischer Texte jedoch allmählich eine entscheidende Transformation in Gestalt der Privatvorlesung. Das standardisierte Curriculum wurde zwar weiterhin beibehalten, hinzu traten jedoch Vorlesungen, für die die Hörer den Professor direkt bezahlten und die inhaltlich weniger streng gebunden waren. Gleichzeitig fanden sich immer weniger Hörer für die festgelegten Vorlesungen, da mit der Reformation verschiedene dahingehende Verpflichtungen entfielen und die Prüfung eine entsprechende Teilnahme nicht mehr erforderlich machte. Ein für die Entwicklung des deutschen Universitätssystems fundamentaler Vorgang, dessen wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung bislang noch kaum ausreichend gewürdigt worden ist.27 Wie von den Rivalitäten hinsichtlich des Lehrangebots ein Weg zu handfesten Verwerfungen innerhalb des akademischen ordo führen konnte, sei im Folgenden an einigen Beispielen gezeigt. In Ingolstadt war es der Humanist Jacob Locher, genannt Philomusus (1471–1528), der 1507 in einen Präzedenzstreit mit dem Dekan der artistischen Fakultät geriet und schließlich einen Platz neben diesem zugestanden bekam.28 Locher war einige Jahre zuvor von Kaiser Maximilian zum Dichter gekrönt worden, was sich in seinem selbstbewussten Auftreten nicht nur hinsichtlich der universitären Rangordnung ausdrückte, sondern auch in der Tatsache, dass er vor seinem Kolleg die Glocken läuten ließ und einen Antrag beim Senat stellte, alle anderen artistischen Lektionen während der seinigen ausfallen zu lassen.29 Auch der Basler Humanist Heinrich Loriti, genannt Glarean, stritt zu Beginn des 16. Jahrhunderts um seinen Rang innerhalb der öffentlichen Zusammenkünfte der Baseler Universität.30 Da er noch keinen Doktorgrad erworben hatte, kam ihm als einfachem Magister eine relativ untergeordnete Position innerhalb der akademischen Hierarchie zu, so dass er »sich entweder unter den Studenten verstecken, oder sich ja auf die Magister-Banck hinten anhängen« hätte müssen.31 Als berühmter gekrönter Poet war Glarean jedoch keineswegs bereit, sich mit seiner Position zufrieden zu geben. So ritt er eines Tages während einer Promotionsfeier auf einem Pferd in das Auditorium und mischte sich unter die Studenten.32 Aller _____________ 26 Wenke (1967). Zu Quintilians Theorie über Vorlesungen und die Ausbildung des Redners vgl. Murphy (1974), 123–130. 27 Vgl. Rasche (2008). 28 Vgl. Bauch (1901), 71–84, hier 77 ff. Die in Lochers Rangstreben zum Ausdruck kommende »superbia« wurde zum Gegenstand satirischer Darstellung durch Jacob Wimpfeling, vgl. Schlecht (1903), 236–265, hier 239 und 242. 29 Vgl. Heidloff (1975), hier 153–157. 30 Vgl. Mencke, Charlatanerie, 135 ff., 209; Fassmann, Narr, 210 f.; Schirrmeister (2003), 205 f., vgl. auch ders. (2004). 31 Mencke, Charlatanerie, 136. 32 Der Vorfall wird erwähnt in einem Brief des Beatus Rhenanus an Erasmus von Rotterdam vom 17.4.1515: »Scriberem tibi, quo pacto Glareanus noster in aulam sophistarum, qui disputationis

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Augen richteten sich nun auf Glarean, der auf die Frage des Rektors, warum er denn mit einem so unwürdigen Tier in die Versammlung komme, geantwortet haben soll, dass er gerne »einen gewissen und ausgemachten Sitz haben wolle«. Und er fährt fort: Es sind indeß, dass ihr zweifelt, ob ihr mich unter die Doctores oder die Magister setzen sollet, schon so viel Monate verflossen, dass ich so wohl euch aus diesem Kummer zu reissen, als auch mich selbsten einmahl zu versorgen, endlich auf diesen Anschlag kommen müssen, mich auf einen Esel zu setzen und euch also zu zuhören […].33

Der Vorfall macht bereits verschiedene Zusammenhänge deutlich: Zum einen war die Geltung des Humanisten innerhalb des literarischen Feldes – darauf hat Albert Schirrmeister in seiner wichtigen Studie zu den gekrönten Dichtern hingewiesen – nicht notwendig deckungsgleich mit seiner Geltung innerhalb der universitären Korporation.34 Zum anderen sah der Humanist sich zu dieser drastischen Maßnahme offenbar aufgrund der offensichtlichen Unentschiedenheit seines Status genötigt, die sowohl institutioneller Trägheit als auch bewusstem Kalkül geschuldet gewesen sein konnte. Glarean blieb allerdings kein Einzelfall, sondern stellt lediglich eines der bekanntesten Beispiele für die seit dem 15. Jahrhundert zunehmende Schwierigkeit der Einordnung der humanistischen Poeten in die korporative Hierarchie der Universität dar.35 In Leipzig war es Rhagius Aesticampianus, der 1507/08 eine Professur für Poetik und Rhetorik annahm und nach wenigen Jahren in heftige Zwistigkeiten mit seinen Leipziger Kollegen geriet.36 Ihm wurde schließlich ein Raum für seine Lehrveranstaltungen verweigert, so dass er sich gezwungen sah, die Universität zu verlassen. In seiner Abschiedsrede an seine Studenten fand er deutliche Worte gegen seine Leipziger Kollegen: Und ich werde nicht wegen angeborener Geistesstumpfheit oder wegen Schlechtigkeit der Denkart (deren jene Heuchler alle Poeten verdächtigen) gezwungen wegzugehen, denn ich habe von beidem eine nicht gemeine Probe gegeben, sondern allein durch das Uebelwollen und die Schlechtigkeit gewisser, welche euch, o edelste Studenten, hochmüthig beherrschen und habgierig eure Gelder ausplündern und euch auf dem Wege des richtigen sprechens und der Richtschnur eines bescheidenen Lebens durch ihre ungesalzenen Reden und üppigen Schmausereien abrufen und verführen.37

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causa de parvorum utilitate logicalium convenerant, insidens equo fuerit ingressus, nisi stultiora putarem, quam quae ad te scribantur, virum verte sapientem, si quisquam uspiam sapiens est.« (Horawitz/Hartfelder, Briefwechsel, 74–76, hier 75). Mencke, Charlatanerie, 137. Die wohl im Zuge der Überlieferung geschehene Verwandlung von Pferd zu Esel verändert den Symbolgehalt in nicht unwesentlicher Weise, da dem Esel natürlich ein gänzlich anderer, in diesem Fall umso lächerlicherer Status zukommt. Schirrmeister (2003), 90–124, 186 f. Vgl. dazu Heath (1966), 51–81. Vgl. Bauch (1885). Bauch (1885), 20; sowie weitere Übersetzung bei Clemen (1899), 240.

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Die Reaktion darauf, die offizielle Relegation Aesticampians stellt ein ungewöhnlich heftiges und entehrendes Vorgehen seitens der Universität dar, wurde diese Maßnahme doch in der Regel nur auf schwer straffällige Studenten angewandt. Es nimmt nicht Wunder, dass die Episode eine breite Aufnahme in den Dunkelmännerbriefen fand.38 Aesticampians Entfernung aus Leipzig stellte den schillernden Höhepunkt einer ganzen Reihe von korporativen Exklusionskonflikten dar, die bereits James H. Overfield in seiner Monographie über Humanism and Scholasticism in Late Medieval Germany als »The Case of Six ›Expulsions‹« im Zusammenhang gewürdigt hat.39 Hierzu zählten neben Aesticampianus u. a. Jacob Locher in Freiburg, Herman Buschius in Leipzig und Erfurt oder Tillmann Conradi in Erfurt. Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts ereigneten sich immer wieder entsprechende symbolische Kämpfe um Anerkennung an den Hochschulen. Der gekrönte Dichter Salomon Frenzel (1561–1605) erhob beispielsweise aufgrund seines Titels als poeta laureatus an der Universität Helmstedt ebenfalls Anspruch auf einen höheren Platz innerhalb der philosophischen Fakultät, als ihm aufgrund der Anciennität zustand.40 Neben den symbolischen Unterscheidungen in der Rangfolge kamen die Ansprüche der Poeten auch in besonderer Kleidung zum Ausdruck. An der Wiener Universität schmückten die Poeten ihre Doktormäntel beispielsweise mit drei Zungen aus Tuch, um ihre Beherrschung von drei Sprachen: Latein, Griechisch und Hebräisch zu symbolisieren.41 Zusätzlich waren sie im Gegensatz zu den magistri regenti dazu berechtigt, ihre Vorlesungen mit aufgesetztem Dichterkranz zu halten. Die Konflikte der Humanisten mit den Universitäten sind der Forschung lange bekannt, wurden bislang jedoch häufig entweder in ein klassisches Interpretationsraster der Gestalt: ›verkrustete Scholastik vs. moderner Humanismus‹ gespannt oder ihre kulturellen Ausdrucksformen wurden als »pittoreske« Kuriosa der Gelehrtenkultur abgetan, die auf individuelle Eigenarten zurückzuführen sind. Noch Arno Seifert kennzeichnet die beiden Lager so: »auf der einen Seite das arrogante, intolerante und schwer zu disziplinierende Völkchen der ›Poeten‹« auf der anderen die Magister der Artistenfakultäten »die mit dem Sinn und Wert ihres Metiers und mit den hergebrachten Formen des Fakultätsbetriebs auch schlicht ihre Lebensgrundlage in Gefahr sahen«.42 Nimmt man jedoch die Bedeutung symbolischen Handelns und eines spezifischen Gelehrtenhabitus ernst, so verlieren die genannten Beispiele einiges vom Erscheinungsbild eines Fegefeuers der _____________ 38 Briefe von Dunkelmännern, 87–90, Bömer (1924/1978), Nr. 46, 32–34. 39 Vgl. Overfield (1984), 235–246; vgl. dazu Helmrath (1988). 40 Vgl. Zimmermann (1929), 434; Henze (1990), 83; vgl. dazu auch Niedersächsisches Staatsarchiv Hannover Cal. 3999 »Berufung des Salomon Frentzel, Kaiserlichen Hofpoeten zu Torgau, zum ordentlichen Professor der Ethik in Helmstedt und dessen Rangstreit mit dem Magister Duncan 1592–1595«. 41 Vgl. Mühlberger (2007), 91. 42 Seifert (1984), 135.

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Eitelkeiten und offenbaren eine eigene Rationalität, die für das Verständnis der frühneuzeitlichen Wissenskultur ebenso bedeutsam ist, wie die Rekonstruktion von Lehrplänen und gelehrten Traktaten.43 Das Geltungsgebaren der humanistischen Dichter verweist zunächst auf ein generelles Problem akademischer Rangverhältnisse in Gestalt der Überschneidung inner- und außerkorporativer Kriterien der Rangordnung.44 Zusätzlich kommt hier der für die Gelehrtenkultur des 16. Jahrhunderts typische Versuch vieler Humanisten zum Ausdruck, die innerakademischen Titel zu negieren bzw. zu ignorieren und ihnen stattdessen Titel, wie den des gekrönten Dichters, entgegenzusetzen; eine Strategie, die sich im weiteren Verlauf der Geschichte jedoch nicht durchsetzen konnte.45 Denn die universitären Korporationen waren nicht bereit, eine primär auf den Hof ausgerichtete Legitimation in ihrem eigenen Geltungsbereich anzuerkennen. Genauso wenig durchsetzen konnten sich die episodenhaften alternativen Vergesellschaftungsversuche in den Sodalitäten. Auch sie bilden einen weiteren institutionellen Ausdruck der Konkurrenzsituation zwischen den »studia humanitatis« und der klassischen Fakultätsverfassung.46 Zwar kommt ihnen, wie unter anderem Wolfgang Hardtwig gezeigt hat, unbestritten ein Kapitel in der Geschichte des deutschen Vereins- und Assoziationswesens zu, für die Entwicklung der wissenschaftlichen Kommunikationsräume im Reich waren sie jedoch letztlich ebenso wie die Akademien von nachgeordneter Bedeutung.47 Die Universitäten waren und blieben die zentralen Orte der Wissenskommunikation und Gelehrsamkeit im Reich. Schließlich kann die Abwehr der Humanisten als Versuch der Aufrechterhaltung korporativer Autonomie auch gegenüber den Landesherren verstanden werden, die durch ihre Berufungspolitik massiv in die Verfasstheit der Hochschulen ein_____________ 43 Laetitia Boehm hat bereits 1978 in einem grundlegenden Aufsatz darauf hingewiesen, dass neben geistesgeschichtlichen Hintergründen vor allem rechtlich-institutionelle Kontexte der Universitätsverfassung für die Spannungen mit den Humanisten verantwortlich waren, vgl. Boehm (1996). Boehm macht gegen die klassische Sicht auf »Provokationssucht, Arroganz und selbstgefällige Empfindsamkeit« der Poeten, die »Irregularität von Studienwegen und Bildungskarrieren«, die »noch labile Erscheinungsweise humanistischer Lehrweise« sowie die »Geringschätzung des akademischen Graduierungswesens« geltend, ebd. 661 f. Es ist mithin nicht eine individuelle Schrulligkeit einiger Humanisten, die zu Konflikten führt, sondern die strukturellen Probleme einer neuen erst im Entstehen befindlichen Wissenschaftskultur und -organisation. 44 Vgl. auch die Hinweise bei Boehm (1996), 658 f. Boehm skizziert treffend einen »Kampf um die Propädeutik«, der auch ein Kampf um die Anerkennung der hierarchischen Struktur der scholastischen Lehrverfassung darstellte. 45 Boehm (1996), 662–665. Die beschriebenen Fälle stehen insofern im Zusammenhang mit den unterschiedlichen Praktiken der Etablierung einer humanistischen Standeskultur, vgl. dazu den Überblick von Bernstein (1998); zu Konflikten zwischen Universitätstheologen und Humanisten vgl. Rummel (1995) und (1996), zu Rangfragen hier 201 f. 46 Boehm (1996), 660 f. zeigt etwa, dass fast sämtliche Modelle einer humanistischen Ausbildungsreform nördlich der Alpen sich in alternativen Organisationsformen zur klassischen Universitätsverfassung realisierten. 47 Hardtwig (1997).

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griffen und deren korporativen Selbstergänzungsrechte durchbrachen.48 Denn wie das Beispiel der Vorlesungen bereits andeutete, ging es hier nicht allein um Rang, sondern auch um materielle Ressourcen in Form von Gehältern und Hörergeldern.49 Erst als im Zuge der allgemeinen Universitätskrise der 1520er Jahre das Lektursystem grundsätzlich reformiert wurde und man auch für die »litterae« besoldete Lekturen einrichtete, diese also fortan gleichberechtigt »gebührenfrei« mit den klassischen »artes« lesen durften, konnte eine erfolgreiche Integration der Humanisten in die philosophischen Fakultäten erfolgen.50

III. Wissen und Öffentlichkeit. Ambivalenzen des Antikenbezugs Was bedeutet dieser kurze Durchgang nun für unsere Frage nach den »Transformationen der Antike«? Die Antike als Bezugspunkt von Wissensakteuren kann zum einen zur Generierung von »Anciennitätseffekten« beitragen: »Like aristocrats or nobles, the texts traced their authority by their descent from antiquity« formulierte etwa vor kurzem William Clark.51 Häufig wurden antike Texte daher symbolisch inszeniert. Bei Trauerprozessionen von Medizinern etwa war es im französischen Montpellier bis in die jüngste Vergangenheit Brauch, dem Zug eine mit Trauerflor versehene Hippokratesausgabe voran zu tragen.52 Ein Blick in die Matrikel der Universität Ingolstadt von 1589 zeigt geradezu im wörtlichen Sinne, wie die Institution symbolisch auf den antiken Schriften fußt. Unter zwei Miniaturen des Matrikelbuches, die Amtsübernahme und Amtsrückgabe des Rektors zeigen, befindet sich ein erklärender Text der links von Allegorien der Grammatica und Dialectica und rechts von Rhetorica und Astrologia gerahmt wird.53 Die vier Damen stehen jeweils auf Sockeln von Büchern, auf denen u. a. zu lesen ist: Donatus, Aristarchus, Aristoteles, Lucianus, Socrates und Cicero. Gerade die Institutionen des Wissens profitierten in hohem Maße von der Aneignung oder Erfindung entsprechender Traditionen. Wendet man den Blick jedoch in die Institutionen (in diesem Fall die Universität) selbst, offenbaren sich eine Vielzahl von Kämpfen um die legitime Aneignung der Tradition – idealtypisch verkörpert in der Konfrontation von Scholastik und Humanismus bzw. korporativer Hierarchie und literarischem Feld. Hier entschied die legitime Geltendmachung der Tradition durch die jeweiligen Akteure _____________ 48 Boehm (1996), 665 f. 49 Ebd., 666–669. 50 Seifert (1984), 146 f. Zum Einfluss des Humanismus auf die drei höheren Fakultäten vgl. Keil/ Moeller/Trusen (1987). 51 Clark (2006), 73. 52 Cabanès (1921), 32; zur Inszenierung von Schriftlichkeit vgl. in diesem Zusammenhang HülsenEsch (2006), 173 f., 250 f. 53 Baumstark (1997), 338–339.

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nicht nur über die Frage, was als richtige Wissenschaft anerkannt wurde, sondern auch welche soziale Position ihren Vertretern zukam. Die Frage nach der Transformation antiker Wissenstradition ist daher nicht nur an die unterschiedliche Aneignung von Inhalten geknüpft, sondern auch an den gelehrten Habitus ihrer Rezipienten. Bis auf den heutigen Tag sind die Versuche einer Reform der Universitäten immer von außen erfolgt. Die Humanisten bildeten da keine Ausnahme. Die langfristigen Erfolge ihrer »Unterwanderung« (Rüegg) bzw. »stillen Rezeption« vollzogen sich jedoch auf subtileren Wegen als es die lautstarke Konfrontation der humanistischen Poeten mit dem akademischen ordo erscheinen lässt. Anders ausgedrückt stieß die schleichende Veränderung der Lehrpläne auf mehr Akzeptanz als der schillernde Habitus vieler Humanisten. Die Kultur der Humanisten ist ein früher Ausdruck der den Gelehrtenhabitus bis heute prägenden Dichotomie von übertriebener Weltzugewandtheit vs. übertriebener Weltabgewandtheit: den Gegensätzen zwischen aulicus politicus, honêtte homme oder Weltmann auf der einen wie dem Pedanten und Schulfuchs auf der anderen Seite.54 Besonders anschaulich treten uns die unterschiedlichen Gelehrtenhabitus im Theatrum Pseudo-Eruditorum, dem Titelkupfer einer gelehrtenkritischen Schrift Johann Gottfried Büchners aus dem Jahr 1718 entgegen (Abb. 2). In Gestalt eines ruhmbegierigen Diogenes-Imitators in der Tonne (inclarescendi cupidus) und rechts neben ihm einem altmodischen Verehrer der Antike (veneranda antiquitas) werden uns gleich zwei deviante Charaktere mit Antikenbezug vorgestellt. In Gottscheds Vernünftigen Tadlerinnen heißt es 1726 über den antikenversessenen Pedanten: Ein Pedant wird keine drey Worte in seiner Muttersprache reden; sogleich hat er einen Vers aus dem Horatius, einen Spruch aus dem Seneca, oder sonst ein paar Griechische oder Lateinische Brocken im Munde. Ein Pedant ist ein großer Bewunderer des Alterthums; ohne sich darum zu bekümmern, ob die Meynungen und Aussprüche desselben vernunfftmäßig oder thöricht gewesen.55

Aussagen, die in einem breiten humanismuskritischen Diskurs des 18. Jahrhunderts stehen, der die Weltfremdheit der Antikenverehrer aufs Korn nimmt, als deren zentrales Merkmal die antiken Sprachen gelten. So heißt es in einer von Rabeners Satiren: Er hat studirt, und ist keinem Menschen zu etwas nütze. Wäre es nicht vernünftiger gewesen, wenn er sich auf diejenigen Wissenschaften etwas mehr gelegt hätte, von denen er geglaubt, dass sie so verächtlich und überflüssig sind? Muß er sich nicht schämen, dass er in Griechenland zu Hause, und in Sachsen ein Fremdling ist?56

_____________ 54 Vgl. Füssel (2006), 378–387. 55 Grimm (1998), 196 mit Anm. 181. 56 Ebd., 195.

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Abb. 2: Kupferstich zu Johann Gottfried Büchner, Schediasma Historico-Literarium. De Vitiorum Inter Eruditos Occurentium Scriptoribus, Leipzig 1718.

Zweifellos gab es auch andere Stimmen wie den Leipziger Philosophen und Mediziner Ernst Platner, der 1773 in seiner einfach »Der Professor« betitelten gelehrtenkritischen Schrift ironisch anmerkte, das die antiken Gelehrten heutzutage keine Chance mehr hätten, als Wissenschaftler ernst genommen zu werden: Plato, Cicero, diese auf den Universitäten jetzt so heiligen Namen, würden vielleicht, wenn sie unsere Zeitgenossen, wenn sie Deutsche wären, in der gelehrten Welt nicht mehr gelten, als unsere guten Originalschriftsteller. Man würde ihre Wohlredenheit

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Affektation, ihre Wissenschaft und Literatur Ungründlichkeit und ihre feine gesittete Lebensart Weichlichkeit nennen. Ein Laerz würde den Ruhm eines Plutarch verdunkeln. Das, würde man sagen, ist doch ein wahrer Gelehrter, der die philosophische Geschichte gründlich studirt hat. Vom Plutarch würde es heißen, er hat ein bischen Genie und Beredsamkeit, aber das ist auch alles. Und du Vater der Dichter, verewigter Homer! danke es deinem Zeitalter und deiner Sprache, dass Dichter und Gelehrte, Philosophen und Litteratoren über deinen ewigen Werth einig sind. Wärst du unter uns, wärest du unser Zeitgenosse, und das Original unserer, oder einer benachbarten Nation, du würdest fern von Studierstuben und Universitäten, in die Bücherschränke der Weiber und der ihnen gleich gehaltenen schönen Geister, verwiesen werden.57

Zu den Pflichten und positiven Eigenschaften des Gelehrten gehörte hingegen nunmehr, wie Johann Gottlieb Fichte 1794/95 in seinen bekannten Vorlesungen Von den Pflichten des Gelehrten verbreitete, öffentliche Kommunikationsfähigkeit. Eine Eigenschaft, die Fichte unter seinen Zeitgenossen durchaus verwirklicht sah: Der teutsche Gelehrte ist nicht mehr der nach der OelLampe riechende Pedant, der auf den Marktpläzen von Athen u. Rom zu Hause ist, nur nicht in seiner Vaterstadt, der in den Cirkeln der feinen Welt in Verlegenheit ist, und sie fliehet, so wie sie ihn. Unter andern Phantomen hat er sich an nähere Untersuchung der ihm vorher so furchtbaren Töne: große Welt, feine Welt, guter Ton, gute Erziehung, Welt- und Menschenkenntniß gewagt, u. gefunden, daß mit gesundem Menschenverstande, u. wahrer, aus der innern Fülle seines eignen Busens geschöpften Menschenkenntniß u. mit anständigem Vertrauen zu sich selbst in jedem Cirkel fortzukommen ist.58

Hier wird der in der Antike »auf den Marktpläzen von Athen u. Rom« und nicht in seiner eigenen Gegenwart lebende Gelehrte zur Negativfolie, vor der gerade der auf den Marktplätzen der aufgeklärten Öffentlichkeit räsonierende Gelehrte zum positiven Maßstab der Intellektualität werden kann. Gleichzeitig verweist der humanistische Habitus bereits auf ein bis heute die universitäre Kultur der kleinen Gruppe prägendes Phänomen. Auffällige Popularität, die Ungleichgewichte in der Ressourcendistribution nach sich zog, war im gelehrten Dorf nicht erwünscht und konnte leicht den Odem des Unseriösen oder Scharlatanesken erhalten. Was mit anderen Worten bei Hofe zum Erfolgsrezept werden konnte, stieß in der akademischen Korporation auf strikte Ablehnung. Auch hier gibt die Antike nicht die Richtung vor, sondern die kontextgebundene Art und Weise ihrer Aneignung bzw. Transformation entscheidet über ihr legitimes Erbe. Im Sinne der Ausgangsproblematik heißt das, dass die Wissenskultur der Antike an den vormodernen Wissensinstitutionen keinen wesenhaften Kern bildete, der in ihnen in Form eines Gestaltwandels weitergegeben oder aufgehoben wurde. Vielmehr veränderten die vormodernen wie die modernen europäischen _____________ 57 Platner, Professor, 37 f. 58 Fichte, Pflichten, 104.

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Institutionen des Wissens im Akt der Aneignung bzw. der Referenz auf die Antike diese jeweils mit und schufen so ihre eigenen »Antiken«. Die Transformation ist mithin ebenso das Ergebnis einer Aneignung wie der Gegenstand der Aneignung zugleich zur Möglichkeitsbedingung eines neuen Diskurses wird. Mit anderen Worten: Wenn über die Frage »Was ist Wissenschaft?« bzw. im vorliegenden Fall präziser »Was ist universitäre Wissenschaft?« diskutiert wird, bietet die Antike seit jeher einen produktiven Referenzrahmen, dies zu tun.

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Giovanni Colonna, OFP. Mare historiarum ab urbe condita ad annum Christi 1250, Paris Bibl. Nationale ms.lat.4915, fol.85r, aus: Hülsen-Esch (2006), Abb. 80. Abb. 2: Kupferstich zu Johann Gottfried Büchner, Schediasma Historico-Literarium. De Vitiorum Inter Eruditos Occurentium Scriptoribus, Leipzig 1718.

Gelehrte Fremde – italienische Humanisten und die Transformation der europäischen Historiographie STEFAN SCHLELEIN

Für Carolin Behrens † Kann ein Ausländer über unsere Geschichte schreiben? »Natürlich«, würden wir sagen und auf Anhieb Dutzende Autoren benennen können, die über die Geschichte außerhalb ihres Heimatlandes gearbeitet haben, vom italienzugewandten Schweizer Jakob Burckhardt bis hin zum Amerikaner Daniel Goldhagen oder dem Briten Ian Kershaw mit ihren Arbeiten über die deutsche Gesellschaft während des Nationalsozialismus. »Natürlich nicht«, hätte hingegen mancher europäische Gelehrte um das Jahr 1500 geantwortet – insbesondere dann nicht, wenn der potentielle fremdländische Autor auch noch ein Italiener war, also Angehöriger derjenigen ›Nation‹, die sich darin gefiel, seit den Zeiten Petrarcas alle anderen europäischen Völker als Barbaren zu verunglimpfen. Und dennoch wurde gerade dieser Fall um 1500 zu einem europaweit anzutreffenden Phänomen: Italienische Humanisten schrieben die nationalen Geschichtswerke der europäischen Völker. Die Chiffre Humanismus steht dabei für eine doppelte Transformation: Geschichtsschreibung wurde wesentlich an der Antike ausgerichtet und die Antike selbst wurde neu konfiguriert. Dazu unten mehr. Anzutreffen waren die Italiener in England und Frankreich, in Spanien, in Ungarn, in Polen. Als bekannteste Vertreter dieser Gruppe ›intellektueller Gastarbeiter‹ sind zu nennen: Antonio Bonfini aus Ascoli, der am Hof des Matthias Corvinus eine stilbildende Ungarngeschichte verfasste; Filippo Buonaccorsi, der ›Apostel‹ des Humanismus in Polen; Paolo Emilio, der in seiner Frankengeschichte keck behauptete, den Franzosen überhaupt erst eine Geschichte gegeben zu haben; Lucius Marineus Siculus und Petrus Martyr de Anghiera in unterschiedlichen Positionen in Spanien und schließlich jener Polydor Vergil aus Urbino, der eine in vielen Punkten recht innovative Geschichte Englands verfasste.1 _____________ 1

Einen Überblick über das Phänomen und seine Protagonisten bieten Völkel (2002) und Helmrath (2005).

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Zwei Fragen sollen im Zentrum dieses Beitrags stehen, der sich vor allem mit sozialen Formen der (Antike-)Transformation beschäftigen wird. Zum einen: Welcher Art war die Veränderung der jeweiligen Tradition der Geschichtsschreibung, die die italienischen Autoren in ihren Gastländern bewirkten? Welchen antiken Modellen und Vorbildern folgten die Italiener und welche Reaktion riefen ihre Schriften hervor? Zum anderen ist danach zu fragen, in welche gesellschaftliche Situation sich die Italiener in ihren Gastländern gestellt sahen: Wer waren ihre Freunde, ihre Gönner und wo trafen sie auf Gegner? Dazu gehört auch die Frage, wie und aus welchem Grund sie überhaupt an ihre neuen Wirkungsstätten gelangt sind – kamen sie schon deshalb, um Geschichte zu schreiben? Die Kombination dieser Antworten kann Hinweise liefern auf die antikenbedingte soziale Transformation. Als Beispiel für die Erörterung dieser Fragen sollen zwei der eingangs genannten Italiener dienen, und zwar der in England tätige Urbinese Polydor Vergil sowie der in Kastilien bzw. Spanien arbeitende Sizilianer Lucius Marineus, die beide umfangreiche historiographische Texte hinterlassen haben.

I. Biographische Eckdaten a) Lucius Marineus Siculus Vor der Untersuchung der genannten Fragen sollen hier die wichtigsten biographischen Eckdaten beider Autoren skizziert werden. Lucius Marineus, genannt »Siculus«, wurde auf Sizilien um die Mitte der 1440er Jahre geboren.2 Nach eigenen Aussagen war Marineus Siculus die Gelehrtenkarriere durchaus nicht vorgezeichnet, erst mit 25 Jahren sei er von einem fünfjährigen Neffen in die primas litteras eingeführt worden.3 Seine Ausbildung begann er zunächst an Schulen in _____________ 2

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Für die biographischen Daten zu Siculus vgl. im Folgenden aus der neueren Literatur Rummel (1997), 701–704, Jiménez Calvente (1999) und von derselben Autorin besonders die Einleitung zur Edition von Siculus’ Briefsammlung: Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, 24–74. Vgl. ebd., Buch VIII, 5. Ob man diese Angabe, die einem Empfehlungsschreiben für den so gelobten Neffen entstammt, allerdings derart wörtlich interpretieren darf, wie dies in der Forschung vereinzelt geschehen ist (vgl. Rummel [1997], 701), und zwar in dem Sinne, dass Siculus überhaupt erst als junger Erwachsener lesen und schreiben gelernt habe, sei dahingestellt. Annehmen darf man vielleicht, dass der Italiener als professioneller Gelehrter ein Spätberufener war. Dafür allerdings machte er dann eine bemerkenswerte Karriere, wobei auch für diesen Teil seiner Biographie Vorsicht angebracht ist, entstammen doch die Nachrichten über seine Zeit in Italien überwiegend einer biographischen Skizze, die ein spanischer Schüler des Siculus, Alfonso Segura, erstellt hatte und die der Lehrer selbst in seiner Briefsammlung veröffentlichte; vgl. ebd., Buch VI, 2. Zwischen Seguras Bericht und der Aussage des Spätberufenseins ergeben sich allerdings erhebliche inhaltliche und chronologische Probleme; vgl. hierfür auch die folgende Anm.

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Catania und Palermo, um sie später in Rom fortzusetzen. 1483 lud ihn der kastilische almirante Fadrique Enríquez ein, mit ihm nach Spanien zu kommen.4 Die genauen Umstände, die Siculus zum Fortgang nach Kastilien im Gefolge des almirante bewegten, sind nicht bekannt. Immerhin handelte es sich bei der Entscheidung um eine langfristige Weichenstellung: Dauerhaft kehrte er nach Italien nicht mehr zurück. In Kastilien war Siculus zunächst für zwölf Jahre an der Universität Salamanca als Dozent tätig, und zwar auf einem Lehrstuhl für Poetik und Rhetorik.5 Hier traf er bereits früh auf einen seiner entschiedensten Gegner, den Spanier Elio Antonio de Nebrija – auf dieses Verhältnis ist später noch einzugehen. Die universitäre Lehrtätigkeit beendete er Mitte der 1490er Jahre. Der Schritt, seine gesicherte, wenn auch vermutlich bescheidene,6 Existenz aufzugeben, zahlte sich für Siculus aus, denn ihm gelang hierdurch der Eintritt in den Hof der Katholischen Könige, die ihn, so Siculus selbst, mehrfach aufgefordert hatten, sich dem Hof anzuschließen.7 Dort war er ebenfalls als Lehrer tätig, zudem aber auch als Kaplan und schließlich als königlicher Chronist.8 Der Hof war also nunmehr der Ort, _____________ 4

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Eine eigene, angeblich fünfjährige Lehrtätigkeit in Palermo ist in seinem Lebenslauf nicht ohne weiteres unterzubringen und vor Ort auch nicht dokumentiert; vgl. Jiménez Calvente (1998), 188 Anm. 3. Sie diente Siculus aber dazu, den akademischen Ruhm zu erklären, den er sich erworben haben musste, damit ihm Enríquez seine Einladung auf die Iberische Halbinsel aussprechen konnte. Erika Rummel hat zu recht darauf hingewiesen, dass erste Kontakte zu verschiedenen Patronen der Iberischen Halbinsel zudem bereits zuvor geknüpft worden sein dürften, beispielsweise über Siculus’ palermitanischen Lehrer Giovanni Naso, der am aragonesischen Hof in Neapel wohlgelitten war, zu welchem Sizilien ja gehörte, oder über den königlichen Sekretär Lucca Pullastra, dessen Söhne Siculus unterrichtet hatte; vgl. Rummel (1997), 703, aber auch Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch VIII, das die Korrespondenz zwischen Siculus und Lucca bzw. dessen Söhnen Vincente und Nicolao enthält. Die Information zu den Lehrstühlen in Salamanca gibt Siculus in einem Brief an seinen ersten spanischen Patron, Fadríque Enríquez; vgl. ebd., Buch XVII, 1. Zu der gerade im Vergleich zu den Juristen und Theologen seit dem 13. Jahrhundert traditionell miserablen Entlohnung der Dozenten an den spanischen Artistenfakultäten vgl. Gil Fernández (1997), 32–34 und passim. So in einem Brief an seinen für den Humanismus in Portugal bedeutsamen Landsmann Cataldus Parisius Siculus, Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch V, 18: »Ego vero tuum consilium secutus ad Ferdinandum regem et Hisabellam reginam, potentissimos principes, proficiscar, qui me vel honorifica condicione proposita et spe certa beneficiorum per litteras vocarunt et nuncios.« Als Zeitpunkt ante quem non für den Eintritt in die capilla regia nennt Jiménez Calvente (1999), 261, das Jahr 1497. Siculus’ Lehrtätigkeit am Hof richtete sich im Auftrag Königin Isabellas auf die Lateinausbildung der Kleriker und jungen Adligen. Aus den Erfahrungen dieses Unterrichts dürfte eine seiner Schriften, nämlich ein Grammatiklehrbuch mit dem Titel De gramatices institucionibus libellus breuis & perutilis, das 1501 in Sevilla gedruckt wurde, hervorgegangen sein. Dass Siculus gerade mit diesem Teil seiner Verpflichtungen besonders glücklich gewesen ist, darf man hingegen nicht annehmen, wenn man sich Aussagen des Italieners vor Augen führt, die auf der einen Seite die Unwilligkeit der Spanier beklagen, sich den Studien zu widmen, und auf der anderen Seite der Befürchtung Ausdruck verleihen, die eigene Latein-

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an dem Siculus seiner wissenschaftlichen Betätigung nachging, und zwar in ›Forschung‹ und ›Lehre‹. Seine Bindung an den Hof überdauerte den Tod der Königin 1504 sowie denjenigen Ferdinands 1516. Der Historiographie widmete er sich spätestens seit der ersten Dekade des 16. Jahrhunderts.9 Doch erst im Jahr 1530 erblickte sein Hauptwerk, das Opus de rebus Hispaniae memorabilibus das Licht der Öffentlichkeit, und zwar mit zwei beinahe gleichzeitigen Drucken in lateinischer und spanischer Sprache in der Universitätsstadt Alcalá de Henares.10 Wenige Jahre später, spätestens im Jahr 1536, starb Siculus. Als ein erstes Ergebnis lässt sich also festhalten: Siculus wurde zwar nach Spanien eingeladen, aber offensichtlich nicht als offizieller Chronist geholt, vielmehr handelte es sich hierbei um eine Position, die er erst nach längerem Aufenthalt im Land zu erreichen vermochte. b) Polydor Vergil Polydor Vergil wurde vermutlich um 1470 geboren.11 Die Familie des Polydor Vergil war seit einigen Generationen in Urbino ansässig, und Polydors Vater Giorgio stand im Dienst des Herzogs von Urbino.12 Polydor selbst studierte in Padua und – so wollte es die ältere Forschung – in Bologna, wofür es aber nach Denys Hay keine Belege gibt.13 Spätestens 1496 empfing er die niederen Weihen. Wahrscheinlich ist, dass er nach Eintritt in den Dienst der Kurie die Bekanntschaft seines späteren Förderers Adriano Castelli machte. In dessen Auftrag ging er jedenfalls im Jahr 1502 nach England. Anders als Siculus bei seiner Ankunft im Ausland war Polydor zu diesem Zeitpunkt bereits wiederholt publizistisch

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kompetenz sei infolge seines langen Aufenthaltes in Spanien so sehr in Mitleidenschaft gezogen worden, dass er einem italienischen Korrespondenten sein Latein nicht mehr zumuten könne; vgl. dies., Epistolarum familiarum, Buch VII, 1. Seit 1508 lässt sich diese Betätigung auch insofern belegen, als Siculus in seiner Korrespondenz explizit über seine Arbeit berichtet: Für Archivrecherchen und um im Auftrag Ferdinands II. eine volkssprachliche Geschichte der Könige von Aragón ins Lateinische zu übersetzen, hielt er sich seit Juli 1508 in Saragossa auf; vgl. ebd., Buch X, 1. Für einen Vergleich beider Versionen vgl. zuletzt Schlelein (2009), 174–184 mit weiterer Literatur. Zur Biographie Polydors ist weiterhin grundlegend Hay (1952), 1–21; aus der jüngeren Literatur vgl. Ruggeri (2000), 11–24 und den Tagungsband von Bacchielli (2003) zu unterschiedlichen Aspekten aus Polydors Leben und Schaffen. Einzelne Zeugnisse zu seiner Karriere in Italien widersprechen dem, was als Biographie als gesichert gilt, so dass es nicht ohne weiteres möglich ist, die genauen Etappen seiner Tätigkeit hier auf knappem Raum zu rekonstruieren. Es sei auf die bereits genannten ausführlichen Studien verwiesen. Vgl. zur Familie Vergil zusätzlich zur bereits genannten Literatur Negroni (2003). Vgl. Hay (1952), 2.

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aktiv geworden und hatte sich unter anderem als Autor eines breit rezipierten Erfinderbuches, den De inventoribus rerum von 1499, einen Namen gemacht.14 Für den späteren Kardinal Castelli übernahm er die Sammlung des Peterspfennigs in England und dank Castelli kam Polydor mit dem Hof Heinrichs VII. in Kontakt.15 Dieses Amt und wohl die auch in anderen Fällen erwiesene Vorliebe Heinrichs für italienische Gelehrte16 öffneten dem Urbinesen die Türen am Königshof. Sein eigener, durch die erfolgreich publizierten Bücher bereits bestehender und noch wachsender literarischer Ruhm qualifizierte ihn augenscheinlich für größere Aufgaben und erklärt, warum er innerhalb vergleichsweise kurzer Zeit, nämlich bereits 1506, den Auftrag des englischen Königs erhielt, eine englische Geschichte zu verfassen. Eine erste überlieferte, handschriftliche Version der Anglica historia stammt aus den Jahren 1513/14, der Erstdruck – in lateinischer Sprache – aus Basel 1534. Einen dramatischen Einschnitt seines langjährigen England-Aufenthaltes bedeutete seine Einkerkerung im Londoner Tower 1515: Auf Betreiben des Erzbischofs von York, Thomas Wolsey, wurde er der Verschwörung angeklagt und blieb über Monate inhaftiert.17 Die Episode sollte einen nachhaltigen Widerhall in Polydors Werk finden. Trotz dieser Ereignisse verbrachte der Italiener, der 1510 in England sogar naturalisiert worden war, den überwiegenden Teil seines Lebens in Britannien, um erst 1553 ins heimatliche Urbino zurückzukehren, wohl überwiegend aus familiären, möglicherweise aus politischen oder konfessionellen und vielleicht sogar aus klimatischen Gründen, wenn man einem Zeugnis des Thomas Pope Blount aus dem späten 17. Jahrhundert trauen darf, der schreibt: »Poldore [sic!]

_____________ 14 Daneben hatte er z. B. einen Martialkommentar des Niccolò Perotti herausgegeben; vgl. Rexroth (2002), 418 f. Für die weiteren Werke, so die Adagia von 1498 vgl. Hay (1952), 22–78. 15 Castelli, auch bekannt unter dem Namen Adriano da Corneto, hatte die britische Insel bereits zuvor als päpstlicher Nuntius bereist und zu Beginn des 16. Jahrhunderts nacheinander zwei englische Bistümer inne, zunächst Hereford dann Bath und Wells. Er wurde am 31. Mai 1503 von Alexander VI. im Rahmen seiner letzten Kardinalspromotion zum Kardinal erhoben, eine Würde, die ihm Leo X. allerdings 1518 nach langen Auseinandersetzungen wieder entzog; vgl. Eubel (1914), 24, 163 und ders. (1910), 9, 144; für einen ausführlichen Überblick über Castellis Biographie vgl. den Artikel im DBI von Fragnito (1978), zu Polydor dort Seite 666. 16 Vgl. Lecuppre (2001), 52–63, der eingangs auf die politische Zielsetzung dieser Vorliebe, nämlich die Stabilisierung der neuen Dynastie auf dem englischen Thron, hinweist; Dillon (2003), 165 f. 17 Hintergrund waren einerseits Interessen Wolseys und anderer Parteien, die sich der von Vergil ausgeübten Ämter bemächtigen wollten, wobei Polydor auch zu einem Opfer der heftigen Auseinandersetzungen zwischen seinem Gönner Castelli und Wolsey wurde; vgl. Fragnito (1978), 667. Andererseits hatte der Italiener selbst durch verdächtige Briefe und unvorsichtige Äußerungen über Wolsey den Boden für seine Verfolger bereitet. Erst auf Drängen Papst Leos X. und nach der Erhebung Wolseys zum Kardinal und zum Lord Chancellor wurde Polydor befreit.

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Virgil, who had been now almost forty years in England, growing old, desired Leave to go nearer the Sun«.18 In Italien starb er schließlich 1555. Als vorläufiges Fazit aus seiner Biographie ist festzuhalten: Auch wenn sich Polydor noch nicht übermäßig lange in England aufhielt, als er den königlichen Auftrag für ein Geschichtswerk erhielt, wurde er offensichtlich nicht zu diesem Zwecke aus Italien angeworben. Im Gegenteil: Er wurde aus Italien nach England geschickt und der Kontakt zu seinem Auftraggeber entstand vor Ort. Polydors Aufenthalt dort ist ebenfalls sehr lang, im Vergleich zu Siculus gibt es aber einen wichtigen Unterschied: Der Kontakt, den er mit dem Mutterland aufrecht erhielt, ist deutlich intensiver gewesen – verschiedene Reisen nach Italien und der Druck seines Werkes im Ausland sprechen dafür, dass sein Horizont stets über England hinaus reichte.

II. Die historiographischen Werke im Vergleich a) Die Struktur der Texte Vergleichen wir im Folgenden die historiographischen Texte, die diese Autoren über ihre jeweiligen Gastländer verfasst haben. Da eine Edition insbesondere für Siculus’ Werk bislang fehlt, bilden hierfür jeweils die Erstdrucke die Grundlage, also die genannten Ausgaben von 1530 bzw. 1534.19 Bei beiden Werken handelt es sich um umfangreiche Arbeiten,20 beide Autoren unterteilen ihr Werk daher in über zwanzig Bücher. Im Falle von Siculus’ De rebus Hispaniae memorabilibus, dem ersten Beispiel, ergeben sich auf diese Weise 25 Bücher.21 Davon behandeln _____________ 18 Zitiert nach Rexroth (2002), 420 Anm. 21. Diesen Schritt hatte Vergil nach Hay (1952), 20, und Ruggeri (2000), 23, seit Mitte der 1540er Jahre vorbereitet. 19 Genutzt wurden das Exemplar der Biblioteca Nacional, Madrid, Sig. R/9043, für den Text von Siculus und das Exemplar der Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart, Sig. HBb 790, für den Text von Polydor Vergil, sofern es sich um Passagen zu Ereignissen vor 1509 handelt – die Zeit zwischen 1509 und 1537 wird erst in der Ausgabe von 1555 behandelt, hierfür wurde entsprechend die Teiledition von Hay aus dem Jahre 1950 herangezogen, die die letzten beiden Bücher enthält; vgl. Vergil, Anglica Historia (ed. Hay). Für Polydors Werk stehen außerdem mehrere Teilausgaben aus dem 19. Jahrhundert sowie eine vollständige, aber offenbar nicht in jedem Punkt fehlerfreie Online-Edition von Dana F. Sutton zur Verfügung; vgl. für letztere ders., Anglica Historia (1555 version), (hier und für die weiteren Stellen zuletzt gesehen: 23. Juni 2008). Auch für die Englische Geschichte bleibt die Editionslage somit unbefriedigend. Zu den weiteren Auflagen der Werke vgl. unten Anm. 43. 20 Siculus’ Opus de rebus Hispaniae umfasst ohne die Vorreden und den vorangestellten Index 175 Folia Text – also 350 Seiten in der lateinischen Version – und Polydors Anglica historia, bei der bereits mit einer Seitenzählung gearbeitet wird, sogar 611 Seiten Text. 21 Vgl. für den Inhaltsüberblick von Siculus’ Text bereits Schlelein (2009), 175, und dort Anm. 32 für weitere Angaben zum Druck.

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die ersten fünf Land und Leute – es findet sich also hier zunächst ein umfangreicher landesbeschreibender Abschnitt, der der historiographischen Schilderung vorgeschaltet ist.22 Die folgenden Bücher VI bis XXII behandeln die Geschichte Kastiliens und Portugals knapp, diejenige Aragóns hingegen sehr ausführlich, um dann mit der Schilderung der Regierungszeit der Katholischen Könige Isabella und Ferdinand diese beiden unterschiedlich dicken Fäden der Erzählung zu einem einzigen Handlungsstrang zu verflechten. Die Darstellung endet mit einer umfangreichen Personengalerie, die historische und gegenwärtige spanische Würdenträger der unterschiedlichsten Couleur enthält. Zu den historischen Spaniern zählt der Autor auch prominente römische Hispanier, Kaiser und Schriftsteller wie Trajan oder Seneca – ganz im Sinne einer historischen Aufwertung des ›Vaterlandes‹. Indem er den hispanischen Anteil an der Antike in einen ›nationalen‹ Kontext stellt und damit in den Dienst eines ›nationalen‹ Wettbewerbs insbesondere mit Italien, vollzieht er eine Transformation, die die Antike regionalisiert und damit als proto-nationalen Geschichtsraum neu konstruiert.23 Mit seiner Darstellung verstärkte der Italiener Siculus die Veränderung der Geschichtsschreibung gegenüber ihren mittelalterlichen Vorgängern,24 die vor allem seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch bei einheimischen Autoren zu beobachten war: Zu diesen Veränderungen zählen erstens die Kombination von Historiographie, Landesbeschreibung und Personengalerie, die den Fokus der Darstellung auf die gesamte res publica lenkte,25 zweitens die Rückwendung zur lateinischen Sprache als Darstellungsmedium, nachdem seit dem späten 13. Jahrhundert ein großer Anteil volkssprachlicher Historiographie zu verzeichnen war, _____________ 22 Dies umfasst die geographische Situierung der Iberischen Halbinsel im äußersten Westen Europas, die Herkunft des Landesnamens, die Beschreibung der reichhaltigen Bodenschätze, der Flora und der Fauna der Halbinsel, wie jagdbares Wild oder häufig vorkommende Fischarten. Weiterhin werden Ämter und Würden beschrieben, Sitten und Gebräuche, Sprachen und religiöse Wunderstätten. Die Landesbeschreibung schließt mit einer sehr umfangreichen, fast das komplette fünfte Buch umfassenden Heiligenliste; vgl. Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 1r–33r. Zum Begriff der »Landesbeschreibung« und seiner Abgrenzung zur Historiographie vgl. Schirrmeister (2009). 23 Zum Wettbewerb der von den Humanisten propagierten Nationen mit Italien vgl. mit Fokus auf dem deutschen Fall Hirschi (2005). 24 Zu denken ist etwa an das wirkmächtige Geschichtswerk des Rodrigo Jiménez de Rada aus dem 13. Jahrhundert, aber auch noch an eine so späte Arbeit wie die Compendiosa Historia Hispanica des Rodrigo Sánchez de Arévalo, die 1470 kurz nach ihrer Fertigstellung in Rom gedruckt wurde und damit überhaupt die erste spanische Nationalgeschichte war, die im Druck erschien; vgl. hierzu und Tate (1970). 25 Vgl. Schlelein (2009), 247–250. Die Intention des Autors, eine umfassende Darstellung zu verfassen, findet ihr Gegenstück darin, dass die ganze »Nation« Nutzen aus der Lektüre des Textes ziehen könne und Siculus daher zu höchstem Dank verpflichtet sei. Beide Aspekte werden in den Briefen des Juan Garcés und Juan Calvo deutlich, die Siculus’ Werk nachgestellt sind; vgl. Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 175v.

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und drittens die Historisierung der mittelalterlichen und insbesondere gotischen Geschichte, die durch die Voranstellung einer weiteren Epoche, eben der Antike, erreicht wurde. Bei der Lektüre des Textes fällt insbesondere für die ersten Bücher die Unmenge an Verweisen auf antike, vor allem römische Autoren auf – ein weiterer Unterschied gegenüber der mittelalterlichen Tradition. Fragt man nach den antiken historiographischen Modellen, die hier Pate gestanden haben, so zeigt sich zuerst, dass in der römischen Historiographie, die für die humanistischen Autoren als zentrales Vorbild diente, kein Modell zur Verfügung stand, das neben einer Schilderung des in der Zeit verorteten Handlungsablaufs auch den Raum als zweite Kategorie historischen Erzählens detailliert darstellte.26 Wo und was Rom war, wusste das römische Publikum schließlich. Die humanistischen Autoren waren hier auf die Kombination unterschiedlicher Textsorten angewiesen, die Livius, Caesar oder Tacitus zur Verfügung stellten. Sie schufen damit eine neue Form der Wissensorganisation und -präsentation, behaupteten aber beständig deren antike Wurzel und konstruierten dergestalt eine ›römische‹ Geschichtsschreibung, die in gewisser Weise eher an Herodot als an Rom erinnert. Deutlicher noch als bei Siculus wird dieses Phänomen bei Polydor – dem zweiten Beispiel – der sich inhaltlich auf Caesar, Tacitus und Livius stützt, formal zunächst auf Caesar und Livius, im weiteren Verlauf des Werkes insbesondere auf das Gliederungsschema Suetons: ein Buch, ein König. Polydor Vergil folgt in den 26 Büchern der Erstausgabe einem ähnlichen Aufbau wie Siculus. Dabei nimmt allerdings der landesbeschreibende Teil keinen derart breiten Raum ein – Polydor benötigt hierfür lediglich ein halbes Buch.27 Deutlich unterscheidet er in seiner Landesbeschreibung die Völker und Reiche der Insel, neben Engländern und Schotten auch Waliser und die Bewohner Cornwalls und lässt über diese geographisch-ethnographische Konstellation von Anfang an keinen Zweifel. Die Transformation, der er hierfür Caesars Bellum Gallicum unterwirft, illustriert dabei auch, wie eng die Humanisten dem Referenztext bisweilen verhaftet blieben. Polydor schreibt: »Britannia omnis, quae hodie _____________ 26 Frank Wittchow hat diesen Umstand vor kurzem deutlich herausgearbeitet: vgl. Wittchow (2009). 27 Dabei befasst sich auch Polydor mit einem durchaus weiten Themenspektrum, von geographischen Feststellungen wie der dreieckigen Form der Insel und ihrer vermeintlichen relativen Nähe zum Nordpol über die Beschreibung wichtiger Flüsse, Städte, Universitäten bis hin zu Fragen des Wirtschafts- und des Alltagslebens, z. B. der Ernährungsgewohnheiten der Engländer, wenn er etwa die Hühnchen aus Kent hervorhebt – »Maxime sunt gallinae Cantianae.« – oder betont, dass in England viel Fleisch gegessen werde und als Erklärung hierfür angibt, dass insbesondere das Rindfleisch eben besonders schmackhaft sei: »At bos & ueruex animalia sunt, in primis propter conuiuia nata, quorum caro non alibi ferme iucundioris saporis. sed bubula praecipui est, cum prĊsertim sale condîtur, in aliquot dies. Nec id admodum mirum, nam illud animal ab omni labore uacuum ad communem cibum nutritur. Sane Anglorum uictus maxima pars in carne consistit.« Vergil, Anglica historia, 13 (beide Zitate), und für den gesamten landesbeschreibenden Abschnitt ebd., 3–15.

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Anglia et Scotia duplici nomine appellatur […] dividitur in partes quatuor, quarum unam incolunt Angli, aliam Scoti, tertiam Walli, quartam Cornubienses.«28 Diese Assimilation, um die Transformationsterminologie des Sonderforschungsbereichs 644 zu nutzen, findet ihre inhaltliche Entsprechung in der Schilderung der ersten römischen Eroberung Britanniens unter Caesar, die er fast komplett aus dessen Schilderung übernimmt.29 Die historiographische Schilderung beginnt ab der zweiten Hälfte des ersten Buches mit einer Beschreibung von der Frühgeschichte bis zur Invasion Caesars. Für das Früh- und die erste Phase des Hochmittelalters beschäftigen sich die Bücher mit einem weiten zeitlichen Ausschnitt, beispielsweise mit der Unificatio Anglorum und dem adventus Daciorum.30 Ab Wilhelm dem Eroberer (Buch IX) schreibt Polydor dann pro Buch jeweils die Geschichte der Herrschaft eines einzelnen Königs bis zu Heinrich VII. im XXVI. Buch bzw. Heinrich VIII. in dem den späteren Ausgaben hinzugefügten XXVII. Buch. In seinem Vorgehen ist er hier sehr viel konsequenter als Siculus, der die Darstellung der aragonesischen Geschichte zwar ebenfalls im großen und ganzen nach Herrschern gliedert, davon aber häufig abweicht, etwa wenn er das ganze XVIII. Buch dem Krieg zwischen Johann II. und dessen Sohn Karl von Viana widmet, also einem einzelnen Ereignis der Regierungszeit dieses Königs. Im Vergleich zu den Spanischen Denkwürdigkeiten ist außerdem auffällig, dass Polydor auf eine Personengalerie verzichtet – allerdings hat der Autor Porträts wichtiger Personen in die Schilderung selbst mit eingewoben – so das Bild des Kardinals Wolsey am Ende des Werkes. b) De rebus Hispaniae und Anglica historia als Beispiele humanistischer Geschichtsforschung Generell unterschied sich die humanistische Geschichtsschreibung, wie sie zuerst in Italien entstand, in einer ganzen Reihe von Aspekten von ihren Vorgängern. Hierzu zählen ein veränderter thematischer Fokus, der zum Beispiel Künste und Wissenschaften stärker betont, oder ein neues, von der Heilsgeschichte weitgehend abgekoppeltes Geschichtsbewusstsein. Zentral ist die Orientierung an antiken Vorbildern, so bei der Nutzung einer erneuerten Sprache, und im Bemühen _____________ 28 Ebd., 3. 29 Vgl. zum Konzept der Transformation http://cu-artemis.culture.hu-berlin.de/tvweb4/index.php? id=297 (zuletzt gesehen am: 31.10.2009), wo die einzelnen Transformationstypen allerdings (noch) nicht benannt werden. Für die aus Caesar entlehnten Passagen vgl. Vergil, Anglica historia, 25–28, und unten Abschnitt II. b). 30 Die Begriffe übernehme ich aus dem Inhaltsverzeichnis zum lateinischen Text in der zweisprachigen Edition von Sutton, die dort als Titel für das fünfte Buch genutzt werden; in Polydors Erstausgabe fehlen diese Benennungen; ders., Anglica Historia (1555 version), http://www.philological.bham.ac.uk/polverg/contents.html. Für den entsprechenden Abschnitt des Druckes von 1534 vgl. ders., Anglica historia, 89–104.

