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German Pages [448] Year 2003
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Historische Semantik
Herausgegeben von Gadi Algazi, Bernhard Jussen, Christian Kiening, Klaus Krüger und Ludolf Kuchenbuch Band 3
Vandenhoeck & Ruprecht 2
Mireille Schnyder
Topographie des Schweigens Untersuchungen zum deutschen höfischen Roman um 1200
Vandenhoeck & Ruprecht 3
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über < http://dnb.ddb.de > abrufbar. ISBN 3-525-36701-5
Gedruckt mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.
Umschlagabbildung: Meister der Remède de Fortune (ca. 1350). Paris, Bibliothèque nationale, ms.fr.1586, fol.1033.
© 2003, Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen www.vandenhoeck-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeisung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Hubert und Co., Göttingen. Umschlagkonzeption: Markus Eidt, Göttingen. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Inhalt
Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Forschungsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ziel und Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7 13 32
Schweigen in Grammatik, Rhetorik und Sprachphilosophie . . . .
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1. Schweigen vor dem Reden 1.1 Der Körper der Stimme 1.2 Das innere Wort . . . . 1.3 Das Wort als Anfang .
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2. Schweigen zwischen dem Reden . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Ornament der Pausen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die missverstandene Pause . . . . . . . . . . . . . . . . .
69 71 76
3. Schweigen nach dem Reden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Der Nachhall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Flucht aus der Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81 83 86
Schweigeformen und Schweigegesten 1. Absenz von Sprechfähigkeit 1.1 Das Kleinkind . . . . . 1.2 Der Stumme . . . . . . 1.3 Zusammenfassung . .
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2. Sprachverlust . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wahnsinn . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Mystische Ekstase . . . . . . . . . . . . . 2.4 Schlaf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Verstummen durch physische Verletzung 2.6 Affektbedingtes Verstummen . . . . . . 2.7 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
3. Beredtes Schweigen . . . . . . . . . 3.1 Denken: Verschwiegenes Reden 3.2 Beten: Autonomer Raum . . . 3.3 Schweigen aus zuht: Geordnetes 3.4 Zusammenfassung . . . . . . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Schweigen . . . . . . .
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Schweigezeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Die 1.1 1.2 1.3 1.4
Nacht . . . . . . . . . . . . Die verschwiegene Nacht Die stumme Nacht . . . . Die stille Nacht . . . . . . Zusammenfassung . . . .
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219 225 235 240 252
2. Der 2.1 2.2 2.3
Mittag . . . . . . . Mittagsruhe . . . . Mittagsstille . . . . Zusammenfassung
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Schweigeorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Der 1.1 1.2 1.3 1.4
Wald . . . . . . . . . Der sprachlose Wald Der (w)ortlose Wald Der stumme Wald . Zusammenfassung .
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2. Der 2.1 2.2 2.3 2.4
geschlossene Raum . . . . . . Der stille Raum . . . . . . . . Die verschwiegene Kemenate Der sprachlose Bezirk . . . . Zusammenfassung . . . . . .
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333 341 359 364 376
Ausblick: Das Nibelungenlied . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
393 401
Abkürzungen und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
403 405 429
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Einführung
Einführung
Eine Studie zum Schweigen im deutschen höfischen Roman des Mittelalters hat mit dem Paradox zu kämpfen, dass ein grundsätzlich akustisch definiertes Phänomen im Spiegel von Texten gefasst werden soll. Das Objekt der Studie ist nur in der schriftlichen »Übersetzung« überliefert, einer Übersetzung, die immer auch Reflexion, Interpretation und Veränderung ist. Indem mittelalterliche Definitionen von Sprache und Stimme aber, zurückgehend auf antike Sprachtheorien, Sprechen mit einem über das Schreiben entwickelten Vokabular zu fassen suchten und das Nichtschreibbare aus dem Bereich der menschlichen Sprache ausgliederten, ist mittelalterliche Reflexion über die Schreibkultur auch Reflexion über die Sprechkultur.1 Der mündliche Ausdruck ist darin zu einer künstlichen Mündlichkeit gefroren und als solche Grundlage und Mittel theoretischer Überlegungen: In mittelalterlicher Grammatik, nicht zu lösen aus sprachtheologischem Denken, findet sich so eine verschriftlichte Theorie mündlicher Sprache, wie sie als Folie für die »fiktive Mündlichkeit« des höfischen Romans Zusammenhänge deutlich macht und einen gedanklichen Verstehenshintergrund bietet.2 Von der grammatischen Definition der Sprache als ›vox articulata‹ ausgehend, kann Schweigen, in seinem Gegensatz zur Sprache, als Abwesenheit oder Verborgenheit von artikulierter Stimme verstanden 1 Die Definition von ›vox articulata‹ lautet bei Donatus exemplarisch: »[vox] articulata est quae litteris conprehendi potest, confusa quae scribi non potest.« Ars Grammatica (1961), De voce, S. 367, 6–7. 2 Äusserst anregend ist dazu das Buch von Irvine, The Making of Textual Culture (1994). Auch wenn in keiner Arbeit zur Sprachtheorie des Mittelalters das Schweigen thematisiert ist, ist die Forschung zu diesem Gebiet für den Versuch einer theoretischen Erfassung des Schweigens im Mittelalter von entscheidender Bedeutung. Siehe u. a. Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter (1994); Albrecht, Sprachphilosophie (1991); Chenu, Grammaire et théologie (1957); Todisco, Parola e verità (1993); Robins, A Contemporary Evaluation of Western Grammatical Studies in the Middle Ages (1987); Ruef, Augustin über Semiotik und Sprache (1981); Ruef, Die Sprachtheorie des Augustinus in »De dialectica« (1995); Valente, Langage et théologie pendant la seconde moitié du XIIe siècle (1995); Khushf, Die Rolle des »Buchstabens« in der Geschichte des Abendlands und im Christentum (1993).
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Einführung
werden – streng vom Hörer her gesehen.3 ›Schweigen‹ ist danach nicht nur das absolute Fehlen von Sprache, die unterlassene und unterdrückte Rede, sondern auch die unhörbare Rede, das diffuse Gemurmel und die Unverständlichkeit eines Textes; jede für den Hörer unverständliche Rede ist, als ›vox confusa‹, nicht mehr Teil der Sprache im Sinne der ›vox articulata‹. Und da, wo grundsätzlich eine Ausdrucksfähigkeit angenommen werden kann, wird auch die Abwesenheit von Stimme, die Geräuschlosigkeit, als Schweigen im Sinne einer Redeabstinenz verstanden. Die Unfähigkeit zu sprechen bei einem Menschen – aus was für Gründen auch immer – nimmt den Betroffenen aus der Sprachgemeinschaft heraus und konfrontiert diese mit einer Sprachlosigkeit, die für sie in ihrer Unverständlichkeit nur als Schweigen gedeutet werden kann.4 Die Problematik einer Erweiterung des Schweigebegriffs in den Bereich der ›vox confusa‹ liegt auf der Hand. In der durch den christlichen Logozentrismus geprägten Sprachtheorie nähern sich die Phänomene unartikulierter Stimme – in Opposition zur artikulierten Sprache – in der reflektierten Wahrnehmung aber dem Schweigen an und lassen sich deshalb aus der Frage nach Wahrnehmung und Deutung von Schweigen in der höfischen erzählenden Literatur nicht einfach ausschließen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich so zwar in dem Versuch einer Systematisierung der Schweigeformen in den hier untersuchten höfischen Erzählungen im zweiten Teil auf die Formen, die sich durch eine Abwesenheit von ›vox articulata‹ und ›vox‹ definieren lassen (mit Ausnahme von Seufzer und Schrei), bezieht aber in der Untersuchung von Orten und Zeiten des Schweigens im dritten und vier-
3 Zur Definition des Schweigens in bezug auf einen Hörer sagt Bilmes: »With the addition of a hearer, we get the further possibility that, at any particular moment, only certain sounds will be expected or of interest, that only certain sounds will be relevant. With this possibility comes a most intriguing corollary – that a particular silence may be not simply the absence of sound, but may relevantly be the absence of some particular sound.« Constituting silence (1994), S. 73. Muldoon unterstreicht die enge Verbindung von Hören und Schweigen: »It must be presumed that silence is foremost an aural perception«. Silence Revisited (1996), S. 278. Zur Problematik der Differenzierung von Geräusch und Schweigen im Gegensatz zu Reden und Schweigen siehe McCarthy, Silence: Descriptions and Queries (1983). 4 Dass die Weltdeutung im heilsgeschichtlichen Sinn hier die Grenzen des »bewussten« Schweigens und der Sprachlosigkeit verwischt, wird deutlich da, wo die Sprachlosigkeit und Sprechunfähigkeit belebter Wesen im heilsgeschichtlichen Deutungszusammenhang als Schweigen interpretiert werden.
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Einführung
ten Teil ›vox confusa‹ (Gemurmel, Fremdsprache etc.) als Spielform des Schweigens mit ein. Damit stellt sich ein terminologisches Problem: ›Schweigen‹ als Schweigen der ›illiterati‹, ›Schweigen‹ als ungehörte oder nicht verständlich artikulierte Stimme und ›Schweigen‹ als asketische Redeabstinenz oder bewusstes Verweigern einer Antwort haben auf den ersten Blick nicht viel miteinander zu tun, sind aber mit demselben Begriff zu bezeichnen.5 Denn in dem durch die Textkultur bestimmten mittelalterlichen Deutungshorizont werden auch die ausgegrenzten Gebiete wieder in ein übergeordnetes Sinnsystem gebracht, indem sie als Schweigen im herkömmlichen Sinn verstanden werden. Das Andere, das in neuerer diskursanalytischer Theorie oft im ausgegrenzten Schweigen gesucht wird – oder zumindest darin seine Metapher findet –, ist in der mittelalterlichen Gedankenwelt, die sich in ihrer christlichen Deutung einer übergreifenden Ordnung sicher ist, immer auch jene Ordnung, die sich in der Sprache ausdrückt. Darin wird selbst das ausgrenzende und ausgegrenzte Schweigen Teil eines umfassenden Sinnsystems und darin bewusstes Zeichen einer göttlichen Ordnung.6 Das, was sich in einem Text manifestiert – damit auch das darin greifbare Schweigen –, steht letztlich unter demselben Deutungsmuster wie das in der spezifischen Realisation des Textes Ausgeklammerte. Das über den Text wahrnehmbare Schweigen ist in diesem Rahmen deutbar und lesbar, nicht nur in seiner versprachlichten Zeichenhaftigkeit, sondern auch – im Horizont der übergeordneten Deutungsstruktur – in seiner Andersartigkeit. Es gibt so nicht nur das im Text eingeschriebene Schweigen, das verschriftlichte akustische Phänomen, im Wort bezeichnet oder im leeren Papier gespiegelt, sondern auch das Schweigen des durch den vom Text definierten Sprachraum Ausgegrenzten sowie das Schweigen des durch den Text definierten Sprachraums für diese Ausgegrenzten. Wenn im »Willehalm« von Wolfram von Eschenbach gesagt wird: swâ man des vil von künegen saget, / dâ wirt arem mannes tât verdaget (wo man so viel von Königen spricht, wird die Tat des Armen verschwiegen, Wlh. 428,3 f.), wird genau das thematisiert, was sonst unausgespro-
5 Dabei ist an die äußerst feine Abstufung zu erinnern, die sich vom absolut der Schrift Unkundigen (weder aktive noch passive Kenntnis), über den Nur-Leser, über den Schreiber zum Exegeten erstreckt. Die Welt der ›litterati‹ – in einem oberflächlichen Sinn – hat somit ihre Provinzen. 6 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch die Metapher der Stummheit für die Ketzer.
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Einführung
chen die Texte prägt: ihr Sprachraum ist exklusiv. Die Stimme dessen, was nicht dazugehört, wird verschwiegen und so, in dem ausgegrenzten Raum nicht mehr hörbar, ins Schweigen gedrängt. Und liest in Hartmanns von Aue »Gregorius« der Abt, der gelêrte man (Greg.1040), die dem ausgesetzten Kind mitgegebene Tafel, macht er das lautlos, um die Sache den danebenstehenden Fischern zu verswîgen (Greg.1045). Die Fischer, die ›illiterati‹, die nicht über die Lektüre in den Sprachraum eintreten können, bleiben so außerhalb des Kreises, der sich um den Abt und Gregorius – dann auch den Leser/Hörer – schließt. Für sie schweigt die Schrift auf der Tafel. In der Frage nach der literarischen Praxis, der Realisierung der Literatur im höfischen Umfeld, löst sich dann aber das Problem des Schweigens aus der textgebundenen Theorie und stellt sich in sozialhistorische, poetologische, literatursoziologische Zusammenhänge und setzt sich sozusagen ins Zentrum der Diskussion um Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Mittelalter.7 Im Rahmen einer Untersuchung, die auf Schweigesituationen und Schweigedeutungen innerhalb der Texte fokussiert ist, spielt dies jedoch nur am Rand eine Rolle.8 Denn es geht weniger um das Phänomen des Schweigens als solches, als um dessen Wahrnehmung, seine gedankliche und intellektuelle Verarbeitung und Formung.
7 Vgl. dazu einerseits die Entwürfe theoretisch-pragmatischer Modelle wie bei Zumthor, der in bezug auf den höfischen Roman von einer »fiktiven Vokalität« spricht (S. 97), anderseits die akribischen Untersuchungen zu Hinweisen in der Literatur auf eine Praxis der Mündlichkeit und Schriftlichkeit im Mittelalter wie bei Green und Scholz. Zumthor, Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft (1994); Green, Medieval Listening and Reading (1994); Scholz, Hören und Lesen (1980); Curschmann, Hören – Lesen – Sehen (1984); Röcke und Schaefer, Mündlichkeit – Schriftlichkeit – Weltbildwandel (1995). Zum Problem des lauten und leisen Lesens siehe auch Balogh, »Voces paginarum« (1927). 8 Auch überlieferungsgeschichtliche und darin literaturtheoretische Fragen nach dem Verstummen des Textes in der verstümmelnden – oder transformierenden – Überlieferung sind in der vorliegenden Arbeit weitgehend ausgeklammert. Die Frage nach dem Schweigen des Textes in der und durch die Überlieferung, wie sie moderner Literaturtheorie vertraut ist, stellt den Mediävisten vor Probleme, für deren Lösung die methodologischen Voraussetzungen noch nicht gegeben sind. Es sind dies Probleme, die einerseits durch die schwierigen und weitgehend ungeklärten historischen Voraussetzungen eine ganz eigene Fragestellung verlangen, anderseits spezifische überlieferungsgeschichtliche und paläographische Studien voraussetzen würden. In einem schönen Aufsatz stellt sich aber Wehrli in essayistischer Art die Frage. Wehrli, Im Schatten der Überlieferung (1985).
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Einführung
Für diese Problemstellung interessieren dagegen Deutungsstrukturen und Ordnungsmuster, wie sie gedankliche Zusammenhänge und geistige Gebiete prägen, in denen Schweigemomente bedeutsam sind. Dazu gehören Reflexionen innerhalb der Gedächtnisliteratur, die Funktion und Bedeutung des Schweigens in bezug auf die Memorier- und Konzentrationsfähigkeit bedenken genauso,9 wie die Stilisierung des verschwiegenen Raums im höfischen politischen Gefüge, wie es im Zusammenhang mit höfischer Inszenierung und Repräsentation fassbar wird.10 In erster Linie aber sind theologische Deutungen im Zusammenhang mit monastischem, dann auch homiletischem Schweigeverständnis aufschlussreich. In diesen Bereichen finden sich Hinweise auf jenes »imaginierte Orientierungssystem«11, an dem sich dann auch eine Deutung der Schweigeformen im höfischen Roman um 1200 ausrichten kann. Nicht berücksichtigt in diesem Versuch einer Hintergrundzeichung für die hier zu untersuchenden Schweigeformen, dieser Skizze einer »Substruktur des Denkens«12, ist jedoch die gedankliche Tradition der Mystik. Denn der mystische Diskurs entzieht sich der im höfischen Roman aufgeschlagenen Schweigethematik selbst da, wo sich dieser Mirakelerzählung und Legende annähert. Der
9 Carruthers, The Book of Memory (1994). Für das Thema des Schweigens sind ferner aufschlussreich: Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995); Assmann, Zur Metaphorik der Erinnerung (1993); Illich, Von der Prägung des Er-Innerns durch das Schriftbild (1993); Wenzel, Imaginatio und Memoria (1993); Coleman, Das Bleichen des Gedächtnisses (1991); Wolfson, The internal senses in Latin, Arabic, and Hebrew philosophic texts (1935). 10 In mentalitäts- und politikgeschichtlichen Untersuchungen stellt sich die Frage nach dem mittelalterlichen Begriff von Öffentlichkeit und Intimität, eine Frage, die sich nicht nur metaphorisch mit der Thematik von Reden und Schweigen auseinandersetzen muss. Vgl. u. a. Althoff, Colloquium familiare – Colloquium secretum – Colloquium publicum (1990); Althoff, Demonstration und Inszenierung (1993); Wenzel, ›Ze hove‹ und ›ze holze‹ – ›offenlîch‹ und ›tougen‹ (1986); Wenzel, Öffentlichkeit und Heimlichkeit in Gottfrieds »Tristan« (1988). Auch Brandt verweist in Enklaven – Exklaven (1993) unter »Aspekte der Nichtöffentlichkeit« immer wieder auf das Schweigen und Verschweigen. Doch klammert er es dann unter dem Hinweis, dass das Schweigen nicht deutlich differenzierbar sei, für seine Untersuchung aus: »Von […] Verben des Verschweigens usw. kann man hier keine Aufschlüsse erwarten: sie evozieren eine totale Nichtöffentlichkeit, bei der nicht klar ist, in welchem Verhältnis sie zur Öffentlichkeit steht; Differenzierungen zwischen ›heimlich‹, ›vertraut‹, ›privat‹ kommen auf diese Weise nicht zur Geltung« (S. 215). Ich hoffe in meiner Arbeit deutlich machen zu können, dass durchaus in dieser Art differenziert werden kann. 11 Blumenberg, Beobachtungen an Metaphern (1971), S. 192. 12 Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), S. 11.
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Einführung
in der Mystik gesuchte Assoziations- und Denkhorizont wird in der höfischen Erzählkultur kaum berührt. Wenn, dann im Zitat, das, in den neuen Kontext eingebunden, von dessen Orientierungsmustern geprägt wird.13 Eine Studie zum Schweigen im höfischen Roman sieht sich also gezwungen, nicht nur den Gegenstand erst einmal zu definieren, sondern auch einen Weg zu finden, wie die Wahrnehmungsstrukturen des Schweigens, die in verschiedenen Disziplinen bruchstückhaft fassbar sind, miteinander in einen klärenden Bezug gesetzt werden können, um so ein tragfähiges Deutungsnetz zu knüpfen. Dabei sind die Vielfalt von Ansätzen und Methoden, wie sie die Studien in den einzelnen Disziplinen bieten, sowie die darin gründende terminologische Auffächerung nicht aufzulösen. Dem Schweigen im höfischen Roman kann man sich nur durch eine interdisziplinäre Vernetzung verschiedener Fragestellungen annähern. Denn die deutende und gedeutete Wahrnehmung des Schweigens in den höfischen Romanen ist nicht nur Ausdruck sozialhistorischer oder mentalitätsgeschichtlicher Hintergründe, sondern genauso Spiegel sprachtheoretischer und theologischer Reflexionen und Sinnkonstitutionen. Die vorliegende Studie zum Schweigen im höfischen Roman stellt den Versuch dar, durch die Verbindung textimmanenter mit intertextueller Betrachtung die Wahrnehmung des Schweigens zu fassen und als Produkt spezifischer Verstehens- und Deutungsmuster, als Teil einer historischen Semantik, kenntlich zu machen. Es soll eine Topographie des Schweigens in dem Sinne sein, dass darin nicht nur die in den verschiedenen kulturellen Diskursen des Mittelalters sinnstiftend festgelegten Schweigeorte, sondern auch deren Verbindung mit den Schweigetopoi in der höfischen Erzählung aufgezeigt werden. Das Buch beschreibt eine Landschaft des Schweigens, vor deren Horizont die Szenen des höfischen Romans sich neu und scharf konturieren.
13 Beispiel dafür ist nicht nur die Bluttropfenszene im »Parzival«, sondern auch die nächtliche Gartenszene im »Tristan«, die unten ausführlich dargestellt werden. Auch wenn in sprachtheologischen Reflexionen sowie in monastischer Literatur das Ideal eines mystischen Schweigens anzitiert wird, wird dieses in den jeweiligen Sinnzusammenhang und Deutungshorizont gestellt, der nicht mystisch ist. Im Gegensatz zu der sonstigen mediävistischen Forschung verfolgt die Mystikforschung das Thema des Schweigens schon länger. Siehe dazu die Bibliographie bei Kunz, Schweigen und Geist (1996).
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Forschungsübersicht 14 1. Forschungsübersicht14
Das wissenschaftliche Interesse am Phänomen des Schweigens hat eine vielfältige Geschichte; vielfältig nicht nur wegen der immer wieder neuen Suche nach einer Sprache, die das Sprachlose oder Nichtausgesprochene fassen könnte, sondern auch vielfältig durch den Fächerkanon, der sich um das Thema bemühte und bemüht.15 In erster Linie und mit der längsten Tradition stellt die Theologie, vor allem im Bereich von historischer und vergleichender Religionswissenschaft sowie in Forschungen zur Mystik und zu monastischen Sprachregelungen, die Frage nach dem Schweigen.16 Eng damit verbunden und doch um Kontrastierung und Loslösung des Problems aus dem reli-
14 Ich beschränke mich im wesentlichen auf neuere Forschungsbeiträge. Zur älteren Literatur siehe die Zusammenstellungen bei Roloff, Reden und Schweigen (1973); Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978); Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985), dann auch die umfassende Bibliographie bei Kunz, Schweigen und Geist (1996). Arbeiten, die nach 1998 erschienen sind, konnten nicht mehr berücksichtigt werden. 15 Siehe zu dieser Interessenvielfalt die zwei Bände zur Tagung in Trento (15.–17. Okt.1987): Baldini und Zucal, Le forme del silenzio e della parola (1989); Baldini und Zucal, Il silenzio e la parola da Eckhart a Jabès (1989). Es zeigt sich in diesen Beiträgen aber auch die grundsätzliche Schwierigkeit dem Thema gegenüber. Nicht nur ist der methodologische Zugang kaum geklärt, sondern die einzelnen Beiträge verbinden sich immer wieder über die toposartigen Formeln, die oft in einer metaphorischen Offenheit verbleiben, sowie über die Rückgriffe auf Heidegger, Merleau-Ponty, Wittgenstein und die Bibel (v. a. die Sprüche), die sich sowohl in linguistischen wie auch psychologischen, philosophischen und theologischen Abhandlungen finden. Siehe auch die Textsammlung und die ausführliche, einen guten, allgemeinen Forschungsüberblick bietende Einleitung dazu von Baldini, Le dimensioni del silenzio nella parola, nella filosofia, nella musica, nella linguistica, nella psicanalisi, nella pedagogia e nella mistica (1988).Verschiedene Forschungsansätze und Fragestellungen im linguistischen und literaturwissenschaftlichen Bereich sind in dem Sammelband von Grabher und Jessner zusammengestellt: Semantics of Silences in Linguistics and Literature (1996). 16 Für einen detaillierteren Forschungsüberblick im theologischen Bereich sei auf das in seiner Materialfülle und Literaturkenntnis beeindruckende Buch von Kunz verwiesen, in dem sich »eine Bibliographie des Schweigens« findet, die auch die Forschungen anderer Disziplinen berücksichtigt. Es ist ein Kompendium theologischer und monastischer Interpretationen des Schweigens, dessen spirituelles Ziel deutlich ist, das aber in Umfang und akribisch genauer Materialsichtung einzig ist auf diesem Feld. Kunz, Schweigen und Geist (1996).
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Einführung
giösen Bereich bemüht, sind philosophische Überlegungen, die versuchen, die Ränder des Logos abzutasten und in ein gedankliches System zu bringen.17 Im Rahmen der Philosophie bleibt das Denken über das Schweigen aber immer sprachgebunden, ist die Auseinandersetzung mit dem Schweigen immer Sprachphilosophie – wenn sie sich nicht in der Beschwörung eines ganz Anderen an theologische Spekulation anlehnt.18 So verknüpft sich philosophische Reflexion zum Schweigen immer auch mit linguistischen und rhetorischen Fragen.19 Diese Verbindung hat umgekehrt zur Folge, dass auch sprachwissenschaftliche Forschungen zum Schweigen nie ganz von philosophischen Fragestellungen frei sind – und darüber immer wieder in unmittelbare Nähe zu theologischer Reflexion gebracht werden.20 Dabei zeigt sich, dass die Schweigethematik, unabhängig von einzelnen Disziplinen, in auffallender Art von traditionellen Vorstellungsmustern geprägt ist, die – in je neuem Kontext – immer wieder in den gleichen Figuren auftreten.21 Es ist diese Tradition fester Vorstellungsmuster, die auch eine Fülle von essayistischen Überlegungen zum Phänomen des Schweigens ermöglicht, die – aus den verschiedensten wissenschaftlichen
17 Vgl. v. a. den Sammelband von Baldini und Zucal, Il silenzio e la parola da Eckhart a Jabès (1989); Piltz, Die Philosophie des Schweigens – Das Schweigen in der Philosophie (1987); Trettin, Die Logik und das Schweigen (1991); Dauenhauer, Silence (1980) sowie die Diskussionsbeiträge zu diesem Buch in: Lechner, Soundings of Silence (1983); Volli, Apologia del silenzio imperfetto (1991); Muldoon, Silence Revisited (1996). 18 Vgl. auch Godlove, Making Pauses Pregnant (1983). 19 Zu diesen sich im Schweigen überkreuzenden Fragestellungen siehe das Buch von Valesio, Ascoltare il silenzio (1986). Die grenzüberschreitende Problematik wird auch deutlich bei Bologna, Flatus Vocis (1992). 20 Dies gilt nicht nur für die Humboldtsche Sprachwissenschaft. Gerade in der modernen Linguistik knüpft sich dieses Band wieder enger, sei es in Studien zur Semantik, in Untersuchungen zur Semiotik, oder auch in kommunikationstheoretischen und psycholinguistischen Forschungen. 21 Vgl. Anm. 15. Es ist diese Tradition, die zur Folge hat, dass zum Beispiel Derrida sich explizit in seinem Konzept der Negativität, als des durch das Gesprochene Ausgeschlossenen, von dem Konzept der negativen Theologie absetzen muss. Derrida, How to avoid Speaking: Denials (1989). Zur philosophischen Vorgeschichte der negativen Theologie im spätgriechischen Denken und zu ihren christlichen Ausformungen siehe Mortley, From Word to Silence I . The rise and fall of logos (1986) und Mortley, From Word to Silence II . The way of negation, Christian and Greek (1986). Zu dieser traditionellen Schweigetopik gehört auch die von Moldoon kritisierte Fixierung der philosophischen Auseinandersetzung mit dem Schweigen auf eine Übersetzung des Phänomens in optische Parameter. Moldoon, Silence Revisited (1996).
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Forschungsübersicht
Richtungen kommend – sich im Rückgriff auf eine seit Jahrhunderten festgelegte Bildlichkeit mit dem Thema auseinandersetzen.22 Ausgangspunkt dieser essayistischeren Werke ist oft eine Nostalgie des Schweigens, die Idee einer verlorenen Heimat, die in der modernen lärmenden Welt nicht mehr zu finden sei. Diese Schweige-Utopie findet sich in religiös-esoterisch, aber auch philosophisch, erziehungswissenschaftlich, gesellschaftskritisch, kulturkritisch, psychologisch orientierten Arbeiten, wie auch in unzähligen einleitenden Worten strenger wissenschaftlich vorgehender Arbeiten.23 So wird der moderne Diskurs über das Schweigen – auch der wissenschaftliche – oft in den Rahmen einer letztlich ideologischen Utopie gestellt und nähert sich jedes Reden über das Schweigen immer wieder einem theologischen Denkprinzip an. In strengem Gegensatz zu diesen utopischen Schweigeentwürfen wird in linguistischer Forschung unter der Prämisse einer allumfassenden Kommunikation das Schweigen in das Sprachsystem eingebaut, um darin gedeutet zu werden.24 Anders als in philosophischen und 22 Dazu gehören unter vielen anderen Bücher wie Picard, Die Welt des Schweigens (1948); Charles, Du silence, et de la dé-mesure (1985); Blodgett und Coward, Silence, the Word and the Sacred (1989); Didier, Le silence (1990); Flusser, Gesten (1995); Papa, I segni del silenzio (1987); Neher, L’exil de la parole (1970). Diese essayistischen Versuche über das Schweigen können im einzelnen äusserst anregend sein, gerade weil sie die Gratwanderung zwischen den festgelegten Wörtern mit einer spielerischen Leichtigkeit gehen, die immer wieder jene Durchblicke ermöglicht, die im streng wissenschaftlichen Diskurs nicht möglich sind. Zu der Oszillation im Spiel, die allein die Kehrseite der Sprache herausbringen kann, siehe Iser, The Play of the Text (1989) und ebd., das Vorwort zum Sammelband. Bei vielen Arbeiten zum Schweigen lässt sich jedoch nicht deutlich zwischen wissenschaftlichem und essayistischem Vorgehen unterscheiden. 23 »Sul finire di questo secondo millenio gli uomini vivono con la nostalgia del silenzio e, nel contempo, con la paura del silenzio. […] Ha nostalgia del silenzio perché è ridotto ad essere un’ »appendice del rumore« e, nello stesso tempo, prova nei suoi confronti un sentimento di paura.« Baldini und Zucal, Le forme del silenzio e della parola (1989), Introduzione, S. 11. Volli legitimiert seine Arbeit unter anderem: »Credo che ci sia bisogno di difendere il silenzio in una società come la nostra, che si sta assordando in un’inflazione semiotica pari solo all’inquinamento materiale che essa stessa provoca.« Apologia del silenzio imperfetto (1991), Introduzione, S. 11. 24 Schmitz, Schweigen (1990) gibt in den einzelnen Beiträgen einen Querschnitt moderner linguistischer Fragen in bezug auf das Schweigen. Caprettini, Per una tipologia del silenzio (1989), stellt aufgrund der Jakobson’schen Kommunikationstheorie sechs Kategorien des Schweigens auf; Bilmes, Constituting silence (1994), unterscheidet zwischen »absolute silence« (Abwesenheit eines Lauts), »notable silence« (relevante Absenz eines spezifischen Lauts) und »conversational silence«
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theologischen Überlegungen wird nicht die Grenze der Sprache gesucht, sondern deren Grenzenlosigkeit propagiert, wobei Sprache in einem umfassenderen Sinn als »lesbares Zeichensystem« verstanden ist. Studien zu nonverbaler Kommunikation suchen nach einer entzifferbaren Grammatik und Semantik des Schweigens.25 Das Schweigen wird Teil des Sprachganzen, und es geht schließlich darum, die Schweigemomente zu »Wörtern« zu machen, die – in den Kontext eingebunden – ihre Ambiguität verlieren. Das Schweigen ist da grundsätzlich »beredt«.26 Die Versuche, mit Hilfe psychologischer und soziolinguistischer Untersuchungen Schweigeverhalten im Sinne eines nonverbalen Ausdrucks lesen zu lernen, stoßen immer da an Grenzen, wo ein Normverhalten zu Grunde gelegt wird, das sich seinerseits wieder am sprachlichen Umfeld orientiert. Indem die Vieldeutigkeit des Schweigens durch die Kontextbestimmung zerstört wird, wird auch der grundsätzliche Sprachentzug verneint, der sich im Schweigen ausdrücken kann. So müssen auch Versuche, die hochartifiziellen Strategien des Schweigens in der rhetorischen Rede auf die alltägliche Rede zu übertragen, die Sprachpause als »Sprechakt« in eine Bewusstseinsstruktur einzubauen, die dem Hörer zumindest die Illusion einer festen Ordnung ermöglicht, letztlich hilflose Setzung bleiben. Das Schweigen in der sprachlichen Kommunikation bleibt obskur.27
(Abwesenheit von Rede) und geht von der Idee aus, dass Schweigen nur vom Hörer her zu fassen sei, entsprechend von diesem mit Sinn aufgeladen werde. Zu der Problematik des Schweigebegriffs vor dem Hintergrund einer allumfassenden Kommunikation siehe Lauretano, Il linguaggio silenzioso (1989). 25 Für die neuere Forschung zu nonverbaler Kommunikation und Körpersprache siehe Kalverkämper, Die Rhetorik des Körpers (1994). Zur Kommunikationstheorie siehe Göttert, Kommunikationsideale (1988); Gumbrecht und Pfeiffer, Materialität der Kommunikation (1988); Stierle und Warning, Das Gespräch (1984). 26 Dabei nimmt das Schweigen eine ganz eigentümliche Stellung zwischen verbaler und nonverbaler Kommunikation ein: nur im Raster der verbalen Kommunikation erfasst, entzieht es sich dieser jedoch gerade durch die Verweigerung von deren Mitteln. Aber anders als Gestik und Mimik ist es durch keinen anderen Sinn als das Ohr wahrnehmbar, hat keine eigene Struktur, sondern wird allein von der Sprache her begrenzt und geformt. Mit Bezug auf Wittgenstein sagt Lauretano: »A ben riflettere, un problema dei limiti del linguaggio non si pone: ammetterli vale parlarne, e quindi riassorbire tali limiti all’interno della sfera del linguaggio. Ogni limite posto è un limite detto, e quindi risolto e superato. ›Avventarsi‹ contro i limiti del linguaggio, contro le pareti della gabbia, ›è perfettamente, assolutamente disperato‹.« Il linguaggio silenzioso (1989), S. 475. 27 In bezug auf die Gestik (gestualité) finden sich bei Kristeva Überlegungen, die auf die Problematik des Schweigens zu übertragen sind. Kristeva, Semiotiké (1969),
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In dem umfassenden Sprachsystem, wie es in der modernen Kommunikationstheorie entworfen wird, ziehen dann soziolinguistische und ethnolinguistische Untersuchungen neue Grenzen, indem die Unverständlichkeit gewisser Schweigesituationen als interkulturelle Verständnisschwierigkeit gesehen wird, sei dies zwischen verschiedenen Kulturen, sei dies zwischen Subkulturen. Schweigen wird so zu einer Art Fremdsprache. In diesem Zusammenhang wird dann auch die ausgrenzende Funktion des Schweigens in psychosozialem und politischem Kontext untersucht: Als Ausschluss aus der die Macht konstituierenden Sprache kann es sowohl – als Verschweigen – Ausdruck der Macht sein als auch – als Verstummen – Zeichen der Machtlosigkeit.28 Als Folge der neueren Forschungen zum Schweigen im Bereich von Kommunikationstheorie, Soziolinguistik und Psycholinguistik, die den Schweigebegriff vom theoretischen Ansatz her aus dem religiösen und philosophischen Bereich lösen, wird der Begriff in neuer Bedeutung und neu gefärbt, als Zwitterwesen zwischen Metapher und wahrnehmbarem Phänomen, wieder in Philosophie und Kulturwissenschaft aufgenommen. Der Begriff des Schweigens wird da zur Chiffre des Andern, dient für alle möglichen Grenzziehungen innerhalb einer Kultur und Gesellschaft (Gender Studies, Minderheitenkulturen), zwischen den Kulturen (Fremde), wird aber auch wieder zum faszinierend ganz Anderen.29 Schweigen ist Inbegriff jeder Alterität. Es ist klar, dass dahinter kein theologisches Verständnis steht, dass diese Dimension des Anderen innerhalb des Weltlichen gesucht wird, dass darin keine feste S. 29–39. Sie führt den Begriff der Anapher ein für die Brechung der verbalen Struktur, durch die allein das Andere der phonetisch-semantischen Struktur (cet autre de la structure phonético-sémantique) angedeutet werden könne (S. 35). Und sie weist denn auch darauf hin, dass diese spezifischen Überlegungen zur Gestik übertragbar seien auf »toutes les pratiques subversives et ›déviatoires‹ dans une société donnée« (S. 38). Zu diesen subversiven und ausscherenden Praktiken ist auch das Schweigen zu rechnen. 28 Vgl. dazu u. a. Jaworski, The Power of Silence (1993), der einen Überblick über die neuesten Ansätze in der linguistischen, v. a. amerikanischen Forschung zum Thema des Schweigens gibt und im interpretierenden Teil dann vor allem auf das Schweigen in der Politik als Mittel der Macht eingeht; Gilkey, The Political Meaning of Silence (1983); Terracini, I codici del silenzio (1988), der sich v. a. mit dem Thema des Schweigens als Effekt der Herrschaft und Zeichen der »Besiegten« auseinandersetzt; Aebischer, Les femmes et le langage (1985), die nach den Hintergründen der den Frauen zugeschriebenen Geschwätzigkeit und der verschiedenen Wahrnehmung männlichen und weiblichen Sprachverhaltens fragt. 29 Siehe u. a. die Sammelbände von Kamper und Wulf, Schweigen (1992) sowie Luhmann und Fuchs, Reden und Schweigen (1989).
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Figuration einer Idee gesehen wird. Und doch greifen diese Rede über das Schweigen und diese Instrumentalisierung des Schweigens (als Metapher, aber auch als inszenierter Ort im Gespräch) auf die Tradition zurück, die den Begriff des Schweigens immer wieder für das einsetzt, was sich dem direkten Wort in einen Bereich des Numinosen entzieht. So hat sich auch die Literaturtheorie des 20. Jahrhunderts – in enger Verknüpfung mit Philosophie und Psychologie – in einem Masse den Begriff des Schweigens zu eigen gemacht, wie das seit den theologischen Spekulationen des Mittelalters nicht mehr der Fall war.30 Ein großer Teil der Forschung in der modernen Literaturwissenschaft ist eine Suche nach dem Schweigen in der Literatur, dem Schweigen der Literatur und dem in der Literatur Verschwiegenen.31 Das Gebäude des Textes interessiert da, wo es rissig ist, wo es Luftlöcher hat, wo die Fassade aufbricht.32 Dabei werden Begriffe der Linguistik und Rhetorik, die im Rahmen eines gegebenen Sprachzusammenhangs und einer umfassenden Kommunikation geprägt wurden, in einen Verstehenszusammenhang übertragen, der gerade diese Kohärenz bezweifelt: Ellipse und Aposiopese sind zu Metaphern dessen geworden, was sich dem Wort verwehrt oder von diesem ausgeschlossen ist. Derridas Ne30 Zum Schweigen in der neueren Philosophie und der mystisch-philosophischen Tradition siehe Baldini und Zucal, Il silenzio e la parola da Eckhart a Jabès (1989). Zum Schweigen in der psychologischen Forschung siehe u.a. Baker, The Theory of Silences (1955) und Ciani, The regions of silence (1987), ein interessanter Sammelband, der vom Problem des Schweigens in der Psychotherapie ausgehend in anthropologischer Fragestellung antike Mythen auf ein Verständnis des Schweigens hin betrachtet. 31 Für die Forschung zur neueren Literatur siehe die Einführung bei Lorenz, Schweigen in der Dichtung (1989). Bei van den Heuvel, Parole, mot, silence (1985) (v. a. S. 65–85) findet sich, im Blick auf den modernen französischen Roman, eine ausführliche theoretische Einführung mit einer Übersicht über den Stand der Diskursanalyse (bis 1984). Wenn aber Kunz meint, »der Motivationskomplex für Schweigen in Dichtung erweist sich als ein religiöser, dezidiert mystischer«, trifft sie damit nur die eine Lesart neuerer Forschung, wie das auch in ihrem Verweis auf G. Steiner deutlich wird. Entsprechend gilt ihre Behauptung, dass die »Literaturwissenschaft die Frage nach dem ›Ort‹ des Schweigens an die Theologie zurück[gebe]«, in dieser letztlich etwas ideologischen Verengung nur für einen Teil moderner Literaturtheorie; denn nicht überall wird die Frage nach dem »Ort« gestellt. Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 18. 32 Vgl. z. B. Barthes, der von einer »Schreibweise im Nullzustand« spricht und diese bezeichnenderweise mit Begriffen der Linguistik und der Mathematik zu erklären sucht. Dabei stellt er das postulierte Schweigen (wie bei Mallarmé) dieser spezifischen Art, wie sich Schweigen manifestieren kann, entgegen. Barthes, Schreibweise und Schweigen (1985); siehe auch Schmitz-Emans, Schrift und Abwesenheit (1995).
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gativitätsbegriff und Foucaults Diskursbegriff dienen genauso als Rahmen für einen metaphorischen Schweigebegriff wie das idealistische Denken von George Steiner – wenn auch in fundamental anderem Verständnis.33 Die Schwierigkeit, dass dabei oft im Zwischenbereich zwischen linguistisch-rhetorischer Terminologie und philosophisch-sozialwissenschaftlicher Begrifflichkeit gespielt wird, führt aber nicht selten zu eben jener metaphorischen Sprechweise über das Schweigen, wie sie traditionell dem Thema anhaftet. Wenn viele dieser Arbeiten sich durch eine spezifische Unentschiedenheit zwischen wissenschaftlicher Darstellung und essayistischem Gestus auszeichnen, verhüllt sich darin genau diese Problematik.
Mediävistik Auf dem Hintergrund des virulenten Interesses am Thema des Schweigens in der Forschung zur neueren Literatur ist es umso auffallender, dass mit Ausnahme der Arbeit von Wallmann (1985) seit den Monographien von Ruberg und Roloff aus den 70er-Jahren bis in jüngste Zeit keine mediävistische Untersuchung mehr zum Schweigen erschienen ist.34 Die mediävistische Literaturwissenschaft kennt die Faszination durch das Schweigen, wie sie die Forschung zur neueren Literatur seit einigen Jahren prägt, nicht.35 Wenn Ruberg sich auf Roloffs Feststellung bezieht, dass »Äußerungen zur mittelalterlichen Literatur sich auf meist punktuelle Stellungnahmen zu Percevals/Parzivals oder zu
33 Steiner, The Retreat from the Word (1990). Gerade im Blick auf die mittelalterliche Sprachtheorie und ihren Reflex in der Literatur ist Steiners Theorie einer erst seit dem 17./18. Jh. interessierenden metaphysischen Dimension des Schweigens in der Literatur fraglich. Eine These, die auch u.a. dem eher verwirrenden Buch von Hart Nibbrig voransteht. Rhetorik des Schweigens (1981). 34 Roloff, Reden und Schweigen (1973); Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978); Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985). 35 Für die frühe Neuzeit sieht es anders aus – v. a. dank der Shakespeareforschung. Siehe auch Burke, Reden und Schweigen (1994), und jetzt Bogner, Die Bezähmung der Zunge (1997). Auch wenn in der frühen Neuzeit durchaus neue Aspekte von Sprachregelung zu sehen sind, kann nicht in dem Masse, wie Bogner das postuliert, von ganz neuen Entwicklungen ausgegangen werden. Die vorliegende Studie soll nicht zuletzt ein Beitrag sein, diese These etwas zu relativieren.
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Enites Schweigen und Verstummen, Schweigegebot und Verschwiegenheit in der Minnebindung fixierten«,36 ist dies heute fast unverändert zu übernehmen.37 Es mag sich darin eine gewisse Ängstlichkeit 36 Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 13. 37 In den Romanen Hartmanns muss die Frage nach dem Schweigen vor allem in bezug auf Enite gestellt werden, dann aber auch im Zusammenhang mit Iweins Wahnsinn. Nur ein paar Hinweise: McConeghy, Women’s Speech and Silence in Hartmann von Aue’s Erec (1987), versucht, Enites Sprachverhalten aufgrund soziolinguistischer Studien zu analysieren; Castellani, La »parole« d’Enide (1958), sieht, im Bezug auf Chrétien, eine Schuld Enides in ihrer ›superbia‹: sie hätte sich nicht zum Sprachrohr des Hofes machen dürfen; Mayer, ›ein vil vriuntlîchez spil‹ (1979), meint hingegen, dass gerade im Versuch des Verschweigens Enites Schuld liege; Fisher, Räuber, Riesen und die Stimme der Vernunft in Hartmanns und Chrétiens ›Erec‹ (1986), sieht im Schweigegebot den Versuch Erecs, die Stimme der Vernunft zu unterdrücken; Sterba, The Question of Enite’s Transgression (1991), liest den Roman als Selbstfindungsgeschichte von Mann und Frau: Enite finde zu ihrer Stimme, während Erec sich seiner sozialen Verantwortung bewusst werde und so auch auf die Stimme seiner Frau hören lerne; Smits, Enite als christliche Ehefrau (1981), versteht den Roman als Weg eines Paares zur Erfüllung der christlichen Ehepartnerschaft; Quast, Getriuwiu wandelunge (1993), gibt eine Interpretation mit Blick auf die Ehetheologie von Hugo von St. Victor und deutet darin Enites Schweigen in Karnant als Verstoss gegen die eheliche triuwe; Mertens, Projektionen weiblicher Identität bei Chrétien und Hartmann (1993), meint, dass Enite auf Karnant bei Hartmann »aus Erkenntnis ihrer weiblichen Rolle« schweige (S. 65). Siehe auch die Bibliographie zum Enitethema bei Hahn, Die Frauenrolle in Hartmanns »Erec« (1986), Anm. 3. Iweins Aphasie, die seinen Wahnsinn einleitet, hat in erster Linie unter medizingeschichtlichem Aspekt vom pathologischen Verlauf her interessiert. Siehe u.a. das entsprechende Kapitel bei Zutt, König Artus. Iwein. Der Löwe (1979), S. 59–66. Das Schweigen von Gregorius auf dem Stein jedoch wird schnell in die Bußpraxis übersetzt und darin nicht weiter für erklärungsbedürftig gehalten. Im »Parzival« ist es vor allem die verpasste Frage des Helden vor dem Gral, die das Problem eines falschen oder gefährlichen Schweigens aufwirft. Siehe u.a. Stanesco, Le chemin le plus long (1981); Willson, Das Fragemotiv in Wolframs Parzival (1962), der das Fragemotiv auf Bernhardische Ethik zurückführt: ›compassio‹ erlaubt ›curiositas‹; Wolf, Literarhistorische Aspekte von Parzivals Schweigen (1972), der im Schweigen Parzivals vor dem Gral die Weiterführung der mythischen Form eines durch einen Bann bedingten Schweigens des Helden in entscheidender Situation sieht; Smits, Die »Stimmen« des schweigenden Königs (1986), die – unter anderem in bezug auf Parzivals Ankunft auf Munsalvaesche – einen interessanten Aspekt des Schweigens aufgreift: sie zeigt, wie sich in der Empfangssituation an einem Königshof die Ambivalenz der Begegnung (zwischen Gastfreundschaft und angstvoller Fremdenfeindlichkeit) topisch in der Konstellation manifestiert, dass als Sprachrohr des schweigenden Königs ein abweisender Mann und eine gastfreundliche, vermittelnde Frau dem Fremden begegnen.
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der älteren Germanistik vor methodologisch ungesicherten Feldern ausdrücken. Erst seit kurzem zeigt sich vor allem in der romanistischen Mediävistik ein beginnendes Interesse an dem Thema des Schweigens. Gleichzeitig zur vorliegenden Arbeit entstand das Buch von JamesRaoul zum Schweigen im französischen Artusroman.38 Die auf das Schweigen bezogenen Fragestellungen moderner Literaturwissenschaft gegenüber neuerer Literatur sind für das Mittelalter jedoch kaum zu übernehmen. Die Brüchigkeit des sprachlich konstruierten Textes, wie sie sowohl in der Tradition moderner Sprachskepsis interessiert, als auch zu einer der Prämissen postmodernen Denkens wurde, ist gegenüber dem mittelalterlichen Text einerseits eine Selbstverständlichkeit, anderseits aber, gegenüber dem durch die Überlieferung geformten, darin aber auch »dekonstruierten« Text nicht in derselben Unabhängigkeit von historischen Komponenten bedenkbar wie bei moderneren Texten. Und auch die aus idealistischer Tradition kommende Suche nach dem »den Text umfassenden«, »dahinter stehenden«, »ihn überwölbenden« Schweigen als dem Anderen, stößt im mittelalterlichen Gedankengebäude auf Schwierigkeiten. Denn das auf ein göttliches Ordnungsprinzip hin gerichtete und darin sinnträchtige mittelalterliche Zeichensystem kann nicht in gleicher Art wie bei einem Text der Neuzeit von jenem abgegrenzt werden. Indem aber die Fragestellungen moderner Literaturtheorie zum Themenbereich des Schweigens, die sich in ihrer Gedankenstruktur und Begrifflichkeit theologischen Denkstrukturen annähern, im mediävistischen Bereich meist historisierend in den theologischen Horizont gestellt werden, sind sie damit aus der hauptsächlich literatursoziologisch, philologisch und zeichentheoretisch orientierten Literaturwissenschaft
Im »Tristan« sind es vor allem die sprachtheoretischen Überlegungen und die Täuschungsproblematik, in deren Rahmen die Schweigethematik angesprochen werden kann. Castellet, L’espressività del silenzio nel ›Tristan‹ di Gottfried von Strassburg (1990), versucht anhand von vier ausgewählten Szenen zu zeigen, wie Gottfried das Schweigen (il silenzio assoluto) als Mittel einsetze, die höfisch starre Sprache zu unterlaufen und so einen Ausdruck des Gefühls zu finden; Ferrante, ›Ez ist ein zunge, dunket mich‹ (1990); Wenzel, Die Zunge der Brangäne (1988). Nur implizit berühren neuere Untersuchungen zur Sprachthematik in Gottfrieds »Tristan« das Problem des Schweigens. 38 James-Raoul, La parole empêchée dans la littérature arthurienne (1997). Das neue Interesse spiegelt sich auch in den drei Vorträgen zum Thema des Schweigens, die am 10. Juli 1996 in Leeds von romanistischer Seite im Rahmen des »International Congress of Medieval Studies« gehalten wurden, Session 920: »Rhetoric Strategies of Silence«.
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ausgegliedert.39 Dadurch wird jedoch die oben skizzierte methodologische Schwierigkeit dem Thema gegenüber, die sich durch die Überkreuzung von theologisch-philosophischem und kommunikationstheoretischem Zugang ergibt, nicht gelöst, sondern lediglich durch die Aufsplitterung der Frage auf verschiedene Disziplinen umgangen. Eine Studie zum Schweigen in mittelalterlicher Literatur kann und muss sich zwar bis zu einem gewissen Grad an der Forschung zu modernerer Literatur inspirieren, kann aber das in diesen Untersuchungen bereitgestellte Instrumentarium und die darin aufgezeigten Fragen im Blick auf die spezifische mediävistische Forschungslage einerseits, die mittelalterlichen Gegebenheiten anderseits, höchstens in übersetzender Adaptation übernehmen. Das Problem des Schweigens ist in neuerer mediävistischer Forschung aber nicht nur zum Teil in den Bereich der Theologie ausgeklammert, sondern auch ganz von dem Interesse an Kommunikation im weitesten Sinne aufgesogen. Es geht um das Gesagte, das Gesprochene, um das Zeichennetz, in dem sich die Kultur fassen lässt – das Schweigen ist allenfalls als fest kodierte Leerstelle thematisiert und auf
39 In neueren theologischen Forschungen ist dafür ein vermehrtes Interesse am Schweigen, auch im Sinne des Anderen des Textes, zu erkennen. In erster Linie ist da auf die vergleichende Religionswissenschaft und Religionsgeschichte zu verweisen. Vgl. dazu Sesterhenn, Das Schweigen und die Religionen (1983); KövesZulauf, Reden und Schweigen (1972); Schnayder, De antiquorum hominum taciturnitate et tacendo (1956); Mensching, Das heilige Schweigen (1926). Auch in der Frage nach dem mystischen Schweigen interessiert das Interkulturelle und Interreligiöse immer mehr. Dazu gehören auch die unzähligen Bücher zur Spiritualität des Schweigens, wie sie in einem breiten Feld zwischen theologischer Abhandlung und esoterischem Traktat zu finden sind. Ein traditionelles Interesse der Theologie ist das monastische Schweigen. Neuere Arbeiten dazu sind: Barakat, The Cistercian Sign Language (1975); Baumann, Let your words be few (1983); Falletti, Osservanze monastiche ieri e oggi: il silenzio (1984); Latteur, Das Schweigen Christi und das monastische Schweigen (1979); Papa, I segni del silenzio (1987). Auffallend ist auch hier die Prägung der Untersuchungen durch linguistische und anthropologische Fragestellungen. Aber auch im Rahmen liturgischer Forschungen interessiert das Schweigen: Gugerotti, Parola e silenzio nelle liturgie orientali (1989); Lodi, Parola e silenzio nella liturgia occidentale (1989); Sartore, Il silenzio come »parte dell’azione liturgica« (1981). Daneben finden sich Studien zum Schweigen in der Bibel oder bei einzelnen Kirchenvätern: Antin, Solitude et Silence chez S. Jérôme (1964); Mazzeo, St. Augustine’s Rhetoric of Silence (1962); Pellegrino, »Mutus […] loquar Christum« (1979); Rattin, Il silenzio e la parola nel nuovo testamento (1989); Santi, Interiorità e »verbum mentis« (1990); Stiglmair, Parola e silenzio nell’Antico Testamento (1989); Zani, Interrogativi sul silenzio nel Nuovo Testamento (1989).
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den Kontext hin gedeutet.40 Dabei wird mit einer Begrifflichkeit, die in der modernen Linguistik und Medienwissenschaft erarbeitet wurde, versucht, spezifisch mittelalterliche Kommunikationsmechanismen zu fassen, mediale Vernetzungen aufzuzeigen, Wissenstransfer offenzulegen und soziale Strukturen im Spiegel der dargestellten Verhaltensund Kommunikationsmuster aufzuzeigen.41 Selbst in den Studien zu Gebärden und Gesten, diesen durch ihre Sprachlosigkeit eng mit dem Schweigen verbundenen Ausdrucksformen, wird das Schweigen kaum problematisiert. Wenn, dann ist es als marginales Zeichen oder Attribut gewisser Gesten erwähnt, nie aber selber thematisiert, auch nicht als Gebärde.42 Weiter gehen da ikonographische Arbeiten im Bereich von
40 Siehe u. a. Haferland, Höfische Interaktion (1988); Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995); Wandhoff, Der epische Blick (1996), der jedoch unter der Prämisse, dass die Welt des Mittelalters hauptsächlich optisch wahrgenommen worden sei, explizit den akustischen Bereich vernachlässigt: »Selbst der gesamte Bereich der Akustik wird – sieht man von dem Sonderfall der Rede ab, die in ausführlichen Mono- und Dialogen zwar dokumentiert, in der Regel jedoch nach ihren Inhalten und nicht ihren Klängen beschrieben wird –, lediglich ganz am Rande behandelt« (S. 176). Doch die Arbeit ist gerade in ihrer Differenz zu meiner Fragestellung interessant. Denn Wandhoffs »Schauraum« als Aktionsraum der Szenen entspricht dem Raum, in dem Schweigen möglich wird, weil es wahrgenommen werden kann. So ergeben sich immer wieder gegenläufige Lesarten einzelner Schlüsselszenen, die sich reizvoll ergänzen. Zur höfischen Sprache im engeren Sinn gibt es aber erstaunlich wenig Untersuchungen. Siehe dazu den Überblick und die bibliographischen Angaben bei Bumke, Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandesaufnahme (1992), S. 478–481, v. a. Anm. 231 und Anm. 237. 41 Linguistische kommunikationstheoretische Forschungen zum Schweigen gehen begreiflicherweise in erster Linie von gesprochener, mündlicher Sprache aus. Abgesehen davon, dass sich weder die psychischen noch sozialen noch intellektuellen Umstände der Sprechenden auf die mittelalterlichen Sprecher übertragen lassen, ist – fragt man nicht nach dem Literaturbetrieb – für die Literatur des Mittelalters von keiner mündlichen Sprechsituation zu reden. Dasselbe gilt für psychologische Studien zum Schweigen in Gesprächssituationen. Interessanter sind da psychologische Analysen von Texten auf unbewusste Mechanismen hin, Deutung von Mythen, Textanalyse mit tiefenpsychologischer Fragestellung. Aber auch da ist der Text oft in Gefahr, Mittel zu werden, eine Reflexion des ausgehenden 20. Jh.s zu illustrieren, statt dass über das im Text selber fassbare Schweigen in bezug auf eine historische Situation etwas ausgesagt werden kann. Zur Psychologie in der Mediävistik siehe auch den Forschungsbericht von Urban, Psychoanalytische Interpretation mittelalterlicher Literatur (1985) sowie Beutin, Ältere deutsche Literatur und Psychoanalyse (1985). Vgl. auch: Roloff, Reden und Schweigen (1973). 42 Peil, Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975), führt das Schweigen zwar als Gebärde auf (S. 317), geht aber nur im Kontext der Klage darauf
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Religions- und Kunstgeschichte, die spezifisch das Schweigezeichen untersuchen, wie es seit dem ägyptischen Kindgott Harpokrates zur formelhaften Geste wurde.43 Auch im weiteren Bereich von mentalitäts-, sozial- und kulturgeschichtlichen Studien wird das Thema des Schweigens höchstens am Rande gestreift, wobei sich gewisse Stereotypen, nicht zuletzt durch ihre metaphorische Festschreibung, hartnäckig halten. Größere Arbeiten zur höfischen Kultur des Mittelalters kommen meistens im Rahmen höfischer Sprache und Erziehung kurz auf das Schweigen zu sprechen. Dabei beruft man sich gern auf die didaktische Literatur, ohne sich über deren traditionserhaltende Funktion immer Rechenschaft abzulegen, so dass das Bild von Reden und Schweigen in der höfischen Kultur des Mittelalters oft ziemlich einfach gezeichnet erscheint. Eine eigene Untersuchung der Schweigethematik in der didaktischen Literatur liegt nicht vor.44 Es sind Studien zur monastischen Lebensordnung, die im Zusammenhang mit den Schweigevorschriften am ausführlichsten auf Fragen des Schweigens eingehen, wie sie zum Teil auch für die höfische Erzieein (S. 309); Schmitt, Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter (1992); Schmidt-Wiegand, Mit Hand und Mund (1991); Schubert, Zur Theorie des Gebarens im Mittelalter (1991). 43 Z.B. der reiche Aufsatz von Mancini, Il dito sulle labbra (1995), der der Symbolik der Schweigegeste von Harpokrates bis zu frühneuzeitlicher politischer Emblematik nachgeht; Dal Prà, Il gesto del silenzio (1989), wo ein Überblick über die Ikonographie des Schweigens von der Antike bis zur Renaissance gegeben ist, wobei der Blick deutlich die christlichen Lesarten und Deutungsmuster fokussiert; Chostel, Signum Harpocraticum (1984). Neben diesen umfassenderen ikonographiegeschichtlichen Untersuchungen besteht im Bereich der Kunstgeschichte ein Interesse an der Schweigegeste im Bezug auf konkrete Objekte. U.a.: Grabar, Une fresque visigothique et l’iconographie du silence (1948); Biaudet, Le »Silence« de l’Hôtel de Ville de Lausanne (1952); Boesch, »Die Verschwiegenheit« von Hans Ulrich II . Fisch (1952); Waddington, The Iconography of Silence and Chapman’s Hercules (1970); Zick, Amor-Harpokrates (1975). 44 Vgl. aber Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 26–41 und Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 54–62. Zu diesem Forschungsdesiderat siehe auch Bumke, Höfische Kultur. Versuch einer kritischen Bestandesaufnahme (1992), S. 452–459. Er schreibt allgemein: »Mit den hofdidaktischen Aspekten der lehrhaften Dichtung in deutscher Sprache hat sich die Forschung weniger beschäftigt, wenn man von dem Themenkomplex der Minnelehre absieht« (Anm. 156). Siehe aber jetzt Wells, Fatherly Advice (1994). Das kindliche Schweigen und seine medizinischen und theologischen Deutungen sowie gewisse erziehungsgeschichtliche Implikationen desselben behandelt der ausgezeichnete Aufsatz von Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984).
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hungsliteratur von Bedeutung sind.45 Die Problematik einer zu direkten Engführung monastischer Regeln und höfischer Didaxe zu diesem Thema wird aber nicht zuletzt im Blick auf homiletische und moraltheologische Schriften deutlich. In dem ausgezeichneten Buch von Carla Casagrande und Silvana Vecchio, »I peccati della lingua«, findet sich eine scharf konturierende Darstellung der Schweigethematik in der homiletischen Literatur und den Sündentraktaten des 12. und 13. Jahrhunderts. Auch wenn es den zwei Autorinnen nicht direkt um das Schweigen geht, zeichnen sie in ihrer Geschichte der Entstehung der Zungensünden im Verlauf des 12. und 13. Jahrhunderts die Geschichte einer Sprachreflexion auf, in der sich auch die Geschichte einer Schweigereflexion erkennen lässt. Und es zeigt sich in ihrer Untersuchung sehr deutlich, wie eng die geistlichen Überlegungen mit weltlicher Sprachhandlung verflochten sind. Gleichzeitig wird klar, wie groß, gerade in bezug auf die Sprache – und das Schweigen –, der Abstand war zwischen theologisch-patristischer und didaktischer Tradition einerseits und der sich in gewissen moraltheologischen Texten des 12. und 13. Jahrhunderts manifestierenden »moderneren« Reflexion anderseits.46 Es erstaunt nicht, dass es in neuerer Zeit vor allem Untersuchungen im Rahmen der Gender Studies und feministischer Literaturwissenschaft sind, die in direkterer Form die Frage nach dem Schweigen in der mittelalterlichen Literatur stellen, nicht zuletzt geleitet durch das verführerische Schlagwort der »Frau ohne Stimme«.47 Es ist in erster
45 Riché, Instruction et vie religieuse dans le Haut Moyen Age (1981); Riché, Ecoles et enseignement dans le Haut Moyen Age (1989); Fuchs, Die Weltflucht der Mönche (1992); Zulliger, »Ohne Kommunikation würde Chaos herrschen.« (1996); Illich, Im Weinberg des Textes (1991). 46 Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987). Vgl. auch Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985), eine wichtige Ergänzung zu dem 3. Kapitel in Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978). 47 Duby, Die Frau ohne Stimme (1993); Benkov, Language and Women (1989), geht v. a. der tabuisierten Sexualsprache nach und dem in der Tabuisierung gefestigten Machtgefälle in den Fabliaux; Freeman, Marie de France’s Poetics of Silence (1984); Ruhe, Mönche, Nonnen und die ideale Frau (1996); Bennewitz, Das Paradoxon weiblichen Sprechens im Minnesang (1991); Giloy-Hirtz, Frauen unter sich (1994), bezieht fast polemisch Stellung gegen die gängige Vorstellung der zur Marionette degradierten Frau im höfischen Roman; vgl. aber auch die umfangreiche Literatur zur Frau im Mittelalter. Allgemein zur mediävistischen Frauenund Genderforschung siehe: Bennewitz, Frauenliteratur im Mittelalter oder feministische Mediävistik? (1993); Peters, Zwischen New Historicism und Gender-For-
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Linie die englischsprachige Literaturwissenschaft, die sich in diesem Bereich engagiert, hauptsächlich mit Blick auf die französische Literatur des Mittelalters.48 Vielen dieser Studien ist gemein, dass sich in ihnen der in den Gender Studies metaphorisch verwendete Begriff des Schweigens mit dem Phänomen des Schweigens im nicht übertragenen Sinn vermengt. Es ist nicht immer ganz klar, ob die metaphorische Bedeutung die Wahrnehmung der im Text realisierten Schweigesituationen lenkt, oder ob die Wahrnehmung die metaphorische Bedeutung produziert und verstärkt. Volker Roloff und Uwe Ruberg konnten in den siebziger Jahren auf keine mediävistischen literaturwissenschaftlichen Arbeiten zum Thema des Schweigens zurückgreifen. Interessant ist, wie verschieden ihre Arbeiten vom Ansatz her sind. Einig sind sich die Autoren darin, dass sie sich bei den untersuchten Erzähltexten in erster Linie auf das im Text verbalisiert fassbare Schweigen beziehen und dass sie dieses unter anderem in einen durch didaktische Literatur und monastische Tradition gebildeten Rahmen stellen. Während sich aber Roloff vor allem auf das dargestellte Schweigen im Sinne eines Motivs, eines ausgesprochenen literarischen Themas oder einer Kennzeichnung einer Person bezieht, geht Ruberg dem »beredten Schweigen« im Sinne einer »sprachlosen Sprachhandlung«, dem Schweigen in seiner Zeichenfunktion in einem Kommunikationszusammenhang nach.49 Dabei erschung (1997). Sie konstatiert deutlich, dass die Altgermanistik in der Genderforschung nicht gerade an vorderster Front der Diskussion steht (S. 386). 48 Dass dabei, neben allgemeineren Fragen der Konstituierung weiblichen Redens und Schweigens im Mittelalter, »Le roman de Silence« im Zentrum des Interesses steht, ist nicht zu verwundern. Lecoy, Le Roman de Silence d’Heldris de Cornüalle (1978); Cooper, Elle and L (1985); Allen, The Ambiguity of Silence (1989); Bloch, Silence and Holes (1986); Brahney, When Silence Was Golden (1985); Conklin Akbari, Nature’s forge recast in the »Roman de Silence« (1994); Gaunt, The significance of Silence (1990); Perret, Travesties et transsexuelles (1985); Roche-Mahdi, Silence. A Thirteenth-Century French Romance (1992). 49 So definiert Ruberg sein Objekt: »Schweigen im hier zu verfolgenden Sinne liegt vor, wo es statt gesprochener Rede oder als ›Leerstelle‹ in einem Gespräch zur ›sprachlosen Sprachhandlung‹ wird. Das Schweigen soll als ›beredt‹ gelten, wenn es in einer Situation des zwischenmenschlichen Verhaltens oder des GottMensch-Bezuges Ausdruck- oder Zeichenwert erhält. […] Wegen der Multivalenz des Schweigens verlangen Schweigen-Situationen nicht selten nach einer Interpretation, die die jeweilige Konstellation beachtet. Daher dürfte es gerechtfertigt sein, Schweigen vor allem in seiner Spannung und lebendigen Wechselbeziehung zur Rede aufzusuchen und als ›beredt‹ zu kommentieren«. Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters
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weitert er den Blick vom dargestellten Schweigen auch auf Aspekte des darstellenden Schweigens (rhetorische Figuren, Spannungspausen, verschweigende Erzähltechnik). Roloff, den explizit nur das »ungewöhnliche, exzessive, magische oder mystische Schweigen« interessiert (S. 21), bezieht sich im Rahmen dieser Fragestellung dann auch auf die Märchenmotivik, beschäftigt sich mit möglichen keltischen Traditionszusammenhängen gewisser Schweigemotive und erläutert ausführlich tiefenpsychologische Interpretationen. In einem kleinen Anhang streift er schließlich noch das Schweigemotiv in indischer Literatur. Ruberg konzentriert sich dagegen vor allem auf didaktische, monastische und homiletische Literatur als Interpretationshintergrund, fragt nach theologischen Schweigedeutungen und versucht, das Schweigen über seine Bildlichkeit zu fassen, indem Schweigemetaphorik und Schweigeexempla aus theologischer und monastischer Literatur zusammengestellt werden.50 Die beiden Arbeiten von Roloff und Ruberg haben eine erste Grundlage für eine literaturwissenschaftliche mediävistische Auseinandersetzung mit dem Thema des Schweigens im höfischen Roman gelegt, die durch das darin bereitgestellte Material und die an diesem geübten Fragestellungen äußerst hilfreich ist. So bezieht sich die vorliegende Studie immer wieder auf das von Ruberg aufgearbeitete Material, vor allem im Bereich der exegetischen Literatur. Und die Arbeit von Roloff erlaubt mir, die motiv- und stoffgeschichtlichen Linien mit einer gewissen Großzügigkeit auszuklammern. Doch zeigt sich auch in diesen Untersuchungen die Grundproblematik jeder Auseinandersetzung mit dem Schweigen: das Objekt entzieht sich einer klaren Begrifflichkeit. Beide Autoren versuchen dieser Schwierigkeit auszuweichen, indem sie sich auf einen fest umrissenen Aspekt des Schweigens beziehen. Roloff konzentriert sich auf das Schweigen als literarisches Motiv und das symbolhafte Schweigen, Ruberg auf das Schweigen als Teil von Kommunikationszusammenhängen innerhalb der Erzählung sowie zwischen dem Erzähler und dem Publikum. Beide beziehen sich auf entweder sprachlich oder in der Textstruktur explizit gemachtes Schweigen, lexikalisch oder syntaktisch fassbar. Und beide Untersu-
(1978), S. 11. Und Roloff sagt: »Grundlage der Interpretation bleibt, um der Beliebigkeit der Deutungsmöglichkeiten zu entgegnen, der sprachliche Kontext des Schweigens.« Reden und Schweigen (1973), S. 21. 50 Diese reiche Zusammenstellung ist jedoch etwas verwirrend. Eine konturierende Ergänzung bietet jetzt der Aufsatz von Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985).
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chungen gehen für das Verständnis der Schweigeformen in den höfischen Romanen von den didaktischen und monastischen Schweigevorschriften aus. Ruberg öffnet den Horizont dann auf das geistliche Verständnis, indem er die Schweigeexegese als Interpretationsfolie heranzieht, Roloff auf den mythischen Hintergrund, indem er die motivgeschichtlichen Traditionsstränge verfolgt. Die Arbeiten greifen dabei chronologisch wie geographisch weit aus; Ruberg zieht zur Erläuterung theologische, zum Teil auch poetische Texte der frühen Neuzeit heran, Roloff wirft einen anregenden, aber auch etwas schwierigen Blick in die Erzählwelt Indiens. Selbst wenn in bezug auf das Thema seit frühchristlicher Zeit von einer sehr starren Tradition ausgegangen werden kann, müsste eine Verknüpfung von theologischen Spekulationen, Predigten und Kommentaren aus der frühen Neuzeit mit Texten des hohen Mittelalters stärker reflektiert werden; und eine Spiegelung östlicher Schweigevorstellungen und europäischer Märchenmotivik als Hintergrund christlich überformter Literaturwerke ist aus der Sicht neuerer kulturwissenschaftlicher und diskursgeschichtlicher Forschung problematisch. Stärker als das Schweigen in der höfischen Erzählliteratur hat innerhalb der höfischen weltlichen Literatur das Schweigen im Minnesang die Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Neben einzelnen Aufsätzen ist vor allem die 1987 erschienene Studie von Wallmann, »Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede«, zu erwähnen. Was sich in den Arbeiten von Roloff und Ruberg als eines der Hauptprobleme entpuppte, die Definition des Schweigens, stellte sich in dieser gattungsspezifisch und motivisch begrenzten Untersuchung weniger scharf.51 Explizit unterscheidet Wallmann das von ihr untersuchte minnebedingte Schweigen, wie es in Minnesang und Minnerede »nicht nur Motiv oder Thema, sondern auch formprägend« ist (S. 10), von minnebedingtem Schweigen, wie es in epischen Texten vorkommt und
51 »Vorrangig ist nicht die jeweilige terminologische Fixierung minnebedingten Schweigens, sondern die Untersuchung seiner Funktion im jeweiligen Text und in jenem größeren Kommunikationszusammenhang, der sich durch Autor, Hörer und die Tradition der Gattung konstituiert und in der Aufführungssituation des Einzelliedes kristallisiert. […] Da das Schweigen in der Minnedichtung in vielfältiger Weise sowohl inhaltlich-thematisch dargestellt als auch als Mittel der Darstellung wirksam wird, verbieten sich ohnehin sowohl eine Festlegung des Untersuchungsgegenstandes als Motiv, Thema oder Topos als auch die Beschränkung auf nur eine Untersuchungsmethode.« Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985), S. 11 f.
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nimmt dadurch eine Differenzierung vor, die sich in meiner Arbeit nur bestätigt. Die lyrische Thematisierung des Schweigens kann sowohl aus poetologischen wie inhaltlichen Gründen, aber auch in bezug auf die Rezeption nur sehr bedingt mit dem in epischem Kontext realisierten Schweigen verglichen werden. Denn auch da, wo es in der Erzählung anzitiert wird, ist es erzählerischer Topos, der im neuen Kontext nichts zu tun hat mit dem rhetorischen Schweigen oder dem Schweigemotiv im Minnesang, außer dass er diese zitiert. So ist Wallmanns Untersuchung als Ergänzung und Ausblick in den hier ausgeklammerten Bereich von Minnesang und Minnerede in vielem aufschlussreich, ohne dass aber methodologisch oder selbst thematisch direkte Verbindungen hergestellt werden müssten. In ihrer Studie zum Schweigen im französischen Artusroman erkennt James-Raoul eine Rhetorik des Schweigens, in deren Rahmen der Roman selber als direktester Ausdruck von Schweigen verstanden ist.52 Der bestimmende Kern der Erzählung sei Schweigen und in Analogie zum arturischen Helden, der sich gegen das Schweigen durchsetzen müsse, müsse sich die Erzählung dagegen bewähren. Das Verstummen des Protagonisten schließe sich mit dem Reden des Erzählers poetologisch zusammen, indem sie sich ausschließend bedingten: hat der Held ins Wort gefunden, hat die Erzählung ein Ende. Auf der Folie dieser Grundannahme analysiert sie Texte aus dem Umkreis der französischen Artusliteratur, wobei sie in drei Hauptteile gliedernd ein ausschließendes, nicht mehr kommunikatives Schweigen, ein zwischen verschiedenen Welten vermittelndes Schweigen und ein rhetorisches Schweigen unterscheidet. Dabei weist sie nur äußerst knapp auf Traditionszusammenhänge monastischer, didaktischer oder mythischer Art hin, da es ihr weniger um diese Linien, als um eine Realisierung dessen geht, was über die Schweigeformen des Artusromans an Kommunikations- und Wahrnehmungswelten fassbar wird. Im Gegensatz zu Roloff und Ruberg, die beide unter dem Aspekt des Schweigens Gesamtinterpretationen einzelner Werke vorstellten, versammelt James-Raoul aus dem Werkganzen gelöste Textstellen unter übergreifenden Fragen. Damit entscheidet sie sich, wie auch die vorliegende Studie, für eine Darstellung, die durch eine textübergreifende Zusammenschau der grenzübergreifenden Untersuchung, die die Poetik des Textes als Poetik der Kultur liest, gerecht wird. Gerade in dieser methodischen Darstellungsstruktur zeigt sich deutlich die im Vergleich 52 James-Raoul, La parole empêchée dans la littérature arthurienne (1997). Das Buch erschien nach Abschluss der vorliegenden Arbeit.
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zu den Studien von Roloff und Ruberg veränderte Fragestellung. Zielte dort die Frage immer letztlich auf eine Deutung des einzelnen Werks, geht es in neuerer Forschung nicht mehr um eine Erklärung des Werks, sondern um das Aufzeigen von Erklärungsstrukturen, von Deutungsmöglichkeiten, von Sinnzusammenhängen, die über das Einzelwerk hinaus in größere Kulturzusammenhänge weisen. Jedoch liegt die Gefahr einer solchen Zusammensicht darin, dass sich die einzelnen Werke verwirrend und den Gedankengang verunklärend ineinanderschieben können. Deshalb ist es notwendig, die in einer solchen Zusammenstellung vereinigten Werke zu begrenzen und so auszuwählen, dass sie sich problemlos und offensichtlich nebeneinander stellen lassen. Dabei sind sowohl rezeptionstheoretische, gattungsspezifische als auch inhaltliche Kriterien zu beachten; eine Vorsichtsmassnahme, die die Studie von James-Raoul zu wenig streng eingehalten hat, so dass es im Einzelnen zu verunklärenden und verwirrenden Zusammenschließungen und Parallelsetzungen kommen konnte. Vieles, was bei James-Raoul in bezug auf die französische Artusliteratur thematisch aufgegriffen ist, wird auch in der vorliegenden Arbeit beleuchtet. Doch versucht diese, anders als dort, von einer theoretischen Begründung der Schweigebilder und -vorstellungen auszugehen, um in diesem Spiegel kulturelle Wahrnehmungs- und Verstehensmuster zu erkennen, wie sie als Grundbilder auch im höfischen Roman fassbar werden. Dabei greife ich stärker als James-Raoul auf Traditionslinien zurück, wie sie unter anderem bei Roloff und Ruberg Thema sind, wobei dann in der Diskrepanz zu tradierten Mustern die neuen Bilder erkennbar werden sollen. Die Interpretationsarbeit richtet sich so nicht auf die ganzen Werke, um diese mit Hilfe mentalitäts- oder geistesgeschichtlicher Vorstellungen zu erklären, sondern auf die topisch aufgenommenen Schweigeszenen, um darin die feinen Verschiebungen wahrzunehmen, die die neue Erzählung von der bekannten Erzählung lösen.53 Die Arbeiten von Roloff und Ruberg zeigen materialreich Traditionslinien einzelner Schweigevorschriften sowie motivgeschichtliche
53 Bei Geertz findet sich in bezug auf die ethnologische Untersuchung von Kultur eine Warnung davor, »symmetrische Bedeutungskristalle« herauszuarbeiten, »denen nichts mehr von der Komplexität der Materie anhaftet« sowie der Hinweis, dass es nicht darum gehen könne, »den Kontinent Bedeutung zu entdecken und seine unkörperliche Landschaft zu kartographieren.« Geertz, Dichte Beschreibung (1987), S. 29 f. Dies ist sehr direkt auf die literaturwissenschaftliche Interpretationsarbeit zu übertragen.
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Zusammenhänge auf und öffnen dadurch den Blick für die geistesgeschichtlichen und anthropologischen Hintergründe einzelner Schweigeformen. Die Frage nach der diskursiven Situierung und darin Loslösung des Phänomens aus der Traditionslinie, die Frage nach der poetischen Potenz des einzelnen Falles, der Einzeldarstellung, wird aber kaum gestellt. Da liegt die Aufgabe einer neuen Studie. Der Schweigediskurs um 1200 ist aufs engste verknüpft mit monastischer, höfischer, theologischer, sprachtheoretischer Tradition, wird aber erst da in seiner Eigenart fassbar und interessant, wo er sich in Auseinandersetzung mit und kritischer Distanzierung von dieser Tradition konturiert. In der erzählenden Literatur bietet sich wie nirgends sonst die Möglichkeit, Gesetzmäßigkeiten im poetischen Spiel zu negieren, Regeln zu brechen und den Blick auf die Welt, damit auch diese selber zu verändern. Ein Desiderat liegt denn darin, den Deutungsrahmen, der durch die Arbeiten von Roloff und Ruberg gesetzt wurde, neu aufzubrechen, um über die in den höfischen Romanen dargestellten Schweigeformen kulturhistorische Veränderungen zu erkennen, den Bruch tradierter Muster. So soll in der vorliegenden Arbeit nicht in erster Linie die tradierte Deutung in den dargestellten Schweigeformen interessieren, sondern die poetische Potenz entdeckt werden, über die die Wahrnehmung neu geformt wurde und sich Weltbilder neu konstituierten.
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2. Ziel und Aufbau der Arbeit
Anders als die Arbeiten von Ruberg und Roloff, die das Schweigen als Zeichen in einem Kommunikationszusammenhang, Motiv in einer Erzähltradition oder bedeutendes Attribut einzelner Figuren untersuchten, um darin einen Schlüssel zur Werkinterpretation zu finden, fragt die vorliegende Arbeit nach der Deutung des Schweigens in kulturund diskursgeschichtlichem Kontext. So geht es darum zu zeigen, wie das Schweigen in den hier untersuchten Romanen erst als Teil einer umfassenderen kulturellen Deutungsstruktur zeichenhaft werden kann, da nur darin die Wahrnehmung des einzelnen Phänomens überhaupt möglich ist. Die Frage zielt so nicht wie in den bisherigen Untersuchungen auf das Schweigen im höfischen Roman als Ausdruck sozial- und mentalitätsgeschichtlicher Größen, als Mittel der Gesamtdeutung der Werke oder als literarisches Motiv, das Traditionszusammenhänge oder anthropologische Grundkonstanten veranschaulicht, sondern auf die Wahrnehmung des Schweigens als Ausdruck gedanklicher Konstellationen. Die Arbeit ist somit nicht Interpretationsarbeit in dem Sinn, dass sie die Sinnfrage werkimmanent stellt und Antworten gibt auf die Bedeutung des Schweigens im »Parzival« Wolframs von Eschenbach oder im »Tristan« Gottfrieds von Strassburg. Die Interpretationsleistung zielt dahin, aus den überlieferten literarischen Texten, im Verweis auf und Vergleich mit theoretischen und praktischen Texten, das Profil einer gedanklichen Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Schweigens in der Zeit um 1200 zu geben. Es ist insofern eine kulturwissenschaftliche und kulturhistorische Arbeit, als sie nach dem kulturellen Bild eines Phänomens fragt, nach den Formen seiner Wahrnehmung und Darstellung, wie sie sich nach den Möglichkeiten zeitgemäßer Diskurse in der Literatur spiegeln. Dabei wird die strenge hermeneutische Auslegung des einzelnen Textes kombiniert mit dem intertextuellen Bezug, der sich nicht nur auf andere Textsorten und Traditionsstränge richtet, sondern auch auf mentalitäts- und sozialgeschichtliche Zusammenhänge hinweist, wo diese für die Wahrnehmungs- und Darstellungsmodi bedeutsam sind. Der Blick kehrt sich um: Es wird nicht von sozial-, mentalitäts-, und literarhistorischen Größen her nach dem Schweigen als weiterem Ausdruck dieser Gegebenheiten gefragt, sondern, von der Deutung des Schweigens in verschiedenen Diskursen ausgehend, nach den prägenden Vorstellungs32
Ziel und Aufbau der Arbeit
mustern, um von daher dann die einzelne literarische Formung erst zu deuten. Diese wird nicht nur als Beweis sozial- oder mentalitätsgeschichtlicher Tatsachen sowie geistesgeschichtlicher Ideen gelesen, sondern als Ort kultureller und intellektueller Bewegung, wenn nicht Unordnung wahrgenommen, gerade in Diskrepanz und Spannung zu tradierten, bestimmenden Mustern. Indem die Spannung zwischen festgeschriebener Schweigetopik, traditionellen Schweigemodellen und -situationen und der jeweiligen Realisierung in den höfischen Texten aufgezeigt wird, soll die differenzierte Wahrnehmung und Thematisierung des Schweigens im höfischen Roman um 1200 deutlich werden, damit aber auch die intellektuelle Sprengkraft literarischer Darstellung gegenüber tradierten kulturellen Mustern. Dabei soll einerseits durch die Gegenüberstellung ähnlicher Schweigemomente in den verschiedenen Romanen die musterhafte Gedankenkonstellation aufgezeigt werden, in deren Rahmen Schweigen wahrgenommen wird, anderseits in der Differenz zum Muster dann die je eigene Verwendung der Schweigeformen in den verschiedenen Romanen deutlich gemacht werden. Denn nur die konsequente Parallelsetzung vergleichbarer Szenen schärft den Blick so, dass auch feine Verschiebungen von einem Werk zum andern, von einer Szene zur nächsten wahrgenommen werden können.54 Der erste Teil der Arbeit gilt dem Versuch, die in der für die untersuchte Zeit relevanten theoretischen Literatur fassbaren Vorstellungs- und Denkmuster in bezug auf das Schweigen nachzuzeichnen und intellektuelle Strukturen zu skizzieren, die sich um das Thema des Schweigens bildeten. Dahinter steht die Idee, dass das Schweigen über seine Wahrnehmung konstituiert wird, eine Wahrnehmung, die ihrerseits geleitet und definiert ist durch kulturelle Vorstellungs- und Denkmuster. Im Blick auf die Tradition von Grammatik, Rhetorik und Sprachphilosophie wird auf die wichtigsten topischen Momente innerhalb der Sprachreflexion hingewiesen, an denen die Thematisierung des Schweigens anknüpfte und sich die Schweigereflexion entzündete. Dabei ist
54 Im Sinne Isers wird so das »Fiktive als Mobilisierung des Imaginären im literarischen Text« (S. 380) verstanden. Und wenn Iser schreibt: »Die Kombination hat konventionsstabilisierte Bezeichnungs- und Repräsentationsfunktionen zu ihren Vorgaben, die – in die Latenz gedrückt – Relationierbarkeit als Anderswerden freisetzen«, versucht die vorliegende Arbeit, das Spiel zwischen diesen Vorgaben und der Freisetzung verändernder Relationierbarkeit aufzuzeigen. Iser, Das Fiktive und das Imaginäre (1993), S. 401. Vgl. auch ebd. S. 402.
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Schweigen als ein akustisch wahrnehmbares Phänomen verstanden, das sich im Gegensatz zu artikulierter Sprache konstituiert. In der Verschränkung von sprachtheoretischem und theologischem Diskurs entpuppen sich die über die Sprachreflexion definierten Angelpunkte der Auseinandersetzung mit dem Schweigen dann auch als Kernpunkte der christlichen Weltdeutung. Darin wird die Welt, als von Sprache geprägtes, als sprachliches Gebilde, nicht nur in Differenz zu der nicht mehr sprachlich fassbaren Ewigkeit gesetzt, sondern auch als Kontext des sich in ihr manifestierenden Schweigens gezeichnet. So zeigt sich, dass die in Sprachtheorie, Rhetorik und Grammatik fassbaren Schweigereflexionen Ausdruck kultureller Sinnkonstitutionen sind, die ihrerseits wieder durch die sprachtheoretischen Überlegungen gefestigt werden.55 Es ergibt sich dadurch die Möglichkeit, anhand ausgewählter sprachtheoretischer Textstellen größere kulturelle Denksysteme aufzuzeigen. Dabei geht es bei der Lektüre dieser Schriften, die im Raum der lateinischen Kulturtradition entstanden sind und sich bewusst um die didaktischen und exegetischen Bemühungen innerhalb dieser Kultur gruppierten, nicht um die Darstellung der ihnen je immanenten logischen Gesamtstruktur, um Interpretationen der ganzen Texte, sondern um das Aufzeigen von Denkmustern, in denen sich die Wahrnehmung des Schweigens ausprägte, um das »imaginierte Orientierungssystem«, wie Blumenberg es nannte.56 Der oft sehr unterschiedliche Kontext der beigezogenen Textstellen ist für diese Frage nicht von Belang. Denn es geht darum, über die spätantike und lateinische mittelalterliche Tradition hinaus wirksame Denkstrukturen in bezug auf das Schweigen zu skizzieren, deren Mechanismen unabhängig von Kontext und spezifischer Deutung spielten. Und so geht es 55 Dabei wird ein von Blumenberg in bezug auf die Metapher formulierter Gedanke in einem weiteren Sinn auf die sprachlich-bildhafte Darstellung bezogen: »Es zeigt sich plötzlich, dass die einzelne Metapher zu einem Orientierungssystem gehört und dieses anzeigt, dass aber zugleich die Latenz des Hintergrundes auch durch die vermeintliche Evidenz der Metapher gesichert und abgeschirmt wird.« Beobachtungen an Metaphern (1971), S. 192. Wenn ich die Überlegungen Blumenbergs zur Metapher auch auf die fiktionale Imagination im literarischen Text beziehe, lehne ich mich an Überlegungen Ricoeurs an, der in der Metapher das Paradigma für die Erklärung eines literarischen Werkes sieht. Ricoeur, Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik (1983), S. 367. 56 Blumenberg, Beobachtungen an Metaphern (1971), S. 192. Der Begriff, bei Blumenberg im Zusammenhang seiner Metapherntheorie entwickelt, bezeichnet sehr genau das, was ich – den Rahmen der Metaphorik sprengend – für die Wahrnehmungskonstituierung und -lenkung durch sprachlichen Ausdruck geltend machen möchte.
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Ziel und Aufbau der Arbeit
auch nicht darum, direkte Einflüsse dieser Schriften auf den volkssprachlichen höfischen Roman herauszuarbeiten, sondern darum, »Orientierungssysteme«, wie sie sich in den theoretischen Reflexionen finden, als Interpretationshilfen für die Erzähltexte bereitzustellen. Die Art, wie das Schweigen in der Theorie definiert und zu anderen Dingen in Bezug gesetzt wurde, hilft, das in den Romanen inszenierte Schweigen zu fassen.57 Die mittelalterliche Sprachtheorie kennt das Schweigen nicht als eigenes Thema, sondern spricht es höchstens in Nebensätzen an. Der Versuch, das Schweigen aufgrund dieser Texte zu fassen, kann sich also nicht auf eine fest definierte Begrifflichkeit stützen, sondern muss die Sprachtheorie gegen den Strich, als Schweigetheorie lesen. Eine Definition von Schweigen muss aus verschiedenen Schweigebildern extrapoliert werden, indem sozusagen das Skelett der Schweigevorstellungen gesucht wird. Vor allem im Blick auf sprachtheologische und rhetorische Vorstellungen drängt sich dafür eine Unterscheidung in Schweigen vor dem Reden, Schweigen zwischen dem Reden und Schweigen nach dem Reden auf,58 obwohl in einer solchen Gliederung auch ein Systemzwang steckt, der eindeutige Zuordnungen verlangt, wo eine gewisse Ambivalenz gewahrt werden müsste. Im zweiten Teil wird dann eine Systematik der Schweigeformen in den hier untersuchten höfischen Romanen unternommen. Dafür wird einerseits auf das im ersten Teil gewonnene Schweigeverständnis zurückgegriffen, anderseits praktische Literatur aus dem Bereich der höfischen Didaxe sowie der monastischen und homiletischen Schriften als Deutungshorizont herangezogen. Die stark in traditionelle und traditionsfestigende Leitlinien gebundenen, zu Vorschriften und Verhaltensregeln gefrorenen Schweigebestimmungen der didaktischen und
57 Damit nähert sich die hier angestrebte Darstellung verschiedener Deutungsmöglichkeiten des Schweigens, wie sie in den theoretischen Texten sichtbar werden, der von Geertz geforderten »dichten Beschreibung« an. Diese ist »keine experimentelle Wissenschaft, die nach Gesetzen sucht, sondern eine interpretierende, die nach Bedeutungen sucht.« Dichte Beschreibung (1987), S. 9. 58 Eine Unterscheidung, wie sie auch in neuerer Forschung zum Schweigen, v. a. im philosophischen Bereich zu finden ist. Vgl. Dauenhauer, Silence (1980), der zwischen »intervening silence«, »fore-and-after silence« und »deep silence« unterscheidet. Während er »intervening silence« v. a. auf die rhythmisierte Pause einschränkt und »fore-and-after silence« nicht nur zusammenzieht, sondern auch als Schweigen zwischen einzelnen Äußerungen sieht, versucht er mit dem Begriff »deep silence« das sprachlose Schweigen zu fassen.
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monastischen Literatur werden aber nicht als Mittel der Kategorisierung des in der Literatur dargestellten Schweigens gebraucht. Sie dienen lediglich zur Illustration des musterhaften Traditionszusammenhangs, zur Zeichnung des kulturell gefestigten Rahmens, nicht zur Erkennung der feineren, den Rahmen erodierenden Nuancen. Vor allem in zeitgenössischen homiletischen Texten und Sündentraktaten ist ein Interesse an einer differenzierenden Betrachtung des Schweigens zu bemerken, das auf eine Wachheit für die Schweigeproblematik weist, die den traditionellen Rahmen der Schweigedidaxe und monastischen Schweigereflexion sprengt.59 Und so ist auch die Schweigedarstellung in den hier untersuchten höfischen Texten in ihrer reflektierten Differenziertheit nicht mit den Kriterien der Erziehungsliteratur zu fassen. Der schematisierende Überblick soll den Schweigebegriff, wie er in den hier untersuchten Romanen fassbar wird, in seinen einzelnen Facetten verdeutlichen, um so der Begrifflichkeit der in größerem Kontext interpretierenden Abschnitte der zwei letzten Teile Klarheit zu geben. Gleichzeitig kann dieser »Schweigekatalog« aber auch als ein Nachschlagewerk für das im höfischen Artus-, Grals- und Tristan-Roman thematisierte Schweigen dienen, eine Art Topik des Schweigens. Indem sich der Katalog ausdrücklich nur auf die in den untersuchten Werken fassbaren Schweigeformen bezieht, kann sich dann auch die Frage nach einer gattungs- oder stofftypischen Schweigedarstellung stellen. Die im zweiten Teil systematisierte und katalogisierte Liste von Schweigeformen im höfischen Roman will in erster Linie Instrument sein für die genauere Interpretation im dritten und vierten Teil der Arbeit. Denn da soll das, was im zweiten Teil schematisierend knapp zusammengestellt ist, in seiner komplexen Realisierung im Text analysiert werden. Es zeigt sich, wie stark die Thematik des Schweigens in einem größeren kulturgeschichtlichen Zusammenhang verstanden werden muss, aber auch, wie die literarische Darstellung der praxis59 Iser betont diesen Unterschied, wenn er zwischen literarischen Texten und zweckgerichteten, pragmatischen Texten unterscheidet: »Deshalb wird ein aktiviertes Imaginäres als Spiel dort ungleich variantenreicher, wo die mobilisierende Instanz nicht von vornherein die transitorische Spielbewegung für das Verwirklichen vorgegebener Ziele nutzt. […] Folglich […] funktioniert [das Fiktive] als Instanz, Imaginäres über seinen pragmatischen Gebrauch hinaus erfahrbar zu machen, ohne von dessen ›Entfesselung‹ überschwemmt zu werden, wie etwa im Traum oder in Halluzinationen.« Das Fiktive und das Imaginäre (1993), S. 381.
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Ziel und Aufbau der Arbeit
orientierten Auseinandersetzung mit dem Thema in dem Sinne voraus ist, dass sie sich stärker von tradierten Vorstellungsmustern lösen kann.60 Die Schweigevorstellungen in homiletischer, exegetischer und monastischer Literatur sind Ausdruck einer christlich überformten Schweigewahrnehmung. Antithetische Grundmuster wie Hell-Dunkel, Zeitlich-Zeitlos, Innen-Außen, Gestaltet-Formlos, Bewegt-Unbewegt bestimmten nicht nur die sprachtheoretischen Überlegungen zu Reden und Schweigen, sondern prägten die ganze Schweigemetaphorik, wie sie sich in der christlichen Tradition ausbildete. Auf diesem Hintergrund ist denn die Schweigeinszenierung und -darstellung im höfischen Roman zu verstehen. Die in den hier untersuchten höfischen Romanen festzustellende Verknüpfung des Schweigens mit gewissen Orten und Zeiten, diese innerliterarische Topographie, kann so in den Horizont allgemeinerer Vorstellungsmuster der Zeit gestellt werden, ohne dass direkte Einflüsse zwischen den verschiedenen Textgattungen – den theoretischen und theologischen Schriften und dem volkssprachlichen Roman – angenommen werden müssen.61 Sowohl theologische, vor allem exegetische, liturgische und monastische Texte, als auch volkstümliche und abergläubische Vorstellungen lassen die Denkmuster erkennen, die diese Räume und Momente zu spezifischen Schweigeorten und -zeiten machten. Für die Erschließung dieser übergreifenden Muster und Horizonte ist die Metaphorik von entscheidender Bedeutung. Da sich in der Metaphorik nicht nur eine spezifische Wahrnehmung manifestiert, sondern auch eine Weltsicht konstituiert, kann die Metapher, in deren Bildlich-
60 Iser sieht in dem Zusammenspiel von Fiktivem und Imaginärem einen Vorgang von Möglichkeitenkonturierung durch »genichtete Realitäten, die deswegen genichtet werden können, weil sie ihrerseits realisierte Möglichkeiten sind« und meint, dass die Inszenierung dieses Vorgangs deshalb »in der Literatur so paradigmatisch erfolgen kann, weil hier das Fiktive die Aktivierung des Imaginären als ein von lebensweltlicher Pragmatik entlastetes Widerspiel entfaltet.« Das Fiktive und das Imaginäre (1993), S. 404. 61 Es geht um eine Kombination dessen, was Thomas Greene »allegorische Hermeneutik« und »archäologische Hermeneutik« nennt. Assmann, Zur Metaphorik der Erinnerung (1993), Anm. 33. Ich lehne mich dabei auch an den kritischen Intertextualitätsbegriff Stierles an, der von einem Horizont des einzelnen Werks spricht, auf den aber nicht nur durch »Verweisung« hingewiesen werde, sondern durch »ästhetische Vergegenwärtigung«. Werk und Intertextualität (1983), S. 14. Doch verstehe ich den intertextuellen Bezug offener als Stierle, oder anders: berücksichtige stärker und ohne scharfe Differenzierung auch die Relation, die er »Sachbezug« nennt (S. 16).
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Einführung
keit sich die verschiedenen Diskurse verschränken, als Passepartout dienen, der die verschiedenen Bereiche menschlichen Denkens erschließt. In ihr verbinden sich theologische Texte mit dem höfischen Roman, Grammatik mit höfischer Didaktik, Liturgie mit Aberglauben.62 Die Schweigemetaphorik bietet über ihre Bildlichkeit Verständnishilfe für die Wahrnehmung des Phänomens. Denn durch die Metaphorik öffnen sich Assoziationsräume, in denen sich die Schweigeformen im höfischen Roman über die in didaktischer und monastischer Literatur festgelegten Regeln und Bestimmungen hinaus erklären. In den letzten zwei Teilen der Arbeit geht es darum, diese Assoziations- und Konnotationshorizonte aufzuspannen, vor denen die einzelnen Schweigeformen erst bedeutsam werden.63 Dass dabei die Sinngebung oft nicht eindeutig ist, sondern gerade in ihrer schwebenden Vieldeutigkeit bedeutsam wird, hängt mit dem Assoziationsnetz zusammen, das sich in den einzelnen Schweigemomenten auftut. Es ist gerade nicht die logische Verknüpfung, die Sinn produziert, sondern die freie Verbindung, wobei diese freie Verbindung ihrerseits bestimmt ist durch kulturelle und tradierte Muster; die Willkür ist durch den engeren Kontext sowie die Anreihung an gleiche oder ähnliche Schweigebilder eingeschränkt.64 Geistesgeschichtliche und mentalitäts- wie sozialgeschichtliche Fragestellungen werden so nicht nur miteinander verknüpft, son-
62 »denn die Metapher homogenisiert einen Kontext von einer Orientierung her, sein Verständnis auf diese hin.« Blumenberg, Beobachtungen an Metaphern (1971), S. 191. 63 Bei Blumenberg heißt es: »Haben wir einen Kunstbau spekulativer Aussagen vor uns, so wird die Interpretation uns erst dann ›aufgehen‹, wenn es uns gelungen ist, nachvollziehend in den Vorstellungshorizont des Autors einzutreten, seine ›Übertragung‹ ausfindig zu machen. Gerade dadurch unterscheidet sich ja der genuine Denker von seinen scholastisierenden Epigonen, dass er sein ›System‹ in der lebendigen Orientierung hält, während der Schulbetrieb die Begriffe zu einer eigensinnigen Atomistik ›entwurzelt‹. Solche Übertragungen, die wir Hintergrundmetaphorik nennen können, werden wir im interpretierenden Vollzug freilich nur im Spielraum einer gewissen Typik wiederzuerwecken vermögen.« Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), S. 69. Und Ricoeur lenkt die Aufmerksamkeit auf das »semantische Ereignis als auf den Schnittpunkt mehrerer semantischer Linien.« Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik (1983), S. 367. 64 Stierle schreibt: »Werke sind nicht unendlich bedeutungsoffen. Es sind Äquivalente von Aufmerksamkeitsleistungen. Im Gegensatz zur unendlichen Komplexität und Offenheit des alltäglichen Lebens ist das Werk eine Ausgrenzung, bei der sich für den Leser Entlastung der Aufmerksamkeit vom ›quer Einschiessenden‹ mit Steigerung der Aufmerksamkeit verbindet.« Werk und Intertextualität (1983), S. 15.
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Ziel und Aufbau der Arbeit
dern in ihrer Formulierung verändert. Es geht nicht mehr darum zu fragen, welches Wissen um 1200 zur Verfügung stand, um damit die Schweigestellen in den Texten zu erklären, sondern darüber hinaus auch zu fragen, welche Gedankenverbindungen – auch assoziativer Art – aufgrund einer bestimmten bildlichen Konstellation sich ergeben konnten.65 Daran schließt sich die poetologische Frage nach den Mitteln an, die verwendet wurden, um die Vorstellungen der Zuhörer zu steuern, der freien Assoziation eine Richtung zu geben, ein Sinnnetz aufzuspannen. Es sind vor allem räumliche und zeitliche Anordnungen, die hier eine Rolle spielten. Nacht, Mittag, Wald und geschlossener Raum sind Zeiten und Orte, in denen sich je eigene Konnotationsstränge an das Schweigen anbinden ließen. Entsprechend bilden sie in den höfischen Romanen den Rahmen für die verschiedenen Schweigeformen, die, so eingebunden, über ihre enge Bedeutung kommunikativer oder didaktischer Art hinausweisen. Dabei zielt die Frage vor allem auch auf die poetische Potenz der Schweigeszenen, auf die darin enthaltenen und eingefassten Assoziationsreihen, wie sie sich im Kopf des Hörers oder Lesers entwickeln konnten und durch die Darstellungskunst des Erzählers gesteuert wurden. Es geht also nicht um die Deutung, nicht um ein Wissen, sondern um die Deutungsmöglichkeiten und das Spiel mit diesen Möglichkeiten, wie es sich in der poetischen Kunst ausdrückt: das Spiel des Erzählers auf der Klaviatur der möglichen Assoziationen im Kopf des Zuhörers. Methodologisch ist dies neues und schwieriges Gelände. Nicht zuletzt deshalb, weil es nicht in erster Linie um logische Verbindungen geht, sondern um jene scheinbar kontingenten Zusammenhänge, die innerhalb eines kulturellen Kontextes im sinnsuchenden Verstand entstehen. Mittel, diese latenten und nicht explizit benannten Zusammenhänge zu fassen, ist der sprachliche Ausdruck als Ausprägung einer Wahrnehmung, aber auch Prägung dieser Wahrnehmung. Es ist das Reden über das Schweigen, wie es in der sprachtheoretischen, theologischen und didaktischen Literatur immer wieder nur im bildlichen Ausdruck möglich ist, das darauf hinweist, wie das Phänomen eingeordnet und gedeutet wurde. Es ist die Metapher, in der sich die Asso-
65 »Nicht nur die Sprache denkt uns vor und steht uns bei unserer Weltsicht gleichsam ›im Rücken‹; noch zwingender sind wir durch Bildervorrat und Bilderwahl bestimmt, ›kanalisiert‹ in dem, was überhaupt sich uns zu zeigen vermag und was wir in Erfahrung bringen können.« Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), S. 69.
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Einführung
ziationsreihe anzeigt.66 Dabei sind es immer wieder dieselben Bilder, die herangezogen wurden, sei es als Darstellungsmittel, sei es als Beweismittel, sei es als Erklärung. Die Metaphorik des Schweigens aber, wie sie in monastischen und sprachtheoretischen Schriften begegnet, schließt sich über das Bild mit der im höfischen Roman inszenierten Schweigeszene als erzähltem Bild zusammen. So wird verbindendes Element zwischen den theoretischen und moraltheologisch ausgerichteten Texten und den volkssprachlichen Erzählungen die metaphorische Sprache. Im sprachlichen Bild verschränken sich die verschiedenen Deutungen des Schweigens und prägen dessen Wahrnehmung, die sich durch Verschiebungen im Bild verändern kann. Deshalb versucht die vorliegende Arbeit, die Schweigeszenen, die Schweigeformen und -gesten, die in den höfischen Romanen vorkommen, in Parallelität zu Schweigebildern anderer Textgattungen zu setzen, um so die Konnotationsmöglichkeiten zu verdeutlichen. Dabei handelt es sich um Texte, in denen sich grundlegende Deutungsmuster der Zeit abzeichnen, so dass die darin festgelegten Schweigebilder als Ausdruck solcher Grundvorstellungen gesehen werden können. Diese Grundvorstellungen, Denkmuster und Wahrnehmungsstrukturen konnten sich in ganz verschiedenen Texten realisieren, sich in ganz verschiedene intratextuelle logische Linien einreihen, auch je nach Belichtung eine andere Erscheinung annehmen, sind jedoch in jeder Form bestimmt durch den Bezug zum tradierten Bild. In dieser Spannung zum festen Muster bricht auch die poetische Potenz der Schweigeszenen im höfischen Roman hervor. Das nachzuzeichnen, das aufzuzeigen ist Aufgabe und Ziel dieser Arbeit.67 Die verschiedene Aspekte und Diskurse verschränkende Methodik birgt darstellungstechnische Probleme. Die differenzierte Gliederung 66 Blumenberg spricht von »metaphorischer Sichtlenkung«. Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), S. 75. In bezug auf das Gedächtnis sagt Weinrich – und dies ist für das Schweigen zu übernehmen: »Wir können einen Gegenstand wie die Memoria nicht ohne Metaphern denken. Metaphern, zumal wenn sie in der Konsistenz von Bildfeldern auftreten, haben den Wert von (hypothetischen) Denkmodellen.« Metaphora memoriae (1964), S. 294. 67 Damit knüpft die Untersuchung in bezug auf den Erzähltext an die Metaphorologie im Sinne Blumenbergs an: »die Metaphorologie sucht an die Substruktur des Denkens heranzukommen, an den Untergrund, die Nährlösung der systematischen Kristallisationen, aber sie will auch fassbar machen, mit welchem ›Mut‹ sich der Geist in seinen Bildern selbst voraus ist und wie sich im Mut zur Vermutung seine Geschichte entwirft.« Paradigmen zu einer Metaphorologie (1960), S. 11.
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Ziel und Aufbau der Arbeit
der Gesten und Formen des Schweigens im zweiten Teil ist deshalb schwierig, da die feinere Systematisierung erst durch die Interpretation möglich wird – das heißt die Kürze der Systematik muss immer wieder auf die Länge der Erläuterung hin geöffnet werden. Und da die im zweiten Teil definierten Schweigeformen in den zwei letzten Teilen dann unter den Aspekten von Ort und Zeit in eingehende Interpretationen und Deutungen eingebunden sind, zum Teil sowohl unter ›Zeit‹ als auch unter ›Ort‹ betrachtet werden, besteht die Gefahr der Wiederholung. Ohne diese ganz bannen zu können, sind deshalb nicht nur im zweiten Teil die Interpretationen äußerst knapp gehalten, sondern auch im dritten und vierten Teil Überschneidungen wenn möglich vermieden. Das heißt aber, dass einzelne Textstellen sich in ihren verschiedenen Interpretationsschichten dem Leser nicht nur an einer Stelle in der Arbeit darbieten, sondern, je nach Aspekt, mehrfach zitiert werden können. Wer also einen übersichtlich gegliederten Katalog erwartet, wird genauso enttäuscht wie der, der auf der Suche nach einer Erklärung von Parzivals verhängnisvollem Schweigen vor dem Gral in schnellem Zugriff die Antwort finden will. Während der erste sich auf die schillernde Systematik einlassen muss, in deren Interpretationsreihen sich die Eindeutigkeit so oft bricht, wie ein Schweigen ambivalent ist, muss der zweite sich darauf einlassen, Parzivals Schweigen im Kontext verschiedenster Sinnzusammenhänge wiederzufinden, um so das Puzzle der Deutungen, wie es hier ausgelegt ist, in seinem Kopf zu ergänzen. Hinter dieser formalen Zersplitterung einzelner Textstellen steht aber auch die Idee, dass sich kein fertiges Bild der Schweigeformen in der höfischen Erzählung zeichnen lässt, sondern die Schweigesituationen und -formen sich kaleidoskopartig in verschiedenen Mustern wiederfinden, je nach Drehung der Hand des Lesers. Ich hoffe, etwas von dieser Faszination des Veränderbaren im festen Muster auch durch den Aufbau der Arbeit sichtbar machen zu können. – Und mit Hilfe des Stellenregisters am Schluss lassen sich die verschiedenen Interpretationsfiguren leicht zusammensetzen.
Textauswahl Die in dieser Arbeit verfolgte Frage nach den Assoziationshorizonten, die sich hinter den Schweigeszenen im höfischen Roman aufschlagen, verlangt eine Einschränkung des untersuchten Textmaterials auf sowohl von der Rezeption wie von der Erzähltechnik her vergleichbare Werke. Deshalb fokussiert die Arbeit das erzählerische Werk von Hart41
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mann von Aue, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Strassburg, das heisst den deutschen höfischen Roman des Artus-, Grals- und Tristanstoffes um 1200 sowie das stilistisch und erzähltechnisch sich daran anschließende Werk der drei genannten Autoren. Durch die Beschränkung des Textcorpus ist das Ideal einer möglichst vollständigen und detailgenauen Analyse sowie eine enge intertextuelle Verknüpfung sowohl der Romane untereinander als auch mit außerliterarischen Texten möglich. Die je eigene Schlüsselstellung der Texte in der Geschichte des höfischen Romans – sowohl zusammenfassendes Gefäß früherer Tendenzen wie prägendes Muster für Nachfolger – macht aber, dass die an diesem Corpus herausgearbeiteten Ergebnisse als Vergleichsrahmen für ein sehr viel breiteres Spektrum höfischer Erzähltexte gelten können. Die vorliegende Arbeit will durch eine präzise Konturierung der Schweigeformen in den hier untersuchten höfischen Erzählungen um 1200 ein Instrument bieten, weitere Texte in ihrer Andersartigkeit oder Ähnlichkeit zu erkennen. Die Ergebnisse, die sich aus dieser Untersuchung eines ausgewählten Ausschnitts höfischer Literatur um 1200 ergeben, sollen exemplarisch und paradigmatisch den Blick auf das Schweigen in anderen Formen höfischer Erzählliteratur der Zeit schärfen. Auf ihrer Grundlage kann die Frage gestellt werden, inwiefern die Darstellung und Inszenierung des Schweigens in anderen Dichtungsarten, dem Antikenroman, dem höfischen Heldenepos, der Brautwerbungsdichtung gerade auch zum Index ihrer Alterität werden kann. Am Beispiel des Nibelungenlieds wird in Form eines »Ausblicks« zum Schluss kurz skizziert, wie die hier vorliegenden Erkenntnisse für weitere Werkbetrachtungen aufschlussreich sein können. Aus der Untersuchung selber ist das höfische Heldenepos aber ausgeklammert.68 Denn das Heldenepos, das bei aller höfischen Formung einen grundlegend anderen Erzählgestus hat, kann nicht problemlos in die hier angestrebte, gegenseitig sich erklärende Parallelisierung einbezogen werden, die entschieden nicht werkbezogen vorgeht. Durch die Strophenform, die in ihrer blockhaften Zusammenfassung des Erzählten im Ausdruck oft der Lyrik sehr viel näher kommt als dem erzählenden höfischen Roman, ist die Darstellung der Schweigeformen und -momente sowie ihre Inszenierung im höfischen Heldenepos weniger 68 Zur Geschichte der Diskussion um die Gattungsbezeichnung des »Nibelungenlieds« siehe Hoffmann, Das Nibelungelied – Epos oder Roman? (1987). Eben die Gründe, die mich zum Ausschluss dieses Textes aus der vorliegenden Untersuchung bewogen, lassen mich auch von einem ›höfischen Heldenepos‹ reden.
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Ziel und Aufbau der Arbeit
diskursiv als zeichenhaft.69 Auch nimmt die höfische Heldenepik die Mittel einer von Ort und Zeit ausgehenden Hintergrundmetaphorik, wie sie die französisch beeinflusste Erzähltradition kennt, in keinem Punkt auf. Dagegen ist sowohl der »Willehalm«, dessen Topographie sich sonst durch die Lokalisierbarkeit auf der Landkarte und historische Präsenz grundsätzlich von der Topographie des Artusromans unterscheidet, von dieser Hintergrundmetaphorik geprägt, wie auch der »Tristan«, der sich spielerisch in die Tradition des Hartmannschen und Wolframschen Werks stellt. Eine Einbindung der Heldenepik in diese Untersuchung ist so auch von diesem Aspekt her nicht sinnvoll.70 So wie die Heldenepik ist auch die Tradition der Legende und Mirakelerzählung nicht berücksichtigt und interessiert nur in ihrer höfischerzählerischen Überformung und auktorialen Bindung an Hartmann von Aue im »Armen Heinrich« und »Gregorius«. Das erklärt sich durch den nicht direkt vergleichbaren Rezipientenkreis, dann aber auch die die Legenden- und Mirakelerzählung prägenden Intentionalisierungs-, Funktionalisierungs- und Instrumentalisierungsmechanismen. Die Anbindung der Legenden- und Mirakelerzählung an den explizit geistlichen Bereich öffnet einen Assoziations- und Interpretationshorizont, der über die für den höfischen Roman geltend gemachten allgemeineren geistlichen Denkstrukturen in religiöse Kontexte eigener Prägung hinausweist, also in den Bereich der geistlichen und mystischen Dichtung, der in dieser Untersuchung nicht oder höchstens als Interpretationshilfe berücksichtigt ist. Das Schweigen im Minnesang, wie es unter anderem Wallmann untersuchte, wird hier in erster Linie aus poetologischen Überlegungen vollkommen ausgeklammert.71 Denn dieses Schweigen gehört zu einem poetischen Spiel um das Liebesreden, wie es in der höfischen erzählenden Literatur nicht vorkommt. Was im Minnesang zur Formel
69 Müller spricht von parataktischer, im Gegensatz zu kausal verknüpfender Darstellung. SIVRIT: künec – man – eigenholt (1974), S. 90. Und Wehrli braucht den Begriff der »figuralen Durchsichtigkeit« des Romans im Verlgeich zur »Geschlossenheit des Geschehens« im Heldenepos. Die Klage und der Untergang der Nibelungen (1972), S. 99. 70 Vgl. dazu auch Gillespie, Das Mythische und Reale in der Zeit- und Ortsauffassung des Nibelungenliedes (1987); Hoffmann, Das Nibelungelied – Epos oder Roman? (1987), S. 141 f. Man kann, um einen Begriff Bachtins zu brauchen, von einer Differenz der Chronotopoi sprechen. Ausführlich geht Müller auf die Raumstruktur im Nibelungelied ein. Spielregeln für den Untergang (1998), S. 297–343. 71 Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985).
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verkürzt, zur Pointe gespitzt Teil einer raffinierten Rhetorik ist, ist in der höfischen Erzählung Teil einer deutenden Darstellung, einer über Zeilen hin entwickelten Dynamik. Und Schweigen im Minnelied ist ganz anders präsentiert, dadurch auch anders rezipiert als Schweigen in der höfischen Erzählung. Denn über die Inszenierung spielt das lyrische Ich in das Ich des Sängers hinein, wird die stumme Adressatin zur Maske des Publikums und überlagern sich die poetisch-rhetorischen Pausen des Sängers mit den affektiven Pausen des lyrischen Ichs. Dazu kommt, dass sich die Pausen und Sprachabbrüche durch die Möglichkeit der Musikbegleitung in eine andere Dimension öffnen können, die der Sprachlosigkeit durch die Tonsprache eine Qualität gibt, die weder die Sprechpause noch die rhetorische Pause kennt.72 So finden sich wohl Topoi des Minnesangs wie das Verstummen vor der Geliebten oder der stumme Blicktausch in Szenen des höfischen Romans, erinnern da aber in neuem und größerem Kontext höchstens zitathaft und spielerisch an die Situation des Minnesangs. Im Gegensatz zu den Arbeiten von Ruberg und Roloff behandelt diese Untersuchung die didaktische Literatur um 1200 nicht extra, werden die darin fassbaren Schweigeregeln nicht in der größeren Tradition antiker und monastischer Erziehungs- und Verhaltenslehren gezeigt. Sie wird auch nicht als grundlegender Interpretationshintergrund aufbereitet, sondern nur punktuell herangezogen, wenn es darum geht, einzelne im höfischen Roman dargestellte Schweigegesten im normativen Verhaltenskodex, wie er in diesen Texten ideal festgehalten ist, zu deuten.73 Denn es geht nicht um eine Darstellung der Schweigevorschriften und -verhalten, wie sie sich in der höfischen Didaxe präsentieren und wie sie in je eigenen Traditionen in einer sozial-, mentalitäts- und zivilisationsgeschichtlichen Untersuchung in einen größeren Kontext gestellt werden können, sondern diese Schweigevorstellungen werden nur da bedeutsam, wo sich in ihnen eine Deutungsperspektive für die 72 Zum Problem der Aufführungspraxis und der musikalischen Gestaltung gerade auch in bezug auf die im Lied inszenierten Schweigesituationen siehe Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985), S. 21 ff. Doch zielen ihre Überlegungen etwas einsinnig auf ein Zusammenfallen von Rede- und Musikpause, wohingegen sie die Möglichkeit einer Überspielung oder besser Füllung der Sprechpause durch die Musik nicht groß bedenkt. 73 Vgl. Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 54–62; Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 26–41.
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Ziel und Aufbau der Arbeit
Schweigetopik im höfischen Roman auftut. Die dafür relevanten Texte sind in der Zeit zwischen der Mitte des 12. Jahrhunderts (»Vom Rehte«) und der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (Hugo von Trimberg, »Der Renner«) entstanden. Sie zeichnen sich aus durch eine legalistische, normierende Darstellung menschlicher Verhaltensregeln und zielen auf ein Ideal, das sich seinerseits an einer Tradition orientiert und formt, die sowohl in die antike gnomische Literatur und Pflichtenlehre wie in die patristische und biblische Literatur reicht. Die darin festgehaltenen Schweigeregeln werden im Kontext christlicher oder dann christlich geformter antiker Weltdeutung sinnvoll und regeln zwischenmenschliche Beziehungen im Blick auf diese größeren Sinnentwürfe. Auffallend und für die vorliegende Fragestellung entscheidend ist die Tatsache, dass die meisten, wenn nicht alle dieser frühen höfischen Verhaltenslehren von Geistlichen für ein adliges Publikum verfasst wurden, so dass sich darin geistliche Argumentationsmuster mit adligen Interessen verschränken. Eine Verquickung, die – und das wird die vorliegende Untersuchung der Schweigebilder und ihrer Assoziationsräume zeigen – auch die Deutungsstrukturen im hier untersuchten höfischen Roman bestimmt. Auch wenn es die Textgattungen von Didaxe und Predigt sind, bei denen einzig problemlos von einem möglichen direkten Einfluss auf die hier untersuchten Werke in bezug auf das Schweigethema zu sprechen wäre, werden sie in der vorliegenden Studie nicht stärker berücksichtigt als moraltheologische und homiletische Texte. Dahinter steht die Idee, dass sich in ihnen eben jene Deutungsmuster ausdrücken, die sich auch in der sehr viel ausführlicheren theologischen Literatur zeigen. Doch finden sich in dieser seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts auch Ansätze einer Schweigereflexion, die über die tradierten, topischen Interpretations- und Wertmuster, wie sie in der didaktischen Literatur, aber auch der noch stark von der patristischen Tradition geprägten volkssprachlichen Predigt um 1200 festgehalten sind, differenzierend hinausweisen.74 Während Predigt und Didaxe also in ihrer Traditionsgebundenheit hinter der Predigtreflexion und der Dichtung 74 Zur Frage des Einflusses theologischer Texte, vor allem Predigtliteratur auf die volkssprachige Dichtung siehe Speicher, »Vom Rechte« (1986), v. a. S. 119–128. Er weist darauf hin, dass gerade das, was die volksprachige Dichtung des 12. Jahrhunderts ausmacht, die handlungspraktisch orientierte Morallehre, in der gleichzeitigen volkssprachigen Predigt, wie sie überliefert ist, weitgehend fehlt. Die Predigt orientiere sich sehr viel stärker an der patristischen Tradition. Erst im 13. Jahrhundert begann dann eine Wende in bezug auf eine Aktualisierung der Predigtinhalte.
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zurückblieben, war es im volkssprachigen Bereich vor allem die Dichtung, die den Raum bot für Gedankenexperimente, die aus der patristischen Tradition hinauswiesen. Erst auf diesem Hintergrund wird beispielhaft deutlich, welche Rolle der höfische Roman für die Veränderung kultureller Paradigmen haben konnte, in welchem Maß Literatur an einer Veränderung der Welt beteiligt ist. Im Interesse an einer verfeinerten Schweigewahrnehmung schließen sich theologische Reflexionen mit elaborierter weltlicher Dichtung eng zusammen, im Sinne einer Bewältigung der Tradition.
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Schweigen vor dem Reden
Schweigen in Grammatik, Rhetorik und Sprachphilosophie
1. Schweigen vor dem Reden
Jeder Text hat einen Anfang, ein erstes Wort.1 Mit ihm gründet sich eine neue Ordnung und wird ein Gesetz erlassen, dessen erste Tat die Ausgrenzung ist: was vorher war gilt nicht mehr. Das Wort ist der Anfang. Das Wort ist aber in doppeltem Sinne Anfang: Anfang des sprachlichen Kosmos, der sich in ihm gründet, Anfang aber auch des Schweigens, das in ihm endet.2 Außerhalb des kommunikativen Diskurses,
* Die Zitate aus lateinischen Quellen werden im Lauftext übersetzt, in den Anmer1 kungen immer wörtlich wiedergegeben. Sofern in der Bibliographie keine Übersetzung angegeben ist, bin ich dafür verantwortlich. Bei der Übersetzung der mittelhochdeutschen Textstellen im Lauftext war das Ziel, so eng wie möglich an der mittelhochdeutschen Formulierung zu bleiben, auch auf Kosten der Eleganz. 1 Im Blick auf die überlieferten Texte fallen Hörbarkeit und Sichtbarkeit, Mündlichkeit und Schriftlichkeit zusammen. Artikulierte Rede ist geschriebene Rede – oder zumindest durch den Text bezeichnete Rede. So wird, was in mittelalterlichen Sprachtheorien die gesprochene Sprache durch den Begriff der ›vox articulata‹ an die Schrift band, in der Konfrontation mit der Überlieferung neu bedeutsam. Es kann also nicht darum gehen, Mündlichkeit zu suchen, sondern das gesprochene Wort in seiner verschriftlichten Form. Die Unfähigkeit, einen Anfang eines Buches zu bestimmen, bleibt aber bestehen. »In der Hintergehung des Anfangs besteht die Zauberkunst des Philologen, der die Chronologie umzukehren und rückläufig zu lesen vermag.« Assmann, Zur Metaphorik der Erinnerung (1993), S. 19 f. Zum Problem des schriftlichen und mündlichen Erzähltextes, des Textes als Ausdruck mündlichen Erzählens, der Schrift als Nachzeichnung artikulierter Rede siehe u. a. Balogh, »Voces paginarum« (1927); Green, Medieval Listening and Reading (1994); Irvine, The Making of Textual Culture (1994); Zumthor, Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft (1994). 2 Vgl. auch Bilmes, Constituting silence (1994), S. 73. Zum Anfang des Textes als Übergang von einer Welt in die andere siehe Haubrichs, Einleitung (1995) und Haubrichs, Kleine Bibliographie zu ›Anfang‹ und ›Ende‹ in narrativen Texten (seit 1965) (1995). Miller schreibt in seinem grundlegenden Buch zu dieser Thematik: »Jeder Anfangssatz geht im Pragmatischen von einem Nullpunkt aus.« Roman-
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Schweigen in Grammatik, Rhetorik und Sprachphilosophie
außerhalb der vom Text, vom jeweiligen Gespräch, von der Erzählung eingerichteten Ordnung, gehört dieses Schweigen einer fremden Vorwelt an – und existiert doch nur da, wo Rede ist. Denn nur weil diese in die ihr fremde Welt einbricht und diese (zer)stört, wird sie erschaffen. Wo sich das Wort verkörpert, wirft es einen Schatten zurück. Und so wie das Licht für solchen Schattenwurf vom Text her kommen muss, aus der Zukunft sozusagen, kann das Schweigen vor dem Reden nicht anders als im Licht des ihm folgenden Textes, der ihm folgenden Rede gefasst werden. Darin ist es aber im eigentlichsten Sinne schon wieder domestiziert, in das Haus der Sprache hereingeholt, ihrer Satzung unterworfen und nur in den von ihr vorgegebenen Spiegeln fassbar. Jede Reflexion über die Sprache, sei dies im Rahmen der Grammatik, Rhetorik oder Dialektik, im Kontext theologischer Spekulationen, oder in didaktischem Zusammenhang, ist sich dieser Schwierigkeit bewusst. Und doch stellt man immer wieder die Frage: was war – oder besser: ist – vor dem ersten Wort? Dabei geht es nicht um den Anfang der Sprache (eben das, was vorher war), sondern um das, was immer wieder einem ersten Wort vorausgeht: das Atemholen im weitesten Sinn.3 So ist man immer wieder die Grenze abgeschritten in der Hoffnung, einen Blick in die Vorwelt zu tun: nur im Anfang des Redens, da, wo das Schweigen endet und die Sprache anfängt und wiederum das Schweigen entdeckt, lässt sich ein Rest der Fremde ahnen, ein Widerschein des Schattens – so paradox wie dieser Ausdruck. Denn die Angst des Erzählers vor dem Anfang, die Schwäche des Redners vor dem ersten Wort, die Scham und Scheu des Sprechers sind nichts anderes als Ausdruck der Schwierigkeit, dieser Wortlosigkeit zu begegnen und sie zu brechen, die Grenze zu überschreiten, die zur Ausgrenzung wird. Es ist ein Kraftakt, eine Gewalttätigkeit und eine Gefährdung.4 anfänge (1965). Zu der Angst vor dem ausschließenden Anfang vgl. auch Foucault, Die Ordnung des Diskurses (1993), v. a. S. 9 ff. 3 Atemholen in einem ganz physischen Verständnis, dann aber auch im übertragenen Sinn der Erinnerung, der Reflexion, auch der ›meditatio‹. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Text eine Tradition kennt oder nicht. Denn, wie Zumthor sagt: »Die performance trägt einen Text vor, der im Augenblick seines Existierens weder Rasuren noch Korrekturen aufweisen kann: Selbst wenn ihn eine lange Schriftarbeit vorbereitet hätte, wäre er im Augenblick seiner Mündlichkeit dennoch ohne Vorentwurf. Für den Poeten besteht die Dichtkunst darin, diese Augenblicklichkeit aufzugreifen, sie in die Form seines Diskurses hereinzunehmen.« Die Stimme und die Poesie in der mittelalterlichen Gesellschaft (1994), S. 75. 4 Das Problem des Schweigens, das sich in der Überlieferung nicht nur fortsetzt, sondern auch neu konstituiert, z. B. durch Verlust, muss hier ausgeklammert
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Schweigen vor dem Reden
Dies wurde weder von den Grammatikern noch von den Theologen, weder von den Rhetorikern noch den Erziehern übersehen. Im Gegenteil: es ließe sich eine eigentliche Geschichte der Angst in der Sprachtheorie schreiben, die sich um diesen einen Schreckmoment vor dem ersten Wort drehte. Denn der Anfang des Redens führt in eine Gefahrenzone ersten Grades, vom kleinen Lapsus der falschen Pronuntiatio oder des Stammelns5 bis zu rhetorischem Regelverstoß6 oder religiöser Versündigung durch das Wort. Je präziser aber diese Gefahren definiert wurden, umso größer wurde das Interesse am Vorher, am Schweigen als dem Ort, in dem diese Gefahren scheinbar nicht drohen. Im christlichen Denken wird das Ausgegrenzte zum verlorenen Paradies, zum Schutz, der verlassen wurde – im Anfang der Rede hockt der Teufel. Die Lichtmetaphorik, die sich im Anklang an die Genesis und das Johannesevangelium für die Sprache durchgesetzt hat, pervertiert sich. Die Sprache wird zum Ort der Finsternis, zum Ort der Sünde, während die Sprachlosigkeit Ort der leuchtenden Erkenntnis ist. Patristische und monastische Literatur wird nicht müde, auf die Gefahren der Zunge hinzuweisen und das Schweigen als Schutz zu empfehlen. Wenn im folgenden versucht wird, aufgrund grammatischer, sprachtheoretischer, theologischer und didaktischer Texte eine Definition des Schweigens vor dem Reden zu finden, muss das im Spiegel der Frage nach dem ersten Wort geschehen.7 Das Problem des Schweigens vor dem ersten Wort ist auch das Problem des ersten Wortes.
bleiben. Dazu gehört auch die Schwierigkeit, mit überliefertem ›Schweigen‹ umzugehen, wie es sich nicht nur im Umgang der Literaturwissenschaft mit sogenannten »Fragmenten« zeigt, sondern schon an der Ergänzungswut spätmittelalterlicher Autoren. 5 Also Fehler in der ›lectio‹. Vgl. Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 43 f. 6 Wenn der Rhetor seine Kunst im ›ex tempore‹-Reden beweist, so führt er den Zuhörern darin die Illusion des ungeschützten Anfangs vor, den Schwindel des Seiltänzers ohne Netz. 7 Dauenhauer betont, in Analogie zum Schweigen nach dem Reden (after silence), die Abhängigkeit des Schweigens vor dem Reden von der folgenden Äußerung. Eine Analogie, die so eng gezogen schließlich die zwei Schweigen zusammenfallen lässt, was einer Vereinfachung gleichkommt. Dahinter steht die Idee der Äusserung als Figur vor einem Hintergrund des Schweigens, wie sie u.a. MerleauPonty vertrat. Dauenhauer, Silence (1980), S. 12 f.
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Schweigen in Grammatik, Rhetorik und Sprachphilosophie
1.1 Der Körper der Stimme Mittelalterliche Grammatik (ars grammatica) beginnt mit der Definition von ›Stimme‹ (vox) als geschlagener, gestoßener Luft (aer ictus), die das Ohr des Hörenden berührt und so den Klang überträgt.8 Dabei wird noch nicht unterschieden zwischen Geräusch und Stimme; grundsätzlich ist jeder Ton ›vox‹ und damit ›aer ictus‹.9 Diese Luft stellt man sich korpulent und dicht vor (corpulentus et spissus)10 und zählt sie zu den von der feurigen Natur gebildeten Körpern – neben Licht und Hitze.11 Erst durch das Schlagen aber wird sie zu ›vox‹, so dass diese von der Bewegung abhängig ist.12 Und jede sprachliche Äußerung ist auf diese zur Stimme geschlagene Luft angewiesen.13 Beim Menschen wird das Schlagen der Luft durch die Zunge verursacht, wobei nicht irgendwelche Luft getroffen wird, sondern diejenige, die sich in der den Mund mit dem Herz verbindenden »Arterie«
8 So Donatus: »Vox est aer ictus sensibilis auditu, quantum in ipso est.« Ars Grammatica (1961), De voce, GL , 4, S. 367; Priscianus: »Philosophi definiunt, vocem esse aerem tenuissimum ictum vel suum sensibile aurium, id est quod proprie auribus accidit.« Institutionum grammaticarum libri XVIII (1961), lib.1, De voce, GL , 2, S. 5. Wobei mit »Philosophi« die Stoiker gemeint sind. Siehe dazu Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 93. Zum Einfluss von Donatus auf diese Gliederung der Grammatik und zur Bedeutung von Donatus und Priscian für die mittelalterliche Grammatiktradition vgl. ebd., S. 58 ff. 9 »Omnis sonitus generaliter vox dicitur, specialiter tamen hominum sive animalium.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 220. 10 »Iste aer, qui inter terram est et cursum lunarem, corpulentus et spissus appellatur.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 220. Das etwas seltsame Wort »corpulentus« hier ist wohl im Zusammenhang mit dem Hinweis auf die Wolken zu verstehen, in denen sich die Luft z. T. zusammendrängt. Andererseits wird darin die Differenz zum »aether« betont, der über den Gestirnen als »purus spiritus« ist. 11 »Aer vero, spissus spiritus, quo iste mundus plenus est, quem trahimus et emittimus. Tria autem corpora naturae mirabili opere formata de ignea natura nascuntur, idest lux calor et vox.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 220. Alcuin definiert die Zunge als »flagellum aeris«. Disputatio Pippini, PL , 101, Sp. 975. 12 »Etenim vox sine ictu fieri non potest. Motus igitur causa est ictus, ictus autem causa est vocis.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 220. 13 Remigius von Auxerre sagt: »Nam de voce formantur litterae, ex litteris syllabae et ex syllabis partes et cetera.« Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 219.
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Schweigen vor dem Reden
befindet.14 Soll die so erzeugte Stimme nun aber Sprache sein, muss der konfuse Laut artikuliert werden. Sprache ist demnach ›artikulierte Stimme‹ (vox articulata). In der Regel heißt ›artikuliert‹ für die Grammatiker ›schreibbar‹, da ›vox articulata‹ und ›vox literata‹ in ein gegenseitiges Definitionsverhältnis gebracht werden, so dass sie schließlich zusammenfallen: artikuliert heißt schreibbar, schreibbar heißt artikuliert.15 Die von Priscian angeführten Ausnahmen wie Seufzer (verständlich aber nicht schreibbar) oder »Kra-kra« als Krähenruf (schreibbar aber nicht verständlich), werden von seinen Nachfolgern brav zitiert, aber interessieren sonst nicht.16 Auch in der etymologisierenden Deutung wird ›vox articulata‹ an die Schrift gebunden, indem erklärt wird, dass sie nach »den kleinen Gelenken, mit denen die Feder oder das Schreibrohr gehalten werden, wenn die Stimme schriftlich geformt wird«, benannt sei.17 Andere Erklärungen sehen in ihr die Ausformung der Geisteskraft, da sie »mit einem geistigen Sinn verbunden« sei,18 oder machen sie, im Bereich der Körpermetaphorik halb etymologisierend, halb assoziierend, zum Abbild des Menschen, da sie sich »in der Art des menschlichen Körpers« aus einzelnen Gliedern zusammensetze.19 Noch deutlicher wird die Verkörperung der Sprache im Blick auf den geschriebenen Laut. Denn hier wird ganz augenfällig, wie sich ein Ganzes aus verschiedenen Teilen zusammensetzt, ein Satz sich in Wörter, diese sich in Silben, dann Buchstaben teilen lassen, bis diese, als kleins-
14 »Ictus id est percussus. A quo? plectro linguae, idest revolutione. Ubi? in arteriis, idest in viis spiritus. Arteriae autem sunt os compaginatum a gutture usque ad cor.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 219 f. 15 Auch wenn wahrgenommen wird, dass es mehr Laute als Buchstaben gibt, existiert die Idee eines vom Buchstaben gelösten Lautwerts nicht – höchstens hat ein einzelner Buchstabe mehrere Werte. Siehe dazu Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 96, 98, 101. 16 Priscianus, Institutionum grammaticarum libri XVIII (1961), De voce, GL , 2, S. 5 f. 17 »Articulata, vox dicitur vel ab articulis idest parvis artubus, quibus penna tenetur vel calamus, dum vox formatur litteralis.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 220. 18 »articulata est, quae coartata, hoc est copulata cum aliquo sensu mentis eius, qui loquitur, profertur.« Priscianus, Institutionum grammaticarum libri XVIII (1961), De voce, GL , 2, S. 5. So auch Alcuin: »Articulata est, quae copulata atque coarctata cum sensu profertur.« Grammatica, PL , 101, Sp. 854D. 19 »seu potius ab artubus idest membris suis, videlicet litteris syllabis et partibus, quibus instar corporis humani perficitur.« Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De voce, GL , 8, S. 220.