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um eine überzeugende Darstellungsform. Und endlich wurde auch das in der Auseinandersetzung gerade mit der römischen Literatur ausgebildete Know-how der philologischen Textkritik auf die Geschichtsschreibung angewandt: Als Quellenkritik stellte dies die wichtigste Neuerung im Hinblick auf eine beginnende Verwissenschaftlichung im Sinne der Überprüfbarkeit der Ergebnisse dar.31 Beide Autoren verweisen eingangs ihrer Werke auf eine ähnliche Methode ihrer Geschichtsschreibung: Siculus macht sie im Prolog der De rebus Hispaniae als vorbildlich explizit: Es ist die Kombination von älteren Geschichtswerken mit anderen schriftlichen Zeugnissen wie Urkunden oder erhaltenen Briefen und zusätzlich – soweit möglich – mit der Autopsie der Schauplätze historischer Ereignisse.32 Ähnliches postuliert auch Polydor, allerdings sagt letzterer auch deutlich, wem er nicht trauen will: den mittelalterlichen Autoren, deren Werke er regelmäßig ohne Nennung von Werk oder Autor schlicht als nova historia abqualifiziert. Zu den glaubwürdigen Zeugen zählt er für die Frühzeit mit Ausnahme des Gildas und des Beda Venerabilis ausschließlich antike Autoren. Das illustriert eine Stelle, an der er den Ursprung zeitgenössischer Toponyme behandelt: Hic certe dilucet scriptorum incuria, qui praeteriti temporis nullam habentes rationem, uoluerunt insulse ea nomine quae postea Angli, Daci, Normani locis imposuere, ab antiquis regibus indita esse. Ecquis enim legit apud Caesarem, Tacitum, Strabonem, & Plinium, Cantuariam, Bathoniam, Carliolum, Lecestriam, & id genus oppidorum nomina? quae utique si talia id temporis fuissent, dubio procul eis innotuissent.33

Wo er inhaltliche, aber auch stilistische Elemente der klassischen Autoren übernehmen kann, hält er sich sehr eng an seine antike Vorlage, die er entweder zusammenfassend oder mit ganz geringen Anpassungen der Textgestalt wiedergibt, über weite Strecken sogar komplett wörtlich. Anschaulich für dieses Vorgehen ist beispielsweise Polydors Darstellung der Invasionen Caesars in Britannien, die sich – wie oben bereits erwähnt – weitestgehend der literarischen Vorlage des römischen Feldherrn verdankt. Der direkte Vergleich der Eröffnung des Themas in der Anglica historia und dem Bellum Gallicum macht dies deutlich:

_____________ 31 Vgl. für eine klare Charakterisierung humanistischer Geschichtsschreibung Muhlack (2001). 32 Vgl. Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. [? ii]r. Vgl. auch Tate (1994), 25. 33 »Hier zeigt sich der Mangel an Sorgfalt dieser Geschichtsschreiber, die ohne Rücksicht auf den Geschichtsverlauf behaupten, dass die Namen, die den Orten von Angeln, Sachsen und Normannen gegeben worden sind, von den alten Königen [das heißt: denjenigen der mythischen Vorzeit, S. S.] eingeführt worden seien. Liest etwa jemand bei Caesar, Tacitus, Strabo und Plinius von Canterbury, Bath, Carlisle, Leicester und ähnlichen Städtenamen? Hätten diese nämlich existiert, sie wären jenen zweifellos bekannt geworden.« Vergil, Anglica historia, 25. Für Abweichungen von diesem Text in der Ausgabe von 1555 vgl. ders., Anglica Historia (1555 version), http://www.philological.bham.ac.uk/polverg/1lat.html#28: Hier nennt Polydor als zusätzlichen Autor Ptolemäus. Zu Polydors Methode vgl. ausführlich Hay (1952), 85–113.

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Anglica historia:

De bello Gallico:

His temporibus, C. Iulius Caesar post omnem deuictam fere Galliam, Britanniam etiam tum Romanis incognitam armis sibi petendam constituit. Causa petendi erat, quod Gallicis bellis multa inde auxilia hostibus suis administrata intellexisset. Tametsi tempus anni ad bellum gerendum deficere, parum enim aestatis supererat, tamen magno sibi usui fore arbitrabatur, si modo insulam adiuisset, & genus hominum perspexisset, loca, portus, aditus cognouisset. […]

Exigua parte aestatis reliqua Caesar, etsi in his locis, quod omnis Gallia ad septentriones vergit, maturae sunt hiemes, tamen in Britanniam proficisi contendit, quod omnibus fere Gallicis bellis hostibus nostris inde subministrata auxilia intellegebat et, si tempus anni ad bellum gerendum deficeret, tamen magno sibi usui fore arbitrabatur, si modo insulam adisset, genus hominum perspexisset, loca portus aditus cognosvisset. […]

Ad omnia igitur quae ad destinati belli usum pertinerent, cognoscenda, priusquam periculum faceret, idoneum esse arbitratus C. Volusenum cum naui longa praemittit:34

Ad haec cognoscenda, priusquam periculum faceret, idoneum esse arbitratus C. Volusenum cum navi longa praemittit.35

Wo der humanistische Autor seine Vorlage nicht direkt wörtlich übernimmt, paraphrasiert er sie also ohne allzu große Abweichungen. In diesen Fällen stellt er vor allem sicher, dass die Passage korrekt in seine eigene Narration eingefügt ist und dass notwendige Perspektivwechsel vollzogen werden, so wenn aus Caesars hostibus nostris für Polydor hostibus suis werden. Seitenaspekte, die aus der englischen Perspektive nicht interessieren, etwa Maßnahmen, die Caesar zur gleichzeitigen Absicherung der militärischen Situation in Gallien ergriffen hatte, entfallen, so dass in dem humanistischen Text die Ereignisse deutlich knapper behandelt werden können als in der Vorlage. Wenn sie unter den glaubwürdigen Zeugen auf widersprüchliche Angaben treffen, so stellen dies beide Historiographen dar, wenn auch Polydor der entscheidungsfreudigere der beiden ist, wenn es darum geht, einer Quelle den Vorrang einzuräumen, und zwar nach den Kriterien der Glaubwürdigkeit und Plausibilität. Diese Kriterien benennt er bereits in seinem Prolog; sie sind im Text immer wieder auszumachen. Der am deutlichsten hervorstechende Punkt, an dem Polydor Vergil mit der mittelalterlichen, englischen Tradition der Historiographie bricht, ist die Ablehnung der Nationalmythen: Er versucht die Mythographie durch ›wissenschaftliches‹ Nachprüfen zu widerlegen, wenn er beispielsweise Herrscherreihen anzweifelt, weil diese mit der von ihm etablierten Chronologie nicht übereinstimmen können.36 Dementsprechend wird als geschichtlich für Britannien insbesondere die römische Epoche akzeptiert, weil hier glaubwürdige Quellen vorlägen. Man _____________ 34 Vergil, Anglica historia, 25. 35 Caesar, Gall., IV, 20, 1 f. und 21, 1. 36 Vgl. Vergil, Anglica historia, 20.

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hat es also im Hinblick auf die Konstruktion einer englischen Geschichte mit der Substitution einer autochthonen durch eine römische Antike zu tun. Rom ist für die Konstruktion des Altertums auch gegenüber Griechenland maßgeblich, und so ist die Antike auch in dieser Hinsicht bei beiden Autoren eine vornehmlich römische. Allerdings ist hier eine Einschränkung zu nennen, die Siculus betrifft: Er übernahm die gerade für Spanien so ergiebige Erfindung frühgeschichtlicher Herrscherreihen des Annius von Viterbo,37 mit der er seine Geschichte an die biblische anbinden konnte, wodurch eine Alternative zu Rom ins Spiel kam. Er beteiligte sich damit nicht an der Dekonstruktion, sondern vielmehr an der humanistischen Mythenkonstruktion, nahm also eine Rekombination konkurrierender Antiken vor und folgte darin dem Vorgehen der einheimischen spanischen Gelehrten. c) Wirkung und Rezeption der Werke Die Dekonstruktion der englischen Frühgeschichte, insbesondere der Umstand, dass Polydor es gewagt hatte, den englischen Nationalheiligen König Artus aus dem Paradies der Geschichte in die unsicheren Gefilde von Mythos und Sage zu vertreiben, löste einen Sturm der Entrüstung aus. Wurden bei aller Polemik Stil und Sprache zunächst noch gelobt und vor allem die Wahrhaftigkeit der Historia infrage gestellt, so vom königlichen Bibliothekar John Leland,38 verlor die Kritik in den folgenden Jahrzehnten jedes Maß: Polydor wurde als neidischer, verleumderischer und hochverräterischer und zu allem Übel auch noch papistischer Ausländer hingestellt, dessen Intention es gewesen sei, die britische Geschichte zu verstümmeln, damit Italien im Vergleich besser dastehe.39 Die Heftigkeit dieser Reaktion bedeutete indes nicht, dass die Englische Geschichte als Vorbild wirkungslos geblieben wäre. Das Gegenteil war der Fall. Neben Historiographen wie Edward Hall, Raphael Holinshed40 oder William Camden griffen auch Literaten auf die Vorlagen des Italieners zurück, insbesondere bei den Passagen der jüngeren Geschichte des 15. und 16. Jahrhunderts. Das prominenteste Beispiel bietet dabei die Nutzung des Stoffes durch William Shakespeare: Polydors negatives Bild des Kardinals Wolsey als eines machthungri_____________ 37 Zu den Fälschungen des Annius vgl. Grafton (1990). 38 Vgl. Rexroth (2002), 425 f., der zu recht von einem »veritablen Literaturskandal« (S. 423) spricht; außerdem Carley (1996). Zugleich kam es zu einer inhaltlichen Reaktion auf Polydors Thesen. Seine Gegner versuchten nun ihrerseits, den Italiener mit ›wissenschaftlichen‹ Methoden zu widerlegen, betrieben die gleiche Art von Quellenkritik und begründeten dabei den englischen antiquarianism. 39 Vgl. Hay (1952), 157–159; Dillon (2003), 179, verweist auf die offen fremdenfeindlichen Aspekte dieser Polemik. Besonders umfangreich ist die Stellen- und Zitatsammlung bei Ellis (1844), xx–xxvii. 40 Vgl. Hay (1952), 131–134, 159, 164; Rexroth (2002), 421.

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gen Aufsteigers beispielsweise wurde, so die comunis opinio, von Shakespeare in Heinrich VIII. aufgegriffen und damit dauerhaft festgelegt.41 Ähnliche Transformationen werden auch für andere Shakespearesche Dramen diskutiert.42 Es ist daher nicht unberechtigt, wenn Polydors moderner Biograph Denys Hay die Anglica historia als »one of the most important histories of England which have ever been published«43 bezeichnet, zumal sie mit zehn Auflagen bis 1651 langfristig auch ein echter Publikumserfolg wurde. Siculus’ historiographisches Werk löste im Vergleich dazu – soweit bekannt – nach Erscheinen kaum öffentliche Polemik aus.44 Das kann insofern nicht verwundern, als Siculus insgesamt sehr freundlich über die Spanier und ihre Geschichte schreibt. Vor allem die Katholischen Könige Isabella und Ferdinand erfahren bei Siculus eine positive Bewertung. Das Lob Spaniens gipfelt in der persönlichen Feststellung des Autors, er wolle lieber hier als anderswo leben.45 Zusätzlich spielte bei der unproblematischen Aufnahme durch das Publikum vermutlich auch der Umstand eine Rolle, dass die für die nationale Identität zentrale Epoche der Westgotenzeit weit weniger im historischen Dunkel lag als König Artus’ Tafelrunde oder gar die Zeit des Trojaners Brito/Brutus und Siculus darüber hinaus auch keinen ähnlich mythendekonstruierenden Eifer erkennen lässt wie sein in England tätiger Landsmann. Umstritten waren offenbar einzig diejenigen Passagen, die den Zeitgenossen aufwendige biographische Beschreibungen widmeten, also die Personengalerie am Ende des Werkes, obwohl diese Form biographischer Wissensorganisation – Plutarch folgend – in Kastilien seit dem 15. Jahrhundert sehr beliebt war.46 In der zweiten Ausgabe von 1533 fiel sie der könig-

_____________ 41 Vgl. Hay (1952), viii. »Insolentia«, »ambitio«, »audacia« oder »superbia« sind einige der wenig schmeichelhaften Begriffe, mit denen Polydor Vergil den Kardinal belegt; vgl. Vergil, Anglica Historia (ed. Hay), 230, 326, 332. 42 Vgl. beispielsweise Rosenstein (2003) zu »Richard II.«. 43 Hay (1952), ix. Der ersten Auflage folgten 1546 und 1555 noch zwei weitere Drucke zu Lebzeiten des Autors. Polydor nahm hier noch erhebliche Änderungen vor, insbesondere wuchs das Werk im Vergleich zur ersten Auflage um ein Buch auf insgesamt 27 Bücher an und umfasste damit auch die Regierungszeit Heinrichs VIII. bis 1537. Frank Rexroth weist darauf hin, dass die einschneidenderen Veränderungen in die dritte Ausgabe von 1555 eingeflossen sind; vgl. Rexroth (2002), 420. 44 Es verkaufte sich offenbar sogar noch besser als die Englische Geschichte und erlebte bereits im Verlauf des 16. Jahrhunderts insgesamt acht Auflagen, und zwar jeweils vier in lateinischer und spanischer Sprache. Hinzu kam der Abdruck in Auszügen. Auf die »Dankbarkeit« der Nation ist oben bereits hingewiesen worden; vgl. Anm. 25. 45 Vgl. Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. 22v. 46 Zu den wichtigsten Texten dieser Art sind die Generaciones y semblanzas des Fernán Pérez de Guzmán und die Claros varones de Castilla von Hernando del Pulgar zu zählen; vgl. zu diesem Aspekt Gómez Moreno (1994), 227–241; Sánchez Alonso (1947), 343.

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lichen Zensur zum Opfer, so dass sich das Werk im Folgenden auf 22 Bücher verkürzte.47

III. Das soziale Umfeld der Autoren Im Vergleich zu Siculus’ Text fehlt bei Polydor Vergil die Tendenz zur patriotischen Überhöhung des Gastlandes und seiner Könige, die im spanischen Fall sehr deutlich wird. Wie ist das zu erklären? Beide Geschichtsschreiber hatten ihre Ausbildung noch auf der Appenin-Halbinsel erfahren und waren erst im Alter von über dreißig bzw. knapp vierzig Jahren zu ihren langen Auslandsaufenthalten aufgebrochen. Ihre akademische Landsmannschaft, also die schulischen und universitären Traditionen, mit denen sie ausgebildet wurden, konnten also nicht für diese Unterschiede verantwortlich sein. Entweder herrschten demnach in ihren Gastländern unterschiedliche Diskurse vor oder die Unterschiede sind aus der jeweiligen persönlichen Situation der Autoren in England bzw. Spanien zu erklären. In der Tat verkörpern zwar beide einen Vertreter der Gruppe »italienischer Historiograph im Ausland«, doch ihre tatsächliche Situation vor Ort war deutlich verschieden: Marineus Siculus ging, wie wir gesehen haben, auf kastilische Einladung, aber ohne italienischen Auftrag nach Spanien, und das bedeutet vor allem: ohne Finanzierung aus Pfründen oder Ämtern. Er war also darauf angewiesen, sich in Spanien schnell um Einkünfte und Patronage zu bemühen, und die Abhängigkeit von spanischen Gönnern blieb ein dauerhaftes Charakteristikum seines Aufenthaltes.48 Siculus hatte dabei offenbar einigen Erfolg, insbesondere der Umstand, dass es ihm selbst über die politisch unsicheren Phasen von 1504–07 und 1516/17 hinaus gelang, in königlichen Diensten zu verbleiben, verdient Beachtung. Dies weist auf eine solide soziale Verankerung in Kastilien-Aragón hin, gleichzeitig _____________ 47 Interessant ist die Begründung, die für diese massive Verkürzung von Siculus in der zweiten Auflage 1533 genannt wird: Die Könige Karl und Isabella – Siculus spricht hier wie im zweiten Prolog von den principes, was nur diese Identifizierung zulässt – hätten ihm empfohlen, auf die Würdigung der Zeitgenossen zu verzichten, um zwischen den Genannten und den nicht Erwähnten keinen Neid aufkommen zu lassen: »Dicebant enim prudentissimi Principes, quod inter viuentes, vt est humana conditio, magna nasceretur inuidia, & iusta praeterea multorum querela, qui praetermissi fuissent.« Marineus Siculus, De rebus Hispaniae modo castigatum, fol. 128v. Als Motiv wird also die königliche Sorge um den inneren Frieden geltend gemacht. Dies ist zwar nicht ganz unplausibel und entspricht auch den topischen Sorgen des guten Fürsten. Es ist aber auch denkbar (und meines Erachtens nicht ganz unwahrscheinlich), dass es sich hier eher um den Versuch von Seiten Karls V. oder seines direkten Umfeldes handelt, den Fokus der dargestellten res publica auf den Herrscher zu verengen. 48 Eine sizilianische Pfründe, die Siculus seit 1505 innehatte, entstammte ebenfalls der spanischen Patronage; vgl. Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch VI, 17; VIII, 2 und dies. (1999), 258.

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aber auch auf deren Fehlen in Italien: Marineus begleitete Ferdinand 1506/07 zwar dorthin, kehrte dann aber mit dem Monarchen doch wieder auf die Iberische Halbinsel zurück, und dies obwohl er in seinen Briefen seinem Wunsch Ausdruck verliehen hatte, wieder in Italien zu leben.49 Aus der 1514 publizierten Briefsammlung des Siculus lässt sich das von ihm bis zu diesem Zeitpunkt etablierte Netz seiner Kontakte ablesen: Hierzu zählen Patrone und Mäzene oder potentielle Patrone wie der Erzbischof von Saragossa und der königliche Kämmerer, Schüler, Freunde und Gelehrtenkollegen. Unter letzteren nehmen italienische Landsleute in Spanien einigen Raum ein.50 Dagegen begegnen potentielle italienische Mäzene dann seltener, wenn sie keine weiteren Verbindungen zur Iberischen Halbinsel besitzen. Das fällt besonders auf, wenn man analoge Publikationen wie die Briefsammlung des Petrus Martyr für einen Vergleich heranzieht, in dem beispielsweise Ascanio Maria Sforza eine ganz zentrale Rolle spielt.51 Das Kapital, das Siculus möglichen Förderern gegenüber in die Waagschale legen konnte, also sein Angebot an Leistungen an potentielle Patrone und Mäzene, bestand dabei ausschließlich in seiner Gelehrsamkeit, das heißt für einen Humanisten: in seinem Antikewissen. Es mag daher in gewisser Weise mehr als ein gefälliger Topos sein, wenn er zu Beginn des ersten Prologs der De rebus Hispaniae ausführlich betont, andere schenkten ihren Königen materielle Kostbarkeiten, er hingegen – als armer Chronist – könne nichts anderes als die – selbstredend viel wertvollere – Kenntnis der Geschichte bieten.52 Umgekehrt _____________ 49 Vgl. dies., Epistolarum familiarum, Buch VIII, 3 und 5. Mitte der 1490er Jahre hatte sich Siculus noch weitaus begeisterter geäußert, und zwar zu dem Zeitpunkt als er den Entschluss zum Wechsel von der Universität an den Hof gefasst hatte: »Leben und sterben wir also in Spanien!«, schrieb er da in seinem Brief an Cataldus Parisius: »Vivamus igitur in Hispania, mi iocundissime Catalde, et, si vis, etiam moriamur. Est enim provintia haec aeris et climatis salubritate foelix atque rebus omnibus quae ad humanae vitae cultum et usum pertinent habundans. Hispanorum praeterea hominum mores, ingenia et consuetudo me maxime delectat, nobilium praesertim et litteratorum, qui me non odio, non invidia, sed amore, beneficiis et honoribus prosecuntur, colunt et venerantur.« Ebd., Buch V, 18. 50 Unter den italienischen Adressaten und Absendern der Briefsammlung finden sich z. B. der Erzbischof von Cosenza und päpstliche Nuntius in Spanien, Giovanni Ruffo, der in Salamanca tätige Lucius Flaminius Siculus oder der (ebenfalls auf der Iberischen Halbinsel weilende) Antonio Ronzoni, Sekretär des apostolischen Nuntius; vgl. ebd., Bücher III, V–VII. 51 Vgl. Martyr, Opus epistolarum. 52 »Offervnt aliis svis principibvs, excellentes et Catholici Reges, aurum, argentum, cĊteraque metalla, alii margaritas, gemmasque preciosas. […] Ego vero paupertatis alumnus & vestrae laudis admodum studiosus, quoniam rebus aliis carebam, Maiestati vestrae librum, quem in HispaniĊ laudem, vestrorumque progenitorum memoriam scripseram, non pauperis fortasse, sed praediuitis munus offero. Quem quidem si legeritis, Hispaniam vestram fere totam, & omnia quae sunt in ea memorabilia, non sine delectatione cognoscere facile poteritis.« Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. [? ii]r. Auf die Herkunft der rhetorischen Figur aus Horaz macht der Herausgeber einer lateinisch-spanischen Teiledition von Siculus’ Werk, José Ramón Rivera Martín, aufmerksam: Rivera Martín (2000), 16 Anm. 1.

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spricht er auch an, dass zu seinen Schreibmotiven neben dem Wunsch, den Königen zu Diensten zu sein, auch die Absicht stand, sich diese »ac totius HispaniĊ gentis«53 zu Dank zu verpflichten – ein Dank, den sich Siculus vermutlich in Form materieller Zuwendung erhoffte. Gelehrsamkeit war für ihn also das Hauptfeld möglicher Profilierung – im Spanien der Renaissance allerdings keineswegs ein verwaistes Feld. Vielmehr trat der Italiener hier sogleich in Konkurrenz mit einheimischen Gelehrten. Insbesondere die Auseinandersetzung mit dem wichtigsten spanischen Humanisten des späten 15. Jahrhunderts, Elio Antionio de Nebrija, ist bedeutsam. Siculus beklagte sich schon früh und dann wiederholt über die Feindschaft dieses Mannes,54 mit dem er zudem immer wieder in direkter Konkurrenz stand, zuerst als Dozent an der Universität Salamanca, dann als Autor lateinischer Grammatiken und schließlich als königlicher Chronist. Die Anfänge des Streits reichen augenscheinlich bereits in die ersten Jahre der Lehrtätigkeit in Salamanca zurück,55 denn anlässlich des Besuchs eines anderen Italieners in spanischen Diensten, Petrus Martyr de Anghiera, in Salamanca beklagte sich Siculus im September 1488 offenbar überaus deutlich über den vermeintlichen Neid und die Feindschaft der einheimischen Professoren, unter denen Nebrija hervorstach.56 Dabei hatte Martyr seinen Landsmann bereits vor dem Zusammentreffen in Salamanca eindringlich gewarnt, sich in der Auseinandersetzung mit dem Spanier nicht unbedacht zu verhalten. Er begründete seine Warnung mit Nebrijas gesellschaftlicher Verflechtung, wenn er darauf hinweist, dass dieser viele Freunde habe, und hierfür die spanische Herkunft im Gegensatz zur italienischen des Siculus betont, »quod civis ipse, tu peregrinus«.57 Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die harsche Kritik des Sizilianers an der zweisprachigen lateinischen Grammatik, die Antonio de Nebrija 1486 oder 1488 veröffentlicht hatte, den Streit auslöste.58 Die Mahnung zur Zurückhaltung nahm sich Siculus aber offenbar auch für die Zukunft nicht immer zu Herzen: So griff er etwa im Widmungsbrief zu seiner eigenen, oben erwähnten Kurzgrammatik von 1501 indirekt den Spanier an, wenn er betont, dass er sein Werk unter anderem deshalb habe verfassen müssen, weil andere Lehrbücher seinen adeligen _____________ 53 Marineus Siculus, De rebus Hispaniae memorabilibus, fol. [? ii]r. 54 Vgl. etwa Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch IV, 8 f.; zur Feindschaft der beiden Gelehrten außerdem dies. (1998) und Maestre Maestre (1993). 55 Das erscheint auch deshalb wahrscheinlich, weil Nebrija die leonesische Universität bereits 1486 verließ; vgl. ebd., 199. 56 Dies ist den Briefen zu entnehmen, mit denen Martyr noch während seines Besuchs auf Siculus’ Klagen antwortete; vgl. Martyr, Opus epistolarum, 319 (= Brief [I] 53 und 54). 57 Ebd., 310 (= Brief [I] 34 vom 13.8.1488): »ille namque procerior, & pluribus amicis fultus, quod ciuis ipse, tu peregrinus«. 58 Diese gut begründete Hypothese stellt Jiménez Calvente (1998), 195–197, auf, die auch die Briefe Martyrs diskutiert, hierfür aber abweichende Nummern nennt.

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Schülern als abschreckend kompliziert erschienen seien.59 Nebrija scheute sich nicht, bei anderer Gelegenheit mit gleicher Münze zurückzuzahlen – so kann man insbesondere die Divinatio in scribenda historia von 1509 als einen Frontalangriff auf den ausländischen Konkurrenten lesen: Es ist dieser Text, mit dem Nebrija die rhetorische Frage stellt, ob man die eigene Geschichte einer fremden, italienischen Feder anvertrauen kann, und die der Spanier hier negativ beantwortet.60 Pluribus amicis fultus – auch Siculus stand nicht ohne einheimische Freunde da, immerhin gelang es ihm, in den Hof der Könige einzutreten, als der Streit mit dem spanischen Gelehrten bereits seit über zehn Jahren schwelte. Und er vermochte, wie gesagt, seine Stellung dort auch im neuen Jahrhundert dauerhaft zu erhalten. Hinzu kamen zudem die (unterschiedlich stark ausgeprägten) Beziehungen, die er innerhalb der ›italienischen Gemeinde‹ in Spanien pflegte. Hier fällt allerdings auf, wie groß die Unterschiede im Kontakt zu einzelnen Gelehrten tatsächlich waren: Während die Beziehung zu Flaminius Siculus die Form einer herzlichen Freundschaft annahm, wirkt der Kontakt, den Petrus Martyr zuließ, recht distanziert – gerade auch in der geschilderten Auseinandersetzung, in der es Martyr vermied, über den kollegialen und landsmannschaftlichen Rat hinaus für Siculus Partei zu ergreifen.61 Die Randglosse, mit der einer der an Siculus gerichteten Briefe des September 1488 im Druck des Opus epistolarum versehen ist, liest sich in diesem Zusammenhang gar wie eine nachträgliche schroffe Zurückweisung: »Non semper operam esse ab amicis exigendam.«62 Die Situation, in welcher Polydor Vergil nach England kam, war eine ganz andere als diejenige des Siculus. Polydor kam mit einem kirchlichen Auftrag nach London, als Vertreter seines Mentors Castelli. Dies bewirkte zweierlei: Zum einen fand er sogleich Zugang zu einem den Italienern gegenüber besonders aufgeschlossenen Hof.63 Zum anderen war er nicht allein von englischen Patronen abhängig. Diese größere Freiheit spiegelt sich dort, wo er in der Vorrede an König Heinrich hervorhebt, mit seiner Geschichte niemandes Ohren dienen zu wollen.64 In der Tat erhielt er jedoch Pfründen überwiegend dort, wo der Italiener _____________ 59 Vgl. ebd., 197. 60 Vgl. Maestre Maestre (1995), 144. 61 Den elf Briefen an und von Flaminius Siculus, die Marineus’ Briefsammlung enthält, stehen lediglich zwei gegenüber, die zwischen Petrus Martyr und dem Sizilianer ausgetauscht wurden; vgl. Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch VI bzw. XV, 13 und 14. In Martyrs Epistolarium taucht Siculus immerhin dreimal als Adressat auf; vgl. oben Anm. 56 f. 62 Martyr, Opus epistolarum, 319 (= Brief [I] 53 vom 23.9.1488). 63 Zur – zeitweise unterbrochenen – Tradition englischer Patronage für italienische Humanisten, etwa durch den bekannten Humphrey of Gloucester, vgl. Rundle (2003) und Saygin (2002), dort insbesondere die allgemeineren Erwägungen zu humanistischen Karrieremustern im Ausland in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Seite 203–264). 64 Dies ist freilich nur in Teilen richtig, denn Auftrag und Ziel des Unternehmens war die Propaganda für das Haus Tudor. Alan B. Cobban betont, »the Anglica Historia was designed in part

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Castelli zum Bischof ernannt worden war, namentlich im Bistum Wells. Und obwohl Polydor hierdurch – und natürlich durch die Beauftragung mit der Englischen Geschichte – auch in England Verpflichtungen übernahm, blieb er gleichzeitig stets seinem italienischen Patron verpflichtet, der ihn geradezu als seinen Vertreter in England betrachtete.65 Die Rückbindung an Italien, insbesondere an die Kurie, war kontinuierlich. Dies machen auch die wiederholten Aufenthalte in der alten Heimat und insbesondere die Rückkehr kurz vor seinem Tod deutlich. Neben Polydors Verflechtung mit englischen und italienischen Patronen ist seine Einbindung in die europäischen wie auch die englischen Humanistenkreise zu beachten, insbesondere die Mitgliedschaft in der Sodalität der Doctors’ Commons.66 Für die Zugehörigkeit zu diesen Kreisen war, genau wie bei Siculus, das gelehrte Wissen Voraussetzung. Und hieraus, bzw. in Reaktion auf die dieses gelehrte Wissen so eindrucksvoll demonstrierende Anglica historia, erwuchsen jene Angriffe, die den Autor nicht nur wegen seines Werkes wüst kritisierten, sondern ihn obendrein – wie Siculus durch Nebrija – wegen seiner Herkunft schmähten. Den Ton hierfür hatte bereits der noch relativ gemäßigte John Leland mit seinem Ausspruch »Polydorus Italus« gesetzt: Die Herkunftsbezeichnung wurde per se als Herabwürdigung begriffen.67 Die Reaktionen sind zudem vor dem Hintergrund einer den Ausländern gegenüber offensichtlich nicht übermäßig aufgeschlossenen Stimmung zu betrachten, wie sie insbesondere in den fremdenfeindlichen Ausschreitungen des Evil May Day von 1517 in London deutlich werden. Die Spannungen zwischen Einheimischen und Fremden griffen in den folgenden Jahrzehnten umso leichter auch auf gelehrte Milieus über, als mit den konfessionellen Gegensätzen des 16. Jahrhunderts eine zusätzliche Differenz auftrat, die gerade im Verhältnis zwischen protestantischen Engländern und katholischen Italienern zum Tragen kam.68 Im Gegensatz zu Siculus verstand sich Polydor schließlich auch nicht allein als Gelehrter, sondern zugleich als Diplomat und war politisch wie kommerziell aktiv, und zwar nicht nur in Castellis Auftrag, sondern auch für andere italienische sowie englische Auftraggeber.69 In dieser _____________

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to present a favorable view of the Tudor dynasty at home and abroad«; vgl. Cobban (2003), 364. Diese Feststellung korreliert mit der generellen Beobachtung Lecuppres, wonach die Humanisten ein Schlüsselelement für die Selbstdarstellung der Tudors waren; vgl. Lecuppre (2001), 52 f. Vgl. Hay (1952), 5, 11; und Fragnito (1978), 666. Vgl. hierzu einführend Schoeck (1988) und zu Polydors Kontakten Dillon (2003), 166, die Richard Fox, John Fisher, Thomas Morus, Richard Pace, Thomas Linacre, Cuthbert Tunstall, Hugh Latimer, John Colet und William Lilly nennt. Vgl. Hay (1952), 158; Dillon (2003), 179. Vgl. Lecuppre (2001), 62 f.; Dillon (2003), 168–175, 179 f., die nahelegt, dass die zunehmende Fremdenfeindlichkeit in seinem Gastland ein weiteres Motiv für Polydor Vergils Rückkehr nach Italien gewesen sein könnte. Über die Mai-Ausschreitungen von 1517 berichtet auch Polydor selbst: Vergil, Anglica Historia (ed. Hay), 242–247. Das führte bei mehreren Gelegenheiten dazu, dass er in England in Schwierigkeiten geriet, etwa als er 1504 wegen illegaler Finanzgeschäfte angeklagt wurde; vgl. Hay (1952), 6.

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Rolle schuf er sich früh Feinde und Neider – auf die Gegnerschaft Wolseys ist ja bereits hingewiesen worden. Vor dem Hintergrund einer zunehmend feindlichen Umgebung, verschärfte dieser Umstand seine prekäre Stellung noch zusätzlich. IV. Resümee Die italienischen Humanisten im Ausland sahen sich vor die Aufgabe gestellt, »to produce a history that celebrates the realm to which they are attached, but that will be acceptable to an international audience«,70 wie es Nicola Royan formuliert hat. Diese Akzeptanz ließ sich vorrangig durch die Einhaltung humanistischwissenschaftlicher Standards erreichen. Dabei bestand dann allerdings die Gefahr, die Konventionen der einheimischen Gelehrten zu verletzen. Marineus Siculus und Polydor Vergil lösten die Herausforderung auf unterschiedliche Weise. Während sich Polydor als großer Dekonstruktor betätigte, übernahm Siculus – dem herrschenden spanischen Diskurs folgend – die in ganz Europa beliebten neuen Mythen des Annius von Viterbo. Die Notwendigkeit, Patronage zu suchen und dabei mit seinem Wissen potentiellen Patronen als anschlussfähig zu erscheinen, dürfte zu der weitergehenden Übernahme lokaler Vorlieben geführt haben. Dabei war das Antikewissen als Kapital für die soziale Stellung für Siculus noch entscheidender als für Polydor, denn letzterer begründete hiermit zwar seinen Ruf in der res publica litteraria, hatte aber als Mann der Kurie immer noch ein ›zweites Standbein‹. Siculus hingegen musste seine soziale Stellung vollständig durch seine Gelehrsamkeit erarbeiten. Und während Polydor in der Folge trotz seiner Naturalisierung Italien stets im Blick behielt, ist bei Siculus bisweilen sogar ein deutlicher Entfremdungsprozess spürbar, etwa wenn er bedauernd feststellt, dass nicht nur seine lateinischen Sprachkenntnisse während des Aufenthaltes in Spanien gelitten hätten, sondern dass er sich auch des Italienischen nicht mehr ausreichend mächtig fühle.71 Vor dem Hintergrund der sozialen Verflechtung wird verständlich, warum die Töne nationaler Propaganda bei Siculus deutlicher zu vernehmen sind als bei Polydor, der trotz seiner Tudor-Auftraggeber schreibt, dass er sich von den älteren Autoren absetzen will, deren Urteil vom amor patriae vernebelt sei.72 Die Abhängigkeit von einheimischen Patronen fand ihren Widerhall im Hof als Ort des Wissens. Polydor stand hier verglichen mit Marineus Siculus in größerer _____________ 70 Royan (2002), 463. 71 Vgl. Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch VIII, 1; X, 19. Darauf, dass sich Siculus – mehr oder weniger erfreut – mit dem dauerhaften Verbleib in Spanien in verschiedenen Momenten seines Lebens arrangiert hatte, verweist die oben in Anm. 49 zitierte Stelle aus seinem Brief an Cataldus Parisius Siculus. 72 Vgl. Vergil, Anglica historia, 2. Dillon (2003), 177, konstatiert, dass Polydor in seinen Schriften nationalistische Töne überhaupt weitgehend vermeide.

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Distanz. Doch wie Siculus ausschließlich vom spanischen Wohlwollen abhängig war, so bedurfte Polydor zusätzlich des Schutzes seiner italienischen Patrone – und bisweilen war das Eingreifen von höchster Stelle notwendig –, was ihn sicher ebenfalls zögern ließ, einem zu deutlich englisch-nationalistischen Diskurs zu folgen, der ihm als italienfeindlich hätte ausgelegt werden können. Vielleicht war es diese größere Unabhängigkeit im Gastland, die ihn in der Vorrede seiner Historia betonen ließ, er könne seine Geschichte unabhängig von patriotischen Rücksichten schreiben. Das konnte sein Landsmann Siculus in Spanien offensichtlich nicht. Doch wusste dieser seine kritischen Töne an anderer Stelle zu publizieren: In seiner Briefsammlung finden die nationalistisch-spanischen Töne der De rebus Hispaniae memorabilibus ihren schrillen Widerpart, und Siculus äußert sich voll Verachtung über die unzivilisierten Spanier, den Studien abgewandt und des Lateins nicht mächtig73 – eben doch Barbaren in den Augen eines italienischen Gelehrten.

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_____________ 73 Vgl. z. B. Jiménez Calvente, Epistolarum familiarum, Buch VII, 3.

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Überlegungen zur Transformation des antik-scholastischen Methoden- und Wissensbegriffs in der Frühen Neuzeit: Autopsie, Experiment, Induktion THOMAS LEINKAUF

I. Eine kurze Vorbemerkung, zur Klärung des Ausgangspunktes, den ich für meine Ausführungen ansetze (und der natürlich ebenfalls zur Diskussion gestellt sei): ›Transformationen‹ sind, im Unterschied zu Innovationen, Veränderungen, Umschlägen etc., v. a. dadurch gekennzeichnet, dass sie eine strukturelle, verbindliche Beziehung auf dasjenige, was ›Subjekt‹ der Transformation ist, aufweisen. Viele Innovationen, die durch den Begriff des ›Neuen‹ oder der alles verändernden, weil erneuernden Erfindung (inventio) ausgewiesen sind, ja zu manchen Zeiten als eine Art Feldzeichen der ›eigentlichen‹ Form wissenschaftlichen Progresses nahezu jeder Diskussion vorausgetragen wurden, erweisen sich daher im Kern als Transformationen.1 Auch bei vermeintlich radikalen Umschlägen oder Umwälzungen zeigt die nähere Betrachtung, dass das, was ›umschlägt‹, durch diesen Prozess nur zwei Instantiierungen eines und desselben sich entwickelnden _____________ 1

Zum Phänomen und Begriff des ›Neuen‹ hat nicht erst das Innovations-süchtige 20. Jahrhundert Reflexionen und Argumentationen bereitgestellt. Vgl. etwa Siger von Brabant, Quaestiones in tertium De anima, q. 2, p. 4, 10 ff. Bazán [64 Perkams]: »Oportet enim quod, si aliquid sit factum de novo, quod hoc sit per aliquam causa novitatis, per quam illud novum fiat. Sed ista causa novitatis non est nisi transmutatio in agente et patiente. Illud quod debet esse de novo factum non fit ex aliquo (!), quia si esset ex aliquo, tunc posset contingere ex alio quam ex agente, sicut ex materia subiecta. Sic igitur omnes ›quod‹ factum est de novo factum est ab agente transmutato«. Um einen bestimmten Begriff mit etwas ›Neuem‹ verbinden zu können – um es also als es selbst erkennen und bestimmen zu können – muss gewusst werden, welcher Ursache sich dieses Neue verdankt. Wenn aber diese Ursache gewusst wird, dann ist das ›Neue‹ am Neuen schon vermittelt mit dem ›Alten‹, aus dem es sich ontisch ableitet. Der Verweis darauf, dass die Beliebigkeit – ex aliquo – ihre Wurzel in der ebenfalls an sich unbestimmten zugrundeliegenden ›Materie‹ hätte, ist signifikant, denn er bestimmt genau den ›materialen‹ Faktor, der in den späteren Diskussionen immer mit dem Wesen des Neuen, sofern dies eben nicht auf eine distinkte Ursache reduzibel ist, verbunden werden wird.

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Substrates ausweist, die ebenfalls im Sinne einer Transformation des Zustandes x in den Zustand y beschrieben werden können. Durch den Begriff der Transformation ist in diesem Falle garantiert, dass bestimmte Strukturmerkmale von x in y bewahrt sein müssen, dass also das Umschlagen der Existenz in Nichtexistenz, sofern beide nur als sich gegenseitig ausschließende, negierende Zustände verstanden werden, eben keine Transformation darstellt (dies gilt für alle vergleichbaren radikalen Umschläge, die man deswegen auch als Vernichtung oder Zerstörung bezeichnen kann2). Unabweisliches Implikat von Transformation ist daher Kontinuität, die selbst als eine Synthesis aus Identität und Differenz zu denken ist. Im Unterschied zu bloßen Veränderungen, die ebenfalls unter dem Index der Kontinuität stehen, kommt bei Transformationsprozessen aber ebenso unabdingbar noch das hinzu, was kurz zuvor als Strukturkonstanz beschrieben worden ist. Eine Veränderung A an einem sich verändernden S verlangt keinesfalls, dass A eine substantielle oder strukturelle Veränderung von S bewirkt, sondern sagt nur, dass ein Moment an S sich von x nach y verändert, etwa die Temperatur eines Thermometers, genauer die die Temperatur anzeigende, weil eben selbst der Schwankung unterworfene Quecksilbersäule. Hierbei wird nicht das Quecksilber in etwas ihm strukturanaloges Anderes ›transformiert‹, sondern es verändert sich nach physikalischen Voraussetzungen, die in der Struktur des Quecksilbers liegen, dessen Ausdehnungsfaktoren. Hingegen liegt in einer Transformation die Übertragung einer sich gleichbleibenden Form in einen anderen Kontext vor, der jedoch grundsätzlich gleiche ontologische oder physikalische Bedingungen aufweisen muss. Dies wird anschaulich durch mathematische, geometrisch darstellbare Transformationsgleichungen, in denen etwa eine Figur (Parallelogramm, Dreieck etc.), die durch eine Formel (Gleichung erster, zweiter, dritter Ordnung) wiedergegeben ist, ›transformiert‹ wird in eine andere, ihr entweder gleich seiende (dann vektoriell verschobene) oder durch sie und aus ihr gemäß bestimmten Gesetzen entwickelte Figur (Kreis-Ellipse). Es dreht sich also bei der auf die Grundform bezogenen Strukturkonstanz nicht um ›ästhetische‹, anschauliche Formkonstanz (diese ist nur ein möglicher Fall der Transformation; vgl. das Problem der Anamorphosen), sondern um eine durch rationale Gesetze bestimmte Konstanz von konstitutiven Strukturen. Es geht im Folgenden nicht darum, diesen abstrakten, formalen Gedanken als Schema über den äußerst komplexen und vielschichtigen Prozess der frühneuzeitlichen Antiken-Rezeption zu stülpen, sondern den im beschriebenen Sinne gefassten Begriff von ›Transformation‹ als Leitfaden der Interpretation zu verwenden. _____________ 2

Der aristotelische Begriff der »ȞıijįȖȡȝս« impliziert daher auch genau diesen destruktiven Aspekt, neben dem der Plötzlichkeit und Vollständigkeit, vgl. Aristoteles, gen. corr. I 4, 319b– 320a, wo das radikale Umschlagen oder der radikale Wechsel, bei dem kein tragendes Substrat als identisches sich durchhält, als Vorgang des Entstehens und Vergehens (im Unterschied zur qualitativen, quantitativen, lokalen Veränderung) bestimmt wird.

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Zunächst soll festgehalten werden, dass, sofern es eine Transformation der Antike in der Frühen Neuzeit gegeben hat, diese Transformation etwas schon Transformiertes transformiert. Denn die ›Antike‹ der Frühen Neuzeit, von Ficino bis hin zu Leibniz, ist die hellenistische und spätantike Antike, die selbst Transformationen und nachhaltige Umdeutungen der klassischen Antike, also des Denkens von Platon und Aristoteles, darstellen. Aber schon hier gibt es natürlich Differenzen: Es ist etwas Anderes, wenn die stoischen Denker auf das Theorieangebot etwa des Aristoteles reagieren, und es ist etwas Anderes, wenn Alexander von Aphrodisias Aristoteles weiterdenkt. Der Transformationskoeffizient, wenn ich so sagen darf, ist im ersten Fall erheblich größer, ja so groß, dass vom genuin aristotelischen Ansatz fast nichts mehr übrig bleibt, während wir im zweiten Fall, ebenso wie etwa im Verhältnis Plotins zu Platon, eine gedankliche und begriffliche Arbeit am Ansatz des Aristoteles vorfinden, die diesen nicht in etwas Anderes hin überwinden will. Wenden wir uns der Frühen Neuzeit zu, so sehen wir Folgendes: Der Platon der Frühen Neuzeit ist ein neuplatonischer Platon und ein ›Plato Christianus‹, Aristoteles ist ein durch die Kommentartradition, v. a. auch durch den Neuplatonismus (Themistios, Philoponos, Simplikios) modifizierter Aristoteles, die zentrale, durch die Forschung vielfältig belegte Präsenz des Stoizismus – etwa bei Justus Lipsius –, des Skeptizismus – etwa bei Montaigne –, des Epikureismus – etwa bei Gassendi – zeigt, dass ›Antikes‹ durchweg durch das Nadelöhr einer hellenistischen Fokussierung (teilweise, insbesondere was Aristoteles betrifft, auch scholastisch-mittelalterlichen Fokussierung) hindurch wirkt. Ist jedoch Transformation durch Strukturkonstanz gekennzeichnet, dann wird sich auch in einer potenzierten, zweiten Transformation noch die ursprüngliche Struktur, sei es positiv oder negativ, zeigen, so wie man dies ja auch für die erste Transformation feststellen kann.3 Es wird also eine Kernbedeutung des platonischen Begriffs der Idee oder des Einen erhalten bleiben, ebenso wie ein Kernbereich des aristotelischen Denkens, sei es der Syllogistik, sei es der ontologisch-naturtheoretischen Begrifflichkeit (Substanz, Akzidens, Dynamis, Energeia etc.) präsent bleiben wird, es wird, wenn mit Grund von Neustoizismus gesprochen werden darf, ebenso eine Kernbedeutung stoischer Ethik oder ihrer materialistischen Physik erhalten bleiben, wie auch im frühneuzeitlichen Atomismus demokritisch-epikureische Basisgedanken. Das Interessante jedoch ist nicht so sehr das Konstante selbst, sondern vielmehr das, was als das Differenzmoment innerhalb des Transformationsprozesses bezeichnet werden kann.4 Ich lasse hier, wie schnell zu sehen sein _____________ 3

4

Die Stoa, der Epikureismus, die Skepsis sind nicht ohne sachliche aber auch terminologische Vorgaben des klassischen Denkens zu verstehen, d. h. sie sind eben auch durchweg Kritik (damit aber auch Würdigung im Sinne negativer Bestätigung) an Platon und Aristoteles (so wie diese schon die vorsokratische und die sophistische Schule kritisch überwunden hatten). So muss man beim Idee-Begriff die ›Theologisierung‹ berücksichtigen, die schon der mittlere Platonismus mit seiner Vorstellung, dass die Ideen »Gedanken Gottes« (»ȟȡսȞįijį ijȡ‫ ף‬Țıȡ‫)«ף‬ seien, eingeführt hat und die dann in der Patristik verchristlicht worden ist (Augustinus: »mundus intelligibilis«), beim Substanz-Begriff des Aristoteles die Umdeutung etwa zur »forma

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wird, eine gesonderte Darstellung der so genannten ›zweiten Scholastik‹, also des bis hin zu Christian Wolff und seiner Schule lebendig gebliebenen, durch die verschiedenen Ausprägungen des jüdischen und christlichen Glaubens geprägten Aristotelismus bewusst aus. Jede eingehendere Analyse der im Rahmen des mehrhundertjährigen scholastischen Diskurses erfolgten Transformationen wird zu dem Resultat kommen, dass die immer wieder zurecht konstatierte »plasticity« und Flexibilität dieses Denkens auf Momente der Strukturkonstanz angewiesen war – etwa Hylemorphismus, Kinesis-Begriff, Trennung in Supra- und Sublunarität, horror vacui – die gerade die im Folgenden diskutierten Autoren durchgehend in Frage stellten, dass aber zugleich eine Offenheit für die Integration ›neuer‹ Ansätze unabweislich präsent war, die die ›scholastische‹ Bewegung, in Widerlegung der ihr vorgehaltenen Sterilität, Subtilität und Immobilität, immer wieder in direkte Auseinandersetzung mit den ›novatores‹ stellte.5 Bevor ich zum Problem des Syndromes ›Autopsie, Experiment, Induktion‹ komme, kurz folgende, einzelne Punkte nur herausgreifen könnende Beobachtungen, bei denen es um Substitution bestimmter Faktoren innerhalb eines Konstanz aufweisenden Denkansatzes geht, wobei gerade diese Substitution der Index der Transformationsleistung ist. So kann man in einem groben Raster für den theoretischen Prozess der Frühen Neuzeit durchaus transformierende Entwicklungen mit folgenden Faktoren konstatieren: (i) Wahrheit wird durch Empirie ersetzt (z. B. Francis Bacon6), (ii) Endlichkeit durch Unendlichkeit (z. B. Giordano Bruno), (iii) Qualität durch Quantität (z. B. René Descartes, die Mathematisierung von _____________

5 6

substantialis«, die als bestimmende Form in einem komplexen Einzelding dessen Identität, dessen Existenz und dessen innere Kausalität ausmacht. So muss bei der Unterscheidung in erste und zweite Qualitäten, die schon bei Epikur, Brief an Herodotos, in: Diogenes Laertios, Vitae philosophorum, X, 48–55, besonders 54: »Ȝįվ Ȟռȟ Ȝįվ ijոȣ ԐijցȞȡȤȣ ȟȡȞțIJijջȡȟ ȞșİıȞտįȟ ʍȡțցijșijį ij‫׭‬ȟ ĴįțȟȡȞջȟȧȟ ʍȢȡIJĴջȢıIJȚįț ʍȝռȟ IJȥսȞįijȡȣ Ȝįվ ȖչȢȡȤȣ Ȝįվ ȞıȗջȚȡȤȣ Ȝįվ ՑIJį ԚȠ ԐȟչȗȜșȣ IJȥսȞįijȡȣ IJȤȞĴȤ‫ «׆‬und bei Lukrez, De rerum natura II, 333–477 (zu den Qualitäten), 730 ff. (zu den Farben), 842–846: »sed ne forte putes solo spoliata colore/corpora prima manere, etiam secreta teporis/sunt ac frigoris omnino calidique vaporis,/et sonitu sterila et suco ieiuna feruntur,/nes iaciunt ullum proprium de corpore odorem«; IV, 29 ff. (primordia-simulacrasensus), 111–113: »primordia tantum sunt infra nostros sensus«, 523 ff. (Ton, Klang) und überall die durchgehende Differenz von ›esse‹ der Primordia und Elementa und dem ›nobis videri‹, zu konstatieren ist, die ›Subjektivierung‹ berücksichtigt werden, die seit Descartes in der Neuzeit bestimmend geworden ist. Zur »plasticity« und »flexibility« des Aristotelismus vgl. Mercer (1997); Brockliss (2002), 116 f. Bacon, Historia densi & rari (1623), 72: »neque exempla, ad illustranda Axiomata, sed Experimenta, ad ea constituenda, proponere«. Gassendi, Syntagma philosophicum II, c. 4, in: Gassendi Opera omnia (1661), Tomus I, 199 A–B, die Aristoteliker (und Aristoteles selbst) benutzen Beispiele, um schon konzipierte Theorien zu verdeutlichen, man sollte aber, um z. B. die Theorie des ›horror vacui‹ tatsächlich bewerten zu können, Experimente durchführen, die die Theorie überprüfen. Zum Gegenmodell, d. h. Bestätigung der theoretischen Prinzipien durch Experimente bei Galileo Galilei vgl. Wallace (1981), 135 ff.

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Kosmologie und Physik), (iv) Substantialität durch Funktionalität (z. B. Galileo Galilei, Johannes Kepler), (v) Organizität und Leben durch atomistische Konstellation (z. B. Gassendi). Es wird, und das macht die Sache noch interessanter, aber auch darauf zu achten sein, dass Transformationen gerade dann stattfinden können, wenn auf schon geschehene Kritik und Transformation noch einmal – sei es zeitgleich, sei es später – kritisch reagiert wird, wenn (i’) also Wahrheit wieder gegen reine Empirie restituiert wird (Descartes, Leibniz, Spinoza), wenn (ii’) das Unendliche wieder verendlicht wird (z. B. Leibniz [eine wirkliche Welt, unendlich viele mögliche Welten]), wenn (iii’) Qualität wieder gegen reine Quantität rehabilitiert wird (z. B. Leibniz, zuvor die ganze alchemische oder iatro-chemische Tradition7), wenn (iv’) Substantialität die freien Kräfte relationaler Funktionen bündeln und situieren soll (z. B. Spinoza), wenn (v’) das Leben oder der Geist (spiritus, spirit) wieder gegen den Atomismus als Prinzip organischer Einheit gesetzt wird (z. B. van Helmont, Henry More, Leibniz).8 Eine wirkliche Analyse der Transformation antiken Denkens in der und durch die Frühe Neuzeit müsste zeigen, wie in den genannten Punkten die Auseinandersetzung mit den genannten klassischen und vor allem hellenistischen Ansätzen gewirkt hat.

_____________ 7 8

Zum Problem: Boyle, Origin of Forms and Qualities (1666). Hierzu vergleiche – am Beispiel des Gründungsmitglieds der Royal Society Francis Glisson – die Analysen und Resultate von Hartbecke (2006), passim, besonders 32 f.: Die Restitution eines substantiellen Begriffs von ›Leben‹ gegen den Atomismus (Gassendi, Hobbes etc.) wird im Rückgriff auf Galen geleistet (vgl. De naturalibus facultatibus, I 11, Brock 38; 12, 44 ff.; II 3, 127). ›Transformation‹ findet hier insofern statt, als genuin platonisch-neuplatonische Bestimmungen von Leben und Seele als »der Materie immanente ›vita materialis‹« gedacht werden (vgl. Hartbecke [2006], 36). Die – neben der Entwicklung des Mechanismus und der Dominanz mathematisierender Verfahren – sich seit dem frühen 16. Jahrhundert durchhaltende alchemische, paracelsistische Tradition, hat evidenter weise einen Primat des organisch sich vollziehenden Lebens beibehalten, der sich eher funktional-dynamisch als mechanistisch erklären ließ. Überhaupt wurde die ›(Al)Chemie‹ von ihren Vertreten als Teil der Physik betrachtet, nämlich als ein ›Naturwissen‹, das sich rein auf Naturprozesse oder auf die Produktivität der Natur konzentriert, vgl. Niclas Le Fèvre, Mitglied der Royal Society, Traité de la chymie (1660), engl. A compleat body of Chymistry (1664), 7–9: »knowledge of Nature itself, reduced to operation« (zitiert bei Garber [2006], 29 f.). Das Phänomen kritischer Reaktion, also einer Korrektur der erstinstanzlichen Transformation ist auch wissenschaftshistorisch notiert worden, dort als »second conversion«, die auf eine »first conversion«, etwa vom Hylemorphismus, Animismus, magischem Weltmodel zum mechanisch-korpuskulären Erklärungsmodell, durch Wiedereinführen einer Ontologie der Kräfte und aktiven Prinzipien antwortet, vgl. Wilson (2002), 162. Die Sache wäre richtig gedacht, wenn man die »second conversion« nicht erst in die »post-Newtonian chemistry and physiology in England and on the Continent [!]« verlagern würde, sondern schon zeitgleich mit der Entwicklung der atomistisch-korpuskularen Theorien ansetzen würde.

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II. 1) Der Methodendiskurs, der das ganze 16. Jahrhundert zentral geprägt hat, führt, wie vor allem seit den Forschungen Gilberts, Ongs und Rossis deutlich geworden ist, durchgehend Parameter des antiken, aus der Logik, Topik und Rhetorik gewonnenen begrifflichen und formalen Rüstzeugs mit sich. Insbesondere lässt sich an den Schriften Jacopo Zabarellas zur Logik zeigen, dass die Entwicklung der Logik im Sinne einer Freisetzung derselben von metaphysischen Voraussetzungen und ihre kalkulierte Transformation in ein flexibles, belastbares Instrument vor allem auch der naturwissenschaftlichen Forschung in eins als ein rückwärtsgewandter Aristotelismus und als ein nach vorne, d. h. auf Galilei, Mersenne, Descartes etc. vorausweisender eigenständiger Ansatz – im Sinne des oben vorgeschlagenen Transformationsbegriffs – gedeutet werden kann, etwa als eine »Logik der Forschung« (die erstere Position bei Gilbert, Poppi oder Vasoli, die letztere bei Cassirer, Randall, Risse9). Dies hängt eng mit dem Faktum zusammen, dass die Reflexionen des 15. und 16. Jahrhunderts, in kritischer Wendung gegen die Substanzenmetaphysik oder gegen ein Denken, das das Wesen gegenüber den Relationen und Tätigkeiten ontologisch-metaphysisch bevorzugt, eine Dynamisierung und Funktionalisierung der Wirklichkeitsdeutung entschieden vorangetrieben hat.10 Zur gleichen Zeit jedoch wird festgehalten an den Grundformen der aristotelischen Logik, die, als Muster wissenschaftlicher Argumentation, in die Methodenlehre integriert wird, wie auch an Teilen der Methodenreflexionen des Stagiriten selbst.11 2) Es ist bekannt, dass sich der cartesianische Denkansatz, ebenso wie etwa der des Thomas Hobbes, neben vielem anderen durch eine radikale Kritik teleolo_____________ 9

Zabarella vertritt, v. a. in dem Traktat De regressu (1597), die Position, dass wirkliches Wissen Ursachenwissen ist und dass es sich auf substantielle Ursachen beziehen muss (causa per se), die selbst in essentiellen formalen Eigenschaften fundiert sind (x-Sein – etwa Grammatiker – mit dem substantiell verbundenen Ergon x’ (Grammatik unterrichten), y-Sein mit y’, z-Sein mit z’, etc.). Vgl. Risse (1983), 172; vgl. mit den Quellenangaben zu dieser Diskussion Schicker (1995), 63 ff., besonders 73 f.; Joy (2006), 94–99. Dass das frühe 17. Jahrhundert schon selbst einen differenzierten Blick auf die Bedeutung von ›Logik‹ entwickelt hat, dokumentiert etwa Johann Heinrich Alsted, Panacea philosophica (1610), 14, der eine »Logica concreta« im Sinne Keckermann von einer »Logica rebus applicata« im Sinne Zabarellas und einer »Logica metaphysica« im Sinne der Dialektiker (Platoniker) unterscheidet und hiervon seine eigene »ars« als absolute Methodenwissenschaft abgrenzt. 10 Randall Jr. (1976), 277–278: In der Folge Pomponazzis wird Aristoteles immer mehr »funktionalistisch« verstanden: »we find the ›operationes‹ of things given more importance then the statement of their essences. This functional emphasis, powerfully supported by the use of Greek texts, marks the end of the older literal minded ›Averroism‹. It reaches its clearest formulation in Zabarella«. 11 Paradigmatisch: William Harvey, der in eins die aristotelische Ontologie und Physik kritisiert und die aristotelische Logik selbst verwendet, vgl. Schmitt (1984). Zu Methodenreflexionen bei Aristoteles vgl. part. an. I cc.1–5; gen. corr. II 11, 337b f.

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gischer, finalursächlicher Strukturen im Naturbegriff auszeichnet. Das Zurücknehmen der causa finalis in ihren vielen Varianten12, vor allem aber in derjenigen, die durch den Begriff der ›forma substantialis‹ eine zentrale Rolle im schulphilosophischen, den mittelalterlichen Aristotelismus aufnehmenden und anreichernden Diskurs des 15. und 16. Jahrhunderts über die Struktur des Seienden spielte13, führte zur Prominenz der reinen Wirkursächlichkeit. Die Kritik wiederum an dieser Kritik, wie sie vor allem etwa von Gottfried Wilhelm Leibniz, aber etwa auch von Robert Boyle, mit großer begrifflicher, argumentativer Trennschärfe vollzogen worden ist, führte zu einer Restitution aristotelischer Grundbegrifflichkeit unter veränderten, nämlich nachcartesischen Bedingungen.14 Dies ist gut erforscht und kann hier im Einzelnen nicht nachgezeichnet werden. Es geht mir allerdings mit Blick auf das Transformationsproblem darum, dass a) das Durchstreichen von Finalursächlichkeit, des Substanzbegriffs oder der Qualitätenphysik eben keine Transformation des aristotelischen Denkens mehr darstellt, weder der Ontologie noch der Physik – wer den durch Descartes oder durch Hobbes, durch Galilei und Gassendi beschriebenen ›Raum‹ betritt, bewegt sich, aus verschiedenen Gründen, nicht mehr in einem aristotelischen Raum (er bewegt sich sicherlich noch nicht in einem radikal isotopischen Raum, aber er bewegt sich in einem Raum, dessen grundsätzlich homogene Struktur keinen Unterschied mehr zwi_____________ 12 Grundlegend für die scholastische Konzeption der ›causa finalis‹ ist natürlich Aristoteles, der, v. a. auch in seinen biologischen Schriften, durchgehend ›teleologisch‹ argumentiert: ›x weist die und die Form auf oder vollzieht die und die Bewegung, weil y die entelechetische Bedingung hierfür ist‹, zur generellen Präsenz in der Natur part. an. I 1, 639b18 f.: »Ȟֻȝȝȡȟ İ`ԚIJijվ ijր ȡ՟ ԥȟıȜį Ȝįվ ijր Ȝįȝրȟ Ԛȟ ijȡ‫ה‬ȣ ij‫׆‬ȣ ĴփIJıȧȣ ԤȢȗȡțȣ Ԯ Ԛȟ ijȡ‫ה‬ȣ ij‫׆‬ȣ ijջȥȟșȣ«, bezüglich der Anordnung und Struktur der Sinnesorgane vgl. ebd., II 10, 657a28 ff. Zur direkten Kritik und Ablehnung vgl. Bacon, Novum organum (1620), I, n. 48; II, n. 2 (Oxford Ed. XI, 84 f., 200); De dignitate et augmentis scientiarum (1623), nn. 3–4. Descartes, Principia I, n. 28, v. a. die französische Ausgabe (1647). 13 Als ›forma substantialis‹ versteht der scholastische Diskurs dasjenige formale Prinzip, das ein Seiendes zu eben diesem Seienden macht, z. B. ist die ›Wärme‹ (calor) forma substantialis des Feuers, nehme ich die Wärme hinweg, so ist das, was übrig bleibt, auf keinen Fall mehr das, was es zuvor war; die Seele ist substantielle Form des Körpers (der dadurch Leib ist), etc. Vgl. Aristoteles, part. an. I 1, 641a18 ff., 28: »ijȡ‫ף‬ijȡ ȜįȚ`Տ ijȡțȡ‫ף‬ijȡ ijր Ș‫׭‬ȡȟ«; Thomas von Aquin, De principiis naturae, in: Opuscula omnia, Bd. I, 8–18. Ein Beispiel dafür, wie wichtig die Zurückweisung dieses Formbegriffs für die Entwicklung der ›neuen‹ Philosophie war, kann aus den Thesen entnommen werden, die drei junge Studenten, Jean Bitaud, Antoine Villon, Éstienne de Clave, 1624 öffentlich in Paris zur Diskussion stellten (und hierzu auch öffentlich an die Hauswände anschlugen), insbesondere aus der These III, zugänglich in: Garber (2002), 152 oder Kahn (2001). 14 Zu Leibniz’ Neoaristotelismus vgl. Christia Mercer (1990), 18–29. Zur Verteidigung der ›causae finales‹ ist, neben Robert Boyle (vgl. A Disquisition of the Final Causes of Natural Things [1688], 79–151), natürlich auch Isaac Newton zu nennen. Vgl. Joy (2006), 73 A. 7: »the new natural philosophies of Boyle and Newton […] crucially relied on several important Aristotelian precedents for their conceptualization. Therefore, although it is true that their notions of laws of nature were incompatible with Aristotelian substance theory, their notions were actually conceived in particular terms borrowed from these two theories«.

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schen supra- und sublunarer Struktur oder zwischen natürlicherweise vorgegebenen ›Orten‹ einzelner Elemente kennt), wer einen durch Harveys Physiologie konstituierten Körper betritt, bewegt sich in einem Organismus, der radikal von dem unterschieden ist, den Galen beschrieben hat (der ›neue‹, funktional deutbare Binnenhaushalt des nicht-galenischen Körpers lässt es zu, dass Ernährungsvorgänge, Verdauungsprozesse, Atmungsvorgänge etc. in einer neuen Beziehung gesehen werden können, die keine Abtrennung des venösen vom arteriellen Blut zulässt – und damit ›Vergiftungsphänomene‹ nicht mehr durch häufig tödlich endende Aderlassprozeduren kurieren muss – und komplexe innerorganische oder innerserale Austauschprozesse ansetzen kann)15, dass b) jedoch die Reintegration des Substanz- und vor allem Entelechie-Begriffs sich fundierend auf eine Ontologie oder Physik bezieht, die im Sinne der Transformation Strukturkonstanz zum aristotelischen Grundgedanken aufweist. Die ›Dynamik‹, die Leibniz seit den 90er Jahren des 17. Jahrhunderts als Alternative zu Descartes’ mechanistischer Physik entwickelt, gründet wesentlich auf der Annahme nicht-materieller, ›metaphysischer‹ Punkte, die ein dynamisches Potential (vires originariae), das sich nicht als Summe aus Stoß- und Druck-Bewegungen verstehen lässt, aus sich spontan, also un-konditioniert entfalten. Versteht man diese Kraftpunkte im Zusammenhang mit der gleichzeitig entwickelten ›neuen‹ Substanzenlehre, die diese als Monaden denkt, die als reine, sich aus sich entwickelnde Einheiten eine entelechetische Bewegung vollziehen, dann sieht man, dass die aristotelische Orte-Physik durch eine Kraftpunkte-Physik ersetzt wird, dass aber sowohl die Dynamik als auch die Bindungen der Entfaltung des dynamischen Potentiales an ›Substanzen‹, Einheiten (unitates per se) oder Monaden eine genuin aristotelische Intuition erhält. Ich würde daher die Dynamik von Leibniz als eine wirkliche Transformation der aristotelischen Ontologie und Physik verstehen wollen. Das Differenzmoment darf allerdings nicht übersehen werden: Der Substanz- und auch Entelechiebegriff des Aristoteles basiert auf einer ontologischen Gattungsund Artformkonsistenz, die von Leibniz durch den Begriff des unendlichen Potentiales und der vollständigen Bestimmtheit (notio completa) aufgelöst wird. Für Leibniz kann jede Monade prinzipiell alles werden, sie trägt, um es so zu sagen, die Codes aller anderen Monaden als Potential in sich; für Aristoteles kann jede einzelne Substanz nur den Code des Eidos, das durch die ›species infima‹ zum Ausdruck gebracht wird, zum Ausdruck bringen und im Bereich der Akzidentien (die auch nicht vollständig beliebig sein können) variieren. _____________ 15 Bei Descartes, weil trotz der Beibehaltung des Gedankens, dass alles, was ist, eo ipso, Ausgedehntes ist, und dass es, da es Nichtsein nicht gibt, im Sein überall nur Ausgedehntes und d. h. ›Orte‹ gibt, dennoch eine »res extensa« gibt, die von allem Qualitativem, von allem Seelischen und Geistigen getrennt ist; bei Galilei und Gassendi, weil es in deren Raumkonzept ein Vakuum geben muss, damit die Korpuskeln bzw. Atome sich bewegen können. Alle Funktionen der Ernährung, der Blutversorgung etc., die Galen und seine Tradition für gültig hielten, können mit Einführung des Blutkreislaufs und seiner Konsequenzen nicht mehr aufrecht erhalten werden.

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3) Die dramatische Rückkehr des ›Atomismus‹ ist ebenfalls einer der die Neuzeit charakterisierenden Faktoren, denn diese Rückkehr fand in einer signifikanten Weise erst im letzten Drittel des 16. Jahrhunderts und zu Beginn des 17. Jahrhunderts statt und ist an Namen wie Giordano Bruno, Daniel Sennert, David van Goorle oder Pierre Gassendi gebunden.16 Interessant ist, dass es vorher eine Präsenz des Epikur gab, die nicht notwendig an die Übernahme ontisch-naturtheoretischer Aspekte seiner Lehre gebunden war, sondern im Horizont ethischer Diskussion (dort meist pejorativ) verblieb. Das Behaupten einer atomistischen Position hatte auch schon für ihre antiken Vertreter das Problem des Zusammenhaltens oder der Kohäsion mit sich gebracht: Wenn ich strikt unterschiedene, für sich bestehende, unteilbare (aber deswegen nicht notwendig ausdehnungslose) Teile (als Atome) ansetze, wie erkläre ich dann Formbildung und Formkonstanz? Die radikale Atomistik konnte hierfür nur die Hilfsthese mechanischer Verhakung anbieten (Lukrez, De rerum natura II 392–394, 404 f., 445 u. ö.), die frühneuzeitliche, sich im Rahmen der Medizintheorie (Sennert) oder der dynamischen Naturphilosophie (Bruno) bewegende Atomistik griff auf »übergeordnete Formprinzip(ien)« zurück, Gassendi hingegen wird, im Anschluss auch an Descartes, die mechanische Erklärung weiter favorisieren.17 Sennerts Atomismus ist eigentlich eine Transformation der aristotelischen – also nach-demokritischen und nichtepikureischen – »minima naturalia«-Lehre in die frühneuzeitliche Chemie, die, im Unterschied zu Aristoteles, Mischungen (mixtiones) oder Synthesen von bereits Gemischtem oder Synthetisiertem annimmt. So sind die ›Atome‹ bei Sennert eigentlich kleinste, irreduzible physikalische Größen, die eher aristotelischer Provenienz sind, die aber mit einer nicht-aristotelischen Theorie der Mischung verbunden werden, in der ein starker Begriff von ›Einheit‹ (unum, unio) den aristotelischen Formbegriff transformiert.18 Es bleibt sozusagen die Funktion des ›Eidos‹ erhalten, als Akt des Wesens die Wirklichkeit einer Sache zu setzen, aber der Modus, in dem, zumindest unter materiellen, also physikalisch-biologischen Voraussetzungen, Prozesse sich vollziehen, ist ein anderer: Die Hauptmomente _____________ 16 Zur Sache vgl. Lasswitz (1890); Krafft (1992), besonders 125 ff.; Pyle (1997); Clericuzio (2000). 17 Gassendi, Syntagma philosophicum (1658), in: Opera omnia (1658), Tomus I, col. 256 A sqq; zu Pierre Gassendi vgl. Detel (1978); Osler (1994). 18 Vorarbeit hierfür leisteten etwa Agostino Nifo, Expositio super octo Aristotelis Stagiritae libros de physico auditu (1552); Julius Caesar Scaliger, Exotericarum exercitationum libri XV (1557/ 1607), exercit. 101, 349–350; Jacopo Zabarella, Liber de mistione, in: De rebus naturalibus libri XXX (1607), col. 451–480. Zur Sache vgl. Murdoch (2001). Grundsätzlich gilt: Die ›minima naturalia‹ sind keine Atome, ihre Existenz, ihre Identität und ihre Funktion (Wirkweise) ist abhängig von der bestimmenden, dominanten Form (forma substantialis). Auf jeden Fall musste bei einer quantitativen Umdeutung von qualitativen Veränderungsprozessen die kriterielle und terminologische Substanz etwa des Galenischen Begriffs des »Ȝįijո ijռȟ ʍȡțցijșijį Ȝțȟı‫ה‬IJȚįț« (De naturalibus facultatibus I, 2, ed. Kühn, II, 3: entsprechend der Qualität bewegt/verändert werden, Galen weist diesen Ausdruck dem aristotelischen Term »ԐȝȝȡտȧIJțȣ« zu) bestritten werden.

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aller Naturprozessualität, Entstehen und Vergehen, sind nichts anderes als ›Mischung‹ und ›Trennung‹ (also als quantifizierbare Bewegung von kleinsten Teilchen/Atomen gedacht19). Ebenso wird in diesem Kontext der aristotelische Element-Begriff transformiert in den ›kleinster Zusammengesetzter‹ (minima naturalia), die zugleich qualitativ (als Gestalt, Form) und quantitativ (als Kontinua) zu denken sind und die komplexe, höherstufige Verbindungen eingehen können.20

III. Autopsie, Experiment, Induktion Es ist immer wieder darauf hingewiesen worden, dass es ein Signum gerade des frühneuzeitlichen Diskurses gewesen sei, dass in ihm die sinnliche Evidenz zu einem Kriterium des Wissens erhoben worden ist.21 Hierzu ist zu sagen: Es gibt tatsächlich eine unüberschaubare Menge an Belegen dafür, dass es für Autoren der Frühen Neuzeit von entscheidender Bedeutung war, die Dinge ›mit den eigenen Augen‹ erfasst zu haben, einer Situation, sei sie historischer, sei sie experimenteller Natur, als Zeuge beigewohnt zu haben oder eine terra incognita selbst erforscht zu haben. Von dem berühmten Ausspruch, den Giordano Bruno seiner ›persona‹ in Cena de le ceneri (London 1584) in den Mund legt: Er wolle »nicht durch die Augen des Kopernikus oder des Ptolemäus, sondern durch seine eigenen sehen«22, über die insistierenden Beschwörungen etwa Johannes Keplers dahingehend, dass die Astronomie, die ihre Prinzipien zwar aus der Mathematik zu ziehen habe, dennoch mit möglichst exakten, aus der Beobachtung der Planetenbewegungen gewonnenen Daten arbeiten müsse23, bis hin zu der Beschwörung des »faithfull eye«, des »vertrauenswürdigen, zuverlässigen Auges«, die sich im Vorwort von Robert Hooke’s Micrographia: or some Physiological Descriptions _____________ 19 Dies hat einen deutlich anaxagoreischen Hintergrund, nämlich die These des Anaxagoras, dass »Alles zugleich« sei oder »Alles in Allem« sei (fr. B 21) und dass aus diesem Ineinander alle Differenzen des Wirklichen entstünden. Dies hatte Aristoteles scharf, unter Berufung eben auf den Form-Begriff, kritisiert, vgl. phys. A 4, 187b13–34. 20 Krafft (1992), 117 f.: Insbesondere die spätantiken Aristoteles-Kommentatoren, z. B. Alexander von Aphrodisias, haben diesen für Aristoteles nicht überlieferten Begriff der »ਥȜ੺ȤȚıIJĮ ijȣıȚț੺« entwickelt. 21 Küpper (2002), 206 f.: Das Modell der Erfahrung trete an die Stelle des Dogmas, um zu Beginn der Neuzeit die zunächst inkommensurablen Datenmengen der überseeischen Explorationen durch einen undogmatischen Begriff der Veränderung, Geschichtlichkeit und Vorläufigkeit des Wissens kommensurabel machen zu können. Zur damit sachlich eng verbundenen Neubewertung des Einzelnen und Einzeldinges (esse singulare) vgl. Leinkauf (1993), 139–160; grundlegend jetzt Schmitt (2003), 23–35. 22 Bruno, Cena de le ceneri, dialogo 1, in: Œuvres complètes, Bd. II, 35. 23 Kepler, Harmonice Mundi libri V, in: Gesammelte Werke VI, lib. IV, c. 2, 226 f.; c. 7, 264 ff.; V, prooem., 289 f., c. 3, 296 ff.; Epitome, praefatio, in: Gesammelte Werke VII, 25.

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of Minute Bodies […], London 1665 findet24, lassen sich emphatische, strategische bis hin zur Resignation gehende Berufungen auf dieses mächtige Prinzip des Autoptischen konstatieren.25 Unabhängig von dem Faktum, dass es, wie ja für nahezu alles, auch hierfür in der Antike, vor allem der späteren Antike Vorgaben gibt, etwa in der Medizintheorie26, im akademischen Skeptizismus oder bei Lukian27, kann doch gerade im Problemfeld ›Autopsie, Experiment, Induktion‹ von einer signifikant neuzeitlichen Transformation älteren Denkens gesprochen werden. Dies hat mit den oben schon erwähnten Umbesetzungen bei konstanter Struktur zu tun: Es ist nicht so, dass dem antiken Denken Kategorien oder logische Mittel gefehlt hätten, experimentelle Vorgehensweisen – etwa diejenige, die Aristoteles beim Sammeln seiner biologischen Fakten und bei der Auswertung derselben angewendet hat – oder das formale Prinzip der Induktion deutlich und genau zu beschreiben, und es ist auch nicht so, dass das antike Denken die Bedeutung des sinnlichen Datums unterschätzt oder gar ignoriert hätte. Das terminologische, logische und auch das disziplinär durch Resultate erarbeitete ›Material‹, das die Antike in ihrer mehrhundertjährigen eigenen Entwicklung erarbeitet hat, ist vielmehr zu einem nicht wegzudenkenden, inspirierenden Faktor des frühneuzeitlichen Denkens geworden. Was sich aber, bei dieser gleichbleibenden Grundform des Interesses am Sinnlichen, am empirischen Datum, am Soundnichtanders-Sein des Einzelnen etc.28, ändert, sind bestimmte Voraussetzungen, unter denen man jetzt Autopsie, Experiment und Induktion in je verschiedener Weise im wissenschaftlichen Diskurs thematisiert, ja sogar einklagt. Ich möchte, bevor _____________ 24 Hooke, Micrographia (1665), Preface (s. p.): »a sincere Hand, and a faithful Eye, to examine, and to record, the things themselves as they appear«. 25 Vgl. zu Jacobus Sylvius Kellet (1961), 104, 112: »recognize by eye when you are attending dissections«. 26 Galenos vgl. unten Anm. 32. Danneberg (2002), 24. 27 Lukian, Ikaromenippos oder die Luftreise, 54 f.; zur Bedeutung des Lukian und skeptischer Texte in der englischen Literatur des 17. Jahrhunderts vgl. Olejniczak-Lobsien (2002), 228 ff. 28 Das Ausgehen vom sinnlichen Einzeldatum, vom ›Phänomen‹, wird insbesondere in der medizintheoretischen Diskussion zentral, in der es ja um diagnostische Verfahren geht, die zunächst nichts anderes als durch Beobachtung (Tasten) vermittelte Symptome als ihren Ausgangspunkt haben; in anderer, nämlich kritisch-distanzierter Weise wird das einzelne sinnliche Datum in der skeptischen Tradition traktiert: Die Formel ›mir erscheint x‹ lässt als solche nur die Deskription eines Dass-Zustandes zu, aus diesem Dass kann aber nicht konsistent auf das Was des Erscheinenden geschlossen werden. Wird das ›Dass‹ im Sinne der Präsenz einer Wirkung y einer (noch) unbekannten Ursache (causa) x verstanden, wie es Aristoteles und in seiner Folge Zabarella in De regressu getan haben, dann wird die Analyse von y »zurückführen« auf den Grund von y, nämlich auf x. Mit Aristoteles weiß ich ja dann erst wirklich etwas, wenn ich die Ursache von etwas weiß. Ein ›Beweis‹ auf Basis kontingenter Betrachtung hat dann insgesamt vier Schritte: 1. das zunächst zufällige Erfassen eines Datums (observatio, autopsia), 2. induktiver Regress auf allgemeine Ursachen (demonstratio quia), 3. Betrachtung des Verhältnisses von Ursache und Wirkung (causa proxima), 4. beweisende Ableitung des Effekts aus der Ursache (demonstratio propter qui, potissima).

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ich zu diesen Voraussetzungen komme, zunächst kurz folgenden Zusammenhang der drei genannten Faktoren, schon mit Blick auf ihren frühneuzeitlichen Status, herstellen: a) Autopsie heißt: Ich selbst oder ein anderes Selbst bin als Sehender, durch die Tätigkeit der Augen, einem äußeren, sinnlichen Datum, sei dies ein einzelnes Ding, eine Ding-Konstellation, ein Prozess oder eine Komplexion aus mehreren Vorgängen gegenwärtig, d. h. das, was das sinnliche Datum ausmacht, ist für mich im Akt des Sehens bedeutungsvoll präsent.29 Autopsie ist, wenn sie nicht trivial nur Selbstsehen bedeutet, sondern initiales Moment eines Wissensprozesses meint, grundsätzlich mit der Reflexion auf die momentane Tatsache des ›Sehens‹ und auf die (durch Fokussierung bewirkte) Konzentration auf das Wesentliche verbunden.30 Das dabei im sinnlichen Eindruck Präsente kann dann, in einer Art Zwischenform, die im Übergang von Autopsie zu Experiment liegt, Gegenstand einer Analyse werden, für die man im 16. Jahrhundert, angestoßen durch den Rückgriff auf die medizintheoretische Tradition, den Begriff der ›Anatomie‹ einsetzt, der aber dann nicht mehr medizinisch gebunden ist, sondern auch auf Gegenstände überhaupt, auf Texte oder sogar, wie in den Dieci dialoghi della storia des Francesco Patrizi, auf die Geschichte Anwendung finden kann31: Jedes sinnliche Datum ist ein eo ipso Komplexes, dessen ›Natur‹ oder Aufbau/Struktur _____________ 29 Bedeutungsvoll präsent heißt: Es ist das genau so und nicht anders Sein, das ›ich‹ (oder das konstatierende Individuum) an einem x ›beobachte‹, was das, was ich über x ›denke‹, autoritativ rechtfertigt (gleichsam im Sinne der Zeugenschaft durch den Betrachter); wer x ›so‹ autoptisch sieht, der muss x’ denken, etc. Wer also x nicht selbst gesehen hat, kann gar nichts begründet dazu sagen. Damit aber Gleichheitsbedingungen gegeben sein können, muss sozusagen die Autopsie ihrer Spontaneität entkleidet werden und kalkulisiert werden: x muss von beliebigen Betrachtern B entsprechend bestimmter Vorschriften ›gesehen‹ werden, die Autopsie ist nicht mehr direkt, spontan, punktuell, sondern vermittelt, heteronom und diskursiv, etwa als Anatomie, als kodifiziert durch Bild und Abbildung oder als (hermeneutischer) Lesevorgang usf. 30 Die Autopsie richtet sich in ihrem starken Sinne immer auf den Zielgegenstand – wenn ich zugleich eine Sektion eines Gegenstandes durchführe und dazu ein schriftliches Dokument (Buch) eventuell sogar mit bildlichen Exemplifikationen konsultiere, so spreche ich im letzteren Fall nicht von Autopsie. Natürlich können auch Bücher, z. B. wertvolle Zimelien (Erstdrucke etc.) Gegenstand von Autopsie werden, dann nämlich, wenn sie selbst Zielgegenstand der forschenden Einstellung sind. Die Verbindung von Autopsie, Anatomie und Text ist ursprüngliches Charakteristikum der frühneuzeitlichen Entwicklung: Es treten dabei nicht nur die Autorität des Textes (Galen) und die Evidenz des Sektionsvollzugs in Konkurrenz – vgl. dazu das Buch von Eriksson (nächste Anm.) – sondern auch die Autorität und Evidenz von Bildern (Abbildungen, Illustrationen, Dokumentationen) und die autoptische Evidenz (an letzterer ist das Entscheidende gerade der performative Charakter: Ich muss selbst sehen und das Experiment selbst machen). 31 Leinkauf (1998), 91 f. Auch die humanistische Philologie und ihre textkritischen Verfahren setzen auf ›Autopsie‹ sowie auf eine systematische hermeneutische Operation, die sich an spätantike Aristoteles-Kommentare anschließt. Vgl. Ong (1958), 315. Robert Burton, Anatomy of Melancholy (1621). Zum Zusammenhang von Anatomie-Autopsie(-Zeugenschaft) vgl. Eriksson (1959).

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durch ein intelligentes Aufschneiden und Auseinandernehmen erschlossen werden kann (sozusagen die Parallelaktion zur logisch-propositionalen »resolutio«).32 Man kann einerseits sagen, dass die Anatomie der Autopsie die Präsenz des Verborgenen zugänglich macht, indem sie das ›Innere‹ zu einem künstlichen und d. h. auch experimentellen ›Äußeren‹ macht (denn in den meisten Fällen ist das Aufgeschnittene nicht mehr lebensfähig), andererseits ist das Anatomisieren selbst nicht voraussetzungslos: Es setzt einen investigativen Impuls voraus, der schon ›weiß‹, dass eine Sache ein irgendwie strukturiertes Inneres hat, dessen Kenntnis zum Verstehen der Seinsweise und Existenzform dieser Sache wichtig ist.33 Zusätzlich ist im anatomischen Prozess eine Intention auf Nichtzerstörung oder auf Bewahrung des Herauspräparierten enthalten – in der ›Zerstörung‹ also das ›Nichtzerstören‹ – denn wirklich gesehen und damit auch dem Verstehen zugänglich gemacht werden kann nur ein je bestimmt Geformtes, Integres, für sich Abgegrenztes (z. B. ein Organ, eine Vene, eine Zellschicht etc.). _____________ 32 Das medizinische Verfahren der ›Anatomie‹ hat eine philosophische Vorgabe in Platons Begriff der Dihairesis, die, etwa im Sophistes (218D ff.), als ein »zweifaches Schneiden« oder als eine methodische »Zweiteilung« bezeichnet wird (»İțȥׄ ijջȞȟıțȟ«) bzw. in der Politeia […] als ein »Schneiden an den Gelenken« (»ijջȞȟıțȟ İț`ԔȢȚȢį«) schon eine ›anatomische‹ Implikation erhält. Vor allem jedoch Aristoteles hat in seinen biologischen Schriften detaillierte anatomische Kenntnisse vorgelegt, vgl. Aristoteles, hist. an. III 1, 509b23; IV 1, 525a8 f. (»Ԛȟ ijį‫ה‬ȣ ԐȟįijȡȞį‫ה‬ȣ İțįȗȢįș‫׆‬ȣ«); VI 10, 565a13; VI 11, 566a15 und gen. an. II 7, 746a14 verweisen auf anatomische Illustrationen bzw. auf das Faktum der ›dissectio‹ (vermutlich auf eine verlorengegangene Abhandlung De dissectione). An einer prominenten Stelle verweist Galen direkt auf den Zusammenhang von Autopsie und Anatomie, vgl. De naturalibus facultatibus I 4, ed. Kühn (1821) [1893], Bd. II, 12: »Ȝįվ ijį‫ף‬ij`ȡ՘Ȝ ԚȜ ȞıȚցİȡȤ ijțȟրȣ Ԑȝȝ`į՘ijցʍijșȟ ȗıȟցȞıȟȡȟ ԚȜȞįȚı‫ה‬ȟ ȥȢռ İțո ij‫׭‬ȟ ԐȟįijȡȞ‫׭‬ȟ« (und dieses [sc. die homogenen Teile eines Körpers] darf man nicht aus einem methodischen Ansatz heraus lernen wollen, sondern nur aus selbstvollzogener Anschauung von Zerschneidungen/Aufschneidungen). Zur antiken, vor allem in Alexandria (3. Jahrhundert vor Christus) realisierten Anatomie vgl. Edelstein (1935); (1962). Kelsos, De medicina, Prooemium, 13 ff., 25, 41, Lib. IV und VIII; Galen, De anatomicis administrationibus lib. IX., in: Opera quae exstant (1821), Bd. II, 215–731. Die antike Anatomie stand allerdings auch unter dem Vorzeichen der Bedeutung des Begräbnisses für die Einzelseele, wie es seit Sophokles dramatisch thematisiert worden ist, vgl. Sophokles, Ant., vv 21–30, 59, 80 f., 198–210. Zur Bedeutung für die Kunst, vgl. Schultz (1982); zur wissenschaftsgeschichtlichen Dimension Zittel (2005a), (2007). 33 Zum Begriff des ›Inneren‹ der Dinge oder der Natur vgl. Leinkauf (2000). Zur unmittelbaren Verbindung von Einsicht in die Natur (das Wesen der Natur) und Anatomie vgl. Francis Bacon, Instauratio magna, Distributio operis, in: The Oxford Francis Bacon, vol. XI, 36: »Verum iis, quibus non simiolas & fabulas Mundorum comminisci, sed huius ipsius veri Mundi naturam introspicere, & velut dissecare [!!] in animo habent, omnia a Rebus ipsis petenda sunt«; dass es Bacon um einen Zugang zum Inneren der Dinge/der Natur geht, wird auch aus der Praefatio zum Novum Organum, ebd., 58 deutlich: »non bellè & probabiliter opinari, sed certò & ostensivè scire; tales, tanquam veri Scientiarum filij, nobis […] se adiungant; ut omissis Naturae atrijs […] aditus alquando ad interiora patefiat«; vgl. auch Aphorimus XVIII, ebd., 70; II, Aphorismus 7, ebd., 210: »versamur enim planè adhuc in atrijs Naturae, neque ad interiora paramus aditum«, gleich darauf wird signifikanterweise die »anatomia corporum organicorum« thematisiert.

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b) Experiment heißt: Ich verhalte mich – im Regelfall autoptisch gestützt – zu sinnlichen Daten so, dass ich eine kontrollierte Erfahrung (experientia)34, z. B. die einer Anatomie oder einer Fallstudie fester Körper oder eines hydrostatischen Vorgangs, mit ihnen mache, wobei ›kontrolliert‹ heißt, dass ich diese Erfahrung als einen in sich unterschiedenen Vorgang begrifflich im Wissen erfasst habe (im Regelfall: vorkonzipiert). Es heißt vor allem aber auch, dass die Erfahrung wiederholt werden kann (mit allen Implikationen und Problemen von Wiederholung unter physikalischen, raum-zeitlichen Bedingungen35): Als zentraler Faktor ist das für das experimentelle Verfahren unerlässliche Wiederholen derjenige methodische Modus, der sowohl eine Überprüfung und Weiterentwicklung der Faktoren dieses Prozesses und damit eine Steigerung der Kontrolle des Verfahrens mit sich bringt als auch, durch das immer wieder Eintreten des selben (erwarteten) Beschreibungs- oder Messergebnisses, eine Bestätigung der mit dem Experiment verbundenen Deutungsoption natürlicher Zustände darstellen kann.36 Der Idealfall der Wiederholung des Experimentes x ist eben der, dass sie nichts Neues zu brin_____________ 34 ›Experimentum‹ und ›experientia‹ sind, wie für das antike, so auch für das mittelalterliche und frühneuzeitliche Denken Synonyma, sie besitzen einen gemeinsamen semantischen Kerngehalt; aus diesem Grunde findet sich auch keine systematische Unterscheidung und eine daran sich anschließende Verwendung beider Begriffe. Zu einigen Implikationen vgl. Leinkauf (1993), 268– 307, 293 zu Autopsie und Experiment. 35 Vgl. Leibniz, Nouveaux essais, Préface, AA VI/6, 50, 14 f.: »le succées des experiences sert encore de confirmation à la raison«. Zum Experiment-Begriff, wie er von Galileo Galilei sehr wahrscheinlich in Kenntnis der reduktiven Methode (regressus demonstrativus) Jacopo Zabarellas entwickelt wurde, vgl. Wallace (1981), (1984). Zum Moment des ›Wiederholens‹ vgl. Aristoteles, an. post. II 19, 100 a; Francois d’Aguilon, Opticorum libri sex (1613), 215–216; Galileo Galilei, Discorsi (1638), in: Le opere di Galileo Galilei, Bd. VIII, 49 f., 54 f., 113 f. u. ö. Bacon, Novum Organum, Aphorismus LVI, 90: »veritas autem non a foelicitate temporis alicuius, quae res varia est: sed à lumine Naturae & Experientiae, quod aeternum est, petenda est«. Bacon lässt noch nicht einmal die ›experimentellen‹ Ansätze in den biologischen Schriften des Aristoteles gelten, die ansonsten für die Frühe Neuzeit einen positiven Ausgangspunkt bildeten, vgl. Aphorismus LXIII, ebd., 100: »neque illud quenquam moveat, quod in libris eius (sc. Aristotelis) de Animalibus, & in Problematibus, & in alijs suis tractatibus versatio frequens sit in experimentis. Ille enim prius decreverat, neque experientiam ad constituenda Decreta & Axiomata ritè consuluit; sed postquam pro arbitrio suo decrevisset, experientiam ad sua placita tortam circumducit, & captivam; ut hoc etiam nomine magis accusandus sit, quàm sectatores eius moderni (scholasticorum Philosophorum genus) qui experientiam omninò deseruerunt«; Aphorismus LXX, ebd. 110: »sed demonstratio longe optima est experientia, modò haereat in ipso experimento«; vgl. auch XCVIII–CI, ebd., 154–158. 36 Es ist dabei darauf hinzuweisen, dass ›Bestätigung‹ eben kein Beweis(en) im Sinne des platonischen und v. a. aristotelischen Beweisbegriffs ist, der von der Kenntnis der Ursachen/Prinzipien ausgeht. Wie Claus Zittel richtig herausstellt, ist Bestätigen eingebunden in das typisch frühneuzeitliche Ausgehen von den Wirkungen oder Effekten und der daran sich anschließenden Hypothesenbildung sowie den experimentellen Verfahren des ›Zeigens‹, vgl. Zittel (2005a), 112 f., dort 113–114 folgendes Zitat aus William Harvey, Exercitationes anatomicae (1661), 74: »denique hoc est, quod enarrare et patefacere, per observationes et experimenta conabar, non ex causis et principiis probabilius demonstrare, sed, per sensum et experimentum, confirmatum rederre, anatomico more, tanquam majore authoritate, volui«.

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gen hat – sie wäre sonst keine Instantiierung des Falles ›x‹, auf den sie sich der Intention nach bezieht, sondern wäre selbst der Anfang eines neuen experimentellen Verfahrens mit neuen, sich jetzt auf den Fall ›y‹ beziehenden Wiederholungen usf. Das Experiment, als strukturierte, kontrollierte Form der Autopsie und d. h. als an die Struktur sinnlicher Wirklichkeit gebunden, beweist daher als es selbst nicht(s) (denn es hat keinen Zugriff auf den Bereich des Universalen), sondern es bestätigt oder zeigt, dass etwas sich unter bestimmten, kalkulierten Bedingungen so und so verhält.37 Spezifische Probleme der Realisierung von Experimenten tauchten in der Frühen Neuzeit (und noch bis ins späte 18. Jahrhundert hinein) gerade bei Wiederholungen auf, sei es dass sie die technische Komplexität betreffen, die man nicht immer ohne Mühe exakt unter gleichen Bedingungen realisieren konnte (mechanistische Experiment-Situationen), sei es dass die natürlichen Umstände, die man eben noch nicht durch künstliche Umgebungen ersetzen konnte, selbst keine gleichen Bedingungen zuließen, sei es dass, wie in der Anatomie, nicht genügend Leichname zur Verfügung standen, weil z. B. die Konservierungsmethoden noch nicht weit genug entwickelt waren.38 Francis Bacon fasst vielleicht als einer der Ersten die komplexe Struktur des Experimentes sowie seine Differenz zur einfachen ›Erfahrung‹ zusammen: Restat Expeientia mera, quae, si occurrat, Casus; si quaesita sit, Experimentum nominatur. […] At contra, verus Experientiae ordo primò lumen accendit, deinde per lumen iter demonstrat, incipiendo ab Experientiâ ordinatâ, & digestâ, & minimè

_____________ 37 Die ›kalkulierten‹ Bedingungen sind just die, die es, unter möglichst umfassender Reduktion aller ›störenden‹, ›verfälschenden‹ Kontextbedingungen, ermöglichen sollen, dass ›x‹ auch in seiner zweiten Instantiierung eben ›x‹ ist. Dass dies eine per impossibile – d. h. vor dem Hintergrund des Bewusstseins seiner Unmöglichkeit – dennoch produktiv umgesetzte Strategie sein konnte, liegt an der in der Natur der Sache selbst liegenden Bedeutungsdifferenz. Bestimmte Faktoren können ignoriert oder unterdrückt werden, ohne dass sich an der wesentlichen Einsicht etwas ändert. Bei Visualisierungen von Prozessen ist dies ebenfalls reflektiert worden, so etwa bei William Harvey, Anatomical Exercises on the Generation of Animals, 332: »This is conspicous among poets and painters, who, although they contemplate one and the same object in the same place and at the same moment, and with all the circumstances agreeing. Nevertheless regard and describe it variously, and as each has concieved or formed an idea of it in his imagination […]«. Harvey sieht in diesem, durch sehphysiologische aber auch umgebungsbedingte Einflüsse unausweichlichen Abweichen vom singulären Datum einen Übergang vom Gesehenen »as a particluar […] to something that is common and universal«! Kritik am ›beweisenden‹ Charakter von Experimenten äußerten, in direkter Wendung gegen Boyle’s Affirmation, sowohl Thomas Hobbes als auch Baruch de Spinoza, vgl. Shapin/Schaffer (1985), 60 ff. 38 Zum Experiment und seiner Mathematisierung vgl. v. a. die Arbeiten von William A. Wallace (1972–1974), (1991); sowie Dear (1995), 11–31. In der paradigmatischen Verbildlichung zeigt sich dies in der innovativen Einführung der Darstellung von Prozessen (etwa einer Verpuppung, eines embryonalen Wachstums etc.) die »einer seriellen Logik folgen«, so Zittel (2007), 62 mit Bezug auf Hieronymus Fabricius de Aquapendents Traktat De formatione ovi et pulli tractatus acuratissimus (1621).

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Thomas Leinkauf praeposterâ aut erraticâ, atque ex eâ educendo Axiomata, atque ex Axiomatibus constitutis rursus Experimenta nova, quum nec verbum Divinum in rerum Massam, absque ordine operatum sit.39

c) Induktion heißt: Ich schließe aus einem autoptisch gestützten, experimentell erworbenen, also empirisch gewonnenen Datum gemäß logischer Gesetze auf andere Daten, zu denen ich mich nicht im Verhältnis von akuter Autopsie und Experimentalsituation verhalte. Damit erreiche ich, ausgehend von einem einzelnen, singulären Datum eine ins Allgemeine erweiterte, wissenschaftliche Information (die allerdings problematisch bleibt). Weil ich einmal festgestellt habe, dass es ein Folgeverhältnis von x und y gibt (jetzt sehe ich x und gleich darauf, etwa in einer chemischen Reaktion, sehe ich y als vermutete Folge) und wenn ich analoge Fälle dieses Folgeverhältnisses in Anschlag bringe, so kann ich induktiv sagen: ›immer dann, wenn x, folgt y‹. Leibniz etwa nennt dies ein Erschließen »partikulärer oder individueller Wahrheiten«, das allerdings nie auf die Ebene allgemeinuniverseller Gesetze führen kann.40 Neben der auf Aristoteles zurückgehenden _____________ 39 Bacon, Novum organum, Aphorismus LXXXII, in: The Oxford Francis Bacon, vol. XI, 130. Zu achten wäre auf Nähe und Unterschied zur Struktur des ›regressus‹, wie sie Zabarella erarbeitet hatte: Auch hier haben wir den Ausgangspunkt von der einfachen Erfahrung (i), dann den Schritt von dieser Erfahrung zu einer geordneten Erfahrung (ii), die zur ›eductio‹ von Axiomen führt (iii);die Gemeinsamkeit liegt im Erschließen axiomatischer Strukturen aus Erfahrungsdaten, die Differenz darin, dass es nicht das causa-effectus-Schema und auch nicht die Umkehrung von resolutio/regressus in compositio/demonstratio ist, die hier stattfindet, sowie die prinzipielle Offenheit des Prozesses: Die Erfahrung x, die Axiomata produziert, führt zur nächsten (rursus) Erfahrung y etc. Bacon selbst aber verwendet die Ausdrücke ›ascensus‹ und ›descensus‹ für den Gang vom Einzelnen (particularia) zum Allgemeinen (Axiomata) vgl. Aphorismen CIII–CIV, ebd., 160 f. 40 Leibniz, Nouveaux essais, Préface, AA VI/6, 49,9 ff.: »induction« und »exemples«, die eng miteinander verknüpft sind, haben ihre Ausgangsbasis im Sinnendatum (sens). Vgl. auch Juan Luis Vives, De disputatione liber unus (1555), Bd. I, 636. Bacon, Instauratio magna, Distributio operis, in: The Oxford Francis Bacon, vol. XI, 30: »Inductionem enim censemus eam esse demonstrandi formam, quae Sensum tuetur, & Naturam premit, & Operibus imminet ac ferè immiscetur. Itaque ordo quoque demonstrandi planè invertitur. Adhuc enim res ita geri consuevit; ut à sensu & particularibus primo loco ad maximè generalia advoletur […]. At secundum nos, Axiomata continenter, & gradatim excitantur, ut nonnisi postremo loco ad Generalissima veniatur«; Novum Organum, Aphorismus LXIX, ebd., 110: »Inductio mala est, quae per neumerationem simplicem Principia concludit Scientiarum, non adhibitis exclusionibus & solutionibus, sive separationibus Naturae debitis«; zentral Aphorismus CV, ebd., 162. Eine formale Voraussetzung der intensiveren Verwendung induktiver Verfahren ist das mittelalterliche Argumentieren (Beweisen) ex suppositione, vgl. Wallace (1991), dort c. 9. Dear (1995). Newton, Opticks (1717), 404 artikuliert perfekt den Zusammenhang von Autopsie (i), Experiment (ii) und Induktion (iii): »As in Mathematicks. so in Natural Philosophy, the Investigation of difficult Things by the Method of Analysis, ought ever to precede the Method of Composition. This Analysis consists in making Experiments (ii) and Observations (i), and in drawing general Conclusions from them by Induction (iii) […]. And although the arguing from Experiments and Observations by Induction be no Demonstration of general Conclusions; yet it is the best way of

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rein logischen Bedeutung der Induktion, sollte für die frühneuzeitliche Entwicklung aber auch die experimentelle Bedeutung, nämlich die des ›Hineinführens‹ und der praktischen Anwendung in Anschlag gebracht werden. In diesem Falle, in dem das Wissenssubjekt von einem anderen (leitenden) Wissenssubjekt gleichsam bei der Hand genommen und in die Materie differenziert eingeführt wird – als Verbindung von Autopsie/Anatomie und Experiment –, wird vom individuellen Datum ausgegangen und zu anderen individuellen Daten weitergegangen. Zugleich aber lässt sich, wenn das so Erfahrene reflektiert aus dem Syndrom von Autopsie, Experiment, Induktion herausgenommen und herausgehoben wird, beobachten, dass das Einzeldatum gerade seines singulären, individuellen Momentes entkleidet wird. Das beginnt schon mit den Wiederholungen des Experimentes und wird noch deutlicher im induktiven Schluss oder in dem exemplarischen (also für alles einstehen sollenden) Anspruch des induktiven Prozesses.41 Das Gemeinsame dieser drei Momente ist das Verwurzeltsein im empirischen, einzelnen, kontingenten Datum, das vom punktuellen, ›authentischen‹ Eindruck (Autopsie) über kontrollierte Wiederholbarkeit bis hin zu übergreifenden, wenn auch problematischen Allheitsaussagen führt.42 Alles dies ist grundsätzlich nichts Neues43, aber so, wie ich es hier skizziert habe, schon Produkt von Transformationsprozessen. Petrus Ramus, dessen Einfluss auf die Methodendiskussion im 16. und 17. Jahrhundert nicht groß genug eingeschätzt werden kann, insistiert immer wieder auf diesem Zusammenhang: »omnium artium inventio et observatio a sensibus oritur, et inductione singularium ascendit ad specialia, a specialium

_____________ arguing with the Nature of Things admits of, and may be looked upon as so much the stronger, by how much the Induction is more general. And if no Exception occur from Phaenomena, the Conclusion may be pronounced generally«. 41 Hierauf hat u. a. Claus Zittel bei seinen Analysen zu Struktur und Wirkung von Verbildlichungen wissenschaftlicher Verfahren und Resultate hingewiesen, vgl. Zittel (2007), 58 f. mit Verweis auf Vesalius. 42 Zudem ist darauf zu achten, dass es zwischen den drei Grundfaktoren frühneuzeitlicher Methodik, neben der gemeinsamen Verwurzelung im sinnlichen (Einzel-)Datum, auch mediale Interferenzen gibt: So werden autoptisch-experimentelle Prozesse verschriftlicht oder verbildlicht – als Bericht, als graphische Darstellung – so dass andere, die nicht Zeugen des Vorgangs waren, zu virtuellen Zeugen erhoben werden. 43 Zur Autopsie vgl. die Zitate aus Galen und den Hinweis auf Kelsos (oben Anm. 32); zu Experiment-Erfahrung vgl. Aristoteles, an. pr. 46a18 ff. (Gewinnung der Prinzipien der Einzelwissenschaften); zur Induktion vgl. Aristoteles, an. post. 81a40 ff. (»Ԛʍįȗȧȗս«). Auch Dear (1995), 2 f. hält fest, dass das bloße Insistieren auf »physics, mathematics and experiment« (3) nichts Neues bedeutete (»none of the three was a newcomer to academic discourse«), sondern dass das ›Neue‹ oder das, was die so genannte ›scientific revolution‹ ausmache, »were the characterizations that many philosophers, especially practitioners of the classical mathematical sciences (such as astronomy, mechanics, and optics), had begun to give of their mutual relationships«, siehe auch 15 f. am Beispiel der Induktion.

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inductione ad generalia«.44 Erst wenn die Voraussetzungen, unter denen schon die Autopsie, aber dann auch das Experiment und die Schlussfolgerungen stehen, sich ändern, wird, sozusagen durch den oder die Differenzquotienten, die Transformation deutlich.45 Für das skizzierte Syndrom – und ich halte es für ein die Neuzeit prägendes Syndrom – ist noch zweierlei bemerkenswert, das in verschiedener Intensität bei verschiedenen Autoren sich zum Ausdruck bringt: 1. der genuin hellenistische, aus der stoischen Wahrnehmungstheorie sich herleitende Ausgang von der Bedeutung des sinnlichen Perzeptionsaktes (gegen Aristoteles, an. post. I 31, 87b28 f.: »ȡ՘İպ İț`įԼIJȚսIJıȧȣ ԤIJijțȟ ԚʍտIJijįIJȚįț«; b34 f.; 88a2 f.), 2. die genuin christliche Aufwertung des Einzelseienden als nur für sich selbst einstehendes Dokument des Schöpfungsaktes und einer Schöpferintention. Da historische Prozesse nie einlinig, sondern immer komplex verlaufen, ist damit zu rechnen, dass diese Differenzmarker in der Mehrzahl stehen werden. Ich nenne nur die mir als die wichtigsten erscheinenden Faktoren, die alle, das sei gleich gesagt, in einem deutlichen sachlichen Zusammenhang stehen: 1) Wenn der Wahrheitsbegriff so erweitert wird, dass neben eine oder an die Stelle einer formalen, logischen, rein begrifflichen Wahrheit mit ihrem deduktivdemonstrativen Anspruch eine empirisch vermittelte, ›praktische‹ und ›experimentelle‹ Form des Wahren tritt (i), dann spielen folgende Faktoren eine zentrale Rolle: Einzelheit (Singularität), Faktizität, Kontingenz, Evidenz, Induktion. Es ist ein Differenzmarker frühneuzeitlicher Transformation antiken Denkens, dass jetzt auf der aus dem autoptischen Zugriff entspringenden Evidenz immer mehr insistiert wird. In dem Syndrom von Autopsie, Experiment, Induktion kann dann nicht mehr, wie man dem scholastischen naturtheoretischen Diskurs vorzuhalten beginnt, das Experiment nur als Verdeutlichung eines an sich gedanklich-theoretisch schon vollzogenen ›deduktiven‹ Zugriffs dienen, sondern muss – wie ich es auch schon in meiner Reihung nahegelegt hatte – als aus dem vorgreifenden Vollzug sinnlicher Evidenz gewonnen als deren Bestätigung verstanden werden. Die frühneuzeitliche Diskussion intensiviert so noch die stoische Katalepsislehre (die ja ebenfalls auf der unmittelbaren sinnlichen Erfassung des Sachgehaltes basierte) und korrigierte die phyrronische Skepsis durch die akademische Theorie auf sinn_____________ 44 Petrus Ramus, Animadversionum Aristotelicorum libri XX (1553–1560), Bd. IX, 48–50. Mit Blick auf das Œuvre des Ramus hat Cesare Vasoli jedoch richtig festgehalten, dass für Ramus selbst, »l’induzione ramista non è fondata – né lo sará mai – sull’osservazione o sulla classificazione di fenomeni ed eventi naturali; consiste semplicemente nel passagio dai ›casi concreti‹ e ›particolari‹ che sono offerti dalle varie forme del discorso alla formulazione di principi e criteri generali«, vgl. Vasoli (2007), 673. 45 Lutz Danneberg nennt diese Voraussetzungsstruktur »epistemische Situation«, vgl. Danneberg (2002), 24 ff.: Veränderungen lassen sich nur »im Verbund mit anderen Veränderungen« erkennen, als Faktoren führt er an: Erfahrung, Vernunft, Heilige Schrift und Autorität. Zur Induktion vgl. auch Randall Jr. (1961), 58 (zu Zabarellas Regressus-Methode).

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lich fundierter Evidenz basierender Wahrscheinlichkeit.46 Insbesondere führte das durch neue ›Medien‹, v. a. Fernrohr und Mikroskop (deren Entwicklung auch zu den veränderten Voraussetzung des frühneuzeitlichen Denkens gegenüber den Möglichkeiten der Antike gehört), intensivierte Bewusstsein, dass es eine unendliche Menge an erfahrbaren Daten gibt, die jedoch ›jenseits‹ des direkten Zugriffes unserer Sinne liegen (subvisbiles), zur Ausbildung neuer methodischer Verfahren, z. B. dem des Regresses, die gestatten sollten, induktiv von sinnlich zugänglichen Daten – qua Effekt – auf die nicht-sinnliche oder noch nicht sinnliche Ursache dieser Effekte zu schließen47, oder dem Verfahren imaginativer Projektion, in dem durch Bilder des empirisch gewonnenen status iste auf den status der transempirischen mikro- oder makroskopischen Weltstruktur geschlossen wird.48 2) Wenn der traditionelle ontische und epistemische Primat der Endlichkeit, Begrenztheit und Definiertheit durch den Faktor der Unendlichkeit ergänzt oder ersetzt wird (ii), dann spielen die Faktoren Mächtigkeit (potentia), Mathematisierung (Quantifizierung, Gradation, unendliche Teilbarkeit), Spontaneität (unerschöpfliche Selbstsetzung und Reflexion), Leben eine zentrale Rolle.49 Die Om_____________ 46 Für Pierre Gassendi zeigt dies sehr klar Detel (2002), besonders 272 f. 47 Zum Experiment in der Antike vgl. Lloyd (1991). Dennoch kritisiert etwa Francis Bacon den Erfahrungs- und Experimentbegriff des Aristoteles, weil dieser primär von logisch-formalen Vorentscheidungen ausgehe und die Natur nicht als sie selbst zum Erscheinen kommen lasse, vgl. Novum Organum, ed. Rees (Anm. 40) I, n. 63, 98 f., 100: »Ille (sc. Aristoteles) enim prius decreverat, neque experientiam ad constituenda Decreta & Axiomata ritè consuluit; sed postquam pro arbitrio suo decrevisset, experientiam ad sua placita tortam circumducit, & captivam«; n. 70, 110: »Sed demonstratio longe optima est Experientia: modo haereat in ipso experimento«; n. 98, 154 f. 48 Dies Verfahren rekonstruiert für Descartes zurzeit Claus Zittel, dessen Arbeit hierzu demnächst vorliegen wird. Ich danke Claus Zittel für die Möglichkeit, umfänglichere Teile seines Manuskriptes lesen zu dürfen sowie für daran anschließende Diskussionen am MPI in Florenz. Zugänglich ist jetzt hierzu Zittel (2005b). 49 In diesen Kontext gehört auch, ohne dass es hier näher ausgeführt werden kann, das Faktum, dass seit dem späteren 16. Jahrhundert zwar bekannter weise der Raum oder die Ausdehnung infinitisiert wird, und zwar sowohl extensiv (unendliche Ausdehnung des Weltalls) als auch intensiv (unendliche Teilbarkeit oder faktisches Geteiltsein: Galileis unendliche viele unteilbare Atome, Descartes’ und Hobbes’ ›Materie‹, die unendlich teilbar ist), aber dass, was weniger beachtet wird, auch das individuelle, singuläre Seiende (das ja durch Duns Scotus eine ontologische Dignität gewonnen hatte, die ihm vorher nicht zuerkannt worden war) ›infinitisiert‹ wird. Entweder (a) dadurch, dass es selbst eine unendliche Menge an Bestimmungen aufweist, die eben seine Einzigkeit ausmachen, oder (b) dass es, in Bezug auf seine Art gesehen, eine Instantiierung einer unendlichen Menge an Artrepräsentanten ist. Es wird erst das monadologische System sein, das Leibniz ab 1690 entwickeln wird, das diese ›Infinitisierung‹ rational einholen wird. Als früher Beleg für diese Infinitsetzung vgl. Ulisse Aldovrandi, Brief an Gabriele Paleotti, in: Barocchi, Bd. I, 928 f.: »[…] essendo veramente l’uomo un picciol mondo, nel quale il pittore ha d’avere infinite considerazioni (a?), essendo cosa veramente degna di grandissima meraviglia che, avendo Iddio per tanti secoli creato tante migliaia d’uomini, pur siano tutti di diversa effigie (b), il che non occorre così negli altri animali irrazionali e piante, perché gli indi-

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nipräsenz und Omnipotenz Gottes kann, wenn das Göttliche in eine Transzendenz gerückt wird, zu einer Marginalisierung der Welt führen, sie kann aber auch, wird es immanentisiert, zu einem Panpsychismus, Panvitalismus und Panentheismus führen. Wird die Welt als unendlich komplex verstanden, dann wird das Einzelne zu einem nur noch – sei es fatalistisch, sei es fideistisch gerechtfertigten – abhängigen Moment dieses übergreifenden, ›rücksichtslosen‹, weil dem Konzept radikaler ursächlicher Notwendigkeit folgenden Gesamtweltprozesses depotenziert (Spinoza). Wird das Einzelne hingegen selbst – als Bild, Spiegel Gottes – verunendlicht, so ist es zwar, wie bei den Monaden von Leibniz, einerseits unendlich aufgewertet, denn es ist, als ›parvus mundus‹, ein Sein, das alles Sein ist, andererseits radikal in sich eingeschlossen, da es noch die Kommunikation mit ›Anderen‹ als Moment seiner eigenen »notio completa« immer schon mit sich trägt50, und ebenso radikal der notwendigen Entfaltungsbedingung alles Seienden unterworfen (seine äußere ›Autonomie‹ ist keine auch schon ›innere‹). 3) Wenn eine durch Qualität und formale Bestimmtheit fundierte Ontologie und Naturtheorie durch ein an der Quantität und an Quantifizierbarkeit orientiertes Theoriemodell erweitert oder ersetzt wird (iii), dann spielen als Faktoren Enthierarchisierung (Nivellierung), Gradation (Modi, Modalisierung), Mathematisierung, Universalisierung, Enzyklopädisierung, der Begriff der ›Sammlung‹ (Kunstkammer) eine zentrale Rolle.51 Dies führt, etwa in der Ontologie Giordano Brunos, Tommaso Campanellas, Francis Bacons u. a. dazu, dass prinzipiell alles Seiende als durch Intensitätsgrade abgestuft bestimmte, einen skalaren Wert repräsentierende Größe gedacht oder besser: konstruiert werden kann. Es führt, wie man für Descartes zeigen kann, zum Verlust eines noch aus der antiken Tradition heraus verständlichen Form-Begriffs, der durch ephemere, arbiträre Gestalten von Teilchen ersetzt wird.52 Dies führt in den methodologischen Reflexionen zum Wissenserwerb und Wissensthesaurierung dazu, dass jedes Seiende, unangesehen seiner individuellen Besonderheit, als ein an sich gleichwertiges Moment enzyk_____________ vidui di ciascuno genere negli altri animali perfetti sono quasi tutti d’una medesima effigie e sembianza, e difficilmente l’uno da l’altro si può distinguere« (zitiert bei Cazort [1996], 20). Zum Problem vgl. Leinkauf (1994). 50 Zu einer möglichen Überwindung der radikalen Insichverschlossenheit (Fensterlosigkeit) der Monade durch die und in der Realisierung der ›Liebe‹ (caritas) vgl. Leinkauf (2004). 51 Hodges (1985), 3; Cazort (1996), 16–18. Zu der Vorstellung von ›Modi‹ (die natürlich auch die scholastische Konzeption der modi essendi mit weiterführt) in Verbindung mit dem Begriff der Unendlichkeit und der vom göttlichen Wahlakt abhängenden Singularität, vgl. etwa Descartes, Principia III, 46: »At quam magnae sint istae partes materiae, quam celeriter moveantur, & quales circulos describant, non possumus sola ratione determinare: quia potuerunt ista innumeris modis diversis à Deo temperari, & quenmnam prae caeteris elegerit, sola experientia docere debit«. 52 Descartes, Brief an Morin, 13.7.1638, AT II, 200; Metéores, AT VI, 239; Le Monde cc. 5–9. Norma Emerton (1984), 135.