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te, nicht mehr weiter teilbare ›Atome‹ – oder eben ›Elemente‹ –, die Elemente evozieren, aus denen sich natürliche Körper zusammensetzen. Dieser Gedanke wird immer wieder aufgenommen, wenn auch meistens mit dem Hinweis, dass ›Element‹ eigentlich nicht der Buchstabe, sondern nur der Laut genannt werden könne, nicht das Zeichen, sondern die Sache.20 Der Buchstabe ist erst Möglichkeit (potestas), die in der Aussprache, wenn sie sich in einer Stimme verkörpert, Kraft (vis) wird.21 Denn der Buchstabe ist ja doch nur »Zeichen der Stimme« (signum vocis).22 Es bleibt aber die Vorstellung einer sich in der Spra-
20 Bei Alcuin heißt es: »MAG . […] Littera est individua, quia sententias in partes, partes in syllabas, syllabas in litteras dividimus. Litterae vero indivisibiles sunt. – DIS . Unde litterae elementa dicuntur? – MAG . Quia sicut elementa coeuntia corpus perficiunt, sic hae conglutinatae litteralem vocem componunt.«, Grammatica, PL , 101, Sp. 855A. Priscian führt es etwas weiter aus: »literas autem etiam elementorum vocabulo nuncupaverunt ad similitudinem mundi elementorum: sicut enim illa coeuntia omne perficiunt corpus, sic etiam haec coniuncta literalem vocem quasi corpus aliquod componunt vel magis vere corpus. […] Litera igitur est nota elementi et velut imago quaedam vocis literatae, quae cognoscitur ex qualitate et quantitate figurae linearum. hoc ergo interest inter elementa et literas, quod elementa proprie dicuntur ipsae pronuntiationes, notae autem earum literae. abusive tamen et elementa pro literis et literae pro elementis vocantur.« Institutionum grammaticarum libri XVIII (1961), De litera, GL , 2, S. 6 f. Und Remigius von Auxerre schreibt: »Notandum autem, hic a Donato litteram pro elemento esse dictam more antiquorum. Antiqui enim litteras vocaverunt elementa, eo quod ad similitudinem mundi elementorum, quibus corpora consistunt, litteralem faciunt vocem. Aliud es enim littera, quae videtur, et aliud quod per eam colligitur idest elementum. Videlicet vox quae per litteram designatur idest individua potestas et vis litterae ipsa pronuntiatio vocatur.« Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De littera, GL , 8, S. 222. Zu der stoischen Tradition, die dahintersteht, siehe Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 100. Auch Augustinus sagt: »Sed ut, ipsa littera cum sit pars minima vocis articulatae, abutimur tamen hoc vocabulo, ut appellemus litteram etiam cum scriptam videmus, quamvis omnino tacita sit neque ulla pars vocis sed signum partis vocis appareat, ita etiam verbum appellatur cum scriptum est, quamvis verbi signum id est signum significantis vocis non verbum eluceat. Ergo et coeperam dicere omne verbum sonat.« De Dialectica (1975), V, S. 88. 21 »Vis verbi est, qua cognoscitur quantum valeat. Valet autem tantum quantum movere audientem potest.« Augustinus, De Dialectica (1975), VII , S. 100. 22 Remigius von Auxerre, Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), De littera, GL , 8, S. 221. Augustinus sagt: »Cum enim est in scripto, non verbum sed verbi signum est; quippe inspectis a legente litteris occurrit animo, quid voce prorumpat. Quid enim aliud litterae scriptae quam se ipsas oculis, praeter se voces animo ostendunt.« De Dialectica (1975), V, S. 88.
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che abbildhaft zusammensetzenden körperlichen Welt. Sprechen wird zu einem Weltpuzzle. Die Körperlichkeit der Stimme ist nicht nur im Verweis auf Luftkörper und Elemente fassbar, sondern auch in dem körperlich messbaren einzelnen Laut selber, dem Höhe/Tiefe, Breite und Länge zugeschrieben werden.23 Und hat Remigius durch den Vergleich mit dem aus einzelnen Gliedern zusammengesetzten menschlichen Körper die Anthropomorphisierung des artikulierten Lautes impliziert, wird auch im Unterschied von Vokal und Konsonant eine Analogie zum Menschen gesehen: wie der Körper sich nicht ohne Seele bewegen kann, können sich die Konsonanten nicht ohne Vokale bewegen.24 Stimme, als geschlagene Luft, ist körperhaft, als artikulierter Laut ist sie Gestalt, geordnet, zumindest gegliedert – und lässt sich in Schrift fassen. In dieser kann sie bis zu einem gewissen Grad ihre Vergänglichkeit, die aufs engste mit ihrer Körperlichkeit verknüpft ist, aufschieben. Denn als Zeichen der Stimme (signum vocis) kann die Schrift jene immer wieder in einer neuen Aussprache (pronuntiatio) evozieren. Die Erfindung der Schrift wird denn auch in der Regel als Mittel gegen die Vergänglichkeit der Rede gesehen, als Unterstützung der Memoria, Ort der Bewahrung und Begegnung mit der Vergangenheit. So sagt Augustinus: »Aber da sie [die sprachlichen Äußerungen] sofort in geschlagener Luft vergehen und nicht länger bleiben, als sie tönen, sind in den Buchstaben Zeichen der Wörter aufgestellt worden.«25 »Buchstaben wurden erfunden, um den Menschen das Gedächtnis zu erneuern« sagt Donatus,26 und Alcuin nennt sie »Wächter der Geschichte«,27
23 »nam si aer corpus est, et vox, quae ex aere icto constat, corpus esse ostenditur, quippe cum et tangit aurem et tripertito dividitur, quod est suum corporis, hoc est in altitudinem, latitudinem, longitudinem, unde ex omni quoque parte potest audiri. praeterea tamen singulae syllabae altitudinem quidem habent in tenore, crassitudinem vero vel latitudinem in spiritu, longitudinem in tempore.« Priscianus, Institutionum grammaticarum libri XVIII (1961), De littera, GL , 2, S. 6. 24 »Vocales sunt sicut animae, consonantes sicut corpora. Anima vero et se movet et corpus. Corpus vero immobile est sine anima.« Alcuin, Grammatica, PL , 101, Sp. 855B. 25 »Sed quia verberato aere statim transeunt nec diutius manent quam sonant, instituta sunt per litteras signa verborum.« Augustinus, De doctrina christiana (1961), II , iv 5. CCSL 32, S. 34. 26 »quod ob memoriam hominibus reformandam inventae sunt«, Donatus, De littera, zitiert nach: Irvine, The Making of Textual Culture (1994), Anm. 43, S. 489. 27 »P. Quid est littera? – A. Custos historiae«. Alcuin, Disputatio Pippini, PL , 101, Sp. 975C.
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bis hin, dass die Schrift zur Grundlage der Weisheit erklärt wird: »Die Grundlage der Weisheit ist der Buchstabe. Denn so wie körperliche Elemente aus ihren Wurzeln wachsen, so soll sich der menschliche Geist aus Buchstaben/Schriften zur Vollkommenheit erheben.«28 Da der Buchstabe aber ohne die Aussprache nicht realisiert wird, ist die Schrift wieder davon abhängig, in einer Stimme verkörpert zu werden, und hängt sich so immer wieder neu in die Flüchtigkeit. Um Sprache zu werden, muss jeder Text gelesen werden, um Gestalt zu werden, braucht ein Textkörper die ›pronuntiatio‹. Das heißt aber auch, dass ein unverständlicher Text eben ›unartikulierte Stimme‹ ist, konfus (vox confusa).29 Die Stimme braucht die Buchstaben, um eine gewisse Dauer zu erlangen, diese, als pure Zeichen, brauchen aber jene, um nicht stumm zu bleiben. Jede Lektüre ist ein Sprechen, jedes Schreiben ist ein Sprechen, und wenn die Schrift zur Hilfe des Gedächtnisses erfunden wurde, ist jedes Lesen ein Erinnern.30
1.2 Das innere Wort Diese ›grammatikalischen‹ Überlegungen finden nun im christlichen theologischen Denken ein Echo, aus dem eine eigentlich christliche Sprachtheologie entsteht, deren großer Lehrer Augustinus ist. In der Frage nach dem göttlichen Wort, nach dem Wort, aus dem die Schöpfung hervorging, bricht die Hinfälligkeit und Schwäche der menschlichen Wörter auf. Geht man von der grammatischen Definition von ›Stimme‹ und ›artikulierter Stimme‹ aus, muss das göttliche Wort, das weder vergänglich noch körperhaft, also auch nicht bewegt sein kann, gerade in der Negation der die menschliche Sprache prägenden Eigenschaften gesucht werden.31 So stellt Augustinus der vom Ohr wahrge-
28 »Fundamentum sapientiae littera est. Nam si[cut] ex radicibus corporalia elymenta crescunt si[c] ex litteris humanus animus ad perfectionem surgere conprobatur.« Anonymus, Interrogatio de litteris, St. Gallen Stiftsbibliothek 877 (s.ix), p. 67. Zitiert nach: Irvine, The Making of Textual Culture (1994), Anm. 44, S. 489. 29 Die dunklen Texte der Bibel werden gern »Wälder« genannt, wobei damit ein Ausdruck gebraucht wird, der, als vollkommenes Dickicht, Synonym von Chaos ist. 30 Zu der Abhängigkeit des Geschriebenen vom Aussprechen siehe auch Balogh, »Voces paginarum« (1927); Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 69 f. Zum stillen Lesen siehe auch Parkes, Pause and Effect (1992), S. 21. 31 Vgl. dazu Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI , 6,8–7,9 (S. 614 ff.).
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nommenen menschlichen Stimme, die gemacht und vergänglich ist, Anfang und Ende hat und Silben, die eine nach der andern tönen und verklingen, genau der Reihe nach, bis sie im abschließenden Schweigen enden, das göttliche Schöpfungswort entgegen als das »ewige Wort im Schweigen«.32 Auffallend ist hier, wie das Paradox dieses Schöpferwortes, das keine Zeit und keinen Ort kennt, das keinen Anfang und kein Ende hat, das aber doch, als ›Wort‹, gesprochen wird, von Augustinus aus der menschlichen Sprache herausgehoben wird, indem es ins Schweigen (in silentio) gestellt wird. In der Not des Verständnisses greift er in den Bereich, der von der Sprache ausgeschnitten wird und definiert gleichzeitig das Schweigen als Zeit- und Ortlosigkeit.33 Und auch wenn dieses Gott-Schweigen nicht mit dem irdischen zu verwechseln ist, sagt diese Metaphorik doch etwas aus über die Wahrnehmung des Schweigens als Gegensatz zu der menschlichen Sprache. Hat die Stimme einen Körper, hat sie eine Zeit, hat sie einen Ort und kann sie entsprechend durch alle Sinne des Menschen wahrgenommen werden,34 hat das Schweigen – als Gegensatz zum gesprochenen Wort – keine genauen Konturen, keine messbaren Grössen, keine Zeit in sich. Gemessen werden kann höchstens der Abstand von einem Laut zum nächsten, nicht aber das Phänomen selber.35 Wenn also Augustinus das Schöpfungswort Gottes ins Schweigen setzt, ist das nicht nur Ausflucht ins Paradox, sondern darin auch Rückgriff auf ein bekanntes Phänomen, das
32 Die »verba temporaliter sonantia« stehen dem »aeterno in silentio verbo tuo« gegenüber. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI , 6,8 (S. 612 f.). In dem Gespräch mit seiner Mutter, wo sie in einem »vollen Herzschlag« (toto ictu cordis) eine Art Gottesschau ahnten, wird in scharfem Gegensatz dazu das »Getön der Rede, wo das Wort Anfang und Ende hat« (strepitus oris nostri, ubi verbum et incipitur et finitur) genannt. Ebd., IX , 10,24, (S. 464). 33 Zur Tradition der Verbindung von Gott mit dem Schweigen siehe Cecchetti, »Tibi silentium laus« (1949), S. 523 ff. und Kunz, Schweigen und Geist (1996), u. a. S. 48 f. 34 Auge: Lesen; Ohr: Hören; Hand: Schreiben; Zunge: Reden; Nase: vgl. die Speisemetaphorik. Siehe dazu auch Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995) und, speziell zur Speisemetaphorik, Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1984), S. 144–146. 35 Die Reflexionen, die Augustinus in bezug auf das Messen einer Stimme oder einer Pause anstellt, sind in diesem Kontext nicht von Belang, da es dort um den Zeitbegriff geht. Bekenntnisse. Augustinus, Confessiones (1987), XI ,27,14 (S. 656); XI ,27,36 (S. 660 f.).
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am ehesten die Zeit- und Körperlosigkeit dieses göttlichen Wortes ausdrücken kann.36 Die Sprache, der Sprachlaut wird so zum Inbegriff der Zeitlichkeit. Mit dem ersten Wort beginnt das Vergehen im doppelten Sinn, mit Evas Rede begann die Zeitverfallenheit als Ausdruck der Sünde.37 Die Sprache wird zum ständigen Memento mori und darin zum Sündenspiegel schlechthin. Denn nicht nur hat das verhängnisvolle Verführungswort Evas die Vertreibung aus dem Paradies bewirkt, damit auch das Gespräch mit Gott gestört, sondern in der Sprachverwirrung nach Babylon hat sich die ›superbia‹ auf ewig in die menschlichen Sprachen eingeschrieben. Im christlichen Denken wird die Macht der Sprache suspekt.38 Wenn die grammatische Theorie von dem Buchstaben, der Schrift als dem »fundamentum sapientiae« spricht, kann im Horizont des göttlichen Offenbarungswortes die gesprochene Sprache39 nur noch Wegzeichen sein, nicht mehr als Hinweis auf eine Erkenntnis, die der Mensch auf anderem Weg gewinnen muss. Denn in der Welt gibt es keinen Lehrer, sondern »der einzige Lehrer aller Dinge ist im Himmel«. 36 So wohnt Gott auch im Schweigen: »Quam tu secretus es, habitans in excelsis in silentio, deus solus magnus«. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), I,18,29 (S. 58). Es ist bezeichnend, dass die ›Ars grammatica‹ das Schweigen nicht bedenkt, ausser als sinnträchtige, sinnstiftende Pause. 37 »Ideo Eva lapsa est, quia locuta est viro, quod non audierat a Domino Deo suo.« Ambrosius, De officiis ministrorum, 1. Buch, 2. Kap. PL 16, Sp. 26. Gregor der Grosse sagt: »Humanum genus contemplationem lucis intimae habuit in paradiso; sed sibimetipsi placens, quo a se recessit, lumen conditoris perdidit eiusque faciem; ad ligna paradisi fugit, quia post culpam videre metuebat quem amare consueverat.« Moralia in Iob (1985), XI ,xliii,59,2–6. CCSL 143, S. 619. Irvine fasst zusammen: »Signs are an emblem of temporality, the medium of human comprehension. There is no past tense in the grammar of heaven, only eternal present, without the mediation of signs.« The Making of Textual Culture (1994), S. 100. Siehe dazu auch: Mazzeo, St. Augustine’s Rhetoric of Silence (1962), S. 192. 38 Eindrücklich wird diese Abkehr von der Rhetorik im Horizont eines christlichen Offenbarungsglaubens bei Augustinus geschildert: »Et placuit mihi ›in conspectu tuo‹ non tumultuose abripere, sed leniter subtrahere ministerium linguae meae nundinis loquacitatis, ne ulterius pueri ›meditantes‹ non ›legem tuam‹, non pacem tuam, sed insanias mendaces et bella forensia mercarentur ex ore meo arma furori suo.« Bekenntnisse. Confessiones (1987), IX ,2,2, (S. 424). 39 Für Augustinus ist die geschriebene Sprache ganz klar Zeichen für die gesprochene. »Omne verbum sonat.« De dialectica VII ,11; VII ,18. Siehe dazu auch Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter (1994), S. 128 f. und Ruef, Die Sprachtheorie des Augustinus in »De dialectica« (1995), S. 4. In »De magistro« heißt es: »vox autem nullo alio sensu quam auditu percipi potest. Ita fit, ut cum scribitur verbum, signum fiat oculis, quo illud, quod ad aures pertinet, veniat in mentem.« Augustinus, De magistro (1970), IV,8,36–39, (S. 165).
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Durch äußerliche menschliche Zeichen kann man höchstens angewiesen werden, dass man lernt, sich ihm im Innern zuzuwenden.40 »Denn auch wenn wir durch ein wandelbares Schöpfungswesen die Anregung empfangen, werden wir zur unwandelbaren Wahrheit nur erst hingeleitet, und dort erst lernen wir wirklich.«41 Hört man äußerliche Worte, werden nicht sie als Zeichen verstanden, sondern sie weisen den Hörer auf ein eigenes inneres Wissen hin, eine Erkenntnis, die ihm in einem innerlichen Sprechen zuteil wird, in Betrachtung (contemplatio) und Schau (visio). Die äußerliche Sprache ist somit Zeichen einer inneren Sprache (verbum interius), die dem ›homo interior‹ im »inneren Licht der Wahrheit« (in illa interiore luce veritatis) zuteil wird.42 Die äußerliche Sprache ist da nur noch Stimulans, die eigentliche Kommunikation des Menschen vollzieht sich in Gott. Und alles, was nicht in dieser inneren Erkenntnis gewusst wird, weiß man nicht, sondern kann es höchstens glauben. Alles aber, was man so innerlich erkannt hat,
40 »Admonui te, ut iam non crederemus tantum, sed etiam intellegere inciperemus, quam vere scriptum sit auctoritate divina, ne nobis quemquam magistrum dicamus in terris, quod unus omnium magister in caelis sit. Quid sit autem in caelis, docebit ipse, a quo etiam per homines signis admonemur foris, ut ad eum intro conversi erudiamur, quem diligere ac nosse beata vita est, quam se omnes clamant quaerere, pauci autem sunt, qui eam vere se invenisse laetentur.« Augustinus, De magistro (1970), XIV,46, 19–27, (S. 202 f.). Und an anderer Stelle heißt es: »De universis autem, quae intellegimus, non loquentem, qui personat foris, sed intus ipsi menti praesidentem consulimus veritatem, verbis fortasse ut consulamus admoniti. Ille autem, qui consulitur, docet, qui in interiore homine habitare dictus est Christus, id est incommutabilis dei virtus atque sempiterna sapientia, quam quidem omnis rationalis anima consulit, sed tantum cuique panditur, quantum capere propter propriam sive malam sive bonam voluntatem potest.« Ebd., XI ,38, 44–51, (S. 195 f.). 41 »Quia et per creaturam mutabilem cum admonemur, ad veritatem stabilem ducimur, ubi vere discimus.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI ,8,10, (S. 618). Vgl. auch ebd., XIII ,23,33, (S. 806). Siehe auch Mazzeos Überlegungen zu Conf. VI ,33 und VIII ,12: St. Augustine’s Rhetoric of Silence (1962), S. 190 ff. 42 »Cum vero de his agitur, quae mente conspicimus, id est intellectu atque ratione, ea quidem loquimur, quae praesentia contuemur in illa interiore luce veritatis, qua ipse, qui dicitur homo interior, illustratur et fruitur; sed tum quoque noster auditor, si et ipse illa secreto ac simplici oculo videt, novit quod dico sua contemplatione, non verbis meis. Ergo ne hunc quidem doceo, vera dicens vera intuentem; docetur enim non verbis meis, sed ipsis rebus deo intus pandente manifestis.« Augustinus, De magistro (1970), XII ,40, 30–37, (S. 197 f.). Siehe dazu auch Santi, Interiorità e »verbum mentis« (1990), S. 135.
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glaubt man auch.43 So steht vor jeder Erkenntnis der Glaube. Anselm von Canterbury schließt das erste Kapitel seines »Proslogion« mit den Worten: »Ich suche ja auch nicht einzusehen, um zu glauben, sondern ich glaube, um einzusehen. Denn auch das glaube ich: ›wenn ich nicht glaube, werde ich nicht einsehen‹ (Is 7,9).«44 In der inneren Rede vollziehen sich Erkenntnis und Wissen. Und so, wie in ihr die in der äußerlichen Wahrnehmung getrennten Sinne zusammenfallen, Hören und Sehen eins sind,45 ist sie auch nicht an eine spezifische menschliche Sprache gebunden.46 Erst in der Verkörperlichung in der Stimme (vox) wird das innere Sprechen zum sinnlich wahrnehmbaren, aussprechbaren und hörbaren Wort, darin aber auch babylonisch verwirrt. Selbst da bleibt es jedoch Zeichen des inneren Wortes.47 Nur die Lüge hat keinen Bezug mehr zum ›homo interior‹, ist nur noch Maske.48 43 »Quod ergo intellego, id etiam credo; at non omne, quod credo, etiam intellego.« Augustinus, De magistro (1970), XI ,37, 37 f., (S. 195). In bezug auf die historischen Erzählungen sagt er: »Haec autem omnia, quae in illa leguntur historiae ita illo tempore facta esse, ut conscripta sunt, credere me potius quam scire confiteor.« Ebd., XI ,37, 32–34, (S. 195). 44 »Neque enim qaero intelligere ut credam, sed credo ut intelligam. Nam hoc credo: quia nisi credidero, non intelligam.« Anselm von Canterbury, Proslogion (1984), 1. Kap., S. 82 ff. 45 »Foris enim cum per corpus haec fiunt aliud est locutio, aliud visio; intus autem cum cogitamus utrumque unum est. Sicut auditio et visio duo quaedam sunt inter se distantia in sensibus corporis, in animo autem non est aliud atque aliud videre et audire.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,x,18,52–56, (S. 485). 46 »Formata quippe cogitatio ab ea re quam scimus verbum est quod in corde dicimus, quod nec graecum est nec latinum nec linguae alicuius alterius«, Augustinus, De Trinitate (1968), XV,x,19,76–78, (S. 486). 47 »Proinde verbum quod foris sonat signum est verbi quod intus lucet cui magis verbi competit nomen. Nam illud quod profertur carnis ore vox verbi est, verbumque et ipsum dicitur propter illud a quo ut foris appareret assumptum est.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xi,20,1–4, (S. 486 f.). Von diesem »sprachlosen« inneren Wort ist auch das göttliche Offenbarungswort zu unterscheiden, das sich in verschiedenen Sprachen verbreitete und auch vergänglich ist. So heißt es: »Et innumerabilia similiter in scripturis dicuntur de dei verbo quod in sonis multarum diversarumque linguarum per corda et ora disseminatur humana. Ideo autem verbum dei dicitur quia doctrina divina traditur, non humana.« Ebd., XV,xi,20,30–34 (S. 487 f.). Siehe auch Mazzeo, St. Augustine’s Rhetoric of Silence (1962), S. 180 f. 48 »Neque enim alio praeter te inspirante credo me verum dicere, cum tu sis ›veritas‹, ›omnis autem homo mendax‹. Et ideo qui ›loquitur mendacium, de suo loquitur‹. Ergo ut verum loquar, de tuo loquar.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XIII ,25,38, (S. 818). In der Abhandlung »De mendacio« heißt es: »Jeder nun, der ausspricht, was er entweder glaubt oder meint und so im Her-
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Dass die äußerliche Sprache, diese schwache Ausdrucksform, deren Hinfälligkeit kaum einer so deutlich gezeigt hat wie Augustinus, doch nötig ist, hängt mit der »Blindheit des Fleisches« und dem »Abgrund der Zeiten« zusammen.49 Darin wird sie gebraucht als Wegweiser, als Denkanstoss im wahrsten Sinn, dann aber auch, ausgezeichnet durch die Modulationsfähigkeit der doch von Gott geschaffenen Stimme, als Instrument des Gotteslobs.50 Als Mittel zwischenmenschlicher Kommunikation steht sie in jeder Situation im Dienste Gottes, sei dies, dass durch das äußerliche Wort das Denken des andern angeregt werden soll, so dass dieser schließlich zur göttlichen Weisheit finden kann, sei dies, dass die Sprache zum Instrument der Caritas wird, das Sprachband als Band der zwischenmenschlichen Liebe gesehen wird.51 Und in der Trinitätsspekulation wird der Sprechakt zur Nachfolge Christi.52 Das »innerlich leuchtende Wort«, das weder stimmhaft ist noch eine sonstige akustische Dimension hat und als synästhetische Erfahrung wahrgenommen wird, entzieht sich jeder sprachlichen Fassung. In seiner Körper-, Zeit- und Ortlosigkeit entspricht es dem göttlichen Wort,
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zen trägt, lügt nicht, mag es auch unwahr sein. Man darf ja, soll die Aussage zuverlässig sein, nur das aussprechen, was man im Herzen trägt und so in sich hat, wie man es ausspricht. […] Demgemäß lügt derjenige, der etwas anderes, als was er im Herzen trägt, durch Worte oder beliebige sonstige Zeichen zum Ausdruck bringt.« Augustinus, Die Lüge und Gegen die Lüge (1986), Kap. 3, (S. 2 f.). Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XIII ,23, (S. 810). Vgl. dazu auch die Idee, dass es im Paradies keine Sprache mehr braucht, da vollkommene Erkenntnis herrscht. So heißt es z. B. bei Hugo von Folieto: »Sic unusquisque tunc erit conspicabilis alteri, sicut nunc potest esse conspicabilis sibi.« De claustro animae, PL , 176, Sp. 1166C/D. Siehe dazu Peters, Quellen und Charakter der Paradiesesvorstellungen in der deutschen Dichtung vom 9. bis 12. Jahrhundert (1915), S. 67. Augustinus, De doctrina christiana (1961), I,6, CCSL 32, S. 9 f. Vgl. auch Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter (1994), S. 147. Bei Ambrosius wird die Sprache als Dienst gezeichnet: »Primum igitur officium est loquendi modus. Hoc sacrificium laudis Deo dependitur, hoc reverentia exhibetur, cum Scripturae divinae leguntur, hoc honorantur parentes.« De officiis ministrorum, 1. Buch, 10. Kap., PL 16, Sp. 33 f. Augustinus, De doctrina christiana (1961), prooemium, CCSL 32, S. 6. Siehe auch Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter (1994), S. 148. »Ideoque non deus pater, non spiritus sanctus, non ipsa trinitas, sed solus filius quod est verbum dei caro factum est quamvis trinitate faciente, ut sequente atque imitante verbo nostro eius exemplum recte viveremus, hoc est nullum habentes in verbi nostri vel contemplatione vel operatione mendacium.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xi,20,73–78, CCSL 50a, S. 489.
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das Augustinus nur im Paradox des Schweigens finden konnte. Im Erkenntnisrahmen der menschlichen Sprache muss dieses innere Wort in seiner radikalen Andersartigkeit deshalb auch ins Schweigen ausgegrenzt werden.53 Da nun aber darf es, wie Augustinus nachdrücklich warnt, nicht verwechselt werden mit dem innerlichen, stummen Reden, das an ein Sprachdenken gebunden ist. Denn auch dieses ist vergänglich, hängt in Zeit und Raum.54 Der Bezug zwischen innerem und äußerem Wort besteht aber nicht nur im Verweischarakter des letzteren, sondern jedes äußere Wort ist auch existenziell abhängig von einem inneren Wort. »Doch wahrlich, wenn wir diese [die Wissenserkenntnisse] sagen wollen, können wir nicht, wenn wir sie nicht gedacht haben. Denn auch wenn die Wörter nicht tönen, wer denkt, sagt sie jedenfalls in seinem Herzen.«55 Das Herz wird da zum Umschlagplatz des Wissens im Sinne der nichtsprachlichen Erkenntnis, der ›visio‹ und ›contemplatio‹ in Denken, als ein schon in sprachlicher Struktur vollzogenes inneres Sprechen, das sich mit den Bildern der Sprachlaute abgibt,56 und aus dem dann ein Aussprechen werden kann. Das ›verbum cordis‹ hat also in gewisser 53 Vgl. auch Mazzeo, St. Augustine’s Rhetoric of Silence (1962), S. 187. 54 »Quapropter qui cupit ad qualemcumque similitudinem dei verbi quamvis per multa dissimilem pervenire non intueatur verbum nostrum quod sonat in auribus nec quando voce profertur nec quando silentio cogitatur. Omnium namque sonantium verba linguarum etiam in silentio cogitantur, et carmina percurruntur animo tacente ore corporis, nec solum numeri syllabarum verum etiam modi cantilenarum cum sint corporales et ad eum qui vocatur auditus sensum corporis pertinentes per incorporeas quasdam imagines suas praesto sunt cogitantibus et tacite cuncta ista volventibus.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xi,20,13–22, CCSL 50a, S. 487. Für Gregor den Grossen ist es ein »inneres Flüstern«: »Cum ergo se nobis omnipotens Deus per rimas contemplationis indicat nequaquam nobis loquitur, sed susurrat quia etsi se plene non intimat, quiddam tamen de se humanae mentis manifestat. Tunc autem nequaquam iam susurrat sed loquitur, cum eius nobis species certa revelatur.« Moralia in Iob (1985), V,xxix,52,30–35, CCSL 143, S. 253 f. 55 »Sed certe si ea dicere velimus, nisi cogitata non possumus. Nam etsi verba non sonent, in corde suo dicit utique qui cogitat.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,x,17,15–17, CCSL 50a, S. 483 f. Als Beweis führt er dann die biblische Redewendung »dicere intra se« an. Siehe auch Santi, Interiorità e »verbum mentis« (1990), S. 138 ff. 56 »Quisquis igitur potest intellegere verbum non solum antequam sonet, verum etiam antequam sonorum eius imagines cogitatione volvantur […], quisquis, inquam, hoc intellegere potest iam potest videre per hoc speculum atque in hoc aenigmate aliquam verbi illius similitudinem de quo dictum est: In principium erat verbum, et verbum erat apud deum, et deus erat verbum.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,x,19,64–72, CCSL 50a, S. 485.
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Weise zwei Gesichter: eines der nichtsprachlichen Erkenntnis zugewandt,57 das andere der menschlichen, körperlichen Sprache zugekehrt.58 »Denn auf keine Weise kann etwas vernünftig von jemandem gemacht werden, wenn nicht im Denken dessen, der es macht, gleichsam eine Art Modell des zu machenden Dinges vorausgeht, oder passender gesagt, eine Form oder Ähnlichkeit oder Norm.«59 Und diese innere Skizze wird mit dem Begriff des ›Sprechens‹ gefasst.60 Doch dieser, für den menschlichen Schöpfungsprozess vernünftige Gedanke zerbricht vor der Idee des göttlichen Schöpferwortes. Denn dieses ist ja aus sich selber, hat keine Vorursache, braucht auch keine Materie, um darin sich zu verwirklichen, sondern ist Erkenntnis, Aussprache und Geschaffenes in einem. Der Vergleich mit dem Homo faber, dem Künstler, »der ein Werk seiner Kunst schaffen will« und »es zuerst in seinem Innern durch eine Empfängnis des Geistes spricht«,61 kann nur in der Negation gemacht werden. Darin aber wird er gemacht und schließt sich der Künstler an den Schöpfungsprozess Gottes an. Nicht aber im parallelen Vergleich, sondern in der Differenz, die zum Ausdruck der Abhängigkeit des Künstlers von Gott wird. So sagt Augustinus: »Du 57 »Formata quippe cogitatio ab ea re quam scimus verbum est quod in corde dicimus, quod nec graecum est nec latinum nec linguae alicuius alterius, sed cum id opus est in eorum quibus loquimur perferre notitiam aliquod signum quo significetur assumitur. Et plerumque sonus, aliquando etiam nutus, ille auribus, ille oculis exhibetur ut per signa corporalia etiam corporis sensibus verbum quod mente gerimus innotescat.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,x,19,76–83, CCSL 50a, S. 486. 58 Den »zwei Gesichtern des Herzworts« entsprechen die zwei Arten des Verstehens, wie sie Augustinus u. a. in seiner imaginären Begegnung mit Moses beschreibt: »et praeberem aures corporis mei sonis erumpentibus ex ore eius, et si hebraea voce loqueretur, frustra pulsaret sensum meum nec inde mentem meam quicquam tangeret; si autem latine, scirem quid diceret. Sed unde scirem, an verum diceret? Quod si et hoc scirem, num ab illo scirem? Intus utique mihi, intus in domicilio cogitationis nec hebraea nec graeca nec latina nec barbara veritas sine oris et linguae organis, sine strepitu syllabarum diceret: ›Verum dicit‹ et ego statim certus confidenter illi homini tuo dicerem: ›Verum dicis‹.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI , 3,5, (S. 608). 59 »Nullo namque pacto fieri potest aliquid rationabiliter ab aliquo, nisi in facientis ratione praecedat aliquod rei faciendae quasi exemplum, sive aptius dicitur forma, vel similitudo, aut regula.« Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 9. Kap., (S. 66). 60 »Illa autem rerum forma, quae in eius ratione res creandas praecedebat, quid aliud est quam rerum quaedam in ipsa ratione locutio«, Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 10. Kap., (S. 68). 61 »veluti cum faber facturus aliquod suae artis opus prius illud intra se dicit mentis conceptione.« Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 10. Kap., (S. 68).
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vollbringst ja nicht wie der Bildner Mensch: der formt aus etwas, was schon Körper ist, einen Körper nach dem Gutdünken der Seele, kraft ihrer Fähigkeit, ihm beliebig eine Gestalt zu geben, die sie mit dem inneren Auge in sich schaut – und wie vermöchte sie zu schauen, hättest nicht Du sie erschaffen? – Und er prägt nun die Gestalt schon vorhandenem, das Sein besitzendem Stoffe auf, etwa dem Ton oder Stein oder Holz oder Gold oder sonst einem – und woher hätten diese Stoffe das Sein, hättest nicht Du es ihnen gegeben? Du hast dem Bildner den Leib erschaffen, Du ihm die Seele, die den Gliedern gebietet, Du den Stoff, daraus er etwas schafft, Du die Begabung, die ihn befähigt, einen Kunstgedanken zu fassen und inwendig zu schauen, was er nach außen hin schaffen soll«.62 So liegt denn der entscheidende Unterschied in dem inneren Sprechen, das beim Menschen eben als ›Empfängnis‹ (conceptio) zu verstehen ist, bei Gott aber einzige und erste Ursache ist. »Deshalb unterscheiden sich voneinander dieses innere Sprechen ihrer zu schaffenden Werke bei der schöpferischen Substanz und beim Künstler dadurch, dass jenes [Sprechen] nicht anderswoher genommen oder unterstützt ist, sondern als erste und einzige Ursache seinem Künstler zur Vollendung seines Werkes genügen konnte, dieses [Sprechen] dagegen weder erste noch einzige noch ausreichende [Ursache] ist, um sein Werk anzufangen.«63 Was bei Augustinus gewisse Verständnisschwierigkeiten bietet, nicht zuletzt weil er ›denken‹ (cogitare) für das nichtsprachliche und das sprachliche innere Sprechen verwendet, wird bei Anselm von Canterbury präzisiert und geklärt. Er unterscheidet drei verschiedene Arten von Sprechen: ›bezeichnen‹ (significare), ›denken‹ (cogitare),
62 »Non enim sicut homo artifex formans corpus de corpore arbitratu animae valentis imponere utcumque speciem, quam cernit in semet ipsa interno oculo – et unde hoc valeret, nisi quia tu fecisti eam? – et imponit speciem iam exsistenti et habenti, ut esset, veluti terrae aut lapidi aut ligno aut auro aut id genus rerum cuilibet. Et unde ista essent, nisi tu instituisses ea? Tu fabro corpus, tu animum membris imperitantem fecisti, tu materiam, unde facit aliquid, tu ingenium, quo artem capiat et videat intus quid faciat foris«. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI ,5,7, (S. 610 f.). 63 »Quare in hoc differunt ab invicem illae in creatrice substantia et in fabro suorum operum faciendorum intimae locutiones, quod illa nec assumpta nec adiuta aliunde, sed prima et sola causa sufficere potuit suo artifici ad suum opus perficendum, ista vero nec prima nec sola nec sufficiens est ad suum incipiendum.« Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 11. Kap., (S. 72). Ein Verweis auf weitere Stellen in der patristischen Literatur, die diesen Gedanken verfolgen, findet sich bei Congar, Le thème de »Dieu-créateur« et les explications de l’hexaméron dans la tradition chrétienne (1963), S. 204, Anm. 62.
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›schauen‹ (intueri).64 In bezug auf das ›Sprechen im Herzen‹ differenziert er: »so wird nicht auf eine Weise im Herzen gesprochen oder gedacht. Anders nämlich wird ein Ding gedacht, wenn der es bezeichnende Laut gedacht wird, anders wenn eben das, was das Ding ist, verstanden wird.«65
1.3 Das Wort als Anfang Ist dem Grammatiker die Grundlage der Weisheit der Buchstabe, da in ihm das Wissen gehortet und vermittelt wird, kann das im theologischen Kontext nicht mehr genügen. Da hat die äußerliche Sprache mit dem Wissen nur insofern zu tun, als sie den Weg weisen kann, auf dem es der einzelne in seinem Innern aufspüren kann, als Gabe Gottes. Die Grundlage der Weisheit kann so nicht der Buchstabe sein, sondern, in der Erkenntnis seiner körpergebundenen Unzulänglichkeit, gerade die Zerstörung des Buchstabens. Das heißt aber auch Einsicht in die eigene Vergänglichkeit und Sündhaftigkeit, so dass der Anfang des Wissens zur Gottesfurcht (timor Domini) wird.66 Vor die Auseinandersetzung mit Wissensfragen baut sich in der christlichen Erkenntnistheorie also nicht nur die Grammatik, die Rhetorik und Dialektik, sondern die Gottesfurcht als ›memento mori‹, als Sündenbekenntnis und Einsicht in die Nichtigkeit des Zeitlichen. In diesem Ruinenfeld des Weltlichen kann dann im Glauben (pietas) das Denken seinen Weg suchen.67 Dem
64 »Aliter namque dico hominem, cum eum hoc nomine, quod est ›homo‹, significo; aliter, cum idem nomen tacens cogito; aliter, cum eum ipsum hominem mens aut per corporis imaginem aut per rationem intuetur.« Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 10. Kap., (S. 68). 65 »non uno tantum modo dicitur aliquid in corde vel cogitatur. Aliter enim cogitatur res, cum vox eam significans cogitatur, aliter cum id ipsum quod res est intelligitur.« Anselm von Canterbury, Proslogion (1984), 4. Kap., (S. 88). 66 »Ante omnia igitur opus est dei timore converti ad cognoscendam eius voluntatem, quid nobis appetendum fugiendumque praecipiat. Timor autem iste cogitationem de nostra mortalitate et de futura morte necesse est incutiat et quasi clavatis carnibus omnes superbiae motus ligno crucis affigat.« Augustinus, De doctrina christiana (1961), II ,vii,9,1–6, CCSL 32, S. 36. Immer wieder wird in diesem Kontext auf das Pauluswort »per speculum in aenigmate« (1.Cor 13,12) verwiesen. 67 »Deinde mitescere opus est pietate neque contradicere divinae scripturae sive intellectae, si aliqua vitia nostra percutit, sive non intellectae, quasi nos melius sapere meliusque praecipere possimus, sed cogitare potius et credere id esse melius
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menschlichen Intellekt wird in seiner sprachlichen Ausformung, in seinem Sprachdenken, eine Initiation abverlangt, die die Festigkeit dieses Sprachdenkens auflöst. Nur so, wenn hinter die Zeichenwelt und hinter den im Körperlichen befangenen Intellekt zurückgegangen wird, kann ein Anfang gefunden werden, der aus der Beschränkung wieder hinausführt und aus dem heraus die von der Sprache gesetzte Äußerlichkeit durchschaut werden kann, so dass das ›Rätsel‹ als solches erkannt wird.68 Es geht um die göttliche Weisheit, das Wissen, das im inneren Wort erkannt wird, das aber nur im radikalen Rückzug aus jeder Zeichenhaftigkeit erfahren werden kann. Es geht um das Wort, aus dem alles entsteht, das in seiner Zeit-, Ort- und Körperlosigkeit nur als Schweigen gefasst werden kann: das Schöpferwort. Die christliche Sprachphilosophie muss anfangen und enden in der Frage nach dem die Welt schaffenden Wort, das, in einem zweiten Akt der Schöpfung, in Christus Fleisch geworden ist. Christliche Grammatik ist Theologie, ist aber auch theologische Grammatik.69 Denn in den Phänomenen der menschlichen Sprache und Stimme wird versucht, ›im Rätsel‹ sozusagen, das Schöpferwort zu verstehen, während das menschliche Sprachvermögen und die darein verhängte Erkenntnisfähigkeit mit theologischen Modellen zu fassen gesucht werden. Sprache ist so immer in einen theologischen Rahmen gebunden. Und auch wenn die hochkomplexen sprachtheoretischen Überlegungen nicht jedermanns Sache waren, drückt sich in ihnen doch ein Sprachverständnis aus, das auch Schöpfungsverständnis, schließlich Kern christlicher Dogmatik ist. Im Ringen um ein Verständnis des Anfangs der Genesis geht Augustinus sozusagen auch an den Anfang der Grammatik zurück und versucht im Vergleich mit der Abhängigkeit der geformten Stimme vom
et verius, quod ibi scriptum est, etiam si lateat, quam id, quod nos per nos ipsos sapere possumus.« Augustinus, De doctrina christiana (1961), II ,vii,9,7–12, CCSL 32, S. 36 f. Vgl. zu diesen Vorstufen des Wissens auch das grandiose erste Kapitel im Proslogion von Anselm von Canterbury: »Excitatio ad contemplandum Deum«. In diesem Zusammenhang ist wohl auch die topische Bitte um Sündenvergebung am Anfang eines geistlichen Werkes zu verstehen. Siehe dazu u. a. Lutz, Rhetorica divina (1984), S. 85 und Thelen, Das Dichtergebet in der deutschen Literatur des Mittelalters (1989), S. 73. 68 Vgl. Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 65. Kap., (S. 192). 69 Zur immer wieder thematisierten untergeordneten Dienstbarkeit des Trivium für die Bibelexegese siehe u. a. Valente, Langage et théologie pendant la seconde moitié du XIIe siècle (1995), S. 35 ff.
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Schweigen vor dem Reden
Ton als einer noch nicht geformten Materie eine Annäherung an das Schöpfungsgeschehen, das ja in seltsamer Doppelung auftritt. So wie der Ton nur als geformter Ton da ist, aber doch eine Art konturloser UrTon Voraussetzung des gestalteten Tons ist, so muss eine Art Ur-Stoff, ›Himmel‹ und ›Erde‹ genannt, der Schöpfung vorausgesetzt sein. Dass dieser ganze Vorgang in einer zeitlosen Zeit, vor jeder Zeit sich ereignete, macht aber das Verständnis und jedes Reden darüber, das sich in der Zeit vollzieht, ganz eigentlich unmöglich. Es ist hier nicht der Ort, die schwierigen augustinischen Überlegungen zum Schöpfungsgeschehen nachzuzeichnen. Was hier interessiert, ist lediglich die enge gedankliche Verknüpfung zwischen Stimme und Schöpfung, in deren wiederholter Zusammenfügung im Vergleich eine Nähe entsteht, die das Hervorbringen eines Tons zur kleinen Weltschöpfung werden lässt. Und in der Erklärung der doppelten Schöpfung wird diese in die menschliche Sprache hineingesprochen. Denn auch der Versuch, die Finsternis zu verstehen, »Finsternis war über dem Abgrund« (Gen 1,2), mündet in den Sprachvergleich: »›Darüber‹ also ›war Finsternis‹, weil Licht ›darüber‹ nicht da war, so wie da, wo kein Laut ist, Stille (silentium) ist. Und dass hier Stille (silentium) ist, was heißt das anderes, als eben dass hier ein Laut nicht ist?«70 So wird – im Vergleich – die Finsternis vor der Schöpfung mit dem Schweigen vor dem Reden zusammengebracht; und das Schweigen wird plötzlich auch zum Spiegel des Chaos und der Finsternis, dem das Wort, als Spiegel von Kosmos und Licht, folgt. Im Vergleich, der nur in seiner Negation möglich ist, begründet sich denn auch die Doppelwertigkeit dieses Schweigens. Als von der Rede ausgegrenzter Ort ist es Bild der Zeit-, Ort- und Körperlosigkeit Gottes, als Ort, aus dem die Rede entsteht, ist es Bild der Finsternis vor dem Licht, des Chaos vor dem Kosmos. Die Idee, dass die erste Schöpfung in der Fleischwerdung des göttlichen Wortes (verbum caro factum) ihre Erfüllung erfährt, ist schließlich letzter Punkt der christlichen Sprachtheologie, aber auch prägendes Element der in der Liturgie gespiegelten Weltschau. So ist nicht nur die Lectio der Genesis in der Karwoche sehr verbreitet, sondern der Brauch, die ersten zwei, drei Kapitel der Genesis in der Ostervigil zu
70 »›Super‹ itaque ›erant tenebrae‹, quia ›super‹ lux aberat, sicut sonus ubi non est, silentium est. Et quid est esse ibi silentium nisi sonum ibi non esse?« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XII ,3,3, (S. 676).
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lesen, ist allgemein üblich. Die Auferstehung ist Re-Creatio.71 Augustinus sagt: »denn auch bei uns Menschen ›hat Gott‹ in seinem Christus ›Himmel und Erde erschaffen‹«.72 Die Fleischwerdung des göttlichen Wortes ermöglicht auch eine Analogie in der Sprache, wie sie in bezug auf die Schöpfung nicht in gleicher Klarheit durchgeführt werden kann und wie sie zum Kern theologischer Trinitätsreflexionen wird. Da wird das schweigende Wort (verbum cordis), das Wort vor jeder Sprache, zum Abbild des noch nicht inkarnierten göttlichen Wortes, dessen Fleischwerdung aber im in der Stimme verkörperten menschlichen Wort (vox articulata) ein Bild findet. So ist denn im Sprechen die Nachfolge Christi zu verwirklichen.73 Der radikale Unterschied im Vergleich bleibt aber im Anfang, da, wo das menschliche Sprechen im inneren Wort, der Schau und ›contemplatio‹, konzipiert, das göttliche Wort empfängt, während dieses in seinem Anfang sich selber schafft. Deshalb kann jede Analogie, die sich in der Trinitätsspekulation auftut, wenn das göttliche Wort als Inkarnation plötzlich scheinbar aus seinem Ursprung heraustritt und sich so dem aus der Schau hervorgegangenen menschlichen Wort vergleicht, nur in entschiedener Auflösung jeder Gleichheit, selbst Ähnlichkeit bestehen. Die Sprache bleibt ein ›Rätsel‹. Es kann hier nicht darum gehen, das sprachtheologische Denken des Mittelalters in seinen verschiedenen Ausformungen und feinen Unterschieden vorzustellen, das sich auch nicht auf Augustinus und Anselm beschränken lässt. Als großer Vordenker, an dem keine spätere Auseinandersetzung mit den Fragen der Sprache vorbeikam, kann Augustinus aber doch exemplarisch betrachtet werden. Und durch das bei ihm ausformulierte Konzept des ›inneren Wortes‹ oder ›Wort des Herzens‹ war das prägende Bild für die Sprachphilosophie der kommenden Jahrhunderte gegeben, wie sich das unter anderem in den Sprachreflexionen bei Anselm von Canterbury zeigt. Von Augustinus ausgehend lassen sich also in der Wahrnehmung des Mittelalters zwei Arten des Schweigens vor dem Reden unterscheiden:
71 Congar, Le thème de »Dieu-créateur« et les explications de l’hexaméron dans la tradition chrétienne (1963), S. 193 ff. 72 »quia et apud nos in Christo suo ›fecit deus caelum et terram‹«. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XIII ,12,13, (S. 770). Vgl. auch die typologische Gegenüberstellung von »altem Adam« und »neuem Adam«. 73 Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xi,20, CCSL 50a, S. 489. Siehe auch Mazzeo, St. Augustine’s Rhetoric of Silence (1962), S. 192.
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Schweigen vor dem Reden
das absolute Schweigen des göttlichen Wortes, das gespiegelt ist im Schweigen der Erkenntnis und in Begriffen wie ›contemplatio‹, ›visio‹, ›verbum cordis‹ und ›verbum, quod intus lucet‹74 gefasst wird, anderseits das ›sprachliche Schweigen‹, das ein stummes Denken in Worten ist. Während das erste Schweigen die Zeit- und Ortlosigkeit des göttlichen Wortes in sich hat, ist das zweite Schweigen durch seine Sprachfüllung in die Vergänglichkeit des Weltlichen gebunden. Während das innere Wort keine Falschheit kennen kann, da die Erkenntnis in Gott nur wahr ist, lässt sich mit dem verkörperten Wort jeder nur denkliche Unfug treiben.75 Dieses ist nur wahr, sofern es direkter Ausdruck des inneren Wortes ist.76 Die Versündigung passiert also im Maskenspiel, das durch die menschliche, stimmhafte, körperliche Sprache möglich ist, sei es im gesprochenen Wort, sei es im Abbild desselben im stillen Gedanken. Als Schweigen vor dem Reden im strengen Sinn kann nur das Schweigen der ›contemplatio‹ und ›conceptio‹ gelten, das ›innere Wort‹ als Begegnung mit sich selbst und Gott. Das andere, gewissermassen ›fleischliche‹ Schweigen sitzt schon im Körper drin und hat seine Zeit. Schweigen wird da, in dieser engen Bedeutung, zu einem Synonym für das innere Wort. Lässt sich aber das äußere Wort als Zeichen auf das innere Wort hin lesen, kann sein Schatten, das ›fleischliche Schweigen‹, das nichts anderes ist als Abwesenheit von Stimme, auch Wegweiser zum inneren Wort sein. Aber so wie sich im äußeren Wort Lug und Trug einschleichen kann, ist dem auch das äußerliche Schweigen ausgesetzt. Und wenn für das christliche Sprachverständnis im Wort eine falsche Macht wohnt, die Rhetorik deshalb grundsätzlich hybrid ist, gilt dieser falsche Machtanspruch auch für das äußerliche Schweigen. Diese erkenntnis- und sprachtheoretische Unterscheidung ist nun aber für den Aussenstehenden nicht nachvollziehbar, in der Wahrnehmung ›tönt‹ jedes Schweigen gleich. Das unübersetzte Wort des Herzens fällt in der Stimmlosigkeit mit dem verschwiegenen Mordgedanken und dem stillen Reuewort zusammen.77 Dieses Problem stellt 74 Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xi,20,1 f., CCSL 50a, S. 486. 75 So ist es denn Gott auch nicht möglich, etwas zu verheimlichen, da in ihm Erkennen und Sprechen zusammenfallen. Der Mensch aber kann durchaus etwas denken, das er nicht ausspricht. »Quid enim est aliud illi rem loqui aliquam hoc loquendi modo quam intelligere? Nam non ut homo, non semper dicit quod intelligit.« Anselm von Canterbury, Monologion (1964), 29. Kap., (S. 124). 76 Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xv,24,1 ff., CCSL 50a, S. 497. 77 Vgl. auch Bilmes, Constituting silence (1994), S. 79.
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sich nicht erst dem neuzeitlichen wissenschaftlichen Fragen, sondern brachte schon im Mittelalter eine reiche Literatur zum Schweigen hervor. Überall da, wo ein Interesse bestand, nicht nur die sicht- und hörbaren Bereiche des Menschen einer bestimmten Ordnung zu unterwerfen, sondern der Mensch in seiner ganzen Tätigkeit kontrolliert werden sollte, gibt es entsprechende Versuche, die verwirrliche und darin verunsichernde und schließlich gefährliche Mehrdeutigkeit des Schweigens zu lichten. Sowohl die monastische als auch die didaktische Literatur kennen das Schweigen als zentrales Thema. Sie kennen aber auch die Anordnungen, wie das Schweigen auf die Ordnung hin gebrochen werden muss.78
78 Zum monastischen Schweigen siehe v. a. Kunz, Schweigen und Geist (1996); dazu und zur didaktischen Literatur zum Schweigen v. a. Roloff, Reden und Schweigen (1973) und Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978).
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Schweigen zwischen dem Reden
2. Schweigen zwischen dem Reden
Dass das Schweigen wesentlicher Bestandteil der Kommunikation ist, gehört nicht zu den Entdeckungen der neueren Linguistik. Als vieldeutiges Verstummen, exklamatorisches Abbrechen, scheinbar dezent verschweigendes Übergehen wird es in der Rhetorik behandelt, als Instrument der Macht sowie Ausdruck der Demut, Zeichen der Aufmerksamkeit, aber auch Mittel der Täuschung gehört es zu jeder weltlichen und geistlichen Spracherziehung, die immer auch Sozialisation ist.79 Dabei wird es immer so in die Sprache eingebunden, dass es sich in ihrem System erklären lässt und Teil der Sprache wird.80 Auch ausserhalb des artifiziellen rhetorischen Rahmens versucht man das Schweigen zu klassifizieren, wobei es ausschließlich der Hörer ist, der interpretiert, der die Leerstelle im Gespräch mit Erwartetem oder Geahntem füllt, sie in den Kontext einbindet und so scheinbar erklärbar macht. Zielt das rhetorische Schweigen darauf, dass die Rede sich im Kopf des Zuhörers fortsetzt und sich entsprechend wirkungsvoller in dessen Gedächtnis einschreibt, ist es gerade diese Ergänzung aus dem Kontext, die in der sozialen Kommunikation nicht nur Missverständnisse ermöglicht, sondern, als Ausdruck einer Ordnungs- und Einordnungssucht auch Zeichen eines Machtsystems ist, das den andern in jedem Augenblick in die Sprache, als dem Begreifbaren, hereinzuziehen sucht. Denn es besteht die Tendenz, dass die Interpretation des Hörers, das heißt desjenigen, der das Schweigen als Fehlen einer sprachlichen Äußerung wahrnimmt, genauer und ausführlicher ist als die Aussage, die der Schweigende selber in seiner Wortlosigkeit vielleicht beabsichtigt. Man kann wohl davon ausgehen, dass das sogenannt ›beredte Schweigen‹ in den wenigsten Fällen in eine deutliche Aussage durch den Schweigenden gebracht werden kann, sondern im Gegenteil eine Art Sprach79 Vor allem im Kontext ethnolinguistischer Untersuchungen wird die These vertreten, dass das Schweigen wie das Sprechen erlernt werden müsse. Jaworski, The Power of Silence (1993), S. 4. 80 Dies gilt v. a. für Überlegungen im Zusammenhang mit Didaktik und Rhetorik, prägt aber auch neuere linguistische Untersuchungen. Vgl. z.B. den Versuch von Caprettini, eine Typologie des Schweigens aufzustellen mit Hilfe des Jakobsonschen Kommunikationsmodells: Per una tipologia del silenzio (1989). Vorsichtiger ist der v. a. ethnolinguistische Versuch, Schweigen und Reden als zwei sich überschneidende Kommunikationskategorien anzusehen. Dazu Hinweise bei Jaworski, The Power of Silence (1993), S. 17.
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cluster ist, dessen Struktur sich nicht auflösen lässt. Fast immer aber kann ein Hörer eine höchst verständliche verbale »Übersetzung« des Schweigens geben. Es mag das der Grund sein, weshalb sich die Arbeiten zum Schweigen mit Vorliebe mit diesem ›beredten Schweigen‹ beschäftigen, scheint es doch einfacher zu fassen als das nicht in einen direkten Sprachkontext eingebundene.81 Es steckt der Versuch dahinter, metaphysischer Unfasslichkeit zu entgehen.82 Dadurch wird das Phänomen jedoch notgedrungen auf das reduziert, was in seinem Gegenspieler, dem Wort, fassbar ist. Und das Schweigen wird paradoxerweise zum Gehörten par excellence – keine andere Äußerung ist in gleichem Masse eigentliche Äußerung des Hörers.83 Bleibt man sich aber bewusst, dass auch das ›beredte Schweigen‹, dieses Element der Sprache, Teil hat an dem, was dieser Sprache gerade nicht zugänglich ist, öffnen
81 Vgl. die oben in Anm. 49 der Einführung zitierten Schweigedefinitonen von Ruberg und Roloff. Van den Heuvel definiert: »Le ›silence‹ peut être considéré comme une opération discursive, consciente ou inconsciente, se manifestant dans un texte et référant directement à l’énonciation. […] Le silence est donc, dans sa signification fondamentale, un acte énonciatif ›in absentia‹, inscrit dans le discours par une causalité contextuelle.« Parole, mot, silence (1985), S. 66 f. Baker spricht vom nicht kommunikativ angespannten Schweigen als dem »linguistic nirvana«. The Theory of Silences (1955), S. 161. Kunz, die entschieden diesen Sprachzirkel zu durchbrechen sucht, schreibt ziemlich ambivalent am Anfang: »Schweigen ist ein kontextuelles, dialogisches, kommunitäres und kommunikatives Phänomen; es ist deshalb nicht isoliert zu erfassen, sondern ›nur innerhalb einer Theorie des kommunikativen Handelns zu beschreiben und erklären‹«, um dann aber fortzufahren: »Und doch gehen Wort und Schweigen nicht einfach ineinander auf. […] Der zwischen Wort und Schweigen sich eröffnende Zirkel ist ein dynamischer und je transzendierender, der sich nicht im Kreis, sondern in die Höhe oder Tiefe dreht. Schweigen und Wort lassen sich nicht aufeinander zurückführen. […] Auch wenn das Schweigen erst durch einen kommunikativen oder sprachlichen Kon-Text sichtbar und vernehmbar wird, ist es nicht in Sprache und Gespräch auflösbar«, und schließt dann: »Schweigen ist ein Phänomen des ›Zwischen‹; man findet es ›zwischen‹ den Zeilen, ›zwischen‹ den Worten, ›zwischen‹ den Menschen.« Schweigen und Geist (1996), S. 32 f. und 35. 82 Ruberg grenzt explizit »ein absolutes, der Spekulation zugängliches Schweigen, das aus sich selbst besteht und die Kategorie Nicht-Reden qualitativ sprengt« aus. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 11. Im linguistischen Forschungsbereich wird noch deutlicher ausgeklammert: »To take a less metaphysical stance, the concept of silence depends on the concept of sound, and both depend on the existence of a conceptualizer.« Bilmes, Constituting silence (1994), S. 73. 83 Jaworski zitiert die Schweige-Definition von Bowers, Metts & Duncanson: »the contrastive material against which auditory images are cast«. The Power of Silence (1993), S. 12.
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sich hier plötzlich Möglichkeiten eines Verständnisses, das, zitternd zwischen Diskursanalyse, Kommunikationstheorie und sprachphilosophischen und -theologischen Überlegungen, die scheinbar verständliche Sprache des Schweigens aus ihrer Gefangenheit im Ohr des Hörers wieder befreit. Die Beschränkung auf das ›beredte Schweigen‹ als Forschungsgegenstand in der Illusion, diese Rede mit der Grammatik der Sprache zu verstehen, kann dem Phänomen nur begrenzt gerecht werden.84 In jedem kommunikativen Schweigen ist ein Teil des vorwörtlichen Schweigens enthalten, ist auch ein Moment des endlichen Schweigens – die sich beide der Sprache gründlich versagen.85
2.1 Das Ornament der Pausen Wird ein Text, der aus einer Ansammlung von Buchstaben besteht, gelesen, muss er, um verständlich zu sein, nicht nur richtig akzentuiert,
84 Dass v. a. neuere Arbeiten zur Gesprächsanalyse das Schweigeverhalten als nonverbale Kommunikation aus dem System der verbalen Sprache lösen, zeigt den Versuch, diesem Dilemma zu entgehen. Dauenhauer versucht das Problem durch die Kategorie »deep silence« zu lösen: »My claim here is that deep silence is at play in all utterances of whatever sort. Occurrences of this aspect of silence do not appear to be subordinate to utterance. In fact, at least sometimes they appear to enjoy a primacy over utterance.« Silence (1980), S. 16. Das Problem der Kategorie »deep silence« wird deutlich, wenn sowohl das liturgische Schweigen wie das Schweigen des persönlichen Gebets, sowohl das intime Schweigen zwischen zwei Personen wie das mystische Schweigen darunter subsumiert werden: der Begriff löst sich auf. (Ebd., S. 16–24). 85 Die enge Verbindung dieser drei Schweigen macht denn eine eindeutige Abgrenzung in den wenigsten Fällen möglich; eine Abgrenzung, die jede Arbeit zum ›beredten Schweigen‹ scheinbar problemlos und entsprechend willkürlich setzt. Eine Differenzierung, die immer auch Aufzeigen der Schwierigkeit des Differenzierens ist, versucht Lauretano, sagt aber auch: »Sembra quindi opportuno tentare di tener distinti i due piani e i due livelli di analisi, anche se, da un punto in poi, le due questioni finiscono con l’intrecciarsi e l’esame del silenzio come non dire si intesse con quello dell’indicibile. Le questioni si revelano allora le due facce di una stessa medaglia.« Il linguaggio silenzioso (1989), S. 461. Auch van den Heuvel setzt sich von einer zu engen Sicht des Schweigens als »figures de construction« ab: »C’est s’attacher à la surface de l’énoncé. Il importe de poser la question autrement: à quoi correspondent ces ›trous‹ textuels au niveau de l’acte de parole; quelle est leur origine véritable dans le prélangagier, dans la structure invisible; quels effets leur transcription vise-t-elle à obtenir sur le plan de la réception?« Parole, mot, silence (1985), S. 65.
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sondern auch durch Pausen richtig gegliedert werden.86 So hat sich eine Notation entwickelt, die, als ›positurae‹ oder ›distinctiones‹, Zeichen für kleine Intervalle gibt.87 Unterschiedlich gesetzt, je nachdem ob mit ihnen ein Satz gegliedert oder abgeschlossen wird (subdistinctio, media distinctio, distinctio), weisen sie auf die Stellen im Text, an denen ein Moment der Stimmlosigkeit verlangt ist, um den Worthaufen zu gliedern und so erst verständlich zu machen.88 Isidor erklärt das Wort ›positura‹ denn auch in bezug auf die momentane Stimmlosigkeit: »Sie heißen ›positurae‹ entweder, da sie durch gesetzte Punkte angezeigt werden, oder weil an diesen Stellen die Stimme zu Seite gelegt wird für den Unterbruch der Unterscheidung.«89 Diese kleinen Schweigezeichen sind nicht nur Ornament des Textes90, sondern in ihrer klärenden Funktion auch Laternen, die Licht in das Dunkel bringen: »Posituren oder Punkte sind sozusagen eine Art Wege des Verständnissinns und
86 Bei Quintilian heißt es: »Superest lectio, in qua puer ut sciat, ubi suspendere spiritum debeat, quo loco versum distinguere, ubi claudatur sensus, unde incipiat, quando attollenda vel summittenda sit vox […] demonstrari nisi in opere ipso non potest.« Institutio oratoria (1958ff.), I,viii,1. Siehe zum syntaktisch gliedernden Schweigen auch Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 45; Schmitz, Beredtes Schweigen – Zur sprachlichen Fülle der Leere (1990), S. 30. 87 Zur Geschichte der Interpunktion siehe Parkes, Pause and Effect (1992). Ruberg weist zurecht im Zusammenhang mit der ›pausa‹-Setzung kurz auf die Entwicklung im Buchdruck hin, auf Spee z.B., der Satz- und Abschnittgrenzen besternt, »um den Leser zu einem meditativen Innehalten an diesen Punkten aufzufordern«, oder auf die berühmten schwarzen und weissen Seiten im »Tristram Shandy«, durch die sich Sterne »Verbündete für die rhetorischen Figuren des zeitweiligen Schweigens« sichert, »das auf die imaginierende Mitwirkung des Lesers zielt.« Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 18. 88 Zur weiteren Differenzierung der Pungierung siehe Parkes, Pause and Effect (1992). Die Vorbehalte, die Parkes gegenüber den theoretischen Äußerungen hat – als nicht mit der Praxis übereinstimmend – (S. 4), spielen hier keine Rolle. Denn es geht hier nicht um die Praxis der Pungierung, sondern ihre theoretische Deutung in bezug auf einen Schweigemoment. 89 »Dictae autem positurae vel quia punctis positis adnotantur, vel quia ibi vox pro intervallo distinctionis deponitur.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), I,xx,1. 90 »Punctorum vero distinctiones vel subdistinctiones licet ornatum faciant pulcherrimum in sententiis«. Alcuin, Epistola 172 (April-Mai 799), MGH Epist.IV,2, S. 285, 16–20. Vgl. auch Cassiodorus, Institutiones (1961), I,xv,12, (S. 48). Noch Adorno spricht von den Satzzeichen u. a. als einem »ornamentalen Element«, so wie auch er die Körpermetaphorik der Sprache aufnimmt, wenn er sagt, dass jeder Text die Satzzeichen von sich aus zitiere, »von deren körperlosen Gegenwart der Sprachleib zehrt«. Satzzeichen (1991), S. 107 und 106.
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Lichter der Aussagen, die die Leser so belehren, wie wenn sie von den besten Interpreten unterrichtet wären.«91 Erst durch sie wird das Verwirrte entwirrt und klar.92 So mahnt Hieronymus seinen Leser, dass er den »Wald der hebräischen Wörter und die ›distinctiones‹ wegen der getrennten Glieder sorgfältig in der Schrift beachte«, damit nicht seine Arbeit und das Studium des Lesers zerstört werde.93 Die Artikulation des Textes ist demnach angewiesen auf die kleinen stimmlosen Pausen zwischen den Teilen, durch die die einzelnen Glieder (membra) unterschieden werden, so dass das Textcorpus umso schöner erscheint. »Denn wenn unser Körper in den Gliedern erkannt werden muss, warum wird dann die Lesung (lectio) mit ihren Teilen konfus vernachlässigt?«94 Der sprachlich realisierte, der artikulierte Text wird auch hier im Vergleich zum Körper.95 Und es sind die Pausen, die stimmlosen Schweigepunkte im Sprachfluss, die die einzelnen Glieder formen, in denen sich aber gleichzeitig auch die einzelnen Teile verbinden.96
91 »positurae seu puncta quasi quaedam viae sunt sensuum et lumina dictionum, quae sic lectores dociles faciunt tamquam si clarissimis expositoribus imbuantur.« Cassiodorus, Institutiones (1961), I,xv,12, (S. 48 f.). 92 In der Ars Victorini heißt es: »Discretio quid est? Confusarum significationum perplana significatio.« GL , 6, S. 188. Schon Quintilian meint, dass ein Text ohne Distinctiones unverständlich sei. Institutio oratoria (1958ff.), XI ,iii,39. 93 »Monemusque lectorem, ut silvam hebraicorum nominum et distinctiones per membra divisas diligens scriptura conservet, ne et noster labor et illius studium pereat.« Hieronymus, Praefatio in libro Josue (1994), S. 285, 4–6. Zur Bedeutung von Hieronymus für die Geschichte der Interpunktion siehe Parkes, Pause and Effect (1992), S. 15 f. In bezug auf diese Stelle deutet Alanus ab Insulis in seinem Liber in distinctionibus dann ›silva‹ u.a. als ›multitudo‹. PL , 210, Sp. 944C. 94 »nam si corpus nostrum indiget per membra cognosci, cur lectio cum suis partibus videatur confusa derelinqui?« Cassiodorus, Institutiones (1961), I,xv,12, (S. 48). Zur Bedeutung dieser kleinen Leerstellen (inania tempora) für den Rhythmus vgl. Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.) IX ,iv,50–51. Hier wird auch die Unterscheidung von Metrum und Rhythmus u.a. dadurch erklärt, dass Metrum sich auf die Wörter beziehe, während Rhythmus auch die Bewegung des Körpers betreffe: »et quod metrum in verbis modo, rhythmus etiam in corporis motu est.« Das heißt aber, dass die Sprechpause im Sinne der Gliederung nicht zuletzt als Körperbewegung verstanden wird. 95 Quintilian vergleicht das aus dem Satzganzen gelöste ›colon‹ (membrum) mit einer einzelnen Hand, einem einzelnen Fuss, einem abgeschnittenen Kopf: »Membrum autem est sensus numeris conclusus, sed a toto corpore abruptus et per se nihil efficiens. ›O callidos homines‹ perfectum est, sed remotum a ceteris vim non habet, ut per se manus et pes et caput.« Institutio oratoria (1958ff.), IX ,iv,123. 96 Dass die Pause zwischen den Satzgliedern als Mittel der ›iunctura‹ gesehen wird, zeigen die Gesetze, die diese regeln. Hier wird deutlich unterschieden zwischen
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Dass die gliedernde Pause nicht als »Loch in der Rede« wahrgenommen wird, durch das ein Blick geworfen werden kann auf einen Schweigehintergrund, der mit dem Schweigen vor dem Anfang und nach dem Ende zusammenfällt, macht die Metaphorik klar. Ist im Kontext der ›distinctiones‹ von Licht die Rede, das erst die Gestalt des Textes erkennbar macht, konnotiert sich das Schweigen vor der Artikulation mit chaotischer Gestaltlosigkeit, mit Finsternis.97 Die ›distinctiones‹, Mittel der Artikulation und Teil der ›pronuntiatio‹, sind sowohl Instrument wie Bedingung der ›vox articulata‹.98 Ohne die klärende Pause bleibt der Text konfus, ohne die Stimmlosigkeit fände die Stimme (vox) keine Gestalt im Sinne eines gegliederten Körpers.99
der Verbindung von Wörtern, in der verschiedenste Regeln zu beachten sind, und der Verbindung von Satzgliedern, die nicht so streng geregelt werden muss, da sich hier die Pause dazwischenschiebt. Vgl. Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik (1973), § 945. Entsprechend spielen dafür die ›numerus‹-Gesetze am Schluss und Anfang eines Satzgliedes, als den auffälligsten Stellen, eine grössere Rolle. Vgl. dazu die Klausellehre (im Mittelalter dann die vier ›cursus‹). Dazu: Lausberg, Handbuch der literarischen Rhetorik (1973), §§984–90, 1052, 1053; aber auch: § 968. Wie stark die Sprache mit Bewegung, das Schweigen, auch in der kleinen Form der Pause, aber als Stillstand gesehen wird, zeigt auch ein Vergleich wie der von Quintilian, der den Lauf des Textes als Lauf eines Läufers allegorisiert, der bei Komma-, Kolon- und Periodenende stehenbleibt und dadurch einen kleinen Eindruck im Boden hinterlässt, die flüchtige Spur des Laufes aber entspricht der nötigen Feingliederung im Text. »Nam ut initia clausulaeque plurimum momenti habent, quotiens incipit sensus aut desinit, sic in mediis quoque sunt quidam conatus iique leviter insistunt. Currentium pes, etiamsi non moratur, tamen vestigium facit. Itaque non modo membra atque incisa bene incipere atque cludi decet, sed etiam in iis, quae non dubie contexta sunt nec respiratione utuntur, illi velut occulti gradus sint.« Institutio oratoria (1958ff.), IX ,iv,67. 97 Lauretano weist auf die verschiedenen Vorstellungen eines Schweigehintergrunds hin, vor dem sich die Rede abhebt. Es ist auffallend, dass da die Lichtmetaphorik durchgehend für die Sprache gebraucht wird: »Ci si rifà al carattere articolato del discorso, al suo consistere in una serie die ›articuli‹, segmenti chiari intervallati da tratti scuri (tratti di silenzio). […] Bisogna considerare la parola prima che sia pronunciata, il fondo di silenzio da cui emerge e che non cessa di circondarla, i fili di silenzio di cui è intessuta.« Il linguaggio silenzioso (1989), S. 473. 98 Dass sich der schlecht artikulierte Text mit der Dunkelheit verbindet, zeigen auch die Ausführungen von Augustinus zur ›obscuritas‹. Das schlecht ausgesprochene und somit nicht richtig hörbare Wort vergleicht er mit einem Bild im Dunkeln. De Dialectica (1975), VIII , S. 104 f. 99 Jaworski sagt: »It follows from the above that pausing belongs to the prosodic, or more generally, paralinguistic system of language. It plays a role in identifying speech units and in making sense out of them. Thus it would be an oversimplification to treat silence only as background to speech, […]. Rather, as is common in psycholinguistic research, silence in the form of pauses and hesitations is treated
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Neben dem unterscheidenden kurzen Stimmunterbruch der ›distinctio‹, durch den ein Text erst verständlich wird, gibt es die eine Silbenabfolge rhythmisch gliedernde Pause, die nicht wie die ›positura‹ als »Licht« den Text beleuchtet, als »Weg« den Buchstabenwald begehbar macht, sondern, als das Metrum konstituierender Teil der Rede, im eigentlichen Sinne ›beredt‹ ist.100 Geoffroi de Vinsauf rechnet sie in seiner »Poetria nova« ganz direkt zu den Gesetzen der Stimme.101 Noch stärker in den Text eingebunden und regelrecht mit stummer Rede gefüllt, sind dann die rhetorischen Phänomene des kurzen und längeren Verstummens im Text, alle möglichen Formen der Aposiopese oder ›reticentia‹.102 Ist die durch die Pungierung notierte Pause im grammatikalischen Sinn notwendiger Teil der ›vox articulata‹, ist die rhetorische Unterdrückung einer Aussage ein Auslassen, das nicht zur Sinnklärung beiträgt, sondern sich im Kontext mit eindeutiger Rede füllt. Eine Art Hallraum für das explizit Geäußerte, eine stumme Exklamatio – oder ein durchsichtiger Vorhang, der durch Verhüllen zeigt. Isidor definiert denn auch folgendermassen: »Aposiopesis ist, wenn wir das, was erwartet wird, dass wir es sagen, durch ein Schweigen un-
on a par with other paralinguistic accompaniments of speech such as voice volume, tempo, pitch, and intensity.« The Power of Silence (1993), S. 14. Wobei die Zusammenlegung von zögernder Pause und rhythmisierender Pause nicht nur in bezug auf die mittelalterliche Grammatik nicht sinnvoll ist. Zum Schweigen als Redepause vgl. auch Lauretano, Il linguaggio silenzioso (1989), S. 472–74. 100 Ein interessantes Problem, das hier aufbricht, im Rahmen dieser Arbeit aber nicht weiter untersucht werden kann, ist die Füllung der Verse durch Überlängen, wie sie in der Metrik sich eingebürgert hat. Es stellt sich die Frage, inwiefern hier nicht das normierte metrische Schema, das mit dem Ideal der Glätte und Regelmässigkeit argumentiert, einen Ausdrucksaspekt des mittelhochdeutschen Verses unterdrückt – den Vers, der sich durch Schweigen ergänzt. 101 »Sunt in voce suae leges, et eas ita serves: / Clausula dicta suas pausas, et dictio servet / Accentus. Voces quas sensus dividit, illas / Divide«. Geoffroi de Vinsauf, Poetria nova (1958), V.2033–36. Ruberg spricht von ›Spannungspausen‹, die von Syntax und Versbau gesteuert würden und subsumiert darunter Zäsur, pausierte Hebung oder Senkung, dann v. a. »die Funktionen des Versendes bei Synaphie, ›stumpfer‹ Kadenz, Enjambement und Reimbrechung«. Den für die Grammatiker wie für die Exegeten entscheidenden Aspekt der ›distinctio‹ als Mittel der ›perspicuitas‹ blendet er vollkommen aus. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 17 f. 102 Zu den verschiedenen rhetorischen Begriffen, in denen das Phänomen des Schweigens in der Rede gefasst wird, siehe Bardon, Le silence, moyen d’expression (1943), S. 102 f.
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terbrechen.«103 Die Rede setzt sich hier im Kopf des Zuhörers oder Lesers fort.104 Dass es hier nicht um ein »totes« Verschweigen gehen kann, eine Leerstelle, die vom Hörer nicht entsprechend gefüllt werden kann, oder durch den Kontext nicht schon mit einer spezifischen Rede gefüllt ist, zeigt die Ächtung der als ›eclipsis‹ bekannten Auslassung eines nötigen Textteils, ohne den die Aussage grammatikalisch und sinnkonstituierend unvollständig ist. Wobei die Möglichkeit des Spiels bleibt. Das als Rätsel ausgesparte Wort, das durch Dezenz zensurierte Wort bilden Leerstellen, die – auch wenn nicht sofort ergänzbar – sich in einen Kommunikationszusammenhang einbinden, innerhalb dessen Regeln das Wort entweder durch eine Anstrengung des Zuhörers erraten oder, im Rahmen der geltenden Sprachregelungen, als zum ausgegrenzten Raum gehörend erahnt werden kann, ohne dass die Regeln verletzt würden. Es soll hier aber nicht im Detail auf die Formen der rhetorischen Pausen und Schweigemomente eingegangen werden. Auf die grundsätzliche Schwierigkeit, die verschiedenen Schweigen in der rhetorischen Terminologie zu fassen, weist Bardon hin, der das rhetorisch eingesetzte Schweigen feinsinnig gliedert, dafür aber erklärtermassen den Rahmen der Regelrhetorik verlassen muss.105
2.2 Die missverstandene Pause Wird in der Grammatik die Wichtigkeit der Pause für die Gliederung eines Lautwirrwarrs hervorgehoben, wird in der Sprachphilosophie immer wieder betont, dass die Kommunikation unter Menschen nur möglich sei, wenn einerseits auf den nach verstandesmässigen Geset-
103 »aposiopesis est, cum id, quod dicturi videbamur, silentio intercipimus«. Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), II ,xxi,35. 104 Es tut sich hier natürlich auch eine Möglichkeit der Komik auf, indem die vom Zuhörer ergänzte Rede im Nachhinein explizit anders gefüllt wird und die eingeschliffenen Gedankengänge des Publikums so nicht nur entlarvt, sondern auch auf den Kopf gestellt werden. 105 »Ces incertitudes [in der rhetorischen Klassifizierung] nous incitent à nous défier des termes de la rhétorique, trop roides pur enserrer la vivante réalité.« Bardon, Le silence, moyen d’expression (1943), S. 104. Sehr deutlich zeigt sich die Nähe gewisser rhetorischer Pausen zum Redeschluss, was nicht zuletzt im Spiel mit dem vermeintlichen Schluss genutzt wird – ähnlich dem Trugschluss in der Musik.
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zen vorgegebenen Rahmen der ›regula loquendi‹106 zurückgegriffen werde und anderseits das hörbare Wort auf ein empfangendes Schweigen treffe. Und ist das Wort in sprachtheologischem Verständnis lediglich Zeichen, das Anstoss für eine innere Erkenntnis sein kann, zielt es auch beim Hörer auf diese Art der Erkenntnis, die sich – als ›verbum cordis‹ – jenseits des Sprachzeichens vollzieht. Die Kommunikation unter den Menschen wird da ganz eigentlich zur Kommunikation in Gott, indem das gegenseitige Verständnis nur in dem von Gott gegebenen inneren Verstehen möglich ist. Die verbale Kommunikation wird so zum lautsprachlichen Filigranwerk, das nur als sinnhaftes Zeichen verstanden werden kann, wenn es in eine sprachlose Erkenntnis findet.107 Neben diese doch eher sprachtheologischen und erkenntnistheoretischen Überlegungen stellt sich jedoch immer auch die alltäglichere Frage nach der Funktion und dem Funktionieren der zwischenmenschlichen Kommunikation, die nicht nur auf Erkenntnis angelegt ist, die aber für jede Gesellschaft konstituierend ist. Dabei wird im theologischen Argumentationszusammenhang das menschliche Wort in seiner kommunikativen Funktion legitimiert als gottgewollte Offenbarungsvermittlung und Mittel der Caritas. Sprache ist da Bindeglied unter den Menschen und Ausdruck der Nächstenliebe. Und wenn in den Trinitätsspekulationen das Wort als durch Liebe mit dem Geist verbundenes erscheint, wird auch hier die Sprache zum Träger von Liebe. Dass dabei die Selbstliebe zur Grundvoraussetzung der Erkenntnis wird, damit aber auch Vorbedingung des Sprechens, verbindet Selbstund Nächstenliebe auf exzeptionelle Weise im Wort.108 Die Sprache wird so zum Auslöser sprachloser Erkenntnis in der Gemeinschaft, aber auch zum Zeichen der Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit im Horizont der göttlichen Wahrheit.109 Vor dieser heilsgeschichtlichen
106 Augustinus, De magistro (1970), VIII ,24,133 (S. 184). 107 In Analogie zur Inkarnation sagt Augustinus: »Sicuti cum loquimur, ut id, quod animo gerimus, in audientis animum per aures carneas inlabatur, fit sonus verbum quod corde gestamus, et locutio vocatur, nec tamen in eundem sonum cogitatio nostra convertitur, sed apud se manens integra, formam vocis qua se insinuet auribus, sine aliqua labe suae mutationis adsumit: ita verbum dei non commutatum caro tamen factum est, ut habitaret in nobis.« Augustinus, De doctrina christiana (1961), I,xiii,12. CCSL 32, S. 13. 108 De Trinitate, XIV,10,13, CCSL 50a, S. 440 f. Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter (1994), S. 158 ff. 109 Im ›Prooemium‹ zu De doctrina christiana sagt Augustinus sehr direkt: »Quomodo enim verum esset, quod dictum est: ›Templum enim dei sanctum est,
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Interpretation sprachlicher Kommunikation steht aber das Phänomen selber: durch sprachliche Zeichen verständigt man sich mehr oder weniger problemlos. Bedingung für die Verständigung ist der Rückgriff auf die vernunftmässige ›regula loquendi‹, durch die die Mehrdeutigkeit eines sprachlichen Zeichens im Kontext eingeschränkt werden kann. Jede sprachliche Verständigung ist also nur in einer gegebenen Sprachordnung möglich, einer Ordnung, die die vieldeutigen Zeichen in eine relative Eindeutigkeit bindet.110 Missverständnisse aufgrund der Ambiguität der Zeichen können aber nicht ganz ausgeschlossen werden.111 In der ›ambiguitas‹, der Mehrdeutigkeit des Zeichens, bricht die Problematik der Sprache auf.112 Augustinus unterscheidet unter anderem zwischen ›natürlichen Zeichen‹ (signa naturalia) und ›gegebenen Zeichen‹ (signa data): »Unter den Zeichen gibt es aber einerseits natürliche, anderseits gegebene. Natürliche sind die, die ohne Willen und ohne irgend eine Absicht des Bedeutens ausser sich auch etwas anderes verstehen lassen, wie der Rauch Feuer bedeutet. […] Gegebene Zeichen aber sind die, die sich Lebewesen gegenseitig geben, um, so gut sie können, die Bewegung ihrer Seele oder Gefühle oder irgendwelche Verstandesinhalte anzuzei-
quod estis vos‹, si deus de humano templo responsa non redderet et totum, quod discendum hominibus tradi vellet, de caelo atque per angelos personaret? Deinde ipsa caritas, quae sibi homines invicem nodo unitatis adstringit, non haberet aditum refundendorum et quasi miscendorum sibimet animorum, si homines per homines nihil discerent.« Prooemium, 6,94–101. CCSL 32, S. 4. 110 »Quod enim dictum est omne verbum esse ambiguum de verbis singulis dictum est.« Augustinus, De Dialectica (1975), IX , S. 108. Quintilian schreibt: »Uni verbo vitium saepius quam virtus inest. Licet enim dicamus aliquod proprium, speciosum, sublime: nihil tamen horum nisi in complexu loquendi serieque contingit.« Institutio oratoria (1958 ff.), I,v,3. 111 Vgl. dazu Augustinus, De Dialectica (1975), XIII und IX . Augustinus braucht für das obskure und ambige Sprechen die Metapher der Weggabelung in einer vernebelten Landschaft. Der Spaziergänger ist wegen der Undurchsichtigkeit (obscuritas) daran gehindert, weiterzugehen. Lichtet sich der Nebel ein bisschen, kann er etwas erahnen, hat aber noch keine Gewissheit, was er wirklich sieht und ist in der Vieldeutigkeit (ambiguitas) befangen, die sich durch die Verunklärung der Sicht (obscuritas) ergibt. Klärt sich schließlich die Szenerie auf, sind die verschiedenen Wege deutlich erkennbar, ohne aber dass der Spaziergänger wüsste, welche der Richtungen er einschlagen soll (ambiguitas). Augustinus, De Dialectica (1975), VIII , S. 102 f. 112 »Impedit enim auditorem ad veritatem videndam in verbis aut obscuritas aut ambiguitas.« Augustinus, De Dialectica (1975), VIII , S. 102. Siehe dazu auch Hennigfeld, Geschichte der Sprachphilosophie. Antike und Mittelalter (1994), S. 131 f.
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gen.«113 Dass die Sprache zu den ›signa data‹ gehört, dass die Wörter willentlich und künstlich gesetzt sind, ist klar.114 Es stellt sich nun aber die Frage, ob das Schweigen innerhalb eines Kommunikationszusammenhangs auch ›signum datum‹ ist, oder nicht doch, ›sine voluntate atque ullo appetitu significandi‹, nicht zu den künstlichen Zeichen zu rechnen ist. Wird die Unverständlichkeit der Heiligen Schriften auf die Unbekanntheit und Mehrdeutigkeit gewisser Zeichen zurückgeführt, diese Dunkelheit aber immer wieder mit dem Begriff des Schweigens gefasst, schließt sich dadurch das Schweigen innerhalb eines Kommunikationszusammenhangs mit den ›signa ignota‹ und ›signa ambigua‹ zusammen.115 Schweigen wird zu einem mehrdeutigen oder unbekannten Zeichen. Der Rat von Augustinus, zur Erklärung dunkler Textstellen das Wissen nicht nur aus dem Kontext zu beziehen, sondern über diesen hinaus Verständnishilfen zu suchen (fremde Sprachen, Realien, etc.), gilt auch für das nicht rhetorische Schweigen: Der Sprachkodex muss gebrochen werden.116 Das heißt auch, dass die sprachliche Äußerung nicht unbedingt den vollen Sinninhalt vermittelt, sondern in der Sprechpause der Gedanke den sprachlichen Rahmen sprengen kann.117 Der Hörer aber, im Rahmen der ›regula loquendi‹ verstehend, muss, will er nicht die Ordnung des Kontextes gefährden, jede mehrdeutige Leerstelle in das sprachliche Zeichensystem einbinden und so domestiziert deuten – auch wenn sie durch die Ambiguität und die potentielle Absichtslosigkeit aus dem verständlichen Text hinausweist. Die Diskrepanz zwischen dem ›Verständnis‹ des Schweigens, das kein sprachliches sein kann, und der Verstehensabsicht, wenn nicht dem Verstehenszwang des Hörers, bleibt. In diesem Zusammenhang ist denn der 113 »Signorum igitur alia sunt naturalia, alia data. Naturalia sunt, quae sine voluntate atque ullo appetitu significandi praeter se aliquid aliud ex se cognosci faciunt, sicuti est fumus significans ignem. […] Data vero signa sunt, quae sibi quaeque viventia invicem dant ad demonstrandos, quantum possunt, motus animi sui vel sensa aut intellecta quaelibet.« Augustinus, De doctrina christiana (1961), II ,i,2–ii,3, CCSL 32, S. 32 f. 114 Augustinus, De doctrina christiana (1961), II ,xxxvii–xxxviii, CCSL 32, S. 70 f. 115 »Duabus autem causis non intelleguntur, quae scripta sunt, si aut ignotis aut ambiguis signis obteguntur.« Augustinus, De doctrina christiana (1961), II ,x,15,1–2, CCSL 32, S. 41 Der Versuch, das Schweigen mit Hilfe von Psychologie, Soziologie, etc. zu erklären, geht genau in dieser Richtung. 116 Vgl. Augustinus, De doctrina christiana (1961), II ,xi,16 ff., CCSL 32, S. 42 ff. 117 Die Kunst des Hiats in der Rhetorik zielt nicht zuletzt auf diese Möglichkeit einer Sinnerweiterung durch die kurze Leerstelle. Vgl. u.a. Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,36.
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Begriff des ›beredten Schweigens‹ ein Sehnsuchtsbegriff des in die Unsicherheit einer Ordnungslosigkeit geworfenen Hörers. In seinen Überlegungen zur Lüge, ›De mendacio‹, sieht Augustinus das Verweigern einer Aussage als Möglichkeit, einer Notlüge zu entgehen. Dabei mahnt er aber zur Vorsicht, da je nach Frage das Schweigen zum Hinweis werden kann: der Hörer ordnet das Schweigen in den Kontext ein und macht es so zum Wort.118 Es ist also nötig, das Schweigen in einen diffusen, zumindest nicht eindeutigen Zusammenhang zu bringen, um so seine Ambiguität zu wahren. Das Schweigen ist durch die Sprache des Hörers in seiner Wortlosigkeit gefährdet. Dadurch wird deutlich, dass jedes Schweigen, das in eine klare Hörerwartung hineinfällt, nicht anders verstanden werden kann als als ein bewusst eingesetztes Schweigen, ein ›signum datum‹. Dass es nicht als das gemeint sein muss, dass es genauso ›sine voluntate‹ passieren kann – als Sprachcluster oder nicht rational bedingte Unaufmerksamkeit zum Beispiel – führt nicht nur zu Missverständnissen, sondern ist für jede Auseinandersetzung mit dem Problem des sogenannten kommunikativen Schweigens entscheidend. In jedem Schweigemoment steckt die Möglichkeit der Wortlosigkeit. Jedes Schweigen ist in seiner Vieldeutigkeit chaotisch.119 Auch wenn in kommunikativem Kontext nicht vom kontemplativen Schweigen des ›verbum cordis‹ die Rede sein kann, da sowohl das zum Wortzeichen gewordene sprachgebundene Schweigen wie das obskure, vieldeutige Schweigen im sprachlichen Kontext zu dem gehören, was oben in bezug auf Augustinus als ›sprachgefülltes Schweigen‹ definiert wurde, erweist sich die Beschränkung der Sicht auf das ›beredte Schweigen‹ im Sinne einer kommunikativen Handlung doch als eigentlich unmögliche Grenzziehung. Gerade im Blick auf die augustinische Sprachphilosophie mit ihrem erkenntnistheoretischen Anspruch, löst sich die Einbindung des Schweigens in rhetorische und linguistische Kategorien. Dabei mag die latente Sprachskepsis des großen Rhetors eine Rolle spielen. Es ist aber gerade dieser theologische Horizont, der von Präliminarien befreit, die sich im Blick auf zwischenmenschliche Kommunikation wie selbstverständlich ergeben, ohne selbstverständlich zu sein. Es gibt keine Möglichkeit, das Schweigen zu definieren. Eine Einbindung in die verbale Kommunikationsstruktur erfasst eine Seite der Wirkung des Schweigens, nicht aber das Phänomen. ›Beredtes Schweigen‹ ist ein beruhigender Etikettenschwindel. 118 »De mendacio« 24. Augustinus, Die Lüge und Gegen die Lüge (1986), S. 35 f. 119 Nur deshalb kann Schweigen Schutz und Täuschung sein.
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Schweigen nach dem Reden
3. Schweigen nach dem Reden
Jedes akustisch realisierte oder optisch fixierte Sprechen hat ein Ende in dem Sinne, dass die ›vox articulata‹ – als hörbarer Laut oder sichtbares Zeichen – aufhört. Das kann in Übereinstimmung mit einem Sinnkonstrukt geschehen, wenn an diesem Punkt ein formaler Schluss mit einem Gedankenschluss zusammenfällt.120 Es kann aber auch Unterbruch oder Abbruch einer Sprachordnung sein, so dass willentlich oder unwillentlich ein formales Fragment entsteht. Versteht man das ›erste Wort‹ als Eintritt in eine neue Ordnung – eines Satzes oder eines Textes –, ist das ›letzte Wort‹ entsprechend der Austritt aus ihr.121 Gekennzeichnet wird diese Grenze allein durch die akustische oder optische Sprachleere. Das heißt, dass auch dieses Schweigen im Wort seinen Anfang nimmt, das letzte Wort nicht nur Ende des Sprachkosmos ist, sondern auch Anfang des Schweigens danach. Wenn das Reden zu einem Ende kommt, wird dieses nur durch die Grenze des Schweigens, das sich anschließt, zu einem Ende, selbst wenn die Struktur der Periode sich schließt. Da wird das Schweigen nach dem Reden zur Begrenzung des Wortes, zu seinem Ende und Zeichen der Endlichkeit der Rede. Bricht aber das Sprechen in der Mitte eines Gedankenganges ab, wird die Periode nicht zu Ende geführt, ist der realisierte Schluss nicht der nach der Struktur erwartete Schluss, wird das Schweigen, das das Ende anzeigt, zur Irritation, zu einem Raum der Erwartung des Hörers/ Lesers, in den hinein sich die endliche Ordnung des Redens öffnet. Und das abgebrochene Sprechen, das dem Hörer keinen geordneten Schluss präsentiert, wird zum Bild eines auf eine andere Ordnung hin gebro-
120 Dabei gilt dies nicht nur für den Werkschluss, sondern auch die Periode. Vgl. Quintilian: »Habet periodus membra minimum duo. […] Praestare debet ut sensum concludat.« Institutio oratoria (1958ff.), IX ,iv,125. 121 »Der Texteingang ist zu verstehen als der unmittelbare Übergang aus der aussertextualen Welt des Rezipienten in die innertextuale Welt des erzählerischen Geschehens (Textrealität). Der Textausgang hingegen markiert den Übergang aus dieser Textwelt hinaus, so dass sich das Verhältnis von Texteingang und -ausgang als Umkehrfunktion darstellt.« Driehorst und Schlicht, Textuale Grenzsignale in narrativer Sicht (1988), S. 259. Dass es sich nicht einfach um eine Umkehrfunktion handelt, die den Leser/Hörer in die Welt entlässt, aus der ihn der Text herausgeholt hatte, zeigt gerade die Frage nach dem Schweigen.
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chenen Kosmos. Der Text setzt sich im Hirn des Lesers/Hörers in das Schweigen danach fort und okkupiert dadurch diese fremde, nicht eigentlich zu fassende Welt; das Schweigen wird zum Komplizen des Redens gemacht. Paradoxerweise ist es die scheinbar fragmentarische Rede, die sich ins Unendliche ergänzt, während die strukturell abgeschlossene, ungebrochene Rede das Schweigen nach sich nicht in gleichem Masse angreift, höchstens als Widerhall darin eine gewisse Zeit weitertönt.122 Ist der Anfang der Rede in der christlichen Sprachtheologie nicht zuletzt Ort einer Angst vor Versündigung, ist auch der Schluss der Rede geprägt von Angst. Aber es ist keine Angst vor Versündigung, sondern Angst vor einem Raum, in dem sich die fassbare, bekannte Ordnung auflöst. So wie die Ordnung der Sprache, die sich am Anfang auftut, am Schluss entschieden anders wahrgenommen wird, ist das Verhältnis von Rede und Schweigen an diesen Grenzen auch ganz unterschiedlich.123 Wird in der christlichen Interpretation das Schweigen vor dem Reden zum Schutz stilisiert, aus dem heraus man sprechend in die Gefährdung der Welt tritt, ist das Schweigen nach dem Reden das Verstummen des Todes, in dem die Endlichkeit der Sprache, damit aber auch die zeitliche Welt aufhört. So wird der Schluss der Rede zum Ort der Todesangst.124 Es lässt sich also in bezug auf Anfang und Ende der Rede nicht einfach von Ein- und Austritt sprechen, indem man den
122 Für Cassian ist das Schweigen nach dem laut gesungenen Psalmwort der Ort, an dem sich dieses im Widerhall in den Einzelnen fortsetzt und darin in Erfahrung umgewandelt wird. Siehe dazu Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 654 f. Zu der topischen Konnotation von Tod und Redeschluss vgl. u. a. Neher, L’exil de la parole (1970). Er schreibt: »La mort, c’est le silence, abrupt d’abord dans la plongée silencieuse qui suit immédiatement le dernier mot de la vie, profond ensuite dans l’étendue irréversible de silence que la mort tisse, à mesure qu’elle s’en éloigne davantage, entre elle et la vie.« S. 42. 123 Quintilian sagt in bezug auf Anfang und Ende eines Satzes: »Proximam clausulis diligentiam postulant initia; nam et in haec intentus auditor est. Sed eorum facilior ratio est, non enim cohaerent aliis nec praecedentibus serviunt.« Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,62–63. 124 Wird die Sprache als ständiges Memento mori gesehen, fällt an ihrem Ende das Memento weg. Vgl. oben, den Abschnitt zum ›inneren Wort‹. Ein eindrückliches Bild für diese enge Verknüpfung von Tod und Verstummen, Leben und Sprache findet sich im Talmud, wo es heißt, dass David vom Todesengel nicht geholt werden konnte, solange er laut las und dieser ihn schließlich durch eine List von seiner Lektüre, d. h. aber auch von seinem Sprechen ablenken musste, um ihn greifen zu können. Zitiert bei Balogh, »Voces paginarum« (1927), S. 104.
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Sprachraum – den Text, die Rede – als festes Gebilde vor eine sich gleichbleibende Folie des Schweigens stellt.125 Das Schweigen nach dem Reden irritiert und interessiert mindestens so wie das vorwörtliche Schweigen. Dabei ist das Bewusstsein, dass sich hier ein Hallraum für das Reden auftut, in dem dieses sowohl bewahrt wie verschluckt und vergessen werden kann, ständig präsent. Die Hoffnung, erinnert zu werden, ist die Hoffnung, das Verstummen zu brechen, ist die Hoffnung, im Schweigen nach dem Reden das Erinnern des vorwörtlichen Schweigens fortzusetzen.126 Die Aufmerksamkeit der Rhetorik auf die Redeschlüsse, aber auch die Klauseltechnik sind Ausdruck dieser Sehnsucht nach dem Nachhall.127
3.1 Der Nachhall Wird die Rede als ›vox articulata‹ definiert, hat sie ihre genaue Grenze da, wo das akustische Phänomen aufhört, das ›Schlagen der Luft‹ abbricht und sich eine Bewegungslosigkeit einstellt. Entsprechend wird das Ende einer Redeeinheit – sei dies eine Periode, ein Textganzes oder eine Rede – immer wieder mit Hilfe von Bewegungsmetaphern zu erklären gesucht: im Schluss der Rede kommt eine Bewegung zum Stillstand. So vergleicht Quintilian den Unterschied von langer und kurzer Schlusssilbe mit Absitzen oder Stehenbleiben.128 Und wenn der Redefluss am Schluss gestoppt wird, so ermöglicht diese Ruhe dem Hörer erst das vertiefte Verständnis.129 Graphisches Zeichen dieser Ruhe ist
125 Jaworski zitiert Bruneau: »Silence is to speech as the white of this paper is to this print«. The Power of Silence (1993), S. 12. Und Dauenhauer mit Bezug auf Merleau-Ponty: »It can be seen that the utterance is the ›figure‹ for which fore-andafter-silence taken as a unity is the ›background‹.« Silence (1980), S. 13. 126 Auch Dauenhauer weist auf diesen Übergang von »after-silence« in »foresilence«. Silence (1980), S. 14. 127 In diesen Kontext gehört auch die antike Vorstellung eines Überlebens im Wort, wie es das Horazische »Aere perennius« ausdrückt. 128 »Atqui si nihil refert, brevis an longa sit ultima, idem pes erit; verum nescio quo modo sedebit hoc, illud subsistet.« Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,94. Vgl. auch oben, Anm. 96. 129 »Magis tamen et desideratur in clausulis et apparet, primum quia sensus omnis habet suum finem poscitque naturale intervallum, quo a sequentis initio dividatur, deinde quod aures continuam vocem secutae ductaeque velut prono decurrentis orationis flumine tum magis iudicant, cum ille impetus stetit et intuendi tempus dedit.« Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,61–62.
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die ›distinctio‹, »das heißt Trennung (disiunctio), da sie einen vollständigen Satz abtrennt.«130 Der grundlegende Unterschied zwischen dem Satzanfang, der sich zwar auch gegen ein Schweigen absetzen muss und entsprechend auch eine erhöhte Aufmerksamkeit des Zuhörers auf sich zieht, der sich aber nicht mit einem Redekontinuum arrangieren muss und den Effekt des Nachhalls nicht kennt,131 ist immer wieder betont im Zusammenhang mit der komplizierten Klauseltechnik. Weil der Schluss einen Nachhall hat, weil er Zeit für Betrachtung gibt (intuendi tempus), »darf nicht hart und abrupt sein, wo die Seelen gleichsam atmen und wiederhergestellt werden. Hier ist der Sitz der Rede, dies erwartet der Hörer, da ist das Lob von allen Rednern.«132 Der Schluss des Satzes – aber auch der Rede – wird nicht wegen der vorhergehenden Rede, sondern wegen des nachfolgenden Schweigens wichtig. Denn darin wird das Wort als Echo zurückgeworfen und wieder gehört. Die ganze Klauseltechnik legitimiert sich so nicht in erster Linie vom Satz, nicht vom vorhergehenden Sprechen her – so sehr dieses, als Weg zum ›Sitz der Rede‹, wichtig ist –, sondern im Schweigen danach. Ein Schweigen, das nicht nur ein Nachdenken und Verstehen ermöglicht, sondern in dem auch das Erinnern geschieht. Ein Erinnern, auf das hin das Satzganze auszurichten ist: »Es muss klar sein, dass man es verstehen kann, nicht zu groß, damit es im Gedächtnis bewahrt werden kann.«133 Gibt die Klauseltechnik die Möglichkeiten einer spezifischen Wirkung in die Pause danach, dient die Figur der Aposiopese, wie sie schon oben angesprochen wurde, dem künstlichen Schluss im Sinne einer plötzlichen Leere, die das Sprachganze aufreißt auf einen scheinbar diesem entzogenen Bereich hin. Was im Nachhall als Echoraum gedacht ist,
130 »et vocatur distinctio, id est disiunctio, quia integram separavit sententiam.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), I,xx,5–6. 131 »Proximam clausulis diligentiam postulant initia; nam et in haec intentus auditor est. Sed eorum facilior ratio est, non enim cohaerent aliis nec praecedentibus serviunt; exordium sumunt cum clausula cum praecedentibus cohaereat: quamlibet sit enim composita ipsa, gratiam perdet, si ad eam rupta via venerimus.« Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,62–63. 132 »Non igitur durum sit neque abruptum, quo animi velut respirant ac reficiuntur. Haec est sedes orationis, hoc auditor exspectat, hic laus omnis declamantium.« Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,62. 133 »sit aperta, ut intelligi possit, non immodica, ut memoria contineri.« Quintilian, Institutio oratoria (1958 ff.), IX ,iv,125.
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wird hier zum Raum, in dem nicht der fertige Gedanke bedacht wird, sondern ein Anfang in einer scheinbaren Sprachlosigkeit weitergezogen wird. Dahinter steht ein Kalkül134, das aber mit Phänomenen operiert, die einer unberechenbaren Realität abgeschaut sind. So ist das rhetorisch affektive Verstummen als Kopie des effektiven Sprachverlusts in psychischer Erregung wirksam. Damit wird – in der berechneten Wirkung – das sprachlose Verstummen, das sich gerade dem Wort entzieht, zum durchaus beredten Ausdruck innerhalb des vorgegebenen Sprachspiels. Das plötzliche, unwillentliche Schweigen wird instrumentalisiert und damit zum Teil der Sprache. Das Unwillkürliche wird willkürlich, das ›signum naturalium‹ wird ›signum datum‹. Wenn aber im grammatischen und rhetorischen Kontext jede Sprachleere zum Echoraum oder Hallraum stilisiert und entsprechend gefüllt wird – sei dies mit Nachdenken oder Fortdenken –, kann innerhalb dieses Systems kein eigentliches Schweigen aufkommen. Jedes Ende zieht Gedanken nach sich, die sich an sein Sprechen hängen, jede Pause ist sinnstiftendes Gliederungsmoment, das den Körper schmückt und so erst erkennbar macht. Ein Text wird weitergehört, ein Satz wird weitergedacht, eine Leerstelle wird gefüllt. Selbst da, wo der Text schweigt, muss er durch Erklärung und Kommentar zum Reden gebracht werden. Die ganze Schriftexegese, aber auch Interpretation der ›auctores‹ ist nichts anderes als der Versuch, dieses Schweigen zu füllen.135 Denn im Kontext der durch Grammatik und Rhetorik definierten Textkultur muss das Schweigen, als Versagen des Wortes, menschliches Ungenügen sein.136
134 »Das Denken mit seiner Anwendung geht Schritt für Schritt als Kalkül vor sich. […] Das Kalkül des Denkens knüpft mit der Wirklichkeit ausserhalb dem Denken an.« Wittgenstein, Philosophische Grammatik (1993), 110, 111, S. 160. 135 Die in die Ränder geschriebenen Kommentare veranschaulichen dieses Füllen der Leere sehr deutlich. Siehe dazu auch sehr anregend Irvine, The Making of Textual Culture (1994). James-Raoul versteht auch die Artusliteratur, mit Verweis auf Todorov, als ein solches Reden: »L’écriture arthurienne nouvelle s’affirme comme l’audacieux (l’impossible?) pari de venir combler les silences de l’écriture ancienne.« La parole empêchée dans la littérature arthurienne (1997), S. 306; vgl. auch ebd., S. 15 und 93. 136 In bezug auf Amos 8,2–3, sagt Hieronymus: »Et in omni loco projectum est silentium, habentibus Judaeis Moysen et Prophetas, et non habentibus Verbum Dei: legentibus litteram, et perdentibus spiritum, quando facta est mensa eorum in laqueum, et in retributionem, et ruinam, et excecati sunt oculi eorum, ut non viderent, et obturatae sunt aures eorum, ut non audirent: et incurvatum est dorsum eorum, ne coelum suspicerent; … In toto orbe terrarum projectum est silentium Judaeorum: ubicumque fuerint, mussitant potiusquam loquuntur,
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3.2 Die Flucht aus der Rede Ist das abschließende Schweigen grammatikalisch und rhetorisch ein Problem in dem Sinn, dass sich das Reden darin fortsetzt und entsprechend sorgfältiger bedacht werden muss, ist im sprachtheoretischen, vor allem sprachtheologischen Bereich dieses Schlussschweigen als Möglichkeit gesehen, aus der Sprachverfallenheit herauszufinden. Denn auch wenn die Sprache, als Ausdruck göttlicher Gnade, Mittel ist, sich in der Welt zu orientieren, ist sie doch auch Inbegriff der Zeitlichkeit und bleibt darin immer unvollkommenes Zeichen des gesuchten Wortes Gottes. Deutlich wird das Problem in der Bibelexegese, der sich ständig vervielfältigenden Rede über das Wort Gottes, das im Grunde doch als einfaches gedacht werden muss. Die Suche nach der Wahrheit produziert Rede, die ihrerseits wieder vom Gesuchten trennt. Augustinus erschrickt so am Schluss seiner ausführlichen Gedanken zur Trinität vor den eigenen Worten und flüchtet sich regelrecht ins Schweigen.137 Dabei unterscheidet er wieder das äußerliche und das innerliche Schweigen, das Schweigen des Mundes und das der Gedanken. Das Schweigen, das er hier am Schluss seiner Rede sucht, ist das der ›contemplatio‹, ist das ›verbum cordis‹ als Ausdruck der göttlichen Weisheit, das sich jedem Sprachdenken entzieht.138 Im Vergleich des Gelehrten mit dem Wissenden bringt Augustinus den Unterschied der
cum blasfemia eorum contra Dominum Salvatorem ad caelum usque perveniat, omnis interpretatio Scripturarum muta est et silens, et aures non penetrat audientium.« Commentariorum in Amos Prophetam libri tres, lib.III , cap. 8, PL 25, Sp. 1079–80. 137 »Libera me, deus meus, a multiloquio quod patior intus in anima mea misera in conspectu tuo et confugiente ad misericordiam tuam. Non enim cogitationibus taceo etiam tacens vocibus. Et si quidem non cogitarem nisi quod placeret tibi, non utique rogarem ut me ab hoc multiloquio liberares. Sed multae sunt cogitationes meae tales quales nosti cogitationes hominum quoniam vanae sunt.« Augustinus, De Trinitate (1968), XV,xxviii,51,33–39, CCSL 50a, S. 534 f. Vgl. dazu auch Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 267 f. 138 Zum Begriff der Mystik und seinem engen Bezug zum Schweigen siehe Cecchetti, »Tibi silentium laus« (1949), u. a. S. 537: »Dal verbo , ›sommessa, trepida parola‹ che significa chiudere gli occhi e la bocca, derivano i termini « (l’iniziato), (la cosa o il rito iniziatico), « (pertinente all’iniziazione, al ›mistero‹).« Wie nah dieses Verstummen nach dem Reden im Sinne einer Flucht aus dem Wort dem mystischen Schweigen ist, wird deutlich im Blick auf die ebd. zusammengestellten einschlägigen Texte zu diesem Bereich, die hier aber nicht weiter behandelt werden sollen.
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jeweiligen Erkenntnis in die Spannung von Sprache und Schweigen, von ›multiloquitas‹ und ›taciturnitas‹: »Aber es gibt viele, die besagte Weisheit mit grösster Gelehrtheit suchen und sie in der Lehre, nicht im Leben haben wollen; so dass sie nicht durch die Sitten, die die Weisheit bestimmt zum göttlichen Licht finden, sondern durch Reden zum menschlichen Lob kommen, das eitler Ruhm ist. Nicht die Weisheit suchen sie, auch wenn sie sie suchen: weil sie nicht sie selbst suchen, sonst würden sie nach ihr leben; aber sie wollen ihre Wörter aufblähen, und je mehr sie aufgebläht werden, umso mehr werden sie ausserhalb von ihr hervorgebracht.«139 Die Erkenntnis durch die ›sapientia‹ entzieht sich als das ganz Andere der sprachgebundenen Gedankenwelt. So schließt sich im sprachtheologischen Denken das Schweigen nach dem Reden wieder in das Schweigen vor dem Reden zurück und findet das gesprochene Wort in seinem Verstummen in den Anfang, aus dem heraus es sich formte: das »aeternum in silentio verbum tuum«140. Und darin schlägt es dann auch wieder in ein vorbereitendes Schweigen um, wird das Nachdenken zum Vordenken, die Erinnerung zur ›inventio‹. Deshalb ist das Schweigen nach dem Reden nicht eindeutig zu trennen von dem vorbereitenden Schweigen. Als Tod verstanden, löst sich in ihm der Körper auf, verschwindet die Stimme, die ›vox articulata‹, mit ihren Gliedern und Fingern und Füssen und Händen und Gelenken.141 Als Bild für den Tod kann es aber auch, sowohl im rhetorisch-sprachtheoretischen Sinn wie im sprachtheologischen Verständ-
139 »Sed multi sunt qui dictam sapientiam studiosissime inquirunt, eamque in doctrina, non in vita volunt habere; ut non per mores, quos iubet sapientia, perveniant ad Dei lucem, sed per sermones perveniant ad hominum laudem, quod est vana gloria. Non sapientiam quaerunt, et quando eam quaerunt: quia non quaerunt ipsam, alioquin viverent secundum ipsam; sed volunt verbis eius inflari, et quanto magis inflantur, tanto magis efficiuntur extra ipsam.« Zitiert nach: Cecchetti, »Tibi silentium laus« (1949), S. 550, Anm. 80. 140 Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI , 6,8 (S. 612 f.). So zieht auch Ignatius Martyr das Schöpfungswort mit dem Schweigen nach dem ermüdenden Reden zusammen: »Cui aeternum Verbum loquitur, a multis opinionibus expeditur. / Ex uno verbo omnia, et unum loquuntur omnia: et hoc est Principium, quod et loquitur nobis. / Nemo sine Illo intelligit, aut recte iudicat. / […] / Taedet me saepe, multa legere et audire: in Te est totum quod volo et desidero. / Taceant omnes doctores; sileant universae creaturae in conspectu tuo: Tu mihi loquere solus.« Imitazione di Cristo (I,3). Zitiert nach: Cecchetti, »Tibi silentium laus« (1949), S. 524. 141 Vgl. Anm. 95.
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nis, immer eine Wiederauferstehung in sich haben. Deshalb ist eine sprachtheoretische Reflexion über diese Art des Schweigens kaum fassbar: Das Schweigen nach dem Reden wird immer wieder zu einem neuen Wort.142
142 Vgl. zu dieser Thematik auch Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 554 f.
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Schweigeformen und Schweigegesten
Schweigeformen und Schweigegesten
Der kurze Ausblick in spätantike und mittelalterliche Sprachtheorie zeigt ein Verständnis von Sprache, das sich deutlich vom Hörer her definiert, indem es die Sprache nicht nur eng an die Stimme bindet, sondern auch von verständlicher Artikulation abhängig macht. Denn ohne diese mag wohl Stimme da sein (vox), nicht aber Sprache (vox articulata). Für das Verständnis von Schweigen heißt das, dass die unartikulierte Stimme, aus dem Sprachkosmos ausgegliedert, sich im Ohr des Hörers dem Schweigen annähert. Wenn Beda definiert: »Schweigsamkeit (taciturnitas) ist das Gegenteil von Rede (loquela); Schweigen (silentium) das von verwirrten Stimmen, wie Lärm«,1 unterscheidet er nicht nur ›taciturnitas‹ und ›silentium‹ als Abwesenheit von Rede und Geräuschlosigkeit, sondern schließt auch in der Antithese zur Sprache ›taciturnitas‹ und verwirrten Lärm zusammen. So kann die unverständliche, fremde Sprache als Schweigen erlebt werden, und das ungeordnete, chaotische Gemurmel (murmurare) reiht sich neben das stille, verschwiegene Denken. Meint man in der Definition von Beda eine Unterscheidung von ›taciturnitas‹ und ›silentium‹ als ›Schweigen‹ und ›Stille‹ fassen zu kön-
1 »Taciturnitas loquelae contraria est; silentium confusis vocibus sive tumultibus.« Beda Venerabilis, De orthographia (1975), CCSL 123A, S. 53. Er relativiert jedoch die Unterscheidung durch den etymologischen Hinweis: »Verum sciendum quia sileo et taceo et reticeo et conticeo ab uno graeco veniunt .« Vgl. auch Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 47, Anm. 139. Zur etymologischen Bedeutungserschließung von ›silere‹ und ›tacere‹ siehe Haslinger und Anreiter, Etymological Approaches to the Concepts of Silence (1996). Sie weisen auch auf die in Opposition zur Rede sich konstituierende Bedeutung von ›taciturnitas‹ hin (S. 13). Ausführlich geht Kunz auf die verschiedene Semantik (auch im Griechischen und Hebräischen) ein: Schweigen und Geist (1996), S. 32–34, S. 37–45. Ihre Differenzierung zwischen ›silere‹ und ›tacere‹ ist aber wohl etwas zu zuversichtlich (S. 43 f.). Vgl. zum Hebräischen auch Neher, L’exil de la parole (1970), S. 39–60. Schmitz definiert, ähnlich wie Beda: »Schweigen ist Abwesenheit von Artikulation, Stille ist Abwesenheit von Geräusch. Schweigen ist also der sprachliche Sonderfall von Stille.« Beredtes Schweigen – Zur sprachlichen Fülle der Leere (1990), S. 6. Die Schwierigkeit liegt aber darin, die Grenze des »sprachlichen Sonderfalls« zu ziehen.
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nen, zeigt Isidors Definition, wie unklar die Begrifflichkeit in Wirklichkeit ist: »Zwischen ›tacere‹ und ›silere‹ gibt es diesen Unterschied: wer nicht spricht, schweigt (silet), und wer nicht anfängt, ist still (tacet).«2 Auch wenn hier im Ansatz eine Differenzierung von Schweigen, das auf eine mögliche Rede hin gedacht ist (tacere), und Schweigen, das nicht in Opposition zu einer Rede verstanden ist (silere), gesehen werden kann, ist das mit Hilfe des Sprechens definierte ›silentium‹ bei Isidor kaum mit der absoluten Stille bei Beda zu vergleichen. Kann aber im Lateinischen zumindest andeutungsweise von einer differenzierenden Terminologie gesprochen werden, ist davon im Mittelhochdeutschen nichts zu finden. Eine Systematisierung der in den hier untersuchten Texten fassbaren Schweigeformen und -gesten kann sich weder auf eine mittelhochdeutsche Schweigeterminologie, noch auf lexikalisch festzumachende semantische Typisierungen stützen.3 So muss sie auf die interpretierende Lektüre zurückgreifen, um aus ihr Gliederungs- und Einteilungskriterien zu gewinnen. Gerade auch da, wo kein lexikalischer Index auf ein Schweigen hinweist, es nicht benannt oder explizit bezeichnet wird, ist seine Erfassung von der Lektüre abhängig, die im eigentlichen Sinne interpretiert und die Zwischenräume auf die darin verborgene Abwesenheit und Leere hin betrachtet. Die methodologische Schwierigkeit, dass die Textinterpretation die Ordnungsmuster bietet, mit deren Hilfe dann dieselben Texte wieder neu gelesen werden, ist nicht zu umgehen. Dieser gefährliche Kreis lässt sich aber durch die konsequente und etwas sture Parallelisierung von Einzelstellen insofern durchbrechen, als sich in der Reihung vergleichbarer Szenen Paradigmen der Schweigedarstellung und -reflexion in den hier untersuchten Texten herauskristallisieren, in deren Rahmen dann wieder die einzelnen Szenen schärfer gesehen werden können. Dieser Katalog müsste also ein Katalog von sich zu Paradigmen ordnenden, aneinandergereihten Interpretationen sein, wie er sich systematisierender Kürze aber verweigert. Das führt dazu, dass die folgenden Kapitel einerseits durch Kurzinterpretationen an Übersichtlichkeit verlieren, anderseits gewisse Vielschichtigkeiten der Lektüre
2 »Inter tacere et silere hoc interest, quod qui desinit loqui silet, et qui non coepit tacet.« Isidor, Appendix XXIII , differentiarum, sive de proprietate sermonum, liber, PL 83, Sp. 1322C. 3 Vgl. Ruberg, der für Hartmanns von Aue »Erec« und »Iwein« untersucht, »wie Schweigen jeweils lexikalisch, grammatisch und stilistisch verwirklicht wird.« Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 176.
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der schematisierenden und Übersichtlichkeit anstrebenden Gliederung geopfert werden.4 Hinter diesem Versuch einer Schweigesystematik steht jedoch auch eine große Tradition von Systematisierungen und Katalogisierungen von Rede- und Schweigeformen, die genau in der Zeit der hier untersuchten höfischen Literatur sich langsam aus dem monastischen und geistlichen Diskurs zu lösen begann und in der Auseinandersetzung mit der weltlichen Rede zu einer neuen und noch nie da gewesenen Reflexionsdichte gelangte.5 So findet sich vor allem in der moraltheologischen und homiletischen Literatur der Zeit ein Gedankengerüst, das die hier mit Hilfe der Textinterpretation gewonnenen Ordnungsstrukturen stützt. Die theologischen Bedürfnisse des neuen Predigerordens der Dominikaner und das im Umfeld des 4. Laterankonzils zunehmende Interesse an Problemen der Beichte, konfrontierten auf neue Art mit der Thematik der Sprache. Die biblisch und patristisch deutlich gezeichnete Gefahr der Sprache verlangte nach genauerer und differenzierterer Betrachtung. Denn die Antithese Kloster/Welt – ›silentium‹/›clamor‹, die den Rahmen monastischer Sprachreflexion bestimmte, wurde in der verstärkt geforderten Predigtarbeit durch das in der Welt verkündete geistliche Wort gebrochen.6 Dadurch wurde die innermonastische Reflexion um die Sprachpraxis auf die Welt hin geöffnet, ohne aber dass schon das weltliche Sprechen eigentlich Thema geworden wäre. In allen diesen frühen Versuchen, die Sprache wertend zu systematisieren, steht die geistliche Rede im Vordergrund, geht
4 Für ausführliche Interpretationen sei auf den dritten und vierten Teil verwiesen. 5 Wobei dies erst der Anfang einer Entwicklung ist, die dazu führte, dass Casagrande dann in bezug auf das 13. Jahrhundert von der Zungensünde als dem »peccato del secolo« sprechen kann. I peccati della lingua (1987), S. 2. 6 Diese Antithese durchzieht die monastische Sprachreflexion. Innerhalb des umzirkelten, vom ›clamor‹ abgegrenzten Bereich des Klosters aber wird in einer sehr differenzierten Art über das richtige und falsche Schweigen und Reden nachgedacht und besteht ein ausgeprägtes Bewusstsein für die Gefahren des Schweigens. Casagrandes Festellung, »la cultura monastica è troppo attenta ai valori della bona taciturnitas per essere davvero preoccupata dai pericoli e dai peccati della mala taciturnitas« ist, auch mit der Einschränkung, die sie anfügt, zu stark von der Antithese zur Welt geprägt. Denn die Selbstbeobachtung, die der Warnung vor zu großem Schweigen zugrunde liegt, geht weit über eine rein praktische Regelkonformität hinaus und ist der Keim und Anfang jener Entwicklung, die schließlich zur Angliederung der Zungensünden und der ›mala taciturnitas‹ an den Lasterkatalog führte. Casagrande, I peccati della lingua (1987), S. 114 und S. 443 f. Auch von Moos weist auf diesen Zusammenhang hin. »Herzensgeheimnisse« (occulta cordis) (1997).
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es um das Wort des Predigers oder um das erlösende Wort der Beichte. Implizit und explizit gilt dabei immer noch, dass jede Rede außer der geistlichen Rede sündhaft ist, eben ›clamor‹. Denn das ausschlaggebende Kriterium, so verästelt sich die Argumente zum Teil auch geben, bleibt doch die ›utilitas‹ im Sinne des Seelenheils.7 So konnte sich der Priester durch Schweigen versündigen, indem er sich der Predigtarbeit entzog, der Beichtende aber durch das Verschweigen einer Verfehlung seine Sünde verstärken. In den aufkommenden Ständepredigten wurden dagegen den einzelnen weltlichen Professionen und Ständen topisch je eigene Sprachsünden zugeordnet, wie zum Beispiel dem Kaufmann die Lüge, den Frauen die Streitsucht, den Juristen die Käuflichkeit der Zunge.8 Eine weltliche Sprachlehre, in der diese grundsätzliche Antithese der guten geistlichen und der schlechten weltlichen Rede unterlaufen, wenn auch nicht negiert wurde, entstand erst Mitte des 13. Jahrhunderts durch den Juristen Albertanus von Brescia, der in seiner »Ars loquendi et tacendi« auf dem Hintergrund und in engster Abhängigkeit von der geistlichen Tradition eine Sprachanleitung für seinen Sohn fertigte, in der er die laikale Rede gegenüber der geistlichen Rede rechtfertigte.9 Auch wenn die vielen, ganz eigentlich modischen Traktate zu den Zungensünden Ende des 12., Anfang des 13. Jahrhunderts auf die Geistlichen, vor allem die Prediger ausgerichtet sind, entwickelt und schärft sich in ihnen doch jene Beobachtung und Klassifizierung von Sprachphänomenen, wie sie dann auf den weltlichen Bereich angewendet werden können. Dies zeigt sich nicht nur im Beispiel von Albertanus, sondern auch schon in dem erstaunlichen Abschnitt »De moribus linguae« im »Speculum universale« von Radulfus Ardens. Er entwickelt darin ein System christlichen ethischen Handelns, in dem die Sprache zum Mittelglied zwischen Seele und äußerer Handlung
7 Die traditionelle Definition von ›verbum otiosum‹ heißt: »Otiosum quippe verbum est quod aut ratione justae necessitatis, aut intentione piae utilitatis caret.« Gregorius Magnus, Moralium libri sive Expositio in librum B. Jobi, lib.VII , cap. xvii,58, PL 75, Sp. 800C. Oder bei Hrabanus Maurus: »otiosum quippe verbum est quod nec dicentis nec audientis habet utilitatem.« De vitiis et virtutibus et peccatorum satisfactione. liber tertius, lib.III , cap. lxxvii, PL 112, Sp. 1393C. 8 Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 125 u. ö.; vgl. auch Mancini, Il dito sulle labbra: mitologia e politica di un gesto (1995), S. 143. Da finden sich auch weitere Verweise zur Traditon dieser Zuschreibungen bis in die Antike. 9 Albertanus von Brescia, Ars loquendi et tacendi (1969); siehe zu Albertanus auch Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 91–96.
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wird.10 Auch wenn für ihn klar ist, dass die Rede immer, direkt oder indirekt, Kommunikation zwischen Mensch und Gott sein muss – wie das Gebet –,11 dass tugendhafte Rede immer sakrale Rede ist, lasterhafte aber weltliche, baut er in seinen sinnträchtigen 72 Kapiteln zur Sprache doch eine Welt auf, die eine Welt der Rede ist, in der jedes böse Wort ein gutes Spiegelbild hat. Darin aber kann nun auch der weltliche Sprachgebrauch Objekt der Reflexion sein. Es ist bezeichnend, dass diese Systematik in ihrer faszinierenden Akribie und ihrem Anspruch, die ganze menschliche Kommunikation zu erfassen, keine direkten Nachfolger fand. Was hier aber interessiert, ist die Tatsache, dass die geistliche Reflexion zum Problem der Sprache Anregung und Auslöser für einen solchen Versuch sein konnte. Das heißt, das über Jahrhunderte tradierte, durch Schriftworte und patristische Literatur gefestigte Bild der Sprache als mehr oder weniger unfassbarer Gefahr, der man am besten und sichersten durch Schweigen entgeht,12 wird seit Ende des 12. Jahrhunderts langsam neu gezeichnet. Dabei wird nicht die Grundstruktur verändert, die altbekannten Metaphern sind nicht weg-
10 »De interiori igitur ethica primitus ocurrit agendum. Tum quia dignior est, tum quia prior, dignior privilegio nature, prior ordine discipline, dignior natura, prior causa. Anima enim dignior est corpore natura. Compositio mentis prior est compositio corporis causa. Enimvero qui bene reget interiora, bene reget exteriora. Nec potest ordinatus esse in opere qui inordinatus est in mente.« Radulfus Ardens, Speculum universale, I.7,f.161ra (zitiert nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 66, Anm. 10). Zum »psychologischen« System von Radulfus und dem darin enthaltenen Zustand der ›neutralitas‹ siehe Michaud-Quantin, Die Psychologie bei Radulfus Ardens (1958). 11 »Non sufficit quoque quod sermo noster sit verax, utilis, honestus, discretus, nisi pariter sit directus. Videlicet ut intentio ad debitum finem, deum, dirigatur. Ad quem non solum opera nostra, sed etiam universe cogitationes dictaque nostra semper sunt dirigenda, quemadmodum in ecclesia solemus exorare.« Radulfus Ardens, Speculum universale, XIII .31,f.168ra (zitiert nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 68 f., Anm. 33). 12 So warnt u. a. Beda in Erklärung von Jac 3,8: »et nullus loquentium est qui non aliquando delinquat in lingua sua.« und meint zu Jac 1,19: »Nam tutius est ut veritas audiatur quam praedicetur.« Super Divi Jacobi Epistolam, cap. iii und cap. i, PL 93, Sp. 28C und 16B. Oder im Namen Augustins heißt es: »Ecce lingua egredi quaerit, motum perquirit: tu vero, o monache, per temperantiam ipsam refrena, appone ei pessulum rationis, circumcide eam maturitate discretionis. O lingua, tu periculum immittis, tu luctum producis, discordiam saepe facis, venenum detractionis paris, et ad infernum qui tibi credunt conducis. O monache, cognosce linguam nequam, fuge eam, despice eam, confunde eam si potes.« Ps.-Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios, Sermo III , De silentio, PL 40, Sp. 1239.
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zudenken, die Gefahr der Zunge, wie sie Jacobus beschreibt, bleibt.13 Aber durch eine Verfeinerung der Zeichnung und schließlich den Versuch, durch eine gewisse Abstraktionen die Sprache aus ihrer metaphorischen Verkörperlichung zu lösen, befreit sich der Diskurs langsam und fast unbemerkt aus der rein geistlichen und heilsgeschichtlichen Dimension in den Bereich auch innerweltlicher Kommunikationsproblematik.14 Und davon ist auch die Wahrnehmung des Schweigens betroffen. Schon in der monastischen und patristischen Literatur findet sich die Thematisierung eines guten und schlechten Schweigens,15 wobei es vor allem die Gefahr der ›superbia‹, des Hochmuts ist, die im Schweigen droht.16 Im Blick auf die Metaphorik von Türe und Wächter in Ps 13 Zur Metaphorik der Sprache siehe Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985) und Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 72–92. 14 Was hier nur andeutungsweise skizziert ist, findet sich sehr viel ausführlicher in dem ausgezeichneten Buch von Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987). 15 So warnt Gregorius vor zu grossem Schweigen: »Nam saepe linguam quia immoderatius frenant, in corde gravius multiloquium tolerant; ut eo plus cogitationes in mente ferveant, quo illas violenta custodia indiscreti silentii angustat.« Regulae pastoralis liber, cap.XIV, PL 77, Sp. 71D. Und Isidor weist auf die nützliche Rede hin, die nicht unterlassen werden darf: »Sicut plerumque multiloquorum stultitia reprehenditur, ita rursus nimis tacentium vitia denotantur. Illi enim satis laxando linguam in levitatis vitio defluunt, isti nimis reticendo ab utilitate torpescunt.« Sententiarum libri tres, lib.II , cap. xxix, De sermone, 2, PL 83, Sp. 629B. Hrabanus Maurus schreibt das schlechte Schweigen, als Äquivalent des ›multiloquium‹, den Ketzern zu und differenziert zwischen einem willentlichen und einem unwillentlichen Schweigen: »›Est tacens qui invenitur sapiens, et est odibilis qui procax est ad loquendum.‹ Hac sententia laudatur modestia boni viri, et vituperatur temeritas superbi, vel magis commendatur religiositas et prudentia boni catholici, et reprehenditur atque detestatur stultitia et procacitas haeretici; quia sicut iste immoderato silentio ostendit sapientiam suam, sic et ille in loquacitate superflua manifestat stultitiam suam, sed quia taciturnitas aliquando procedit ex bono, aliquando vero ex malo, inde subjungitur: ›Est autem tacens non habens sensum loquelae, et est tacens sciens tempus aptum.‹ Sunt enim multi qui ideo tacent, quoniam non habent sensum et peritiam loquendi; sunt et alii qui non per insipientiam, sed per scientiam silent, observantes in loquendo horam apti temporis, quia ›tempus est tacendi, et tempus loquendi‹; nec omne tempus ad omnia aequaliter conveniens est.« Commentariorum in Ecclesiasticum libri decem, lib.iv, cap.xiii, PL 109, Sp. 895A-B. 16 »Sed inter haec sciendum est quia cum pavore nimio a locutione restringimur, interdum plus quam necesse est intra claustra silentii coarctamur; et dum linguae vitia incaute fugimus, occulte deterioribus implicamur. Nam saepe dum ab elo-
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140,3 (pone Domine custodiam ori meo et ostium circumstantiae labiis meis) wird das absolute Schweigen immer wieder relativiert und, in Zusammenhang mit Eccl 3,7 (Est enim tempus tacendi et tempus loquendi), betont, dass das Schweigen zur richtigen Zeit auch geöffnet werden müsse.17 Und in der Literatur zur Versündigung in der Sprache, wie sie sich im Zusammenhang mit Predigt und Busse dann verbreitete, wird in den Lasterkatalogen der ›mala taciturnitas‹ gern im Kontext der Zungensünden ein eigenes Kapitel zugewiesen. Dass es sich dabei um »sprachgefülltes Schweigen« handelt, zeigt die Verknüpfung und Einbindung in die Sprachsünden deutlich: Schlechtes Schweigen ist ein ›peccatum linguae‹. So behandelt Petrus Cantor in seinem wohl als Hilfsmittel für Prediger gedachten »Verbum abbreviatum« (1192–99), in dem er die erste ausführlichere Systematisierung der Zungensünden aufstellte, in zwei quio immoderate compescimur, grave multiloquium in corde toleramus, ut eo plus cogitationes in mente ferveant, quo illas violenta custodia indiscreti silentii angustat; et plerumque tanto latius diffluunt, quanto se esse securiores aestimant, quia foris a reprehensoribus non videntur. Unde mens nonnumquam in superbiam tollitur, eosque quos loquentes audit quasi infirmos conspicit. Cumque os corporis claudit, quantum se vitiis superbiendo aperiat non agnoscit. Linguam etenim premit, cogitationem erigit« Gregorius Magnus, Moralium libri sive Expositio in librum B. Jobi, lib.VII , cap. xvii,60, PL 75, Sp. 801A-B. Genauso warnt Cassian vor dem ›silentium superbiae‹. De coenobiorum institutione, lib.XII , cap. xxvii. PL 49, Sp. 469C. Sehr direkt und in interessanter Verknüpfung psychologischer und moraltheologischer Komponenten begegnet das Argument des Hochmuts im Schweigen in einem Brief des Hieronymus an Antonius. Nachdem dieser auf mindestens zehn Briefe des Hieronymus nicht geantwortet hat, schickt der ihm einen zornigen Brief, worin er ihm höchst ungehalten Hochmut vorwirft. Hieronymus, Lettres (1949), Bd. 1,XII , Ad Antonium Monachum Haemonae, S. 31 f. 17 Vgl. u. a. Ambrosius: »Ergo David tacebat non semper, sed pro tempore: non jugiter, neque omnibus; sed irritanti adversario, provocanti peccatori non respondebat« De officiis ministrorum, lib.I, cap. x,34, PL 16, Sp. 33C. Genauso argumentiert Gregorius: »Ostium namque aperitur et clauditur. Qui ergo ori suo nequaquam poni obstaculum, sed ostium petiit, aperte docuit quod et per disciplinam retineri lingua debeat, et ex necessitate laxari, quatenus os discretum et congruo tempore vox aperiat, et rursum congruo taciturnitas claudat.« Moralium libri sive Expositio in librum B. Jobi, lib.VII , cap. xvii,61, PL 75, Sp. 802B. Und Hugo von Folieto sagt: »Ostium dixit, non murum. Si enim murus poneretur, loquendi licentia omnino negari videretur. Sed ostium ponitur, quod tempore et loco clauditur et aperitur.« De claustro animae, lib II , cap. xx, PL 176, Sp. 1073D-1074A. Wie sich die Geste des Schweigens mit dem Finger auf dem Mund in Zusammenhang mit dieser Auslegung von Ps 140,3 zu einer Geste des behüteten Redens wandelt, zeigt Mancini, Il dito sulle labbra: mitologia e politica di un gesto (1995), S. 152 ff.
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Kapiteln sowohl die ›mala taciturnitas‹ als auch die ›bona taciturnitas‹.18 Ganz auf den Prediger ausgerichtet, definiert er das gute Schweigen als das Schweigen des Predigers vor einem unwürdigen Publikum,19 das schlechte Schweigen aber als das Verstummen, wenn eigentlich zu reden wäre. Wer da schweigt, ist »nicht durch Lügen, nicht durch Scherzreden, nicht durch Beleidigungen vergiftet, sondern durch Schweigen«20 und versündigt sich durch Schweigen wie durch schlechtes Reden.21 Dabei lassen sich nach ihm vier Arten des falschen Schweigens unterscheiden: a) das Schweigen bei der Beichte oder beim Gotteslob, b) das Schweigen da, wo man den Nächsten zu dessen Heil zurechtweisen müsste, c) das Schweigen beim Predigen, d) das Schweigen da, wo ein Rat nötig wäre. Und die schlimmsten Ursachen für schlechtes Schweigen sind: weltliche Angst, Schuld,22 Trägheit oder Nachlässigkeit, Einfältigkeit und unnötige Scham,23 am schlimmsten aber: Ignoranz. Eine Liste, die nicht unbedingt neu ist, deren einzelne Glieder in einer Tradition stehen, die sich bis in die Werke von Gregor d.Gr. und Ambrosius zurückverfolgen lässt, deren Versuch einer auf die Sprache konzentrierten Systematik aber neu ist.
18 Vgl. zu Bedeutung und Aufbau dieses Werks Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), u. a. S. 21–26. 19 »Scio enim te praecepisse Sanctum Dei non esse dandum canibus, nec margaritas spargendas esse ante porcos (Matth.vii), ne secreta Dei indignis ostendantur, ne Babyloniis thesauri domus Dei revelentur (Jer.xxvi) […] Sunt autem bonae taciturnitatis quatuor causae, penes auditores scilicet, quia canes sunt detractores, obstinati et infideles, vel quia porci sunt fastiditi verbo Dei, et immundi.« Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap.LXIII , De bona taciturnitate, PL 205, Sp. 194A-B. 20 »Pollutus non mendaciis, non scurrilibus, non contumeliis, sed taciturnitate.« Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap.LXII , Contra malam taciturnitatem maxime praelatorum, PL 205, Sp. 189C-D. Vgl. auch Gregorius Magnus, Regulae pastoralis liber, cap. iv, PL 77, Sp. 30A-B. 21 »Non minor est impietas tacere veritatem tempore et loco, quam dicere falsitatem.« Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap.LXII , Contra malam taciturnitatem maxime praelatorum, PL 205, Sp. 191A. Und so heißt es denn bei Hartmann von Aue im Prolog zum »Gregorius«, dass man die Erzählung des Sünders Gregorius niht verswîgen getar (Greg.55), um so die mögliche Umkehr der Sünder nicht zu vereiteln. 22 »Cupiditas est ranunculus, qui projectus in os canis facit eum obmutescere.« Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap.LXII , Contra malam taciturnitatem maxime praelatorum, PL 205, Sp. 192B. 23 »simplicitas, et quaedam quasi naturalis verecundia.« Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap.LXII , Contra malam taciturnitatem maxime praelatorum, PL 205, Sp. 192C.