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lopädischen Wissens in die Raster dieses Wissens eingetragen werden kann (dichotomische Diagramme, Matrizen, sequentiell-lemmatische Ordnungen). 4) Wenn die Dominanz des aristotelisch-scholastischen Substanzbegriffs durch eine funktionale Interpretation abgelöst wird (iv), dann kommen, wie man etwa an der Entwicklung der Medizin und damit verbunden der Anatomie-Lehrbücher sehen kann, andere Erklärungsmuster ins Spiel, die etwa die Konzentration auf muskuläre, durch Sehnen und Gelenke verstärkte Prozesse ablöst hin auf Analysen der inneren Organe, ihrer Durchblutung, des gesamten Blutkreislaufs und Ernährungsprozesses unter dem Leitgedanken der Funktionalität etc.53 Grundlage bildet dabei u. a., wie etwa bei Bacon, die Transformation des Formbegriffs in den Gesetzes-Begriff54, wodurch die singuläre Form nicht mehr nur, als kontigentes So-und-nicht-anders-Sein für sich selbst einsteht, sondern zum Ausdruck eines allgemeinen, sich durch sie realisierenden, gesetzmäßigen Geschehens wird.55 Wie man sehen kann, sind die einzelnen Faktoren sozusagen ›mehrwertig‹ (einige kommen auch in der Antike schon vor), sie spielen auf verschiedenen Feldern der Transformation eine Rolle, einige von ihnen bilden meines Erachtens sogar einen begrifflichen Kern, mit dem wir das beschreiben, was wir als Neuzeit oder Moderne etikettieren. Dazu gehört auch, dass sich die skizzierte Bündelung von Autopsie, Experiment, Induktion in ihrem Bezug auf das Einzelding in der Ausbildung des Begriffsfeldes des ›Faktischen‹ (Faktum, Tatsache, Matter of Fact, fatto, fait) niederschlagen wird, das bis heute, in Verbindung auch mit einer neuen Bedeutung von Zeugenschaft (testis, testimonia, testimony), von ungebrochener Bedeutung geblieben ist und dass wir vielleicht ›tatsächlich‹ als ein mögliches _____________ 53 Deutlich durch den Unterschied markiert, der Andreas Versalius’ De humani corporis fabrica von 1543 trennt von William Harveys De motu corporis (1628), und der innereuropäischen Verschiebung des Schwerpunktes medizinisch-anatomischer Studien von Italien (Padua) nach den Niederlanden (Leiden, Amsterdam). 54 Bacon, Novum Organon, Aphorismus LXXV, in: The Oxford Francis Bacon, vol. XI, 118 f.: »quod Formae sive verae rerum Differentiae (quae revera sunt leges Actus puri) inventu impossibiles sint, & ultra hominem«; Part 2, Aphorismus II, ebd., 202: »Licet enim in Natura nihil vere existat praeter Corpora individua, edentia actus puros individuos ex lege […] eam autem legem, eiusque Paragraphos, Formarum nomine intelligimus«, Aphorismus III, ebd.: »At qui Formas novit, is Naturae unitatem in Materiis dissimilimis complectitur«. Novum Organon (Works ed. Spedding et al.), London 1857 ff., IV, 146; I, 257 f.: »Wenn ich von Form spreche, dann meine ich nichts anderes als diejenigen Gesetze und Bestimmungen hinsichtlich des reinen Aktes, die jede einfach Natur bestimmen und begründen (ordinant et constituunt), wie z. B. Hitze, Licht, Gewicht in jeder Art von Materie und Subjekt, das in der Lage ist, sie aufzunehmen. So ist die Form der Hitze und die Form des Lichtes dasselbe Ding wie das Gesetz der Hitze oder das Gesetz des Lichtes«. Form ist die innere Wirkursache einer Sache. 55 Dies haben schon die Forschungen Ernst Cassirers eindrucksvoll belegt, vgl. Cassirer (1999), 306–314.

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Signum der Moderne verstehen dürfen.56 Ebenso bildet die exponentiell zunehmende Präsenz des Buch-und Druckmediums eine zentrale Rolle, in welchem das singuläre Datum oder der einzelne natürliche Prozess als Datenfolge mit einer Versprachlichungs- und Verbildlichungsintensität konfrontiert wird, wie sie in der Antike eben nicht möglich gewesen ist.57

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_____________ 56 Shapiro (1994). 57 Galens These, dass es ein auszeichnendes Hauptcharakteristikum der Sprache sei, dass sie »klar« oder »deutlich« sei – in einem Text, der gerade in der Frühen Neuzeit viel gelesen worden ist, vgl. ȇıȢվ ĴȤIJțȜ‫׭‬ȟ İȤȟչȞıȧȟ (De naturalibus facultatibus), I, 1 ed. Kühn [1821] 1893, Bd. II, 1: »Ԑȝȝ`ԭȞı‫ה‬ȣ ȗı ȞıȗտIJijșȟ ȝջȠıȧȣ ԐȢıijռȟ IJįĴսȟıțįȟ ıՂȟįț ʍıʍıțIJȞջȟıȡț […]« (aber wir sind davon überzeugt, dass der größte Wert der Sprache in ihrer Klarheit bestehe […]) – konnte die Denker und Forscher der Frühen Neuzeit, die auf den Vorarbeiten der Sprachkritik und Sprachzentriertheit des Humanismus aufbauten, nur als Herausforderung verstehen, ihre autoptischen Erfahrungen (z. B. Sternen-, Planetenbeobachtungen) und experimentellen Prozeduren möglichst angemessen in Sprache umzusetzen. Bacon hat unter die von ihm aufgezählten Differenzmarker, d. h. unter die ›novitates‹ bzw. ›inventa‹, die der Antike unbekannt waren, ausdrücklich die »ars imprimendi« aufgenommen, vgl. Novum Organum, Aphorismus CXXIX, in: The Oxford Francis Bacon, vol. XI, 194: »[…] quae Antiquis incognitae, & quarum primordia, licet recentia, obscura & ingloria sunt: Artis nimirum Imprimendi, Pulveris Tormentarij, & Acûs Nauticae. Haec enim tria, rerum faciem & statum in Orbe terrarum mutaverunt«. Zur Bedeutung des Mediums ›Buch‹ vgl. Eisenstein (1982); Enenkel/Neuber (2005).

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The Transformation of Ancient Mechanics into a Mechanistic World View PETER DAMEROW / JÜRGEN RENN

Mechanics and the science of motion played an outstanding role in the emergence and development of the sciences. This is true in particular for the early modern period, that is, roughly the time between 1500 and 1700 C.E., often emphatically designated as the period of the so-called Scientific Revolution. The dramatic uprise of mechanics in this period paradigmatically demonstrated the intellectual potential and the possible social and political consequences of bringing knowledge about nature and technology into a scientific form. In this respect mechanics played a pilot role also for other sciences. It originated in classical antiquity and was thus one of the first exact sciences, but remained long dominated by the explanatory power of Aristotelian natural philosophy. In more recent history of science, on the other hand, ›classical‹ mechanics advanced to a core discipline providing the conceptual framework for other sciences until modern physics revolutionized this framework once again. The early modern period in between is a period of conceptual transformation and social reorganization of mechanical knowledge that can be characterized as ›preclassical mechanics‹.1 Why and how did the character of mechanics change so dramatically in this period? The transformation of mechanics between 1500 and 1700 is not, as has often been claimed, simply the result of an emancipation of science from the ties of obscure medieval doctrines. It is rather a process which transforms an ancient heritage of knowledge into a new and enriched form, a process triggered by challenging objects as provided by contemporary technological and social innovations. The outcome of this process, classical mechanics, was the result of a reorganization of the knowledge accumulated in preclassical mechanics, which ensured its endurance for centuries to come, but necessarily brought the protagonists of the new sciences into conflict with the prevailing doctrines of the Church.

_____________ 1

See Damerow/Freudenthal/McLaughlin/Renn (2004).

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The roots of mechanical knowledge Knowledge is encoded experience represented internally by memory and externally by speech and script. In human culture, external representation of knowledge is the basis of its transmission over generations. External representation of knowledge entails the formation of stable structures of shared knowledge, transmitted within certain social settings and organized in terms of chunks such as mental models.2 Such structures constitute various kinds of knowledge systems, ranging from clusters of intuitively processed experiences to sophisticated, highly organized and internally consistent, scientific theories. These systems emerge and develop in historical processes, thus providing historically specific means of knowledge production and knowledge transformation.3 Mechanical knowledge in particular is encoded experience concerning the motions of material bodies and artifacts, and the forces and interactions causing them. It predates considerably any systematic theoretical treatment of mechanics. The most basic knowledge presupposed by mechanics is based on experiences acquired almost universally in any culture by human activities such as moving the body or handling objects under the normal conditions which are characteristic of our natural environment on earth. The mechanical experiences that are made under these conditions include the perception of material bodies and their relative permanence, their impenetrability, their mechanical qualities, and their physical behavior. Such intuitive mechanical knowledge has a constitutive function for any explicit mechanical knowledge. It not only forms the basis of practical human activities but also of the arguments of scientific theories of mechanics.

Fig. 1: Relief or the guild of the stonecutters and carpenters by Nanni di Banco (1348–1421) at the outer wall of Or’ San Michele in Florence.4

_____________ 2 3 4

See Gentner/Stevens (1983). Renn/Damerow (2007), 311–331. Photo by Peter Damerow.

The Transformation of Ancient Mechanics

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A second kind of mechanical knowledge that predates any systematic theoretical treatment of mechanics is the knowledge gained by the use of mechanical tools. In contrast to intuitive mechanical knowledge, this type of ›practitioners’ knowledge‹ is no longer universally shared by every human being. It is closely linked to the production and use of tools by professionalized groups of people and consequently develops in history. This professional knowledge of practitioners is historically transmitted by the immediate participation in practices such as the processes of labor and production in which such tools are applied, and by the oral explanation that accompanies their application. It is instrumental knowledge that leads to an understanding of objects in terms of their behavior when treated with these tools. Theoretical mechanics itself, in contrast to the mechanical knowledge of practitioners, results from investigating the inherent potentials of human activities such as manipulating objects and moving them around in space and of the tools such as the lever involved in these activities, independent of any actual application. Among the sciences, mechanics is one of the first subjects to have achieved a theoretical level. Mechanical knowledge became incorporated in philosophical inquiries or was written down encoded in formally structured treatises such as collections of problems and solutions, deductive tractates, or scholastic curricula.5 The emergence of theoretical mechanics in this sense involved the creation of technical terminologies related to mechanical phenomena, the identification of generalizable experiences, the representation of such experiences in written form as propositions specifically dedicated to mechanical knowledge, and the ordering and integration of propositions representing mechanical experiences into mental models and theories which allowed for inferences within a structured body of mechanical knowledge.

Aristotelian theory of motion Any theoretical explication of mechanical knowledge in the early modern period was based on or at least heavily influenced by Aristotelian philosophy, in particular by the theory of local motion contained in Aristotle’s Physics and in his De caelo,6 dealing with the motion of bodies, how it happens and what causes it. What made this theory so convincing was the fact that it was essentially an explication and theoretical elaboration of basic experiences that constitute intuitive _____________ 5 6

See, e.g., Heath (1949); Maier (1949–1968); Clagett (1959); id. (Ed.) (1964–1984); Drake/Drabkin (1969). See Aristoteles, On the Heavens, transl. by Guthrie; id., The Physics, transl. by Wicksteed/ Cornford. See in particular, phys., Book IV (208a–224a), Book V (224a–231a), Book VII (241b–250b), and Book VIII (250b–267b). On the Heavens, Book I (268a–278a), Book III (298a–307b), and Book IV (307b–213b).

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mechanics.7 Solid bodies usually need a force to be moved. This force depends on the motion to be produced; stronger forces can move greater bodies and cause a more vivid motion. There are, however, two exceptions. First, any heavy body tends to go downwards and begins to move spontaneously towards the center of the earth if nothing prevents it from doing so. Second, the celestial bodies seem to move eternally around the earth without anything recognizable that moves them. But also bodies which move only because they are forced to will continue to move for some time even after the force is no longer exerted on them before they come to rest again. Furthermore, a moving body can itself exert a force on objects which resist its motion. The elaboration of this intuitive mechanics in the Aristotelian science of motion introduced specifications and refinements such as a canonical system of technical terms, precise definitions and explanations for specific phenomena which reveal them to be implications of the basic assumptions of this science.8 Any local motion is classified as being either forced, natural, or celestial motion. The motion of a body is conceived as comprising aspects, its velocity and a ›degree of velocity‹, at any moment. Whereas the degree characterizes an intensity of the motion variable at any moment, the velocity characterizes its overall result.9 In particular, the velocity of one body is greater than that of another if it traverses a greater space in the same time or traverses the same space in a shorter time.10 In the case of natural motion, the way in which a material body is composed of the four elements earth, water, air, and fire determines whether it is heavy, tending downwards, or light, tending upwards.11 In natural downward motion the velocity of a freely falling, heavy body is proportional to its weight. In the case of forced motion, the weight of a body determines its resistance against a moving force. A body can be set into forced motion only if the moving force exceeds its weight. If the moving force moves the body, the resulting velocity is proportional to the moving force and inversely proportional to the weight of the body.12 Forced motion is conceived of as always being induced by a mover which is in imme_____________ 7 8 9

See Piaget/Garcia (1989). See Crombie (1979); Grant (1977); Clagett (1959); id. (Ed.) (1964–1984). This refinement of the concept of local motion was formally introduced by Nicole Oresme and by the so-called calculators of the Merton College in Oxford. See Clagett (Ed.) (1968); Sylla (1991); Lewis (1980); Lindberg (Ed.) (1978); Damerow/Freudenthal/McLaughlin/Renn (2004), in particular chap. 1.2: »The Medieval Tradition«; Galluzzi (1979). 10 This definition goes back to Aristotle, see: Aristotle, phys., Book VII, 249b–250a and On the Heavens, 301b. 11 See Aristotle, On the Heavens, 270b, 277a–b, 304b, 308a–312a. 12 See Aristotle, phys., Book VII, 249b–250a. This assumption of the Aristotelian tradition was incompatible with any concept of inertia corresponding to that of classical physics. Aristotle even used the idea of inertia as a plausible consequence of motion in a void as a seemingly obvious argument against any possibility of the existence of the void. See Aristotle, phys., Book IV, 215a.

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diate contact with the moved body.13 If a body is set in motion and continues to move in spite of being separated from its original mover, an impressed force called ›impetus‹ and often identified with the degree of motion is assumed to act as an internal mover until it is finally exhausted.14 This last assumption, later often considered as an anti-Aristotelian asset, remained a basic assumption of mechanics up to the time of Isaac Newton (1642–1727) at the end of the 17th century.15 Taken together, these explicit theoretical assertions essentially constitute the theory of motion in the early modern period, inherited from 2000 years of Aristotelian tradition.

Ancient and medieval mechanics and its revival Aristotelian natural philosophy with its theory of motion was not the only resource early modern science inherited from the ancient culture. Classical Greece was not only exceptional because it developed influential philosophical ideas and methods of processing them, such as theoretical derivation and dialogical validation, but also because such ideas and methods were used to reflect the knowledge of practitioners. A high level of mechanical technology thus fostered the emergence of a special type of theoretical treatment of technological knowledge, that is, theoretical mechanics.16 Aristotelian natural philosophy was intended to relate effects to causes, and specifically, forced motions to the forces that caused them. Theoretical reflection of knowledge gained from the invention and use of technology faced a difficulty in that mechanical devices apparently could suspend the rule that related cause to effect. Theoretical mechanics thus started with the question of how it could be possible to reduce the force required for a certain effect by using technical devices. This was the precise focus of the earliest treatise on mechanics, the Problemata mechanica, formerly ascribed to Aristotle but attributed in the 19th century to one of his anonymous disciples. The answer to the question raised in the Problemata mechanica was closely connected to the ›law of the lever‹, which was established at about the same time and became the main theoretical principle used to explain the relation between force and effect of almost every mechanical device. Archimedes provided a proof of the law and introduced the concept of the ›center of gravity‹, thus extending its range of application to extended bodies with irregular shapes. Hero of Alexandria (fl. 62 C.E.) in his Mechanica conceptually decomposed mechanical devices re_____________ 13 14 15 16

See Aristotle, phys., Book VII, 241b and 243a–244b. See Wolff (1978). See Westfall (1971). See: Forbes (1964–1972); Humphrey/Oleson/Sherwood (1998); Drachmann (1963); White (1984); Glotz (1996).

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ducing them to basic machine elements, the effect of which he again explained predominantly by applying the law of the lever. He thus made it possible to analyze any complex machinery in terms of these elements, inaugurating a long-lived tradition of mechanics based on his classification of ›simple machines‹. These main achievements in ancient theoretical mechanics were transmitted, paraphrased and extended by Greek and Roman authors, and later, as a result of the Greek-Arabic translation movement at the end of the first millennium C.E., also by Arabic scholars. In this tradition of mechanical treatises focusing on the law of the lever and its applications, the body of mechanical knowledge was predominantly transmitted in the form of propositions representing generalized experiences and proofs which embedded such propositions in the framework of deductive theories.17 In the first half of the second millennium C.E. by the Arabic-Latin translation movement and later by the ensuing work of Jordanus de Nemore (fl. ca. 1220) and his followers, the transmitted body of mechanical knowledge was again dispersed, now among the medieval scholarly community.18 Finally, the revival of the Greek and Roman culture in the ›Renaissance‹ period and the invention of printing made this body of knowledge readily available to early modern engineers and scholars. The basic source to serve as a starting point for preclassical, theoretical mechanics in the 16th and 17th centuries was Aristotle’s Problemata mechanica. A printed edition of the Greek text was first published in 149719 and later reprinted several times. In 1517, a Latin translation was prepared and circulated in manuscript form,20 followed by a printed Latin translation in 1525.21 Further translations and commentaries were published in the sequel,22 so that in the second half of the 16th century virtually every scholar concerned with mechanics was familiar with this text.23

_____________ 17 18 19 20 21 22

See: Moody/Clagett (Ed.) (1960). Abattouy/Renn/Weinig (Ed.) (2001), no. 1/2. Printed in Aldus Manutius, ed. Opera Graece (1495–1498). Manuscript, Latin translation by Vittore Fausto (1517). Latin translation and commentary: Tomeo, ed. Opuscula Nuper in Lucem Aedita (1525). A Spanish version was published in 1545 by Diego Hurtado de Mendoza, other editions and commentaries are due to Niccolò Tartaglia (Italian 1546/1554), Alessandro Piccolomini (Latin 1547, Italian 1582), Francesco Maurolico (Latin 1569/1613), Antonio Guarino (Italian 1573), Giovanni Battista Benedetti (Latin 1585/1586/1599), and to Bernardino Baldi (Latin 1621, German 1629). For an overview and detailed references, see Rose/Drake (1971), 65–104. 23 Galileo, for instance, publicly lectured on the text at the University of Padua, see Le Opere di Galileo Galilei, XIX, 120.

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Fig. 2: Title page of Alexander Piccolomini’s commentary on Aristotle’s Mechanical Problems.

While this ancient text provided a conceptual framework for early-modern mechanics suggesting an interpretation of the force-gaining effect of mechanical devices by using the lever as a mental model, it did not equally determine the canon of subject matters dealt with in the mechanical treatises of the time. The contents of 16th- and 17th-century treatments of mechanics were rather selected and organized according to Hero’s classification of mechanical devices. This classification was transmitted to 16th-century Europe because it survived in the work of Pappus of Alexandria (fl. 300–350 C.E.) who dealt extensively with this classification, quoting Hero in the eighth book of his Collectiones.24 _____________ 24 Since manuscripts of the writings of Pappus on mechanics had survived, scholars such as Niccolò Tartaglia (ca. 1499–1557), Federico Commandino (1509–1575), Bernardino Baldi (1553– 1617), Francesco Maurolico (1494–1575), and Guidobaldo del Monte (1545–1607) had access to his works. Finally, Commandino’s Latin translation of the works of Pappus was printed and

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When Guidobaldo del Monte (1545–1607) composed his treatise Mechanicorum liber,25 which became the most influential book on mechanics in the 16th and beginning of the 17th century, he followed precisely the ancient model transmitted in this way, dealing subsequently with the balance, the lever, the pulley, the wheel and axle, the wedge, and the screw. The treatise on mechanics which Galileo Galilei (1564–1642) used in his teaching26 and which was published later in French translation by Marin Mersenne (1588–1648),27 dealt with the very same devices, albeit in a slightly modified order. The reason for this persistence of the ancient classification of machines in the early modern period becomes obvious if one takes into account the nature of contemporary technology. The ancient classification of simple machines remained suitable as a basis for theoretical mechanics even in the early modern period. As we will see in the sequel, it was primarily the challenging complexity and the greater variety of applications of mechanical knowledge in the large-scale projects of Renaissance urban centers that distinguished machine technology at that time from its ancient precursors.

Challenging objects What were the changes taking place at the wake of the early modern period? From the origins of theoretical mechanics in ancient times up to the emergence of classical physics at the end of the seventeenth century Aristotelian dynamics and practitioners’ knowledge about the simple machines were at the focus and the common basis of all efforts in the field of theoretical mechanics. At the end of the Middle Ages, however, a remarkable change initiated new developments which eventually resulted in the transformation of this body of knowledge into classical mechanics. It is an inherent characteristic of early modern science that a variety of mechanical phenomena and arrangements such as the trajectory of projectiles, the stability of constructions, the oscillation of a swinging body, or the curve of a hanging chain aroused the interest of scientists. Even though they did not always enter their publications, the extended scientific correspondence of scientists of the 16th and 17th centuries shows that at that time they became a perpetual content of their investigations. Only some of the potential objects of science that aroused the interest of scientists in the 16th century, however, were suited to be more or less successful_____________ widely distributed in several editions (first edition 1588). For an overview, see Rose/Drake (1971), 65–104. 25 See Guidobaldo del Monte, Mechanicorum Liber (1577). Italian translation: Le Mechaniche (1581). 26 Galilei, Le Opere di Galileo Galilei, II, 147–191. 27 Galilei, »Les Mechaniques Die Galilée«, in: Questions Physico-Mathematiques (1635).

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ly tackled in terms of preclassical mechanics or Aristotelian physics, while it must have been unclear to contemporaries exactly which ones these could be. Objects such as the pendulum or the hanging chain, for instance, did not belong to the canon of objects studied by traditional mechanics and must have discouraged any attempts to analyze them on the basis of antique and medieval mechanics. Nevertheless, in the 16th and 17th centuries precisely such objects became a prominent field of study, albeit not of traditional academics, but of a new type of engineerscientists. One of these new engineer-scientists was Galileo. His move from the narrow academic context of the university of Pisa to Padua in the Venetian republic, at that time the center of large-scale ship-building technology, was closely connected with a reorientation of his work from predominantly traditional scholarly work to running his own workshop, teaching on technical matters, and participating in large-scale technological undertakings.28 Thus, we find him in the time thereafter struggling with the intricacy of various challenging objects, which had not been tackled by ancient and medieval scholars, among them oscillating processes such as the swinging of the pendulum which he intended to use for constructing a clock.29 Galileo observed early in his life the ›isochronism of the pendulum‹, that is the fact that the period of a swinging pendulum depends neither on the swinging weight, nor on its initial elongation, but solely on the length of the pendulum. Later he found the ›law of the pendulum‹ that is, he observed that the square of the period is proportional to the length of the pendulum. In both cases, the mechanics involved is much more complex than Galileo expected. In fact, both seemingly established observations are only approximately true.30 Thus, Galileo’s desperate attempts to integrate these findings with his existing knowledge on moving bodies and, in particular, to find a proof for these alleged laws were doomed to failure. Moreover, the puzzling similarities of the isochronism of the pendulum and the ›isochronism of the chords‹, that is, the observation that the descent along inclined planes, which are cords in a circle ending at the lowest point of the circle, takes the same time, on the one hand, and of the law of the pendulum and the law of fall, on the other hand, led him astray.31 In both cases the similarity is coincidental and therefore did not help to find any similar proof. Only in the second half _____________ 28 Renn (Ed.) (2001); Montesinos/Solís (Ed.) (2001); Finocchiaro (1980). 29 See Renn/Damerow/Rieger (2000), 299–419. 30 The position of a swinging pendulum is only approximately given for small angle oscillations by a trigonometric function which implies the law discovered by Galileo. The full solution for arbitrarily large displacements requires the use of elliptic integrals. 31 See Renn/Damerow/Rieger (2000), in particular Galileo’s letter of November 29, 1602 to Guidobaldo del Monte, 133 ff.

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Fig. 3: Manuscript page of Galileo’s notes on motion with an interpretation of the shape of a hanging chain as being equal to the trajectory of a projectile and the sketch of a proof of this alleged identity.32

of the 17th century did Christiaan Huygens (1629–1695) find a proof that Galileo’s findings are only approximately true, and it was only in the 18th century that the development of infinitesimal calculus made it possible to establish in the framework of analytical mechanics a theory that solved satisfactorily the riddles posed by the swinging pendulum.33 Another challenging object Galileo studied was the trajectory of projectiles. He hoped to improve the precision of artillery by deriving practical rules for gunners from a precise knowledge of the shape of the trajectory and its dependence on the angle of elevation of a shot. In this case he was somewhat luckier than in the case of the pendulum. For simplified conditions (absence of resistance, constant and homogenous vertical gravitational force), the solution of the problem was a curve well known to Galileo because of its prominence in the ancient mathematical heritage, the parabola. For the special case of horizontal projection, he was thus able to derive this curve from a simple assumption on accelerated _____________ 32 Galileo, Ms. Gal. 72, folio 43r. 33 The solution of the differential equation of the motion of a swinging pendulum leads to an elliptic integral. The study of elliptic integrals started at the end of the 18th century. The theory of elliptic integrals was essentially developed in the first half of the 19th century. The exact position of a swinging pendulum is represented by a Jacobi elliptic function, named after Carl Gustav Jakob Jacobi (1804–1851), who published a classic treatise on elliptic functions: Jacobi, Fundamenta Nova Theoria Functionum Ellipticarum (1829).

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motion (the law of fall) and the assumption that motion along the horizontal was neither natural nor violent in the Aristotelian sense. However, in the practically more relevant case of oblique projection, such a simple derivation was impossible since Galileo was lacking a general principle of inertia. The way in which he instead tried to justify that also in the case of oblique projection the trajectory is a parabola was rooted in Aristotelian dynamics. As the result of a composition of natural and violent motion he saw that in the same way also the shape of a hanging chain results from such a composition. The alleged identity of the shape of the trajectory and that of the hanging chain, however, pointed him in a direction where as in the case discussed previously the mathematical means available to him made it impossible to arrive at a satisfactory solution. The curve of a hanging chain, the catenary, again represents a function whose properties only became accessible to the analytical methods of the 18th century.34 A third example of a challenging object, whose properties Galileo tried to explain mechanically, is related to the transformation of planetary motion into an issue of increasing practical significance. The expected practical benefits, the calculation of precise tables predicting planetary positions required by astrology – held in high esteem at that time – and in particular the growing needs of intercontinental navigation, were the main incentives that originally aroused the interest of scholars in this issue. This was later overshadowed by the intricacies of the problem of finding a mechanical explanation of planetary motion. The increasing practical significance of mathematical astronomy in this period turned it into an outstanding challenging object, triggering the accumulation of refined observations, such as those of Tycho Brahe (1546–1601), as well as attempts at developing adequate accounts in terms of new models for the phenomena described by planetary astronomy, such as those of Nicholas Copernicus (1473–1543) and Johannes Kepler (1571–1630). When Galileo became interested in this problem, it was natural for him to apply the mechanical knowledge he gained in experiments with projectile motion to the motion of the planets, not taking into account the Aristotelian treatment of celestial motion as being distinct from the two types of terrestrial motions, i.e. natural and violent. Galileo, following a Platonic argument, assumed hypothetically that on the day of creation, the ›Divine mind‹ had decided to create all the planets »in the same place, and there assigned tendencies of motion, descending towards the center until they had acquired those degrees of velocity which originally seemed good to the Divine mind«. He assumed further that, once the planets

_____________ 34 See, in particular, the contributions of Jakob Bernoulli (1654–1705) and Johann Bernoulli (1667–1748), discussed in Gillispie (1981), vol. 2, 46–55.

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had reached those »degrees of velocity«, the planets were redirected into their orbits around the sun.35 This attempt at determining the relation between orbital sizes and periods of the planets using this crude cosmogonic hypothesis did not make much more sense than Kepler’s attempt to explain the distances of the planets from the sun by their alleged correspondence to a sequence of Platonic solids inscribed into concentric spheres.36 Galileo had no chance of giving a causal explanation of the planetary orbits as long as he did not know the law of gravitation, that is the inverse proportionality between gravitating force and the square of the distance from the center of gravitation, eventually established by Isaac Newton in his Principia Mathematica.37 The motion of a pendulum, of a projectile, and of the planets are typical examples of the challenges distinguishing the early modern period from ancient and medieval times. They did not leave untouched the inherited body of mechanical knowledge. The classical mechanics usually associated with Newton’s name was the result of the transformation of the ancient and medieval heritage by the confrontation with the challenging objects, constituting a first characteristic of preclassical mechanics in the early modern period. The reaction to these challenges necessarily had to integrate heterogeneous bodies of knowledge so that for a long time to come the original coherence of the Aristotelian doctrine degenerated into a patchwork of mental models drawing on the ancient and medieval heritage. This is the second characteristic of preclassical mechanics.

The role of the engineer-scientists Challenging objects were only able to initiate the transformation of mechanical knowledge because a new social group emerging in the early modern period was – practically as well as theoretically – concerned with these challenges, the engineer-scientists. What was the social context of their emergence and what precisely was their role? The professional mechanical knowledge of craftsmen and engineers was predominantly transmitted orally and by immediate participation in activities from _____________ 35 See Galileo’s presentations of his model in his published works, the Dialogo: Galilei, Dialogue Concerning the Two Chief World Systems, 29, and the Discorsi: Galilei, Two New Sciences, 233. 36 In his published works, Galileo claimed that the results of calculations based on his model match the astronomical data well. That this is actually not the case must, however, have been clear to him from his own calculations which he did not publish but which have been preserved in his manuscripts. See the discussion in Büttner (2001), 391–402. For Kepler’s attempt, see Kepler, Mysterium Cosmographicum. 37 See Westfall (1993); Hall (1995); Buchwald/Cohen (Ed.) (2001); Dalitz/Nauenberg (Ed.) (1999); Guicciardini (1999).

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which it was achieved and to which it was applied. Since antiquity, however, there had also been a tradition of technological literature dealing with the mechanical knowledge of practitioners, that is, a kind of technological ›manual‹ containing descriptions of a variety of mechanical devices and of the technological context of their application.38 Examples are provided by the writings of Hero himself, by those of Philo of Byzantium (fl. ca. 250 B.C.E.), by descriptions of methods and devices used for designing architecture given by Vitruvius (died ca. 25 B.C.E.), by the descriptions of mining techniques of Georgius Agricola (1494–1555), and, in particular, by the various manuscripts and books on machines which were produced in increasing number from the 15th century onwards, e.g. the manuscripts and early printings of Leonardo da Vinci (1452–1519), Leon Battista Alberti (1404–1472), Mariano di Jacopo Taccola (1381–ca.1458), the Sangallos (Antonio da Sangallo the elder, 1455–1534; Antonio da Sangallo the younger, 1483–1546; Giuliano da Sangallo, ca. 1445–1516), Agostino Ramelli (1531– after 1608), and Vittorio Zonca (ca. 1568–1602). The descriptions of machine technology contained in such documentations of technological practices point to a substantial continuity between ancient and early modern mechanical technology. They show that in the early modern period neither the primary forces (human or animal power, water, wind etc.) nor the mechanical devices used for transmitting these forces according to the requirements of human purposes (pulleys, levers, screws, etc.) differed in principle from those in ancient times. The emergence of a new social group of engineer-scientists in the early modern period indicates, however, also a discontinuity in the technological development that had taken place since the Renaissance in European urban centers such as Siena, Florence, Venice, Rome, London, Antwerp, and Leiden. The large-scale projects of the early modern period, such as the construction of the Florentine dome, are in turn inconceivable without a group of specialized artisans, technicians, and engineers who combined administrative with technological competence. Due also to the limited availability of labor-force and other resources, these artisan-engineers were continuously confronted with technical as well as logistic challenges. In reaction to these challenges they were forced to explore the inherent potential of traditional technical knowledge in order to create new technical means, as for example the set of machines developed by Filippo Brunelleschi (1377–1446) in order to build the Florentine cupola without employing expensive, unaffordable scaffolding. The engineers in early modern times were thus not only carriers of a traditional canon of knowledge, as was largely the case with the ancient administrators of large-scale projects, but were also involved in a cumulative, self-accelerating process of innovation.

_____________ 38 For an overview, see Popplow/Renn (2002), 258–274; English edition forthcoming.

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Fig. 4: Erection of the Vatican obelisk by the Renaissance architect Domenico Fontana in 1590.39

In the 16th century this development led to the formation of a new category of intellectuals who were no longer necessarily and, in any case, not completely involved in technical practice in the same way as the engineers themselves, but who rather specialized in reflecting on the new type of knowledge produced by _____________ 39 Taken from: Domenico Fontana, Della trasportatione dell’ Obelisco Vaticano, 1590.

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this practice and, of course, in the attempt to make that reflection useful again for practical purposes. This group included practical mathematicians and scientistengineers such as Girolamo Cardano (born 1501 in Pavia, died 1576 in Rome), Niccolo Tartaglia (born 1499 or 1500 in Brescia, died 1557 in Venice), Guidobaldo del Monte (born 1545 in Pesaro, died 1607 in Montebaroccio), Giovanni Battista Benedetti (born 1530 in Venice, died 1590 in Turin), Tycho Brahe (born 1546 in Skane, died 1601 in Prague), Thomas Harriot (born 1560 in Oxford, died 1621 in London) Johannes Kepler (born 1571 in Weil der Stadt, died 1630 in Regensburg), Matteo Ricci (born 1552 in Macerata, died 1610 in Peking), Simon Stevin (born 1548 in Bruges, died 1620 in The Hague). While their reproduction as a technical elite gradually gained support from a new kind of institutionalized learning, such as the Florentine Accademia del Disegno, their social status remained precarious throughout early modern times, making them dependent on the unreliable patronage of the courts and necessitating an equally unreliable overstatement of the practical relevance of their theoretical projects.40 It is exactly this group which formulated projects such as those typical for Galileo’s research, for example, the new science of ballistics of Niccolò Tartaglia or the new science of motion in media of Giovanni Battista Benedetti. From what has been pointed out above concerning the inherent complexity of the new objects of knowledge it follows that in fact all of the engineer-scientists shared the problem of a considerable disproportion between their pretentious claims and their actual chances of attaining success in their projects. Both their social status and their occupation make it understandable that they were usually in competition with each other and involved in sometimes bitter controversies. But they all searched for a new theoretical foundation of the practical knowledge in whose reflection they were engaged.

The emergence of an anti-Aristotelian attitude The preclassical mechanics of the early modern period was characterized, as shown above, by the encounter with challenging objects and a disintegration of the Aristotelian tenets into heterogeneous bodies of knowledge serving as a resource for addressing the technological problems of the time. The ambition to find a new theoretical foundation of the knowledge of practitioners ignited an anti-Aristotelian attitude characteristic of the intellectual climate of the period, being generally shared by practitioners as well as scientists. Both the still uncertain social status of the protagonists and the heterogeneity of the cultural heritage contributed to making this period a time of exaggerated _____________ 40 See e.g. Biagioli (1989), 41–95; Biagioli (1993).

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Fig. 5: Harriot adds at the end of a manuscript page dealing with the collision of bodies: »Aristotle and other ancient authors as well as more recent ones propose problems of this kind. They question means and argue and conclude. But, as the notable Terence says: They do nothing for the understanding, since they understand nothing.«41

personal ambitions and intense intellectual struggles in which opposition to the prevailing Aristotelian tradition became a hallmark of originality, in spite of its role as the common intellectual ground of all intellectual endeavors. The ambivalent character of the new sciences of this period becomes evident, for instance, in contemporary studies of the problem of the motion of fall in which scientists such as Benedetti, Guidobaldo, Harriot, or Galileo42 attempted to exploit the Archime_____________ 41 Harriot, Historical Manuscript Collection (1619), Folio 23r. 42 See, in particular, Benedetti, Diversarum speculationum mathematicarum et physicarum liber (1585); Guidobaldo del Monte, on Benedetti in the manuscript Meditantiunculae Guidi Ubaldi e

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dean theory of extrusion in media, which explains the buoyancy of bodies immersed in liquids in order to improve the Aristotelian theory of natural motion without, however, questioning its essence. In 1553, Benedetti published, for instance, such a revision of the Aristotelian theory of free fall.43 When he realized that his work was nevertheless considered in Rome as still being in agreement with Aristotle’s thoughts, he supplemented his publication with an even more explicit treatise against Aristotle in a provocative attempt to make clear his opposition to him.44 Such an anti-Aristotelian attitude in combination with a theoretical framework still based essentially on Aristotelian concepts was shared also by Galileo in his early work. From his time in Pisa notes on Aristotelian natural philosophy survived containing excerpts and commentaries which show him as an adept of Jesuit philosophy as taught at the Collegio Romano.45 It is unknown in which year precisely these notes were written, but they show, at least, that the time when Galileo was engaged in studying Aristotelian natural philosophy must have overlapped with the time of his intensive attempts to master elaborate mathematical techniques – in particular the proof technique of Euclid’s Elements and of the works of Archimedes – and to apply them to problems of physics in the Archimedean manner. Given the potential tensions between a philosophical doctrine on the one hand and tentative mathematical investigation on the other hand it is not surprising that Galileo was soon confronted with conflicts between Aristotelian presumptions about certain physical phenomena and alternative possible interpretations of them.46 Around 1590 Galileo thus composed a treatise on motion in which he posed questions which resemble those of Aristotelian natural philosophy, giving, however, answers which differ in part from those given by Aristotle.47 He deals, for instance, with the speed of falling bodies, neglecting in the same way as Aristotle that acceleration in free fall is an essential phenomenon that cannot be adequately grasped using the Aristotelian concept of velocity as the space traversed in a certain time. He criticizes Aristotle’s claim that the speed of the falling body in this _____________

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marchionibus Montis Santae Mariae de rebus mathematicis (ca. 1587–1592); Galileo Galilei, »De motu«, in: Le Opere di Galileo Galilei, I, 243–419. English translation by Drabkin (1960), 3–131. See also Damerow/Freudenthal/McLaughlin/Renn (2004), chap. 3. Benedetti, Resolutio omnium Euclidis problematum aliorumque ad hoc necessario inventorum una tantummodo circini data apertura (1553). English translation in: Drake/Drabkin (1969), 147–153. Benedetti, Demonstratio proportionum motuum localium contra Aristotilem et omnes philosophos (1554). A different version including a fundamentally revised conception of the resistance of bodies in media was published in the same year. An English translation of this version was published as Benedetti in: Drake/Drabkin (1969), 154–165. See the discussion in: Wallace (1977). See, e.g., Damerow/Freudenthal/McLaughlin/Renn (2004), chap. 3.2. Galileo’s early theory of motion is known primarily through the manuscript De motu.

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sense is proportional to its weight as being fundamentally incorrect, since, according to him, bodies made from the same material and thus having the same density, must fall with equal speeds. Only if they are made of different materials do they fall with different speeds, which can be calculated by applying the hydrostatic theory of Archimedes. While Galileo and his contemporaries started out by using and criticizing Aristotelian natural philosophy, they ended up with new and sometimes bizarre explanations, which, however, they were still unable to integrate into coherent theories. This provides a telling example of how early modern preclassical mechanics drew on ancient and medieval natural philosophy as a source and a starting point of theoretical investigations. Their achievements were, on the one hand, the outcome of applying the inherited theoretical tools to new challenging objects, but, on the other hand, discredited the very preconditions from which they were derived. The search for a new theoretical foundation of practical knowledge brought the engineer-scientists of the 16th century into conflict with Aristotelian natural philosophy which, given the dominant role of Aristotelian philosophy in the prevailing worldview, soon developed into something quite different from a disagreement about alternative explanations for specific phenomena or from a matter of mere professional distinction. At the turn of the 16th to the 17th century, the rising conflict between scientists and the Church makes it clear that the antiAristotelian mechanics also entailed far-reaching political implications.48

Towards a self-contained mechanical worldview Although the criticism of Aristotelian mechanics and of the Aristotelian theory of local motion did not really challenge the worldview based on Aristotelian physics and cosmology, at least not at the beginning, it was perceived necessarily as an attack on the absolute authority of the Church in all matters related to the organization of human life and to the interpretation of the world.49 When an intellectual stance such as the anti-Aristotelian attitude is transferred to astronomy and cosmology, the Christian doctrine as a whole is questioned and the claim of the Church to be the highest authority, not only in theological matters but also in all matters related to the worldview of the Christian community, is challenged.50 The conflict of early modern scientists with ecclesiastical and secular authorities, which accompanied the birth of classical mechanics, was a necessary consequence of such a transfer which occurred precisely during the period of Reformation and Counter-reformation, when the Church itself was involved in an existential struggle which forced it to mobilize all cultural resources, including those of _____________ 48 See, e.g., Hall (1994); Singer (1950); Redondi (1987). 49 See, e.g., Feldhay (1995). 50 See Michel (1973); Rowland (2003); Galluzzi (2001), 239–275; Caspar (1962); Lefèvre (1978).

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natural philosophy and science – hence its particularly sensitive reaction to any discovery challenging the Aristotelian doctrines. This conflict between science and the Church had its origin in the reception of the revised model of planetary motion which Nicholas Copernicus (1473–1543), after hesitating for years, finally published shortly before his death.51 But it was only at the turn from the 16th to the 17th century that to confess or to refute Copernicanism became an important question of belief among scholars of physics and astronomy. Initially, however, no one realized the potential ideological consequences of the inherent tension between the developing mechanical knowledge and the Christian worldview. But the condemnation of Galileo in 1633 at the height of his fame to permanent house-arrest after his revoking of Copernicanism terrified scholars, although it had less personally harmful consequences for him than for Giordano Bruno (1548–1600) before him, who had been burned alive in 1600. Many of those confessed to Copernicanism in private communication later avoided standing up publicly for theories that might have been interpreted as contradicting the official doctrines of the Church.52 But it was not only the scholars who, in spite of its consequences concerning the Christian worldview, tended to prefer the Copernican model hesitated to provoke an open confrontation about a mechanical interpretation of celestial motions. Also the Church itself must have been initially insecure about how to deal with the fact that now it was not offensive heretics in theological matters who came into conflict with the Christian doctrine, but primarily scholars who merely drew consequences from the growing body of knowledge about mechanical interactions with regard to a type of motion, which in the Aristotelian tradition could not be explained on the basis of terrestrial experiences.53 _____________ 51 Copernicus, De Revolutionibus Orbium Coelestium (1543); see Kopernikus, Gesamtausgabe (1974–2002), Bd. 1–3; Copernicus, Complete Works, vol. 1. Neglecting the Aristotelian assumption that the motions of celestial bodies follow laws different from the motion of terrestrial bodies, he constructed a mechanical model of planetary motion with the sun in its center and a rotating earth circulating around it. This model simplified astronomical calculations. What is more, from the viewpoint of the engineer-scientists of the early 17th century, an earth at rest in the center appeared mechanically much more convincing than the doctrine that the entire heaven might be turning around in great distance and therefore necessarily with an unbelievably high velocity. 52 René Descartes (1596–1650), for instance, after hearing in 1633 about Galileo’s condemnation withdrew from publishing what was intended to be his main work on a mechanical account of cosmology and cosmogony; see Descartes, Le monde de Mr. Descartes ou le Traité de la lumière et des autres principaux objets des sens (1664); English translation in Descartes, Philosophical Writings of Descartes, vol. 1, 81–98; see the discussion in Gillispie, Dictionary of Scientific Biography in the articles about Descartes and Gassendi. In 1644 Descartes published instead his Principia Philosophiae in which he had hidden his Copernicanism behind a concept of motion including a somewhat contrived principle of relativity, translated in Descartes, Philosophical Writings of Descartes, vol. 1, 193–291. 53 It was only after a number of scholarly conflicts about the compatibility of Galileo’s opinions with the Christian worldview after his move from the »liberal« Venetian Republic to the Grand

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Fig. 6: Descartes’ system of numerous worlds determined by turbulent world matter, depicted in his Principa Philosophiae.54

In the end, it was the battered cultural hegemony of the Church and the failing of the compromises both sides tried to reach that eventually triggered deliberate attempts of scientists to establish what the Church had ascribed to them: to develop a coherent and self-contained explanation of the world as a mechanical system _____________ Dukedom of Florence that a commission of the Pope was appointed to clarify the theological status of the assumption that the earth is moving, and it was only as a result of the deliberation of this commission that Copernicanism was formally condemned by the Catholic Church. See the discussion in Feldhay (1995). 54 Descartes, Principia Philosophiae, 131.

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that reduced the role of God to that of a great ›mechanician‹. Among the earliest examples of such constructions of self-contained world systems are Bruno’s infinite universe of innumerable worlds, Descartes’ system of turbulent world matter in eternal motion, and Galileo’s simplified Copernican cosmos. His biography, a transmutation from courtier to heretic, shows in an exemplary way the forces driving creative engineer-scientists into a confrontation with the Church. In Galileo’s case, these forces generated a ›prophetic turn‹ from technical interests to those of a professing worldview-builder. According to a common understanding of his biography, Galileo started out as an early hero of scientific enlightenment whose spirit was crushed by the clerical repression that turned him into a traitor. It was only the suppression of the Church, however, that caused him to adopt and offensively propagate an entire worldview based on his physical theories, still assuming that the Church would eventually accept his arguments.55 In the time before 1700, scholars counted on the perspective that a mechanical model of the world might be compatible with the notion of the almighty God and might even provide him with a more adequate space than his place in the ›great beyond‹ of traditional theology, that is, a space anywhere in the material world ›here and now‹. None of these scholars imagined that one day the construction of theories in the natural sciences would themselves produce such a powerful worldview as the mechanical one with the effect that eventually the Church would no longer dare to draw any consequences from theological considerations that might impinge upon questions which the sciences decide by experiment and theory. In fact, the mechanization of the worldview56 continued after 1700 for a period of time until it produced an unquestioned basis for any scientific enterprise. It was not before the end of the 19th century that the mechanical worldview itself lost its rank as a universal doctrine.

_____________ 55 In France the conflicts about the Copernican model of celestial motions which originated from Galileo’s condemnation did not succeed in getting the Sorbonne to take a strong position against Copernicanism; it was even a clergyman, Pierre Gassendi (1592–1655), who contributed with a mechanistic theory based on atomism to the acceptance of the Copernican model of celestial motion. In England, a faithful adept of the Anglican Church, Robert Boyle (1627–1691), one of the founders of the Royal Society, which achieved a leading role in the development of the sciences in the late 17th and 18th centuries, contributed with mechanical models of the structure and interaction of matter and with a strongly anti-Aristotelian »corpuscular philosophy« to the justification of the application of mechanics to a wider range of phenomena than those from which the mechanical knowledge was derived. For a discussion of scientific activities within the Church, see Feldhay (1995). 56 See, in particular, Dijksterhuis, Mechanization of the World Picture.

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Images Fig. 1:

Fig. 2:

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Fig. 5:

Fig. 6:

Relief or the guild of the stonecutters and carpenters by Nanni di Banco (1348–1421) at the outer wall of Or’ San Michele in Florence. Photo by Peter Damerow. Title page of Alexander Piccolomini’s commentary on Aristotle’s Mechanical Problems. Taken from: Alessandro Piccolomini, In mechanicas quaestiones Aristotelis, paraphrasis paulo quidem plenior: eivsdem commentarivm de certitudine mathematicarum disciplinarum, 1565. Manuscript page of Galileo’s notes on motion with an interpretation of the shape of a hanging chain as being equal to the trajectory of a projectile and the sketch of a proof of this alleged identity. Galileo, Ms. Gal. 72, folio 43r, http://www.imss.fi.it/ms72/INDEX.HTM. Erection of the Vatican obelisk by the Renaissance architect Domenico Fontana in 1590. Taken from: Domenico Fontana, Della trasportatione dell’ Obelisco Vaticano, 1590. Harriot adds at the end of a manuscript page dealing with the collision of bodies: »Aristotle and other ancient authors as well as more recent ones propose problems of this kind. They question means and argue and conclude. But, as the notable Terence says: They do nothing for the understanding, since they understand nothing.« Thomas Harriot, Historical Manuscript Collection, Manuscript, Catalogue No. HMC 241 (Sussex: Petworth House, 1619), Folio 23r. Descartes’ system of numerous worlds determined by turbulent world matter, depicted in his Principia Philosophiae. Taken from René Descartes, Principia philosophiae, 1644.

Apart from Fig. 1, a photo taken by one of the authors, and Fig. 5, all images are printed with the kind permission of the Library of the Max Planck Institute for the History of Science.

Das Geschlecht der Pflanzen in Antike und Früher Neuzeit: Plurale Transformationen antiker Wissensordnungen in den pflanzenanatomischen Werken von Marcello Malpighi (Bologna) und Nehemiah Grew (London) NICOLE C. KARAFYLLIS

1. Prolog: Wissen über Pflanzen im Lichte kulturabhängiger Anthropomorphien »Wenn Pflanzen sprechen« titelte vor kurzem die Wissenschaftsseite von DIE WELT.1 Der Artikel thematisierte die verborgene Kommunikation der Pflanzen mit Hilfe chemischer Botenstoffe: Wenn man die Sprache der Pflanzen hören könnte, dann wäre es laut im Wald, er wäre erfüllt vom Brummeln, Schwatzen und Schreien der Bäume und Kräuter. […] Viele stoßen bei Fraßschädigung ein Duftsignal aus, das von anderen Pflanzen wahrgenommen werden kann. […] Der wilde Tabak kann die Warnsignale von verletzten Exemplaren des Wüsten-Beifußes wahrnehmen und entsprechend darauf reagieren.

Diese wissenschaftsjournalistisch geprägte Sprache für die Beschreibung pflanzlicher Vorgänge beruht auf Anthropomorphien, ohne die auch die Biologie nicht auskommt: Pflanzen können scheinbar dasjenige, was auch Menschen können: sprechen, wahrnehmen, reagieren. Nur wir Menschen, so wird oben suggeriert, hätten ein Defizit, jene pflanzlichen Fähigkeiten und ihre zugehörigen Strukturen mit unseren bloßen Sinnen, ohne technische Mittel, wahrzunehmen. Obgleich Pflanzen weder Herz, Blut noch Gehirn haben, scheinen sie uns durch diese Übersetzungsstrategie in funktionaler Hinsicht ähnlich. Weitere Anthropomorphien finden wir in der Neuzeit bei der metaphorischen Beschreibung der Art und Weise, in der Pflanzen den Sexualakt vollziehen: Sie verführen, betrügen und lassen sich befruchten. Diese Sicht, die uns heute normal scheint oder allenfalls ein Schmunzeln abringt, trägt wissenschaftshistorisch die Signaturen erbitterter Kämpfe: um pflanz_____________ 1

DIE WELT, 6.1.2007, W3. Autor: Simon Degelo.

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Nicole C. Karafyllis

liche Symboliken der Unschuld, die Heteronormativität der Geschlechter, den naturontologischen Status des Tieres als Mittelglied zwischen Pflanze und Mensch, die vereinheitlichenden Strukturmerkmale der Zelle und des Körpers, und nicht zuletzt um eine antike Lebensontologie, die mit Aristoteles ihr Fundament in der generativen Pflanzenseele2 hatte. Im Mittelpunkt steht im Folgenden die um 1670 entstehende Konzeption einer Pflanzensexualität, die durch die Naturforscher Nehemiah Grew (1641–1712) in London und Marcello Malpighi (1628–1694) in Bologna – auf unterschiedliche Weise – in der Frühen Neuzeit etabliert wurde. Das Mikroskop eröffnete als neues technisches Mittel auch eine neue Perspektive und zeigte unbekannte Strukturen, deren Funktionen erst noch gefunden und benannt werden mussten. Die Natur war in der Frühen Neuzeit noch nicht durchgängig geordnet, typisiert und heterosexualisiert, allerdings wurde sie durchaus in funktionaler Hinsicht interpretiert. Wissen über Sexualvorgänge bei Pflanzen wurde seitdem zum Herrschaftswissen. Denn es impliziert die Möglichkeit der funktionalen Steuerung und Optimierung von Wuchsprozessen, insbesondere im Hinblick auf die Züchtung. Die frühe Wissenschaftsgeschichtsschreibung ist – im Sinne einer Fortschritts- und Siegergeschichte – zumeist an der Frage interessiert gewesen, wer von beiden der Erste war, der die Pflanzensexualität beschrieben hat. Die heutige Quellenlage spricht für Marcello Malpighi, der mit Grew im regen Briefwechsel stand. Aber sein Manuskript (noch ohne die Zeichnungen) traf wegen der langen Seereise bei der Royal Society in London erst kurz nach dem Tag ein, an dem Grew3 gerade die Druckfassung seines ersten Vortrags zur Pflanzenanatomie (verlesen am 9. November 1671) erhalten hatte (7. Dezember 1671). Das Jahr 1671 gilt damit als Gründungsjahr der Pflanzenanatomie. Unklar blieben bislang die Brüche und Kontinuitäten mit dem botanischen Wissen der Antike, zum Teil auch des Mittelalters. Der anatomischen Erforschung der Pflanzen als letztem der drei biologischen Reiche Ende des 17. Jahrhunderts war eine medizinische Renaissance im 16. Jahrhundert vorausgegangen, die man als »medizinischen Hellenismus« bezeichnen kann.4 Ihre wichtigsten Gegner waren der griechischstämmige, aber für die Römer praktizierende Arzt Galen († um 216 n. Chr.) und der persische Arzt Avicenna (Ibn Sina; † 1037 n. Chr.), deren Werke die Anatomie und Heilkunde des christlich-jüdisch-arabischen Raums bis ins späte Mittelalter bestimmten. Sie dienten als Autoritäten, _____________ 2 3

4

Ingensiep (2001). Grew wurde in Mancetter, Warwickshire, 1641 geboren. Er lebte bis 1671 in Coventry und studierte zunächst am Pembroke College in Cambridge Medizin (1658–1661, vgl. LeFanu [1990], 8); später, wie sein älterer Stiefbruder, in Leiden, wo er zu einer Arbeit über De liquore nervoso promovierte. Eine Woche nach seinem Vortrag zur Naturphilosophie der Pflanzen wurde er zum Fellow der Royal Society gewählt. Von 1677 an wurde er deren Sekretär, zusammen mit Robert Hooke. Aber Grew schied 1679 auf eigenen Wunsch von diesem Amt aus und praktizierte bis zu seinem Tode 1712 als Arzt in London. So Danneberg (2003), 20.

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deren Thesen mit zum Teil alten (Tierexperiment und Vivisektion) und zum Teil neuen Methoden (Mikroskopie, Barometrie, Thermometrie) einer eingehenden Prüfung unterzogen wurden, stets mit dem – polemischen wie programmatischen – Hinweis auf das eigene Sehen und Gesehene (gr./lat. autopsia).5 Vor diesem medizinisch-pharmazeutischen Hintergrund sind auch die ersten pflanzenanatomischen Untersuchungen methodisch anzusiedeln. Ergänzt wird er um neues agrarpraktisches und hortikulturelles Wissen der Frühen Neuzeit, das zumindest bei Malpighi nicht explizit erwähnt, wenngleich bemüht wird. Es gehört für ihn wohl nicht zum institutionalisierten Wissen der Universität und wird, anders als bei Grew, auch wegen der eindeutigen Nutzenorientierung geringer geschätzt als das anatomische Wissen. Während Malpighi, wie wir sehen werden, programmatisch die mittelalterliche Strategie einer selektiven und dadurch geltungsbewahrenden Interpretation griechisch-antiker Autoritäten (Aristoteles, Theophrast, Alkmaion) fortführt,6 bricht Grew im Sinne der Schulbildung der Royal Society zumindest auf der rhetorischen Ebene mit antikem Wissen über Pflanzen – durch konsequente Ausblendung antiker Autoren. Noch zu klären ist, warum beide Pflanzenanatomen bewusst auf die Darstellung der Dattelpalme verzichten, deren Sexualvorgänge schon in den altorientalischen Hochkulturen beschrieben wurden. Weiterer Forschungsbedarf besteht darin, Grews und Malpighis Thesen in frühneuzeitliche Argumentationskontexte einzuordnen, die zwischen England und dem italienischen Raum als plurale Kontexte sichtbar werden; neben Bologna und London können wir Leiden, den Studienort des jungen Nehemiah Grew, als dritten akademischen Wissensraum hervorheben. So sind auch die Transformationen antiken Wissens über Pflanzen bei beiden Protagonisten kulturell, insbesondere sakralgeschichtlich, unterschiedlich geprägt, was in bisherigen Untersuchungen nicht berührt wurde.7 Um ein wichtiges Ergebnis vorwegzunehmen: Trotz vieler Parallelen in Grews und Malpighis pflanzenanatomischen Werken bleibt die Pflanze für den Katholiken Malpighi ein jungfräuliches Wesen. Für den protestantisch geprägten Grew hingegen wird sie zum Inbegriff der heterosexuellen Vereinigung von männlichen und weiblichen Prinzipien, die sich in der anatomischen Struktur und organischen Funktion widerspiegeln. Pflanzensexualität ist kein Phänomen, das selbstevident wäre. Geschlechtsorgane, die offensichtliche Strukturanalogien zu Tier oder Mensch aufweisen, gibt es nicht – und es gibt auch keinen sichtbaren Kopulationsakt. Sondern es handelt sich um phänomenotechnische Effekte der Sichtbarmachung, die einerseits durch das Mikroskop erzeugt wurden (z. B. die Sicht auf einzelne Pollenkörner oder Spermien), andererseits aber auch durch die gärtnerische Praxis des Züchtens plausibel wurden – einem Bereich, der erst im 20. Jahrhundert institutionell in die _____________ 5 6 7

Danneberg (2003), insbesondere 120 ff. Im Sinne einer mittelalterlichen exponere reverenter; vgl. ebd., 127. Zum Beispiel Sachs (1875), 266 ff.; Hartenstein (1886); Arber (1940–41); Mägdefrau (1973); Schmitz/Graepel (1980).

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Wissenschaft Eingang gefunden hat. Erst vor dem Hintergrund der Erfolge künstlicher Bestäubungen/Befruchtungen konnten anatomische Funktionsanalogien wie die vom Fruchtknoten der Pflanze und dem Uterus der Frau Evidenz erzeugen. Der Einsatz neuer wissenschaftlicher Instrumente und experimenteller Methoden offenbarte stets nicht nur bis dato Unbekanntes, sondern transformierte dabei die kulturelle Wahrnehmung des immer schon Gewussten und Ubiquitären auf der explanativen Ebene wissenschaftlichen Arbeitens. Begleitet wird er von neuen Repräsentationsformen, die in diesem Beitrag nur angedeutet werden können. Ihre wichtigste Gemeinsamkeit ist ein spezifischer Fokus auf den Blütenbau. Der vorliegende Beitrag verbindet eine wissenschaftshistorische mit einer ideengeschichtlichen Perspektive, die nach den vielschichtigen Transformationen griechisch-antiken Wissens zum Geschlecht der Pflanzen fragt. Pflanzenanatomische Werke sind ferner kultur- und gendertheoretisch interessant, weil sich bei Pflanzen zwei tragende Gender-Konzepte problematisieren: Körper und Identität. Denn Pflanzen sind quasi selbstlos, wie Hegel es ausdrückte, d. h. sie bleiben in ständigem Wachstum und pflanzen ›sich‹ transgressiv fort. Die Pflanze ist somit ein fluides Medium, das man sich nur teilweise aneignen kann.8 Diese antike Einsicht findet sich besonders bei Nehemiah Grew wieder, was allerdings einer ›Verkörperlichung‹ der Pflanzen in seinem Werk nicht entgegen steht. Was also die Pflanzen – und reziprok die Menschen – können, variierte in unterschiedlichen Jahrhunderten und zwischen den Kulturen.9 Obige Beispiele, wie Pflanzen und ihre Fähigkeiten heute beschrieben werden, sollen eine kulturalistische Sicht auf Wissenschaft vorbereiten, in der spezifisch frühneuzeitliche Wahrnehmungs-, Wissens- und Wissenschaftskulturen analysierbar werden. So ist im Eingangszitat der Fokus auf Verteidigung und Konkurrenz als Paradigma der Biologie seit Charles Darwin, angereichert um die Vorstellung der grenzüberschreitenden Kommunikation als Idee des 21. Jahrhunderts, unverkennbar. Es handelt sich hierbei um spezifische Erklärungsweisen der Gegenwart, welche zu den antiken und frühneuzeitlichen Perspektivierungen, die im Zentrum dieses Beitrags stehen, Brüche wie Kontinuitäten aufweisen. Die wichtigste ideengeschichtliche Kontinuität mit der Moderne, die die frühneuzeitliche Pflanzenanatomie um 1670 bietet, ist das neue Postulat eines eigenen Körpers der Pflanze, unter Einschluss seiner Miniaturausgabe (dem Korpuskel bzw. der Zelle). Wir sprechen heute in Fortführung dieses Novums vom »Vegetationskörper«. Vor dem Hintergrund jenes Bruches mit der antiken Ansicht von der Körperlosigkeit der Pflanze – vormals Garant ihrer generativen Pflanzenseele, die auch in Mensch und Tier wirkt – greifen in der Frühen Neuzeit weitere Transformationen wie die Sexualisierung, Animalisierung und Technisierung der Pflanze. Die wichtigste Kontinuität mit der Antike ist die naturontolo_____________ 8 9

Karafyllis (2007), dies. (2010). Vgl. auch Schiebinger (1993).

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gische Platzierung der Pflanzen an der Basis der Biota und der Hinweis auf ihre Autarkie, was auch die Wissenschaft der Frühen Neuzeit übernahm.

2. Das Innere der Sexualität: Wissenskulturen der Frühen Neuzeit Die Radikalität der frühneuzeitlichen Ansicht, dass auch die Pflanzen ein Geschlechtsleben haben, lässt sich heute nur schwer ermessen, obwohl sogar noch Johann Wolfgang von Goethe und Georg Wilhelm Friedrich Hegel sich gegen diese Ansicht wehrten und für eine Art jungfräulicher Unschuld der Pflanze votierten.10 Denn zum Teil ergaben sich aus der These der Pflanzensexualität massive Brüche mit antikem und mittelalterlichem Wissen, die nicht nur erklärungs-, sondern auch legitimationsbedürftig waren.11 Diese Brüche betrafen ferner nicht nur das Wissen über Pflanzen als vielmehr das über das generative und reproduktive Wirken der Natur insgesamt. Ein prägnantes Beispiel dafür ist Nehemiah Grews 1682 veröffentlichte Ansicht, dass der Pollen »vegetabiles Sperma« sei, weil er dieselbe Funktion bei der Fortpflanzung ausübe wie das Sperma des Mannes (vgl. Abschnitt 5). Über die Funktion des Pollens gibt uns die Antike noch keine Auskunft. Was aber mit den Bezeichnungen »Sperma« und später »Spermium« in der Frühen Neuzeit ungewohnt, nahezu skandalträchtig für die Anwendung im pflanzlichen Bereich klang, ist bei näherer Untersuchung eine Rückübertragung, zurück zur antiken Metaphernverwendung des griechischen ıʌȑȡȝĮ: Die Samenflüssigkeit des Mannes, die sich mit dem uteralen Blut fruchtbringend vermischt, wurde in Analogie zum pflanzlichen Samen(korn) (nicht dem Pollen!) beschrieben, den der Landwirt in die Ackerfurche streut.12 Dass aber diese Samenflüssigkeit auch Spermien enthält, die der Leidener Mikroskopiker Antoni van Leeuwenhoek für »kleine Tierchen« (lat. animalcula) hielt, war eine Entdeckung der Frühen Neuzeit. An ihr waren – was die konzeptionelle Formung der neu entdeckten Geschlechtszellen betraf – auch beide Prota_____________ 10 Sie stützen sich auf die Arbeiten des Heidelberger Botanikers Franz Joseph Schelver, der ab 1812 eine mehrbändige Abhandlung unter dem Titel Eine Kritik der Lehre von den Geschlechtern der Pflanze schrieb. Jene wurde von Goethe zunächst mit Zustimmung gelesen (vgl. Sachs [1875], 459), dann aber mahnte der Geheimrat zur wissenschaftspolitischen Vorsicht – schließlich waren Grews Arbeiten seit langem bekannt und wurden jenseits von Deutschland auch gewürdigt. Auch die Bastardisierungs- und Befruchtungsversuche von Joseph Gottlieb Kölreuter (1733–1806) aus den 1760er Jahren waren für die deutsche Botanik nicht mehr wegzudiskutieren (vgl. weiterführend Bach [2001]). 11 Zur Rezeption der These von der Pflanzensexualität um 1690 siehe Conway Zirkles Einleitung in die Neuauflage von Grews Anatomy of Plants (New York [1965], xiv–xvi). 12 Vgl. Aristoteles, gen. an. Sabine Föllinger ([1996], 141) meint, dass Aristoteles’ ungenauer Wortgebrauch von sperma damit zusammenhängt, »dass es bei Pflanzen und bestimmten Tieren keine Trennung in zwei Geschlechter gibt«. Deren Zeugungsvorgang bliebe im Prinzip unsichtbar. Der Same ist einmal Bewegungsprinzip, ein andermal Materialprinzip (letzteres z. B. in Aristoteles, phys. I 7, 190b3 ff.).

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gonisten dieses Beitrags, Nehemiah Grew und Marcello Malpighi, beteiligt. Einen wegweisenden Einfluss hatte Grew z. B. in der viel diskutierten Frage, ob es vom Menschen erzeugte Spermien gäbe, die »etwas« (Ätherisches oder Spirituelles) zur Zeugung übertragen, oder ob sie selbst, d. h. im materiellen Sinne, zeugend sind, wie aus einem Briefwechsel mit van Leeuwenhoek hervorgeht. Hierbei ging es nicht nur um die seit der Antike viel diskutierte Frage der Spontangeneration, sondern auch um die des genauen Beseelungszeitpunkts von Lebewesen und die Entscheidung zwischen den Theorien der Präformation und Epigenese,13 die Aristoteles nicht eindeutig getroffen hatte. Grew bezweifelte Leeuwenhoeks Schilderung, dass ein Spermium Blutgefäße im Mikroskop offenbare und damit ein kleines Tierchen sei. Stattdessen wies er ihn darauf hin, dass jenes lediglich Überträger eines (lat.) animus sei und man glaube, dass es reziprok auch so etwas wie Eizellen gäbe.14 Jener Hinweis scheint von Malpighi zu stammen, denn zumindest die zugehörigen Follikel hatte Malpighi entdeckt.15 Mit dieser Ansicht wiesen sich Grew und Malpighi als so genannte Hippokratiker aus, die sich von den Aristotelikern und ihrem Beharren auf ein rein männliches, formendes Agens absetzten.16 Umgekehrt leugnete Leeuwenhoek noch in den Jahren 1685 und 1686, dass es bei Pflanzen so etwas wie einen Befruchtungsvorgang geben könne.17 Pflanze und Mensch wurden gleichermaßen epistemische Objekte einer neuen Forschungsvision: Sexualvorgänge zu charakterisieren und deren kleinste Einheiten zu isolieren. Zum wichtigsten epistemologischen Bindeglied wurde der Tierkörper und disziplinär entsprechend die Tieranatomie. Im protestantischen Leidener Umfeld, in dem auch Grew studiert hatte, wurden die menschlichtierischen Ovarien zunächst »weibliche Testikel« genannt. Jene Zuschreibung _____________ 13 Als Überblick siehe Jahn (2000), 256–326. 14 Nehemiah Grew, »Auctoris ad Observatorem Responsum«, Phil. Trans. 142 (December 1678– February 1679), 1043. Vgl. zur Autorenschaft von Grew: Leeuwenhoek an Nehemiah Grew, 18.3.1678, zitiert bei Ruestow (1983); vgl. auch Ruestow (2004). 15 Vgl. Adelmann (1966). Malpighis erste Zeichnung eines Affenovariums mit Follikeln stammt aus dem Jahr 1866. Es war der (katholische) Delfter Arzt Reinier (= Regnier) de Graaf (1641– 1673), der bei seinen anatomischen Untersuchungen zur Eileiterschwangerschaft die Ovarialfollikel (Tertiärfollikel = Graafsche Follikel) als Ursache der weiblichen Zeugungskraft hervorhob (veröffentlicht 1672). Malpighi veröffentlichte diese Ansicht erst 1681, basierend auf genaueren anatomischen Untersuchungen zum corpus luteum. Die Eizelle selbst blieb ungesehen. Jene wurde – eineinhalb Jahrhunderte später als die Spermatozyte – 1828 durch Karl Ernst von Baer entdeckt, die pflanzliche wenig später. Der spezifische Beitrag der pflanzlichen Eizelle zur Samenbildung blieb allerdings bis in die 1870er Jahre umstritten. 16 Entgegen der weit verbreiteten Meinung, dass Aristoteles der Frau kein eigenes Zeugungspotential attestiert und sie lediglich als Materielieferant betrachtet habe, steht seine Vorstellung, dass das weibliche Lebewesen in sich zeugt, wohingegen das männliche in ein anderes zeugt (gen. an. I 2, 716a13 ff., entspr. hist. an. I 3, 489a11 f.). Jene Sicht einer weiblichen Zeugungskraft geht auf Hippokrates zurück. Ferner beobachtete Aristoteles, dass manche Töchter stark ihren Müttern ähnelten. 17 Leeuwenhoek an die Royal Society, 13.7.1685; Leeuwenhoek an die Royal Society, 10.6.1686; Quellenangaben in Ruestow (1983).

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sollte sich – in umgekehrter Geschlechterkonnotation – in seiner Pflanzenanatomie bei der Beschreibung der Staubgefäße wiederfinden (vgl. Abschnitt 5). Die Transformation des Wissens zum pflanzlichen Geschlechtsleben ging also zu jener Zeit Hand in Hand mit der Vermutung, dass auch bei der Fortpflanzung des Menschen Mann und Frau jeweils einen eigenen zeugenden Beitrag leisten könnten. Die kulturell lange eingeübte Heteronormativität der Geschlechter stand dadurch in Frage, was einen weiteren Bruch markiert. Denn die die Antike und das Mittelalter dominierende Analogie vom weiblichen Blut im Uterus (die so genannten Katamenien) und dem Boden des Ackers, beides Inbegriffe reiner Materialitäten ohne eigene formende Kraft, geriet im späten 17. Jahrhundert ins Wanken. Das »Sperma« enthielt somit auch keinen präformierten Embryo, der lediglich ernährt werden wollte, sondern degradierte zu (nur) einer zeugenden Hälfte eines komplexen Befruchtungsaktes, für den zwei Geschlechter von Anfang an notwendig wurden. Jene Zweideutigkeit finden wir auch noch beim deutschen Wort »Samen« (von lat. semen), der sowohl die Diaspore der Samenpflanzen (Spermatophyta), in dem der Pflanzenembryo mit seinem Nährgewebe enthalten ist, als auch das Ejakulat des Mannes bezeichnet, das einzelne Spermien enthält. Die materialisierende Parallele von fruchtbarem Boden und Mutterschoß finden wir durchgängig von der Antike bis in die Neuzeit,18 wobei in der Humananatomie der Frühen Neuzeit ikonologisch ein Fokus auf den austreibenden Wurzelstock (lat. matrix) gewählt wird, der in der Erde bleibt und in jedem Frühjahr eine neue generatio hervorbringt. Die Frau wird bewusst in die Nähe der Pflanzen und ihrem generativen Potential gestellt, was man – in Entsprechung zur anthropomorphen Beschreibung pflanzlicher Vorgänge – als »Plantamorphie« bezeichnen kann. Denn der Embryo wachse im Uterus der Frau wie eine Pflanze, so schon Aristoteles.19 Auch die Metapher von der »Defloration« gehört in diesen semantischen Kontext. Die folgende Abbildung aus dem gynäkologischen Traktat De foetu formato (1626) des in Padua arbeitenden Anatomen Adrianus Spigelius (Adriaan van den Spieghel) macht dies gerade vor der Dichotomie von reproduktiver Natur und optimierender Technik als Allegorie plastisch (Abb. 1). Gezeigt wird eine kurz vor der Niederkunft stehende Frau, deren Unterleib offen mit einem vollständig entwickelten Kind, Nabelschnur und Plazenta dargestellt ist. Das Kind wird als ein schon Entäußertes repräsentiert, jenseits eines imaginären Fruchtknotens in einer mit Blutgefäßen durchzogenen Blütenrosette, die durch die Gewebsschichten des mütterlichen Unterleibs gebildet werden. Die werdende Mutter kniet mit ihrem Spielbein auf einem abgehackten Baum, der aber nicht tot ist. Im linken Bildrand erkennen wir einen mehrfach verzweigten Seitenast; am

_____________ 18 Vgl. Tuana (1988). 19 Aristoteles, metaph. 12, 1071b30–31.

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Abb. 1: Adrianus Spigelius, De foetu formato (1626, Tafel IV). Abb. entnommen aus Robin (1992), 76 (dort unter falschem Titel).20

unteren Bildrand entwächst dem Baumstamm ein junger Trieb, der an der Stelle der mütterlichen Scham sein vorläufiges Ende findet. Die Rosette des geöffneten Bauches ergänzt nach oben eine dem wachsenden Trieb zugeordnete Blüte. Hinter ihrem Rücken hält die Frau einen Apfel, christliches Symbol der Fruchtbarkeit _____________ 20 Robin (1992) zitiert Spigelius’ Werk und titelt die Abbildung fälschlicherweise als De Formato Foetu. Eine entsprechend betitelte Schrift, von der sich Spigelius und sein Lehrer Casserius offensichtlich absetzen wollten, stammt jedoch wiederum von Casserius’ Lehrer Fabricius (Venedig 1600). Die entsprechende Abbildung (mit der bei Robin nicht abgebildeten Bildüberschrift) aus der Kopie von Dr. John Martin, Iowa (U.S.A.), zeigt den richtigen Titel der Platte. Zugänglich unter http://www.lib.uiowa.edu/spec-coll/bai/martin_padua.htm (Zugriff 10.03. 2006).

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wie der Sünde, in der Hand. Das Bild zeigt in erster Linie Werden und Vergehen menschlichen Lebens in Analogie zu pflanzlichem Leben, das wir als Trieb, Wurzelstock mit Stamm, sprossender Zweig und Frucht wiederfinden. Auf den zweiten Blick besticht das Bild durch eine Perspektive, die im Zeichen des technischen Zugriffs auf Leben steht. Denn der Baum ist nicht nur von Menschenhand vor kurzem auf den Stamm gesetzt (zu sehen am noch frischen Mark innerhalb der Rinde), sondern vorher auch veredelt worden. Wir erkennen dies an den eindeutig unterschiedlichen Blattformen von Ast (wahrscheinlich ein Apfelbaum) und sich entwickelndem Trieb (in Form eines Oleanders), der einer deutlich sichtbaren Propfnaht des Baumes entspringt. Das Neue entspringt dem Alten als ein technisiertes Anderes, das in der Kontinuität des Wachsenden bleibt. Das geerntete Produkt (der Apfel) ist auf der Schattenseite des Lebens, das wachsende Grün am »Stammbaum« und das anatomisch-technisch sichtbar gemachte Kind, der »Stammhalter«, dominieren den Blick des Betrachters.21 Selbst wenn der alte Baum auf den Stock gesetzt wird, treibt das neue Leben weiter – so die allegorische Umschreibung für den geöffneten Leib der Frau, der das Leben des Kindes offenbart und in den Mittelpunkt rückt. Die antike Tradition nach Tertullian und Antoninus, der gemäß der Baum als Produzent ungleich wichtiger war als die noch im Werden befindliche Frucht (die Frau also dem Mann potentiell noch mehr Kinder schenken konnte und daher wertvoller war als das Ungeborene), wurde spätestens Ende des 18. Jahrhunderts in ihrer Wertehierarchie umgedreht: Für die Mutter galt, ihr Leben notfalls bereitwillig für das des Kindes zu opfern (z. B. durch einen Kaiserschnitt). Diese Tendenz deutet sich hier im Bild bereits ein Jahrhundert früher an. Verkürzt gesprochen finden wir im späten 17. Jahrhundert eine Spannung zwischen dem neuen wissenschaftlichen Fokus auf das gewachsene Produkt (das Gewächs) und auf den die antike Naturwissenschaft dominierenden, dynamischen Wachstumsprozess, der dieses erst in Erscheinung bringt. Die Embryologie wurde daher zu einer neuen Leitwissenschaft, der sich auch Malpighi und Grew widmeten und die ihr pflanzenanatomisches Werk beeinflusste (s. u.). _____________ 21 Durch die anatomischen Bilder vom wachsenden Embryo und seiner eigenen Bildungskraft wurde auch seine Seele immer früher in ihm verortet, was wiederum eine möglichst frühe Taufe notwendig machte. Seit dem 17. Jahrhundert wurde die Taufe während einer schwierigen Geburt mit Hilfe von besonderen Taufspritzen gespendet. Der Jesuit Francesco Emmanuele Cangiamila führte in seiner weit rezipierten Embriologia sacra (1745) entsprechend aus, dass die Seele schon vom ersten Anfang des Fötus an gegenwärtig ist, weil sie nicht nur zum Wachstum des Körpers beitrage (in Übereinstimmung mit der aristotelischen Pflanzenseele), sondern auch im Entwurf schon präexistent sei. Diese Vorstellung führte zu einer Neudefinition über den Status der Geburt und des Kindes. In der frühneuzeitlichen Wahrnehmung wurde der noch wachsende und ungeborene Fötus schon zum Kind. Ausgehend von den Überlegungen des Arztes Giovanni Battista Bianchi behauptete Cangiamila, dass bereits das Werden des Fötus eine Geburt sei, und zwar die ›erste Geburt‹, der gegenüber das Ins-Licht-der-Welt-Kommen nur der zweite Schritt sei. Vgl. Duden/Schlumbohm/Veit (2002), 109 ff.

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3. Antikes Wissen über Pflanzen und ihr Geschlecht Um die Frage nach Transformationen antiken Wissens über Pflanzen in der Frühen Neuzeit zu klären, muss zunächst gefragt werden, welches Wissen ›die Antike‹ über Pflanzen hatte. Dazu verfahren wir zweistufig, indem wir zunächst nach praktisch orientiertem Wissen zur gezielten Pflanzenoptimierung in der Antike22 suchen und dann auf die ontologische Stellung der Pflanzen in der einflussreichen Naturontologie des Aristoteles fokussieren. Die künstliche Bestäubung der Dattelpalme war spätestens seit dem 9. Jahrhundert v. Chr. bekannt.23 Sie wird ebenfalls von Herodot erwähnt, zusammen mit der der Feige.24 Feigenbaum, Dattelpalme, Granatapfel- und Maulbeerbaum (welche sich alle als Untersuchungsobjekte in Malpighis Werk finden) sind verehrte Pflanzen schon in den altorientalischen Hochkulturen und werden im Alten Testament an zahlreichen Stellen erwähnt. Im Papyrus Ebers (ca. 1500 v. Chr.) werden sie spezifisch als Medizinalpflanzen genannt. Praktiken der Gehölzveredelung wie das Propfen werden von Aristoteles und Theophrast genannt; letzterer erwähnt ebenfalls die Zweigeschlechtlichkeit der Dattelpalme und vergleicht ihre künstliche Bestäubung mit der der Feige. Ein wichtiges Kompendium des griechisch-antiken Pflanzenbaus muss das verschollene Handbuch des Atheners Androtion gewesen sein, das von Theophrast an zahlreichen Stellen25 erwähnt wird. Ein kurzer Blick in die römische Antike: Auf Dioskurides De materia medica als medizinisch-naturphilosophisches Zentralwerk in Antike und Mittelalter wurde bereits hingewiesen. In Columellas zwölfbändigem Handbuch zur Landwirtschaft (De re rustica) aus dem ersten Jahrhundert n. Chr. finden sich bereits Empfehlungen zur Bodenverbesserung mit Hilfe von Leguminosen (Malpighis bevorzugte Objekte zur Untersuchung der Samenkeimung), ferner Anleitungen zum Herstellen außergewöhnlicher Mischformen, z. B. aus Oliven- und Feigenbaum. Jene beiden Pflanzen waren die Modellorganismen für Aristoteles’ Beobachtungen zur ›Pflanzensexualität‹, zu der er sich ambivalent verhielt.26 An einer Stelle äußert sich Aristoteles zur züchterischen Optimierung des Feigenbaums, basierend auf der erkannten Zweihäusigkeit, d. h. der Existenz von weiblichen und männlichen Bäumen. Ihm fiel zunächst auf, dass einige Feigenbäume Früchte tragen, andere nicht; ferner, dass die nicht-fruchtenden Bäume zur Fruchtbildung _____________ 22 Vgl. Lenz (1966). 23 Vgl. die Abbildung der künstlichen Bestäubung der Dattelpalme auf dem assyrischen Relief in Jahn (2000), 37; entspr. Zirkle (1935), 3. 24 Vgl. Herzhoff (1999), 15. 25 Vgl. u. a. Theophrast, h. plant., II. 7, 2 f.; c. plant., III. 10, 4. 26 Zu ergänzen wären die landwirtschaftlichen Werke von Varro, Vergil, Cato, Saserna Vater und Sohn, Tremellius, Hyginus, Celsus, Atticus, Gräcinus und Plinius Secundus, in denen auch auf Einzelpflanzen fokussiert wird (u. a. Oliven- und Feigenbaum).

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ihres artgleichen Gegenübers beitragen, was man sich zu Nutze machen könne.27 Das Beispiel ist für das aristotelische Verständnis pflanzlicher Zeugungsvorgänge und deren Optimierung kaum zu überschätzen. Denn die Feige (Ficus carica L.), die als alte assyrische Kulturpflanze in Griechenland erst seit etwa 700 v. Chr. kultiviert wird, bildet Früchte sowohl ohne Befruchtung (Parthenocarpie) als auch mit. Die durch Befruchtung entstandenen Früchte schmecken allerdings deutlich besser. Deshalb arbeitete man agrarpraktisch mit einer provozierten Befruchtung (Caprifikation), die auch von Plinius dem Älteren erwähnt wird. Man hängt dafür einen mit männlichen Blüten blühenden Ast der ungenießbaren Wildfeige (Bocksfeige; Caprificus spec.) in die Krone eines kultivierten Feigenbaums mit weiblichen Blüten. Nur in den männlichen Blüten der Wildfeige leben parasitäre Wespen (der Art Blastophaga psenes), die die weiblichen Blüten auch der Kulturfeige bestäuben können. Aristoteles musste also ein tieferes Verständnis davon gehabt haben, dass Insekten »etwas« zur Fruchtbildung übertragen, wobei der Blütenstaub (später »Pollen« genannt) nicht erwähnt wird. Die Beobachtung der Wespen (gr. psénes) bei der Bestäubung wird von Theophrast beschrieben.28 Trotz dieser Beobachtung zögerte Aristoteles, den Pflanzen dezidiert ein eigenes Geschlechtsleben zuzusprechen. Schließlich konnte die Feige ja auch ›jungfräulich‹ fruchten. Pflanzen hätten entweder keine Sexualität oder bei ihnen sind die zwei Geschlechter in einem vereint, so Aristoteles wörtlich.29 Sie hätten wie niedere Tiere verschiedene Weisen des Entstehens, zu denen neben der Fortpflanzung über Samen auch die Sprossung und Ablegerbildung sowie die Spontangeneration bzw. Urzeugung aus verfaulter Erde gehören.30 Auch epiphytisch lebende Pflanzen wie die Misteln bilden bei ihm einen eigenen Vermehrungstyp. An einigen Stellen kennzeichnet Aristoteles die Pflanzen aber als rein weiblich, etwa den Olivenbaum, dem er unterstellt, dass er »Eier« legen kann (also Oliven). Dieser Hinweis geht auf Empedokles zurück und wird bei Aristoteles um eine genauere Anatomie des Pflanzensamens ergänzt, weil er das enthaltene Endosperm als zuständig für die Ernährung der ersten Keimblätter (Kotyledonen) und der Keimwurzel (Radicula) beschreibt.31 Er vergleicht den Pflanzensamen anatomisch mit dem Hühnerei, bei dem der Dotter der Ernährung des Embryos _____________ 27 Aristoteles, gen. an. I 1, 715b20–25; vgl. auch Theophrast, h. plant. II, 8, 4. 28 Vgl. zu diesem aristotelischen Beispiel in Theophrasts Werk ausführlich: Sharples (1995), 139– 142. Dort finden sich auch die entsprechenden Stellen zur Rezeption der Theophrast’schen Deutung in den Werken von u. a. Athenaeus und Plinius dem Älteren. Sharples hebt hervor, dass die Feige zweimal im Jahr trägt und die Wespenbefruchtung daher nicht in jeder Fruchtperiode gelingt, was Theophrast wusste. Zu ergänzen ist, dass die Feige bei Theophrast als so genannte ›heiße Pflanze‹ galt. Er ordnete auch den Pflanzen verschiedene Wärmegrade zu, weil einige Früchte der Feige den Winter überdauern könnten. Höhere Wärme galt im aristotelischen Denken als ein Indiz für Männlichkeit. 29 Aristoteles, gen. an. I 23, 731a25–30. 30 Ebd., III 11, 762a18–21. 31 Ebd., I 23, 730b32–731a.

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dient. Der Milchsaft der in Griechenland und Kleinasien häufigen Wolfsmilchgewächse (Familie Euphorbiaceae) ist ihm ein weiteres Indiz für die Weiblichkeit der Pflanze. An derselben Stelle offenbart er auch das Prinzip, das er für die Sexualität aller Lebewesen zugrunde legt: Alle Tiere, die sich bewegen können, sind zweigeschlechtlich und haben jeweils ein männliches und ein weibliches Individuum, so wie beim Menschen und beim Pferd. Aber bei Pflanzen sind diese Vermögen gemischt, das Weibliche ist nicht vom Männlichen getrennt. Deshalb entstehen sie aus sich selbst und schütten keinen Samen [hier ist das männliche Sperma gemeint] aus, sondern produzieren einen Embryo, der Same genannt wird. (Übersetzung und Hervorh. N. C. K.).

Ob Aristoteles die Pflanze nun als eingeschlechtlich oder ungeschlechtlich definiert, bleibt offen. Generell diskutiert Aristoteles die Lebensweise der Pflanze bevorzugt als Explanans tierischer und menschlicher Vorgänge. Dies hat verschiedene Gründe, von denen der vordringlichste die Unfähigkeit zur freien Ortsbewegung ist, die Pflanzen mit menschlichen Embryonen, aber auch mit niederen Tieren teilen.32 Bei der Vermehrung von niederen, sessilen Tieren (z. B. Schwämmen und Muscheln) sei es deshalb eine reine Analogie, von geschlechtlichen Vorgängen zu sprechen, so Aristoteles, weil man Ähnlichkeiten mit höheren Tieren und Menschen konstruiere, die keine anatomische Entsprechung haben. Es sollte später Marcello Malpighi sein, der das Bewegungsprinzip der Pflanzen in der (lat.) placenta verortete. Aristoteles benötigt die Pflanzenanalogie ferner für die Explikation der Frage nach dem »Woher«, d. h. um »Leben« als Wachsendes in seinem Anfang (gr. arché) erfassen zu können. Das Pflanzliche der Pflanzen, ihre Pflanzenseele mit den spezifischen Vermögen der Ernährung, des Zuwachses und der Fortpflanzung, war in der griechischen Antike der Inbegriff der dynamischen Natur (gr. phýsis).33 Wachstum galt als ihr Wesen, welches auch anderen Lebewesen ermöglichte, zu leben. Das pflanzliche Potential der anima vegetativa findet sich (nach Aristoteles und Platon) bei Tier und Mensch im Bauch, zugeordnet zu Organen wie dem Magen als Raum der Mischung und Einverleibung (Assimilation) sowie der sich regenerierenden Leber und dem Uterus. Jene Plantamorphie offenbare sich aber auch äußerlich, etwa im Haarwuchs. Wegen dieses spezifischen Ermöglichungscharakters der Pflanzen sprach ihnen Aristoteles einen eigenen Körper ab. Pflanzen sind für Aristoteles (gr.) zonta, d. h. lebende Dinge.34 Sie haben keinen Körper, sondern sie »machen«, naturontologisch gesehen, Körper. Dafür müssen sie selbst körperlos und autark sein. Sie haben zwar Leben, sind aber keine Lebewesen im aristotelischen Sinne. So erklärt sich, erstens, die episte-

_____________ 32 Aristoteles, gen. an. I 1, 715b 15–20. 33 Vgl. Karafyllis (2006) und (2010). 34 Aristoteles, an. II 2, 413b.

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mologische Nähe von Pflanzenkunde und tierisch-menschlicher Embryologie bei Aristoteles und zweitens, sein Hinweis, dass Pflanzen autark aus sich selbst entstehen. Der Baum ist schon in den antiken Schriften ein Sonderfall des Pflanzlichen, denn er hat im weitesten Sinne einen corpus, der als Relikt nach dem Tod zurückbleibt. Der Baum nimmt wegen seiner Persistenz und Permanenz auch in den kulturellen Projektionen über die Jahrhunderte eine Sonderstellung ein. So galt Aristoteles die Dattelpalme als die normativ höchste aller Pflanzen, weil sie die tiefste Wurzel habe und am längsten von allen Pflanzen lebe. Die vegetative, ungeschlechtliche Vermehrung durch Sprossung und Ablegerbildung erscheint ihm typischer für die pflanzliche Fort-Pflanzung (verstanden als ein Sich-selbst-pflanzen) als die eher seltener zu beobachtende Zweihäusigkeit bei Bäumen, die auf eine Heterosexualität schließen ließe. Die beschriebene Bildung eines Samens (»Eies«) ohne geschlechtliche Prozesse, was bei einigen Pflanzenarten durchaus vorkommt (allerdings nicht bei der Olive), heißt in der heutigen Terminologie »Apomixis«. Bezüglich der Blütenanatomie bleibt Aristoteles, wie gesehen, ungenau, denn er erwähnt lediglich eine Art Mischung männlicher und weiblicher Prinzipien, was am ehesten mit dem Konzept des Hermaphroditismus (Zwittrigkeit) konform geht. Letztlich hat Aristoteles damit drei mögliche Formen der pflanzlichen Reproduktion benannt: (1.) vegetative (›asexuelle‹) Ablegerbildung, (2.) ›sexuelle‹ Befruchtung zwischen zwei getrennten und verschiedengeschlechtlichen Individuen derselben Art (Zweihäusigkeit/Diözie; Beispiel Feigenbaum) mit Hilfe von Insekten, (3.) ›sexuelle‹ Befruchtung innerhalb eines »gemischten« Individuums (Hermaphroditismus). Nicht explizit erläutert wird, ob es sich dabei um die Zwittrigkeit der Blüte (mit männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen) oder um die Zwittrigkeit des Individuums, das männliche und weibliche Blüten auf demselben Individuum aufweist (Einhäusigkeit/Monözie), handelt. Die Notwendigkeit des Windes für die Übertragung des Pollens (Anemophilie) zur Fremd- und Selbstbefruchtung wird ebenfalls nicht erwähnt, obgleich sie innerhalb der sexuellen Vorgänge bei den höheren Landpflanzen den quantitativ häufigsten Fall darstellt. Über die Gründe für diese Leerstellen lässt sich nur spekulieren. Aber ein Faktum ist nicht zu übersehen: Die Ablehnung einer eigenen Pflanzensexualität, die der Empiriker Aristoteles durchaus erwog, lehnte der Ontologe Aristoteles gleichwohl ab, weil es sein System der gestuften Seelenordnung mit einem dynamischen Anfang allen Lebens gefährdet hätte.

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4. Transformationen antiker und mittelalterlicher Wissens- und Wissenschaftsordnungen Als konzeptionelle Begründer der Pflanzensexualität werden in der Biologiegeschichte35 der Engländer Nehemiah Grew und sein Werk The Anatomy of Plants with an idea of a philosophical history of plants [...] (1682 gedruckt als Kompendium der Schriften von 1671–1682) und Marcello Malpighi mit seinem wenig früher begonnenen Werk Anatome plantarum (Bd. I: 1675, Bd. II: 1679) genannt. Beide waren über die noch junge Royal Society in London institutionalisiert und leiten ihre Werke mit einem naturphilosophischen Methodenteil ein, in denen sie die wichtigsten Ideen (lat. und engl. idea) zum pflanzlichen Leben zusammenfassen und ihre anatomischen Vorhaben schildern. Beide pflanzenanatomischen Werke wurden von der einflussreichen Royal Society in London verlegt, der Grew u. a. als Sekretär in den Jahren von 1677 bis 1679 diente. 4.1 Universum oder Utopie? Eine neue Welt der Pflanzen Dabei gilt es zunächst, die Konstruktionen neuer Welten, die Grew und Malpighi in ihren Schriften vornehmen, genauer zu differenzieren. Die Rede von »Welt« ist dabei explizit: Grew widmet seine Anatomy of Plants König Charles II. mit den auch auf Bacons Forschungsprogramm anspielenden36 Worten: »In sum, Your Majesty will find, that we are come ashore into a new World, whereof we see no end. It may be, that some will say, into another Utopia.«37 Mit der in der Frühen Neuzeit beliebten Schiffsmetapher wird hier die neue Offenheit der mikrokosmischen Welt ausgedrückt, in der der forschende Mensch womöglich keinen festen Ort finden wird. Bezogen auf die Erfolge der Mikroskopie sollte er mit der Endlosigkeit der Welt im Kleinen Recht behalten; aber auch mit der Ahnung von der Utopie. Die Sexualität der Pflanzen als übergreifendes Paradigma, das für alle Pflanzen gilt (auch Algen, Moose und Farne), hat bis zur Entdeckung des Generationswechsels durch Wilhelm Hofmeister (1824–1877) keinen festen Ort in der wissenschaftlichen Welt, obwohl sie immer wieder erforscht und postuliert wurde. Weil im frühneuzeitlichen Denken Mikrokosmos und Makrokosmos analog gedacht werden, wundert es nicht, dass Grew in seinem zweiten großen Werk, der Cosmologia sacra: Or a Discourse of the Universe as it is the Creature and Kingdom of God (London 1701), die Frage aufwirft, ob Pflanzen auf fremden Planeten vorkommen könnten. Denn auch das mittelalterliche Konzept von den Pflanzen _____________ 35 Vgl. Sachs (1875); Mägdefrau (1973); Jahn (2000). 36 Vgl. Hunter (1981–82). 37 Grew, Anatomy, The Epistle Dedicatory.

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als »grünem Kleid der Erde«, welches laut Bibel vor dem Menschen von Gott erschaffen wurde, steht vor einer transformatorischen Wende. Gleiches gilt für die mittelalterliche Sicht von den Pflanzen (im Mittelalter lat. vegetabilia genannt) als einer Fußspur Gottes (lat. vestigium) im Paradies auf Erden, wie wir sie im naturwissenschaftlichen Werk von Albertus Magnus finden. Grew ist dagegen Verfechter der neuen Physikotheologie, die die Welt mit wissenschaftlichen Methoden hinsichtlich ihrer Effizienz und Nutzbarkeit erforschen und sich dabei Gottes Schöpfung nähern konnte. Jenes Wissenschaftsprogramm schien nicht mehr auf göttliche Offenbarungen angewiesen. Jene Transformationen von Welt haben auch begriffliche Auswirkungen. Als Grew seinen ersten Vortrag zur Pflanzenanatomie (1671) als First Book seines Kompendiums elf Jahre später herausgibt, ändert er den englischen Begriff vegetables in plants. Dies wird von Wissenschaftshistorikern bislang als Marginalie bewertet,38 ist jedoch bedeutsam, weil die Begriffsänderung eine andere Perspektive auf das Phänomen Leben vorgibt. Das Vegetabilische oder (engl.) vegetable ist noch die direkte Übersetzung des griechischen Begriffs phytón, der bei Aristoteles in Verbindung mit dynatón, also als vermögendes Potential zu lesen ist. Wohingegen »plant«, ebenso wie »Pflanze«, mit der griechischen Tradition bricht und erst seit dem römischen Kontext zu finden ist: Es meint dasjenige, das gepflanzt ist, den Setzling, und erscheint stets im agrikulturellen Kontext.39 Ferner ändert Grew 1682 seinen früher verwendeten, lateinischen Begriff »germen« für Trieb und Keim in (engl.) »bud«: Knospe. Wenngleich damit wohl die Axillarknospe gemeint ist: Die Blüte rückt in den pflanzenanatomischen Fokus. Zusammengenommen markieren beide Änderungen eine neue Perspektive, in der das Produkt im Mittelpunkt steht. Im Trieb sind begrifflich noch zwei Prozesse verschmolzen, der der (lat.) generatio, oder Hervorbringung, und der der zielführenden productio. Die Knospe hingegen benennt das schon in Erscheinung getretene, und zwar im Hinblick auf die Vollendung, d. h. die Blüte und später die Frucht mit dem neuen Samen im Sinne einer reproductio. Der englische Begriff »germ« für Keimling ändert später im Zuge der fortschreitenden Mikroskopie seine Semantik hin zum Mikrobiologischen, für krankheitsbringende Keime wie Bakterien, aus denen nichts Gutes wird. Marcello Malpighi (Anatome, Idea, 1) konstruiert ebenfalls eine Welt, die er aber als universum plantarum bezeichnet, was weniger auf die dimensionale Offenheit als auf die strukturelle Einheitlichkeit des Mikrokosmos abhebt. Es steht bei ihm in Bezug zu den rerum natura, zur Gesamtheit aller Naturdinge, deren Wesen in ein eigentümliches Dunkel gehüllt sei. Deshalb wolle er sich nun nach seiner Tier- und Menschenanatomie mit den einfachsten Lebewesen, den _____________ 38 Vgl. LeFanu (1990), 13. 39 In Deutschland ist noch im 19. Jahrhundert, z. B. bei Goethe und Hegel, der Ausdruck des »Vegetabilischen« für das Pflanzenleben im wissenschaftlichen Sprachgebrauch zu finden. Er bezieht sich dort auf die Idee des werdenden Lebens, das sich selbst hervorbringt.

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Pflanzen beschäftigen, so Malpighi. Das lateinische universum bleibt in seiner Bedeutung bei ihm erdverbunden, was in geschlechtertheoretischer Perspektive damit korrespondiert, dass er die Pflanzen als weiblich erachtet. Die Generativität, die der Boden mit der Pflanze physisch teilt (im Sinne einer terra nata), zeigt sich bei Malpighi auch darin, dass er Blüte und Wurzel quantitativ gleichberechtigt untersucht und sich – inspiriert durch die Embryologie – stark für die Samenkeimung interessiert (Teil II der Anatome). Malpighis Untersuchungen zu Wurzeln sind umfangreicher und spezifischer als die des englischen Zeitgenossen. Er bleibt in dieser Hinsicht näher am antiken Denken. Denn Aristoteles legte bei den Pflanzen ein Hauptaugenmerk auf die Wurzel, die er analog dem Mund deutete, wohingegen er die Blüte kaum würdigte – sie wird weder als (gr.) télos (Ziel) noch érgon (Werk) pflanzlichen Lebens hervorgehoben. Bereits auf der ersten Seite seiner Anatome nennt Malpighi auch eine neue, erleuchtete Welt (lat. Mundus lustratus), eine begriffliche Konstruktion, die sakralgeschichtlich das Erbe einer Reinigung trägt, für die man sich geopfert hat (Malpighi hatte lange mit gesundheitlichen Schwierigkeiten zu kämpfen). Malpighi verwendet (lat.) planta für den Setzling, vegetantes für das Wachsende (die Gewächse) und vegetabilium für das pflanzlich Werdende in etwa paritätisch. Für fremde Planeten interessiert er sich nach unserem Wissen nicht. 4.2 Der Stadtgarten als frühneuzeitliches Labor Die in diesem Beitrag hervorzuhebenden Brüche und Kontinuitäten mit dem botanischen Wissen der Antike beziehen sich sowohl auf die Wissens- als auch auf die Wissenschaftsordnungen. Denn erst ab der Frühen Neuzeit kann man streng genommen von einer Disziplin der Botanik sprechen, weil die Pflanze erst dann zum eigenen epistemischen Objekt der Physiologie, Anatomie und auch Taxonomie wird. Der Begriff »Botanik« (gr. botaniké, von gr. botáné: Weide, Gattung Salix) findet sich im 1. Jahrhundert n. Chr. bei dem griechischen Arzt Dioskurides in seiner einflussreichen Schrift ȇıȢЂ ϡȝșȣ πįijȢțȜȓȣ (lat. De materia medica). Hier geht es um die Pflanze als Lebens- und Arzneimittel. Der Ort ihres Vorhandenseins als unkultiviertes Wildkraut bzw. Baum (wie die salicylsäurehaltige Weide) ist in der Antike wichtig, wenn sie beim Sammeln in den Blick gerät; nicht so in der Pflanzenanatomie, wo die Pflanze zu einem epistemischen Objekt am urbanen Arbeitsplatz des Wissenschaftlers wird. Malpighi beklagt etwa, dass die Stadt Bologna seinen Pflanzen keine guten Wuchsbedingungen ermögliche.40 Die Konstruktion der Pflanzenwelten berührt somit ferner einen wichtigen experimentellen Umbruch für die Wissenschaftskulturen der Frühen Neuzeit. Grew in London und Malpighi in Bologna entwickelten jeweils eine Experimentalkultur im frühneuzeitlichen Labor. Neben anatomischen Untersuchungen führ_____________ 40 Malpighi, Anatome, II. Teil (1679), Vorrede.

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ten sie auch physiologische Experimente durch. Es ging für die neue Wissenschaft der Pflanzenanatomie um Gewächse, deren Kultivierung in urbanen Kontexten gut bekannt war und mit denen man deshalb auch vor Ort experimentieren konnte. Beide, Grew und Malpighi, wählen daher gewöhnliche Nutzpflanzen aus, Grew nennt dies (engl.) commonplace, zum Beispiel die Erbse und die Bohne – bis heute bevorzugte Modellorganismen botanischen Arbeitens –,41 aber auch zahlreiche Zierpflanzen. Auch bei letzteren handelt es sich meist um für einheimisch befundene Pflanzen wie z. B. Kornblume und Veilchen, mit wenigen ›exotischen‹ Ausnahmen wie Tulpe und Passionsblume (s. u.). Auf die Darstellung der mit Kolumbus 1498 neu nach Europa eingeführten Tomate, die in den Kräuterbüchern des 16. Jahrhunderts schon beschrieben wurde (u. a. als Malum aureum bei P. A. Matthioli), verzichten beide ebenso wie auf die später eingeführte und noch weniger bekannte Kartoffel, die im 17. Jahrhundert in Südeuropa zunächst als Zierpflanze gehalten wurde. Bei der Auswahl derjenigen Blütenpflanzen, an denen zum Teil sexuelle Vorgänge beschrieben werden, gehen Grew und Malpighi jedoch ganz getrennte Wege (s. u.). In der Kontextualisierung der frühen Phytotomien können unterschiedliche Motivationen für die Objektauswahl gefunden werden. Sie lassen sich mindestens in agrarpraktische und religiös fundierte Motivationen unterscheiden (vgl. Abschnitte 4.3 und 5). Eine weitere Motivation könnte die gewollte Anbindung an eine hellenistische Kultur gewesen sein (bei Malpighi) bzw. deren Ablehnung (bei Grew). So ist beim Blick auf Malpighis Objektauswahl sowie in der zugehörigen Nomenklatur eine deutliche Präferenz für durch die Griechen nach Europa eingeführte Kulturpflanzen und deren ursprüngliche Benennung zu finden; entsprechend wird ausgehend vom dorischen mêlon das lateinische mâlum (für die unsystematische Gruppe »Apfel«) gebildet. So heißt der Pfirsich bei Malpighi Malum Persicum (»Persischer Apfel«), die Aprikose Malum Armeniae bzw. armeniaca (»Armenischer Apfel«) und die Quitte Malum Cydoniae, nach einer Stadt auf Kreta. Für die Benennung der Aprikose war aber seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. auch das lateinische Persicum praecoquum (»frühreifer Pfirsich«, von byzant.-gr. ʍȢıȜȪȜȜțį) üblich, das bei Malpighi bewusst nicht auftaucht.42 Grew verwendet vorwiegend englische Trivialnamen für die untersuchten Pflanzen, was den Charakter des Ubiquitären und Populären seiner Pflanzenanatomie unterstützt. _____________ 41 Bezüglich des Modellorganismus Erbse (Pisum sativum L.) ist v. a. an die kreuzungsgenetischen Arbeitens Gregor Mendels zu Mitte des 19. Jahrhunderts zu erinnern, die Bohne (Vicia faba L.) wird v. a. in der Pflanzenphysiologie, spezifisch in der Bewegungsphysiologie, wegen ihrer Blattbewegungen untersucht, prominent Ende des 19. Jahrhunderts im Labor des Pflanzenphysiologen Wilhelm Pfeffer. Ferner war die Agrikulturchemie an Leguminosen interessiert (vgl. Bühler/Rieger [2009], 127 ff.). Bei den meisten Leguminosen handelt es sich um Selbstbefruchter, was sie zu einem weniger geeigneten Objekt für das Auffinden sexueller Vorgänge macht. 42 Für den eigentlichen Apfel verwendet Malpighi Pomo, entsprechend für den Granatapfel Pomis Granatis, die beide als biblische Frucht (lat. pomum) der Früchte gelten.

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4.3 Katholische und protestantische Strategien der Vereinheitlichung Spezifisch für den sakralgeschichtlichen Hintergrund von Grews Werk ist, dass in seine Schaffensperiode eine Reihe von durch König Charles II. erlassene Beschlüsse fiel, die die verschiedenen protestantischen Splittergruppen und Nonkonformisten unter der anglikanischen Church of England zu vereinigen suchten (Quaker Act 1662, The Act of Uniformity 1662, Conventicle Act 1694, Five Miles Act 1665). Eine für alle Glaubensgemeinschaften verbindliche Fassung des Common Book of Prayer erschien ebenfalls 1662. Nehemiah und sein Vater Obadiah Grew, Vikar in Coventry, gehörten als Presbyterians zu den so genannten Nonkonformisten. Diese bilden eine calvinistische Glaubensgemeinschaft, die 1648 in England nur für wenige Jahre als eigenständig anerkannt wurde. Für die Presbyterianer kennzeichnend ist der Glaube an die Souveränität eines personalen Gottes, teilweise auch die Ablehnung der Trinität (wie bei den so genannten Unitarians), was erklären könnte, wieso sich Grew bei der Untersuchung der Sexualvorgänge stets gegen die Übertragung eines animus oder spiritus in Form eines »Dritten« wehrte. Grews Wirken fiel in die Zeit zwischen dem Niedergang des Commonwealth of England und der Etablierung des Königreichs Großbritannien (1707). Im Act of Settlement wurde 1701 die protestantische Thronfolge niedergelegt. Die Mentalität der Vereinheitlichung und das Motiv der Bindung an übergreifende Prinzipien, mit einer spezifisch protestantischen Konnotation, beeinflusst auch die wissenschaftlichen Werke jener Zeit. Ferner konnte man sich in England auf eine Art imperialen Konsens berufen, der auf die gesamte Natur angewandt wurde. All dies ist im ›italienischen‹ Kontext abwesend. Bei Malpighi finden wir wohl eher notgedrungene Zugeständnisse an religiöse Herrschaftskontexte (vgl. Abschnitt 5), ohne dass er uns über seine eigenen Motivationen Auskunft gibt. Eine explizite Anlehnung an die Wissenschaftsauffassung der Antike finden wir in seinem Schlusswort der Anatome plantarum, in dem er sich auf die Worte des Sophokles bezieht. Er lässt hier keinen Zweifel an seiner Religiosität, wobei er naturwissenschaftliches Arbeiten gerade nicht zu demjenigen Bereich zählt, der durch Gebete gefördert werden kann: Während Du, lieber Leser, diese kleine Auswahl aus dem reichen Schatze der Natur, studirst, werde ich nach dem Rathe des Sophocles wieder Neues lernen und das übrige, was man von den Himmlischen erflehen kann, durch Gebete zu erhalten suchen.43

Martin Möbius deutet dies als Hinweis auf Sophokles’ Antigone (Vers 710 f): »Nicht schimpflich ist’s, selbst wenn ein Mann sehr weise ist, Zu lernen viel und sich zu überheben nicht.«44 Aber auch hier machen sich politisch motivierte Einheitsstrategien bemerkbar. Malpighis Wirken fiel in die Amtszeit der Päpste Innozenz XI. und Inno_____________ 43 Malpighi, Anatome, Übersetzung von Möbius (1901), 121. 44 Möbius (1901), 163.

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zenz XII. Beherrschendes Thema im Pontifikat (1676–1689) von Innozenz XI. war die Reinhaltung des katholischen Glaubens und die Abwehr der Türken in Europa. Zu diesem Zweck arbeitete er an einer christlich motivierten Einheit innerhalb der Fürsten Europas, die zu einem Defensivbündnis gegen die Osmanen dienen sollte (u. a. die Heilige Liga von 1664). Dies könnte erklären, warum Malpighi in seiner Anatome bewusst auf das epistemische Objekt der Dattelpalme verzichtete, galt diese doch als zentrales Symbol des muslimischen Kulturkreises. Im Gegensatz zum angespannten Verhältnis mit Frankreich waren die Beziehungen von Innozenz XI. zu England und zu Wilhelm III. von Oranien-Nassau gut, so dass Malpighis interkulturellem Austausch mit London, Leiden und Delft von oberster Seite nichts entgegen stand. Die Dattelpalme fehlt bezeichnenderweise auch im Werk von Grew, obwohl sein Zeitgenosse John Ray sie schon systematisiert hatte. Die Abwehr der Türken und die noch frische Erinnerung an die wissenschaftliche Vorherrschaft der Araber führte zu einer vorläufigen Einheit, die auch auf der symbolischen Ebene wirkte und die Wissensordnungen vorstrukturierte. 4.4 Koloniale Botanik Im Vergleich zu den allgemeinen Beschreibungen der pflanzlichen Lebensweise (z. B. dem Verhältnis von Größe und Lebensdauer) in Aristoteles’ De anima und den Parva naturalia (v. a. in De plantis und De iuventute et senectute) und den spezifischeren Analysen seines Schülers Theophrast, die auf Inhaltsstoffe, pharmazeutische Wirkung und agrarische Nutzung fokussierten, sind die Naturforscher des ausgehenden 17. Jahrhunderts inspiriert durch die ersten Systematiken (Nehemiah Grew z. B. durch die Pflanzensystematik von John Ray) und den interkulturellen Austausch von wissenschaftlichen Schriften, die sich auch fremden Pflanzen widmeten.45 Die erste Tendenz, den systematischen Fokus auf Art und Gattung, finden wir hauptsächlich bei Grew, der als Erster die Artspezifität des Pollens aufzeigte (wie auch die Individualität des Fingerabdrucks beim Menschen, 1684).46 Seine Methode waren der Vergleich im Hinblick auf das Gleichartige (engl. Kindred) und die Analogiebildung, zuvorderst die mit dem Artefaktischen. Die der Natur unterstellten Prinzipien waren Proportion und Disposition. Die zweite Tendenz zu einer interkulturellen und diachronen Synopse finden wir eher bei Malpighi, der sich dezidiert gegen eine pflanzensystematische Heran_____________ 45 Theophrasts Werk wurde der Frühen Neuzeit erst im Rahmen der Aristoteles-Ausgabe von Aldus Manutius zugänglich (Venedig 1495–1498). 46 Nehemiah Grew: »The description and use of the pores in the skin of the hands and feet«, Philosophical Transactions of the Royal Society of London, vol. 14, 566–567 (1684). Vgl. zur Individualität des Fingerabdrucks auch die kurz darauf erscheinende Schrift von Marcello Malpighi, De Externo Tactus Organo Anatomica Observatio (Neapel 1685).

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gehensweise stellt und dafür als Gewährsmann Theophrast benennt, der davor gewarnt habe, über alle Pflanzen berichten zu wollen. Sie seien zu verschieden.47 Malpighi kannte z. B. die Schrift De plantis Aegypti über die Zweigeschlechtlichkeit der Dattelpalme von Prospero Alpini, der von 1580–1583 als Leibarzt dem venezianischen Konsul in Kairo diente und später (ab 1593) einen Lehrstuhl für Botanik in Padua innehatte. Allerdings nutzt er sie in seiner Pflanzenanatomie nicht. Auch Malpighi arbeitet mit dem Mittel der Analogiebildung, die er allerdings in der Tieranatomie sucht und findet (siehe Abschnitt 4.5). Im universitären Kontext der Frühen Neuzeit verabschiedete man sich vom volkskundlich-pharmazeutischen Wissen aus den Kräuterbüchern (z. B. dem von Jacobus Th. Tabernaemontanus von 1625 und dem von Petrus Andreas Matthiolus von 1554), die heilkundlich durch die Signaturenlehre, die Galensche Medizin und die überwiegende Darstellung von Wildpflanzen geprägt waren. Systematisch orientierte Werke wie Pinax theatri botanici (1623) von Caspar Bauhin, der sich explizit in eine antike Tradition mit Theophrast, Dioskurides und Plinius dem Älteren stellte, blieben allerdings weit bis ins 18. Jahrhundert im Gebrauch und wurden mehrfach nachgedruckt. Zwischen 1550 und 1700 vervierfachte sich die Zahl der ›Europa‹ bekannten Pflanzenarten. Vor dem Hintergrund der Expansionsbewegungen ersetzte Kultivieren nun in weiten Teilen des Forschens das regionale Sammeln, was zu einer Aufwertung der Hortikultur im universitären Kontext führte. Pflanzen und ihre Samen wurden als Wissensobjekte überregional getauscht und vermehrt, so dass Londa Schiebinger und Claudia Swan für die Frühe Neuzeit berechtigt vom Aufschwung einer »kolonialen Botanik« sprechen. Es ist die Zeit, in der der Botanische Garten nicht mehr nur Medizinalgarten für den lokalen Gebrauch war, sondern als hortus vivus zum institutionalisierten Hort des Kultivierens einheimischer und fremdländischer Pflanzenarten aus den Neuen Welten transformiert wurde. Das späte 17. Jahrhundert steht damit schon im Zeichen eines globalen Pflanzenund Wissenstransfers.48 Die Pflanzenanatomie und -physiologie entwickelt sich vor diesem Hintergrund und führt zu jener Zeit noch ein universitäres Schattendasein. Auch Nehemiah Grew interessierte die Natur in der ›Neuen Welt‹. Als Sekretär der Royal Society schrieb er einen Brief nach Neuengland um nachzufragen, ob die Indianer homosexuelle Praktiken kennen würden, was dort für peinliche Bestürzung sorgte.49 Sein Interesse an der Heterosexualität im Sinne einer ›Naturkonstante‹ kannte keine geographischen Grenzen.

_____________ 47 Malpighi (1675), Idea, 2. 48 Vgl. Schiebinger/Swan (2005); Klemun (2006). 49 LeFanu (1990), 67.

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4.5 Die anatomische Nähe von Pflanze und Tier Die Frühe Neuzeit etabliert eine auf Anatomie und Physiologie beruhende Kanonisierung der Lebenswissenschaften in Botanik, Zoologie und Humanmedizin, die ihr Fundament rund um das neue epistemische Objekt »Zelle« legt. Die Idee der Einfachheit der Natur, die nach universalen Ordnungsprinzipien, welche übergreifend für Pflanze, Tier und Mensch gelten, beginnt sich durchzusetzen. Vor diesem Hintergrund werden nun auch die Pflanzen »sexualisiert«. Dafür bedarf es zunächst einer Analogisierung mit tierischen Strukturen. Malpighi und Grew waren beide studierte Mediziner, was sich in ihrer Methodik und ihrer übergreifenden Suche nach anatomischen und physiologischen Prinzipien zeigt. Malpighi war hauptsächlich in Bologna tätig, auf einem extra für ihn geschaffenen Lehrstuhl für Theoretische Medizin. Wegen seiner anatomischen Werke war er schon eine Berühmtheit, als Grew seine Pflanzenstudien begann. Malpighi stand in Korrespondenz mit der Royal Society, zu deren Fellow er ernannt wurde, v. a. wegen seiner aufsehenerregenden Insektenanatomie und seiner histologischen Studien zum Menschen. Grew und Malpighi pflegten eine freundschaftliche Korrespondenz,50 die einige terminologische Parallelen in den Werken beider erklärt. Anstatt den Begriff »Botanik« zu verwenden, heben Grew und Malpighi eine Kontinuität anatomischen Arbeitens hervor, die nun das unterste der drei Reiche des Lebendigen in ihrem Inneren offenbaren soll. Gesucht wird zunächst danach, was allen Pflanzen gemeinsam ist – und, in einem weiteren Schritt, allen Lebewesen. Das heißt, jene neue Anatomie der Pflanzen ist als vergleichende Anatomie angelegt. So werden Blatt, Wurzel und Sproß zu den kennzeichnenden Organen der Pflanze, wobei allerdings nur Grew das (engl.) Wort »organ« verwendet. Malpighi folgt hier Aristoteles, der das griechische órganon bezüglich der Pflanzen als Entitäten bewusst vermieden hat, weil er die Pflanze als körperloses »Dingwesen« (gr. zónton) ohne Wahrnehmung erachtete, das nicht mit Hilfe einer technisch-funktionalen Metaphorik zu fassen war (anders als etwa der Tier- und Menschenkörper). Dem widerspricht nicht, dass Aristoteles einzelnen Pflanzenteilen (etwa der Wurzel) Organcharakter in Analogie zu Mensch und Tier zusprach. In beiden Anatomien wird die Blüte zum ersten Mal einer genaueren Untersuchung unterzogen und als Sonderform des Blattes erkannt. Von der Antike und dem Mittelalter übernommen wird die grobe phänomenologische Aufteilung der Pflanzen nach ihrem Verholzungsgrad (in die Kategorien Bäume, Sträucher, Kräuter), wie wir sie in Theophrasts Arbeiten finden. Dass Malpighi seine Pflanzenanatomie mit den Bäumen (u. a. Eiche, Walnuss) beginnen lässt, liegt nicht nur an der antiken Vorgabe, dass die Bäume die ontologisch höchsten aller Pflanzen seien, sondern auch an seinem Ziel einer Verkörperlichung der Pflanzen. _____________ 50 Vgl. Adelmann (1975).