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Wenn in der Mitte des 13. Jahrhunderts dann Peraldus das siebenteilige Lasterschema nicht gerade um ein Laster, aber doch um ein Kapitel »peccatum linguae« ergänzt,24 wird zum ersten Mal das Problem der Sprache aus dem Lasterkatalog ausgegliedert. Das heißt die Zungensünden, die traditionellerweise den einzelnen Lastern zugeordnet wurden, werden nun gesondert betrachtet. Es ist die Folge einer längeren Entwicklung, während der nicht nur immer stärker auf die große Gefahr gewisser Sprachsünden hingewiesen wurde, sondern auch eine immer genauere Unterscheidung und Systematisierung derselben zur Definition neuer Zungensünden führte, so dass schließlich ihre Zuordnung zu einzelnen Lastern immer problematischer wurde.25 Als Mittel gegen die Versündigung in der Sprache hat Peraldus aber kein neues Rezept: Sowohl Laien wie Geistlichen empfiehlt er, die Zunge zu hüten, sie zu verriegeln und abzuschließen. Dabei soll der Laie den Schlüssel im Herzen, der geistliche Würdenträger bei Gott, der Geistliche – von der Regel gehalten – beim geistlichen Würdenträger aufbewahren.26 Ein Rat, wie er in der monastischen Literatur Tradition hat, wo unter anderem gemahnt wird, so wie den Schlüssel der Zelle auch den Schlüssel der Zunge mit sich zu tragen.27 Zielt aber die monastische Literatur zur Sprache auf den antithetisch zum Weltlärm gesetzten Bereich des Klosters und untersucht darin den Kosmos der Sprachverfehlungen, klammert Peraldus diesen Bereich als von Zungensünden unberührt aus, während er im Wirtshaus, in dem nur Zungensünden herrschen, das schlimme Bild für das Reden in der Welt sieht. Das
24 Zum großen Einfluss dieses Werks auf volkssprachliche Abhandlungen siehe Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 132. 25 Zu dieser Entwicklung der Sprachsünden innerhalb der Lasterkataloge siehe Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 103–110. Sie weisen aber auch auf ein interessantes Beispiel aus dem 11. Jh. hin, wo ein Anonymus im achtteiligen Schema von Cassian ›tristitia‹ durch ›loquacitas‹ ersetzte. Ebd., S. 106. Und mit dem liber poenitentialis von Robert von Flamborough wird die ›taciturnitas‹, als Tochter der ›tristitia‹, offiziell in die Liste der Laster aufgenommen. Ebd., S. 108. 26 »Et sicut in sexto (remedio) clavis oris ponitur in arca cordis, in septimo vero ponitur in manu Dei. Sic in octavo ista clavis oris ponitur in manu praelati.« Peraldus, Summa virtutum ac vitiorum (Paris 1668), S. 417 (zit. nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 138, Anm. 35). 27 »Portate fratres mei uobiscum: portatis clauem cellulae, portate et clauem linguae; opponitis pessulum ostio, adhibete repagula salubriter et ori uestro.« Petrus Damianus, Sermones, Sermo LXXIII , De vitio linguae, CCCM 57, S. 432–441, hier: S. 435,136 ff.
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heißt, die alltägliche weltliche Rede wird in eine Spannung zwischen sündenfreiem und sündigem Reden gebracht.28 Im Verlauf der Differenzierung und schließlichen Loslösung des Sprachproblems aus der moralischen Diskussion, indem diese sich von der Handlung auf die ›intentio‹ zu richten begann, verlor die Sprache, nicht mehr Ursache, sondern nur noch Mittel potentieller Versündigung, ihre immanente Gefahr und wurde neutralisiert.29 Bis dass zum Beispiel in der »Summa fratris Alexandri«, in der deutlich die Sprechhandlung als Willensakt definiert ist, das traditionelle Verhältnis zwischen Reden und Schweigen sich umkehrt: weil Schweigen nur dem einzelnen nützt, im Reden aber ein sozialer Nutzen sein kann, ist das Schweigen weniger wert als das Reden.30 Es zeigt sich also, dass es um die Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert nicht nur zu einer Differenzierung der Sprachsünden kommt, sondern auch ein explodierendes Interesse an der sündigen ›taciturnitas‹ zu bemerken ist. Diese scheint in erster Linie die Prediger zu treffen, deren eigentliche Standessünde sie ist. Denn in dem Masse, in dem säkulare Rede weniger notwendig ist (im heilsgeschichtlichen Sinn), kann in ihrem Bereich durch Schweigen weniger gefehlt werden. Der Laie kann fast nur in der unterlassenen Beichte oder helfenden Zurechtweisung des Nächsten sündhaft schweigen. Und doch wird im Kontext weltlicher Sprache auch da das Schweigen in seinen Schattenseiten deutlich gemacht, wo die soziale Verantwortung, die dem Menschen in der 28 Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 125. Zur Antithese Hof – Wirtshaus als Ort des gezüchtigten und Ort des maßlosen Redens vgl. auch Thomasin von Zirclaria, »Der Wälsche Gast«, V.297–342. 29 Schon bei Petrus Lombardus in der Mitte des 12. Jh.s stellte sich neben das gregorianische Muster der Versündigung als eines durch das Herz bewirkten Effekts in der Handlung, mit der Dichotomie ›cor‹/›opus‹, das Dreierschema einer Versündigung im Denken, im Reden, im Handeln. Zum Bezug zur Busspraxis mit ›compunctio cordis‹, ›confessio oris‹ und ›satisfactio operis‹ siehe Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 179 f. und S. 204, Anm. 10. Bei Abaelard heißt es: »peccatum […] magis juxta intentionem loquentis quam secundum qualitatem locutionis.« Zitiert nach: Fromm, Gottfried von Strassburg und Abaelard (1989), S. 183. 30 »Maius dicitur peccatum vel quia in pluribus peccatur […] vel maius dicitur peccatum, quia occasio sive causa est maioris damni; secundum hoc peccatum taciturnitatis est maius, quia per illud subtrahitur utilitas locutionis, quae est maior utilitate silentii.« und sehr deutlich: »locutio pluribus modis habet rationem bonitatis: et quoad se et quoad proximum, preceptum autem silentii habet bonitatem quoad se.« Zitiert nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 206, Anm. 30.
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Sprache gegeben ist – und die seit Augustinus Thema christlicher Sprachtheorie ist –, stärker hervorgehoben wird. So schreibt Radulfus Ardens: »Freundlichkeit (affabilitas) ist, den Traurigen zu trösten, den Schwachen zu stärken, den Armen anzusprechen, den Kranken zu lindern und dergleichen. […] Freundlichkeit bindet manchmal auch Unbekannte (ignotos) in die Gesellschaft und die Vertraulichkeit und auch in die Liebe. Streng und unmenschlich ist, mit einem Umgang zu haben und ihn nicht öfters anzusprechen, mit einem des Weges zu gehen und nicht mit ihm zu sprechen, bei einem zu sitzen und nicht mit ihm von etwas Gutem zu reden. Deshalb sündigt, wer zu viel schweigt in vielfältiger Weise, verfällt der Maßlosigkeit, dem Entzug nützlicher Worte, der Strenge, der Unmenschlichkeit«.31 Und er unterscheidet – neben der Grunddifferenz von Schweigen des Herzens und Schweigen des Mundes: a) das optative Schweigen dessen, der darauf wartet, reden zu können, b) das neutrale Schweigen dessen, der nichts zu sagen hat, c) das böse Schweigen dessen, der ein Wissen verschweigt.32
31 »Affabilitas est consolari tristem, confortare debilem, affari pauperem, mittigare decubantem et huiusmodi. […] Affabilitas non numquam etiam ignotos coniungit in societatem, et familiaritatem et etiam in amorem. Austerum siquidem et inhumanum est conversari cum aliquo et non eum frequenter affari, ire cum aliquo per viam et non eum alloqui, sedere secus aliquem et non cum eo de aliquo bono sermocinari. Itaque qui nimis est taciturnus multipliciter peccat, incurrit intemperanciam, utilium verborum subtractionem, austeritatem, inhumanitatem«. Radulfus Ardens, Speculum universale, XIII ,f.166ra (zitiert nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 453, Anm. 27). Gerade weil in dem feinziselierten System von Radulfus Ardens das Schweigen einen auffallend geringen Teil einnimmt, indem es sich in dem gleichgewichtigen System von guter und böser Rede weniger in die Opposition zum Wort, als zwischen die möglichen Redearten stellt, wird es deutlicher als in anderen Schriften in seiner kommunikativen und sozialen Funktion gezeigt. So definiert er: »Termini vero locutionis et silentii sunt hinc inutile verbum et illinc inutile silentium, ut videlicet si temperate loquamur quod nec hinc transgrediamur loquendo usque ad inutile verbum, et sic temperate taceamus quod non transgrediamur tacendo usque ad inutile silentium.« Radulfus Ardens, Speculum universale, f.181ra/b (zitiert nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 69, Anm. 45). 32 Wenn Casagrande schreibt: »Di tutto il grande modello monastico resto il silenzio come sicuro antidoto ai peccati della parola, invocato però solo come ultimo ratio«, frage ich mich, ob sie nicht die vollkommen verschiedene Qualität der Frage von Radulfus und der monastischen Schweigeliteratur missachtet. Denn Radulfus geht es eindeutig um die Kommunikationsphänomene im zwischenmenschlichen Bezug, wo das monastische Schweigen weder als ›contemplatio‹ noch als Demutsgeste und Ausdruck des Gehorsams einfach übernommen werden kann. Vielmehr denke ich, dass er einige Momente, die in früherer Literatur ins Schweigen oder in die Ermahnung zum Schweigen ausgeklammert wurden, in
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Für die Zeit der hier betrachteten höfischen Erzählungen ist also eine eigentümliche Vermengung von in der patristischen und biblischen Metaphorik festgeschriebenen Schweigebildern mit sehr viel abstrakteren und detaillierteren, auf weltliche Gegebenheiten hin offeneren Reflexionen der Schweigeproblematik festzustellen. Dabei müssen feinere Beobachtungen gegen die ungebrochen wirksamen äußerst starken Bilder ankämpfen und sie sozusagen von innen her auflösen, da sie, Kraft ihrer Autorität, nicht einfach zu übergehen sind. Ohne von einem direkten Einfluss der hier erwähnten Schriften auf die höfischen Erzählungen ausgehen zu wollen, zeugen diese mehr oder weniger theoretischen Überlegungen und Festschreibungen aber doch von einer Wachheit für das Thema, die nicht nur in den Klöstern und unter den Predigern geherrscht haben kann. Im Gegenteil: es mag sich darin der Reflex eines allgemeineren neuen Interesses an der menschlichen Kommunikation zeigen, wie er sich – von Systemzwang sehr viel freier – auch in der Erzählliteratur findet. Dazu gehört ganz entscheidend auch die Entdeckung der Vielfalt des Schweigens. Es mag erstaunen, dass in der folgenden Systematik weder die Schweigeregeln der höfischen Erziehung noch die der monastischen Vorschriften in einem geschlossenen Überblick dargestellt werden. Nicht zuletzt die oben skizzierte Entwicklung zeigt aber, wie die Wahrnehmung des Schweigens um die hier betrachtete Jahrhundertwende nur bedingt von monastischer Literatur her erklärt werden kann. Und die didaktische Literatur zeigt sich in ihrer sentenziösen Knappheit gerade in diesem Thema dermaßen traditionsgebunden, dass sie nicht als Spiegel dienen kann.33 So wird Erziehungsliteratur und in spezifischen Fällen auch monastische Literatur als Hintergrund herangezogen, nicht aber als primäres oder richtunggebendes Ordnungsprinzip gesehen.34 das Sprachsystem einzuordnen suchte. Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 56 f. 33 Gerade die Frage nach Sprachregeln hat deutlich die Problematik didaktischer Literatur als Quelle für sozialgeschichtliche Fragen gezeigt. Auch Schmitt weist auf diese Schwierigkeit hin, wobei er sich allgemein auf didaktische Literatur bezieht. Schmitt, Die Logik der Gesten im europäischen Mittelalter (1992), S. 214. Die Ausführungen von Blaschitz vermögen dagegen nicht zu überzeugen: Lehrhafte Literatur als Quelle für mittelalterliche Realienkunde (1994). 34 Zu höfischen Erziehungslehren siehe Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), v. a. S. 19–41, S. 72–92; Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 54–62; Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995), v. a. S. 142–154. Zur monastischen Schweigeliteratur siehe Kunz, Schweigen und Geist (1996), v. a. S. 632–682.
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Das rhetorische Schweigen des Erzählers schließlich wird ausgeklammert, sofern es sich nicht spielerisch mit einer der hier untersuchten Schweigeformen auseinandersetzt oder sich an einzelnen Schweigegesten orientiert.35 Wenn von Formen und Gesten des Schweigens gesprochen wird, soll deutlich gemacht werden, dass es einerseits um die grundsätzlichen Möglichkeiten geht, wie Schweigen in den höfischen Erzählungen wahrgenommen und dargestellt ist (Schweigeformen),36 anderseits aber versucht wird, die Arten von intentionalisiertem und funktionalisiertem Schweigen (Schweigegesten), wie es gesellschaftlich relevant und Teil kommunikativer Strukturen ist, möglichst differenziert aufzuzeigen.37 Im Blick auf die Schweigereflexion, wie sie im Rückgriff auf Sprachtheorie und -theologie im ersten Teil skizziert wurde, lassen sich drei Grundformen definieren, unter die sich die in den hier untersuchten höfischen Romanen dargestellten Schweigeformen subsumieren lassen: 1. Schweigen als Absenz von Sprechfähigkeit 2. Schweigen durch Sprachverlust 3. »Beredtes Schweigen«: durch Sprache gefülltes und in sprachlichem Kontext gedeutetes Schweigen Dabei wird deutlich, in welch hohem Grad sich in dem hier ausgelegten systematisierenden Netz theologische, medizinische, psychologische, kommunikationstheoretische, soziologische und linguistische Kriterien überschneiden und vermengen. Die Absenz von Sprechfähigkeit, wie sie beim Kleinkind oder dem Stummen auftritt, als Schweigen 35 Zum poetologisch begründeten Schweigen, wie es sich in rhetorischen Formeln fassen lässt, siehe Besslich, Schweigen – Verschweigen – Übergehen (1966); Hatto, »Ine weiz […]« (1952); Mayer, Topoi des Verschweigens und der Kürzung im höfischen Roman (1972). Auch James-Raoul fokussiert im dritten Teil ihrer Arbeit die Poetik des Schweigens: La parole empêchée (1997). 36 Damit ist deutlich, dass es nicht um eine Phänomenologie des Schweigens allgemein geht, sondern sich die Studie streng auf die hier untersuchten höfischen Romane beschränkt. 37 Dass es sich in den hier untersuchten Texten nicht um einen direkten Ausdruck von Mündlichkeit handelt, in deren Rahmen das Schweigen zu sehen wäre, ist klar. Es ist »fingierte Mündlichkeit«, in deren Künstlichkeit aber gerade auch die spezifische Wahrnehmung gewisser Phänomene der Mündlichkeit sich spiegeln und so erkennbar werden. Peil betrachtet das Schweigen zwar durchaus als Gebärde (S. 317), führt es dann aber nur im Kontext mit der Klage als solche an (S. 309). Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975).
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zu verstehen, setzt nicht nur eine spezifische Vorstellung physischer und intellektueller Eigenschaften als Bedingungen des Sprechens voraus, sondern auch eine heilsgeschichtliche Weltdeutung, in deren Rahmen Sprechunfähigkeit unter Umständen als Schweigen – im Sinne einer bewussten Sprechabstinenz – verstanden werden kann. Es steht dahinter ein sprachbestimmtes Ordnungs- und Deutungssystem, das nur gültig bleiben kann, wenn Sprachlosigkeiten als Schweigen verstanden werden. In diesem Rahmen greift denn die sinnkonstituierende Interpretation auch nach dem Sprachverlust, um ihn als Schweigen in die durch das Sprachsystem gegebene und gestützte gesellschaftliche, dann aber auch heilsgeschichtliche Ordnung einzupassen. Wie wenig es dabei um das Nachzeichnen psychischer oder physischer Vorgänge geht, die das Individuum in Situationen der Krise zeigen, wird daran deutlich, dass die verschiedenen Formen des Sprachverlusts sich spezifischen sozialen Kreisen zuordnen oder topisch gekoppelt sind an feste Handlungsmomente. Sowohl Absenz von Sprechfähigkeit als auch Sprachverlust haben in ihrer Deutung als Schweigen eine gewisse topische Starre. In ein größeres Ordnungssystem eingepasst, haben sie einen mehr oder weniger festen Ort, dessen Zeichnung nicht zu stark verändert werden kann, wenn das grundsätzliche Verständnis, das sich in der Akzeptanz des aufgetanen heilsgeschichtlichen und sozialen Rahmens gründet, nicht gefährdet werden soll. Diese Zeichenhaftigkeit ist bei dem »sprachgefüllten Schweigen«, dem »beredten Schweigen« nicht mehr im gleichen Maß gegeben. Denn hier, wo das Schweigen als solches – in seinem Gegensatz zur Sprache – nicht in Frage steht, können feste Muster gebrochen und die Regeln, in deren Rahmen das Schweigen spielt, in Frage gestellt werden. Auch wenn sich in der bewussten Setzung von Schweigemomenten innerhalb des Kommunikationssystems soziale Ordnungen und religiöse Deutungsstrukturen am schärfsten manifestieren, tut sich hier doch auch der größte Spielraum auf für die Realisierung neuer Aspekte und Verschiebungen im Sinnsystem. Das in den tradierten, immer wieder besprochenen Ordnungen lokalisierte Schweigen kann da durch feine, kleine Veränderungen neu gezeichnet werden; mit jedem neuen Strich verändert sich aber die altbekannte Welt. Es wundert so nicht, dass die Formen des »beredten Schweigens« in der folgenden Aufstellung den weitaus größten Teil einnehmen. Denn sie sind es, in denen ein die Welt veränderndes und neu ordnendes Erzählen ansetzen konnte, um an den verschwiegensten, den stillsten Punkten der sich in der Sprache bestätigenden Ordnung diese aus dem scheinbaren Gleichgewicht zu heben. 102
Absenz von Sprechfähigkeit
1. Absenz von Sprechfähigkeit
So problematisch es ist, in bezug auf das Kleinkind und den Stummen von einem ›Schweigen‹ zu sprechen,38 kann ihre Sprechunfähigkeit im Blick auf die Verstehensmuster, die im Mittelalter darauf angewendet wurden, hier nicht ganz ausgeklammert werden. Denn Sprachlosigkeit beim Menschen wird, ganz gleich ob physisch bedingt (Stummer) oder Teil einer Entwicklungsphase (Kind), aus einem Unbehagen einer wortlosen Welt gegenüber als Schweigen gedeutet, um so in den Bereich der Sprache hereingeholt und darin »verständlich« gemacht zu werden.
1.1 Das Kleinkind ›Infans‹ Es ist die Sprachlosigkeit, über die das Kleinkind definiert wird. So schreibt Isidor im Rückgriff auf eine wohlbekannte Definition von Varro: »›Infans‹ nennt man den Menschen im ersten Alter; und er wird ›infans‹ genannt, weil er da nicht zu reden (fari) versteht, das heißt nicht sprechen kann.«39 Der Grund für die kindliche Sprachlosigkeit wird einerseits in den noch fehlenden Zähnen, anderseits in einem Mangel an ›ratio‹ und ›intellectus‹ gesehen,40 wobei man sich einig ist, dass beim 7-jährigen
38 Vgl. dazu u. a. Schmitz, Beredtes Schweigen – Zur sprachlichen Fülle der Leere (1990), S. 111 f. Auch Kunz grenzt die kindliche Sprechunfähigkeit von Schweigen ab: »Ein Kind, das noch nicht zu sprechen vermag, kann auch nicht schweigen, es ist stumm.« Schweigen und Geist (1996), S. 33. 39 »Infans dicitur homo primae aetatis; dictus autem infans quia adhuc fari nescit, id est loqui non potest.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), XI ,ii,9. Vgl. Varro, De lingua latina, zitiert bei: Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), Anm. 3. Und Augustinus sagt: »Non enim eram infans, qui non farer, sed iam puer loquens eram.« Bekenntnisse. Confessiones (1987), I,8,13 (S. 30). 40 »Nondum enim bene ordinatis dentibus minus est sermonis expressio.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), XI ,ii,9. »A nativitate vero usque ad septimum annum est infantia, quia in quadam parte illius fari non potest; in al-
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Kind die Sprechfähigkeit schon ausgebildet, der Verstand und damit das richtige Sprechen aber erst im 14. Lebensjahr vollkommen gegeben sind.41 Ausnahmen bestätigen diese Regel, indem sie dem hagiographischen Bereich entstammen oder als Ausdruck göttlichen Wunderwirkens gedeutet sind. So müssen sich im »Armen Heinrich« von Hartmann von Aue die Eltern und dann auch Heinrich vor der erstaunlichen, die menschliche Norm brechenden Wortgewalt des Mädchens (A.H.858) beugen und erkennen, daz der heilic geist / der rede wære ir volleist (dass der Heilige Geist Urheber ihrer Rede sei, A.H.863 f.).42
Sprachlose Empfindung und Hilflosigkeit Weil die Sprachunfähigkeit des Kindes mit einer noch nicht ausgebildeten ›ratio‹ erklärt wird, kann die kindliche Sprachlosigkeit zum Inbegriff einer die Sprache übersteigenden Empfindung werden. So stürzt der kleine Parzival in sprachlose Verzweiflung über den Vogelsang, der in ihm Gefühle weckt, die er nicht ausdrücken kann: ern kunde es ir gesagen niht, als kinden lîhte noch geschiht (er konnte es ihr [Herzeloyde] nicht sagen, wie das Kindern heute noch leicht passiert, Parz.118,21 f.). Gleichzeitig kann aber die Sprechunfähigkeit in einer Gesellschaft, in der sich Willenskraft in erster Linie sprachlich artikuliert, auch zum Zeichen von Hilflosigkeit und Schwäche werden: Das unartikulierte Weinen des Kindes ist spöttisches Bild für den handlungsunentschlossenen Held.43
tera vero, si loquitur, imperfecte loquitur. In hac aetate sensum habere potest, rationem tamen atque intellectum, non.« Wilhelm von Conches, Elementorum philosophiae libri quatuor, IV,xviii, PL 90, Sp. 1171D. 41 Zur Zahlensymbolik in diesem Zusammenhang und den entsprechenden Vorstellungen der Entwicklung des Kindes siehe Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 722 f. Da finden sich auch weitere Quellenverweise und Zitate. 42 Weitere Beispiele kindlicher Sprachgewalt als Ausdruck göttlichen Wunderwirkens finden sich bei Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 730 f., S. 746 f. 43 wiltû hie selbe weinen / reht als ein kint nâch der brust (Wlh.457,9). Oder: als ein kint nâch dem ei (Wlh.152,15). Vgl. dazu auch Schultz, The Knowledge of Childhood in the German Middle Ages (1995), S. 49. Zur verschiedenen Deutung (medizinisch und heilsgeschichtlich) des kindlichen Weinens vgl. Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 727 f.
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Sprachlosigkeit als Zeit- und Schuldlosigkeit Augustinus klammert seine Kindheit explizit aus seinem zeitlichen Leben aus, denn als Zeit, die nicht von Verstand geprägt ist, fällt die sprachlose Kindheit auch aus der Erinnerung und damit aus dem bewussten Leben heraus.44 Beschreibt er dann aber die Sprachfindung des Kindes, das langsam dazukommt, seinen Willen verbal auszudrücken, unterlegt er dieser Einführung in die Sprache den Sinn einer Einführung in die Sünde. Der Knabe dringt über den Spracherwerb immer tiefer in die Gesellschaft und da in die irreführende Sprachkunst ein, um mit ihrer Hilfe weltliche Ehre und falsche Reichtümer zu suchen.45 Mit der Sprachfähigkeit beginnt für Augustinus die Schuldfähigkeit, damit auch die Versündigung.46 Man kann sich fragen, ob die vieldiskutierte Stelle in Gottfrieds »Tristan«, in der das Ende der kindlichen, sorglosen Freiheit durch das Lernen beklagt wird, nicht in dieser Tradition zu verstehen ist (Tr.2062–90).47
44 »Hanc ergo aetatem, domine, qua me vixisse non memini, de qua aliis credidi et quam me egisse ex aliis infantibus conieci, quamquam ista multum fida coniectura sit, piget me adnumerare huic vitae meae, quam vivo in hoc saeculo. Quantum enim adtinet ad oblivionis meae tenebras, par illi est, quam vixi in matris utero.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), I,7,12 (S. 28 f.). 45 »id proponebatur […] ut in hoc saeculo florerem et excellerem linguosis artibus ad honorem hominum et falsas divitias famulantibus.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), I,9,14 (S. 32). Zur Parallelisierung von Spracherwerb und Versündigung siehe Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 735 f. Sie verweisen auch auf die juristische Praxis, die ein Kind bis zum 14. Jahr für nicht in vollem Umfang schuldig hielt, ebd. S. 722. 46 In heilsgeschichtlicher Analogie erklärt sich dieser Zusammenhang noch direkter, wenn Augustinus in »De civitate Dei« den Anfang der Menschheit vor der Sintflut, von dem weder Sprache noch Spuren erhalten sind, mit der ›infantia‹ vergleicht, die Zeit von Noah bis Babel, in der Hebräisch erfunden wurde, mit der ›pueritia‹, die Zeit von Abraham bis David dann aber als ›adolescentia‹ sieht, in der »der Mensch zu wachsen anfangen kann«. De civitate Dei (1955), XVI , 43,67–77, CCSL 48, S. 550. 47 Die Stelle hat immer wieder erstaunt in ihrer scheinbaren Bildungsfeindlichkeit. Vgl. dazu Huber, Gottfried von Strassburg (1986), S. 23; Jaeger, Melancholie und Studium (1992), v. a. S. 128–134. Castellet will darin eine revolutionäre Kritik Gottfrieds an einer die Kindheit verneinenden Gesellschaft sehen. Castellet, L’espressività del silenzio nel ›Tristan‹ di Gottfried von Strassburg (1990), S. 94. In der augustinischen Skepsis der Ausbildung gegenüber mag sich eine Spiegelung der von Jaeger nachgezeichneten antiken und dann wieder humanistischen medizinischen Tradition der Melancholiepathologie in bezug auf das Studium zeigen. Es wäre somit bei Gottfried nicht eine heimliche Weiterführung oder Überbrückung dieser sonst im Mittelalter verschwiegenen Tradition, sondern eine
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Damit aber wird die kindliche Sprachlosigkeit nicht nur mit Unverstand, sondern implizit auch mit Unschuld in Verbindung gebracht, so dass kindliche Unwissenheit als Ideal angemahnt werden kann, wie zum Beispiel in den »Disticha Catonis«:48 Du solt under wîlen sîn unwîser denne ein kindelîn: ez ist dicke ein wîsheit, swer ze tumpheit ist bereit. (II ,18) (Du musst manchmal unverständiger als ein Kindchen sein: oft ist es Klugheit, wenn einer zur Dummheit bereit ist.)
Die unwissende Sprachlosigkeit des Kleinkindes ist Zeichen seiner Unschuld.49 Solange das Kind keine Sprache, das heißt keinen rationalen Ausdruck hat, versündigt es sich nicht.50 So lacht auch der kleine Gregorius den Abt sprachlos an, unberührt von der neben ihm liegenden Tafel, auf der seine sündige Abkunft geschrieben steht (Greg.1035–50).
Geste der Demut Auch wenn in strengem Kontrast zu dem weinenden Kleinkind das Jesuskind gezeigt wird, wie es still und stumm, weder seinen noch seiner Mutter Namen rufend in der Krippe liegt, interessiert nicht eine kindliche Sprechunfähigkeit des kleinen Jesu, sondern sein Schweichristlich gedeutete Auslegung. Vgl. zu dieser Stelle auch Schultz, The Knowledge of Childhood in the German Middle Ages (1995), S. 18. 48 Im lateinischen Text heißt es: »Insipiens esto, cum tempus postulat aut res; / Stultitiam simulare loco prudentia summa est.« Zarncke, Der deutsche Cato (1852), S. 178. Zur grossen Bedeutung dieser Sentenzensammlung für das Mittelalter siehe Wells, Fatherly Advice (1994), v. a. S. 296–308. Da wird auch auf weitere Literatur verwiesen. Dabei ist natürlich hinter diesen Ermahnungen zur kindlichen Einfalt die biblische Ermahnung zu hören (Mt 18,3). Vgl. dazu auch Schultz, The Knowledge of Childhood in the German Middle Ages (1995), S. 52 f. 49 In einer Predigt aus dem 12. Jh. heißt es in bezug auf die Ermordung der Kinder durch Herodes: wan div seligen chint dannoch zü dem alter niht chomen waren, das si von ïr menslïcher blode dehein schulde iht heten. Zitiert nach: Schultz, The Knowledge of Childhood in the German Middle Ages (1995), S. 53, Anm. 67. 50 Hildegard von Bingen bezieht die Zahnlosigkeit des Kleinkindes auf diese Unschuld, indem das Kind noch keinen Schutz gegen eine Verfehlung durch die Zunge nötig habe. Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 735.
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gen.51 Gegenüber der superben Beredtheit Adams, als er die Tiere benannte, gilt das Schweigen des Jesuskindes als Zeichen seiner ›humilitas‹.52 In die hinein aber soll jedes Kind geführt werden, wenn es langsam aus seiner infantilen Sprechunfähigkeit herausfindet: die Spracherziehung ist in erster Linie Pädagogik des Schweigens. Die unkontrollierte, scheinbar unreflektierte, nur halb verständige Rede des Kindes muss zensuriert werden. Bei Thomasin heißt es: dâ von sol sîn ein kint behuot daz er nien habe sô ringen muot, ern müge sîn zungen stille hân. wan swelch kint wil daz verlân, der hât niht ze gedenken muoz, im slîfet lîht der zungen vuoz. (WG 713–18) (davor muss ein Kind bewahrt werden: dass es nie so leichtsinnig sei, dass es seine Zunge nicht still halten kann. Denn wenn ein Kind dies zulässt, hat es keine Muße zu denken, und es rutscht ihm leicht der Fuß der Zunge aus.)
Lernen heißt schweigen. So wird die Sprachlosigkeit der ›infantia‹ durch das propädeutische Schweigen der ›pueritia‹ abgelöst.53
51 Verschiedene Texthinweise bei Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 729 f. 52 »Tu quondam in paradiso tam facundus fuisti, ut omni animae vivae nomina imponeres (Gen.ii,19,20): propter te autem Creator tuus infans jacebat, et nomine suo nec matrem vocabat. […] Tu cum esses homo, Deus esse voluisti, ut perires (Id.iii): ille cum esset Deus, homo esse voluit, ut quod perierat inveniret. Tantum te pressit humana superbia, ut te non posset nis humilitas sublevare divina.« Augustinus, Sermones ad populum, II , de tempore. Sermo 188: In Natali Domini,v, PL 38, Sp. 1004. Anders bei Mechthild, die das kindliche Weinen des kleinen Jesu als Demut deutet: er verbirgt seine Grösse in menschlicher Art. […] do weinete er alzehant als ein núwe geboren kint, wan die wile das dú kint sprachlos sint, so weinent si niemer ane rehte not. Also tet únser herre, do er wider siner edelen art in eime vihestalle also herte gebettet wart durch die bœsen súnde: do weinete er alles menschlich kúnne. Do verbarg er alle sine wunne und allen sinen gewalt. Mechthild von Magdeburg, Das fließende Licht der Gottheit (1990), V,xxiii,60–64 (S. 176). 53 Nagel/Vecchio schreiben in bezug auf die Kinder: »Apprendere a parlare vuol dire per loro apprendere anzitutto che prima del tempus loquendi viene sempre un lungo tempus tacendi che copre quasi completamente l’infanzia e la puerizia.« Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 743. Und zur spezifischen Spracherziehung des Mädchens heißt es: »che a ben guardare non ha infanzia, o vive in uno stato di infanzia perenne«, ebd., S. 743 f.
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1.2 Der Stumme Verstandesdefizit und Sündhaftigkeit Wie die Sprachlosigkeit des Kindes wird auch die Sprachlosigkeit des Stummen als Zeichen eines Verstandesdefizits gesehen.54 Und heilsgeschichtlich wird auch sie auf das Schweigen der Menschen vor der Inkarnation gedeutet: Die Heilung des Taubstummen durch Christus (Mk 7,35) ist da Bild für die Heilung der seit Adam im verlorenen Gotteslob zur Stummheit verdammten Menschheit. Sprachlosigkeit und Sprechunfähigkeit werden in diesem Sinnzusammenhang zu Zeichen der Sündhaftigkeit.55 Es sind Dämonen, die den Stummen am Wort hindern (Lk 11,14),56 und die gefesselte Zunge (vincula lingua, Mk 7,35) wird durch Christus erst ins Wort erlöst; so wie dem für seinen Widerspruch gegen den Engel mit Stummheit geschlagenen Zacharias (Lk 1,20) durch den Christus ankündigenden Johannes die Sprache wieder gegeben wird.57 Auch die Heilung eines Stummen durch den Bischof von Hexham, wie sie Beda berichtet, ist als eigentliche Erlösung ins Wort zu verstehen. Nachdem dem vollkommen stummen Knaben durch ein Kreuzeszeichen die Zunge gelöst wurde, führte ihn der Bischof Schritt für Schritt in die Sprache ein, indem er ihm einen Elementarkurs in Grammatik erteilte.58 Interessant ist dabei weniger die mirakulöse Heilung, als die darauf folgende Einführung in die Sprache. Denn da wird klar, dass Stummheit als Sprachlosigkeit im eigentlichen Sinne verstanden
54 Juristisch ist der Stumme wie das Kind nicht voll schuldfähig. Vgl. Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 722. 55 Ambrosius sagt: »Mutus ergo populus sine ratione, sine uerbo. […] Mutus est qui non intellegit legem, mutus est qui non intellegit diuinarum seriem scripturarum; uox enim nostra fides est.« Expositio Evangelii secundum Lucam (1957), I,41 und 42, CCSL 14, S. 27, 626 f. und 647 ff. 56 Mit Bezug auf Gregor d.Gr. sagt Petrus Cantor zu dieser Stelle: »Praesident enim quidam daemones quibusdam, ut faciant eos obmutescere quando opus esset loqui. Unde et daemonia muta dici possunt. Quidam similiter daemones praesunt garrulitati, facientes garrulos de quibus philosophus: Quid refert an superius, an inferius intonent? Quidam etiam silentes cum toto mundo fabulantur.« Verbum abbreviatum, cap.LXII , PL 205, Sp. 191C. 57 Siehe dazu Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 44 f. und 110 f. sowie Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 553 ff. 58 Zitiert bei Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 276 f.
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wurde, nicht nur als Fehlen eines Mittels, sondern als Fehlen einer Kompetenz, die erst noch erlernt werden muss. Ist die ›vox‹ gegeben, muss sie noch ›articulata‹ werden, bevor der Knabe geheilt ist. Dieses Verständnis von Stummheit als einer Art vor- oder außersprachlichem Zustand, wird auch in Isidors Definition deutlich: »Stummer [heißt er], weil seine Stimme keine Rede ist, nicht einmal Stöhnen.«59 In der Stummheit, als dem vorstimmlichen Zustand, wird die Sprache selber verschwiegen. Deshalb kann im geistlichen Kontext derjenige, der das Gotteslob verschweigt, als »stumm« bezeichnet werden, da er das wahre Wort, »ohne das die menschliche Beredsamkeit stumm ist«,60 nicht kennt. Die terminologische Verwirrung, die sich hier zwischen ›stumm‹ und ›schweigend‹ ergibt, ist auf diesem Hintergrund zu verstehen.61 So sagt auch Hugo von Trimberg: Swelch mensche niht gotes minne hât, Daz ist ein stumme wâ ez gât: Aleine sîn munt sî worte vol, Doch ist sîn herze gein gote hol. (Renner 20969–72) (Der Mensch, der nicht die Liebe Gottes hat, ist ein Stummer, wo immer er ist: Auch wenn sein Mund voller Worte ist, ist sein Herz gegenüber Gott doch leer.)
In den hier untersuchten höfischen Erzählungen spielt aber weder die enge Verknüpfung von Stummheit und göttlicher Einwirkung, wie sie vor allem für Mirakelerzählungen wichtig ist, noch physisch-medizinisch erklärte Stummheit eine Rolle.62 Der Stumme wird höchstens spöttisch zum Vergleich herangezogen, oder als hilflose Erklärung eines unverständlichen Schweigens zitiert. Kalogrenant versucht sich 59 »Mutus, quia vox eius non est sermo, nisi mugitus.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), X,169. 60 »Verbum, sine quo muta est humana eloquentia.« Augustinus, Sermones ad populum, II , de tempore. Sermo 188: In Natali Domini,v, PL 38, Sp. 1004. 61 Vgl. die oben zitierte Erläuterung von Petrus Cantor zu Lk 11,14 (Anm. 56). Zur Umkehr der grammatischen Sprachdefinition im religiösen Kontext siehe Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 553. Indem das göttliche, im Propheten wirkende Wort in Israel verstummte, verstummte auch die Stimme der Propheten, »abstulit vocem, quia uox uerbi, non uocis est uerbum; nam nisi uerbum illud operetur in nobis, nullus est sonus uocis.« Ambrosius, Expositio Evangelii secundum Lucam (1957), I,40, CCSL 14, S. 26, 609–11. 62 Zur religiösen Bedeutung der Stummheit im Rolandslied siehe Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 139 ff. Man vermisst aber eine erläuternde Differenzierung zwischen Stummheit und Schweigen in diesem religiösen Zusammenhang.
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so die Wortlosigkeit des Waldschrats zu erklären (Iw.480 f.), und Lunete neckt den vor Laudine verstummten Iwein: ir sprâchet doch in kurzer stunt: wenne wurdent ir ein stumbe? (Ihr habt doch eben noch gesprochen: wann wurdet ihr zum Stummen? Iw.2258 f.).
1.3 Zusammenfassung Die Absenz von Sprechfähigkeit bei Kleinkind und Stummem, in heilsgeschichtlichem Kontext als Schweigen gedeutet, spielt im höfischen Roman nur eine marginale Rolle. Es ist die in der Sprachlosigkeit des Kleinkindes sich ausdrückende Unschuld, die zeichenhaft aufscheint, wenn das in Sünde geborene Kind Gregorius den Abt stumm anlächelt, wenn der kleine Parzival die Sinneseindrücke noch nicht sprachlich fassen kann, um sie zu bändigen und sich dadurch in die Welt einzubinden. Das noch nicht in die Welt eingeschlossene, sprachlose Kind ist im höfischen Roman aber nur im Zusammenhang einer sich im christlichen Sinnsystem vollziehenden Lektüre bedeutsam – im Beispiel des »Gregorius« nur im Spiegel des betrachtenden Auges des Abtes. Die Konnotation des untätigen Helden mit dem sprachlosen Kind, damit die Deutung der kindlichen Sprachlosigkeit als Hilflosigkeit, ist dagegen Teil des in der Erzählung explizit gefestigten sozialen Wertungssystems. Dies gilt auch da, wo es durch ungewohnte kindliche Sprachfähigkeit in Frage gestellt wird, wie im Beispiel des Mädchens im »Armen Heinrich«. Denn indem diese Verkehrung kindlicher Sprachlosigkeit in wunderbare Beredsamkeit explizit als Manifestation göttlichen Wirkens interpretiert wird, wird die gebrochene Ordnung in der Bestätigung der Ausnahme wieder hergestellt. Anders als die Sprechunfähigkeit des Kindes, die in den hier untersuchten Romanen sowohl in heilsgeschichtlichem Interpretationshorizont als auch in sozialem Ordnungsmuster bedeutsam wird, spielt die Sprachlosigkeit des Stummen nur im sozialen Rahmen eine Rolle. Die heilsgeschichtliche Deutung der Stummheit als Zeichen der Sündhaftigkeit ist – anders als in der Legende oder auch dem religionspolitisch gefärbten Rolandslied – nicht von Bedeutung.63 Es gibt denn in den 63 Vgl. zur Stummheit als Zeichen der Sündhaftigkeit und der Ketzerei Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender Literatur des deutschen Mittelalters (1978), S. 139–157, v. a. 139 ff. Interessant ist, dass auch die kindliche Sprachlosigkeit in ihrer heilsgeschichtlichen Deutung ad malam partem im Sinne
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hier untersuchten Romanen auch keinen wirklich stummen Protagonisten, sondern der Stumme wird nur als Bild zitiert, um auffallende und verwirrende Sprachlosigkeit zu erklären. Die Deutung kann dabei bewusst falsch sein und damit dem Spott dienen, oder sie ist unbewusst falsch und Ausdruck eines grundlegenden Missverständnisses. Gegenüber der Sprechunfähigkeit des Kleinkinds zeigen sich so ähnliche Wahrnehmungsstrukturen, wie sie in sprachtheoretischen Reflexionen das Schweigen vor dem Reden bestimmten. Das kindliche Schweigen wurde in christlichem Verstehenszusammenhang zum Schutzraum stilisiert, in dem noch keine Versündigung möglich ist. Gleichzeitig wurde der Vorbereitung auf das Reden und den Eintritt in die Sprache besondere Beachtung geschenkt, als der Zeit des propädeutischen Schweigens im Sinne einer Zeit der inneren Zensur und Anpassung an die Sprach- und damit Weltordnung. Die Sprachlosigkeit des Stummen hingegen diente zur willkommenen Erklärung jener Schweigemomente, die in der bekannten Sprachordnung keine Stelle haben, die nicht gedeutet, nicht mit Sprache gefüllt werden konnten.
eines unterlassenen Gotteslobs und fehlender Gotteserkenntnis, wie sie die Zeit vor der Schöpfung und vor der Inkarnation prägten, nicht reflektiert ist. Zur für diesen Gedanken relevanten Auslegung von Sap 18,14f. siehe Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender Literatur des deutschen Mittelalters (1978), S. 55–71.
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2. Sprachverlust
Wurde die Sprechunfähigkeit von Kind und Stummem in der christlich gedeuteten und erklärten Welt zu einem Schweigen, versuchte man auch die Phänomene des Sprachverlustes, die in ihrer plötzlichen, unwillkürlichen Wortlosigkeit die rationale Ordnung der Sprachgemeinschaft bedrohten, mit dem Begriff des Schweigens zu fassen. Dabei wurde auch der Sprachverlust durch eine Verminderung des Verstandes erklärt, wobei es graduelle Unterschiede gibt. Das durch einen überwältigenden Affekt hervorgerufene Verstummen konnte als Vorform der sich in Wahnsinn und Ekstase manifestierenden existenziellen Grenzüberschreitung gesehen werden, bis hin zum Tod, so wie auch die Sprachlosigkeit von Schlaf und physischer Schwäche jene Grenze bezeichnete, die die kontrollierte und geordnete Welt des Verstandes umschließt. Die Hilflosigkeit der Sprachgemeinschaft diesen Phänomenen unwillentlichen Sprachverlusts gegenüber zeigt sich gerade darin, dass sie sie in den Bereich des Schweigens hineinsprachen. Der Tote »schweigt für die Welt« und »kann nicht mehr rufen«,64 der Entrückte »spricht nicht« und »fragt nicht«,65 der Verletzte ist »vollkommen zum Schweigen gebracht« und »kann nicht mehr schreien«,66 der vom Affekt überwältigte »schweigt und spricht kein Wort mehr«.67 Terminus technicus für diesen Zustand verlorener Sprache war die Selbstvergessenheit. Denn der Verlust der Sprache wurde als Verlust des identitätsbildenden Bewussteins gesehen. Der Verstummte war nicht mehr Teil der Gesellschaft und verschmolz mit all dem, was – als Gegenbereich – die erklärte Weltordnung bedrohte. Der Bann ins Schweigen war somit auch hier Versuch, die Sprachlosigkeit zu domestizieren.
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Tr.4779 / Wlh.39,10 f.; Wlh.408,13 f. Parz.288,2; Parz.289,1; Parz.288,27 Er.5419 f. Tr.15228. Es wiederholt sich so im Grossen eine Deutung, wie sie die Rhetorik prägt, die das affektive Verstummen als kalkuliertes Mittel des Effekts einzusetzen vermag.
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Sprachverlust
2.1 Tod Sprachverlust als Ende der Zeitlichkeit Beginnt für den Menschen das zeitliche Dasein mit der Sprach- und Sprechfähigkeit, endet es mit dem definitiven Verlust der Sprache. Der Tod ist endgültiger Abbruch eines Redens.68 Als der Großvater von Gregorius stirbt, heißt es, nachdem er sich von seinen zwei Kindern verabschiedet hat: hie mite was ouch im gelegen diu sprâche und des herzen kraft und schiet sich diu geselleschaft, beidiu sêle unde lîp. (Greg.266–69) (Damit schwanden ihm auch die Sprache und die Kraft des Herzens, und es trennte sich die Gemeinschaft von Seele und Leib)
Auf dem Schlachtfeld ist es die Präsenz des Schlachtrufes, die nicht nur Überlegenheit und Stärke ausdrückt, sondern auch zum Zeichen von Leben wird. So fassen sich Niederlage und Verlust des Heeres von Willehalm bei Alischanz in dem einen Vers zusammen: Munschoi, der krîe, was geswigen (Munschoi, der Schlachtruf, verstummte, Wlh.50,11).69 Verstummen ist Tod, wobei dies für den kämpfenden Ritter genauso gilt wie für den Minnesänger, der im Tod der werlde geswigen ist (für die Welt verstummt, Tr.4779). Dabei wird, durch die Deutung des Sprachverlusts im Tod als »Schweigen für die Welt«, in der Annahme einer Kontinuität des Sprechens, das Verstummen im Tod aus seiner Endgültigkeit zu lösen versucht. Im Kontext der Unendlichkeit wird das endliche Verstummen des Menschen zum Schweigen im Zeitlichen. Was sich in der Klage um den Tod der »Nachtigall von Hagenau« bei Gottfried in der Formel des Verstummens in der Zeit fasst, zeigt sich in seiner letztlich unerklärlichen und bedrohlichen Gewalt in dem Schreck und dem Entsetzen des kleinen Parzival über die im Tod verstummenden Vögel:
68 Vgl. z. B. den Tod von Vivianz, Wlh.49,28–30 und 69,10–19. Auf die enge, nicht zuletzt in Phraseologismen belegte Verbindung weist auch James-Raoul hin: La parole empêchée (1997), S. 227 ff. 69 Wlh.408,13 f.; Wlh.39,10 f.
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swenne abr er den vogel erschôz, des schal von sange ê was sô grôz, sô weinder unde roufte sich, an sîn hâr kêrt er gerich. (Parz.118,7–10) (Wenn er aber den Vogel erschoss, dessen Gesang vorher so laut war, so weinte und raufte er sich, rächte er sich an seinem Haar)
Ohne den Schutz des Ewigkeitsgedankens bricht die Erkenntnis der Endlichkeit über den kleinen Knaben herein, bevor er selber noch richtig in die Zeit eingetreten ist. Dabei ist das Verstummen der Vögel im Text nicht eigentlich thematisiert, sondern es wird nur die von Parzival wahrgenommene Veränderung gezeigt: vorher war das Gezwitscher laut. Die Leere des Todes, als Absenz von Klang, wird im Text reproduziert, indem sie nicht auch nur mit einem Wort bezeichnet wird. Der Tod ist aber nicht nur durch ein vollkommenes Verstummen des Toten gekennzeichnet, sondern oft auch durch ein Schweigen in der Erzählung begleitet: der Tote ist kein Thema.70 Selbst die ausführliche Beschreibung vom Tod Vivianz’ betrifft den Sterbenden und nicht den Toten. Kaum ist er gestorben, heißt es: waz hilfet, ob ich’z lange sage? (was hilft es, wenn ich es lang ausführe? Wlh.69,17).
2.2 Wahnsinn Sprachverlust als Verlust des Verstandes Wahnsinn, als längere Verwirrung oder längerer Verlust des Verstandes, wird entweder als Regression des Menschen in den Zustand des verstand- und sprachlosen Kindes gezeigt, oder – in gesteigerter Form – in einen tierischen Zustand, in dem er nicht nur verbal, sondern auch physisch aus der Gesellschaft ausgeschlossen ist.71
70 und suln wir sprechen vürbaz heißt es nach Riwalins Tod im »Tristan«, um wieder in den Gang der Handlung zurückzufinden (Tr.1710). Um den Toten soll sich Gott kümmern, der edeler herzen nie vergaz (Tr.1709). Ganz ähnlich dann die Wendung von der toten Blanscheflur zum neugeborenen Tristan (Tr.1782–88); vgl. auch den Tod Morolts (Tr.7200–07). 71 Zur Gleichsetzung von Kind und Wahnsinnigem siehe Nagel und Vecchio, Il bambino, la parola, il silenzio nella cultura medievale (1984), S. 724. Auch im »Iwein« wird die Parallele gezogen (Iw.3320 ff.). Interessant ist in diesem Zusammenhang die weit verbreitete Tradition, fremde Sprachen (meist abschätzig) mit
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Sprachverlust
Iwein verliert seinen Verstand stufenweise, von schweigender Introvertiertheit bis zu ausgebrochenem Wahnsinn. Dabei wird, solange er noch Kleider trägt und sich im Gesichtskreis des Hofes befindet, explizit auf sein selbstvergessenes Schweigen hingewiesen (Iw.3092,3227) und ist es dieses Schweigen, aufgrund dessen er mit einem Toren verglichen wird (Iw.3095). Kaum aber schießen ihm, außerhalb des Hofkreises, Zorn und Wahnsinn ins Hirn (Iw.3232 f.), ist von einem Verstummen oder Schweigen keine Rede mehr. Die Sprachlosigkeit desjenigen, der vollkommen aus der Ordnung des Hofes und der Menschen gefallen ist, fällt nicht mehr auf. Nackt und ohne Verstand ist er zum Tier geworden, dessen Sprachlosigkeit nicht mehr als Gegensatz zu einem möglichen Reden wahrgenommen werden kann.72
Weisheit oder Torheit? Das selbstvergessene Schweigen in der Gesellschaft wird von dieser in seiner Unverständlichkeit als Zeichen einer Verstandesschwäche gedeutet und so, als Sprachdefizienz verstanden, zum Attribut des Toren.73 So wird auch Antanor am Artushof zum Toren gemacht: Der verswîgen Antanor, / der durch swîgen dûhte ein tôr (der verschwiegene Antanor, der wegen des Schweigens ein Tor zu sein schien, Parz.152,23 f.). Denn die Artusgesellschaft findet für sein Schweigen, das für sie (noch) keine verstandesmäßig fassbare Erklärung hat, keine andere Deutungsmöglichkeit, als es aus ihrer rationalen Ordnung auszuklammern.74 Gleichzeitig wird in dieser Deutung aber auch implizit die vielTierlauten in Verbindung zu bringen, so wie diese, in ihrer Uniformität gern mit den menschlichen, einen Affekt ausdrückenden unartikulierten Lauten verglichen werden. Es ist die Sprachlosigkeit, die Unverständlichkeit, die den Fremden, das Kind, den Toren und das Tier zusammenschließen. Siehe dazu Borst, Der Turmbau von Babel (1995), S. 418, 579, 712, 807. Zum Wahnsinn im Mittelalter siehe Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung (1996). Zur Kommunikationslosigkeit des Wahnsinnigen vgl. ebd. S. 75 u. ö. 72 Isidor definiert: »Pecus dicimus omne quod humana lingua et effigie caret.« Etymologiarum sive originum libri XX (1957), XII ,i,5. Siehe auch Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985), S. 640. Zu der exilierenden Stummheit des wahnsinnigen Iwein vgl. auch Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung (1996), S. 127. 73 Zur Funktion der Wahnsinns-Diagnose als Rückbindung an das höfische Problem- und Wertesystem siehe auch Matejovski, Das Motiv des Wahnsinns in der mittelalterlichen Dichtung (1996), S. 145. 74 Die Schwierigkeit, dieses Schweigen zu verstehen, bricht aber nicht nur in der Artusgesellschaft auf, sondern ist bis heute ein Problem der Forschung. Und ich
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überlieferte Sentenz ein dor, biz er swiget, so hat man in for wise75 (solange ein Tor schweigt, hält man ihn für weise) zitiert und im Zitat pervertiert. In dieser Verdrehung sprichwörtlicher Wahrheit entlarvt sich letztlich die Falschheit der Einschätzung Antanors durch den arturischen Hof: dieser nimmt ein Zeichen der Weisheit für Torheit.
2.3 Mystische Ekstase Das mystische Verstummen als Zitat Die in kontemplativer Schau überwundene Grenze der in der Sprache gebundenen Reflexion ist im höfischen Roman selten, wenn nicht eigentlich absent. Im Zusammenhang mit der Minnethematik wird die mystisch-contemplative Versenkung in schweigender Schau zwar anzitiert, im fremden Kontext aber umgedeutet. Gerade bei Gottfried von Strassburg finden sich Schweigeszenen, die mit Requisiten eines mystischen Schweigens ausgestattet sind, sonst aber deutlich nichts mit einem Verstummen in religiöser Verzückung zu tun haben. Der vieldeutige Raum des Schweigens ermöglicht es hier, religiöse Überhöhungen gewisser Szenen zu skizzieren, ohne sie ausführen zu müssen. Es handelt sich dabei um ein Spiel mit den Assoziationsfäden im Kopf der Zuhörer und Leser, das unten in den ausführlichen Interpretationen im dritten und vierten Teil nachgezeichnet werden soll.76 möchte eigentlich dafür plädieren, das Unverständnis der Artusgesellschaft als eigentliches Verständnis zu sehen: so wie Cunnewâres Lachen ist dieses Schweigen Zeichen und Ausdruck einer im Zirkel des arturischen Hofes und somit auch seiner Sprache nicht fassbaren Welt – ohne der Gralswelt zuzuordnen zu sein. Das Wissen, das sich darin ausdrückt, ist eigentlich mystisches Wissen. Die Subversivität solchen Wissens in einer festgefügten Gesellschaftsordnung, wird dann durch die Reaktion Keies, der für die Hofordnung zuständig ist, mehr als deutlich. Vgl. dazu auch Ruberg, der aber Antanors Schweigen »in Einklang mit der fremdartig hereinragenden Gralswelt« sieht und somit antithetisch setzt zu Parzivals Schweigen auf der Gralsburg. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 227. 75 Die Idsteiner Sprüche der Väter, Spr. 9 (S. 79). Vgl. den vielfach tradierten Spruch: »si tacuisses philosophus mansisses«. In der »Disciplina clericalis« von Petrus Alphonsus heißt es: »Discipulus magistro: Quomodo habendo me inter sapientes discipulos computabor? Magister: Serva silentium, donec sit tibi loqui necessarium. Ait enim philosophus: Silentium est signum sapientiae, et loquacitas signum stultitiae.« Zitiert nach: Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 55. 76 Vgl. z. B. Tr.14626–35.
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Einziges Beispiel, in dem die Form eines mystischen Schweigens nicht nur zitathaft anklingt, sondern sich im Kontext auch bis zu einem gewissen Grad als solches konstituiert, ist die Bluttropfenszene im »Parzival« (Parz.282,20–302,5). Zur Charakterisierung dieses Schweigens versammeln sich denn auch sämtliche Beschreibungsformen der verschiedenen Arten des Sprachverlusts: Parzival »spricht nicht«, »fragt nicht«, »schweigt«, »nimmt nichts wahr«, »ist ohne Verstand« und »besinnungslos«, wie »wenn er schlafen würde«.77 Und trotzdem ist die Szene nicht als Rahmen einer mystischen Schau zu lesen. Denn selbst wenn man von einer »Minnemystik« ausgeht, lässt sich die Szene, die genau auf der Grenze zwischen Artus- und Gralswelt spielt, nicht eng auf eine mystische Schau hin deuten, sondern ist zwischen weltlichem Minneschweigen und geistiger, kontemplativer Erkenntnis gebrochen.78
2.4 Schlaf Verstummen als Verschwinden Es sind Parzivals Sprach- und Regungslosigkeit vor den drei Bluttropfen, die Keie zum spöttischen Vergleich mit dem Schlafenden reizen (Parz.294,13 ff.). Denn als einzug der sêle auf sich selber, wie es Konrad von Megenberg definiert,79 verschließt der Schlaf die äußeren Sinne und schneidet den Menschen aus dem Geschehen aus: er ist nicht mehr präsent.80 Der Schlafende fällt denn in der Regel auch aus der Er-
77 Parz.189,2; 283,17; 283,23; 287,9; 288,2; 288,9; 288,27; 289,1; 293,7; 294,10; 294,15; 296,4; 300,12 f.; 300,17; 300,20; 460,10; 802,1 f. 78 Zur Bluttropfenszene siehe ausführlicher im vierten Teil den Abschnitt »Munsalvæsche« im Kapitel zum ›(w)ortlosen Wald‹. 79 Konrad von Megenberg, Das Buch der Natur (1994) I,4 (S. 8, 18). Zur Tradition der Vorstellung des Schlafs als einem Rückzug der ›spiritus vitalis‹ und der Sinne siehe Kuhlen, Zur Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel in Mittelalter und früher Neuzeit (1983), u.a. S. 27–29, S. 32–36. 80 Die Einsamkeit Gyburcs ist nirgends so deutlich wie in der Szene, als Willehalm auf ihrer Brust schläft – nah und doch nicht da (Wlh.100,24ff.). James-Raoul weist auf die Schweigsamkeit von Artus hin und spricht in diesem Zusammenhang davon, dass diese stumme Absenz in emblematischer Art durch den Schlaf unterstrichen werde. James-Raoul, La parole empêchée (1997), S. 8.
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zählung heraus, verschwindet wortlos im Zeilensprung, um erst mit dem Erwachen wieder von der Sprache gefasst zu werden:81 im was des âbendes geschehen dâ von er prîs bejagete. morgens als es tagete, Erec ûf machte sich. (Er.2485–88) (was ihm an diesem Abend passiert war, verhalf ihm zu Ruhm. Morgens, als es tagte, machte sich Erec auf.)
Stumme Körperlichkeit Da der Körper des Schlafenden nicht mehr von einem wachen Verstand beherrscht ist, kann er zum Spielfeld unkontrollierter Affekte werden.82 Und deshalb gehört er nicht in den öffentlichen Raum. Die bewusstlose, sprachlose und unkontrollierte Körperlichkeit des Schläfers ist ein Affront gegenüber der höfischen Ordnung. Der Schlafende hat sich zurückzuziehen, um die Gesellschaft vor seiner unverständlichen Sprachlosigkeit zu schützen, aber auch seinen unkontrollierten und verletzlichen Körper vor dem öffentlichen Blick zu bewahren. Keie, der sich mitten in der arturischen Festgesellschaft zum Schlafen hinlegt, verstößt damit gegen Anstand und Ehre: ze gemache ân êre stuont sîn sin (es ging ihm um Bequemlichkeit ohne Ehre, Iw.74–76).
Ruhe und Heilung Als geschützter Raum, außerhalb der fordernden Welt, kann der Schlaf auch Ort der Heilung, der Rekreation und der physischen und psychischen Beruhigung werden. Es ist der von Arnive für Gawein angeordnete Heilungsschlaf, der ihm die stärkende Ruhe für den Körper, aber auch das für die Heilung nötige Schweigen bringt (Parz.580,19–21). Und Gregorius findet nur durch den Schlaf für einen Moment Ruhe in sei81 Siehe auch das 11. Buch des »Parzival«, das damit endet, dass Gawein einschläft: Gâwân sich leite slâfen nider (Parz.582,30). Dass im Schlaf auch gesprochen werden kann, spielt im höfischen Roman keine Rolle. Vgl. dazu Wittmer-Butsch, Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter (1990), S. 64 ff. 82 Es ist gerade Auszeichnung der Heiligen – oder zumindest vorbildlich Frommen –, dass ihnen selbst im Schlaf nur Gott vor Augen steht. Vgl. dazu Lerchner, Lectulus floridus (1993), S. 65 f.
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ner ununterbrochenen Busse; nur im Schlaf verstummt sein Beten (Greg.3048–51).83 Es ist aber auch der Schlaf, der den Liebenden einen Raum außerhalb der Sprache und der sich in ihr manifestierenden und konstituierenden öffentlichen Ordnung gewährt, wie sich dies sehr deutlich in der Entdeckungsszene der Liebenden im »Tristan« zeigt, einer Szene, die wie kaum eine andere von vollkommenstem Schweigen geprägt ist.
2.5 Verstummen durch physische Verletzung Sprachverlust des Ritters Anders als das psychisch provozierte Verstummen, ist im höfischen Roman der Sprachverlust wegen einer physischen Verletzung ausschließlich Männern vorbehalten. Dabei zeigt sich, in der Steigerung vom Schweigen aus physischer Schwäche zum ohnmächtigen Verstummen, der feine Unterschied, dass der kämpfende Held, ob es nun Erec, Gawein oder der von Rennewart zerschmetterte Purrel ist, ohnmächtig wird,84 der von den Riesen gequälte und malträtierte Ritter Cadoc aber, als höfischer Märtyrer, das Bewusstsein behält und lediglich die Sprechkraft verliert (Er.5419 f.).
2.6 Affektbedingtes Verstummen Die enge Verbindung von ›ratio‹ und Sprache wird auch da gelöst, wo ein Affekt stärker ist als der Verstand. Wer von einem Affekt überwältigt wird, verstummt, wobei sich die Gewalt des Affektes in verschiedenen Formen des Sprachversagens darstellen kann, von Ohnmacht über Verstummen bis zu unartikulierter Äußerung wie Seufzer oder wortlosem Weinen. Als Ausdruck einer unkontrollierbaren und unkontrollierten Gewalt wird dieses Verstummen von der öffentlichen, höfischen Gesellschaft als Gefährdung ihrer selbst erfahren, als Regellosigkeit, die sich 83 Zum medizingeschichtlichen Hintergrund des Heilungsschlafs siehe Kuhlen, Zur Geschichte der Schmerz-, Schlaf- und Betäubungsmittel in Mittelalter und früher Neuzeit (1983). 84 Er.6587–602 / Parz.573,1–28 / Wlh.430,6–10.
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der Sprache und ihrer Ordnung entzieht. Entsprechend zielen viele der höfischen Verhaltensregeln darauf, vorbeugend solche Ausbrüche zu vermeiden, die Affekte im Rahmen der Sprache zu halten und sie zur – oft sprachlich definierten und begleiteten – Geste zu disziplinieren, oder sie dann aus dem öffentlichen Raum fernzuhalten.85
Ohnmacht: Spiegel des Todes Im Ohnmächtigen, tôtvar,86 spiegelt sich der endgültige Sprachverlust im Tod, ohne aber schon in den Deutungshorizont gehoben werden zu können, in dem jener zu Schweigen wird. Ist das Verstummen im Tod, auf dem Hintergrund eines ewigen Wortes, ein »Schweigen für die Welt«, sind, im Rahmen der durch Sprache definierten Zeitlichkeit, der vorübergehende Kraft- und Sprachverlust des Ohnmächtigen lediglich Zeichen menschlicher Schwäche und Hinfälligkeit. Als begrenzte Leerstelle im gesellschaftlichen Kontext wird der Ohnmächtige zum Zeichen und als solches auch sofort in den Text integriert: Im Gegensatz zum Toten ist der Ohnmächtige durchaus Thema. Auffallend ist, dass so wie die Ohnmacht wegen einer physischen Verletzung Männern vorbehalten ist, die Ohnmacht aus Empathie nur Frauen betrifft. Nur da, wo die Ohnmacht als letzte Steigerung einer Trauer auftritt, ergreift sie auch in Ausnahmefällen Männer. Angst und Sorge Aus Angst um Erec fällt Enite in Ohnmacht als sie hört, was es mit dem Kampf in Brandigan auf sich hat (Er.8817–35). Dabei braucht sie eine gewisse Zeit, um die Gefahr zu realisieren, die große Besorgnis zu hören, dann schwach und bleich zu werden, bevor sie vor leide in unmaht fällt. So wie auch Blanscheflur, überfordert durch die Situation, in der sich höchste Liebe und höchste Trauer begegnen, von liebe und ouch von leide das Bewusstsein nur langsam veliert, als sie neben dem todwunden Riwalin liegt (Tr.1285–1305). Schreck Anders als Enite und Blanscheflur, die aus Angst und Sorge um den Geliebten langsam die Sinne verlieren, fällt Herzeloyde in plötzlichem 85 Damit kann von einer Rhetorisierung eines nichtsprachlichen Phänomens gesprochen werden, das so in den Sprachzusammenhang hineingezogen wird. 86 Er.8825 / Iw.3942.
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Schreck ohnmächtig um. Sei dies, als sie von Gahmurets Tod erfährt (Parz.105,1–7), oder sei dies der im wahrsten Sinn auf den Punkt gebrachte Schreckmoment, als der kleine Parzival ihr von seiner Begegnung mit den Rittern berichtet und sie, in der Mitte eines Verses, besinnungslos hinfällt: er huop sich gein der muoter widr, und sagt ir mær. dô viel si nidr: sîner worte si sô sêre erschrac, daz si unversunnen vor im lac. (Parz.125,29–126,2) (er ging zur Mutter zurück und erzählte ihr. Da fiel sie hin: sie erschrak so über seine Worte, dass sie besinnungslos vor ihm lag.)
Diese Plötzlichkeit zeichnet auch Gyburcs Ohnmacht, als sie vom rettenden Kommen der Franzosen hört und von übermäßiger Freude überwältigt wird: Gîburge, diu durh vreud erschrac, / daz si unversunnen vor in lac (Gyburc, die vor Freude so erschrak, dass sie besinnungslos vor ihnen lag, Wlh.228,26–229,16).87 Trauer Iwein, der an den Ort seiner durch eigene Schuld verlorenen großen Vergangenheit kommt, findet da, an diesem Topos seiner eigenen Geschichte, seine Erinnerung wieder. Dadurch stürzt er in eine Trauer, die ihn von neuem an den Rand des Wahnsinns bringt und von jâmer eine kurze Besinnungslosigkeit auslöst (Iw.3930–43).88 Es ist eine Art abgeschwächten, zeitlich sehr viel begrenzteren Wahnsinns. Sonst ist die Ohnmacht, die sich, als letzte Steigerung einer Trauer, an Klage und Verstummen reiht, in gewisser Weise schon Geste. Eine ins Trauerritual integrierte und damit rituell gesuchte und gewollte Besinnungslosigkeit, ist sie von der höfischen Ritualisierung vereinnahmte Grenze zwischen höfischer Affektbewältigung und Überwältigung durch einen Affekt. So die durch verstummendes Klagen (Tr.1383–1415) vorbereitete Ohnmacht Blanscheflurs, als sich Riwalin von ihr verabschieden will (Tr.1424), so Laudines Bewusstlosigkeit (Iw.1324–26), Klimax einer klassischen Totenklage, so aber auch Wille-
87 Zu dieser Ohnmacht Gyburcs, die das Eintreten Willehalms in die Burg Orange verzögert, siehe Schnyder, manlîch sprach daz wîp (1999). 88 Es wird hier nicht explizit auf eine Ohnmacht hingewiesen, aber gerade im Vergleich mit anderen Ohnmachtsdarstellungen scheinen mir die Verse 3937–43 darauf zu deuten. Doch versteht man die Stelle so, handelt es sich bei dieser affektiven Ohnmacht eines Mannes um eine Ausnahme.
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halms Ohnmacht aus Trauer über den Tod von Vivianz, Folge und letzte Steigerung seiner klagenden Todessehnsucht (Wlh.60,21–61,19).
Verstummen: Verwirrung und Erstarrung der Gefühle Das nicht willentliche Verstummen, das Hineinfallen in eine Sprachlosigkeit, in der die ordnenden Worte nicht mehr zur Verfügung stehen, ist einerseits Ausdruck einer Verwirrung sich widersprechender Affekte, anderseits Zeichen einer affektbedingten Erstarrung und Lähmung jeglicher Willenskraft, die im Extrem zum Tod führen kann. Zweifel Der Zweifel, als Unsicherheit, als Verwirrung der ›ratio‹, lässt den Zweifler verstummen.89 Es ist die Unsicherheit über die Gefühle des andern, die Tristan und Isolde am Anfang sich gegenseitig ihre Liebe verschweigen lassen: si zwêvelt an im, er an ir (Tr.11739). So wie sich schon Riwalin im Zweifel darüber, ob Blanscheflur ihn hasst oder liebt, in den stricken sîner trahte verfängt (in den Stricken seiner Überlegungen Tr.837).90 Auch Iwein verliert vor Laudine, in verfremdendem Zweifel gefangen, die Sprache. Führt ihn Lunete das erste Mal vor ihre Herrin, kann er deren regungsloses Schweigen nicht deuten, sondern steht sprachlos da und weiß nicht, wie sich verhalten (Iw.2252). Es braucht Lunetes Vermittlung, um ihn aus seiner Stummheit zu holen. Und genauso findet er bei der von Lunete inszenierten Versöhnungsbegegnung mit Laudine zuerst keine Worte und wird, in der Unsicherheit des Zweifelns, zur sprachlosen Marionette in Lunetes Händen. Denn während er auf Laudines Gruß mit einem stummen Kniefall antwortet, und en-
89 Ich reihe das Verstummen durch Zweifel unter das affektbedingte Verstummen ein, da die im Zweifeln konstatierte Verwirrung der ›ratio‹ mit affektbedingter Verwirrung vergleichbar ist. Beda schreibt in seinem Jacobus-Kommentar: »Qui enim haesitat, similis est fluctui maris qui a vento movetur et circumfertur. Qui mordente se conscientia peccati haesitat de perceptione praemiorum coelestium, facile ad impulsum tentationum statum fidei deserit, qua in tranquillitate Deo servire videbatur, et ad libitum hostis invisibilis, quasi ad flatum venti, per diversos vitiorum raptatur errores.« Super Divi Jacobi Epistolam, cap. I. PL 93, Sp. 12A-B. 90 Castellet sieht in diesen sprachlosen Begegnungen der Liebenden eine Wendung Gottfrieds gegen die in Artifizialität erstarrte Liebessprache. Castellet, L’espressività del silenzio nel ›Tristan‹ di Gottfried von Strassburg (1990), S. 95 f. und 99.
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hete doch deheine bete (auch wenn er doch keine Bitte hatte, Iw.8043), spricht Lunete für ihn, dem in seinem Inkognito das eigene Wort abhanden gekommen ist. Sie spricht für ihn, den sie in volle Rüstung gesteckt hat (Iw.8038), um damit auch Laudine zu täuschen, die ihn in dieser Sprach- und Gesichtslosigkeit als Fremden wahrnimmt. Maskiert in der Rüstung, von Laudine als Fremder empfangen, als solcher in Lunetes Rede als dritte, fremde Person behandelt, hört und sieht Iwein als Außenstehender, wie sich seine Sache zum Guten wendet (Iw.8009). Erst da, als außer Zweifel steht, dass die von Lunete vorgebrachte Rede eine Versöhnung herbeiführt, findet Iwein die Sprache wieder und bittet um Vergebung (Iw.8037–8101).91 Auch die beiden Isolden verstummen verzweifelt, als sie, durch Eid gebunden, Tristan gegenübertreten, den sie als Mörder Morolts erkannten; im verwirrten Netz gegensätzlicher Affekte finden sie keine Worte. Und auch hier braucht es die Vermittlung der Dienerin, um die erstarrte Sprache zu lösen (Tr.10477–10483). Prototyp für denjenigen, dessen Sprache im Zweifel erstickt, ist aber Marke. Jedes Mal, wenn er die Liebenden entdeckt, verstummt er und flüchtet sich vor der Erkenntnis regelrecht in den Zweifel, aus dessen Sprachlosigkeit er erst mit Hilfe seines Rates wieder hinausfindet. Es ist ein Moment plötzlicher Erkenntnis, das Aufblitzen einer Wahrheit, die nicht wahrgehabt werden will, was sein Verstummen auslöst (Tr.15228 und 18235), und es ist der gesuchte Zweifel, der das Schweigen fortsetzt. Angst Ähnlich wie der Zweifel lähmt die Angst die Zunge. Aus Furcht (von vorhten) zögert die angeklagte Lunete mit gesenktem Blick, bevor sie Iwein die Truchsessen zeigt, gegen die er sie zu verteidigen hat (Iw.5229). Angst und Verzagtheit sind es, die Wimar vor Willehalm verstummen lassen, als der ihm die Ermordung des Königs ankündigte: der wirt begunde alsô verzagen, / daz er nider bî im seic / und der geinrede gar gesweic (den Gastgeber ängstigte es dermaßen, dass er vor ihm zu Boden sank und nichts mehr erwiderte, Wlh.138,12–14). Und dem
91 Diese beiden Schweigen Iweins werden gern mit dem Minneschweigen in Verbindung gebracht. Die Komplexität der Szenen, geprägt von Iweins Zweifel an der Möglichkeit einer Vergebung und gezeichnet von einer Machtkonstellation zwischen Landesherrin/Ritter und Frau/Mann, in der sich verschiedene Verhaltensregeln durchkreuzen, darf aber nicht auf den eher leeren Topos des Minneschweigens reduziert werden. Dasselben gilt für die ähnlich komplexe Begegnung von Parzival und Condwiramurs.
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von Obie spöttisch nach Gawein ausgeschickten Knappen versagt die Sprache unter Gaweins zornigem Blick: der garzûn sô verzagte / daz ern vrâgte noch ensagte / al daz [in] sîn frouwe werben hiez (der Knappe verzagte dermassen, dass er weder fragte noch etwas sagte von all dem, was ihm seine Frau aufgetragen hatte, Parz.360,21ff.). Erkennender Schreck Als Rual vor Marke Tristans wahre Abkunft offenbart, ist Tristan von dieser plötzlichen Erkenntnis dermaßen überwältigt, dass er unfähig ist, irgendeine Empfindung zu äußern. Während Marke bei Rual nachfragt, reduziert sich seine Reaktion auf den Blick: Tristan erschrac und sach in an (Tristan erschrak und sah ihn an, Tr.4144). Und als der ganze Hof nach der genaueren Erzählung dann in Tränen ausbricht, bleibt Tristan stumm: derne mohte es niht beklagen, / swes er dâ gehôrte sagen: / in kom diu rede ze gâhes an (dieser konnte nicht beklagen, was er da sagen hörte: die Sache traf ihn zu plötzlich, Tr.4265–7). Auch als Brangäne entdeckt, dass Tristan und Isolde ihren Durst mit dem Liebestrank gelöscht haben (Tr.11690–99), verschlägt es ihr vor Schreck die Sprache. Genauso erstarrt sie, als sie realisiert, dass die Entdeckung der Liebenden nicht mehr abzuwenden ist: diu arme erschrac unde gesweic, / ir houbet ûf ir ahsel seic, / hend’ und herze enphielen ir (die Arme erschrak und verstummte, ihr Kopf sank auf ihre Schulter, Hände und Herz fielen ihr herab, Tr.18191–93). Der Schreck über eine Todesnachricht aber kann so groß sein, dass keine verbale Klage möglich ist und die ritualisierte Steigerung von Klage über Verstummen zu Ohnmacht in plötzliches Verstummen gebrochen wird. Dadurch fällt die Trauernde aus dem Kreis des gesellschaftlich gefassten Lebens. Blanscheflur, die von Riwalins Tod erfährt, ist mit versteinertem Herz keiner Regung mehr fähig (Tr.1728). Sie weint nicht, klagt nicht, sondern erstummete an der stunde (Tr.1735), das heißt plötzlich und sofort – und findet nicht mehr zurück in die Sprache, bevor sie stirbt.92 In diese durch eine schreckliche Erkenntnis ausgelöste Sprachlosigkeit gehört schließlich auch das Verstummen Iweins, als er sein Fristversäumnis realisiert. Dieses Verstummen, das sich dann durch Lunetes Schmähung zum Wahnsinn steigert (Iw.3082–95).93 92 Küsters weist auch auf diese Brechung des höfischen und sozialen Kodexes durch dieses klaglose Verstummen hin. Küsters, Klagefiguren (1991), S. 66–71. 93 Dieses Verstummen wird gern in Zusammenhang gebracht mit dem Minneschweigen, wie es aus dem Minnesang bekannt ist. So komplex, wie das durch
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Ästhetische Verzückung In der Darstellung dem schrecklichen Entsetzen ähnlich ist die Wirkung ästhetischer Verzückung, die den von ihr Getroffenen verstummen und erstarren lässt. Terminus technicus für diese Art der Überwältigung ist das törichte Gaffen. Als Enite am Artushof eingeführt wird, heißt es: von ir schœne erschrâken die / zer tavelrunde sâzen / sô daz si ir selber vergâzen / und kapheten die maget an (über ihre Schönheit erschraken diejenigen, die an der Tafelrunde saßen dermaßen, dass sie sich vergaßen und die Jungfrau angafften, Er.1736–40). Ähnlich sieht Herzeloyde den kleinen Parzival ûf die boume nâch der vogele schal kapfen (auf die Bäume nach dem Vogelsang gaffen, Parz.118,24 f.) und erkennt so, was ihn weinen machte, ohne dass er dafür Worte gehabt hätte. Und Tristan spielt dermaßen schön auf der Harfe, dass mancher Zuhörer seinen eigenen Namen vergaß (Tr.3590) und manch Auge dar kaphete (hingaffte, Tr.3605). Minneschweigen Minneschweigen, wie es als Topos im Minnesang geläufig ist, kommt im höfischen Roman nicht vor.94 Am ehesten noch ist Riwalins Schweigesehnsucht damit zu vergleichen, als er sich nach Blanscheflur sehnt: swîgen unde wesen unfrô / daz was sîn beste leben dô (schweigen und traurig sein war da sein bestes Leben, Tr.951 f.).95 Aber der Topos ist hier dermaßen eingebettet in ein ausführliches, feinziseliertes psychologisches Diagramm der Befindlichkeit eines Verliebten, dass nicht mehr eigent-
die Erinnerung und die Einsicht in das eigene Vergehen ausgelöste Verstummen aber hier dargestellt ist, lässt es sich nur schwer auf dieses doch sehr topische Sprachversagen aus Minne beschränken. Das Minneschweigen, wie es Wallmann untersucht hat, kommt in der höfischen Erzählung nicht vor. Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985). 94 In einem Erzählereinschub kann spielerisch darauf hingewiesen werden, ohne aber, dass sich die Szene dadurch erklärt. So sagt Wolfram über Parzivals Schweigen vor Condwiramurs: maneger kan noch rede sparn, / der mêr gein frouwen ist gevarn (Parz.188,23 f.). Zwar ist es die Schönheit Condwiramurs, die ihrem Gast grôze nôt bereitet, aber es ist die zuht von Gurnemanz, die ihn Schweigen lässt. Es ist gerade nicht der Affekt, sondern dessen Bewältigung, was macht, dass er schweigt. Anders Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985), S. 6.; Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 91. 95 Ähnlich dann auch Tr.19275–78.
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lich von einem Topos gesprochen werden kann.96 Dasselbe gilt für die Minnezeichen siuften, trûren unde klagen (Tr.12089), die Brangäne die Liebe zwischen Tristan und Isolde verraten. Die Bluttropfenszene im »Parzival« aber kann nicht auf ein Minneschweigen reduziert werden. Zwar scheint sehr deutlich die Minne als Grund gegeben zu sein, wenn es explizit heißt, dass es die Kraft der Minne ist, die den Waliser zu schweigen zwang (Parz.294,9 f.) und es die Erinnerung an eigene Minneerfahrung ist, die Gawein verstehen lässt, was mit diesem stummen Ritter los ist (Parz.301,7–30); aber die hier vorgeführte und inszenierte Minneentrückung ist auch Spiegel der den ganzen Parzival durchziehenden doppelten Lesart. So wie sich die Szene genau auf der Grenze zwischen Artus- und Gralswelt abspielt, changiert sie zwischen den zwei Aspekten. Je nach Perspektive ist Parzivals entrücktes Schweigen vor den drei Bluttropfen auf eine mystische Schau hin durchsichtig oder, wenn Gawein Parzivals Zustand in Analogie zu eigener Minneerfahrung deutet, im arturisch höfischen Verständnis als Minneschweigen lesbar. Doch ist die Minnesehnsucht immer auch Gralssuche, so wie diese ohne jene nicht denkbar ist.97 Trauer Am häufigsten wird affektives Verstummen durch übermäßige Trauer ausgelöst. So verstummen die Eltern des Mädchens im »Armen Heinrich«, als sie erkennen, dass ihr Reden nichts vermag gegen die Opferbereitschaft ihres Kindes und bringen kein Wort mehr heraus: zuo der selben stunde / ir dewederz enkunde / ein einic wort gesprechen (A.H.878–83). Jedoch ist, wie bei der durch Trauer ausgelösten Ohnmacht, auch dieses Verstummen nicht immer zu scheiden von einer ritualisierten Trauergeste. Laudines stumme Klagegestik bei Askalons Tod, nachdem sie wieder aus der Ohnmacht aufgewacht ist, ist nicht zuletzt Teil der Inszenierung ihres Leids (Iw.1327–30). Ähnlich funktionalisiert ist auch das introvertierte Schweigen Enites, als sie um Erec trauert (Er.6375 f.). Und wenn Blanscheflur von Riwalins bevorstehender Abreise erfährt, verstummt sie vor Schreck, fängt sich dann aber in einem halbwegs gefassten Trauern (klagemære) auf (Tr.1383–1415).98
96 Ich gehe davon aus, dass ein Topos eine gewisse Signalfunktion im Text haben muss, um als solcher wahrgenommen zu werden. Und diese ist hier, in dieser ausführlichen Analyse, sehr zurückgenommen. 97 Vgl. dazu auch Schnyder, Frau, Rubin und ›âventiure‹ (1998). 98 Vgl. auch das explizit zum Selbstgespräch stilisierte Klagen Isoldes bei Tristans Abreise (Tr.18474–95).
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Die Ambivalenz des Schweigens wird deutlich da, wo sich Trauer und Freude spiegelnd darin ausdrücken. Nach Erecs Sieg über Mabonagrin heißt es von den zwei Frauen: in sweic der munt, ir herze sanc. / diu eine vreuden krône truoc, / diu ander hâte leides genuoc / geladen mit herzensêre (Es schwieg ihnen der Mund, ihr Herz sang. Die eine trug die Freudenkrone, die andere hatte viel Leid mit Herzenskummer beladen, Er.9689–92). Es ist das Herz, das sich unterschiedlich ausdrückt, das unterschiedlich gestimmt ist, der Mund schweigt gleich, ob aus Freude oder aus Kummer.
Unartikulierte Äußerung: bekleidetes Schweigen Gemeint sind jene in der Regel akustisch wahrzunehmenden Äußerungen, die nicht zur Sprache gehören und nicht von Sprache begleitet werden. Das heißt, es interessiert hier das schweigende Weinen, nicht das weinende Sprechen, das Lachen, das anstelle eines Wortes tritt und nicht das lachend gesprochene Wort. Priscian behauptet in bezug auf diese Art von ›voces‹, indem er das Beispiel des Seufzens und menschlichen Pfeifens zitiert, dass sie »zwar nicht geschrieben werden können, aber trotzdem verstanden«.99 Es wird sich zeigen, dass dem nicht immer so ist, sondern sich in diesen nicht sprachlich begleiteten Lauten, diesem »bekleideten Schweigen«, die Ambivalenz des Schweigens nicht löst. Weinen 100 – Trauer: Stumm geweint wird in der Regel aus Trauer. Auffallend ist aber, dass es vor allem Männer sind, die sprachlos trauern. So kann ein ganzes Heer, aus Trauer über den Tod seines Herrn, sich mit fliezenden ougen aus der Öffentlichkeit zurückziehen (Parz.25,23–30), kann der Held aber auch einsam mit Weinen den Tod von Verwandten 99 »quaedam [voces], quae non possunt scribi, intelleguntur tamen, ut sibili hominum et gemitus: hae enim voces, quamvis sensum aliquem significent proferentis eas, scribi tamen non possunt.« Priscianus, Institutionum grammaticarum libri XVIII (1961), S. 5. 100 Eigentlich müsste das Weinen hier ausgeklammert werden, denn es wird im höfischen Roman nie akustisch, sondern immer nur optisch oder taktil wahrnehmbar beschrieben. Es sind die Tränen, die über die Wangen laufen, die Augen, die das Wasser nicht mehr halten, die nässenden Tränen (A.H.481), die anzeigen, dass jemand weint. Wenn ich es trotzdem in diese Liste aufnehme, geschieht das, indem ich im Begriff des Weinens eine akustische Dimension mitdenke.
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oder Vertrauten beklagen, wie Gahmuret (Parz.93,5–10) oder Willehalm (Wlh.53,1–10), wenn er nicht vor aller Augen weinend verstummt, wie Bertram nach seiner Klage über den Verlust bei Alischanz (Wlh.171,18 f.). Und wenn der Vater von Gregorius die Schwangerschaft seiner Schwester und Geliebten erfährt, klagt er nicht laut, sondern beginnt schmerzlich zu weinen (Greg.457). – Angst, Sorge und Scham: Weinen die Männer still aus Trauer, ist das stumme Weinen der Frau Ausdruck ihrer Demut und Sorge um den Mann wie bei Jeschute (Parz.137,20–26), Zeichen ihrer Scham wie bei den gefangenen Frauen auf Brandigan (Er.8312–23) oder Beweis von kummervollem Mitleid und Treue wie bei Brangäne (Tr.14500). – Freude: So wie jemand aus Trauer oder Freude verstummen kann, kann auch das Weinen nicht nur Trauer, sondern auch Freude zur Ursache haben. Dass darin eine für Außenstehende nicht verständliche Ambivalenz des stummen Weinens steckt, zeigt das Missverständnis Arnives, die meint, Gawein weine aus Kummer, während ihn nur die Freude über das Kommen von Artus übermannt (Parz.661,21–662,9). Auch der alte Heimrich freut sich so über die Ankunft seines Sohnes Schetis, dass ihm die Augen übergehen (Wlh.242,12f.), und Feirefiz lachte und weinte heimlich (tougen), als er Parzival fand (Parz.752,23).101 Bei Männern fließen stille Freudentränen über die Begegnung mit Freunden oder Verwandten, bei Frauen ist es die Liebesversöhnung, die sie aus Freude stumm weinen lässt. Jeschute liegt nach der Versöhnung mit Orilus weinend bei ihrem Geliebten (Parz.272,8), und die störrische Obie, nachdem sie endlich Meljanz zugesprochen wurde, findet kein Wort zu sagen, sondern küsst weinend seine Wunden (Parz.396,27–30). – Unsagbare Empfindung, sprachloses Leid: Am deutlichsten wird das Weinen als Ausdruck einer unsagbaren Empfindung beim kleinen Parzival, der über dem Vogelgesang zu weinen beginnt, ohne sagen zu können, warum (Parz.118,7–10 und 118,16–22). Zum Zeichen einer unheilvollen Sprachlosigkeit wird dann das Weinen und Schreien der Gralsgesellschaft, als Parzival die blutende Lanze vorgeführt wird (Parz.231,23–26). 101 Vgl. auch die Eltern des Mädchens im »Armen Heinrich«, die über die Rückkehr der Tochter enwesten wie gebâren und in daz lachen begôz / der regen von den ougen (A.H.1410–15).
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Sprachverlust
Lachen 102 – Amüsement und Vergnügen: Als direkter und spontaner Ausdruck eines Vergnügens wird über Erzählungen oder Vorstellungen von anderen gelacht. So lacht Gawein über Klinschors Kastrierung, die ihm Arnive erzählt (Parz.657,10 f.), und Parzifal und Anfortas amüsieren sich über Feirefiz’ Vorstellungen von der Taufe (Parz.815,1 f.). – Heilsgewissheit: Wenn Cunneware in dem Moment lacht, als sie Parzival sieht, wird ihr Lachen zum Zeichen und Inbegriff der nicht sprachlich zu fassenden Heilsgewissheit (Parz.151,19) und durch seine scheinbare Sinnlosigkeit innerhalb des höfischen Regelsystems, unvorbereitet und plötzlich, auch Ausdruck des in diese Ordnung einbrechenden Anderen.103 – Souveränität und Demut: Wird in Cunnewares Lachen die Ordnung des Artushofes in Frage gestellt, kann das Lachen, als Zeichen der Souveränität, aber auch gerade diese Ordnung bestätigen. So reagiert das Königspaar auf den in jeder Art unhöfischen Auftritt Segramors in ihrem Zelt, als er nicht nur überstürzt zu dem schlafenden Paar eindringt, sondern auch noch ihre Decke wegzieht, durch Lachen und fängt dadurch den Regelverstoß im ambivalenten Raum des sprachlosen Lachens auf (Parz.285,20). Genauso versucht Iwein, den Spott Keies von sich fernzuhalten, indem er ihm durch Lachen seine Schärfe nimmt. Ein Lachen aber, das er noch mit Worten begleitet: her Îwein lachet unde sprach (Iw.855). Die Distanzierung gelingt ihm dadurch nicht wirklich, so dass ihn Keies Spott im Kampf gegen Askalon doch einholen kann (Iw.1062–66). Im Gegensatz dazu lacht er später dann wortlos über die Unhöflichkeit des Pförtners in der Burg zum Schlimmen Abenteuer und distan-
102 lachen meint im höfischen Roman nicht nur das laute Lachen, sondern genauso den fröhlichen Ausdruck, das Lächeln, wie das vergnügte Auflachen und das böse Grinsen. Lexikalisch lässt es sich nicht unterscheiden, so dass durch den Kontext die Art des Lachens bestimmt werden muss. Ich differenziere also nicht lexikalisch, weshalb das demütige Lachen neben dem vergnügten Lachen steht – in vollem Bewusstsein der Differenz, die sich aber nicht anders fassen lässt, als durch die kontextuelle Bestimmung, wie sie in der oben versuchten Gliederung sich ausdrückt. Zur Problematik des Lachens siehe Fietz, et al., Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens (1996). Zum Lachen im französischen höfischen Roman siehe Ménard, Le rire et le sourire (1969). Zum Lachen Merlins in Bezug zum Schweigen siehe James-Raoul, La parole empêchée (1997), S. 192–198. 103 Vgl. dazu auch oben, Anm. 74.
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ziert sich so erfolgreich: und gie lachende dan, / als der sich mittem bœsen man / mit worten niht beheften wil: / er hete sîn rede vür ein spil (und er ging lachend weg, wie einer, der sich mit einem schlechten Menschen nicht auf Worte einlassen will: er nahm seine Rede für ein Spiel, Iw.6279–82). Kehrseite dieser sich im Lachen ausdrückenden Souveränität ist die durch Lachen bezeugte Demut, die alle Ungerechtigkeit und böse Rede wortlos und fröhlich annimmt, wie Gregorius die Schmähungen des Fischers (Greg.2821, 2945 f.). Schreien Der einzige von Sprache losgelöste Schrei in den hier untersuchten Romanen ist das Schmerzensgeschrei von Anfortas (Parz.789,10–15), einzig möglicher Ausdruck des zum Schweigen verdammten Leidens der Gralsgesellschaft. Seufzen – Verwirrung: Der Seufzer kann direktester Ausdruck einer inneren Bewegung sein, die nicht in die Sprache umgesetzt werden kann, die noch keine Wörter gefunden hat, um sich auszudrücken, oder für die es keine Wörter gibt, sie zu fassen. Dabei ist die Ursache des Seufzens oft nicht einer einzigen Gemütsbewegung zuzuordnen, sondern der Seufzer ist gerade Ausdruck einer Verwirrung von Affekten und Empfindungen. So ist Willehalms Sorge und Angst um Gyburc in dem brennenden Orange nicht zuletzt auch Ausdruck seiner Liebe. Heißt es aber, als er sich diesem Feuer nähert, das ihm herzenleit bereitet, dass ihm das Seufzen seine ganze Heiligkeit hätte erwerben können (Wlh.226,4f.), wird das Seufzen zum Ausdruck des inneren, sowohl durch Liebe wie Sorge geschürten Feuers und Willehalm zum Minnemärtyrer. Die Doppeltheit des Seufzers ist es, die auch Belakane gegenüber Gahmuret schließlich verstummen und nur noch seufzen lässt, zwischen Trauer um Isenhart und aufkeimender Liebe für Gahmuret (Parz.28,27–29,8). Und auch wenn Tristan vor Isot verstummt und, in Erinnerung an Isolde, nur noch seufzt, wird der Seufzer zum zweideutigen und darin verheimlichenden Ausdruck: er wird verstanden und missverstanden in einem (Tr.19275–83). – Unterdrückte Empfindung: Zum Ausdruck unterdrückter Empfindung wird der Seufzer da, wo sich der Affekt in der Realität nicht verwirklichen lässt, wie wenn Isolde sich im Baumgarten von Tristan distanzieren und schließlich verabschieden muss, weil Marke zuschaut 130
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(Tr.14911–16), oder wenn Tristan bei Gilan sitzt und plötzlich ûzer ahte (unwillentlich Tr.15798) aufseufzt und damit seine verheimlichte Sehnsucht und Trauer offenbart. Und wenn Enite neben dem halbwachen Erec ihren verhängnisvollen Seufzer tut, wird die unartikulierte Äußerung zum Ausdruck der verschwiegenen Angst und Sorge, zum Zeichen für eine heimliche Rede, die nicht artikuliert werden kann (Er.3027). So ist der Seufzer denn auch Ausdruck einer heimlichen Sünde, die sich nicht aussprechen lässt, wie bei der Mutter von Gregorius, als sie merkt, dass sie schwanger ist (Greg.430f.). Bei Gurnemanz aber, der über den Tod von Ither ersiufte (Parz.170,4), wird der Seufzer zur nicht formulierten Trauergeste.
2.7 Zusammenfassung Mehr als die Absenz von Sprechfähigkeit interessierte in den hier untersuchten höfischen Romanen der Sprachverlust als Abbruch und Einbruch eines geordneten, zusammenhängenden und sinnstiftenden Ganzen. Dabei lassen sich die verschiedenen Formen des Sprachverlusts, die physischen und psychischen Zuständen zugeschrieben wurden, in eine zwischen dem endgültigen Verstummen im Tod und dem wortlosen Seufzer graduell gliedernde Ordnung bringen. Die interpretierende Zeichnung dieser Formen des Sprachverlusts im höfischen Roman steht nicht nur im Kontext eines Sprach- und damit auch Schweigeverständnisses, wie es im ersten Teil skizziert wurde, sondern auch in der Tradition derselben christlich geprägten Deutungsmuster, wie sie dort die Differenz zwischen Reden und Schweigen, dann auch den Moment des Endes einer Rede oder den Abbruch einer Rede erklärten. Spiegelte sich in der theologischen Vorstellung der Sprache als Zeichen der Zeitlichkeit im Anfang der Rede der Eintritt in die Welt, im Ende der Rede aber der Tod, als zeichenhaftes Abbild des letztlichen Abbruchs jeglichen Redens in der Zeit, ist auch in den Erzähltexten der Tod als Abbruch der Rede und als Sprachverlust dargestellt. Dabei wurde, in christlich-theologischem Weltverständnis, dieser Sprachverlust zu Schweigen umgedeutet, um dadurch die Endlichkeit in die Ewigkeit einzubinden und den Verlust des in der Zeit Ordnenden und Geordneten in der Idee einer größeren, ewigen Ordnung zu negieren. Damit verschmolz in den weniger linear als assoziativ sich verschränkenden Deutungsmustern die lebendige Präsenz des menschlichen Körpers mit der Vorstellung der gesprochenen Sprache als eines sich in 131
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der Stimme realisierenden Körpers, dessen Gliederung durch die Artikulation geformt wird. Verschwindet die Stimme, verschwindet der Sprachkörper, so wie mit dem Tod der leibliche Körper sich auflöst. Wurde der Sprachverlust des Toten durch die Einbindung in den Ewigkeitsgedanken in einer höheren Ordnung als Schweigen gedeutet, wiederholte sich in bezug auf den Sprachverlust des Wahnsinnigen dieses Erklärungsmuster, doch diente hier nicht die göttliche, sondern die innerweltlich-gesellschaftliche Ordnung als Horizont. Der Wahnsinnige, dessen körperliche Präsenz in der Gesellschaft durch die Definition seiner Sprachlosigkeit als Schweigen legitimiert wurde, verlor diese Legitimation realer Präsenz in dem Augenblick, wo er aus dieser Gesellschaft herausfiel und sich fern vom Hof, nackt im Wald aufhielt. Da wurde ihm nicht einmal mehr eine Stimme zugeschrieben, geschweige denn eine Sprache im Sinne eines gegliederten Körpers. So versteckt sich hinter der Wahrnehmung des tödlichen und wahnsinnigen Verstummens die grammatische Vorstellung der Sprache als eines Körpers, der, eng gekoppelt an die hörbare Artikulation, eng gekoppelt aber auch an die hörende Welt, Präsenz schafft und ist. Im Versuch, auch die die Grenzen der Welt sprengenden Phänomene in ein Sinnkontinuum zu schreiben, wurde das Verstummen des Toten zum Schweigen für die Welt und so implizit zu einer potentiellen Rede vor der Ewigkeit. Genauso wurde das Verstummen des Wahnsinnigen in die durch Kommunikation bestimmte gesellschaftliche Sinnstruktur eingepasst, indem es als Schweigen gedeutet wurde. Die Vorstellung der körperliche Präsenz schaffenden Sprache scheint auch in der erzählerischen Realisierung des Verstummens in Schlaf und physisch bedingter Ohnmacht auf. Sowohl der Schläfer als auch der Ohnmächtige verlieren ihre artikulierte Stimme. Nicht, dass sie ihre physische Präsenz dadurch einbüssen würden, aber gerade durch die Reduktion auf das rein Körperliche verschwimmt ihre Gestalt und wird für die geordnete Umwelt verwirrend und unverständlich. Entsprechend wurde verlangt, dass sich der Schläfer aus der Öffentlichkeit zurückzog. Der Ohnmächtige jedoch, auch auf die konfuse Körperlichkeit zurückgeworfen, verliert für einen Moment seine sich in einem Kontext artikulierende Präsenz, schützt dadurch aber gerade seine Repräsentation. Indem die Ohnmacht ihn für eine Zeit der durch Sprache und Handlung geordneten Welt entzieht, kann sie ihn davor schützen, dass seine Ehre, die sich an die Präsenz des klar artikulierten, geformten und beherrschten Körpers bindet, getrübt würde. Entsprechend betrifft in den hier untersuchten höfischen Romanen dieser Sprachverlust als 132
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Präsenzverlust nur den Mann auf dem Kampffeld: es werden nur die besten Männer im Kampf mit ihresgleichen ohnmächtig. Außerhöfische kennen die Ohnmacht nicht. Ist die Ohnmacht des Ritters Schutz seiner Ehre und dadurch indirekt Zeichen derselben, fällt die Frau nicht wegen physischer Verletzungen, sondern wegen affektiver Empathie in Ohnmacht, aus Sorge und Angst um den Mann oder Sohn. Der Sprach- und Sinnenverlust ist Zeichen ihrer Schwäche, die sie für einen Moment aus dem repräsentativen Sinnzusammenhang herausnimmt, um sie da zu schützen, wo ihre Stelle in dem sinnstiftenden, höfisch-gesellschaftlichen Kontext in Frage gestellt ist. Wenn es nicht um Ohnmacht geht, sondern (nur) um affektives Verstummen, ist die geschlechtsspezifische Differenz weniger deutlich. Doch auch hier lassen sich Unterschiede in bezug auf die Qualität der zum Verstummen führenden Affekte aufzeigen. So ist es klar, dass keinem Ritter aus Angst die Zunge gelähmt sein kann, sondern dies nur Frauen, Knappen und Kaufleuten passiert. Dagegen verschlägt die plötzliche Erkenntnis einer die Existenz betreffenden Tatsache sowohl Tristan wie Blanscheflur die Sprache, sowohl Iwein wie Brangäne. Ist diese blitzhafte Erkenntnis, die eine ganze innere Ordnung durcheinander wirft, sprachzerstörend für beide Geschlechter, ist die ästhetische Verzückung, das Staunen mit offenem Mund, den Männern vorbehalten. Was die Empathie bei den Frauen, ist der ästhetische Genuss bei den Männern. In diesen Kontext kann – mit aller Vorsicht – auch das in den vorliegenden Romanen nur andeutungsweise dargestellte Minneschweigen eingebunden werden. Das Verstummen im Gedenken an die Geliebte, das Verstummen vor der Geliebten im Sinne eines Staunens oder einer Sehnsucht, findet sich nur bei Männern. Das Schweigen der Frauen in ähnlicher Situation ist immer explizit sprachgefüllt, ist die zweifelnde Wortlosigkeit der Unsicherheit oder der gefühlsmäßigen Verwirrung, ist immer in die letztlich kommunikative Spannung hineingedacht, die sich zwischen den Liebenden aufbaut. Während das zeichenhafte Minneschweigen, wie es als Topos im Lied eingesetzt ist, höchstens in größerem Kontext anzitiert wird, ist es diese Art des gespannten Verstummens aus Minne, die im höfischen Roman immer wieder, als Verstummen im inneren Monolog des Zweifelns, entwickelt wird. Die gefassteste, zivilisierteste Form des affektiven Verstummens ist der gestisch oder stimmlich eingekleidete, nicht ganz nackte Sprachverlust. Interessant ist, dass hier die Sprachlosigkeit gerade Ausdruck einer Bewältigung des Affektes ist, der sich in der unartikulierten Äußerung manifestiert. So weinen die Männer aus Trauer über den Tod 133
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eines Freundes stumm und zeigen durch die Unterdrückung jeglicher Klageworte gerade die Beherrschung des Gefühls. Dagegen gibt es keine stumm einen Toten beweinende Frau. Wie bei der Ohnmacht aber ist es den Frauen vorbehalten, in empathischer Regung, aus Sorge oder Angst, stumm zu weinen. Freudentränen hingegen fließen wortlos bei Mann und Frau. Nur da, wo der Kontext das Weinen nicht erklärbar macht, wächst dieser eingekleideten Sprachlosigkeit eine Dimension zu, die den Rahmen der gebändigten Affekte sprengt. So wie im Weinen zeigt sich auch im wortlosen Lachen gerade durch die Sprachlosigkeit eine Beherrschung des Affekts. Indem über eine etwas seltsame, nicht ganz regelkonforme Geschichte gelacht wird, indem die Unhöfischheit von andern durch Gelächter negiert und übergangen wird, zieht sich der wortlos Lachende in eine Distanz zu dem Gegenstand der Rede zurück, die ihn davor bewahrt, einer affektiven Regung Ausdruck zu geben. Die im Lachen aufgerichtete Distanz, wenn zum Beispiel einer Schmährede nur lachend entgegnet wird, gilt so letztlich der eigenen Wertschätzung und Ehre. Aber auch hier ist die Sprachlosigkeit nur soweit Zeichen höfischer zuht, als sie in deren Rahmen als Mittel der Affektbewältigung erklärt werden kann. Da, wo das sprachlose Lachen keinen sinnstiftenden Kontext mehr findet, wie in Cunnewares Lachen, wird es bedrohlich und sprengt den gegebenen gesellschaftlichen Rahmen. Anders als das sprachlose Weinen und Lachen, deren Ambivalenz durch den Kontext geklärt werden kann, ist der Seufzer für den andern in keiner Weise verständlich, da er selber Ausdruck von Verwirrung ist. In ihm ballen sich potenzielle Wörter zu einem Sprachcluster zusammen und versagen sich so jeder artikulierenden Sinnlinie, damit der Sprache. Wenn der Seufzer verständlich oder zumindest eindeutiges Zeichen werden soll, muss er mit Sprache gefüllt werden. Das kann durch den erzählerischen Kontext geschehen, indem dieser klärt, woraus sich der Seufzer zusammensetzt, das kann aber auch durch die Frage eines Protagonisten innerhalb der Erzählung passieren.
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Beredtes Schweigen
3. Beredtes Schweigen
›Beredtes Schweigen‹ meint hier das Schweigen, das in der einen oder andern Art durch ein Reden gefüllt ist und aus der Sicht der Öffentlichkeit als Verschweigen wahrgenommen und definiert werden kann. Es ist das sprachliche Denken, wie es unter anderem Anselm von Canterbury als eine Seite des ›inneren Wortes‹ definierte, wie es aber auch als Schweigen, das abgrenzt und ausschließt, die Gesellschaft zerschneidet. Der so Schweigende hat weder seine Sprache noch seine Sprechfähigkeit verloren, sondern setzt sie bewusst nicht oder nur beschränkt ein. In diesem Zusammenhang spreche ich denn auch von Schweigegesten. Als Teil der gesellschaftskonstituierenden Kommunikation ist es das weitaus häufigste Schweigen im höfischen Roman; es ist aber auch dieses Schweigen, das Anlass und Ziel der ganzen didaktischen und monastischen Schweigeliteratur ist. Wenn sich für Augustinus in seinen sprachtheoretischen Reflexionen das äußere Wort durch das innere erklärt und legitimiert, auf dieses hin seinen Sinn und Stellenwert erhält, ist in der didaktischen und monastischen Literatur das Wort vor allem in seiner sozialen und kommunikativen Funktion gesehen und interessiert, wenn überhaupt, der in ihm hergestellte Bezug zu Gott erst in zweiter Linie. Das Wort ist da Teil einer Welt- und Gesellschaftsordnung, die, auf eine religiöse Ethik gegründet, wohl auf Gott bezogen ist, sich aber vor allem in einem innerweltlichen Machtgefüge halten will und muss. So ist die Macht des Wortes, das als Teil der Ordnung diese auch gefährden kann, unabhängig von religiöser Ethik eine zu domestizierende Gefahr. Vorschriften sind in erster Linie dazu da, ein innerweltliches Problem zu lösen. Der richtige Gebrauch des Wortes wird zu einem Sich-Einfügen in eine gegebene Ordnung, wird Ausdruck der Zivilisation, aber auch der diese prägenden Machtkonstellation, die sich in der »richtigen« Sprache immer neu ihrer Ordnung versichert. So sind auch Sprachregelungen für das Kloster nicht in erster Linie Spiegel eines im Glauben individualisierten Umgangs mit dem Wort, dem gesprochenen, dem gedachten, dem betrachteten, sondern Hilfe für eine Gemeinschaft in der Welt, die sich, in einer vorbildhaften Ordnung, die Nachfolge Christi zum Ziel gemacht hat.104 104 Vgl. dazu Latteur, Das Schweigen Christi und das monastische Schweigen (1979). Kunz sagt: »Christus ist das verschwiegene Vor- und Urbild aller Schweigeregeln im Kloster.« Schweigen und Geist (1996), S. 646. Allgemein zu den
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Die Angst vor dem Wort als einer Störung der Ordnung, die in ihren klaren Strukturen außer dem belehrenden, aus Gott kommenden Wort eigentlich keine Rede braucht, ist in alle Klosterregeln eingeschrieben, findet sich aber auch in der weltlichen Didaxe, wo die Sprachgewalt zur Bedrohung einer gottgewollten Gesellschaftsordnung werden kann. Und so wird das Schweigen in der didaktischen Literatur grundsätzlich auf das Reden hin betrachtet. Es geht darum, das Wort so zu setzen, dass es nicht gefährdet. Dass dabei die Gefährdung der Gemeinschaft als Gefährdung des Seelenheils des Einzelnen erklärt wird, gehört zum christlichen Weltverständnis. Das Schweigen ist also in der monastischen Literatur kaum, in der didaktischen schon gar nicht ›contemplatio‹ im augustinischen Sinn, sondern vor allem Zensurort. Die Schweigeregeln der monastischen und didaktischen Literatur beziehen sich vor allem auf das sprachgebundene Schweigen und haben wenig zu tun mit dem ›inneren Wort‹.105 Und doch ist der Gedanke der ›contemplatio‹ in der auf ein vorbildliches christliches Leben bezogenen Kloster-Literatur, anders als in der weltlichen Didaxe, immer präsent. Denn im Gegensatz zu dem in die weltliche Gesellschaftsordnung eingebundenen Laien muss der Mönch, zwischen Gesellschaft (im Kloster) und Gott, nicht
klösterlichen Schweigeregeln ebd., v. a. S. 632–678; Falletti, Osservanze monastiche ieri e oggi: il silenzio (1984); Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 31–38. Zur weltlichen Schweigedidaxe siehe v. a. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 19–41; Roloff, Reden und Schweigen (1973), S. 54–72. Fuchs weist auf die Paradoxität der Weltflucht (Apotaxis) hin und schreibt: »Strukturen und Prozesse, die ausgerichtet sind auf Transzendieren der Immanenz, sind immanente Strukturen und Prozesse, im Falle von transzendenzbezogener Kommunikation verheerend diesseitige Sozialsysteme.« Die Weltflucht der Mönche (1992), S. 24. 105 Es ist auch für das Kloster zu differenzieren zwischen einem contemplativen Schweigen, als »Einkehr der Sinne«, und disziplinierendem Schweigen, als Ausdruck von Demut und Gehorsam. Die Reduktion des monastischen Schweigens auf »Kommunikationsflucht« als Welt- und Menschenflucht, wie sie Wandhoff in Anlehnung an Fuchs macht, wird der Komplexität monastischer Sprachreflexion nicht ganz gerecht. Wandhoff, Der epische Blick. Eine mediengeschichtliche Studie zur höfischen Literatur (1996), S. 34 f.; Fuchs, Die Weltflucht der Mönche. Anmerkungen zur Funktion des monastisch-aszetischen Schweigens (1992), S. 34. Fuchs weist aber auch auf die Notwendigkeit einer Unterscheidung von »monastisch-aszetischem Schweigen in der Reflexion der Orden selbst wie in der Reflexion der Kirche« und dem »mystischen Schweigen« hin. (Ebd., S. 35). Auf den kommunikativen Charakter monastischen Schweigens verweist auch Wathen, Silence. The Meaning of Silence in the Rule of St. Benedikt (1973), S. 224 ff.
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nur innerhalb des Sprachkosmos das richtige Schweigen zu unterscheiden wissen, sondern auch das innere vom äußerlichen Wort trennen können. Die Verwechslung, vor der Augustinus warnte, nämlich das äußerliche Schweigen als inneres Wort zu verstehen, droht dem Mönch ständig – und darin nicht nur die Hypokrisie, sondern auch die Geschwätzigkeit und Zerstreuung. Eine Gefährdung, der der weltliche Christ nicht in gleichem Masse ausgesetzt ist.106
3.1 Denken: verschwiegenes Reden gedanc sich sunnen blickes wert: gedanc ist âne slôz bespart, vor aller crêatiure bewart: gedanc ist vinster âne schîn. diu gotheit kan lûter sîn, si glestet durch der vinster want, und hât den heleden sprunc gerant, der endiuzet noch enklinget, sô er vom herzen springet. ez ist dechein gedanc sô snel, ê er vom herzen für dez vel küm, ern sî versuochet: des kiuschen got geruochet. sît got gedanke speht sô wol, ôwê der brœden werke dol! (Parz.466,16–30) (Der Gedanke widersteht dem Sonnenstrahl, der Gedanke ist ohne Schloss verwahrt, vor aller Kreatur geschützt: der Gedanke ist lichtlose Finsternis. Die Gottheit kann Helligkeit sein: sie strahlt durch die Wand der Finsternis und hat den sich verbergenden Quell zum Fließen gebracht, der weder rauscht noch tönt, wenn er vom Herz entspringt. Es ist kein Gedanke so schnell, dass er nicht, noch bevor er vom Herzen zur Haut kommt, geprüft ist: Gott nimmt sich des reinen an. Da Gott so gut Gedanken erkennt, o weh, wie ergeht es da den schlechten Werken!)107
106 So sagt z. B. Gregorius: »Nam saepe linguam quia immoderatius frenant, in corde gravius multiloquium tolerant.« Regulae pastoralis liber, III , cap. xiv, PL 77, Sp. 71D. Und Ambrosius spricht vom »silentium otiosum«: »Non perpetuum nec otiosum esse debere silentium«, De officiis ministrorum, I, cap. iii,9, PL 16, Sp. 26B. 107 Diese schwierig zu verstehende Stelle wird mir verständlicher, wenn ich anders als Nellmann, Knecht und Spiewok ›sprunc‹ nicht als Sprung eines Pferdes, son-
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Deutlich wird in dieser Belehrung Parzivals durch Trevrizent das Denken über die Metaphorik des Verschließens, der Dunkelheit, der Wand und der Geschütztheit als im Schweigen eingeschlossenes Sprechen gezeigt. Gleichzeitig wird aber auch die Heimlichkeit auf Gott und damit das göttliche Gesetz hin aufgebrochen: ist das Denken ein Schweigen für die Welt, ist es ein Reden für Gott.108 Der für die Welt finstere und stille Gedanke ist für Gott hell und erkennbar.109 Der im Schweigen verschlossene Gedanke öffnet sich vor Gott, der damit, als cordis speculâtor, Herzensergründer, vor dem kein Herztor verschlossen ist (A.H.1357 ff.), nicht nur die ausgeführten Handlungen und Worte, sondern auch die gedachten beurteilt.110 Entsprechend kann er eine Handlung verhindern, bevor sie vollzogen wird: Die Engel sind wegen ihrer Gedanken gefallen, got enlie si niht zen werken komen, / der gedanke weiz wol unvernomen (Gott liess sie nicht zur Tat kommen, der die Gedanken kennt, ohne sie zu hören, Wlh.308,11 f.). Und so wird immer wieder, gerade in monastischer und theologischer Literatur, darauf hingewiesen, dass die Zunge wohl gehütet werden soll, aber genauso dern als ›Quelle‹ im Sinne von ›Ursprung‹ übersetze, gerant dann aber von rennen mit transitiver Bedeutung im Sinne von ›antreiben‹, ›fliessen machen‹. Entsprechend beziehe ich die negierten Verben des Klingens und Tönens auf das Wasser und nicht auf ›Hufschlag‹ und ›Glöckchenklingen‹ eines Pferdes. Gott wird so zu demjenigen, der nicht nur den Gedanken noch im Verborgenen lesen kann, sondern diesen auch ermöglicht. 108 Zu Susannas Schweigen sagt Ambrosius: »Tacendo enim apud homines, locuta est Deo: nec ullum majus indicium suae castitatis invenit, quam silentium. Conscientia loquebatur, ubi vox non audiebatur: nec quaerebat pro se hominum judicium, quae habebat Domini testimonium.« De officiis ministrorum, I, cap. iii,9. PL 16, Sp. 26B/C. Vgl. auch Augustinus, der von seinen inneren, stummen Zweifeln sagt: »Et cum in silentio fortiter quaererem, magnae voces erant ad misericordiam tuam, tacitae contritiones animi mei. Tu sciebas, quid patiebar, et nullus hominum. Quantum enim erat, quod inde digerebatur per linguam meam in aures familiarissimorum meorum! Numquid totus tumultus animae meae, cui nec tempora nec os meum sufficiebat, sonabat eis?« Bekenntnisse. Confessiones (1987), VII ,7,11 (S. 324 f.). 109 So wird auch, in Anspielung auf Psalm 138,3: »intellexisti cogitationes meas de longe«, zur Ordnung gemahnt: »wand ez ist got wol chunt, / e wir geruoren den munt« (vom rehte 454 f.). 110 Vgl. dazu u. a. Hrabanus Maurus, De vitiis et virtutibus et peccatorum satisfactione. liber tertius, lib.III , cap. lxxvi, PL 112, Sp. 1392B/D: »Quod omnia cogitationum secreta divinis aspectibus sunt aperta.« Dass es kein Handeln ohne vorhergehendes Denken gibt, ist nicht nur für die Theoretiker klar, sondern zeigt sich auch da, wo ein Reden nur schwer vorgebracht werden kann, sei es, dass Trauer die Stimme bricht, sei es, dass Scham das Wort zurückhält. Vgl. z. B. Er.530 f.: daz er kûme vür brâhte / die rede der er gedâhte.
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Beredtes Schweigen
auch das Herz.111 Denn: »Dein Besitz ist dein Geist: dein Gold ist dein Herz, dein Silber ist deine Rede.«112 Ständig wird auf die Gefahr hingewiesen, in scheinbarer Sicherheit durch verschwiegene Gedanken zu sündigen: »Denn oft, gerade weil sie die Zunge unmäßig zügeln, dulden sie im Herzen schwereres Geschwätz.«113 Es verschränkt sich darin religiöses Reinheitsstreben in bezug auf Gott mit der Beunruhigung einer weltlichen Ordnung dem autonomen stillen Gedanken gegenüber.114 Die Verschwiegenheit und Verborgenheit des Denkens ist es denn auch, die zu einem vorsichtigen Misstrauen dem gesprochenen Wort gegenüber führt, wie es in den höfischen Erziehungslehren immer wieder angemahnt wird: swer dich lobe, des geloube niht: / geloube dem der die herzen siht (Wer auch immer dich lobt, glaub dem nicht; glaub dem, der die Herzen sieht, Mz.245 f.).115 Denn so wie das äußerliche Schweigen täuschendes Kleid innerlicher Geschwätzigkeit sein kann, kann das geäußerte gute Wort ein gedachtes böses verbergen.
111 »non solum enim factis, sed et cogitationibus delinquimus, si eis illicite occurrentibus delectemur.« Hrabanus Maurus, De vitiis et virtutibus et peccatorum satisfactione. liber tertius, lib.III , cap. lxxv, PL 112, Sp. 1391B. Ebenso: Isidor, Sententiarum libri tres, lib.II , cap. xxv, PL 83, Sp. 626B-627B. 112 »Possessio tua mens tua est: aurum tuum cor tuum est: argentum tuum eloquium tuum est.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. iii,11, PL 16, Sp. 27A. Oder: »Custodiamus ergo cor nostrum, custodiamus os nostrum; utrumque enim scriptum est: hic, ut os custodiamus, alibi tibi dicitur: Omni custodia serva cor tuum (Prov.IV,23).« Ebd., I, cap. iii,10, PL 16, Sp. 26C. Vgl. auch ebd., I, cap. ii,6, PL 16, Sp. 25B-C. 113 »Aliter admonendi sunt nimis taciti, atque aliter multiloquio vacantes. Insinuari namque nimis tacitis debet, quia dum quaedam vitia incaute fugiunt, occulte deterioribus implicantur. Nam saepe linguam quia immoderatius frenant, in corde gravius multiloquium tolerant; ut eo plus cogitationes in mente ferveant, quo illas violenta custodia indiscreti silentii angustat. Quae plerumque tanto latio diffluunt, quanto se esse securius aestimant, quia forisa reprehensoribus non videntur.« Gregorius Magnus, Regulae pastoralis liber, III , cap. 14, PL 77, Sp. 71C-72A. 114 Dass das monastische Schweigen im grossen Zusammenhang christlicher Spiritualität zu sehen ist, steht außer Zweifel. Doch drückt sich gerade in den Schweigeregeln auch die Weltgebundenheit einer Gesellschaft aus, die die Freiheit des Einzelnen nur im hierarchischen Gefüge des Ganzen sieht – und deshalb Regeln braucht, wo autonome Nischen möglich sind. 115 Vgl. dazu auch Schmölders, Die Kunst des Gesprächs (1986), S. 18 ff., auch wenn die Prägnanz dieser Einführung ins Thema etwas scharf schattiert. Haferland schreibt: »In der höfischen Kultur kann Bewusstsein, können Gedanken nichts sein, was an und für sich wertvoll wäre. Im Gegenteil, sie entziehen dem Ausdruck, was ihn zu echtem Ausdruck machen würde. So sind denn Gedanken anfällig gegen Korruptibilität.« Höfische Interaktion (1988), S. 273.
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Indem dem Gedanken schon Handlungscharakter zugeschrieben wird, kann ihm auch schon das Verdienst der Handlung zukommen. So versichert Lunete Iwein, der für sie gegen die drei Truchsessen kämpfen will, dass sie den Willen für die Tat nehmen wolle (Iw.4320 f.), und Heinrich versucht die Opferbereitschaft des Mädchens abzuwehren, indem er sich mit der Absicht begnügen will (A.H.937ff.).
Vordenken: Schutz und Gefahr Sowohl rhetorische wie sprachtheologische Reflexionen definieren den Redeanfang immer wieder als Ort der Gefahr, Moment möglicher Verfehlung. Dadurch wird er aber auch zu einem Punkt, an dem sich die Ambivalenz des Schweigens sehr deutlich zeigt: je nach Qualität der verschwiegenen Rede ist es Schutz oder Hindernis. Indem unnütze, gefährliche, böse Worte unausgesprochen bleiben, schützt das Schweigen vor deren Realisierung, indem gute Reden verschwiegen werden, verhindert es aber auch deren Verwirklichung. Stille Zensur Eng verbunden mit der im religiösen Rahmen aufgestellten Forderung einer Reinheit des Gedankens ist die Aufforderung, einen schlechten Gedanken im Stillen zu verwerfen, Rede und Handlung also schweigend vorzubereiten. »Dumm ist nämlich, wer nicht zuerst das Wort zur Zunge des Verstandes führt, bevor er es hinausführt zur Zunge des Mundes«.116 Zielt Trevrizents letztlich geistliche Ermahnung
116 »Stultus enim valde est, qui non prius verbum ducit ad linguam rationis, quam educat ad linguam oris.« Ps.-Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios, III , De Silentio, PL 40, Sp. 1239. Genauso heißt es bei Alanus: »Stultus est qui primum non inducit verbum ad limam rationis, quam educat ad linguam sui oris.« Summa de arte praedicatoria, cap. xxvi, PL 210, Sp. 163,A. Und Ambrosius sagt: »Custodiendo enim os suum, et retinendo linguam suam, nec prius loquendo quam interroget, et expendat atque examinet verba sua, si decendum hoc, si dicendum adversus hunc, si tempus sermonis hujus est: is profecto exercet modestiam, ac mansuetudinem, et patientiam; ut non ex indignatione et ira in sermonem erumpat, non alicujus passionis indicium det in verbis suis, non ardorem libidinis flammare in sermone suo indicet, et inesse dictis suis stimulos iracundiae: ne sermo postremo qui commendare interiora debet, vitium aliquod esse in moribus, aperiat et prodat.« De officiis ministrorum, I, cap. iv, PL 16.Sp. 28A. Ich kann Rubergs Feststellung: »den Gedanken, dass schweigendes Hören erst ein rechtes, als Antwort verstandenes Sprechen vorbereitet und lehren kann, wird erst monastische Meditation stär-
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dahin, die brœden werke nicht zu dulden, das heißt sie schon im Gedanken abzuweisen, gilt dem handlungsvorbereitenden Denken, dem redevorbereitenden Schweigen vor allem auch die Aufmerksamkeit weltlichen Rats.117 »Der Weise, um zu sprechen, bedenkt lang vorher, was er sagt, oder zu wem er spricht, an welchem Ort, und die Zeit«, wird geistlich ermahnt,118 swîgent man daz lernen sol / daz man dar nâch wil sprechen wol (schweigend soll man das lernen, was man danach gut sagen will, WG 585 f.), heißt es in der weltlichen Erziehung.119 Gurnemanz fordert von Parzival bedâhte gegenrede (überlegte Antwort, Parz.171,19). Die Trennung von gut und schlecht, von klug und unklug soll sich im geschützten Raum des stillen Denkens vollziehen. So weist auch Lunete Iwein, der von Liebe getrieben aus seinem sicheren Versteck zu Laudine hinausstürzen will, sentenziös zurecht: er ist ein vil wîser man der tumben gedanc verdenken kan mit wîslîcher getât: swes sin aber sô stât daz er an allen dingen wil volbringen mit den werken sînen muot, daz enist niht halbes guot.
ker betonen und näher ausführen« (S. 23), nicht ganz folgen. Er spricht auch von »Bedenken des Ambrosius, das Schweigen als Schule des Redens anzusehen« (S. 34). Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978). 117 Für die geistliche Tradition dieser Ermahnungen vgl. z.B. Gregorius: »Admonendi sunt igitur nimis taciti, ut scire sollicite studeant, non solum quales foris ostendere, sed etiam quales se debeant intus exhibere, ut plus ex cogitationibus occultum judicium quam ex sermonibus reprehensionem metuant proximorum. Scriptum namque est: Fili mi, attende sapientiam meam, et prudentiae meae inclina aurem tuam, ut custodias cogitationes (Prov.v,1)«. Regulae pastoralis liber, III , cap. 14, PL 77, Sp. 72A. Zum Topos des schweigenden Herrschers siehe Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 32 f.; Mancini, Il dito sulle labbra: mitologia e politica di un gesto (1995), S. 143 f., 161 f. 118 »Sapiens ut loquatur, multa prius considerat, quid dicat, aut cui dicat, quo in loco, et tempore.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. x,35, PL 16, Sp. 33D. Zur Tradition der Umstände, die in bezug auf das Reden bedacht werden sollen, siehe Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 73–96. 119 Im »Meizoge« heißt es: besnit die wort, e si gevallen, / daz zimt den wisen allen. (Mz.243f.) Dass sich in dieser Bedachtsamkeit, dem vürgedanc, Vor- und Nach Denken treffen, wird da deutlich, wo die Funktion der Erinnerung für die Weisheit reflektiert wird. Vgl. dazu Carruthers, The Book of Memory (1994), S. 64 und 69.
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gedenket ir deheiner tumpheit, der muot sî gar hin geleit: hât ab ir deheinen wîsen muot, den volvüeret, daz ist guot. (Iw.1499–1510) (der ist sehr weise, der einen törichten Gedanken durch weises Handeln verwerfen kann. Wenn einem aber der Sinn danach steht, dass er in allen Dingen seine Absicht in die Tat umsetzen will, ist das nicht halb so gut. Habt ihr irgendeine Dummheit im Kopf, so vergesst sie. Habt ihr aber eine weise Absicht, so führt sie aus, das ist gut.)
Zeichen der Weisheit Der Knabe Gregorius zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass er sein Reden nie zu bereuen hatte, da er nichts ohne Vorüberlegung (vürgedanc) machte, wie es ihm die Weisheit gebot (Greg.1256 f.). Und selbst sein Vater, der alles andere als bedacht handelte, setzt sich dann hin, als das Unglück über ihn und seine Schwester hereingebrochen ist, und denkt schweigend über eine Lösung des Problems nach (Greg.483 ff.) – auch wenn erst nach der Zurechtweisung durch seine Schwester, die ihn aufforderte, nicht nur weibisch zu weinen, sondern sich was zu überlegen.120 Auch Tristan beweist als Kind seine Klugheit unter anderem dadurch, dass er sich, der Neugier von Pilgern und Jägern ausgesetzt, still und bedacht eine Identität erfindet, so dass seine Rede dann alles andere als kindisch ist (Tr.2690 ff. und 3088–93). Und wenn das Mädchen im »Armen Heinrich« ihre lange Rede während zweier Nächte still überdenkt und so vorbereitet, muss das selbst von den Eltern gegenüber Heinrich, der ihre Opferbereitschaft als kindlichen Übereifer abtun will (A.H.949–61), als Beweis einer alles andere als jähen Rede angeführt werden: si enhât sich kurze niht bedâht (sie hat sich nicht nur kurz bedacht, A.H.980b). So ist denn das lange, schweigende Nachdenken Ruals bei Tristans Taufe, als es darum geht, für das Kind einen Namen zu finden, nicht nur bedeutungsvoller Rahmen für die schicksalsvolle Namensetzung, sondern auch Ausdruck der Weisheit Ruals, der sich der auf ihm lastenden Verantwortung bewusst ist (Tr.1981–88).121 Diese weise Vorsicht Ruals
120 Kasten sieht in dieser emotional verstummenden Reaktion des Bruders eine Betonung seiner »seelischen Differenziertheit« durch Hartmann. Kasten, Schwester, Geliebte, Mutter, Herrscherin (1993), S. 406. 121 Zu dieser komplexen Taufszene, die durchaus längeres, stilles Nachdenken verlangte, siehe Huber, Wort-Ding-Entsprechungen (1979), S. 269–276. Er schreibt: »Die Szene lässt weniger an einen bemühten Vater als an das Sprachsetzungs-
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vor dem gesprochenen Wort zeigt sich dann wieder in seinem abwägenden Überlegen, bevor er vor Marke das Geheimnis um Tristans Herkunft preisgibt (Tr.3981–90). Die Wirkung der Rede muss zuvor bedacht werden. Deshalb will auch der gute Rat gut überlegt sein, soll er richtig aufgenommen werden. So verstummt Ivreiz auf Brandigan lange, bevor er versucht, Erec von der âventiure abzuraten (Er.8390–405). Auf die Spitze getrieben wird das dem lauten Wort vorhergehende Denken und Abwägen jedoch da, wo Enite ihr Schweigegebot brechen muss, um Erec zu retten (Er.3123–81; 3345–79; 3972–97). Die Frage von Reden oder Schweigen wird zur Frage auf Leben und Tod. In seltsamem und witzigem Spiel mit dieser allgemeinen Forderung nach Bedachtheit von Handlung und Rede vollzieht sich Gaweins Übergriff auf Antikonie (Parz.406,28–407,10). Denn diese doch eher überstürzte, nicht ganz regelkonforme Aktion leitet sich fast brav durch eine scheinbar abwägende Reflexion ein: Gâwân des gedâhte, / do si alle von im kômen ûz, / daz dicke den grôzen strûz / væhet ein vil kranker ar (als sie alle gegangen waren, dachte Gawein daran, dass doch oft den großen Strauss ein sehr kleiner Adler fängt, Parz.406,28–407,1). Dabei dient die Weisheit des Sprichworts als legitimierendes Argument, um den Übergriff zu wagen. Dass aber das erinnerte Sprichwort seinerseits durchaus ambivalent ist in seiner Aussage, macht diese »bedachte« Handlung erst pikant.122 Auch Willehalm, der am Königshof seine Zornesrede still vorbereitet, verstößt schließlich, trotz dieser Bedachtheit, mit der Rede gegen die zuht; er vergisst, seinem zornigen Denken den Riegel vorzuschieben (Wlh.144,12–145,2). Indem Willehalms Zornausbruch aber in den Rahmen scheinbar besonnenen Handelns gestellt wird, verstärkt sich seine Wirkung. Zu früh gebrochenes Schweigen Wird das vorbereitende und zensierende stille Denken sowohl im religiösen als auch weltlichen Bereich gefordert, oft mit dem Hinweis auf geschäft eines verantwortungsbewussten Namengebers im Sinne der antik-mittelalterlichen Sprachtheorie denken.« (S. 272). 122 Dass das Bild vom schwachen Adler, der oft einen grossen Strauss fängt nicht gerade vorteilhaft für Gawein ist, indem der Adler nicht zu den edlen Greifvögeln zählt, der Strauss aber durch seine Fliegunfähigkeit keine schwierige Beute ist, zeigt Schnell, Vogeljagd und Liebe im 8. Buch von Wolframs ›Parzival‹ (1974), S. 253 ff. Ich denke aber nicht, dass hier »das Vorgehen Gawans […] eine kritische Beurteilung« erfährt, sondern eher, dass dem vorbildlichen Helden spielerisch eine gewisse Selbstironie in den Mund gelegt ist.
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die Unwiederbringlichkeit des Wortes,123 ist die Folge des überstürzten, unbedachten Redens immer wieder im negativen Beispiel dargestellt.124 Wolfram warnt seine Zuhörer davor, Orgeluse vorschnell zu verurteilen und sich zu versprechen ohne Kenntnis davon, wie es um ihr Herz bestellt ist (Parz.516,8).125 Dabei ist auffallend, dass es – diese Publikumswarnung Wolframs ausgenommen – ausschließlich Frauen sind, die sich im höfischen Roman vorschnell unbedacht äußern und über diese Rede stolpern.126 So schickt Laudine überstürzt im Zorn die treue Lunete weg und bereut ebenso schnell (Iw.2025–29), so hat sich Lunete in ihrem Zorn gegenüber den Truchsessen dazu verleiten lassen, die drei besten Ritter des Hofes zum Kampf herauszufordern: [ich] vergâhte mich mit zorne (ich habe mich im Zorn versprochen, Iw.4140). Und auch bei Wolfram ist es Obie, die sich unbedacht und gegen ihre eigenen Interessen verspricht, als sie den Antrag von Meljanz ausschlägt (Parz.346,24ff.).127 Artus aber übertölpelt die ältere Schwester, die der jüngeren das Erbteil nicht abtreten will, indem er ihr eine Fangfrage stellt, auf die sie vorschnell antwortet (Iw.7655–64). Ihr sind dann in der Verteidigung die Argumente in den Mund gelegt, die die einseitig den Frauen zugeschriebenen Versprecher im höfischen Roman erklären:128 123 »ê daz diu rede entrinne dir / ze gæhes ûz dem munde hin, / besnît si wol ûf den gewin, / daz si den wîsen wol behage: / daz wort mac nicht hin wider în / und ist doch schiere vür den munt.« Winsbeckische Gedichte nebst Tirol und Fridebrant (1962), 25 (S. 15). Vgl. den gern zitierten Horazspruch: »et semel emissum volat inrevocabile verbum«. Epist. I, xviii,71. 124 Bei Ambrosius heißt es: »Potes autem custodire, si non cito loquaris. […] Tace ergo prius, et audi, ut non delinquas in lingua tua.« De officiis ministrorum, I, cap. ii,7, PL 16, Sp. 26A. Wobei Ambrosius hier mit dem Hören das Hinhören auf Gottes Wort meint. 125 Und er scheint um die Folgen einer valschen rede gegen Frauen zu wissen (Parz.114,23 ff.). Dieses vorschnelle Verurteilen wird auch im geistlichen Bereich scharf verurteilt: »Graviora enim sunt verba praecipitationis quam otiosa.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. ii, PL 16, Sp. 26B. 126 Das männliche Äquivalent, das aber anders gewertet wird, ist die prahlerische Rede vor dem Kampf. Keie bezichtigt z.B. Iwein solcher Rede, als er sich für das Brunnenabenteuer meldet: iu ist mit der rede ze gâch (Iw.827). 127 Auch hier warnt der Erzähler das Publikum vor einer vorschnellen Verurteilung Obies (Parz.366,1 f.). 128 Damit wird der aus anderen Textgattungen bekannte Topos der Geschwätzigkeit und Streitsucht der Frauen zitiert, wobei die Allgemeinheit der Behauptung durch die Zuordnung zu der eindeutig streitsüchtigen, bösen älteren Schwester gebrochen wird. Es ist nicht die Instanz des Erzählers, es ist nicht die Instanz der arturischen Hoföffentlichkeit (Artus), sondern es ist die in strengem Gegensatz zum höfischen Frauenbild stehende ältere Schwester selber, die sich auf diesen misogynen Topos beruft. Dadurch wird er der Lächerlichkeit ausgeliefert, wird
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jâ gesprichet lîhte ein wîp des sî niht sprechen solde. swer daz rechen wolde daz wir wîp gesprechen, der müese vil gerechen. wir wîp bedurfen alle tage daz man uns tumbe rede vertrage; wand sî under wîlen ist herte und doch ân argen list, geværlich und doch âne haz: wan wirne kunnen leider baz. (Iw.7674–84) (aber leicht sagt doch eine Frau, was sie nicht sagen sollte. Wer das bestrafen wollte, was wir Frauen alles reden, der müsste viel strafen. Wir Frauen sind alle Tage darauf angewiesen, dass man uns törichte Worte verzeiht. Denn sie sind zwar manchmal grob, aber doch ohne böse Absicht, verfänglich, aber doch ohne Feindseligkeit. Leider können wir es nicht besser.)
Zu spät gebrochenes Schweigen Zeichnet sich die kluge Handlung durch vorbereitendes und abwägendes Denken aus, droht darin aber auch immer die Gefahr eines Versäumnisses, eines Zögerns, das die Tatkraft schwächt und zu unguter Lähmung führt. Verhängnisvoll wirkt sich das verzögernde Denken bei der Mutter von Gregorius aus, die zu lange abwägt, ob sie sich gegen die Vergewaltigung ihres Bruders laut wehren soll oder nicht: alsus versûmde si der gedanc (Greg.391). Und auch als sie auf ihren unerkannten Sohn trifft, führt ihr falsches Schweigen wieder zur Katastrophe. Fragt sie dann endlich nach seiner Herkunft, erkennt sie das Versäumnis: ez wære ê gewesen zît / der vrâge die ich nû begân: / ich wæne ich si verspætet hân (es wäre früher Zeit gewesen für die Frage, die ich nun vorbrachte: ich fürchte, ich habe sie zu spät gestellt, Greg.2572ff.). Im verzögernden Schweigen liegt ihre Schuld. Das Problem des Schweigens, das zu einer Mitschuld oder einer Versündigung führt, ist gerade in der monastischen Literatur immer wieder thematisiert, wobei gern die Krankheitsmetaphorik zitiert wird. So heißt es zum Beispiel bei Gregor d. Gr.: »Wer nämlich die Übel der Nächsten betrachtet und trotzdem die Zunge mit Schweigen umschließt, unterdrückt sozusagen im Anblick der Wunden den Gebrauch von Medikamenten, und wird so zur Ursache seines Todes, weil er die Krankheit, er zum verallgemeinernden Zerrbild der unhöfischen Ausnahme dieser bösen Schwester. Es ist deshalb höchst problematisch, diese Stelle ungebrochen als Beleg frauenfeindlicher Aussagen im höfischen Roman zu nehmen.