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Dazu passt, dass er die Bewegungen der Mimose erwähnt (zu lesen schon bei Theophrast), die als Pflanze damit in die Nähe des Tieres rückt. Ist die Pflanze (genaugenommen: die Pflanzenseele) naturontologisch mit ihren spezifischen Vermögen der Ernährung, des Wachstums und der Zeugung/ Fortpflanzung (gr. génesis) bei Aristoteles noch die Grundlage jeglicher Beseelung des Lebendigen (vgl. De anima) – ein Konzept, das auch im Mittelalter noch vorherrschend ist –, so finden wir bei den Naturforschern des ausgehenden 17. Jahrhunderts davon kaum Spuren. Das griechische psyché, das ins Lateinische übertragene pneuma (vorherrschend in den mittelalterlichen naturphilosophischen Schriften) und das englische soul kommen in Grews und Malpighis Texten nicht vor. Dennoch gilt es, die physische Autarkie der Pflanzen – die die Antike besonders hervorhob und die die heutige Biologie mit »Autotrophie« benennt – konzeptuell zu fassen, denn nur diese sichert den naturontologischen Status des Fundaments aller Lebewesen. Bei Grew kommt diesbezüglich schon eine materialistische Lesart und damit eine ontologische Abwertung der Pflanzen zum Tragen, die den Abstand zwischen dem Toten und Lebendigen schmaler werden lässt; denn er ordnet seinem pflanzenanatomischen Werk eine an der Chemie orientierte Auflistung von Inhaltsstoffen, Mineralien und Salzen bei. Hier soll die Natur in ihrer belebten und unbelebten Ganzheit strukturell erfasst werden; ein Forschungsprogramm, das spezifisch für die Royal Society ist und sich u. a. in der von Grews Kollege Robert Hooke vorgeschlagenen These zur Porosität der Materie zeigte. Nicht so bei Malpighi, der sich in Anatome neben der Pflanzenanatomie mit der dynamischen Interaktion von Boden, Pflanzen und Insekten beschäftigt. Ebenfalls widmet er sich dem künstlichen Bebrüten von Hühnereiern (ova incubata), was hinsichtlich der Analogie von Pflanzenembryo (Same) und Vogelei eine gewisse Kontinuität mit aristotelischem Denken aufweist. Die Entstehung von Pflanzengallen durch Insekten, das Keimungsverhalten und die Existenz der Wurzelknöllchen bei Hülsenfrüchtlern (Erbse, Bohne51) erweckten sein zusätzliches Interesse. Seine Experimentalkultur stützt sich weniger auf systematisches Ordnen und Vermessen als auf die Beobachtung dynamischer Vorgänge, die Aristoteles’ Zugang eher entspricht. Malpighi beschreibt die Fähigkeit der Pflanzen, die Umweltmedien zu nutzen, z. B. Luft und Wasser anzusaugen, und vergleicht die zugehörigen Strukturen mit denen der Insekten – bis heute heißen die wasserführenden Gefäße der Pflanzen und die luftführenden Gefäße der Insekten biologisch »Tracheen«. Bei Malpighi, anders als bei Grew, wird das Tier zum boundary object52 der universalen Beschreibung des Lebendigen. Im Haupttext von Malpighis Anatome _____________ 51 »Bohne« umfasst bei Malpighi zwei epistemische Objekte: die so genannte ›Saubohne‹ (Vicia faba L.), die er als Faba bezeichnet, und die ›Gemeine Bohne‹ (Phaseolus vulgaris L.), die er als Faseolus benennt (vgl. Möbius [1901], 123). 52 Vgl. Star/Griesemer (1989).

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plantarum äußert er sich etwa zur Frage der Atmung (lat. respiratio) und des Vorhandenseins der Lunge (lat. pulmones) in allen Lebewesen, auch in den erdverbundenen Pflanzen: […] plantae igitur (ut conjectari fas est) cum sint viventia, visceribus infixa terrae, ab hac, seu potius ab aqua & aere, commixtis & percolatis a terra, respirationis sue materiam recipiunt, ipsarumque tracheae ab halitu terrae, extremas radices subingresso, replentur. (Malpighi, Anatome, 15).

Dass sich Malpighi für die Analogisierung mit dem Tier hier gerade auf die Insekten konzentriert (die er vorher anatomisch bearbeitet hatte), zeigt ebenfalls eine gewisse Kontinuität mit aristotelischem Denken (wenngleich in der Antike »Insekten« eine diffuse Gruppe bezeichnete, unter die etwa auch die Ringelwürmer fielen). Denn beim Stagyriten finden wir die (nur bezüglich der Pflanzen zutreffende) Ansicht, dass Pflanzen und Insekten geteilt weiterleben können. Pflanzenteile haben Totipotenz, was man sich technisch zu Nutze machen kann (z. B. für die Stecklingsvermehrung). Aristoteles macht aber eine wichtige Differenzierung, die Malpighi nicht aufgreift. Denn selbst wenn Insekten geteilt weiterlebten, so könnten sie aber in den separaten Teilen keine Organe mehr generieren und daher niemals wieder »ganz« sein, so Aristoteles.53 Den Pflanzen komme dieses allumfassende Potential aber explizit zu: Jeder Pflanzenteil vermag es, Verschiedenes zu werden (im Originaltext: ԭ İ’ Ԛȟ ij‫ ׮‬ĴȤij‫ ׮‬İȫȟįijįț·ʍįȟijįȥ‫ ׇ‬ȗոȢ Ԥȥıț […]). Für das aristotelische Verständnis vom Pflanzlichen als eigener Lebensweise und auch einem eigenen, autarken Lebensprinzip ist dies eine zentrale Stelle. Das griechische phytón wird bei Aristoteles mit dynatón, dem umfassenden Vermögen zu »etwas« zu werden, analogisiert. Für das frühneuzeitliche Ziel einer Universalisierung von Lebensprinzipien auf organischer Grundlage ist dieser Hinweis aber eher hinderlich, zumal sich Aristoteles gerade auf die asexuelle (= vegetative) Vermehrung konzentriert. Er wird daher weder von Malpighi, noch von Grew (der Malpighis Vorschlag der Tracheen-Analogie übernimmt) weiter verfolgt. Stattdessen unterstellt Malpighi bezüglich des Kambiums der Bäume (der Wachstumsschicht zwischen Holz und Rinde), dass dort die präformierten Anlagen für den Holzzuwachs vorlägen, in Analogie zu den Segmenten der Insektenraupen vor deren Metamorphose. Den Laubfall der Pflanzen im Herbst setzt er ebenfalls analog zur Insektenmetamorphose. Diese Analogiesetzungen finden wir bei Grew nicht. Beide Pflanzenanatomen orientieren sich in Bezug auf die Geschlechtsorgane der Pflanzen an den Säugetieren (Mammalia) unter Einschluss des Menschen, nicht an den Insekten. Malpighi sieht ferner eine Analogie zwischen den milchführenden Gefäßen der Pflanzen und den blutführenden Gefäßen des Tieres (»vasculis lactiferis, seu sanguineis«; Malpighi Anatome, Idea, 14), wohingegen _____________ 53 Aristoteles, De longitudine et brevitate vitae, Kap. 6.

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bei Aristoteles der Milchfluss noch als Beleg einer Weiblichkeit der Pflanze gedeutet wurde, weil er sie mit den Milchgefäßen der Säuger verglich. Auch als es um die Frage der so genannten Jungfernzeugung (Parthenogenese) der Pflanzen geht, für die Malpighi im Gegensatz zu Grew votiert, unterschlägt Malpighi den aristotelischen Hinweis aus De generatione animalium, dass Jungfernzeugung sowohl bei Pflanzen als auch bei Fischen vorkomme. Ferner hatte Malpighi in seiner Tieranatomie bereits den Hermaphroditismus der Landlungenschnecken aufgezeigt – diesen Hinweis auf eine weitere Möglichkeit sexueller Befruchtungsvorgänge finden wir in seiner Pflanzenanatomie ebenfalls nicht. Einen weiteren, direkten Hinweis auf die erwähnte Verkörperlichung der Pflanzen in der Frühen Neuzeit finden wir bei Malpighi, der schon von einem corpus plantulae spricht.54 Auch die – erstmals beschriebenen – Staubgefäße haben bei ihm einen eigenen Körper (staminum corpus).55 Die antike Analogie mit »dem Tier« wird also bei Malpighi bewusst nach den Kriterien der Universalisierung und Korporisierung der lebendigen Natur gefiltert. Nehemiah Grew verwendet den Hinweis auf das Tier kaum zu wissenschaftlichen, sondern vorwiegend zu strategischen Zwecken. Bei seinem König Charles II. möchte er zunächst Interesse für das neue Feld der Pflanzenanatomie wecken, wie in der entsprechenden Widmung zu The Anatomy of Plants nachzulesen ist: Your Majesty will here see, that there are those things within a Plant, little less admirable, than within an Animal. […] So that a Plant is, as it were, an Animal in Quires; as an Animal is a Plant, or rather several plants bound up into one Volume. […] all the said Organs, Bowels, or other Parts, are as artificially made; (Grew, The Epistle Dedicatory).

Nicht nur wird hier die Grenze zwischen Tier und Pflanze als diffus beschrieben um die Pflanze ontologisch gleichsam aufzuwerten, sondern auch die Nähe beider zum Artifiziellen und Materiellen wird betont, was genau den gegenläufigen Effekt hat. Der Ausdruck »in Quires« stammt laut Oxford English Dictionary56 aus dem Druckgewerbe und meint eine ungebundene Blattsammlung: Die Pflanze wird bei Grew zum losen Verbund von Seiten, die man zu einem Buch, das den Tierkörper paraphrasiert, künstlich zusammenbinden kann. Indirekt wird mit dieser Metaphorik ausgedrückt, dass man das augustinische »Buch des Lebens« zerlegen und wieder neu zusammen setzen kann.

_____________ 54 Malpighi, Anatome, Idea, 9. 55 Ebd., Haupttext, 49. 56 Oxford English Dictionary (1998), vol. VIII, 40.

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4.6 Materialismus, Funktionalismus, Strukturalismus Deutlich wird bei Grew ein Bezug zur Welt, die Methodenarsenal und Materiallager für den Wissenschaftler ist: For as the World, taken together, is Natures Shop; so the Principles of Things are her Tools, and her Materials. Wherefore, as it speaks the goodness of a Shop, so the Perfection of the Universe wherewith, and many Materials whereupon to work. (Grew, Anatomy, IV, Lect. I, Of Mixture, 223; Hervorh. i. Orig.).

Diese Bemerkungen sind deshalb aufschlussreich, weil in den biologiehistorischen Kompendien den nahezu zeitgleichen Gründern der Pflanzenanatomie fälschlicherweise auch gleiche Anliegen und Motivationen unterstellt werden. Der Engländer Grew ist ein tief religiöser Mann, der mit Hilfe der Pflanzenanatomie sein physikotheologisches Weltbild vervollkommnen will. Gottes Kreaturen in ihrer Perfektion (ein Konzept noch des lateinischen Mittelalters) wissenschaftlich zu erkennen ist sein Hauptziel. Die Wissenschaftshistoriker Donald Worster und Peder Anker ordnen Grew unter die ersten »Ökonomen der Natur« ein.57 Worster stellt auch John Ray, auf den sich Grew in seinem Werk bezieht, in diese Reihe und sieht beide – etwas vorschnell – als Vorläufer des Linné’schen Zeitalters einer vermessenen und systematisierten Natur. Allerdings erwähnt Grew an keiner Stelle den durch seinen Kollegen Isaac Newton neu konzipierten Begriff des Naturgesetzes, der erst im 18. Jahrhundert zur Basis einer universalen Vermessbarkeit und Mathematisierbarkeit werden sollte. Während sich Malpighi für sein anatomisches Arbeiten auf (lat.) structura als Kategorie bezieht, ist es bei Grew bereits der Begriff (engl.) function, und zwar von Organen und ihren Eigenschaften (properties).58 Die Natur beschreibt Grew als Handlanger (handmaid) einer göttlichen Weisheit, die mit Nadel und Faden am Werke sei. Die Textilmetapher (und zwar genauer das Gewebte und Gestrickte, nicht das Gesponnene und Gestickte) durchzieht seine gesamte Pflanzenanatomie und wird nur vereinzelt durch die damals prominente Uhrwerksmetapher durchbrochen – und zwar dann, wenn er sich an die Ursache (cause) des Wachstums wagt und sie mit der Springfeder in Verbindung bringt. In Grews Pflanzenanatomie spiegelt sich der industrielle Aufschwung Englands wieder. Die Natur ist bei ihm ferner »a great Engine«, ein großer Motor einer Maschine, die Gott mit allen Teilen funktionierend zusammengefügt hat, und an die er nur ab und an, wie beim Aufziehen einer Uhr, Hand anlegen muss (Grew, Anatomy, II, 88). Dass die vielfältigen Meisterwerke umsonst gemacht seien, hält Grew für ausgeschlossen _____________ 57 Worster (1994), 51–53; Anker (2005). 58 Bereits im Vorwort zur Anatomy schreibt Grew: »The first occasion of directing my Thoughts this way, was in the Year 1664, upon reading some, of the many and curious Inventions of Learned Men, in the Bodies of Animals.« Später lesen wir, ebenfalls im Vorwort: »And lastly, a view of the chief Particulars, wherein the Mechanisme of a Plant, is different from that of an Animal. But these things I leave to some other hand.«

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und er weiß doch, dass die Natur ihre Zwecke nicht von selbst offenbart. Bezogen auf das natürliche Werk: »some Parts of it, will still remain behind, Unseen.« (Hervorh. i. Orig.) Deshalb müsse man sich angesichts der Wirkungen (effect), die die Natur hervorbringe und die man dennoch nicht besitze, einen anderen Zweck bei ihrer Beobachtung zu eigen machen: »such as have respect to Vegetation: That the Corn might grow, so; and the Flower, so, whether or no Men had a mind, leisure, or ability, to understand how.« (Hervorh. i. Orig.) Trotz der ausgeprägten technischen Metaphorik des Pflanzlichen bei Grew, die sich signifikant von der Diktion Malpighis unterscheidet, würdigt Grew das Konzept der schieren Möglichkeit des Wachstums, das allerdings kein aristotelisches Vermögen im Sinne einer (gr.) dýnamis meint. Sondern Grew verbindet die Potentialität mit einem Zugang, der typisch für die neuzeitliche Experimentalkultur werden sollte und das Unkontrollierbare der Natur ex negativo definiert. Gerade in der Möglichkeit, sich trotz experimenteller Provokation nicht zu zeigen, offenbart sich demnach das Wesen der Natur. Deshalb habe man Respekt vor der Natur zu haben, so Grew. Hier klingen noch Reste eines voluntaristischen Gottesbegriffs an. Malpighi kannte die Metaphorik in De generatione animalium, in der Aristoteles die Analogie zwischen Technik und Natur nicht mehr mit Hilfe eines Baumeisters oder Architekten erläutert (wie noch in der Physik), der so Häuser baue wie die Natur Körper konstruiere, sondern zwei neue Typen des Technikers einführt: den Gärtner, der sät und pflanzt, und den Koch, der für die richtige Mischung der Säfte sorgt und das richtige Maß an Wärme zuführt. Daran orientiert er sich bezüglich der aufgefundenen Strukturen und Funktionen in seiner Pflanzenanatomie, die keinerlei Anleihen beim Artefakt macht. Neu hinzu kommt ein Einfluss Galens, der im katholischen Kontext (u. a. bei Albertus Magnus) noch verstärkt wurde: die Hervorhebung eines eigenen Lebensprinzips, das sich in Form von Bewegung zeige und einer richtigen Säftemischung verdanke. 4.7 Das vereinheitlichende Strukturmerkmal: Die Zelle Obwohl Grew und Malpighi, die ersten sind, die das Mikroskop im botanischen Anwendungsbereich nutzen, arbeiten sie beide vor allem makroskopisch-morphologisch. Malpighi und Grew standen im mündlichen und brieflichen Austausch mit den wichtigsten Naturforschern ihrer Zeit. Grew59 war Kollege des sechs _____________ 59 In der Einleitung bezieht Grew sich neben der Pflanzensystematik Methodus plantarum nova (1682) von John Ray (1628–1705) auf das embryologische Book of Generation (exakter Titel: The History of Generation, London 1651) von Nathaniel Highmore (1613–1685), das auch zahlreiche Pflanzenillustrationen zeigt und den ersten englischsprachigen Hinweis auf die Verwendung des Mikroskops enthält, und ein Buch mit dem Namen Propagation of Plants von Robert Sharrock (Oxford 1660, 2., verm. und korrig. Aufl. 1672). Sharrocks Buch (Exakter Titel: The

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Jahre älteren, aber ungleich etablierteren Robert Hooke, den er in der Einleitung zur Anatomy of Plants erwähnt. Hooke mikroskopierte verschiedene tierische und pflanzliche Gewebe, z. B. die Epidermis der Brennnessel und das Korkgewebe (tot), dargestellt in seiner Micrographia von 1665. Er erkannte, dass der Pflanzenkörper aus kleinen Hohlräumen besteht und prägte den englischen Begriff cell.60 Hooke erinnerten die Strukturen an Bienenwaben und er assoziierte diese mit eng beieinander liegenden Klosterzellen, daher das Wort »Zelle« für »Kammer«. Hookes Anliegen ist jedoch, die vielseitige Verwendbarkeit des Instruments zu zeigen. Pflanzengewebe dient ihm als leicht zugängliches Anschauungsmaterial, nicht als Ausgangspunkt zu einer genaueren anatomischen Untersuchung. Nehemiah Grew hingegen war von Pflanzen begeistert und weniger vom Mikroskop, das ihm lediglich als Mittel zum Zweck diente. So schreibt er in seinem ersten Vortrag The anatomy of vegetables begun von 1671, dass er die Pflanzen mit dem »nackten Auge« (»naked eye«) beobachten wollte und die »Nutzung des Mikroskops, bis auf wenige Ausnahmen«, »mit Absicht« (»purposely«) unterlassen habe. Die Formulierung »with the naked eye« findet sich bei Grew öfters.61 In dieser Präferenz für das Makroskopische und sich von selbst Zeigende findet sich noch ein religiös motivierter Anklang an die Natur als Gottes Offenbarung, im Sinne eines Paradieses auf Erden. Er schien zunächst wenig begeistert von dem neuen Instrument und der dadurch entstehenden Perspektive, anders als Malpighi. Jener äußert sich in der Vorrede zum II. Teil der Anatome plantarum (1679) konträr, indem er auf eine Vernebelung der bloßen Sinne hinweist, die das Gewohnte nicht mehr zur Kenntnis nähmen. Interessanterweise verwendet Grew den Hookschen Begriff »cell« nur an einer einzigen Stelle (Grew, Anatomy, II, 64), statt dessen differenziert er die gesehenen Strukturen in bubbles, pores, bladders, vessels, vesicles (auch fibres). Man kann aus botanischer Sicht vermuten, warum: Sein Ziel ist es, verschiedene Gewebetypen auszumachen und diese unterschiedlichen Wachstumsstadien der Pflanze zuzuordnen. Er differenziert zwei substantiell unterschiedliche Teile (ebd., III, 118 u. ö.), den pithy part und den lignous part, was man in etwa mit dem markigen Teil (Mark) und dem verholzten Teil (Holz) gleichsetzen kann. Dem wachstumsfähigen Mark ordnet er ein Gewebe zu, das Parenchym (diese Begriffe gelten alle bis heute). Der Hooke’sche Begriff »cell«, ausgehend vom toten Korkgewebe, schien Grew wohl zu vereinheitlichend und materialisierend, _____________ History of the Propagation and Improvement of Vegetables by Concurrence of Art and Nature) thematisierte u. a. die Bastardisierung. 60 »[…] I could exceedingly plainly perceive it to be all perforated and porous, much like a Honeycomb, but that the pores of it were not regular […] these pores, or cells, […] were indeed the first microscopical pores I ever saw, and perhaps, that were ever seen, for I had not met with any Writer or Person, that had made any mention of them before this […].« (Robert Hooke: Micrographia, 1665, Observation XVIII). 61 Zum Beispiel auch in Grew, Anatomy, 74.

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denn der Kork ist ein Abschlussgewebe, das erst bei der ausdifferenzierten Pflanze zusätzlich gebildet wird. Diese langjährige ›Unterschlagung‹ des vereinheitlichenden Terminus ist aus wissenschaftshistorischer Sicht bemerkenswert, zumal über das persönliche Verhältnis von Hooke und Grew nichts bekannt ist. An einer Stelle nennt Grew ein Argument, warum er sich, dezidiert gegen Hooke, für den Begriff bladder (Blase) entscheidet: weil das Gesehene zwar nicht fluide, aber dennoch fixiert sei (und zwar im Gewebe), und weil es, anders als die Bienenwabe oder Klosterzelle, Diskontinuitäten zeige (ebd., I, 22). Malpighi nennt die Zellen in seiner Anatome durchgängig utriculi, ähnlich wie Grew sie als bladders benennt, also »Schläuchlein« oder »Bläschen«.62 Er bemerkt später in den Opera omnia, dass in den Blattzellen eine chemische Umwandlung der Stoffe stattfindet, die einen nährenden Saft entstehen lässt: »Folia a Natura in hunc usum institui, ut in ipsorum utriculis nutritivus Succus contentus a ligneis fibris delatus excoquatur.«63 Der anatomische Ort der pflanzlichen Autarkie, deren Prozesse später Photosynthese genannt werden sollten, war gefunden.

5. Grew und Malpighi: Das Geschlecht der Pflanzen Malpighi und Grew widmen sich der Frage nach dem Pflanzengeschlecht, das Aufschluss über etwaige sexuelle Vorgänge gibt, mit Bezug auf ein Individuum, innerhalb einer Blüte, und nicht, wie noch bei Aristoteles, mit Bezug auf zwei (geschlechts-)verschiedene Individuen derselben Art (zweihäusige Bäume wie Feige, Weide oder Dattelpalme).64 Dieser Umstand führt wiederum dazu, dass die Dattelpalme (Phoenix dactylifera L.) in Grews Anatomie gar keinen Eingang fand, und dass sie bei Malpighi erst in den Opera posthuma ausführlich zur Beschreibung der Samenkeimung konsultiert und mit der des Rizinussamens verglichen wird,65 aber nicht in Bezug auf ihre Zweigeschlechtlichkeit. Diese Unterschlagung ist bemerkenswert, zumal Malpighi männliche und weibliche Blüten des Kürbis in der Anatome zeichnet (Tafel XXIX, Fig. 170). Er nennt sie dort »Flos et Amentum«, d. h. nur die weibliche Blüte wird bei ihm als echte Blüte _____________ 62 Der Terminus »Zelle« benötigte noch einige Zeit, bis er sich auf einen als einheitlich konstruiert gedachten Wahrnehmungsgegenstand beziehen konnte und zum biologischen Begriff wurde. A. von Haller beschrieb 1757 die Zelle als Strukturelement der Gewebe sowohl bei Pflanzen als auch bei Tieren, gebraucht diesen Terminus aber nicht explizit für die singuläre Zelle (Diesen Hinweis verdanke ich Georg Toepfer, Berlin). 63 Malpighi, Opera omnia (1686), 14. 64 Mit einer Ausnahme: Malpighi zeichnet die männlichen Blüten der Edelkastanie, ohne näher auf die Geschlechtertrennung einzugehen. 65 Vgl. Malpighi, Opera posthuma (1697), Tafeln VII–IX, Fig. 1–10. Zur Keimung des Palmensamens schreibt er: »natura nam in palmis nucleum solidissimum et cartilagineum vegetatione emovit« (ebd., 72).

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Abb. 2: Vergleichender anatomischer Überblick über den Blütenbau verschiedener Samenpflanzen im Längsschnitt (Malpighi 1675, Tafel XXX). Im Fokus steht der Bau des Blütenbodens, die Oberoder Unterständigkeit des Fruchtknotens und der Bau der Staubfäden und -beutel. Die dargestellten Pflanzen nach heutiger Nomenklatur: Fig. 175 Mespilus germanicum L. (Mispel), Fig. 176 Amygdala communis L. (Mandelbaum), Fig. 177 Punica granatum L. (Granatapfel), Fig. 178 Silene inflata Sm., Fig. 179 Vicia faba L. (Saubohne), Fig. 180 Alcea rosea L. (Stockmalve), Fig. 181 Centaurea cyanus L. (Kornblume), Fig. 182 Helianthus annuus L. (Sonnenblume, die bei Malpighi Heliotropa genannt wird). Figur 177 zeigt die als Samenanlagen mit Nucellus eingezeichneten Zellaggregate beim Granatapfel. Die beiden abgesetzten, unteren Zellbereiche könnten womöglich die so genannten Antipoden darstellen.

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anerkannt. Das lateinische amentum bezeichnete einen Lederriemen (Spannriemen), der bei den antiken Athleten einen leichten Speer bzw. Wurfpfeil (ital. Giavelotto; altfranz. javeline) für den Flug stabilisierte. Die männlichen Blüten schienen dem Anatomen wohl so etwas wie stabilisierende Anhängsel für das rein weibliche Blütengeschehen zu sein. Eine ähnliche Vermutung war von Theophrast geäußert worden. Gezeichnet werden bei Malpighi Quer-, Längs- und Tangentialschnitte von einzelnen Organen und Pflanzenteilen, nicht mehr die ganze Pflanze wie noch im 16. Jahrhundert und früher. Im Original müssen sie in schwarz und rot koloriert gewesen sein.66 Er wählt, anders als Grew, bei Blüten bevorzugt den Längsschnitt und zeigt eine neue Mischform der Repräsentation, indem er Zellen einzeichnet, die erst bei sehr viel höherer Vergrößerung sichtbar wären (vgl. Abb. 2). Hier werden zwei Skalierungen in einem Bild wiedergegeben. Ferner nimmt er dreidimensionale Ergänzungen von Querschnitten vor, z. B. um den Röhrencharakter von Gefäßen anzudeuten. Grew mikroskopiert zwar Holz- und Wurzelquerschnitte, um Zellen aufzufinden, bei der Untersuchung der Blüten wählt er jedoch die Darstellung des lediglich »mit dem nackten Auge« Gesehenen, meist mit Hilfe einer Halbaufsicht. Nur die gezeichnete Struktur der Pollenkörner gibt hier Aufschluss über den Einsatz des Mikroskops. Grew tut Entsprechendes auf zellulärer Ebene nicht, er hält zelluläre und morphologische Darstellung strikt getrennt. Allerdings bildet er die Blüte, aus der er Teile isoliert, stets sehr viel kleiner ab als das vergrößerte mikroskopische Objekt und positioniert sie in die Ecke. Ihre phänomenale Erscheinung tritt durch diesen Kunstgriff in den Hintergrund, ihre mikroskopische Struktur in den Vordergrund. Sein Zeichenstil ist weitaus statischer als der Malpighis und verstärkt den Eindruck, dass es sich beim Dargestellten um etwas Artefaktisches, nahezu Technisches, handelt. Eine besondere Bedeutung hat schließlich die Untersuchung des Vermittlungsverhältnisses von Text und Bild in den untersuchten Werken, die hier nur angedeutet werden kann. Zu prüfen ist hierbei die These, Grew hätte die Pflanzensexualität gerade durch seine Zeichnungen popularisiert.67 In jedem Falle ist schon Grews Schreibstil deutlich imaginativer als der von Malpighi. Betrachten wir nun genauer Malpighis Blütenbeschreibungen und die zugehörigen Motivationen, die wir in Abschnitt 4.2 bereits in agrarpraktische und religiöse unterteilt haben. Malpighi war Katholik und so zeigt seine Pflanzenanatomie einen sakralgeschichtlichen Einfluss, der deutlich von dem in Grews Werk abweicht. Im katholischen Kontext waren viele Blütenpflanzen seit dem Mittelalter mit einer jungfräulichen Mariensymbolik belegt (zum Beispiel die Lilie, die Rose, die Ringelblume bzw. Calendula, der Frauenmantel). Sie wurden innerhalb der Klöster in eigenen Mariengärten kultiviert und dienten der Kontemplation, nicht _____________ 66 Vgl. Arber (1942). 67 So Zirkle (1935), 97.

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der wissenschaftlichen Erforschung. Jene Pflanzen schließt Malpighi als anatomische Untersuchungsobjekte zur Darstellung der Sexualorgane spezifisch aus. Seine Vorliebe für u. a. die Nutzpflanze Bohne (Vicia faba L.) ist nicht nur mit deren agrarischer Bedeutung (u. a. zur Bodenverbesserung als Zwischensaat) zu begründen, sondern auch mit dem praktischen Vorteil, dass sich der Same leicht von der Fruchthülle (Schote) lösen lässt. Marienblumen wie Rose, Iris und Lilie68 werden in Malpighis Anatomie durchaus abgebildet (vgl. Tafel XXVIII), allerdings um z. B. die verschiedenen Arten der Verwachsungen in der Blütenkrone zu zeigen. Sie stehen im Kontext mit der Untersuchung der Paeonia (Fig. 161), die sich wegen ihrer anatomischen Eigentümlichkeiten (»Monstrositäten«) zuvor schon Matthiolus und später auch Linné und Goethe als Untersuchungsobjekt empfiehlt. Insbesondere an der Stelle, an der Malpighi auf den Nektar als Analogon zum Menstrualblut der Frau hinweist, wählt er die ›unschuldige‹ Marienblume Lilie und ihr symbolisches Gegenüber, die Blüte des Granatapfels, als epistemische Objekte aus (vgl. Tafel XXXIV, Fig. 210 und 211). Es war die Frucht jener Blüte, die Eva als ›Apfel‹ in der Hand hielt und damit gleichsam den Sündenfall verursachte. Die Griffel jener beiden Blüten werden ohne umringende Staubblätter dargestellt, was den Effekt reiner Weiblichkeit betont. Weitere christlich symbolisch aufgeladene Pflanzen, die Malpighi untersucht sind Palma Christi69 und eine nicht näher zu bestimmende Nelkenart, die er Oculus Christi nennt. Die Passionsblume (Passiflora incarnata L.) gehört zwar ebenfalls zu seinen epistemischen Objekten (XXIX, Fig. 169), hieß aber bei Malpighi noch Maracot Indorum, so dass eine religiös motivierte Auswahl fraglich ist. Sie wurde zu Beginn des 17. Jahrhunderts aus der Neuen Welt in den italienischen Raum gebracht und 1633 durch den Botaniker und Jesuiten Giovanni Battista Ferrari (De florum cultura, Rom 1633) wegen ihrer an die Dornenkrone erinnernden Blüte als Symbol der Leiden Christi gedeutet (noch im Sinne der mittelalterlichen Signaturenlehre).70 Da Ferraris Werk weit verbreitet war und mehrmals neu aufgelegt wurde, kann man davon ausgehen, dass Malpighi es kannte. Auffallend ist ferner das Frontispiz zur Druckfassung von Teil I der Anatome (vgl. im Detail Karafyllis [2006]). Es zeigt u. a. Engel, die eine fruchtende Eiche, an der Efeu gen Himmel rankt, bei ihrer Vermehrung unterstützen indem ein _____________ 68 Bei Malpighi werden folgende »Lilien« untersucht: Lilium album (= Lilium candidum L.), Lilium rubrum (= Lilium calchedonicum L.), Lilium convallium (= Convallaria majalis L.), Lilium persicum (= Fritillaria persica L.). 69 Der Name Palma Christi bezeichnet in der Frühen Neuzeit sehr unterschiedliche Pflanzen, u. a. den Rizinusbaum mit den handflächengrossen und rot geaderten Blättern. Bei Malpighi ist – so Möbius ([1901], 124) – jedoch die Orchidee Orchis latifolia L. (dt. Knabenkraut) gemeint. 70 Eine frühere Beschreibung der Passionsblume findet sich beim englischen Herbalisten John Parkinson (1626, 193), der noch das mittelalterliche Konzept der Pflanzen als Zeichen eines irdischen Paradieses verwendete.

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Engel aus der Baumkrone eine Eichel hinab wirft. Damit wird sowohl auf die Vertikalität des pflanzlichen Lebens hingewiesen, die die Erde mit dem Himmel verbindet, als auch das zyklische Geschehen der Natur allegorisiert. Am Fuße der Eiche sitzen drei Leoparden mit menschlichen Gesichtern, was die anatomische Nähe von Tier und Mensch imaginativ hervorhebt. Dem Gegenüber haben die Pflanzen eine Nähe zum Göttlichen. Malpighi hat das Bild von Robert White (1645–1703) als Frontispiz selbst ausgewählt, wie aus einer Notiz von Robert Hooke hervorgeht.71 Die beiden für die griechische Antike zentralen Modellpflanzen, Ölbaum und Feige, werden von Malpighi ausführlich, von Grew gar nicht untersucht. Hinsichtlich der Auswahl der Pflanzen findet sich bei Grew der Hinweis, dass er mit Absicht versucht habe, nicht die gleichen Pflanzen wie Malpighi zu zeichnen.72 Malpighi zeichnet zwar ähnliche Gewebe wie Grew, also Wurzel und Spross, auch Fruchtknoten und Staubblätter, in weitaus größerer Vielfalt als der Engländer, aber er sieht in der Pflanze generell die wartende Jungfrau und Gott am Werke. In der Pflanze entstehe ein Pflänzlein wie in der Menschenfrau ein Menschlein. Malpighi verwendet miniaturisierende Begriffe zur Beschreibung des keimenden Samens, wie plantula, radicula, placentula (1675, Idea, 12). Ebenso bezeichnet er das pflanzliche Nährgewebe im Blütenboden, das im Laufe der Fruchtung anschwillt, als placenta (ebd., 10) und den Fruchtknoten als uterus. Damit wird deutlich, dass er den Samen als präformierte Pflanze versteht, die uteral nur ernährt wird. Amnion und Chorion des Säugetieres werden hier pflanzenanatomisch mit dem Endosperm und dem Nucellusgewebe gleichgesetzt.73 Allerdings bleibt der Pflanzensame (lat. semen, gr. spérma, engl. seed) eine rein weibliche Angelegenheit. Geboren wird er bei Malpighi durch eine vagina. Die im Fruchtknoten angelegten Samenanlagen, die noch nicht Samen geworden sind, heißen bei ihm gemma, was auf deren Blattnatur abhebt: »Gemmae igitur sunt velut infans custoditur, qui tandem adolescit in ramum, à quo, quasi ab aperto utero, ova producuntur.« (ebd., 6) Die Gemmen seien so etwas wie bewachte Kinder, die nacheinander in dem Zweig erwachsen werden, von dem, wie von einem geöffneten Uterus, Eier produziert werden. Es folgt ein Hinweis auf die vegetative Vermehrung, bei der »die Natur die Entstehung der Zweige an Stelle der Erzeugung von Eiern« treten lasse (ein Akt, den er auch implantatio nennt, weil die Pflanze sich in sich selbst pflanzt). So setze die Pflanze »die Blüte, wie einen Uterus mit dem Ei oder einem zarten Embryo« der Luft aus, damit sie zu einem neuen Spross heranwachse wie ein »mündiger Sohn«: Ramorum productionem a Natura institui pro ovorum generatione, pro babile; quare florem, quasi uterum vom ovo, seu tenello foetu, stato tempore aeri exponit, ut

_____________ 71 Arber (1942), 11. 72 Ebd. 73 Bezüglich der Unterscheidung von Nucellusgewebe und Endosperm fehlt eine klare Unterscheidung, wie Möbius ([1901], 161) hervorhebt. Vgl. auch Hanstein (1886), 65.

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tandem, emancipati filii instar, in novam sobolem excrescat. Flores igitur non longe a gemmarum situ eminent prope folii pediolum, evidenti productione patent aestate, gemmarumque more condunctur, & transacta ut plurimum hyeme aperiuntur.74

Im katholischen Kontext sollte die Pflanze auch in der Frühen Neuzeit noch jungfräulich bleiben und dennoch einen Sohn gebären können. Nach einer unbefleckten Empfängnis bringt sie Früchte hervor.75 Über den direkten Befruchtungsakt und die Zuschreibung des Männlichen spricht Malpighi nicht, allerdings schreibt er, dass der im Uterus der Pflanze schlummernde Same mit einer mehlartigen Substanz in der Blüte in Berührung kommt: dem Pollen. Er wird häufig von den Köpfchen oder Spitzen der Staubgefäße (stamina) produziert: »Eundem exortum stamina fortiuntur, quae frequenter capitulo seu apice, farinaceam substantiam contintente, pollent.« (ebd., 8) Bei Malpighi heißt der Pollen noch »farina« (lat. für »Mehl«) bzw. »farinacea substancia« für mehlartige Substanz, allerdings wird jene in Verbindung mit dem Verb pollere gebracht, was soviel wie »Kraft ausüben« meint und in der frühneuzeitlichen Anatomie in Bezug auf Sekrete verwendet wird. Über die Etymologie des Wortes »Pollen« wird gestritten. So lässt sich eine etymologische Linie zum Mehl v. a. über den Begriff pollenta entwickeln,76 aber genderhistorisch ist eine andere Linie weitaus einflussreicher: die Verbindung zur Beschmutzung des Jungfräulichen und Reinen, der pollutio bzw. (engl.) pollution.77 Wenn Malpighi den Samen als Ei (ovum) beschreibt, so steht er noch in aristotelischer Tradition. Sein für die Veröffentlichung von 1675 selbst kompiliertes, anders als sein posthum herausgegebenes Werk zur Pflanzenanatomie, stellt die Embryologie des Hühnereis in direkte Nachbarschaft mit der Pflanzenanatomie. Aristoteles selbst widmete sich schon des ungelösten Problems der so genannten Windeier (im Singular: ovum subventaneum), d. h. Eiern, die ohne Kalkschale entstehen und als durch den Wind (bzw. göttlichen Atem) befruchtet galten.78 Ziehen wir das Faktum hinzu, dass Malpighi auch die Pflanzengallen (die durch Insekten entstehen) mit Hinblick auf die Frage untersucht, ob Pflanzen Tiere hervorbringen könnten, so wird deutlich, dass sein pflanzenanatomisches Werk primär von der Idee der Widerlegung der generatio spontanea geprägt ist – einer _____________ 74 Malpighi, Anatome, 7 f. 75 In dieser Hinsicht erwähnenswert: Kurz vor seinem Tode wurde Malpighi zum Leibarzt von Papst Innozenz XII. ernannt. 76 Vgl. Kluge (2002), 711, Stichwort »Pollen«. In Tabernaemontanus Kreuterbuch ([1625], 627 f.) steht: »Das Staubmeel heisset Lateinisch/ POLLEN, FARINA VOLATILIS, oder FARINA VOLATICA. Hochteutsch/ Staubmeel und Mülstaub«. An derselben Stelle lesen wir, dass dem Staubmeel die »Krafft und Wirckung zu theilen unnd zu conglutiniren« zukomme. 77 In der Medizin wird »Pollution« heute für den unbewussten Samenerguss des Mannes im Schlaf verwendet. Die pflanzliche Bestäubung heißt hingegen »Pollination«. 78 Vgl. Aristoteles, gen. an. III 2, 752a24 ff. Die Genese des Windeis wurde auch von Galen und später von dem Bologneser Naturforscher Ulysses Aldrovandi (Ornithologiae tomus alter, Buch XIV, c.1, 1600) untersucht.

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Widerlegung des Aristoteles zumindest in diesem Punkt. Malpighi schreibt ferner, dass er dazu ein Experiment mit Erde aus tiefen Bodenschichten angestellt habe, die er in ein Glas gab und mit Seidenstoff überspannte, und dass aus dieser Erde keine einzige Pflanze hervorgegangen sei. Mit jener antiken Tradition wollte die Royal Society, inspiriert durch Francis Bacon, auch auf der programmatischen Ebene brechen. Bewusst wurde in der ›neuen‹ Wissenschaftssprache Englisch geschrieben. Konsequenterweise findet sich bei Nehemiah Grew kein Hinweis auf antike Autoren, sondern ausschließlich auf seine englischen Zeitgenossen John Ray, Nathaniel Highmore, Robert Hooke und Robert Sharrock. Grew war deutlicher in Worten und suggestiver in den Zeichnungen, die meist Gewebequerschnitte sowie Blüten und Früchte von Zierpflanzen (weniger von Nutzpflanzen) zeigen: Man solle nicht etwa glauben, der Pollen sei nur für die Bienen da, so Grew. Nein, der Pollen sei so etwas wie »vegetabiles Sperma« (vegetable sperm), im Dienste der Produktion von Samen (seeds). Die Staubblätter, die in Größe und Zahl variieren und »sehr elegant angeordnet« seien, spiegelten die Testikeln des Mannes wieder – so Grew wörtlich. Ähnlich wie in der Leidener Schule die menschlichen Eierstöcke als »weibliche Testikel« beschrieben wurden (vgl. Abschnitt 2), maskulinisiert Grew hier das genuin weiblich Gedachte der Pflanze: ihre eigene Produktivität. Der flüssige Nektar, den die Blüte produziere, sei ähnlich zum Menstruationsblut der Frau. Die Menstruation bereite den Uterus für die Empfängnis vor.79 Diesen Gedanken äußerte auch Malpighi (Anatome, 56), als er von einer »monatlichen Reinigung« der Pflanze spricht, mit der die Pflanze an die Natur des Tieres angepasst werde (»naturam animalis dirigatur«). Interessant ist eine Schlussfolgerung Grews zum Tier-Mensch-Vergleich: Nicht etwa solle man bei Tieren davon ausgehen, dass sie sich so vermehren, wie wir von Pflanzen zu denken glauben, nämlich jungfräulich: Sondern umgekehrt: Die Pflanzen seien in sich so heterosexuell veranlagt wie manche Tiere, etwa die hermaphroditische Weinbergschnecke, die beide Geschlechter in sich vereinige.80 Hermaphroditismus, in der Antike noch verstanden als wesenhafte Vereinigung beider Geschlechter, wird hier transformiert in zwei separate, sexualisierte und normalisierte Anatomien, die sich in einem Organismus als paarige Geschlechtsorgane funktional ergänzen. Vor diesem Hintergrund wird die pflanzliche Blüte zum Mikrokosmos einer funktionierenden Ehe. Grew sieht die Pflanze weder eingeschlechtlich noch als hermaphroditische Einheit zweier Geschlechter, sondern als heterosexuelles Paar von Mann und Frau. Zur Untermauerung dieser These verwendet Grew als epistemische Objekte hochgradig mariensymbolisch belegte Blüten wie etwa St. Mary’s Gold (dt. Rin_____________ 79 Grew (1682), 171 f. 80 Mit diesem Satz sprang Grew wahrscheinlich Malpighi bei, der bei Landlungenschnecken den Hermaphroditismus behauptet hatte und mit dieser Behauptung in Italien Probleme bekam.

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Abb. 3: Blüte des Johanniskrauts (engl. St. John’s Wort; botanisch: Hypericum perforatum L.), in: Grews Anatomy of Plants (1682), Tafel 57.

gelblume). Im frühneuzeitlichen Kontext muss es geradezu skandalös gewirkt haben, einer verehrten Marienblume in der Blüte angelegte »Hoden« (Pollensäcke) zuschreiben zu wollen. Grew vergeht sich wissenschaftlich auch an einer anderen katholisch hoch aufgeladenen Pflanze, dem Johanniskraut, das nach Johannes dem Täufer benannt ist. Auch bei diesem überzeichnet er die Pollensäcke als männliche Hoden, die er überproportional groß abbildet.81 _____________ 81 In Malpighis Werk finden sich weder die Ringelblume noch das Johanniskraut.

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Abb. 4: Blüte der Tulpe (engl. tulip; botanisch: Tulipa spec.), in: Grews Anatomy of Plants (1682), Tafel 63.

»Seminiform« liest man bei Grew für den Fruchtknoten, der damit lediglich als funktionale Form bzw. als uterales Gefäß dient. Die Staubfäden, Träger der Pollensäcke, werden bei ihm als »florale Tracht« (engl. florid attire) bezeichnet – eine ästhetisierende und beschwichtigende Bezeichnung, die der provokanten Sexualisierung im Bild deutlich widerspricht.82 Jene Funktionalisierung hin zum reproduktiv Notwendigen erreicht bei der folgenden Darstellung der Tulpenblüte (Tafel 63) ihren Höhepunkt. _____________ 82 Seine ursprünglichen, an das Französische angelehnten Bezeichnungen lauteten seminie und florie, die Grew für die Drucklegung 1682 abänderte (vgl. LeFanu [1990], 13).

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Bei der aufgeschnittenen und präparierten Blüte (gezeigt wird nur etwa ein Viertel der Corolla) sind der Griffel und die Staubfäden entfernt worden. Überdimensional große Pollensäcke drängen sich um den geöffneten Fruchtknoten, dem die Narbe präparatorisch entfernt wurde. Der »uterus« und die »spermatick thecae« (so Grews Beschriftungen auf der Zeichnung) können ihre realen Grenzen zur Befruchtung nun überschreiten: Der Pflanzenuterus wird imaginär zum leeren Gefäß, das gefüllt werden will.

6. Zusammenfassung und Ausblick Wenngleich in den Naturontologien Platons und Aristoteles’ am Anfang des Lebens stehend, so ist das Reich der Pflanzen das letzte, das anatomisch untersucht und letztlich auch sexualisiert wird – zeitlich deutlich nach dem von Tier und Mensch. Diese frühneuzeitliche Transformation antiken Wissens über Pflanzen ist für den Prozess der Modernisierung wegweisend, ermöglichte sie doch das Programm der Zähmung, Züchtung und Produktivitätssteigerung der Natur, durch das sich die Moderne u. a. selbst definiert. Das Mikroskop war zweifellos eine wichtige Transformationsinstanz für die frühneuzeitliche Pflanzenanatomie, indem sie einen Blick ins Innere erlaubte und erstmals Pollenkörner und die Feingliederung der Samenanlagen deutlich machte. Allerdings darf man den Einfluss des technischen Instruments in Bezug auf die Deutung der Pflanzensexualität nicht überschätzen.83 Wirksamer waren das Aufbrechen symbolischer Ordnungen, das Einführen neuer Termini im Rahmen von Translationsstrategien und die Trivialisierung altbekannten Wissens wie der künstlichen Befruchtung der zweihäusigen Dattelpalme. Bestimmte Begriffs- und Zeichnungspolitiken erlaubten, den Pflanzen sowohl ein Geschlecht als auch zwei Geschlechter zuzuordnen, schon auf der makroskopischen Ebene. Jene neuen Begriffs- und Zeichnungspolitiken zielten, zumindest bei Nehemiah Grew, auf nicht weniger als eine vollständige Heterosexualisierung der Natur. Zum Vergleich zwischen Grew und Malpighi kann man festhalten, dass Malpighi teilweise noch an den Wissensordnungen der antiken ›Botanik‹ und Naturontologie festhält, v. a. an Aristoteles und Theophrast, wohingegen der Engländer Grew sich davon weitgehend verabschiedet. Der Protestant Grew bestimmt die Pflanze in den 1670er Jahren als heterosexuelles Wesen, der Katholik Malpighi zur gleichen Zeit als autosexuell bzw. als jungfräulich. Bei ihm vermischt sich das aristotelische Konzept der Pflanze als autarkem Lebewesen, das ohne männlichen Einfluss Eier produzieren kann, mit einem Fokus auf ein erstes Bewegungsprinzip des Pflanzenembryos, das er in der pflanzlichen placenta ausmacht und das durch die dortige Mischung der Säfte instantiiert wird. Hier finden wir einen Anklang _____________ 83 Zu anderen Instrumenten und ihrer transformatorischen Wirkkraft auf die Naturphilosophie der Frühen Neuzeit siehe Zittel/Engel/Nanni/Karafyllis (2008).

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an die antike Medizin Galens und die Hervorhebung einer übergreifenden Idee von Leben, die antike und mittelalterliche Seelenkonzeptionen ablöst. Alle pflanzlichen Vermehrungstypen (auch das der epiphytischen Mistel), die Aristoteles und Theophrast geschildert haben, werden bei Malpighi behandelt. Davon erteilt er nur der Spontangeneration aus Materie eine wissenschaftliche Absage. Die einflussreichen Strategien der Animalisierung und Verkörperlichung der Pflanzen, die mit antikem Wissen brechen, finden wir eher bei Malpighi; die nicht weniger einflussreiche Strategie der Materialisierung und Technisierung bei Grew. Beide heben ferner die Ästhetik der Pflanzenanatomie und -morphologie mit Wörtern wie (engl.) elegant bzw. (lat.) elegantissima immer wieder hervor – eine Strategie, die sich v. a. im 18. und 19. Jahrhundert bezüglich der Wissenschaftsordnungen auswirkt und dazu führt, dass die Botanik ab Mitte des 18. Jahrhunderts zur scientia amabilis wird und die Aura des Unschuldigen und Schönen der Natur erhält, im deutlichen Gegensatz zur ›blutigeren‹ Zoologie. Die Pflanzenzüchter v. a. des protestantisch geprägten Englands und der Niederlande sicherten sich hingegen, noch jenseits der akademischen Institutionalisierung, durch die neuen Kenntnisse eine europäische Vormachtstellung im Optimieren von Kultur- und Zierpflanzen. Jene spezifisch protestantische Sicht einer Zweigeschlechtlichkeit der lebendigen Natur setzte sich durch den schwedischen Pfarrerssohn Carl von Linné ab etwa 1735 in ganz Europa durch. Linné erachtete das heterosexuelle Blütengeschehen dezidiert als »Hochzeit« der Pflanzen und gelangte zu dem Diktum: Amor unit plantas. Seine Bücher waren zur Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem päpstlichen Index der verbotenen Bücher, weil er bei der 13. Klasse der Polyandria davon schrieb, dass sich eine »Frau« (als Metapher für den Fruchtknoten bzw. das Gynoeceum) mit zahlreichen »Männern« (als Metapher für die um den Fruchtknoten angeordneten Staubblätter bzw. Stamina) das »Brautgemach teile«.84 Jenseits der implizierten Vielmännerei ergab sich daraus ein weiteres moralisches Problem: das des Inzest. Denn eigentlich entstehen männliche und weibliche Blütenteile aus demselben Samen, waren also quasi Bruder und Schwester. Diesem Umstand verdankt die Rede von den »Bienen und den Blumen« zur Umschreibung des Sexualakts ihre Prominenz. Denn im 19. Jahrhundert gab es ein gesteigertes wissenschaftliches und wirtschaftliches Interesse am Befruchtungsvorgang durch Insekten, d. h. an den Mechanismen der Fremdbestäubung, so dass der generelle Inzestverdacht bei Pflanzen in den Hintergrund geriet. Es war Charles Darwin, der begeistert beschrieb, wie die Orchideenblüte sich von Natur aus nicht durch sich selbst befruchten könne, sondern die Insekten mit zahlreichen anatomischen Einrichtungen geradezu zur Kreuzbefruchtung »nötige«.85 Erst die Penetration der (weiblich konnotierten) Blütenöffnung durch die (männlich konnotierte) Hummel, Biene oder den Schmetterlingsrüssel ermögliche eine Befruch_____________ 84 Diese Ansicht äußerte er bereits in seinem Frühwerk Praeludia sponsaliorum plantarum (1729). 85 Darwin (1877), 65.

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tung, die man als einen gewollten und gelingenden Akt verstehen könne. In Darwins Worten: »Daß Kreuzbefruchtung für die meisten Orchideen wohlthätig ist, können wir aus den zahllosen diesem Zweck dienenden Structureigenthümlichkeiten schließen […].«86 Die Orchideenblüte verführe das Insekt auf vielfältige Weise, zum Beispiel durch die Imitation eines Insektenhinterleibs (bei der Fliegenragwurz und der Hummelragwurz), der sich zur Begattung darbiete, oder durch das Verströmen von Aasgeruch. Die männliche Gier nach Fressen und Begatten sichert einen optimalen Überlebenserfolg der Gattung, den die autosexuelle Pflanze, die sich selbst befruchtet, nicht gewährleisten kann. Einen der letzten Belege für eine übergreifende Pflanzensexualität war die mikroskopische Untersuchung der Keimzellen der so genannten Kryptogamen (wörtlich: »die sich im Verborgenen Fortpflanzenden«) v. a. ab Mitte des 19. Jahrhunderts, d. h. der Fortpflanzungsorgane von Algen, Moosen und Farnen. Da deren Sexualität abhängig von Wasser ist, konnte man hier bewegliche Spermatozoen im Mikroskop nachweisen, die auf die Eizelle in ihrem Behälter (das »Archaegonium«) zu schwimmen. Über den Nachweis dieser zielgerichteten Bewegung war eine weitere ontologische Nähe des Pflanzlichen zum Tierischen vorporgrammiert. Weil die Kryptogamen auch phylogenetisch als ursprünglich im Vergleich zu den offenherzig blühenden Phanerogamen gelten, kam diesen Entdeckungen ein großes botanisches Gewicht zu. Aus Analogien – gleichen Strukturprinzipien in verschiedenen Pflanzenklassen – wurden Homologien: Gleichursprünglichkeiten. Alle Pflanzen waren nun offensichtlich sexuell aktiv, von Anfang an. Es war Malpighi, der schon in der Vorrede zum II. Teil seiner Anatome plantarum schrieb, dass es ihm für die Darstellung des »einfachen und einheitlichen Planes in den Werken der Natur« notwendig schiene, die unvollkommenen Gewächse (lat. imperfecta), besonders die des Meeres, zu untersuchen –, dass er aber leider nicht am Meer wohne und dies somit anderen überlassen müsse. In der anthropomorphen Wissensordnung der Pflanzenanatomie, die bei Malpighi schon den Griffel als Vaginalkanal und den Fruchtknoten als Uterus sowie, bei Grew, die Pollensäcke als Hoden anatomisierte, fehlte eigentlich nur noch der Pflanzenpenis. Der Pollenschlauch als Manifestation eines Pflanzenpenis wurde beim Mikroskopieren erst um 1830 durch Giovanni Battista Amici entdeckt. Dieser aus dem Pollenkorn auf der Narbe auskeimende Schlauch, der das männliche Erbgut die Mikropyle hinab in den ›Pflanzenuterus‹, d. h. den Fruchtknoten, transportiert, war das letzte Puzzleteil für eine biologisch normierte Heterosexualisierung der Blütenpflanzen. Kulturell wurde diese aber noch lange abgelehnt, insbesondere in der Deutschen Romantik, die die Pflanze wie kaum eine andere Epoche zum ästhetischen Objekt erhob und die Botanik als erbauende Beschäftigung bevorzugt den noblen _____________ 86 Darwin (1877), 49.

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Damen empfahl87. In einem Brief an Goethe vom 2. Mai 1814 schreibt der Botaniker Franz Joseph Schelver, dass der »Streit der Schule über das Pflanzengeschlecht […] eine tiefe allgemeine Bedeutung zu haben« scheine.88 An der antiken Idee der Pflanzenseele, die in der Romantik zum unschuldigen Symbol des genuin Weiblichen wie auch (mit Schelling) zu einer hervorbringenden natura naturans transformiert wurde, sollte in der Naturphilosophie des Deutschen Idealismus nicht gerüttelt werden.89 Und so meinte Schelver, dass es keine Pflanze auf der Welt gäbe, die so großes Unheil über die Botanik gebracht habe wie die Dattelpalme.90

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_____________ 87 Vgl. Shteir (1996); Karafyllis (2009). 88 Regest-Nr. 6/1034 der Regestausgabe Briefe an Goethe, 1764–1815, Stiftung Weimarer Klassik. 89 Vgl. Bach (2001). 90 Zitiert in Mägdefrau (1973).

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Abbildungsnachweis Abb. 1: Abb. 2: Abb. 3: Abb. 4:

Adrianus Spigelius, De foetu formato (1626), Tafel IV. Abb. entnommen aus Robin (1992), 76. Malpighi, Anatome plantarum (1675), Tafel XXX. Grew, Anatomy of Plants (1682), Tafel 57. Grew, Anatomy of Plants (1682), Tafel 63.

Transformationen der Lebendigkeit – Kontinuitäten und Brüche in biologischen Grundkonzepten seit der Antike GEORG TOEPFER

Für das Selbstverständnis der meisten Naturwissenschaftler gehört die Beschäftigung mit der Geschichte ihrer Wissenschaft nicht zu den Erfolgsbedingungen ihres Handelns. Es gehört sogar im Gegenteil zu diesem Selbstverständnis, dass die Beschäftigung mit der Geschichte auf Abwege führt und von dem eigentlichen Gegenstand, der doch »die Natur« ist, ablenkt. Naturwissenschaft besteht nach der verbreiteten Auffassung ihrer Akteure in dem Unternehmen, ein Wissen hervorzubringen, das eine unabhängig von seinem Entstehungs- und Entwicklungszusammenhang bestehende Geltung aufweist. Traditionell verwurzelt ist in den Naturwissenschaften daher eine Verachtung für die »bloßen Worte« und für eine auf Tradition statt auf experimentelle Erfahrung gestützte Begründung von Theorien: »nullius in verba« lautet bekanntlich das Motto der 1660 gegründeten ›Royal Society of London for the Improvement of Natural Knowledge‹. Diese Formulierung stellt die Verkürzung eines Satzes von Horaz dar: »Nullius addictus iurare in verba magistri/Quo me cumque rapit tempestas deferor hospes«.1 Horaz formuliert damit seinem Gönner Maecenas gegenüber das Programm, nicht gebunden auf die Worte irgendeines Meisters zu schwören und stattdessen eigenständige Reflexionen zu beginnen. Die Verkürzung dieser Worte auf nullius in verba legt allerdings eine Deutung nahe, nach der es nicht nur um die Lösung von der Tradition und der Autorität der Vorläufer und Meister – verba magistri –, sondern überhaupt nicht um Worte – im Sinne eines nihil in verbis, – sondern vielmehr um die Sachen selbst geht. Bis in die Gegenwart wird von Naturwissenschaftlern und Wissenschaftstheoretikern, die des Lateins nicht so mächtig sind wie die Gründungsväter der ›Royal Society‹, diese Interpretation vertreten, Anfang der 1990er Jahre z. B. noch von Karl Popper und Günter Wächtershäuser, die das Motto im Sinne einer Abwendung von den Worten und Hinwendung zu _____________ 1

Horaz, epist. I, 1, 14–15.

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den Sachen interpretieren (»there is nothing in words. It is facts we seek«2). Wenig später weist Stephen Jay Gould auf diese Fehlinterpretation und ihre lange Tradition hin – nach Gould existiert eine kanonische Falschübersetzung (»canonical mistranslation«) des Mottos.3 Das Motto der ›Royal Society‹ lädt also zu einem produktiven Missverständnis ein, es enthält eine richtungsweisende Suggestion, ein Programm, das nicht eigentlich formuliert ist – eben das nicht ausgesprochene nihil in verbis, also das Programm eines ästhetischen Ideals der »Sachlichkeit« und die Ablehnung einer bloß auf Worte und Rhetorik gegründeten Argumentation.4 In der verkürzten Wiedergabe des Horaz-Zitats könnte damit ein ganz besonderer Transformationstyp identifiziert werden, eine Suggestivtransformation: In der Verkürzung und Ausblendung von Worten aus der ursprünglichen Formulierung wird etwas nahegelegt, ohne es aber selbst auszusprechen. Wirkmächtig sind beide Deutungen des Mottos der ›Royal Society‹: sowohl die Absage an die Rechtfertigung des Wissens durch die Autorität der Tradition als auch die Betonung nicht der Begriffe und Worte, sondern von empirischer Beobachtung und Experiment als methodischer Basis zur Begründung und Gewinnung von Wissen. Tief verankert hat sich in der Kultur der Naturwissenschaften eine Skepsis gegenüber der Tradition im Allgemeinen und der Antike im Besonderen als Autorität für die Inhalte und die Methoden zur Gewinnung des wissenschaftlichen Wissens: »Nirgend […] findet man mehr Abneigung, das Wissen des Alterthums zu berücksichtigen, als unter den Naturforschern, denen wir in der Einzelkenntniss die grösste Erweiterung der gegenwärtigen Wissenschaft verdanken« – so formuliert dies Jürgen Bona Meyer zu Beginn seiner Darstellung von Aristoteles Thierkunde aus dem Jahr 1855.5 Ein besonderes deutliches Beispiel für diese »Abneigung«, findet sich 130 Jahre später bei den beiden bekannten Biologen Peter und Jean Medawar, bei denen es 1984 in Bezug auf den vielfach als »Vater der Biologie« geschätzten Aristoteles heißt: The biological works of Aristotle are a strange and generally speaking rather tiresome farrago of hearsay, imperfect observation, wishful thinking, and credulity amounting to downright gullibility. […] Sometimes of course Aristotle is right; his writings were so voluminous he could hardly fail to be correct sometimes […]. We do not believe that anyone who decides not to read the works of Aristotle the biologist will risk spiritual impoverishment.6

Angesichts dieser klaren Worte – die sicher nicht exzeptionell, sondern eher repräsentativ für die Auffassung heutiger Naturwissenschaftler sind – mutet es _____________ 2 3 4 5 6

Popper/Wächtershäuser (1990), 1070. Gould (1991), 142. Vgl. Sutton (1994), 55–64; Krohn (2006), 3–38: 24. Meyer, Aristoteles Thierkunde (1855), 1. Medawar/Medawar (1983), 28 f.

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allerdings doch befremdlich an und wirft Fragen auf, warum die Autoren ihr philosophisches Wörterbuch der Biologie im Titel Von Aristoteles bis Zoo nennen – obwohl Aristoteles nicht einmal das erste Lemma des Wörterbuchs bildet: Zumindest als Werbeträger fungiert die Antike also auch hier noch. Mit A wie Aristoteles lassen selbst diejenigen gerne die Biologiegeschichte beginnen, die der Auffassung sind, dass es in der Regel langweilig und dumm ist, was Aristoteles zur Biologie zu sagen hatte. Dieser Widerspruch zwischen Titel und Inhalt fordert eine Untersuchung dazu heraus, inwiefern antike Einflüsse für die moderne Biologie mehr als ein Werbeträger sind, wie viel Antike also gewissermaßen in der heutigen Biologie steckt. Ich werde diese Frage hier in drei Stationen behandeln. In der ersten Station sollen einige Besonderheiten der Wissenschaftsgeschichte der Biologie dargestellt werden. Im Anschluss daran gebe ich einen Überblick über das, was unter biologischen Grundbegriffen verstanden werden kann, inwiefern sie einer Transformation unterlegen haben und welcher Einfluss der Antike sich in den Grundbegriffen noch immer findet. Näher eingehen werde ich in der dritten Station auf die Transformation eines Begriffs, dessen sachliche und terminologische Ursprünge in der Antike liegen und der seit 200 Jahren eine zentrale Stellung in der Biologie einnimmt: den Organismusbegriff.

1. Besonderheiten der Wissenschaftsgeschichte der Biologie Ein bemerkenswerter Unterschied zwischen der Geschichte der Biologie und der der Physik besteht darin, dass aus der letzteren eine große Anzahl von Personen ihren Platz in der Allgemeinbildung gefunden haben: Galileo und Kopernikus, Kepler und Newton, Planck und Einstein, Heisenberg und Hawking – das sind Namen, die jeder kennt. Aus der Geschichte der Biologie sind dagegen nur wenige Namen allgemein bekannt: Darwin und Mendel natürlich, vielleicht noch Lamarck und Harvey – aber nicht viele mehr. Die bekannten Namen aus der Physikgeschichte verbinden sich alle mit begrifflichen und theoretischen Umbrüchen, mit dem, was nach Thomas Kuhn wissenschaftliche Revolutionen genannt wird. Die Bekanntheit dieser Physiker hängt zu großen Teilen daran, dass ihre Forschungen einen wichtigen Beitrag zu den theoretischen Umbrüchen geleistet haben, die für die Physikgeschichte so kennzeichnend sind. Meine zentrale These ist nun, dass das Muster von normaler Wissenschaft und Revolutionen ein hilfreiches Modell für die Beschreibung der Geschichte der Physik sein kann – nicht aber für die der Biologie. In der Biologiegeschichte gibt es keine Revolutionen, zumindest nicht in dem Sinne, in dem sie in der Physikgeschichte vorliegen: als theoretische Neuansätze mit einem Inventar an neuen Konzepten, das in einem zumindest teilweise unvermittelten, inkommensurablen Verhältnis zu den alten Ansätzen steht.

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Die gesamte Dynamik der Biologiegeschichte – eine zweifellos rasende Dynamik, die vielfach begriffliche und theoretische Innovationen einschließt – diese Dynamik bewegt sich doch in einem definierten Rahmen von zumindest zum Teil invarianten Grundkonzepten. Die Grundkonzepte weisen eine langfristige, in nicht wenigen Fällen bis in die Antike zurückgehende Kontinuität, auf. Die grundlegenden Bestimmungen der elementaren Lebensfunktionen wie ›Ernährung‹, ›Wachstum‹, ›Fortpflanzung‹, ›Wahrnehmung‹ und ›Denken‹ beruhen ebenso auf antiken Begriffen wie die Grundbegriffe zur Definition des Gegenstandsfeldes ›Leben‹ und ›organischer Körper‹ oder die Grundkategorien der Systematik ›Art‹ und ›Gattung‹. Die Möglichkeit der langfristigen Kontinuität dieser Begriffe stützt sich zu großen Teilen darauf, dass sie an konkrete, weitgehend konstant identifizierte Phänomene gebunden sind: Das, was ›Ernährung‹ oder ›Fortpflanzung‹ genannt wird, steht weitgehend vor jeder biologischen Theorie und bildet doch eine leitende Kategorie für diese Theorien. Die Beschreibung der Phänomene geht also als Voraussetzung in die erklärenden Theorien ein, wird aber selbst durch die sich wandelnden Theorien nur wenig verändert. Die Phänomene sind also im Vorgriff auf die Klärung ihrer kausalen »Mechanismen« schon konstant beschrieben; sie bilden sogar den übergeordneten »Zweck« oder die »Funktion« für alle noch nicht bekannten Prozesse. Als eine Erklärung für die begrifflichen Kontinuitäten kann damit auch der für die Biologie methodisch grundlegende teleologische oder funktionalistische Ansatz angesehen werden: Nach diesem werden in einem ersten Schritt die typischen organischen Vermögen als konstante Phänomene identifiziert, und zwar als Phänomene, die durch ihre Ausrichtung auf ein bestimmtes Ziel definiert sind – wie Ernährung oder Fortpflanzung – erst anschließend in einem zweiten Schritt, in dem eigentlich erst die empirische Forschung besteht, werden die kausalen Vorgänge ermittelt, die diese Funktionen realisieren. Diese teleologische, von Funktionen und Zwecken ausgehende Gegenstandsausgliederung, die die Methode der Biologie wesentlich kennzeichnet, steht in einem deutlichen Kontrast zu dem Ansatz der Physik. Physikalische Begriffe erhalten ihre Bedeutung im Rahmen von Theorien – umfassender Theorienwandel geht daher mit semantischen Brüchen in den Begriffen einher. Die semantischen Brüche, d. h. die wechselseitige Unübersetzbarkeit von physikalischen Termen, die Teil von historisch aufeinander folgenden Theorien sind, stellte für Kuhn den Anlass zur Formulierung seiner Inkommensurabilitätsthese dar: Zwischen zwei verschiedenen Paradigmen einer Wissenschaft kann es keine rationale Vermittlung geben; die im Rahmen dieser Paradigmen verwendeten Begriffe sind also nicht einfach aufeinander abzubilden, sie meinen jeweils etwas anderes: So bedeuten – in dem bekanntesten Beispiel – ›Kraft‹ und ›Masse‹ für Einstein etwas anderes als für Newton. – Ob hier wirklich eine vollständige Inkommensurabilität vorliegt, soll hier gar nicht diskutiert werden. Festzuhalten ist lediglich, dass in der Geschichte der Physik gerade die Grundbegriffe nicht in einem kontinuierli-

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chen Bedeutungszusammenhang stehen, sondern im Rahmen verschiedener Theorien etwas anderes bedeuten können. Dies ist auch der Grund dafür, dass eine Begriffsgeschichte in der Physik ungleich schwieriger ist als in der Biologie: Mit nur geringer semantischer Kontinuität und verstanden als abstrakte Terme, die allein in einem theoretisch bestimmten Netz von anderen Begriffen zu verorten sind, können Begriffe eigentlich überhaupt keine Geschichte haben: So gesehen, beschreiben sie allein zeitlose, abstrakte Relationen.7 Nur insofern sie Element einer Theorie sind, die einer Transformation unterliegt, wäre in Bezug auf solche Begriffe also die Rede von einer Begriffsgeschichte überhaupt gerechtfertigt. Damit unterscheidet sich der Status physikalischer Begriffe grundsätzlich von dem der Begriffe natürlicher Sprachen – und auch von dem biologischer Grundbegriffe. Viele biologische Grundbegriffe verweisen auf Gegenstände und Phänomene, die durch eine außertheoretische epistemische Zugänglichkeit8 gekennzeichnet sind, einer Zugänglichkeit in der sie vor jeder Theorie immer vertraut sind, z. B. eben in den Phänomenen von Ernährung, Wachstum, Wahrnehmung oder Fortpflanzung. In dieser außertheoretischen Zugänglichkeit und außertheoretischen Bestimmtheit sind diese Begriffe auch der wissenschaftlichen Theoriendynamik quasi enthoben. Trotzdem haben sie aber eine zentrale Stellung im Rahmen biologischer Theorien, sie definieren sogar das Forschungsfeld. Kein Fortschritt der Biologie in den letzten 2 000 Jahren hat den Begriff der Ernährung überflüssig gemacht oder auch nur in seiner zentralen Stellung relativiert. Seine Veränderung bestand allein darin, dass die mit dem Begriff bezeichneten Prozesse empirisch im Detail geklärt wurden und dass der Begriff in die naturalistischen Theorien der Biologie stärker verankert wurde, dass er z. B. entwickelt wurde ausgehend von einer Theorie von Organismen als offenen Systemen, d. h. von Systemen fern des thermodynamischen Gleichgewichts, die für ihre Erhaltung eines Energie- und Stoffaustauschs mit ihrer Umwelt bedürfen. Auch die Formulierung der Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert, die immer wieder als Revolution in der Biologiegeschichte verstanden wurde9, ist dies doch in einem nur begrenzten Sinn und stört damit nicht das Bild einer langfristigen begrifflichen und theoretischen Kontinuität: Denn die biologischen Grundbegriffe behalten auch über die so genannte evolutionstheoretische »Revolution« hinweg weitgehend ihre Bedeutung; viele Physiologen des 19. und 20. Jahrhunderts konnten der Evolutionstheorie ziemlich gleichgültig gegenüber stehen: Sie hat an dem begrifflichen Inventar und den grundlegenden Theorien ihres Ansatzes kaum etwas geändert.10 _____________ 7 8 9

Vgl. Rothacker (1955), 9. Diese Formel übernehme ich von Andreas Bartels, vgl. Bartels (1994), 20. Ernst Mayr spricht sogar von zwei Darwinschen Revolutionen, eine in Bezug auf die Deszendenztheorie, eine andere in Bezug auf die Selektionstheorie; vgl. Mayr (1991); (1994). 10 Vgl. Kitcher (1993), 390 f.

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Was mit der Evolutionstheorie gelungen ist, ist die Integration des physiologischen und morphologischen Wissens in eine durchgehend naturalistische Theorie – das ist für die Biologiegeschichte, die so reich an immateriellen, metaphysischen Prinzipien ist, natürlich nicht wenig, andererseits für eine Naturwissenschaft aber auch methodisch geboten und insofern selbstverständlich. Man könnte also sagen, dass die Biologie mit der Evolutionstheorie endgültig eine Naturwissenschaft geworden ist, weite Teile ihres traditionellen theoretischen Rahmens – und auch ihr funktionalistischer Ansatz – aber nicht verändert wurden, sondern im Gegenteil eine Bestätigung und Begründung erfahren haben. Insgesamt lässt sich für die Biologie daher eine begriffliche Grundlage identifizieren, die seit langem, vielfach seit der Antike Bestand hat. So ist die Analyse biologischer Prozesse auf der Basis der funktionalen Ordnung, die Aristoteles für die organischen Phänomene bestimmt – ihre durchgehende Ausrichtung auf die beiden Zwecke der Selbsterhaltung und Fortpflanzung –, bis in die Gegenwart für die Biologie leitend. Es lassen sich daher gerade für die höchsten Funktionen in der Hierarchie organischer Zweckerklärungen viele Parallelen bei Aristoteles und modernen Autoren finden, wie etwa in diesem Beispiel: Aristoteles formuliert in der Historia animalium: Den einen Teil […] ihres [der Tiere] Lebensinhaltes bilden die Mühen um ihre Nachkommenschaft, einen weiteren die um ihre Ernährung. Um diese beiden Angeln dreht sich ja nun einmal aller Eifer und Leben.11

Bei einem modernen Autor heißt es sehr ähnlich: Die beiden grundlegenden ›Zwecke‹ von lebenden Organismen – sich selbst zu erhalten und ihre Art fortzupflanzen – liegen dem gesamten Panorama der Evolution zugrunde.12

Auf dieser höchsten Ebene der biologisch bestimmten Vermögen von Lebewesen, auf der genau diese zwei Funktionen identifiziert werden: Selbsterhaltung und Arterhaltung, und auf der nächst tieferen Ebene, auf der Funktionen wie etwa Wahrnehmung, Wachstum, Brutpflege, Intelligenz oder Kommunikation stehen, auf diesen zwei Ebenen wird in der Antike ein Modell eines Gegenstandes definiert, das seitdem tradiert wird und sich zu einem relativ scharf umrissenen Forschungsfeld entwickelt. Bemerkenswert ist dabei der top down-Ansatz in der Bestimmung des Gegenstandes: Der Gegenstand wird erschlossen und definiert nicht ausgehend von bestimmten kausalen Mechanismen oder materiellen Strukturen, sondern ausgehend von komplexen Vermögen, die zunächst mit dem wenig klaren, aber in Erklärungskontexten zentralen Konzept der Seele auf einen Begriff gebracht sind. _____________ 11 Aristoteles, hist. an., 589a2–5 (in der Übersetzung von P. Gohlke). 12 Goudge (1961), 196 f. (meine Übersetzung).

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Das Ergebnis ist ein an Lebensgrundfunktionen orientiertes Modell von Lebewesen. Dieses könnte vielleicht auch als mentales Modell im Sinne von Jürgen Renn bezeichnet werden. Mentale Modelle werden von Renn als vereinfachte Vorstellungen von Vorgängen in der Welt bestimmt; sie umfassen die für ein bestimmtes Problem jeweils relevanten Elemente und deren funktionale Zusammenhänge und sie sind als Instrumente des Schlussfolgerns im Kontext vorgegebenen Wissens konzipiert. Die Modelle bringen sowohl die Erfahrungsabhängigkeit als auch die Korrigierbarkeit des in dem Modell repräsentierten Wissensbestands zum Ausdruck. Sie ermöglichen eine flexible Anpassung an Beschreibungen und Theorien, die viele nebeneinander stehende Aspekte vereinen und auch vorläufige Annahmen enthalten können.13 Das Konzept des mentalen Modells ist also besonders geeignet zur Analyse von naturwissenschaftlichen Theoriebildungen, die durch Vorläufigkeit und beständige Revisionen, aber auch durch einen mehr oder weniger harten Kern gekennzeichnet sind. Genau dieser harte Kern ist in dem Lebewesen-Modell, das von den charakteristischen Aktivitäten der Lebewesen und ihren Grundfunktionen ausgeht, besonders deutlich. Das Lebewesen-Modell ist bereits in der Antike vorhanden, aber es ist im Vorgriff auf eine Theorie entwickelt, denn es existiert, bevor es eigentlich eine naturwissenschaftliche Fundierung erfährt, bevor es in naturalistische Theorien integriert ist. Diese Integration erfolgt mittels der Konzepte der Organisation und des Organismus. Bevor ich aber näher auf den Organismusbegriff eingehe, will ich das Konzept des Grundbegriffs näher untersuchen.

2. Transformationen biologischer Grundbegriffe Es sind verschiedene Kriterien zur Bestimmung von Grundbegriffen einer Disziplin oder eines Wissensfeldes vorgeschlagen worden14: Grundbegriffe könnten quantitativ über ihre Häufigkeit definiert werden, als diejenigen spezifischen Begriffe einer Wissenschaft, die die weiteste Verbreitung haben; sie könnten temporal als die stabilen Konzepte identifiziert werden, die über lange Zeiträume einen weitgehend konstanten Anwendungsbereich aufweisen; sie könnten semantisch in ihrer Relation zu anderen Begriffen als Dach- oder Integrationskonzepte verstanden werden, die das Forschungsfeld nach innen zusammenhalten und nach außen abgrenzen; oder sie könnten syntaktisch als die nicht definierten, »primitiven« Begriffe bestimmt werden, die in den Theorien und Definitionen abgeleiteter Begriffe erscheinen, ohne aber selbst definiert zu werden. Indem diese vier Aspekte

_____________ 13 Renn (2000), 89; Renn/Damerow (2007), 313 f. 14 Vgl. u. a. Horstmann (1978) und Toepfer (2010).

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gemeinsam berücksichtigt werden, lässt sich eine begründete Auszeichnung von Grundbegriffen geben. Auf der Grundlage der ersten beiden Kriterien könnte es für die Biologie, die in ihren ältesten Teilen Morphologie und Anatomie ist, naheliegen eben die morphologisch-anatomischen Begriffe für Grundbegriffe zu halten. Diese Begriffe weisen eine Stabilität über lange Zeiträume und eine weite Verbreitung auf; sie zählen zu den ältesten und häufigsten biologischen Begriffen. Eine Liste von anatomisch-morphologischen Ausdrücken, die bereits in der Frühzeit der griechischen Antike Verwendung fanden, kann dies belegen (vgl. Tab. 1). Die Liste enthält das Inventar morphologisch-anatomischer Begriffe bei Homer in Übersetzung der griechischen Ausdrücke ins Deutsche. Arm Augapfel Auge Augenbrauen Augenlid Bauch Bauchfell Bauchhöhle Bein Blutgefäß Brustkorb Brustbein Brustwarzen Eingeweide Eingeweide im Unterleib Ellbogen Faser Fell Ferse Fett Fleisch Fuß Fußwurzel Gaumen

Gehirn Gelenk Gesäßbacke Gesicht Gliedmaßen Hals Hand Handballen Handwurzel Harnblase Haut Herz Herzbeutel Hüfte Hüftgelenkpfanne Jugulum Kehle Kinn Kinnbacken Knie Kniekehle Knöchel Knochen Knochenmark

Kopf Kopfhaut Körperhöhle Leber Leistengegend Lippen Luftröhre Lunge Mund Mundhöhle Muskel Nabel Nabelbereich Nacken Nase Nerv Nierengegend Oberschenkel Ohrmuschel Ohrläppchen Pupille Rippen Rücken Schädel

Schädeldecke Schambereich Schläfe Schlüsselbein Schlund Schulterbereich Sehne Stirn Stirnfalten Taille Unterleib Wade Wangen Wirbel Wirbelsäule Zähne Zunge Zwerchfell Zwischenbrustbereich Zwischenschulterbereich

Tab. 1: Übersicht über 92 morphologische und anatomische Begriffe als Übersetzung von Ausdrücken, die in Texten Homers vorkommen. Insgesamt sind in den homerischen Texten 125 morphologisch-anatomische Ausdrücke identifiziert worden, von denen 33 aber weitgehend synonym zu anderen sind (nach Albaracín Teulón [1970], 81–86).

Trotz ihrer langen Geschichte und weiten Verbreitung würden die hier aufgeführten 92 Ausdrücke aber nicht als ›Grundbegriffe der Biologie‹ gelten können: ›Auge‹, ›Herz‹, ›Kopf‹ und ›Wirbel‹ sind deskriptive Begriffe, die aus einer an den statischen Verhältnissen orientierten Perspektive die einzelnen Teile und

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Organe des v.a. menschlichen Körpers benennen – sie bilden aber keine theoretisch integrativen Dachbegriffe, keine Begriffe also, die für eine innerhalb der Biologie zentrale Theorie des Lebens notwendig oder gar hinreichend wären. Transformationstheoretisch ist das Feld der deskriptiven Biologie aber doch zumindest insofern bemerkenswert, als es paradigmatische Fälle für Begriffskonstanz enthält: In kaum einem anderen Bereich lassen sich Begriffe mit einer derart eindeutigen extensionalen und intensionalen Kontinuität angeben wie in der Morphologie und Anatomie, z. B. eben wie bei ›Auge‹, ›Herz‹, ›Kopf‹ und ›Wirbel‹. Trotzdem sind dies keine biologischen Grundbegriffe. Eine moderne Liste von Grundbegriffen, die von den Lebewesen als organisierten, sich selbst erhaltenden, also regulierten und einer Evolution unterliegenden Systemen ausgeht und die die dynamischen Verhältnisse zugrundelegt, könnte in etwa so aussehen (Tab. 2). Organisation

Regulation

Evolution

Organismus Leben Form Funktion Organ Zelle Selbstorganisation Individuum Art Lebensform Umwelt Krankheit

Homöostase Stoffwechsel Regeneration

Fortpflanzung Vererbung Gen Population Genotyp/Phänotyp Geschlecht Begattung Brutpflege

Ökosystem Biotop Biozönose Nische Areal Symbiose Konkurrenz Diversität Biosphäre

Verhalten Selbstbewegung Instinkt Lernen Information Wahrnehmung Empfindung Gefühl Intelligenz Bewusstsein Ernährung Parasitismus Räuber Schutz Sozialverhalten Kommunikation Spiel Schlaf

Entwicklung Geburt Wachstum Tod Phylogenese Homologie Anpassung Mutation Modifikation Rekombination Selektion Fossil

Tab. 2: Ein Vorschlag für 65 Grundbegriffe der Biologie und ihre Ordnung.

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Dieser Vorschlag kann hier nicht im Detail diskutiert werden.15 Bei den meisten dieser Begriffe dürfte aber unstrittig sein, dass sie zu den Grundbegriffen der Biologie zu rechnen sind. Wenn diese Begriffe auf ihren historischen Ursprung zurückverfolgt und in eine chronologische Reihe gebracht werden, ergibt sich die folgende Ordnung (Tab. 3): Art (gr.) Begattung (gr.) Brutpflege (gr.) Entwicklung (gr.) Ernährung (gr.) Form (gr.) Fortpflanzung (gr.) Funktion (gr.) Geburt (gr.) Gefühl (gr.) Geschlecht (gr.) Intelligenz (gr.) Kommunikation (gr.) Konkurrenz (gr.) Krankheit (gr.) Leben (gr.) Lernen (gr.) Organ (gr.) Räuber (gr.) Schlaf (gr.) Schutz (gr.) Selbstbewegung (gr.)

Spiel (gr.) Tod (gr.) Verhalten (gr.) Wachstum (gr.) Wahrnehmung (gr.) Individuum (la. vor 500) Vererbung (la. vor 500) Instinkt (la. nach 500) Organisation (la. 1264) Empfindung (la. 14. Jh.) Regeneration (la. 1541) Fossil (la. 17. Jh.) Bewusstsein (la. 1641) Regulation (en. 1665) Organismus (la. 1684) Diversität (en. 1712) Anpassung (dt. 1781) Umwelt (fr. 1800) Stoffwechsel (dt. 1802) Selbstorganisation (en. 1811) Evolution (fr. 1816) Areal (dt. 1822)

Zelle (fr. 1827) Selektion (en. 1831) Parasitismus (fr. 1832) Homologie (en. 1836) Population (en. 1837) Phylogenese (dt. 1866) Mutation (dt. 1869) Biosphäre (dt. 1875) Biozönose (dt. 1877) Symbiose (dt. 1878) Modifikation (dt. 1884) Lebensform (dän. 1895) Sozialverhalten (en. 1900) Rekombination (en. 1903) Biotop (dt. 1908) Gen (dt. 1909) Genotyp/Phänotyp (dt. 1909) Nische (en. 1910) Homöostase (en. 1926) Ökosystem (en. 1935) Information (en. 1953)

Tab. 3: Die sprachliche Herkunft der biologischen Grundbegriffe. Angegeben sind die Sprache und die zeitliche Epoche oder das Jahr, in dem ein Begriff in Gestalt eines Terminus erstmals im Rahmen einer biologischen Vorstellung oder Theorie formuliert ist. Einige der Angaben sind als bloße Richtwerte zu verstehen, weil die betreffenden Wörter innerhalb der Biologie einen erheblichen Bedeutungswandel erfahren haben, ihre heutige terminologische Bedeutung also erst allmählich entwickelt haben (z. B. ›Anpassung‹, ›Lebensform‹, ›Mutation‹ und ›Organismus‹). Für eine detaillierte Rechtfertigung der Zeitpunkte der Begriffsprägungen vgl. Toepfer 2010 (Abkürzungen: gr.: Griechisch, la.: Latein, fr.: Französisch, en.: Englisch, dt.: Deutsch, dän.: Dänisch).

_____________ 15 Für eine weitere Begründung vgl. Toepfer (2010).

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Abb. 1: Verteilung von 65 terminologisch verwendeten Grundbegriffen der Biologie über den Zeitpunkt ihrer Prägung und die Sprache, in der sie geprägt wurden.

In einer darauf aufbauenden Grafik kann die Verteilung der 65 Grundbegriffe über den Zeitpunkt ihres Auftretens, von der Antike bis ins 20. Jahrhundert und über die Sprachen, in denen das Konzept erstmals formuliert ist, überblickt werden (Abb. 1).16 Für das erste Auftreten eines Begriffs ist dabei der Zeitpunkt der Formulierung einer biologischen Vorstellung angesetzt, in der das Wort oder seine direkte Übersetzung erstmals erscheint. Zugrundegelegt ist also die sprachübergreifende Wortgeschichte: Das deutsche Wort ›Ernährung‹ hat beispielsweise etymologisch zwar keine Vorläufer in den antiken Sprachen – und doch liegt das Konzept als klar umrissene und in biologische Theorien integrierte Vorstellung selbstverständlich in der Antike vor. Und umgekehrt sind ›Phylogenese‹ oder ›Ökosystem‹ Ausdrücke, die sprachlich auf griechische Wurzeln zurückgehen – sie werden hier aber nicht als griechische Begriffe gewertet, sondern als deutsche bzw. englische, weil sie in diesen Sprachen erstmals im Rahmen von biologischen Theorien formuliert wurden. Die genaue Datierung von Wortprägungen ist allerdings in vielfacher Hinsicht problematisch. Eine objektive sprachübergreifende Wort- oder Begriffsge_____________ 16 Die Verteilung der (wenigen) Grundbegriffe über die modernen Sprachen in dieser Grafik folgt einem ähnlichen Muster wie die Verteilung von knapp 600 botanischen Termini, die von Gerhard Wagenitz untersucht wurde: eine Dominanz des Französischen (und Englischen) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, eine Vielzahl von zuerst im Deutschen geprägten Fachausdrücken in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert und eine Vorherrschaft des Englischen im 20. Jahrhundert (vgl. Wagenitz 1985).

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schichte kann es – weniger noch als eine Wortgeschichte in einer Sprache – nicht geben. Denn es ist immer eine Frage der Interpretation und der Aspektierung, ob ein Ausdruck als terminologische Übersetzung späterer Worte zu verstehen ist und damit als Begriff in einem Kontext schon vorliegt oder nicht – z. B. ob es gerechtfertigt ist, den darwinschen Begriff ›Selektion‹ bereits auf die antiken Vorstellungen zum Überleben des Nützlichen von Empedokles oder Lukrez zu beziehen. Bei den meisten der oben aufgeführten Grundbegriffe dürfte es aber unstrittig sein, dass ihre Ursprünge in der Antike liegen, z. B. bei den schon mehrfach genannten Begriffen, die organischen Grundfunktionen, benennen: ›Ernährung‹, ›Fortpflanzung‹, ›Wachstum‹ und ›Wahrnehmung‹. Wenn man dieser Einschätzung folgt, haben knapp die Hälfte der biologischen Grundbegriffe ihre Wurzeln in der Antike. Bemerkenswert ist außerdem die Armut an Grundbegriffen, die aus der Zeit zwischen der Antike und dem Ende des 18. Jahrhunderts stammen. Man sollte wohl nicht so weit gehen wie James Lennox, der von dem »Verschwinden der aristotelischen Biologie« im Hellenismus spricht und es für ein spätantikes und auch mittelalterliches Mysterium hält, dass die Biologie des Aristoteles von dessen antiken und mittelalterlichen Nachfolgern nicht wirklich aufgenommen, geschweige denn weiterentwickelt wurde.17 Es gab selbstverständlich solche Weiterentwicklungen, allen voran durch die alexandrinischen Anatomen.18 – Es ist aber doch bemerkenswert, dass die Fortschritte wesentlich empirischer Natur waren, und sich etwa auf die Entdeckung der Nerven und die Struktur des Gehirns bezogen, nicht aber auf die Prinzipien der biologischen Erkenntnis und die funktionale Ordnung der obersten biologischen Begriffe. Nach der Antike, in dem Jahrtausend zwischen 500 und 1500 erscheinen überhaupt nur sehr wenige Begriffe erstmals, die als biologische Grundbegriffe gewertet werden können. Der wichtigste unter diesen entwickelt sich dann aber zu einem grundlegenden, wenn nicht dem zentralen Konzept der Biologie: der Begriff der Organisation. Er taucht in den Schriften Thomas von Aquins Mitte des 13. Jahrhunderts auf, er findet sich in medizinisch-naturwissenschaftlichen Abhandlungen des späten 14. Jahrhunderts und er wird von dem spanische Spätscholastiker Francisco Suárez im Zusammenhang der Diskussion von ordnenden und formbildenden Wirkungen der Seele auf den Körper verwendet, bevor er seit Ende des 17. Jahrhunderts seinen Einsatz findet zur Abgrenzung des Bereichs des Lebendigen, des Organischen, von dem des Leblosen, des Anorganischen. Über diesen Begriff erfolgt eine Integration des antiken Modells der Grundfunktionen von Lebewesen in naturwissenschaftliche Theorien: Die Lebewesen

_____________ 17 Lennox (1995). 18 Vgl. Staden (1989).

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werden zu Organismen.19 Mit dieser Integration erfolgt eine Transformation, aber bemerkenswerterweise eben kein Bruch in der Geschichte derjenigen Begriffe, die die Grundfunktionen der Lebewesen bestimmen.

3. Transformationen an einem Beispiel: der Organismusbegriff Nicht nur der Ausdruck ›Organismus‹ taucht in der Biologie erst Ende des 17. Jahrhunderts auf – auch das ganze hinter ihm stehende Konzept ist ein neuzeitliches. Aristoteles und mit Bezug auf ihn die spätere lateinische Antike verwenden zwar die Formulierung ›organischer Körper‹ – corpus organicum – sie bezeichnen damit auch diejenigen mit Organen ausgestatten Wesen, die aufgrund spezifischer Seelenvermögen die typischen Lebenserscheinungen zeigen. Was in den antiken Lebenstheorien aber fehlt, ist die Erklärung dieser komplexen Vermögen aus der wechselseitigen Beziehung eben dieser Organe. Der die Lebenserscheinungen erklärende Ansatz geht nicht von der internen Dynamik der materiellen Bestandteile des lebendigen Körpers aus, sondern von einer Entität, die jenseits der materiellen Seite des Körpers steht, der Seele. Das Verhältnis der Seele zu dem Materiellen des Körpers wird bei verschiedenen antiken Autoren sehr unterschiedlich gesehen. Vielfach bezeichnen Körper und Seele nicht nur verschiedene Aspekte oder Erklärungsprinzipien, sondern werden als getrennte Einheiten konzipiert. Kennzeichnend für Platon ist die Vorstellung der Ausrichtung der körperlichen Funktionen auf die jenseits des Körpers stehende Seele bzw. deren Teile. Aristoteles entfernt sich von diesem Ansatz, insofern er die verschiedenen Seelenteile und -funktionen einander nebenordnet und die Vorstellung einer zentralen (immateriellen) Instanz, auf die alle organischen Funktionen bezogen sind, aufgibt.20 Dieser dezentrierende aristotelische Ansatz bereitet die späteren neuzeitlichen Organismusmodelle zwar vor, erhalten bleibt aber auch bei Aristoteles die Erklärung der Lebensfunktionen durch die Seelenteile und es bleibt unklar, auf welche Weise und nach welchem Mechanismus die organischen Vermögen unter Leitung der Seele zustande kommen. Indem die Seele später – u. a. im christlichen Kontext – als etwas von dem Körper deutlich Getrenntes und zu ihm Hinzukommendes verstanden wird, transformiert sich der Seelenbegriff zunehmend in einer Weise, dass er schließlich aus der Naturwissenschaft herausfällt. Sukzessive verliert das Konzept seine anfänglich wichtige Funktion der Abgrenzung eines einheitlichen Phänomenbereichs, und es werden diejenigen Aspekte dominant, die den Begriff in einer dualistischen Metaphysik von Ewig-Geistigem und Vergänglich-Materiellem verankern.

_____________ 19 Vgl. dazu auch Cheung (2006); Toepfer (2009). 20 Vgl. Kullmann (1974), 159.

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Genau an die Stelle des Seelenbegriffs rücken im Rahmen früher biologischer Theorien seit Ende des 17. Jahrhunderts die Konzepte der Organisation und des Organismus. In Ansätzen liegt diese Entwicklung bei den Cambridge Platonists vor, bei denen es aber immer noch ein Miteinander von plastischer Kraft und Organisation ist, was die Lebensphänomene bedingt: Bei Henry More etwa ist die plastische Kraft das eigentlich belebende Prinzip, diese ist aber zumindest auf die vorhergehende Organisation des Körpers angewiesen.21 Im Gegensatz zu dieser Auffassung sehen andere Autoren seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die Organisation als das eigentlich entscheidende Merkmal und verzichten auf eine geheimnisvolle plastische Kraft oder ein vitales Prinzip. So verankert der Botaniker Joachim Jungius die Lebendigkeit der Pflanzen vollständig in dem herrschenden materialistischen Paradigma seiner Zeit: Die Lebensfunktionen von Pflanzen bedürfen nach Jungius keiner Seele, weil sie allein aus Anordnung und Bau der Teile folgen (»vero organisatio sola sufficiat«).22 Die Organisation – organisatio – tritt in Erklärungen von Lebensfunktionen explizit an die Stelle des traditionellen Begriffs der Seele. Im Laufe der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts bildet sich die Auffassung heraus, die Organisation bilde das für die Lebewesen charakteristische Merkmal; ›Organisation‹ und ›Lebendigkeit‹ werden dabei von einigen Naturforschern ausdrücklich als Synonyme verstanden. Denis Diderot hält es für möglich, dass die Seele nichts als das einheitliche Zusammenwirken der Organe, also nichts als die Organisation darstellt.23 Am Ende des Jahrhunderts heißt es bei Lamarck, das Leben sei nichts als eine Ordnung der Dinge (»un ordre de choses«) oder ein Zustand von Teilen (»un état des parties«).24 Der wesentliche über die traditionelle Seelen- und Kräftelehren hinausgehende Aspekt ist das Konzept der Wechselseitigkeit der Teile, aus dem die Lebensphänomene abgeleitet werden. Als belebendes Prinzip wird nicht eine von außen hinzutretende Entität oder ein einzelner Teil als Organisationszentrum oder eine zentrale Kraft oder ein immaterieller Faktor ausgezeichnet, sondern das Wesen eines lebendigen Körpers wird in der Wechselseitigkeit seiner Teile gesehen. Ihren klarsten Ausdruck findet diese Entwicklung in der Bestimmung von Lebewesen als »organisierten Wesen der Natur« oder als Naturzwecke durch Immanuel Kant: Zu einem Körper [...], der an sich und seiner innern Möglichkeit nach als Naturzweck beurtheilt werden soll, wird erfordert, daß die Theile desselben einander insgesammt ihrer Form sowohl als Verbindung nach wechselseitig und so ein Ganzes aus eigener Causalität hervorbringen.25

_____________ 21 22 23 24 25

More, Immortality of the Soul (1659), 46 (Buch I, Kap. VIII, 3). Jungius, Doxoscopiae physicae minores (1662), Part. 2, Sect. 3, Fragm. 5. Diderot, Éléments de physiologie (1778); vgl. Callot (1965), 291. Lamarck, Sur l’origine des êtres vivans (1801–03), 181. Kant, Kritik der Urtheilskraft (1790/93), 373.

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Die Selbstorganisation, die Autopoiese, oder vielleicht besser die kausale Allelopoiese, die wechselseitige Herstellung der Komponenten und Prozesse des Systems geben die Erklärungsgrundlage für die Lebensphänomene. Das Konzept der kausalen Allelopoiese bildet den zentralen innovativen Teil des Organismusbegriffs, in dessen Rahmen die innere Dynamik von solchen Systemen beschrieben werden kann, die über die typischen Lebensfunktionen verfügen. Diese Lebensfunktionen, also die Vermögen der Ernährung, des Wachstum, der Fortpflanzung, etc. bilden die traditionellen Komponenten des Begriffs des Lebewesens. Indem Lebewesen als Organismen aufgefasst werden, erfolgt eine Integration dieser Vermögen in ein naturalistisches Modell von Naturkörpern. Die Konzipierung der Vermögen, der Grundfunktionen von Lebewesen selbst ändert sich aber nur wenig durch diese Integration: Sie überstehen weitgehend unverändert die sich seit der Frühen Neuzeit vollziehende Ablösung der antiken Seelenmetaphysik durch naturalistische Konzepte wie ›Organisation‹ und ›Regulation‹. Diese Konstanz des deskriptiven Lebewesen-Modells, auch angesichts sich wandelnder Erklärungsansätze bildet eine wesentliche Eigenart in der Transformation der biologischen Grundbegriffe.

4. Schluss: Die Antike in der Biologie Seit der Antike bilden die basalen Funktionen oder Vermögen von Lebewesen das diese Gegenstände definierende Moment: Lebewesen waren und sind darüber definiert, dass sie bestimmte Tätigkeiten vollführen und sich an ihnen charakteristische Prozesse vollziehen. Die Beschreibung und Erklärung dieser Geschehnisse bildet sozusagen den Kern und das durchgehende theoretische Problem, die empirische Forschungsaufgabe der Biologie, die grundlegende Fragestellung einer biologia perennis, wenn man so will. Diese Fragestellung hat zunächst einen konstanten deskriptiven Teil, der sich an den biologischen Begriffen, die die Grundfunktionen benennen, festmacht, und sie hat einen variablen explanativen Teil, der seit dem späten 17. Jahrhundert um den Organismusbegriff zentriert ist. Dieser explanative Teil der Biologiegeschichte ist begrifflich und theorietisch hochgradig innovativ. Es bildet ja gerade ein Kennzeichen der Biologie, dass die Generierung und Organisation allgemeiner Aussagen schwerpunktmäßig durch die Einführung von neuen Begriffen erfolgt – Selektion, Gen und Ökosystem wären drei Beispiele – und damit, anders als in der Physik, nicht durch die Formulierung von Gesetzen. Es ist aber bei aller Innovation doch das Kennzeichnende der Biologie, dass alle Begriffe immer bezogen bleiben auf die so genannten biologischen Grundfunktionen, eine funktionale Ordnung, die seit der Antike bestimmt ist. Die Biologiegeschichte ließe sich so in ihren Grundzügen als eine Integrationsgeschichte lesen: als eine Geschichte der

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Georg Toepfer

Entwicklung von Konzepten, die eine Erklärung für die bereits in der Antike identifizierten Grundphänomene liefern. Aufgrund dieser Bedeutung der Begriffe gilt also gerade für die Biologie sicher nicht: nihil in verbis und es lässt sich vermuten, dass die antiken Autoren für heutige Biologen vielleicht gerade deswegen so langweilig erscheinen, weil sie das inzwischen biologisch Selbstverständliche auf den Begriff brachten – und auf diese Weise das biologische Forschungsprogramm begründeten.

Literatur Quellen Aristoteles, Historia animalium, zitiert nach: Tierkunde, hg. v. Paul Gohlke, Paderborn 1949; überprüft nach History of Animals, Books VII-X, ed. and transl. by D. M. Balme, Cambridge, Mass. 1991. Diderot, Denis, Éléments de physiologie (1778), in: Œuvres complètes, Bd. 17, Paris 1987, 293–516. Horaz, Epistulae, zitiert nach: Des Q. Horatius Flaccus Episteln, hg. v. Carl Passow, Leipzig 1833. Jungius, Joachim, Doxoscopiae physicae minores, Hamburg 1662. Kant, Immanuel, Kritik der Urtheilskraft (1790/93), zitiert nach: Kant’s gesammelte Schriften, Bd. V, hg. v. d. Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1913, 165–485. Lamarck, Jean Baptiste de, Sur l’origine des êtres vivans (1801–03), in: Inédits de Lamarck, 1795–1817, ms. 742–6, Paris 1972, 179–185. Meyer, Jürgen Bona, Aristoteles Thierkunde, Berlin 1855. More, Henry, The Immortality of the Soul (1659), Dordrecht 1987.

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Transformationen der Lebendigkeit

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Autorenverzeichnis

LUTZ BERGEMANN, Studium der Philosophie, Klassischen Philologie und der Mittel- und Neulateinischen Philologie in Kiel. Promotion im Fach Philosophie mit einer Arbeit zur Kraftmetaphysik und zum Mysterienkult im Neuplatonismus. Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sonderforschungsbereichs 644 »Transformationen der Antike« im Teilprojekt A3 »Materialität, aisthesis, Transzendenz. Neuplatonisch-naturalistische Konfigurationen im England des 17. Jahrhunderts«. CHARLES BURNETT, Classical Tripos-Studium in Cambridge, Promotion über moderne und mittelalterliche Sprachen. Seit 1999 Professor für die Geschichte islamischer Einflüsse in Europa am Warburg-Institut in London. PETER DAMEROW, Promotion in Mathematik in Bielefeld, Habilitation in Philosophie in Konstanz. Von 1974 bis 1996 Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, seit 1997 am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in der Abteilung »Structural Changes in Systems of Knowledge«. Forschungsschwerpunkte: Geschichten der Wissenschaften und Bildung, individuelle und historische Entwicklung von Kognition, Entwicklung von Schrift und Arithmetik, Geschichte der Mathematik und Physik in der Antike und Frühen Neuzeit. WOLFGANG DETEL, Studium der Klassischen Philologie, Mathematik und Philosophie in Tübingen, Hamburg und Mannheim. Seit 1991 Professor für Antike Philosophie und Wissenschaftstheorie der Universität Frankfurt am Main. Forschungsschwerpunkte: Antike Philosophie, besonders Platon und Aristoteles; theoretische Philosophie (Epistemologie, Wissenschaftstheorie, Ontologie); Rezeption der theoretischen Philosophie, insbesondere der platonischen und aristotelischen Epistemologie und Methodologie in der Frühen Neuzeit; Philosophie des Geistes, insbesondere naturalisierte und normative Semantik; Sozialphilosophie, besonders das intentionalistische Programm der Sozialontologie und die philosophischen Grundlagen der Kritischen Theorie. MICHEL ESPAGNE, Studium der Germanistik, Altphilologie und Kulturwissenschaften in Paris, Tübingen und Köln, Habilitation 1985. Seit 1989 Directeur de Recherche am Centre National de la Recherche Scientifique in Paris. Forschungs-

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Autorenverzeichnis

schwerpunkte: deutsche Literatur- und Kulturgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, deutsch-französische Kulturbeziehungen im 18. und 19. Jahrhundert, Geschichte der Geisteswissenschaften und Kulturtransfertheorie. MARIAN FÜSSEL, Studium der Geschichte, Philosophie und Soziologie in Münster. Promotion in Neuerer und Neuester Geschichte über »Gelehrtenkultur als symbolische Praxis«. Seit 2008 Heyne Juniorprofessor für Geschichte der Frühen Neuzeit mit Schwerpunkt außereuropäische Geschichte an der Universität Göttingen. Forschungsschwerpunkte: Sozialgeschichte von Universität und Gelehrtenstand in der Frühen Neuzeit, Historiographiegeschichte und Theorie der Geschichte, Geheimbünde und Geheimgesellschaften im Zeitalter der Aufklärung, Symbolische Kommunikation in der Frühen Neuzeit und Kulturgeschichte militärischer Gewalt im 17. und 18. Jahrhundert. NICOLE KARAFYLLIS, Doppelstudium der Biologie und Philosophie an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Stirling (Scotland, UK), Kairo (Ägypten), Frankfurt am Main und Tübingen, dort Promotion 1999. Habilitation in Philosophie an der Universität Stuttgart über »Die Phänomenologie des Wachstums. Zur Philosophie und Wissenschaftsgeschichte des produktiven Lebens zwischen den Konzepten von ›Natur‹ und ›Technik‹«. Seit 2008 Lehrstuhlinhaberin Philosophie an der United Arab Emirates University in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftstheorie, Anthropologie und Ontologie der Natur- und Technikwissenschaften, Biofaktizität/Hybridität, Phänomenologie, Ethik der Biotechniken und Umweltethik, Technik-, Kultur- und Naturphilosophie, Medientheorie der Life Sciences, Hegels und Aristoteles’ Naturphilosophie und Metaphysik, Kulturphilosophie der Pflanzen, Arabische Philosophie und Geschichte der Technik und der Naturwissenschaften. COLIN KING, Studium der Philosophie und des Altgriechischen in Hamilton (New York, USA) und in Freiburg, Köln und Berlin. Seit 2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin. Wissenschaftlicher Koordinator des August-Boeckh-Antikezentrums. Promotion über Aristoteles’ Endoxa. Forschungsschwerpunkte: Antike Philosophie (vorwiegend Aristoteles), Epistemologie, insbesondere die ›testimony‹-Debatte und epistemologische Aspekte der informalen Logik; praktische, insbesondere politische Philosophie und Meta-Ethik. THOMAS LEINKAUF, Studium der Philosophie, Kunstgeschichte und Geschichte in Freiburg und München. Seit 1996 Professor für Philosophie an der Universität Münster und Direktor der Leibniz-Forschungsstelle Münster. Forschungsschwerpunkte: Philosophie der Spätantike, der Renaissance und der Frühen Neuzeit, Leibniz und Idealismus.

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WILFRIED NIPPEL, Studium der Geschichte und Germanistik in Köln und Marburg. Seit 1992 Professor für Alte Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 1997 ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Leiter des Teilprojektes A10 »Strukturwandel der Alten Geschichte im 19. Jahrhundert« des Sonderforschungsbereichs 644 »Transformationen der Antike«. Forschungsschwerpunkte: historische Anthropologie, Fachund Wissenschaftsgeschichte, Antikenrezeption und vergleichende Verfassungsgeschichte. JÜRGEN RENN, Studium der Physik, Mathematik, Philosophie, Wissenschaftsgeschichte, Religionswissenschaft und Kunstgeschichte in Bonn und Berlin. 1994 Gründungsdirektor am Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, dort Direktor der Abteilung »Structural Changes in Systems of Knowledge«. Honorarprofessor für Wissenschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität und Adjunct Professor für Philosophie und Physik an der Boston University. Leiter des Teilprojekts A6 »Transformationen antiker Denkweisen: Technologie, mentale Modelle und deduktives Schließen« am Sonderforschungsbereich 644 »Transformationen der Antike«. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der frühneuzeitlichen Mechanik, Geschichte der Relativitätstheorie und Wechselbeziehungen zwischen kognitiven und kontextuellen Faktoren in der Wissenschaftsentwicklung. ALBERT SCHIRRMEISTER, Studium der Germanistik und der Geschichte in Freiburg im Breisgau und Bielefeld, 2002 Promotion zum Thema »Triumph des Dichters – Gekrönte Intellektuelle in der Frühen Neuzeit«. Seit Juli 2002 assoziiertes Mitglied des Zentrums zur Erforschung der Frühen Neuzeit der Universität Frankfurt am Main. Mitglied des Teilprojektes A4 »Historiographie des Humanismus: soziale Praxis, Narrativität, Historische Semantik« des Sonderforschungsbereichs 644 »Transformationen der Antike«. Forschungsschwerpunkte: Geschichte der Frühen Neuzeit, insbesondere Traum und Wissen in der Frühen Neuzeit. STEFAN SCHLELEIN, Studium der Mittelalterlichen Geschichte, Politikwissenschaft und Wirtschaftspolitik (VWL) an der Universität Münster, der Universidad Carlos V de Granada (Spanien) sowie der Universität Freiburg. Promotion mit einer Arbeit über den Einfluss des italienischen Humanismus in Kastilien in der zweiten Hälfte des 15. und im beginnenden 16. Jahrhundert. Seit 2009 Wissenschaftlicher Koordinator des Sonderforschungsbereichs 644 »Transformationen der Antike«. Forschungsschwerpunkte: Renaissance-Humanismus, Historiographiegeschichte und Spanien im Hoch- und Spätmittelalter. GEORG TOEPFER, Studium der Biologie (Diplom) in Würzburg und Buenos Aires sowie der Philosophie in Würzburg und Hamburg. Promotion in Philosophie mit einer Arbeit über die Teleologie des Organischen. Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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im Teilprojekt A5 »Bios und Techne – Transformationen antiker Wissensformen: Enzyklopädie, Bild, Begriff« des Sonderforschungsbereichs 644 »Transformationen der Antike«. Forschungsschwerpunkte: Wissenschaftsgeschichte und Philosophie der Biologie; Naturphilosophie und Wissenschaftstheorie.

Abkürzungsverzeichnis 1. Abkürzungen griechischer Werktitel Aristoteles an. an. post. an. pr. eth. Nic. gen. an. gen. corr. hist. an. metaph. part. an. phys. soph. el. top.

de anima analytica posteriora analytica priora ethica Nicomachea de generatione animalium de generatione et corruptione historia animalium metaphysica de partibus animalium physica sophistici elenchi topica

Herodot hist.

Historien

Platon Gorg. Ion Krat. Krit. Lach. Phaidr. Prot. rep. soph.

Gorgias Ion Kratylos Kriton Laches Phaidros Protagoras de re publica sophistes

Sophokles Ant.