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obwohl er könnte, nicht heilen will.«129 Das ausgesprochene Wort als Erlösung, das Reden als Handlung, die erlösend und helfend in ein Geschehen eingreift, wird durch das schweigende Denken verhindert.130 So verliert sich Parzival, von Gurnemanz seiner tumpheit beraubt, schweigend in Gedanken vor dem Gral. Die Gralsvorführung, in vollkommenes Schweigen gehüllt, wird von Parzival reflektiert, ohne dass er aber, in Erinnerung an die Lehre von Gurnemanz, in das Geschehen durch eine Frage eingreifen würde (Parz.239,8–17). Parzivals Schweigen liest sich da fast wie eine Illustration des in der patristischen Literatur oft verurteilten falschen Schweigens vor dem Leiden des Nächsten. Trevrizent fasst die Situation beim Gral zusammen: dîn œheim gap dir ouch ein swert, / dâ mit du sünden bist gewert, / sît daz dîn wol redender munt / dâ leider niht tet frâge kunt (dein Onkel gab dir doch auch ein Schwert; damit hast du Sünde erhalten, da dein so eloquenter Mund in dem Moment leider keine Frage stellte, Parz.501,1–4).131 Auch Marke verschließt sich in unentschlossener Schwäche, in nachdenklichem Schweigen, wenn er die Liebe zwischen Tristan und Isolde erkennt (er dâhte und dâhte, Tr.15232), oder er sucht seinen Rat auf, um erst mit dessen Hilfe zu agieren (Tr.18235–37) – si kamen aber ze spâte (sie kamen jedoch zu spät, Tr.18374). Er verbirgt so seine Unentschlossenheit in introvertierter Nachdenklichkeit und – sozusagen »extrovertiert« – hinter Beratungen. Damit verfehlt auch er sich durch das 129 »Qui enim proximorum mala respiciunt, et tamen in silentio linguam premunt, quasi conspectis vulneribus usum medicaminis subtrahunt, et eo mortis auctores fiunt, quo virus quod poterant curare noluerunt.« Gregorius Magnus, Regulae pastoralis liber, III , cap. 14, PL 77, Sp. 72C. Vgl. auch die in dieser Beziehung sehr deutlichen Äußerungen von Basilius und Augustinus in bezug auf das Anzeigen von Verfehlungen des Mitbruders. Balthasar, Die grossen Ordensregeln (1988), S. 112 und 165 f. 130 Die in der Forschung immer wieder aufgegriffene Frage nach Tat- und Versäumnisschuld im Zusammenhang mit Parzivals unterlassener Frage, hängt schließlich davon ab, ob das Schweigen als Handlung gesehen wird oder nicht. Die theologische Diskussion der Zeit drängt, durch die Aufnahme der ›mala taciturnitas‹ unter die Zungensünden, dazu, das Schweigen als Akt zu sehen. So heißt es, anfangs des 13. Jh.s in der »Summa fratris Alexandri«: »et secundum hoc dicitur tacere actus, sed non dicitur actus peccati nisi in quantum refertur ad voluntatem, prout aliquis ex voluntate tacet, cum tacere non debet.« Zitiert nach: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 206, Anm. 23. Zur Diskussion um Tat- und Versäumnisschuld in bezug auf Parzival siehe zusammenfassend Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 326, Anm. 178. 131 Auch Cundrie klagt Parzival an, die Not des Nächsten nicht gemildert zu haben durch ein Wort und droht ihm mit einer Art Talionsstrafe: daz iu der munt noch werde wan, / ich mein der zungen drinne, / als iuz herze ist rehter sinne! (Parz.316,4 ff.).
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zögernde Schweigen. Doch ist das Fehlverhalten hier weniger in einem heilsgeschichtlichen Rahmen aus christlicher Ethik definiert, als innerhalb politischer Machtstrukturen als Entscheidungsschwäche des Herrschers gesehen. Auch der Versuch von König Louis, sich Willehalms Forderungen zu entziehen, indem er sich beraten will, ist Hinauszögern des entscheidenden Wortes. Willehalm erzwingt dieses dann, gegen jede zuht verstoßend, mit Brachialgewalt (Wlh.179,2–6). Terminus technicus für diese verzögernde Unentschlossenheit ist der zwîfel. Er zögert nicht nur das Liebesbekenntnis hinaus (Tr.826–33; Tr.11734–39), quält Enite, bevor sie sich zur Warnung Erecs entschließt (Er.3145ff), ist der Marke schwächende Charakterzug, sondern lässt auch die Handlung im »Armen Heinrich« erstarren, bevor sich Heinrich entschließt, das Opfer des Mädchens anzunehmen (A.H.999–1019). Der Zweifel ist es, der macht, dass sich der Denkende in den stricken sîner trahte (in den Fesseln seiner Überlegungen) verfängt und so handlungsunfähig wird (Tr.836 ff.).132
Nachdenken: Realisierung der Geschichte Es ist nicht nur der vürgedanc, der sich in Schweigen verschließt, sondern auch das eigentliche Nachdenken im Sinne einer geistigen Verarbeitung eines Geschehens. Die Erinnerung ist es, in der sich das Bewusstsein einer zusammenhängenden Identität festigt. Durch sie wird aber auch die Geschichte, das Erzählen erst möglich, wenn in ihr das Nachdenken zum Vordenken wird. So wie sich nach dem Schluss eines Sprechens die Rede in die folgende Stille fortsetzt, in der Erinnerung weiterwirkt und sich im nachdenkenden Schweigen neu komponiert. Erinnerung und Liebessehnsucht In der Regel wird die Erinnerung durch ein äußerliches Zeichen ausgelöst.133 Dies kann ein Geschehen sein, in dem sich ein früheres spiegelt, wie bei den gefangenen Frauen in Brandigan, die durch Erec und Enite
132 Oringles aber ist geprägt von der Ambivalenz, die auch der überstürzten, unbedachten Handlung eigen ist: Nur weil er nicht lang überlegt, rettet er Enite vor dem Tod, wan er mohte sich vil nâch / an der rede versûmet hân (Er.6153 f.); aber es ist auch seine Ungeduld, daz er erbeiten niene kunde (Er.6326 f.), die ihn schließlich das Leben kostet. 133 Vgl. dazu auch Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995). Allgemein zur Topik des Erinnerns siehe Carruthers, The Book of Memory (1994).
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an ihr eigenes Schicksal erinnert werden (Er.8307–23). Es kann aber auch der Anblick eines Menschen sein, wie bei Orgeluse, die durch Gramoflanz an den von diesem ermordeten Cidegast erinnert wird.134 Oder es ist ein Gegenstand, der, als symbolisches Mahnmal vor Augen gestellt, ein ganzes Geschehen erinnert, wie das blutende Schwert auf Munsalvaesche (Parz.231,15–232,4). Im »Iwein« aber, diesem eigentlichen Roman des Erinnerns, ist es der Ort des Brunnens, an dem sich nicht nur die von Kalogrenant erinnerte Geschichte fortsetzt, sondern auch Iweins Erinnerung nach seinem Wahnsinn wieder einsetzt (Iw.3930–43). Am häufigsten jedoch ist es die Liebessehnsucht, die den Liebenden in erinnerndem Sehnen verstummen lässt. Parzival, von Sehnsucht nach Cundwiramurs getrieben, entfernt sich still und heimlich aus dem Lager von Artus, in dessen Freude er in seiner Einsamkeit nichts verloren hat (Parz.732,1–733,30). Auch Iwein erinnert sich Laudines und realisiert seine Schuld in unheilvollem Ahnen (Iw.3080–3101), noch bevor Lunete am Artushof auftaucht, um ihn zu verfluchen. Die Erinnerung vergegenwärtigt die abwesende Geliebte und vermischt Gegenwart und Vergangenheit im stummen Nachdenken: die Zeit löst sich auf. So erinnert sich Tristan durch die neue Isolde, Isot, der alten und lebt im Zwiespalt zwischen Auge und Herz, Gegenwart und Erinnerung, zwischen Präsenz und Gedächtnis, Wort und Gedanke (Tr.18969–996). Vergebens versucht er, das Denken dem Auge zu unterwerfen und Liebe und Liebeswahn zur Deckung zu bringen (Tr.19058–71). Die Vergegenwärtigung des Vergangenen im Nachdenken, die Realisierung der alten Geschichte im Präsens, gelingt aber so lange nur zur Hälfte, als die neue Geschichte mit Isot vor Augen steht. Erst, als sich Tristan eines Tages ohne die Gegenwart von Isot der Isolde erinnert, kann er den Entschluss fassen, seine zweite Liebe zu beenden (Tr.19129–77).135
Bedenken: zwischen Wundern und Erkennen Ist das schweigende Überlegen vor dem Reden ganz auf dieses hin ausgerichtet, wie auch das erinnernde Nachdenken sich in vorhergehende 134 Zur vergegenwärtigenden Funktion der Erinnerung siehe u.a. Carruthers, The Book of Memory (1994), S. 60. Im Versöhnungskuss von Orgeluse mit dem Mörder des Geliebten überlagern sich dann Gegenwart und Erinnerung in der symbolischen Handlung (Parz.729,15–23). 135 Im Gegensatz zu Tr.18969 und Tr.19047 f., wo deutlich gesagt wird, dass er Isot vor Augen hat, wenn ihn diese zwiespältige Liebessehnsucht überkommt, ist er allein, als ihn die Erinnerung von Isot löst.
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Rede und Handlung zurückbiegt, ist das betrachtende Denken, das Bedenken, auf die Gegenwart bezogen. Es gilt im wahrsten Sinn dem Augenblick und ist nicht auf eine sprachliche Äußerung hin gedacht. Konzentrierendes Anschauen Braucht es in der Regel einen Vorwurf, einen Anlass, dass sich die Erinnerung einstellt, geht das konzentrierende Anschauen, im Sinne einer Zusammenfassung sämtlicher Sinneswahrnehmungen in ein synästhetisches Empfinden, immer einher mit einer konkreten Wahrnehmung übers Auge. Auch wenn, wie schon gesagt, die mystische ›visio‹ im engeren Sinn im höfischen Roman nicht vorkommt, kann sie in solchen Momenten konzentrierter Schau anklingen: In der Entrückung Parzivals vor den drei Bluttropfen genauso wie wenn Tristan in der Mondnacht im Brunnen den Schatten Markes und Melots erkennt, trahtende, in sînem herzen ahtende (überlegend, in seinem Herzen bedenkend, Tr.14629f.),136 – aber auch in der konzentrierten Versenkung ins Spiel, wie sie dem Knaben Tristan zum Verhängnis wird. Nicht zufällig verweist die absolute Versunkenheit in der Hingabe an das Schachspiel auf die Liebeshingabe hinter dem Schachbrett, wie sie später dann zum Anfang vom Ende wird: wan jene die wâren verdâht / an ir spil sô sêre, / daz sî dô nihtes mêre / niwan ir spiles gedâhten (denn die waren so in ihr Spiel vertieft, dass sie an nichts anderes mehr als an ihr Spiel dachten, Tr.2312–15).137 Stummes Staunen Das stille Betrachten kann aber auch Ausdruck von sprachlosem, unverständigem Staunen sein. Sieht Erec die gefangenen Frauen in Brandigan, erstaunt er still vor diesem »Wunder«: ze dem gedanke er stille dagete (zu dem Gedanken schwieg er still, Er.8306). Und wenn der gefleckte Feirefiz seine Rüstung ablegt am Artushof, so wird den Wundererzählungen der staunende Blick auf dieses echte Wunder gegenübergestellt (Parz.758,1–5). Wenn sich der Knappe, der die gedemütigte Enite sieht, still wundert, ohne dass er sich zu fragen traute, wird gerade durch dieses verschwiegene Staunen die Situation Enites ins Wunderbare stilisiert (Er.3499–515).
136 Zu dieser engen Verknüpfung erinnernder Konzentration und tranceartigem Zustand siehe auch, u. a. mit Bezug auf Thomas von Aquin, Carruthers, The Book of Memory (1994), S. 6 und 44. 137 Zum Liebesspiel hinter dem Schachbrett vgl. Tr.13510 f.
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Stummes Taxieren Oft ist der stille Blick jedoch auch begleitet von beurteilendem und die Situation einschätzendem Denken. Nachdem Trevrizent Parzival die Geschichte der Gralsfamilie erzählt hat und ihm den liebenden Frimutel als Vorbild hinstellte, sieht er plötzlich die Ähnlichkeit zwischen Parzival und diesem Vorbild und fragt nach der Herkunft seines Gastes (Parz.474,23 f.). Eine Frage, die beide in einem genauen, gegenseitigen Mustern verstummen lässt, ein Mustern, durch das sie sich erkennen bevor die Identität benannt wird: ieweder vaste ann andern sach (jeder schaute den andern genau an, Parz.474,25). Im »Tristan« bricht die Diskrepanz zwischen dem neugierigen, genauen und stillen Blick und der Rede immer wieder auf. Schon der Knabe Tristan wird aufgrund seiner Fähigkeiten von den Kaufleuten sehr genau gemustert, und es nimmt sie still wunder, wie diese Begabung möglich ist, bevor sie ihn dann entführen (Tr.2268–81). Genauso begutachten ihn die Pilger, nachdem sie seine sprachlichen Fähigkeiten erkannten, und machen sich still ihre Gedanken, in betrahtende und allez sîn dinc ahtende (ihn betrachtend und seine ganze Sache bedenkend, Tr.2737–56). Und schließlich sitzt Marke staunend stumm vor Tristan, der seine musikalischen Fähigkeiten beweist: Marke der sach allez zuo / und saz allez trahtende, sînen friunt Tristan ahtende und wunderte in des sêre (Marke sah allem zu und sass das alles bedenkend da, seinen Freund Tristan beobachtend, und wunderte sich sehr darüber, Tr.3574–77). Als aber Tristan sich als Tantris bei den Isolden versteckt, irritiert die junge Isolde die Diskrepanz von erfundener Identität und sichtbarer Erscheinung so, dass sie in stillem Nachdenken über dieses wunderbare Schicksal schließlich die wahre Identität Tristans herausbekommt (Tr.9987–10126). Wenn im »Armen Heinrich« der Herr das nackte Mädchen durch den Spalt in der Wand betrachtet, dann den Blick auf sich selber richtet und so die äußere Schau zur inneren Schau werden lässt (A.H.1234–40), wird die sich in stummer Betrachtung öffnende Erkenntnis im sprachlosen Raum der inneren Schau zum eigentlichen Ort der Erlösung. Es ist die stumme Schau, die ihn über die Einsicht zum lösenden Wort führt. Der stumme Blick auf das andere Geschlecht Die Begutachtung des anderen Geschlechts geschieht wortlos. Dabei ist es nicht nur die Herrenrunde am Artushof, die vor Enites Schönheit verstummt, um nachher zuzugeben, dass sie die Schönste sei, sondern sehr viel genauer und kritischer im Detail werden die Männer 150
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von den Frauen inspiziert.138 Das beginnt mit dem kleinen Parzival (Parz.112,21–27), wird, wie schon oben erwähnt, Tristan zum Verhängnis, ist dann aber auch stilles Vergnügen der drei Frauen am Hofe in Irland, als der sorgfältig gekleidete Tristan vor sie tritt, und si in begunden schouwen und durch ir gedanke lâzen gân (und sie anfingen ihn zu betrachten und durch ihre Gedanken gehen lassen, Tr.10850–57). Zum Bild gefroren ist dieser begutachtende, beurteilende und schließlich ausschlaggebende Blick der Frau auf den Mann in den unzähligen stillen Zuschauerinnen im höfischen Roman, die alle in den Fenstern sitzen und die vor ihnen sich abspielenden Szenen betrachten und bedenken. Szenen, die sich ihrerseits um sie gruppieren, die beschaut werden müssen, um überhaupt möglich zu werden.139
3.2 Beten: Autonomer Raum Es mag erstaunen, dass das Beten als Schweigeform verstanden wird.140 Und doch schneidet sich das Gebet aus der zwischenmenschlichen Kommunikation aus; an der Verschwiegenheit des Gesprächs mit Gott hat niemand sonst Teil. Das Gebet konstruiert ein Schweigen gegenüber der Welt, das durch kein Wort auf einen anderen Menschen 138 Der männliche Schlüssellochblick ist hier ausgeklammert, da sich in ihm das schweigende Begutachten sozusagen räumlich schützt. Vgl. dazu unten das Kapitel »Der stille Raum« im vierten Teil. Selbst der Arztblick im »Armen Heinrich« ist jedoch in die allgemeinhyperbolische Topik gefasst: in sînem herzen er des jach / daz schœner krêâtiure / al der werlte wære tiure (A.H.1198ff.). Es ist aber sicher die vereinfachend polarisierende Feststellung Wenzels zu relativieren, wenn er schreibt: »Die höfische Dame darf und muss sich zwar vor Fremden zeigen, sie darf jedoch nicht selbständig agieren […] Sie soll sich schowen lassen, aber nicht selbst blickend aktiv werden.« Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995), S. 139. Vgl. zu dieser Thematik auch Spearing, The Medieval Poet as Voyeur (1993). 139 Z.B. Wlh.127,16 / Parz.151,7–10. Die stille Magie, die in diesen Frauenblicken liegt, wird sehr deutlich in der verzauberten Burg von Clinschor (Parz.553,4–18). Vgl. zur Funktion des öffentlichen weiblichen Zuschauens auch Wandhoff, Der epische Blick (1996), S. 199 f. 140 In verschiedenen Untersuchungen wurde darauf hingewiesen, dass das stille, stumme Gebet im Mittelalter eine Ausnahme gewesen sein muss. Dabei ist klar zu unterscheiden zwischen dem liturgischen Gebet, dem festgeschriebenen Gebet und dem spontanen, persönlichen, weniger an feste Formen und Formeln gebundenen Stoßgebet. Während Greens Aussage, »to assume silence for medieval prayer, even when solitary, is to impose a postmedieval view on our material« wohl auf das erstere zutreffen mag, gilt sie kaum für das zweite. Green, Medieval Listening and Reading (1994), S. 97.
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hin aufgebrochen wird, dessen Integrität heilig ist. Die Begegnung mit Gott geschieht in einem vollkommenen Freiraum, der außerhalb jeder Weltbindung, auch außerhalb jeder Ordnung steht. In ihm realisiert sich das anarchische Prinzip par excellence, wie es dann in der Explosivität der Mystik zum Tragen kam. Anders als das Denken, das durch das Objekt seines innerlichen Sprechens immer an einen innerweltlichen Kontext gebunden ist, steht der im Gebet errichtete Raum außerhalb der gesellschaftlichen Kommunikation, aufgehoben in einer nicht mitteilbaren Gemeinschaft von Gott und Mensch.
Stummes Gespräch mit Gott Alle Klosterregeln räumen dem Gespräch zwischen Gott und Mensch den nötigen Schweigeraum ein; und es ist eben gerade nicht der Ort des stillen Zuhörens, des demütigenden Schweigens, des Schweigegebots als Subordinationsmittels, sondern es sind ganz eigentlich regellose Orte, die, am Rand erwähnt, keine Vorschriften kennen außer denen, die sie als Garten schützen. So handelt das 52. Kapitel der Benediktusregel vom Oratorium und bestimmt dieses als Ort, der ausschließlich der Rede mit Gott gehören soll. Kein Wort, das nicht in direktem Bezug zum Gottesdienst steht, darf da Platz finden, so dass in der Stille des Raumes der Einzelne jederzeit beten kann. Dabei geht es ausdrücklich nicht um ein lautes Beten, sondern ein innerliches, stilles Gebet unter Tränen. Kein Lobgesang also, sondern individuelle Betrachtung seiner Sünden.141 Es wird ein Raum ausgegrenzt, in den sich der Mönch für die Begegnung mit Gott zurückziehen kann; ein Raum, der sich als Raum des Schweigens definiert und sorgfältig vor einer Verunreinigung durch Worte geschützt werden soll. Dabei bleibt die Gefahr, sich in einem geschwätzigen Gebet zu verlieren, sich selbstgefällig in diesem Freiraum plötzlich aus dem Bezug zu Gott in die versprachlichte Welt zu flüchten, um da ein Theater vor sich selber aufzuführen, bewusst und wird in der Ermahnung zu kurzem und innigem Gebet gebannt. Augustinisch gedacht soll das Schweigen des ›verbum cordis‹ nicht durch die im Sprachdenken haftenden Gedanken gestört
141 »Expleto opere dei omnes cum summo silentio exeant et habeatur reverentia deo, ut frater, qui forte sibi peculiariter vult orare, non inpediatur alterius inprobitate. Sed et si aliter vult sibi forte secretius orare, simpliciter intret et oret, non in clamosa voce, sed in lacrimis et intentione cordis.« Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), S. 192.
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werden, ›contemplatio‹ nicht mit äußerlichem Denken verwechselt werden.142 »Wir sollen wissen, dass wir nicht erhört werden, wenn wir viele Worte machen, sondern wenn wir in Lauterkeit des Herzens und mit Tränen der Reue beten. Deshalb sei das Gebet kurz und lauter; nur wenn die göttliche Gnade uns erfasst und bewegt, soll es länger dauern.«143 Im Blick auf Mt 6,6 schreibt Cassian: »Vor allem aber müssen wir jenes Gebot des Evangeliums beobachten, dass wir eintreten in unsere Kammer, die Tür verschließen und zu unserem Vater beten. Dies erfüllen wir so: In unserer Kammer bitten wir, wenn wir unser Herz von allem Lärm der Gedanken und Besorgnisse gänzlich fernhalten und gleichsam heimlich und vertraut unsere Bitten dem Herrn erschließen. Bei verschlossener Tür beten wir, wenn wir mit geschlossenen Lippen und völligem Schweigen zu dem beten, der nicht die Worte, sondern das Herz beachtet. Im Verborgenen beten wir, wenn wir nur im Herzen ganz gesammelt unsere Bitte Gott allein eröffnen, so dass nicht einmal die feindlichen Mächte zu erkennen vermögen, um was wir bitten. Deshalb sollen wir unter größtem Schweigen beten, nicht nur damit wir nicht die umstehenden Brüder durch unser Lispeln und Rufen ablenken und ihre Seelen im Gebet verwirren, sondern damit auch unseren Feinden, die uns beim Gebet am meisten auflauern, die Absicht unserer Bitte verborgen bleibe.«144
142 Vgl. zu diesem Gedanken und seiner Tradition in den monastischen Schweigeregeln Kunz, Schweigen und Geist (1996), v. a. S. 646–685. Zu einer speziell von Bernhard entwickelten Technik, das Gedächtnis von weltlichem Gedankengut zu reinigen, siehe die interessanten Überlegungen von Coleman, Das Bleichen des Gedächtnisses (1991). 143 »Et non in multiloquio, sed in puritate cordis et conpunctione lacrimarum nos exaudiri sciamus. Et ideo brevis debet esse et pura oratio, nisi forte ex affectu inspirationis divinae gratiae protendatur.« Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), S. 136. 144 »Ante omnia sane illud euangelicum praeceptum diligentius obseruandum est, ut intrantes in cubiculum nostrum cluso ostio nostro oremus patrem nostrum. Quod a nobis ita inplebitur. Intra nostrum cubiculum supplicamus, cum ab omnium cogitationum siue sollicitudinum strepitu cor nostrum penitus amouentes secreto quodammodo ac familiariter preces nostras domino reseramus. Clauso oramus ostio, cum strictis labiis omnique silentio supplicamus non uocum, sed cordium scrutatori. In abscondito oramus, quoando corde tantum et intenta mente petitiones nostras soli pandimus deo, ita ut ne ipsae quidem aduersae ualeant potestates genus nostrae petitionis agnoscere. Propter quod cum summo est orandum silentio, non solum ne fratres adstantes nostris susurris uel clamoribus auocemus et orantium sensibus obstrepamus, sed ut ipsos quoque inimicos nostros, qui orantibus nobis maxime insidiantur, lateat nostrae petitionis intentio.« Cassianus, Conférences (1958), 9,35. SC 54,71 f.; siehe auch Kunz,
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Diese monastische Zuspitzung des Gebetschweigens findet sich im höfischen Roman nur ansatzweise. So wie das Beten aber als innere Rede, als in Schweigen verschlossene Handlung verstanden und definiert wird, sind auch die Gebete im höfischen Roman durch Schweigen aus der Umwelt ausgeschnittene Gespräche mit Gott.
Bitte um das richtige Wort Auch wenn, wie gesagt, die pointierten Gebetsreflexionen aus dem monastischen Umfeld im höfischen Roman kein großes Echo finden, wird doch recht oft still und lautlos gebetet, wobei die Lautlosigkeit nicht immer gleich eindeutig ist.145 Oft wird dadurch ein Sprechen vorbereitet, um sich so geschützt dem Wort auszusetzen. Nicht nur das topische Dichtergebet, wie es sich breit dem »Willehalm« voranstellt, wie Gottfried es, in klassischer Verbrämung, der Schwertleite Tristans vorangehen lässt (Tr.4851–905), bittet um das richtige Wort, sondern auch kleine Stoßgebete der Protagonisten versuchen die Schwellensituation zu bewältigen, die sich vor einer wichtigen Rede auftut.146 Die nach Iwein ausgeschickte Jungfrau wendet sich an Gott mit der Bitte um die richtigen Worte, als sie endlich den Ritter vor sich reiten sieht (Iw.5987–95):
Schweigen und Geist (1996), S. 653 f. Etwas einfacher heißt es in den »Idsteiner Sprüchen«: Einode ist zu bedene gut, er wirt is dicke gemut / der undir file luden ist, der kere alle sinen list, / er bedet nit, also er dæde, ob er enode hæde. Die Idsteiner Sprüche der Väter (1964), 80 (S. 91). 145 Ich beschränke mich hier auf Beispiele, die in ihrer Lautlosigkeit eindeutig sind und lasse auch die in der Einsamkeit oder Abgeschiedenheit gesprochenen Gebete weg, deren Verschwiegenheit durch die räumliche Verschlossenheit gegeben ist. 146 Vgl. zu dieser redevorbereitenden schweigenden Bitte an Gott auch Carruthers, The Book of Memory (1994), S. 3. Zum Dichtergebet siehe u. a. Jaeger, Der Schöpfer der Welt und das Schöpfungswerk als Prologmotiv in der mhd. Dichtung (1978); Ohly, Wolframs Gebet an den heiligen Geist im Eingang des »Willehalm« (1961); Lutz, Rhetorica divina (1984); Thelen, Das Dichtergebet in der deutschen Literatur des Mittelalters (1989). Augustinus schreibt sehr deutlich in bezug auf den christlichen Redner: »et haec se posse, si potuerit et in quantum potuerit, pietate magis orationum quam oratorum facultate non dubitet, ut orando pro se ac pro illis, quos est allocuturus, sit orator antequam dictor«. De doctrina christiana (1961), IV,xv,32, CCSL 32, S. 138. Und: »Oret ut deus sermonem bonum det in os eius.« Ebd., IV,xxx,67, CCSL 32, S. 167. Vgl. auch Lutz, Rhetorica divina (1984), S. 70 ff. Liturgisch bricht der 17. Vers von Psalm 50 das Schweigen der Nacht mit der Bitte um Sprachbegabung: »Domine labia mea aperies et os meum adnuntiabit laudem tuam.«
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herre got, nû lêre mich die rede der ich genieze, daz in mîn iht verdrieze und daz er mich niht entwer. (Iw.5988–91) (Herrgott, nun lehre mich die Worte, die bewirken, dass er sich nicht über mich ärgert und dass er mich nicht zurückweist)
Das Gebet der Jungfrau um göttliche Inspiration stellt sich neben die morgendlich-liturgische Bitte um Sprachbegabung nach der wortlosen Nacht. Die lange, angstvolle Suche der Jungfrau im Wald wird zum ängstlichen Irren im Schweigen, auf der Suche nach diesem ersten Wort, das die entscheidende und rettende Rede eröffnet. Auch wenn Enite darum ringt, das Schweigegebot zu brechen, zweifelnd, ob sie Erec warnend ansprechen darf oder schweigen soll (Er.3146 f.), wendet sie sich in stillem Gebet, in ir muote, an Gott (Er.3148–66; 3371–73; 3981 f.). Genauso richten Tristan und Isolde je ein stilles und schnelles Herzensgebet an Gott, als sie in dem nächtlichen Garten die im Baum lauernde Gefahr realisieren (Tr.14640–60; Tr.14710–13).147 Am deutlichsten wird das Gebet für das richtige Wort, die Bitte um Beistand im Moment des Redeanfangs, bei der Erlösungsfrage Parzivals. Bevor er die entscheidende und erlösende Frage stellt, verschließt er sich für vier Verse in einem stillen Bittgebet (Parz.795,24–27). Neben dieser stillen Bitte um das richtige Wort oder Hilfe in Bedrängnis, wird eine wunderbare Fügung in stillem, schnellem Dankgebet bedacht. Der Abt, der Gregorius findet, richtet, nachdem er dessen Geschichte von der Tafel gelesen hat, ein stilles Dankgebet an Gott; wortlos und verschwiegen selbst in der Gestik, um den danebenstehenden Fischern die besondere Bewandtnis mit Gregorius nicht bekannt zu machen (Greg.1046–50).
3.3 Schweigen aus zuht : Geordnetes Schweigen Die Ambivalenz des Schweigens, wie sie nachhaltig in der patristischen und monastischen Literatur reflektiert ist und wie man sie in der systematisierend wertenden theologischen Beurteilung des Verschweigens 147 In strengem und direktem Kontrast zu diesen stillen Gebeten der Liebenden steht die falsche, durch Nebengedanken getrübte Andacht Markes (Tr.15156 f.).
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zu fassen versuchte, wird im höfischen Bereich zum Problem der zuht. So wie sich in den Verhaltensregeln höfischer Erziehung die im religiösen Bereich zu Tugenden und Lastern stilisierten Normen spiegeln, übernehmen höfische Schweigeregeln weitgehend die schon im monastischen Umfeld ausgebildete Aufgabe der Zensur all jener Kräfte, deren Wirken sich der institutionalisierten Ordnung entzieht.148 Die enge Verknüpfung monastischer und religiöser Schweigevorschriften mit höfischen Schweigeregelungen ist in doppelter Hinsicht gegeben. Nicht nur muss für die höfische Erziehung von einer starken Beeinflussung der geistlichen, klösterlichen Erziehung ausgegangen werden, sondern der christliche Tugendkatalog geht seinerseits auf antike Erziehungsmuster zurück, so dass sich deren christliche Lesart in der höfischen Didaxe erleichterte.149 Das Verschweigen, als bewusstes Zurückhalten einer Rede, bewusstes Bewahren eines Wissens, lässt sich so ad malam und ad bonam partem lesen und kann, als Problem der Ethik wie der Kommunikation, mit einzelnen Tugenden und Lastern verbunden werden. Ermahnungen im geistlichen Bereich assoziieren sich mit Regeln des Hofes, hinter unhöfischem Schweigen steht immer der Schatten eines Lasters.150 Es sind religiöse Schweigeregeln, die in der
148 Zu den Zungensünden als Denkmuster, in dem sich die weltliche und religiöse Sprachproblematik trifft, siehe Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987). In bezug auf die Domestizierung durch Sprachregelungen vgl. die Metaphorik des zu zähmenden wilden Tieres oder des zu bebauenden Landes. Siehe dazu Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985), S. 640. 149 Vgl. zum Einfluss antiker Muster auf die Entstehung des christlichen Tugendkatalogs u. a. Hiltbrunner, Die Schrift »De officiis ministrorum« des hl. Ambrosius und ihr ciceronisches Vorbild (1964), v. a. S. 182ff; Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 257 ff. Hier findet sich auch eine Zusammenstellung der in der patristischen Literatur explizit mit Schweigen verbundenen Tugenden (S. 558, Anm. 57). Zur christlichen Rezeption antiker Erziehungslehre schreibt Henkel: »Die zwischen Text und Leser geschaltete Vermittlungsebene des Kommentars bot in vielen Fällen die Möglichkeit einer ›ideologischen‹ Anpassung nichtchristlicher Aussagen im Sinne einer ›Christianisierung‹.« Deutsche Übersetzungen lateinischer Schultexte (1988), S. 11. Dabei ist Voss zuzustimmen: »Gerade im Beziehungsfeld von feudalen und religiösen Momenten entstehen aber Spannungen, die eine fraglos gültige Synthese und damit auch die Formulierung einer alle Normerwartungen normalisierenden Ethik ausschließen.« Die Artusepik Hartmanns von Aue (1983), S. 49. 150 Zum Problem des Schweigens als einer Tugend vgl. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 36–40. Der Hinweis, dass »im Raum der Dichtung die Frage nach einer festen Einordnung der Schweigsamkeit in ein ›Tugendsystem‹ nur begrenzte Berechti-
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höfischen zuht mitklingen, so wie sich in den monastischen Schweigeregeln Ordnungsinteressen spiegeln, wie sie sich deutlicher in der weltlichen Gesellschaft des Hofes formulieren.151 Wenn also im folgenden dem höfischen respektive unhöfischen Verschweigen immer wieder nicht nur der höfisch didaktische, sondern auch der religiöse Hintergrund unterlegt wird, soll damit der engen und im einzelnen nicht zu trennenden Verbindung religiösen und weltlichen Handlungsverständnisses Rechnung getragen werden.152 Sind die Schweigeregeln höfischer zuht in erster Linie Mittel, den unkontrollierten, affektiven Ausdruck zu domestizieren, ist anderseits die Gefahr einer falschen oder gar bösartigen Verschwiegenheit durchaus bewusst. Dabei gelten grundsätzlich die in monastischer und homiletigung beanspruchen« könne, ist sicher richtig. Die Frage lässt sich aber durchaus umkehren und so aus dem schwierigen und höchst problematischen Systemzwang lösen, wenn nicht nach dem Ort des Schweigens im Tugendkatalog gefragt wird, sondern danach, welche Tugend man in einem spezifischen Schweigen ausgedrückt sah. 151 Vgl. zur Funktion des monastischen Schweigens auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 27 f. In ihrem anregenden Artikel versucht Ruhe, in der einseitigen Übertragung klösterlicher Verhaltensnormen auf die weibliche säkulare Gesellschaft, die Herausbildung von Geschlechterrollen aufzuzeigen. Es wäre einer solchen Zeichnung aber sehr viel stärker die Frage nach dem Zielpublikum der zitierten didaktischen Texte zu unterlegen. Und wie sie selber konstatiert, kommt diese Zurechtschreibung des Frauenideals im Sinne einer »Verklösterlichung« v. a. im 13. Jh. auf und entwickelt sich von da her dann schnell weiter. Zumindest für die Sprachregelungen ist zu sagen, dass sich das Bild in der höfischen Literatur nicht so eindeutig zeigt. Ruhe, Mönche, Nonnen und die ideale Frau (1996). 152 Wenn Wenzel in bezug auf die Sprachregelungen von einem »Spannungsverhältnis von Hof und Kloster« spricht, das demjenigen von »Hof und Taverne« entspreche, verengt er den Bereich klösterlichen Schweigens auf das spirituelle Ziel einer »Überwindung des Körpers, auf eine Vorstufe des als Erlösung vorgestellten Todes«. Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995), S. 147 f. Die Notwendigkeit, der Klostergemeinschaft auch in einem innerweltlichen Sinn eine Ordnung zu geben, die als gesellschaftliche Ordnung funktionieren muss, verbindet aber die monastischen Schweigeregeln sehr viel stärker mit den höfischen Erziehungsvorschriften. Das monastische Schweigen ist nur im Ausnahmefall, in seinem höchsten Sinn, spirituell. Kunz schreibt: »Am Reden und Schweigen entscheiden sich Gelingen oder Misslingen des Lebens in einem Koinobion. Dabei geht es sowohl um das gemeinsame Leben wie auch um die Integrität oder das Heilsein des eigenen Lebens. Als Schule ist das Kloster ein Ort des Erkennens, Verstehens und der Einübung – nämlich des Menschseins und der Menschlichkeit.« Schweigen und Geist (1996), S. 643 f. Cecchetti betont auch die enge Verbindung asketischen und didaktischen Schweigens, spricht von »Silenzio disciplinare e Silenzio mistico«. Cecchetti, »Tibi silentium laus« (1949), S. 523.
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scher Literatur reflektierten Ursachen falscher Verschwiegenheit auch für die höfische Welt: Es sind Angst, Schuld, Trägheit, falsche Scham und Dummheit, die zu schlechtem Schweigen verführen, wenn nicht Bosheit und Eigeninteresse.153 Wird das schlechte Schweigen in moraltheologischem Zusammenhang in seinem Gegensatz zur Ordnung der guten, das heißt heilsgeschichtlich nützlichen Rede und Verschwiegenheit definiert, ist im höfischen Kontext die schlechte Verschwiegenheit als Verstoß gegen die zuht gesehen. Die Formen eines unhöfischen, das heißt nicht in zuht begründeten Schweigens, können also nicht anders als im Rahmen höfischer Verhaltensregeln betrachtet werden. Diese aber lassen sich ihrerseits nur von den Rändern her beschreiben: definiert werden sie da, wo sie gebrochen werden.154 Anders als die Schweigemomente, in denen nicht bewusst Rede zurückgehalten wird, stellt sich in den hier untersuchten Texten das Verschweigen im Netz höfischen Regelverhaltens in verschiedenen Formen dar. So kann in einer entsprechenden Gesprächssituation eine Antwort fehlen und dadurch implizit als verschwiegene erkannt werden, kann eine Antwort aber auch explizit verschwiegen werden, indem dem Fragenden verbal deutlich gemacht wird, dass er keine Antwort erhält, kann ein Gruß unterlassen, aber auch explizit verweigert werden etc. Obwohl in dieser formalen Unterscheidung nicht nur eine quantitative, sondern oft auch eine qualitative Differenz steckt, hat sich eine Trennung dieser Formen in der zusammenfassenden Darstel-
153 Vgl. Petrus Cantor: »Sunt autem quinque causae pessimae taciturnitatis: Timor, humana vel mundanus […] cupiditas […] pigritia vel negligentia […] simplicitas, et quaedam quasi naturalis verecundia […] ignorantia.« Verbum abbreviatum, cap. lxii, PL 205, Sp. 192B-D. Siehe dazu: Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), v. a. S. 441–453. 154 Die Ambivalenz des Verschweigens als Mittel höfischer Selbstkontrolle, aber auch Mittel der Täuschung und Verstellung ad malam partem, bricht hier auf. So bewusst jedoch zwischen valschen und werden unterschieden wird, ist diese Ambivalenz – außer bei Gottfried – aber noch nicht Thema. Im Artusroman scheint eine klare Unterscheidung noch möglich. Vgl. dazu auch Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 265 f. Das in der erzählenden Literatur um 1200 reflektierte Bild des Hofes unterscheidet sich grundlegend von späteren Hofdarstellungen, die von Korruption und Intrige als eigentlichem Agens leben. Es mag sein, dass »die soziale Struktur, die Falschheit hervorbringt, sich über die Jahrhunderte hin im wesentlichen gleichbleibt« (Haferland, S. 264), aber entscheidend ist, dass die Darstellung und Reflexion der Falschheit sich stark verändert. Es ist deshalb problematisch, spätere Beschreibungen höfisch verfälschter Interaktion auf den im Artusroman – und auch im Gralsroman – dargestellen höfischen Kreis zurückzuspiegeln.
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lung als ungeschickt erwiesen. Denn die ethischen, moralischen, sozialen, im weitesten Sinn kulturgeschichtlichen Kriterien, mit denen hier die verschiedenen Arten des Verschweigens im höfischen Rahmen zu deuten versucht werden, überschneiden sich mit den formalen Kriterien, durch die sich ein explizites Schweigegebot und eine explizite Sprachverweigerung von impliziten Schweigeformen unterscheiden. Um einer ermüdenden, ohnehin drohenden Redundanz zu entgehen, behandle ich die Formen expliziten Verschweigens also nicht einzeln, weise aber an entsprechenden Orten darauf hin und versuche sie in ihrer Eigenart bewusst zu machen.
mâze: Sprechen und Schweigen Die Vorschriften, die Sprache zu mäßigen, nicht zuviel zu reden, die Zunge zu zügeln, sind fester Bestandteil der weltlichen und geistlichen Didaxe. Während sich aber im religiösen Kontext die ›multiloquitas‹ – als Facette der ›superbia‹ – auch unabhängig von einem schädlichen Inhalt der Rede als Sünde darstellen kann, hat die auf Askese ausgerichtete monastische Redeabstinenz, die allein schon im gesprochenen Wort gefährdende Teilhabe an der Welt sieht, in der weltlichen Didaxe keine Entsprechung.155 Wenn stereotyp einmal vor der Zunge allgemein gewarnt wird, oft mit Anklang an Jacobus 3, dann im Kontext detaillierterer Sprachregelungen. So bei Freidank, der erklärt: Daz wirste lit, daz iemen treit / daz ist diu zunge, sô man seit (das schlimmste Glied, das einer hat, das ist die Zunge, wie man sagt, V.164,3 f.), um dann von Streit, übler Nachrede etc. zu reden. Und auch wenn vor vielem Reden gewarnt wird, geht es nicht um das Reden als solches, sondern um die Gefahr, im vielen Reden auch schlechte Reden zu führen: Reines menscen cusce muot / swiginde seldin ubil duot. / du habis ni so reinen gedanc, / claffis du fila, er wird cranc (der unschuldige Sinn des reinen Menschen versündigt sich nicht schweigend; du kannst ein noch so reines Denken haben, wenn du viel redest, wird es schlecht).156 Die Betonung liegt auf 155 Zur Verweltlichung durch das Reden und dem nicht, oder wenig differenzierenden monastischen Redeskeptizismus vgl. auch Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987), S. 409 und 411 f. Zur Verbindung monastischer und mystischer Schweigeerfahrung vgl. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 29 ff. 156 Die Idsteiner Sprüche der Väter (1964), Spr. 2. Im »Wälschen Gast« wird der Vorteil des Schweigens gepriesen, da man so nicht in die Gefahr komme, durch Reden sich zu schaden: vil vernemen, lützel sagen, / hœren daz enschât uns niht: / von
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dem richtigen Gebrauch, nicht auf der Abstinenz von Rede, denn: von der zungen dicke kumt, / daz beide schadet unde frumt (von der Zunge kommt oft, was schadet und was nützt).157 Wird in patristischen Schriften der Gegensatz von Reden und Schweigen zum Kampf stilisiert, bei dem das Wort die Stadtmauer durchbricht und den Feind einlässt,158 wird das flüssige Reden als Anfang einer Überschwemmung gesehen159 und der Wortreichtum zum unfruchtbaren Samen erklärt,160 trifft man diese Schärfe der Sprachskepsis in der höfischen Didaxe nicht. Wenn gewarnt wird, so vor dem unbedachten, überstürzten Wort, nicht aber vor der Rede allgemein. Nicht Schweigen wird angemahnt, sondern Verschweigen gewisser Reden. Und so findet sich auch in der Welt der höfischen Erzählung die grundsätzliche Angst vor der Rede nicht. Selbst da, wo Gregorius seine Unterhaltung mit den päpstlichen Boten abbrechen will, geschieht das aus der Furcht des in Askese büßenden Sünders, der dadurch seine Busse in Gefahr sieht. Die nachdrückliche Warnung vor der Rede als einer direkten Gefährdung fehlt aber: »ich vürhte, vreude und der gemach diu ich mit rede mit iu hie hân, ich müeze ir ze buoze stân vor im der deheine missetât ungerochen niene lât.« (Greg.3580–84) (ich fürchte, dass ich die Freude und die Annehmlichkeit, die ich durch das Gespräch mit euch hier habe, werde büßen müssen vor dem, der keine Verfehlung ungerächt lässt.)
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rede uns dicke leit geschiht. (WG .582 ff.). Vgl. auch »Disticha Catonis«: swîgen schadet keinen tac, / klaffen wol geschaden mac. (D.C.133 f.). Dahinter steht Spr 10,19: »in multiloquio peccatum non deerit qui autem moderatur labia sua prudentissimus est.« Auf die Bedeutung dieser Lehre für die Fürsten-Erziehung weist Ruberg hin: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 31 ff. Fridankes Bescheidenheit (1962), V.165,7 f. Vgl. Jac 3,10. »Quia enim murum silentii non habet, patet inimici jaculis civitas mentis; et cum se per verba extra semetipsam ejicit, apertam se adversario ostendit.« Gregorius Magnus, Regulae pastoralis liber, III , cap. 14, PL 77, Sp. 73B. »Unde bene per Salomonem dicitur: Qui dimittit aquam, caput est jurgiorum (Prov.XVII ,14). Aquam quippe dimittere est linguam in fluxum eloquii relaxare.« Gregorius Magnus, Regulae pastoralis liber, III , cap. 14, PL 77, Sp. 73C. »Verbositas enim quid aliud est, quam semen quod fructum non facit?« Ps.-Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios III , De Silentio, PL 40, Sp. 1240.
Beredtes Schweigen
Auch die sprichwörtliche Geschwätzigkeit der Frauen, wie sie didaktische Texte stereotyp kolportieren,161 und die nach patristischer Tradition nicht zuletzt am Sündenfall schuld ist,162 spielt im höfischen Roman keine Rolle. Wenn sie zitiert wird, so als Folie, vor der sich die Protagonistinnen vorbildlich abheben.163 Keine unnützen Worte Wird im höfischen Roman auch nicht explizit vor der Vielrederei im allgemeinen gewarnt, wird doch immer wieder auf das maßvolle Reden hingewiesen, sowohl was den Zeitpunkt wie was die Zeitdauer angeht. Nicht nur sprechen, nicht nur schweigen soll man, sondern sprechen unde swîgen (Tr.7567),164 wobei man durchaus auch im Schweigen gegen das richtige Maß verstoßen kann. In der höfischen Didaxe heißt es denn: man sol ze vil doch swîgen niht, wan von vil swîgen dicke geschiht daz von vil klaffen mac geschehen. man sol die mâze wol ersehen an allen dingen, daz ist guot: ân mâze ist niht wol behuot. (WG 719–24) (man soll auch nicht zu viel schweigen, denn vom vielen Schweigen geschieht oft das, was vom vielen Reden geschehen kann. Man soll das richtige Maß halten in allen Dingen, das ist gut: ohne Maß ist nichts gut geschützt.)
161 Vgl. u. a. Hugo von Trimberg, Der Renner (1970), V.4643 f. Hier findet sich aber auch die Erklärung der weiblichen Zungenfertigkeit als Notwendigkeit, die männliche Brachialgewalt zu meistern (Renner, V.12245–52). Eine nachdrückliche und explizite Frauenfeindlichkeit im penetranten Sinn ist aber erst seit der Mitte des 13. Jahrhunderts zu sehen. Vgl. dazu die Märendichtung und spätere Schwankliteratur. 162 Vgl. z. B. Ambrosius: »Si Eva clausa fuisset janua, nec Adam deceptus fuisset, nec respondisset interrogata serpenti (Gen.III ,2 et seq.). Introivit mors per fenestram (Jerem.IX ,21), hoc est, per Evae ostium. Ingreditur mors per ostium tuum, si falsum loquaris, si turpiter, si procaciter, postremo si ubi non oportet loquaris.« De virginitate, cap.XIII ,81, PL 16, Sp. 286D. 163 Vgl. Iw.6293–98. Nur mit Bezug auf die Fischersfrau verweist Gregorius bei Hartmann auf die Geschwätzigkeit der Frauen – im deutlich nicht höfischen Bereich (Greg.1427–31). Deshalb ist es problematisch, wenn Wenzel diese Stelle allgemein auf die Frauen bezieht: »Hartmann unterstellt den Frauen einen Hang zur Redseligkeit und Geschwätzigkeit.« Wenzel, Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995), S. 146. 164 Siehe zur mâze in der Rede auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 75 ff. und S. 35 f.
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Tristan zeichnet sich dadurch aus, dass er in Rede und Benehmen das richtige Maß kennt (Tr.2737 f.) und auf die Fragereien der Pilger vorsichtig, nur gerade das Nötigste und der Situation entsprechend antwortet (Tr.2733–36).165 – Disqualifikation: Als Zeichen der ›superbia‹ wird aber verstanden – und entsprechend bestraft –, wenn einer sich überredet,166 das heißt ganz eigentlich den Mund zu voll nimmt. Denn in der Tradition der auf Ps 140,3 zurückgehenden Vorstellung, dass der Mund sich als Türe schließen und öffnen lässt, wird ein entsprechend sorgfältiger Umgang und eine umsichtige Bewachung angemahnt.167 Der Hinweis auf eine überflüssige Rede, auf Worte, die keine Rolle spielen, kann so zur beliebten Beleidigung werden. Morgan weist Tristans Klage und seinen Anspruch auf sein Erbe mit den Worten ab: hêrre, ir komet mich an / mit alse unnützen mæren, / daz sî als wæge wæren / verswigen, alse vür brâht (Herr, ihr kommt mir mit so überflüssigen Geschichten, dass sie genauso gut verschwiegen wären wie vorgebracht, Tr.5390–93). Der Vorwurf, unnötige Reden zu führen ist disqualifizierende Verurteilung; die Missachtung der Rede ist Missachtung des Redenden. Und so wird auch verständlich, warum Oringles schließlich durch die explizite Missachtung seiner Worte durch Enite so erzürnt wird, dass er sie schlägt: herre, ir habet mir genuoc gesaget, / daz wære doch als guot verdaget (Herr, ihr habt mir genug gesagt, das wäre doch genauso gut verschwiegen, Er.6508 f.). Keine offene Trauer Eine der wichtigsten Regeln höfischer zuht betrifft die Affekte als unkontrollierbare, die rationale Ordnung gefährdende Kräfte. Sie müssen aus dem öffentlichen Raum ausgeschossen werden, sei es räumlich oder indem man sie im eigenen Körper verschließt, sie nicht laut wer-
165 In diesem Zusammenhang ist es auffallend, dass der Knabe Tristan den Kaufleuten vor allem durch seine Sprachbegabung auffällt, so dass sie ihn schließlich entführen. Es ist sein Reden, das ihn verrät (Tr.2232–35; 2280–90). 166 In der Regel kommt dieser Hochmut in prahlerischem Reden vor einem Kampf zum Ausdruck. Es ist die eigentliche Entsprechung der unbedachten Rede, wie sie v. a. den Frauen zugeschrieben wird. 167 Vgl. z. B. Hugo von Folieto: »Pone, inquit Psalmista, custodiam ori meo, et ostium circumstantiae labiis meis (Psal.cxL). Ostium dixit, non murum. Si enim murus poneretur, loquendi licentia omnino negari videretur. Sed ostium ponitur, quod tempore et loco clauditur et aperitur. Est tempus est locus loquendi et tacendi.« De claustro animae, II , cap. xx, PL 176, Sp. 1073D-1074A.
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Beredtes Schweigen
den lässt und sie verschweigt. So heißt es von dem vorbildlich erzogenen Gregorius, dass er Freude und Trauer im richtigen Mass zu zeigen vermochte (Greg.1247 f.). Und Trevrizent mahnt Parzival: dune solt och niht ze sêre klagn. / du solt in rehten mâzen / klagen und klagen lâzen (du sollst auch nicht zu sehr klagen. Du sollst im rechten Maß klagen und das Klagen lassen, Parz.489,2 ff.). Trauer und Schwäche, sofern sie nicht im Zeremoniell rationalisiert und gebändigt sind, müssen verschwiegen werden.168 Gyburc ermahnt ihre Frauen, den zu Hilfe gekommenen Rittern gegenüber freundlich und liebreizend zu sein, über die Leiden, die sie während der Belagerung von Orange auszustehen hatten, aber kein Wort zu verlieren: und vlîzet iuch einer hövescheit: / gebâret, als ob iu nie dehein leit / noch ungemach geschaehe! / sît niht ze wortspaehe, / ob si iuch kumbers vrâgen (und befleißigt euch folgender Anständigkeit: tut so, als ob euch nie ein Leid oder Unglück zugestoßen wäre! seid nicht zu redefreudig, wenn sie nach eurem Kummer fragen, Wlh.247,11–15). Und als Gyburc neben ihrem Schwiegervater schließlich doch die Tränen nicht mehr zurückhalten kann, bittet sie dieser, um seiner und der andern Fürsten willen, ihren Kummer zu mäßigen (Wlh.252,20–24). Deutlicher wird er, als sie nach der Erzählung der Belagerung durch ihre eigenen Verwandten wieder zu weinen beginnt: mit zühten bat er, / daz si ir weinen lieze sîn verholen: / dâ solten kurzewîle dolen / der wirt und sîne geste / âne jâmers überleste (höflich bat er, dass sie ihr Weinen verberge: denn hier sollten nun der Hausherr und seine Gäste Unterhaltung erleben, ohne die schwere Last der Trauer, Wlh.268,8–12). Und wenn er sie dann ermahnt, so zu trauern, dass die gute Sitte gewahrt bleibt und niemand erschrickt, wird deutlich, dass ihr Weinen ein Verstoß gegen den Anstand war (Wlh.268,17–19). – Schweigen zum Schutz des Hofes: Heimrich benennt gegenüber Gyburc den Grund dieser Mäßigung in der Öffentlichkeit: Die Erzählung eigener Leiden gehört nicht zur Festfreude, steht in strengem Gegensatz zu Schönheit und Liebreiz, zu Unterhaltung im Sinne der kurzewîle. Deshalb wird auch Itonje, als sie in aller Öffentlichkeit in Tränen ausbricht, von Mutter und Großmutter wegen dieser missetât scharf zurechtgewiesen (Parz.710,22 f.). Vorbildlich dafür ist das Verhalten der gefangenen Frauen auf Brandigan, die ihr Unglück verschweigen, als dicke der bescheiden tuot / der sînes leides nieman / engaltet swâ erz bewarn
168 Zur öffentlichen, ritualisierten Klage siehe Küsters, Klagefiguren (1991), S. 34 ff.
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kan (wie es oft der Verständige tut, der niemand sein Leid entgelten lässt, wo er es zurückhalten kann, Er.8253 ff.). Das Verschweigen eigenen Leids ist eine hövescheit, Teil des am Hof regierenden und den Hof auszeichnenden Verhaltenskodexes. Denn indem die Trauer die Hoffreude trübt, schwächt sie die Gesellschaft und kann so dem ganzen Gefüge gefährlich werden. Deutlich wird das in der Versammlung der unschamelîch unde untougen (schamlos und öffentlich) trauernden Väter, die das Schicksal ihrer Morolt ausgelieferten Kinder beklagen, darüber aber handlungsunfähig werden (Tr.6042–51). Deshalb werden die öffentlich und übermäßig trauernden Helden von anderen zurechtgewiesen. Bernhard von Brubant weist den um Rennewart klagenden Willehalm darauf hin, dass seine Trauer Ausdruck einer weiblichen und kindlichen Schwäche sei. Sie passe nicht zu einem Sohn Heimrichs und schwäche das Heer: grôz schade bedarf genendekeit. / über al diz her wirt ze breit / der jâmer durh dich einen, / wiltû hie selbe weinen / reht als ein kint nâch der brust (großes Unglück verlangt Kühnheit. In diesem Heer verbreitet sich die Trauer zu sehr wegen dir; willst du denn hier weinen wie ein Säugling nach der Brust, Wlh.457,5–9). Gahmuret aber, dem es nicht gelingt, sein Leid gemäßigt zu klagen, zieht sich konsequenterweise aus der Öffentlichkeit zurück (Parz.93,1–10). Gottfried macht sich diese Konvention poetologisch zunutze, wenn er die Klage um Blanscheflurs Tod abbricht, um sich der Geschichte Tristans zuzuwenden: nune sol ich aber noch enwil / iuwer ôren niht beswæren / mit z’erbärmeclîchen mæren, / wan ez den ôren missehaget, / swâ man von klage ze vil gesaget (nun soll und will ich aber nicht eure Ohren mit allzu traurigen Geschichten belästigen, denn es stört die Ohren, wenn man zu viel von Klagen spricht, Tr.1852–56). Die öffentlich verpönte Trauer betrifft, wie deutlich wird, sowohl Frauen wie Männer. Während aber die weibliche Trauer unterdrückt werden muss, um die kurzewîle des Hofes, das heißt der sich mit den Frauen vergnügenden und unterhaltenden Männer nicht zu stören, um die Hochstimmung nicht zu trüben, für die die Frauen nicht unwesentlich zuständig sind, muss der Held seine Trauer verbergen, um nicht für schwach zu gelten und seine Vorbildfunktion zu verlieren.169 So beendet Willehalm seine Trauer um Rennewart, indem er sich sei169 Die Bedeutung der unterdrückten Trauer als Zeichen der Stärke wird auch in den »Disticha Catonis« deutlich, wenn es da heißt: Swer trûren unde swîgen kan, / mit dem nim dich niht krieges an (D.C.501 f.). Zur Tradition der maßvollen Herrscherklage siehe Küsters, Klagefiguren (1991), S. 29 ff.
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ner Aufgabe erinnert: ich muoz gebâren, als ich vrô / sî, des ich leider niht enbin. / ez ist des houbetmannes sin, / daz er genendeclîche lebe / und sîme volke troesten gebe (ich muss so tun, als ob ich froh wäre, was ich leider nicht bin. Es ist des Hauptmanns Verantwortung, dass er tapfer ist und seinen Leuten Zuversicht gibt, Wlh.460,16–20). Deutlich wird diese unterschiedliche Wertung da, wo der Frau eine gewisse Trauer erlaubt ist, dem Mann aber nicht. Nimmt Iwein von Laudine Abschied, ist ihr Schmerz wohl ersichtlich, während er ihn versucht zu verbergen: er hete geweinet benamen, / wan daz er sich muose schamen (er hätte wahrlich geweint, wenn er sich nicht hätte schämen müssen, Iw.2967 f.). Laudines Abschiedsschmerz betrifft den wegziehenden Hof nicht mehr, während Iweins Trauer, als Ausdruck einer Schwäche, ihm in dem Moment, wo er sich der Artusgesellschaft wieder anschließt, nicht geziemt.170 – trügevreude: Die Schwierigkeit, wirkliches Leid aus Höflichkeit zu verbergen, wird gerade da, wo diese Höfischheit ausgezeichnet ist, immer wieder reflektiert. Das heißt die zuht ist in ihrer Ambivalenz dargestellt. Ausführlich geht Hartmann auf diese Problematik ein, als Iwein von den durch Harpin scharf bedrängten Burgbewohnern aufs freundlichste und scheinbar fröhlichste empfangen wird, ze liebe dem gaste (Iw.4404). Die da zur Schau getragene trügevreude und listvreude lässt sich nicht lange aufrechterhalten (Iw.4413–31).171 Dabei wird das Grundproblem höfischer Schweige- und Redevorschriften offengelegt. Einerseits wird das Ideal einer vollkommene Übereinstimmung von Herz und Mund immer wieder beschworen,172 anderseits zielen die
170 Anders Chrétien, bei dem beide weinen: »S’ont mout ploré au conbié prandre« (Chr.2615). Dazu auch Peil, Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975), S. 96 f. Im Gegensatz zu eigenem Leid kann aber fremdes Leid durchaus öffentlich laut beklagt werden. Iwein selber kann noch so verwundet sein, er beklagt nur die Wunden seines Löwen (Iw.5427 f.). 171 Vgl. auch Gyburcs Erklärung, als sie ihre Trauer auf Bitten Heimrichs verbirgt: si sprach: »swenne ir gebietet, / mîn munt sich lachens nietet. / wirt aber hie schimpf von mir getân, / sô muoz doch daz herze jâmer hân.« (Wlh.268,13–16). Im »Wälschen Gast« heißt es: Der lîp wandelt sich nâch dem muot. / des lîbes gebærde uns dicke bescheit, / hât ein man lieb ode leit. (WG , V.912 ff.). Siehe zu dieser Thematik auch Haferland, Höfische Interaktion 1988), S. 214 f. 172 Gern wird die Aufrichtigkeit als Tugend hervorgehoben. Vgl. z. B. in bezug auf Gawein Er.2737. Engelhaftes Ideal – v. a. für Frauen beschworen – ist die vollkommene Übereinstimmung von Gedanke und Rede, von Herz und Mund, bei der keine Zensur nötig ist, da gar keine schlechten Gedanken einfallen. So z.B. die Beschreibung Floraetes (Tr.5238–45). Zur Vorstellung, dass die Engel keine Sprache hätten, keine zeichenhafte Vermittlung zwischen Herz und Verstand,
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Schweigeregeln der Hofzucht gerade auf eine Trennung dieser engen Verbindung, auf Täuschung – nicht durch das gesprochene, sondern das verschwiegene Wort. Die Hofzucht, die jede Art von Affekt von der Oberfläche fernhalten will, stellt sich hier in direkten Gegensatz zu der ethischen und religiösen Forderung. Und die biblisch prominent belegte Idee, dass das Wort direkt mit dem Herz zusammenhänge (Lk 6,45), steht der Forderung einer verschweigenden und verschwiegenen Rede diametral entgegen.173 Es sind zwei konkurrierende Vorstellungen, die sich hier überkreuzen. Die schwierige Argumentation um Keie am Anfang des »Iwein« ist genau von diesem Widerspruch bestimmt. Während Kalogrenant zuerst die letztlich biblische Weisheit zitiert, dass niemands Mund etwas sagt, was ihn nicht das Herz lehrt (Iw.194 f.), um Keies Schlechtigkeit zu betonen, nimmt die Königin in ihrer Schelte zuerst die Trennung von Zunge und Herz an, wie es beim Verschweigen der Fall ist. Nur, dass Keies Verschweigen die höfische Verschweigepraxis genau pervertiert, indem seine Zunge alles Gute verschweigt, um nur das Böse zu sagen (Iw.839 f.). Erst in einem zweiten Schritt, da dann, wo es um das gesprochene Wort geht, verknüpft sie wieder Herz und Zunge. Während das Verschweigen ad malam partem noch der Zunge angelastet werden kann, muss das gesprochene Wort vom Herz kommen und wird dadurch zum Ausdruck der Boshaftigkeit des Herzens (Iw.842–48). Mit dem topischen Bild der Zunge als und somit auch nicht der Täuschung fähig seien, vgl. u.a. Irvine, The Making of Textual Culture (1994), S. 188 f.; Peters, Quellen und Charakter der Paradiesesvorstellungen in der deutschen Dichtung vom 9. bis 12. Jahrhundert (1915), S. 67. Im »Wälschen Gast« heißt es: Zewâre ez stêt unedelîche, / swes rede und herz sint ungelîche, / wande über elliu übel ist / guotiu rede mit bœsem list. / einvaltiu rede, zwivalter muot / die machent übel dunken guot. (WG 2015–20). Vgl. auch die Überlegungen Haferlands zu Verstellung und Selbstkontrolle: Höfische Interaktion (1988), S. 212–215 und S. 263 ff. 173 Naturkundlich ging man davon aus, dass von der Zunge zwei Adern ausgehen, eine zum Herz, eine zum Hirn. Siehe dazu auch oben, S. 51, Anm. 14. Vgl. auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 90 f. Wenn Ruberg aber sagt, dass der Widerspruch zwischen Herz und Mund v. a. zum Motivkanon der Minnedichtung gehöre, »die das vorsätzliche oder das unfreiwillige Schweigen darstellt, das zum ›verliebten Zustand‹ gehört«, klammert er die hier erwähnte, gerade in bezug auf die höfische Erziehungslehre immer wieder reflektierte Schwierigkeit einer Affektbewältigung aus. Gottfried bestimmt die verschiedenen Aufgaben von Herz und Zunge in bezug auf die Rede, indem er dem Herz die Weisheit, der Zunge die Beredsamkeit, die Rhetorik zuschreibt, wenn er sagt, daz zunge nie sô redehaft / noch herze nie sô wîse wart, als dass Petitcriu beschrieben werden könnte (Tr.15818 f.).
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ärgstem Feind dann, wird wieder auf die traditionelle Trennung von Herz und Zunge zurückgegriffen (Iw.850–54). In dieser Verwirrung, die sich gerade im Umgang mit Keie, dem Negativbild höfischer zuht, manifestiert, spiegelt sich das Bewusstsein der Möglichkeit der Täuschung durch ein nicht mit dem Herz übereinstimmendes Reden oder Verschweigen.174 Die religiöse Vorstellung, dass der verschwiegene Gedanke vor der Welt zwar verheimlicht, vor Gott aber offenbar ist, spaltet auch die Verhaltensregeln des Hofes in eine verborgene, verschwiegene Bewusstseins- und Handlungsebene und eine im öffentlichen, höfischen Spiel inszenierte Ordnung. Und es sind nicht zuletzt die Schweigeregeln der höfischen zuht, die diese Grenzen immer wieder nachzeichnen. Gerade durch diese Markierungen, als Hinweis auf die anderen, die verschwiegenen Welten, werden diese dann aber zu einem festen Teil des höfischen Gefüges. Es ist nicht erst Gottfried, der diese doppelte Welt erkennt, auch wenn er es ist, der den sich dazwischen spannenden Raum als erster zum Spielplatz eines ganzen Romans nutzte.175 Kein lauter Zorn Inbegriff der zu überstürzter, unbedachter Rede verleitenden Affekte ist der Zorn.176 in zorn slint den itwis, / lege dem munde einen gebiz (Verschluck die Schmähung im Zorn, leg dem Mund einen Zaum an) heißt es im »Meizoge«.177 Und Ambrosius mahnt: »Möge deinem Mund eine
174 Vgl. auch Er.4629 ff. Zum Zusammenhang dieser enger geknüpften Verbindung von Wort und Herz mit der Fokussierung auf die ›intentio‹ in der Ethikdiskussion und zu der festgeschriebenen traditionellen Bildlichkeit der in der Zunge gefassten und somit verkörperlichten Sprache, siehe Casagrande und Vecchio, I peccati della lingua (1987) und Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985). 175 Siehe zu der Problematik idealisierter Aufrichtigkeit und geforderter Verstellung auch Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 213 f. 176 Die enge Verknüpfung von Zorn und überstürzter Rede begründet sich in Jac 1,19: »sit autem omnis homo velox ad audiendum tardus autem ad loquendum et tardus ad iram.« Vgl. auch die Auslegung von Beda mit den entsprechenden biblischen Querbezügen: Super Divi Jacobi Epistolam, PL 93, Sp. 16C-17B. Swisher bringt die von ihm untersuchten verschiedenen Bedeutungen von ›zorn‹ darin zusammen, dass alle »have at base the sense of controlled or uncontrolled inner conflict that finds its expression in violent behavior directed at the immediate environment.« Swisher, ›zorn‹ in Wolfram’s Parzival (1992), S. 393. 177 Mz.263 f. Und in den »Disticha Catonis« heißt es: liuc niht, und senfte dînen zorn (D.C.103).
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Türe sein, dass sie geschlossen werde, wenn es nötig ist: und sorgfältig verriegelt; damit nicht einer deine Stimme zum Zorne reizt und du Beleidigung mit Beleidigung vergiltst.«178 – Schweigen als Zeichen der Weisheit: Die Fähigkeit, den Zorn zu zügeln, ist Eigenschaft des vorbildlichen Helden. So lässt der arme Heinrich den Wutausbruch des Mädchens still über sich ergehen, tugentlîchen unde wol, / als ein vrumer ritter sol / dem schœner zühte niht gebrast (tugendsam und gut, wie es sich für einen tapferen Ritter gehört, dem die gute Erziehung nicht fehlt, A.H.1339ff.). Und so ist es Zeichen jugendlicher Weisheit, wenn Erec, vom Zwerg geschlagen, wîslîchen sînem zorne kunde entwîchen (weise seinen Zorn fliehen konnte, Er.100f.). Auch Gregorius zeichnet sich dadurch aus, dass er ungebührlichen Zorn mit Sanftmut ertrug (Greg.1243f.). Wird ihm aber im Rahmen einer allgemeinen Charakterisierung seiner vorbildlichen Art topisch diese Eigenschaft zugeschrieben, wird nachher sein Weg der Busse nicht zuletzt auch als Weg zur demütigen Indifferenz beleidigenden Worten gegenüber gezeigt. Denn verlässt er die Insel und den Abt aus Angst vor spot (Greg.1422–31), hört er beim Fischer dann gerne disen spot (Greg.2823) und lässt dessen Schelten mit lachendem muote über sich ergehen (Greg.2815 und 2946). Das topisch idealisierte Bild bricht sich in der Handlung auf und muss im Geschehen selber auf neue Art bestätigt werden.179 Rennewart, zum Küchenjungen erniedrigt, von den Knappen gereizt, erträgt es zuerst – in Erinnerung an die entsprechende Verhaltensregel – klaglos (Wlh.190,1 ff.).180 Als ihm schließlich dann doch der
178 »Sit ori tuo ostium, ut claudatur ubi oportet: et obseretur diligentius; ne quis in iracundiam excitet vocem tuam, et contumeliam rependas contumeliae.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I,iii,13, PL 16, Sp. 27B/C. Ganz ähnlich heißt es im »Meizoge«: lerne swigen unde sprechen, / ubel mit ubel niht rechen. (Mz.281 f.). Biblisches Exempel des grossen schweigenden Dulders ist David, der seinen Gegnern nicht antwortete: »gleichwohl taub und stumm öffnete er ihnen seinen Mund nicht.« »sed irritanti adversario, provocanti peccatori non respondebat. Et, sicut alibi ait (Psal.XXXVII ,13,14), loquentes vanitatem, et cogitantes dolum, non audiebat quasi surdus, et quasi mutus non aperiebat illis os suum.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. x,34, PL 16, Sp. 33C. Vgl. dazu auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 23 und 107 f. 179 Inwiefern sich in diesem neuen Verhalten gegenüber dem Spott eine Steigerung der vorbildlichen höfischen zuht zu religiöser diemuot spiegelt, wäre zu überlegen. 180 Im »Meizoge« heißt es: wider schalkeit erzeige tugent, / daz retet die zuht der jugent. (Mz.177 f.). Und Ambrosius mahnt zu ›modestia‹, ›patientia‹ und ›mansuetudo‹, »ut non ex indignatione et ira in sermonem erumpat, non alicujus passionis in-
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Kragen platzt und er den einen Quälgeist an einer Säule zerschmettert, wird das von dem zuschauenden König gegenüber Willehalm folgendermaßen kommentiert: ez ist im selten ê geschehen, / daz man in vunde in unsiten. […] er begienc nie sölhe ungenuht (es ist ihm vorher noch nie passiert, dass man ihn unanständig gesehen hätte, […] er hat noch nie eine solche Ungebührlichkeit begangen, Wlh.190,26f.;190,30).181 Gerade bei Rennewart wird aber auch deutlich, wie das Interesse der Erzählungen nicht darauf liegt, den durch zuht ausgezeichneten Helden in der konsequenten Einhaltung derselben zu zeigen, sondern seine Größe gerade da zu offenbaren, wo diese zuht durchbrochen wird. Denn Rennewarts Geschichte ist nicht zuletzt die Geschichte des immer wieder zum Ausbruch kommenden gebändigten Zorns, bis hin zur schlachtentscheidenden wortlosen Wüterei (Wlh.323,12–330,25).182 – Duldendes und missachtendes Schweigen: Am Artushof ist es wieder der Truchsess Keie, der selber die Regel bricht, über die er zu wachen hätte, und damit die zuht der andern auf die Probe stellt. Selber erträgt er die Zurechtweisung der Königin nicht und fordert sie auf – ein Affront par excellence –, zu schweigen: vrouwe, es ist genuoc. / ir habt mirs joch ze vil gesaget: / und het irs ein teil verdaget, / das zæme iuwerm namen wol (Herrin, es reicht. Ihr habt es mir nun zu oft gesagt, hättet ihr es teilweise verschwiegen, wäre das Eurer Ehre zuträglicher, Iw.160–63). Dabei verdreht er in der Argumentation die Ordnung und mahnt die Königin: nien brehet iuwer zuht durch mich (verstoßt doch nicht wegen mir gegen den Anstand, Iw.180).183 In der vollkommenen Verzerrung der Regel im Mund des Regelhüters wird sie erst scharf konturiert. Ga-
dicium det in verbis suis, non ardorem libidinis flammare in sermone suo indicet, et inesse dictis suis stimulos iracundiae.« De officiis ministrorum, I, cap. iv,14, PL 16, Sp. 28A. 181 Riwalin – sonst Inbegriff aller Herrschertugenden – fehlt genau diese Fähigkeit: vertragen, daz doch vil manic man / in michelem gewalte kan, / dar an gedâhte er selten (Tr.267 ff.). Und es ist dieser Mangel, der ihm schließlich den Tod bringt: übel mit übele gelten, / kraft erzeigen wider kraft: / dar zuo was er gedanchaft (Tr.270 ff.). 182 Vgl. Wlh.276,11–30; 282,2 ff.; 286,2–24; 289,20–26; 316,26–317,30. 183 Keies verbale Attacke gegen die Königin zitiert in gewisser Weise die verbale Gewalt, wie sie den Helden jeweils von unhöfischen Gegnern entgegengebracht wird: Aufforderung zu Schweigen mit dem impliziten Vorwurf, zu viel zu reden (verba otiosa). Gleichzeitig aber verrät sich Keies Rede durch den klagenden Hinweis, dass die Worte der Königin alze grôze kraft hätten (Iw.166) in ihrer Gebundenheit an den höfischen Kodex. Auch Voss bemerkt, dass Keie »als Gegenbild einer Ordnung (fungiere), auf die er in der Perversion doch bezogen bleibt.« Die Artusepik Hartmanns von Aue (1983), S. 21.
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wein dagegen erweist sich, von Keie als Muttersöhnchen verspottet, als vorbildlicher Ritter, indem er darauf nicht in gleichem Ton antwortet, als wol gezogenem man geschiht, / dem scham versliuzet sînen munt, / daz dem verschamten ist unkunt (wie es einem wohlerzogenen Mann passiert, dem die Scham den Mund verschließt, was der Unverschämte nicht kennt, Parz.299,16 ff.). So wie Ambrosius mahnte: »Und wenn der Diener Schmähreden führt, der Gerechte schweigt; und wenn der Schwache eine Beleidigung äußert, der Gerechte schweigt; und wenn der Arme verleumdet, der Gerechte antwortet nicht.«184 Anders Iwein. Während Gaweins duldendes Schweigen direkter Ausdruck seiner guten Erziehung ist, fällt es Iwein doch etwas schwerer, auf Keies Spott ruhig zu bleiben. Wortreich erklärt er, wie wenig ihm diese Reden ausmachen, flüchtet sich in Ironie, beruft sich auf alle möglichen sentenziösen Weisheiten und beleidigt in deren Schutz Keie doch, nachdem er sich umständlich das Korsett der Verhaltensnorm angelegt hat: »vrouwe, mirn ist niht ungemach swaz mir her Keiî sprichet: […] ouch kan erz mir wol undersagen mit selher vuoge als er ie pflac, die niemen wol gezürnen mac. […] ich wil des iemer sîn ein zage daz ich im sîniu wort vertrage. ouch enhebet er niht den strît der den êrsten slac gît: unz in der ander vertreit, sô ist der strît hin geleit. ichn wil mich mit dem munde niht gelîchen dem hunde, der dâ wider grînen kan, sô in der ander grînet an.« (Iw.856–78)185
184 »Etsi servus convicium dicat, justus tacet; etsi infirmus contumeliam faciat, justus tacet; etsi pauper criminetur, justus non respondet.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. v,20, PL 16, Sp. 29C. 185 Der Vergleich des Redens mit dem Bellen eines Hundes ist beliebt und hat seine gute und schlechte Lesart. Ad malam partem heißt es z.B. bei Wernher von Elmendorf mit Bezug auf Juvenal: er spricht, daz an dem schalke nicht ergeris si / dan di zunge an sinem munde. / der gelichet cleinem bellenden hunde. Wernher von Elmendorf (1974), V.1058 ff. Ad bonam partem kennt die Predigtliteratur den Vergleich, wenn der Prediger, mit Verweis auf Jes 56,10 mit dem Schäferhund verglichen wird, dessen Bellen die Wölfe vertreiben muss. Z.B. Gregorius Magnus,
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(Herrin, mir ist nicht unangenehm, was Herr Keie mir sagt: […] auch kann er mich durchaus tadeln, mit dem Anstand, den er schon immer bewiesen hat, dem niemand böse sein kann. […] darin werde ich immer ein Feigling sein, dass ich ihm seine Reden nachsehe. Auch beginnt nicht der den Streit, der den ersten Schlag führt: solange ihn der andere erträgt, ist der Streit hinfällig. Ich will nicht mit dem Mund einem Hund vergleichbar werden, der zurückknurrt, wenn ihn ein anderer anknurrt.)
Wie brüchig diese Ruhe ist, zeigt sich dann später bei der Quelle, wenn ihn der Gedanke an Keies Spott, von dem Iwein bis da nicht losgekommen ist (Iw.1062–71), letztlich zur Ermordung Askalons antreibt. Ambrosius unterscheidet diese zwei Arten der Duldsamkeit sehr genau: »Besser ist also derjenige, der eine Beleidigung missachtet, als wer sie duldet; wer nämlich missachtet, spürt gleichsam nicht, verachtet also; wer aber duldet, spürt gleichsam, wird gequält.«186 Es ist nicht immer nur die höfische Erziehung, die den Zorn mäßigt, sondern es gibt Situationen, in denen nicht ganz klar ist, ob nicht ein affektiver Bezug der Grund für Duldsamkeit ist. Als sich Gyburcs Sohn Ehmereiz und Willehalm auf dem Schlachtfeld begegnen, beruft sich Ehmereiz, voller Hass gegen seine Mutter, auf die zuht, die ihm die Zunge binde (Wlh.75,15 ff.), während Willehalm ohne diesen Rekurs alle Schmähungen des andern erträgt: gein sîner rede er ouch niht sprach: / swes er von Gîburge jach, / daz wart im einen gar vertragen (er erwiderte seine Wort nicht: was immer er von Gyburc sagte, wurde ihm allein verziehen, Wlh.75,27 ff.). Und nachdem sich Willehalm in seinem Zorn vor dem König vergessen und die Königin tätlich angegriffen hatte, verstummt er, als die Tochter des Königs, Alyze, zur Vermittlung hereinkommt: dône moht er / sîne zuht nimmer zebrechen: / swaz er zornes kunde sprechen, / der wart vil gar durh si verswigen (da wollte er den Anstand nicht mehr verletzen: was immer er aus Zorn hätte sagen können, wurde um ihretwillen verschwiegen, Wlh.154,2–5). Sie hält ihm den Spiegel vor, in dem er die Differenz seines Verhaltens zum Ideal erkennt (Wlh.157,5–30) und bittet ihn, im Namen der Frauen, den Zorn
Regulae pastoralis liber, cap.IV, PL 77, Sp. 30B; Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap.LXII , PL 205, Sp. 189B. 186 »Melior est itaque qui contemnit injuriam, quam qui dolet; qui enim contemnit, quasi non sentiat, ita despicit: qui autem dolet, quasi senserit, torquetur.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I,vi,22, PL 16, Sp. 30B. Zur Diskussion der Forschung zu der Verfolgung Askalons durch Iwein siehe Voss, Die Artusepik Hartmanns von Aue (1983), S. 193ff., Anm. 38. Er selber wertet Iweins Reaktion als »rationale Erwägung der sozialen Konsequenzen versäumter Beweissicherung.« (S. 31f.).
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zu lassen.187 Im Namen dieser Frauen, die nicht nur als »zivilisierendes« Element beschworen, sondern in ihrer duldenden Demut auch immer wieder zur Ikone stilisiert werden. Allen voran Enite, die Erecs Zorn und Strafe ohne Widerspruch erleidet. Mehr noch: sie verkehrt den Kummer in ihrem Herzen in Liebe: diu vrouwe grôzen kumber leit, / wan daz si ze liebe ir leit / in ir herzen verkêrte, / als si ir diemuot lêrte (die Herrin litt großen Kummer, doch verkehrte sie in ihrem Herzen ihr Leid in Liebe, wie es sie ihre Demut lehrte, Er.3450–53). Kein Fluchen, Lästern, Spotten – Schweigen als Mittel gegen Versündigung und Streit: Trevrizent ermahnt Parzival, der gegen Gott zürnt: sît rede und werke niht sô frî: wan der sîn leit sô richet daz er unkiusche sprichet, von des lône tuon i’u kunt, in urteilt sîn selbes munt. (Parz.465,14–18). (Seid in Wort und Tat nicht so lose: denn wer sein Leid dadurch rächt, dass er unreine Worte spricht, von dessen Lohn sage ich euch: den verurteilt sein eigener Mund.)
Eine Ermahnung, die sich in weltlicher wie geistlicher Didaxe als fester Topos findet. Denn weder Gott noch der andere Mensch sollen mit Worten erniedrigt werden. Im »Winsbecke« sagt der Vater zum Sohn: sun, dû solt kiuscher worte sîn (Sohn, du sollst reine Worte haben, Wb.39,1), und im »Meizoge« wird der Vater in bezug auf den Sohn erinnert: wer im lugen, schelten und vluchen (verwehr ihm lügen, schelten und fluchen, Mz.117). Liederliche und spöttische Worte sind zu meiden.188 Dabei geht es nicht um die vollkommene Auflösung der Rede in ständiges Gotteslob, wie das als asketisches, fast schon mystisches Ideal des Mönches beschrieben wird,189 sondern die Vorschriften zielen auf die Bewäl187 In seinem vielbesprochenen Erzählereinschub spielt Wolfram halb ironisierend auf die höfische Forderung, den Zorn zu mässigen, an, indem er gegenüber einer bestimmten Frau gerade an diesem Zorn festhalten will (Parz.114,5–18). 188 unde sag niht schalkhaft mere, / kein schelklich lit / daz ensolt du lernen niht. (Mz.22 ff.). In den »Disticha Catonis« heißt es: spotte niemens von ihte […] unde wis niht vlüeche vol (D.C.91 und 100). 189 »Sed volo instruere linguam tuam bene loqui. vis bene loqui? Da ei moderatum motum: pretiosa enim lingua non novit nisi verba divina semper construere. O quam sanctum est os, unde semper coelestia erumpunt eloquia. O monache, considera te redditurum rationem de omni verbo otioso, et tanto magis, quanto minus mundo es obligatus. Non enim in foro, sed in cella habitare debes.« Ps.-
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tigung gesellschaftlicher Probleme. Es geht darum, nicht durch das Wort Streit zu entfachen. Zur Abschreckung beschreibt Ambrosius, wie das verletzende und reizende Wort, als sündhafte Rede, einen selber fängt: »Der Fangstrick des Feindes ist unsere Rede: aber nicht weniger auch unser Feind. Wir sprechen meist, weil unser Feind reizt, und werden gleichsam durch unser Schwert verwundet. Wie viel erträglicher ist es, durch ein fremdes Schwert als durch das unsere unterzugehen!«190 So konstatiert auch die Königin im Blick auf Keies spöttische Zunge: ich wil iu daz zewâre sagen, / dem ir den vater hetet erslagen, / dern vlizze sich des niht mêre / wie er iu alle iuwer êre / benæme, danne sî dâ tuot (das sage ich euch wahrlich: wem ihr den Vater erschlagen hättet, der würde nicht eifriger sich bemühen, Euch aller Ehren zu berauben, als sie es tut, Iw.849–53). Folgerichtig wird Keie jeweils von den Bespotteten besiegt, sei dies Iwein, sei dies Erec, sei dies Parzival. Als Gawein ihn aber darauf hinweist, dass ein Ritter über einen andern nur gut denken und reden sollte (Iw.2514 ff.), beruft sich Keie darauf, dass ohne beurteilende Besprechung kein ethisches Handeln möglich sei, dass es erst das Wort sei, das gut und schlecht wirksam mache: alsô gerne mac ein man / übel tuon alsô wol, / sît ez nieman reden sol (ebensogut kann ein Mann Böses wie Gutes tun, solange keiner da ist, der es bereden wird, Iw.2524 ff.). Damit zielt er aber genau auf das Problem, das die höfische, durch das Wort konstruierte ideale Welt durchzieht: die Realisierung im Wort als Vergegenwärtigung und Präsentierung eines Geschehens, das ohne die Versprachlichung nicht wahrgenommen würde.191 Und er wird dadurch zum Stachel, der die glatte, durch die zuht polierte Oberfläche des höfischen Verhaltens ritzt und so auf die latente, nicht zuletzt im Verschweigen gebannte schwierige Gegenwelt der verpönten Affekte hin durchsichtig macht. Spott und Schmähung sind Ausdruck von sündigem Hochmut. Hat ein vorbildlicher Held einen unhöfischen Gegner zu bestehen, eröffnet
Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios III , De Silentio, PL 40, Sp. 1239. 190 »Laqueus adversarii est sermo noster: sed etiam ipse non minus adversarius nobis. Loquimur plerumque quod excipiat inimicus, et quasi nostro gladio nos vulneret. Quanto tolerabilius est alieno gladio, quam nostro perire!« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. iv,15, PL 16, Sp. 28B. 191 Vgl. dazu die Problematik der âventiure, die erst bestanden ist, wenn sie erzählt wird. Ich bin mir deshalb nicht sicher, ob das Spottverbot darauf zu reduzieren ist, dass in der Scham eines Ritters schon »die Öffentlichkeit sich ausdrückt« und so Schande nicht nochmals ausgedrückt werden muss, wie Haferland meint: Höfische Interaktion (1988), S. 84.
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sich der Kampf regelmäßig durch eine maßlose Verspottung des Helden.192 Für den höfischen Ritter gehört sich Spott als Angriff auf den Nächsten nicht, ist er doch, als Defizienz der Verstandeskontrolle, Zeichen von Dummheit. Als der Vater von Enite Erecs Heiratsantrag für Spott hält, errötet dieser über den Verdacht vor Scham (Er.557–65). Und Parzival, der Lehre Trevrizents eingedenk (Parz.502,4 f.), verteidigt sich gegen den Vorwurf Orgeluses, sie verspottet zu haben: sô wîse erkenne ich mînen lîp: / der mîdet spottes elliu wîp (so klug bin ich denn doch, dass ich Spott gegen Frauen vermeide, Parz.697,23f.).193 Schadet das unrechtmäßige Verspotten den Männern und ist sehr direktes Zeichen ihrer moralischen und ethischen Minderwertigkeit,194 werden die spottenden Frauen zur Prüfung der Männer, ohne aber dass sie deshalb êre einbüßten. Anders als die Gegner der Helden, die durch Spottreden êre und hövescheit verlieren, werden die Frauen vielleicht zurechtgewiesen, verlieren aber nicht an Ansehen – auch wenn sie sich schließlich entschuldigen müssen. So Obie, die Meljanz und Gawein durch ihre scharfe Zunge hart auf die Probe stellt, so aber auch Orgeluse, die Gawein quält. Wobei dieser zwar den Spott als Spott der Geliebten genießt (Parz.531,19 ff.), sie dann aber doch fürsorglich auf die Gefahr hinweist, in die sie sich durch dieses Reden begibt: swaz ir spottes hât gein mir getân, dâ mite ir sünde enpfâhet, ob ir mîn dienst smâhet. solte ich dienstes geniezen, iuch möhte spotes verdriezen. ob ez mir nimmer wurde leit, ez crenket doch iuwer werdekeit. (Parz.524,2–8) (was immer ihr mir gegenüber an Spott geäußert habt, ihr versündigt Euch, wenn ihr meinen Dienst verschmäht. Würde ich für den Dienst belohnt, verginge Euch der Spott. Auch wenn es mir nie Kummer bereiten wird, schwächt es doch euer Ansehen.)
192 Vgl.u. a. Iders Verspottung des jungen Erec (Er.708–65); Morgans Beleidigung Tristans (Tr.5390–5452). Erec weist den Grafen, der ihn beschimpft auf seine Verfehlung hin: ir enthövescht iuch […] an mir harte sêre. / von wem habet ir die lêre / daz ir scheltet einen man / der ie ritters namen gewan? / ir sît an swachem hove erzogen (Er.4194–202). 193 Entsprechend wird Willehalm, der sich seiner Schwester gegenüber vergisst, scharf kritisiert: an sînem manlîchem sinne / was doch diu kiusche zuht betrogen. / ê wart nie rîter baz gezogen / und âne valsch sô kurtois (Wlh.153,14–17). 194 Keie bildet hier die immer wieder irritierende Ausnahme.
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Sowohl bei Obie wie bei Orgeluse wird der Grund für ihr Verhalten fast schon psychologisierend in überwältigenden Affekten erklärt.195 – Unterlassener Tadel: Ist spöttisches und aggressives Reden zu vermeiden, gilt dies nicht für den berechtigten Tadel. In der theologischen Literatur wird immer wieder die Verpflichtung hervorgehoben, den Nächsten zu korrigieren, seine Fehler zu benennen und dadurch heilbar zu machen. So zählt Petrus Cantor die unterlassene Zurechtweisung zu den vier Arten des schlechten Schweigens: »Es wird auch schlecht geschwiegen bei der Zurechtweisung des Nächsten, wenn du einen Fehler des Nächsten siehst.«196 Und in dem belehrenden Reimgedicht »Vom Rehte« heißt es: wan swelhir den gewalt hat / unde er daz unrehte begat / unde erz ubir einen anderen dolot, / da mit hat verscholot / den ewigen lip, / ez si man oder wip (Denn wer die Macht innehat und ein Unrecht begeht oder es bei einem anderen erduldet, hat sich das ewige Leben verwirkt, es sei Mann oder Frau, 54–59). Wer zu einer Verfehlung schweigt, entlarvt sich in seiner Unhöfischheit genauso wie der Spötter. So wundert sich der junge Erec darüber, dass Iders seinen Zwerg nicht zurechtweist, als dieser die von der Königin zur Erkundung gesandte Jungfrau mit der Peitsche schlägt und schließt daraus, dass mit diesem Ritter etwas nicht stimmt (Er.66–69).197 Wenn aber Oringles von seinen Hofleuten dafür kritisiert wird, dass er Enite schlägt, verweist er ihnen ihre Kritik und lässt sie so verstummen: dâ mite gesweicte er si alle (Er.6549). Dadurch pervertiert er den im höfischen Kontext regelkonformen, ja sogar notwendigen Verweis zum Regelverstoß, schließt ihn durch das Schweigegebot aus seinem Machtbereich aus und verrät so dessen unhöfisches Gesetz. Die Aufforderung zu Schweigen wird da zum Ausdruck roher Gewalt: das Geschweigen ist Mittel unkontrollierter Macht gegenüber einer Rede, in der sich höfische Ordnung spiegelt.
195 Es mag sein, dass hier die der Frau topisch zugeschriebene Streit- und Spottsucht, wie sie später immer wieder thematisiert wurde, mildernd in Rechnung gestellt wird. Die Texte selber geben aber keine Deutungshinweise in dieser Richtung. 196 Petrus Cantorus, Verbum abbreviatum, cap. lxii, PL 205, Sp. 191D. Vgl. dazu auch Schönbach, Altdeutsche Predigten I, S. 252, Z.2–15. 197 Vgl. auch Ither, der spöttisch auf die Trägheit der Artusritter hinweist, von denen keiner seine Ungeschicklichkeit der Königin gegenüber ahndete (Parz.147,1–4).
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Keine üble Nachrede – Schweigen als Schutz der Unschuld: Als heimlicher Spott wird immer wieder die Verleumdung streng verurteilt und vor ihr gewarnt: Sun, merke rehte, wie der rot daz îsen viulet und den stâl: alsô tuot unbescheiden spot des mannes herze sunder twâl. ez ist ein sældenvlühtic mâl und slîchet umbe und umbe entwer von dem ze dem alsam ein swal. sun, dâ soltû dich hüeten vor: dû maht niht sanfte von im komen, ob er dich bringet in sîn spor. (Wb 27) (Sohn, schau, wie der Rost das Eisen und den Stahl zerfrisst, so macht es unverzüglich üble Nachrede mit dem Herz eines Mannes. Es ist ein heilfliehendes Zeichen und gleitet kreuz und quer, von einem zum anderen, wie eine Schwalbe. Sohn, hüte dich davor: du kommst nicht leicht davon los, wenn sie dich auf ihre Spur bringt.)
Dabei steckt die Gefahr genauso im Verleumden wie im Hinhören. »Und da es eine große Gefahr ist, unter Verleumdern zu wohnen, sind solche auszuschließen, damit die andern nicht durch sie verderbt werden.«198 Marke, der den Einflüsterungen Marjodos zuhört, trägt nachher dieses Wissen leitlîchen unde swâre (leidvoll und drückend, Tr.13665) in seinem Sinn.199 Marjodo aber verstösst mit seiner Verleumdung der Liebenden gegen den Anstand und begeht, von Hass und Schmerz angestachelt, die grôze unhövescheit, / daz er ir dinc lûtbærete / und ez al dâ ver-
198 »Et quia grande periculum est, inter murmuratores habitare; ideo expellendi sunt tales, ne caeteri corrumpantur per eos.« Ps.-Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios, XXVI , De murmuratione […], PL 40, Sp. 1279. Das Gerücht und die Nachrede werden mit Lepra verglichen: »Nam sicut lepra proprium corpus devorat, et sibi adhaerentes inficit; sic et murmurator non solum se ipsum destruit, sed etiam cunctos audientes occidit.« Ebd., PL 40, Sp. 1277. So wird denn auch in der weltlichen Lehre gemahnt: »Swa diu luge in dem dorfe gat, / da ze dem vrumen si bestat. / wil er minnen daz reht, / er heizzet swigen sinen chneht, / er heizzet swigen diniu chint / unde alle die undir im sint, / er heizzet < swig >en sin wip / unde gebiutet ir an den lip, / daz ez verror nine chome, / daz ez iemen verneme.« (vom rehte 267–276). 199 Im »Winsbecke« heißt es: die bœsiu mære dir zôren tragen, / von in dîn stætez herze brich: / wiltû dîn ôre, als maneger tuot, / den velschelæren bieten dar, / sô wirstû selten wol gemuot. (Wb 23,6–10).
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mærete (die große Unanständigkeit, dass er ihre Sache ausplauderte und es überall herumerzählte, Tr.13614 ff.). Wird das rûnen der Hofleute gegen Tristan, dann auch Tristan und Isolde, immer mit niedrigen Affekten verbunden, sei dies Neid, Eifersucht, Missgunst,200 verteidigt sich Isolde vor dem Gericht mit dem Hinweis auf ihre Hilflosigkeit böser Nachrede gegenüber, die den Unschuldigsten verfolgen kann und folgert: von danne enwundert mich es niht, ob mir der rede ouch nôt geschiht; i’ne möhte niemer sîn verswigen, i’ne müese werden bezigen unfuoge und missewende, dur daz ich bin ellende. (Tr.15493–98) (Von daher wundert es mich nicht, wenn auch ich das Opfer übler Nachrede bin: ich kann nicht unberedet bleiben, ich muss der Unanständigkeit und der Verfehlung bezichtigt werden, weil ich fremd bin.)
Üble Nachrede ist per se lasterhaft201 – die Verleumdete kann sich deshalb die Aura der Unschuld zulegen. Während der Hof Markes gezeichnet ist durch das Gerücht, ist der Artushof in seinem Innern frei von böser Nachrede. Keie, die Ausnahme, reklamiert zwar das vorbildlich höfische Verhalten gegenüber 200 Vgl. auch: Tr.10795 ff.; Tr.9675 ff. Bei Hugo von Trimberg heißt es: Metter, hazzer, nîder / Sint des tiufels snîder, / Die valscheit niht vermîdent / Und mit der zungen snîdent / Wirs denne kein scharchsach ie gesneit. Swelch herze nîtgallen in im treit, / Dem ist alliu tugent leit, / Kunst, zuht, triuwe und wirdikeit. (Renner 1115–22). Im »Meizoge« aber wird gemahnt: wene wenich, wizze vil; / sage das beste, das boese hil. (Mz.241 f.). Halb spielerisch beruft sich Gottfried in bezug auf die Heimreise von Tristan und Isolde nach deren Entführung auf das Unziemliche des reinen Wähnens: ob si under wegen under in iender ze fröuden kæmen, / ruow’ in den bluomen næmen, / daz wil ich âne wænen lân: / ich sol wænen unde wân / mînenthalben legen nider. (Tr.13436–41). 201 Bei Ps.-Augustinus heißt es: »Ideo, fratres, attendite, ut non murmuratores vel loquaces sitis, sed veraces: quia in superfluo eloquio peccatum deesse non poterit, nec omnino veritas adesse. O quam grande periculum est, non solum dicere falsa; sed et vera praedicare poenosum et dubium est! Loquaces denique laudare non audeo: sed taceates beatos praedicare praesumo. […] Deponite murmura, claudite infra dentes linguam, ponite custodiam ori vestro, et silete; non solum a malis, sed etiam quandoque a bonis silere, laudabile est.« Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios, XXVI , De murmuratione […], PL 40, Sp. 1277 f.; Sp. 1279. Und Bernhard von Clairvaux sieht in der Verleumdung die schlimmste Zungensünde: De praecepto et dispensatione (1990), VIII ,17. (SW, Bd. 1, S. 371 f.).
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dem andern für sich: ich prîs in swâ er rehte tuot, / und verswîge sîn laster: daz ist guot (ich lobe ihn, wo er richtig handelt und verschweige seine Fehler, das ist gut, Iw.2493 f.), hält sich damit aber einen Zerrspiegel vor, der die andern eher amüsiert (Iw.2504–8).202 Der Hof als ganzes jedoch fürchtet sich fast schon pathologisch vor übler Nachrede und kommt genau wegen dieser Furcht in Bedrängnis: Als Artus einem fremden Ritter eine ungenannte Bitte verweigert, fürchtet die Artusrunde um ihren guten Ruf (Iw.4575–78) und zwingt den König, auf die Bitte einzugehen – worauf er seine Frau verliert. Präsentiert sich der Artushof als intakte Gesellschaft, die noch nicht von der Lepra der Intrige angesteckt ist, geht die Zersetzung am Hof Markes so weit, dass Marke selbst seine Augenzeugenschaft hinter fremdem Reden, hinter vagen Gerüchten, die er gehört haben will, verbirgt.203 Weder die Artus- noch die Gralswelt sind in dieser Art im Kern geschwächt. Das Wort des Artushofes hat sein Zentrum im König, genauso ist die Gralsburg Zentrum ihrer Erzählungen. Nicht so an Markes Hof, der nur Ort fremden Spiels ist, leeres Papier, auf dem fremde Geschichten erzählt werden. Insofern ist Markes Interpretation seines eigenen Sehens als Hören fremder Mären genauester Ausdruck seiner Existenz, die nicht mehr in sich selber gesichert ist, sondern nur noch in fremden Geschichten lebt.204
diemuot: Geste der Unterwerfung Die Klosterregeln weisen immer wieder auf das dem Novizen zustehende Schweigen hin als Ausdruck der Demut, die sich im Hören auf die Lehrer, seien das die Oberen, seien das die heiligen Schriften, manifestiert. Das Schweigen ist die Haltung, die dem Unwissenden zusteht und ihn vor Fehlern bewahrt. Das sechste Kapitel der Benediktus-Regel, »Von der Schweigsamkeit« (De taciturnitate), handelt 202 Vgl. auch: Du solt verswîgen tac unt naht / dînes vriundes laster, swâ du maht (D.C.345 f.). 203 Tr.15286 ff., Tr.15330 ff., Tr.15458–62, Tr.18238 ff. Zur Metaphorik der Lepra für Intrige und Verleumdung siehe Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985), S. 650. 204 Die Zeitklage bei Hugo von Trimberg liest sich fast wie eine Illustration dieser zwei Hofdarstellungen: Dô edeln herren bescheidenheit / An worten, an werken reinikeit / Lieber was denne golt mit sîden, / Seht, dô muosten ofte mîden / Schelke und bœse râtgeben / Der herren hof: nu ist daz leben / In ihren höfen gar verkêrt, / Daz selten ieman dâ von wirt geêrt / Der niht siben zungen hât. (Renner, 1099–1106).
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ausschließlich von diesem schützenden Schweigen der Demut, das dem Schüler auferlegt werden soll: »Denn Reden und Lehren kommen dem Meister zu, Schweigen und Hören dem Jünger.«205 Begründet wird dies in der Gefahr der Versündigung durch die Zunge mit dem in diesem Kontext beliebten Verweis auf Spr 18,21: »Tod und Leben stehen in der Macht der Zunge.«206 Das Schweigen des Unerfahrenen ist aber nicht nur Schutz, sondern ganz deutlich auch als Demütigung und Unterordnung gedacht. Demut und Selbsterniedrigung sollen denn auch jedes Wort prägen, das aus diesem Schweigen hervorkommt: »Muss man den Oberen um etwas bitten, soll es in aller Demut und ehrfürchtiger Unterordnung erbeten werden.«207 Jedes Wort, das dieser gebeugten Haltung widerspricht, ist grundsätzlich verboten. Dazu gehören alle überflüssigen, geschwätzigen Reden (verba otiosa), aber auch alles, was zum offenen Lachen reizt. »Wir gestatten nicht, dass der Jünger zu solchem Gerede den Mund öffne.«208 So erstaunt es nicht, wenn die letzten vier Sprossen der zwölfsprossigen benediktinischen Demutsleiter die Beherrschung der Sprach- und Körpergestik betreffen: Nur gefragt soll man Antwort geben, das Lachen ist zu vermeiden, das Reden soll ohne Lachen, ruhig, in wenigen Worten und vernünftig passieren und schließlich soll der ganze Körper, durch gebeugte Haltung und zu Boden gerichtetem Blick, zu einer ständigen Demutsgeste werden.209 Das Schweigen wird hier zu einem der äußeren Zeichen von Gehorsam und Demut. Als Mittel der Demut und Subordination darf das Schweigen aber nicht zur Nische werden, in die sich der Novize zurückziehen kann. Diese Gefahr ist bedacht und auch in der Regel nachhaltig gebannt: Jeder schlechte Gedanke und jede noch so kleine Sünde muss in der Beichte ausgesprochen werden. Jede kleinste Verunreinigung muss ausgespuckt, muss, artikuliert und Wort geworden, aus dem Körper hinausgeworfen werden, um so Wortzeichen der Demut zu sein. Das Schweigen als Kleid der demütigen Unterwerfung ist kein Ort von Geheimnissen. »Die fünfte Stufe der Demut: Der Mönch bekennt demütig seinem Abt alle bösen Gedanken, die sich in sein Herz schlei-
205 »Nam loqui et docere magistrum condecet, tacere et audire discipulum convenit.« Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), S. 98. 206 »Mors et vita in manibus linguae.« Ebd., S. 98. 207 »Et ideo si qua requirenda sunt a priore, cum omni humilitate et subiectione reverentiae requirantur.« Ebd., S. 98. 208 »ad talia eloquia discipulum aperire os non permittimus.« Ebd., S. 98. 209 Vgl. die siebte Regel. Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), S. 110–114.
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chen, und das Böse, das er im Geheimen begangen hat, und er verbirgt nichts.«210 Das Schweigen soll also kein Verschweigen sein, sondern Mittel der Selbstkontrolle und Geste der Unterwerfung. Überall da, wo es zum Versteck wird, muss es durch das Wort aufgebrochen werden, um Ort der Ordnung zu bleiben. Zuhören – Schweigen als Mittel der Lehre: Die Erziehungslehre, ob weltlich oder geistlich, ist geprägt von der Idee des propädeutischen Schweigens, einer Art Zwischenphase zwischen der unverständigen Sprachlosigkeit des Kleinkindes und der verständigen Rede des Erwachsenen. Die Unterordnung des Jüngeren unter den Rat der Alten, das Schweigen des Schülers vor dem Wort des Lehrers ist im Kloster wie am Hof verlangt.211 Wenn Ambrosius mit Bezug auf Deut 6,3 (»Audi, Israel, Dominum Deum tuum«) mahnt: »Schweige also zuerst, und höre, damit du nicht sündigst mit deiner Zunge«,212 wird im »Meizoge« geraten: hore gerne der wisen rat: / so midest du sunde und missetat (höre begierig den Rat der Weisen, so vermeidest du Sünde und Verfehlung, Mz 37 f.). Dabei wird die unterwerfende Geste des schweigenden Zuhörens immer von der sozial schwächeren Gruppe verlangt, seien das die Jungen, die Frauen,213 die Dummen. Was in der Klosterregel als 210 »Quintus humilitatis gradus est, si omnes cogitationes malas cordi suo advenientes vel mala a se absconse conmissa per humilem confessionem abbatem non celaverit suum.« Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), S. 108. Im vierten Kapitel heißt es mit einem Bild, das die ganze Kraft, die ein solches Aussprechen fordern kann, vor Augen stellt: »Böse Gedanken, die sich in unser Herz einschleichen, sofort an Christus zerschmettern und dem geistlichen Vater eröffnen.« Ebd., S. 90. 211 Dazu gehört auch das dezente Reden, wenn nicht Schweigen vor dem König. Als Kingrimursel und Liddamus vor Vergulaht streiten, weist der sie darauf hin, dass sie sich vor ihm zu mässigen hätten: »swîget iwerr wehselmære. / ez ist mir von iu bêden swære, / daz ir der worte sît sô vrî. / ich pin iu alze nâhen bî / ze sus getânem gebrehte: / ez stêt mir noch iu niht rehte.« (Parz.422,3–8). 212 »Tace ergo prius, et audi, ut non delinquas in lingua tua.« Ambrosius, De officiis ministrorum, I, cap. 2, PL 16, Sp. 26A. 213 Auf die geschlechtsspezifische Hierarchie spielt der Truchsesse an, als er der Königin Isolde das Wort entziehen will, die gegen ihn am Gericht auftritt, wie sie es zuvor mit dem König abgesprochen hatte (Tr.9755–58): »ei«, sprach der truhsæze dô / »frouw’, ir tuot übel, wie redet ir sô? / mîn hêrre, der, der ez enden sol, / der kan doch selbe sprechen wol: / der spreche unde antwürte mir.« (Tr.9829–33). Der Versuch, der Königin das Wort zu versagen, scheitert aber an der Vollmacht, die sie vom König erhalten hat. Was in Irland vor sich geht, ist nicht Sache des Königs, son-
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Ausdruck des demütigen Gehorsams thematisiert ist, findet sich mit diesem Anspruch genauso in der weltlichen Gesellschaft. Die Methode des Pythagoras, der nach der verbreiteten Meinung seine Schüler zuerst jahrelang schweigen ließ, bevor sie ein Wort sagen durften, ist beliebtes Exempel für das konzentrierte Hören, das schließlich zu einem qualifizierten Sprechen führt. So schreibt zum Beispiel Beda in seinem Kommentar zu Jac 1,19: »So haben die Pythagoräer, beschäftigt mit der Lehre der Naturwissenschaften, ihren Hörern für fünf Jahre befohlen zu schweigen und erst dann erlaubt zu lehren. Denn sicherer ist die Wahrheit zu hören als zu lehren. Denn wenn gehört wird, wird die Demut bewahrt.«214 In auffallendem Kontrast zu der vom Kind erwarteten demütigen und pädagogischen Schweigsamkeit steht die Geschwätzigkeit des Mädchens im »Armen Heinrich«. Als es die Rede auf das Leiden ihres Herrn bringt, wird es von seinen Eltern mit dem Hinweis auf die Nutzlosigkeit seiner Worte zum Schweigen gebracht: liebez kint, dâ von gedage (liebes Kind, schweig davon, A.H.502). So oft auch die Eltern aber meinen, das Mädchen zum Schweigen gebracht zu haben (A.H.509, 555), beginnt es insistierend wieder zu klagen, bis es schließlich seine Absicht deutlich formuliert (A.H.558–64). Da nun aber wird nicht mehr einfach Schweigen angemahnt, sondern das Mädchen auf sein Kindsein reduziert, das heißt die deutlich formulierte Rede als Ausdruck von Unverstand gekennzeichnet (A.H.568–84) und das Schweigen nun sehr viel drohender geboten: tuo zuo dînen munt: / und wirstû
dern Sache der Frauen. Das räumlich ausgeklammerte Wort ist es, das verschwiegen wirkt und schließlich, zur richtigen Zeit, öffentlich ausgesprochen wird. Die Reaktion des Truchsessen ist in ihrem Spott entlarvend. Denn selbst die Erteilung der Wortgewalt des Königs an seine Frau erfolgt, indem er ihre eigenen Worte zitiert (Tr.9755–58; 9835). 214 »Hinc Pythagorici, naturalis scientiae magisterio praediti, auditores suos per quinquennium jubent silere, et sic demum permittunt praedicare. Nam tutius est ut veritas audiatur quam praedicatur. Quoniam cum auditur, humilitas custoditur.« Beda Venerabilis, Super Divi Jacobi Epistolam, PL 93, Sp. 16B. Wird das pythagoräische Schweigen aber einerseits als Vorbild zitiert, kann dieses absolute Schweigen der Pythagoräer auch relativierend dem gemässigten des David gegenübergestellt werden. Interessant ist, dass in der volkssprachlichen Didaxe das propädeutische Schweigen von Pythagoras erst im Spätmittelalter exemplarisch zitiert wird. Siehe dazu genauer Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 96–99. Zur Tradition des Schülerschweigens siehe Oblinger, Schweigen und Stille in der Erziehung (1968). Der mittelalterlichen weltlichen Erziehung widmet er jedoch nur gerade eine Seite.
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vür dise stunt / der rede iemer mêre lût, / ez gât dir ûf dîne hût (mach deinen Mund zu: und wenn du ab jetzt diese Reden nochmals vorbringst, gibt es Schläge, A.H.585–8). Die Worte des Mädchens bedrohen die geordnete Welt der Eltern und müssen deshalb von diesen ausgeklammert und marginalisiert werden. Dass das nicht gelingt, dass das kindliche Reden das resignative Schweigen der Eltern besiegt, ist Ausdruck einer Umkehr der Ordnung im Zeichen des Glaubens (A.H.855–64). Das Schweigegebot wird zum Ausdruck resignativer Gottesergebung, der die gläubige Geschwätzigkeit des Mädchens schließlich widersteht. Eine verkehrte Welt, die aber nur im legendären Wunder so möglich ist und gerade durch ihre Verdrehung die Regel verdeutlicht. – Richtiges Fragen: Wird vom Schüler das schweigende Zuhören verlangt, ist ihm aber doch das gezielte, richtige Fragen erlaubt. In den »Disticha Catonis« heißt es: Von den gelêrten du lerne, die ungelêrten lêre gerne: swaz dir sî unkunt, des soltu vrâgen zaller stunt. vrâge gerne unde lêre, so gewinnestu guot und êre. (D.C.531–36) (Lerne von den Gelehrten, lehre gern die Ungelehrten. Was immer du nicht kennst, stell dazu jederzeit Fragen. Frag und lehre gerne, so gewinnst du Gut und Ehre.)
So lässt sich denn das Kind Gregorius, vorbildlicher Schüler, nicht verdrießen alles zu fragen, was gut zu wissen ist (Greg.1169–72). Die Absolutheit des Schülerschweigens ist hier deutlich auf das richtige Fragen hin gebrochen.215 Und es ist dieses Fragen, das Gregorius zum Ideal des ›puer senex‹ macht, der jâr ein kint, der witze ein man (den Jahren nach ein Kind, dem Verstand nach ein Mann, Greg.1180). Ähnlich bricht Tristan das stumme Zuhören dem Meister gegenüber, als der Harfner an Markes Hof aufspielt. Die Situation ist durchaus klassisch inszeniert, der Knabe sitzt dem Meister zu Füssen und hört
215 Es wäre zu fragen, ob diese Öffnung des pythagoräischen Erziehungsmusters auf das gute Fragen hin, Pythagoras als Exempel aus der didaktischen Literatur ausschloss. Denn in der theologischen Literatur wird sein vollkommenes Schülerschweigen ja doch auch immer wieder problematisiert in der Gegenüberstellung zu Davids zeitweiligem Schweigen.
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ihm zu.216 Dann aber kann er nicht mehr an sich halten und spricht den Musiker an, zeigt ihm dadurch sein Wissen, bis er schließlich gebeten wird, selber zu spielen und sich so als wahrer Meister entpuppt (Tr.3512–544). – Das Schweigen des Publikums: Es ist die Haltung stummen Gehorsams, wie sie dem Kind und Schüler abverlangt wird, die auch vom Zuhörer erwartet wird. Im »Winsbecke« wird gemahnt: Sun, swer bî dir ein mære sage, / mit worten ims niht underbrich (Sohn, wenn einer was erzählt, unterbrich ihn nicht durch Worte, Wb.10,1 f.), eine Mahnung, mit der auch die Erzähler gern ihre Geschichte beginnen und die sie je nach Bedarf auch wiederholen. Ausführlich erklärt Kalogrenant im »Iwein« vor seiner Erzählung, wie man ihm zuhören soll: so vernemet ez mit guotem site, unde mietet mich dâ mite: ich sag iu deste gerner vil, ob manz ze rehte merken wil. man verliuset michel sagen, man enwellez merken unde dagen. maneger biutet diu ôren dar: ern nemes ouch mit dem herzen war, sone wirt im niht wan der dôz, und ist der schade alze grôz: wan si verliesent beide ir arbeit, der dâ hœret und der dâ seit. ir muget mir deste gerner dagen: ich wil iu keine lüge sagen. (Iw.245–258) (Hört es denn mit Anstand, und belohnt mich damit. Ich erzähl euch vieles umso lieber, wenn man es richtig aufnimmt. Man verliert oft Gesagtes, wenn man nicht zuhört und schweigt. Mancher bietet die Ohren dar, wenn er es aber nicht auch mit dem Herzen wahrnimmt, wird ihm nichts als der Schall zuteil und der Schaden ist zu groß: denn beide haben dabei vergebene Mühe, der Zuhörer und der Erzähler. Ihr mögt für mich umso lieber schweigen, als ich euch keine Lüge erzählen werde.)
Das heißt, das richtige Zuhören ist eng gekoppelt an ein Schweigen. Dabei wird in der Formulierung klar, dass nur durch das schweigende Zuhören eine innere Beteiligung, ein Wahrnehmen auch mit dem Herzen, möglich ist; ein zuhörendes Schweigen, das auch das innere Re-
216 Vgl. zu dieser topischen Situation auch A.H.459–69.
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den betrifft, und in dem sich der Zuhörer ganz dem Sprechenden ausliefert und hingibt. Ähnlich heißt es am Schluss des Prologs zum »Tristan«: Und swer nu ger, daz man im sage ir leben, ir tôt, ir fröude, ir klage, der biete herze und ôren her: er vindet alle sîne ger. (Tr.239–42) (und wer nun will, dass man ihm ihr Leben, ihren Tod, ihre Freude, ihr Klagen erzähle, der biete Ohr und Herz dar: er findet alles, was er begehrt.)
– Das Schweigen des gerechten Königs: Diese Hingabe an das gesprochene fremde Wort, die sich im Schweigen ausdrückt, wird in der Geste des einem Kläger zuhörenden Königs zum öffentlichen Zei chen. Durch sein Schweigen drückt er nicht nur Bedachtheit aus, sondern unterwirft sich für die Zeit der Klage symbolisch dem Kläger.217 Als Kingrimursel seine Klage gegen Gawein vor Artus vorträgt, wird explizit auf dessen Schweigen verwiesen als Zeichen seiner Gerechtigkeit, so sehr ihn die Klage bedrückt: der künec swîgt und was unvrô (der König schweigt und war unglücklich, Parz.322,13). Und bevor der Truchsess seinen falschen Anspruch auf Isolde am irischen Hof gerichtlich vorbringen kann, wird absolute Stille im Saal verlangt, um der Klage so ihren gerechten Raum zu lassen: Nu hiez man ruofen in den sal / eine stille über al, so dass niemen wort noch halbez sprach (Da ließ man im Saal eine vollkommene Stille ausrufen, so dass niemand auch nur ein halbes Wort sagte, Tr.11225–28). Deutlich weist Tristan auf das Recht hin, angehört zu werden, als er nach Irland kommt und zuerst eher unfreundlich empfangen wird: »der mir geswîgen hieze und mich ze sprâche lieze, des selben wolte ich gerne biten, daz man mit guotlîchen siten
217 So verbindet auch die Ermahnung im »Winsbecke« das richtige Zuhören einer Erzählung mit dem Zuhören einer Klage. Auf die oben zitierten Verse folgt: und swer dir sînen kumber klage / in scham, über den erbarme dich (Wb 10,3 f.). In diesem Zusammenhang des Rechts auf einen Hallraum für eine öffentliche Rede ist auch der topische ›silete‹-Ruf am Anfang von Theateraufführungen zu sehen. Dazu vergleiche auch Mancini, der die Verbindung des Herolds, des Hermes, mit dem Schweigen über diese Schweigen gebietende Geste herstellt: Il dito sulle labbra: mitologia e politica di un gesto (1995), S. 144 f.
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und sô mîn wort vernæme, als ez dem lande zæme.« Hie mite wart ime ein stille gegeben. (Tr.8793–99) (»wer mir Stille verschaffte, dass ich reden könnte, den würde ich gern darum bitten, damit man anständig und so mein Wort vernehme, wie es dem Land geziemt.« Hiermit wurde ihm Ruhe verschafft.)
Im kleineren, nicht eigentlich öffentlichen Rahmen spielt diese Inszenierung einer Stille vor einem entscheidenden Spruch da, wo Marke schließlich Tristans Heiratsdrängen nachgibt: Dô Marke sînen ernest sach, / er bat in swîgen unde sprach (als Marke seinen Ernst sah, hiess er ihn schweigen und sprach, Tr.8437 f.). Es ist Marke, in dem sich die Figur des schweigenden, zuhörenden und betrachtenden Königs, dieses ikonographisch feste Bild der Herrschertugenden Gerechtigkeit und Weisheit, zum Narren verdreht.218 Marke, der sich im Schweigen verliert, ist nicht mehr zum Wort fähig, und so spricht er nie ein öffentliches und damit wirkendes Wort. Als aber Isolde das Gottesgericht überlistet, indem sie in den Armen des als Mönch verkleideten Tristan absichtlich zu Boden fällt, dann den scheinbar ungeschickten Mönch vor der erzürnten Meute schützt und sich so Lob einholt, heißt es im allgemeinen Lärm des Geschehens: und Marke der sach allez an / und hôrte diz unde daz (und Marke schaute dem allem zu und hörte dies und das, Tr.15624 f.). Geduld, Weisheit und Gerechtigkeit werden in der Verwirrung von diz unde daz zum lächerlichen Schein, der schweigende König zum Bild des übertölpelten, schwachen Mannes. Und doch bleibt Marke in diesem Spektakel, in dem kein Wort und keine Rolle stimmt, durch die Assoziation an das topische Herrscherbild, das sich in diesem Zuhörer und Zuschauer verbirgt, gerade durch diese Passivität als einziger aus der Falschheit ausgeklammert. Unnütze Fragen und fehlende Antworten – Schweigen als Zeichen von Achtung: Ist ein anderer Mensch weder direkt noch indirekt zu schmähen, so soll auch die Grenze der Intimität nicht unrechtmäßig durch Fragen durchbrochen werden. Neugierde, als Form der Gewalt, die sich nicht nur gegen den andern, sondern 218 Zum Schweigen des Königs im Rahmen der Tradition des Priester-Königs und politischer Machtsymbolik siehe auch Mancini, Il dito sulle labbra: mitologia e politica di un gesto (1995), S. 143 und 161 ff., der auch den »liber augustalis« Friedrichs II zitiert: »cultus iustitiae silentium reputatur.« Einen spezifischen Aspekt des königlichen Schweigens – hinter einem stellvertretenden Hof – zeigt Smits auf: Die »Stimmen« des schweigenden Königs (1986).
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schließlich gegen einen selber richtet, ist verpönt. Gleichzeitig bricht aber in kaum einer anderen Sprachform die Ambivalenz von Reden und Schweigen so deutlich auf wie bei der Frage. Wenn die Einleitungsfloskeln der unzähligen handlungsvorantreibenden Fragen in den Romanen Hartmanns deutlich machen, dass die direkte Frage immer in ihrer Unhöflichkeit gemildert werden muss, indem sie ihren möglichen Übergriff schon thematisiert,219 ist es anderseits die Frage, die nicht nur die einzelnen âventiure auslöst, oder deren Erzählung bewirkt, sondern den Held schließlich auch zum Ziel bringt.220 Die gezüchtigte Frage, wie sie Gurnemanz explizit Parzival rät: irn sult niht vil gevrâgen (ihr sollt nicht viel fragen, Parz.171,17), ist die höfische Frage. Dass die darin beschnittene ›curiositas‹ aber nicht zur Gleichgültigkeit wird, ist das Problem, das Hartmann nur implizit anspricht, Wolfram dann ins Zentrum des »Parzival« stellt. Dabei ist deutlich, sowohl in der höflichen Fragerei bei Hartmann, als auch in der expliziten höfischen Lehre des Gurnemanz, dass es nicht um ein generelles Frageverbot geht, sondern um das Fragen, das nicht bescheidenlîche (Parz.188,19) geschieht. Wo hier die Grenze verläuft, ist nicht durch höfische zuht lernbar, wie sich an Parzival zeigt, den da durch zuht vrâgens verdrôz (aus Anstand das Fragen abschreckte), wo er hätte fragen müssen (Parz.239,10). Denn das Staunen vor dem Wunder müsste durch das Wort gebrochen werden:221 ir sâhet doch sölch wunder grôz (daz iuch vrâgens dô verdrôz!), aldâ ir wârt dem grâle bî. (Parz.255,5 ff.) (Ihr habt doch ein so großes Wunder gesehen – dass ihr da keine Fragen gestellt habt! –, als ihr beim Gral gewesen seid.)
219 wærez iu niht leit, ich vrâgete iuch mære (Er.3515 f.); wærez iu niht leit, sô soldet ir mich wizzen lân (Er.3735 f.); iu sol niht wesen leit, ob ich iuch vrâge mære (Parz.169,26 f.); mîn vrouwe vrâget wan durch guot (Er.43); möht ez mit dînen hulden sîn, sô vrâgt ich (Wlh.290,20 f.); möhtez mit iuwern hulden sîn, ich vrâgete vil gerne (A.H.370 f.); wolt iuch des niht betrâgen, daz ich iuch müeste vrâgen von sus getânen mæren, diu mich verswîget wæren (Parz.655,13–16). 220 Vgl. z. B. Er.8383–89; Iw.4432 ff. 221 Wolf will hier ein psychologisches Schweigen Parzivals sehen, dem es vor diesem Wunder die Sprache verschlägt, was mir im Kontext nicht haltbar scheint. Es mag ja sein, dass eine erzählerische Grundstruktur angenommen werden kann, in der der Held durch einen Bann unfähig ist, die Frage zu stellen – die Erzählung Wolframs, wie sie uns vorliegt, lässt sich durch diese verdrängten (Wolf sagt: verwischten) Grundstrukturen nicht erklären. Wolf, Literarhistorische Aspekte von Parzivals Schweigen (1972).
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Das Versagen an der und durch die zuht wird zum Punkt, an dem nicht nur die Gralswelt und die Artuswelt zusammentreffen, sondern auch das ethische und das moralische Gebot.222 Ist das von Gurnemanz empfohlene Fragen bescheidenlîche, ist das erlösende Fragen am Gral werdeclîche (Parz.441,22). Die unterlassene Leid-Frage aber wird zum Indiz der Sünde, der Mitschuld an dem Leiden des andern.223 – Schweigen als Grenzziehung und Trennung: Ist die Frage ein Übergriff, der sorgfältig gehandhabt werden muss, kann entsprechend in der Antwort das durch die Frage initiierte Machtspiel aufgenommen werden. Gehört es zur höfischen zuht, auch richtig und anständig zu antworten, kann die Verweigerung der Antwort schützende Grenzen ziehen, kann aber auch zum offenen Gewaltakt werden.224 Als Marjodo, von seinem Ebertraum aufgeschreckt nach Tristan ruft und keine Antwort erhält, fällt die ganze höfisch konstruierte und geordnete Welt in dieser Leere der verhallenden Frage zusammen. Da ist es, wo der Argwohn zuerst beginnt, da ist es, wo das Netz der Verheimlichungen und Verschwiegenheiten der Liebenden brüchig wird. Eine Leerstelle in der erwarteten Ordnung, ein Schweigen, das die Rede zum Einstürzen bringt (Tr.13544–53). Ähnlich antwortlos steht am Schluss Isolde am Meer und schaut dem davonfahrenden Tristan nach: nu lêret an! wes swîget ir? / uns wære guoter lêre nôt (nun sagt schon! warum schweigt ihr? wir hätten gute Lehre nötig, Tr.18528 f.). Die in die Leere fallende Frage wird zum Zeichen der endgültigen Trennung. Es gibt keine Möglichkeit, auf höfische Art eine Antwort zu verweigern. Ist das Spiel einmal aufgetan, muss mitgespielt werden. Die latente Gewalt, die in der Aussageverweigerung liegt, wird da deutlich, wo durch einen Themenwechsel versucht wird, die erwartete Antwort zu umgehen. Dabei wird fast immer sehr abrupt der Gesprächsfaden durch ein partielles Schweigegebot zerrissen, indem aufgefordert wird, eine spezifische Rede sein zu lassen. Erec begegnet so der insistierenden Einladung von Guivreiz, einige Tage bei ihm zu bleiben (Er.4625), Marke versucht so Tristans Heiratsvorschlag abzuwehren: swîc, ine kume hie niemer an (schweig, ich werde nie darauf eingehen, Tr.8392),
222 Parz.330,1–16. 223 Parz.473,13–19. 224 Zur notwendigen Ergänzung der Frage durch eine Antwort vgl. u.a. Parz.766,19–22: Artûs zuo Feirefîze saz. / ir deweder dô vergaz, / sine tæten bêde ir vrâge reht / mit süezer gegenrede sleht. Siehe dazu auch Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 170 f.
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und Keie versucht Erec umzustimmen und an den Artushof zu führen, indem er ihm seine abschlägige Rede verweist (Er.4679). Auch Willehalm bricht, nachdem er dem gastfreundlichen Wimar mit dem Hinweis auf seine Situation alles außer Brot und Wasser ausgeschlagen hat, das leidige Thema seines Unglücks abrupt ab und will nicht weiter darüber reden: nûne vrâget niht mêre und lât’z et sîn (nun fragt nicht mehr und lasst es sein, Wlh.135,13).225 – Schweigen zum Schutz seiner selbst: Wenn aber im »Parzival« der Knappe auf Gaweins Frage nach den vorbeiziehenden Rittern nicht antwortet, versucht er sich so vor einer vermeintlich verletzenden Frage zu schützen. In der Meinung, von dem Ritter durch die Frage verspottet zu werden, versucht er sich explizit dem Spiel zu entziehen (Parz.342,21–30). Kaum aber wird ihm klar, dass die Frage ernst gemeint war, entschuldigt er sich für diesen Verstoß gegen die höfische zuht: »hêr, sô hân ich missetân: ich soltz iu ê hân gesagt. dô was mîn bezzer sin verzagt. nu rihtet mîne schulde nâch iwer selbes hulde. ich solz iu dar nâch gerne sagn: lât mich mîn unfuoge ê klagn.« (Parz.343,10–16) (Herr, ich habe einen Fehler gemacht: ich hätte es euch schon vorher sagen sollen. Ich war von allen guten Geistern verlassen. Nun richtet meine Schuld entsprechend eurer Gnade. Ich werde es euch danach gern sagen, doch lasst mich vorher noch meine Unanständigkeit beklagen.)
Auch Rennewart versucht sich seinen Raum und seine Integrität zu bewahren, indem er auf Willehalms Redeanfang schweigt und so tut, als verstünde er nichts:
225 Es steht dahinter auch die Vorstellung eines Schutzes: was nicht ausgesprochen wird, ist weniger präsent. So bricht auch das Mädchen im »Armen Heinrich« ihre Schilderung dessen, was nach Heinrichs Tod passieren könnte ab, um nicht das Schlimme zu beschwören: nû geswîge wir aber der nôt (A.H.756). Und als Tristan klagt, vater unde vaterwân verloren zu haben, tröstet ihn Rual: »lâ dise rede, dân ist niht an.« (Tr.4378). Umgekehrt verlangen die Jäger, dass Tristan die verbale Erklärung zugunsten der Präsentation seiner Art, einen Hirsch zu zerlegen, aufgebe: swîc unde sage uns niht hie van: / swaz es sî, daz lâ geschehen, / daz wir’z mit ougen an gesehen (Tr.2964 ff.).
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dô gebârt er, als er waere toup unt als er’s niht verstüende. er het ouch guote künde, swaz iemen sprach, man oder maget. der gegenrede wart niht gesaget von sînem edelem munde. (Wlh.192,16–21) (da tat er, wie wenn er taub wäre und nichts verstünde. Doch wusste er sehr genau, was man sagte, Mann oder Jungfrau. Antwort wurde aber nicht gegeben aus seinem edeln Mund.)
Als Selbstschutz ist wohl auch die den Eltern vorerst verweigerte Antwort des Mädchens zu sehen, dem das Leid des armen Heinrich nicht mehr von ir herzen kommt: nu enwolde sis in niht gesagen (sie wollte es ihnen nicht sagen, A.H.486). Erst nach umständlichem Drohen und Bitten des Vaters gibt sie das ihren Eltern unverständliche und fremde Gefühl preis. Damit liefert sie sich aber deren Argumenten aus, mit denen sie ihr die Sprache wieder nehmen wollen, bis sie sie alsus gesweicten (A.H.509). – Schweigen zum Schutz seiner Interessen: Die verweigerte Antwort kann aber auch einem Eigeninteresse dienen, wie dem Liebesbesitz bei Enite (Er.3035–38) oder dem vermeintlich materiellen Besitz bei den Fischern, die das Fässchen mit dem kleinen Gregorius fanden (Greg.996–14). Auffallend ist, dass in diesen beiden Fällen das Verschweigen nicht gelingt, gerade dadurch aber ein neuer Teil der Geschichte anbricht.226 Ähnlich wie in den Situationen, wo erfolglos zum Schutz des Fragenden eine âventiure verschwiegen werden soll, wie Brandigan oder Schastel Marveil. – Durch Eid geschütztes Schweigen: Im höfischen Bereich gelingt das explizite, das heißt im Gespräch thematisierte Verschweigen nur da, wo es durch einen Eid gestützt ist. Der von Gawein ausgeschickte Knappe widersteht sämtlichen Fragen Arnives, dann auch denen Ginovers und der Artusritter, verschweigt der einen sein Ziel (Parz.626,27ff.), der andern seine Herkunft (Parz.647,24 ff.), den dritten seine âventiure (Parz.648,23 ff.), um seine Aufgabe zu vollbringen. Dabei beruft er sich immer wieder auf den Eid, den er Gawein geleistet hatte
226 Das Verschweigen aus Eigeninteresse in einem problematischen Sinne gelingt nie, wenn es expliziert wird. Der älteren Schwester im »Iwein« gelingt ihr Plan zur Übertölpelung der jüngeren nur, weil sie ihn mit keinem Wort erwähnt.
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(Parz.625,7–11). Nur der Eid legitimiert und schützt in der höfischen Gesellschaft die verweigerte Antwort, deren latente Gewalt da deutlich wird, wo sie durch Entschuldigung und erklärende Bemerkungen vertuscht werden soll.227 – Schweigen als Herausforderung und Aggression: Da, wo die höfische Welt aber mit einer ihr fremden Umgebung in Berührung kommt und Aufschluss fordert für Unverständliches, wird die explizit verweigerte Antwort zum Mittel einer gewaltsamen Auseinandersetzung. So trifft am Anfang des »Erec« die Neugierde der Königin auf die unfreundliche Ablehnung von Iders’ Zwerg.228 Dieselbe Art der Dialogverweigerung findet sich dann bei den Cadoc malträtierenden Riesen wieder: »nû waz hâstû tumbe ze vrâgen dar umbe waz er uns habe getân? des enwellen wir dich niht wizzen lân. rehter affe, nû sich, dû unwirdest dich daz dû vrâgest alsô vil daz dir niemen sagen wil.« (Er.5448–55) (was hast du Blödian da zu fragen, was er uns getan habe? Das werden wir dir nicht sagen. Du rechter Affe, sieh nur wie du dich entehrst, indem du so viel fragst, was dir keiner sagen wird.)
Und genauso wird Iwein von dem Türhüter der Burg zum Schlimmen Abenteuer unfreundlichst zurechtgewiesen, als er sich nach den gefangenen Frauen erkundigen will: »ich sag iu ein bast. / wænet ir niht, her gast, / daz mich iht betrâge / iuwer müezegen vrâge? / ir verlieset michel arbeit.« (ich sag euch nichts. Merkt ihr nicht, Herr Fremder, dass mir euer überflüssiges Fragen auf den Nerv geht? Es ist verlorene Mühe, Iw.6273–77). Dabei wird, durch die Anklänge an die verpönten ›verba otiosa‹, die Fragerei der Helden jeweils in ihrer Ambivalenz entlarvt. Im Spiegel der unhöfischen Reaktionen wird die ›curiositas‹ in ihrer Gefahr erkennbar und bricht das Machtspiel, das sich in Frage und
227 Vgl. z. B. Wlh.290,27–30. 228 Dabei ist in der Darstellung eine Steigerung der Agressivität enthalten, indem die Verweigerung der Auskunft durch den Zwerg der ausgeschickten Jungfrau gegenüber noch in indirekter Rede verhüllt ist, – so direkt sie dann der Peitschenhieb trifft (Er.44–62) –, während Erec dann direkt verbal angegriffen wird, bevor auch er geschlagen wird (Er.83–101).
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Antwort versteckt, auf. Die verweigerte Antwort schließt den Frager aus einem spezifischen Kreis aus – ganz unabhängig davon, nach welchem Recht dieser Ausschluss gewertet wird. Deutlich wird das in der Szene, in der Parzival allein und verlassen aus der Gralsburg reitet. Als er den versteckten Knappen hört und von diesem mehr erfahren will, wird ihm keine Antwort gegeben (Parz.248,1f.). Dabei wird aber das verbale Machtspiel, wie es sich in den Artusromanen topisch zwischen außerhöfischen Wesen (Zwergen und Riesen) und Rittern abspielt, in seltsamer Uneindeutigkeit belassen. Ist der Knappe unhöfisch? Ist Parzival im Unrecht? Klar ist allein, dass er (noch) nicht zum Gralskreis gehört. Die Sprachverweigerung ist Grenzziehung. – Schweigen als Strafe: Die Verweigerung verbaler Kommunikation kann auch als Strafe eingesetzt sein. Wenn Kalogrenant sich verbal Keies Gegenwart entziehen will, ist das letztlich eine Bestrafung durch Ausschluss des andern: doch sol man ze dirre zît / und iemer mêre swâ ir sît / mînes sagennes enbern (doch wird man jetzt und immer, überall wo ihr seid, auf mein Erzählen verzichten müssen, Iw.217–19). Genauso entzieht Sigune Parzival ihre Rede, nachdem sie von seiner verpassten Frage gehört hat: iren vindet nu decheinen wîs / decheine geinrede an mir (ihr erhält nun auf keine Art und Weise eine Antwort von mir, Parz.255,28f.).229 Kein Selbstlob – Verschweigen eigener Vorzüge: In direktem Gegensatz zu dem übersprechen, dem Prahlen, das regelmäßig zum Sturz führt, steht die Bescheidenheit des höfischen Helden, der sich selber nicht lobt und das Lob, das ihm andere spenden, mäßigt. Denn, swer selbe sagt wie wert er sî, / da ist lîhte ein ungeloube bî (wer selber sagt, wie gut er sei, da schleicht sich leicht Unglaube ein, Parz.12,27f.).230 Gahmuret zeichnet 229 Es geht darum, wie in der Predigtlehre immer wieder betont wird, dass vor dem unwürdigen Hörer geschwiegen werden soll, um nicht Perlen vor die Säue zu werfen. So führt Petrus Cantor als vierten Grund des guten Schweigens an: »incapacitas auditorum.« Verbum abbreviatum, cap. lxiii, De bona taciturnitate, PL 205, Sp. 194,C. 230 Im »Willehalm« nimmt der Erzähler auf diese ungläubige Reaktion direkt Bezug, als er hyperbolisch die Kampfkraft von Poidwiz lobt: daz liegen solt ich hân verswigen, / beginnet etslîcher sprechen. (Wlh.390,4 f.). Zum Verständnisproblem dieser Stelle siehe den Kommentar von Heinzle. Entsprechend wird in der Erziehungsliteratur davor gewarnt: Lobe dich ieman dir ze hage, / sô merke ob er wâr sage, / und gloube im niht baz denne dir: / dîn selbes lop gar verbir (D.C.155–58). Vgl. auch Haferland, der die Bedeutung dieser Regelung für das höfische Gespräch aufzeigt: Höfische Interaktion (1988), S. 167 f.