Antigone

Theophrast c. plant. h. plant.

de causis plantarum historia plantarum

2. Abkürzungen lateinischer Werktitel Horaz epist.

epistulae

Personenregister Abu Maૃschar al-Balchi, Dschaૃfar ibn Muhammad (Albumasar/Abu Maૃschar/al-Falaki) 123 Adelung, Johann Christoph 149 Adriano da Corneto ĺ Castelli, Adriano Adrianus Spigelius (Adriaan van den Spieghel) 275 f., 311 Aesticampianus (Johannes Raghius/ Rack von Sommerfeld) 179 f. Agricola, Georgius 255 Agricola, Rudolph 11 Agrippa von Nettesheim, Heinrich Cornelius 71, 73 f., 77, 101 Aischines/Aeschines 174 Alberti, Leon Battista 255 Albertus Magnus 93, 117, 283, 294 Alexander VI. (Rodrigo de Borja), Papst 195 Alexander von Aphrodisias 75, 217, 224 al-Hajjaj ibn Yusuf ibn Matar 115 f., 119–123, 130 f. al-Hasib al-Marwazi, Ahmad ibn ૃAbdallah Habash 130 Alkmaion von Kroton 271 al-Maૃmun ibn Harun ar-Raschid, Abu l-Abbas Abdallah (Maimon) 127, 130 al-Mubashshir ibn Fatik, Abu-l-Wafa’ 116, 125, 128 Androtion 278 Annius von Viterbo 202, 209 Anonymus 124 Anonymus Aurelianensis I 6 Anonymus Parisiensis 6 Antoni van Leeuwenhoek 273 f. Antoninus Pius 277 Antonio Bonfini 191 Antonio de Nebrija, Elio 193, 206–208 Archimedes 247, 259 f. Aristarchus 182

Aristoteles X, 1–30, 35–61, 81, 84 f., 88, 93, 115, 117, 132, 171–174, 182, 216–235, 243–263, 270–284, 287–294, 296, 301 f., 305 f., 314 f., 318, 324 f. Averroës (Ibn Ruschd) 174 Avicenna 99, 174, 270 Ayer, Alfred Jules 17 Bacon, Francis 98, 218, 221, 227–230, 233–236, 282, 302 Bacon, Roger 3, 118 Baldo degli Ubaldi 176 Barker, Peter 96 Bartolus de Saxoferrato (Bartolo da Sassoferrato) 176 Bauhin, Caspar (Gasperd) ĺ Caspar (Gasperd) Bauhin Beauvais, Vinzenz von (Vincentius Bellovacensis) 93 Beda Venerabilis 200 Beloch, Karl Julius 162, 165 Benedetti, Giovanni Battista 248, 257– 259 Benedikt XVI. (Joseph Alois Ratzinger), Papst 26–30 Bitaubé, Paul-Jérémie 149 Blaise Pascal 8 Blount, Thomas Pope 195 Bodmer, Johann Jakob 149 Boeckh (Böckh), August 158, 160 Boëthius, Anicius Manlius Severinus 5 f., 115 Boetius von Dacien (Boethius von Schweden) 7 Boie, Heinrich Christian 149 Bonfini, Antonio ĺ Antonio Bonfini Böttiger, Karl August 152 Bourdieu, Pierre 173 Boyle, Robert 7, 64, 66, 219, 221, 229, 263

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Personenregister

Brahe, Tycho 253, 257 Brito/Brutus 173, 203 Brunelleschi, Filippo 255 Bruno, Giordano 72, 76, 80–85, 218, 223 f., 234, 261, 263 Bücher, Karl Wilhelm 162 Büchner, Johann Gottfried 183 f., 189 Buonaccorsi, Filippo 191 Burckhardt, Jakob 161 f., 191 Burley, Walter (von) 118 f., 125–127 Busch(e), Hermann von dem (Hermannus Buschius) 180 Calvo, Juan 197 Camden, William 202 Campanella, Tommaso (Giovanni Domenico) 234 Cardano, Girolamo (Hieronymus Cardanus) 101, 106–108, 257 Caspar (Gasperd) Bauhin 288 Cassirer, Ernst 220, 235 Castelli, Adriano 194 f., 207 f. Charles II., Kg. v. England 282, 286, 292 Cicero, Marcus Tullius 10, 95 f., 109, 182, 184 Colet, John 208 Columbus, Christoph ĺ Kolumbus, Christoph Columella, Lucius Iunius Moderatus 278 Commandino, Federico 11, 249 f. Compotista, Garlandus ĺ Garlandus Compotista Conradi, Tillmann 180 Cudworth, Ralph 63–89 da Sangallo, Antonio der Ältere 255 da Sangallo, Antonio der Jüngere 255 da Sangallo, Giuliano 255 da Vinci, Leonardo 255 Daneau, Lambert 98 f. Darwin, Charles Robert 163, 272, 306 f., 315, 317, 324 de Nemore, Jordanus 248 del Monte, Guidobaldo 249–251, 257 f. Demosthenes 174

Descartes, René 8–16, 64–70, 74 f., 80, 89, 218–223, 233 f., 261–263 Diderot, Denis 326 Diogenes Laertios 71, 185, 218 Diogenes von Sinope 183 Dionysius Areopagita (Ps.-Dionysios Areopagita/Dionysius Ps.Areopagita) 78 Dioskurides 278, 284, 288 Donatus, Aelius 182 Droysen, Johann Gustav 161–165 Drumann, Wilhelm Karl August 164 Duncker, Max 164 f. Duns Scotus, Johannes ĺ Johannes Duns Scotus Dürer, Albrecht 93 Einstein, Albert 315 f. Elias, Norbert 173 Emilio, Paolo 192 Empedokles 64 f., 72, 75–89, 279, 324 Enríquez, Fadrique 193 Epikur 217 f., 223 Euklid von Alexandria 115, 259 Fadrique Enríquez ĺ Enríquez, Fadrique Ferdinand II., Kg. v. Aragón 193 f., 197, 203, 205 Ferrari, Giovanni Battista 299 Feuerbach, Ludwig Andreas 146 Fichte, Johann Gottlieb 185 Ficino, Marsilio 73, 76–80, 84, 101, 104 f., 217 Filelfo, Francesco 177 Fisher, John 208 Flamel, Nicolaus 104 Flaminius Siculus, Lucius 205, 207 Fludd, Robert 96 f., 105 Fontana, Domenico 256 Fox, Richard 208 Francesco Patrizi 226 f. Franciscus Toletus (Francisco de Toledo Herrara) 11 Frenzel, Salomon 180 Freud, Sigmund 110

Personenregister Galenos von Pergamon 99 f., 115, 174, 219, 222–227, 231, 236, 270, 288, 294, 301, 306 Galilei, Galileo 7, 13, 218–222, 228, 233, 248, 250–254, 257–263, 315 Garcés, Juan 197 Garlandus Compotista 10 Gassendi, Pierre 7, 217–223, 233, 261, 263 Gerhard von Cremona 115 f., 125 Gildas »der Weise« 200 Giordano Bruno ĺ Bruno, Giordano Giovan Battista (Giambattista) della Porta 102 Giovanni da Procida 116 Glareanus ĺ Loriti, Heinrich Glisson, Francis 72, 80, 219 Goethe, Johann Wolfgang von 141, 149–154, 159, 273, 283, 299, 308 Goldhagen, Daniel Jonah 191 Goldstein, Bernard 96 Goorle, David van (Gorlaeus) 223 Görres, Johann Joseph 147 Gottsched, Johann Christoph 149, 183 Gregor von Nazianz 174 Grew, Nehemiah 269–308 Grew, Obadiah 286 Grosseteste, Robert 2, 4 Grundmann, Herbert 171 f. Hall, Edward 202 Harriot, Thomas 257 f. Harvey, William 220, 222, 228 f., 235, 315 Hay, Denys 194–196, 200–203, 208 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 161 f. Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 28, 159, 272 f., 283 Heine, Heinrich 147 Heinrich VII., Kg. v. England 195, 199 Heinrich VIII., Kg. v. England 199, 203, 207 Heisenberg, Werner Karl 315 Herder, Johann Gottfried 151–153 Hermann, Karl Friedrich 165 Hermann, Martin Gottfried 144 Hernando del Pulgar 203 Herodot 36–39, 198, 278

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Heron von Alexandria 247, 249, 255 Heyne, Christian Gottlob 141–147 Highmore, Nathaniel 294, 302 Hippokrates von Kos 174, 182, 274 Hobbes, Thomas 8, 64, 219–221, 229, 233 Hofmeister, Friedrich Wilhelm Benedikt 282 Holinshed, Raphael 202 Hölty, Ludwig Christoph Heinrich 149 Homer 46, 109, 141–154, 185, 320 Hooke, Robert 224 f., 270, 290, 295 f., 300, 302 Horaz (Quintus Horatius Flaccus) 183, 205, 313 f. Humboldt, Wilhelm von 141–143, 151– 153 Hume, David 16 Humphrey, Duke of Gloucester 207 Hunayn ibn IshƗq al-‫ޏ‬IbƗdƯ, Abnj Zayd 115 f., 119 f., 123, 130 f. Huygens, Christiaan 252 Innozenz XI. (Benedetto Odescalchi), Papst 286 f. Innozenz XII. (Antonio Pignatelli), Papst 286 f., 301 Isabella (Frau Kaiser Karls V.) 193, 204 Isabella I. »die Katholische«, Kgn. v. Kastilien 197, 203 Jacobus Locher ĺ Locher, Jakob Jacobus Theodorus Tabernaemontanus ĺ Tabernaemontanus, J. Theodor Jacobus Venetius Graecus 2 Jacques d’Autun (Jacques de Cheva[n]nes) 106–108 Jakob I., Kg. v. England 94 Jean de Meung (Meun) 118 Jiménez de Rada, Rodrigo 197 Johann II., Kg. v. Aragón 199 Johannes der Täufer 303 Johannes Duns Scotus 4, 7, 27, 233 Johannes Philoponus ĺ Philoponus, Johannes Johannes von Salisbury 5 f. Johannes de Sacrobosco 124 Jungius, Joachim 326

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Personenregister

Kaerst, Julius 166 Kant, Immanuel 27, 326 Karl der Große 173 Karl I./V., Kg. v. Spanien und röm.-dt. Ks. 204 Karl von Viana 199 Katholische Könige 193 f., 197, 203 Kepler, Johannes 94–97, 105, 109 f., 219, 224, 253 f., 257, 315 Kershaw, Ian 191 Klopstock, Friedrich Gottlieb 148–150 Köhler, Ulrich 165 Kolumbus, Christoph 285 Kopernikus, Nikolaus 224, 253, 261– 263, 315 Kuhn, Thomas 315 f. La Mothe Le Vayer, François de 108 f. Laertios, Diogenes ĺ Diogenes Laertios Lagneau (Laigneau/Lagneus), David 102 Lamarck, Jean-Baptiste Pierre Antoine de Monet (Chevalier de) 315, 326 Lamprecht, Karl 166 Latimer, Hugh 208 Leibniz, Gottfried Wilhelm 217, 219, 221 f., 228, 230, 233 f. Leisewitz, Johann Anton 149 Leland, John 202, 208 Lennox, James 324 Leo X. (Giovanni de’ Medici), Papst 195 Lessing, Gotthold Ephraim 28, 147, 149 Lilly, William 208 Linacre, Thomas (Lynaker) 208 Linné, Carl von 293, 299, 306 Lipsius, Justus 71, 217 Lipsius, Justus Hermann 165 Livius, Titus 159, 198 Locher, Jacob (Philomusus) 178, 180 Locke, John 7, 28 Loriti, Heinrich (Glareanus) 178 f. àukasiewicz, Jan 17 Lukian von Samosata 182, 225 Lukrez 218, 223, 324 Luther, Martin 150

Maecenas, Gaius Cilnius 313 Magnus, Albertus ĺ Albertus Magnus Malpighi, Marcello 269–308, 311 Marineus Siculus, Lucius 191–210 Marsuppini, Carlo 177 Martin von Troppau (Martinus Polonus) 118 f. Martyr von Anghiera, Petrus 191, 205– 207 Matthias Corvinus (Hunyadi), Kg. v. Ungarn 191 Mattioli, Pietro Andrea (Petrus Andreas Matthiolus) 285 Mauss, Marcel 101 Maximilian I., röm.-dt. Ks. 178 Medawar, Jean 314 Medawar, Peter Brian 314 Melanchthon, Philipp 177 Meletus 43 Mendel, Johann Gregor 285, 315 Mersenne, Marin 7, 14, 101, 220, 250 Meyer, Eduard 162–164, 166 Meyer, Jürgen Bona 314 Mittelstraß, Jürgen 171 f. Möbius, Martin 286, 290, 299 f. Mommsen, Theodor 160 f. Montaigne, Michel Eyquem de 217 More, Henry 64, 219, 326 Morus, Thomas 208 Mosheim, Johann Lorenz (von) 70, 76, 84 Müller, Karl Otfried 160 Naso, Giovanni 193 Naudé, Gabriel 106–108 Nebrija ĺ Antonio de Nebrija, Elio Neumann, Karl Johannes 166 Newton, Isaac 219, 221, 230, 247, 254, 293, 315 Niebuhr, Barthold Georg 158–161 Ong, Walter Jackson 220, 226 Owen, G(wilym) E(llis) L(ane) 58 Pace, Richard 208 Pappus von Alexandria 249 Paracelsus (Theophrast von Hohenheim) 70, 72, 99, 101, 219

Personenregister Parisius Siculus, Cataldus 193, 205, 209 Parmenides 39 f. Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob 146 Pérez de Guzmán, Fernán 203 Perotti, Niccolò 195 Petrarca, Francesco 191 Petrus Andreas Matthiolus ĺ Mattioli, Pietro Andrea Petrus Fonseca 11 Petrus Hispanus 10 f. Petrus Martyr von Angleria ĺ Martyr von Angleria, Petrus Petrus Ramus (Pierre de la Rameé) 11, 231 f. Philon von Byzanz 255 Philoponus, Johannes 5 f., 217 Piccolomini, Alexander 248 f. Picot, Claude 8 Pierre Gassendi ĺ Gassendi, Pierre Pindar 142, 145 Planck, Max Karl Ernst Ludwig 315 Platner, Ernst 184 f. Platon X, 5, 20, 24, 35 f., 40–52, 57 f., 60, 63–73, 78, 80–89, 93–96, 99, 102, 107 f., 171, 174, 184, 217, 219 f., 227 f., 253 f., 280, 305, 325 f. Plinius der Ältere (Gaius Plinius Secundus Maior) 87, 177, 200, 278 f., 288 Plotin 65, 74–88, 107, 174, 217 Plutarch 81, 185, 203 Popper, Karl 16 f., 313 Poppi, Antonino 220 Proklos 95 Prospero Alpini 288 Ps.-Dionysios Areopagita ĺ Dionysius Areopagita Ptolemäus, Claudius 115–139, 200, 224 Pullastra, Lucca 193 Pullastra, Nicolao 193 Pullastra, Vincente 193 Pythagoras von Samos 95 Quadratus, Gaius Volusenus 201 Quine, Willard Van Orman 17 Quintilian, Marcus Fabius 177 f.

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Rabener, Gottlieb Wilhelm 183 Ramelli, Agostino 255 Randall Jr., John Herman 220, 232 Ranke, Leopold von 159 Rasini, Baldassare 176 Ray, John 287, 293 f., 302 Reimarus, Hermann Samuel 143 f. Reitzenstein, Freiherr Sigismund Karl Johann 149 Ricci, Matteo 257 Richard de Bury (Richard Aungerville) 117 Risse, Wilhelm 220 Robert Grosseteste ĺ Grosseteste, Robert Robert Sharrock ĺ Sharrock, Robert Robertus Anglicus 123 f. Roger Bacon ĺ Bacon, Roger Ronzoni, Antonio 205 Rudolph Agricola ĺ Agricola, Rudolph Rudolf II., Ks. 95 Ruffo, Giovanni 205 Ruhnken, David 142 Sambursky, Shmuel 71 Sánchez de Arévalo, Rodrigo 197 Scaliger, Julius Caesar 106, 223 Schäfer, Arnold 164 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 308 Schelver, Franz Joseph 273, 308 Schinkel, Karl Friedrich 175 Schlegel, August Wilhelm 147 Schlegel, Friedrich 147 Schmidt, Wilhelm Adolf 164 Scot, Reginald 105 f. Segura, Alfonso 192 Seneca, Lucius Annaeus 183, 197 Sennert, Daniel 223 Sergius 130 Sextus Empiricus 10 Sforza, Ascanio Maria 205 Shakespeare, William 98, 202 f. Sharrock, Robert 294, 302 Siculus ĺ Marineus Siculus, Lucius Simplikios 82–84, 217 Sokrates 35–61, 107, 172, 182 Sophokles 227, 286

342

Personenregister

Spinoza 8, 219, 229, 234 Stein, Heinrich Friedrich Karl Reichsfreiherr vom und zum 164 Stevin, Simon 257 Stolberg, Friedrich Leopold Graf zu 146, 149 Strabon 200 Suárez, Francisco 324 Sueton (Gaius Suetonius Tranquillus) 198 Tabernaemontanus, Jacob Theodor 288, 301 Taccola, Mariano di Jacopo 255 Tacitus, Publius Cornelius 198, 200 Tartaglia, Niccolo 248 f., 257 Tertullian (Quintus Septimius Florens Tertullianus) 277 Thabit ibn Qurra ibn Marwan as-Sabiૃ al-Harrani, Abu l-Hasan 115 f., 120, 123, 130 f. Themistios 217 Theodosius I., Ks. 173 Theophrast 271, 278, 279, 287–290, 298, 305 f. Thomas von Aquin 3 f., 7, 27, 221, 324 Thukydides 36, 38 f. Tommaso Campanella ĺ Campanella, Tommaso Trajan (Marcus Ulpius Traianus), röm. Ks. 197 Treitschke, Heinrich Gotthardt von 165 Trivet (Trevet), Nicholas 118 Tudor (Haus) 207–209 Tunstall, Cuthbert 208 Ukert, Friedrich August 143 f. Valla, Lorenzo 176 Van Helmont, Johan[n] Baptista 94, 97– 100, 109–111, 219

Vanini, Giulio Cesare Lucilio 108 Vatier, Antoine 15 Vergil (Publius Vergilius Maro) 118, 142, 177, 278 Vergil (Familie) 194 Vergil, Giorgio 194 Vergil, Polydor 191–210 Vitruv 255 Vlastos, Gregory 43, 48 f. Volusenus ĺ Quadratus, Gaius Volusenus Voß, Johann Heinrich 141–154 Wachsmuth, Curt 166 Wachsmuth, Ernst Wilhelm Gottlieb 160, 164 Waitz, Georg 164 White, Robert 300 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 158, 165 f. Wilhelm der Eroberer/Wilhelm I., Kg. v. England 199 Wilhelm III. von Oranien-Nassau, Kg. v. England, Schottland, Irland 287 William Camden ĺ Camden, William William Harvey ĺ Harvey, William Winckelmann, Johann Joachim 145, 149 Wolf, Friedrich August 141–144, 146 f., 149, 151–154, 157 f. Wolff, Christian 8 f., 218 Wolsey, Thomas 195, 199, 202, 209 Xenophanes von Kolophon 39 Zabarella, Jacopo 11, 13, 220, 223, 225, 228, 230, 232 Zambelli, Paola 101 Zenon von Elea 40, 59, 71 Zonca, Vittorio 255

Sachregister Abbild 87–89 Ägyptologie 163 Akademie/akademisch IX, 2, 98, 100 f., 105, 110 f., 157 f., 165, 171 f., 176, 178, 181, 183, 185, 193, 204, 225, 231 f., 251, 271, 306 Alchemie/alchemisch 94, 100–106, 110 f., 219 Algorithmus/algorithmisch 13–16, 24 Allegorie/allegorisch 107, 145, 182, 275, 277, 300 Allelopoiese/allelopoietisch 94, 109 f., 327 Alte Geschichte 163–166 Altertum/Alterthum 93, 108, 115, 142 f., 145, 147, 151, 153, 157 f., 160– 165, 182 f., 202, 243, 255, 314 Altertumskunde/Altertumswissenschaft 141, 153 f., 157 f., 160, 163, 165 f. Altes Testament 278 Althistorie 158, 162, 164 f. Altphilologie/Altphilologe 141, 154 Amor ĺ Liebe/liebend Analyse VIII, XI, 2–4, 9, 13, 22–24, 28, 40, 45, 119, 218 f., 225 f., 231, 235, 272, 287, 318 f. Analytik/analytisch 1–25, 35, 252 f. Anatomie/anatomisch 226–231, 235, 269–302, 305–307, 320 f. Anthropologie/anthropologisch 29, 143, 146, 154, 163 f. Anthropomorphien/anthropomorph 269, 275, 307 anti-aristotelisch 247, 257, 259 f., 263 Antikewissen 205, 209 Antiquitäten/antiquarisch 93, 108, 115 f., 158–161, 182 f., 200, 202, 236, 243, 255 Anziehung/-skraft/-vermögen 74–79, 83 f., 100 Apodeixis 21

Apologie/apologetisch 12, 43, 97, 106 f. aposteriori 17 apriori 4, 17 Araber/arabisch 115–130, 248, 270, 287 Archäologie/archäologisch IX, 110, 141, 158, 163 Archimedesbeweis 247 Architekt/Architektur 144, 255 f., 294 Argumentationstheorie 10, 52, 58 Argumentationsverfahren 40, 47–49, 51, 56, 59 Artefakt/artifiziell 244, 287, 292, 294, 298 Artus (myth.) 173, 202 f. Assimilation/assimilieren 93, 106, 111, 133, 138, 199, 280 Assyriologie/assyrisch 163, 278 f. Ästhetik/ästhetisch XI f., 142, 152 f., 162, 216, 304, 306 f., 314 Astrologe/Astrologie 95, 106, 117 f., 123–125, 182, 253 Astronom/Astronomie/astronomisch 9, 46, 94–97, 109 f., 115, 117–119, 123 f., 128, 224, 231, 253 f., 260 f. Atheismus/Atheist 66, 71 f. Atomismus/Atomisten/Atomistik 65–71, 84, 217, 219, 222–224, 233, 263 Aufklärung 28 f., 144, 150, 153, 161 f., 172, 263 Ausland/Ausländer/ausländisch 191, 194, 196, 202, 204, 207–209 autark/Autarkie 273, 280 f., 290 f., 296, 305 Autopsie/autoptisch X, 200, 215, 218, 224–232, 235 f., 271 Axiom/axiomatisch VIII, 1–9, 17–21, 24, 218, 228, 230, 233 Befruchtung/-svorgang etc. 269, 272– 275, 279, 281, 285, 292, 301, 305– 307

344

Sachregister

Begriffsgeschichte 45, 317, 323 f. beobachten/Beobachtung X f., 38, 67, 82, 86, 89, 93, 97, 101, 109, 111, 143, 145, 197, 208, 218, 224–226, 231, 236, 274, 278–281, 290, 294 f., 314 Beschleunigung 252, 255, 259 Bestäubung 272, 278 f., 301, 306 bewegen/Bewegung 15, 22, 25, 27, 64 f., 68, 71, 75, 77–79, 82, 84, 96 f., 109 f., 120, 137, 176, 193, 218, 221–224, 243–247, 252–254, 257–263, 273, 280, 285, 288, 290, 294, 305, 307, 316, 321 f. Beweger, unbewegte 25, 27 Bewegungsprinzip 273, 280, 305 Beweis 1, 3, 6, 9, 11–14, 23 f., 43 f., 47 f., 52 f., 57, 59 f., 96, 144, 149, 225, 228–230, 247 f., 251 f., 259 Beweisführung 43 f., 48 Beweisverfahren 9, 47 f. Bewusstsein 14, 37, 153, 199, 229, 233, 321 f. Bibel/biblisch 108, 202, 283, 285 Bild VIII–X, 1 f., 6, 8, 14–19, 29, 84 f., 93–96, 103, 130, 144 f., 174, 199, 202, 226, 233 f., 275–278, 298– 300, 303 f., 317 Bildung/Ausbildung/-sreform etc. IX, 12, 26, 28, 46, 50, 141, 146 f., 153 f., 157 f., 165, 171 f., 177 f., 181, 192 f., 204, 233, 235, 271, 315 Biologie 221, 223, 225, 227 f., 269 f., 272, 282 f., 290, 293, 296, 307, 313–328 Biologiegeschichte 282, 293, 315–318, 327 Blüten/-bau/-staub etc. 272, 275 f., 279, 281, 283–285, 289, 296–307 Botanik/botanisch 270, 273, 284–289, 294 f., 299, 303–308, 323, 326 Brief/-wechsel/-sammlung etc. 14 f., 96, 142–146, 149, 151–153, 159, 165, 176–180, 192 f., 195, 197, 200, 205–210, 218, 233 f., 251, 270, 274, 288, 294, 308

Chemie/chemisch 98, 102, 219, 223, 230, 269, 285, 290, 296 Christentum/christlich 25–30, 74, 82, 89, 105, 123 f., 130, 147, 217 f., 232, 260 f., 270, 276, 287, 299, 325 Chronologie/chronologisch 192, 201, 322 Dämon/en 99, 105–108, 110 Deduktion/deduktiv X, 1–4, 7–12, 17, 20–24, 36, 52–59, 232, 245, 248 Definition 5 f., 8, 11, 14, 17, 21, 58, 246, 277, 316, 319 Deismus 28 Demonstration/demonstrativ 3 f., 8, 11, 20–24, 53 f., 134 f., 225, 228–233, 259 Dialektik/dialektisch 9–11, 20, 29, 36 f., 40–44, 50–61, 88, 182, 220 Dialog/Dialogisierung XI, 36, 40–46, 49, 51 f., 57, 59, 99, 174, 226, 247, 254 Dichtung/Dichter 28, 46, 94, 141, 145– 154, 178–181, 185 Diskurs IX, 12, 65, 95, 105, 111, 183, 186, 204, 209 f., 218, 220 f., 224– 226, 231 f. Disziplin/en IX f., 6, 11, 22, 46, 95, 157 f., 160, 162–166, 180, 225, 243, 274, 284, 319 Dogmatismus/dogmatisch 12, 17, 25, 28, 224 Doktrin 81, 83, 131 f., 135, 243, 254, 259–261, 263 Dynamik/dynamisch/Dynamisierung VIII, XI, 66, 69, 71, 79, 82, 86–89, 163, 219, 220, 222 f., 250, 253, 277, 280 f., 290, 316 f., 321, 325, 327 Einheit/einheitlich 10, 19, 52, 75, 80, 83–85, 141, 151–153, 157–159, 163, 171, 219, 222 f., 235, 247, 249 f., 255, 270, 274, 283, 286 f., 294–296, 302, 307, 325 f. Element 2, 4, 12–14, 23 f., 68, 74, 78, 84–86, 103, 109, 115, 124, 134,

Sachregister 200, 208, 218, 222, 224, 246, 248, 259, 296, 316–319, 326 Embryo/embryonal 229, 275, 277, 279 f., 290, 294, 300 f., 305 Embryologie 277, 281, 284, 301 Empirie/empirisch/Empirismus VIII, 1– 8, 15–27, 58, 101, 149, 172, 175, 218 f., 225, 230–233, 281, 314, 316 f., 324, 327 Endoxalität/endoxisch 42, 53–61 Entelechie 221 f. Epigraphik 162, 165 Epikureismus 217 epistemisch/Epistemologie 4, 17–21, 24, 36–61, 87, 94 f., 99, 172, 232 f., 274, 280 f., 284, 287, 289 f., 299, 302, 317 Epoche 143, 158, 164 f., 198, 201, 203, 307, 322 Epos 149–154 erfahren/Erfahrung IX–XI, 1–6, 15 f., 22, 45, 47, 99, 107, 119, 161, 193, 203 f., 224, 228–236, 244 f., 248, 261, 313, 318 f., 322 erfinden/Erfindung 101, 153, 173, 182, 195, 202, 215, 231, 247 f., 293 erkennen/Erkenntnis 2–16, 18, 24 f., 29 f., 36–39, 60, 66, 70, 85, 88, 95 f., 99–105, 109, 142–144, 148, 154, 163, 174, 203, 215, 232, 275, 277, 293, 324 Erkenntnistheorie 2, 7 erklären/Erklärung 1, 8 f., 11, 19–24, 28, 45, 50, 53, 57, 60, 63–67, 70– 72, 76–78, 82–89, 100, 104, 130, 139, 141, 143 f., 151, 153, 158, 177 f., 182, 193, 195, 198, 204, 219, 223, 235, 243, 245 f., 253 f., 260, 262, 272 f., 280, 286 f., 289, 316, 318, 325–328 Ernährung 198, 222, 235, 275, 279 f., 290, 300, 316–324, 327 Eros ĺ Liebe/liebend Erzählung 37, 45, 93 f., 97, 99–102, 109, 152, 159, 177, 197 f. Erziehung 46, 50, 125, 149, 185 Ethik/ethisch 8, 24, 26, 36 f., 41, 50 f., 58, 60, 180, 217, 223

345

Ethnographie/ethnographisch 37, 162 f., 198 Ethos 29 Europa/europäisch VIII f., 27–30, 109, 116, 141, 171 f., 185 f., 191, 197, 208 f., 235, 249, 255, 285, 287 f., 306 Evolution/-slehre/-theorie etc. 29, 163 f., 317 f., 321 f. Experiment/experimentell VII, 3, 7, 15 f., 89, 99, 101, 215, 218, 224– 236, 253, 263, 271 f., 284 f., 294, 302, 313 Experte 4, 6 f., 17, 44–57, 60, 116 Expertenwissen 47, 5, 52, 60 Fachausdruck 245 f., 323 Fachliteratur, technische 255 Fallgesetz 251–254 Falsifikation/falsifizierbar 3, 17, 22 f. fiktiv 109, 174 Formalwissenschaften 16 f. Formbegriff 221, 223, 235 Formel IX, 7, 21, 149, 171, 176, 216, 225, 317 Formkraft 76 f., 82–84 Fortpflanzung 273, 275, 279 f., 290, 294 f., 307, 316–318, 321–324, 327 Fortschritt 3, 12, 270, 317, 324 Freiheit 148, 150, 207 Fremdenfeindlichkeit 202, 208 Fruchtbarkeit 14, 275–277 Fundamentalismus/fundamentalistisch 8, 12, 16, 18, 25 Garten/Gärtner 102, 271, 284, 288, 294, 298 Gastland 192, 196, 204, 208, 210 Gattung 80, 222, 284, 287, 307, 316 Gedicht 39 f., 81, 142–145, 148 Gegenreformation 260 Gegenwart/gegenwärtig X, 27–30, 38, 97, 101, 144, 150, 153, 162, 174, 185, 197, 226, 272, 277, 313 f., 318 Geist/geistig 6–9, 26, 29, 68, 76 f., 83, 86 f., 89, 95–97, 104 f., 144, 147, 149, 153 f., 161, 172, 179, 181, 185, 219, 222, 253, 294, 325

346

Sachregister

Gelehrsamkeit 159, 181, 205 f., 209 Gelehrte 18, 97, 106–108, 110, 148, 174, 177, 180, 183–185, 191 f., 195, 202, 205–210 Gelehrtenkultur 172, 176, 180 f. Gelehrtensatire 177 Gender 272, 301 Genealogie/genealogisch 147, 174 Geographie/geographisch (Erdkunde) 106, 143–145, 154, 197 f., 288 Geometrie/geometrisch 8, 14 f., 44, 46, 64 f., 125, 128, 135, 216 Geschichte/geschichtlich (ĺ Historik) VII, X, 2, 17, 38, 42, 45, 83, 96, 101, 107, 141, 143–147, 150, 153 f., 157–166, 171–175, 178, 181, 185, 191 f., 194–199, 201– 203, 205, 207–210, 224, 226 f., 243–245, 270–272, 282, 284, 286, 298, 313, 315–318, 320, 323–325, 327 Geschichtsbewusstsein 199 Geschichtsschreibung (ĺ Historiographie) 171 f., 191 f., 194, 197–200, 204, 270 Geschichtswissenschaft 93, 158 f., 166 Geschlecht 85, 95, 110, 146, 269–308, 321 f. Geschlechtsorgane 271, 281, 291, 302 Geschwindigkeit 246, 253 f., 259, 261 Gesetz/gesetzmäßig 2, 18, 28, 63–86, 89, 105, 163, 216, 221, 230, 235, 247 f., 251, 253 f., 261, 293, 327 Gewalt 28, 97 Glaube 26–30, 98, 106, 157, 218, 224 f., 261, 263, 286 f. Gott/Gottheit/göttlich 25–29, 39, 64–79, 82, 87–89, 95–105, 116 f., 121– 124, 128 f., 133, 144–148, 154, 177, 217, 234, 263, 282 f., 286, 293–295, 300 f. Götterlehre 154 Gottesbegriff 27, 294 Gottesbeweis 96 Grammatik/Grammatiker 145, 182, 193, 206, 220 Griechen/griechisch etc. VIII, X, 26 f., 30, 36–38, 69, 77, 105, 110, 115 f.,

119 f., 123, 130–138, 141–150, 153, 157, 161–165, 173, 177, 180, 183, 202, 220, 248, 270–273, 278– 280, 283–285, 289–291, 300, 320, 322 f. Grundbegriff 221, 315–324, 327 Habitus 107, 110 f., 171–173, 176, 180, 183, 185 Häresie 105 Hebel 245–250, 255 Hebelgesetz 247 f. Heilkunde/heilkundlich 270, 288 Hellenismus/hellenistisch 27 f., 69, 157, 162, 217, 219, 232, 270, 285, 324 Hermeneutik/hermeneutisch 164, 226 Hermes Trismegistus (myth.) 104 f., 110 Hermetismus 100 f. Heteronormativität 270, 275 Heterosexualität/heterosexuell 281, 288, 302, 305–307, 270 f. Heuristik 9, 11–14, 22–24 Hexameter 150 f. Hexen/-flug/-sabbat etc. 94, 105–110 Hieroglyphen 96, 145, 162 Historik/historisch VII f., X f., 1 f., 5, 9, 14–16, 19, 25–29, 36–38, 41 f., 50, 61, 63 f., 93, 101, 110, 143–145, 148, 151–154, 157–166, 171 f., 175, 195–203, 207–210, 219, 224, 232, 243–245, 269, 272, 283, 293, 296, 301, 316, 322 Historisierung 154, 162, 172, 198 Historiographie/historiographisch (ĺ Geschichtsschreibung) 44, 159, 161 f., 174, 191–204 Hochkultur 163, 271, 278 Hochmittelalter 7, 199 Hof 95, 97, 101, 111, 176, 180 f., 185, 191, 193–195, 205, 207, 209 homosexuell 288 Hortikultur/hortikulturell 271, 288 Humananatomie 275 Humanismus/Humanisten/humanistisch IX f., 10–12, 149, 157 f., 162, 173 f., 176–185, 191, 193, 197– 202, 205–209, 226, 236 Humanmedizin 289

Sachregister Hylemorphismus 218 f. Hylozoisten/hylozoistisch 65 f., 72 Hypothese/hypothetisch 5, 15 f., 21, 49, 206, 228, 253 f. Idealismus, Deutscher 308 idealtypisch/Idealtypus 42, 182 Idee 4, 13, 25–29, 54, 58, 87–89, 101, 105, 132, 146, 152, 161, 171, 173, 217, 229, 246 f., 272, 282 f., 289, 301, 306, 308 Identität 86, 150, 203, 216, 218, 223, 252 f., 272 imaginär/Imagination (Vorstellung) 9, 14, 19, 27, 55, 66–76, 82, 84, 89, 94, 97, 100, 106 f., 132 f., 144 f., 217, 229, 233 f., 263, 272–275, 277, 298, 300, 305, 319, 322–325 immanent/Immanenz 65, 69, 71–74, 82, 163, 219, 234 immateriell 25, 318, 325 f. Implikationen 15, 227 f., 246, 260 Individualität 287 individuell/Individuum 26, 40, 54, 67, 99, 147, 180 f., 226, 230–235, 280 f., 296, 321 f. Induktion/induktiv X, 1–5, 18–23, 215, 218, 224 f., 230–235 infallibel 4, 49 Inferenz 21, 44, 245 Infinitesimalrechnung 252 Ingenieurwissenschaftler 251, 254–263 Innovation/innovativ VIII, 110, 121, 149, 158 f., 191, 216, 229, 243, 255, 316, 327 Inquisition 108 Insekt 279, 281, 289–291, 301, 306 f. Insemination 99 f. Institution/institutionell 141, 160 f., 171–173, 179, 181 f., 185 f., 271 institutionalisieren/Institutionalisierung IX, 157 f., 171, 173 f., 257, 271, 282, 288, 306 Instrument/instrumental 22, 125, 128, 162, 220, 245, 272, 295, 305, 319 Intellekt/intellektuell 3–7, 10, 50, 95, 106, 176, 185, 191 Interaktion 71 f., 244, 261, 263, 290

347

Interpretation/interpretieren 2, 5, 14, 17–21, 24, 36, 43, 46, 49, 51–60, 75 f., 83, 143 f., 146, 151 f., 162, 180, 192, 216, 235, 249, 252, 259– 261, 270 f., 313 f., 324 Ironie/ironisch 60, 150, 184 Islam 28, 124 Isochronismus 251 Jenseits 26, 28 Jesuit/jesuitisch 11 f., 259, 277, 299 Judentum/jüdisch 28, 106, 123, 218, 270 Jungfrau/jungfräulich 271, 273, 279, 298–302, 305 Kalkülsprache 14 kanonisieren/Kanonisierung VIII, 10– 12, 289 Katalepsislehre 232 Katholik/katholisch 147, 177, 193, 197, 203, 205, 208, 262, 271, 274, 286 f., 294, 298, 301, 303, 305 kausal/Kausalität 18, 22, 63, 218, 254, 316, 318, 326 f. Kette, hängende 250–253 Kirche 243, 260–263, 286 Klarheit 88, 236 Klassifikation/klassifizieren 11 f., 22, 73, 77, 88, 103, 232, 246, 248–250 Klassik 154 Kloster IX, 174, 298 Kommentar/kommentieren IX, 2 f., 5 f., 11, 26, 45, 70, 76, 81, 83, 115, 117 f., 120, 124, 144, 160, 195, 217, 224, 226, 248 f., 259 Kommentartradition 217 Kommunikation 108, 151, 181, 185, 234, 261, 269, 272, 318, 321 f. Konstruktion (ĺ Rekonstruktion) VII, XII, 20 f., 42, 57, 65, 77 f., 80, 83, 85, 94, 104, 107, 110 f., 141, 163, 197 f., 202, 234, 250 f., 255, 261, 263, 280, 282–284, 294, 296 Kopernikanismus 261–263 Körper/körperlich VII, XI, 11, 26, 64– 67, 71, 74, 78 f., 82, 86 f., 93–97, 104 f., 130, 145, 147, 182, 204, 219–222, 225, 227 f., 244–251,

348

Sachregister

254, 257–261, 270, 272, 274, 277, 280, 289, 292–295, 306, 316, 320 f., 324–327 Kosmogonie/kosmogonisch 65, 78–80, 83 f., 144 f., 254, 261 Kosmologie/kosmologisch 28, 40, 96, 123 f., 219, 260 f., 282 Kosmos 18, 25 f., 75, 83, 85, 263 Kraft 15, 23, 43, 56, 64–87, 96, 99 f., 111, 149 f., 219, 222, 244, 246– 249, 252, 254 f., 263, 274–277, 301, 305, 316, 326 Krieg 28, 144, 160–162, 199 Kriterium VII, XI, 45 f., 50, 54, 57, 87– 89, 181, 201, 223 f., 292, 319 f. Kritik/kritisch XII, 9 f., 12, 14, 16–19, 27, 29, 38 f., 47, 58, 64, 66, 69, 72, 84, 86, 98, 105, 142–144, 150, 157– 160, 183 f., 200, 202, 206, 210, 217–221, 225 f., 229, 236, 259 f. Kultur/kulturell VII, IX, XII, 27, 29 f., 94 f., 105, 111, 141 f., 144, 147, 153 f., 162–164, 172, 176, 180 f., 183, 185, 244, 247 f., 257, 260, 262, 269, 271–273, 275, 278 f., 281, 283–288, 290, 294, 307, 314 Kulturgeschichte/-historik 141, 144– 147, 153, 161 f., 172 Kunst X f., 3, 10, 12, 22, 24, 40, 42, 45– 47, 99–101, 105, 107, 144, 151, 161, 199, 227, 234, 298 künstlich 14, 98, 103, 152, 227, 229, 272, 278, 290, 292, 305 Kurie 194, 208 f. Labor 284 f. Landesbeschreibung 197 f. Leben/lebendig 8, 11, 26, 28, 50, 65, 67, 87, 96, 101, 104, 117–119, 128 f., 145, 153 f., 157, 160–162, 172, 176, 179 f., 185, 194 f., 198, 209, 218 f., 227, 233, 251, 260, 273, 275, 277, 279–284, 287, 290, 292, 300, 305–307, 313, 316–327 Lebensontologie 270 Lebewesen 26, 78, 85, 95, 274, 280, 283, 289–291, 305, 318 f., 321, 324–327

Lebensprinzip 291, 294 Lebenswissenschaften 289 Lehre/Lehrtätigkeit/Lehrstuhl etc. 6, 9– 13, 18, 20, 25, 28 f., 45–47, 63, 72, 80, 82, 84, 87 f., 96, 102, 108, 119, 124, 132, 142 f., 146–148, 154, 163–165, 171 f., 174–179, 181, 183, 192–194, 206, 220, 222 f., 232, 235, 250 f., 273, 276, 288 f., 299, 326 Liebe/liebend (Eros, Amor) 27, 63, 65, 73, 75–83, 85, 95, 101, 119, 123 f., 138, 152, 195, 205, 209, 234, 299, 306 Literatur 14, 147 f., 150, 153 f., 174, 185, 200, 255 Logik/logisch X, 1, 3–27, 52, 58, 145, 179, 220, 225, 227, 229–233 Logos 71, 73, 77, 84 Magie/magisch 63, 65, 70–89, 99–101, 105–107, 219 Makrokosmos 96, 282 Maschinen 79, 248, 250, 255, 293 Material/Materialismus 3 f., 10, 22, 66, 70, 73, 94, 111, 117, 120, 133, 137, 161, 215, 217, 219, 225, 244, 246, 260, 263, 273, 275, 290, 293, 295, 306, 326 Materie/materiell 28, 63, 66–77, 80, 132–137, 215, 219, 231–235, 274, 278, 284, 290 f., 306 Mathematik/mathematisch IX, 3, 5, 10, 15–17, 21, 24, 27, 65, 96 f., 115, 117–120, 122, 128, 132, 134, 216– 219, 224, 229–234, 252–254, 257– 259, 293 Mechanik X f., 65, 67 f., 86, 219, 223, 231, 243–263 Mechanisten 65–68, 86, 231, 243–254, 257, 260, 263 Mediävistik 164 Medien/Medium VII–X, 7, 74, 134, 137, 197, 231, 233, 236, 257, 259, 272, 290 Medizin/medizinisch 93, 98–100, 110, 174, 182, 184, 226 f., 235, 270 f., 278, 288 f., 301, 306, 324

Sachregister Medizintheorie 223–226 Mensch/Menschheit/menschlich 8 f., 11, 19, 25–30, 37 f., 47, 50, 59, 85, 95, 98 f., 146, 163, 177, 183, 185, 244 f., 255, 260, 269–277, 280– 283, 287, 289, 291, 300, 302, 305, 321 Mercurius/Merkur (myth.) 103 f. Metamorphose 291 Metapher/Metaphorik/metaphorisch 79, 106 f., 269, 273, 275, 282, 289, 292–294, 306 Metaphysik/metaphysisch 3, 19, 21, 25, 28, 72, 76, 80–84, 88 f., 95, 119, 122, 132, 220, 222, 318, 325, 327 Methode/methodisch VII f., X f., 1–5, 9–16, 20, 22–26, 29, 36, 38, 40–43, 58, 64, 89, 98, 144, 151, 157 f., 160, 162, 166, 200, 202, 215, 220, 227–233, 247, 253, 255, 271 f., 282 f., 287, 289, 293, 314, 316, 318 Methodenlehre 9, 12 f., 220 Methodenreflexion VII, X, 220 Methodologie/methodologisch 1, 3, 9, 13, 16 f., 22, 25, 38, 44, 234 Metrik 149 Mikrokosmos 282 f., 302 Mikroskop/Mikroskopie 233, 270–274, 282 f., 294 f., 298, 305, 307 Mittelalter 2–10, 19, 27, 93 f., 115, 117, 124, 147, 164, 171–174, 197–201, 217, 221, 228, 230, 250, 270 f., 273, 275, 278, 282 f., 289 f., 293, 298 f., 306, 324 Modell VIII f., 2, 7–9, 12–14, 17 f., 25, 28, 36, 42, 47–51, 57, 60, 64, 66, 70–72, 83, 115, 141, 148–154, 161, 176, 181, 192, 198, 218 f., 224, 234, 244 f., 249 f., 253 f., 261, 263, 278, 285, 300, 315, 318 f., 324–327 modern/Moderne/Frühmoderne 1 f., 6– 9, 16–19, 26–30, 105, 110, 115, 141, 143, 148 f., 159, 162, 173 f., 180, 185, 203, 235 f., 243, 245– 250, 254–257, 260, 272, 305, 315, 318, 321, 323 Monaden 222, 233 f. Mond 67, 96, 115

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Montage 109 Moral/moralisch 26–29, 49 f., 58, 99, 116, 119, 124, 306 muslimisch 123, 287 Mythologie 99, 142–146, 151 f. Mythos/-konstruktion/Mythographie etc. 95, 144, 146 f., 173, 200–203, 209 Nation/national 115, 150, 153 f., 161 f., 185, 197, 201–203, 209 Nationalgeschichte 161, 197 nationalistisch 209 f. Nationalsozialismus 191 Natur X, 15 f., 19, 25, 28, 41, 63–89, 97 f., 103–105, 108 f., 119 f., 123, 132–138, 143, 217–236, 243 f., 246, 250, 270, 272 f., 275, 278, 280, 283, 286–290, 292–296, 300– 302, 305–308, 313 f., 324, 326 f. Natur, plastische 64–89 Naturgesetz 18, 28, 63–89, 221, 293 Naturontologie/naturontologisch 270, 272 f., 278, 280, 290, 305 Naturphilosophie 7, 15 f., 41, 63, 66, 71 f., 78, 83, 89, 98, 103, 115, 145, 223, 230, 243, 247, 259–261, 270, 278, 282, 290, 305, 308 Naturwissenschaft/naturwissenschaftlich 25, 27, 29, 63, 65, 86, 89, 100, 105, 122, 220, 222, 263, 277, 283, 286, 313 f., 318 f., 324 f. Navigation 253 neuhumanistisch 158, 162 neuplatonisch/Neuplatonismus 5, 63–73, 80–89, 95, 102, 107 f., 217, 219 Neustoizismus 217 Neuzeit 28, 93, 110, 218, 223–225, 232, 235, 269, 275, 294, 325 - Frühe 63, 71, 86 f., 94 f., 101, 109, 172–174, 178, 181, 215–219, 223– 236, 269–278, 282, 284, 287–292, 299, 301, 303, 305, 327 Nichtwissen 35, 48–50, 57 Norm 39, 41, 48, 53, 59 f. Nous 21, 24, 77, 82, 85–89 Numismatik 162

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Sachregister

Objekt IX, 88 f., 229, 244–246, 250 f., 257, 274, 278, 284–290, 298 f. 302, 307 - herausforderndes 243, 250–254, 257, 260 Ökonomie/ökonomisch IX, 69, 162, 293 Ontologie/ontologisch 18, 23 f., 49, 66, 73, 76 f., 79, 82, 87, 216–222, 233 f., 270, 278, 280 f., 289 f., 292, 305, 307 Operation 12, 70, 107 f., 219 f., 226 ordnen (ein-/zu-/über- etc.)/Ordnung XI, 3 f., 13, 19 f., 22, 39, 50, 56, 63, 66, 68–72, 74, 76–79, 82–84, 107 f., 110 f., 120, 137, 150, 153, 161 f., 166, 178 f., 181, 216, 221, 223, 230, 235, 250, 269–271, 276, 279– 282, 284, 287, 289 f., 293, 295, 302, 305–307, 316, 318, 321–327 Organ/Organismus/organisch 66 f., 79, 84, 89, 219–222, 235, 271, 278, 280 f., 285, 289, 291, 293, 298 f., 302, 307, 315–327 Orient/orientalisch 146, 158, 162–164, 271, 278 Orpheus (myth.) 99 Osmanen 287 Ossian (myth.) 153 pädagogisch 10 f., 18–21, 50, 154 Pandektistik 161 Panentheismus 234 Panpsychismus 234 Panvitalismus 234 Papyrologie 162 Papyrus 278 Paracelsisten 70, 72, 219 Paradies 202, 283, 295, 299 Paradigma 14, 86, 99, 115, 144, 149, 154, 272, 282, 316, 326 paradigmatisch 220, 229, 243, 321 Pathologie 29 Patron 193, 205, 207–210 Patronage 204, 207, 209, 257 Peirastik 43, 48, 57 Pendel 251–254 Pendelschwingung 250 f. Pflanze 269–308, 326

Pflanzenanatomie 269–272, 275, 277, 282–285, 288–294, 298, 300 f., 305–307 Pflanzenseele 270, 272, 277, 280, 290, 308 Pflanzensexualität 270 f., 273, 278, 281 f., 298, 305, 307 Phänomen IX, 1, 15, 18–20, 26, 58 f., 67, 85–87, 93, 100 f., 110, 161, 185, 191, 198, 215, 219, 222, 225, 245 f., 250, 253, 259 f., 263, 271, 283, 316–318, 325–328 phänomenologisch 289 Pharmazie/pharmazeutisch 271, 287 f. Philologie/philologisch X, 141–154, 157–165, 200, 226 Philosophie/philosophisch 5–9, 15–17, 19, 25–29, 35–41, 45, 57 f., 60 f., 63–66, 71–75, 78, 80 f., 83, 86, 88 f., 95–99, 102–104, 107–110, 115 f., 119 f., 123, 131, 145, 162, 171–174, 180, 182, 184 f., 218, 220 f., 223, 227 f., 230 f., 243, 245, 247, 259–263, 270, 278, 282, 287, 290, 305, 308, 315 Photosynthese 296 Phylogenese/phylogenetisch 307, 321– 323 Physik/physikalisch 3, 9, 15 f., 25, 28, 58–60, 100, 135, 216–223, 228, 231, 243–246, 250 f., 258–261, 263, 283, 293 f., 315–317, 327 Physiologie 219, 222, 224, 229, 284 f., 288 f., 317 f. Plagiat 143 Planet/en 22, 95 f., 115, 123, 146, 224, 236, 253 f., 261, 282, 284 Plantamorphie 275, 280 Plastik 64–89, 145 Platoniker 83, 220, 326 Platonismus 217 plausibel/Plausibilität IX, XI f., 38 f., 44, 54, 56, 71, 82, 117, 201, 204, 246, 271 Pneuma/pneumatisch 65, 71–79, 87, 290 Poesie 142, 147, 150, 177 Poet/Poetik/poetisch 148 f., 152, 177– 183, 193, 229

Sachregister Politik/politisch IX, 29, 47, 93, 111, 141, 154, 158, 160–165, 177, 181, 183, 195, 204, 208, 243, 260, 273, 286, 305 Präformation/präformieren 274 f., 291, 300 Praktiker 231, 245, 247, 250, 255, 257 Prämisse 1–4, 10, 17–24, 44, 49–57, 60, 246 f., 252 f., 261 f. Presbyterianer 286 Prinzip 1–8, 14–24, 38, 40, 48, 52–54, 57, 71–74, 78 f., 85–87, 89, 96, 124, 153, 160, 218 f., 221–225, 228, 230–232, 254, 261 f., 271, 273, 280 f., 286–289, 291–294, 305, 307, 318, 324–326 probabilistisch 12, 227 f. Produkt/Produktion VII, 8, 67, 69, 231, 244 f., 257, 277, 283, 300–302 produktiv/Produktivität 12, 186, 219, 229, 302, 305, 314 Programm/programmatisch X, 2, 7 f., 25–27, 30, 58, 148, 157 f., 161, 177, 271, 282 f., 290, 302, 305, 313 f., 328 Projektiltrajektorien 250, 252 f. Projektion 233, 252 f., 281 Propaganda 207, 209 Proposition/propositional XI, 4, 53, 227, 245, 248 protestantisch 177, 208, 271, 274, 286, 305 f. Psychologie 26, 29 Psychologisierung 12 puritanisch 98 Pyrrhonismus 10 Qualität 4, 15 f., 63, 67, 83, 99, 151, 218 f., 221, 223, 234, 244 Quantität 65, 97, 149, 218 f., 234 Quelle XI, 6, 37, 41–47, 51, 53–56, 60, 95, 100, 146, 158–160, 162, 164, 200–202, 248, 260, 270 Quellenkritik 159, 200, 202 Rationalismus, kritischer 16 Realien 144 f., 160, 163, 165 Realismus 58, 146

351

Referenztext 69, 77, 198 Reformation 27, 178, 260 rekonstruieren/Rekonstruktion 21, 36, 42, 44, 51, 58, 60, 86, 151, 153, 159, 163, 181, 194, 233 Relativismus 27, 29 Religion/religiös 26–30, 96, 99, 101, 123 f., 146 f., 158, 160 f., 197, 285 f., 293, 295, 298 f. Renaissance X f., 157, 159, 174, 206, 248, 250, 255 f., 270 Repräsentation, externe 244 Revolution, wissenschaftliche 231, 243, 315, 317 Rhetorik/rhetorisch VIII, XI, 10, 47 f., 176, 179, 182, 193, 205, 207, 220, 271, 314 Ritual 174, 176 Romanistik 165 Romantik, Deutsche 150, 307 f. Rom/Römer/römisch 110, 143 f., 147 f., 157–165, 174, 185, 193, 197–202, 248, 255, 257, 259, 270, 278, 283, 299 Sachphilologie 144, 154, 158 Schlaf/schlafen 95 f., 102–105, 108 f., 144, 301, 321 f. Scholastik/scholastisch 5, 10–12, 63, 98, 180–182, 215, 217 f., 221, 228, 232, 234 f., 245 Schöpfer/Schöpfergott 26–28, 79, 232 Schriftsteller 159, 184, 197 Semantik/semantisch XII, 12, 29, 69, 74, 110, 228, 275, 283, 316–319 Sexualakt 269, 306 Sexualität/Sexualisierung 270–273, 278–282, 288 f., 298, 302–307 Sexualorgan 299 Sitte 144, 158, 161, 197 Skepsis 10–12, 99, 101, 217, 225, 232, 314 Skeptizismus 7, 10, 217, 225 Sonne 67, 88, 95 f., 115, 145 Sophistik/sophistisch 35, 39, 46 f., 50, 174, 178, 217, 244 Sozialgeschichte/-geschichtsschreibung 162, 171 f.

352

Sachregister

Sozialwissenschaften 154 Soziologie 29, 162 Spätantike 2, 71, 162, 173, 217, 224, 226, 324 Spätscholastik 10–12, 324 Spirit/Spiritualität/spirituell 64, 71, 74, 89, 105–107, 119, 138, 219, 263, 274, 286, 314 Sprache/sprachlich VIII, XI, 14, 45, 58, 70 f., 82 f., 115, 123, 143–150, 158, 162 f., 180, 183, 185, 194 f., 197, 199, 202 f., 236, 269, 302, 317, 322–324 Sprachphilosophie 29 Sprachwissenschaft 158, 163 stoisch/Stoizismus/Stoiker 10, 65, 71– 74, 83, 217, 232 Strukturkonstanz 216–218, 222 Subjekt/subjektiv 8, 12, 44, 49, 76, 116, 123, 215, 218, 231, 235, 245, 249 substantiell/Substanz 5, 29, 63, 67, 81, 121 f., 133–137, 216–223, 235, 255, 295, 301 Substanzbegriff 217, 221 f., 235 Substanzenlehre 222 Sünde 27, 277, 299 Sündenfall 299 Syllogistik/syllogistisch 9–14, 21–24, 217 Symbol/symbolisch/Symbolik 89, 96, 144–147, 154, 179 f., 182, 270, 276, 287, 298 f., 302, 305 Synthese/Synthesis 9, 12–14, 17, 23, 216, 223 System/systematisch VII f., X, 6–10, 13–18, 24, 26, 39, 64–87, 110 f., 144 f., 157, 160–162, 178, 182, 226, 228, 233, 244–246, 262 f., 281, 285, 287 f., 290, 293 f., 316 f., 321–323, 327 systematisieren/Systematisierung VII, 47, 81, 160 f., 287, 293 Taxonomie 284 Technik/technisch/Technologie VII, IX f., 11–14, 49, 60, 79, 101, 162, 164, 229, 243–247, 250 f., 255–

259, 263, 269–272, 275, 277, 289, 291, 294, 298, 305 f. Teleologie/teleologisch 67, 71, 77, 79, 85, 220 f., 316 Terminologie IX, 116, 122, 199, 217, 223, 225, 245, 281, 289, 315, 322– 324 Terminus 12, 76, 83, 123 f., 138, 164, 296, 305, 322 f. testimonial 37, 39, 42, 235 Theologie/theologisch XI, 2, 4, 25–30, 39, 64, 66, 74, 96, 108, 120, 132– 137, 146, 154, 181, 193, 217, 260– 263, 283, 293 Theorem 1, 4, 9, 14–18, 21–24 theoretisch/Theorie VII, IX–XI, 1–29, 35, 37, 41–43, 50–64, 83, 93, 100, 110, 120–122, 131 f., 141, 144– 149, 163, 165, 178, 217–219, 221, 223, 225 f., 232, 234, 244–248, 250, 252, 254, 257–263, 272, 274, 284, 289, 313–327 Thermometrie 271 Tradition/traditionell VIII, XI, 9, 11–14, 26–28, 42, 45 f., 53, 61, 83, 87, 94 f., 99 f., 104, 110, 116, 123 f., 142–145, 148 f., 159–161, 164, 171, 173 f., 177, 182 f., 192 f., 198, 201, 204, 207, 217, 219, 222, 225 f., 233 f., 246–248, 251, 255, 258, 261, 263, 277, 283, 288, 301 f., 313 f., 318, 326 f. Trägheitsprinzip 246, 253 Traktat 5, 10, 16, 106, 181, 220, 229, 245, 275 Transformation/transformieren VII–XII, 1 f., 9, 11–16, 19, 25 f., 29 f., 36 f., 41 f., 63, 65 f., 70, 76, 80–84, 93, 109–111, 115 f., 119, 124, 141, 150, 171–173, 178, 182–186, 191 f., 197–199, 203, 215–225, 232, 235, 243 f., 250, 253 f., 269, 271 f., 275, 278, 282 f., 288, 302, 305, 308, 313–315, 317, 319, 325, 327 Transformationsprozess XII, 72, 110 f., 216 f., 231

Sachregister

353

transformationstheoretisch VII, IX, 41, 64, 84, 110, 321 transzendent/Transzendenz 74, 87, 93 f., 145 f., 234 Traum 93–111 Traumerzählung 93 f., 97, 99, 100–102, 109 Traumtheorie 93, 100 Traumwissen 93, 100

Verstand 3–5, 56, 105, 143, 185 Verwandlung 4, 10, 36, 40, 83, 179 Verwissenschaftlichung VIII, 158, 200 Vision/visionär 88 f., 94–110, 274 Vivisektion 271 Völkerkunde 158, 164 Voluntarismus/voluntaristisch 27, 294 Vorstellung ĺ Imagination

überliefern/Überlieferung VIII, 5, 38, 43, 148, 158 f., 163, 179, 195, 224 übersetzen/Übersetzung IX f., 2, 5, 8, 11, 51, 56, 68, 70, 72, 76, 81, 83, 104 f., 115–125, 128–130, 142, 145–154, 172 f., 179, 194, 248– 250, 259, 261, 269, 280, 283, 286, 305, 314, 316, 318, 320, 323 f. Unfehlbarkeit 49 universal/Universalität 3, 14, 55, 137, 229, 234, 244 f., 263, 289–293 Universalgeschichte 162–164 Universalwissenschaft 87 Universität IX, 98, 111, 117–119, 125, 142, 158 f., 164 f., 171–186, 193 f., 198, 204–206, 248, 251, 271, 288 Universitätsgeschichte 171, 174 Universitätshistoriographie 172, 174 Universum 28, 64–69, 75, 81, 95 f., 131, 133, 263, 282–284, 293 Urbild 87 f. Ursache 5, 8, 20–25, 28, 35, 53, 66 f., 69, 71, 77–79, 85 f., 89, 93, 96, 98, 108, 133, 179, 215, 220 f., 225, 228, 230, 233, 235, 245–247, 274, 293 Ursprung 12, 22 f., 26, 43, 53, 73, 80, 87, 145–147, 171, 173 f., 200, 217, 226, 285, 304, 307, 314 f., 322, 324 Urteil X, 8, 37, 39, 209 Utopie/utopisch 282

Wahrheit 5 f., 8 f., 13–15, 18 f., 21, 23 f., 28, 40, 48 f., 88 f., 96, 99, 105, 129 f., 218 f., 230, 232 wahrnehmen/Wahrnehmung 3, 6, 18, 20, 24, 50, 97, 104, 120, 133, 137, 144, 159, 173, 232, 244, 269, 272, 277, 289, 296, 316–318, 321–324 Wahrnehmungstheorie 232 Weisheit 8, 11, 19, 41, 87, 96, 118, 128, 171 f., 286, 293 Welt/weltlich/innerweltlich etc. 2, 15, 24–28, 41, 64–89, 98, 101, 104– 109, 118, 123, 129, 143, 145–147, 150, 157, 161–164, 173, 183–185, 219, 233 f., 260, 262 f., 277, 282– 284, 288, 293, 299, 308, 319 Weltanschauung 243, 260 f., 263 Weltbild 27, 66, 80, 163, 293 Werkzeug 75, 154 Wesen 19, 26, 64, 77 f., 88, 97, 106, 108, 152, 215, 220, 223, 227, 271, 280, 283, 294, 305, 325 f. Wirkkraft 69, 71, 305 Wissen VII–XII, 1–4, 8, 10–12, 18–21, 23, 26 f., 35–53, 55, 57, 59 f., 75, 77, 85–89, 93, 97–110, 120–124, 128–131, 135, 143, 152, 171 f., 182, 186, 205, 208 f., 215, 219 f., 224, 226, 228, 231, 234 f., 243– 257, 260–263, 269–273, 275, 278, 282, 284, 288, 305–307, 313 f., 318 f. Wissenschaftsbetrieb 171 Wissenschaftsgeschichte VII, X, 101, 172, 178, 243, 315 Wissenschaftsordnungen 282, 284, 306 Wissenschaftsphilosophie 17, 171

Vakuum 100, 222 Vergangenheit 38, 105, 182 Vernunft 12, 15, 24–27, 30, 42, 45, 64, 72, 77, 98, 143 f., 183, 232 Vernunftreligion 26–28, 30

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Sachregister

Wissenschaftstheorie 1–9, 12 f., 16–24, 28 f., 35, 313 Wissenskultur 171, 181, 185, 273 Wissensobjekt 288 Wissensordnung 269, 287, 305, 307 Wissenssubjekt 231 Wissenstransfer 288 Wurf, schiefer 253

Zelle 227, 270–274, 289, 294–298, 307, 321 f. Zerstörung/zerstören 157, 159, 216, 227 Zeugnis (ĺ Quelle) 35–45, 48, 51, 59 f., 116, 194 f., 200 Zoologie 289, 306 Zucht/züchten 270 f., 278, 305 f. Zugkraft 77