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sich dadurch aus: sîn rüemen daz was kleine, / grôz êre er lîdenlîchen leit (er rühmte sich nicht, große Ehre ertrug er geduldig, Parz.13,6).231 Und im Verweis auf die Bescheidenheit Iweins erspart sich Hartmann die längere Beschreibung des Kampfes zwischen Iwein und Askalon; Augenzeugen gab es nicht, Askalon ist tot, Iwein aber so anständig, dass er kaum eine ausführliche, schließlich ja ihn rühmende Schilderung des Kampfes gegeben hätte: der aber den sige dâ gewan, / der was ein sô hövesch man, / er hete ungerne geseit / sô vil von sîner manheit / dâ von ich wol gemâzen mege / die mâze ir stiche und ir slege (der da aber den Sieg davontrug, das war ein so höfischer Mann, dass er ungern so viel von seiner Tapferkeit erzählt hätte, dass ich davon das Maß ihrer Stiche und Schläge hätte sagen können, Iw.1039–44).232 Und wieder verurteilt sich Keie selber im Spiegel dieser allgemeinen Regel, auf die er sich in seiner Kritik an Iwein beruft, dem er falsche Prahlerei (Iw.815–36), leere, tatenlose Wortkämpferei (Iw.2460–64) vorwirft: ichn weiz war umbe sî ez tuont, od waz si an in selben rechent, die alsô vil gesprechent von ir selber getât, sô ins nieman gestât. ez ist ze vehtenne guot dâ niemen den widerslac tuot. […] her Îwein ist niht wîse: er möhte swîgen als ich. (Iw.2472–503) (ich weiß nicht, warum sie das tun, oder was sie an sich selber rächen, die so viel von ihren eigenen Taten reden, auch wenn ihnen das niemand zutraut. Es ist gut fechten, wo niemand zurückschlägt. […] Herr Iwein ist unklug: sollte er doch schweigen wie ich.)
231 Ich denke, dass hier stärker übersetzt werden muss: »Er rühmt sich selber nicht, grosse Ehrungen erduldete er«, nicht wie Kühn: »Er gab mit sich nur wenig an, er liess sich Ehrungen gefallen.« Vgl. auch Knecht: »Prahlerei gab’s bei ihm wenig; wenn man ihn rühmte, nahm er es hin, doch war es ihm peinlich.« 232 Vgl. dazu auch Wandhoff, Der epische Blick (1996), S. 178 f. Hartmann verweigert aber die Schilderung des Kampfes nicht, weil es keine Augenzeugen gab, wie das Wandhoff schreibt, sondern weil der einzig überlebende Augenzeuge schweigt. Wenn Haferland in bezug auf diese Stelle überlegt, »dass die Bescheidenheit erst beginnt, wo die Ehre gesichert ist«, klammert er die Erzählerbemerkung aus: Höfische Interaktion (1988), S. 85.
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Bei Wolfram wird schließlich diese Regel spielerisch zur poetologischen Maxime, wenn er sich für eine Zeit von der Geschichte Parzivals ab und Gawein zuwendet. Denn auch die âventiure muss mit Mass loben: swer sînen friunt alle mâl / mit worten an daz hœhste jagt, / der ist prîses anderhalp verzagt (wer seinen Freund ständig mit Worten in den Himmel hebt, der findet andernortes keine lobenden Worte mehr, Parz.338,8 ff.). – Schweigegebot als Demutsgeste: Zu dieser Demutsgeste, die das eigene Lob unterdrückt, gehört auch, sich vor andern zu erniedrigen und fremdes Lob nicht anzunehmen. Gahmuret ist auch darin vorbildlich: Als Kaylet ihn rühmt, weist er ihn zurecht mit dem Hinweis, dass er nicht zu verkaufen sei, da mangelhaft:233 mîn frowe mac wænen daz du tobst, sît du mich alsô verlobst. dune maht mîn doch verkoufen niht, wan etswer wandel an mir siht. dîn munt ist lobs ze vil vernomn. (Parz.86,5–9) (meine Herrin denkt wohl, dass du spinnst, da du mich so unmäßig lobst. Du kannst mich doch nicht verkaufen, denn einer wird meine Fehler entdecken. Aus deinem Mund hat man zu viel des Lobs gehört.)
Auffallend ist, dass das Lob eines Helden in der Regel von diesem abgeschwächt wird, das Lob einer Frau aber höchstens im Unsagbarkeitstopos des Dichters scheinbar verstummt.234 Nur Orgeluse ist es, die Gawein über den Mund fährt, als dieser sie lobt. Hier nun aber nicht als Zeichen von Bescheidenheit, sondern sie pervertiert die Argumentation zum Ausdruck des Stolzes und kehrt Gawein das Lob regelrecht im Mund um, so dass es ihr zu seiner Beleidigung dient: nu enlobt mich niht ze sêre: ir enpfâhet lîhte unêre. ichn wil niht daz ieslîch munt gein mir tuo sîn prüeven kunt. wær mîn lop gemeine, 233 Zur Metaphorik des Kaufs als unhöfischer Interaktion siehe Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 269 f. 234 Wolfram spricht die Problematik der Schmeichelei Frauen gegenüber an (Parz.115,21 ff.). Die Stelle, auf seine spezifische Art poetischen Frauendienstes bezogen, darf aber wohl nicht zu direkt im Sinne einer Kommunikationsproblematik gelesen werden. Denn es geht um das Erzählen, weniger um das Lob der Frau im direkten Sinn. Vgl. dazu Schnyder, Frau, Rubin und ›âventiure‹ (1998). Anders Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 268.
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daz hiez ein wirde kleine, dem wîsen unt dem tumben, dem slehten und dem krumben: wâ riht ez sich danne für nâch der werdekeite kür? ich sol mîn lop behalten, daz es die wîsen walten. (Parz.509,13–24) (nun lobt mich aber nicht zu sehr, sonst erntet ihr leicht Unehre. Ich will nicht, dass jeder Mund mir sein Urteil kundtut. Wäre mein Lob dem Weisen und Dummen, dem Graden und Krummen gemein, wäre das keine Ehre. Wo ragte es dann noch in die hohe Ehre hinein? Ich will mein Lob bewahren, damit es die Weisen verwalten.)
– Verschweigen fremder Fehler: Soll man weder sich selber loben, noch von andern Lob annehmen, muss man aber auch fremde Mängel verschweigen, um sich nicht implizit zu erhöhen. Wenn Enites Vater den Heiratsantrag von Erec mit dem Hinweis auf ihre Armut nicht ernst nimmt und meint, verspottet zu werden, bittet ihn Erec, diesen Gedanken zu vergessen und von der Armut nicht mehr zu sprechen, da diese keine Rolle spiele: der sult ir stille gedagen (von der sollt ihr schweigen, Er.577). Und als bei der zweiten Begegnung mit Guivreiz Erec diesen hochmütig herausfordert und darauf unerkannt nicht eben sorgfältig behandelt wird, verweist er danach Guivreiz sein bereuendes Klagen: des sult ir gedagen / und ûz iuwer ahte lân. / ir enhabet an mir niht missetân. / swelh man tœrlîch tuot, / wirts im gelônet, daz ist guot (schweigt davon und vergesst es. Ihr habt an mir nicht schlecht gehandelt. Wenn einer, der sich dumm benimmt, seinen Lohn dafür erhält, ist das gut, Er.7007–11). Dabei fallen in dieser Entschuldigung des andern höfische Bescheidenheitsgeste und Eingeständnis eigener Fehlhandlung zusammen. Das Schuldbekenntnis wird durch die habitualisierte Höflichkeitsgeste gefasst – und der Verstoß gegen die höfische Ordnung wird durch seine Bezeichnung wieder Teil derselben. Grußregeln Die festen Grußregeln, wie sie zwischen den Ständen und Geschlechtern bestehen, sind Anlass verschiedener Arten des Schweigens. Ähnlich wie die Antwort auf eine Frage ist der Gruß, Willkomm und Abschied, zu erwartender Bestandteil höfischer Kommunikation und wird da, wo er fehlt, als Verstoß gegen die zuht registriert.235 Die 235 Zum Gruß siehe Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 138–150; Bumke, Höfische Kultur (1986), S. 299 f. Weitere Literatur findet sich bei Bumke, Höfische
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Verweigerung des Grußes ist Affront und Beleidigung, ist Ausdruck eines nicht mehr in die Sprachregeln gebändigten Affektes, oder wird explizit zur Strafe, indem der andere nicht für eines Grußes würdig erachtet wird. Aber auch abgesehen von der expliziten Grußverweigerung als Ausdruck von Feindlichkeit und Macht, ist innerhalb des Grußzeremoniells immer ein Teil zu wartendem Schweigen verurteilt. Und das kann zu Missverständnissen führen. Grundsätzlich gilt in den hier untersuchten Romanen: der Fremde wartet auf den Gruß des Hausherrn oder der Hausherrin,236 der untergebene Mann auf den der Frau,237 die Frau aber grüßt den gleichgestellten Mann erst, wenn sie selber schon begrüßt ist, und dann oft nur durch ein stummes Verbeugen (nîgen).238 – Der stumme Gruß als Zeichen von Gehorsam und kiusche: Als die beiden Isolden zur Gerichtsverhandlung um des Truchsessen falschen Anspruch kommen, grüßen sie, ihrem unterschiedlichen Stand entsprechend, mit zweier hande gruoze (mit zwei Arten von Gruß): grüezende unde nîgende, sprechende unde swîgende. […] ir eine gruozte, diu ander neic, diu muoter sprach, diu tohter sweic. (Tr.11017–22) (grüßend und sich verneigend, redend und schweigend. […] die eine von ihnen grüßte, die andere verneigte sich, die Mutter sprach, die Tochter schwieg.)
Kommt der Königin der laute Gruß zu, hat die Tochter noch keine öffentliche Stimme. Der stumme Gruß ist Zeichen von Demut und Gehorsam,239 dann auch der jungfräulichen kiusche. – Verwirrte Verhältnisse: Interessant wird die Grußsituation nun aber da, wo ein Held einer Herrscherin gegenübertritt und sich gesellschaft-
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Kultur. Versuch einer kritischen Bestandesaufnahme (1992), Anm. 238 und Anm. 239. Gruß der Herrin: Parz.84,3–19; Parz.23,29f.; Parz.186,28–187,6; Er.8966–72; Wlh.158,28 ff. Vgl. zu den Grußgesten auch Peil, Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975), S. 31–72. Er.3504 f. Er.7024–27. Vgl. auch das stumme nîgen des Knaben als Antwort auf den Gruß von Enite (Er.3505).
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lich hierarchische Struktur und Geschlechterbeziehung überschneiden. Regelmässig führt das zu einer Sprachlosigkeit. So steht Iwein hilflos vor Laudines Schweigen und weiss dies nicht zu deuten, weil er seine Rolle verkennt. Während er auf den aufnehmenden Gruß der Herrin wartet, wäre es an ihm, um Verzeihung zu bitten, was ihm Lunete erst klarmachen muss.240 Laudine aber wartet einerseits auf seine Entschuldigung und Unterwerfung, hat ihn anderseits aber auch schon als Herrn anerkannt. Ein Machtkonflikt, in dem sich nicht nur soziale Hierarchie und Geschlechterbeziehung kreuzen, sondern sich in jedem Beteiligten auch zwei Wahrnehmungen des andern matt setzen. Ist Laudine für Iwein Herrin und Geliebte, auf deren Gruß er wartet, ist Iwein für Laudine Mörder ihres Gatten und neuer Herr, auf dessen entschuldigende Wort- und Machtübernahme sie wartet. Das Schweigen, das sich hier lastend in die Szene legt, ist alles andere als ein Minneschweigen, sondern Ausdruck der unsäglichen Situation, die mit den herkömmlichen Verhaltensmustern nicht mehr bewältigt werden kann. Es braucht die Hilfe Lunetes, um die Fäden, die sich hier in einen scheinbar unlösbaren Knoten zusammengezogen haben, wieder zu entwirren (Iw.2245–2285). Ganz anders dann die versöhnende Schlussbegegnung von Iwein und Laudine. Als er da, unerkannt als Fremder vor ihr steht, stellt sich kein Schweigen ein. Denn dem Fremden gegenüber ist scheinbar klar, welche Regeln gelten: sie ist die Herrin, die grüßt. Das Paradox wird nur im Erzählerkommentar ausgedrückt: si enpfie den wirt vür einen gast (sie empfing den Hausherrn als einen Fremden, Iw.8040). Fällt Iwein darauf stumm auf die Knie, wiederholt er damit die Geste der ersten Begegnung, diesmal ohne Aufforderung. Doch ist ihm die Geste erst möglich, nachdem Laudine durch ihren Gruß den Bann gebrochen und die verweigerte Kommunikation wieder aufgenommen hatte (Iw.8040–43). Auch als Parzival an den Hof von Condwiramurs kommt, entsteht als erstes ein drückendes Schweigen. Und auch hier entspringt es einer Unsicherheit über den Verhaltenskodex. Streng nach Protokoll geht Condwiramurs dem Gast bis in die Mitte der Treppe entgegen, begrüßt ihn mit dem Willkommenskuss und geleitet ihn dann an ihrer Hand in den Palas. Während aber Parzival in seiner Regelkonformität das erste Wort der Herrscherin erwartet und unterdessen über ihre Schönheit staunt (Parz.188,1–14), schweigt diese, von intimen Ängsten gequält: 240 Peil verweist in diesem Kontext auf die »Kommendationsgebärde«, die von Iwein verlangt werde. Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975), S. 200.
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Weil sie sich Parzival gegenüber nicht als Herrscherin, sondern als Frau wahrnimmt, wartet auch sie auf ein erstes Wort von ihm und deutet sein Schweigen als Missfallen an ihr, das heißt an ihrem abgemergelten Körper. Erst ein zweiter Gedanke macht ihr klar, dass sie ja doch die Gastgeberin ist, diu êrste rede wære mîn […] mîn rede ist alze vil gespart: / hie sol niht mêr geswigen sîn (das erste Wort wäre an mir […] ich habe schon zu lang nichts gesagt: nun soll nicht länger geschwiegen werden, Parz.186,28–189,5). In höchst subtiler Art wird das verwirrliche Netz von Fremd- und Selbstwahrnehmung und Repräsentation aufgedeckt.241 – Fremdheit und Misstrauen: Es ist aber nicht nur das Missverständnis im Schnittpunkt sich kreuzender Wahrnehmungsmuster, aus dem heraus ein Gruß verschwiegen wird, sondern auch die Fremdheit, die keinen Bezug herstellen will. So reitet Gawein vor Belleroche durch das Heerlager, wird ab und zu gegrüßt, oft aber auch nicht: unkünde dicke unminne sint. / sus reit des künec Lôtes kint: / belîben bete in niemen bat (Unbekannte sind oft unbeliebt. So ritt der Sohn von König Lot dahin, und keiner bat ihn zu bleiben, Parz.351,13 ff.). Der Gruß dem Ankommenden gegenüber holt diesen aus seiner Fremdheit heraus; wird er versagt, ist es Zeichen einer Unvertrautheit und Distanz, wenn nicht bewusster Distanzierung. Erec reitet vollkommen fremd durch Tulmein, ohne angesprochen zu werden: ouch was er dâ unerkant, / daz im niemen zuo sprach / noch ze guote ane sach (auch war er da unbekannt, so dass ihn niemand ansprach oder freundlich ansah, Er.245 ff.); und als der schwer gerüstete, unerkannte Willehalm nach Orleans kommt, will sich ihm vor der Burg niemand nähern: dâ bôt im niemen keinen gruoz (da grüßte ihn keiner, Wlh.126,26). – Der unterlassene Gruß als Affront und Strafe: Ist das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber Willehalm noch verständlich, gilt dann aber der verweigerte Willkomm der Königin dem erkannten Bruder (Wlh.129,18–130,2). Die Verweigerung des Grußes durch die Leute des Königs wird explizit von Willehalm als Verstoß gegen die zuht gekennzeichnet: die hânt des hoves unprîs getân (die haben dem Hof Schande gemacht, Wlh.131,12). Dabei wird die Käuflichkeit der 241 Auch Peil weist auf die bei Wolfram betonte Regelkonformität Parzivals in dieser Szene hin: Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975), S. 41 f. Wolf sieht in diesem Schweigen Parzivals schon eine erste verpasste »Mitleidsfrage«: Literarhistorische Aspekte von Parzivals Schweigen (1972), S. 75 f.
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Höflinge betont, die ihn wohl grüßten, solange es ihm gut ging (Wlh.131,17–20). Und indem der Kaufmann Wimar das anstössige Verhalten der Hofleute auch verurteilt, er selber aber vorbildlich agiert, wird die Verletzung höfischer zuht durch den Hof noch deutlicher: die iuch hie grüezen hânt verswigen, / des mugen die werden sich wol schemen (die euch hier nicht gegrüßt haben, darüber sollen sich die Edlen schämen, Wlh.135,24 f.). Wie diffizil diese Grußsituation ist, wird da deutlich, wo ein Höfling, der nicht informiert ist, vorwurfsvoll bemerkt, dass Willehalm niemanden grüßen will (Wlh.141,30), während dieser zornerfüllt dasitzt und darauf wartet, willkommen geheissen zu werden von denen, die ihn grüßen müssten: ir neheines gruoz het er vernomen, / die dâ gruozbaere wâren (den Gruß von keinem hat er gehört, die da grüßen müssten, Wlh.144,8 f.). Gegenüber seiner Nichte Alize erklärt Willehalm dann die Hierarchie nochmals, in der die Schuld der Königin deutlich wird, die als erste hätte grüßen müssen: dâ ich vür si kom gegangen, / gein ir gruoze ich dô niht neic: / daz was des schult, daz s’in versweic. / waz solten d’andern denne tuon? (als ich zu ihr kam, erwiderte ich ihren Gruß nicht: das war deshalb, weil sie ihn verschwieg. Was hätten die andern denn da tun sollen? Wlh, 158,28–159,1). Was, als Missachtung seiner Rechte und Stellung, Willehalms unbeherrschten Zorn herausfordert, wird explizit zur Strafe da, wo ein Protagonist sich verschuldet hat und öffentlich für grußunwürdig erklärt wird. Lunete kommt an den Artushof, grüßt da die ganze Runde im Auftrag ihrer Frau, wan einen: der ist ûz der zal: / der sol iu sîn unmære / als ein verrâterære (außer einen, der nicht gemeint ist: der soll euch verhasst sein als Verräter, Iw.3116 ff.). Iwein wird explizit aus dem Gruß, damit aber aus dem Kreis des Vertrauens ausgeschlossen. Ist es bei Lunete ausschließlich Iwein, der nicht begrüßt wird, versagt Cundrie der ganzen Artusgesellschaft den Gruß wegen Parzival, den diese in ihren Kreis aufgenommen hat (Parz.315,17 ff.). Auch da, wo im Affekt ohne Abschied weggefahren wird, wird deutlich, dass die Grußlosigkeit ein Verstoß gegen die zuht ist. Die Boten der französischen Königin, die deren Anspruch auf Gahmuret vertreten wollten, ziehen nach ihren erfolglosen Bemühungen voller Zorn weg: sine gerten urloubes niht, / als lîhte in zorne noch geschiht (sie verabschiedeten sich nicht, wie das leicht im Zorn geschieht, Parz.98,11f.). Und ebenso wird der grußlose Abschied von Meljanz, nachdem ihn Obie ausgeschlagen hatte, als Ausdruck einer affektbedingten Verstandesschwäche gedeutet: der künec ân urloup dannen schiet, / als im sîn cranker sin geriet (der König ritt ohne Abschied weg, wie es ihm sein schwacher Verstand riet, Parz.348,5 f.). 198
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triuwe: verschwiegene Bündnisse Geheimnisse – Zeichen der Freundschaft: Immer wieder wird in der didaktischen Literatur gefordert, dass ein Geheimnis nicht verraten werden soll, denn: daz zwein ist reht, ze wît ist drîn (was für zwei gut ist, ist für drei zu groß, Wb 9,4). Dabei gilt der dadurch bekräftigte Bund des Vertrauens als Zeichen der Freundschaft, die entsprechend durch den Bruch zerstört wird.242 So warnt auch Iwein seinen Knappen, der ihm beim heimlichen Aufbruch half: und sich daz dûz wol verdagest. zewâre ob dûz iemen sagest, so ist iemer gescheiden diu vriuntschaft under uns beiden. (Iw.959–62) (und schau zu, dass du es gut verschweigst. Wahrlich, wenn du es jemandem verrätst, so ist auf immer die Freundschaft zwischen uns dahin.)
Das Verhältnis von Marke und Tristan ist zu Anfang geprägt durch die Enge der freundschaftlichen Vertrautheit. Marke nimmt den Neffen unerkannt am Hof auf, liebt ihn wie einen eigenen Sohn, und es entwickelt sich zwischen ihnen ein Verhältnis, dessen Enge die Forschung schon irritiert hat.243 Tristan weiht Marke als einzigen in seinen Plan ein, zu seiner Heilung nach Irland zu gehen und sagt ihm sîn tougen unde sînen muot, / als ein friunt sînem friunde tuot (sein Geheimnis und seine Absicht, wie es ein Freund mit seinem Freund macht, Tr.7317 f.). Zusammen denken sie sich aus, wie manz verswîgen solte (wie man es verschweigen könnte, Tr.7331). Erst nach dem verhängnisvollen Trunk von Tristan und Isolde wird die verschwiegene Vertraulichkeit zwischen Marke und Tristan zur Farce, ist sie nur noch Maske eines Versteckspiels. In ihrer Verschwiegenheit wird die noch engere Vertrautheit der Liebenden verschwiegen und somit die freundschaftliche und verwandtschaftliche Bindung und triuwe durch die der Liebenden gesprengt. 242 Die geläufige Floskel vor einer Information: daz sol iuch unverswigen sîn (z. B. Er.4928) impliziert letztlich diese Art spezieller Vertraulichkeit, wie sie unter Freunden besteht. Auch Marke fordert Rual auf, das Geheimnis um Tristan preiszugeben, indem er ihn als Freund anspricht: nu, friunt, bewîset ouch mich! (Tr.4152). 243 Vgl. die Überlegungen zu einer latenten Homosexualität Markes, u.a. bei Palmer, A question of manhood (1996). Bei aller Skepsis, die ich einer zu engen Lesart in dieser Richtung entgegenbringe, gibt es doch in diesem Zusammenhang auffallende Verse, wie z. B.: Tr.3719–39, Tr.6525–29.
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– Zeichen der Distanzierung: Das bewahrte Geheimnis, einerseits verbindendes Zeichen der triuwe, kann anderseits Zeichen einer Distanzierung sein. Die Freundschaft zwischen Marjodo und Tristan erhält ihren ersten Riss, als jener merkt, dass Tristan ihm etwas verheimlicht. Es ist das mangelnde Vertrauen des Freundes, das Marjodo erzürnt, bevor er noch von der verbotenen Liebe weiss: doch nam er ime hin z’ime dar van / ein friuntlîchez zornelîn, / sô liep als er im solte sîn, / daz er im niht enseite / von sîner tougenheite (es ergriff ihn deswegen aber ein freundschaftliches Zörnlein gegen ihn, dass er ihm, so lieb wie er ihm doch ist, nichts von seinem Geheimnis gesagt hatte, Tr.13558–62). Dieses zornelîn ist es aber, in dem der Keim seines späteren Hasses steckt, der ihn zum Verrat des Geheimnisses und damit zum offenen Bruch der Freundschaft reizt (Tr.13613–16). Der durch gemeinsame Verschwiegenheit geschaffene Freundschaftsraum wird da zerstört, wo das Geheimnis nicht mehr gemeinsam ist, wo das Schweigen und Verschweigen neue Grenzen zieht. Es ist nicht das Reden, das Gemeinsamkeit stiftet, sondern das gemeinsame Verschweigen (Tr.13464–83). So mahnt auch Wernher von Elmendorf in bezug auf den Freund: und swaz er wolle helin, / daz in bit in dir nummer beuelin. / wil her iz dir vbir daz sagin, / daz saltu beslozzen in dime hercen tragen. / beueliz iz dinir zvngen, / is iz dir lichte vntsprungen (und was er geheimhalten will, das bitt ihn, dir nicht anzuvertrauen. Wenn er es dir aber doch sagt, so musst du es in deinem Herz verschlossen tragen. Überlässt du es deiner Zunge, ist es dir leicht entsprungen, V. 701–6).244 Die ganze Gralsgeschichte entwickelt und offenbart sich im »Parzival« eigentlich in der Intimität der verwandtschaftlich vertraulichen Unterredung, dem in der Verschwiegenheit der Nähe offenbarten Geheimnis. Einerseits da, wo Parzival durch seine Verwandten in die 244 Wernher von Elmendorf (1974). Entsprechend wird im »Meizoge« vor einer zu großen Vertraulichkeit gewarnt: sag niht manegem dine tougen; wirt iz dir geworfen under die ougen, / da von wirt der vreunt verlorn / und kucket sich nit und zorn (Mz.201–4). Maria, die die Worte in ihrem Herzen bewahrte, wird dadurch auch zum Exempel der triuwe. Vgl. auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 23, Anm. 12. Zu diesem Freundschaftskult des Verschweigens schreibt Schmölders: »Der Idee, freundschaftliche Vertrautheit in der bindenden Verpflichtung statt in Gewöhnung und affektiver Bindung zu sehen, entspricht der Blick auf die Gesellschaft, in der man solcher Freunde bedarf: also einer feindlichen. Tatsächlich ist es das Kennzeichen vieler späterer und nicht nur rein höfischer Konversationslehren, Verschwiegenheit zum obersten Gebot zu erheben und freundschaftliche Verbündung nur als verschwiegene vorzustellen.« Die Kunst des Gesprächs (1986), S. 17.
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Gralswelt eingeführt wird, indem ihm sowohl Sigune wie Trevrizent nicht nur zu seiner Herkunft, sondern auch zur Bestimmung des Grals die entscheidenden Ratschläge und Hinweise geben, anderseits da, wo sich die Artus- und Gralswelt zusammenfügen. So ist es die intime Erkennungsszene zwischen Gahmuret und seinem Schwager Trevrizent, in dem die schicksalhafte Nähe der zwei Welten deutlich wird: über die Verbindung mit Herzeloyde ist die verwandtschaftliche Intimität gegeben, die ein verschwiegenes Wissen ermöglicht (Parz.497,21–498,12). Das Geheimnis des Grals erschließt sich das erste Mal da, wo Trevrizent von Gahmuret als Herzeloydes Bruder erkannt wird und auf sein insistierendes Fragen seine geheime Identität preisgeben muss. Dabei wird das Geheimnis aber in die Verschwiegenheit der Freundschaft (und Anverwandtschaft) eingeschlossen (Parz.498,5). Und es ist die Vertraulichkeit der Unterredung, während der Gyburc nicht nur den Mantel um Rennewart schlägt, sondern auch seine Hände in die ihren nimmt, die das Geheimnis möglich macht, in dem sich die zwei Geschwister unwissentlich ahnend zusammenschließen. Rennewart ermahnt Gyburc, nachdem er ihr das Geheimnis seiner Herkunft erzählt hat, die Geschichte zu verschweigen: dirre mære swiget stille (schweigt von dieser Geschichte, Wlh.293,9). Im intimen und gemeinsam verschwiegenen Gespräch wird die Nähe bestätigt.245 Verlangt aber Gawein von Bene, seiner Schwester nicht zu sagen, dass ihr Bruder mit ihrem Geliebten kämpfen wird (Parz.696,29f.), werden in dieser Verschwiegenheit die Geschwister gerade nicht zusammengeschlossen, sondern durch Unwissenheit getrennt. Gawein meint, seine Schwester durch das Verschweigen zu schützen. Eine Fürsorge, die in ihrer Problematik da deutlich wird, als schließlich Arnive die Sache nicht nur verbal aus der Welt schafft, sondern durch Vermittlung den Kampf abwendet. Der Versuch Gaweins, seine vom Geschehen ganz direkt betroffene Schwester durch Verschweigen auszuklammern, wodurch er ihr aber auch ein vertrauliches Vertrauen entzieht, wird durch das Misslingen in seiner Falschheit offenbar. – Berechnendes Verschweigen: Im Gegensatz zu Wolfram, bei dem sowohl im »Parzival« als auch im »Willehalm« die enge Vertrautheit unter Verwandten Ort von Verschwiegenheiten, Geheimnissen und 245 Die Mutter und Frau von Gregorius ist sich ihrer engen Vertrautheit mit ihrem Mann so gewiss, dass sie sich seine heimliche Trauer nur erklären kann, indem sie eine Unsagbarkeit annimmt: sonst hätte er es ihr nicht verschwiegen (Greg.2425–47).
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heimlichem Wissen ist, ist das verwandtschaftliche Gespräch bei Hartmann in der Regel Ausdruck einer verheerenden Vertrautheit und Enge. Die bei Wolfram grundsätzliche triuwe unter Verwandten ist bei ihm Folie des Bösen schlechthin. Die naive Aussprache unter Geschwistern, das Vertrauen in eine Verwandtenliebe, wie sie sich im »Iwein« bei der jüngeren Schwester im Erbstreit zeigen (ich wânde mich genieten / grœzers liebes mit dir, Iw.5642 f.), sind lediglich Folge ihrer kintheit (Iw.5671), ihrer fehlenden Erfahrung im Umgang mit anderen Menschen. Das berechnende Verschweigen entlarvt die ältere Schwester in ihrer Bosheit, so wie das unbedachte Plappern der jüngeren Zeichen ihrer unverständigen Jugend ist. Denn während diese vertrauensvoll der älteren Schwester von ihrem Plan, am Artushof einen Ritter für sich zu gewinnen, erzählt, verschweigt die ältere ihre Absicht aus Geiz: Diz gemarhte diu unguote und ahte in ir muote waz sî dar umbe tæte: und durch ir karge ræte sô sweic sî darzuo und kam ze hove vor ir sô vruo daz ir mîn her Gâwein wart. (Iw.5663–69) (Dies merkte sich die Böse und überlegte, was sie nun tun könnte: wegen ihrer hinterlistigen Absicht schwieg sie dazu und kam vor ihr an den Hof, so dass sie den Herrn Gawein anwerben konnte.)
– Gefahr der vertraulichen Verschwiegenheit: Ganz in die Katastrophe führt die zu enge Vertraulichkeit der Geschwister im »Gregorius«. Sie ist es, die sie verführt: in geschach diu geswîche / von grôzer heimlîche: / heten si der entwichen, / sô wæren si unbeswichen (Die Verführung geschah ihnen wegen der großen Vertraulichkeit. Wären sie der entkommen, so wären sie nicht in Schande gekommen, Greg.411–14). Die zu große triuwe wird zur Sünde: dâ was der triuwen alze vil (Greg.396). Dabei wird die in Schweigen eingeschlossene Nähe gerade durch dieses Schweigen als schuldhaft gekennzeichnet. Denn die schamvoll verschwiegene Vertraulichkeit wird schließlich zum gemeinsamen, schuldhaften Verheimlichen. Was bei Wolfram Freiraum geschützter Initimität ist, ist bei Hartmann Gefängnis verschwiegener Schuld. Und auch wenn Gregorius dann seiner Mutter wiederbegegnet, ist es das falsche Schweigen, das ins Verderben führt. Denn verhindert die Herzensblindheit, dass sie sich als Mutter und Kind erkennen (Greg.1935–38), obwohl das Auge der Mutter sehr genau am Kleid des Fremden den von ihr gewobenen Stoff erkennt (Greg.1939–62), sind es die nicht gestellte 202
Beredtes Schweigen
Frage und das nicht erzählte Herkommen, das den Lauf der Dinge erst ermöglicht. liebe und triuwe pervertieren sich wieder zur Sünde (Greg.2251–55). War sie unter den Geschwistern zu groß, ist sie zwischen Mutter und Sohn zu wenig eng. Aber nicht nur die zu große triuwe, sondern auch die Angst vor einem Verlust führt im intimen Verhältnis bei Hartmann zu falschem Verschweigen. So macht sich Enite mitschuldig an Erecs verligen, weil sie die Vorwürfe des Hofes aus Angst, Erec zu verlieren, verschweigt: Êrecke getorste siz niht klagen: / si vorhte in dâ verliesen mite (Sie getraute sich nicht, es Erec zu sagen, da sie fürchtete, ihn damit zu verlieren, Er.3011 f.). – Zeichen des treuen Gehorsams: Das gemeinsam bewahrte Geheimnis ist Zeichen der Treue dem Herrn gegenüber. Der alte Ratgeber, der mit seiner Frau zusammen den Eltern von Gregorius hilft, ihre Sünde zu verbergen, beweist dadurch seine Treue (Greg.555–60). Rual und seine Frau werden durch die heimliche Rettung des kleinen Tristan zum Inbegriff der Treue ihrem Herrn gegenüber (Tr.1892–1927).246 Ganz zu schweigen von den weiblichen Vertrauten. Lunete ist Laudine so verbunden, dass sie mit ihr alle Geheimnisse teilte (Iw.1790 f.). Und Brangäne, von Isolde und Tristan in ihre Liebe eingeweiht, macht sich explizit zur verschwiegenen und schicksalshaft verbundenen Vertrauten: lât diz laster under uns drîn verswigen unde beliben sîn. breitet ir’z iht mêre, ez gât an iuwer êre; ervert ez iemen âne uns driu, ir sît verlorn und ich mit iu. (Tr.12147–52) (lasst diese Verfehlung unter uns dreien verschwiegen sein und auf sich beruhen. Wenn ihr sie verbreitet, geht es an eure Ehre. Erfährt es einer außer uns dreien, seid ihr verloren und ich mit euch.)
Die Bitte, ein Geheimnis zu verschweigen, schließt immer wieder eng Vertraute zusammen oder wird zum Ausdruck eines Treueverhältnisses zwischen Diener und Herr. Iwein verlangt von dem Knappen, der ihm zur heimlichen âventiure-Fahrt hilft, dass er es verschweigt: »und sich daz dûz wol verdagest« (und schau zu, dass du es gut verschweigst, 246 So ist es auch Ausdruck von triuwe, wenn der Abt die Tafel mit dem Geheimnis von Gregorius’ Herkunft verschlossen verwahrt, bis er, der getriuwe man, es ihm dann offenbaren muss (Greg.1739–60).
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Iw.959). Genauso will Gawein, dass seine Einladung an Artus verschwiegen bleibt, wie auch Artus nicht vorzeitig erfahren soll, wo er ist (Parz.626,19–22). Als Artus dann ankommt, soll das verheimlicht werden, um die Überraschung nicht zu gefährden; er bittet den Knappen es zu verschweigen (Parz.654,26), und die Vertrauten werden ermahnt, nicht zu verraten, dass Artus seinetwegen gekommen ist (Parz.667,25f.). Spielerisch setzt Wolfram die Verpflichtung, eine vertrauliche Mitteilung zu verschweigen, als poetologisches Mittel der Verzögerung ein, als er sich auf eine Bitte Kyots beruft, die Gralslegende nicht vor der Zeit zu offenbaren (Parz.453,1–10). Kann das Gelingen eines Plans von der Verheimlichung abhängen, gilt oft die Bitte um Verschweigen dem Schutz eines Geheimnisses, an dem das Wohl einer Person hängt. Tristan bittet die Frauen am Hofe in Irland, nachdem er ihnen seine Sache vorgebracht hat, dass sie es verheimlichen, um ihn nicht zu gefährden: »nu lât ez ouch verholen sîn« (nun behaltet es für euch, Tr.10583). – Gekauftes Schweigen: Werden diese Schweigesituationen durch Treue und Vertrautheit gestützt und gehalten, braucht die böse Absicht andere Mittel, um verheimlicht zu werden. Es ist bezeichnend, dass nur im »Tristan« Schweigen gekauft werden kann. Wenn Tristan heimlich nach Irland fährt, werden die Schiffsleute nach Hause geschickt, ihr Schweigen aber muss, angesichts der Intrigen gegen Tristan am Hof Markes, gekauft werden (Tr.7442–46). Und Isolde kauft das Schweigen der in den Mordplan an Brangäne eingeweihten Knechte mit zweinzec marc von golde (Tr.12936). Das Vertrauen in die triuwe, wie es die Welt des Artus und auch des Grals beherrscht, ist am Hofe Markes gebrochen.247 Auch das berechnende Verschweigen Tristans, der seinen Wunsch nach Petitcriu vor Gilan geheim hält, um eine geeignete Gelegenheit abzuwarten, das Hündchen in seinen Besitz zu bekommen, ist Ausdruck gebrochener triuwe: diu trahte und daz ungemach / daz lag im in dem herzen ie, / und tete doch diu gelîche nie (Diese Gedanken und das Unglück lasteten ihm ständig auf dem Herzen, und doch tat er nicht dergleichen, Tr.15916 ff.). Durch den verschwiegen ausgesprochenen Wunsch kann er dann Petitcriu als Lohn für den Kampf gegen Urgan verlangen (Tr.15949–60). Das Unfeine dieses Täuschungsmanövers ist deutlich.
247 Zur Kaufhandlung als Ausdruck und Zeichen von Korruption des Höfischen siehe Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 269 ff.
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In derselben Art hatte der unbekannte Ritter am Artushof die Königin verlangt (Iw.4537–54).248 Enite Einzig steht in der hier betrachteten Literatur das von Erec über Enite verhängte Schweigegebot da. Enite, die gegen ihren Willen, nur unter Drohungen und aus Angst vor einem Missverständnis, Erec die Kritik des Hofes mitteilte, wird darauf von diesem zum Schweigen verurteilt. Gleichzeitig aber soll sie auf der gemeinsamen Reise, zu der Erec überstürzt aufbricht, als Späherin vorausreiten: und gebôt ir dâ zestunt / daz ze sprechenne ir munt / zer reise iht ûf kæme, / swaz si vernæme / oder swaz si gesæhe (und befahl ihr da, dass ihr Mund während der Reise sich nicht zur Rede öffne, was immer sie höre oder sehe, Er.3098–102). So verlangt Erec von ihr gerade das, was sie eigentlich hätte tun wollen, wenn er sie nicht zum Reden gezwungen hätte: verschweigen, was sie hört und sieht. Und die heimliche Angst, Erec zu verlieren, die sie daran hinderte, ihm die Gerüchte des Hofes mitzuteilen, wird durch die ausgesprochene Drohung des Schweigegebots plötzlich real und offen. Der wiederholte Bruch des Schweigegebots, jedes Mal im Zeichen ihrer triuwe,249 wird so zur immer neu vollzogenen Umkehr der Kemenatenszene. Hat dort Erec ihr Schweigen durch ein Redegebot mit Gewalt aufgebrochen, bricht sie jetzt das durch Gewalt auferlegte Schweigegebot durch Rede. Hartmann legt nun Erec die weitverbreitete Vorstellung in den Mund, dass die Frau notwendig ins Verbotene eindringe (Er.3242–58). Eine »Wahrheit«, die sich scheinbar im Geschehen bestätigt, in der Inszenierung der Szene aber dekonstruiert wird. Denn nur durch diesen Verstoß gegen das Gebot, nur durch diese Grenzüberschreitungen Enites, ist Rettung überhaupt möglich. Der Bruch des Schweigegebotes ist es, in dem sich wiederholt Enites Demut bezeugt, in dem aber auch dieser kleine Moment eigennütziger Liebe, wie er sie noch in der Kemenate am Reden hinderte, überwunden wird. Der Verstoß gegen das Gebot, das Eindringen ins Verbotene wird zur (Er)lösung.250 So wird 248 Im »Iwein« ist denn auch die Schwierigkeit, eine solche Bitte abzuwehren, reflektiert: als Artus die verschwiegene Bitte des fremden Ritters nicht erfüllen will, läuft er Gefahr, seinen guten Ruf zu verlieren (Iw.4575–78). Zu der die Falschheit bestimmenden Mittel-Zweck-Relation, die höfischem Verhalten entgegensteht, vgl. Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 271. 249 U.a. Er.3184; 3262; 3367; 3415; 3993. 250 Inwiefern diese Umkehr der Szene, wo die Versucherin zur Erlöserin wird und das Grenzüberschreitende der Frau sie gerade zur Heilsvermittlerin macht, sich am typologischen Muster von Eva und Maria orientiert, wäre zu überlegen.
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die »Wahrheit«, auf die sich Erec beruft, gerade durch die Handlung Enites, durch den Einzelfall, auf den Erec sie bezieht, in ihrer täuschenden Scheinbarkeit deutlich. Das Schweigegebot Erecs wirkt aber in erster Linie auch als Demütigung der Frau, als Entmündigung, indem ihr das Wort genommen wird. Eine Demütigung jedoch, in deren Erniedrigung Enite – ein anderes Paradox – den höchsten Rang erreicht. Es ist nicht nur der Erzählerkommentar, der ihre duldende Größe hervorhebt, sondern es sind auch die verschiedenen Protagonisten, denen das Paar unterwegs begegnet, die der erniedrigten Frau in höchster Hochachtung begegnen, bis hin zur Königin am Artushof, in deren Gemächern ziemlich offen über das Leiden Enites geredet wird. Dass Enite von Erec mit dem Schweigegebot belegt werden kann, ist Ausdruck der zwischen den Geschlechtern herrschenden Hierarchie. Dass diese Machtgebärde aber problematisch ist, wird in der Erzählung deutlich. Nicht zuletzt auch in der von Oringles gebotenen Karikatur des gewalttätigen Mannes, der seine Schläge rechtfertigt: »si ist mîn und ich bin ir: / wie welt ir daz erwern mir, / ich entuo ir swaz mir gevalle?« (sie gehört mir und ich ihr: wie könnt ihr mich daran hindern, ihr zu tun was mir gefällt? Er.6546 ff.).
schame: Schloss des Mundes Im »Parzival« wird dem von Cundrie geschmähten Helden trotz allem noch Scham zugesprochen, als das, was ihn schließlich retten kann: und dennoch mêr im was bereit / scham ob allen sînen siten (und doch war ihm, über allen seinen Handlungen, noch die Scham gegeben, Parz.319,6 f.). Scham wird da, als der sêle krône (Parz.319,10), zum Schlussstein der höfischen Tugenden. Was genau darunter zu verstehen ist, ist schwierig zu sagen.251 Der enge Zusammenhang der schame mit einer bewussten Wortkargheit, wenn nicht Wortlosigkeit, ist aber immer wieder betont. So heißt es zum Beispiel im »Winsbecke«: sliuz die scham vür dînen munt (verschließ deinen Mund durch die Scham,
251 Vgl. dazu Schnyder, Frau, Rubin und ›âventiure‹ (1998). Siehe auch Haferlands Überlegungen zur Scham im Rahmen höfischer Interaktion: Höfische Interaktion (1988), S. 241–249. Thomasin mahnt die Kinder: si sulen schamen sich ze mâzen, / wan swer sich schamt, der muoz verlâzen / ruom, lüge, spot und schalkeit, / und manger slaht unstætekeit. (WG 189–92). Zum Begriff der schame vgl. auch die Studien von Yeandle, »Schame« in the Works of Hartmann von Aue (1994), und The concept of »schame« in Wolfram’s Parzival (1994).
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Wb 44,9).252 Ausdruck der schame ist Schweigen – ad malam und ad bonam partem. Denn nicht nur schweigt der Beschämte, verschweigt er aus Scham einen Fehler, sondern es ist die Scham, die den Affekt domestiziert und verschließt.253 Höfisch und schuldig verschämtes Verschweigen Gawein bittet die Jungfrauen, die ihn nach seinem Kampf auf dem ›lit marveil‹ pflegen, zu verschweigen, in welchem Zustand sie ihn fanden. Selbst in dieser Situation denkt er – der vorbildliche Artusritter – an zuht und Repräsentation und versucht diese über Sprachregelungen zu kontrollieren, um so seiner Ehre keinen Abbruch zu tun: »daz ir mich soldet vinden / sus ungezogenlîche ligen! / ob daz wirt von iu verswigen, / daz prüeve ich iu für güete. / iur zuht iuch dran behüete« (dass ihr mich so unanständig daliegend gefunden habt, wenn ihr das verschweigen wolltet, wäre das nett. Möge euer Anstand euch daran hindern, Parz.576,22–26). Durch das Verschweigen soll die Schwäche nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Auch Kalogrenant versucht in der Erzählung seiner misslungenen âventiure die entscheidende Stelle verschämt zu verschweigen. Seine Niederlage gegen Askalon kürzt er auf den Zeilensprung ab, was den komischen Effekt hat, dass er regelrecht zwischen die Worte zu Boden fällt: ich tjostierte wider in: / des vuort er mîn ors hin (ich ritt gegen ihn an: deshalb führte er mein Pferd weg, Iw.739 f.). Anders als diese höfisch verschämte Verschwiegenheit mit ihren nicht selten auch witzigen Facetten, fehlt dem schuldig verschämten Verschweigen das spielerische Moment, wie es sich im höfischen Kontext an den Rändern der durch die zuht abgesteckten Normen immer wieder findet.254 Wenn Parzival Trevrizent zuerst aus Scham sein Ver252 Im »Meizoge« heißte es lapidar: sprich mit zuhten, habe die scham, / daz ist Got lobesam (Mz.365 f.). Und Ambrosius sagt in bezug auf Maria bei der Verkündigung: »Docet solitudo verecundiam: et gymnasium pudoris secretum est.« Exhortatio virginitatis, cap. x,71, PL 16, Sp. 357C. 253 Von Gawein heißt es, dass er auf Keies verbale Attacken nicht antwortet: als wol gezogenem man geschiht, / dem scham versliuzet sînen munt, / daz dem verschamten ist unkunt (Parz.299,16 ff.). 254 In der theologischen Literatur wird immer wieder auf das falsche Verschweigen einer Schuld hingewiesen: »Cur ergo timemus peccata confiteri? […] Vult enim Deus quod confiteamur; non quod ignoret peccata nostra, sed ut diabolus audiat, quoniam confitemur et poenitet nos pecasse; […] Ecce enim, fratres, diabolus vult ut taceamus, Deus vult ut confiteamur.« Ps.-Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios, XXX , De confessione peccatorum, PL 40, Sp. 1288.
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sagen beim Gral verschweigt (Parz.468,19f.) und lange braucht, bis er ihm schließlich beichtet, wird das im höfischen Rahmen mehr oder weniger spielerisch inszenierte schamvolle Verschweigen in den religiösen Kontext gestellt: »hêrre und lieber œheim mîn, getorst ichz iu vor scham gesagn, mîn ungelücke ich solde klagn. daz verkiest durch iwer selbes zuht: mîn triwe hât doch gein iu fluht.« (Parz.488,4–8) (Herr und mein lieber Onkel, wenn ich es vor lauter Scham zu sagen wagte, würde ich mein Unglück beklagen. Verzeiht dies mit der euch eigenen Großmütigkeit: meine Aufrichtigkeit sucht doch bei euch Zuflucht.)
Die Keuschheit hat keine Worte – Die schweigende Jungfrau: Auszeichnende Eigenschaft der jungen Frau ist ihre schamvolle Wortlosigkeit. Wie eng dieses Schweigen als Zeichen der Keuschheit gedeutet wird, zeigt sich in den theologischen Argumenten, die die jungfräuliche Integrität mit der verschlossenen Türe vergleichen, die ihrerseits Bild für den Mund ist. Deutlich mahnt Ambrosius die Jungfrauen: »Lerne deine Türe in den Zeiten der Nacht zu verschließen, damit sie nicht leicht irgendeiner offen findet. Der Bräutigam will sie verschlossen haben, wenn er klopft. Unsere Türe ist unser Mund, der sich allein für Christus öffnen soll: dass er nicht geöffnet werde, außer wenn zuvor durch das Wort Gottes geklopft wurde. […] Schnell dringt der Wegelagerer der Keuschheit ein, schnell bricht ein Wort heraus, das du zurückrufen willst.«255 255 »Januam quoque tuam disce temporibus obserare nocturnis, non facile quisquam patentem reperiat. Sponsus ipse vult clausam esse, cum pulsat, Janua nostra os nostrum est, Christo propemodum soli debet aperiri: nec aperiatur, nisi ante pulsaverit Dei Verbum. […] Cito insidiator pudoris obrepit, cito verbum excidit, quod revocare desideres.« Ambrosius, De virginitate, cap. xiii,80, PL 16, Sp. 286C-D. Es ist die latente Sexualisierung der Sprache, die das Schweigegebot so eng an das Keuschheitsideal der Frau fügt, auch wenn von den jungen Männern genauso Verschwiegenheit gefordert wird. Ambrosius mahnt: »Si virilis sexus jubetur tacere coram senioribus (Eccl.xi,8), quam indecorum est virgines loqui, et varios serere sermones!« Exhortatio virginitatis, cap. X,72, PL 16, Sp. 357C-358A. Zur traditionellen Verbindung von Mund und Vagina siehe ausführlich Laqueur, Auf den Leib geschrieben (1996). Zur Verknüpfung von Sexualität und Sprache siehe Benkov, Language and Women (1989); in bezug auf den antiken Mythos vgl. Cosi, Jammed Communication (1987). Zur Verkoppelung von Schweigen und Keuschheit siehe auch Ambrosius, der in bezug auf Cant 1,2 die Jungfrau mahnt, mit dem Schlüssel der Keuschheit und der Scham
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Was im religiösen Kontext in der Metaphorik der Spiritualität deutlich gesagt wird, prägt aber auch die weltlichen Wahrnehmungsmuster. Da wie dort gilt das Schweigen des Mädchens als Zeichen seiner kiusche. Auch Enite reiht sich durch ihr schamvolles Schweigen unter die keuschen Mädchen ein: ir gebærde was vil bliuclîch, einer megede gelîch. si enredte im niht vil mite: wan daz ist ir aller site daz si zem êrsten schamic sint unde blûc sam diu kint. (Er.1320–25) (ihr Gebaren war sehr scheu, einem Mädchen gleich. Sie sagte nicht viel zu ihm: denn das ist ihrer aller Art, dass sie zuerst einmal schamvoll sind und scheu wie die Kinder.)
Und wenn der Fährmann auf Gaweins Bitte, mit seiner kleinen Tochter Bene essen zu dürfen, meint, dass ihr eigentlich nicht erlaubt sei, mit Herren zu essen, da es ihr leicht in den Kopf steigen könnte (Parz.550,16–19), was Bene schamrot werden lässt (Parz.550,23), weist das nicht nur auf die von ihr internalisierte zuht hin, sondern auch auf die darin sich manifestierende Keuschheit. Genauso zitiert das kleine Mädchen Obilot die Regel, gegen die sie verstößt, indem sie sich direkt an Gawein wendet, um ihr so doch gerecht zu werden: trotz dieser offenen und offensiven Rede sollen zuht und schamlîcher sin bewahrt bleiben (Parz.369,6 f.). – Der schweigende junge Held: Wird aber Parzival bei Gurnemanz durch Jungfrauen gebadet, schweigt auch er zu ihrem Gerede und steigt nicht eher aus dem Zuber, bevor sie nicht weggegangen sind: sus kunde er sich bî vrouwen schemen (so konnte er sich vor Frauen schämen, Parz.167,23). Das schwierig zu deutende Schweigen des unerfahrenen Helden, während die Frauen parlieren, ist wohl im Zusammenhang mit diesem schamvollen Schweigen als Zeichen einer Keuschheit zu verstehen. Eine mädchenhafte Keuschheit, wie sie auch Rennewart aus-
vor dem Reden und dem Verzicht auf Rühmen die Salbe zu verwahren. »Claude sane vas tuum, ne unguentum effluat. Claude integritatis clave, loquendi verecundia, abstinentia gloriandi.« De virginitate, cap. XI ,66, PL 16, Sp. 282D. Oder er sagt: »Et bona loqui plerumque crimen est virginis. […] Bonus est pudor quem commendant silentia.« Exhortatio virginitatis, cap.XIII ,86, PL 16, Sp. 361D.
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zeichnet (Wlh.274,9–14), weniger Ausdruck der tumpheit als Zeichen jener alle Tugenden überwölbenden Scham, wie sie nicht durch die höfische Erziehung von Gurnemanz, auch nicht durch die Lehren von Trevrizent gegeben, sondern eine angeborene Auszeichnung des Helden ist.256 Über Liebe spricht man nicht – Wortlose Intimität: Verbindet sich die Freundschaft im gemeinsam verschwiegenen Geheimnis, so ist die Liebe selber ein solches Geheimnis.257 Ähnlich wie die Trauer hat sie keine öffentlichen Worte, es sei denn, sie werde zum höfischen Fest und damit zur Institution. Ist es einerseits die höfische zuht, die die öffentliche Darstellung der Minne außerhalb der Repräsentation bändigt, ist es aber auch das Verschwiegene des Liebesverhältnisses, in dem sich die Verbindung schließt. Die höchste Intimität hat keine Sprache.258 Im »Winsbecke« heißt es: Sun, dû solt sinneclîchen tragen / verholn dîn minnevingerlîn (Sohn, du sollst verständig und verborgen dein Liebesringlein tragen, Wb 9,1 f.). Dabei ist es die Scham, die der Liebe die öffentlichen Worte nimmt. Blanscheflur, in Riwalin verliebt, reflektiert ihre Gefühle und meint: und sol ich mich der rede niht schamen / durch mînen magetlîchen namen, / sô dunket mich, diu herzeklage, / die ich durch in ze herzen trage, / diu ensî niwan von minnen (und müsste ich mich der Worte nicht schämen wegen meiner Jungfräulichkeit, so schiene es mir, dass der Herzkummer, den ich seinetwegen im Herzen trage, von nichts anderem als von Liebe kommt, Tr.1057–61). Öffentlich kann nur verschlüsselt und vil schemelîche zwischen Liebenden gesprochen werden (Tr.742–89), oder dann durch stumme Blicke, über die sich auch in der großen Gesellschaft Liebesverhältnisse stricken, ohne dass Worte gesagt würden. Als Gramoflanz endlich neben Itonje sitzt, reden sie miteinander, aber ir rede von niemen wart vernomn: / si sâhn ein ander gerne (ihre Rede hörte niemand: sie sahen sich gern an, Parz.725,12f.). Eine Art Geheimspra-
256 Nellmann meint, »Parzivals schamhafte Reaktion soll seine tumpheit illustrieren«, verweist dann aber auf die allgemeine Schamhaftigkeit der Helden vor Frauen, was die Erklärung unbefriedigend macht. Wolfram von Eschenbach, Parzival (1994), S. 545. 257 Itonje bittet Gawein aus ängstlicher Scham, ihre heimliche Liebe der Mutter nicht zu verraten: »mîn muoter sult ir daz verdagn, / und mîn swester Cundrîê.« (Parz.634,29 f.). 258 Es ist interessant, dass James-Raoul in bezug auf den französichen Roman genau das Gegenteil konstatiert: La parole empêchée (1997), S. 258 f.
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che, die die Liebenden aus der Öffentlichkeit ausschneidet.259 Ähnlich ergeht es Gahmuret und Belakane, als sie sich zum ersten Mal begegnen (Parz.28,27–29,8). Und wenn Erec mit Enite am Anfang ihrer Bekanntschaft allein unterwegs ist, sprechen sie kein Wort, sondern verschränken nur ihre Blicke und gründen in diesem stummen Schauen triuwe und stæte (Er.1484–97). Diese Unterhaltung funktioniert jedoch nur, wenn beide sich auf diese stumme Sprache einlassen. Der Frau von Narison nützen weder ihre Blicke noch ihre sonstigen Gebärden etwas – Iwein geht nicht darauf ein (Iw.3791–824). Das direkte Wort aber muss sie aus zuht unterlassen: und endûhtez sî niht schande, / sî hete geworben umb in (wäre es ihr nicht als Schande erschienen, hätte sie um ihn geworben, Iw.3810 f.).260 Und wieder ist es Wolfram, der die Konvention poetologisch nutzt, wenn er die Liebe zwischen Orgeluse und Gawein mit dem Hinweis darauf, dass dies kein Thema für die Öffentlichkeit sei, beredt verschweigt: zuht sî dez slôz ob minne site (Anstand verschließe die Liebeshändeln, Parz.643,8). – Verschwiegene Liebe: In der Liebe zwischen Tristan und Isolde aber zerbricht die zuht, wie sie als Schamgefühl von beiden Liebenden verinnerlicht ist, langsam an der Stärke der Liebe, und die gegen das öffentliche Interesse verstoßende heimliche Liebe wird zur gemeinsam verheimlichten Liebe. Ist es anfänglich die Scham, die die Wand errichtet, ist es danach die kalkulierte Täuschung. Heißt es zu Anfang: si wâren beide einbære / an liebe unde an leide / und hâlen sich doch beide, / und tete daz zwîvel unde scham: / si schamte sich, er tete alsam; / si zwîvelte an im, er an ir (sie stimmten vollkommen überein in Liebe und Leid und verbargen sich doch beide. Dies machten Zweifel und Scham: sie schämte
259 Ironisierend heißt es im Erzählerkommentar: swenne ich nu rede gelerne, / sô prüeve ich waz si spræchen dâ, / eintweder nein oder jâ (Parz.725,14 ff.). Vgl. auch die Begegnung von Riwalin und Blanscheflur (Tr.1075–99). 260 Orgeluse bricht diese Scham, als sie um Parzival wirbt – und schämt sich entsprechend dann vor Gawein. Dass dieses Verhalten anstössig war und ungute Rückschlüsse auf die Frau ziehen liess, wird deutlich durch die explizite Entschuldigung, die in beiden Fällen erfolgt. Für die Frau von Narison ergreift der Erzähler das Wort (Iw.3812–18), Orgeluse aber bittet selber um Verzeihung, als sie dieses ›Fehlverhalten‹ Gawein erzählt und betont, dass sie in Not gehandelt hätte (Parz.619,15–24). Ich glaube nicht, dass von einem »Affront« von Seiten Parzivals, der Orgeluses Angebot ausschlug, gesprochen werden kann, wie das Haferland meint. Höfische Interaktion (1988), S. 143.
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sich, er ebenso; sie zweifelte an ihm, er an ihr, Tr.11734–39), verstricken sie sich dann immer mehr in heimlichen und stummen Blicken,261 ohne aber sich ihre Liebe eingestehen zu können: daz geschuof diu fremede und diu scham (das machten Fremdheit und Scham, Tr.11905), bis sie schließlich über das verschlüsselte, in sich wieder verschwiegene Reden in die gemeinsame Heimlichkeit der Liebe vordringen (Tr.11989–12043). Danach aber verbergen sie sich nicht mehr unter sich, sondern verschweigen ihre Sache und verheimlichen ihr Geheimnis (Tr.13087 f.). Gehört die Liebe nicht in das öffentliche Gespräch, verweist Gurnemanz Parzival auch seine penetrant verbalisierte Mutterliebe: ir redet als ein kindelîn. / wan geswîgt ir iwerr muoter gar / und nemet anderr mære war? (ihr sprecht wie ein Kindlein. Wann schweigt ihr endlich von eurer Mutter und nehmt andere Geschichten auf? Parz.170,10ff.). Wenn es dann aber von Parzival heißt: sîner muoter er gesweic, / mit rede, und in dem herzen niht; / als noch getriwem man geschiht (von seiner Mutter schwieg er, mit Worten, aber nicht im Herzen, wie das heute noch treuen Männern passiert, Parz.173,7–10), wird deutlich, dass hier die affektive Bindung durch die verstandesmäßige Ordnung ersetzt werden soll, der Affekt hinter der zuht verschwiegen werden muss. Das mütterliche Vorbild soll durch den verständigen Rat ersetzt werden. Affektive Bindung, sofern sie nicht als Freundschaft unter Gleichen das Ansehen verdoppelt, hat keine Worte. Namenlose Scham262 – Verlorene höfische Präsenz: Immer wieder wird der eigene Name aus Scham verschwiegen und wird vor der Öffentlichkeit, in die der Name einreiht, Schutz gesucht hinter einem Inkognito. So wenn Erec sich Keie – und damit dem Artushof – ze dirre zît noch nicht nenne will (Er.4831 f.), oder Iwein seinen Namen ablegt für die Zeit seiner Verschuldung.263 Erst mit der Vergebung Laudines will er sich seinen Namen wieder zulegen:
261 Tr.11819–27; Tr.11845–59. 262 Das Problem des Inkognitos im höfischen Roman lässt sich im Rahmen dieser Untersuchung nur streifen. 263 Im kleineren Rahmen aber auch, wenn Keie seinen Namen nach der Niederlage gegen Erec nicht preisgeben will, um ihn von der Schande freizuhalten (Er.4756–69).
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er sprach »ich wil sîn erkant bî mînem lewen der mit mir vert. mirn werde ir gnâde baz beschert, sô wil ich mich iemer schamen mîns lebens und mîns rehten namen: ich wil mich niemer gevreun: îch heize der rîter mittem leun.« (Iw.5496–502) (Er sagte: »ich will an meinem Löwen erkannt werden, der mich begleitet. Bevor mir nicht von ihr Gnade widerfährt, werde ich mich ewig meines Daseins und meines richtigen Namens schämen. Ich will mich nicht mehr freuen. Ich heisse Der Ritter mit dem Löwen.«)
Er vollbringt Taten, die im ganzen Land erzählt werden und schafft sich eine Geschichte um sein Inkognito herum. Dabei bedingt die Berühmtheit die Namenlosigkeit: nur weil die Geschichten seiner Taten erzählt werden, wird seine Namenlosigkeit bewusst, nur weil geredet wird über ihn, wird das Verschwiegene bedeutsam. Durch den Ruhm seiner Taten dringt er wieder in den Kreis des Artushofes ein, schließt sich selber aber durch die Namenlosigkeit gleichzeitig aus. So klagt Gawein, dem er die Familie der Schwester gerettet hat darüber, daz er sîn niht ennande. / er erkand in bî dem mære, / und enweste doch wer er wære (dass er sich nicht genannt hatte. Er erkannte ihn an der Geschichte und wusste doch nicht, wer es war, Iw.5695 ff.).264 Wenn sich sonst ein Name erst durch die Geschichten, die sich um ihn ballen, konstituiert und zum festen Punkt in der Artusgesellschaft wird, ist es hier genau umgekehrt. Der vollkommen dekonstruierte Name wird gerade durch die Geschichten in seiner Absenz erst deutlich. Auch Gawein hüllt sich in Namenlosigkeit, als er sich im Erbstreit der Schwestern für die Sache der älteren einsetzt. Damit steht sein irritierendes Engagement für eine offensichtlich unrechtmäßige Sache nicht unter dem Zeichen seines Namens (Iw.6884–94).265 Während er diese einmalige Tat aus seiner, durch den Namen geschaffenen Präsenz 264 Ruberg erwägt eine wertende Lesart dieser zwei Verse im Sinne einer Blindheit Gaweins, der Iwein doch hätte erkennen müssen aufgrund des Berichts. Ich glaube aber, dass es hier weniger um Gaweins Unverständis geht, als um die Tatsache, dass die Erzählung sich als Teil der Löwenritteridentität verstehen lässt, ohne Namen aber der Löwenritter unerkannt bleibt, so viel man von ihm auch erzählt. Die Geschichten sind nur über den Namen in die Präsenz gebunden, in der auch Identifikation möglich ist. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters. (1978), S. 218, Anm. 35. 265 Vgl. dazu auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 219 und S. 228.
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ausschließen will, entzieht Iwein gerade umgekehrt seinen Namen der durch die Taten geschaffenen Präsenz. Im Artuskreis ist der Verzicht auf den Namen Selbsterniedrigung und Selbstausschluss aus dem Kreis um den König, eine Art selbstauferlegte Strafe, die sich, zumindest bei Iwein, im Verlauf der Handlung zu einem Ausdruck von Demut stilisiert. – Der Stolz des verschwiegenen Namens: Bei Rennewart, der von Gyburc verlangt, dass sie seine hohe Herkunft, die er ihr in heimlich geschwisterlicher Vertrautheit offenbart hat, verschweigt, ist es gerade nicht die Scham, die das Inkognito verlangt, sondern der Stolz. War es anfangs die Drohung der Entführer, die das Kind über seine Herkunft schweigen ließ (Wlh.284,1–5), ist es schließlich die heimliche Lust an der Erniedrigung, die Rennewart schweigen lässt. Denn im nicht preisgegebenen Wert tut sich ein eigener Raum der Freiheit in der fremden Umgebung auf. Gleichzeitig ist die eigene Erniedrigung Mittel, sich am Vater für die scheinbare Vernachlässigung zu rächen. Die Beschämung wird zum Mittel des Stolzes. – Taktischer Namensverlust und ideologisches Kalkül: Ist bei Hartmann das Verschweigen des Namens Mittel des Selbstausschlusses aus der Artusrunde, kann es bei Wolfram und Gottfried auch zur taktischen Wahrung eines Inkognitos dienen, als Schutz vor Feinden oder als Bedingung für das Gelingen eines Plans. So verkehrt Tristan seinen Namen am irischen Hof, dessen Mitglieder zu der Zeit nichts anderes als seinen Tod wünschen: »frouwe, ich heize Tantris« (Tr.7791). Während Tristan seinen Namen rätselhaft verdreht, antwortet Gawein auf die Namensfrage Antikonies witzig ausweichend: mich lêret mîner künde sin, / ich sage iu, frouwe, daz ich pin / mîner basen bruoder suon (mich lehrt meine Kenntnis, ich sage es euch, Herrin, dass ich der Sohn des Bruders meiner Tante bin, Parz.406,14 f.), um sich seine Chancen nicht zu vertun. Und um die Überraschung durch das Kommen von Artus nicht zu verderben, bittet er dann auch Orgeluse, seinen Namen auf ›Schastel marveil‹ geheimzuhalten: lât mînen namen unrekant (Parz.620,3). Orgeluse hält sich streng daran, si versweic sîn namen unt sînen art (sie verschwieg seinen Namen und seine Herkunft, Parz.627,18), zum großen Ärger von Arnive. Geht es in diesen Heimlichkeiten um taktische Überlegungen, oft zwischen Ernst und Spiel, gehört das Inkognito zum festen und magischen Bestandteil des Gralsritters. Schon früher vermittelte man die Männer des Grals heimlich in die Welt, um so die Gemeinschaft zu 214
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mehren (Parz.495,1 f.) und hatte ein Gralsritter seine Herkunft zu verheimlichen. Nach der Tragödie um Anfortas aber ist der Gralsgesellschaft immer mêr nu vrâgen leit (auf immer jegliches Fragen verhasst, Parz.819,6) und wird durch höchste Vorschrift die Namensfrage verboten (Parz.818,25–819,2); eine Vorschrift, die schließlich gegenüber Loherangrin in Brabant zum Verhängnis wird (Parz.825,12–826,28).
3.4 Zusammenfassung Das sprachgefüllte Schweigen ist das Schweigen, das im höfischen Roman die weitaus größte Rolle spielt. Es ist dieses Schweigen, auf das sich die Verhaltensregeln beziehen, da sie – als Sprach- und Kommunikationsregeln – hier ein fassbares Objekt fanden. Und doch weisen auch diese Schweigeformen, so genau sie sich scheinbar begrenzen lassen, immer wieder aus der Sprachordnung hinaus und sprengen die ›regula loquendi‹. Vor allem bleibt die dem Schweigen eigene Ambivalenz bestehen, so dass die regelhaft definierte Bedeutung sich in verändertem Kontext auch verändern kann. Damit bricht gerade an diesen Schweigeregeln die Problematik jeder Regelung auf; und das ist es, was in den höfischen Romanen zu interessieren begann. Das schweigende Denken, die deutlichste Form redegefüllten Schweigens, lässt sich in ein Vordenken, ein Nachdenken und ein Betrachten gliedern, wobei sowohl das Vordenken wie das Nachdenken sehr direkt auf das Reden hin ausgerichtet und entsprechend konstituiert sind. Das vorwörtliche Schweigen dient der Beherrschung und Zurechtschneidung der kommenden Rede. Damit wurde im Großen aufgenommen, was in der rhetorischen Theorie für den Satz- und Redeanfang zu Regeln geformt war, was in der Grammatiklehre Teil der Sprachausbildung war. Ging es dort darum, durch sorgfältige Vorbereitung die Sprachkompetenz so zu perfektionieren, dass das Reden nicht gebrochen wurde, und den Redeanfang so zu setzen, dass das Ziel der Rede gesichert war, geht es hier darum, sich nicht in der Rede zu verfehlen, sei dies in moralischer, ethischer, politischer oder sozialer Hinsicht. Gelingt dies, gilt das schweigende Vordenken als Zeichen von Weisheit; wird dadurch aber ein notwendiges Wort hinausgezögert, gilt es als ungutes Zaudern. Damit war der scheinbare Schutz des Schweigens problematisch geworden, konnte – im Rahmen der höfischen Gesellschaft – die absolute Redeabstinenz keine Lösung sein, sondern ging es darum, den richtigen Zeitpunkt für das Reden und Schweigen zu 215
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finden. Die Flucht aus der Zeit in die Redeabstinenz ist deutlich keine Möglichkeit innerhalb der höfischen Gesellschaft. Denn diese, auf Handlung in Wort und Tat angelegt, funktioniert nur durch die entscheidende und darin ordnende Kommunikation. Wird die nötige, da klare Verhältnisse schaffende Rede zu lange hinausgezögert, schadet das der in der Zeit gliedernden Ordnung. Ist das vorbereitende Denken Mittel, die Rede nicht falsch zu setzten, aber auch Gefahr, sich im Zaudern zu verlieren, gilt die erinnernde Nachdenklichkeit dem nachträglichen Ordnen und Erzählen. Darin wird es möglich, die lineare Zeitlichkeit der Sprache aufzulösen, im Moment der wortlosen Erinnerung Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden. Die lineare Rede des Geschehens löst sich in assoziativen Verbindungen und wird »Textur«. Es ist ganz eigentlich dieses Schweigen, in dem sich Geschehnisse und Sätze zu einer Geschichte und Geschichten komponieren, um in neuem Text dann die Zeitlichkeit zu täuschen. Anders als diese zwei auf das Reden hin gedachten Schweigeformen, steht das betrachtende Schweigen vollkommen außerhalb der Sprachlinearität. Im schweigenden Betrachten wird das Gesehene aus seinem erzählten Zusammenhang oder Handlungszusammenhang gehoben und in neuen Blickwinkeln entziffert, so dass es im Anschauen zu einer Erkenntnis kommen kann, die aus dem sprachlichen Rahmen hinausweist. Da kann denn ein Geschehen wunderbar erscheinen, wie Enites schweigender Pferdedienst dem Knappen, oder eine Wirklichkeit aufscheinen, die nicht mehr durch sprachliche Deutungen verstellt und verfälscht ist, wie Tristans Identität hinter den Geschichten um Tantris. Sind diese mit Denken gefüllten Schweigen doch noch auf die eine oder andere Art in die Sprache gebunden, ist das Gebetsschweigen vollkommen aus dem innerweltlichen Kommunikationszusammenhang gelöst. Entsprechend spielt es in den höfischen Romanen kaum eine Rolle – so wenig wie das mystische Schweigen lässt es sich in ein Erzählkontinuum einfügen. Wenn es auftaucht, so als Teil des redevorbereitenden Schweigens, indem göttliche Hilfe für das richtige Wort angefordert wird: Das aus der Kommunikation gehobene Schweigen wird also auf die Kommunikation hin bedeutsam, die in seinem Horizont an Kontur gewinnt. Es erstaunt nicht, dass die Schweigeformen, wie sie von der höfischen Erziehung und Sozialisation her bestimmt waren, den größten Teil der in den Romanen besprochenen Schweigesituationen ausmachen. Es sind die Schweigeformen, die im größeren Zusammenhang der höfischen Sprache eingeordnet werden können und die sich, als 216
Beredtes Schweigen
bewusste Handlung, als bewusstes Verschweigen, bewusstes Nichtsprechen, im System höfischer Tugenden und Laster verstehen ließen. Sie sind Teil der die höfische Kultur bestimmenden Regeln, damit Teil der Kommunikation, in der sich diese Kultur erst definierte. Sie sind somit auch Teil der Erzählung, werden poetologisch genutzt, um das Erzählte in höfischem Kontext zu thematisieren und zu realisieren. Fast alle rhetorischen Floskeln des schweigenden Übergehens, des Verstummens, des Verheimlichens, legitimieren sich durch höfische Schweigeregeln, nehmen spielerisch mehr oder weniger explizit auf diese Verhaltensformen Bezug, um das Erzählen selber in den höfisch geregelten Kommunikationszusammenhang hineinzusetzen. Gleichzeitig wird aber durch den nicht selten ironisierend spielerischen Umgang mit diesen Regeln im Erzählzusammenhang das System gereizt und die Lust des Verstoßes geweckt. Regeln, die die höfische Realität ordneten, wurden für die Erzählung übernommen und genau da expliziert, wo der Bruch der Regel durch den Erzähler schon vorbereitet ist, die Zuhörer schon für Schlüssellochblicke oder prahlerisches Heldenlob bereit sind. Es ist ein Spielen mit genau den Affekten und Gedanken, die durch die höfischen Schweigeregeln domestiziert wurden. Somit ist es ein Zurückbinden der durch das Erzählen evozierten Affekte in den höfischen Kommunikationszusammenhang, in die höfische Sprachordnung, und damit in die höfische Kultur. Im höfischen Verhaltenskodex geht es um das richtige Maß in Reden und Schweigen, kann durch das unterlassene Wort genauso gefehlt werden wie durch das unnütze Reden. Dabei konturiert sich das richtige Maß auf dem Hintergrund der Maßlosigkeit, das demütige Schweigen im Gegensatz zum hochmütigen Reden, aber auch – und das interessiert eigentlich – in der Abgrenzung zum hochmütigen Schweigen, zum lasterhaften Schweigen der Aggression, der Gier, des Stolzes. Dabei wird das Bild des vorbildlichen Schweigens toposhaft zitiert, interessiert aber vor allem da, wo es zerstört wird. In den höfischen Romanen ist weniger die Einhaltung der Regeln von Belang, als deren Verletzung. Sei dies, dass Marke zum Ideal des gerechten Königs stilisiert wird, um die Ambivalenz dieser sprachlosen Idealität zu zeigen. Sei dies, dass Parzivals regelkonformes Schweigen vor dem Gral in seiner lasterhaften Nachlässigkeit gezeigt wird und deutlich wird, dass es in größerem Kontext, über das Höfische hinausweisend, Maßlosigkeit ist. Oder sei es, dass die verwandtschaftliche Vertrautheit im gemeinsam verschwiegenen Geheimnis in ihrer gefährlichen Isolation gezeigt wird, so dass das Bewahren eines Geheimnisses, Zeichen der triuwe, zum Zeichen der Verschuldung und Untreue gegen Gott wird. 217
Schweigeformen und Schweigegesten
So bleibt die Ambivalenz des Schweigens auch in den sehr genau bestimmten und geregelten Schweigeformen gewahrt. In jedem noch so klar definierten Schweigen, noch so deutlich zum Sprachzeichen gemachten Schweigen, bleibt immer die Möglichkeit eines anderen Sinns bewahrt. Das hat zur Folge, dass das höfische Schweigeverhalten in seiner Regelhaftigkeit nur gefasst werden kann, wo es die Ränder berührt oder gar zerstört. Da, wo im Verstoß gegen eine topische Normalität gehandelt wird. Das Schweigen eignet sich in seiner Ambivalenz und Deutungsnotwendigkeit besser als sprachliche Äußerungen, die höfischen Regeln in Frage zu stellen und das System des Hofes, das Kommunikations- und Ordnungssystem der höfischen Gesellschaft auf den Horizont anderer Regeln hin zu brechen und zu problematisieren. So ließ sich eine Liste von Schweigetopoi der höfischen Kultur zusammenstellen, wie sie sich in den untersuchten Romanen finden. Aber was die Romane eigentlich interessierte und ihre Erzählung vorantreibt, ist der Bruch der Regel, ist der Verstoß gegen den Topos. Es ist die scheinbar unhöfische Frage, das falsch gehütete Geheimnis, das täuschende und kalkulierende Spiel mit der anerkannten, von Sprichwort und gnomischer Sentenz formulierten Regel. Da interessierte das Schweigen. Und da wird es, im größeren Zusammenhang der Erzählung, eingebunden in die Assoziationsräume, die sich in der Geschichte auftun, in seiner Vielfalt und regelbrechenden Gewalt, seiner eigentlich subversiven Kraft, fassbar. Wie das geschieht, soll in den folgenden Interpretationen deutlich werden.
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Die Nacht
Schweigezeiten
1. Die Nacht
Aureum habet queque ars fundum, sed oportet eundem Querere nocturnis studiis operisque diurnis1
»Immer müssen sich die Mönche mit Eifer um das Schweigen bemühen, ganz besonders aber während der Stunden der Nacht.«2 Mit dem Schluss der Komplet, dem gemeinsamen Abendgebet und der letzten Hore, beginnt die Nacht und mit ihr das vollkommenste Schweigen im benediktinischen Kloster. Es ist ein Schweigen, das nicht als Schweigen der Demut verstanden wird, das nicht der Subordination dient, da es alle gleich trifft (mit Ausnahme derjenigen, die sich mit Gästen abgeben), sondern das sich als fremder Raum aus der Welt ausschneidet. In ihm passiert die Nacht in ihrer Zeit- und Lichtlosigkeit,3 in ihm fällt der 1 »Goldenen Boden hat die Kunst, aber man muss sie in nächtlichem Studium und täglichem Werk suchen.« Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), Nr. 1788. 2 »Omni tempore silentium debent studere monachi, maxime tamen nocturnis horis. […] et exeuntes a conpletoriis nulla sit licentia denuo cuiquam loqui aliquid. Quod si inventus fuerit quisquam praevaricare hanc taciturnitatis regulam, gravi vindictae subiaceat, excepto si necessitas hospitum supervenerit aut forte abbas alicui aliquid iusserit.« Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), S. 174. Zur monastischen Zeitrechnung siehe auch Dohrn-van Rossum, Die Geschichte der Stunde (1995), v. a. S. 35–48. 3 Die Nacht hat keine Zeit, kennt keine Horen, sondern ist »intempesta nox«. Vgl. Berger, Kleines liturgisches Wörterbuch (1969), Art. »Hore«, S. 178. Bei Isidor findet sich die Unterteilung der Nacht in 7 Teile: »Noctis partes septem sunt, id est vesper, crepusculum, conticinium, intempestum, gallicinum, matutinum, diluculum.« Etymologiarum sive originum libri XX (1957), V,xxxi. Die Zeit der vollkommenen Stille, des nächtlichen Schweigens dauert vom »conticinium«, der Zeit des Verstummens, bis zum »gallicinium«, der Zeit des Hahnenschreis. Die Mitte der Nacht aber, als Ort der vollkommenen Ruhe und Bewegungslosigkeit, des Tiefschlafs, ist zeitlos, »intempestum«. Bei Hrabanus Maurus heißt es: »Intempestum, media nox, id est, quasi inactuosum, quando omnibus sopore quietis, nihil operandi tempus est.« liber de computo, cap. xxii, PL 107, Sp. 680B/C.
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Schweigezeiten
Einzelne aus der Gemeinschaft in die Einsamkeit. Es ist der Ort des Schlafes, ist der Ort des Traumes, aber auch Ort des einsamen nächtlichen Gebets und schließlich der Vigil, die in der benediktinischen Regel in der Zeit nach der »intempesta nox«, zwischen der bewegungslosen Nacht und dem Warten auf den Morgen, angesetzt ist. Im Spiegel dieses nächtlichen gemeinsamen Gebets nun, da, wo das Gebetswort an das totale, das »tote« Schweigen stößt, wird dieses in seiner Qualität fassbar. Denn das erste, die Nacht brechende Gebet beginnt mit dem dreimal gesungenen 17. Vers aus Psalm 50 als Invitatorium: »Herr, öffne meine Lippen, damit mein Mund dein Lob verkünde.«4 Die Kraft, das nächtliche Schweigen zu brechen, wird Gott zugeschrieben, das Aufbrechen in die Sprache ist Werk Gottes. Damit ist aber nicht nur das vorangehende nächtliche Schweigen als vollkommene Sprachlosigkeit definiert, sondern auch in einer Gewalt gezeigt, die nur mit göttlicher Hilfe gebrochen werden kann. Das Schweigen der Nacht wird da zu einer eigentlichen Vorwelt, einem vorschöpferischen Zustand, aus dem der Mensch täglich wieder erschaffen werden muss.5 So thematisiert nicht nur der dreifach gesungene Psalmvers das Geschaffenwerden, das Heraustreten aus Angst und Bedrängnis in den Schutz Gottes und das Lob des Schöpfers, sondern durch Psalm 3 bei Benedikt, darauf Psalm 94, der auch den Anfang der römischen Matutin bildet, wird über das Aufwachen in das Gottvertrauen und den Schöpfer- und Schöpfungspreis in das Gotteslob geführt.6 Da, wo die Nacht an den Tag stößt, das Schweigen an das erste gemeinsame Gebet, wird also einerseits die Schöpfung erinnert, anderseits das Gott lobende Wort als Gabe Gottes gezeigt. Der Mensch wird von Gott neu in die Schöpfung hereingeholt. Das Schweigen der Nacht im Kloster ist somit nicht einfach 4 »Domine labia mea aperies et os meum adnuntiabit laudem tuam«. Bei Benedikt ist es die Vigil, sonst auch die Matutin. Vgl. zu dieser Regelung: Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), Kapitel 8–11, S. 116–122. Vgl. auch die Matutin nach dem Römischen Ritus. Dass sich im Laufe der Zeit und ihrer sozial- und arbeitsgeschichtlichen Veränderungen die Matutin in den vorhergehenden Abend verschoben hat, verwischt die Symbolkraft dieser Anfangsworte. 5 Hrabanus Maurus sagt zur Matutin: »Diluculo autem proinde oratur, ut resurrectio Christi celebratur. […] et matutina hora Christus a morte resurgens, populum suum salvans, diabolum et satellites ejus aeterna captivitate damnavit. Matutina enim luce radiante, Dominus et Salvator noster ab inferis resurrexit, quando coepit oriri fidelibus lux, quae moriente Christo occiderat peccatoribus. Siquidem et eodem tempore cunctis spes futurae resurrectionis creditur, cum justi et omnes ab hac temporali morte, quasi a sopore somni resurgentes evigilabunt.« De clericorum institutione libri tres, II , cap. ii, PL 107, Sp. 326D-327A. 6 Vgl. Regula Benedicti. Die Benediktusregel (1992), Kap. 9 und 10.
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Die Nacht
›contemplatio‹, auch nicht gedacht als Ort eines sprechenden Denkens, sondern soll, mit Schlaf gefüllt, zum toten Punkt werden, aus dem heraus ein neuer Tag, ein neuer Anfang in der Erinnerung des Schöpfungsaktes passiert. Anderseits ist die Nacht topisch die ideale Zeit des konzentrierten Studiums, denn »es ist offenbar, dass das Gedächtnis in der Nacht einfacher anzustacheln ist als tagsüber, wenn das Schweigen rundherum hilft und die Aufmerksamkeit nicht durch die Sinne nach außen abgerufen wird.«7 Wann immer Konzentration gesucht wird, sei dies im Rahmen weltlichen Bedenkens und Studiums,8 sei dies in der religiösen Hinwendung zu Gott, wird die stille Nacht gepriesen als idealer Rahmen, denn »wenn die Sinne schweigen, sammelt sich die Seele«.9 Dabei kann sich dieses konzentrierte Denken als nächtliches ›consilium‹ vollziehen,10 entwickelt sich aber meistens im Selbstgespräch, als innere Auseinandersetzung, als stilles Reden mit sich selbst und Gott. »Was gibt es für Weisheit günstigeres als die Nacht? Da denken wir oft an die göttlichen Sachen. Da lesen und meditieren wir. Wann ist unser Denken mehr dem Psalmodieren und dem Gebet zugewandt? Ist es nicht die Nacht? Wann rufen wir unsere Sünden öfter ins Gedächtnis? Ist es nicht die Nacht?«11 Die Stille der Nacht wird so auch zum Ort von Erkenntnis, sei dies als cogitativer Schluss, sei dies als offenbarende Schau. Dabei ist, falls es zu einer offenbarenden Schau kommt, meistens die gedankliche Konzentration das Vorspiel, so wie das Sprachschweigen sich im Vorraum des ›verbum cordis‹, der sprachlosen Erkenntnis, abspielt.
7 »Et nocte magis quam interdiu maturius excitari memoriam manifestum est, cum et late silentium iuuat, nec foras a sensibus auocatur intentio.« Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii liber IX (1978), V,539 (S. 269, 20–23). 8 Vgl. u. a. Carruthers, The Book of Memory (1994), S. 86, 147, 173. 9 Vgl. Dupuy, »Nuit« (1982), Sp. 519. Auch Remigius von Auxerre bezieht sich in seiner etymologischen Erklärung von ›littera‹ auf die Alten, die Wachstäfelchen hatten, »in quibus scribebant antiqui ea quae excogitabant et maxime in noctibus.« Commentum Einsidlense in Donati artem maiorem (1961), S. 221. 10 Die Nacht gilt als ideale Zeit einer Beratung. Nicht nur fallen in den höfischen Romanen wichtige Beratungen meistens in die Nacht, sondern genauso weisen die Sprichwörter immer wieder auf diesen Zusammenhang hin. So heißt es z. B.: »Visum campus habet, nemus aurem, consilium nox«, oder: »Consiliis nox una satis«. Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), Nr.33811, Nr.3142. Vgl. zum höfischen Roman u.a.: Parz.127,11–128,12; Parz.423–426; Iw.1783–1992. 11 Cyrille von Jerusalem, Cat. IX ,7, PG 33, 645B. Zitiert und übersetzt nach: Dupuy, »Nuit« (1982), Sp. 519.
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Schweigezeiten
Die Nacht als dunkle Hülle um die sinnlichen Reize, in deren Schutz sich die Abkehr von den äußeren Erscheinungen sicherer und leichter vollzieht, in der die äußere Bewegung zur Ruhe kommt und den Gedanken Raum gibt, ist aber, als dem Licht entgegengesetztes Dunkel und Ort der Ordnungslosigkeit, auch Ort der Gefährdung und Sünde schlechthin. Eine nächtliche Aktivität ist doppelt gefährlich und gefährdet: nicht nur scheut sie das Licht, hat somit etwas zu verbergen, sondern sie ist auch bedroht von dem im Dunkel lauernden Bösen. So antwortet der Magister bei Hrabanus Maurus auf die Frage, warum die Nacht ›Nacht‹ heiße: »Weil sie die Sehkraft beeinträchtigt und auch die menschlichen Geschäfte, oder auch weil in ihr Diebe und Räuber Gelegenheit finden anderen zu schaden.«12 Das Irren in der Nacht ist da Verirrung, ihr Dunkel Blindheit, ihr Schweigen Stummheit. Und so kann die Nacht im christlichen Kontext zum Bild des irdischen Lebens werden, in dem der Mensch weglos irrt und in dem ihm nur die Hoffnung bleibt auf einen klärenden Morgen. Die Nacht gehört dem Teufel.13 Es ist die Auslegung von Sap 14,18, über die die Verbindung der mitternächtlichen Stille mit dem Schweigen schließlich so eng geknüpft wird, dass dieses zum Synonym für die Nacht wird, sei es als »quietum silentium« oder als »medium silentium« gelesen.14 Die vor allem von Hugo von St. Victor geprägte Tradition, diese Stelle auf ein dreifaches Schweigen hin zu lesen, ordnet dem »medium silentium« die Mitte der Nacht zu (»et nox in suo cursu medium iter haberet«) und bezieht diese mittlere Schweigezeit auf das irdische Leben des Menschen – in jeder Auslegung, wie immer die zwei anderen Schweigen gedeutet werden. Nacht und Schweigen und sündhaftes Leben schließen sich eng zusammen.15 In dieses nächtliche Schweigen wird dann das Wort 12 »Quod noceat aspectibus vel negotiis humanis, sive quod in ea fures vel latrones nocendi aliis occasionem nanciscantur.« Hrabanus Maurus, liber de computo, cap. xxi, PL 107, Sp. 680A. 13 In seinen »Distinctiones« verbindet Alanus die Nacht u. a. mit: »caecitas materialis«, »ignorantia«, »culpa«, »mors temporalis«, »vita praesens«, »miseria temporis«, »diabolus«, »peccator«. Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, PL 210, Sp. 876A-C. Vgl. auch Schönbach, Altdeutsche Predigten II (1886/1994), S. 15, Z.33 ff. Da heißt es: »eins iglichen lip der ist gebenmazzet der naht, wan also diu naht vinster ist, also ist der mensche in der vinster der ungewizzen.« Und es werden die vier Teile der Nacht mit den vier Menschenaltern verglichen. 14 Vgl. zur Auslegungsgeschichte von Sap 14,18 Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 55–71. 15 Bei Hugo von St. Victor heißt es: »Nox in sacra Scriptura aliquando pro diabolo, aliquando pro membris ejus, id est pro peccatoribus iniquis, aliquando pro peccato,
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Die Nacht
Gottes hineingeboren, wie es Sap 14,15 heißt und wie es die Liturgie im Weihnachtsgeschehen aufgreift.16 Heilsgeschichtlich wird das Schweigen der Nacht, ihre Stummheit, von der Rede erlöst. Hugo von St. Victor versteht die drei Schweigezeiten, die sich durch die Idee eines ›mittleren Schweigens‹ ergeben, in pathologisierender Ausdeutung als Zeit der Leidens-Unwissenheit nach dem Sündenfall (ignorantia languoris), als Zeit der Ermattung und Verzweiflung nach der Gesetzesoffenbarung (desperatio curationis) und schließlich Zeit der endgültigen Heilung »post hanc vitam« im Jenseits (adeptio sanitatis). Die durch den Sündenfall eingesetzte Verdunkelung, als durch die Ursünde der Abend anfing und Adam in die Todverfallenheit der Finsternis der Welt geschickt wurde, zieht sich für Hugo bis in die gegenwärtige »Nacht« weiter. Erst wenn am Ende der Zeiten sich die Verheißung erfülle und dadurch das in der Nacht nötige Hoffnungswort überflüssig werde, ereigne sich ein Schweigen, das nicht mehr Verstummen, sondern Erfüllung ist.17 Das Schweigen ist hier als Krankheit charakterisiert, die durch die Arznei des Wortes18 allmählich geheilt aliquando pro praesenti vita accipitur. Per noctem ergo in hoc loco, mortalis hujus vitae fluxus signatur, sicut per diem alibi claritas vitae perpetuae. Praesens ergo vita nox est, vita vero futura dies.« De Verbo incarnato. Collationes seu disputationes tres, PL 177, Sp. 317C/D. Zur Wirkungsgeschichte dieses Textes siehe Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 61. 16 Liturgie, 26. Dez., »Ad Vesperas, Responsorium breve« und »Ad Magnificat, antiphonarium«. Vgl. dazu die Predigt »In sancta nocte nativitatis domini«, wo es heißt: »diu nacht bezaichent unfræude und widerwærtichait, der tach der betuetet fræude. wan die armen menschen in der vinster des ungelauben und in den grozzen unfrœuden vor gotes geburt warn, do chunt in der engel daz in von der geburt des heiligen Christes gnade und frœude chomen scholt.« Schönbach, Altdeutsche Predigten II (1886/1994), S. 18, 40–19,3 17 »Vespera hujus noctis fuit ex quo Adam peccavit, donec accepta sententia mortis a paradiso pulsus in tenebras hujus mundi exiit. […] Vel per noctem accipere possumus peccatum: quae videlicet nox ab originali peccato coepit, et per actualia cucurrit.« Hugo von St. Victor, De Verbo incarnato. Collationes seu disputationes tres, PL 177, Sp. 317D,318A. Zum Sündenfall als Anfang des Schweigens vgl. auch Petrus von Blois, Sermo primus: De adventu Domini, PL 207,560D-561A. Siehe dazu Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 62. 18 Es ist immer ein göttliches Wort, das ein »gesundes« Reden des Menschen bewirkt, bis dieses wieder ermattet und ein neuer Anstoß nötig wird: 1. das Schöpfungswort, dem noch keine Rede folgt, da der Mensch sein Leiden noch nicht kennt; 2. das mosaische Gesetz, dessen Heilswirkung aber beschränkt ist und deshalb mit der Zeit vernachlässigt wird, so dass der Mensch, »sozusagen nach dem Tageslärm erschöpft und auch verzweifelnd wieder aufhört zu reden« (quasi post
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Schweigezeiten
wird, bis sich die sprachlichen Kategorien von Schweigen und Reden schließlich auflösen in einen Zustand, der von Hugo zwar als ›drittes Schweigen‹ bezeichnet wird, doch in scharfem Kontrast zu den anderen zwei Schweigen, aber auch dem in menschlicher Sprache realisierten göttlichen Offenbarungswort, steht. Wenn Augustinus das göttliche Wort nur in der Ausgrenzung ins Schweigen fassen konnte, so ist auch hier der Rückgriff in den leeren Raum des Schweigens nötig, um das letzte Heil zu fassen. Dass dabei die gerade sprachauflösende Heilswirkung verbal nicht gefasst werden kann und sich das ›dritte Schweigen‹ deshalb verwirrlich an die anderen zwei assoziiert, ist letztlich ein Sprachproblem. Die verschiedenen anderen Auslegungen der drei Schweigezeiten gruppieren zum Teil anders als Hugo von St. Victor, setzen die Grenzen anders, für alle aber bleibt das ›mittlere Schweigen‹ das Nacht-Schweigen des irdischen Lebens. Ob es nun als »hoffendes Schweigen« (desiderium adimplendae promissionis) bei Absalon von Springiersbach gesehen ist19 oder als »sündhaftes Schweigen« (post primi parentis lapsum) bei Hugo von Folieto20 oder auch bei Hugo von St. Cher, der das ›dritte Schweigen‹ den teuflischen Sünden zuschreibt,21 die Nacht, als dunkle Zeit, ist dem zweiten Schweigen zugeordnet. Oder umgekehrt: das nächtliche Schweigen ist eminent menschlich und weltlich. Und immer ist es auf das Ziel des kommenden Tages hin gedeutet. Das nächtliche Schweigen ist somit nicht nur Ruhe, sondern auch Abbild des im Dunkel der Sünde gefangenen menschlichen Lebens, dessen Schweigen, als vergessenes Gotteslob,22 aber auch unerhörtes
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diuturnos clamores fatigatus et jam desperans rursum loqui cessavit); 3. das fleischgewordene göttliche Wort, das bewirkte, dass die Menschen begannen das Heilmittel zu suchen, »und mit großem Lärm mit reinem Herzensglauben und wahrem Lippenbekenntnis das Heilmittel erflehen« (et quasi magnis clamoribus sic pura fide cordis et vera confessione oris flagitare remedium.) Hugo von St. Victor, De Verbo incarnato. Collationes seu disputationes tres, PL 177, Sp. 317A. Vgl. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 63. Vgl. ebd., S. 65 f. Vgl. ebd., S. 67 f. Für Bernhard von Clairvaux wird das Schweigen zum Synonym der Versündigung durch unterlassenes Gotteslob. In einer gewissen Didaktisierung holt er alle drei Schweigezeiten in die Welt herein, um so eine Steigerung der Versündigung zu erreichen: Je offenbarer das Wort wurde, je deutlicher dem Menschen sein Heilsweg ins göttliche Wort gezeigt wurde, desto tiefer wurde sein Schweigen. Während im ersten Schweigen (ante legem) diejenigen, die Gott nicht lobten auch noch keine klare Anweisung hatten, hatten diejenigen im zweiten Schweigen
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Gotteswort, zum Spielfeld des Teufels wird.23 Und da schließt sich die christliche Allegorese und heilsgeschichtliche Deutung an die mythischen und abergläubischen Vorstellungen des Nachtdunkels und seines Schweigens an. In dieser Allegorie findet die nächtliche Angst ihre christliche Legitimation, die Verlorenheit in der Dunkelheit ihr heilsgeschichtliches Bild, die bedrückende Stille in der Nacht ihre religiöse Erklärung.24
1.1 Die verschwiegene Nacht »Es ist auch gebräuchlich, dass wir ohne Erwähnung der Nacht die Zahl der Tage nennen, so wie auch im göttlichen Gesetz geschrieben steht (Genes. I,5): ›Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.‹«25 Diese Ausklammerung der Nacht als Ort der Ruhe, deren Zeit nicht gezählt wird, ist im höfischen Roman die Regel. Die Nächte werden nicht er-zählt, meistens gar nicht erwähnt, so dass die Erzählung in einer eigentlichen Ruhelosigkeit durch die Tage zieht, die sich zum Teil recht verwirrlich ineinanderschieben.
(sub lege) noch eine Verschleierung der Sicht, wer aber jetzt, im dritten Schweigen (sub gratia), noch schweigt, nachdem Christus als der »wahre Ratgeber« von Gott in die Nacht hinausgeschickt wurde, begeht die schlimmste Sünde. In bezug auf Sap 14,18 schreibt er: »id est tenebrosa haec vita cum silentio, et cum obscuritate peccati et caecitate ignorantiae, nostra tegebat corda, et tunc divinus sermo mittitur ab arce Patris, verus Paraclitus, id est consiliarius, qui consuluit nobis ante passionem.« Sententiae III (1993), S. 632. 23 So sagt Gregorius Magnus in Auslegung von Hiob 3,3: »Pereat dies in qua natus sum et nox in qua dictum est: Conceptus est homo. […] Potest autem per diem peccati delectatio, per noctem vero caecitas mentis intellegi per quam se homo patitur in culpae perpetratione prosterni. […] Homo ergo in die nascitur sed in nocte concipitur, quia nequaquam a delectatione peccati rapitur nisi prius per voluntarias mentis tenebras infirmetur. Ante enim caecus in mente fit et postmodum se reprobae delectationi substernit.« Moralia in Iob (1985), IV,xiii,24–25,1f,10–12,30–34, CCSL 143, S. 179 f. 24 Zur nächtlichen Angst siehe Jungbauer, »Nacht« (1934/35); Wittmer-Butsch, Zur Bedeutung von Schlaf und Traum im Mittelalter (1990), S. 50–55; Verdon, La nuit au Moyen Age (1994). 25 »Unde et in usu est ut sine commemoratione noctis numerum dicamus dierum, sicut et in lege divina scriptum est (Genes. I,5): ›Factum est vespere et mane dies unus.‹« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), V,xxx.
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Schweigezeiten
Pausen der Erzählung Es gibt aber auch Nächte, die zwischen zwei Zeilen fallen und so, im Zeilensprung, in der Kehre des Verses, hörbar werden. Da heißt es dann zum Beispiel: von sînem hûse man dar truoc spîse ebene genuoc. als im erschein der ander tac, Erec fil de roi Lac der enwolde dâ niht langer tweln. (Er.1398–1402) (von seiner Burg brachte man reichlich Speisen. Als der nächste Tag anbrach, wollte Erec, der Sohn von König Lac, nicht länger dableiben.) die naht beleip der knappe dâ. man sah in smorgens anderswâ: des tages er kûme erbeite. (Parz.143,15–17) (über Nacht blieb der Knappe da. Man sah ihn am Morgen andernorts: er konnte den Tag kaum erwarten.)
Die Nacht ist auf den Wendepunkt zwischen zwei Tagen reduziert, wird zu einem toten Punkt, einer Wortlosigkeit, die im Morgen endet, der sich durch Geräusche aller Art ankündigt:26 diu naht tet nâch ir alten site: am orte ein tac ir zogte mite. den kôs man niht bî lerchen sanc: manc hurte dâ vil lûte erklanc. (Parz.378,5–8) (Die Nacht verhielt sich nach ihrem alten Brauch: an ihrem Ende folgte ihr ein Tag. Den erkannte man nicht am Lerchengesang: laut erklangen da viele Kampfgefechte.)
Missverständliche Pausen Nur ab und zu wird die aus der Erzählung herausfallende nächtliche Zeit durch eine kurze Charakterisierung in dem Sinn Teil des Geschehens, als sich darin ein schwaches Echo des vorhergehenden Tages 26 So wie mit dem Tageslicht die Vögel aufwachen, sich aber oft auch ein Wind erhebt, ganz zu schweigen von den menschlichen Geräuschen, hat sich die Verknüpfung von Klang und Licht in bezug auf den Morgen seit jeher ergeben. Nicht zuletzt steckt in dem Wort »anbrechen« der Doppelsinn von Licht und Schall. Vgl. dazu auch Grimm, Deutsche Mythologie (1968), III , cap. 23, S. 221. Selbst da, wo es erklärtermassen viel zu erzählen gäbe, kürzt Wolfram die langiu sage im Reimschluss, indem er es vorzieht, von dem tage zu sprechen (Parz.816,7 f.)
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Die Nacht
zeigt. So kann die ungetrübte Nacht Ausdruck der Gastfreundschaft sein: guot spîse und dar nâch senfter slâf / diu wâren im bereit hie, / und erwachte dô der tac ûf gie (gutes Essen und danach ein ruhiger Schlaf war ihm da bereitet. Er erwachte, als der Tag aufging, Iw.4818–20); die nicht genauer zu fassende Nacht kann zum Spiegel des ziellosen Herumirrens am Tag werden: er beleip die naht swier mohte, / unz im der liehte tag erschein (er verbrachte die Nacht so gut es ging, bis der helle Tag erschien, Parz.129,14 f.); oder die vollkommen regungslos verbrachte Nacht ist, als Folge der Erschöpfung, Hinweis auf den übermäßig anstrengenden Tag: grôz müede und slâf in lêrte / daz er sich selten kêrte / an die anderen sîten. / sus kunder tages erbîten (große Müdigkeit und Schlaf machten, dass er sich nicht auf die andere Seite drehte. So konnte er den Tag erwarten, Parz.166,17–20). Unter den wortlosen, im Text verschwiegenen Nächten, die nichts anderes als Scharnierstellen zwischen den Tagen sind, gibt es aber einzelne, die der Erzähler aus dem Zwischenraum der Zeilen in den Text holt und sie mit knappen Angaben erhellt. Das geschieht immer da, wo die »leere« Nacht dem Publikum fälschlicherweise interessant werden könnte, sich die Wortlosigkeit mit falscher Rede füllen und die Zeitlosigkeit plötzlich als Zeitspanne rezipiert werden könnte. Denn die Ambivalenz des Schweigens ist durchaus bewusst: Schweigen und Verschweigen fallen im Ohr des Hörenden zusammen. So beeilt sich Hartmann, die gemeinsame Nacht von Iwein und der Jungfrau, die ihn für den Zweikampf suchte, zu erhellen, indem er die Enthaltsamkeit Iweins betont. Ein Einschub, der ihm die Möglichkeit einer Zeitklage gibt, so dass die »wortlose« Nacht nicht eigentlich gestört ist, sondern die geschwätzigen Gedanken der Zuhörer entlarvt werden: swer daz nû vür ein wunder ime selbem saget daz im ein unsippiu maget nahtes alsô nâhen lac mit der er anders niht enpflac, dern weiz niht daz ein biderbe man sich alles des enthalten kan des er sich enthalten wil. weizgot dern ist aber niht vil. diu naht gienc mit senften hin. (Iw.6574–83) (wer nun meint, das sei ein Wunder, dass ihm eine nicht verwandte Jungfrau nächtens so nahe lag, ohne dass er mit ihr was anstellte, der weiß nicht, dass sich ein anständiger Mann all der Dinge enthalten kann, derer er sich enthalten will. Weiß Gott, es gibt aber nicht viel von diesen. Die Nacht ging ruhig vorüber.)
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Schweigezeiten
Auch Gaweins Zurückhaltung Bene gegenüber, mit der er nachts allein in der Kammer bleibt, wird von Wolfram extra hervorgehoben: Gâwân al eine, ist mir gesagt, beleip aldâ, mit im diu magt. het er iht hin zir gegert, ich wæn si hetes in gewert. er sol ouch slâfen, ob er mac. got hüete sîn, sô kom der tac. Grôz müede im zôch diu ougen zuo: sus slief er unze des morgens fruo. (Parz.552,25–553,2) (Gawan blieb, wie mir gesagt wurde, allein zurück mit dem Mädchen. Hätte er etwas von ihr gewollt, ich denke, sie hätte es ihm gewährt. Soll er denn schlafen, wenn er kann; Gott behüte ihn, wenn der Tag kommt. Große Müdigkeit schloss ihm die Augen: so schlief er bis zum frühen Morgen.)
Es fällt auf, dass sich die Erzähler bei diesen ›Krisenstellen‹ nicht nur klärend einschaltet, sondern die aufgebrochene Leere der Nacht noch mit einem Nachtsegen füllen, als müssten sie die Ruhestörung entschuldigen. So heißt es auch bei Hartmann: got der müeze vüegen in / des morgens bezzer mære / danne er getrœstet wære (Gott möge ihnen am Morgen bessere Nachricht senden, als ihm verheißen war, Iw.6584–86). In diesen Nächten passiert nichts, das man verschweigen müsste, wie Gawein dann ja auch dem Vater von Bene gegenüber zu versichern hat: hiest niht geschehn, / wan des wir vor iu wellen jehn (hier ist nichts passiert, was wir euch nicht sagen könnten, Parz.556,1f.). Deshalb wird vom Erzähler geklärt, sobald das Auslassen der Nacht fälschlicherweise als Verschweigen interpretiert werden könnte. Szenenwechsel und Gliederung der Zeit Was für die Zuhörer die Regel ist, die Auslassung der Nacht, die Kürzung der Erzählzeit auf einen Atemzug in bezug auf die Nächte, wird aber bedeutsam, wenn durch eine nächtliche Reise sozusagen die Zeit überlistet werden soll. Die Reduktion der Erzählzeit auf den Zeilensprung wird da in die Erzählung selber hineingespiegelt, so dass die wortkarge durchrittene Nacht sich von der wortlosen durchschlafenen Nacht nicht mehr unterscheidet, als dass der Morgen in einer anderen Gegend aufgeht. Der Zeilenzwischenraum wird genutzt, ein Ziel schneller zu erreichen: Die Zeit ist getäuscht. Wenn Parzival von Trevrizent aufbricht, um am Plimizoel Condwiramurs zu finden, treibt ihn die Sehnsucht in die Nacht hinaus, damit ihm kein Tag verloren geht – am Morgen findet er die Familie: 228
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Parzivâl die naht streich dan: sînen gesellen was der walt wol kunt. do ez tagt, dô vant er lieben funt, manec gezelt ûf geslagen. (Parz.799,14–17) (Parzival ritt die Nacht durch, seine Gefährten kannten den Wald gut. Als es tagte, fand er einen lieben Fund: viele aufgeschlagene Zelte.)
Und wenn Laudine die Schnelligkeit ihres Knappen anpreist, der nicht nur tagsüber, sondern auch nachts eilt, so ist das eine verbale Vorwegnahme des bevorstehenden »Zeitwunders«, das Iwein über Nacht scheinbar vom Artushof an den Hof von Laudine bringt: sô volge mînem râte. mîn garzûn loufet drâte: im endet ie ze vuoz ein tac daz einer in zwein gerîten mac. ouch hilfet im der mânschîn: er lâze die naht einen tac sîn. ouch sint die tage unmâzen lanc. sag im, er hât sîn iemer danc, und daz ez im lange vrumt, ob er morgen wider kumt. (Iw.2131–2140) (so befolge meinen Rat: Mein Knappe rennt sehr schnell. Zu Fuss kommt er in einem Tag so weit, wie man in zwei Tagen reiten kann. Dazu kommt ihm der Mondschein zu Hilfe – möge er die Nacht zum Tag machen. Dann sind die Tage jetzt auch übermäßig lang. Sag ihm, es werde ihm ewig gedankt sein und ihm lange nützen, wenn er morgen schon zurückkommt.)
Die Nacht hat keine Zeit (nox intempesta). ›Über Nacht‹ heißt: plötzlich. Die Sprachlosigkeit dieser ungezählten Nächte ist, als Angelpunkt zwischen Tag und Tag, zwischen Wort und Wort, zwischen Zeit und Zeit, genauso Anfang wie Ende. Und doch beginnt in den höfischen Erzählungen da, wo eine solche wortlose Nacht zwischen die Zeilen fällt – meistens gibt es sie nicht einmal zwischen den Zeilen – ein neuer Abschnitt, öffnet sich diese zeitlose Nacht in einen Morgen, dem eine ganz spezifische Aufgabe zugeordnet ist. Oder dann wird die Nacht, deren Dunkelheit den Blick verwirrt, zum Perspektivenwechsel des Erzählers gebraucht. So ist die zwischen den Zeilen verschwiegene Nacht nicht zuletzt Mittel des Erzählers zu gliedern; selber zeitlos, gibt sie den Tagen die Zeit.27 27 Als gezählte Zeit sind die Nächte nur bedeutsam, wenn es darum geht, die Gastfreundschaft zu unterstreichen, ist die Nacht doch die Zeit, in der sich Gast-
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Diskretion und Voyeurismus Verschweigt der Erzähler die Nacht, ist er bei Bedarf aber auch verschwiegen wie die Nacht. Wenn von der Liebesnacht von Loherangrin mit der Fürstin von Brabant die Rede ist, heißt es kurz: die naht sîn lîp ir minne enpfant (in dieser Nacht liebte er sie, Parz.826,1), und wenn Parzival wieder mit Condwiramurs vereint ist, führt Kyot, der zühte rîche, auch den Erzähler und sein Publikum aus dem Zelt hinaus, und die Kämmerer ziehen vor aller Augen die Zeltwand zu. Dem Erzähler bleibt nur noch das Wähnen: ich wæne er kurzewîle pflac / unz an den mitten morgens tac (ich denke, er vergnügte sich bis in den späten Morgen, Parz.802,9 f.). Auch Hartmann beschützt Erec und Enite in ihrer ersten gemeinsamen Nacht nach der Leidensfahrt vor den Fragen der Zuhörer: waz touc daz lange vrâgen, / wan daz si doch lâgen? / diu naht ein süezez ende nam (was soll das lange Fragen, wenn sie doch beieinanderlagen? Die Nacht nahm ein süsses Ende, Er.7110–13).28 Und auch wenn Wolfram Gawein endlich Orgeluse zuführt, zügelt er seine Zunge, um nicht gegen die zuht zu verstoßen – und verschweigt beredt:29 Kunnen si zwei nu minne steln, daz mag ich unsanfte heln. ich sage vil lîht waz dâ geschach, wan daz man dem unvuoge ie jach, der verholniu mære machte breit. ez ist ouch noch den höfschen leit: ouch unsæliget er sich dermite. zuht sî daz slôz ob minne site. […]
freundschaft bewährt. So heißt es z.B.: hie twelte er vierzehen naht (Iw.5621). Zur bis zum 3. Jh. verbreiteten Zeitrechnung nach Nächten siehe Jungbauer, »Nacht« (1934/35), Sp. 773. Da findet sich auch der Hinweis auf die Bedeutung der Nachtzählung in der Rechtspraxis, gerade in bezug auf 14 Nächte. 28 Ähnlich kurz vergeht die Nacht der zwei auf Brandigan vor Erecs Kampf mit Mabonagrin (Er.8614–18). Und genauso wenig erfährt man von der Nacht der wieder versöhnten Orilus und Jeschute: Orilus wart gebettet sô / daz sîn frou Jeschûte pflac / geselleclîch unz an den tac (Parz.279,28–30). 29 Diese Verschwiegenheit betrifft natürlich nicht nur die Liebesnächte, sondern generell legitime Liebesszenen. Vgl. z.B. das Zusammensein von Willehalm und Gyburc, Wlh.100,1–19. Zu der Konvention des Verschweigens im Minnesang siehe v. a. Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts (1985), S. 57 ff.
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ich wil iu daz mære machen kurz. er vant die rehten hirzwurz, diu im half daz er genas sô daz im arges niht enwas: Diu wurz was bî dem blanken brûn. muoterhalp der Bertûn, Gâwân fil li roy Lôt, süezer senft vür sûre nôt er mit werder helfe pflac helfeclîche unz an den tac. (Parz.643,1–644,6) (Wenn die zwei sich nun heimlich lieben, mag ich das nur ungern verbergen. Einfach wäre es zu erzählen, was da geschah, nur, dass man den, der heimliche Geschichten ausplaudert, seit jeher unanständig nannte und noch heute ist es den höfisch Kultivierten nicht recht. Er schadet sich damit auch. Anständigkeit verschließe Liebeshandlungen. […] ich werde die Geschichte kurz machen für euch: Er fand die richtige Hirschwurz, die ihm zur Heilung verhalf, so dass er nichts Schlimmes mehr hatte. Die Wurzel war braun zwischen Weißem. Gawan, der Sohn von König Lot, mütterlicherseits ein Britanne, gab sich nun mit ehrenhafter Hilfe süßer Linderung der bitteren Not hin, hilfreich, bis zum Tag.)
Ganz anders wortreich wird die nicht rechtmäßige nächtliche Liebe bedacht. Nicht nur ist da die Nacht Ort der Handlung in dem Sinne, dass sie mit dem, was in ihr geschieht die kommenden Tage bestimmt, sondern das höfische Schweigen über das intime Geschehen, wie es Wolfram zitiert, wie es Hartmann streng befolgt, würde hier, als mitwissendes Verschweigen, zum mitschuldigen Schweigen.30 Die ausführliche Erotik und fast voyeuristische Genauigkeit in der Beschreibung all dieser Nächte hat ihre Legitimation nicht zuletzt in der Sündhaftigkeit des Geschehens.31 Zieht die höfische zuht den Vorhang vor dem legitimen nächtlichen Liebesgeschehen, spielt diese Scham nicht mehr da, wo diese zuht verletzt wird. Bei Tristan und Isolde nun, deren Liebe gerade in der Dissonanz zwischen Legitimität und diese brechender Absolutheit spielt, wird bei ihrer ersten nächtlichen Vereinigung vom Erzähler genau diese poetologische Anstandsregel zitiert, um damit die die Körper ineinanderver-
30 Vom Mönch wird ausdrücklich verlangt, dass er die heimlichen Verfehlungen seines Mitbruders öffentlich mache, um nicht selber zu sündigen. Vgl. dazu oben, S. 46, Anm. 129 und S. 175, Anm. 196. 31 Vgl. u. a. Greg.353–399.; Tr.12591–12678.
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strickende Schilderung abzubrechen, und er charakterisiert dadurch diese Liebe als guote minne: Ein langiu rede von minnen diu swæret höveschen sinnen: kurz rede von guoten minnen diu guotet guoten sinnen. (Tr.12187–90) (Ein langes Reden über Liebe ist höfischem Empfinden unangenehm. Eine kurze Rede über gute Liebe tut gutem Empfinden gut.)
Diese erklärte Zurückhaltung fällt nicht zuletzt deshalb auf, weil die entsprechende Szene zwischen Riwalin und Blanscheflur ganz anders ausgeführt ist (Tr.1285–328). Die illegitime Liebe, die hier in realer Krankheit und Todesnähe sozusagen nackt vor Augen gestellt wird, ist in der Begegnung von Tristan und Isolde nicht nur in die Allegorie verkleidet, sondern auch in der Rede verschwiegen und dadurch implizit der anklagenden Veröffentlichung entzogen.
Verkehrte Tage In der Verschwiegenheit der Nacht lässt es sich aber auch bestens täuschen. Ist die oben erwähnte Zeitüberlistung ein fast »poetologischer« Trick der Protagonisten, indem sie da ihre gelebte Zeit sozusagen der gezählten und erzählten Zeit anpassen, wird die verschwiegene Nacht in ihrer Dunkelheit ad malam partem bedeutsam da, wo in ihrem Schutz eine heimliche Abreise geschieht, mit der Feinde, aber auch die Geliebte und Freunde überlistet werden. Im gleichen Masse, wie diese Täuschung die wortlose Nacht zur verschwiegenen Nacht macht, ist darin eine Störung der Nacht zu sehen, an der ein Verfehlen hängt. Das Schweigen dieser Nächte ist nicht mehr einfach toter Punkt, Wendepunkt, aus dem heraus ein neuer Tag beginnt, sondern eine Dunkelheit voller Absicht, nicht Ruhe, sondern schon in den nächsten Tag hin aufgerissen. Nachtreisen Gahmuret verlässt in der Nacht seine Frau Belacane und seinen ungeborenen Sohn Feirefiz: diu naht fuor dan der werde man: / daz wart verholne getân (in der Nacht bracht der vornehme Mann auf, heimlich, Parz.55,11 f.). Eine verstohlene Fahrt, die er selber als Diebstahl bezeichnet, nur dürftig »legitimiert« durch den Religionsunterschied 232
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(Parz.55,21–27). Aber auch Blanscheflur, in ihrem noch nicht legalisierten, jedoch schon folgenreichen Minneverhältnis zu Riwalin, verlässt nachts und heimlich den Hof von Marke (Tr.1555–1582). In diesen nächtlichen Abreisen steckt immer ein Moment des Unrechts.32 So unterscheidet sich auch Kalogrenants missglückte âventiure schon im Anfang von Iweins erfolgreicherem Unternehmen, indem ihn seine Ruhelosigkeit vorzeitig, ohne Nachtruhe aus der Burg des gastfreundlichen Wirtes treibt (Iw.383–97),33 während Iwein nach einer ruhigen Nacht in den Morgen und so ins Gelingen aufbricht (Iw.976–79). Und auch wenn Erec mit Enite loszieht, sein verligen zu sühnen, reitet er heimlich in die Nacht davon und kehrt nicht, wie den Köchen bestellt, zum Essen zurück:34 dô diu naht ane gie, schône schein der mâne. nâch âventiure wâne reit der guote kneht Êrec. (Er.3109–3112) (als die Nacht anbrach, der Mond schön schien, ritt der gute Mann Erec ins Ungewisse.)
In diesem nächtlich verschwiegenen Wegritt Erecs liegt eine Maßlosigkeit, die nicht zuletzt Spiegel der Maßlosigkeit des verligens ist: so wie dort der Tag zur Nacht gemacht wurde (Er.2936–53), wird hier die Nacht zum Tag:35 nû wâren si beide âne maz / alle die naht geriten / und hâten kumber erliten (nun waren sie beide ohne zu essen die ganze Nacht durchgeritten und hatten Mühen erlitten, Er.3481–83). Dabei 32 Ich kann deshalb Peil nicht folgen, wenn er meint, dass der heimliche Aufbruch »wohl keine negative Charakterisierung sei«. Die Gebärde bei Chrétien, Hartmann und Wolfram (1975), S. 103. 33 Zwar spricht Kalogrenant in V.784 von einem Aufbruch des morgens, doch bleibt der verfrühte Wegritt ohne Nachtruhe. Des morgens definiert hier mehr den Tag der âventiure als Einheit. Chrétien lässt Calogrenant ausdrücklich die Nacht beim Wirt verbringen (Chr.269). 34 Damit verändert Hartmann auffallend die bei Chrétien als öffentlicher Aufbruch inszenierte Szene. 35 Dass im verligen Erecs eine Maßlosigkeit liegt, ist immer wieder betont, die Maßlosigkeit der Sühne aber nicht in Betracht gezogen worden. Siehe dazu die Literaturübersicht bei Ranawake, Erec’s »verligen« and the Sin of Sloth (1988), S. 94 f. Sie deutet die nächtliche und heimliche Abreise Erecs als Ausdruck seiner Scham: von da an sei er »the penitent hero« (S. 105). Ruberg verweist auf die unmâze Erecs gegenüber Enite und bezieht das wohl auch, auch wenn nicht sehr klar, auf die Sühnefahrt. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 196 f.
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bleibt es nicht bei dieser einen Nachtfahrt, sondern der Frevel dieser ersten Reise in die Nacht bestimmt den ganzen Sühneweg Erecs mit Enite. Sei es selbst gewählt oder als überstürzte Flucht – wie die Flucht vor dem Enite bedrängenden Grafen (Er.4022–25) oder aus der Burg von Oringles (Er.6737–6739) –, der nächtliche Weg gehört zur Irrfahrt wie das Schweigegebot. In der bösartigen Schmährede des Grafen zeigt sich dann die allgemeine Einschätzung solcher heimlichen Nachtreisen: jâ was ez ein vil arger wanc daz ir nahtes ritet dan. dâ mac man wol kiesen an daz ir si ir vater habet genomen. (Er.4183–86) (ja, es war ein böser Streich, dass ihr nächtens weggeritten seid. Daran sieht man genau, dass ihr sie dem Vater geraubt habt.)
Das sagt aber derselbe Graf, der eben noch die Nachtruhe verfluchte, die ihm seinen bösen Plan vereitelte: vervluochet sî diu stunde / daz ich hînaht entslief (verflucht sei der Moment, in dem ich in dieser Nacht eingeschlafen bin, Er.4093 f.). Im Zerrspiegel seiner bösen Absicht verdrehen sich die allgemeinen Werte, auf die er sich – im Rückgriff auf das verallgemeinernde man – gegenüber Erec beruft.36 Auch wenn Oringles seine Hochzeit mit Enite überstürzt noch in der Nacht abhalten will (er wolde eht briuten der naht, Er.6341), gegen die Billigung seiner ganzen Umgebung, verrät sich nicht zuletzt damit die Falschheit und Sündhaftigkeit seines Plans (Er.6324–41).37 Sagt Isidor: »Die Abwechslung von Tag und Nacht ist für den Wechsel von Schlafen und Wachen gemacht, und damit die Ruhe der Nacht die Arbeit des Tages lindert,«38 bestimmt er die Nachtruhe als gottge-
36 In diesem verkehrten Spiegel wird seine Schmähung der Nachtruhe dann auch kenntlich als Zerrbild von Erecs verligen am Tag: er sprach: »swer sîne sache / wendet gar ze gemache, / als ich hînaht hân getân, / dem sol êre abe gân / unde schande sîn bereit. / wer gewan ie vrumen âne arbeit? / mir ist geschehen vil rehte.« (Er.4096–102). Bei Chrétien findet sich diese Spiegelung von Erecs ›verligen‹ am Tag in dieser Schmähung der Nachtruhe nicht. 37 Auch hier verändert Hartmann gegenüber Chrétien, der die Hochzeit von Oringle und Enide noch am Nachmittag stattfinden lässt (Chr.4767–78). 38 »Noctis autem et diei alternatio propter vicissitudinem dormiendi vigilandique effecta est, et ut operis diurni laborem noctis requies temperet.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), V,xxxi. Vgl. dazu auch Hrabanus Maurus, der auf die Frage, warum die Nacht gemacht sei, den Magister antworten lässt: »Pro temperantia laboris humani, ut corpora requiem haberent, et ut animalibus
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wollte Ordnung. Die durchrittene Nacht wird da verdächtig, wenn es nicht um die schiere Zeittäuschung geht, indem ›über Nacht‹, also: plötzlich von einem Ort zum andern zu kommen ist. Von diesen bereisten Nächten wirft sich immer ein Schatten in den kommenden Tag:39 die in der Nacht begonnene âventiure kann nicht gelingen, die heimliche Abreise ist ein Diebstahl, das nächtliche Herumreiten zur Strafe Enites ist so falsch und maßlos, dass Erec schließlich um Verzeihung bitten muss (Er.6795–99). Das Aufbrechen der Nacht auf den Tag hin ist ein Frevel, das Schweigen der Nacht sollte der Ruhe gehören, nicht Verschweigen sein.40 Die ›verschwiegene‹ Nacht stößt immer wieder an die ›stumme‹ Nacht.
1.2 Die stumme Nacht Verlorene Wege – verlorene Wörter Wenn im höfischen Roman die Nacht zur stummen Zeit der Sünde wird, zur Zeit der Bedrohung und Verirrung, ist das in einem durchaus realistischen Sinn zu lesen: die Nacht ist dunkel, sie bietet den Räubern Schutz, man verliert leicht in der Finsternis den Weg, für Heimlichkeiten und Täuschungen jeder Art ist sie die ideale Zeit.41 Und doch zeigt sich, dass dieser literale Sinn immer wieder durchsichtig wird auf einen tropologischen Sinn hin, der sich wie nebenbei einstellt. Das Schweigegebot Erecs Die von Erec mit Enite durchrittenen Nächte, nachdem sie aufgebrochen sind, das verligen zu sühnen, sind nicht nur gefüllt mit Gefahren, sondern sind auch gezeichnet durch das Schweigegebot. Als mit dem ersten Kampf gegen Guivreiz und der folgenden bei diesem verbrachquibusdam solem non ferentibus victum quaeritandi daretur occasio.« liber de computo, cap. xxi, PL 107, Sp. 680A/B. Und zu unmäßigen Nachtwachen sagt er: »Deus noctem fecerit ad requiem, sicut diem ad laborem.« De clericorum institutione libri tres, II , cap. ix, PL 107, Sp. 329B. 39 Alcuin schreibt: »Sic immaturitas nocturnum tempus est, quod non est maturum, id est, oportunum, ut agatur aliquid vigilando, quod etiam vulgo dici solet. hora inportuna.« De orthographia, littera I, PL 101, Sp. 910C/D. 40 In dem Zusammenhang wird immer wieder auf Joh 12,35 verwiesen: »Ambulate dum lucem habetis, ut non tenebrae vos comprehendant«. 41 Siehe dazu u. a. Verdon, La nuit au Moyen Age (1994).
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ten Nacht die Verkehrung von Tag und Nacht aufgelöst wird, spielt bezeichnenderweise von Stund an das Schweigegebot auch keine Rolle mehr: es kommt zu keinen Warnungen Enites, zu keinen Drohungen Erecs mehr. Das Schweigen der Nächte davor aber wird nur gebrochen durch die Warnungen Enites. Während Erec blind und taub durch die nächtliche Welt reitet, ist sie es, die wachsam und klarsichtig hört und sieht und durch ihr warnendes Wort die Dunkelheit erhellt. Im Horizont heilsgeschichtlicher Deutung, wo die Nachtfahrt als Sündenfahrt, die Blindund Taubheit als Ausdruck der menschlichen Sündhaftigkeit gesehen ist, muss man hier einen heimlichen Hinweis auf Enites Schuldlosigkeit sehen. Denn wenn Hartmann in einer fast pedantischen Erzählerbemerkung erklärt, warum Erec so viel weniger gut hörte als Enite (Er.4150–61), ist das eine kleine Anmerkung, die auf der Ebene des Literalsinns eine »Lücke« Chrétiens füllt, die aber – wenn nicht schon in der Cadocszene – spätestens in der letzten Begegnung Erecs mit Guivreiz fragwürdig wird: Erec hört da plötzlich sehr genau und braucht Enites Vermittlung nicht mehr, obwohl ausdrücklich gesagt ist, dass er gerüstet sei wie zuvor (Er.6689–93; 6748 f.; 6872–77).42 Doch bleibt noch in diesem Hören Erecs eine Taubheit, als letzter Ausdruck seiner Maßlosigkeit (unmâze, Er.7014) und tumpheit (Er.7012 f.): Er deutet die Geräusche falsch, als Gefahr, und beginnt so einen Kampf, den er nur verlieren kann. Erst dann, von Guivreiz besiegt, findet die Verblendung Erecs ein Ende, als die Nacht durch den Mond taghell wird: der mâne bôt in schœne naht / der dô der wolken was endaht (der Mond, der da hinter den Wolken hervorgekommen war, bot ihnen eine schöne Nacht, Er.6894 f.).43 Der Erec-Roman Hartmanns ist so eine eigentliche Nachtgeschichte. Und gerade im Vergleich mit dem Text von Chrétien de Troyes zeigt sich die Bedeutung der Nacht für Hartmanns Darstellung ganz deutlich: Nicht nur bricht Erec bei Chrétien öffentlich auf und nimmt offiziell von seinem Vater und dem Hof Abschied, sondern es wird auch mit keinem Wort ein Auszug in die Nacht erwähnt (Chr.2765–67). Die
42 Erec ist gerüstet wie zuvor, und wâfente sich als ê (Er.6692). 43 Vgl. dazu auch Ruberg, der in dieser Szene die »Umkehrung der Ausgangssituation von Karnant« sieht: »Erec, der Schweigen verlangte, ist, nachdem er selbst zur Unzeit schwieg, zu ohnmächtigem Verstummen gezwungen; Enites Wort, aus dem Brechen auferlegten Schweigens gewonnen, wird zunehmend gewichtiger«, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 197.
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zwei Kämpfe gegen die Räuber finden entsprechend nicht in der Dunkelheit, sondern am Tag statt und Erec nimmt die Gefahr selber wahr, so dass Enides Warnung ein überflüssiger Verstoß gegen das Gebot ist, ›verbum otiosum‹ (Chr.2961 f.). Wird bei Hartmann die Nacht durchritten, bis erst im nächsten Tag Quartier genommen wird (Er.3472–87), schlagen Erec und Enide bei Chrétien ein Nachtlager im Freien auf, wobei Erec schläft, Enide über ihm wacht und klagt (Chr.3086–3120), um dann – wie es sich gehört – in den Morgen hinein weiterzureiten. Und genauso erfolgt der überstürzte Aufbruch, die Flucht vor dem Enite nachstellenden Grafen bei Chrétien in der Morgendämmerung, nachdem Erec lange geschlafen hat (tote la nuit seüremant, Chr.3460), während sie bei Hartmann in der Nacht losziehen (alsô reit des nahtes dan / Êrec der ellende man, Er.4022 f.). Entsprechend fehlen bei Chrétien die aufschlussreichen Nacht-Gedanken des Grafen, die frevelhafte Verdammung der Nachtruhe (Er.4096–4102) und die Verurteilung Erecs wegen der nächtlichen Reise (Er.4183–86). Erst mit dem Kampf gegen Guivreiz wird bei Hartmann, wie schon gesagt, die Nachtfahrt Erecs mit Enite unterbrochen. Und das bewusst. Denn bei Chrétien kehrt Erec nach dem Kampf mit Guivrez nicht bei diesem ein, sondern reitet direkt weiter, bei Hartmann aber wird zum ersten Mal eine richtige, ganze, volle Nacht geruht.44 Und nachher wird die Nachtreiserei nicht wieder aufgenommen – bis auf den nächtlichen Ritt nach der »Auferstehung« Erecs. Dieser ist aber gefüllt mit von Erec angenommenem Rat Enites, die ihm den Weg weist (Er.6746), dem ersten Gespräch der beiden und Erecs Bitte um Verzeihung (Er.6763–6813) sowie dem zweiten Kampf mit Guivreiz. So gelesen wird die Nacht, in die hinein Erec am Anfang aufbricht, zur stummen Nacht der Verschuldung und Sündhaftigkeit, wird das Schweigegebot für Enite aber zum in Demut und triuwe von ihr ertragenen Zeichen der Verlorenheit in dieser Stummheit. Enites Wort aber, das dieses Schweigen durchbricht, ist bei Hartmann nicht mehr einfach Verstoß gegen das Gebot Erecs, sondern Zeichen in der Finsternis, Wegweiser in der Verlorenheit, schließlich gerade Zeichen ihrer Unschuld. Doch erst am Schluss, erst nach seinem Scheintod und der »Auferstehung« erkennt Erec, dass Enite ihm den Weg weist, wie sie dies schon mit ihrer ersten, verhängnisvollen Rede tat. Diese Entschuldung und Erhöhung Enites aber ist Hartmanns Werk. 44 Erec weist in der Kampfepisode mit Guivreiz Enite auch nicht mehr zurecht wegen ihres Redens. Vgl. auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 193.
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Parzivals Irren nach der verpassten Frage Diese letztlich heilsgeschichtliche Bedeutung der Nacht wird auch da greifbar, wo Parzival am Karfreitagmorgen nach kalten Nächten im Freien, nach langer Zeit des Irrens waltmüede (Parz.459,14) zur Einsiedelei Trevrizents geritten kommt, um hier nicht nur die Geschichte des Grals zu hören, sondern auch Gott wiederzufinden und sich als Sünder zu bekennen (ich bin ein man der sünde hât, Parz.456,30): »alrêrst ich innen worden bin wie lange ich var wîselôs unt daz freuden helfe mich verkôs«, sprach Parzivâl. »mirst freude ein troum: ich trage der riwe swæren soum.« (Parz.460,28–461,2) (»Jetzt erst realisiere ich, wie lange ich richtungslos unterwegs bin, und dass mir Fröhlichkeit ihre Hilfe versagte«, sagte Parzival. »Freude ist für mich ein Traum; ich schleppe das schwere Gepäck der Reue.)
Die Irrfahrt Parzivals, seine ›Nacht‹, deren Schweigen nichts von Gott wissen wollte, deren Dunkel Blindheit war (Parz.461,2–26), findet da im Karfreitagmorgen ein vorläufiges Ende.45 Es ist eine Nacht, die mit der verpassten Frage angefangen hatte, als nach der Abendfestivität die lautlose Nacht auf der Gralsburg in keine Morgengeräusche mehr aufbrach, die dunkle Stummheit sich in den Tag hineinzog (Parz.245,20–247,6) und der böse Traum nicht mehr abbrach (Parz.245,1–16). Das lärmende Schreien Parzivals an jenem lautlosen Morgen steht ja in seltsamem und im wahrsten Sinn grauenvollem Kontrast zu seinem verhängnisvollen Schweigen am geräuschvollen Abend zuvor. Das einzige Echo, das sein Schreien in der verlassenen Gralsburg findet, ist die Verfluchung durch den Knappen (Parz.247,26–30). Eine Verfluchung, die, weder Antwort noch Frage, außerhalb jeder kommunikativen Funktion, in ihrer ortlosen Absolutheit eigentliche Verbalisierung des verdammten und verdammenden Schweigens ist: Parzivâl der sach sich widr: dô wolter hân gevrâget baz. »ir sult varen der sunnen haz«,
45 Auf die Ausdeutung des Karfreitags kann hier nicht eingegangen werden. Dass damit aber die Nacht noch deutlicher zur Nacht des in Sünde befangenen Menschen wird, der durch den Tod Christi erlöst wurde, ist augenfällig. Zur Zeitlosigkeit dieser Nacht vgl. Ohly, Die Suche in Dichtungen des Mittelalters (1965), S. 177.
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sprach der knappe. »ir sît ein gans. möht ir gerüeret hân den flans, und het den wirt gevrâget! vil prîss iuch hât betrâget.« nâch den mæren schrei der gast: gegenrede im gar gebrast. (Parz.247,24–248,2) (Parzival schaute zurück und hätte gern mehr gefragt. »Verzieht euch, ihr, den die Sonne hasst«, sprach der Knappe. »Ihr seid eine Gans. Hättet ihr doch den Schnabel bewegt und den Hausherrn gefragt! Große Ehre ist euch entgangen.« Der Fremde schrie nach Erklärung, erhielt jedoch keine Antwort.)
Täuschende Wahrheiten Anders als bei Hartmann46 und auch Wolfram ist die scheinbar sündhafte Nacht bei Gottfried immer auch Ort einer Wahrheit, Ort einer Erkenntnis, in deren Licht sich die Sünde plötzlich ins Gegenteil verkehren kann, der Getäuschte selber zum Täuschenden wird, in der scheinbaren Lüge die Wahrheit steckt, in der scheinbaren Wahrheit eine falsche Erkenntnis. Ist bei Hartmann und auch noch bei Wolfram die Symbolkraft der ›stummen Nacht‹ als der Sündennacht immer wieder greifbar, kennt Gottfried diese Konnotation nur als Topos, auf den er umdeutend anspielt. So vollzieht sich die Täuschung, der Marke zum Opfer fällt, als Brangäne sich anstelle von Isolde von ihm entjungfern lässt, in vollkommener Dunkelheit und Stummheit (sunder rede und sunder braht, Tr.12446), einer Blind- und Taubheit, durch die die Nacht zum klassischen Ort einer Versündigung gezeichnet wird. Aber diese Topik wird in für Gottfried bezeichnender Art auf eine Unschuld hin aufgebrochen: Denn den Plan dieser Irreführung Markes hat Isolde in ihrer kintheit ausgedacht (Tr.12440 f.), so dass er in dieser expliziten assoziativen Verknüpfung mit kindlicher Unschuld und Einfalt sowohl den Charakter der Täuschung wie der Sünde bis zu einem gewissen Grad verliert. So dunkel die Nacht hier ist, sie ist weniger stumm als verschwiegen.
46 Vgl. auch den »Gregorius«. Dort zeichnet Gregorius die Nacht auch zum Ort der Sünde, indem er sich gern vom Fischer wieder in die Nacht hinaustreiben lässt, als den für ihn, den wîselose(n) man, passenden Aufenthalt (Greg.2812–25).
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1.3 Die stille Nacht Erinnerung und Erwartung Es ist die nächtliche Stille, die dem einsamen Liebenden die Erinnerung der Geliebten so deutlich vorstellt, dass der Lärm dieser Gedanken ihn nicht zur Ruhe kommen lässt. Dabei wird durch die Ungeduld des Erwartens, durch die sich die erinnernden Gedanken in den nächsten Tag hineinspannen, die »nox intempesta« auch plötzlich zur zeitlichen Größe, längt sie sich und wird sie messbar: Gahmuret verdrießt, dass die Nacht so lang ist (Parz.35,18 f.), in der er sich voller Sehnsucht nach Belakane verzehrt und sich schlaflos wälzt (Parz.35,24). Auch Parzival erinnert sich während des Versöhnungsfestes in der Nachtstille an Condwiramurs (Parz.731,24). Dabei hält ihn nicht nur seine Minnesehnsucht wach, sondern er wird sich auch seiner Einsamkeit bewusst, in die ihn diese treue Liebe und die Gralssuche bringen. In dieser Nacht kommt er zu der Einsicht, dass seine Gralssuche nur in der Minneverbindung mit Condwiramurs gelingen kann, dass diese Minne sich aber auch von der endehafte(n) freude (endlichen Freude), die gelücke gibt (Parz.733,17 f.), unterscheidet.47 Er erkennt sich als von Gott auserwählt in dem Sinn, als dieser sein Glück nicht will: got wil mîner freude niht (Gott will mein Glück nicht, Parz.733,8). Im Kreis des Vergnügens der andern hat er keinen Platz. Die Freude des Artushofes kann nicht seine Freude sein, die in der Ausschließlichkeit der Minne zu Condwiramurs keine Nebenschauplätze erträgt (Parz.732,1–733,30). Durch seine treue Liebe zu Condwiramurs und die Gralssuche ist er aus dieser Gesellschaft ausgeschlossen, ist er, freudenflühtec (freudenfliehend) und trûrens unerlôst (nicht erlöst von Trauer, Parz.733,25; 733,16), ein Ausgestoßener, der diese Freuden fliehen will (Parz.733,20). So bricht er heimlich auf und reitet allein und einsam aus dem Kreis der Gaweingeschichten und des Artushofes hinaus – in einen neuen Tag (Parz.733,29 f.). Der Schlaf kann jedoch nicht nur durch Minnesehnen gestört werden, sondern auch der Zorn lässt die Gedanken in der Nacht nicht zur Ruhe kommen. So wälzt sich der von seiner Schwester und seinem 47 endehafte freude ist wohl nicht als ›Freude von Bestand‹ zu übersetzen (Kühn), auch nicht als ›wahre Freude‹ (Spiewok), sondern, als Freude, die gelücke gibt (›Fortuna‹), eher als ›unbeständige Freude‹, ›vergängliche Freude‹ im Gegensatz zu der von Parzival gesuchten Erfüllung.
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Schwager, dem König, missachtete und ausgeschlossene Willehalm in einsamem Zorn auf seinem Bett bis der Tag anbricht (Wlh.137,1 f.). Während aber die Minne den Schlaflosen zu verfrühtem Tagesanbruch drängt (Parz.36,5; Parz.733,30), hält der Zorn den Wachenden in der Nacht zurück, umnachtet ihn bis in den Morgen hinein, bis das Tageslicht schon auf ihn fällt (Wlh.137,2).
Memoria und Busse Als Zeit der Erinnerung, der affektiven Gedanken und der konzentrierten Selbstreflexion, ist die Nacht auch Zeit der Totenwache, der einsamen Totenklage, dann auch der Reue. In ihrer Stille gibt sie dem Schmerz über das endgültige Verstummen Raum und schützt in ihrer Dunkelheit und Intimität den Klagenden vor der Welt. Gahmuret zieht sich, vom Schmerz überwältigt, nachts in sein Zelt zurück, um da seine Familie zu beklagen (Parz.93,10); und Willehalm kehrt im Schutz der Nacht zurück, um beim toten Vivianz zu wachen (Wlh.70,29 f.).48 Die kasteiende Nachtwache ist jedoch auch Mittel der Busse, wenn sich vor der stillen, geräuschlosen Dunkelheit die begangenen Sünden hell abzeichnen. So büßt die Mutter von Gregorius nächtelang (Greg.891–8), so betet Gregorius die ganze Nacht, bevor er auf den Fels gebracht wird: Wie lützel er die naht gelac! sîns gebetes er phlac unz in diu müede übergie. dô er ze slâfe gevie, dô was ez nâhen bî dem tage. (Greg.3047–51) (Wie kurz nur legte er sich hin in dieser Nacht! Er betete, bis ihn die Müdigkeit überkam. Als er in Schlaf fiel, war es schon beinah Tag.)
Entscheidung und Erkenntnis In der still gewordenen Welt der Nacht ordnen sich die Gedanken und kann es zu Entscheidungen kommen. So ist das nächtlich stille Nachdenken immer auch ein Vordenken auf den nächsten Tag hin, wird 48 Vgl. auch Enites Wache bei dem vermeintlich toten Erec. Dazu ausführlich unten, das Kapitel »Der stille Raum«. Die Totenklage Laudines aber ist zeitlich nicht festzulegen, kann weder einer Nacht noch einem Tag zugeordnet werden.
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darin der nächste Tag regelrecht konzipiert. Laudine realisiert in der einsamen Nachdenklichkeit der Nacht, dass Lunetes Vorschlag, sich mit dem Mörder ihres Mannes, Iwein, zu liieren, doch eine Lösung ist und entschließt sich, darauf einzugehen: Daz sî ir maget ie leit gesprach, daz was ir alsô ungemach daz sîz vil sêre clagete. morgen, dô ez tagete, dô kam sî wider gegangen und wart baz enpfangen dan sî verlâzen wære. (Iw.2073–2079) (Dass sie je ihre Dienerin gescholten hatte, war ihr nun so unangenehm, dass sie es sehr beklagte. Am Morgen, als es tagte, kam diese wieder zu ihr und wurde besser empfangen, als sie entlassen worden war.)
Das schweigende Nachdenken des Mädchens im »Armen Heinrich« Am intensivsten und bedeutungsvollsten schließt sich die nächtliche Konzentration aber im »Armen Heinrich« um das entscheidende Geschehen, das Nachdenken des Mädchens, das schließlich, als begeistetes Denken, sich in die zentrale Rede des Mädchens verkörpert, in der es sô wîslîchen sprach / unde menschlich reht zebrach (so weise redete und damit menschliches Recht brach, A.H.857f.), dass die Eltern erkennen mussten, dass der Heilige Geist Urheber dieser Rede ist (A.H.863f.). Hier wird die Nacht zum Ort der Inspiration, wo aus ihrer Stille das göttliche Wort gehört wird. Dabei ist entscheidend, dass dazu eine Vorbereitung nötig ist, dass die Begeistung nicht in die Zufälligkeit hinein passiert: Das Mädchen denkt intensiv nach über das Leiden ihres Herrn und die Heilung, weint aus Mitleid und weigert sich zuerst, ihren Kummer den Eltern zu sagen, da sie genau weiß, wie weltfremd er ist. Es ist erst die zweite Nacht, in der sie zur Entscheidung findet; eine Entscheidung, deren Absurdität ihr bewusst ist, so dass sie die Reaktion der Eltern fürchtet. Diese kann dann auch nur die wunderbare Beredtheit überzeugen, dass sie sich nicht widersetzen. Es ist die von Gott inspirierte Rede (A.H.874), die die Eltern zum Schweigen bringt (A.H.876–883). Göttliche Antworten und Träume So wie die Inspiration des Mädchens Reaktion auf intellektuelle und emotionale Anstrengung ihrerseits ist, ist auch im »Gregorius« die nächtliche göttliche Weisung an die zwei Römer, als neuen Papst Gregorius zu suchen, weder Traum noch plötzliche, unerwartete Offenba242
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rung, sondern Antwort auf Gebet und Almosengabe, auf guote vrâge (Greg.3165):49 got dô genædeclichen tete der ie der guoten vrâge riet. eines nahtes er beschiet wîsen Rômæren zwein, an den volleclichen schein diu triuwe und diu wârheit daz ir wort was ein eit. Dâ si besunder lâgen und ir gebetes phlâgen, diu gotes stimme sprach in zuo (Greg.3164–73) (da zeigte sich Gott, der schon immer auf gute Frage Rat gab, gnädig. Eines Nachts gab er zwei weisen Römern, an denen sich sowohl Treue wie Aufrichtigkeit zeigten, so dass ihr Wort einem Eid gleichkam, Bescheid. Als sie einzeln lagen und beteten, sprach die göttliche Stimme zu ihnen.)
Die Nacht als Zeit göttlicher Offenbarung, göttlicher Botschaft, geht auf biblische Tradition zurück,50 deren größte Form sich im Weihnachtsgeschehen findet. So wie dort der Erlöser in die Nacht hinein geboren wurde, zeigt sich Gott immer wieder in der Stille der Nacht dem ihm zugewandten Menschen.51 Wenn die Fischersfrau in Gregorius, der nachts um Herberge bittet, einen Boten Gottes erkennt (Greg.2850–52), steht ihre Klarsicht in dieser heiligen Tradition, in der Gott seine Boten nachts schickt. Ihre güete (Greg.2875) und erbermde (Greg.2836) öffnen ihr den Blick für die Wahrheit, die in dem Moment einer Offenbarungserkenntnis gleichkommt. Sie ist es, die als erste in einer wunderbaren Hellsichtigkeit die Erwähltheit von Gregorius erkennt, wobei das Wunder nicht zuletzt in der strengen Befolgung der
49 Nach Macrobius handelt es sich um ein »oraculum«, den »bewusst gesuchten Traum des Tempelschlafs«. Vgl. Speckenbach, Von den troimen (1976), S. 171. Diese Doppeloffenbarung steht in einer Tradition solcher sich gegenseitig verbürgender Offenbarungen, so dass Hartmann in seiner Erklärung der Zweiheit das geläufige Auslegungsmuster aufnimmt (Greg.3187–90). Siehe dazu Delling, »« (1966), S. 1117, 35 ff. 50 Z.B.: Jakob kämpft nachts mit dem Engel (Gen 32,25); Moses erhält nachts die Gesetze (Ex 20,21); Jesus verbringt Nächte im Gebet (Luk 6,12). 51 Auch wenn Erec aus seinem Scheintod erwacht, passiert das nicht von ungefähr in fast schon skurriler Analogie zur nächtlichen Auferstehung Christi (Er.6587–6602).
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christlichen Gebote der Nächstenliebe und Barmherzigkeit sich vollzieht.52 Auch der in der Nacht gefallene unzeitige Schnee, der Parzival in die Leere und Irre führt, bis er durch die contemplative Versenkung in die drei Bluttropfen in seine Minne findet (Parz.282,5f.), gehört zu diesen nächtlichen Wundern, die in der Zeitlosigkeit und Stille der Nacht möglich werden. Und auch wenn diese Konnotationen nicht zu streng durchgeführt werden sollten, ist die Nacht als Wunderort wohl auch die Zeit, in der die Mitleidsfrage gestellt werden muss. Nicht am Mittag, nicht am Morgen, sondern in der Konzentration und Wunderstille der Nacht (Parz.484,1). Göttliche Eingebungen passieren in der höfischen Erzählung nie über den Traum, sondern sind Antwort auf guote vrâge. Der nächtliche Traum als Offenbarungstraum kommt in der höfischen Erzählung nicht vor.53 Es sind Warnträume, Wahrträume, Angstträume, die alle in den Körper des Träumenden sich einschreiben, nicht aber eigentliche Inspirationen.54 Sie führen alle in die Geschichte hinein, in die Verwirrung der âventiure, sind aber nicht direkte Fingerzeige Gottes. So quält sich Parzival in der Nacht nach seiner verpassten Frage mit einem Traum, der ihm seinen künftigen Irrweg anzeigt und ihn ganz eigent-
52 Vgl. Mt 25,35. Die Nacht als Ort göttlichen Wunderwirkens prägt das Geschehen des »Gregorius« von allem Anfang an. So wird der kleine Knabe in der Nacht auf dem Meer ausgesetzt und kommt da in Gottes Schutz: unser herre got der guote / underwant sich sîn ze huote (Greg.929 f.). Nachts wird er von Fischern gefunden, um dann in einen ersten Morgen hinein dem Abt in die Hände zu kommen. Die Busse des Sünders endet mit dem Nachtessen der päpstlichen Gesandten, bei dem sich im Bauch des frisch gefangenen Fisches der vor 17 Jahren weggeworfene Schlüssel von Gregorius’ Bußeisen findet (Greg.3275–3312). Und wenn dann die Sündentafel in der Nacht der Rückkehr von Gregorius von seinem Stein reingewaschen wiedergefunden wird, ist dies nur noch der letzte beweisende Hinweis auf seine Reinheit (Greg.3722–3739). 53 Vgl. als Offenbarungstraum z. B. Mt 20–23. Siehe dazu auch Speckenbach, Von den troimen (1976), S. 178 ff. Er bringt verschiedene Beispiele von Offenbarungsträumen, alle aber aus legendenhaften Erzählungen. 54 Sozusagen erzwungene Inspiration und Klarsicht wird durch nächtlichen Zauber erwirkt, ad malam und ad bonam partem. Isoldes Mutter befragt nachts ihre geheimen Künste, um die Lüge des Truchsessen aufzudecken und in einem Wahrtraum die richtige Begebenheit zu schauen (Tr.9302–09). Melot, der Zwerg, konnte bis zu einem gewissen Grad umbe verholne geschiht / an dem gestirne nahtes sehen (Tr.14246 f.), auch wenn sich der Erzähler von dieser »falschen« Überlieferung distanziert (Tr.14248–53). Und auch Flegetanis, der Heide, liest in den Sternen die verborgenen Geheimnisse um den Gral (Parz.454,17–30).
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lich in diese Umnachtung einführt.55 Keine Boten Gottes, sondern Boten künftigen Leids: Parzivâl niht eine lac: geselleclîche unz an den tac was bî im strengiu arbeit. ir boten künftigiu leit sanden im in slâfe dar, sô daz der junge wol gevar sîner muoter troum gar widerwac, des si nâch Gahmurete pflac. sus wart gesteppet im sîn troum mit swertslegen umbe den soum, dervor mit maneger tjoste rîch. von rabbîne hurteclîch er leit in slâfe etslîche nôt. möhter drîzecstunt sîn tôt, daz heter wachende ê gedolt: sus teilt im ungemach den solt. (Parz.245,1–16) (Parzival lag nicht allein: vertraulich war bis zum Tag schwere Mühsal bei ihm. Künftige Kümmernisse sandten ihm ihre Boten im Schlaf, so dass der schöne Junge den Traum seiner Mutter, den sie über Gahmuret hatte, ganz aufwog. Folgendermaßen wurde sein Traum gesteppt: mit Schwertschlägen der Saum, darüber mit vielen schönen Lanzenstichen. Von schnellen Attacken hatte er im Schlaf einiges auszustehen. Wäre er auch dreißig Mal gestorben, das hätte er wachend lieber ertragen. So teilte ihm das Unglück den Sold aus.)
Wahre Täuschungen Bei Gottfried nun werden diese geläufigen nächtlichen Denk- und Erkenntnismuster in komplizierter Verdrehung der Wahrnehmungsmuster durcheinandergeworfen, um eine irritierend neue Lesart zu öffnen. Denn die Gottfriedsche Erzählung von Tristan und Isolde, die sich zum größten Teil in der Reflexion abspielt, setzt die Nacht nicht mehr einfach als Rahmen für Gedanken, Erinnerung und Rat, sondern braucht sie im verinnerlichten Raum der Reflexion als Bühne, mit deren topischen Requisiten die Erkenntnis- und Wahrheitsproblematik durchgespielt wird. Das nächtliche Schweigen im »Tristan« entzieht 55 Zur Charakterisierung dieses Traumes als ›somnium‹ siehe Fischer, The Dream in the Middle High German Epic (1978), S. 124. Er weist auch darauf hin, dass Chrétien hier keinen Traum eingeschoben hat.
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sich der Kategorisierung, wie sie hier versucht wurde, obwohl es mit diesen Mustern gezeichnet ist und ohne sie dunkel bleibt. In einem letzten Abschnitt soll deshalb speziell von den stillen Nächten im »Tristan« gesprochen werden. Marjodos Entdeckung der Liebenden Es ist ein Traum, der Marjodo auf die Spur von Tristan und Isolde bringt (Tr.13464–13623), in dieser verhängnisvollen Nacht, in der er die heimliche Liebe des Freundes erkennt und dadurch zu dessen Feind wird. Und so wird diese Nacht zu der ersten einer ganzen Reihe von Nächten, die alle, als verschwiegene und stille Nächte, von den »Feinden« der Liebenden eingesetzt werden, um diese zu überführen, die wârheit herauszufinden und die Liebe aufzudecken.56 Das Irritierende ist nun aber, dass in dieser Suche nach Wahrheit gerade die Wahrheitssuche zu Täuschung und Frevel wird, während die verborgene Liebe und die Täuschungsmanöver der Liebenden zu einer Wahrheit führen. Deutlich wird dies in den Szenen, die in der Nacht, als Zeit der Erkenntnis, spielen. Weckt der Wahrtraum Marjodo und führt ihn in die Wirklichkeit, lassen ihn Mond und Schnee der Spur Tristans folgen, lässt ihn der Zufall von Brangänes Vergesslichkeit in die Kemenate eindringen, so ist es schließlich die Rede, die die Liebenden verrät. Denn die vom Schachbrett verdunkelte Lampe offenbart Marjodos Blicken nichts; erst als er die Stimmen der Liebenden hört, wird das friuntlîche zornelîn Marjodos (Tr.13559) zu Hass (Tr.13605), erst im Wort verrät sich die verschwiegene Liebe (Tr.13590–99). Dabei provoziert die heimliche Liebe heimlichen Hass. So wie jene inneclîche ist, ist Marjodo das entdeckte Verhältnis inneclîche leit und tut ihm in dem herzen wê (Tr.13600 f.). Entsprechend offenbart er sein Wissen nicht, sondern versteckt sich hinter Gerüchten (Tr.13613–23; 13641–55). Die Nacht, als Ort der Heimlichkeit und der Vertrautheit, wird da zum Ort der Missgunst, des Misstrauens und des Neids. Nach der Entdeckung des Liebesverhältnisses verstummt Marjodo – und mit ihm dann Tristan (Tr.13626). Die Vertrautheit der Freunde, die sich im Gespräch ausdrückte, weicht einer stummen Fremdheit: er sweic unde jener sweic, daz ir deweder nie wort gesprach, daz in doch selten ê geschach und des si ê wâren ungewon. 56 Vgl. die Häufung des Begriffs wârheit in den Versen 13776–856.
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von dirre fremede und hie von sô sach im Tristan daz wol an, daz er eteswaz hie van arcwânde in sînem muote (Tr.13626–33) (er schwieg und jener schwieg, so dass keiner von ihnen ein Wort sagte, was ihnen bisher noch kaum passiert und ihnen ungewohnt war. Deshalb, wegen dieser Fremdheit, sah ihm Tristan an, dass er in seinem Innern etwas argwöhnte.)
Markes Wahrheitssuche Mit dieser Entdeckungsszene, in der die Nacht als Zeit der Vertraulichkeit, der Verschwiegenheit, der Gefahr und Gefährdung, des Betrugs, aber auch der Erkenntnis eine Rolle spielt, beginnt hier die Reihe nächtlicher Erkennungsszenen, in denen Täuschung und Wahrheit in ständiger Verwirrung vertauscht werden. Der von Marjodo argwöhnisch gemachte Marke will die Wahrheit der Gerüchte herausfinden. Zuerst versucht er, in nächtlichen Gesprächen mit Isolde etwas zu erfahren, ohne dass es ihm gelingt. Nicht wegen Isolde, sondern dank der wachsamen Brangäne. Denn Isolde antwortet ihm zuerst in vollkommener Naivität und nährt so seinen Argwohn (Tr.13680 ff.). Erst die Instruktionen Brangänes machen, dass Marke in der nächsten Nacht dann beruhigend irregeführt und getäuscht wird (Tr.13857–14015). Aber schon bei den nächsten Fragen Markes ist Isolde wieder naiv ehrlich (Tr.14031–147), bevor sie dann, nach Rücksprache mit Brangäne (Tr.14158 f.), wieder die List findet, Marke zu täuschen – diesmal sogar, ohne erst von ihm auf die Probe gestellt zu werden (Tr.14161–232). Dieser Naivität Isoldes, auf die schon in der Hochzeitsnacht hingewiesen wurde (Tr.12431–48), steht die Naivität Markes gegenüber. Er, der getriuweste unde der beste, / der einvalte Marke (der getreuste und der beste, der einfältige Marke, Tr.13656 f.), ist Spielzeug des Höflings Marjodo, der ihn zu diesen nächtlichen Gesprächen anleitet, selber ohne Arg vorerst – wie Isolde nicht listig wäre ohne Brangänes Hilfe. Nachdem die List Marjodos an der Vorsicht Brangänes scheitert, versucht er es mit Hilfe des Zwerges Melot: Nu daz der truhsæze sach, daz sînes willen niht geschach, er versuochte ez aber anderswâ. ein getwerc was in dem hove dâ, daz selbe solte namen hân Melôt petit von Aquitân
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und kunde ein teil, alsô man giht, umbe verholne geschiht an dem gestirne nahtes sehen. i’ne wil ab nihtes von ihm jehen, wan alse ich’z von dem buoche nim. nune vinde ich aber niht von im an dem wâren mære, wan daz ez kündic wære, listic unde rederîch. (Tr.14239–53) (Als nun der Truchsess sah, dass es nicht nach seinem Willen ging, versuchte er es anders. Es gab am Hof einen Zwerg, der Klein Melot von Aquitanien geheißen haben soll und, wie man sagt, nächtens verborgene Dinge aus den Sternen lesen konnte. Ich will aber nichts über ihn sagen, als was ich dem Buch entnehme. Nun steht da aber in der wahren Geschichte über ihn nichts, außer dass er klug war, schlau und redegewandt.)
Interessant ist, wie Gottfried in der Charakterisierung des Zwergs eine Verbindung zur Magie verwirft und mit bezug auf die richtige Quelle lediglich von hervorragenden Fähigkeiten im Rahmen der Ratio spricht. Es sind nicht magische Fähigkeiten, die den Zwerg gefährlich machen, sondern seine Niedertracht und seine Beobachtungsgabe. So findet er in Rede und Gebärde der Liebenden schnell den Beweis für ihre Zuneigung, ohne jedoch die zwei in eindeutiger Situation ertappen zu können (Tr.14270–77). Von Marke zur Überwachung der Liebenden angestellt (Tr.14368–73), folgt er eines Nachts Tristan und sieht, wie dieser sich mit einer Frau trifft, ohne aber erkennen zu können, wer es ist (Tr.14513–24). Die Nacht bleibt verschwiegen, ihre Dunkelheit schützt die Liebenden, macht den böswilligen Zuschauer blind. Und die Falle, die Melot am nächsten Tag Tristan stellt, verfängt nicht, sondern warnt diesen vor dem Zwerg (Tr.14525–586). Auf die Annahme hin, dass die Frau, die sich mit Tristan traf, Isolde war und dass sich die zwei auch die folgende Nacht treffen würden, verleitet Melot dann Marke dazu, den Liebenden im Baumgarten aufzulauern (Tr.14587–601). Dabei geht es ihm darum, dem König die »Wahrheit« vor Augen zu führen (Tr.14594), eine Wahrheit, die er selber noch nicht richtig gesehen hatte. So sitzen schließlich der König und der Zwerg schweigend im Geäst des Olivenbaums über der Quelle und warten darauf, die wârheit zu sehen. Dies gelingt ihnen nicht, da Tristan sich in Gedanken versunken nähert, den Blick gesenkt, so dass er den Schatten der zwei Männer sieht, den das Mondlicht aufs Wasser wirft: 248
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Tristan gienc über den brunnen sâ, dâ beidiu schate unde gras von dem oleboume was. aldâ gestuont er trahtende, in sînem herzen ahtende sîn tougenlîchez ungemach. sus kom, daz er den schate gesach von Marke und von Melôte, wan der mâne ie genôte durch den boum hin nider schein. (Tr.14626–35) (Tristan ging zum Brunnen, wo Gras und Schatten des Ölbaums war. Da blieb er stehen, nachdenklich, in seinem Herzen sein heimliches Unglück bedenkend. So kommt es, dass er den Schatten von Marke und Melot sah, denn der Mond schien da eben durch den Baum hindurch herab.)
In seltsamer Art wird hier das Pauluswort »Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht« (1.Kor 13,12) umgesetzt.57 Es ist nicht die nach außen gerichtete Vorsicht, der direkte, suchende Blick, die Tristan die Gefahr erkennen lassen, sondern die ›contemplatio cordis‹, das Bedenken in sînem herzen. Nur so richtet er den Blick auf das »dunkle Bild« und erkennt darin, während Marke und Melot, den Blick auf das äußere Geschehen gerichtet, nicht zu erkennen vermögen. Und heißt es bei Paulus weiter: »Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen« (1.Kor 13,13),58 so sind dies die Tugenden, die Tristan und Isolde auszeichnen, die aber Marke in seinem Zweifel und Misstrauen abgehen. Richtet Tristan in seiner Angst ein Gebet an Gott, so anerkennt er hinter dem Schattenbild die ›Wahrheit‹, in deren Schutz allein er sich mit Isolde stellt, gibt er seinem Glauben und seiner Hoffnung Ausdruck. Ganz anders Marke und Melot, die diesen Bezug zu Gott verloren haben, worauf noch zu sprechen zu kommen ist. So wie Tristan in seiner Selbstreflexion durch den Schatten die Gefahr erkennt, findet auch Isolde, verwundert durch Tristans abweisende Regungslosigkeit, im furchtsam gesenkten Blick die Erklärung für das Verhalten Tristans und die Klärung der Situation. Auch sie reagiert sofort mit einem stillen Gebet (Tr.14710–13): Die Liebenden stellen sich und stehen in Gottes Schutz.
57 »Videmus nunc per speculum in enigmate tunc autem facie ad faciem.« 58 »nunc autem manet fides spes caritas tria haec maior autem his est caritas.«
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Die Nacht dieser Zusammenkunft wird so einerseits zur Zeit der verschwiegenen Liebe, der Täuschung, zum Ort des Geheimnisses, anderseits aber auch zur Zeit der Blindheit für die in ihr Befangenen, einer Zeit der Erkenntnis aber für die, die in der Liebe stehen.59 Die Anordnung der Szene, die sich in vollkommener Stummheit abspielt, zitiert aber auch die naturkundliche Szene der Tauben, die sich gern am Wasser aufhalten, um so im Spiegel (per speculum) den Habicht zu erkennen, bevor er sie erwischt.60 Dass diese naturkundliche Anspielung hier heimlich mitgemeint ist, zeigt nicht zuletzt auch ihre »Ausdeutschung« durch Konrad von Würzburg im »Engelhard«, wo die Liebenden im Baumgarten durch den Sperber, der sich auf den Baum über ihnen gesetzt hat, verraten werden.61 Die Raubvögel Marke und Melot können den zwei Tauben am Wasser nichts anhaben. Denn diese erkennen durch den Schatten, jene wollen direkt sehen. Auch die nächste Falle Markes schlägt fehl. Und bezeichnend ist auch hier der im Argwohn und Zweifel zerstörte Gottesbezug Markes. Nachdem das Königspaar und Tristan zur Ader gelassen haben, liegen sie zusammen mit Brangäne, Melot und einer Jungfrau einen Tag lang âne schal und âne braht (ohne Schall und Lärm, Tr.15131) in der Kemenate. In der folgenden Nacht dann aber will Marke die Liebenden prüfen. Während er sich al swîgende anzieht (Tr.15146), streut Melot Mehl auf den Fussboden (Tr.15150–54) und folgt dann dem König in die Mette. Haben sich Tristan und Isolde im Baumgarten in der Not an Gott gewandt und sich in seinen Schutz gestellt, sitzen Marke und der Zwerg in der Frühmesse und denken nur an die Kemenate: ir andâht diu was under in / vil kleine an kein gebet gewant (ihre Andacht war überhaupt nicht aufs Gebet gerichtet, Tr.15156 f.). Von Brangäne auf die Gefahr hingewiesen, bleibt Tristan unterdessen nichts anderes, als mit einem Sprung aufs Bett Isoldes zu gelangen, was aber seine Ader wieder aufreißt, so dass wohl keine Fußspur am Boden, aber eine Blutspur im Bett zurückbleibt. Diese seltsame Spur ohne Spur lässt Marke bei seiner Rückkehr verstummen:
59 Zum in dieser nächtlichen Gartenszene zitierten Topos des locus amoenus vgl. Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 386. 60 So heißt es z. B. bei Konrad von Megenberg: diu taub ruot gar gern pei dem wazzer, dar umb, daz si den durst lesch und daz si des habichs schaten in dem wazzer vor seh, ê er si begreif. K. v. M., Das Buch der Natur (1994), S. 180, 8–11. Wie eng sich diese Szene an naturkundliche Vorstellungen anlehnt, zeigt auch höchst interessant Günthart, »geantlützet alse der tûben kint« (1994). 61 Konrad von Würzburg, Engelhard (1982), V.3209–98.
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nu sweig er und gesprach nie wort. er liez in ligen und kêrte hin. sîne gedanke und sîn sin die wurden swære dar van: er dâhte und dâhte, als ein der man, dem ez ze kleinem liebe ertaget. […] iedoch ir beider tougenheit unde der wâren geschiht der enweste er anders niht, wan alse er an dem bluote sach. diu bewærde diu was aber swach. (Tr.15228–40) (da verstummte er und sagte kein Wort. Er ließ ihn liegen und ging weg. Seine Gedanken und sein Sinn wurden davon schwer: er dachte und dachte, wie einer, dem nicht zum Guten ein Licht aufgeht. […] Doch von ihrer beider Geheimnis und der wahren Geschichte wusste er nicht mehr, als er aus dem Blut ersehen hatte. Dieser Beweis war aber schwach.)
Die ungewisse Gewissheit verschlägt Marke die Sprache. Und erhoffte er sich in dieser Nacht eine Erkenntnis, ertaget sie ihm ze kleinem liebe und stürzt ihn in solche Unsicherheit und Verzweiflung, dass er, der verirrete Marke (Tr.15271), sich nicht mehr anders zu helfen weiß, als dass er bei seinen Fürsten Rat sucht. Das Gottesurteil, das ihm dann auch keine Antwort und Ruhe bringt, ist wohl im Rahmen dieser grundsätzlichen Gottlosigkeit und Gottferne Markes zu sehen.62 Alle diese Nächte sind aber Vorbereitung für einen Tag, in dem sich die täuschende Rede wieder ausbreitet. So sind Schatten-Erkenntnis im Baumgarten und das daran sich anschließende Gebet stille Vorbereitung für die große Täuschungsrede Tristans und Isoldes, dieses regelrechte Theater, das sie vor den heimlichen Zuschauern aufführen, so ist Markes stummer Kirchgang, voller heimlicher, unausgesprochener Gedanken, falsche Suche nach einer Erkenntnis, die den Tag klären sollte. Nicht zufällig braucht Gottfried hier für die dämmernde Erkenntnis Markes das Wort ertagen. Dass ihm der Tag in diesem Sinne 62 Bezeichnend ist, dass die schließliche Gewissheit durch Augenschein nicht in der Nacht erfolgt, sondern am Mittag, an einem mitten tage (Tr.18130), im hellsten Sonnenlicht. Nicht die Nachtstille führt Marke zur Erkenntnis, sondern die äußerliche Helle des Tages. Dabei ist es eine Helle, die offenbart, aber eine Gewissheit und ein Wissen gibt (er wânde niht, er weste, Tr.18226), die vom äußerlichen Schein abhängig sind. Entsprechend glauben ihm die herbeigerufenen Höflinge, da Tristan unterdessen weggegangen ist, nicht und beginnt auch Marke selber wieder zu zweifeln (Tr.18371–408).
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der Erleuchtung nicht anbricht, zeigt nicht zuletzt sein Verstummen, seine Sprachlosigkeit, in der er sich an seinen Rat wenden muss. Ein Verstummen und ein Schweigen, das, als Ausdruck einer vollkommenen Orientierungslosigkeit (ern weste, waz er wolte / oder wes er wænen solte, Tr.15255 f.) in schärfstem Gegensatz steht zu dem absichtsvollen Schweigen während der Nacht, als er seinen Plan verschwieg, um die Falle zuschnappen zu lassen. Ist bei Hartmann und auch Wolfram die ›stille Nacht‹ immer wieder als Zeit der Erkenntnis – durch Traum, durch Selbstreflexion, durch Erinnerung, durch göttliche Inspiration, durch Beratung – eingesetzt, ist die nächtliche Szene bei Gottfried so verschieden beleuchtet, dass die ›stille Nacht‹ einer Erkenntnis immer auch die ›verschwiegene Nacht‹ der Täuschung, aber auch die ›stumme Nacht‹ der Sündengefahr ist. Mit einer unerhörten Souveränität setzt Gottfried die verschiedenen Bedeutungsfacetten der Nacht ein.
1.4 Zusammenfassung Die enge Verknüpfung der Nacht mit dem Schweigen war nicht nur in der theologischen Reflexion, vor allem in bezug auf die Auslegung von Sap 14,18, gegeben, nicht nur in der monastischen Tradition als nächtliches Schweigen in der Regel festgelegt, sondern bestimmte auch gesellschaftliche und politische Ordnungsmuster. In der monastischen und christlichen Tradition wurde die nächtliche Arbeit, die nächtliche Reise oder die nächtliche Handlung mit einem gewissen Misstrauen betrachtet. Aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz nächtlicher Arbeit beschränkte sich auf die Tätigkeiten, die diesen Raum der Zeitund Ortlosigkeit nutzten, um den Rahmen alltäglicher Handlungen zum Guten zu brechen. So ist auch im höfischen Roman die Nachtreise nur da sinnvoll, wo sie für ein gutes Ziel die Zeit überlistet, ist die nächtliche Beratung, das nächtliche Studium gut, sofern es der Wahrheitssuche dient und im Raum des nächtlichen Schweigens Inspiration und Erkenntnis erlangt werden. Als Bild der Zeit vor der Zeit, des Chaos vor der Schöpfung, der Welt vor dem Eintritt des göttlichen Wortes, war die Nacht auch Bild für das vorwörtliche Schweigen, das gottferne Schweigen, in dem die Sprache noch nicht bekannt war. Darin verband sich die Vorstellung der nächtlichen Dunkelheit mit der Vorstellung eines sprachlosen Zustandes, in dem die Welt noch nicht durch die Sprache geordnet war. So konnte 252
Die Nacht
die Nacht, als Dunkelheit, die sich auf den Morgen hin öffnet, auch zum Bild für die Zeit der Redevorbereitung werden, das Schweigen vor dem Reden. Über die Metaphorik, die das Dunkel der Nacht mit dem Dunkel des Schweigens, das Licht des Tages mit dem Licht der Rede zusammenbringt, überschneiden sich verschiedenste Bereiche menschlicher Vorstellungen. Da knüpfte sich die reale nächtliche Gefahr mit der heilsgeschichtlich gefährlichen Welt zusammen, die mit keinem Wort erhellte Dunkelheit mit dem vorschöpferischen, noch gestaltlosen Chaos, und überlagerte sich die auf den nächsten Tag hin in Gedanken durchwachte Nacht mit der rhetorisch, dann aber auch moralisch und ethisch geforderten redevorbereitenden Reflexion. Was in der Nacht passiert liegt außerhalb der hellen Ordnung, in deren Licht sich die Körper zu Gestalten gliedern, wie sich die Stimme in der Sprache artikuliert, liegt außerhalb der durch die Sprache erklärten Welt. Wenn die Nacht im höfischen Roman zum Zeitraum des Erzählten wird, geht es darum, die Tagesordnung zu brechen – sei dies zum Guten, indem eine außerordentliche Erkenntnis möglich wird, oder die körperliche Trennung in der verschwiegenen Liebesvereinigung aufgehoben wird, sei dies zum Schlechten, wenn die Ordnung durch sündhaftes oder fehlerhaftes Verhalten bedroht wird, durch Verstoß gegen die religiösen Gesetze oder Zerstörung gesellschaftspolitischer Zusammenhänge in der Intrige. Im Kosmos des höfischen Romans ist die Nacht Zeit des Schweigens. Die in Vorstellungsmustern der Sprachtheorie, der Theologie, aber auch der volkstümlichen Gedankenwelt sich manifestierende Verknüpfung von Nacht und Sprachlosigkeit wird da zum bestimmenden Deutungsrahmen für Schweigeszenen und -situationen. Das höfische Erzählen passt sich so in seiner Topographie in die Topographie allgemeinerer Vorstellungsmuster ein, wie sie vor allem über die Metaphorik fassbar werden.
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2. Der Mittag
Aut brevis aut nullus sit somnus meridianus63
Als Moment des höchsten Sonnenstandes ist der Mittag in gewisser Weise Gegenstück zur Nacht; der tiefsten Dunkelheit steht die größte Helligkeit gegenüber, der ›intempesta nox‹ entspricht der scheinbare Zeitstillstand, wenn die Sonne im Zenit steht.64 Als Wendepunkt zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang wird diese Zeit des kleinsten Schattens und der größten Hitze aber auch deutlich als Zeit des Übergangs wahrgenommen.65 Dies, zusammen mit der krankmachenden Hitze, der spürbaren physischen Erschöpfung, dann der auffallenden Windstille und dem scheinbaren Sonnenstillstand, füllte die Zeit des Mittags im antiken Orient und Okzident mit Dämonen. Dabei verbanden sich in der halluzinatorischen Welt des Mittags erotische und sexuelle Vorstellungen mit Todesvisionen, war diese Stunde nicht nur libidinösen, sondern genauso makabren Phantasien günstig.66
63 »Kurz oder gar nicht soll der Mittagsschlaf sein.« Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), Nr. 1841. Die Sentenz ist in vielfacher Variation überliefert. 64 »Sol existens in meridie non videtur moveri sursum vel deorsum.« Alanus ab Insulis, Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, PL 210, Sp. 857C. Beispiele zur Vorstellung eines Zeitstillstands am Mittag in der Antike und dem Volksglauben finden sich bei Caillois, Les démons de midi (1937), II , S. 69 f. Für Beispiele aus der neueren Literatur siehe Bollnow, Der Mittag (1953), S. 145, 148. 65 Siehe ausführlich dazu, mit verschiedenen Beispielen u.a. aus der antiken Rechtspraxis, Caillois, Les démons de midi (1937), I, S. 149 ff. Vgl. auch die übliche Kampfzeit im Mittelalter: der Kampf hatte vor Mittag zu beginnen. Schultz, Das höfische Leben zur Zeit der Minnesinger (1991), II , S. 142 f. 66 Auf die faszinierende Tradition solcher Vorstellungen in der Antike, dann aber auch der verschiedenen volkstümlichen Traditionen, soll hier nicht eingegangen werden. Siehe dazu u. a. den ausgezeichneten Aufsatz von Caillois, Les démons de midi (1937), I, S. 172, II , S. 55; Grau, Das Mittagsgespenst (daemonium meridianum) (1966). Siehe auch Jungbauer, »Mittag« (1934/35) und Jungbauer, »Mittagsgespenst« (1934/35). Zu arabischen Vorstellungen und den dahinter stehenden altorientalischen Traditionen vgl. Worrell, The Demon of Noonday and some related ideas (1918). Zum erotischen Hirtentraum am Mittag vgl. auch das Marmorrelief im Museum of Fine Arts, Boston, abgebildet bei Guidorizzi, Ikonographische und literarische Modelle der Traumdarstellung in der Spätantike (1989), Abb.2, S. 247.
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Der Mittag
Die gesteigerte Helligkeit kann jedoch auch zu einer geistigen Erregung führen, einer erhöhten Luzidität, die zwischen Erleuchtung und Wahnsinn zittert. Ein gefährlicher Zustand, da in der damit verbundenen seherischen Fähigkeit der Keim zum Wahnsinn steckt und – im christlichen Deutungsmuster dann – die Prophetie mit der Verführung verschwimmt. In der Idee des Mittagsdämons (daemonium meridianum), die durch die Übersetzung der Septuaginta von Ps 90,6 in die christliche Gedankenwelt Eingang gefunden hat, wird dann die reiche Vorstellungswelt zum Mittag und den in dieser Zeit aktiven Kräften, wie sie sich im antiken Orient und Okzident findet, dem christlichen Denken eingepasst. Es spiegelt sich darin antike Mittagsdämonologie, doch ist sie im Bann der neuen christlichen Lichtmetaphorik.67 Die Idee der zerstörerischen Potenz der Sonne und der blendenden Helligkeit löst sich in der christlichen Lichtsymbolik.68 Denn da ist es die Lichtfülle, die den Mittag definiert: »›Meridies‹ meint sozusagen ›Mit-Tag‹, das ist der mittlere Tag; oder weil es denn die reinste Tageszeit ist. ›Merum‹ heißt nämlich ›rein‹. Denn es gibt im ganzen Tag nichts Klareres als den Mittag, wenn die Sonne vom mittleren Himmel scheint und die ganze Welt mit gleicher Klarheit erhellt.«69 Und doch wirkt selbst in der christlichen Mittagsvorstellung antike Dämonologie fort. Während die Wüstenväter noch in existentieller Form mit dem Mittagsdämon kämpften, schwächte sich dessen Wirkung erst in der mitteleuropäischen christlichen Welt bis ins hohe Mittelalter dann so ab, dass er nur noch als allegorischer Begriff erklärt oder implizit im Sprichwort weitergetragen wurde.70 Über die Anfech-
67 Vgl. zur Geschichte dieses Begriffs neben Caillois, Les démons de midi (1937) auch Landersdorfer, Das daemonium meridianum (Ps 91 [90], 6) (1928). 68 So heißt es u. a. bei Garnier de Rocheford (Ps.-Hrabanus): »Meridies est Christus.«. Allegoriae in universam sacram scripturam, PL 112, Sp. 998B. 69 »Meridies dicta quasi medidies, hoc est medius dies; vel quia tunc purior dies est. Merum enim purum dicitur. In toto enim die nihil clarius meridie, quando sol de medio caelo rutilat et omnem orbem pari claritate inlustrat.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), V,xxx. Hrabanus Maurus lässt seinen Magister dann die Zeit des Mittags von der 5. bis zur 8. Stunde bestimmen: »Pars media diei ab hora quinta usque ad horam octavam.« liber de computo, cap. 20, PL 107, Sp. 679D. 70 Verschiedene Sprichwörter verweisen auf die Gefahren des mittäglichen Schlafes: »Hec tibi proveniunt de somno meridiano: / Febris, pigrities, capitis dolor atque katharrus.« Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), Nr. 10604a und viele weitere. Zu ›acedia‹ als ursprünglich reinem Laster der Asketen und Mönche und dem Bedeutungswandel des Begriffs Rich-
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tungen, denen die Anachoreten ausgesetzt waren, kam es aber zu direkter Verbindung der mittäglichen physischen und psychischen Schwäche mit einzelnen Lastern. So wurde die als sündhaft empfundene Lustlosigkeit und Verzweiflung dem Mittagsdämon zugeschrieben und machte diesen, folgenschwer, zum Dämon der ›acedia‹. Nicht nur Origenes nennt ihn so, sondern Evragius führt in seiner Liste der Todsünden ›acedia‹ auf als den »Daemon, der auch mittäglich genannt wird«.71 Wobei auch in dieser Identifizierung des Mittagsdämons als Laster der ›acedia‹ die Verknüpfung mit sexuellen Phantasien, die den so geschwächten Körper und Geist heimsuchten, bestehen bleibt.72 Eine zu enge Gleichung von ›daemonium meridianum‹ und ›acedia‹ muss daher, nicht zuletzt wegen der Vielfalt der Symptome, die dem Wirken dieses Dämons zugeschrieben werden, vermieden werden. Denn, wie Nicetas sagt: »Diesen Mittagsdämon interpretiert der eine als Dämon der Schlaffheit und Schwermut, der andere als Dämon der obszönen Gedanken, der nächste als Dämon der Lust.«73 Auch im
tung ›otium‹, ›otiositas‹ im klösterlichen Umfeld siehe Wenzel, The Sin of Sloth (1967), S. 20 und 22. 71 Caillois, Les démons de midi (1937), III , S. 171; vgl. auch Kuhn, The Demon of Noontide (1976), S. 43. Zu dieser Verknüpfung finden sich weitere Hinweise ebd. und bei Rivers, Cassian’s ›meridianum daemonium‹ (1955). Reiches Material gibt Wenzel, der auch auf die Wort- und Begriffsgeschichte eingeht. Zur Bedeutung von Evragius sagt er: »But Evragius’ work marks the moment when the temptation of boredom with the cell and spiritual dejection was fully grasped and analyzed and when the term $ , after a gradual semantic change, became permanently attached to it as a technical term of Christian asceticism.« The Sin of Sloth (1967), S. 12; siehe auch S. 17. Zur Wirkung der ›acedia‹, die nicht nur als vollkommene Erschöpfung gesehen wird, sondern auch als Lustlosigkeit bis zur Verzweiflung, die in einer zerstörerischen Nervosität und Unkonzentriertheit sich äußert, siehe mit Hinweis auf Cassian Kuhn, The Demon of Noontide (1976), S. 52, und mit Hinweis auf Gregor d.Gr. Caillois, Les démons de midi (1937), III , S. 169. Siehe auch Wenzel, The Sin of Sloth (1967), u. a. S. 10 f. 72 »homo [acediosus] torpescit in desideriis carnalibus,« sagt z.B. Alcuin. Vgl. dazu, mit weiteren Belegen Caillois, Les démons de midi (1937), III , S. 170. 73 »Hoc autem daemonium meridianum quidam acediae et langoris, alii obscoenarum cogitationum, alii libidinis daemonem interpretantur.« Zitiert nach: Caillois, Les démons de midi (1937), III , S. 171, Anm. 4. Das Interesse an einer Geschichte der Melancholie hat hier immer wieder einmal zu eindeutig interpretiert. Das gilt wohl auch für das sehr anregende Buch von Kuhn, The Demon of Noontide (1976), z. B. S. 59. Auf die einengende Deutung im Sinne von ›acedia‹ verweist, mit Blick auf die einflussreichen Auslegungen von Augustinus und Hieronymus Arbesmann, The ›Daemonium meridianum‹ and Greek and Latin Patristic Exegesis (1958). Eine gewisse Distanzierung von einer direkten und eindeutigen Identifizierung von ›acedia‹ und ›daemonium meridianum‹ drückt auch Cassians Be-
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christlichen Bereich bleibt die Verbindung der Mittagszeit mit erotischen und sexuellen Phantasien sowie einer Lähmung der Lebensgeister also Topos und wird stereotyp vor den Gefahren des mittäglichen Schlafes gewarnt. Denn der Bedrohung von Körper und Geist zur Mittagszeit muss – wie schon in der Antike gemahnt wurde – durch eine erhöhte Wachsamkeit begegnet werden. Die Konnotation des höchsten Sonnenstandes mit dem Tod aber wird durch die Kreuzigung Christi zur sechsten Stunde ganz neu eng und bedeutungsschwer geknüpft.74 Das christliche Dilemma aber, dass eine dämonische Zeit zusammenfällt mit der höchsten Helle, dem größten Licht, bleibt immer neu zu erklären. Denn eine Entdämonisierung dieser Lichtzeit ist durch die Septuaginta-Übersetzung von Ps 90,6 nicht möglich: »scuto circumdabit te veritas eius / non timebis a timore nocturno / a sagitta volante in die / a negotio perambulante in tenebris / ab incursu et daemonio meridiano.«75 Und durch die exegetische Tradition, die – wie immer die Auslegungen im einzelnen gehen – in der ›nächtlichen Angst‹ und dem ›im Tag fliegenden Pfeil‹ kleinere Gefahren sieht, denen der ›Handel im schreibung von ›acedia‹ aus, die mit dem Hinweis endet: »Schließlich haben einige der Älteren sich dahingehend geäußert, dass dies der ›Mittagsdämon‹ sei, der im 90. Psalm erwähnt ist.« (Denique nonnulli senum hunc esse pronuntiant meridianem daemonem, qui in psalmo nonagesimo nuncupatur). Cassianus, De coenobiorum institutione, lib. X, cap. 1, PL 49, Sp. 364 f. Ganz zu schweigen von den späteren theologischen und exegetischen Schriften, wo diese Verbindung sehr in den Hintergrund tritt. Vgl. dazu auch Grau, Das Mittagsgespenst (daemonium meridianum) (1966), S. 24 f. 74 Mit dem Hinweis auf diese Verbindung wird denn z. T. das mittägliche Beten angemahnt: »Sexta autem hora Christus in aram crucis ascendit, aeterno Patri seipsum offerens, ut nos a potestate inimici et a perpetua morte liberaret; atque ideo convenit ut ea nos hora orantes et deprecantes in laudibus ejus inveniat, qua ipse nos per suam passionem ad vitam aeternam restauravit.« Hrabanus Maurus, De clericorum institutione libri tres, II , cap. 5, PL 107, Sp. 327B. Darin schließt sich das Todesthema des Mittags mit dem des Lichts zusammen, wird der Tod zum Licht für die Welt. Die Gefahr des Mittags ist da in der Erlösung gebannt und im Gebet überwunden. Die andere Bibelstelle, auf die sich das Mittagsgebet bezieht, ist Apg 10,9, das Mittagsgebet des Petrus. Auffallend ist, dass auch hier die Mittagszeit mit einer himmlischen Erscheinung einhergeht, der mit größtem Misstrauen begegnet wird (Apg 10,10–20). Interessant ist die Verinnerlichung der Passion bei Alanus, der die Hitze des Mittags und die Zeit der Kreuzigung zusammenschließt: »Meridies […] Dicitur tempus passionis Christi, […]. Eleganter per meridiem passionis status figuratur; quia, sicut in meridie magis sol fervescit, sic tempore passionis in fideli charitas amplius incandescit.« Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, PL 210, Sp. 858. 75 Es wird der Text der Septuaginta, resp. des Psalterium Gallicanum zitiert. Denn nur hier hat sich der Mittagsdämon eingeschlichen.
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Dunkel‹ und der ›Angriff‹ sowie der ›Mittagsdämon‹ als größere Bedrohungen gegenüberstehen, wird das Problem nur noch verschärft. »Hier nannte er Arten der Versuchung; zwei leichte, eine verborgene, durch die nächtliche Angst; eine offenbare, durch den im Tag fliegenden Pfeil. Demgegenüber zwei schwere: eine verborgene, durch den im Dunkel wandelnden Handel, eine offenbare, durch den Überfall des Mittagsdämons«.76 Der Mittagsdämon wird zur größten Versuchung des Menschen. Indem ›Mittag‹ aber metonymisch als ›offenbar‹, dann auch ›hitzig‹ und ›heiß‹ verstanden wird, wird dem Mittagsdämon seine an eine feste Zeit gebundene physische Präsenz genommen und löst sich das antike Dämonische im Licht auf. »Unter ›mittäglich‹ werden zwei Sachen verstanden, sowohl die Hitze der Anfechtung wie auch jene, denen die Anfechtung gilt, da sie selber in gewisser Weise zu fiebern scheinen.«77 Die hellste Tageszeit wird in der Allegorisierung scheinbar ihrer Magie beraubt. Und doch ist es gerade diese Allegorisierung, durch die die Mittagsstunde in ihrer magischen Potenz weitergetragen
76 »Hic notavit quatuor genera tentationum: duas leves, unam occultam, per timorem nocturnum; aliam manifestam, per sagittam volantem in die. Iterum duas graves: unam occultam, per negotium ambulans in tenebris, aliam manifestam, per incursum daemonii meridiani.« Anselm von Laon (Ps.-Haymon von Halberstat), Explanatio in Psalmos, Ps 90,6, PL 116, Sp. 510. Vgl. auch Bruno von Würzburg, der erklärt: »Daemonium meridianum: periculum maximum est, fervore persecutionis accensum, ubi ruina plerumque metuitur, quando infirmitas humana superatur.« Expositio psalmorum, PL 142, Sp. 339A. Für die vielen anderen Beispiele soll hier noch die fälschlich Beda zugeschriebene Exegese zitiert werden: »Levis autem tentatio quae non tantum urget, et cito declinatur, sed aggravetur tribulatio, et duobus praemissis reddantur duo quae sequuntur. Ut ad timorem nocturnum reddatur negotium perambluans in tenebris, et ad sagittam volantem in die incursus et daemonium meridianum. Ecce aggravata est tentatio tam ignorantibus quam inscientibus, quia illa gravis tentatio, quae tam acriter urget ignorantes, dicitur bene negotium, id est, negans otium, quia omnem quietem aufert, et est perambulans, id est, permanens in tenebris, id est, in tenebrosis, scilicet, in ignorantibus. Gravis autem tribulatio, quae ingruit scientibus, dicitur incursus, quia acriter urget, et daemonium meridianum: daemonium ideo, quia fit per suggestoris diaboli instigationem; et meridianum, quia in meridie magis fervet sol, et splendet. Et intelligitur per fervorem, qui est in meridie ferventissimus, persecutio, per splendorem vero, quia fit inscientibus.« Manegold von Lautenbach (Ps.-Beda), Exegesis de psalmorum libro, Ps 90, PL 93, Sp. 973A. 77 »per meridianum duo notatur, et fervor tribulationis, et illi quibus fit ipsa tribulatio, quoniam et ipsi quodammodo fervere videbantur ideo quia sciebant reddere rationem Christianismi.« Ps.-Remigius von Auxerre, Enarrationes in Psalmos, Ps 90,6, PL 131, Sp. 627D.
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wird. Die scheinbare Entschärfung des realen Mittags in der geistigen und geistlichen Überblendung hat zur Folge, dass diese Überblendung sich in den realen Mittag einschreibt. Der Mittag bleibt suspekt.78 Die Mittagsversuchung, das ›daemonium meridianum‹, unterscheidet sich von der nächtlichen Gefahr durch die Klarheit, in der sie sich ereignet. Eine Klarheit, die nicht nur scheinbar Hellsichtigkeit garantiert, sondern auch Sicherheit suggeriert, in der die Täuschung ein ideales Spielfeld findet. Deshalb gilt es, zur Mittagszeit besonders wachsam zu sein. Schon für die Anachoreten ist diese mittägliche Vorsicht überliefert, ein grundsätzliches Misstrauen in dieser Stunde, in der sich der Versucher in eine Lichtgestalt verwandelt, um im Kleid eines Engels oder eines Frommen den unvorsichtigen Menschen zu verführen. Dabei vermischt sich wieder – in der deutenden Erklärung – die reale Präsenz des Mittags mit der übertragenen Mittäglichkeit der menschlichen Existenz, die an ihrem Zenit angekommen ist.79 Doch gibt es auch den Mittag des Hohelieds, in dem die Exegese den guten Widerpart zu der quälenden Zeit des Psalms fand: »Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo du weidest, wo du ruhst am Mittag, damit ich nicht herumlaufen muss bei den Herden deiner Gesellen«.80 Immer wieder wird diese Tageszeit im Kontrast dieser zwei Schriftstellen zu fassen gesucht, knüpft sich ihre doppelte Allegorisierung ad bonam und ad malam partem hier an. So heißt es bei Hrabanus Maurus: »›Meridies‹ heißt es, sozusagen Mit-Tag, das ist mittlerer Tag: weil es nämlich die reinste Tageszeit ist. ›Merum‹ heißt nämlich rein. Es bedeutet auch die offenbare Lehre mit der Klarheit guter Werke, wie es so im Hohelied ist, wo die Braut zum Bräutigam sagt: ›Sage mir an, du, den meine Seele liebt, wo du weidest, wo du ruhst am Mittag, damit ich nicht herumlaufen muss bei den Herden deiner Gesellen.‹ (Hld 1,7). Und andernorts wird der Mittag ins Gegenteil gesetzt, wie im Psalm: ›von Zerstörung und Mittagsdämon‹ (Ps 90). Der Mittagsdämon ist die in entsetzlicher Hitze entbrannte Gefahr der Verfolgung, wo-
78 Zum Fortleben des Volksglaubens im Mittelalter siehe Grau, Das Mittagsgespenst (daemonium meridianum) (1966), S. 34 ff., S. 71 ff. 79 Auf diesem Hintergrund gelesen erhält die Einsiedlerszene im »Iwein« (Iw.3283–344) eine witzige Note: Iwein wird zum Mittagsdämon. Schon Wehrli schreibt dem Waldtoren in dieser Szene »recht burleske Züge« zu: Iweins Erwachen (1973), S. 502. Und auch wenn Melot am Mittag versuchend an Tristan herantritt, mag die Magie dieses Zeitpunkts mitgemeint sein (Tr.14527). 80 »indica mihi quem diligit anima mea ubi pascas ubi cubes in meridie ne vagari incipiam per greges sodalium tuorum« (Cant 1,6).
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bei die Zerstörung meistens gefürchtet wird, wenn die menschliche Schwäche überwunden wird.«81 Die Allegorisierung des Mittagsdämons, die nicht zuletzt einhergeht mit einer gewissen Psychologisierung, die in Ansätzen schon bei den Wüstenvätern zu finden ist, erreicht einen Höhepunkt im hohen Mittelalter. Dabei geht es immer um die Problematik des lichten Dämons, der Gefahr, die im hellen Tag lauert, da, wo sonst das Heil gesucht wird.82 Meistens werden die zwei scheinbar sich widersprechenden Bibelstellen zum Mittag, Hld 1,6 und Ps 90,5–6 zusammengeschlossen, um den Mittag ad bonam partem dem dämonischen Mittag entgegenzustellen.83 Ein faszinierendes Beispiel einer solch gegenseitig sich erhellenden Zusammenlesung der zwei Stellen bietet die 33. Predigt von Bernhard von Clairvaux,84 wie sich auch sonst in seinem Werk immer wieder die Auseinandersetzung mit dem Mittag in seiner Lichtgefahr findet.85 So erklärt er nicht nur den Mittagsdämon des Psalms – losgelöst von der Tageszeit – als »Weichlichkeit eines unbeherrschten Lei-
81 »Meridies dicta, quasi medidies, hoc est, medius dies: vel quia tunc purior dies est. Merum enim purum dicitur. Significat autem planam doctrinam cum claritate bonorum actuum, ut est illud in Cantico canticorum, ubi sponsa dicit ad sponsum: Indica mihi ubi pascas, ubi cubes in meridie (Cant.i). Et alibi meridies in contrariam ponitur, ut est illud in psalmo: A ruina et daemonio meridiano (Psal. xc). Daemonium meridianum est immane periculum fervore persecutionis accensum, ubi ruina plerumque metuitur, quando infirmitas humana superatur.« Hrabanus Maurus, De universo libri xxii, lib. 10, cap. 5, PL 111, Sp. 290A-B. Vgl. auch Rupert von Deutz, der die Hoheliedstelle folgendermassen kommentiert: »in hoc tempore plenae gratiae, quando figura jam praeterita, res illuxit, umbra depulsa, sol veritatis ascendit.« In Cantica Canticorum comment., PL 168, Sp. 851C. 82 Vgl. z. B. Richard von St. Victor: »Quis autem illud nesciat quod in hora meridiana esse soleat et claritas major et calor ferventior? Quasi ergo cum summa luce et fervore daemones ad nos veniunt, quando fraudis suae nequitiam dissimulantes sub sanctitatis specie ad perversitatem nos pertrahere student et satagunt. Lux ad discretionem, et calor pertinet ad devotionem. […] In hunc itaque modum angelus Satanae transfigurat se in angelum lucis, et sub virtutis specie formaque sanctitatis ministrat consilia erroris, peragitque negotium iniquitatis«, Adnotationes mysticae in psalmos, PL 196, Sp. 395A,B. 83 Vgl. auch 2.Kor 11,14, eine Stelle, die immer wieder zur Erläuterung von Ps 90,6 herangezogen wurde. Z. B.: Breviarium in psalmos, PL 26,1164 f. Siehe auch Arbesmann, The ›Daemonium meridianum‹ and Greek and Latin Patristic Exegesis (1958), S. 25 f. 84 Bernhard von Clairvaux, Sermo XXXIII (1994). 85 Zur dahinter stehenden Tradition, die auf Hieronymus zurückgeht, siehe Arbesmann, The ›Daemonium meridianum‹ and Greek and Latin Patristic Exegesis (1958), S. 25 f.
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bes«,86 sondern sieht im Mittagsdämon den sich in eine Lichtgestalt verwandelnden Satan,87 schließlich den Antichrist selbst, der im Mittag der Heilsgeschichte auftritt.88 Durch die christliche Lichtsymbolik wird der Mittag, als die Zeit, in der die Sonne im Zenit steht, zum Höhepunkt des Heils, zu seiner Erfüllung. Nicht nur ist er als Zeit der Kreuzigung Klimax der Passionsgeschichte, sondern als Zeit der Himmelfahrt Christi ist er auch Zeit des ewigen Triumphes. So deutet sich der Morgen der Auferstehung als Anfang des wahren Tages, dessen Mittag dann die ewige Gottesschau ist und heißt es in Auslegung von Hld 1,6: »Dein Angesicht, o Herr, will ich suchen. Dein Angesicht ist der Mittag.«89 Dabei wird genau das, was den Mittag in der antiken – und zum Teil noch frühchristlichen – Vorstellung dämonisierte, zur Auszeichnung dieser höchsten Lichtzeit: »O wahrer Mittag, Fülle der Hitze und des Lichtes, o Stillstand der Sonne! Vertrieben sind die Schatten, ausgetrocknet die Sümpfe, beseitigt alles Hässliche! O immerwährende Sonnenglut, wenn der Tag sich nicht mehr neigen wird! O Mittagslicht, Milde des Frühlings, Lieblichkeit des Sommers, Fruchtbarkeit des Herbstes und – damit man nicht sagt, ich hätte etwas übergangen – Ruhe und Muße des Winters! Oder, wenn du eher das hören willst: Nur der Winter ist dann geschwunden und vorbei.«90 Der Mittag wird Bild für die Ewigkeit, die Zeitlosigkeit und Fülle. In diese mittägliche Heilsvision dringt nun der Mittagsdämon ein. Bernhard übersetzt in die heilsgeschichtliche Zeitenallegorie, um hier ein Verständnis zu finden. Weil noch nicht der wahre Mittag angebro-
86 »Indomitae carnis lascivia, rapiens meritum integritatis, et ›daemonium‹ dicitur ›meridianum‹.« Bernhard von Clairvaux, Sententiae II (1993), Sent.163, S. 360, 21 f. Vgl. auch: Sent. I,42, S. 292, 19 f.: »Quarta dormitio, incursus et daemonium meridianum, id est intemperantia.« 87 Bernhard von Clairvaux, Parabola VI . De Aethiopissa quam filius regis duxit uxorem (1993), S. 856, 15 f. 88 Ebd., S. 858, 14 f.; Bernhard von Clairvaux, Sermo XXXIII (1994), VII ,16, S. 538, 5 f.: »Ipse enim est Antichristus, qui se non solum diem, sed et meridiem mentietur.« 89 »Vultum tuum, Domine, requiram. Vultus tuus meridies est.« Bernhard von Clairvaux, Sermo XXXIII (1994), IV,7, S. 524, 20. 90 »O vere meridies, plenitudo fervoris et lucis, solis statio, umbrarum exterminatio, desiccatio paludum, faetorum depulsio! O perenne solstitium, quando iam non inclinabitur dies! O lumen meridianum, o vernalis temperies, o aestiva venustas, o autumnalis ubertas, et, ne quid videar praeteriisse, o quies et feriatio hiemalis! Aut certe, si hoc magis probas, sola tunc hiems abiit et recessit.« Bernhard von Clairvaux, Sermo XXXIII (1994), IV,6, S. 522, 21–26.
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chen sei, könne es Geister geben, die sich in falsches Licht kleiden, die als Verführer auftreten und in ihrer hellen Erscheinung gerade den scheinbar Unanfechtbaren gefährlich werden.91 »Die letzte Versuchung ist der Mittagsdämon. Er pflegt vor allem den Vollkommenen aufzulauern, das heißt denen, die als Männer der Tugenden alles überwunden haben, Genüsse, Beifall, Ehren.«92 Eine erhöhte Wachsamkeit in dieser hellsten Zeit – im eigentlichen und übertragenen Sinn – ist also nötig. Eine Wachsamkeit, die sich ausrichtet auf den »wahren Mittag« (verus Meridies)93, in dessen Licht die Täuschung erkannt werden könne. Eine Wachsamkeit, wie sie sich im Misstrauen ausdrückt, das nicht nur Josua auszeichnete, der dem Engel mit Vorsicht begegnete (Jos 5,13), sondern auch Maria, die dem Engel der Verkündigung mit Verwirrung antwortete (Luk 1,29).94 Mittag, die Stunde des höchsten Sonnenstandes, der Wendepunkt, in dem die Bewegung scheinbar einen Moment zum Stillstand kommt, die Zeit einer physischen Erschöpfung, der Hitze und Schattenlosigkeit, spielt in der höfischen Erzählung eine scheinbar kleine Rolle. Umso auffallender sind die Szenen, in denen ein bestimmtes Geschehen explizit mit dieser Tageszeit verbunden wird und sich in diesem einen Punkt des höchsten Tages kristallisiert. Dabei hat die reiche Welt des antiken Mittags ihre Bedeutung weitgehend verloren – und die christlichen Deutungen sind in ihrer Ambivalenz durchaus problematisch. So muss in bezug auf den höfischen Roman von einem Amalgam von volkstümlichen und abergläubischen Traditionen, weitergezogenen antiken Vorstellungen und gewissen christlichen Deutungen ausgegangen werden. Alle diese Traditionen und Vorstellungen treffen sich aber in der Idee eines Ruhemoments in der Mitte des Tages, einer mittäglichen Stille. So wird, wenn der Mittag im höfischen Roman erwähnt wird und es sich nicht um einen Kampf- oder Gerichtstermin handelt95, explizit auf eine mittägliche Ruhe, einen Mittagsschlaf hin91 Bernhard von Clairvaux, Sermo XXXIII (1994), V,8 ff., S. 526 ff. 92 »Postrema tentatio est daemonium meridianum, quod solet maxime insidiari perfectis, qui videlicet, tamquam viri virtutum, omnia superaverint, voluptates, favores, honores.« Bernhard von Clairvaux, Sermo XXXIII (1994), VI ,13, S. 532, 20–22. 93 Ebd., S. 534, 12. 94 Ebd., S. 532, 27–29.; Bernhard von Clairvaux, Sermo sextus (1996), 6, S. 552, 8–18. 95 Auf die Bedeutung des Mittags als Stunde des Kampfes oder eines Gerichtsurteils kann hier nicht eingegangen werden. (Vgl. u.a.: Parz.95,30; 68,29). Bedeutsam
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gewiesen. Die Handlung zieht sich zurück aus dem Tagesgeschehen, einerseits ins Intime, das gezeichnet ist von der dieser Stunde immanenten Erotik, anderseits ins Visionäre des schweren und gefährlichen Mittagschlafs. Ein Rückzug, der immer auch Ausgrenzung aus der Öffentlichkeit und ein Verstummen ist; und dieses Hinausfallen aus dem Tagesablauf, dieser Moment des Stillstands, bevor der Morgen in den Abend übergeht, geht immer einher mit einem Sprachverlust, einer Sprachdefizienz, einem Schweigen.
2.1 Mittagsruhe Erotische Eskapaden Die mittägliche Ruhe ist im höfischen Roman immer explizit mit Erotik und Sexualität konnotiert – selbst da, wo einer allein liegt. Auch wenn ein kampfesmüder Ritter sich der verdienten Ruhe hingibt, wird er vom Erzähler nicht allein gelassen. Entweder liegt seine Frau bei ihm, wie bei Willehalm (Wlh.99,15 ff.),96 oder es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er in seinem verdienten Schlaf – wenn auch leider nicht realiter, so doch im Traum – einen Liebeskampf besteht, wie Gawein: Gâwân nâch arbeite pflac slâfens den mitten tac. im wâren sîne wunden mit kunst alsô gebunden, ob friundîn wær bî im gelegen, het er minne gepflegen, daz wære im senfte unde guot. […]
ist, dass Erec Guivreiz am Mittag trifft und da seine Nachtreise beendet: Er.4406; im Zusammenhang mit gewissen abergläubischen Vorstellungen lässt sich erklären, warum Erec und Guivreiz am Mittag zum Kreuzweg kommen, dessen breiterer Weg sie schließlich nach Brandigan führt (Er.7810). Und Iweins Fristversäumnis sühnt er schließlich durch einen Kampf für Lunete am Mittag (Iw.4742; 4753; 4797; 5091; 5150). 96 Es ist in dieser Szene nicht ausdrücklich vom Mittag die Rede. Es muss sich aber in dieser Zeit abspielen, wenn Willehalm dann in der Nacht wieder wegreitet (Wlh.103,22). Da die Zeitverhältnisse hier aber sehr undeutlich sind, soll diese Szene nicht in erster Linie in das Assoziationsfeld des Mittags gestellt werden.
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er erwachte gein der vesper zît. doch het er in slâfe strît gestriten mit der minne abe mit der herzoginne. (Parz.628,1–14) (Gawan machte nach der Anstrengung einen Mittagsschlaf. Seine Wunden waren kunstvoll so verbunden, dass es ihm angenehm und bekömmlich gewesen wäre, wenn eine Freundin bei ihm gelegen wäre und er sie geliebt hätte. […] er erwachte zur Vesperzeit. Doch hatte er während des Schlafens wieder einen Liebeskampf gekämpft mit der Herzogin.)
Das Königspaar im »Iwein« Selbst die königliche Ruhe mitten im Tag ist bei Hartmann, dezent aber deutlich, mehr als erotische Eskapade aus der Öffentlichkeit denn als Ausdruck von Müdigkeit gekennzeichnet (Iw.77–85). Doch während der mittägliche Schlaf des erschöpften Ritters bei Wolfram keiner weiteren Legitimation bedarf, im Gegenteil mit einer stillen Freude des Erzählers durch den Liebeskampf noch gekrönt wird, bietet der königliche Rückzug aus der Mitte des Festes ganz offensichtlich Schwierigkeiten.97 Schwierigkeiten, die der höchst dezente Erzähler Hartmann nicht explizit macht – im Gegensatz zu Chrétien98 –, auf die er aber durch die Art der Darstellung hinweist. So ist der Zusammenschluss des im Kreis der Freunde schlafenden Keie, der nichts als gemache ân êre will (Iw.76), mit dem ruhenden Königspaar, das im nächsten Vers genannt wird, auffallend und irritierend. Ein Zusammenschluss, der sich nicht nur durch den auffallend vierfachen Reim knüpft, nicht nur durch die parallele Nennung der Schläfer festigt, sondern durch das rückverweisende ouch (Iw.78), das die Ruhe des Königspaares mit dem Schlafen des Keie verbindet, explizit wird: Keiî leite sich slâfen ûf den sal under in: ze gemache ân êre stuont sîn sin. Der künec und diu künegin die heten sich ouch under in
97 Eine genaue Zeitangabe dieses königlichen Schlafes fehlt. Die Tatsache aber, dass sie sich aus der Mitte des Festes zurückziehen, während alle andern sich noch vergnügen, u. a. durch das vom Tageslicht abhängige Bogenschiessen, weist auf den Mittag hin. Einen gleichen Schluss legen die Reaktion des Hofes bei Chrétien, die Erzählerkommentare bei Hartmann nahe. 98 Chrétien verweist auf das öffentliche Erstaunen über die Haltung des Königs, der sich zur Unzeit zurückzieht, um mit seiner Frau sich zu vergnügen (Chr.42–52).
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ze handen gevangen und wâren ensament gegangen in eine kemenâten dâ und heten sich slâfen sâ mê durch geselleschaft geleit dan durch deheine trâkheit. si entsliefen beidiu schiere. (Iw.74–85) (Keie legte sich mitten in den Saal zwischen sie schlafen: nach anstandsloser Bequemlichkeit war ihm zumute. Der König und die Königin hatten sich auch an den Händen gefasst, waren zusammen in eine Kemenate gegangen und hatten sich da schlafen gelegt, mehr der Geselligkeit halber als aus Müdigkeit. Sie schliefen beide schnell ein.)
Und wenn schließlich der zuhtlôse Keiî (Iw.90) mit der Königin erwacht, bestätigt sich in dieser Gleichzeitigkeit die enge Verknüpfung dieses Schlafens.99 Hartmann hat hier die Figur des schlafenden Keie eingefügt und neben das Königspaar gelegt, um so die explizite Kritik Chrétiens am Verhalten des Königs durch eine Verurteilung von Keies Verhalten zu dämpfen. Die Zurückhaltung Hartmanns, die eindeutige Situation zu nennen, verbunden mit dem Bedürfnis, den schweren, der Szene immanenten Vorwurf der trâkheit vom König abzuwenden,100 führt dann zu der absurden Kombination des Hinweises auf die geselleschaft als Grund ihres Rückzugs mit dem schnellen Schluss dieser Kemenatengeschichte: si entsliefen beidiu schiere.101 Es ist dieser Schlaf des Königspaares, der die Erzählung Kalogrenants provoziert. Während Artus schläft – eine Art Stillstand der Geschichte, aber auch Gefährdung der arturischen Ordnung – kann die Erzählung einer misslungenen âventiure passieren, in der die êre des Hofes in Frage gestellt wird. Dass aber auch der Spötter Keie schläft, als die Geschichte ihren Anfang nimmt, verknüpft nicht nur sein gemach ân êre mit dem königlichen Schlaf, sondern auch seinen Spott mit der arturischen Ordnung. Ein Spott, der im Rahmen des höfischen Kodex entlarvt, au-
99 Es wird nur von der Königin gesagt, dass sie erwachte (Iw.97), doch ist Keie wach, als sie von Kalogrenant begrüsst wird (Iw.108). Chrétien lässt Keu nicht schlafen, kennt also diese Parallelisierung nicht. 100 Zum Begriff der trâkheit als theologischer terminus für ›acedia‹ siehe Ranawake, Erec’s »verligen« and the Sin of Sloth (1988), S. 108. 101 Bei Chrétien wird auf das den König zurückhaltende Liebesspiel hingewiesen, wonach allein der König schließlich einschläft. Brandt deutet, mir unverständlich, diese Szene des königlichen Rückzugs als »positiv bewertete Nichtöffentlichkeit«: Enklaven – Exklaven (1993), S. 273 f.
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ßerhalb dieser Ordnung aber keine Aufgabe hat. Folgerichtig muss Keie im Moment, wo Kalogrenant durch die Begrüssung der Königin den Ehrenkodex des Hofes erfüllt, in spöttischer Rede entlarven (Iw.108 ff.): was er Kalogrenant da vorwirft (Iw.113–127) ist im Augenblick unverhältnismäßig, zeigt sich im Spiegel der nachher erzählten Geschichte aber als durchaus berechtigt. Denn hinter Kalogrenants scheinbar vollkommenen Höfischheit versteckt sich diese misslungene âventiure, in der nicht nur seine, sondern auch die Ehre des Artushofes bedroht wurde und wird. Der bittere Spott Keies, der in dem Augenblick einsetzt, als mit dem Eintritt der Königin die Szene wieder in eine öffentliche Ordnung eingebunden ist, ist somit nichts anderes als Instrument dieser Ordnung, ein Seziermesser für den glatten Körper höfischen Scheins.102 Es ist denn auch nur das vereinte Bitten von Keie und der Königin, das Kalogrenant schließlich zum Erzählen bringt. Mit dem Hinweis auf Keies heimlichen Wunsch, die Geschichte zu verhindern, bittet die Königin um die Erzählung: ez ist mîn bete und mîn gebot / daz ir saget iuwer mære; / wandez sîn vreude wære, / heter uns die rede erwant (es ist meine Bitte und mein Befehl, dass ihr uns eure Geschichte erzählt; denn es wäre seine Freude, wenn er uns um die Erzählung brächte, Iw.238–41). So provoziert schließlich der Spott Keies die Veröffentlichung dessen, was nicht für die offiziellen Ohren bestimmt war. Es ist der Spott, der das Heimliche, das Verschwiegene hervorzieht – und so zu einem Teil des Hofes macht.103 Erec und Enite auf Karnant Haftet dem königlichen Mittagsschlaf am Anfang des »Iwein« etwas Irritierendes an und wird in seiner Leere die höfische Ordnung für einen Moment in Frage gestellt – im Rahmen der Erzählung Kalogrenants –, wird der regelmäßige mittägliche Liebesschlaf von Erec und
102 Es kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingehender auf die Rolle von Keies Spott als Ausdruck höfischer Repräsentationsordnung, anderseits Ausdruck einer Problematisierung des scheinbar klaren Bezuges von äußerem Schein und innerem Sein eingegangen werden. Zu fragen wäre auch nach dem Verhältnis des öffentlichen Spottes und Artus, der in dieser Szene ja schläft. 103 Vgl. auch Iw.1062 ff. Es ist der Spott Keies, der Iwein zu der Ermordung Askalons treibt und so schließlich die Einverleibung der Brunnenwelt in die Welt des Artus zur Folge hat. Interessant ist, dass die die Ehre bedrohende Geschichte Kalogrenants dem König erst in doppelter Brechung, durch Nacherzählung der Erzählung, zu Ohren kommt.
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Enite zur deutlichen Störung des Hofes, zur Bedrohung seines Glanzes und seiner vreude. Im Gegensatz zu Chrétien ist es nun aber bei Hartmann auch Mittag, als Enite ihren verhängnisvollen Seufzer tut.104 Während Chrétiens Schilderung des Geschehens die Sinnlichkeit betont, steigert Hartmann die Beschreibung zu einer Szene, in der sich in der größten Helligkeit des Mittags Sehen und Denken, Offenbares und Heimliches, Reden und Schweigen überkreuzen und lösen. Indem er die Szene in den Mittag verlegt, kann er die Kemenate durch den Sonnenstrahl gänzlich ausleuchten, so dass die scheinbar intime Heimlichkeit vollkommen ins Licht tritt: nû kam ez alsô nâch ir site daz er umbe einen mitten tac an ir arme gelac. nû gezam des wol der sunnen schîn daz er ir dienest muoste sîn: wan er den gelieben zwein durch ein vensterglas schein und hete die kemenâten liehtes wol berâten, daz si sich mohten undersehen. (Er.3013–22) (Nun kam es, dass er, ganz nach ihren Gepflogenheiten, eines Mittags in ihren Armen lag. Das gefiel dem Sonnenschein so gut, dass er ihnen zu Diensten sein musste, denn er schien für die zwei Liebenden durch ein Fensterglas und stattete die Kemenate reichlich mit Licht aus, so dass sie sich sehen konnten.)
Hier geht es nicht um die vergnügliche Sinnlichkeit des Liebesgeschehens wie bei Chrétien, sondern um die Helligkeit. Der Mittag, als Zeit der höchsten Klarheit, als Zeit, die jeden Schatten ausleuchtet – so auch die Kemenate der Liebenden –, stellt nicht nur ihre Körper ins richtige Licht (Er.3022;3028), sondern beleuchtet auch deren sprachlichen Schatten sozusagen, das Gerede am Hof: Enite muss da an die Verwünschungen durch den Hof denken (daz ir von vluochen was geschehen, / dâ begunde si denken an, Er.3023 f.). Es ist dieses Licht, das Enite die Augen öffnet, das ihre Gedanken umfasst, das sie Abstand nehmen lässt von Erec, den sie schlafend wähnt – das ihr den Seufzer entlockt. Die bis ins letzte ausgeleuchtete Situation lässt sie, in Erinnerung an
104 Chrétien legt die Szene in den Morgen (Chr.2474), holt entsprechend auch die Sonne nicht in den Raum. Vgl. zu dieser anderen Gestaltung der Szene auch Ranawake, Erec’s »verligen« and the Sin of Sloth (1988), S. 96 f.
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die üblen Nachreden am Hof, vom schlafenden Erec wegrücken, seufzen und schließlich reden. Sie, die fürchtet, Erec zu verlieren, rückt in diesem Licht selber von ihm weg. Sie, die fürchtet, offen zu reden, spricht in diesem Licht aus, was sie denkt.105 vil gâhes ruhte si hin dan. si wânde daz er sliefe. einen sûft nam si tiefe unde sach in vaste an. si sprach: ›wê dir, dû vil armer man, und mir ellendem wîbe, daz ich mînem lîbe sô manegen vluoch vernemen sol.› (Er.3025–32) (sehr plötzlich rückte sie weg. Sie meinte, dass er schlafe, seufzte tief und sah ihn genau an. Sie sprach: »Weh dir, du armer Mann, und mir heimatfernen Frau, dass ich so viele Verfluchungen meines Daseins zu hören habe.«)
Und es ist dieses helle Licht, das die vermeintliche Heimlichkeit auflöst, den Schlaf vertreibt und die stille Klage laut macht. Erec schläft nicht, sondern hört ihre Worte und will mehr wissen (Er.3033–37), will wissen, was sie verbarg (Er.3037) und verschwieg (Er.3044). Die Rede abzustreiten aber, was Enite noch versucht, ist nicht mehr möglich. Und ein Nichtreden würde von Erec als Verschweigen wahrgenommen, ein Verschweigen, das er in irgendeiner Art zu deuten hätte – und dem will Enite mit der Wahrheit vorbeugen. Denn si vorhte daz si würde gezigen / von im ander dinge (sie fürchtete, dass er sie anderer Dinge bezichtigen würde, Er.3045 f.).106 Während nun aber bei Chrétien Enide eine ausführliche Tadel-Rede hält und Erec die massiven Vorwürfe seiner Umgebung vorhält (Chr.2540–75), ist es bei Hartmann eine verstummte Enite, die im Text nicht mehr zu Wort kommt und deren Rede sich in ein ›es‹ zusammenzieht: und seite imz (und sagte es ihm, Er.3047). Ein ›es‹, in dessen Lautlosigkeit sich nicht nur die Furcht Enites über die Folgen dieser Reden
105 Wenn Ruberg sagt: »Durch die unfreiwillige Information bricht nicht Enite das Schweigen, es ›bricht sich selbst‹«, wird Enite in eine Passivität gedrängt, der die Dynamik der Szene widerspricht. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 189. Und ich glaube, dass man Enites Wegrücken gerade nicht auf einen »emotionalen Reflex« reduzieren darf, wie das Voss tut. Die Artusepik Hartmanns von Aue (1983), S. 90. 106 Damit wird hier genau das Problem des Schweigens angesprochen, das nur als beredtes verstanden werden kann in einer kommunikativen Situation.
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ausdrückt, sondern auch die Scham über die erzwungene Selbstbezichtigung versteckt.107 Die Tatsache, dass es Gewohnheit des Paares war, am Mittag noch im Bett zu liegen, mag sich assoziativ an die mittäglich sündhafte Trägheit des Körpers anschließen.108 Die eigentliche Mittagsszene hier hat aber mit dem ‹acedia›-Gedanken nichts mehr zu tun. Denn durch die expressive Lichtsymbolik Hartmanns sowie die pointierende Zusammenfassung des Geschehens auf Anschauen – Nachdenken – Wegrücken – Seufzen – Anschauen – Reden um den scheinbar Schlafenden herum, macht diese Szene zu einem Moment der Klärung und der Erkenntnis. Oder besser: des Umsetzens einer Erkenntnis. Es ist der Weg Enites in die Rede. Ein Weg, der, im Blick auf fremde Rede, aus der Verlustangst über die optische, dann körperliche Distanzierung, über das unartikulierte Seufzen zur deutlichen Klage führt. Eine Klage, die eigentlich in den leeren Raum hineingesprochen ist, in diesem bis ins letzte erhellten Raum aber keinen verborgenen Platz hat, sondern gehört wird. Wenn sich hier das verligen Erecs mit Enite im Mittag zuspitzt, wenn auch hier die Mittagsstunde zu einer mit Erotik und Sexualität aufgeladenen Zeit wird, ist durch die Betonung der Helligkeit, in der schließlich das verborgene Gerücht an den Tag kommt, der Mittag doch auch Zeit einer erhöhten Wahrnehmungsfähigkeit. Die Mittagsruhe wird da in fast paradoxer Art zu der Zeit, in der das Schweigen ins Wort findet. Ein Schweigen, das im Prinzip seit Anfang des Romans herrschte: das mittägliche Seufzen und Klagen sind Enites erste Worte in der Erzählung.109 Die Angst Enites vor dieser Rede, wie sie sich im Text spiegelt, der ihre Worte letztlich verschweigt, ist direkter Ausdruck ihrer Angst vor der Trennung. Denn dass sie zuerst körperlich von Erec wegrückt, bevor sie überhaupt reden kann, weist die Rede als Zeichen und Mittel der Trennung aus.110 107 Während bei Chrétien die Vorwürfe in erster Linie Erec betreffen, Enide aber von sich selber beschuldigt wird, hat Hartmann die Verfluchung Enites durch den Hof betont. Im Kontext nimmt man dann auch an, dass Enites offenbarende Rede in erster Linie die Schmähung ihrer selbst, als Grund von Erecs ›verligen‹, betrifft. Wenn Clark davon spricht, dass Enite hier »so startlingly vocal« sei, ist das wohl doch etwas übertrieben: Hartmann von Aue (1989), S. 64. 108 Dazu Ranawake, Erec›s »verligen« and the Sin of Sloth (1988), S. 160 ff. Sie liest die Mittagsszene aber als Hinweis auf die ‹acedia› Erecs, was ich nicht so eindeutig sehen möchte (S. 101 f.). 109 Ihr Klagen, als sie Erec von Iders besiegt glaubt, ausgenommen (Er.850–52). Es wird aber betont, wie schweigsam Enite Erec gegenüber war (Er.1322). 110 Ruberg weist auch auf dieses auffallende Fehlen der chrétienschen direkten Rede hin und setzt sich zu Recht ab von Herta Zutts Meinung, dass sich hier eine
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Tristan und Isolde im Baumgarten Handelt es sich sowohl bei Artus und der Königin wie bei Erec und Enite um eine legitime Liebe, die sich im Mittag vollzieht, so dass das Skandalon weniger in der Sexualität liegt als vielmehr in der Stunde, die eigentlich der Öffentlichkeit gehört, ist es bei Gottfried die verbotene Liebe, die in der zweiten Baumgartenszene im Mittag spielt.111 Es ist Brangäne, die in ihrer allegorisierend verhüllenden Rede, mit der sie sich vor dem Tod rettet, zuerst die Liebe von Tristan und Isolde mit der Sonnenhitze assoziiert (Tr.12809–843): Die Hitze zerstörte das Kleid Isoldes – ihren Körper – auf der Überfahrt von Irland, so dass Brangäne ihr für die Hochzeitsnacht das eigene leihen musste.112 So wird in dieser Baumgartenszene der Mittag als adäquater Rahmen dieser Liebe inszeniert – ist es aber auch gerade die Mittagssonne, die den Liebenden zum Verhängnis wird und sie schließlich verrät. Ez was an einem mitten tage, und schein diu sunne sêre: leider ûf ir êre. zweier hande sunnen schîn der gleste der künigîn in ir herze und in ir sinne,
Missachtung der direkten Rede durch Hartmann ausdrücke. Ich glaube aber auch nicht, dass eine rein poetologische Erklärung, dass »Hartmann neuerliche wörtliche Rede als zerdehnende Doppelung erschienen sein« könnte, dieser äußerst bedacht konstruierten Schlüsselszene gerecht werden kann. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 189, Anm. 34. Interpretationen, die im Schweigegebot Erecs eine kompensatorische Strafe für ein »unkontrolliertes« Reden Enites sehen, setzen eine Rechtmäßigkeit dieses Schweigegebots voraus, die im Text alles andere als klar ist. Vgl. u. a. Roloff, mit Bezug auf Wapnewski: Reden und Schweigen (1973), S. 130. Ebenso kritisch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 198 f. 111 Wenn Wharton in dieser mittäglichen Liebesszene v. a. einen Verstoß gegen das ›decorum‹ sieht, das bisher von den Liebenden beachtet worden sei, wird auch hier die Liebesszene weniger anstößig wegen ihrer Illegitimität als ihrer Unzeitigkeit. Wharton, ›Daz lebende paradis‹? (1990), S. 152 ff. Auch wenn diese Komponente mitspielen mag, darf die schwierig zu fassende Liebe von Tristan und Isolde wohl doch nicht einfach in die höfische Welt hinein legitimiert werden, indem ihr die Möglichkeit eines »anständigen« Treibens zugeschrieben wird. 112 Wenn Marke in der Minnegrotte das Gesicht Isoldes vor dem Sonnenstrahl schützt, da er vorhte, ez wære ir an ir lîch / schade unde schedelîch (Tr.17615 f.), wird implizit dieser Doppelsinn wieder anzitiert. Zur Kleidmetaphorik für den Körper im Zusammenhang mit Sexualität siehe Schumacher, Sündenschmutz und Herzensreinheit (1996), S. 310 f.
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diu sunne und diu minne, der senede muot, diu heize zît diu muoten sî enwiderstrît. sus wolte sî dem strîte, dem muote unde der zîte mit einem liste entwichen sîn und viel enmitten dar în. (Tr.18130–142) (Es war an einem Mittag, die Sonne schien stark – leider auf ihre Ehre. Zweierlei Sonnenschein glänzten der Königin in ihr Herz und ihre Sinne: die Sonne und die Liebe, das Begehren und die heiße Zeit belästigten sie um die Wette. Da wollte sie diesem Kampf, dem Gefühl und der Zeit mit einer List entkommen – und fiel mitten in sie.)
Es fällt auf, dass die Hitze – der Mittagssonne und der Liebe – nur mit Isolde verknüpft wird. Sie ist diejenige, die unter der Sonne leidet, sie ist diejenige, die in Liebe glüht, sie ist diejenige, die eine Lösung sucht.113 Im Baumgarten lässt sie sich ein Schattenbett herrichten, bestellt dann Tristan dahin und fällt so erst recht in die Sonnenhitze (Tr.18143–65).114 Diese auf Isolde konzentrierte Beschreibung115 und die sorgfältige, bis ins Detail des Bettes geschilderte Inszenierung im Garten, sind nun aber durch den huote-Exkurs vorbereitet und in einer irritierenden Art mit der Versuchungsszene der Bibel assoziiert. Ausgehend von der
113 Der Vergleich mit der Sonnenallegorie in der Minnegrotte ist verführerisch, aber darf nicht in einem parallelisierenden Sinn durchgeführt werden, wie das z. B. Wharton macht. ›Daz lebende paradis‹? (1990), S. 144. Denn wenn dort von zwei Sonnen die Rede ist, handelt es sich um das Gestirn und die strahlende Schönheit Isoldes, die sich im Auge Markes vereinen. Für die schlafende Isolde ist es das Sonnenlicht, das sich mit ihrem Licht vereint und so ihre Schönheit steigert (Tr.17580–590). Erst in der Wirkung auf Marke ist die Sonne mit der Minne verglichen. In seinem Blick ist es die Minne, die Isolde entzündete, über seinen Blick entzündet ihn die Minne durch den Körper Isoldes. (Ich lese ir in V.17597 als Dativobjekt auf Isolde bezogen und nicht als Possessivpronomen). Die Schönheit des Körpers (die eine Sonne), von der (andern) Sonne beschienen, ist so die Minneflamme, die Marke entzündet. 114 Anders als Wharton lese ich zîte (Tr.18140) als Hinweis auf die unerträglich heiße Stunde und nicht im Sinne einer falschen, ungünstigen Zeit. Wharton, ›Daz lebende paradis‹? (1990), S. 153. Gruenter deutet die Mittagsszene auf die Hitze, in der sich die Hitze der Leidenschaft steigert und eine psychologische Entsprechung finde. »Die Kulisse wird in die Stimmungsfarbe des Akteurs getaucht.« Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 387. 115 Es wird auch deutlich gesagt, dass es v. a. Isolde ist, die unter der Trennung leidet (und aber benamen Îsôte, Tr.17855).
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Idee, dass jede Art von huote einer Frau gegenüber sinnlos sei, da es bei der übelen nichts nützt, bei der guoten aber Unrecht ist (Tr.17875–894), wenn es sie nicht sogar zum Übertreten reizt (Tr.17909–928), zielt der ganze huote-Exkurs darauf, zu zeigen, dass das Übertreten eines Verbotes von Eva her in der Natur jeder Frau liegt (Tr.17935 ff.): Jedes Verbot provoziert einen weiblichen Verstoß dagegen (Tr.17965–970). Wenn eine Frau sich dieser Rolle entzieht, geschieht das also allein im Verstoß gegen ihre Natur und ihre art (Tr.17975), indem sie ein keusches Leben führt, dadurch aber ganz eigentlich zum Mann wird (Tr.17978 f.). Bleibt sie aber ihrer art treu, bieten sich verschiedene Verhaltensmuster an, wie sie sich ohne huote aufführen kann: Das biderbe (Tr.18001) und saelic wîp (Tr.18021) versucht im Ausgleich von öffentlichem Anspruch (êre) und eigenem leiblichem Verlangen (lîp) zu leben, sofern sie Gelegenheit dazu hat (Tr.18004). Sie unterstellt ihr Leben ganz der vermittelnden mâze, was als Ausdruck von Selbstliebe gedeutet wird (Tr.18023 f.). Denn als Ausdruck des Selbsthasses wird die Prostitution gesehen, als Akt gegen den eigenen Körper (Tr.18029–54). Die aber, die – im Gegensatz zur männlichen Frau, die wider ir art sich zur Keuschheit entschließt – ihre wîpheit der werlde ze gevalle (Tr.18057) gern hat und einem Mann Körper, Verstand, Gedanken und Liebe schenkt, öffnet diesem das irdische Paradies, in dem keine Dornen, keine Disteln und keine Stacheln sind. Ein irdisches Paradies, das hier aber auch deutlich als im herzen begraben (Tr.18071), als innerer Raum gekennzeichnet ist. Eine verschlossene, stumme Welt, die sich konstituiert durch das Geschenk von lîp, sinne, meine und minne der Frau – nicht êre. Die wird erst in der Ausstattung des Paradieses, als Frucht dieses Gartens gefunden, im Sichtbaren, daz daz ouge gerne siht (Tr.18086), neben triuwe, minne und werltlîchem prîs (Tr.18090 f.). So ausgestattet erst bietet das Paradies dem saeligen man Herzensglück und Augenwonne in einem (Tr.18095–97). Dies aber lässt sich allein in der Liebe eines rehte tuonden wîp (Tr.18103) finden, die êr’ unde lîp zusammenschließt und sich für beide entscheidet. Diese kann so wol sô nie dehein Îsôt / deheinen ir Tristanden baz (so gut wie keine Isolde es mit ihrem Tristan besser könnte, Tr.18112 f.) vor Kummer und Liebesschmerz bewahren. So bricht gerade in der Paradiesmetaphorik der erfüllten Liebe, wie sie der huote-Exkurs aufbaut, die Problematik der Tristanliebe auf. Denn es ist das im Herz vergrabene Paradies, das dornenlos und glücklich ist – dem aber die augenfällige, öffentliche Blütenpracht zum Teil fehlt. Und genau diese doppelte Lesart des Paradieses – als verborgener Herzraum und sichtbarer Garten – macht nun die an den huote-Exkurs 272
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anschließende Baumgartenszene als Ende der Tristanliebe erkennbar. Gleichzeitig ist es aber auch die Paradiesmetaphorik, durch die Isolde in die Rolle der Eva gedrängt und zum Anlass dieses Endes gezeichnet wird, zum Grund für die Vertreibung aus dem Garten nach der Mittagsliebe (Tr.18270–274).116 Denn so wie Adam aß Tristan das von IsoldeEva gereichte obez, und az mit ir den tôt (Obst, und aß mit ihr den Tod, Tr.18168). Selbst Brangäne sieht die treibende Kraft dieser mittäglichen Szene in Isolde, die weder durch vorhte noch durch huote sich abschrecken lässt (Tr.18180). Die Ambivalenz der Szene liegt aber nicht zuletzt gerade in dieser Steigerung zur Paradiesesszene – und den darin aufbrechenden Differenzen. Denn die Vertreibung aus dem Paradies, die die Vereinigung endet, ist schließlich gar keine Vertreibung, sondern eine täuschende Flucht Tristans. Und das Schweigen Markes nach der Entdeckung der Liebenden (Tr.18235) steht in strengem Gegensatz zu der Verfluchung Gottes. Ist biblisch die Entdeckung von Adam und Eva in ein Gespräch gefasst, als Dialog mit Frage und Antwort, und vollzieht sich das Geschehen im Gespräch nach (Gen 3,9–24), ist hier der direkte Dialog durch die Vermittlung des Hofes gebrochen (Tr.18236–48) und schließlich problematisiert. Genau in dieser Brechung wird aber die Täuschung möglich, in deren Raum der Sündenfall seine Eindeutigkeit verliert. Die Szene ist geprägt von Schweigen, Verschweigen, Verstummen und Übergehen. Nicht nur sprechen die Liebenden kein einziges Wort miteinander, vollziehen in gewisser Weise stumm wie Marionetten die paradiesische Handlung, sondern auch Brangäne, die über der Szene wissend wacht, verschließt sich in schweigendes und besorgtes Nachdenken (Tr.18177–181). Selbst auf die Frage des Königs, der Isolde sucht, findet die sonst so Redegewandte keine Worte, sondern überlässt die Antwort den andern: diu verdâhte Brangæne / diu arme erschrac unde gesweic (die gedankenversunkene Brangäne, die arme, erschrak und verstummte, Tr.18190 f.). Die Frage Markes aber, eine Art biblisches Zitat (»ubi es«, Gen 3,9), richtet sich nicht direkt an die Versteckten, sondern an den Kämmerer. Dieser nun antwortet mit dem Hinweis auf den Mittagsschlaf Isoldes, wobei er die Antwort in den Raum des
116 Die Konnotation des Sündenfalls mit der Mittagsstunde ist, im Blick auf Gen 3,8, topisch. Vgl. z. B. Alanus ab Insulis, Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, PL 210, Sp. 857D-858A. Siehe dazu auch Wharton, ›Daz lebende paradis‹? (1990), S. 143, mit weiterer Literatur.
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Ungewissen stellt: ich wæne (Tr.18189).117 Es gibt keine Klarheit, keine Eindeutigkeit in dieser Rede. Es wird verschwiegen und geschwiegen. Was Marke dann aber im Garten findet, ist das genaue Gegenstück zu dem im Exkurs entwickelten irdischen Paradies, in dem ein Mann sînes herzen sælde vinden und sîner ougen wunne sehen kann (seines Herzens Glück finden und seiner Augen Wonne sehen kann, Tr.18096 f.). Marke findet im Garten sîn herzeleit (Tr.18198) und sieht sîn ungemach (Tr.18219). Gleichzeitig wird dadurch aber nicht nur deutlich, dass seine Liebe nicht paradiesisch ist, sondern das Herzensparadies der Liebenden wird durch diesen öffentlichen Blick zerstört, in dessen Licht die Früchte weder êre noch wertlicher prîs sind. Was Marke sieht, ist eine Miniatur der Liebenden, eine Preziose der Liebe, die aber auch so reglos und stumm ist wie ein Kunstwerk. Die Szene ist in vollkommenes Schweigen gehüllt. Selbst das geschwätzige Auge, wie es der Erzähler zu seiner Feder macht, muss da schweigen, wo die Decke die Körper der Liebenden verbirgt (Tr.18204–07). Das zum Bild gefrorene Liebespaar, das sich so wortlos in die Paradiesesszene einpasst, dessen Kostbarkeit in der Perfektion seiner Vereinigung liegt, ist aber nicht nur Kunstgegenstand, sondern auch Bild einer sprachlosen Einheit. Der Schlaf, der über der Szene liegt, ist nicht nur topisches Requisit der mittäglichen Ruhe, sondern wird zum Schutz der Liebenden, in dem sie ihre Vereinigung vollkommen erleben, aber auch den Blicken Markes und des Erzählers sowie des Hörers/Lesers entzogen sind. Denn die unmuoze, die sie so erschöpft hat, ist dezent verschwiegen: die sliefen harte suoze / i’ne weiz, nâch waz unmuoze (sie schliefen sehr süss, ich weiß nicht nach was für Anstrengungen, Tr.18217 f.).118 Und Marke, der vil harte unmüezeclîche (sehr unruhig, Tr.18187) nach Isolde gefragt hatte, verstummt vor diesem Anblick: sus gieng er swîgende dan (da ging er schweigend weg, Tr.18235). Es ist der Schlaf, der die Liebenden dem direkten Zugriff entzieht, der sie in ihrer kostbaren Vereinigung schützt. Er ist die Trennwand zwischen dem Paradies im herzen begraben und dem sichtbaren Garten.
117 Der Kämmerer, nicht eingeweiht in das Geschehen, drückt sich hier in der an Markes Hof einzigen Gewissheit aus: im Zwischenraum von Vorgegebenem und Möglichem. 118 Das Verschweigen der unmuoze wird hier als Schweigen aufrechterhalten. Nicht wie in der Minnegrottenszene, wo die Unwissenheit des Erzählers dann in plötzlichem Erinnern gebrochen wird und die arebeit – nicht ohne Lächeln – als frühmorgendlicher Spaziergang im Tau erklärt wird (Tr.17565–579).
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Diese vollkommen Sprachlosigkeit der mittäglichen Baumgartenszene, dieser Moment, in dem nicht nur Brangänge erstarrt (Tr.18190–193), sondern die Liebenden zum Kunstwerk verwandelt sind, Marke aber tatenlos verstummt, um erst außerhalb dieses magischen Bereichs, im Rahmen des öffentlichen Hofes, wieder zu reden, ist nicht nur Wendepunkt der Liebe Tristans, sondern ist eigentliches Ende dieser Liebe. Es ist der mittägliche Schlaf, in dem sie zur Liebespreziose werden, es ist aber auch dieser Schlaf, in dem die Liebe schließlich tödlich erstarrt. So schlägt die sprachlose Liebeseinheit bei Tristans Erwachen und seiner Erkenntnis, dass sie entdeckt sind, um in ein Reden, dessen Wortreichtum voller Liebes- und überstürzter Treuebeweise nur dürftig die Kluft überbrückt, die sich hier zwischen den Liebenden auftut. Gerade die Sprachfülle ist es, die zeigt, wie dünn das Band nach der Entdeckung ist. Was im Schlaf so eng geflohten, enein getwungen unde geslozzen und bestens gefüeget ist, bricht im Erwachen und der Erkenntnis von Markes Erkenntnis auseinander. Die Sprache ist Ausdruck der Distanz. So tritt Isolde ein lützel hinder sich (ein bisschen zurück, Tr.18290), bevor sie zu sprechen beginnt und die gebrochene Vereinigung in die Zukunft spricht. Dabei ist die Möglichkeit der Trennung in der Beteuerung ihrer Unmöglichkeit besprochen, steckt in jedem Wort die Angst vor der Trennung drin, ist jedes Wort selber Trennung. Und wenn Fingerring und Kuss dann als urkünde (Tr.18312) und Siegel (Tr.18363) das Gesagte bestätigen, wird vollends deutlich, dass die wort- und zeichenlose Liebe beendet ist.119 Indem die Liebe das Zeichen braucht, gliedert sie sich in die Welt ein, in der die Täuschung möglich ist. Es ist die pralle Mittagshelle, die Marke die Augen öffnet (Tr.18219–226) und eine Erkenntnis ermöglicht, die ihm aber auch den Tod bringt (dar an was dô sîn lebender tôt, daran war sein lebender Tod, Tr.18234), wie es diese Helle ist, in der schließlich Tristan durch die Entdeckung erkennt, dass er aus dem Paradies gefallen ist und den Tod gegessen hat (Tr.18168). Es ist das gegenseitige Erkennen, das zum Tod für beide wird (er sach uns beide, und ich sach in, Tr.18263). Der Minneschlaf endet abrupt in der Trennung des Erwachens, die stumme Vereinigung (Tr.18257) im lauten Weckruf Tristans: Isôt wachet, armez wîp! / wachet, herzenkünigîn! / ich wæne, wir verrâten sîn (Isolde, wacht
119 Anders de Boor, der zu diesem Dialog sagt: »Hier wird die mystische Leibes- und Lebenseinheit über alle räumliche Trennung hin den Liebenden selbst zu beseligender Gewissheit.« Die Grundauffassung von Gottfrieds Tristan (1973), S. 60.
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auf, arme Frau! wacht auf, Herzenskönigin! ich glaube, wir sind verraten, Tr.18258 f.). Der Mittag wird hier, als Zeit der Versuchung, der Verführung und des Falls aus dem Paradies auch als Zeit der tödlichen Erkenntnis gezeigt. Eine Erkenntnis, die nicht nur Markes Blindheit beendet, sondern auch die Liebenden trennt und sie der Sterblichkeit ihrer Liebe bewusst macht. In diesem Mittag endet die Tristan-Isolde-Liebe, wie sie in der Minnegrotte ihren Höhepunkt fand. Entscheidend ist, dass sich Marke nach seiner Entdeckung schweigend entfernt. Nicht wie Gott, der die Sünder aus dem Paradies mit Verfluchung vertreibt. Marke braucht die Vermittlung des Hofes, er braucht seinen Rat als Sprachrohr und Zeugen. Dieses Schweigen aber ist es, das die Trennung der Liebenden zur inneren Trennung macht: es ist Tristan, der sich von Isolde verabschiedet, es ist Tristan, der aus diesem Minneparadies flieht, ohne von Marke vertrieben worden zu sein.120 Eine Flucht, die – in der Reaktion des Hofrats (Tr.18371–408) – als unnötig erscheint. Weil Marke schweigt, öffnet er Tristan den Raum zu sprechen. Es ist seine Unentschiedenheit, die Tristan zur Entscheidung drängt; die Trennung der Liebenden wird da zur Flucht Tristans aus dem Paradies, das ihm – Aug in Aug mit Marke – keines mehr ist.
2.2 Mittagsstille Vision und Erkenntnis Der mittägliche Schlaf ist aber nicht nur gekennzeichnet durch die traditionell damit konnotierte Sexualität, sondern als Schlaf in der überhellen Stunde, dem Wendepunkt des Tages und der Zeit des höchsten Sonnenstandes, wo für einen Moment alles Geschehen stillzustehen scheint, ist er auch Raum visionärer Träume und Gesichte.121 Im Mittag 120 Auch Karg weist darauf hin, dass es nicht Marke ist, der die Liebenden letztlich trennt, sondern Tristan aus eigenem Entschluss flieht. Sie sieht darin aber gerade umgekehrt eine Bestätigung, dass die Liebe nicht zu Ende ist. Die Markefigur im »Tristan« (1994), S. 67 f. 121 Fischer weist auf die Traumbücher hin, die explizit den Tagträumen keine große Bedeutung beimessen: The Dream in the Middle High German Epic (1978), S. 117 f. Setzt man sich aber mit der Bedeutung des Mittags auseinander, wird klar, dass diese exzeptionelle Stunde immer mit außergewöhnlichen Wahrnehmungen konnotiert war. Auf die Verbindung des Mittagsdämons mit visionären
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schlägt der Morgen in den Abend um – das Glück ins Unglück. Das Bild der in den Mittag einbrechenden Dunkelheit, des Blitzes aus heiterem Himmel, ist Topos.122 So heißt es im »Armen Heinrich«: ein swinde vinster donerslac zebrach im sînen mitten tac, ein trüebez wolken unde dic bedahte im sîner sunnen blic. (A.H. 153–156) (ein gewaltig dunkler Donnerschlag zerbrach ihm seinen Mittag. Ein dunkles, dichtes Gewölk verdeckte ihm seinen Sonnenstrahl.)
Es ist das Paradox der Dunkelheit in der höchsten Helle, das das Geschehen in seiner unerklärlichen Schicksalshaftigkeit betont. Dabei wird der Mittag zum Bild für das höchste Glück wie für den Höhepunkt im Lebenslauf des einzelnen, wird der Mittag in der Metapher individualisiert.123 Herzeloydes Traum Der Mittag, als Moment des höchsten Sonnenstands und Wendepunkt, wird zum Augenblick, in dem sich Metaphorik in die reale Zeit einhakt. So bricht am Mittag Herzeloydes freuden klinge mitten ime hefte enzwei (Freudenklinge mitten im Griff entzwei, Parz.103,18f.). Es ist irgendein Mittag irgendeines Tages, ist aber auch die Zeit, in der Herzeloyde, auf dem höchsten Punkt ihres Glücks angelangt, als diu sunne lieht (hell wie die Sonne, Parz.102,26) ist, ja sogar ob dem wunsches zil (über dem Ziel ihrer Wünsche, Parz.102,30) steht. Und in diesem Moment – des höchsten Glücks und des höchsten Sonnenstandes – stürzt sie ins Unglück. Dabei ist es nicht das reale Geschehen, das sie ereilt, sondern es ist der visionäre Traum, der ihr das Unglück vorstellt, bevor dann die Nachricht eintrifft. Im Mittagsschlaf, einem Moment scheinbar stiller Ruhe, öffnet sich ihr nicht nur der Blick in den Tod, sondern auch in die Zukunft – das kommende Leid.124 Es ist eine Aufhebung der Gesichten weist auch Grau hin. Das Mittagsgespenst (daemonium meridianum) (1966), S. 41 f. 122 Vgl. auch Amos 8,9. 123 Eine interessante Weiterführung dieser Mittagsmetaphorik – auf den Mittagsdämon bezogen – zeigt die Verbindung desselben mit der modernen »midlife crisis«, wie sie in verschiedenen moderneren Romanen entwickelt ist. Vgl. dazu Gallas, A propos du titre ›Le Démon de Midi‹ (1919) und Labriolle, Le ›Démon de Midi‹ (1934). 124 Zur Charakterisierung dieses Traums siehe Brinker-von der Heyde, Geliebte Mütter – Mütterliche Geliebte (1996). Vgl. auch Speckenbach, Von den troimen
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Zeit, in der das Leben im Moment des höchsten Sonnenstandes zusammenschießt, wie Trevrizent dann zu Parzival sagt: »ez widerfuor in slâfe ir gar, / ê daz diu süeze dich gebar.« (es geschah ihr im Schlaf, bevor die Süße dich gebar, Parz.476,29 f.). Dabei schließt sich Vergangenes, das sie noch nicht weiß (Parz.102,25), mit Zukünftigem im Traum zusammen, verbindet sich so die Erkenntnis eingetroffenen Unglücks mit der Vision künftigen Kummers. Es ist diese Mittagstunde, in der sich die sonnenhelle Herzeloyde in ein Bild des Jammers verkehrt (Parz.104,22).125 Auch hier ist der Mittag aber in seiner Stille und Sprachlosigkeit nicht nur Moment der Vision, sondern auch Moment der scheinbaren Ruhe. Herzeloyde, die von dem Schicksal Gahmurets keine Ahnung hat, vor der das Unglück noch verschlossen ist, noch schweigt, wird in der Mittagsstille aus dieser Unwissenheit gerissen. Dabei ist es die Vision, das Sehen, das sie aufklärt, kein Wort (Parz.104,17). Es ist dieser Blick, dieses innere Schauen, das sie aus der Ruhe reißt, das macht, dass sie zu schreien beginnt und die Mittagsstille zerstört durch ihr wuofen und ruofen und zabeln (Parz.104,27 f.). Ein Lärmen, das sie in die Ankunft des Boten hinein weckt, der den Tod Gahmurets verkündet, so dass Vision und Realität in diesem Moment zusammentreffen. Ist es aber der Mittagsschlaf, in dem sich ihr Glück in Unglück verkehrte, in dem sich ihr wortloses Glück über die bildhafte Ahnung in Schreie des Unglücks verwandelt, ist es die gesprochene Nachricht vom Tod Gahmurets, die in Wachheit aufgenommene verbale Botschaft, die ihre laute Klage in der Besinnungslosigkeit verstummen lässt (Parz.105,5–7). Und sie erwacht erst wieder aus dieser Ohnmacht, nachdem der Tod Gahmurets in allen Einzelheiten erzählt ist (Parz.109,18 f.). Das heißt, sie hört den im Detail bestätigenden Bericht nicht, der im Wort das Geschehen realisiert. Die Geschichte von Gahmurets Tod ist für sie nicht existent. Ihr vollkommenes Verstummen
(1976), S. 171 und S. 181–192. Der immer wieder auftauchende Begriff des Albtraums in bezug auf diesen Traum Herzeloydes scheint mir aber im Blick auf den visionären Charakter dieses Traums nicht angebracht. Ebenso Fischer, The Dream in the Middle High German Epic (1978), S. 116. 125 Man kann sich da fragen, ob in dem Hinweis: ir schade wirt lanc unde breit (Parz.104,23), nicht ein Wortspiel steckt mit dem Hinweis auf den Schatten, der nun – nach diesem Mittag – lang und breit wird. Die zeitliche Bestimmung für dieses Geschehen als rein funktional zu überlesen, wie Deinert und Fischer, scheint mir nicht nur von der Metaphorik her falsch, sondern auch von der Bedeutung der Mittagsstunde, wie sie oben skizziert wurde. Deinert, Ritter und Kosmos im Parzival (1960), S. 4, Anm. 1; Fischer, The Dream in the Middle High German Epic (1978), S. 118.
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verschluckt auch diese Geschichte und ermöglicht so die Gleichzeitigkeit und Zeitlosigkeit der sprachlosen Vision aufrechtzuerhalten: wie sich dort Vergangenheit und Zukunft übereinander schoben, wird für sie der Mann zum Kind (und bin sîn muoter und sîn wîp, Parz.109,25). Der Tod Gahmurets verschwindet in der Ohnmacht Herzeloydes – für sie hat er kein Grabmal, sondern lebt in ihrem Körper neu auf: ich trage alhie doch sînen lîp / und sînes verhes sâmen (ich trage ihn doch in mir und den Samen seines Leibes, Parz.109,27).126 So wird in dieser Flucht aus der Sprache, diesem vollkommenen Verstummen und Vertauben Herzeloydes die Möglichkeit gegeben, die Erzählung, als Erzählung Gahmurets, in der Erzählung Parzivals weiterzuführen. Entsprechend findet Herzeloyde wieder zu sich selbst aus ihrem Kummer, denn ein Tod Parzivals, daz wær Gahmurets ander tôt (das wäre ein zweiter Tod von Gahmuret, Parz.110,18). So wird das ohnmächtige Verstummen Herzeloydes zu Gefährdung und Rettung der Erzählung in einem. Iweins Erwachen Auch Iwein, am Waldrand eingeschlafen, träumt in der Mittagshitze einen Traum, der ihm erhellend Vergangenheit und Zukunft verknüpft. Steht aber Herzeloyde im Zenit ihres Glücks, als der Traum ihr das Unglück kündet, ist Iwein am tiefsten Punkt seiner Existenz angelangt und wird im Doppelspiegel des Traums in eine glückhaftere Zukunft geführt. Nackt und wahnsinnig liegt er am Waldrand und bietet einen so jämmerlichen Anblick, dass er die ihn findenden Frauen zu Tränen rührt (Iw.3387–94). Der aus Zeit und Raum gefallene Ritter, ohne Kleider, ohne Sprache, ohne Gedächtnis und ohne Identität, wird am Mittag schlafend gefunden.127 Und sofort kristallisiert sich um den Verlorenen, den Schlafenden herum ein Sprechen, in dessen Spiegelung er schließlich erkannt wird und sich selber erkennt. Die eine der Frauen, neugierig, bückt sich über den Schlafenden und inspiziert ihn eingehend (Iw.3369 f.). Gleichzeitig weiß sie aber um die Geschichte des Verschwindens von Iwein, die im ganzen Land bekannt ist (Iw.3372–75). So ist es das augenfällige Zeichen der Narbe Iweins, die
126 Diese Ausklammerung des eigentlichen Todesgeschehens von Gahmuret durch Herzeloyde wird auch deutlich da, wo sie wie immer sein Kampfhemd anziehen will. Man muss es ihr gewaltsam wegnehmen, um es zu beerdigen (Parz.111,14–112,4). 127 Auf die immer wieder erwogene Anspielung der Szene auf die Begegnung der drei Jungfrauen am Grabe gehe ich hier nicht ein. Ich will den Text mit dieser dann doch in vielem unstimmigen Assoziation nicht belasten.
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wohlbekannt ist (Iw.3381), das im Kontext dieses Gerüchtes auf die Identität des Schlafenden hinweist. Nur weil der Ritter im Sprachnetz der arturischen Welt einen Platz hat, kann er auch erkannt werden.128 Dass aber nicht nur das Wort, nicht nur das sprachliche Wissen zur Identifizierung führt, sondern dass dieses Wissen ergänzt wird durch den gezeichneten Körper, ist wohl nicht einfach als Vorlagentreue und Rückgriff auf »den bequemsten Ladenhüter der mythisch-sagenhaften Tradition«129 zu verstehen. Iweins Nacktheit ist nicht Leere. Er hat das Gedächtnis verloren, er hat die Sprache verloren, seinen Namen verloren, seine Kleidung verloren, aber aus dem Körper hat sich die Vergangenheit nicht entfernt. So findet er im Blick der Jungfrau, die seinen Körper erkennt, wieder zu dem Namen, der ihm das Gerücht zuschreibt (unde nande in zehant, Iw.3382). Iwein, der nackte, ist aus dieser ganzen Szene durch den Schlaf ausgeschnitten. Er hört nichts, er sieht nichts, er weiß nichts. Nur so kann er zum Pergament werden, auf das die Frauen mit Hilfe der Salbe schließlich wieder seine Geschichte schreiben. Die ganze Heilung hängt von diesem reglosen und gefühllosen, fast magischen Schlaf ab, in dem sich die Zeit aufhebt, in dem Iwein zum Bild erstarrt. So findet ihn die mit der Salbe zurückkommende Jungfrau, wie sie ihn verlassen hatte. Und es ist nur der im Schlaf aufgelöste Wahnsinn, der die Begegnung überhaupt möglich macht. Denn rannte der Einsiedler noch vor dem »Mittagsdämon« davon,130 ist dieser nun Objekt der Neugierde für die Damen. Wenn nun die Jungfrau, die ihn erkannte, mit Salbe, Kleidern und Pferd zurückkommt, um ihn zu heilen, spitzt sich die Szene höchst pikant und amüsant zu. Der nackte schlafende Iwein wird von der Jungfrau – gegen das strenge Gebot ihrer Herrin – am ganzen Körper gesalbt, was ihr deutlich Vergnügen bereitet, optisch und taktil (Iw.3486).131 Dadurch wird aber die Szene in ihrer unverhohlenen
128 Bei Chrétien fehlt der Hinweis auf die im ganzen Land bekannte Geschichte von Iweins Verschwinden (Chr.2894–2907) und ist das Erkennen auf die Narbe reduziert. Doch scheint es mir etwas übertrieben, in diesem Zusammenhang – wie Mohr – von größerer Realistik Hartmanns zu sprechen. Mohr, Iweins Wahnsinn (1971), S. 79, Anm. 8. 129 Mohr, Iweins Wahnsinn (1971), S. 79. 130 Vgl. oben Anm. 79. 131 Wehrli will hier – im Blick auf eine doch sehr fragliche Anspielung auf die Salbung Christi durch Maria Magdalena – nur Haupt und Füße behandelt sehen (und betont den Gegensatz zu Chrétien). Wehrli, Iweins Erwachen (1973 (1969)), S. 493. Ich denke aber, dass das betonte allenthalben (Iw.3473/3476) nicht anders als im Sinne von ›überall‹ zu verstehen ist, über houbet und über vüeze
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Erotik zum harmlosen Gegenstück der Einsiedlerszene, wo der Wahnsinnige als dämonische Versuchung dem Frommen erschien, während hier die salbende und heilende Jungfrau im Kleid der im Mittag lauernden erotischen Verführung daherkommt.132 War vorher die Szene durch implizite und explizite Rede gefüllt, durch das Gerücht von Iweins Verschwinden einerseits, das hörbare Gespräch der Frauen anderseits, ist die eigentliche Heilungsszene nun geprägt von Schweigen. Um den schlafenden Iwein nicht zu wecken, schleicht sich die Jungfrau äußerst leise an und vollzieht dann ihre Salbung, wobei sie dâ zuo vil stille sweich (dabei vollkommen schwieg, Iw.3474). Dadurch wird die Erotik noch spielerisch mit heimlicher Magie verknüpft, das eine durch das andere gebunden und instrumentalisiert, aber auch ergänzt.133 Kaum ist die Jungfrau mit dem Salben fertig, versteckt sie sich, um nicht gesehen zu werden und den nackten Iwein zu beschämen (Iw.3487–93). Denn es ist ihr bewusst, dass mit dem Verstand auch die Erkenntnis der Nacktheit und damit die Fähigkeit zur Scham zurückkommt. So muss die durch Schlaf und Wahnsinn gegebene Unwissenheit Iweins umgewandelt werden in eine im erkennenden Erwachen mögliche Unwissenheit, ein Versteckspiel, das die Trennwand zwischen Wahnsinn und Verstand, Schlaf und Wachen in den sichtbaren Raum verlegt. Dabei ist es nicht der Blick der Jungfrau, der das Problem ist, sondern das Bewusstsein Iweins, von diesem Blick in seinem Zustand getroffen zu werden (Iw.3493).134 Der höfisch muot der Jungfrau hat
(Iw.3477) aber als ›von Kopf bis Fuss‹. Ebenso Wolf, Erzählkunst und verborgener Schriftsinn (1971), S. 36. 132 Zum reichen Volksglauben an mittäglich erscheinende Frauen in verschiedener Funktion siehe Jungbauer, »Mittag« (1934/35), Sp. 401–403,405; Jungbauer, »Mittagsgespenst« (1934/35), Sp. 414 ff.; Grimm, Deutsche Mythologie (1968), II , S. 803 ff.; Caillois, Les démons de midi (1937). Zur Feminisierung des Mittagsdämons im Hochmittelalter vgl. auch Grau, Das Mittagsgespenst (daemonium meridianum) (1966), S. 57 f., 73 f. 133 Zu einer möglichen magischen Bedeutung dieses Schweigens siehe Nerger, Zu Hartmanns Iwein V.3473. 74 (1882), dann zur Diskussion dazu Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 213 und Anm. 22. Ich denke, dass dieser auffallende, explizite Hinweis auf das Schweigen hier, im Kontext dieser mittäglichen Heilung mit einer Zaubersalbe, nicht anders als in dem von Nerger besprochenen magischen Sinne zu verstehen ist. 134 Was hier noch als Raumproblem dargestellt ist und im Raum, zwischen den Körpern sozusagen, gelöst werden kann, wird später in die Frau selber hineingelegt. Der berühmte keusche Blick, der die Augen senkt vor einer solchen
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denn nichts zu tun mit weiblichem Schamgefühl, sondern mit der Achtung vor dem Schamgefühl des andern – und ist nicht ganz uneigennützig. Denn sie fürchtet, von Iwein nicht mehr angeschaut zu werden, wenn er merken sollte, dass sie ihn nackt gesehen hat (Iw.3499–3501). Es gilt, den Blick zu verbergen, um den Blick nicht zu verhindern. Eine Szene zwischen Wachen und Schlafen, Wahnsinn und Verstand, Wissen und Nichtwissen, Wilde und höfscheit, zwischen Sehen und Nichtsehen, Nacktheit und Verhüllung, Neugier und Dezenz, voller impliziter Scham, die in ihrer Lautlosigkeit zu einem Spiel der stillen Wünsche und heimlichen Übergriffe wird. Dabei ist es der neugierige, dann erkennende Blick der Frau, der den nackten Körper zu einem erotischen Objekt macht, ist es aber auch dieser Blick, der in seiner Verneinung die schützende Distanz wieder aufbaut. Und es ist schließlich dieser erkennende fremde Blick auf seinen ihm selbst fremden Körper, der Iwein zur Heilung und Selbsterkenntnis führt. Während Chrétien nun Yvain sehr schnell wieder in seine alte Rolle schlüpfen lässt, indem er nach kurzem Grübeln die bereitgelegten Kleider anzieht (Chr.3020–35), führt Hartmann Iwein über den Umweg eines Traumes in die neue alte Existenz. Iwein wacht auf und seine ersten Worte sind die Frage nach seiner Identität: »bistûz Îwein, ode wer?« (Iw.3509). Eine Frage, in der der Selbstverlust im Wahnsinn sich mit der Selbstfindung durch die Heilung verbindet. Das Du der Anrede ist das Du seines nackten, stummen Körpers, das mit dem Ich des sprechenden Iwein scheinbar nichts zu tun hat. Was er sieht, ist nicht mit dem zu verbinden, was er meint zu sein. Sein Blick auf sich selber ist der Blick der Frau, die ihn schließlich erkannte. Es ist ein Aufwachen in ein Bewusstsein, das sich selber fremd ist. Und wenn dann – in Anlehnung an den Topos des Tagelieds, wo die erfüllte Liebesnacht im Ruf des Wächters endet – Iwein über diesen »Morgen« erschrickt, der ihn aus Schlaf und Traum herausreißt, die ihm ein sehr vornehmes Leben gegeben haben (Iw.3511–14), wird die Heilung durch die Jungfrau in seltsamer Art ambivalent. Denn da längt sich der Schlaf Iweins plötzlich über diese Szene am Waldrand hinaus und greift nach der ganzen Erzählung. Indem sich ihm im Mittagstraum sein vergangenes Leben darstellte, verschmilzt dieses mit dem Mittagschlaf, so dass es nicht mehr klar ist, ob Iwein wirklich träumte, oder lediglich seine Erinnerung als Traum deutet. Und sagt er, nach der Rekapitulation seines verSzene, ist nichts anderes als eine Internalisierung der Trennwand, die den Gesehenen durch die Unwissenheit vor Scham bewahrt; eine Art Iweinscher »Wahnsinn« in die Frau verlegt.
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gangenen ehrenvollen Lebens: »in allem disem wâne / sô bin ich erwachet. / mich hete mîn troum gemachet / zeinem rîchen herren« (in diesem ganzen Wahn bin ich aufgewacht; mich hatte mein Traum zu einem vornehmen Herren gemacht, Iw.3540–43), schließt er dieses Erwachen mit dem Wahnsinn zusammen: es ist der Traum, der den daraus Erwachenden zum Toren macht, zeinem tôren als ich, sagt Iwein (Iw.3555) – so wie er, als er sein Fristversäumnis erkannte, zum Toren wurde (Iw.3095, 3260). Die konsequente Folgerung ist: Wer sich an troume kêret, / der ist wol gunêret. (Wer sich nach Träumen richtet, verliert leicht seine Ehre, Iw.3547 f.).135 Nicht nur für Iwein, sondern auch für den Leser/Hörer verschwimmt hier die Grenze von Traum und Wirklichkeit, damit aber auch die Bewertung der zwei Realitäten.136 Diese äußerliche Diskrepanz zwischen dem Geträumten und dem Erlebten, die sich im Blick auf den eigenen Körper auftut, wird nun aber im inneren Selbstgefühl umgekehrt: ist der Traum am Scheinbaren gemessen eine Täuschung, wird er, an der inneren Gewissheit gemessen zur Selbsterkenntnis. er sprach »mich hât gelêret mîn troum: des bin ich gêret, mac ich ze harnasche komen. der troum hât mir mîn reht benomen: swie gar ich ein gebûre bin, ez turnieret al mîn sin. mîn herze ist mînem lîbe unglîch: mîn lîp ist arm, daz herze rîch. ist mir getroumet mîn leben?« (Iw.3569–77) (er sagte: »Mich hat mein Traum belehrt, darum werde ich Ehre erhalten, wenn ich eine Rüstung finde. Der Traum hat mir meinen Stand genommen; wie sehr ich auch ein Bauer bin, es turniert mein ganzer Sinn. Mein Herz passt nicht zu meinem Leib: mein Leib ist arm, mein Herz ist reich. Habe ich mein Leben geträumt?«)
135 Vgl. Sir 34,1. 136 Das Wiederleben der Vergangenheit lehnt sich hier an das Vorleben der âventiure als Kopfreise an (Iw.911–944). Im Gegensatz zu Wolf würde ich hier schon von einem Spiel mit dem Gedanken ausgehen, der das Weltleben als Torheit darstellt. Denn indem Iweins Vergangenheit als Traum gezeigt wird, dieser aber als Torheit erscheint, wird Iweins in die Torheit des Wahnsinns führende große Vergangenheit durchaus in diesem Sinne disqualifiziert. Dass damit aber nicht das ritterliche Leben grundsätzlich gemeint ist, wird durch die nicht torenhafte Zukunft (auch im Traum) deutlich. Wolf, Erzählkunst und verborgener Schriftsinn (1971), S. 30 f. In dieser Richtung die kurze Bemerkung ebd., S. 35.
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In dieser Doppelfunktion des Traumes, als Täuschung und Wahrtraum, schlägt die Vergangenheit Iweins in die Zukunft um: war er wol gunêret (Iw.3547), bevor er zum Toren erwachte, ist er gêret, wenn er ze harnasche komen kann (Iw.3570 f.). Es ist die Ambivalenz des Traumes, in der die Vergangenheit in die Zukunft umschlagen kann. Im Traum kann Erinnerung ohne die zerstörerische Macht der neu realisierten Vergangenheit wiedergegeben werden. Denn als Traum bleibt ihr die Möglichkeit, nicht wahr zu sein (dazn ist allez niht wâr, Iw.3536). Der eigentliche Schritt in die Erinnerung passiert dann auch für Iwein erst beim Wiedererkennen des Brunnens, diesem Topos der Memoria.137 Hier ist keine Traumtäuschung, die schützt, sondern die Realität ist dermaßen greifbar, dass sich selbst die in der ersten Erkenntnis der Schuld metaphorisch zugezogene Verletzung: in hete sîn selbes swert erslagen (es hatte ihn sein eigenes Schwert erschlagen, Iw.3224) realisiert, indem Iwein ohnmächtig vom Pferd sinkt und sich fast tödlich an seinem eigenen Schwert verletzt (Iw.3936–49). Im Raum des Traumes, den Hartmann bei Iweins Erwachen einschiebt, ermöglicht sich die Flucht in die Möglichkeit der Täuschung. Der Schlaf wird zum Ort des verschweigenden Offenbarens, indem der Traum genauso als Wahrtraum wie als äffende Täuschung gelesen wird. Das alles kann aber nur in der vollkommenen Sprachlosigkeit der Heilungsszene geschehen, wo der erwachende Iwein sich in einem leeren Raum findet, dessen Ordnung er nur über den Traum herstellen kann. Entsprechend ambivalent und rätselhaft bleibt sie ihm.
2.3 Zusammenfassung Die Mittagszeit spielt im höfischen Roman nicht dieselbe Rolle wie die Nacht, ist aber nicht weniger bedeutsam als Zeit des Schweigens. Eigentliche Schlüsselszenen der hier untersuchten Romane sind in die Mittagszeit verlegt, die nicht nur durch Sprachlosigkeit, sondern auch
137 Dass Iwein noch nicht die volle Erinnerung hat, dass er dem Traum nicht glaubt, zeigt die Tatsache, dass er seinen Namen erst nach der Entdeckung des Brunnens verschweigen will. Auf der Burg der Frau von Narison bittet er noch nicht, sein Inkognito zu wahren. Auch Ruberg weist auf diese verzögerte Namensverschweigung hin: Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 216. Vgl. auch Fischer, The Dream in the Middle High German Epic (1978), S. 105 f.
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Der Mittag
durch die Ambivalenz von Gefährdung und Schutz, Versuchung und Erkenntnis geprägt ist. Verbindet sich die Mittagszeit – als Zeit des höchsten Sonnenstands – traditionellerweise mit der Idee von Zeitlosigkeit und Zeitstillstand, droht in diesem, aus dem Tageslauf herausfallenden Moment, dieser aus dem ordnenden Rhythmus ausgegliederten Stunde, die Gefahr des Ungeordneten und Irrationalen. Es ist die Zeit der Versuchung, die Zeit des Todes, dann aber auch die Zeit der visionären Klarsicht. Diese ermöglicht außerhalb der sprachlichen Logik, in Verschmelzung von Vergangenheit und Zukunft, eine Erkenntnis und ein Wissen, wie es in der in die Zeit geordneten sprachlichen Reflexion nicht möglich ist. So schießen im Traum des mittäglichen Schlafs von Iwein Vergangenheit und Zukunft zusammen, wird die Zukunftsvision zur Vergangenheit, diese zur Zukunft. Und für Herzeloyde wird in dieser Stunde das Geahnte Gewissheit, das Passierte Geschehen, dann aber auch der Tod zur Geburt, die Vergangenheit Zukunft. Es ist die ordnungsleere Zeit der Mittagsstille, als der König schläft, die Kalogrenant die Möglichkeit gibt, frühere Geschehnisse zu erzählen, das Vergangene in die Gegenwart zu holen, und damit das kommende Geschehen und die zukünftige Geschichte zu initiieren. In dieser Mittagsszene inszeniert sich so der Anfang jeden Erzählens, indem die Auflösung des gliedernden Zeitablaufs den Raum für die Erzählung schafft, die aus dem Jetzt in die Vergangenheit greift, die die Vergangenheit in die Gegenwart holt. Die Überwindung der Zeit, die Teil jeden Erzählens ist, findet in der stillen Zeitlosigkeit des Mittags ihre Voraussetzung. In diesem Augenblick der Zeit- und der Regellosigkeit, außerhalb des Wortes und des gliedernden Satzes, ist auch die nonkonforme Liebe von Tristan und Isolde möglich. Nur da. Kaum dringt die Erkenntnis in diesen durch Sprachlosigkeit vor der äußeren Ordnung geschützten, eigentlich magischen Raum ein, bricht die Liebeseinheit auf und zergliedert sich in Wörter und Zeichen. Zeitstillstand und Helligkeit des Mittags suggerieren einen Moment der Sicherheit und der Schattenlosigkeit, im Kern bleibt aber immer die Gefahr der Versuchung und der Schatten werfenden Körperlichkeit, die Zeit. So ist das mittägliche Schweigen nicht nur Zeit der Liebesvereinigung, sondern auch der die Augen öffnenden Erkenntnis, die in die Körperlichkeit und in die Sprache verstößt. In der Mittagsstunde wiederholt sich immer wieder neu der Sündenfall – damit aber auch der Anfang der Geschichten, der Anfang des Erzählens.
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Der Wald
Schweigeorte
1. Der Wald
Aures silva, oculos campi dicuntur habere Ergo loqui caute decet aut omnino tacere.1
6 nennen die Griechen den einen ersten Stoff der Dinge, noch in »Y keiner Art geformt, aber zu allen körperlichen Formungen fähig, aus welchem diese sichtbaren Elemente geformt sind […]. Diese nannten die Lateiner ›materia‹; deshalb, weil alles Ungeformte, woraus etwas zu machen ist, immer ›materia‹ genannt wird. Und deshalb nannten sie die Dichter auch ›silva‹, nicht unpassend, denn es handelt sich um den Stoff, aus dem die Wälder sind.«2 Indem der Wald zum Begriff für den ungeformten Stoff wird, stellt sich seine Dunkelheit und Weglosigkeit neben das Chaos, aus dem erst der Kosmos erstehen konnte. Im Wald findet sich ein Bild für das, was sich dem ordnenden Verstand entzieht, was unsichtbar und lichtlos
1 Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), Nr. 1786. »Der Wald habe Ohren, das Feld habe Augen, sagt man. / Also ziemt Vorsicht beim Reden oder ganz zu schweigen.« 6 Graeci rerum quandam primam materiam dicunt, nullo prorsus modo for2 »Y matam, sed omnium corporalium formarum capacem, ex qua visibilia haec elementa formata sunt; unde et ex eius derivatione vocabulum acceperunt. Hanc Latini materiam appellaverunt, ideo quia omne informe, unde aliquid faciendum est, semper materia nuncupatur. Proinde et eam poetae silvam nominaverunt, nec incongrue, quia materiae silvarum sunt.« Isidor, Etymologiarum sive originum libri XX (1957), XIII ,iii,1. Wie geläufig diese Verbindung war, zeigen die unzähligen Belege in den patristischen Schriften, wie z.B. bei Alanus ab Insulis, Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, PL 210, Sp. 944. Prominent ist die »silva« als Chaos am Anfang von Bernhards Silvestris »De universitate mundi«, die ihm auch seinen Beinamen einbrachte. Vgl. dazu Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1984), S. 119. Siehe auch die in dieser Tradition stehende ausführliche Erläuterung von Hieronymus Lauretus zum Titel seines Werks: Silva Allegoriarum totius Sacrae Scripturae (1971), praefatio.
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Schweigeorte
bleibt, für das es keine Begriffe gibt, keine Wörter. Der Wald ist gestaltlos, noch nicht beleuchtet und noch nicht besprochen. Der Wald schweigt. Die menschliche Sprache, als Teil einer geordneten und gegliederten und geformten Welt, kann ihn nicht durchdringen. In dieser gestaltlosen Dunkelheit entspricht der Wald als Ort der Nacht als Zeit.3 Der Wald, als fremde Welt, die außerhalb der von menschlicher Hand bestimmten, domestizierten Natur liegt, der als ›Nebenwelt‹ die Zivilisation bedroht, bedrängt, aber auch verlockt und schließlich, in der Herausforderung immer wieder zur Besinnung und Selbstreflexion bringt,4 ist aber nicht nur Bild für die Urmaterie, aus deren Dunkelheit die Gestalten kommen, sondern auch Bild für die Dunkelheit, die die menschliche Reflexion begrenzt: die Unverständlichkeit (obscuritas) eines Textes, aber auch die verunklärte Erinnerung, den verdunkelten inneren Text.5 Dadurch wird, in der doppelten Metaphorik, der Wald zum Bindeglied zwischen der gestaltlosen Urmaterie, deren Anfangsdunkel sich durch die Formen erhellt, und dem in der Zivilisation scheinbar gebannten Chaos, das sich aber im menschlichen Unver-
3 Vgl. auch Wenzel, ›Ze hove‹ und ›ze holze‹ – ›offenlîch‹ und ›tougen‹ (1986), S. 281 f. 4 Wie differenziert diese scheinbar einfache Antithese zwischen ordnungslosem Wald und geordneter Lebenswelt des Menschen zu sehen ist, zeigt Harrison in seinem anregenden Buch. In bezug auf den mittelalterlichen Wald wählt er deshalb auch nicht den Begriff der »Gesetzlosigkeit«, sondern spricht vom »Schatten des Gesetzes«. Harrison, Wälder (1992), S. 81. Zur Wort- und Begriffsgeschichte von wild siehe Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald (1989), S. 25–28. Im Blick auf die realen Waldbestände und die Nutzung des Waldes im Mittelalter kommt er zum Schluss, dass sich der Wald des höfischen Romans um 1200 nicht am Vorbild eines realen Waldes orientiert, sondern »topische Landschaft mit symbolischer Funktion und mit wenig Realitätsgehalt ist« (S. 46). Siehe zur Wortgeschichte von wald, holz, forst, lôh die Abhandlung von Swisher. Hier finden sich auch Angaben zu den semantischen Unterschieden der althochdeutschen Waldbezeichnungen, mit Ausblicken auf die Entwicklung im Mittelhochdeutschen. Swisher, The Forest in Old High German Literature (1988). Heimann weist im Rahmen seiner sozial- und ökologiegeschichtlichen Abhandlung auf die Diskrepanz zwischen der alltäglichen Einschätzung des Waldes und der theologischen hin: Der Wald in der städtischen Kulturentfaltung und Landschaftswahrnehmung (1992), S. 869. Zum Wald als »freiem« Wald und den differenzierten Besitzverhältnissen, die im Wald gelten siehe Hiestand, Waldluft macht frei (1991). Zum Wald in der mittelalterlichen, v.a französichen Dichtung, vgl. Stauffer, Der Wald (1959); zum Wald bei Hartmann siehe Schröder, Zur Darstellung und Funktion der Schauplätze in den Artusromanen Hartmanns von Aue (1972), v. a. S. 239–242, 273–286. 5 Zu diesem Themenkomplex in einem weiteren Sinn vgl. Assmann, Im Dickicht der Zeichen (1996).
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Der Wald
ständnis immer wieder breit macht.6 Nicht nur schließt sich so das Unverständnis mit dem Anfangschaos zusammen, sondern der nicht geschulte Intellekt selber wird zum Chaos, dessen Gestaltlosigkeit sich der Zivilisation und der Erkenntnis entzieht. Das Naturphänomen der formlosen Materie, die sich in die Formen drängt, wird in den Text übersetzt, aus dessen Schwärze sich einzelne Formen lösen, dessen Schwärze aber grundsätzlich bleibt. Im Bild des Waldes verbindet sich die Unsicherheit des in der Zivilisation eingeordneten Menschen gegenüber der wirren Vielfalt der Natur mit der Unsicherheit des schriftund sprachbegabten Menschen gegenüber der Bedeutungsvielfalt in der Sprache und der Verzweiflung an der eigenen Verstehensunfähigkeit gegenüber einer »Wahrheit«, die sich in den Zeichen offenbart. Die Lektüre eines Textes wird so zur Erschaffung einzelner Formen aus der Urmaterie, eine Belichtung des Dunkels. Augustinus sagt, verzweifelnd über der Lektüre der Heiligen Schriften: »Denn nicht umsonst hast Du gewollt, dass auf so vielen Blättern ›dunkle‹ Geheimnisse aufgezeichnet würden. Diese Wälder – haben nicht auch sie ihre Hirsche, die sich dort zurückziehen und sich erquicken, sich ergehen und äsen, sich legen und wiederkäuen? O Herr, ›vollende‹ mein Tun und ›lichte‹ sie mir, diese ›Wälder‹!«7 Genauso deutet Cassiodorus die Psalmstelle auf die Heiligen Schriften hin, wenn er sagt: »Es offenbarte auch die Furcht des Herrn die dichten Wälder, als, die Unwissenheit abgelegt habend, die frommen Gemeinden zum Verständnis der göttlichen Schrift (des göttlichen Gesetzes) zusammenkamen.«8 So wird es auch von Notker in das Alt-
6 In seinen »Allegorien« sagt Garnier de Rochefort (Ps.-Hrabanus Maurus) mit Bezug auf Deut 9,5: »›silva‹ mens humana«. Allegoriae in universam sacram scripturam, PL 112, Sp. 1054A/B. 7 »Neque enim frustra scribi voluisti tot paginarum ›opaca‹ secreta, aut non habent illae silvae cervos suos recipientes se in eas et resumentes, ambulantes et pascentes, recumbentes et ruminantes. O domine, ›perfice‹ me et ›revela‹ mihi eas.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI ,2,3. Damit nimmt er die Auslegung von Ps 28,9 auf, wozu er schreibt: »Die vor allen führt die Stimme des Herrn zur Vollkommenheit, die es fertig bringen, das Gift der Sprache zu überwinden. Ihnen wird er die Dunkelheiten der hl. Bücher auftun, die schattigen Verborgenheiten ihrer Geheimnisse zeigen, wo sie weidend sich frei ergehen können.« Vgl. ebd., Anm. 9, S. 902. Dabei ist zu bemerken, dass Augustinus las: »vox domini perficientis cervos«. 8 »Revelavit etiam timor Domini condensa, quando ignoratione deposita, ad intellegentiam divinae legis devoti populi convenerunt.« Cassiodorus, Expositio psalmorum (1958), Ps 28,9, CCSL 97,253.
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Schweigeorte
hochdeutsche übersetzt: Diên hirzen induôt er diê uualda. Er lâzet sie in diê tougeni dero scripturarum (scrifto) (Den Hirschen öffnet er die Wälder. Er lässt sie in das Geheimnis der Schriften).9 Und wenn Otfrid beim Einzug Christi in Jerusalem die Palmzweige als Äste des Waldes übersetzt, wird ›Wald‹ zum Schlüsselwort des sensus spiritualis:10 Slíhtit uns ingégini then wég thiu selba ménigi mit éstin thero wáldo, tház wir gangen báldo. Theist giscríb héilag, thaz wir lésen ubar dág, mit thi uns then wég, soso zám, stréwent thie gótes man. (IV.5,53 f.) (Diese Menge ebnet auch den Weg vor uns mit Ästen aus den Wäldern, damit wir ihn beherzt gehen. Das sind die frommen Schriften, die wir täglich lesen, mit denen uns die Männer Gottes so schön den Weg bestreuen.)
Hugo von St. Victor aber ergeht sich ausdrücklich im Wald der Schriften, dessen Ideen er als süße Waldbeeren pflückt und lesend isst: »Wie soll ich denn die Schrift anders nennen als einen Wald, dessen Gedanken wir wie süße Früchte lesend pflücken, bedenkend kauen? Wer also in einer solchen Fülle von Büchern keine Methode und Ordnung des Lesens einhält, verliert die Spur des rechten Weges, sozusagen im Dickicht des Waldes herumirrend«.11 Und während Hugo eher kontemplativ durch den Textwald spaziert, sieht Rupert von Deutz die Lektüre als Jagd: »Wenn wir Hunde
9 Notker, II .91,5 f. (Ps 28,9). Zitiert nach: Swisher, The Forest in Old High German Literature (1988), S. 38. 10 Otfrid von Weißenburg, Evangelienbuch (1987), S. 128. Vgl. auch: Swisher, The Forest in Old High German Literature (1988), S. 37. Dabei steht auch diese deutende Übersetzung Otfrids in patristischer Tradition. Vgl. z. B. Hrabanus Maurus zu Mt 21,8: »Frondes vel ramos de arboribus caedunt, qui in doctrina veritatis verba atque sententias patrum de eorum eloquio excerpunt, et haec in via Dei et auditoris animum venientis humili praedicatione submittunt.« Commentariorum in Matthaeum libri octo, PL 107, Sp. 1039B/C. Zu der engen Verknüpfung von ›legere‹ und ›lignum‹, dann dem Unterschied von ›lignum‹ und ›materia‹ siehe Illich, Im Weinberg des Textes (1991), S. 59. 11 »quid autem scripturam dixerim nisi silvam, cuius sententias quasi fructus quosdam dulcissimos legendo carpimus, tractando ruminamus? qui ergo in tanta multitudine librorum legendi modum et ordinem non custodit, quasi in condensitate saltus oberrans, tramitem recti itineris perdit.« Hugo von St. Victor, Didascalicon. De Studio Legendi (1939), V,5, (S. 103 f.). Vgl. auch Hugo von St. Victor, The Didascalicon of Hugh of St. Victor. A Medieval Guide to the Arts (1961), V,5, (S. 126 f.). Zur Tradition dieser Vorstellung siehe Spitz, Die Metaphorik des geistigen Schriftsinns (1972), S. 130 f.
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Der Wald
des Herrn sind, ist unsere Sache die Jagd nach dem Sinn der Wahrheit im dichtesten Wald der heiligen Schriften. Rennen wir, dass wir verstehen«.12 ›Silva‹ ist zur Metapher für den dichten heiligen Text geworden, Verstehen wird zum Roden, Einsicht ist das Auffinden einer Lichtung.13 Der nicht gelichtete Text aber bleibt verschlossen, spricht nicht, ist schweigendes Dickicht.14 Es ist aber nicht nur der Text, der sich als Wald einem Leser verschließt, wenn dieser nicht die richtigen Wege findet, sondern auch der ›innere Text‹, der sich im Gedächtnis einschreibt, ist verwirrendes Dickicht, wenn er nicht durch bewusste Gliederung in feste Orte und Wege zivilisiert wird. Ohne eine solche Ordnung gibt es kein WiederFinden, kein Wissen und keine Erkenntnis, sondern nur dunklen ›Wald‹.15 Erinnern wird zur Jagd im Dickicht.16 Wie die Nacht ist der Wald Bild für einen Bereich außerhalb der menschlichen Ratio, verschließt er sich dem klaren Blick und seiner im Licht geordneten Welt. Und wie diese ist er sprachlos in dem Sinne, dass er ein Schweigen auslöst, das Echo seiner eigenen Wortlosigkeit ist, Abbild der Struktur- und Ortlosigkeit seiner Dunkelheit. Und wie bei der Nacht im Morgengrauen, ist beim Wald an seinem Rand die Sprache wiederzufinden.
12 »Si canes Domini sumus, sensus veritatis in sanctarum Scripturarum silva densissima venatio nobis est. Currimus ut comprehendamus.« Rupert von Deutz, Commentariorum in XII Prophetas minores libri 21. In Michaeam Prophetam, lib I, cap. ii, PL 168, Sp. 455B. 13 Siehe dazu auch das Hieronymuszitat in Teil I, Anm. 94. Zur Waldmetaphorik in bezug auf den heiligen Text vgl. auch Spitz, Die Metaphorik des geistigen Schriftsinns (1972), S. 130–134. 14 Zu dem in dieser Art schweigenden, stummen Text siehe auch sehr anregend Frank, Die Dichtung als ›Neue Mythologie‹ (1983), S. 18 f. 15 Carruthers schreibt: »Without the sorting structure, there is no invention, no inventory, no experience and therefore no knowledge – there is only a useless heap, what is sometimes called silva, the pathless ›forest‹ of chaotic material.« The Book of Memory (1994), S. 33. Vgl. auch die Auslegung von ›silva‹ als ›mens humana‹ von Garnier de Rochefort (Ps.-Hrabanus Maurus) oben, Anm. 6. 16 Vgl. Carruthers, The Book of Memory (1994), S. 247. Sie verweist auch auf die Doppelbedeutung von »errare« – ›einen Fehler machen‹ und ›herumirren‹.
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Schweigeorte
1.1 Der sprachlose Wald Als unwegsame Wildnis, als Chaos, dessen Dunkelheit noch nicht erhellt, dessen Materie noch keine Gestalt gewonnen hat, hat der Wald auch keine Sprache, die in seiner Masse Ordnung schaffen könnte. Der Wald ist sprachlos. Und wer sich in ihn begibt, läuft Gefahr, in seiner Sprachlosigkeit die eigene Sprache zu verlieren. Das Waldleben hat keine Worte – außer da, wo es auf eine Lichtung tritt oder sich an den Waldrand begibt; im Unterholz, im Dickicht, zwischen den Stämmen, bleibt es stumm.17 Die Dinge da sind nicht zu benennen, haben keinen Namen, keine Geschichte und keine Zeit. Der Wald hat keine Stimme, gibt höchstens das in ihn hineingerufene Wort als Echo wieder.18 So wirft er die Klage Enites über den vermeintlichen Tod Erecs grausam zurück (Er.5746–54) und verstärkt in dieser Spiegelung ihre Verlassenheit und Trauer. Und als sie das Schwert nimmt, um sich selber umzubringen, sich aber ihre Stimme nach der langen, lauten Klage bricht, hôhe unde nidere (Er.6080), gibt auch das der Wald schrecklich genau wieder: der walt gap hin widere / vorhteclîch swaz si geschrê (der Wald gab schrecklich zurück, was sie schrie, Er.6081 f.). In dieser Sprachlosigkeit des Waldes, der keinen Trost hat, nicht einmal die Klage verschluckt, sondern sie einfach wieder ausspuckt, wird die klagende Enite zum Inbegriff der Verlassenheit, eingeschlossen von den eigenen Worten, umzingelt von Schweigen, das zu nichts anderem taugt als zur ins Groteske verzerrenden Spiegelung der menschlichen Worte. Die lange Klage Enites ist nicht zuletzt deshalb so schrecklich und in einem existenziellen Sinn herzergreifend, weil sie sich am Schweigen bricht. Einem Schweigen, das tot ist, selber keine Sprache verbirgt und so nie und durch nichts gebrochen werden kann.19 Die Sprache, aber auch jede andere Art von Laut, dringt nicht in den Wald ein, sondern wird von diesem abgewiesen und zurückgeworfen.
17 Vgl. auch Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald (1989), S. 33. 18 Vgl. das fürs Mittelalter mehrfach und variantenreich belegte Sprichwort: »Wie man in den Wald ruft, so tönt es zurück«. Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), z.B. Nr. 2379, 28238, 28604, 29606, 32645. 19 Auch der von Tristan tödlich getroffene Drache füllt mit seinem Schreien den Wald (Tr.9000 f.), so dass die leere, tonlose Gegend sich akustisch mit dem Ungeheuer füllt, ohne dass dem etwas entgegenstehen würde. Anderseits verdoppelt die Schweigewand des Waldes im Echo auch die Harmonie des Vogelsangs beim Wunder-Brunnen im »Iwein«: unverändert klingt es zurück (Iw.618–20).
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Der Wald
Grenze der Sprache und Sprachgrenze In dieser ungestalten und sprachlosen Welt, in der alle bekannten Ordnungsmuster und Begriffe versagen, wird nun immer wieder nach dem Unerhörten und Namenlosen gesucht, um sich daran zu bewähren. Der Wald ist der topische Einstieg in eine âventiure.20 Das Bestehen derselben gibt dem Helden einen Namen, entreißt aber gleichzeitig die âventiure auch ihrer Unsäglichkeit und bannt sie ins Wort: sie wird zur Erzählung. So bedeutet denn der Begriff âventiure genauso die Begebenheit wie die Erzählung derselben, untrennbar. Oder anders: ohne ihre Erzählung gibt es keine âventiure. Erst wenn es in die Sprache hereingeholt ist, erst wenn es vom Ritter bestanden ist, wird das Unsägliche sagbar, wird der Wald zu einem Teil der höfischen, verworteten und verorteten Welt. Der Ritter, der die âventiure besteht, hat die geordnete Welt der Sprache gegen das sprachlose Chaos verteidigt und sich dadurch seinen Namen, als sprachlichen Ordnungspunkt, in die Welt gesetzt. Das misslungene Wald-Abenteuer aber ist nicht in die Sprache gebannt, wird nicht erzählt, sondern verschluckt den Namen des Ritters, seinen Sprachpunkt, in der Sprachlosigkeit des Unsagbaren. Kalogrenant verschwieg sein misslungenes Brunnenabenteuer zehn Jahre lang. Und als er es dann preisgibt, geschieht das unter Freunden, in einem halböffentlichen Raum. Erst durch die Anwesenheit der Königin, die mehr oder weniger ungeladen dazustößt, wird die vertrauliche Unterredung auf das Ordnungsganze hin geöffnet, wird sie öffentlich – und Kalogrenant bricht seine Geschichte auch sofort ab und will nicht mehr weitererzählen. Muss er es dann doch tun, kann er das nur als tôr, als einer, der sich selber verloren hat (Iw.795–7).21
20 Vgl. u. a.: Er.3113 f.; Iw.263; Parz.129,6; (aber auch: Tr.2480–617). Schmid-Cadalbert spricht von einer »Raumschwelle«: Der wilde Wald (1989). Zum Wald von Breziljan, dem klassischen Anfangsort der arturischen âventiure, siehe Stauffer, Der Wald (1959), S. 45 ff. Zum Topos der wilde als Bereich der âventiure siehe auch Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 372 ff. Er weist darauf hin, dass das »Waldmotiv des höfischen Romans« keine Vorläufer kennt. 21 Wandhoff versucht, die âventiure im Gegensatz zum Hof als Bereich des Unsichtbaren zu definieren und sagt: »Die âventiure muss gewissermaßen in ihrer domestizierten Form an den Hof getragen und dort für alle sichtbar dokumentiert werden.« Der epische Blick (1996), S. 210. Ich glaube nicht, dass sich die âventiure in ihrer engen Anbindung an die Rede, die Erzählung, so auf den visuellen Aspekt einschränken lässt. Weniger einschränkend formuliert Haferland: »Eine âventiure bestehen heißt, dem Unerwarteten eine Form geben.« Höfische Interaktion (1988), S. 217.
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Schweigeorte
Iders’ Ritt an den Artushof Ist der Wald Ort der Sprachlosigkeit, wird seine Grenze zur Sprachgrenze. Sowohl Sprachverweigerung wie Sprachverlust enden am Waldrand. Iders, der Sprachverweigerer, der der Königin keine Antwort geben wollte, als sie sich höflich nach ihm erkundigte, sondern sich nur wortlos und brachial verneinen ließ und damit gegen jede höfische Konversationsnorm verstieß, aber auch in hybridem Machtanspruch sich so der höfischen Hierarchie zu entziehen suchte, kommt, nachdem Erec ihn besiegt und zurechtgewiesen hat, aus dem Wald an den Artushof geritten. Von der Zinne aus wird sein Aufzug genau verfolgt, zuerst von Keie und Walwan (Er.1158–60), dann auch von der Königin.22 Aus der Vogelperspektive der Zinne ist damit aber die Topographie der Zivilisierung und Erziehung in die höfische Welt und Machtstruktur hinein gezeichnet, die gleichzeitig die Topographie einer Spracherziehung ist. Der in seinem Hochmut schweigende Iders, der sich dadurch dem Machtanspruch der höfischen Welt entzog (auf die Frage der Königin ist eine Antwort zu geben, auf die höfliche Frage der Jungfrau ist höflich zu antworten), muss, von Erec besiegt, sich nun der Königin unterwerfen. Das heißt, er muss ihr Red und Antwort stehen, muss sprechen. Dabei schließen sich im Auge der Königin als Beobachterin die Szenen zusammen: während sich im Wegritt und in der verweigerten sprachlichen Kommunikation die Abkehr vom Hof zeigte, wird in diesem Aufzug aus dem Wald heraus jetzt die Hinwendung deutlich, die in der erklärenden Rede, als einem Akt der Unterwerfung, endet. Die Rede, mit der sich Iders direkt an die Königin wendet, ist so eine Art verspätete Antwort auf ihre ursprüngliche Frage, wer der ritter müge sîn (wer der Ritter sei, Er.26). Eine scheinbar harmlose Frage, deren verweigerte Antwort aber letztlich in gewisser Weise zur Selbsterkenntnis des Ritters führt und damit auch zur treffenden Antwort (Er.1214–59):23 Iders identifiziert sich gegenüber der Königin nicht mit seinem Namen, sondern durch den Verweis auf sein Verge-
22 Wandhoff zeigt die Unterschiede zu Chrétien genau auf, der die Informationen sowohl in der Anfangsszene wie hier der Königin über die Nachricht zukommen lässt, während Hartmann das Auge der Königin zum eigentlichen Ort des Geschehens macht. So änderte Hartmann auch hier dahingehend ab, dass es erst die Königin ist, die den Ritter erkennt, während bei Chrétien schon die zwei Beobachter die richtige Vermutung äußern. Wandhoff, ›âventiure‹ als Nachricht für Augen und Ohren (1994), S. 1–11. 23 Vgl. dazu auch Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 186–188.
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Der Wald
hen ihr gegenüber: ich binz der iu widerreit / gester ûf der heide (ich bin es, der euch gestern auf der Heide entgegenritt, Er.1239 f.).24 Zeigt sich in Iders’ Hervorkommen aus dem Wald das Ende seiner unhöfischen Sprachverweigerung, endet auch der Wahnsinn Iweins, sprachlos bis zu Gedächtnis- und Namensverlust, am Waldrand, neben einer Strasse. Da werden ihm durch die Wundersalbe nach und nach wieder Sprache, Name und Kleider zurückgegeben und durch das Wort, durch das er sich von dem umgebenden Wald abgrenzt, wird er wieder höfisch (Iw.3505–95). Die Sprache wird hier zum Schlüssel und Zeichen einer Selbstreflexion, die ihm im Wald verlorengegangen war.25 Parzivals Erziehung durch Gurnemanz Auch Parzival, der im Wald Erzogene, der Tor par excellence, dem in seiner Sprachlosigkeit jede Selbstreflexion noch abgeht, der sich noch nicht verortet hat in der Grammatik der höfischen Welt, findet seine Erziehung und Eingliederung in die höfische Welt da, wo ihm der Wald zur Burg wird und er die Bäume gegen Türme eintauscht. Die Türme der Burg von Gurnemanz kann er in seinem Erfahrungshorizont nur als Bäume deuten, staunend über die Saatfähigkeiten des Artus: hin gein dem âbent er dersach eins turnes gupfen unt des dach. den tumben dûhte sêre, wie der türne wüehse mêre: der stuont dâ vil ûf eime hûs. dô wânder si sæt Artûs: des jaher im für heilikeit, unt daz sîn sælde wære breit. (Parz.161,23–30)
24 Vgl. auch Wandhoff, ›âventiure‹ als Nachricht für Augen und Ohren (1994), S. 10. Er deutet den Namensverlust Iders als Folge seiner Identitätsverweigerung gegenüber der Königin und somit der höfischen Öffentlichkeit. In die Lücke, die sein Name hinterlässt, tritt der ›neue‹ Name des jungen Erec. In diesem Kontext ist denn fraglich, ob »Ehrverletzung durch unhöfisches Schweigen letztlich in dem Moment voll getilgt ist, wo sie einsichtsvoll öffentlich ausgesprochen und eingestanden wird«, wie das Ruberg sagt. Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 188. Wandhoff weist zurecht darauf hin, dass eine Verengung der Lesart dieser Szene auf die eine Dimension der sprachlichen Übertretung nicht genug ist. 25 Vgl. dazu ausführlich oben, das Kapitel »Mittagsstille«. Siehe auch Wenzel, ›Ze hove‹ und ›ze holze‹ – ›offenlîch‹ und ›tougen‹ (1986), S. 284; Wehrli, Iweins Erwachen (1973).
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Schweigeorte
(gegen Abend sah er die Spitze eines Turms und dessen Dach. Dem Toren kam es ganz so vor, als wüchsen immer mehr Türme, denn da standen viele auf einem Haus. Da meinte er, Artus hätte sie gesät und nahm es als Zeichen seiner Heiligkeit und seiner weit wirkenden Segenskraft.)
Mit der Erziehung durch Gurnemanz lernt er darauf das Gebaute, die nach der höfischen Ordnung errichteten menschlichen Bauten, kennen. Die Torenkleider werden ihm ausgezogen, er wird gebadet, neu eingekleidet, wird in die Messe eingeführt (Parz.169,15–20), bevor ihm dann Gurnemanz seine Lehren erteilt: Nach dem allgemeinen Rat zu milte, güete, diemüete und rehter mâze, folgen als erstes die Sprachregeln: irn sult niht vil gevrâgen: ouch sol iuch niht betrâgen bedâhter gegenrede, diu gê reht als jenes vrâgen stê, der iuch wil mit worten spehen. (Parz.171,17–21) (ihr sollt nicht viel fragen. Es soll euch auch nicht an wohlüberlegter Antwort fehlen, die auf die Frage dessen eingeht, der von Euch etwas erfahren will.)
Dann erst werden Verhaltensregeln im Kampf (Parz.171,25–172,6) und schließlich Regeln zum Umgang mit Frauen gegeben (Parz.172,7– 173,6). Die Zivilisierung und Erziehung des Toren, der nicht anders als ein kindelîn (Parz.170,10) redet, ist in erster Linie Spracherziehung, dann erst Kampf- und Minneerziehung. Auch wenn Herzeloyde Parzival Ratschläge mitgab, waren diese keine eigentliche Einführung in den höfischen Umgang, keine Sprachlehre, sondern, als aus dem Zusammenhang gerissene praktische Anweisungen, ungeordnete Haltpunkte, die im Rahmen der höfischen Welt Sinn machen, da als Wörter im Kontext verständlich sind, dem im Wald Großgewordenen aber, der keine Sprachfolie hatte, in die er diese Begriffe hätte einordnen können, mussten sie, aus jeder Ordnung gerissen, gefährlich werden. Erst in der höfischen Umgebung des Gurnemanz kann Parzival die Sprache finden, in der auch die Ratschläge der Mutter Sinn haben. Bis dahin konnten sie ihn nur irreführen.26
26 Haferland spricht in bezug auf Parzivals Missverständnisse von einer Diskrepanz zwischen einem ›scire quia‹ und einem ›scire quomodo‹: Höfische Interaktion (1988), S. 191 f.
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Der Wald
Tristans neue Sprache in Kurneval Tristan, von den Kaufleuten am Ufer Kurnewals ausgesetzt, irrt in Wald und Wildnis herum, verloren und hilflos, bis er schließlich, am Abend aus der Verirrung herausfindet und auf zwei Pilger stößt, die ihm weiterhelfen.27 Im Gegensatz zu Parzival, der als tumber tor bei diesem Ausgang aus dem Wald zuerst die Sprache finden muss (als verbale und nonverbale), tritt Tristan, sprachbegabt wie kein anderer, aus dieser Verirrung in die geordnete Welt hinaus und findet da nicht eine verlorene Sprache, aber doch die täuschende Sprache. Er erzählt den Pilgern, wie nachher auch den Jägern, eine erfundene Lebensgeschichte: Tristan der was vil wol bedâht / und sinnesam von sînen tagen, / er begunde in fremediu mære sagen (Tristan war sehr überlegt und verständig für sein Alter. Er begann ihnen fremde Geschichten zu erzählen, Tr.2690–92) und später dann: vil sinneclîche er aber began / sîn âventiure vinden. / sîn rede diu enwas kinden / niht gelîch noch sus noch sô. / vil sinneclîche sprach er dô (sehr klug begann er wieder seine Geschichte zu erfinden. Seine Rede war in keiner Weise die eines Kindes. Er sprach sehr klug, Tr.3090–94). Im Gegensatz zu dem Gebet im Wald, das er als kint weinend vollzieht (Tr.2482–87), wird er in der zivilisierten Welt zum wortwîse(n) (Tr.3016), der nicht als Kind spricht (Tr.3092). Tristan tritt hier in die Welt des Marke und übernimmt ihren Sprachkodex im Sinne der Täuschung. Seine Identität wird so verheimlicht, bleibt im Wald zurück, wobei sich diese Verheimlichung, dieses Maskenspiel gerade als Tristan gemäße Verkleidung entpuppt, diesem Tristan, dessen Identität ihm selber bis anhin nicht bekannt ist. Die neue Geschichte ist somit nicht weniger wahr als die alte Geschichte.
Flucht aus der Sprache Die Buße des Gregorius Der Waldrand ist Sprachgrenze und damit auch Grenze der Zivilisation, der vom Menschen beherrschten Welt. Wenn Gregorius in den Wald und die Wildnis geht, um da zu büßen, flieht er aus der zivilisierten Welt, in der er schuldig wurde und deren Ordnung er gebrochen hatte:
27 Zum Topos des Übersicht verschaffenden Berges in der Wildnis siehe Schmid-Cadalbert, Der wilde Wald (1989), S. 40–43. Gruenter verweist in diesem Zusammenhang auf die spätantike Paradiestopik: Das »wunnecliche tal« (1961), S. 374 f.
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Schweigeorte
er schûhte âne mâze die liute und die strâze undz blôze gevilde: allez gegen der wilde sô rihte der arme sîne wege. (Greg.2761–65) (er scheute maßlos Leute und Straßen und das offene Feld. Nur der Wildnis entgegen richtete der Arme seine Wege.)
Der Kosmos ist ihm verhasst, das Licht, die Gesellschaft, das Gespräch, und er stilisiert sich zum Ausgestoßenen, dessen Sünde allein in die gottferne Wildnis gehört. Dass sich gerade in dieser Wildnis dann das Wunder ereignet, ist schließlich der Triumph Gottes über das Chaos, ist die Ordnung, die in die Wirrnis einfällt, ist das Wort, das die Stummheit aufbricht. Im Gegensatz zu Iwein aber ist Gregorius in seiner Weltflucht nicht auf den Nullpunkt reduziert, sondern ihm sind – als Zeichen seiner Auserwähltheit – Gedächtnis und Sprachfähigkeit geblieben: nû was der heilige geist dar an gewesen sîn volleist alsô ganzlichen daz im niht was entwichen, er enhæte sîn alten kunst unz her behalten von worten und von buochen. (Greg.3469–75) (nun hatte aber der Heilige Geist ihn dabei so unterstützt, dass ihm nicht alles verloren gegangen war. Er hatte sein altes Wissen aus Wörtern und Büchern noch behalten.)
Was bei Iwein mit Hilfe der Zaubersalbe der Feimurgan wiederhergestellt werden muss, ist hier, als Wunder, nicht verlorengegangen.28 Entsprechend kann Gregorius den päpstlichen Gesandten dann seine Identität nennen. Weil sein Schweigen in der Wildnis aber ein bewusster Verzicht und Teil der harten Busse ist, muss ihm das Gespräch mit den päpstlichen Gesandten – sein erstes Reden nach 17 Jahren – eine versuchende Gefahr sein, deren Vergnügen er meint neu büssen zu müssen: ich vürhte, vreude und der gemach / diu ich mit rede mit iu hie hân, / ich müeze ir ze buoze stân (ich fürchte, dass ich für Freude und Annehmlichkeit, die ich mit euch hier habe, werde büßen müssen,
28 Dabei ist die Tatsache, dass die Busse nur als bewusste Busse gültig ist, wohl entscheidend. Gregorius durfte nicht wahnsinnig werden, wenn seine Schuld vergeben werden soll.
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Der Wald
Greg.3580–82). Gerade das bewahrte Selbstbewusstsein des Sünders ist es, das macht, dass er sich zuerst weigert, in die Welt zurückzukehren. Weil das Schweigen von Gregorius nicht mit einem Sprachverlust verknüpft ist, wird es zur Grenze in der Wildnis, die die innere ›contritio‹ gegen die äußere Leere schützt. Ist bei Iwein die Haut zur leeren Hülle geworden, die Innen und Außen nicht mehr trennt, ist die durchsichtige Haut des Gregorius, sein geschundener und schmerzender Körper, unter dessen dünner Haut man die Knochen und Knöchelchen einzeln zählen kann (Greg.3459–65), immer noch Trennwand zwischen der inneren Fülle und der äußeren Leere, zwischen innerer Sprache, der kunst von worten und von buochen (Greg.3474 f.), und der äußeren Sprachlosigkeit, zwischen Kosmos und Chaos. Gregorius schweigt in der Wildnis. Und es ist dieses Schweigen als Akt des Bewusstseins, das seine Busse ermöglicht, weil es ihm die Sprache bewahrt und ihn als Menschen erhält. Es ist dieses Schweigen, das ihn rettet, in dem ihn Gott auserwählt. Das Vergnügen, das er an der Unterhaltung, am Gespräch mit den Gesandten hat, empfindet er entsprechend als teuflische Gefahr: ir vreut an mir des tiuvels muot, / mîn kurzewîle ist alze guot (ihr macht dem Teufel mit mir eine Freude, ich unterhalte mich zu gut, Greg.3575 f.). Es ist nicht die Angst vor dem ersten Wort, das Gefühl der Unfähigkeit, das Schweigen zu brechen, das Gregorius nach den 17 Jahren erfüllt, sondern es ist die Angst vor dem Vergnügen, das das gesprochene Wort gewährt. Das Schweigen, als Wand zwischen sich und der Welt – sei dies die Wildnis, sei dies die Gesellschaft –, sichert ihm die quälende Busse. Nicht wissend, dass diese sich vollendet hat, muss er das Reden fürchten. Iweins Wahnsinn Auch Iwein flieht im Bewusstsein seiner Verfehlung gegenüber Laudine in die Wildnis. Doch im Gegensatz zu Gregorius flieht er nicht nur geographisch, sondern auch geistig. Die Erkenntnis seiner Verschuldung treibt ihn in Wahnsinn und Wald. Dabei vollzieht sich seine Ausgliederung aus der Gesellschaft stufenweise. Der Wahnsinn überfällt ihn nicht am Artushof, sondern da ist es zuerst die Erinnerung, die ihn aus dem Kreis der andern, aus dem Gespräch ausschließt. Auf dem Höhepunkt seiner ritterlichen Anerkennung, als ihm Artus für seine Erfolge dankt, als man in der ganzen Runde nur von ihm und Gawein spricht, alles Reden sich nur um ihn und seinen Namen dreht, erinnert er sich an sein Versprechen gegenüber Laudine und realisiert, dass er es nicht eingehalten hat, dass er die Frist verpasst hat. Diese Erkenntnis lässt ihn verstummen und vertauben, so dass er aus der Sprachge299
Schweigeorte
meinschaft der anderen ausgeschlossen, allez swîgende dasitzt (Iw.3092). Während die anderen nur von ihm reden, er in aller Munde ist, vergisst er sich selber in der schuldigen Liebessehnsucht: sîn herze wart bevangen mit senlîcher triuwe: in begreif ein selch riuwe daz er sîn selbes vergaz und allez swîgende saz. er überhôrte und übersach swaz man dâ tete unde sprach, als er ein tôre wære. (Iw.3088–95) (sein Herz wurde von einer sehnenden Liebe erfasst, und es ergriff ihn ein solcher Kummer, dass er sich selber vergaß und vollkommen stumm dasaß. Er überhörte und übersah alles, was man rundherum redete und tat, wie wenn er ein Irrer wäre.)
Paradoxerweise ist es die Erinnerung, die macht, dass er sîn selbes vergaz. Dieses Verstummen in der Gesellschaft, diese Selbstvergessenheit, ist aber erst der Anfang eines Prozesses des Selbstverlustes. Denn die Schmährede der Lunete, die als Botin Laudines Iwein vor versammelter Artusgesellschaft des Treue- und Wortbruchs sowie des Meineids bezichtigt und ihn einen Verräter nennt, ist in gewisser Weise das personifizierte Gewissen Iweins, das sich vor ihm aufbaut und ihn in dieser ehrenvollen Gesellschaft richtet. Entsprechend kann er sich nicht wehren gegen die Anschuldigungen; es ist kein smæhen, das, von außen an ihn herangetragen, Widerrede erlauben würde, sondern ist in ihm sitzendes herzeleide, das ihn lähmt. Wortlos und regungslos lässt Iwein diese Rede über sich ergehen. So wenig er aber die Ruhmesreden hörte, so genau hört er diese Schmährede. Und da ist es sein einziger Wunsch, aus der Gesellschaft auszubrechen, mit seiner Schuld und Scham allein zu sein: nâch einem dinge jâmert in, daz er wære etewâ daz man noch wîp enweste wâ und niemer gehôrte mære war er komen wære. (Iw.3216–20) (nur noch etwas wollte er, dass er irgendwo wäre, wo weder Mann noch Frau wüssten wo, und niemand erfahren könnte, wo er hingekommen war.)
Hat sich Iwein zuerst taub und stumm aus der Sprachgemeinschaft ausgeschlossen, will er nun auch physisch verschwinden; denn er kann die Schuld nicht von sich weisen, es gibt keine Gegenrede für ihn 300
Der Wald
(Iw.3221–24). So stiehlt er sich schweigend davon. Im Moment aber, in dem er aus dem Kreis der Zelte tritt, in dem er aus der festen Ordnung des Hofes hinauskommt, schießen ihm ein zorn unde ein tobesuht ins Hirn (Iw.3233), dass er sich aller höfischen Attribute und Gesten entledigt und, nackt an Körper und Geist, in die Wildnis rennt. Weder Erinnerung noch Sprache noch Identität bleiben ihm, nicht einmal die Gestik als nonverbale Ausdrucksform bleibt ihm erhalten.29 Er verfällt der vollkommensten Sprachlosigkeit. In dieser absoluten Sprachlosigkeit, die auch die innere Sprache verloren hat, unterscheidet sich Iwein von Gregorius, aber auch vom Waldschrat. Denn jener hatte, zum Erstaunen der Artusritter, sowohl eine verbale wie eine nonverbale Sprache, war durchaus zur Kommunikation fähig – auch wenn nicht nach höfischer Regel – und beherrschte mit dieser Sprachbegabung die Tiere, mit Zunge und Hand, mit Bitte und Drohung (Iw.506 f.).30 Seine Welt ist nicht eigentlich sprachlos, ist, im gerodeten, waldbefreiten Gelände, eine Gegenwelt zur höfischen Zivilisation, die aber nicht als Welt des Waldes zu definieren ist, sondern in derselben Art sich von der Artuswelt abgrenzt, wie zum Beispiel die Burg zum Schlimmen Abenteuer im Iwein, deren Gebiet sich von den Ländern des Artus und des Guivreiz durch Wald trennt. Iwein aber, der in seinem Wahnsinn weder innere noch äußere Sprache mehr hat, ist zum vollkommenen Nichts geworden, auf den leeren Körper reduziert. Der Wald, sein Aufenthaltsort, ist Spiegel seiner inneren Wirrnis, wie sich in dieser der Wald abbildet.31 Ein gegenseitiges Echo, ohne dass ein Ton da wäre.
29 Dass ihm auch die Gebärdensprache verlorengegangen ist, zeigt die Begegnung mit dem Einsiedler, dem er nur durch die roheste Tauschhandlung ein Zeichen der Gutwilligkeit geben kann, sonst aber auf keine Art kommuniziert – ganz im Gegenteil dann zum Löwen, der sich sehr höfisch gebärdet (Iw.3290 ff.). 30 Von daher kann ich Ruberg nicht beistimmen, wenn er schreibt: »Dass durch den Vergleich Iweins mit einem môre (3348) an die ebenso gekennzeichnete Gestalt des hoffernen Waldmenschen (427) erinnert werden soll, bestätigt sich darin, dass beide für stumm gehalten werden.« Denn Iwein ist sprachlos in seinem Wahnsinn, wird nicht nur einfach dafür gehalten. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 213. Ruberg bezieht sich da auf die von mir auch nicht nachvollziehbare, von Wehrli betonte Analogie des wahnsinnigen Iweins mit dem Waldschrat, der von Hartmann als »Präfiguration« Iweins erkannt worden sei. Wehrli, Iweins Erwachen (1973), S. 495. Auch Wolf betont den Unterschied zwischen den beiden: Erzählkunst und verborgener Schriftsinn (1971), S. 31 f. 31 So schief ist es also nicht, von einem Motiv des Sichverirrens im Walde zu sprechen, wie das Wolf meint. Erzählkunst und verborgener Schriftsinn (1971),
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1.2 Der (w)ortlose Wald Zensur Durch seine Sprachlosigkeit wird der Wald auch zum Schutz vor der Sprache, ist er idealer Rahmen um eine Welt, die sich von der höfischen Ordnung und dem dort herrschenden Sprachkodex abgrenzen will.32 Im Wald ist der ideale Ort für den Nicht-Ort, der sich als Utopie aus der höfischen Welt ausschneidet, bewusst oder unbewusst zensuriert. Die Lichtung im Wald ist durch diesen von der Welt getrennt, losgelöst von deren Regeln hat sie ihre eigene Grammatik. Eine Art Wortlosigkeit – von der höfischen Sprache her gesehen –, die sich aber nur in der Ortlosigkeit aufrechterhalten lässt. Kaum ist dieser vom Wald geschützte Raum entdeckt, wird er zum Ort in der Karte der höfischen Welt, ist seine Sprachautonomie, seine Sprache, die sich der Umwelt versagt, gebrochen, und geht er unter im höfischen Kontext. Er wird zur Erzählung, zur âventiure, wie die Lichtung des Waldschrats im »Iwein«, oder er wird verlassen, wie Herzeloydes ritterfreier Waldstaat im »Parzival« oder die Minnegrotte von Tristan und Isolde. Es sind Orte, die die höfische Ordnung verneinen und dies durch eine radikale Sprachverweigerung und Wortlosigkeit – sei dies als Verbot, aus Unkenntnis oder durch Auflösung der Sprache in eine neue Kommunikation – zum Ausdruck bringen. Die Lichtung des Waldschrats Kalogrenant, nach âventiure ausreitend, trifft mitten im Wald (Iw.400) auf ein gerodetes Gelände. Zu seinem Entsetzen sieht er darauf eine chaotische, lärmende, ineinander feindlich verklammerte Tiermasse, optisch und akustisch ein Durcheinander, eine Verwirrung der Geschöpfe, ein vollkommenes Gegenbild paradiesischen Friedens, das ihn einschüchtert und zurückweichen lässt (Iw.412). Erst der zweite Blick zeigt ihm einen Menschen, der mitten in diesem Chaos sitzt (Iw.418 f.),
Anm. 65. Ich kann ihm auch nicht folgen, wenn er meint, der Wald des höfischen Romans sei mit christlich-allegorischer Deutung nicht in Verbindung gebracht. Gleichzeitig fällt ihm aber deutlich auf, dass Hartmann verschiedene Szenen im Gegensatz zu Chrétien in den Wald verlegte. Ebd., Anm. 73. 32 Zur Bedeutung von »Wald«, resp. »Holz« als Fluchtort vor der höfischen, zivilisierten Umgebung siehe Swisher, The Forest in Old High German Literature (1988), S. 39–45.
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was ihn beruhigt.33 Der dritte Blick nun aber, der genauere und nähere, verwandelt diesen tröstlichen Anblick wieder in ein Angstbild, schlimmer noch als das erste. Denn hier bricht die Dichotomie Mensch-Tier, im Sinne von vertraut-unvertraut, auf. Die Ordnungskategorien, die Kalogrenant in den Wald mitgenommen hat, werden durch diesen Anblick zerstört, so dass er sich in vollkommener Hilflosigkeit und Verlorenheit dieser Schreckgestalt gegenüber wiederfindet. Als Zerrbild des menschlichen Mikrokosmos spiegelt der Körper des Waldschrats das chaotische Durcheinander auf der Lichtung; so ungestalt und ungeordnet wie das Tiergewirre ist sein Körper. Entsprechend kann ihn Kalogrenant nur im Rückgriff auf dieses beschreiben: sein Kopf ist größer als der eines Auerochsen (Iw.430 f.), seine Nase ist so groß wie die eines Ochsen (Iw.447), Zähne hat er wie die eines Ebers (Iw.455 f.), gekleidet ist er in unbearbeitete, frische Tierfelle. Ist schon die Gestalt des Waldschrats für Kalogrenant nicht einzuordnen, so ist es sein Verhalten erst recht nicht. Denn der höfische Verhaltenskodex für eine solche Begegnung wird vom Waldschrat in jeder Beziehung gebrochen, so dass Kalogrenant im Zweifel ist, ob er Freund oder Feind vor sich hat. Ein Zweifel, der im höfischen Umfeld kaum aufkommen kann, da die Gebärdensprache da deutliche Zeichen zu setzen vermag. Indem der Waldschrat aber nichts anderes macht, als aufstehen und entgegengehen, ohne irgendwelche sonstigen Gesten, sieht sich Kalogrenant einer für ihn bedeutungslosen Handlung gegenüber, die ihm keinen Schluss ermöglicht. Dass der Waldschrat dann aber auch schweigt, weder verbal noch nonverbal einen Gruß spricht, verunsichert den Ritter dermaßen, dass er sich plötzlich auch nicht mehr sicher ist, ob überhaupt ein Mensch vor ihm steht. Dieser Moment der vollkommenen Wortlosigkeit zwischen ihnen ist der Punkt, an dem die höfische verbale und nonverbale Sprache an der wortlosen »Sprache« des Waldschrats zerschellt und mit ihr die durch sie errichtete höfische Ordnung zerbricht. Kalogrenant versucht noch, dieses Schweigen in sein Verständnis hereinzuholen – und täuscht sich: er macht den Waldschrat vor sich zum Stummen, um irgend seine beunruhigende Wortlosigkeit erklären zu können und in dieser einordnenden Erklärung selber wieder in die Sprache zu finden.34 Denn es ist
33 Dabei stellt sich diese Entdeckung des Menschen in der Erzählung Kalogrenants wie eine Antwort auf den Hilferuf an Gott dar, ohne dass es explizit würde. 34 Ruberg spricht in bezug auf diese Annahme Kalogrenants, dass der andere vielleicht stumm sei, von »Naivität«. Dieser Begriff entspricht der Situation, die doch in erster Linie die Begegnung von zwei Machtbereichen darstellt, wohl nicht.
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diese Deutung, die ihm die Möglichkeit gibt, das Wort zu ergreifen, das erste Wort zu sagen und somit den Bann zu brechen: dô er sweic, do versach ich mich daz er ein stumbe wære und bat mir sagen mære. (Iw.480–3) (als er schwieg, dachte ich, dass er ein Stummer wäre und bat um Aufklärung.)
Die Absurdität der Szene, dass er mit dem, den er für einen Stummen hält, ein Gespräch anfängt, ist nichts anderes als Ausdruck des aus allen Ordnungen fallenden Schweigens, das sich in dieser Begegnung aufbaut; ein kläglicher Versuch des Ritters, durch das Wort zu ordnen, seine Welt zu retten, und schließlich sich selber, in der Umzäunung der Sprache gegen dieses grenzenlose Schweigen, wiederzufinden. Dabei unterwirft er sich aber unwillentlich der Wortlosigkeit des Waldschrats. Denn es ist kein höfischer Gruß, kein höfischer Begegnungsritus, den er initiiert, sondern mit seiner Wesensfrage übernimmt er das Gesetz dieser Lichtung, das Gesetz, nach dem der Waldschrat auch schweigt. Die Sprache als Mittel höfischer Kommunikation ist hier unbekannt. Das Wort ist auf den Namen reduziert und ist als Machtmittel nichts anderes als eine Handlung, ist von dieser nicht unterschieden. Was gesagt wird ist das, was vor Augen steht, ist das, was getan wird. Das gestenlose Aufstehen und Entgegenkommen des Waldschrats ist somit sein Entgegenkommen, ohne dass Deutung nötig wäre. Es meint nichts, ist nur Handlung. Im Kontext des höfischen Sprachverständnisses aber kann Kalogrenant dies nicht verstehen, denn da gibt es die reine Handlung, die nichts bedeutet und nichts meint und nichts verbirgt, nicht. Der Waldschrat kennt keine Zeichen. Deshalb kann er auch kein erstes Wort finden, das über sein körperliches Entgegenkommen hinausginge. Und in dieser Art antwortet er auch auf die Fragen Kalogrenants: Jeder abstrakte Begriff, der sich vom zeichenlosen Handeln entfernt, ist ihm fremd – oder gehört zumindest nicht zu seiner Ausdrucksweise. bistu übel ode guot? (Iw.483) fragt Kalogrenant als erstes, im Rückgriff auf die scheinbar einfachste moralische Unterscheidung. Der Waldschrat kann nur handlungsbezogen und wertfrei antworten: swer mir niene tuot, / der sol ouch mich ze vriunde hân (wer mir nichts tut, der wird mich auch zum Freund haben, Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 209.
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Iw.484 f.). Und fragt ihn Kalogrenant: waz crêatiure bistû?, so antwortet er mit dem Namen, der für ihn mit der sichtbaren Gestalt eins ist: ein man, als dû gesihest nû (ein Mensch, wie du hier siehst, Iw.488). Die seltsame, nicht unwitzige Diskrepanz, die sich hier zwischen Kalogrenants Wahrnehmung und Beschreibung des Waldschrats und dieser Selbstbezeichnung mit dem Hinweis auf die Gestalt ergibt, ist eine Diskrepanz, die sich nur zwischen abstraktem Menschenbild und davon abweichendem Individualporträt ergeben kann. Das Lachen, zu dem diese Stelle reizt, ist ein Lachen, das sich zwischen diesen zwei Sprachsystemen und Wahrnehmungsmustern ergibt. Und so spiegelt sich in diesem Lachen, das schließlich auch unser Lachen ist, auch die absolute Wortlosigkeit am Anfang der Begegnung. Es ist aber auch das Lachen, das als Ausdruck einer Distanz zwischen Wort und Ding, zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem, im Lachenden genau die Macht zerstört, die dem Waldschrat noch eigen ist: die Beherrschung der Tiere durch Wort und Tat, mit zunge und hant (Iw.506). Der Waldschrat hat eine Macht über die Tiere, wie sie Adam von Gott gegeben ward, indem er sie im Namen bannen durfte, um über sie zu herrschen.35 Für ihn ist das Wort Machtmittel und nicht Kommunikationsmittel im Sinne eines Informationsträgers.36 War es das Schweigen des Waldschrats, das Kalogrenant an dessen Menschsein zweifeln ließ, ist es sein Reden, durch das er ihn schließlich als Herrn der Tiere, als Mensch, erkennt und anerkennt. So weicht die anfängliche Unsicherheit, wie er dieses ungestalte Wesen in seine Ordnung bringen kann, der Sicherheit, dieses als herre ansprechen zu können, wobei er die Selbstbezeichnung des Waldschrats als meister unde herre (Iw.495) der Tiere in eine höfische Anrede verwandelt, die ihm eine vertraute Kommunikationssituation schafft. Darin kann er sich auch dem Schutz des Wilden unterstellen (Iw.514–515).37 Dass diesem Waldschrat der Begriff der âventiure fremd ist, ist nicht erstaunlich. Denn in seiner kommunikationslosen Welt, in der das Wort Handlung ist in einem ganz direkten Sinn, wo Wort und Tat noch nicht getrennt sind, gibt es kein Erzählen im Sinne eines Repräsentie35 Gen 1,26–28 und 2,19–20. 36 Bei Chrétien fehlt diese adamitische Wortgewalt des Waldschrats. Dort ist es die rohe Brachialgewalt, die den Waldschrat die Tiere dominieren lässt (Chr.345– 355). 37 Vgl. zu dieser Begegnung auch Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 139 f. Er fokussiert auf die naturhafte Unhöfischheit des Waldschrats als einer fehlenden Interaktionsfähigkeit, in der das habitualisierte Reziprozitätsprinzip eines Grußes nicht greift und erst explizit gemacht werden muss.
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rens, gibt es keinen Ruhm, gibt es keine Erinnerung als Konstitution eines Individuums, sondern nur den gegenwärtigen Moment. So kann im Rahmen dieser direkten, eigentlich magischen Wirkung des Wortes, die âventiure als Handlung, die auf einen Nachruhm (prîs) hin angelegt ist, nicht verstanden werden. Für den Waldschrat reduziert sich die âventiure-Suche auf das Streben nach ungemache (Iw.545), hört sie da auf, wo der Ruhm, das eigentliche Ziel des Artusritters, anfangen würde. Die Versprachlichung der âventiure, die ihr im höfischen Kontext erst den Sinn gibt, die Wiederholung in der Erzählung, kennt er nicht.38 Konsequenterweise lässt Hartmann denn auch die vorwegnehmende Schilderung der Wirkung des Brunnens weg, die Chrétiens vilain macht (Chr.395–407). Hartmanns Waldschrat verweist lediglich auf das eigene Sehen des Ritters: so gesihestû wol in kurzer vrist / selbe waz diu rede ist (du wirst innert Kürze selber sehen, wovon ich rede, Iw.563 f.). Das ist nicht nur eine erzähltechnisch geschickte Veränderung, indem so die Spannung gewahrt bleibt, sondern ist die Konsequenz der Fiktionalitätsleere der Waldschratwelt. Die Sprache des Waldschrats ist die Sprache Adams, die bezeichnet, Namen gibt und dadurch beherrscht, nicht aber erzählt und darin vorstellt, Nebenwelten schafft, die sichtbare Welt erweitert und die Gegenwart in Vergangenheit und Zukunft hin aufbricht. Der Waldschrat benennt, er bezeichnet nicht. Auch sein Hinweis auf die Brunnensituation ist weniger Erzählung als Ortsbeschreibung, Namengebung, ohne diese Namen aber als bedeutende Zeichen zu setzen.39 Die einzigen Wörter, die aus seiner konkreten Sprache herausfallen, sind: vrum (Iw.559), reht (Iw.556,565), guot heil (Iw.596) und unêre (Iw.558), respektive êren (Iw.597). Es sind auch die Wörter, in denen immer wieder eine Deutung des Brunnengeschehens gesucht wurde, da es die einzigen sind, die sich als abstrakte Begriffe anbieten. Versucht man das Brunnengeschehen aber – im Zusammenhang der signifikationslosen Rede des Waldschrats – aus einer Zeichenhaftigkeit zu lösen, ergibt sich eine Lesart, die das Brunnenabenteuer in der Schilderung des Waldschrats auf das reine Geschehen reduziert: êre/unêre sind dann nichts mehr als Sieg und Niederlage, ohne Verweis auf ritterlichen prîs oder höfische Ehre im Sinne eines Nachruhms und einer
38 Wandhoff schreibt: »bloßer Kampf führt solange nicht zum Gewinn von êre, wie er nicht in öffentliche Information umgewandelt wird.« ›âventiure‹ als Nachricht für Augen und Ohren (1994), S. 19. 39 Diese Hinweise als »maliziöse Andeutungen« zu verstehen, wie Wolf, scheint mir schwierig: Erzählkunst und verborgener Schriftsinn (1971), S. 21.
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gesellschaftlichen Stellung. vrum meint entsprechend weniger eine Qualitas im Tugendsinn, weniger eine innere Eigenschaft, als die äußerlich wahrnehmbare Stärke dessen, der im Kampf gewonnen hat. guot heil schließlich ist kein soteriologischer Begriff, tut nicht einen Religionshorizont auf, sondern ist in einem naiven Sinn als Glück, als nicht berechenbarer Erfolg zu lesen. Das reht des Brunnens aber, schwierig und vielbesprochen, reduziert sich in dieser nicht bezeichnenden Waldschratsprache auf das Gesetz, das im Brunnen wirkt, eine Art »Naturgesetz«, das lediglich ausgelöst werden kann durch die Handlung des Ritters. Die Frage nach Recht und Unrecht im juristischen oder gar religiösen Sinn stellt sich so nicht, kann sich im Reden des Waldschrats auch gar nicht stellen. Denn dieses Brunnenrecht ist jenseits von Gut und Böse, ein Prozess, der ausgelöst werden kann durch eine bestimmte Handlung, ohne aber, dass dadurch eine Wertung dieses Prozesses oder auch der diesen auslösenden Handlung mitgemeint wäre. Die Rede des Waldschrats enthält keine Deutungen, auch keine Zeichen, sondern allein Dinge.40 Wenn der Waldschrat seine Auskunft begrenzt durch den Hinweis, dass diese âventiure nur bestanden, nicht erfragt werden könne (wil dû den lîp wâgen, / sone darftû niht mê vrâgen, Iw.551 f.), ist das Hinweis auf die Unerfahrbarkeit der Welt durch das Wort. Das Wagnis kann nicht mitgeteilt werden, kann nicht Antwort auf Frage sein, sondern nur Erfahrung. Kalogrenant wird so in gewisser Weise wortlos, ohne Wissensvorgabe zum Brunnen geschickt, in eine Situation, die so unbekannt wie irreal ist. Denn der Brunnen, weder durch Zeit noch durch klimatische Veränderungen berührt, aus Ort und Zeit gehoben, ist nicht nur der arturischen Welt fremd, sondern präsentiert sich auch als deutliches Gegenbild zu der lärmigen und dissonanten Umgebung des Waldschrats. Entsetzt sich Kalogrenant beim Anblick dieser Welt, ist sie ihm ein swære ougenweide (Iw.404), findet er beim Brunnen eine Schönheit und Harmonie, die jeden tôtriuwesære (Iw.610), jeden Melancholiker, geheilt hätte. Ist das Gelände des Waldschrats vom Gebrüll der kämpfenden Tiere erfüllt (Iw.409–11), singen die Vögel beim Brunnen in der vollkommensten Harmonie und in der totalen Polyphonie (Iw.616–19), die sich in der Stille des Waldes noch verdoppelt. Waren
40 Vielleicht kann hier von Anklängen an ein nominalistisches Sprachverständnis gesprochen werden? Beckmann, »Nominalismus« (1993), zum frühscholastischen Nominalismus v. a. Sp. 1223 f.; Hoffmann, »Nominalismus« I (1984), zum frühscholastischen Nominalismus v. a. Sp. 876–79.
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aber beim Waldschrat die Disharmonie und der Kampf durch die Anwesenheit des wilden Menschen gebändigt, wurde diese Gefahr in seiner Macht gebrochen, ist dieser paradiesische Frieden gezeichnet durch die Abwesenheit des Menschen. Hat sich gegenüber dem Waldschrat die Möglichkeit einer Kommunikation geboten, auch wenn nicht im höfischen Sinn, so ist hier, in dieser absoluten Sprachlosigkeit, jedes Wort unnütz. Es ist ein Ort vollkommener Kommunikationslosigkeit; aber auch ein Ort der Bewegungslosigkeit, der durch die Ankunft des Ritters gestört wird. Seine âventiure-Suche zwingt ihn, diese Ruhe zu zerstören, verlangt von ihm, die Versuchung des Steins anzunehmen, das Experiment zu wagen. Ein Experiment, das ihn – im Gegensatz zu Chrétiens Calogrenant – in die vollkommene Ungewissheit führt, eine Art wortlose Frage. Die totale Zerstörung dieser in Harmonie erstarrten Welt, Folge seiner kleinen, versuchenden Tat, wird dann aber als Zerstörung des Waldes geschildert: die Bäume entlauben sich, werden geknickt, die Tiere fliehen oder sterben. Es ist nicht der Brunnen, der zerstört wird, sondern der ihn schützende Wald. Die Wiederkehr der Harmonie nach dieser chaotischen Zerstörung gibt Kalogrenant die Illusion einer Rettung und vor allem die Möglichkeit, für einen Augenblick dieses ander paradîse (Iw.687) zu genießen, ohne die Versuchung der Neugierde, ohne die Unruhe der âventiure-Suche, ohne Frage scheinbar ewige vreude ân ungemach (Iw.690) zu haben. In diese fraglose, auf die Ewigkeit hin gedachte und vollkommen ruhige Situation hinein nun kommt die Antwort auf die erste, versuchende Frage: in die Sprachlosigkeit des Brunnengeländes bricht mit riesigem Getöse der Ritter, der Herr des Waldes. Er klagt Kalogrenant an, seinen Wald grundlos zerstört zu haben, aus reiner hôchvart (Iw.715), eine Anklage, die keine Widerrede zulässt und keine Entschuldigung. Kalogrenants kläglicher Versuch, sich verbal aus der Affäre zu ziehen – von Hartmann neu dazugesetzt (Iw.731 f.) –, wird zurückgewiesen und die Auseinandersetzung auf eine wortlose Konfrontation im Kampf reduziert. Eine Wortlosigkeit, die Kalogrenant in seiner Erzählung der Begebenheit zum Schutz seiner Niederlage nutzt, indem er den Kampf zwischen zwei Zeilen fallen lässt, mit keinem Wort erwähnt: ich tjostierte wider in: / des vuort er mîn ors hin (ich kämpfte gegen ihn, deshalb nahm er mein Pferd mit, Iw.739 f.). In dieser wortlosen Konfrontation, wo die Rede nur dazu dient, den Kampf zu eröffnen, aber kein Wortwechsel stattfindet, wird Kalogrenant auf den Nullpunkt seiner Identität zurückgeführt. Nicht nur nimmt der Herr des Waldes ihn nicht als sprechendes Gegenüber wahr, sondern er würdigt ihn, nachdem er ihn sang- und klanglos vom Pferd 308
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geritten hat, nicht einmal eines Blickes. Weder in seiner verbalen, noch in seiner körperlichen Präsenz wird er wahrgenommen. Er existiert für sein Gegenüber nicht mehr. Auf dieses Nichts reduziert, seines Pferdes, schließlich auch seiner Rüstung beraubt, durch die Wortlosigkeit des Ritters und die Sprachlosigkeit des Waldes aus dem Dasein ausgeschnitten, sitzt Kalogrenant schließlich am Boden und weiß nicht mehr, was tun, außer dass er, wie niugerne er sonst auch ist (Iw.769), den Brunnen nie mehr begießen wird. Die Einkehr in sich selbst lässt ihn dann auf den Rat des Herzens hören (Iw.782), der ihn wieder aus dem Wald hinausweist. Da nun aber wird er am Ausgangspunkt dieser âventiure-Fahrt so aufgenommen wie vor dem Geschehen, als wäre nichts passiert, als gäbe es diesen Tag gar nicht (Iw.769 ff.). Und es gibt diesen Tag auch für die nächsten 10 Jahre nicht – die zehn Jahre, in denen er den Brunnen nicht wieder begießen wollte (Iw.676) –, bis Kalogrenant die Geschichte, durch die Königin gedrängt, einem tôren glîch (Iw.795), öffentlich preisgibt. Durch die Wiederholung im Wort aber begießt er den Stein wieder und realisiert so seine Niederlage neu. Denn anders als der Waldschrat erzählt er alles und holt das unvorstellbare Geschehen in die höfische Sprache und somit in die Präsenz herein.41 Dadurch wird aber auch die ort- und zeitlose Gegenwelt Teil der arturischen Welt, wird sie benannter Ort auf der arturischen Landkarte. Bis hin zum Brunnen ist dieser Wald nun ausgemessen und in die Sprache gebannt, die Wortlosigkeit von Waldschrat und Waldherr benannt und eingegrenzt, ja selbst die Frage, die über die Grenze des Brunnens weist – das Begießen des Steins – ist gestellt, sogar die Antwort gehört, auch wenn noch nicht verstanden. Aber durch die Erzählung Kalogrenants ist der Wald gelichtet und der höfischen Welt einverleibt, hat der fiktionslose Ort des Waldschrats seine Fiktion gefunden, ist dieser einzigartige, fremde man, der sich in seiner Andersartigkeit jedem Begriff des Menschen entzieht, in seiner zeichenlosen Individualität zum Zeichen geworden. Mit dem Erzählen Kalogrenants bindet sich dieser Wald mit seinen (w)ortlosen und zeitlosen Orten in eine ›historia‹ ein, deren Fiktionalität neue Realisierung 41 In diesem Zusammenhang, gerade im Vergleich mit dem Waldschrathinweis auf die âventiure, ist wohl auch die These von Wandhoff etwas zu relativieren, der im Erzählen v. a. die Thematisierung des Sehens als »Leerstelle, Mangel und Verheißung« sieht. »Die Erzählung informiert die Hofgesellschaft gewissermaßen akustisch über die Abwesenheit des Sichtbaren und veranlasst sie dadurch, sich selbst auf die Suche zu machen, um endlich das zu sehen, wovon sie bisher nur gehört hat.« Wandhoff, ›âventiure‹ als Nachricht für Augen und Ohren (1994), S. 16.
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fordert. So vollzieht Iwein seine eigene Fahrt zum Brunnen zuerst als rein fiktive Kopfreise (Iw.911–44), bevor er sie dann körperlich realisiert (Iw.945–1013). Ihm ist es dann gegeben, den letzten Rest des Waldes zu erobern, indem er den Herrn des Waldes, Askalon, besiegt. Folgerichtig wird Iwein nie ›Herr des Waldes‹ genannt wie Askalon (Iw.716,1001), sondern der verortete, der der höfischen Macht unterstellte Wald hat seine Territorialbedeutung verloren: Iwein ist der Herr des Brunnens (Iw.2545). Von der Sprache ereilt, verlieren diese (w)ortlosen Plätze auch ihre ursprüngliche Magie. So ist keines der Unwetter mit dem anfänglichen Unwetter bei Kalogrenant zu vergleichen, sondern die Wirkung nimmt jedes Mal ab. Der Konflikt zwischen Artuswelt und Brunnenwelt entschärft sich, sobald Iwein Askalon besiegt hat und somit der nächste Kampf beim Brunnen ein innerarturisches Kräftemessen ist, schließlich das letzte Unwetter zum Mittel der Versöhnung zwischen den Geschlechtern wird. Mit der ursprünglichen, wortlosen Magie hat das nichts mehr zu tun, so wie der Waldschrat, einmal in der Fiktion der Erzählung gefangen, zum exotischen Wegzeichen verkommt und schließlich, mit Iweins Sieg über Askalon, aus der geschauten Welt verschwindet.42 Herzeloydes Waldstaat Während die Welt des Waldschrats durch die andere Semantik und einen anderen Wortschatz in bezug auf die höfische Welt in gewissem Sinne wortlos ist, versucht Herzeloyde durch ihren Rückzug in den Wald und eine strenge Zensur, das Verbot gewisser Wörter, eine solche außerhöfische Welt zu errichten. Durch die Ritterwelt zutiefst verletzt, da sie ihren Mann im Kampf verloren hatte, flieht sie, die Königin dreier Länder, vor den Annehmlichkeiten der Welt in die Armut des Waldes. In der Trauer vermischen sich ihr Tag und Nacht (Parz.117,5), vernebelt sich ihr die Sonne (Parz.117,3), entfremdet sie sich selber (Parz.116,29), so dass ihr Rückzug in den öden Wald zum äußeren Ausdruck ihrer inneren Befindlichkeit wird. Hier, in der Wildnis, lässt sie ihre Leute ein Stück Wald roden und bebauen, um sich eine neue, ritterferne und somit scheinbar leidlose Welt zu schaffen. Unter Todesstrafe ist es verboten, von Rittern zu sprechen, um das Kind Parzival vor dieser Welt zu bewahren:
42 Als fester Ort, einverleibt, wird der Brunnen dann zum Topos, zum Ort der Erinnerung, an den Iwein zurückkehren kann, um sich und seine Vergangenheit wiederzufinden.
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ez wære man oder wîp, den gebôt si allen an den lîp, daz se immer ritters wurden lût. »wan friesche daz mîns herzen trût, welch ritters leben wære, daz wurde mir vil swære. nu habet iuch an der witze kraft, und helt in alle rîterschaft.« (Parz.117,21–28) (ob Mann oder Frau, sie verbot ihnen allen bei Todesstrafe, nie etwas von Rittern verlauten zu lassen: »Denn würde mein Herzliebling hören, wie das Ritterleben ist, würde mich das sehr bekümmern. Nun braucht euren Verstand und verheimlicht ihm alles, was mit Ritterschaft zu tun hat.«)
Parzival wächst so in einer streng zensurierten Welt auf, die sich aus der ritterlichen, höfischen Welt bewusst ausschneidet. Eine Welt, die, mitten in der höfischen Umgebung, nur durch den Wald geschützt, als Traum Herzeloydes, frei sein sollte von Leid und Schmerz. Eine Utopie, die an ihrer eigenen Harmonie scheitert. Denn der kleine Parzival, der sich selber Bogen und Pfeil gemacht hat, damit unbewusst und naiv im kindlichen Spiel, so gut es in dieser unhöfischen Welt geht, eine halbwegs ritterliche Tätigkeit übt, schießt auf Vögel, deren Gesang ihm gefällt. Verstummen sie jedoch dann getroffen, beginnt er zu weinen, nicht verstehend, was passiert. Es ist aber nicht nur nur der Tod der Vögel und ihr Verstummen, das ihn betrübt. Auch wenn er sich morgens im Bach badet, bewegt ihn der Gesang der Vögel so, dass er vor unaussprechlicher Sehnsucht zu weinen beginnt. Dieser wortlose, unerklärliche Jammer, ausgelöst durch die Harmonie des Vogelgezwitschers, eine Welt, die ihm verschlossen ist und doch seine Sehnsucht weckt (gelust Parz.118,28), beunruhigt Herzeloyde dermaßen, dass sie, hat sie einmal die Ursache dieser Trauer erkannt, Befehl gibt, alle Vögel zu töten – in ihrer Utopie einer leidlosen Welt darf es keine Sehnsucht geben. Doch die Vögel lassen sich nicht geschweigen; diese Stimmen sind nicht zu zensurieren. Die Frage des kleinen Parzival, was denn die Vögel getan hätten, dass man sie so bestraft, bringt Herzeloyde schließlich zur Besinnung, aber auch auf Gott zu sprechen (Parz.119,13–15). So ist es der Vogelsang, der Parzival zum ersten Mal Gott offenbart. Denn indem dieser Gesang Herzeloydes Zensur entgeht, weist er sie auf das, was jede menschliche Grenze überschreitet. Indem sie ihre eigene Begrenztheit erfährt und die utopische Welt ihrer Herrschaft entgleitet, muss sie auf das Gesetz zurückgreifen, in dessen Macht schließlich auch diese Gesetzesbegrenzung steht: Gott und, als Gegenpart, der 311
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Teufel. Dadurch aber ist Parzival ein Begriff gegeben für das, was über den Rahmen seiner Waldexistenz hinausreicht, was jenseits der Grenzen der Utopie seiner Mutter liegt. Begegnet er dann zufällig im Wald Rittern, kann er nicht anders, als sie als Teufel oder Gott erkennen, dringen sie doch von außen her in seine Welt, überschreiten sie eine Grenze und sind ihm bisher unbekannt. Dabei bereitet er sich, aufgrund des Lärms von beschlagenen Pferden und gerüsteten Rittern, zuerst zum Kampf vor, da er meint und hofft, dem Teufel zu begegnen, diesem Teufel, den die Mutter so sehr fürchtet, und den er in jugendlichem Übermut und letztlich naiver Selbsterkenntnis zu bestehen meint (Parz.120,17 ff.). Der Anblick der glänzenden Rüstungen dann aber lässt ihn anbetend niederknien, in der Annahme, dass solches Licht wohl nur von Gott ausgehen könne (Parz.120,27ff.). Wort für Wort muss er darauf von den Rittern aufgeklärt und Wort für Wort in die Vorstellung der Ritterwelt, damit in die Welt des Artus eingeführt werden, wobei die Wörter für ihn noch nichts bedeuten, aber seinen künftigen Weg vorschreiben: Ritter (Parz.123,4), Artus (Parz.123,7), Rittertitel (Parz.123,9), Rüstung und Schwert (Parz.123,21–124,14). Es ist die höfische Welt der Ritter, die hier mit einer schicksalhaften Gewalt in die zensurierte Utopie Herzeloydes eindringt, teuflisch und göttlich zugleich, die aber auch eine neue Sprache, neue Wörter bringt und damit die vom Wald geschützte (W)ortlosigkeit zerstört. Die von den Vögeln gebrochene Grenze, die sich auf Gott und den Teufel hin geöffnet hatte, hält der Ritterwelt nicht mehr stand. Über die Worte, die sie Parzival gelehrt haben, zerstören die Ritter Herzeloydes Utopie und füllen Parzivals wortlose Sehnsucht, die der Vogelsang in ihm als sprachloses Leid ausgelöst hatte. Die Minnegrotte Hat sich Herzeloyde selber aus der höfischen Welt zurückgezogen und in den Wald geschlossen, werden Tristan und Isolde durch Markes Befehl aus der höfischen Umgebung entfernt und finden unfreiwillig die Abgeschiedenheit und Weltferne der Minnegrotte im Wald. In einem resignativen Akt der Trennung will Marke den zwei Liebenden eine Angstfreiheit geben (Tr.16602), indem er sie aus seinem Machtbereich wegschickt (Tr.16608–10). Für sich erhofft er dadurch, dass er die Liebe der zwei nicht mehr sieht und hört, eine Befreiung von dem ständig präsenten Leid. Dahinter steht die naive Hoffnung, eine Realität ungeschehen machen zu können, indem man sie aus Aug und Ohr verbannt; denn wahr ist nur, was gesehen und gehört wird. Was sich als äußerliche Distanzierung der zwei Liebenden darstellt, ist aber 312
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in Wirklichkeit ein Weggehen Markes: er lässt die Liebenden unter sich und stiehlt sich davon: ich wil iuch zwei derbî lân, / ich eine wil dervone gân, / swie ich mich dervone gelœse (ich will euch zwei dabei lassen und will allein weggehen, wie immer ich mich auch davon löse, Tr.16613–15), sagt er und definiert so selber die Liebesgemeinschaft als eigentlichen Aufenthaltsort, während der Hof die Fremde ist. Während Marke nun aber wortreich die Trennung vollzieht, die zwei Liebenden vom Hof schickt, sich selber aus ihrer Liebesgemeinschaft verabschiedet, schweigen Tristan und Isolde und antworten mit keinem Wort auf seine Rede. Wortlos verneigen sie sich zum Abschied, wortlos fassen sie sich an den Händen und gehen von Marke weg (Tr.16625–34). Nur Brangäne und Kurvenal, als Mittler zwischen der Welt der Liebenden und dem Hof, werden in eine verbale Kommunikation einbezogen. Der Ort, an den sich die Liebenden zurückziehen, ist nicht nur durch Wald und Öde von Markes Welt getrennt, sondern ist auch in dem Sinn ein Nicht-Ort, als sie offiziell in Irland sind (Tr.16777–85).43 Und die Minnegrotte, von einer Leere des Schweigens und Verschweigens geschützt,44 ist selber ein Raum des Schweigens, so beredt ihre ganze Ausstattung ist.45 Die Sprache ist hier im Zeichen aufgehoben. Der Raum, in dem sich die Liebenden bewegen, ist Zeichen ihrer Minne, ist Zeichen ihrer Beziehung und ersetzt damit die verbale Kommunikation zwischen ihnen.46 In der Minnegrotte herrscht offenbarendes Schweigen. 43 Dass die Ausgestaltung dieser Szene sich bei Thomas und Gottfried ganz entscheidend von Béroul und Eilhart unterscheidet, indem dort die Liebenden auf ständiger Flucht, von einer Ruhelosigkeit par excellence getrieben, ein entbehrungsreiches Leben in der Wildnis führen, ist immer wieder unterstrichen worden. Dass diese Art der Grotte, wie sie von den Liebenden bei Gottfried gefunden wird, anklingt an die Orte des Übergangs in eine andere Welt, zeigt Kolb auf, weist aber auch auf die Unterschiede hin: »Der Minnen hus« (1962), S. 232 f. Zu der Waldszene bei Béroul und Eilhart siehe Stauffer, Der Wald (1959), S. 55–72. Vgl. auch: Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961) S. 351–353. Gruenter zeigt die bei Gottfried einzigartige Verknüpfung von Wildnis und ›locus amoenus‹ auf, u.a. S. 373 f. 44 Zum Schutzgürtel der Wildnis, die den »Lustort als magisch beschützten locus occultus« erscheinen lässt, siehe Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 370 ff. 45 Auf die spezifische Verborgenheit der gottfriedschen Grotte, deren Zugang kein »physisches, sondern ein psychologisches Problem stellt«, weist Gruenter hin. Das »wunnecliche tal« (1961), S. 366. Entsprechend wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Grotte gedichtet, ein Sprach- und Gedankengebäude ist. Vgl. Tr.16707, 16931. Siehe auch Kolb, »Der Minnen hus« (1962), S. 237. 46 Zur Grotte als Minnebild siehe Kolb, »Der Minnen hus« (1962), S. 230, 234–38. Zur Auflösung der Distanz, in der Begierde und Sehnsucht sind, vgl. Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 394.
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Und darin ist sie das genaue Gegenstück zum Hof Markes, der geprägt ist vom verhüllenden Reden, von list, âkust und arcwân.47 Das einzige sprachliche Zeichen in der Grotte ist die Inschrift auf dem Kristallbett (Tr.16720–28), die Deutung des ganzen Raumes, in die hinein sich die Liebenden legen, in der sich ihre Liebe vollzieht und in der jedes weitere Wort überflüssig wird. Denn die ganze Kommunikation ist in der Grotte verkörpert und vollzieht sich über die Körper der Liebenden.48 Durch die Vereinigung wird die Distanz aufgehoben, die sonst durch die Sprache überbrückt werden musste, durch das Innewohnen in der Liebe muss diese nicht mehr besprochen werden.49 Die Sprache ist hier so wenig nötig wie das Essen (Tr.16811–50).50 Und das, was die Liebenden ursprünglich zusammenführte, die Musik, das, was Tristan auch Marke vertraut machte, wird hier zum Körperspiel.51 Harfen und Singen brauchen kein Instrument mehr, kein Mittel, sondern sind in der Liebe instrumentalisiert (Tr.17204–28). Die Körper selber werden zur Musik, die keine Instrumente mehr braucht, sich zu verkörpern. Dabei wird in der steigernden Hinführung zu diesem Liebesspiel, wo über ›visus‹, dann ›colloquium‹ schließlich der ›tactus‹ erreicht wird, das ovidi-
47 âkust möchte ich nicht so ausschließlich auf die Begierde bezogen verstehen wie de Boor, sondern gerade im Zusammenhang mit list und arcwân mehr im Sinne von Falschheit. De Boor, Die Grundauffassung von Gottfrieds Tristan (1973), S. 56. Haferland schreibt: »Die Minnegrotte ist jener imaginäre Ort, der Korruptibilität und Falschheit ausschließt.« Und er verweist darauf, dass in dieser Minnegemeinschaft kein Ausdruck mehr nötig ist. Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 281 und 283. 48 So wird auch die Tatsache, dass »Gotfrid […] den actus der Grotte vorbehält« bedeutsamer, als nur »eine feine höfische Korrektur der bukolischen Situation«. Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 392. Ich kann Wandhoff nicht folgen, wenn er die Grottenszene gerade durch ihre akustische Dimension dem optisch bestimmten Hoffest entgegenstellt: »Während diese Veranstaltungen, […] ganz im Zeichen der wechselseitigen optischen Wahrnehmung der Festteilnehmer steht, dominiert in der Minnegrotte bald immer mehr das auditive Medium, die Kommunikation der Liebenden.« Der epische Blick (1996), S. 243 f. 49 In dem Kontext ist wohl auch die Wortlosigkeit Gottfrieds in bezug auf das reale Liebesgeschehen zu sehen. Vgl. auch Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 391. 50 Zum Topos der Nahrung, die im irdischen Paradies nicht mehr benötigt ist, siehe Kolb, »Der Minnen hus« (1962), S. 239 f. Den Begriff von de Boor aufnehmend kann man sagen, dass das Schweigen Teil dieser ›Minneaskese‹ ist. de Boor Die Grundauffassung von Gottfrieds Tristan (1973), S. 53. 51 Zur erotischen ludus-Metapher siehe Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 391 und Anm. 344.
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sche Schema aufgenommen.52 So ist das Schweigen der Minnegrotte Ausdruck einer vollkommensten Sprache.53 Entsprechend findet sich in der Naturumgebung die Ordnung der sprachgesetzten höfischen Welt wieder, doch wortlos und unverfälscht. In diesem natürlichen Hofstaat legitimiert sich gleichzeitig die höfische Exklave.54 Was hier aufgebaut ist, ist keine antihöfische Welt, sondern eine durch und durch höfisch gegliederte Ordnung, deren Sprachlosigkeit aber eine Wahrhaftigkeit garantiert und eine natürliche Ordnung suggeriert, die keiner Verfälschung ausgesetzt sein kann (Tr.16883–99).55 In der Welt der Minnegrotte herrscht kein anderes Gesetz als an Markes Hof, doch die Amtsträger sind sprachlos, damit aber auch zur Täuschung unfähig: si heten hof, si heten rât, dar an diu fröude elliu stât. ir stætez ingesinde daz was diu grüene linde, der schate und diu sunne, diu riviere unde der brunne, bluomen, gras, loup unde bluot, daz in den ougen sanfte tuot. ir dienest was der vogele schal: […] diz ingesinde diende zaller zît ir ôren unde ir sinne. ir hôchzît was diu minne, ir fröuden übergulde, diu brâhte in durch ir hulde
52 Vgl. Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 384. Er zitiert die erotische Steigerungslinie: visus, colloquium, tactus, osculum, actus. Die Darstellung Gottfrieds bezieht er auf die zwei ersten Stufen, liest dann aber die Musikszene nicht im erotisch allegorisierten Sinn, sondern als weitere Art der höfischen Unterhaltung. Dabei scheinen mir nicht zuletzt die erotisierte Spielmetaphorik mit Reizwörtern wie wunnenspil (Tr.17217), sowie diese Steigerungslinie im klassischen Modell auf die taktile Vergnügung dieser Musik hinzuweisen. 53 Wandhoff spricht dagegen von einer »auditiven Intimität der Minnegemeinschaft«. Der epische Blick (1996), S. 246. 54 Gruenter sieht in dieser Allegorisierung der Natur zum Hofstaat eine Gottfriedsche Zutat: Das »wunnecliche tal« (1961), S. 357. 55 Zur französischen Tradition dieses Vogelstaats im Minneparadies siehe Kolb, »Der Minnen hus« (1962), S. 241. Siehe auch Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 347 ff. Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Beschreibung des Hoffestes in Tintajel, dem die verhöfischte Szenerie nach- oder gegengebildet sei.
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des tages tûsent stunden Artûses tavelrunden und alle ir massenîe dar. (Tr.16883–905) (sie hatten einen Hof und eine Ausstattung, wie es für alle Freude nötig ist. Ihr treues Gefolge waren die grüne Linde, der Schatten und die Sonne, das Bächlein und die Quelle, Blumen, Gras, Blätter und Blüten, die den Augen gut tun. Ihre Dienerschaft war der Vogelsang […] Diese Diener dienten zu allen Zeiten ihren Ohren und Sinnen. Ihr Fest war die Liebe, die Vergoldung ihres Glücks, die ihnen, huldigend, tausendmal am Tag die Tafelrunde von Artus und deren ganzes Gefolge heranbrachte.)
Wenn die Liebenden die Sprache benützen, so nur als Mittel der Selbstbespiegelung, der Wieder-Holung ihrer selbst in der Vergegenwärtigung von Vergangenem. Das Hören auf vergangene Liebesgeschichten ist nicht anders als das Hören des Vogelsangs, des Wasserrauschens, des Plätscherns der Quelle (Tr.17157–69) eine akustische Inszenierung ihrer selbst. Ihr Bereden und Beklagen ist Selbstvergewisserung.56 Darin finden sie kurzewîle, ein Selbstgefühl, das sie nicht der Verlorenheit preisgibt, das sie begrenzt gegenüber der unbegrenzten Minnewelt, in der sie sich bewegen und deren Endlosigkeit zur langewîle drängt, auch wenn es den Begriff nicht gibt. Ihr Minnedasein wird so zum Wechselspiel zwischen Selbstvergewisserung und Selbstbespiegelung in der Erzählung und wortlosem Vergessen in der Grotte, dem Liebesspiel, in dem sich die Harmonie der Musik in den Körpern realisiert.57 Diese schweigende Liebeswelt58 hat nun auch ihren schweigenden Jagdhund, der so lautlos einer Fährte folgen soll, wie die Liebenden sich sprachlos vergnügen (Tr.17246–78). Dabei gilt es nicht nur die Sicherheit zu wahren, das Versteck geheim zu halten, sondern im Jagdgeschehen, der kurzewîle der Liebenden, spiegelt sich, als einem Minnebild, das wortlose Verhältnis der zwei Liebenden. Entsprechend laut dringt dann Markes Jagdgesellschaft in den Wald der Minnegrotte ein (Tr.17322–28).59 Und während die lautlose Jagd der Liebenden aus rei56 »Das Zuhören ist durch dreimaliges losen betont und zum ästhetischen Wert erhoben.« Gruenter, Das »wunnecliche tal« (1961), S. 349. 57 Anders Gruenter, der das Musizieren nicht allegorisch versteht. Das »wunnecliche tal« (1961), S. 350, 393. Ranke hingegen nennt es »ein tönendes Symbol der Liebesvereinigung«. Die Allegorie der Minnegrotte in Gottfrieds Tristan (1973), S. 6. 58 Gruenter spricht von der »Traumstille des Lustorts«. Das »wunnecliche tal« (1961), S. 360. 59 Zum Topos der Minnejagd, die still zu erfolgen hat, und in der sich der schlechte Jäger durch die lärmenden Hunde verrät, siehe Wallmann, Minnebedingtes Schweigen in Minnesang, Lied und Minnerede des 12. bis 16. Jahrhunderts
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nem Vergnügen passiert, zweck- und ziellos, niuwan durch die kurzen zît (Tr.17268), sucht Marke in der Jagd Ablenkung von seiner Trauer (Tr.17289). Ist die Jagd für die Liebenden direkter Ausdruck ihrer Befindlichkeit, Liebesspiel auch das (Tr.17275–78), versucht Marke durch die Jagd vor seinem inneren Zustand zu fliehen und sich durch sie darüber hinwegzutäuschen (Tr.17284–90).60 Es ist der Lärm, der Marke den Liebenden ankündigt und an dem sie ihn sofort erkennen. Marke irrt in den Wald hinein in der Hoffnung, seiner Trauer zu entfliehen, und wird da von einem wunderbaren, aber nicht zu erjagenden Hirsch schließlich zur Minnegrotte gelockt, zum Ursprung seiner Qual. Die Selbsttäuschung und Selbstflucht wird zum Weg der Wahrheitserkenntnis. Das, was er äußerlich von sich gewiesen hatte und innerlich geflohen ist, findet er jetzt wieder. Dabei ist er nicht der erste, der die Grotte findet, sondern sein Jägermeister kommt dem Hirsch auf die Spur, verwechselt die Fußspur der Liebenden mit der des Hirsches und entdeckt so die Grotte (Tr.17421–31). Der Hirsch, der den Jagdtross Markes verführte, entpuppt sich in der Spur, die er hinter sich lässt, als die Liebe. Sie ist es, die Marke wieder zu den Verstoßenen bringt, sie ist es, die er nicht erreichen kann.61 Der Jäger Marke bleibt erfolglos. Noch während die Jagdgesellschaft Markes durch die unwegsame Wildnis irrt in der Hoffnung, den Hirsch zu finden, treten die Liebenden in die Umgebung der Grotte hinaus und werden da von ihrem natürlichen Hofstaat begrüßt und damit als rechtmäßige Herrscher über diese Gegend gezeigt.62 Das Eindringen der Welt Markes in diese sprachlose, »natürliche« Hierarchie, bewirkt nun aber, dass Täuschung und List und Irreführung wieder eine Rolle spielen.63 Durch die drohende Gefahr wird das Schweigen der Minnegrotte zum ersten Mal durch ein Reden gebrochen: die Liebenden besprechen eine täu-
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(1985), S. 279 f. Zur Jagdallegorik siehe auch Ernst, Gottfried von Strassburg in komparatistischer Sicht (1976), S. 51–60. Die psychologische Motivierung dieser Jagd Markes, als Flucht vor dem Liebeskummer, findet sich nur bei Gottfried. Vgl. dazu Gruenter, Der »vremede hirz« (1955/56), S. 234. Vgl. Gruenter, Der »vremede hirz« (1955/56), S. 235–7, wo sich auch Hinweise auf das Motiv der Hirschjagd als erotische Allegorie finden. Siehe auch Stauffer, Der Wald (1959), S. 30 ff., sowie Anm. 60. Kolb weist darauf hin, dass nicht nur die Vögel gesinde der Liebenden sind, sondern diese auch gesinde der Vögel (Tr.17354–56). Herrscherin in dieser Welt ist die Liebe, deren gesinde sowohl Vögel wie Liebende sind. Kolb, »Der Minnen hus« (1962), S. 241, Anm. 87. So auch Gruenter, Der »vremede hirz« (1955/56), S. 232.
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schende List (Tr.17399–420). In der Begegnung mit dem Hof Markes wird die Grammatik und Semantik wieder zum Mittel der Täuschung, wird das gesprochene Wort wieder zum irreführenden kommunikativen Akt und ist nicht mehr reine Repräsentation und Spiegelung. Die List aber, die sich die Liebenden ausdenken, ist in dieser listlosen und täuschungsfreien Umgebung so fremd, dass sie den Jägermeister, der sie als erster entdeckt, zu Tode erschreckt und in die Flucht schlägt (Tr.17440–58). Nicht die Wunderbarkeit der Grotte, auch nicht die Anwesenheit der zwei Gestalten, von denen er zumindest bei Isolde nicht sicher ist, ob es sich nicht um eine Göttin handelt, ist es, was ihn erschreckt, sondern die Tatsache, dass zwischen diesen beiden in seltsamer Perversion ein blankes Schwert liegt. Es ist die Täuschung, die beängstigt in dieser falschlosen Umgebung. Das ist eteswaz von wilden dingen (etwas Unheimliches, Tr.17455), das er nicht versteht (Tr.17485). Marke hingegen, scheinbar auf der Flucht vor der Trauer, von der Liebe zum Anfang seiner Trauer verführt, erkennt die Diskrepanz zwischen der Umgebung und diesem falschen Zeichen dann nicht. Er will an das glauben, was er sieht, so wie er meinte, den Kummer zu besiegen, wenn er nicht mehr vor sich hat, was ihn auslöst. In absurder Verdrehung wird der Glaube an das Sichtbare zur Blindheit, herzelôse blintheit (herzlose Blindheit, Tr.17743). Eine Blindheit, ausgelöst durch geluste unde gelange (Lust und Begierde, Tr.17804), eine herzelôse minne. Eine Minne, die sich durch die Rhetorik täuschen lässt, deren Zweifel durch die Minne diu süenærinne (Minne die Versöhnerin, Tr.17540) mit einem einzigen Wort ausgeräumt werden kann: nein (Tr.17547). Und so ist es nicht der Augenschein, der ihn letztlich überzeugt, sondern das innere Überzeugungswort, mit dem er sich selber täuscht und das Geschaute färbt.64 Die Liebe, in der Grotte in vollkommener Sprachlosigkeit herrschend, ohne Falsch, mit der Wahrheit der sprachlosen Verständigung, wird in dem Moment, in dem sie sich mit der Welt Markes berührt, zur großen Täuscherin und Fälscherin, die zum Schutz ihres Schweigeraums einen Sprachwall aufrichtet.65 Wenn
64 Vgl. auch Gruenter, Das »guldine lougen« (1961), S. 12. 65 Dass die Minne Marke gegenüber als große Rhetorikerin auftritt, deren Schminke die Lüge ermöglicht, deren angemalte und aufgeputzte Schönheit die Täuschung und Verführung meint, zeigt Gruenter, Das »guldine lougen« (1961). Hier finden sich auch weitere Hinweise auf die Verbindung von Schminke, Lüge und Rhetorik. Vgl. auch Wessel, Probleme der Metaphorik und die Minnemetaphorik in Gottfrieds von Strassburg ›Tristan und Isolde‹ (1984), S. 300–303.
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Marke dann seine Jagd abbricht, damit die Grotte nicht von andern noch entdeckt würde, wird das Schweigen der Grotte zum Verschweigen der Grotte. Und die Wortlosigkeit der Liebe wird wieder zum Geschwätz der Täuschung; so wie der sprachlose Hofstaat der Liebenden sich wieder in den redenden und intrigierenden und täuschenden Hof Markes verwandelt. Munsalvæsche Die vielleicht umfassendste Waldutopie ist aber die Gralswelt selber. Munsalvaesche, das im Umkreis von 30 Meilen nur von ungenutztem Wald umgeben ist (Parz.225,19 f.; 250,17–251,4), ist ein Nicht-Ort par excellence. Er kann von niemandem, der ihn sucht, gefunden werden, sondern offenbart sich höchstens unwizzende (Parz.250,29), in tragischer Art wortlos. Der Waldgürtel um die Burg, von den Gralsrittern verteidigt, wird für jeden Unbefugten, der da eindringt, zum Todesstreifen (Parz.250,3–12). Dass Parzival sich während seiner Irrfahrt hauptsächlich in diesem Wald aufhält, ist damit Auszeichnung und Zeichen seiner Erwählung. Der Artushof hat keinen Zugang zu diesem Bereich (Parz.286,10–14). Die Artusritter meiden den Wald, dessen Wortlosigkeit ihrer eigenen Welt entgegensteht, während sich Parzivals Suche gerade in diesem Wald vollzieht. Aber auch er konnte, im Rahmen seiner höfisch-arturischen Erziehung, die Wortlosigkeit dieser Gegend nicht verstehen und nicht erlösen. Erst die »Erziehung« von Sigune und Trevrizent ließ ihn dann erkennen, was zu tun wäre. Es war seine Unwissenheit, dank der er das erste Mal zur Gralsburg fand, und es war der über seine tumpheit gelegte Film höfischer Erziehung, der ihn da scheitern ließ. Durch die punktuellen Erhellungen durch Sigune und Trevrizent, denen er als Lichtpunkte in der Wildnis, Kommentare im dunklen Text, im Wald begegnet, musste er über die Einsicht der Schuld wieder in die Unschuld zurückgeführt werden und musste die ›simplicitas cordis‹ wieder unter der höfischen Erziehung freigelegt werden. Die verpasste Frage Parzivals war ein falsches Schweigen, wie es nur in der höfischen Welt des Artus entstehen kann, in der ein Schweigen voller irreführender Gedanken sein kann. Parzival stellte die naive Frage nicht, weil er die tragische Wortlosigkeit des Grals, dieses zum Schweigen verdammte Leid, noch nicht verstand. Artuswelt und Gralswelt sind getrennt wie Wald und Feld. Während Parzival im Dickicht irrt, sucht Gawein seine âventiure im Rahmen der zivilisierten Welt von Burg und Feld. Seine Geschichte beginnt entsprechend damit, dass er aus dem Wald herauskommt (Parz.339,15–17), wird wieder aufgenommen, indem er einen Wald 319
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durchreitet, um sich am anderen Ende in Schampfanzun dem Zweikampf zu stellen (Parz.397,26–398,30) und kommt auf ihn zurück, indem er auf eine grüne Ebene hinaustritt (Parz.504,7f.). Parzival dagegen reitet in den Wald, wenn er in die Geschichte tritt. Als er von Gurnemanz weggeht, heißt es: kriuze unde stûden stric, dar zuo der wagenleisen bic sîne waltstrâzen meit: vil ungevertes er dô reit, dâ wênic wegerîches stuont. tal und berc wârn im unkuont (Parz.180,3–8) (Wegmarken und Heckenzäune sowie Spurrinnen mied seine Waldstrasse. Durch viel unwegsames Gelände ritt er, wo kein Wegerich stand. Tal und Berg waren ihm unbekannt.)
Parzival wird als Waldritter gezeigt, bevor er, frisch erzogen von Gurnemanz, zur belagerten Stadt Pelrapeir kommt, um Land und Frau zu gewinnen. Aber auch als er von da wieder aufbricht, reitet er wegund richtungslos durch die Wildnis, bis er auf die Gralsburg stößt (Parz.224,19–21), aus der er dann notgedrungen wieder in die Wildnis kommt (Parz.249,5 ff.). Auch wenn er später wieder ins Blickfeld tritt, sieht man ihn gerade auf einen Wald zureiten (Parz.435,2–5), in dem er dann Sigunes Klause findet. Und so trifft er auch, nachdem er sich heimlich von der arturischen hochzît weggestohlen hat, in einem großen Wald auf seinen Halbbruder Feirefiz (Parz.735,5–7). Doch wenn er zum Schluss dann mit seiner ganzen Familie als neuer Gralskönig in Munsalvaesche einzieht, ist der sonst dunkle und verwirrende Wald so erhellt, als würde er brennen (Parz.805,21). So treffen die zwei Welten, die Welt des Grals und die Welt von Artus, auch am Waldrand (Parz.282,9–11), einer so lichten Waldgegend, dass sie vom Lager des Artus aus einsichtbar ist (Parz.289,13f.), aufeinander. Parzival, durch drei Bluttropfen auf dem Neuschnee in eine contemplative Versenkung versetzt, bemerkt, taub und stumm, nichts von den Artusrittern, die seine Haltung als Provokation entziffern (Parz.284,1–3). Der stumme Parzival wird von den Rittern mit Rede herausgefordert – nach höfischer Sitte –, wobei Vorwand des Kampfes vor allem die Missachtung höfischer Zucht im Sinne einer Huldigung dem nahen König gegenüber ist (Parz.287,5–288,2). So muss auch Keie, als Verantwortlicher für die höfische zuht, eingreifen. Wie er beim ersten Auftritt Parzivals im Artuskreis schon das plötzliche Lachen 320
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Cunnewares und das überraschende Reden Antenors nicht vertrug, weil sie Zeichen einer Infragestellung des höfischen Gesetzes als des höchsten Maßstabes waren, so kann er die Wortlosigkeit Parzivals als Ausdruck einer Wahrnehmung, die einem anderen Gesetz untersteht, nicht verstehen. Versuchte er damals mit Schlägen, das unbotmäßige Lachen und Reden zu geschweigen, die die arturisch höfische Welt erschütterten, indem ein offensichtlicher Narr allen anderen ehrenwerten Rittern vorgezogen wurde (Parz.151,11–19), versucht er auch jetzt die höfischen Regeln gegen das Schweigen dieses Ritters zu schützen; er rennt ganz eigentlich gegen dieses für ihn in seiner Unverständlichkeit sowohl unhöfische wie bedrohliche Schweigen an. Seine Lanze hebt er gegen dieses Schweigen, und in faszinierender Verdichtung der Darstellung prallen Keies Lanze und Parzivals Schweigen im Innern eines einzigen Verses zusammen: den Wâleis twanc der minnen kraft swîgens. Keie sînen schaft ûf zôch und frumt im einen swanc anz houbet, daz der helm erklanc. (Parz.294,9–12) (den Waliser zwang die Liebe zu schweigen. Keie hob seine Lanze und führte einen solchen Schlag auf seinen Kopf, dass der Helm erklang.)
Die vollkommene Wortlosigkeit Parzivals steht in auffallendem Kontrast zu dem Geschrei der Artusritter, die sowohl vor wie nach dem Kampf mit Worten nicht sparen. Der einzige, der dem wortlosen Parzival begegnen kann und ihn schließlich ins Lager von Artus bringt, ist Gawein. Denn er kommt nicht mit dem Anspruch des Artushofes zu Parzival, dass sich dieser dem Hof unterwerfen solle, sondern erkennt im Schweigen des Fremden Eigenes. Da, wo sich das Minneschweigen Parzivals, seine contemplative Schau und sîn pensieren umben grâl / unt der küngîn glîchiu mâl (sein Nachdenken über den Gral und die der Königin gleichenden Zeichen, Parz.296,5 f.), mit dem zuhörenden und zuschauenden Schweigen der höchsten Hofzucht trifft, ist eine Begegnung möglich. Dabei wird die Wortlosigkeit, als Minne-Schweigen, zum Topos der Erinnerung, zu einem Ort, an dem sich Artuswelt und Gralswelt treffen: dô dâhte mîn hêr Gâwân ›waz op diu minne disen man
twinget als si mich dô twanc, und sîn getriulîch gedanc der minne muoz ir siges jehen?’ (Parz.301,21–25)
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(da dachte mein Herr Gawein: »Was, wenn es die Liebe ist, die diesen Mann so zwingt, wie sie mich damals zwang, und es seine treuen Gedanken sind, die von der Minne besiegt sind?«)
Am Rande des Waldes findet der Artushof den gesuchten roten Ritter. Aber es braucht Gawein, den heimlichen »Minnemystiker«, der in seiner zuht über die Artuswelt hinauswächst, dass das Schweigen der ›contemplatio‹ verstanden wird und Parzival schließlich erkannt und aus dem Wald herausgeführt werden kann an den Artushof. Voraussetzung und Bedingung von Parzival her ist aber die Zerstörung genau jener Macht, die bisher die Hierarchie bestimmte und die Ritter-êre verteidigte, die sich allein im Schein, im Wort realisierte: Erst als Parzival weiß, dass Keie mit gebrochenem Arm im Zelt liegt, dass Cunneware und Antenor gerächt sind, folgt er Gawein an den Hof. Parzivals Leben im Artuskreis ist aber nicht von langer Dauer. Von Cundrie verflucht, muss er zur Gralssuche aufbrechen, einer Suche, die mit dem Artushof nicht zu vereinbaren ist. Denn schließlich war es auch die höfische zuht des Gurnemanz, die ihn an der Erfüllung seiner Aufgabe hinderte, die ihm die Sprachregelung mitgab, die im Raum des Grals, im Wald von Munsalvaesche, nicht genügte (Parz.330,1ff.).
1.3 Der stumme Wald Unrecht und Sünde In seiner gestaltlosen Dunkelheit entspricht der Wald als Ort der Nacht als Zeit. Und ist die Nacht auch Ort der Anfechtung, Ort der bösen Mächte, Bild der Verlorenheit, im heilsgeschichtlichen Horizont dann Zeit der Sünde, schließt sich der Wald, als Ort der ungebändigten Kräfte, unkontrolliert und ungestalt mit der ›stummen‹ Nacht zusammen. Im Wald verliert der Mensch seinen Weg und sich selber – im Wald ist aber auch die zeugenlose Tat möglich, die stumme Sünde.66 Die Reise von Erec und Enite Reitet Erec mit Enite heimlich vom Hof weg, so brechen sie nicht nur in die Nacht auf, sondern der Weg führt sie auch in den Wald: nû wîste si der wec / in einen kreftigen walt (da führte sie der Weg in einen dichten 66 Vgl. auch Stauffer, Der Wald (1959), S. 144 f.
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Wald, Er.3113 f.). Und darin bleiben sie – wie in der Nacht – bis zu Erecs Kampf mit Guivreiz, der auf der Heide stattfindet und sich schon dadurch als ehrenvoller und ehrlicher Kampf von den Kämpfen gegen Räuber und Graf unterscheidet. Ein ehrlicher und gerechter Kampf, denn jeder von ihnen erlangt, des er got lange bat, / daz er im sande einen man / dâ er sich versuochte an (worum er Gott schon lange gebeten hatte, dass er ihm einen Mann sende, an dem er sich erproben könnte, Er.4401–3). Auch hier hat Hartmann – wie in bezug auf die Nacht – Chrétiens Vorlage verdeutlicht. Dort finden die Kämpfe mit den Räubern vor dem Wald (Chr.2796,2892) respektive in einem Tal statt (Chr.2925–27), und der Enide nachstellende Graf holt Erec am Waldrand ein (Chr.3544 f.). Bei Hartmann trifft Erec sowohl die Räuber (Er.3113–22; 3306 f.) als auch den Grafen im Wald (Er.4241). Dass bei Chrétien der schuldige Graf nach seiner Niederlage am Waldrand schließlich sein Unrecht einsieht und die Verfolgung Erecs durch seine Reue verhindert (Chr.3624–56), steht dann auch der stummen Schande von Graf und Gefolge bei Hartmann gegenüber, wo lediglich die feige Scham es nicht zu einer Verfolgung kommen lässt. Das Bewusstsein des schändlichen Unrechts verschließt dem Grafen und seinem Gefolge den Mund: alsô beleip ez ungeseit (so blieb es verschwiegen, Er.4243). Da wird der Wald zum Ort eines unehrlichen Kampfes, einer Schande, die entsprechend verschwiegen wird. Findet bei Chrétien der Graf wieder ins Wort, das ihn bis zu einem gewissen Grad entschuldigt, bleibt er bei Hartmann wortlos von einer Schweigemauer der schmählichen Scham umgeben, bestraft ohne Vergebung. Während bei Chrétien – am Waldrand – die böse Tat ins bereuende Wort findet, bleibt bei Hartmann – im Wald – das Böse stumm. Cadoc und die Riesen Muss Enite den »tauben« und »blinden« Erec am Anfang ihrer gemeinsamen Fahrt vor den Räubern und dem verfolgenden Grafen warnen, gibt ihm die Begegnung mit Guivreiz dann die Sinneswahrnehmung wieder, so dass er schließlich die klagende Stimme der Frau von Cadoc selber aus dem Wald hört (Er.5296). Er hört das Klagen und reagiert darauf mit Neugier und Hilfsbereitschaft, einer eigentümlichen Mischung von ›curiositas‹ und ›misericordia‹:67 67 Bei Chrétien ist die Hilfsbereitschaft Erecs betont (Chr.4313–23), ohne dass ein Aequivalent zu Hartmanns michel wunder in des nam / waz diu rede möhte sîn auch nur angetönt wäre.
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Als er daz rüefen vernam, michel wunder in des nam waz diu rede möhte sîn. dô was doch sîn manheit schîn. (Er.5302–4) (als er das Rufen hörte, nahm es ihn doch sehr Wunder, was da los ist. Da zeigte sich seine Tapferkeit.)
Er lässt Enite vor dem Wald warten und dringt ins Dickicht ein, mit dem einzigen Wegweiser der um Hilfe rufenden Stimme (Er.5312–16). Vom Hilferuf in den Wald gelockt, findet er eine Szene, die ihn zu Tränen rührt: eine klagende Frau, die sich nicht nur das Kopfgebinde aufgelöst, sondern sich auch so zerkratzt hat, dass sie, vollkommen blutüberströmt, zum Abbild ihres geschundenen und von ihr beklagten Freundes wird. Ein Anblick, der Erec zu Tränen rührt, was ihn als tugenthaft (Er.5338) charakterisiert. Und er stellt die Mitleidsfrage.68 Seit seinem Wegzug vom Hof, ja eigentlich seit seinem Aufbruch zur Verfolgung Iders, ist es das erste Mal, dass er durch ein fremdes Leid bewegt wird.69 Dieser Cadoc-Wald ist derselbe Wald, in den Erec mit Enite nach seinem verligen ritt, in dem er sich bis dahin aufgehalten hatte, in blinder und tauber Reaktion auf alle möglichen Gefahren, die ihm darin entstanden. Es ist der Wald, durch den er ziel- und weglos irrte, mit dem einzigen Wunsch, jeder Art von Ruhe zu entgehen. Und nun ist ihm in diesem Wald plötzlich eine bestimmte Richtung gegeben, ein Ziel und ein Weg: hin zum Leid des Andern. Es ist derselbe Wald, aber dass Erec jetzt darin die menschliche Stimme wahrnimmt, als Index einer im Wald verborgenen Ordnung, oder anders gesagt: als Hinweis auf einen im dunklen Text verborgenen Sinn, weist ihm einen Weg durch das Dickicht, durch das er vorher irrte. Deutlich wird diese Wendung in der streng parallelen Konstruktion der Cadocszene mit der Anfangsszene der Erniedrigung Erecs durch den Zwerg von Iders.70 Eine Parallelisierung, die Hartmann im Ver-
68 Bei Chrétien ist nicht die Rede von Erecs Mitleid, sondern seine Frage wird aus einem Wundern über die Situation heraus gestellt. 69 Iders verfolgt Erec weniger wegen der Schmähung der Jungfrau, als wegen der eigenen Schmach, die er durch den Peitschenschlag vor den Augen der Königin erlitten hat. Die Forschung ist sich denn darin auch einig – so verschieden die Szene im Ganzen des Romans gedeutet wird –, dass es sich hier um einen Wendepunkt handelt, der nicht nur durch das eigene Hören Erecs, sondern eben auch durch diese Mitleidsregung charakterisiert ist. 70 Dagegen kann ich einer Parallelisierung der Cadocszene mit den Räuberkämpfen nicht folgen. Vgl. dazu u. a. Fisher, Räuber, Riesen und die Stimme der Vernunft in Hartmanns und Chrétiens ›Erec‹ (1986).
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gleich zu Chrétien herausgearbeitet hat und in der sich – will man sich auf eine Strukturanalyse des Romans einlassen – die Zwischeneinkehr am Artushof als gedankliche Mitte des Romans zeigt. Nicht nur betont Hartmann hier das Motiv der ›curiositas‹ als Grund der Nachforschung (Er.5464, 5303) und knüpft dadurch an die Neugierde der Königin an (Er.14), die gern wissen wollte, was es mit dem seltsamen Trio um Iders auf sich hat, sondern die verbale Auseinandersetzung mit den Riesen, die Cadoc gefangen halten, verläuft zum Teil fast wörtlich gleich wie die mit Iders’ Zwerg.71 Beide verwahren sich gegen das Fragen, das für sie einer Torheit gleichkommt (Er.86–91, 5448 ff.) und beide verweisen Erec sein klaffen (Er.83, 5477). Sowohl der Zwerg wie die Riesen wehren sich also explizit gegen den sprachlichen Übergriff der Frage. Auch die Schmach, mit der Cadoc bedacht wird, entspricht der Schmach, die Erec erdulden musste. Und so wie jener, blôz sam ein hant (nackt wie eine Hand Er.5401), die Peitschenschläge über sich ergehen lassen muss, konnte sich Erec, blôz als ein wîp (nackt wie eine Frau, Er.103), nicht wehren.72 Tröstet aber Erec Cadoc durch schœnen list (Er.5664), indem er leicht übertreibend sagt, dass ihm schlimmere Schmach schon widerfahren sei, schließen sich die Szenen in der gemeinsamen Erfahrung zusammen. Die Zusätze Hartmanns in der Cadoc-Szene entpuppen sich als deutende Ergänzungen, die den Anfang aufnehmen und so das Mitleid Erecs der eigenen Leiderfahrung gegenüberstellen. Nicht die eigene Scham (wie in der Anfangsszene), sondern die fremde Scham treibt hier zum Handeln. Bei Chrétien schickt Erec den befreiten Cadoc dann zum König, um da genau zu erzählen, was ihm widerfahren ist und in der Öffentlichkeit des Hofes auch den ruhmvollen Namen Erecs zu erfahren, den dieser ihm im Wald verschweigt (Chr.4524–45). Hartmann aber lässt Erec seinen Namen schon im Wald sagen und Cadoc zur Königin schicken, um ihr alles zu erzählen (Er.5692–98). Denn es ist nur die Königin, die die Parallele zur Anfangsszene erkennen und entsprechend auch die andere Handlungsmotivation Erecs würdigen kann.
71 Schon Ruberg verweist auf die Ähnlichkeit dieser Dialoge. Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 195. 72 Wenn Ruberg meint, dass der Peitschenschlag des Zwergs am Anfang des »Erec« »nur noch vom Stoff mitgegebenes, überdeutliches Zeichen des Unvereinbaren« sei, wird er der Kompositionstechnik Hartmanns wohl nicht ganz gerecht. Ruberg, Beredtes Schweigen in lehrhafter und erzählender deutscher Literatur des Mittelalters (1978), S. 185.
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Der Wald, in dem Erec zum Mitleid findet, ist aber nicht nur der bisher weglose Wald von Erecs Schuldzeit, sondern auch der Aufenthalt der Riesen. Es ist auffallend, wie Erec diesen mit vollendeter Höflichkeit begegnet.73 Er fragt formvollendet nach dem Grund der Gefangennahme Cadocs – und trägt so die hövescheit in die Wildnis hinein. Indem er aber so die höfische Ordnung in der Mitte des Waldes zitiert, bricht die Kluft zwischen der Welt der Riesen und dem Hof ohrenfällig auf, die Sprachgrenze ist Machtgrenze. Denn die Verweigerung einer Antwort, die Ächtung der höflichen Frage als unbotmäßiger Übergriff, ist Weigerung, sich dem hier importierten Sprachsystem, als dem Ausdruck einer bestimmten Machtstruktur, zu unterwerfen. Die Riesen verneinen dieses System, das auch Strafe und Verbrechen einander zuordnet, das Schuld definiert und systematisiert, zwischen mordære und diep unterscheidet, und das selbst in der Strafe ein Gesetz kennt, dessen direktester Ausdruck aber die höfisch-höfliche Anrede Erecs ist (Er.5436 ff.). Ein System, das auch einen entsprechenden Gott zu seinem Schutz kennt: Erec besiegt die Riesen als ez der hövesche got gebôt (wie es der höfische Gott gebot, Er.5517). Die Welt der Riesen, der Wald, hat eine andere Ordnung, eine andere Sprache – und einen anderen Gott. Was vordergründig als Sieg Erecs über die Riesen und Mitleidstat des Helden erscheint, zeigt sich aber beim zweiten Blick nicht in erster Linie als Erecs Verdienst, sondern als das der Frau.74 Sagt bei Chrétien Erec ausdrücklich, dass er auf Bitte der Frau gehandelt habe (Chr.4502–5), setzt Hartmann diese Aussage in eine der faszinierendsten und wunderbarsten Szenenkompositionen um. Dabei zeigt sich einmal mehr seine Sensibilität in bezug auf den Umgang mit der Problematik sprachlicher Kommunikation. Wird bei Chrétien Cadoc Augenzeuge des Kampfes, dessen Ausgang ihn vor Freude weinen macht (Chr.4475–77), schiebt Hartmann hier die Passage ein, in der der nackte, gefesselte Cadoc von seinem Pferd willenlos in den Wald fortgetragen wird, dadurch den Ausgang des Kampfes nicht sieht und von Erec nachher gesucht werden muss. als Êrec den sige gewan, dô hâte den gevangen man daz ros in den walt getragen, daz ez niemen kunde gesagen wâ er im ze viendenne wart. (Er.5570–74) 73 Die Räuber besiegt er wortlos, in reiner Reaktion (Er.3221 f., 3385 ff.). 74 Zur Bedeutung der Stimme der Frau vgl. Sterba, The Question of Enite’s Transgression (1991), S. 62.
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(als Erec den Sieg errang, hatte das Pferd den gefangenen Mann in den Wald getragen, so dass keiner sagen konnte, wo man ihn finden konnte.)
Es geht nicht um die Augenzeugenschaft der Kampfeskraft Erecs, sondern um die Bezeugung seiner Mitleidsfähigkeit. Indem aber der sprachlose, gebundene und geschundene Cadoc in den Wald getragen wird, reduziert sich seine Präsenz schließlich auf die Blutspur, die er an den Zweigen hinterlässt. Ohne diese Leidensspur hätte Erec ihn im Dickicht nicht wiedergefunden: doch brâhte in daz ûf die vart: swâ er hin geriten was, dâ wâren boume unde gras von sînem lîbe gar worden harte bluotvar, swâ er ane ruorte dâ in daz ros hin vuorte, wan er was gebunden daz er ze deheinen stunden den boumen mohte entwîchen, er enmüeste sich dran strîchen. dô spürte in der guote allez an dem bluote verre unz daz er in vant. (Er.5575–88) (doch folgendes brachte ihn auf die Spur: wo immer er durchgeritten war, waren Bäume und Gras von seinem Körper blutig geworden, überall dort, wo er, wenn das Pferd ihn vorbeigetragen hatte, etwas berührt hatte. Denn da er gefesselt war, konnte er den Bäumen nicht ausweichen und musste an ihnen vorbeistreichen. Da ging ihm der Gute nach, der Blutspur folgend, weit, bis er ihn fand.)
Es ist nicht einmal mehr der nackte Körper des geschundenen Ritters, der Erec als Ziel seines Kampfes vor Augen steht, sondern nur noch die Spur des Leidens auf den Zweigen des dichten Waldes. Nur weil er dieser Spur folgt, findet Erec Cadoc wieder (Er.5586–88). Was sich bei Chrétien dann unter Männern abwickelt – mit dem schon erwähnten Hinweis auf die Bitte der Frau –, wird bei Hartmann zur Frauensache. Bei ihm wechseln Cadoc und Erec kein Wort. Erst als sie bei Cadocs Frau sind, kommt es zu einem Gespräch. Findet Erec den im Wald Verlorenen, löst er ihm die Fesseln von Händen und Füssen, gibt ihm dadurch die Bewegungsfreiheit wieder zurück und bringt ihn, den ellenden (Er.5591), zu seiner Frau – ohne dass auch nur ein Wort gesagt würde. Und kleidet Erec bei Chrétien Cadoc in die Rüstung, bevor er ihn der Frau zurückbringt (Chr.4478–80), bringt er ihn bei Hartmann 327
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explizit als er in hete vunden (wie er ihn gefunden hatte, Er.5595). Während also bei Chrétien Cadoc als wiederhergestellter Ritter, gerüstet und im Besitz seiner Sprache, seiner Frau zurückgebracht wird, erholt sich bei Hartmann der ellende mit unganzem lîbe (Er.5593) erst im Spiegel der Reaktion der Frau wieder und wird darin zum Geretteten mit lebendigem lîbe (Er.5614). In der metaphorischen Spiegelung ihres Leids, das sich so in Freude verwandelt, wie ein schwarz gefärbtes Glas75 durch Putzen neu hell wird (Er.5615–27), restauriert sich auch der geschundene Körper Cadocs. Entsprechend fasst sich das Geschehen schließlich in dem einen Vers zusammen: diu zwei gelieben wâren vrô (die zwei Geliebten waren glücklich, Er.5628). Erst da findet Cadoc auch wieder in die Sprache – anders als bei Chrétien, wo er sich sofort nach der Befreiung eloquent bei Erec bedankte. Und das Gespräch mit Erec – bei Chrétien ein Gespräch von Mann zu Mann – beginnt bei Hartmann in der vereinten Doppelung der Liebenden: si sprâchen (Er.5631). Erecs erste Mitleidstat ist bei Hartmann gezeichnet von Wortlosigkeit, von Verschweigen und Sprachlosigkeit. Dabei steht die Sprachverweigerung der Riesen als Gebärde der Macht in strengem Kontrast zu der Sprachlosigkeit des leidenden Cadoc, setzt sich aber auch die zeugenlose stumme Befreiungstat Erecs von seinem früheren prächtigen und lauten Sieg über Iders ab. Der Wald der Riesen ist gesetzloser Raum, in dem das höfische Wort von Erec geltungslos ist, solange es nicht durch einen Kampf verteidigt wurde. Cadoc aber, der in die Gewalt der Riesen gefallen ist, hat dadurch seine Sprache verloren (Er.5419). Die Rettung des auf die Blutspur, eine Art Leidensschrift im Dickicht des Waldes, reduzierten Cadoc, verlangt von Erec ein Verstehen, das sich durch richtige Lektüre beweist, eine Lektüre, dank der der verlorene Cadoc gefunden wird und wieder – über die Verbindung mit der Frau – in Körper, Kleidung und Sprache zurückfindet. In dieser Szene findet Erec die Möglichkeit, den Wald, in dem er bisher irrte, gangbar zu machen, ihn zu lichten und so einen Sinn zu entdecken. Dabei ist es das Leiden des Andern, das ihn den richtigen Weg weist – zuerst in der Stimme der Frau, dann in der Blutspur Cadocs. Im Rückgriff auf die Textmetaphorik des Waldes kann gesagt werden, dass es das Mitleid ist, das Erec lesen lehrt, das ihm den Weg weist durch den sprachverweigernden, -zerstörenden und schweigenden Wald zum verlorenen Sinn. 75 Man hat sich hier wohl ein von Russ geschwärztes Lichtgefäß vorzustellen, wie das schon Ruberg erwägt. Bildkoordinationen im ›Erec‹ Hartmanns von Aue (1973), S. 537.
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Gefährdete Zungen Im »Tristan« ist der Wald als Ort der Sprachtäuschung und des sündhaften Vergehens, als Ort, an dem die Zunge gefährdend und gefährdet ist, immer wieder topisch Teil von einzelnen Szenen. Anders als bei Hartmann und Wolfram hat die Situierung solcher Szenen im Wald aber mehr einen zitathaften Charakter, als dass sie sinnstiftendes Element wäre. Und der Wald ist bei Gottfried weniger Ort des Schweigens und der Sprachlosigkeit, als Ort der Sprachverwirrung, der Täuschung und Verheimlichung durch Sprache. Die Dunkelheit des Waldes ist da schon von der höfischen Sprache adaptiert, ist schon zum Mittel geworden, die höfischen Sprachregeln zu unterlaufen, innerhalb ihres Rahmens zu täuschen. Tristans Begegnung mit Morgan Die Begegnung von Morgan und Tristan ist bestimmt von einer unmuoze inszenierter Höflichkeit (Tr.5374) im von der höfischen Jagdgesellschaft gefüllten Wald. Doch die Begrüssung, höfschlîche nâch dem hovesite (höflich, nach der Sitte des Hofes, Tr.5358), bei der die äußere Form perfekt gewahrt wird – so wie Tristan und sein Gefolge ihre Rüstung sorgfältig versteckt haben unter unverfänglicher Kleidung –, kehrt sich ins Gegenteil im Moment, als Tristan seine Forderung und seine Identität kundtut. In strengem Kontrast zu den Empfangsfloskeln wird die fordernde und inhaltsvolle Rede Tristans als nutzloses Gerede (Tr.5392) abgetan, das genauso gut hätte verschwiegen werden können. Zum Beweis der Sinnlosigkeit dieser Reden beruft sich Morgan auf Gerüchte, auf maere (Tr.5402), die Tristan als uneheliches Kind darstellen. Dadurch aber wiederholt er seine Mordtat an Tristans Vater durch die sprachliche Verunglimpfung seiner Mutter (Tr.5429–33). Tristan stellt diesen Argumenten, die sich auf Gerüchte stützen, die Handlung seiner Vasallen entgegen, die Hand, die diese zwischen seine Hände gelegt haben und ihn dadurch als rechtmäßigen Herrn anerkannten (Tr.5435–5445). Und er schreibt den Wahrheitsbeweis und die Verteidigung seiner Ansprüche Morgan regelrecht auf den Leib (Tr.5446–48), indem er ihm den Schädel bis zur Zunge spaltet und ihn ins Herz sticht. Dadurch wird die Wahrheit da bewiesen, wo sie gefälscht wurde: in Wort und Sinn. Indem Morgan getötet wird, wird nicht nur der Vater gerächt und das Erbe zurückgeholt, sondern auch das verleumderische Gerücht zum Schweigen gebracht, das sich hinter der tadellosen Höfischheit Morgans verbarg.
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Brangänes Zunge Als Isolde, von eifersüchtigem Misstrauen gequält, Brangäne durch Mordknechte umbringen lassen will, schickt sie sie mit diesen in den Wald, um Heilkräuter zu suchen. Isolde, die das Sprechen Brangänes fürchtet und Angst hat, dass diese das Geheimnis ausplaudern könnte, will sie zum Schweigen bringen. Als Beweis der ausgeführten Tat soll man ihr deshalb die herausgeschnittene Zunge bringen. Doch Brangäne weiß wie keine andere um die Macht der Zunge. So wie sie Tristan vor der giftigen Drachenzunge rettete (Tr.9426), gelingt es ihr nun auch, sich selber vor der den Mordbefehl aussprechenden Zunge Isoldes zu retten. Mittel der Rettung ist ihre eigene Zunge, das eigene Reden. Dabei pervertiert sie die Vorstellung von Reden und Schweigen, die Isolde beherrscht und Grund des Misstrauens ihr gegenüber ist: Während Isolde meint, nur das Schweigen gewähre Sicherheit, zeigt Brangäne durch die rettende allegorische Rede zu den Mordknechten, dass es gerade das Sprechen ist, das sicher verschweigt. Ihre allegorischen Worte sind eigentliche Schweigezeichen. Als die Mordknechte Isolde dann Brangänes Rede übermitteln, versucht diese, zur Besinnung gebracht, ihre eigenen Worte ungeschehen zu machen, indem sie sie einfach negiert (Tr.12889ff.) und durch neue ersetzt; ein Vorgehen, das die Mordknechte zur Bemerkung veranlasst: iuwer zunge ist harte manicvalt (eure Zunge ist sehr vielfältig, Tr.12913). Demgegenüber steht Brangänes Rede, die in ihrem Verhüllungscharakter sich selber treu bleibt. Isolde versucht, die Verbindung von Wort und heimlicher Tat zu kappen, indem sie das Wort, das die Tat bewirken sollte, streicht. Brangäne aber knüpft den Bezug von heimlicher Tat und verhüllendem Wort nur noch enger und beweist damit ihre Reinheit (Tr.12855). Während sich Isolde in ihrer Angst von der verstummten Zunge Brangänes Heilung verspricht, ist es schließlich deren Rede, die sie heilt;76 keine Heilkräuter, nach denen Isolde Brangäne täuschend ausschickte, sondern die Sprache. Die Selbsttäuschung Isoldes wird nicht zuletzt darin ersichtlich, dass sie die falsche Zunge, die ihr die Mordknechte bringen, nicht als Hundezunge erkennt, sondern als Beweis der ausgeführten Tat nimmt. Das Vertrauen in das Beweisstück erweist sich so als trügerisch – und die Illusion eines erzwungenen Schweigens wird offenbar.77
76 Ein »Missverständnis«, das letztlich im Doppelsinn von ›zunge‹ – als ›Sprache‹ einerseits, als ›Zunge‹ anderseits – aufbricht. 77 Wenn Wenzel die Hundezunge zum »Medium der Erinnerung« stilisiert, kann ich ihm im Blick auf die von den Mordknechten übermittelte Rede Brangänes nicht folgen: Hören und Sehen. Schrift und Bild (1995), S. 391 f.
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1.4 Zusammenfassung Über die Assoziation mit Dunkelheit, Unordnung, Weglosigkeit, Formund Gestaltlosigkeit, verbindet sich der Wald in der bildhaften Vorstellung mit der unverständlichen Sprache, dem unverständlichen Text, einer unbekannten Welt, die sich der Sprache verweigert und entzieht, dem Schweigen. Was in der Schriftexegese feste Metaphorik für die dunklen Texte, in der Grammatik beliebtes Bild für den ungegliederten Text ist, ist im höfischen Roman nicht nur Rahmen für eine außerhöfische Welt, sondern auch Ort der Sprachlosigkeiten, Ort des Schweigens. Tritt der höfische Held in den Wald ein, verliert er entweder seine Sprache oder muss er sie in existenzieller Auseinandersetzung verteidigen. Der Waldrand ist nicht nur Grenze zwischen zwei Welten, sondern auch Sprachgrenze. Dabei ist die Sprachlosigkeit des Waldes unterschiedlich bedeutsam. Nicht nur manifestiert sich darin der Machtbereich einer anderen Gesellschaft – von Riesen, Zwergen, dem Waldschrat oder aber auch der Gralsgesellschaft – sondern es kann sich darin auch die Stummheit der Schuld zeigen, die das klärende Wort verloren hat. Erec reitet so nicht nur durch die Nacht, sondern auch durch den Wald. Und Parzival irrt nach der verpassten Frage durch den Wald von Munsalvæsche. Die Sprache des arturischen Hofes nützt ihm da nichts – der fremde Text bleibt unverständlich. Nur die Erklärungen und Kommentare von Trevrizent und Sigune können etwas Licht in dieses Dunkel bringen, eine gewisse Gliederung des Chaos erwirken. Auch Iwein sitzt in seinem Wahnsinn inmitten des Dickichts, ohne mehr zu wissen, wer und wo er ist. Jeden Orientierungspunkt hat er verloren, nicht einmal mehr Worte stehen ihm zur Verfügung. Und dieser vollkommene Selbstverlust, aus dem er erst durch magische Hilfe wieder herausfindet, endet am Waldrand. Hier stellt sich die Erinnerung wieder ein, – auch wenn zunächst als Traum verhüllt –, und reiht sich die sprachlose Zeitlosigkeit des Irrens wieder zu einer erzählbaren Zeit auf. Es ist undenkbar, dass diese Rückfindung und Rückführung in die Ordnung der Sprache inmitten des dunklen Waldes lokalisiert wäre. Anders als die sprachleeren Zustände einzelner Protagonisten mitten im Wald, haben die durch Wald von der Umwelt geschützten utopischen Orte einen eigenen Sprachkodex, der sich von der höfischen Grammatik absetzt. Herzeloydes Waldstaat ist nicht nur durch Wald, sondern auch durch ihr partielles Schweigegebot zensuriert; Munsalvæsche, umgeben von dichtem Wald, verschweigt seine Geschichte 331
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und sich selber der Welt außerhalb dieses sprachlosen magischen Rings; die Minnegrotte, außerhalb von Zeit und Ort, ist durch Wald geschützt vor Markes sprachzersetztem Hof. Es sind Utopien, die sich durch im Wald materialisiertes Schweigen schützen. So wie diese Fluchtwelten die Sprachlosigkeit des Waldes als Schutz brauchen für ihre eigene Sprache, hat der Wald aber durchaus auch seine eigenen Gesetze. Diese werden da sichtbar, wo die höfische Sprache, damit die höfische Macht, ungebrochen eindringt und es zum Konflikt kommt. Riesen, Zwerge und Waldschrat, die Bewohner des Waldes, sind nicht sprachlos, verweigern sich aber der höfischen Sprachnorm. Im Konflikt mit diesen Gestalten konkretisiert sich die bedrohliche Undurchsichtigkeit und Dunkelheit des Waldes, die scheinbare Weglosigkeit und Unverständlichkeit in einem direkten Gegenüber, das für den höfischen Helden zur Herausforderung wird, zur direkten Bedrohung seiner selbst als Vertreter der höfischen Weltordung, die es zu verteidigen gilt. So beginnen denn alle diese Konfrontationen als verbale Auseinandersetzungen, als Zusammenprall zweier Sprachsysteme. Und sie enden alle durch den Sieg der höfischen Erzählung, der âventiure, über das bisher nicht im höfischen Rahmen Erzählte, nicht in höfische Worte Gefasste. Es handelt sich letztlich um Sprachsiege. Der Wald im höfischen Roman ist somit aufs engste mit der Vorstellung des Ungeordneten und Dunklen verbunden, darüber aber ganz direktes Bild für das Unverständliche, die Sprachlosigkeit, das Schweigen. Wird in der Sprachtheorie für den unverständlichen oder ungegliederten Text erklärend das Bild des Waldes gebraucht, wird darin in nuce die Gedankenstruktur deutlich, die das Unverständliche zum Undurchdringlichen macht, das Sprachlose zum Dunklen, das Unartikulierte zum Formlosen; Sinnsuche ist ein Irren im Wald. Darin nun schließen sich die Waldszenen im höfischen Roman mit der Metaphorik der Sprachtheorie zusammen, wird die intellektuelle Angst dem unverständlichen, dunklen Text gegenüber zur existenziellen Angst im weglosen Wald. Dient der Wald in exegetischer und sprachtheoretischer Literatur topisch als erklärendes Bild für den konfusen oder nicht verständlichen Text, ist er in der Topographie der höfischen Erzählung Ort der Sprachlosigkeit, Ort des Schweigens.
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Der geschlossene Raum
2. Der geschlossene Raum
Pax est in cella, foris autem non nisi bella; Hic fit secura mens et devotio pura.78
Ist der Wald, Ort des Sprach- und Selbstverlustes, Bild des nicht in der Sprache fassbaren Chaos, ist der geschlossene Raum, als innerer Kern eines festgefügten, artifiziell gebauten Kosmos, Ort einer geordneten Ausgrenzung.79 Dabei wird die geschlossene Türe zum Zeichen eines kultivierten Rückzugs aus der Öffentlichkeit, damit aber auch aus der öffentlichen Sprache. Das nicht für die Öffentlichkeit gedachte Geschehen – sei dies das Liebesspiel, die ›contemplatio‹, das Gebet, die Trauer, aber auch die Erkenntnis – findet in den verschlossenen vier Wänden statt, sicher vor Aug und Ohr der Umwelt. Was hier passiert, ist verschwiegen, was hier vor sich geht, ist geheim, wer sich in die Kammer zurückzieht, nimmt nicht mehr am öffentlichen Gespräch teil.80 Hinter der geschlossenen Tür verkehrt sich aber auch die Welt; nicht in eine Gegenwelt, deren Struktur nichts mit der sie einschließenden Umwelt zu tun hat, nicht in eine Ordnungslosigkeit, sondern in eine von außen unsichtbare, unhörbare, unspürbare Welt, in deren Grenzen die gleichen Regeln gelten wie vor der Türe, das Wertsystem, in dem die Regeln spielen, aber ein anderes ist. Wenn Augustinus hinter den Türen seines Körpers81 die Welt wiederfindet, die andere draußen suchen, spiegelt er in dieser Metaphorik
78 Walther, Lateinische Sprichwörter und Sentenzen des Mittelalters (1969), Nr. 21035. »Friede ist in der Zelle, draußen nichts als Krieg; hier ist der Verstand sicher und die Andacht rein.« 79 Es geht also um den durch eine Türe, eine Wand, eine Abgrenzung gekennzeichneten Innenraum. Eine differenzierende Unterscheidung wie sie Brandt macht (›Einfache Nichtöffentlichkeit‹, ›Heimlichkeit‹, ›Privatheit‹, ›Vertrautheit‹), ist für diese auf den Raum gerichtete Fragestellung nicht sinnvoll. Brandts Kategorisierung, im Wesentlichen auf Adjektive und Adverbien gestützt, wird da problematisch, wo die semantische Vielschichtigkeit gerade dieser Wortarten in die Eindeutigkeit gezwungen wird; vgl. z.B. ›heimlich‹ und ›vertraut‹. Brandt, Enklaven – Exklaven (1993), S. 216 f. 80 Auch biblisch ist die Rede in der Kammer als nicht hörbare definiert. Vgl. 2.Kön 6,12; Luk 12,3. Zum informellen, geheimen politischen Gespräch im Mittelalter siehe Althoff, Colloquium familiare – Colloquium secretum – Colloquium publicum (1990). 81 Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), X,10,17 (S. 512).
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einer inneren Welt nicht nur die Wahrnehmung der Welt in sich hinein und bricht darin den Körper in die Welt hin auf, sondern es reflektiert sich darin auch die Umkehr der Wahrnehmung, auch Umkehr der Wertung, wie sie hinter jeder geschlossenen Türe passieren kann – sei dies die »Türe des Fleisches« (ianua carnis) oder die Türe der Kammer. So wie sich die äußere Welt im Raum des Gedächtnisses findet,82 verkehren sich die Sinne und verschließen sich vor der äußeren Welt, um sich in höchster Konzentration nach innen zu richten, bis der Mensch in diesem abgeschlossenen Innenraum schließlich sich selbst begegnet83 – wobei für Augustinus das eigentliche Ziel dieser inneren Konzentration Gott ist. Auch in dieser verinnerlichten Schöpfung gilt es, ihn zu finden: »Wo aber wohnst Du in meinem Gedächtnis, Herr, wo wohnst Du dort? Welche Kammer hast Du Dir bereitet? Welche heilige Zelle hast Du Dir erbaut?«84 Der Körper als Gebäude, in dessen Innerem sich Räume auftun, ist geläufige Metaphorik. Nicht nur in bezug auf das Gedächtnis wird von Hallen und Kammern und Schlafgemächern gesprochen, sondern auch die Seele hat ihr Haus, der Verstand hat seine Räume, der Herzraum gehört der Liebe.85 Es ist diese Metaphorik, die in der inneren Welt Ordnung schafft und sie so bewohnbar macht: es gibt da Häuser, Zellen, Unterkünfte.86 Dabei schieben sich in der exzessiven Architektur-
82 »Et eunt homines mirari alta montium et ingentes fluctus maris et latissimos lapsus fluminum et Oceani ambitum et gyros siderum, et relinquunt se ipsos nec mirantur, quod haec omnia cum dicerem, non ea videbam oculis, nec tamen dicerem, nisi montes et fluctus et flumina et sidera, quae vidi, et Oceanum, quem credidi, intus in memoria mea viderem spatiis tam ingentibus, quasi foris viderem.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), X,8,15 (S. 508). Vgl. ebd. X,17,26 (S. 526). 83 »Ibi enim mihi caelum et terra et mare praesto sunt cum omnibus, quae in eis sentire potui, praeter illa, quae oblitus sum. Ibi mihi et ipse occurro meque recolo, quid quando et ubi egerim quoque modo, cum agerem, affectus fuerim.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), X,8,14 (S. 506). 84 »Sed ubi manes in memoria mea, domine, ubi illic manes? Quale cubile fabricasti tibi? Quale sanctuarium aedificasti tibi?« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), X,25,36 (S. 544). 85 Siehe zur Tradition der Gedächtnisräume Carruthers, The Book of Memory (1994) und Assmann, Zur Metaphorik der Erinnerung (1993), S. 15; zur Tradition des Herzensraums siehe Ohly, Cor amantis non angustum (1977). Spr 20,27 heißt es: »Eine Leuchte des Herrn ist des Menschen Geist; er durchforscht alle Kammern des Innern.« 86 Gottes Sitz ist das Haus der Seele (domus animae), das durch die Einwohnung Gottes aber erst ihm entsprechend gebaut wird. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), I,5,6 (S. 18). Vgl. auch Eph 3,17.
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metaphorik die Wahrnehmung des äußeren Raumes und die Idee der inneren Räume übereinander. Schon in der frühesten asketischen und monastischen Literatur wird der Raum der Zelle, der geschlossene äußere Raum, in den sich der Eremit oder Mönch zurückzieht, in dem er sich vor der Welt verschließt, mit diesen inneren Räumen enggeschlossen. Der Rückzug aus der Welt ist nicht nur ein Rückzug aus dem öffentlichen Raum, sondern auch ein Rückzug in diese inneren Räume des Geistes und der Seele. So wie der Körper in der Zelle bleibt, soll auch der Geist in seinem Haus bleiben und sich nicht in ablenkenden Vorstellungen ergehen oder in müßigen Gedanken (cogitatio otiosa) umherschweifen.87 So lässt sich die Aufforderung zum kargen Sprachgebrauch darin begründen, dass der Mönch »nämlich nicht auf dem Markt, sondern in der Zelle wohnen« müsse.88 Die Zelle, der geschlossene Raum, ist Ort des Schweigens.89 Hinter verschlossener Türe sind die Türen des Körpers leichter zu verschließen. Und so wird der geschlossene Raum zum idealen Ort der Konzentration, des Verstehens, der intellektuellen Erkenntnis,90 dann auch der Begegnung mit Gott. Nicht nur im Sinne der ›visio‹, nicht nur in der gänzlich aus der Welt ausgeschnittenen ›unio mystica‹, wie sie für einen Herzschlag (modice toto ictu cordis)91 vielleicht möglich wird, sondern vor allem als Suche in der Sehnsucht der Lobgeste: »Ich möchte die da draußen ihrem Treiben überlassen, dass sie in den Staub blasen und sich Sand in die Augen wirbeln, ich möchte in meine Kam-
87 »Verum etiam ab omni superflua, otiosaque cogitatione custodiat«. Cassianus, De coenobiorum institutione, II ,xiv, PL 49, Sp. 105 88 »O monache, considera te redditurum rationem de omni verbo otioso, et tanto magis, quanto minus mundo es obligatus. Non enim in foro, sed in cella habitare debes.« Ps.-Augustinus, Sermones ad fratres in eremo commorantes, et quosdam alios, sermo III , De Silentio, PL 40, Sp. 1239. 89 Vgl. die Schloss- und Türmetaphorik zum Schweigen. Und Isidor definiert die Zelle: »Cella dicta quod nos occultat et celat.« Etymologiarum sive originum libri XX (1957), XV,iii,9. 90 »Janua, sunt intellectus divinae Scripturae, juxta illud: »Et mandavit nubibus desuper«, hoc est, summi verbi praeconibus. »Et januas coeli aperuit,« Dominus apostolis sensum, ut intelligerent Scripturas. Janua coeli omnes dicuntur, per quos alii ad coelestem beatitudinem ingrediuntur, quas nimirum Dominus tunc aperit, cum eos de secretis suis ad publicum exire facit. Vel januae coeli sunt, qui nobis sacram Scripturam aperiunt, quae tunc aperiuntur, cum ad nostram intelligentiam loquuntur.« Garnier de Rochefort (Ps.-Hrabanus Maurus), Allegoriae in universam sacram scripturam, PL 112, Sp. 965D-966A. 91 Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), IX ,10,24 (S. 464).
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mer gehen und Dir Liebeslieder singen«.92 In unvergleichlicher Art beginnt Anselm sein Proslogion:93 Wohlan, jetzt, Menschlein, entfliehe ein wenig deinen Beschäftigungen, verbirg dich ein Weilchen vor deinen lärmenden Gedanken. Wirf ab jetzt deine drückenden Sorgen und stelle zurück die mühevollen Geschäfte. Sei frei ein wenig für Gott und ruhe ein bisschen in ihm. ›Tritt ein in die Kammer‹ deines Herzens, halte fern alles außer Gott und was dir hilft, ihn zu suchen, und ›nach Schließung der Türe‹ suche ihn.
Der Rückzug in den geschlossenen Raum ist Rückzug aus der Welt und Rückzug aus dem Lärm – in die inneren Räume von (realem und geistigem) Haus.94 In der immer ausgeklügelteren Allegorese dieser inneren Welt, wie sie sich vor allem seit dem 12. Jahrhundert entwickelte,95 wird dann schließlich ein ganzes Gebäude, ja eine ganze architektonische Anlage in das Innere des Menschen hineingebaut, deren einzelne Räume verschiedenen Aufgaben zugeteilt sind. Dabei ist der intimste Raum, das Schlafgemach (thalamus), Ort der ›contemplatio‹, in der der Mensch in vollkommener Ruhe verharrt.96 Und so wie einer, der sich vom Bett er92 »et dimittam eos foris sufflantes in pulverem et excitantes terram in oculos suos et intrem in cubile meum et cantem tibi amatoria.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XII ,16,23 (S. 704). 93 Eia nunc, homuncio, / fuge paululum occupationes tuas, / absconde te modicum a tumultuosis cogitationibus tuis. / Abice nunc onerosas curas, et / postpone laboriosas distentiones tuas. / Vaca aliquantulum Deo, et / requiesce aliquantulum in eo. Intra in cubiculum mentis tuae, / exclude omnia praeter Deum et quae te iuvent ad quaerendum eum, et / clauso ostio quaere eum.« Anselm von Canterbury, Proslogion (1984), S. 74 f. 94 Brandt bringt verschiedene Beispiele einer »Intimisierung« aus dem weltlichen Bereich, eines Rückzugs aus dem Weltenlärm in die Sicherheit des geschlossenen Hauses. Ich denke, dass sich seine sicher richtige Folgerung, dass dies »keineswegs erst Produkt des Spätmittelalters und einer ›bürgerlichen‹ Kultur und Gesellschaft ist«, im Blick auf die hier betrachtete geistliche Innenraum-Reflexion stützen und wesentlich ergänzen lässt. Denn diese ganze ausgeprägte Metaphorik wäre ohne das Bewusstsein eines Bereichs der verschlossenen Innenräumlichkeit nicht denkbar. Brandt, Enklaven – Exklaven (1993), S. 258. 95 Vgl. Ohly, Cor amantis non angustum (1977), S. 129, 143. 96 »Lectulus est sanctum otium, ut in Cantico: »Lectulus noster floridus,« id est, internum otium in virtutibus floret. […] Lectulus quies interna, ut in Cantico: »In lectulo meo per noctem quaesivi quem desiderabat anima mea,« quod devota anima in praesentis vitae obscuritate in quiete sua Deum quaerit.« Garnier de
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hebt, zuerst ins Haus, dann in die Vorhalle (porticus), dann ins Gehöft geht, bevor er auf den Acker kommt, so kann man, nach Hugo von Folieto, von der ›contemplatio‹ des Himmlischen hinaus zur ›meditatio‹ der Heiligen Schriften gehen, von da zur Erinnerung der Sünden, von da zum Mitleid gegenüber dem Nächsten, um schließlich zur tätigen Hilfe zu kommen.97 Das Eintreten in ein Haus ist Rückzug in sich selbst, das Schlafgemach aber ist der Raum der größten Weltabgewandtheit und Einsamkeit.98 So sehr der äußerliche Rückzug nun aber diese in der Raummetaphorik beschriebene innere Verschließung befördert, so wird doch auch immer wieder darauf hingewiesen, dass sich die Metaphorik des geistigen Vorgangs nicht mit den realen Raumverhältnissen decken müsse. Denn so wie die nach innen gekehrten Sinne auch im Weltgewirre die innere Stille halten können, holen umgekehrt die müßigen Gedanken leicht die äußere Welt in die Kammer herein.99 Die Über-
Rochefort (Ps.-Hrabanus Maurus), Allegoriae in universam sacram scripturam, PL 112, Sp. 983D-984A. Vgl. auch Hugo von Folieto, De claustro animae, PL 176, Sp. 1101 f., »De dormitorio animae«. Da heißt es u.a.: »Potest mentis tranquillitas animae dormitorium per similitudinem nuncupari, in qua ponitur lectus conscientiae, substernitur fenum carnis, carpitur pacis somnus.« 97 »Potest et hoc per similitudinem demonstrari, cum aliquis egreditur de thalamo in domum, a domo in porticum, a porticu in vicum, a vico in agrum. Egreditur siquidem a contemplatione coelestium ad meditationem Scripturarum, quasi a thalamo in domum; a meditatione Scripturarum ad memoriam delictorum, quasi a domo in porticum; a memoria delictorum ad compassionem proximorum, quasi a porticu in vicum; a compassione proximorum ad agendam curam corum, quasi a vico in agrum.« Hugo von Folieto, De claustro animae, III , cap. vii, PL 176, Sp. 1095A-B. 98 »Dum autem renuntiat curiositatibus mundi, quietus dormit.« Hugo von Folieto, De claustro animae, III , cap. ix, Sp. 1103C. Wenn ich hier von ›Einsamkeit‹ spreche, meint das eine Ausgeschlossenheit aus der geselligen Öffentlichkeit, wobei klar ist, dass dieser Ausschluss nicht negativ zu verstehen ist. Negativ konnotierte Einsamkeit ist nicht mit dem Schlafgemach, sondern mit dem Kerker assoziiert – oder mit der Wildnis. Als genaues Gegenstück zum Wald ist diese innere Welt Ort der Selbstfindung. 99 Cassian mahnt die Mönche, wenn sie ihre Zelle verlassen müssen, diese sozusagen mit sich zu nehmen: »Quod ita explent foras egressi, ut nulla inter eos sermocinatio penitus conseratur: sed sic unusquisque opus exsequitur iniunctum, ut psalmum vel scripturam quamlibet memoriter recensendo non solum conspirationi noxiae vel consiliis pravis, sed ne otiosis quidem conloquiis ullam copiam vel tempus inpertiat, oris pariter et cordis officio in meditatione spiritali iugiter occupato.« De coenobiorum institutione, PL 49, II ,xv, Sp. 106A. Vgl. auch Kunz, Schweigen und Geist (1996), S. 640. Dieser Einschluss in die inneren Räume in der Öffentlichkeit – hier dann Gedächtnisräume – ist immer wieder auch irritierend Thema in der höfischen Literatur. Vgl. z. B. Iw.3082–95; Parz.296,1 ff.
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schwemmung der Wörter (inundatio verborum) und der Wirbelwind der Wörter (turbo verborum) bedrohen das Haus des Geistes (domus mentis) ständig.100 Deshalb müssen die inneren Räume geschützt werden: Der Innenraum, Ort der Ruhe, der Konzentration und der Selbsterkenntnis, in dem Verstand und Gott zuhause sind, in dem aber auch das Gedächtnis seine Hallen und Kammern hat, braucht den Schutz des Schweigens – wie der geschlossene Raum den Schutz der Türe. Wenn in der Allegorese von Hugo von Folieto die ›Arbeit‹ das Hinaustreten aus dem Schlafgemach verlangt, bis hin zur Tätigkeit im Freien und in der Gesellschaft, umgekehrt der geschlossene Raum, als Ort der Konzentration und ausschließenden Heimlichkeit (im modernen und mittelalterlichen Sinn) zum Ort des Verstehens, des Aneignens von Fremdem wird, müssen diese Türen aber geöffnet und geschlossen werden können, dass man Einlass gewähren und hinausgehen kann. So ist die Zelle, der geschlossene Raum, nicht nur idealer Ort der Konzentration, sondern auch Ort der Lektüre, durch die das fremde Wort in die eigenen Räume hereingebeten wird, in der aber auch im fremden Wort das eigene Verständnis gesucht wird. Das Verstehen ist ein Akt des Einlassens: die Aussagen klopfen an die Türen des Verstandes,101 die fremden Worte wollen ins Herz hinein. So sagt Augustinus: »Schwer hat mein Herz mit sich zu schaffen, Herr, wenn in der Drangsal hier meines Lebens die Worte Deiner Heiligen Schrift bei ihm um Einlass klopfen.«102 Und in der Suche nach dem Verständnis
100 Hugo von Folieto, De claustro animae, II , cap. xx. PL 176, Sp. 1073D-1074B. Vgl. zu dieser Metaphorik auch Casagrande und Vecchio, Le Metafore della Lingua (secoli XII e XIII ) (1985). 101 Bei Alanus heißt es in bezug auf ›ostium‹: »dicitur intellectus, unde in Propheta: Et per singula gazophylacia ostium in frontibus portrarum. Gazophylacia sunt corda doctorum quae scientiae divitias servant; frontes portarum sunt verba atque opera doctorum in quibus eos foris cognoscimus quales apud se intrinsecus vivant. Est autem ostium per singula gazophylacia in frontibus portarum, quia unusquisque doctor, in corde auditoribus intellectum aperit in dictis et operibus antiquorum Patrum.« Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, PL 210, Sp. 886C/D. Und Garnier de Rochefort (Ps.-Hrabanus Maurus) bringt die Ambivalenz der Türe, die sowohl einlassen wie ausschließen kann, in seinen Allegorien direkt nebeneinander: »Ostium, intelligentia verbi Dei, ut in Evangelio: ›Jam ostium clausum est,‹ id est, intelligentia verbi non patet. Ostium, ordo auditorum, ut in Apocalypsi: ›Ecce sto ad ostium et pulso,‹ id est cor, ut aperiatur, excito.« Allegoriae in universam sacram scripturam, PL 112, Sp. 1014C. 102 »Multa satagit cor meum, domine, in hac inopia vitae meae pulsatum verbis sanctae scripturae tuae«, Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XII ,1,1 (S. 674).
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der Schöpfungsgeschichte wünschte er sich, Moses stünde leibhaftig vor ihm, um zu erklären, was er genau meinte: »Und ich hinge leiblich hörend an den Worten, die seinem Munde entströmten; und spräche er hebräisch, so klopfte er vergebens an die Pforte meines Sinnes, und nichts davon erreichte meinen Geist; aber spräche er lateinisch, so wüsste ich, was er sagt.«103 Es wird geklopft und – bei richtigem Klopfen – aufgetan, wobei im Moment der Türöffnung nicht mehr klar ist, wer geklopft hat und wer einlässt: ist es der Leser oder Hörer, der an den Text klopft, ist es der Text, der an den Verstand klopft? Ist es der Text, der einlässt in seine Räume, ist es der Verstand, der den Text einlässt? »Und wenn die Armut menschlicher Einsicht gewöhnlich so üppig im Reden ist, so deshalb, weil das Suchen mehr Worte macht als das Finden und das Bitten länger währt als das Empfangen und die Hand mehr Arbeit mit dem Pochen hat als mit dem Nehmen.«104 Ist es die verwirrende und dichte Zeichenfülle des Textes, die ihn zum Wald werden lässt, dessen Chaos, das, was außerhalb des verstehenden Geistes zu liegen scheint, durch die Verstandesordnung zivilisiert werden muss, durch Wege und Lichtungen geordnet, so ist im Text als einem geschlossenen, verschlossenen Raum, der Leser derjenige, der als Fremder um Einlass bittet, Einlass in eine geordnete, gebaute und geschützte Welt des Sinns. Dabei kann der Erzähler als derjenige, der den Text erst wahrnehmbar macht, zum Pförtner werden. So heißt es bei Wolfram: Vil liute des hât verdrozzen, den diz mær was vor beslozzen: genuoge kundenz nie ervarn. nu wil ich daz niht langer sparn, ich tuonz iu kunt mit rehter sage, wande ich in dem munde trage das slôz dirre âventiure, (Parz.734,1–7)
103 »et praeberem aures corporis mei sonis erumpentibus ex ore eius, et si hebraea voce loqueretur, frustra pulsaret sensum meum nec inde mentem meam quicquam tangeret; si autem latine, scirem quid diceret.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XI ,3,5 (S. 608). Dass für Augustinus die Erkenntnis der Wahrheit schließlich im sprachlosen inneren Raum passiert, spielt hier jetzt keine Rolle. 104 »Et ideo plerumque in sermone copiosa est egestas humanae intellegentiae, quia plus loquitur inquisitio quam inventio et longior est petitio quam inpetratio et operosior est manus pulsans quam sumens.« Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones (1987), XII ,1,1 (S. 674).
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(Vielen Leuten passte es nicht, dass die Geschichte bisher unter Verschluss gehalten wurde, und viele konnten sie nie erfahren. Nun will ich sie nicht länger vorenthalten und erzähle sie mit richtigen Worten, denn ich habe im Mund das Schloss dieser Geschichte.)
Es ist aber auch eine Welt des Sinns, deren Ordnung sich im Kopf des Lesers findet, und in die hinein der noch nicht verstandene Text eingelassen werden, da einwohnen will. Es ist die Ambivalenz des Verstehens: ist es das Objekt, das in die Ordnung des Subjekts hereingeholt wird, ist es das Subjekt, das in die Ordnung des Objekts eindringt?105 Dass der Text, die Erzählung, die sprachliche Äußerung, um Einlass in Verstand oder Herz des Hörers und Lesers bittet, ist die Idee einer Einverleibung des Gehörten durch den Verstand. »Tuot ûf! […] ich wil inz herze hin zuo dir« (macht auf! […] ich will in dein Herz hinein) bittet frou Aventiure den Erzähler in Wolframs »Parzival« (Parz.433,1 f.).106 Im Herzraum des Lesers und Hörers trifft die Erzählung, auch der gelesene Text, dann aber mit dessen Geliebten zusammen, die sich da auch eingenistet hat. Verstehendes Lesen und Lieben fallen ineins, der Text und die Geliebte finden sich im selben Raum;107 einem Raum, der nur in wunderbarer Weise Platz bietet für diese das Herz eigentlich sprengenden Gäste. So erwidert der Erzähler das Klopfen der frou Aventiure mit dem Hinweis, dass der Raum zu eng sei (sô gert ir zengem rûme, Parz.433,3), aber staunt auch über die Tatsache, dass Orgeluse sich in Gawans Herz verbarg, sô grôz wîp in sô kleiner stat (eine so große Frau an so kleinem Platz, Parz.584,13).108 In dieser Tradition kann dann schließlich die Wahrheit im Text zur Prostituierten werden, die man sich in der Lektüre ins Bett der Erinnerung holt: »Die Wahrheit aber, die in Büchern steht, bietet sich in aller Öffentlichkeit dem Auge an – nicht vorübergehend, sondern für immer. Sie durchschreitet auf den gastlichen Wegen der Augen wie durch Vorhallen die Säle des gesunden Menschenverstandes und der Vorstellung, betritt die Kammer des Verstandes und sinkt ins Bett der Erinne-
105 Hier wird denn auch klar, dass eine einfache Trennung zwischen einer im »Geltungsraum der Kirche« stehenden Hermeneutik, in der »die eigentliche ›Bedeutung‹ dem Text hinzugefügt werden musste« und einer säkularen Hermeneutik, in der »der ›Sinn‹ aus dem Text herausgeholt werden« muss, nicht trifft. Assmann, Einleitung: Metamorphosen der Hermeneutik (1996), S. 12. 106 Siehe dazu auch Ohly, Cor amantis non angustum (1977), S. 149 ff. 107 Vgl. auch die bis ins Neuhochdeutsche gebliebene Bedeutung von ›erkennen‹ als ›beschlafen‹. 108 Vgl. auch: Iw.1631–40 / Tr.723–27; Tr.804–816.
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rung, wo sie die ewige Wahrheit des Geistes zeugt.«109 Auch wenn diese spielerische Blasphemie eines Büchernarren des späteren Mittelalters weit weg scheint von den spirituellen inneren Räumen, in die die heiligen Texte Einlass wollen, ist sie doch auch Ausdruck dieser strengen Metaphorik des Raumes in bezug auf Erkenntnis und Lektüre. Eine Metaphorik, die im geschlossenen Raum den intimen Liebesakt und das trauliche Zwiegespräch mit der stillen Lektüre verbindet, in der sich das Verborgene und Heimliche dem Öffentlichen gegenüberstellt, das Erkennen der Zerstreuung, der geschlossene Raum dem Markt, das Geschwätz dem Schweigen.
2.1 Der stille Raum Im Raumgefüge des Hofes gibt es die Nebenzimmer, abgegrenzt vom öffentlichen Lärm, abgegrenzt aber auch vom öffentlichen Anspruch einer regelkonformen Handlungs- und Verhaltensweise. Was im Rahmen des Hofes stören würde, hat hier seinen Platz, hinter der geschlossenen Türe, verborgen vor den Augen und Ohren des Hofes. Es sind die Orte der Trauer, der reuevollen Besinnung, dann auch Räume der Pflege wie das Krankenzimmer. Hier verwahrt sich das Geheimnis, und seine Wände sind doppelter Schutz: Schutz für den Hof vor der Ansteckung – durch Trauer und Trübsinn, durch Krankheit oder das Lautwerden eines die Ordnung gefährdenden Geheimnisses –, Schutz aber auch vor dem Anspruch der Öffentlichkeit für den Trauernden, den Kranken, ein Geheimnis.110 109 Richard de Bury, Philobiblon (1962), S. 288. Zur (halb-)säkularen Tradition der Sexualmetaphorik in bezug auf Lektüre und Schreiben siehe u.a. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter (1984), S. 320. 110 Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die Heimlichkeit im Sinne der Nichtöffentlichkeit, dessen, was, dem öffentlichen Auge entzogen, hinter verschlossener Türe passiert, negativ konnotiert sei, als Gegenwelt zur rechtmäßigen, gesetzlichen Ordnung. Vgl. z.B. Brandt, Enklaven – Exklaven (1993), S. 240. Eine Bewertung, die sich aus didaktischer, höfischer und v. a. auch Märendichtung herleitet, wobei die Belegstellen sich meistens auf Handlungen beziehen, die sich erst in der Öffentlichkeit legitimieren: Rechtsprechung, Politik, Kampf, legitime, d.h. von der Öffentlichkeit abgesegnete Liebe. Dass diese Handlungsbereiche, die konstituierender Teil der Repräsentation sind, dieser nicht entzogen werden dürfen, soll diese nicht gefährdet werden, ist verständlich. Es gibt aber daneben einen Bereich des Nichtöffentlichen, der in dieser Welt der geordneten Darstellung durchaus seinen legitimen Platz hat. Der zeitweilige Aus-
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Die Wände der Scham Dass die öffentliche Trauer als Störung, als Behelligung und Unanständigkeit empfunden wurde, sofern sie nicht in die Totenklage gebannt und darin zum Zeremoniell stilisiert war, wird immer wieder deutlich. Das eigene Leid soll den Fremden nicht betrüben und belasten (beswæren), in der Öffentlichkeit soll es verschwiegen werden und gehört nicht zum Gespräch in einem größeren Rahmen. So versucht die Familie von Gaweins Schwester ihre Sorgen und ihren Kummer vor Iwein versteckt zu halten, um den Gast nicht zu belästigen. Doch ist diese scheinbare Fröhlichkeit, trügevreude und listvreude, auf die Dauer nicht aufrechtzuhalten, so dass es doch zur Offenbarung kommt. Nur dadurch aber kann dann Iwein auch die entscheidende, die Handlung vorantreibende Frage stellen (Iw.4403–4434). Sobald die in höfischer Erziehung verinnerlichte Wand der Scham dem übermäßigen Kummer nicht mehr standhalten kann und von diesem durchbrochen wird, muss im schützenden Versteck die räumliche Wand an ihre Stelle treten. Deshalb zieht sich Gahmuret in ein kleines Zelt zurück (Parz.93,3), als er vom Tod seines Bruders und seiner Mutter hört und trotz der Ermahnung durch Hardiz, männliche Haltung zu wahren und sich im Leid zu mäßigen, von der Trauer überwältigt wird. Das durch die Stärke des Affekts nicht mehr mögliche Verschweigen des Leids muss durch den architektonischen Rahmen wieder ermöglicht werden.111 So wird auch Itonje, die in aller Öffentlichkeit ihre schluss des Einzelnen von der Öffentlichkeit ist weitgehend als Notwendigkeit und Selbstverständlichkeit akzeptiert, als legitimer – und von der Öffentlichkeit und der Gesellschaft geschützter – Rückzug in eine Abgeschiedenheit, in der der Einzelne für einen Augenblick sich dem Zwang des Daseins in der Gesellschaft entziehen kann. Vielleicht kann hier von einem Individualitätsbewusstsein gesprochen werden. Auch Brandt verweist auf »positiv bewertete Nichtöffentlichkeit« im Bereich der Liebe, der Freundschaft, oder des schützenden Ausklammerns. Seine Untersuchung, v. a. im Bereich der Liebe, stützt sich aber äußerst stark auf Schwank- und Märenliteratur; angesichts dessen, dass es sich dabei um eine oft karikierende und gerade im Geschlechterverhältnis von sehr hemdsärmeligen Interessen getragene Literatur handelt, sind diese Texte gefährliche Zeugen für ›Intimität‹, ›Privatheit‹, ›Vertrautheit‹ im Liebes-, resp. Eheverhältnis. Vgl. aber ebd. S. 253 ff., wo er Beispiele bringt für die geforderte Selbstliebe. Siehe auch den Aufsatz von Althoff, der die Bedeutung nichtöffentlicher Verhandlungen für politische öffentliche Verhandlungen und Entschlüsse zeigt: Colloquium familiare – Colloquium secretum – Colloquium publicum (1990). 111 Ähnlich diskret zieht sich Gawein zurück, als ihm vor Freude über den Aufzug von Artus die Tränen kommen (Parz.661,15 ff.). Bezeichnend ist, dass Arnive seine Regung falsch, als Kummer, interpretiert (Parz.662,4–7).
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Sorgen um den Kampf zwischen Geliebtem und Bruder nicht mehr verbergen kann, nicht nur von Mutter und Großmutter zurechtgewiesen, sondern aus dem öffentlichen Raum gerissen und in einem kleinen Zelt versteckt: dô brast ir jâmer durch die schem […] bêde ir muoter und ir ane die maget fuorten sunder dane in ein wênc gezelt sîdîn. Arnîve weiz ir disen pîn, si strâfte se umb ir missetât. (Parz.710,15–23) (da brach ihre Trauer durch die Scham […] Mutter und Großmutter führten da das Mädchen abseits in ein kleines, seidenes Zelt. Arnive verwies ihr dieses Klagen und tadelte sie für ihr Vergehen.)
Da dann erlaubt die Situation, dass das Geheimnis der Liebe zu Gramoflanz entdeckt werden kann: si verjach aldâ unverholn / daz si lange in hete vor verstoln (sie sagte da ganz offen, was sie lange verheimlicht hatte, Parz.710,25 f.). Im geschützten, abgeschlossenen Raum kann nicht nur die verheimlichte Trauer ausgelebt, sondern auch das verschwiegene Geheimnis mitgeteilt werden, ohne dass es öffentlich würde. Dabei geht es nicht darum, Trauern an sich zu verbieten, ist es doch als Zeichen von triuwe auch Kehrseite einer Tugend. Als deren Schatten aber gehört es nicht ins Licht, nicht in den öffentlichen Raum. Auffallend ist nun aber, dass die trauernde Frau, im Gegensatz zum trauernden Helden, in der Regel nicht alleingelassen wird. Die Wände haben da Löcher. Enites Trauer um Erec Enite, die um Erec klagt, wird von Oringles zuerst durch Boten, dann von ihm selber bedrängt, ihre Trauer und Abgeschiedenheit aufzugeben. In ihrer Trauer sitzt sie blind und taub da, hat im Gedenken (memoria) an Erec alle Sinne nach innen gewendet. Ihre Wortlosigkeit den ersten Boten gegenüber wird von Oringles nun aber in sein Gedankenkonstrukt hinein falsch interpretiert: er meint, sie wolle nur eine ehrenvollere, größere Abgesandtschaft und schickt deshalb noch mehr Herren (Er.6370). Erst als sie da immer noch in ihrem Trauerschweigen verharrt, geht er selber und nimmt sie bei der Hand (Er.6378–80). Es ist diese Berührung, die Enite die Sprache zurückgibt. In direkter Rede teilt sie Oringles mit, dass sie nicht mit ihm essen wolle, um darüber Erec zu vergessen (Er.6382–87). Sie will nicht aus dem Raum des Ge343
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denkens herausgerissen werden in öffentliche Präsenz. Für Oringles aber ist dieser von armuot und leid gezeichnete innerliche Raum Enites wertlos und deshalb im Vergessen zu zerstören. Enites Trauer ist für ihn gebærde, die ihr missezement (nicht gut stehen, Er.6397) und ein unbiderber strît (ein unziemliches Widerstehen, Er.6400). Damit bricht er mit den Wertmassstäben seines, die Öffentlichkeit seines Hofes konstituierenden Verhaltenskodexes in den Bereich des abgeschlossenen, nichtöffentlichen Trauerraums ein. Wenn er Enite schließlich gewaltsam an den Tisch zwingt, ist das die äußerliche Konsequenz dieser Missachtung und Vergewaltigung des Eigenraums der Trauer und der Frau. Im Vergleich zu Chrétien hat hier Hartmann entscheidend verändert, indem er die eben besprochene Raumgliederung einfügte und ausbaute sowie das damit zusammenhängende verbale Eindringen in Enites Trauerschweigen verdeutlichte.112 Ist es die öffentliche Trauer, die die Ordnung des Hofes und seine Freude stört und die deshalb verpönt ist, ist es die Trauer der Frau, die – auch hinter geschlossener Türe – die Ordnung des Mannes und seine Freude stört.113 Deshalb dringt Oringles in seinem Begehren gewaltsam in den geschützten Bereich der trauernden Frau ein und bricht diese Kammern auf seine Ordnung und seine Wünsche hin auf. Laudines Trauer um Askalon Auch Laudine wird in ihrer Trauer um Askalon nicht in Ruhe gelassen: das Männerauge beobachtet sie und bricht in den geschützten Trauerraum ein. Nicht nur wird die öffentliche Totenklage in Iweins – und des Erzählers – Auge zur Striptease, sondern Laudines Ohnmacht aus Schmerz über den Tod spiegelt sich in Iweins Selbstvergessenheit aus Begehren: von ir jâmers grimme sô viel sî dicke in unmaht: der liehte tac wart ir ein naht. sô sî wider ûf gesach und weder gehôrte noch ensprach, sone sparten ir die hende
112 Bei Chrétien spielt sich alles im selben Raum, wird in grotesker Inszenierung neben dem auf dem Tisch liegenden scheintoten Erec das Hochzeitsmahl serviert (Chr.4744–852). 113 Die Frauen in Orange werden von Gyburc dazu angehalten, trotz ihrer überstandenen Leiden den Männern nichts davon zu erzählen, um die Freude nicht zu stören (Wlh.247,11–23).
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daz hâr noch daz gebende. swâ ir der lîp blôzer schein, da ersach sî der her Îwein: dâ was ir hâr und ir lîch sô gar dem wunsche gelîch daz im ir minne verkêrten die sinne, daz er sîn selbes gar vergaz und daz vil kûme versaz sô sî sich roufte unde sluoc. (Iw.1324–39). (wegen der Heftigkeit ihrer Trauer fiel sie in Ohnmacht: der helle Tag wurde ihr zur Nacht. Als sie wieder erwachte und weder hörte noch sprach, schonten ihre Hände aber nicht das Haar und nicht das Haarband. Wo immer ihr nackter Leib sichtbar wurde, betrachtete sie Herr Iwein. Ihr Haar und ihr Leib waren so wunschgemäss, dass ihm die Liebe zu ihr den Kopf dermaßen verdrehte, dass er sich selber vergaß und kaum sitzen bleiben konnte, während sie sich raufte und schlug.)
Und als Iwein dann Zeuge der einsamen Totenklage Laudines nach dem öffentlichen Begräbnis wird, gibt ihm das Anlass zu einer Selbstanklage (Iw.1665–80), hinter der derselbe Gedanke steckt, der Oringles zu seinen Vorwürfen Enite gegenüber trieb: Einer so schönen Frau geziemt solche Trauer nicht (Iw.1660–64). Während aber Oringles die Anklage an Enite richtet, kehrt sie Iwein gegen sich, wobei sich darin nicht zuletzt eine sadomasochistische Erotik ausdrückt: Der gequälte Leib der klagenden Frau wird zum Stimulus für die Selbstanklage, in der der eigene Leib dieselben Qualen erfahren möchte.114 Anders als Oringles, ist Iwein jedoch selber Gefangener und kann so nicht körperlich in das Geschehen eingreifen – sein Übergriff ist im Blick sublimiert. Dadurch aber, dass er selber im geschlossenen Raum still sitzen muss (Iw.1498), überschneiden sich äußere und innere Gefangenschaft, ist das Machtverhältnis durchkreuzt. Die »Öffentlichkeit« ist die Ordnung von Laudines Hof; durch den Blick Iweins wird jedoch gerade diese
114 Bei Chrétien wird ausführlich Laudines Klagegestik beschrieben, ist aber kein Wort von Yvains Selbstbezichtigung zu lesen (Chr.1406–1506). Zur sadomasochistischen Sexualität bei Hartmann vgl. Margetts, Observations on the Representation of Female Attractiveness in the Works of Hartmann von Aue with Special Reference to »Der arme Heinrich« (1988). Vorsicht scheint mir aber doch geboten, wenn es dann in bezug auf den Autor, d. h. Hartmann, heißt: »a sexual problem seems to become apparent« (S. 207). Vgl. zu dieser Klage Laudines auch Küsters, Klagefiguren (1991), S. 63–66. Er spricht von einer »makabren Erotik« (S. 64).
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Ordnung gefährdet und in Frage gestellt. Über den Blick konstituiert sich ein anderes Machtverhältnis und schließlich eine andere Raumstruktur. Iwein, gefangen im Turm, hat – nachdem Lunete ihm das Fenster öffnete – einen freien Blick, während Laudine und mit ihr der ganze Hof, in bezug auf den durch den Zauberring unsichtbaren Iwein, gefesselte Augen haben. Und während Laudine meint, allein zu sein, wird sie beobachtet, während Iwein im ärgsten Getümmel in Unsichtbarkeit verschlossen ist – wie das Holz unter der Rinde (Iw.1208). Die Ordnung in dieser Augenwelt ist die Ordnung Iweins. In diesem Rahmen nun aber deutet sich der Turm, das äußerliche Gefängnis Iweins, zum Minnegefängnis um, in das ihn sein Blick auf Laudine eingesperrt hat (Iw.1705–22). Darin festgehalten, holt Iwein aber über das Auge Laudine, gegen ihren Willen und ohne ihr Wissen, in sein Herz herein (Iw.2348–55) und will sie – mit Hilfe der vrou Minne – zwingen, ihn in ihre innersten Räume einzulassen: und het ich ir leides mê getân, / sî müese ir zorn allen lân / und mich in ir herze legen (und auch wenn ich ihr noch mehr Leid zugefügt hätte, müsste sie ihren Zorn lassen und mich in ihr Herz legen, Iw.1635–37). Was von außen als Gefangenschaft Iweins in der Burg Laudines erscheint, sublimiert sich im Innern dieser Raumkomplexe schließlich zur Gefangenschaft Laudines im Blick und Herz Iweins. Hat Oringles Enite mit Brachialgewalt an den Tisch gezerrt, zwingt Iwein Laudine über seine Augen zu sich. Anders als bei Oringles, wo sich der Übergriff auch verbal vollzieht, Enite auch in die Sprache gezerrt wird, findet Iweins Eindringen in den Trauerraum Laudines – als Verletzung einer Grenze durch den Blick – in vollkommenem Schweigen statt. Laudine, allein am Grabe, sagt kein Wort, und Iwein ist in seinem dreifachen Gefängnis von Turm und Unsichtbarkeit und Minne zum Schweigen verdammt. Der Übergriff des Blickes kann weder taktil noch verbal ergänzt werden. Iwein leidet unter seinem aufgezwungenen Schweigen, in dem sich gerade im Moment der Nähe die scheinbar unüberbrückbare Distanz zeigt: er saz dâ und sach sî an unz an die wîle daz sî dan wider durch daz palas gie. ouwî wie kûme er daz verlie, dô er sî vür sich gân sach, daz er niht wider sî ensprach! dô muoserz doch durch vorhte lân. (Iw.1697–1703) (er saß da und sah sie an, bis sie wieder durch den Palas zurückging. O weh, er hielt es kaum aus, sie nicht anzusprechen, als er sie an sich vorbeigehen sah. Doch musste er es aus Furcht sein lassen.)
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Diese Welt des schweigenden Blicks, in der sich Iwein Laudine angeeignet hat, muss aber ins Wort aufgebrochen werden, denn sie braucht die verbalisierte Bestätigung, mit der dann auch an die Öffentlichkeit getreten werden kann. Die Schwierigkeit, aus diesen inneren, verschwiegenen Räumen, zusammengefügt durch verstohlene Blicke und täuschende Worte Lunetes, einen Ausgang zu finden in die Sprache, spiegelt sich in der Schwierigkeit, das Schweigen zu brechen, wenn Iwein schließlich zu Laudine kommt. Laudine ist in Schweigen erstarrt, so ist es Iwein: dô er kam gegangen, weder si ensprach noch enneic. dô sî alsô stille sweic, daz begund im starke swâren, unde enweste wie gebâren, wan er saz verre hin dan und sach si bliuclichen an. (Iw.2248–54). (als er kam, sagte sie nichts und neigte sich nicht zum Gruß. Als sie so still schwieg, betrübte ihn das sehr und er wusste nicht, wie sich benehmen, außer dass er sich weit entfernt von ihr hinsetzte und sie scheu anschaute.)
Während Iwein zuvor, in der Distanz, alle möglichen Gedanken in Laudine hineinzwängte und sie sich mit voyeuristisch frechem Blick aneignete, weiß er jetzt, vor ihr stehend, nicht, wie er ihr Schweigen deuten soll und sach sî bliuclichen an (Iw.2254). Wie zuvor braucht es Lunete als Sprachrohr, als Regisseurin für die Szene, um das Gespräch zu ermöglichen: Do si beidiu swigen, dô sprach diu maget (da sie beide schwiegen, sprach die Dienerin, Iw.2255). Kemenate und Klause Die Trauer am Hof, auch wenn sie nicht wie bei Enite und Laudine gestört ist, wird nach einer gewissen Zeit immer aufgebrochen. Sie hat ihren spezifischen, abgeschlossenen und geschützten Raum, hat aber auch ihre feste Zeit. Aufgabe des Hofes ist es, diese geschlossenen Türen (im eigentlichen und übertragenen Sinn) dann auch wieder zu öffnen, das Schweigen in ein Reden, die Stille in ein freudiges Lärmen zu verwandeln. So geht Artus mit Erec, Guivreiz und Gawein zu den achtzig trauernden Witwen, die Erec von Brandigan mitgebracht hatte, um sie aus ihrer Trauer herauszuholen und zu seiner Ehre ihre schwarzen Kleider in farbige zu verwandeln (Er.9953–62). Die einzige, die in ihrer trauernden Abgeschlossenheit ein Leben lang ungestört bleibt, ist Sigune. Dazu muss sie sich aber ganz vom Hof 347
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in die Wortlosigkeit des Waldes zurückziehen, um da als Klausnerin zur Trauer- und Minneheiligen zu werden: durch klage si muoz al eine sîn (wegen des Klagens musste sie alleine sein, Parz.435,30).
Verschlossene Türen Geheime Trauer aber, die sich unerkannt und vollkommen verschwiegen im Gefüge des Hofes versteckt, ist gefährlich und sündhaft. Hier bricht die Ambivalenz der verschwiegenen Klage auf. Denn wird sie aus Rücksicht auf die Öffentlichkeit verborgen, im Blick auf die eigene êre oder die von anderen, steckt in ihrer Verschwiegenheit doch auch die Gefahr ihrer Fortsetzung und Vergrößerung. Das Verschweigen mästet sie.115 Das Versteck der Tafel im »Gregorius« Wenn Gregorius sich täglich mit seiner Tafel, der Urkunde seiner sündhaften Abstammung, zurückzieht, um still und verschwiegen über sein Schicksal zu klagen, wird genau diese Heimlichkeit schließlich zum Verhängnis. Die tavel hâte er alle wege in sîner heimlîchen phlege verborgen ûf sîner veste, dâ die niemen weste, diu dâ bî im vunden was, an der er tägelichen las sîn sündeclîche sache den ougen zungemache, wie er geboren würde unt die süntlîche bürde sîner muoter und sînes vater. (Greg.2277–84) (Die Tafel hatte er immer in seiner heimlichen Obhut, verborgen in seiner Burg. Niemand wusste, dass sie da bei ihm war, an der er täglich, zum Leid der Augen, seine sündhafte Angelegenheit ablas, wie er geboren wurde und die Sündenlast seiner Mutter und seines Vaters.)
Die heimliche Klage, hinter verschlossener Tür in der Mitte der Burg, ist das wilde Tier, das, einmal freigelassen, den ganzen Hof zerstört. 115 Diese Ambivalenz des verschwiegenen Leids, das sich im Schweigen vergrößert, ist in verschiedenen Klosterregeln reflektiert, wenn die Mönche dazu angehalten werden, Geheimnisse ihrer Brüder – nicht gebeichtete Sünden oder stummes Leiden – dem Abt zu offenbaren. Vgl. auch oben, S. 175, Anm. 196.
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Auslöser der Katastrophe ist die Neugier einer Dienerin, die Gregorius heimlich beobachtet, ihm dann eines Tages in die Kammer folgt und da seinem Klagen zuschaut. Doch auch wenn sie alles sieht, erfährt sie den Grund der Trauer nicht. Dieser bleibt für die Analphabetin im Text der Tafel verschlossen. Sie sieht nur Zeichen, versteht deren Sinn aber nicht; so wie sie an den geröteten Augen von Gregorius erkannt hatte (Greg.2308), dass in der Kemenate eine Klage versteckt sein muss und aus seinen Gebärden geschlossen hatte, dass in der Tafel der Schlüssel der Trauer liegt (Greg.2386–94). Über die Zeichen aber kommt sie nicht hinaus. Deshalb kann sie ihre Herrin zwar auf diese verborgene Trauer in ihrer Burg hinweisen und ihr den Weg weisen, doch den letzten Schritt der Erkenntnis muss diese selber machen. In Abwesenheit von Gregorius dringt sie in das, durch Kemenatentür und Mauerloch (Greg.2459) doppelt verschlossene Geheimnis ein – und erkennt in der Tafel ihre neue alte Schuld. Dadurch, dass sie Kemenatentür und Geheimversteck öffnet, wird aber das darin gültige Wertesystem der Schuld und Reue und Busse in die Öffentlichkeit des Hofes entlassen. Damit konfrontiert, wird dessen offenbares Glück in seiner Scheinbarkeit entlarvt und die ganze strahlende Repräsentation verkehrt sich nach innen: sowohl die Mutter wie Gregorius versuchen in Reaktion darauf durch eine Negation alles Körperlichen ihre Präsenz in der Welt zu minimieren.116 Die Mutter auferlegt sich strengste Kasteiung (Greg.2707–35), und Gregorius flieht in die entlegenste Wildnis. Diese Raumstruktur, die das Geheimnis an einen verschlossenen Ort setzt, bis es von da zerstörend, nur dadurch letztlich aber auch heilend, in die Welt ausbricht, prägt den ganzen Gregoriusroman. Schon die Ziehmutter von Gregorius wurde im Zorn unfreiwillig Verräterin, indem sie dem draußen stehenden Knaben durch die Wand hindurch seine fremde, bisher verschwiegene Geburt offenbarte (Greg.1359ff.). Es ist die dünne Hüttenwand, die ihrem lauten Gezeter nicht standhält und schließlich das kostbar verwahrte Geheimnis aufdeckt. Folge davon ist, dass der Abt Gregorius in die Kemenate führen muss, wo die Tafel seiner sündhaften Herkunft aufbewahrt ist (Greg.1739–46). In beiden Fällen ist es das deutlich unhöfische Verhalten einer Dienerin, das die Entdeckung der Tafel initiiert und dadurch die Schuld offenbar macht. Ist es bei der Ziehmutter der Zorn, der sie zur unbedachten Äußerung treibt, ist es bei der Dienerin die Neugier, die sie zur heimlichen 116 Die Mutter wundert sich, dass sie die Erde überhaupt noch (er)trägt: mich wundert, nâch der missetât / die mir der lîp begangen hât, / daz mich diu erde ruochet tragen (Greg.2681–83).
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Beobachterin macht. Der provozierende Regelverstoß, aus einem nicht direkt höfischen Bereich kommend, wird so zum notwendigen Mittel der Selbsterkenntnis. Nur durch einen Verstoß gegen den Verhaltenskodex kann dessen schützende Hülle gebrochen werden und kann das Verschwiegene zum Vorschein kommen. Das Unhöfische wird zum Katalysator höfischer Selbsterkenntnis. Die Kammer im »Armen Heinrich« Als Heinrich dem Bauern sein Unglück erzählt, erinnert er sich jener Zeiten, als noch alles nach seinem Willen ging: hôch offen stuont mîn tor / nâch wertlîcher wünne (weit offen war mein Tor für weltliche Wonnen, A.H.386 f.). Ein Glück, das ihn Gott vernachlässigen ließ, bis sich dieser von ihm abwandte: dô des hôchmuotes den hôhen portenære verdrôz, die sælden porte er mir beslôz. dâ kum ich leider niemer in: daz verworhte mir mîn tumber sin (A.H.404–8). (als dieser Hochmut den hohen Pförtner verdross, verschloss er mir die Heilspforte. Da komme ich leider nicht mehr hinein. Das hat mir mein unverständiger Sinn verwirkt.)
Gott als Pförtner, der mit der sælden porte auch das Tor zu weltlichem Glück verschließt, was der Glückliche zu spät erkennt, ist topische Metaphorik, die nicht weiter aufregend scheint. Und Heinrich ist aus diesem Raum, der ihm Heilung geben könnte, ausgeschlossen. Ausgesetzt und aussätzig. Genau so steht er aber auch am Schluss dann vor der Kammer, in der sich das Mädchen für ihn opfern will. Doch da hört er durch die Wand hindurch das Wetzen des Messers, die Vorbereitung für die Tötung, und wird durch dieses Geräusch in das Geschehen drinnen hineingezogen. Dadurch wird er sich einerseits plötzlich der Konsequenz und Endgültigkeit des Vorgangs bewusst, erfährt anderseits aber auch, dass die verschlossene Kammer nicht ganz verschlossen ist. So versucht er nun mit allen Mitteln auch einen Blick in den Innenraum zu werfen, in einer seltsamen Mischung aus Mitleid und Neugierde (A.H.1223–30).117 Und dieser Blick, in dem sich die Wand öffnet, be117 Zur Sexualmetaphorik dieser Szene vgl. Margetts, Observations on the Representation of Female Attractiveness in the Works of Hartmann von Aue with Special Reference to »Der arme Heinrich« (1988), S. 202.
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wirkt dann – in irritierend enger Vernetzung von erotischem und geistlichem Erkennen – seine Bekehrung und Selbsterkenntnis, wodurch er einen niuwen muot gewinnt (A.H.1234–40). So verlangt er nun, dass sich ihm die Türe öffne und er ganz eintreten kann: unde begunde bôzen an die want: / er hiez sich lâzen dar in (er begann an die Türe zu hämmern und befahl, dass man ihn einlasse, A.H.1258f.). In diesem Geschehen findet die geistliche Metaphorik in Heinrichs Rede beim Bauern ihre räumliche Konkretisierung: mit der Kammertür schließt sich ihm die sælden porte (Türe des Heils) wieder auf. Damit wird aber auch sein tumber sin (A.H.408), der ihn daraus verstieß und ihn an der Möglichkeit eines neuen Eintritts zweifeln ließ, durch seinen neuen Glauben besiegt. Der tumbe gedanc (A.H.1243) wird verworfen im Moment, als er Einlass verlangt. Mit dem Eintritt Heinrichs wird aber gleichzeitig die exklusive Welt des Mädchens auf eine Öffentlichkeit hin aufgebrochen, die Anspruch auf ihr Leben erhebt.118 Eine Gewalttat, auf die sie mit einem beschimpfenden Wortschwall reagiert.119 Die dickiu want (A.H.1326) zwischen Heinrich und dem Mädchen besteht nicht mehr, Heinrich hat sie durchbrochen – und so das Mädchen in größte Trauer gestürzt. Von Stund an hat sie, die wortgewaltige, denn auch nichts mehr zu sagen. Sie wird zurückgeführt, ihren Eltern wiedergegeben, dann von Heinrich geheiratet. Mit dem Eindringen Heinrichs in den Raum ihrer Opferbereitschaft wurde auch der Raum ihres eigenen Willens zerstört. Und auch hier ist es die Schönheit des Mädchens, was ihr im Auge des Zuschauers das Recht abspricht, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen (A.H.1241) – wie bei Enite und Laudine in ihrer Trauer. Das Schweigen dieser Frauen ist gut, solange es als Teil des Verhaltenskodexes beredt ist, zieht es sich ins Absolute zurück, muss es gebrochen und in die Rede zurückgeholt werden. So wird auch das wortlose Geschehen der Opferhandlung in Salerno durch das laute Eindringen Heinrichs gestört und schließlich wieder in die Weltordnung des öffentlichen Heils hereingeholt. Das Schimpfen und Klagen des Mädchens sind klägliche Versuche abzuwehren, was schon da ist: die äußere Welt.
118 Auf sozialgeschichtliche Parallelen solch divergierender Ansprüche verweist Jones, Changing Perspectives on the Maiden in »Der arme Heinrich« (1988). 119 Wenn Jones sagt: »the maiden clearly loses self-control«, zielt er damit auf den überwältigenden Affekt des Mädchens, doch fasst dieser Begriff gerade auch den äußerlichen Grund ihrer Reaktion. Jones, Changing Perspectives on the Maiden in »Der arme Heinrich« (1988), S. 228.
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Initiationsräume Kommt ein Fremder als Gast in ein Haus, wird ihm ein geschützter Ort der Ruhe bereitet, der wenn möglich von den anderen Räumen getrennt ist. So liegt Willehalm allein bei Wimar (Wlh.136,15–137,2), Iwein und die Jungfrau werden, zusammen mit dem Löwen, auf der Burg zum Schlimmen Abenteuer durch ir gemach besunder (zu ihrer Bequemlichkeit abgesondert, Iw.6573) untergebracht, Gawein wird beim Fährmann bequem gebettet und dann, nur von der Tochter des Hauses betreut, allein gelassen (Parz.552,5–553,3). Dabei herrscht vollkommene Stille, sobald der Gast allein ist. Doch nicht nur für die Nacht wird dem Gast ein eigener Raum zugewiesen, sondern der Fremde wird bei seiner Ankunft an einem Hof in der Regel als erstes zur Seite genommen, um sich in einem geschützten Raum in aller Ruhe auf die Darstellung in der Hofgesellschaft vorzubereiten. Dieses auf den Hof hin gerichtete Handeln ist in der höfischen Erzählung vollkommen sprachlos und interessiert nur, insofern es das Ziel, den Auftritt in der Öffentlichkeit, vorbereitet. In diesem Zwischenraum, zwischen Fremde und Hof, wird der Gast im Zeichen der Gastfreundschaft dem höfischen Glanz angepasst, regelrecht eingefärbt. So wird auch Iwein vor seiner Begegnung mit Laudine von der sonst so gesprächigen Lunete wortlos gebadet und eingekleidet (Iw.2190–99). Wobei hier pikant ist, dass sich Iwein nicht nur vom Fremden zum Gast wandelt, sondern vom Fremden zum Gatten. Denn bei Hartmann wird er explizit mit den Kleidern Askalons ausgestattet und tritt so regelrecht an die Stelle des getöteten Ehemanns.120 Enites Ankunft am Artushof Ganz auffällig ist diese Einordnung in den Hof bei Enites erster Ankunft am Artushof. Während Erec lauthals von den ihm entgegenkommenden Rittern begrüßt wird, wird Enite in ihrer ärmlichen Kleidung von den Herren gar nicht wahrgenommen (Er.1510–22). Nur die Königin, als Hausherrin, kommt ihrer Pflicht als Gastgeberin nach und nimmt, nach Erecs Begrüssung, Enite zur Seite und führt sie mit den grußlosen Worten: »vrou maget wol getân, / dirre kleider sult ir wandel hân« (Schöne Frau Mädchen, ihr sollt andere Kleider kriegen, Er.1530 f.) in ihre Gemächer. Da nun wird Enite gebadet und über 41 Verse von der Königin eigenhändig eingekleidet (Er.1537–78), was
120 Chrétien weist nicht auf diese Kleidergemeinschaft hin (Chr.1879–96).
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zur Folge hat, dass es dem Erzähler wortreich die Sprache verschlägt über ihrer Schönheit (Er.1590–1610). Durch den Akt des Einkleidens wird Enite aber auch zum Werk des Hofes. Indem Hartmann hier Enite erst durch die neue Kleidung wahrnehmbar werden lässt für die Ritter, unterstreicht er im Gegensatz zu Chrétien die Idee einer erst durch den Hof, durch die auch äußerlich angleichende Aufnahme an den Hof, gegebene Existenz Enites. Hebt bei Chrétien Artus höchstpersönlich Enide vom Pferd und führt sie in den Hauptsaal hinauf, während Erec unterdessen der Königin ihre Herkunft erklärt und sie ihr so anempfiehlt, bleibt Enite bei Hartmann in ihrer schlechten Kleidung unbeachtet, so dass erst die Einkleidung durch die Königin ihre Präsenz im höfischen Raum ermöglicht.121 Während dieser ganzen Einkleidungsszene aber wird von keinem einzigen Wort der Frauen berichtet: es ist vollkommen sprachlose Vorbereitung für den Auftritt im Artuskreis, der in Unterstreichung seiner Größe und Wichtigkeit mit penetranter Ausführlichkeit vorgestellt wird (Er.1613–97). Es ist denn auch diese Runde, die Enite bei ihrem Auftritt in die Scham zurücktreibt und sie für einen Augenblick verschleiert, wodurch sie die Dezenz der in der Kammer verborgenen Schönheit auch in der Öffentlichkeit wahrt. Entsprechend wortlos bewegt sie sich in der Runde. Und dieselben Ritter, die vorher nur Augen für Erec hatten, Enite nicht einmal eines Grußes würdigten, erschrecken nun über ihre Schönheit und stieren sie selbstvergessen an (Er.1736–40).122 Ruals Ankunft in Kurneval Wenn Rual auf der Suche nach Tristan nach Kurneval kommt, abgerissen, erschöpft, von der Reise gezeichnet, zögert er zuerst, mit Tristan an den Hof zu gehen, da er nicht hovebære ist (Tr.3978). Erst das Insistieren Tristans und die Gewissheit Ruals, dass seine »Nacktheit« 121 Bei Chrétien wird Enide ausdrücklich auch begrüßt (Chr.1531 f., 1542–44), dann von Artus selber vom Pferd gehoben (Chr.1545 f.) und in den Festsaal hinaufgeführt, während Erec der Königin von ihr erzählt (Chr.1552–81). Zu dieser veränderten Darstellung bei Hartmann vgl. auch Worstbrock, Dilatatio materiae (1985), S. 5–9. Auch er weist auf die von Hartmann unterstrichene Erhöhung Enites durch den Artushof hin und spricht von »der Offenbarung der noch ungeschauten Schönheit Enites am Ort ihrer Erhöhung« (S. 6). Voss sieht in der erst am Artushof realisierten Erhöhung Enites »die unabdingbare Rückbindung der Aventiure an den Artushof«: Die Artusepik Hartmanns von Aue (1983), S. 14. 122 Bei Chrétien nehmen die Ritter Enides schon halb vertrauten Anblick sehr viel gelassener hin, und entsprechend verschlägt es dem Erzähler dort nach Enides Einkleidung auch nicht die Sprache.
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durch die kostbaren Nachrichten, die er dem König bringen kann, zum schönen Kleid wird (Tr.3983–90), lassen ihn schließlich doch in seinem abgerissenen Aufzug in den Kreis des Hofes treten. Es ist seine Stellung als scheinbarer Vater Tristans, die ihn da einführt und macht, dass er trotz seiner unhöfischen Kleidung in seiner höfischen Gestalt und Verhaltensweise gesehen wird (Tr.4026–43), seine Stimme gehört wird und er sich in seiner Rede auszeichnen kann: sîn stimme alsam ein horn dôz / sîn rede diu was vil wol besniten (seine Stimme klang wie ein Horn, seine Worte waren sehr schön gesetzt, Tr.4044 f.). Anders als Enite, die als Unbekannte an den Artushof kommt und da erst durch die äußere Einkleidung Eingang findet, selbst dann aber noch sprachlos bleibt, ist Rual durch seine scheinbare Vaterschaft von Tristan und seine Sprachfähigkeit, mit der er sich durch seine Nachricht ja auch »kleidet«, selbst in seiner armen Kleidung legitimiert, öffentlich vor den König zu treten. Aber auch hier wird Rual dann als erstes, bevor es zu weiteren Gesprächen kommt, in eine Kemenate geführt, um von Tristan selber gebadet und eingekleidet zu werden (Tr.4060–70). Ein stummes Ritual der Einkleidung, bis hin zum hüetelîn, das noch keinem besser stand. Was hier vielleicht gesprochen wurde, interessiert nicht, ist hinter der Tür nicht zu hören. Entscheidend ist allein die körperliche, äußerliche Wandlung des wilden Fremdlings zum höfischen Gast, seine Formung durch Kleidung (Tr.4077 f.). So schweigsam aber die Königin Enite das erstemal empfing, so beredt tröstet sie sie, als sie mit Erec auf ihrer Irrfahrt am Artushof einkehrt (Er.5100–14). Es geht nicht um ein Einkleiden für den Hof, geht nicht um ein Umwandeln der Erscheinung, ein Einpassen in die höfische Welt, sondern die abgeschlossene Unterredung der zwei Frauen, weg von den Männern, konstituiert eine Gegenwelt zu der des öffentlichen Hofes, aber auch zu der von Erec inszenierten Ruhelosigkeit und Bußfahrt. Enite, von Erec zum Schweigen verdammt, kann hier, hinter geschlossener Türe, nach Lust und Laune fragen und erzählen und klagen. Ein Reden, das im Inhalt anklagt und Unglück zum Ausdruck bringt, das aber im geschützten Raum der heimlîche (Er.5106) für den Hof und damit auch für Erec keine Störung bedeutet. Ein Reden, das ausgeschlossen ist aus der Öffentlichkeit, einer anderen Welt angehört.123 Was die Frauen hier besprechen, ist für den Hof und den Fort123 Chrétien kennt dieses intime Frauengespräch nicht. Er bringt eine gewisse Vertrautheit zwischen Enide und der Königin lediglich durch das gemeinsame Schlafen unter einer Decke zum Ausdruck (Chr.4276–80). Ich denke, dass dieser Einschub Hartmanns im Kontext der über den ganzen Roman verteilten lei-
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gang der Geschichte nicht von belang. Hartmanns expliziter Hinweis auf diese Art der Unterredung lässt für einen kurzen Augenblick einen Teil jener Nebenwelten erahnen, die sonst verschwiegen werden und nicht zu Wort kommen.124 Erzählräume Der Innenraum eines Hauses, als Ort des Schutzes und der Vertraulichkeit, Mitte eines Wert- und Machtgefüges, das einerseits in einem Spannungsverhältnis zur Außenwelt stehen kann, anderseits in seiner Kleinstruktur die größeren Strukturen reflektiert, ist auch Ort der Aneignung des Fremden. Eingelassen, aufgenommen in den geschlossenen Bezirk, wird der Gast Teil des Hauses, entzieht er sich der äußeren Welt, bringt aber gleichzeitig diese in die inneren Räume herein – durch das Wort. Der Fremde erzählt. Seine Geschichte, die Geschichte anderer. Im Prolog zum »Willehalm« braucht Wolfram dieses Bild, um die Aufnahme der fremden Geschichte in einem bisher für sie verschlossenen Raum, der französischen Erzählung in der deutschen Umgebung, zu fordern125: swer werdekeit wil minnen, der lat dise âventiure in sînem hûse ze viure: diu vert hie mit den gesten (Wlh.5,4–7) (wer etwas auf sein Ansehen gibt, der lässt diese Geschichte in seinem Haus ans Feuer. Sie kommt hier mit den Fremden an.)
Die aufrichtige und gute Erzählung soll im Haus aufgenommen werden, während valsch lügelîch ein mære, / daz wæn ich baz noch wære / âne wirt ûf eime snê (eine falsche, trügerische Geschichte, denke ich, bliebe besser ohne Wirt im Schnee, Parz.338,17–19). Zur Gastfreundschaft gehört in der Regel, nachdem für das leibliche Wohl des Fremden gesorgt wurde, die Frage nach dessen Herkunft, seisen Kritik an Erecs Verhalten zu lesen ist. Eine Kritik, die sich bei Chrétien nicht findet. 124 Zu dieser Problematik vgl. Giloy-Hirtz, Frauen unter sich (1994). 125 Dahinter steht auch die nicht zuletzt poetologische Charakterisierung einer spezifischen Erzählhaltung, die derjenigen des »Parizval« diametral entgegensteht. Während dort die âventiure den Auszug der Zuhörer in die Welt verlangte, kehrt diese Geschichte bei den Zuhörern ein. Ging es dort um die Suche, geht es hier um die Einkehr, war es dort der Zweifel, den es zu überwinden galt, ist es hier die Glaubensgewissheit, die eingelassen werden will. Die Erzählhaltung im »Parzival« ist die ›actio‹, die im »Willehalm« die ›contemplatio‹.
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nem Schicksal, aber auch nach Neuigkeiten von draußen.126 Die Ambivalenz dieser das Fremde ins Eigene hereinholenden Frage wird da deutlich, wo sich jemand dieser Nachfrage auf die eine oder andere Art entzieht. Tristans Kunst (list), sich hinter verschiedensten Lebensgeschichten zu verstecken, ist nicht nur Finte des geschickten Schachspielers, sondern ist schließlich Verweigerung, sich in das Andere einzugliedern, die Fremdheit aufzugeben. Eine eigentliche Identitäts- und Heimatlosigkeit, die sich in keinem festen Raumgefüge ansiedeln will. Aber auch Rennewart, vom König an den Hof geholt, verweigert sich so konsequent einer Einverleibung in das ihm fremde Gefüge, in seinem Glauben und seiner Sprache verharrend (Wlh.191,1–6), dass er zu einer Art umgekehrtem Glaubensmärtyrer wird, dem der französische Hof Unrecht tut (Wlh.191,7; 193,14–18). Als Fremder bleibt er deshalb, trotz seiner hohen Abstammung, von den inneren Bereichen des Hofes ausgeschlossen. Erst Willehalm gelingt es, seine Verweigerung zu überbrücken – indem er in seinen Sprachraum eintritt. Dadurch, dass Willehalm im Innern des Palas einen Bezirk ausgrenzt, in dem die fremde Grammatik gilt, kann Rennewart seine Sprachverweigerung aufgeben und in diesem Schutzraum seine Geschichte erzählen (Wlh.192,6–193,30). Auch wenn die Szene inmitten des Hofes spielt, ist sie aus diesem durch die Unverständlichkeit der Sprache ausgeschnitten: ir enweders wort niemen verstuont: / si enwâren dâ man noch wîbe kunt, / der doch die stimme hôrte (niemand verstand die Worte der beiden, denn sie waren keinem bekannt, obwohl man die Stimme hören konnte, Wlh.195,1–3).127
Krankenzimmer Ähnlich wie die sprachlosen Einkleidungsszenen ist die Pflege des Verwundeten und Kranken im abgeschlossenen Raum gezeichnet von einer Absenz der Rede. Die Ruhe ist Teil der Heilung.128 So mahnt Ar126 Vgl. u. a. Er.8367–72; Er.7046–51 / Iw.369; Iw.4389–97; Iw.5812–18 / Parz.169,21–170,2; Parz.766,19–30 / Wlh.133,8–135,30; Wlh.290,19–30 / Tr.7557–62. 127 Wenn auch in ganz anderem Kontext, ist Lohenagrins Geheimnis um seine Herkunft, das Verbot der an sich legitimen Frage nach der Geschichte des Fremden, doch auch in diesem Zusammenhang der Einverleibung und dadurch angleichenden Entmächtigung des Andern zu sehen (Parz.825,11–24). 128 Vgl. u. a.: Iw.5591–624; Iw.7769–80 / Er.5115–249; Er.7195–239. Nach dem Aderlass liegen Marke, Isolde, Tristan und Brangäne âne schal und âne braht den ganzen Tag in ihrem Gemach (Tr.15131).
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nive den schwerverwundeten Gawein: nu volgt mir unt enredet niht vil (nun folgt mir und redet nichts, Parz.580,19), lässt den Palast zum Schutz der Ruhe schließen (Parz.581,13 f.) und verlangt von den pflegenden Frauen, daz ir enkeiniu riefe / die wîle der helt dâ sliefe (dass keine etwas rufe, währenddem der Held schläft, Parz.581,11f.). Tristans Krankenzimmer Auch Tristan, von Morolt mit dem vergifteten Schwert verwundet, wird in der Abgeschiedenheit und ruhigen Kammer gepflegt. Doch dienen die schützenden Wände hier plötzlich nicht nur dazu, die die Heilung störende laute Außenwelt abzuhalten, sondern sind auch Mittel der Täuschung. Nicht nur hat Tristan in listiger Voraussicht schon auf dem Kampfplatz seine Wunde vor den fremden Augen hinter seinem Schild verborgen (Tr.7135–38), sondern er verheimlicht auch die heillose Art der Wunde vor den eigenen Leuten. Während die Ärzte sich vergeblich und wortlos um seinen stinkenden und verfärbten Leib bemühen, zieht sich Tristan, der sorchafte man (der sorgenvolle Mann, Tr.7297), von dem sich nicht nur die Freunde diskret distanzieren, sondern der sich selber nicht mehr ausstehen kann (Tr.7279–86), in dieser geschlossenen Stille in seine Gedanken zurück und legt sich da einen Heilungsplan zurecht (Tr.7287–314). Diesen dann teilt er in höchster Vertraulichkeit Marke mit und informiert ihn als einzigen über die Art seiner Verletzung. Die Heilung ist von der höchsten Verschwiegenheit abhängig. Eine Verschwiegenheit, die aber nicht einfach in der Ausgrenzung des Kranken besteht, sondern in der Verhüllung der eigentlichen Behandlung durch die traditionell sich anbietende: offiziell reist Tristan nach Salerno, im Geheimen rüstet er sich für Irland. Das Schweigen, topisch konnotiert mit der Pflege, wird zum Verschweigen. Ein Verschweigen, dem schließlich auch die irreführende Rede dient: sus wurden sî zwên’ under in zwein ir dinges alles enein, als ez ouch allez gendet wart, wie er volante sîne vart; wie man’z verswîgen solte, daz er ze Îrlanden wolte; wie man solte sagen mære, daz er in Salerne wære dur sînes lîbes genist. (Tr.7327–35)
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(so vereinbarten sie untereinander in dieser Sache, was dann auch ausgeführt wurde: wie er seine Reise durchführen sollte, wie man es verschweigen würde, dass er nach Irland fährt, sondern sagen würde, dass er in Salerno wäre um seiner Heilung willen.)
Nachdem sich schließlich Tristan in Irland als Spielmann Tantris mit seiner Harfe – trotz Gestank und unansehnlicher Verfärbung des Körpers, aber auch trotz seiner Schwäche – bei Isolde beliebt gemacht hat, übernimmt sie die Pflege und lässt ihn in eine Kammer legen. So kommt es, dass Isolde in der Kammer mit aller Kunst dem das Leben zurückgibt, für dessen Tod sie außerhalb der Kammer Leben und Ehre gegeben hätte (Tr.7915–38). Die Kammerwand wird zur Wand ihrer Unkenntnis, errichtet durch die falsche Identität von Tristan, die Verkehrung seines Namens. Was konkret sich aber in der Kammer abspielt, der Vorgang der Pflege, wird von Gottfried mit dem Hinweis auf die Medizinalsprache, als rede, diu niht des hoves ist (Rede, die nicht höfisch ist), übergangen (Tr.7939–65).129 Diese Pflege im Schutz des falschen Namens, hinter der Wand der Unkenntnis, wiederholt sich nach dem Drachenkampf, als die Frauen Tristan-Tantris finden und in ihre Gemächer mitnehmen (Tr.9497– 9623, 9987–95).130 Da wird Tristan, eingehüllt in seine falsche Identität, nicht nur bestens gepflegt und als Drachentöter geliebt und geehrt, sondern es wird ihm auch vollkommener Schutz zugestanden (Tr.9549–69). Es ist die falsche Geschichte, die sich Tristan in Irland zulegt, die ihn schützt; und so ist es nicht verwunderlich, wenn schließlich die junge Isolde seine wahre Identität nicht über Fragen, nicht über Gespräche, nicht über das Wort erkennt, sondern über das Auge. In stummer Beobachtung entschlüsselt sie seinen Körper Stück für Stück, schließt sie sein Geheimnis auf, erkennt an Händen, Augen, Ar-
129 Ich glaube nicht, dass es sich hier um ›occupatio‹ handelt, wie Ganz in seinem Kommentar annimmt. Denn Gottfried geht nicht auf die Einzelheiten der Heilung ein, nennt keinen einzigen Kunstgriff Isoldens, weist nicht einmal unspezifisch auf Kräuter, Salben oder Säfte hin. Gottfried distanziert sich hier von der Fachterminologie, nur aber um damit darauf hinzuweisen, dass diese nötig wäre, die Arzneikunst Isoldens zu beschreiben. Wenn Ganz auf die Wundenbeschreibungen hinweist als Gegenbeispiel, trifft das nicht genau. Denn dort wird lediglich allgemein von Farbe und Gestank gesprochen, den zwei Aspekten, die für den Bezug zur Umwelt von Bedeutung sind; man weiß ja nicht einmal genau, wo Tristan verwundet ist, wie groß und wie schmerzhaft. 130 Tristan zieht sich hier, im Rückgriff auf die topische Krankenruhe, taktisch hinter seine offensichtliche Schwäche zurück. So gewinnt er Zeit, bevor er seine Geschichte den beiden Isolden erzählen muss (Tr.9481–96).
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men, Beinen, an allem swaz maget an manne spehen sol (was eine Jungfrau an einem Mann sehen soll, Tr.10005), was er verheimlichte: dieser Körper passt nicht zu seiner Geschichte (Tr.9996–10035). Einmal neugierig geworden, entziffert sie schließlich auch seine Rüstung und findet so, durch das Zusammenspiel von Herz und Aug den Schlüssel zur Erkenntnis, die Scharte an Tristans Schwert, in die der Splitter aus Morolts Schädel passt. Diese stumme, stille Lektüre, von keinem Wort überdeckt, öffnet ihr das Auge für die Sprache in ihrer Täuschungsmöglichkeit: es wird ihr möglich, im Namen Tantris Tristan zu hören, des einen Buchstaben im andern zu sehen, die gleichen Silben zu erkennen, die beiden Namen als Gegenbilder zu lesen (Tr.10104–126). Tristans durch Klang und Wort aufgebaute Trugwelt wird da im sprachfreien, stummen Blick zerstört, bis schließlich auch das Sprachkonstrukt in seiner künstlichen trügeheit (Tr.10129) entlarvt wird.
2.2 Die verschwiegene Kemenate Die Kammern der Liebe Intime Liebe Da, wo sich ein Liebespaar in der geschlossenen Kammer findet, hört man kein Wort. Sei es das königliche Paar, das sich vom Fest zurückzieht (Iw.77–85), sei es Gahmurets Liebesspiel mit Belakane oder Herzeloyde (Parz.44,2–30; 99,30–100,18), sei es die Versöhnungsvereinigung von Orilus und Jeschute (Parz.273,15–22), die Münder werden nur von Küssen abgenützt, zwischen den Liebenden hat kein Wort Platz. Und kaum schließt Gawein die Türe, hört man am ganzen Hof nichts mehr von der Hilfe, die Orgeluse ihm gewährt: sîn helfe was doch sô gedigen / deiz al daz volc was verswigen (die Hilfe für ihn war aber so gut, dass niemand etwas davon hörte, Parz.644,7f.). Genauso still und wortlos vollzieht sich die Liebe zwischen Parzival und Condwiramurs, nachdem sie sich in Anwesenheit der Kinder, Kyots und der Dienerinnen verbal begrüsst hatten (Parz.801,30–802,10). Und wenn Riwalin in seiner Schwäche durchaus noch seinen Wunsch nach Alleinsein äußern und die Umstehenden wegschicken kann, Blanscheflur aber bei seinem Anblick in eine kurze Klage ausbricht, sprechen nachher nur noch ihre Körper und die küssenden Münder (Tr.1285–1328). In strengem Kontrast zu dieser sprachlosen intimen Szene steht die Abschiedsszene, die nicht anders inszeniert ist als die Liebesszene, die 359
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nicht weniger hinter verschlossenen Türen sich vollzieht, in die aber die Distanz eingeschrieben ist, die sich im gesprochenen Wort äußert (Tr.1416–1563).131 Auch Willehalm, der nach verlorener Schlacht nach Orange zurückkommt, wird von Gyburc nach informierenden Gesprächen, Frage und Gegenfrage, in die Kemenate geführt, wo sie ihn schweigend und wortlos entwaffnet, pflegt und sie sich schließlich lieben (Wlh.99,8– 100,25).132 Dann aber, nach dieser schweigenden Intimität, als Willehalm auf Gyburcs Herz einschläft, klagt sie in stillem Gebet Gott an. Während Willehalm im Schlaf verschwindet, löst sich bei ihr die Intimität des Schweigens in die Einsamkeit der stillen Klage, in der ihr die Liebe Willehalms keine Hilfe ist. Die Stille der verschwiegene Kammer wird zur trostlosen Leere für die aus allen Ordnungen gefallene Frau, die, zwischen Familie und neuem Gatten, in ihrem Entschluss zum christlichen Gott alleingelassen ist.133 Distanzierte Liebe Die engste Intimität kennt keine Sprache. Das heißt aber, dass überall da, wo das Wort einfällt, diese in der einen oder andern Art gefährdet ist. Als Gawein sich mit Antikonie plötzlich allein findet, nachdem alle Bediensteten sich zurückgezogen haben, greift er ihr mit überraschender Dreistigkeit unter den Mantel und erregt dadurch sowohl sich wie sie dermaßen, daz dâ nâch was ein dinc geschehen (dass da beinahe etwas geschehen wäre, Parz.407,7). Diesem sprachlosen sexuellen (Über)griff ist ein erotisches verbales Vorspiel vorangegangen (Parz.405,1–406,20), das aber in dem Moment, als sie allein sind, verstummt. Doch das in schweigendem Einvernehmen stattfindende Vergnügen wird unsanft unterbrochen und beendet durch das laute Rufen eines Ritters, der Gawein erkennt und ihn als Mörder und Vergewaltiger anklagt (Parz.407,11–19). Wenn sich dann aber Antikonie und Gawein vor dem anstürmenden Volk in den Turm zurückziehen müssen, sich da mit Schachbrett und Steinen verteidigen und dazwischen ihre Augenbegierde stillen,134 wird die Verteidigung zum pervertierten Liebeskampf. Denn so wie die Frau nur in der Liebe eine Legitimation zum
131 Vgl. zu diesen Szenen auch oben, das Kapitel »Die verschwiegene Nacht«. 132 Nach dem gleichen Muster der schweigenden Intimität spielt sich die andere Liebesvereinigungen von Gyburc und Willehalm ab: Wlh.279,1–281,17. 133 Vgl. dazu Schnyder, manlîch sprach daz wîp (1999). 134 Wobei es bezeichnenderweise nur Gawein ist, der sich da gütlich tut – und der Erzähler.
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Kampf findet: swâ harnaschrâmec wirt ein wîp, / diu hât ir rehts vergezzen, / sol man ir kiusche mezzen, / sine tuoz dan durch ir triuwe (wo eine Frau schmutzig wird durch eine Rüstung, hat sie, will man denn ihre Reinheit messen, ihren Stand vergessen, es sei denn, sie hätte es aus Treue getan, Parz.409,12–15), bestätigt sich in diesem Kampf Antikonies Liebe: wol si daz bescheinde, / daz friwentlîch liebe ist stæte (sie bewies wohl, dass freundschaftliche Liebe beständig ist, Parz.409,20f.). Und während draußen ein Heidenlärm stattfindet, mit Kampfruf und Geschrei, fällt im Innern des Turmes, zwischen den Liebenden, kein Wort. Das intime Schweigen wird gewahrt. Die nächtliche Kemenatenszene von Parzival und Condwiramurs dagegen, als diese sich hilfesuchend zu dem fremden Gast schleicht, ist nicht zuletzt durch die Rede in ihrer distanzierten Intimität gezeigt. friundes rât (Rat eines Freundes) sucht Condwiramurs bei Parzival, nicht bî ligende minne (Beilager, Parz.192,13; 193,4). So ist die heimliche Szenerie auch durch Kerzen taghell, und als Parzival durch das laute Weinen Condwiramurs geweckt wird, beginnt er sofort zu reden (Parz.193,15–25). Die kurze Diskussion über die Art ihrer Stellung macht dann auch klar, dass es hier nicht um Minnekrieg, sondern um sicheren Frieden geht, auch wenn sich Condwiramurs zu Parzival ins Bett legt: si sprach »welt ir iuch êren, / sölhe mâze gein mir kêren / daz ir mit mir ringet niht, / mîn ligen aldâ bî iu geschiht.« / des wart ein vride von im getân: / si smouc sich an daz bette sân (sie sagte: »wollt ihr Ehre beweisen und solche Mäßigkeit mir gegenüber zeigen, dass ihr nicht mit mir ringt, so will ich mich zu euch legen.« So wurde von ihm ein Friede gewährt und sie schmiegte sich in sein Bett, Parz.193,29–194,4). Die als Minneszene angelegte Begegnung wird zur vertraulichen Unterredung unter Freunden, die jedoch durch die Szenerie schon auf die spätere Minne hin durchsichtig ist. Dass die Körper sich nicht zu nahe kommen, ist Aufgabe der Rede, die sie in der Distanz von Reden und Hören hält. Eine Distanz, die aber dadurch, dass sie im geschlossenen Raum und in vollkommener Stille passiert (Parz.194,5f.), ohne von irgendjemandem gehört zu werden, gleichzeitig auch verbindende Vertraulichkeit herstellt. Jedes Wort, das hier, in der verschwiegenen Kemenate, umgeben von Stille, gesagt wird, ist Trennung und Verbindung in einem. Es ist das, was die geheime, vertrauliche Unterredung unter Freunden von der stillen Liebesvereinigung unterscheidet. Inzest Die verschlossene Kemenate ist aber nicht nur Ort der legitimen und in der schweigenden Vereinigung sich erfüllenden Liebe und der sich 361
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im vertraulichen Wort bestätigenden Freundschaft, sondern auch Ort der sündhaften Intimität. Der Inzest von Gregorius’ Eltern wird möglich, weil sie allein in derselben Kammer schlafen, der Bruder seine schlafende Schwester ohne Zeugen überraschen und sich zu ihr legen kann. Dabei geht er vorsichtig vor, so dass sie erst aufwacht, als er sie schon fest umschlungen hält und die teuflische Nähe besteht: ir munt und ir wangen / vant si sô gelîmet ligen / als dâ der tiuvel wil gesigen (ihren Mund und ihre Wangen fand sie so aneinandergeleimt, wie da, wo der Teufel siegen wird, Greg.372–74). Sie nun versucht, diese lautlose Umarmung durch Rede aufzubrechen und durch Fragen die verlorene Distanz wiederherzustellen, erhält aber keine Antwort (Greg.380–84). Das Schweigen wird da, als Schweigen des Bruders, zum Ausdruck der Vergewaltigung als einer verweigerten Distanz. Es wird aber auch, als Schweigen der Schwester, zum Komplizen der Vergewaltigung, indem es diese ermöglicht: si gedâhte: »swîge ich stille, so ergât des tiuvels wille und wirde mînes bruoder brût, unde wirde ich aber lût, sô habe wir iemer mêre verloren unser êre.« (Greg.385–90) (sie dachte: ›Schweige ich still, so ergeht des Teufels Wille und ich werde die Geliebte meines Bruders; schreie ich aber, so haben wir auf immer unsere Ehre verloren.‹)
Da ihr Reden, als adäquates Mittel, die Vertraulichkeit wieder in das richtige Mass zu bringen, nicht beantwortet wird, ein Schreien aber für sie beide Gefahr darstellt, ist die Schwester in einen Zwiespalt geworfen, der sie patt setzt und so den Bruder zum Ziel kommen lässt. Sie wird vergewaltigt – und danach herrscht Stille: dar nâch beleip ez âne braht (danach blieb es still, Greg.397). Eine Stille, in der sich die stumme Intimität, deren Sprachlosigkeit Zeichen ihres falschen Masses ist (dâ was der triuwen alze vil, Greg.396), zu beider Vergnügen fortsetzt (Greg.400–03). Die gescheiterte verbale Distanzierung wird nicht wieder versucht. Erst als das stumme Geheimnis in der vertraulichen Unterredung mit dem Alten aufgeschlossen wird, bricht in ihre unselige Verbindung das beratende Wort ein und löst den stummen Bann, der ihre Körper zusammenschloss (Greg.515–626).135 135 Diese distanzierende und lösende Vertraulichkeit des Wortes wiederholt sich dann auch in der verschwiegenen Unterredung des Abtes mit Gregorius, als er diesen in das Geheimnis der Tafel einweiht (Greg.1739–1809).
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Getäuschte Liebe Die verschwiegene Intimität der Hochzeitsnacht Markes aber wird bis zur Groteske verzerrt, indem das Schweigen, Zeichen höchster Einstimmigkeit, zum Ausdruck größter Distanz wird. Die normalerweise die Situation bestimmende Zweisamkeit ist in die Vierheit aufgebrochen, wobei diese Erweiterung durch die eingrenzende Formulierung: in Markes kemenâten / was niemen wan si vieriu (in Markes Kemenate war niemand außer ihnen vier, Tr.12588 f.) in ihrer eigentümlich engen Verknüpfung deutlich wird. In der Kemenate ist niemand außer ihnen vieren, als wäre das die der Situation angemessene Besetzung. Das Spiel mit der falschen Identität, nicht zuletzt ein Kleiderspiel, bis hin zum Körper, der als fremdes Kleid ausgegeben wird, pervertiert die vertrauliche Intimität des Liebesaktes zum Theater, zur reinen Maskerade, so dass schließlich auch das Schweigen während der Szene seine Bedeutung verkehrt. Hinter der vollkommenen Stille, dem schweren Schweigen Brangänes (si dolte sô gemache, / daz ez gar âne braht beleip, Tr.12602 f.), verbirgt sich das sprachlose Martyrium, das stumme Opfer (Tr.12596 f.). Genau dieses Schweigen ist es aber, das Isolde irritiert und ängstigt (Tr.12619–32). Denn in ihrem Ohr unterscheidet es sich nicht von dem Schweigen der höchsten Vertrautheit. So sind es genau die Wort- und Lichtlosigkeit der Szene, Bedingungen der gelungenen Täuschung, die plötzlich diese Täuschung auch umkehrbar machen. Indem die äußeren Zeichen wegfallen, Isolde weder optisch noch akustisch sich der Distanz Brangänes zu Marke vergewissern kann, bricht das Schweigen in seiner Vieldeutigkeit auf und wird zum Spiegel von Isoldes inneren Ängsten. Das Schweigen, Mittel der eigenen Täuschung, wird plötzlich verdächtig als Mittel fremder Täuschung. Wenn dann, nach Wein und Licht und Frauenwechsel, Marke sein Vergnügen mit Isolde bruchlos fortsetzt, in dûhte wîp alse wîp (ihm schien Frau Frau, Tr.12670), ist auch hier das schweigende Liebesspiel ins Verschweigen gebrochen, ist es nicht Ausdruck höchster Innigkeit, sondern klägliche Decke über tougenlîchem smerzen (heimlichem Schmerz, Tr.12665). Das Schweigen, als Verschweigen, ist Ausdruck größter Distanz, in der die Beliebigkeit und Austauschbarkeit der stummen Körper möglich wird.
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2.3 Der sprachlose Bezirk Architektur der Magie In der festgefügten, architektonisch geordneten höfischen Welt gibt es nicht nur die verschwiegenen und stillen Einzelräume, sondern auch ganze Gebäudekomplexe verschließen sich zu einem Bereich der Sprachlosigkeit. Es sind verdammte Bezirke, Orte unaussprechlicher Gefahr, von einem Zauber gebannt und so auf magische Art ineffabile. Es braucht ein richtiges Wort, um den Bann zu lösen, und die Gefahr ist erst überstanden, wenn die âventiure bis zu Ende erzählbar geworden, das Unaussprechliche in die Sprache hereingeholt ist.136 Das Eindringen in diesen Bereich, das Aufbrechen der Türen, ist immer auch Brechen eines Geheimnisses, das sich hinter verschiedenen Mauern verbirgt. Der Schlüssel oder auch Rammbock, mit dem die Tore geöffnet werden, ist das Wort: über die Frage findet der Held in den sprachlosen Bereich, sie führt ihn da in die inneren Zimmer, sie erzwingt schließlich im Innersten die lösende Antwort, durch die das zu Stille und Schweigen verdammte Gebäude wieder mit Geräusch und Sprache gefüllt wird. Brandigan und »Joie de la curt« So ist Brandigan mit seiner âventiure »Joie de la curt« von einem vielfachen Ring des Schweigens und Verschweigens umgeben, die alle durchbrochen werden müssen, bis schließlich Erec in den Baumgarten einreiten kann, nachdem auch dessen Türe vor dem Wort sich geöffnet hat (bî dem êrsten worte / sô vindet er si offen stân, Er.8485 f.). Der äußerste Schweigering wird vom Erzähler gezogen, der eine vorzeitige Information verweigert und die fiktive Hörerfrage nach dem Warum der von Guivreiz erkannten Gefahr nicht beantwortet und dafür eine Beschreibung der Burg anbietet: »nû sage, von wiu?« daz weiz ich wol und sagez sô ichz sagen sol. des enist noch niht zît. wie gebitelôs ir sît! wer solde sîn mære vür sagen? 136 Zur Märchenmotivik dieses Zauber-Schweigens vgl. ausführlich Roloff, Reden und Schweigen (1973), v. a. S. 101 ff.; zum keltischen Hintergrund ebd,. v. a. S. 103 ff., S. 111 ff.
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ich enwil iuch niht verdagen wie diu burc geschaffen wære: daz vernemet an dem mære. (Er.7826–33) (»nun sag, warum?« Das weiß ich wohl und sag es, wenn ich es sagen muss, die Zeit ist noch nicht da. Wie ungeduldig ihr seid! Wer will denn schon seiner Geschichte vorgreifen? Ich will euch nicht verschweigen, wie die Burg geschaffen war; entnehmt das nun der Erzählung.)
Die verschwiegene Antwort verhüllt er in einer auffallend ausführlichen und genauen Beschreibung des äußeren Anblicks der Burg und bildet so die architektonische, verbergende Fassade in der verhüllenden, vom Kern ablenkenden sprachlichen Beschreibung ab (Er.7834–93). Dadurch drängt er aber auch den Blick des Zuhörers in den Blick Erecs, so dass die Hörerfrage schließlich zur Frage Erecs werden kann (Er.7894–97). Und da schließt sich, nun in die Erzählung verlegt, ein zweiter Schweigering um die Burg: wie der Erzähler weicht auch Guivreiz, obwohl er die Antwort kennt, aus. Erst das vielfältige und penetrante Nachfragen Erecs bricht das Verschweigen Ring für Ring auf, so dass sich, wie wenn eine Zwiebel geschält würde, eine langsame Annäherung an die âventiure ergibt: als Êrec das hûs ersach, ze sînem gesellen er sprach, ob er die burc erkande, und bat in daz er si nande. sus antwurt im der herre: »ich erkenne si: wir sîn verre geriten von unser strâze. daz ez got verwâze! (Er.7894–901) […] kêre wir wider enzît: ich bringe iuch wider ûf den wec.« dô sprach der künec Êrec: »wie zæme uns daz, vil edel man, daz wir sus riten dan? […] ich wil daz hûs erkunnen: des sult ir mir wol gunnen.« »mirst leit daz ich ius gunnen sol. wê dan sô irz bevindet wol!« »was meinet ir, künec Guivreiz?« »ich enmeine niht wan daz ich weiz.« »durch got, nû saget waz?«
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»nû kêret wider. daz kumt uns baz.« »mich wundert waz ir meinet.« »ez wirt iu wol bescheinet, und welt ir niht erwinden.« »Ich muoz es benamen ervinden. ez enist niht wirsers dan der tôt.« »sô kumt ir lîhte in die nôt die iuwer vriunt niht mugen verklagen.« »muget ir mirz durh got nû sagen? mich wundert waz ez müge sîn.« »dâ erwindet durch die liebe mîn. ich dienez immer als ich sol.« »daz enzæme mir niht wol: wan sô möhtet ir haben wân daz ich durch vorhte hæte lân dise selben reise.« (Er.7909–46) (als Erec das Gebäude sah, fragte er seinen Gefährten, ob er die Burg kenne und bat ihn, dass er sie ihm nenne. Da antwortete ihm der Herr: »Ich kenne sie, wir sind weit von unserer Strasse abgekommen. Möge es Gott verfluchen! […] Kehren wir um, solange noch Zeit ist, ich bringe euch wieder auf den rechten Weg zurück.« Da sagte der König Erec: »wie ziemt sich das für uns, edler Mann, dass wir so wieder wegreiten? […] ich möchte das Haus kennen lernen. Das müsst ihr mir gönnen.« »Mir tut es leid, dass ich euch das gönnen soll. Wehe denn, wenn ihr es gut kennen lernt!« »Was meint ihr damit, König Guivreiz?« »Ich meine nichts, als was ich weiß.« »Um Gottes willen, so sagt doch was.« »Nun kehrt schon um, das ist besser für uns.« »Mich nimmt Wunder, was ihr meint.« »Ihr werdet es wohl sehen, wenn ihr nicht umkehren wollt.« »Ich muss es wahrlich herausfinden. Es gibt nichts Schlimmeres als den Tod.« »So kommt ihr leicht in eine Not, die eure Freunde nicht verschmerzen können.« »Wollt ihr es mir nun um Gottes willen sagen? Es nimmt mich Wunder, was es ist.« »Kehrt um um meinetwillen. Ich werde es euch auf ewig danken.« »Das stünde mir nicht gut an. Denn so könntet ihr denken, ich hätte aus Furcht auf diese Reise verzichtet.«)
Nur weil Erec verspricht umzukehren, erzählt ihm schließlich Guivreiz, was es mit diesem Ort auf sich hat (Er.7952–81), wobei er versucht, die Begebenheit so vage wie möglich anzudeuten. Erec insistiert aber auf Namen und vollständiger Geschichte. Die namenlose Gefahr und Angst kann er im höfischen Rahmen nicht gelten lassen – solange sie keinen Namen hat, ist sie ein Nichts, ein Ichweißnichtwas. Erst durch das Nennen, durch die Einordnung in die Sprache, wird die Gefahr konkret:
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»muget ir mich lân bevinden, waz ist ez oder wie hâte ez namen? ich müeste mich wol immer schamen, solde ich vürhten ichn weiz waz. nû war umbe tuot ir daz daz ir sô lange mich verdaget daz ir mirs niht ein ende saget? wan swaz doch mir dâ von geschiht, benamen ich erwinde niht unz ich die rede niht baz weiz.« (Er.7987–96) (»wollt ihr mich herausfinden lassen, was es ist oder wie es heißt? Ich müsste mich ja wohl auf ewig schämen, wenn ich ein Ichweißnichtwas fürchten würde. Warum verschweigt ihr es mir so lange und sagt es mir nicht endlich? Denn was immer mir auch davon geschieht, wahrlich, ich kehre nicht um, bevor ich die Sache nicht genauer kenne.«)
Erst da kommt Guivreiz auf die eigentliche âventiure zu sprechen und nennt sie: sist Joie de la curt genant (sie ist Joie de la curt genannt, Er.8002). Dabei verschließt sie sich im für den deutschen Hörer fremden Klang dieses Namens noch ein letztes Mal – das Wort muss vom Erzähler zuerst noch eingedeutscht werden, bevor es verstanden werden kann: daz selbe wort ist unerkant / uns tiutschen liuten: / durch daz wil ichz diuten: / des hoves vreude sprichet daz (dieses Wort ist unbekannt uns deutschen Leuten, weshalb ich es übersetzen will: es heißt des Hofes Freude, Er.8003–6). Und als nun die so umständlich und vielfältig verschwiegene Gefahr endlich genannt wird, bewirkt das kleine Wort im Rahmen dieses großen Schweigens ein Gelächter Erecs (Er.8028–47).137 Einmal ausgesprochen, scheint die Gefahr schon halb gebannt, und im vertrauten Nomen ›man‹ ist sie plötzlich niuwan ein man (nur ein Mann, Er.8031). Diese stufenweise Annäherung an die âventiure im Gespräch, zwischen Frage und Antwort, zwischen Verschweigen und Erzählen, dieses Erschließen von Joie de la curt über das Wort, wie es Hartmann in feinster Zeichnung ausführt, ist bei Chrétien nicht so dargestellt. Nicht nur fehlt der informationsverweigernde Erzählereinschub und erhält Erec sehr direkt Auskunft auf seine Frage, sondern auch das letzte, magische Öffnen der Baumgartenpforte durch das Wort hat bei Chrétien kein Vorbild. Und vor allem liegt die Burg bei Chrétien explizit am richtigen Weg, während sich Erec, Enite und Guivreiz bei Hartmann 137 Dieses Lachen, wie das entsprechende Lachen Iweins, findet sich nur bei Hartmann.
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nur dahin verirren, weil sie sich an einer Wegkreuzung sinnschwer für die bessere, aber halt falsche Strasse entschieden (Chr.53647–71; Er.7811–21). Wenn Erec dann dem Volk unter der Burg, dessen Tanz und Spiel sich bei seinem Kommen in verschwiegenes Klagen verkehrt (Er.8108–11), sein lautes und penetrant zur Schau gestelltes Gottvertrauen entgegenhält, das ängstliche Gemurmel mit einem fröhlichen Lied übertönt und so das furchtsame Schweigen mit lauter Rede durchbricht, wird das Verschweigen und Verheimlichen als Komplize des Magischen entlarvt und stellt sich das laute Wort, als Ausdruck eines starken Glaubens (Er.8123), dem verschweigenden Gemurmel, als unheiligem Kleid der Bedrohung, entgegen.138 Die demonstrative Fröhlichkeit Erecs findet erst da ein Ende, als er im Innern der Burg zu den gefangenen Witwen kommt, dieser schweigenden Trauermasse. Vor dieser offensichtlich verkehrten Ordnung, dieser absurden Konstellation, verstummt Erec in Erstaunen über die göttliche Fügung, die diese achtzig schönen Frauen hier zusammenpfercht, während weite Landstriche ihrer entbehren (Er.8295–305): ze dem gedanke er stille dagete (zu diesem Gedanken schwieg er still, Er.8306). So sitzt er denn schweigend da, wobei die Wortlosigkeit zwischen ihm und den Frauen zur Spiegelfläche wird, in der das Leid des einen das des andern zeigt, ohne dass sie es sich bewusst sind. Es ist der Wirt, der die Frauen über Erecs Absichten aufklärt und so die Erinnerung an ihr eigenes Leid in das vermeintlich zukünftige Leid Erecs und Enites spiegelt, und es ist Guivreiz, der Erec das stumme Trauerbild als Spiegel seines eigenen drohenden Unglücks erläutert (Er.8334–49).139 Erec, der vorher nicht genug fragen konnte, verstummt vollkommen vor diesem erstaunlich von Gott zugelassenen Leiden, während Guivreiz und der Wirt, die sonst sehr zurückhaltend umgehen mit ihren Informationen, hier nicht genug erklären können, mit ihren Worten aber nur das deuten, was sich im schweigenden gegenseitigen Blick zwi-
138 Auch hier verdeutlicht Hartmann und zeichnet anders im Vergleich zu Chrétien, indem bei diesem das Volk Erec laut segnet, leise Befürchtungen ausspricht und Erec nicht singt (Chr.5493–541). Hartmann unterstreicht die Gegenüberstellung von beherztem, gläubigem Wort und ängstlichem, abergläubischem Schweigen. 139 Bei Chrétien fehlt dieser Frauenbesuch vollkommen, so dass die bei Hartmann hier herausgestellte Spiegelung im gegenseitigen Mitleid, wodurch das Leid des einen zum Leid der andern wird und umgekehrt, als entscheidende Motivation der letzten âventiure auch wegfällt (Chr.5580–90).
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schen den Frauen und Erec vollzieht: die Vereinigung im Leid des Andern, das das eigene ist, der Vollzug des Mitleids. Hat Erec angesichts der Frauen kein Wort gesagt, wiederholt er dann im Innern der Burg, nach dem Essen, seine Frage nach der âventiure (Er.8373–89) – und stößt damit an einen neuen Schweigering: der künec ein wîle des gesweic (der König schwieg eine Weile darüber, Er.8390) und bittet, nach einer Zeit des Nachdenkens (Er.8390–407), die Frage zu lassen140: »herre, ich wil iu râten wol, als ich mînem gaste sol, dem liebisten den ich ie gewan, dar nâch und ich iu guotes gan, daz ir der vrâge habet rât und si gar ûz der ahte lât umb dise âventiure.« (Er.8408–14) (»Herr, ich möchte euch einen guten Rat geben, wie ich es meinem Gast schuldig bin, dem liebsten, den ich je hatte. Deswegen, und weil ich es gut meine mit euch, lasst die Frage nach dieser Geschichte sein und vergesst sie.«)
Und Hartmann lässt Erec – anders als Chrétien – diesem Verschweigen wieder mit ironisierendem Lachen begegnen (Er.8442). Er kann etwas, nach dem man nicht einmal fragen darf, nicht ernst nehmen, sowenig wie für ihn eine namenlose Gefahr existiert. Und wieder, wie gegenüber Guivreiz, ist es das Argument der späteren Erzählkompetenz, das den König schließlich zum Reden bringt (Er.8452–57 und 7983–96). Dabei ist bezeichnend, dass es nicht um neue Information geht, sondern es wird schon Bekanntes berichtet. Doch es muss berichtet werden, um auch diesen inneren Schweigekreis zu lösen, ist ein Schritt auf dem Weg der âventiure in die Sprache und des Helden in die âventiure.141 Denn es geht nicht darum, sich als tüchtiger zu erweisen als alle anderen Ritter (Er.8446–51), sondern darum, später glaubwürdig Auskunft geben zu können. Erec fürchtet, dass er nichts wird sagen können, wenn man ihn später fragt, obwohl er doch da gewesen ist (Er.8453–57). Da wird denn deutlich, dass die Frage nicht nur Infor140 Auch hier ist bezeichnend, dass Hartmann einen bewussten, reflektierten und explizit gemachten Schweigemoment einschiebt und dadurch die Schweigeund Verschweigestruktur dieser âventiure unterstreicht. 141 Dieses Spiel von Verschweigen und Aussprechen, wie es bei Hartmann als Annäherung an die âventiure aufgebaut ist, ist bei Chrétien nicht so thematisiert und reflektiert, so wie dort auch entsprechend dann der Hinweis auf das schließlich den Eingang zum Baumgarten öffnende Wort fehlt.
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mation für eine folgende âventiure fordert, sondern Anfang derselben ist, indem sie sie ins Wort zwingt und damit fassbar macht. In diesem Verständnis der âventiure als zu erzählender Begebenheit, deren Sinn nicht in erster Linie im Übertrumpfen anderer Ritter durch den Helden liegt, sondern in ihrer Versprachlichung, ihrer Erzählung, setzt sich Hartmanns Erec von dem Chrétiens ab.142 Folgerichtig ist es nur bei Hartmann das Wort, das den Baumgarten öffnet143 und ist die âventiure, diese in zauberhafter Art eingeschlossene Begebenheit, erst endgültig gebrochen und erlöst, wenn Mabonagrin seine ganze Geschichte erzählt hat. Da erst stößt Erec dreimal ins Horn (Er.9610–27). Die Burg zum Schlimmen Abenteuer Auch wenn sich Iwein der Burg zum Schlimmen Abenteuer nähert, muss er verschiedene Kreise des Schweigens und Verschweigens brechen. Anders als Erec interessiert ihn aber nicht eigentlich die âventiure, sondern sucht er nur ein Nachtlager und hat aus Zeitgründen nicht mehr die Wahl weiterzureiten (Iw.6154–58). Wie Erec das verschwiegene Gemurmel, nimmt aber auch Iwein den unfreundlichen Empfang des Volkes unterhalb der Burg nicht groß zur Kenntnis, sondern begegnet ihm mit ausgesuchter Höflichkeit.144 Auch der janusköpfige Empfang des Pförtners, nach außen freundlich, nach innen drohend, irritiert ihn nicht weiter: daz was im unmære (das war ihm gleich, Iw.6176).145 Selbst die direkte Drohung und eigentliche Gefangensetzung übergeht er schweigend: Ern ruochte waz er im sprach, / dô er deheine vreise sach / weder in der burc noch darvor (Es kümmerte ihn nicht, was er zu ihm sagte, da er keine Gefahr sah, weder in der Burg noch davor, Iw.6183–85). Erst der Anblick der stumm arbeitenden Frauen, die unter seinem Blick vor Scham erstarren (Iw.6190–233), bringt ihn dazu, mehr wissen zu wollen und zu fragen. Als er sich in dieser Absicht wieder dem Tor zuwendet, missversteht
142 In dieser letzten âventiure des »Erec« mag ein Keim des »Iwein«-Anfangs liegen. Denn das âventiure-Verständnis, das sich hier andeutet, ist genau das, welches in der erzählverschachtelten Brunnengeschichte zum tragen kommt. 143 Er.8484–86. Während bei Hartmann deutlich nur der âventiure-suchende Ritter durch sein Wort den Eingang findet, treten bei Chrétien alle in den Baumgarten ein und müssen vor dem Kampf dann wieder zurückgeschickt werden (Chr.5765–67; 5824–27). 144 Auffallend ist Iweins Freundlichkeit gegenüber dem Volk bei Hartmann im Gegensatz zu Chrétiens Yvain (Chr.5112–40). 145 Neu bei Hartmann ist die Betonung der Gefangenschaft Iweins durch den Pförtner (Iw.6171–82).
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der Türhüter diese Geste der Frage, meint, es sei ein Fluchtversuch, und weist ihn sehr unhöfisch darauf hin, dass er gefangen sei und erst die hovezuht dieses Ortes zu lernen hätte, bevor er wieder hinauskomme (Iw.6239–56). Er versperrt ihm den Ausgang, verweigert ihm aber genauso auch eine Antwort: der vrâge hiez er sich erlân, er sprach »ich sag iu ein bast. wænet ir niht, her gast, daz mich iht betrâge iuwer müezegen vrâge? ir verlieset michel arbeit.« (Iw.6272–77) (er verbat sich die Frage und sagte: »ich sage euch nichts. Merkt ihr nicht, Herr Fremder, dass mir eure blöden Fragen auf die Nerven gehen? Es ist verlorene Mühe.«)
Diese Verweigerung einer Antwort, in der sich der Türhüter auch zum Hüter eines Geheimnisses macht, eines Geheimnisses, in das in paradoxer Weise Iwein schon eingeschlossen und gefangen ist, provoziert nun bei Iwein ein Lachen (Iw.6279).146 Ein Lachen, in dem sich das ganze Gerede des Türhüters auflöst, in dessen Hallraum das laute Wort zusammenschrumpft. Und so sucht Iwein denn selber, bis er den Eingang zum Raum der Frauen findet und da in das Verschwiegene eindringen kann. Wie schon zuvor sein Blick durchs Fenster, bewirkt auch sein Eintreten jetzt den Stillstand der Arbeit, das Erstarren zum stummen Bild. Dabei ist die Szene von einer Sprachlosigkeit geprägt, die Iwein auffällt (Iw.6293–98). Stück für Stück beginnt er nun zu entziffern, was sich nicht nur in der verweigerten Antwort des Pförtners, sondern auch in diesem Schweigebild der Frauen der Sprache entzieht. Dabei wird gerade die Absenz des Wortes zum Schlüssel des Geheimnisses: das schamvolle Schweigen liest er als Indiz einer Diskrepanz zwischen äußerer Erscheinung und innerem Stand der Frauen – die sich widersprechenden Zeichen weisen auf einen weiteren, verschwiegenen Sinn hin. So bittet er um Erklärung und fragt wieder (Iw.6299–318).147 Und es ist diese Frage, die schließlich das innere Geheimnis der Burg aufschließt und Iwein einweiht, indem er ausführlich Antwort bekommt. Eine Antwort, die ihn in eine âventiure einführt, in der er schon gefan146 Auch dieses Lachen findet sich nicht bei Chrétien. 147 Diese ganze schweigsame Schauszene hat bei Chrétien kein Vorbild. Dort beginnt das Gespräch ohne großes Augenvorspiel (Chr.5240–47).
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gen ist, die ihm seinen eigenen Weg zeigt, auf dem er schon geht. Erst durch diese Verbalisierung des Geschehens aber wird es Iwein möglich, sein Handeln bewusst als Hilfe zu deklarieren, sein Mitleid auszudrücken und sein Gottvertrauen zu bezeugen (Iw.6407–22). Auf der Suche nach den Bewohnern der Burg muss Iwein dann verschiedene vollkommen leere Räume durchqueren, bis er schließlich im paradiesischen Baumgarten Eltern und Tochter über der Lektüre findet (Iw.6425–70). Vorgewarnt durch das Verhalten des Pförtners und die Erzählung der Frauen, ist ihm nun aber die von exquisitem Gespräch und größter Gastfreundschaft geprägte Szenerie nicht geheuer und vermutet er unter der Rede eine verschwiegene Gefahr (Iw.6555–68).148 Das ganze Sprach- und Handlungsnetz, das über der Szene liegt, entpuppt sich denn auch als Netz, in dem er gefangen ist. Jedes Wort, jede gute Handlung, die ihm hier widerfahren, wollen bezahlt sein, die Gastfreundschaft ist Tauschhandel: sie muss mit dem Kampf auf Leben und Tod vergolten werden. Während aber Iwein bei seiner stillen Beobachtung der gefangenen Frauen die Diskrepanz zwischen ihrem Schweigen und ihrem Erscheinungsbild erkannte, erahnt er hinter der schönen Sprach- und Gesprächskultur im Baumgarten nur durch sein Vorwissen die Gefahr (Iw.6663–69), so wie er bei seiner Ankunft vor der Burg explizit von einer Frau auf das Auseinanderklaffen von Wort und Gedanke in der bösen Rede des Volkes hingewiesen werden musste (Iw.6125–53). Es ist das laute Wort, das das Innere verbirgt und in dem sich die verschwiegene Absicht verkleidet, während das Schweigen das Innere unter den falschen Kleidern offenbart. Schastel marveil Auch Klinschors magisch geschlossene Burg »Schastel marveil« ist ähnlich von Schweigegürteln geschützt. Als Gawein, am frühen Morgen schon aufgewacht, bei Plippalinot aus dem Fenster schaut und da, in irritierender Starre, die Frauen wie am Abend zuvor an den Fenstern der Burg sieht, wundert er sich über dieses ununterbrochene Wachen und legt sich dann – in eher seltsamer Logik – den Frauen zu Ehren wieder hin, um zu schlafen.149 Erwacht er dann zum zweiten Mal, sitzt
148 Auch diese stille Vermutung, dieses stumme Denken Iweins, kennt Chrétiens Yvain nicht. 149 Mir ist nicht klar, wie diese Stelle zu verstehen ist, ob hier Ironie vorliegt oder ob Gawein durch seinen Schlaf sozusagen das Wachen der Frauen ehren will? Im Grunde ist die Szene ja doch eine Umkehr des vor den Frauen zu ihren Ehren ausgeführten Turniers.
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Bene, die Tochter des Fährmanns, vor ihm und bietet ihre Dienste an (Parz.553,1–30). Und da fragt Gawein nach einer Erklärung seines morgendlichen Fensterblicks, diesem starren und stillen Bild, das sich in den Rahmen seines Schlafes fasste: er will wissen, was es mit diesen Frauen auf sich hat (Parz.554,23–555,1). Bene aber, die eben noch ihre grenzenlose Dienstwilligkeit angeboten hatte, verweigert die Antwort: do erschrac daz juncfreuwelîn, si sprach »hêr, nu vrâgt es niht: ich pins dius nimmer iu vergiht. ichn kan iu nicht von in gesagn: ob ichz halt weiz, ich solz verdagn. lâtz iu von mir niht swære, und vrâget ander mære: daz rât ich, welt ir volgen mir.« (Parz.555,2–9) (da erschrak das Mädchen und sagte: »Herr, fragt nicht danach. Von mir erfährt ihr es nie und nimmer, ich kann euch nichts über sie sagen. Auch wenn ich es weiß, werde ich es verschweigen. Lasst es euch nicht betrüben, fragt nach anderen Dingen. Das rat ich euch, wenn ihr mir folgen wollt.«)
Als Gawein weiter mit Fragen in sie dringt, bricht sie in Tränen aus. Der Vater, der dazukommt, interpretiert dieses Weinen falsch, da die Situation, in der er die zwei findet – die Nähe, in die sich das Mädchen zu Gawein gesetzt hat – einen körperlichen Übergriff suggeriert (Parz.555,17–30). Durch dieses Missverständnis im Auge des Vaters schließt sich aber der verbale Übergriff des eindringlichen Fragens mit dem körperlichen Übergriff zusammen und verdeutlicht sich die Gewalt der Sprache im körperlichen Geschehen. So wie die Antwort schon Teil der physisch zu erfahrenden âventiure ist, ist das Fragen ein sich im Körper vollziehendes Anklopfen und Aufbrechen, ein Gewaltakt. Indem Gawein nun den Fährmann über die scheinbare Harmlosigkeit des Geschehenen aufklärt, wiederholt er seine Frage diesem gegenüber. Doch der weigert sich wie die Tochter, Auskunft zu geben: dô sprach er »vrâgets niht durch got: hêr, dâ ist nôt ob aller nôt.« »sô muoz ich doch ir kumber klagen«, sprach Gâwân. »wirt, ir sult mir sagen, war umbe ist iu mîn vrâgen leit?« »hêr, durch iwer manheit. kunnt ir vrâgen niht verbern, sô welt ir lîhte fürbaz gern: daz lêrt iuch herzen swære
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und macht uns freuden lære, mich und elliu mîniu kint, diu iu ze dienste erboren sint.« Gâwân sprach »ir sult mirz sagen. welt ab ir michz gar verdagen, daz iwer mære mich vergêt, ich freische iedoch wol wiez dâ stêt.« (Parz.556,15–25). (da sagte er: »Fragt nicht, um Gottes willen, Herr. Da ist allergrößte Not.« »Dann muss ich doch ihr Unglück beklagen«, sagte Gawein. »Wirt, ihr müsst es mir sagen, warum passt euch mein Fragen nicht?« »Herr, wegen eurer Tapferkeit. Wenn ihr das Fragen nicht lassen könnt, so wollt ihr wahrscheinlich auch weitergehn. Das aber bringt euch Herzenskummer und nimmt uns alle Freuden, mir und allen meinen Kindern, die zu eurem Dienst geboren sind.« Gawan sagte: »ihr müsst es mir sagen. Wenn ihr es mir aber ganz verschweigen und mir eure Geschichte vorenthalten wollt, so finde ich auch anders heraus, was da los ist.«)
Die Argumente, die Gawein vorbringt, um die Antwort zu erzwingen, sind die klassischen. Erbarmen und fester Wille, das Geheimnis herauszufinden bewirken eine erste Nennung der âventiure (Parz.556,17– 557,14): ze Terre marveile ir sît: / Lît marveile ist hie. / hêrre, ez wart versuochet nie / ûf Schastel marveil diu nôt. / iwer leben wil in den tôt (ihr seid in Terre marveile, das Lit marveile ist hier. Herr, es ist auf Schastel marveil noch nie die Gefahr herausgefordert worden; euer Leben will den Tod, Parz.557,6–10). Die Vervollständigung einer angefangenen Geschichte, von der er schon ein bisschen etwas weiß (Parz.557,15–30), und schließlich die Unmöglichkeit, ohne Gesichtsverlust wieder wegzugehen, wenn er schon mal an diesem Ort ist und gefragt hat (Parz.558,1–562,6), machen schließlich, dass der Fährmann ausführlich antwortet. Die Bedeutung der Frage als Teil der leiblich zu bestehenden âventiure, als Eindringen in einen Raum, aus dem es kein Zurück mehr gibt, in dem der fragende Held schon Teil der durch die Antwort skizzierten Welt ist, wird deutlich an Parzival, der zu Gaweins Erstaunen bei Plippalinot einkehrte, ohne in die âventiure einzubrechen: er hatte die entscheidende Frage nicht gestellt und wusste so von nichts (Parz.559,9–25). Es ist die Frage, die die âventiure öffnet. So sagt der Fährmann zu Gawein: het ir selbe vrâgens niht erdâht, nimmer wært irs innen brâht von mir, waz hie mæres ist, mit vorhten scharpf ein strenger list. (Parz.559,27–30)
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(wäret ihr nicht selber auf die Frage gekommen, hättet ihr nie von mir erfahren, was hier los ist, diese fürchterliche, grausame Tücke.)
Die Kreise des Schweigens um Klinschors Burg ziehen sich schließlich auch im Innern der Burg um den eigentlichen Ort der âventiure, die Kemenate mit dem Wunderbett: die Burg scheint bei Gaweins Eintreten vollkommen leer, nichts ist zu hören, nichts bewegt sich, von den Frauen findet sich keine Spur. Und Wolfram lässt Gawein während 68 Versen in dieser Stille herumspazieren und die Räumlichkeiten schweigend bestaunen, bis er schließlich dem Wunderbett gegenübersteht und sein Kampf beginnt – ein Kampf, der in grässlichem Lärm die vorhergehende Stille bricht (Parz.567,15–568,14).150 Munsalvæsche Diese Struktur der durch Schweigekreise geschützten Zauber-âventiure, wie sie Erec, Iwein und Gawein durch Fragen zu brechen haben, bestimmt schließlich auch die Gralsburg. Für die arturische Welt verschlossen (Parz.286,10–12), unauffindbar versteckt, in der äußeren Welt verheimlicht (Parz.473,5–11;495,1–6;497,3–20;825,11–24), harrt die verfluchte Gesellschaft auf die erlösende Frage, die aber durch keine Rede provoziert werden darf (Parz.483,19–30). Parzival nun, von Gurnemanz in den höfischen Verhaltenskodex eingeführt und ermahnt: irn sult niht vil gevrâgen (Parz.171,17), unterlässt die lösende Frage durch zuht (Parz.239,10), obwohl man ihn mit allen nur erdenklichen Wundern dazu reizen will. Was Parzival gegenüber Trevrizent dann als seine tumpheit bezeichnet (Parz.488,15), ist eigentlich zu große zuht. Gerade weil Parzival die von der höfischen Erziehung gesetzte Grenze nicht überschritt, versagte er in seiner Erlöserfunktion. Denn alle diese magisch verschwiegenen âventiure verlangen den gewaltsamen Bruch der Grenze, die Verletzung der höfischen zuht für die größere Aufgabe. Sowohl Erec als auch Iwein und Gawein erzwingen in höchst unhöfischer Art eine Antwort, wobei sich der Bruch des Anstands gerade bei Gawein, diesem vorbildlichsten aller Ritter, am deutlichsten zeigt.151
150 Zum verdammten Schweigen in der Burg Klinschors vgl. Parz.637,20–23. Siehe dazu auch Haferland, Höfische Interaktion (1988), S. 168. Bumke weist auf einen möglichen Sinnzusammenhang dieser Konversationslosigkeit mit der verlorenen Zeugungsfähigkeit Klinschors hin und spricht von einem »Verödungszauber«. Bumke, Geschlechterbeziehungen in den Gawanbüchern von Wolframs »Parzival« (1994), S. 105 f. 151 Das in der Forschung verbreitete Wundern über die Offenheit des Fährmanns gegenüber einem möglichen sexuellen Übergriff Gaweins auf seine Tochter mag
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2.4 Zusammenfassung Im Gegensatz zum Wald, in dessen Wirrnis keine Sprachordnung zu finden ist, und der einen eigentlichen Gegensatz zur höfischen Welt bildet, gehört der geschlossene Raum zur Architektur des Hofes, sind die Innenräume Teil der höfischen Ordnung. Dadurch bleibt auch die darin verschwiegene Handlung Teil des öffentlichen Geschehens, indem es in dessen Kontext gedeutet und verstanden wird. Da es die höfische zuht ist, die ungezügelte Trauer und intime Liebe hinter geschlossene Türen verweist, wird das sprachlose Geschehen im geschlossenen Raum je nach Kontext als große Trauer oder Liebe verständlich. Türe und Wand werden zu Mitteln des Schweigens und dienen wie dieses zur Affektbewältigung. Da, wo das Schloss des Mundes nicht mehr hält, soll ein reales Schloss zu Hilfe geholt werden. Droht sich aber dieser geschlossene Raum in Exklusivität zu verabsolutieren, fällt er aus der Architekturanordnung und damit auch aus der sinngebenden Struktur heraus. Sein Schweigen löst sich aus dem deutenden Kontext des Hofes, wird unverständlich und in dieser Unverständlichkeit zur Gefahr. Das im Innersten des Hofes versteckte und bewahrte Geheimnis von Gregorius ist im scheinbar perfekten Gefüge des Hofes sinnlos und weder für die Dienerin noch für die Herrin auch nur ansatzweise verständlich. Dies geht so lange gut, als es keinen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung hat. Erst als es entdeckt wird, als die Kammer, das Wandversteck und die Tafel gesehen werden, wird das Verschwiegene zur Bedrohung. Denn da langt die öffentliche Ordnung nach diesem Raum, um ihn in einen erklärenden Zusammenhang zu bringen. Das verschwiegene Gesetz der Schuld und Busse hat aber im Gesetz des Hofes keinen Platz, es sei denn, es schaffe sich diesen, indem sich in dieser Verknüpfung von unanständigem, gerade dadurch aber erlösendem Fragen und körperlichem Übergriff etwas klären. Vgl. den Kommentar von Nellmann zu Parz.555,19–30. Gerade im Blick auf die penetrante Fragerei der arturischen Helden kann ich der Gegenüberstellung von Wandhoff nicht ganz folgen, der erst in der Gralsburg eine Brechung der »auf wechselseitiger visueller Selbstreflexion beruhende(n) Konzeption des höfischen Festes« sieht und meint: »In seiner bloss staunend-beobachtenden Haltung und der sprachlosen Einordnung in die optisch beherrschte Zeremonie tut Parzival zwar den arthurischen Interaktionsprogrammen der zuht und der vuoge Genüge (V.330,1 ff.); mit derselben Haltung erweist er sich jedoch der Welt des Grals als noch nicht würdig.« Wandhoff, Der epische Blick (1996), S. 221. Schon bei den arturischen Helden ist der notwendige Verstoß gegen die zuht durch die Frage in der âventiure angelegt.
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es die Welt des Hofes zerstört. Der scheinbar sinnstiftende Griff nach dem Fremden im Innersten wird zum verhängnisvollen Griff nach dem Unverständlichen, dessen Angliederung an die erkannte Ordnung diese zerstören muss. Das durch Neugier angestachelte Aufbrechen des Schweigeraums führt zur Schuld. Und diese verschwiegene, aus aller Ordnung fallende Schuld muss im Moment, wo sie ausgesprochen wird, die öffentliche Ordnung zerstören. So wie sich das in einem geschlossenen Raum verschwiegene Geheimnis an der Ordnung misst, darin seinen Sinn erhält oder seine Monstrosität beweist, kann sich aber in einem Missverhältnis von höfischer Ordnung und sprachlosem Innenraum auch die Un-Ordnung des Hofes erweisen. Wenn Oringles Enite an seinem Hof ihre zurückgezogene Trauer um Erec verweist, will er die in der Grammatik der Hofzucht legitimierte Trauerpause streichen und erweist dadurch die Fehlerhaftigkeit seiner Regeln. Auch als Ort der intimen Liebe ist der geschlossene Raum sprachlos und verschwiegen. Im doppelten Schweigen der Liebenden findet die Liebe ihren höchsten Ausdruck, so dass der Rückzug eines Paares in die Kemenate immer von Schweigen begleitet ist. Aber auch da ist es der höfische Kontext, der dieses sprachlose Raumzeichen als Zeichen der Liebesvereinigung verständlich macht, ist es die Regel der zuht, die diese Schweigemomente, diese Pausen im Text zu Liebespunkten macht. Kaum dringt jedoch in diese stillen Räume ein Wort ein, bricht die Einheit des Schweigens auf und distanzieren sich die zwei Körper. Durch die Sprache, durch die Artikulation, bleiben die einzelnen Glieder von Anfang an getrennt oder lösen sich wieder aus ihrer Vereinigung. So ist es bei den Eltern von Gregorius das zu lange Schweigen der Schwester, in dessen Schutz der Bruder sie vergewaltigen kann, um über diese erste stille Vereinigung dann alle weiteren zu initiieren. Dagegen hält bei der ersten Begegnung von Condwiramurs und Parzival das nächtliche Gespräch der beiden selbst unter der gemeinsamen Bettdecke die Distanz. Der verschwiegene Innenraum dient nicht nur zur Bewältigung des Affekts, sondern auch zur Bewältigung des Fremden, das von außen kommt. So wird der fremde Gast, kaum ist er angekommen, in einem wortlosen Ritual für den Hof bereitet, indem er gebadet und neu eingekleidet wird. Erst dann tritt er in die höfische Öffentlichkeit und kann in deren Ordnung wahrgenommen werden – wie ein sorgfältig und still vorbereiteter erster Satz. Nach diesem in den Erzählungen schweigend vorbereiteten Übergang von der äußeren Welt in die innere Welt des Hofes wird dann die 377
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Frage nach der Geschichte des Gastes gestellt. Und indem der Gast darauf antwortet, webt er sich durch die Erzählung in den Kontext des Hofes ein und gliedert sich die höfische Gesellschaft den Fremden an. Entsprechend ist die Verweigerung der Erzählung Verweigerung der Angliederung an den Hof, Verweigerung einer Assimilation an die fremde Umgebung, wie bei Rennewart. Die Frage bricht in die Geschichte des fremden Gastes ein und holt diese in den öffentlichen Raum des Hofes. Es ist aber auch die Frage, die in einen verschwiegenen fremden Bezirk eindringt und damit eine âventiure initiiert. Die in magischem Schweigen eingeschlossenen Bezirke in den höfischen Romanen müssen durch Fragen gewaltsam aufgebrochen werden, bevor sie zu âventiure werden und als solche zur Erzählung gerinnen können. Es ist das Schweigen dieser fremden Welten, das zum Schluss besiegt werden muss durch die höfische Rede. Damit dies möglich wird, braucht es aber immer einen Verstoß gegen eben jene Gesetze, die die höfische Sprache regeln. Der Sieg über das Fremde, die Eroberung des Unbekannten, die Erzählung des Sprachlosen kann nur gelingen, wenn die eigenen Gesetze zuerst gebrochen werden.
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Ausblick: Das Nibelungenlied
Ausblick: Das Nibelungenlied
Die hier untersuchten und in größeren Zusammenhang gestellten Schweigeszenen und Schweigeformen bieten eine Grundlage für die Auseinandersetzung mit Schweigeszenen in anderen Texten dieser Zeit. Dabei wird gerade im Kontrast, in der Gegenüberstellung deutlich, wie in andern Textgattungen und Erzählformen anders gewichtet wurde. Auf einen ersten Blick sind es einzelne Schweigeformen und -gesten, die eine Differenz zu anderen Werken erkennbar werden lassen. So findet sich in geistlicher Dichtung das mystische oder das asketische Schweigen, in religionspolitischer Literatur das Schweigen der Ungläubigen, in der Geschlechterpolitik der Märendichtung immer wieder das gewaltsame Verstummen der Frau, – Schweigeformen, die alle in den hier untersuchten Romanen keine Rolle spielen. Bei einem zweiten Blick fällt dann aber vor allem die Inszenierung der Schweigeszenen ins Auge, die Übertragung der Schweigemetaphorik in die Erzählstruktur, die Spiegelung des Mikrokosmos der deutenden Metapher in den Makrokosmos der Erzählung. Der Deutungshintergrund, wie er sich für die hier untersuchten Romane durch das Zeitund Raummuster von Nacht und Mittag, Wald und geschlossenem Raum bildet, ist in andern Texten nicht in derselben idealen Art durchgezogen, oder zitiert ganz andere Grundmuster. So wäre eine eingehendere Studie explizit geistlicher Literatur dahingehend interessant, als dort die Verwirklichung einer mehr oder weniger klar definierten ideologischen Ordnung angestrebt war und sich wohl auch in der poetischen Assoziationsführung aufzeigen ließe. Dasselbe gilt für politisch motivierte Erzählungen. Damit stellt sich die Frage, inwiefern nicht genau von diesem Gesichtspunkt her, weniger über die vordergründige Thematik als die hintergründige Struktur der Assoziationsführung, eine Gattungsbestimmung möglich wird. Der Versuch einer Erfassung der Schweigewahrnehmung in den hier untersuchten Romanen auf dem Hintergrund kultureller Vorstellungsmuster öffnet sich dadurch auf weitergehende Fragen der Produktion und Rezeption von Literatur als Teil unbewusst oder bewusst selektiver Deutungsstrategien. Die vorliegende Studie kann so zum Kontrastmittel werden für andere Texte. In welcher Art dies Interpretationshilfe sein kann, inwiefern es den Blick schärft, soll am Beispiel des Nibelungenlieds kurz aufgezeigt werden. 379
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Das Nibelungenlied, als höfische Heldendichtung gehandelt, unterscheidet sich radikal von den hier untersuchten Romanen der französischen Tradition. Die strophische Form bestimmt ein Erzählen, das sich immer wieder in die knappe Formel zusammenzieht, dessen zu prägnanten Bildern geschlossene Kette einerseits die Handlungsebene betont, anderseits aber in der mit dickerem Strich gefertigten Zeichnung auch Räume offen lässt, die im detaillierteren Artusroman bestückt sind.1 Die Nibelungenstrophe öffnet sich selten auf die in dem paarreimigen vierhebigen Vers mögliche Abschweifung und aus der Formel ausbrechende Bemerkung und Reflexion. Und so ist die Darstellung weniger auf die Analyse innerlicher Vorgänge angelegt, als auf die Dramatik der Handlung. Abgesehen von den floskelhaften Abkürzungen des Erzählers, den zur Rede auffordernden Formeln2 sowie der Wahrnehmung des Todes als Verstummen3, konzentrieren sich die Schweigeszenen im Nibelungenlied ausschließlich um die Thematik der triuwe.4 Daneben verblassen die anderen im höfischen Kontext zitierten Schweigeformen der zuht, sei dies die Regel nicht zu spotten (NL 822), sie dies der fehlende Tadel (NL 119), sei dies die Zurechtweisung der unbotmäßigen Jugend 1 Müller spricht von dem offenen »Raum des Handelns« im Nibelungenlied. Spielregeln für den Untergang (1998), S. 298. Vgl. allgemein zu den Räumen im Nibelungenlied ebd., S. 297–343. Zu der doppelten Motivations- und Erzählstruktur des Nibelungenlieds mit seinem höfischen Firnis auf mythischem Grund vgl. u. a. Hoffmann, Das Nibelungenlied – Epos oder Roman? (1987), S. 148 f. 2 Wie z. B. Swem sîn kunt diu mære, der sol mich niht verdagen (NL 77,1); oder: daz sol iuch unverdaget sîn (NL 106,4). Es gibt auffallend wenig floskelhafte Abkürzungen des Erzählers, wie: des enkan ich niht gesagen, (NL 1321,1); waz mac ich sagen mêre? (NL 2133,1); ine kan iu niht bescheiden, waz sider dâ geschach, (NL 2379,1). Das rhetorische Spiel des Erzählers mit dem Schweigen ist in dem Masse im Nibelungenlied weniger eingesetzt, als die Figur des Erzählers weniger präsent ist als im höfischen Roman französischer Prägung. 3 Dô mohte reden niht mêre der recke küen‘ unt gemeit (NL 998,4). Interessant ist jedoch, dass das, was im höfischen Roman eigentlicher Topos ist, im Nibelungenlied, in dem ja nicht eben wenig gestorben wird, nur auf den Tod von Siegfried bezogen wird, der dadurch sozusagen einen höfischen Tod erhält. Sonst tritt diese Konnotation des Todes mit Sprachlosigkeit nur im abstrakteren Sinn auf, wenn von der Stille die Rede ist, die nach dem grausamen Gemetzel am Schluss einkehrt (NL 2078). Vgl. auch NL 2227,3 und 2272,4. 4 Damit spiegelt sich in der Schweigethematik die von Müller herausgestrichene Bedeutung der persönlichen Verpflichtungen gegenüber vriunden, deren Netz »ein für die nibelungische Welt fundamentales Ordnungsprinzip« ist. Müller, Motivationsstrukturen und personale Identität im ›Nibelungenlied‹ (1987), S. 233. Über die Schweigethematik wird dieses Ordnungsprinzip nicht gebrochen, aber in seiner fragwürdigen Ambivalenz und Verletzlichkeit manifest.
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(NL 1993).5 Auch die ›multiloquitas‹, das zu viele und überflüssige Reden – im Nibelungenlied ausschließlich Sache der Frauen –, ist nur Teil des Verhängnisses der gebrochenen triuwe. Selbst das affektbedingte Verstummen kommt kaum vor und wenn, so in engstem Deutungszusammenhang mit der Treuethematik, als Kriemhild bei Siegfrieds Tod und seinem Begräbnis in Ohnmacht fällt (NL 1009 und 1070).6 Denn auch die Liebesbindung, der Zusammenschluss im schweigenden Blick, wie er Siegfried und Kriemhild umfasst, ist vollkommen aufgesogen von der triuwe-Bindung, die sich im gemeinsam gehüteten Geheimnis realisiert. Die öffentlichen Bindungen sind so kontrastiert durch über das gemeinsame Schweigen und Verschweigen definierte heimliche Bindungen. Damit werden über die Schweigethematik die zwei Ebenen der Treuebindungen, wie sie das Nibelungenlied beherrschen, deutlich fassbar. Im Zentrum der verschwiegenen Bündnisse steht die Liebe von Kriemhild und Siegfried. Sie ist nicht nur durch die heimliche Liebe getragen, durch den schweigenden Liebesblick (NL 293,3–294,4)7, sondern auch durch einen Minnedienst, der über die Verleugnung von äußerer Stellung im Rahmen des Frauendienstes dann zu einer vollkommenen Übereinstimmung von äußerem und innerem Treueverhältnis führt. Siegfrieds Hilfeleistung bei Gunthers Brautwerbung um Brünhild, eine Hilfe, die nur dank der Standeslüge möglich wird, ist explizit Mittel seiner eigenen Werbung um Kriemhild (NL 388). Bringt dieser öffentliche Dienst Siegfrieds, als Bild seines heimlichen Minne5 Was die Schweigeszenen betrifft, kann man kaum von einer ›adaptation courtoise‹, einer Höfisierung des Stoffes sprechen. Vgl. zur ›adaptation courtoise‹ Schulze, Das Nibelungenlied (1997), S. 142–176. Wenn Kriemhild Brünhild bittet, ihre Behauptung zu lassen, Siegfried sei Gunthers eigenman, bezieht sie sich implizit auf die Regel, üble Nachrede und Verleumdung zu meiden (NL 822). Dietrich weist die streitenden und »wie alte Weiber« keifenden Helden Hildebrant und Hagen zurecht (NL 2345) und fährt dem großmäuligen, prahlenden jungen Wolfhart übers Maul (NL 1993). Gunther aber ärgert sich darüber, dass Hagen seinen Neffen Ortwin nicht zurechtweist, als dieser Siegfried verbal angreift (NL 119). 6 Als Kriemhild den Tod Siegfrieds realisiert, heißt es: Dô seic si zuo der erden, daz si niht ensprach (NL 1009,1). Nur der ins Höfische gezeichnete Hildebrand verstummt über der Nachricht von Rüdigers Tod: vor siuften mohte vrâgen niht mêre Hildebrant (NL 2261,3). Ich denke nicht, dass im eigentlichen Sinn von einer »Emotionalisierung des Stoffes« gesprochen werden kann, wie das Wolf macht. Heldensage und Epos (1995), S. 304 f. 7 Diese im Liebesblick verschwiegene Bindung wird gern mit dem höfischen Motiv der tougen minne enggeschlossen. Vgl. dazu Schulze, Das Nibelungenlied (1997), S. 158.
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dienstes, äußere Erscheinung und innere Absicht in eigentümlicher Weise zur Deckung, entspricht dann dem öffentlich bekräftigten und gültigen Ehebündnis von Siegfried und Kriemhild ein inneres, verschwiegenes Bündnis. Und dieses ist dadurch ausgezeichnet, dass es durch kein Verschweigen, keine Verheimlichung verstellt ist, sich selber aber festigt in gemeinsamem Verschweigen. Den Höhepunkt erreicht diese nach außen durch einen Schweigering geschützte Vertrautheit und Nähe zwischen Kriemhild und Siegfried, als dieser ihr Ring und Gürtel Brünhilds schenkt – und damit das Geheimnis, wie er diese erhielt. Dabei braucht es keine expliziten Worte, die den Vorgang erklären, sondern in dem gegebenen Kontext ist die Zeichenhaftigkeit dieses Geschenks eindeutig. Gürtel- und Ringübergabe gehören zu dem geheimnislosen Raum zwischen Siegfried und Kriemhild, in dem nichts verschwiegen ist.8 Und das Verhängnis beginnt, als dieser geschützte Kernraum Risse bekommt. Das verschwiegene, im gemeinsamen Geheimnis bekräftigte Band steht in strengem Kontrast zu den öffentlich-gesellschaftlichen Bündnissen am Burgundenhof, wie sie sich im Auge Brünhilds spiegeln.9 Es ist dieses Auge, in dem die burgundischen Verhältnisse ausschließlich in ihrer Öffentlichkeit gesehen werden, nur so erkannt und gewusst sind, wie sie sich darstellen. Denn im Gegensatz zu Kriemhild, die im Verlauf der Handlung nicht nur mit Hagen, sondern dann auch mit Rüdiger (NL 1255) und – in abgeschwächter Form – mit den von Etzel zu Gunther abgesandten Spielleuten (NL 1413) einen verschwiegenen Geheimnisbund schließt, steht Brünhild von jeder Schweigegemeinschaft ausgeschlossen da. Gunther weiht sie notgedrungen nicht in
8 Haustein meint, dass Kriemhild mit ihrem kebse-Vorwurf gegen Brünhild »mehr behauptet, als sie weiss und eigentlich verantworten kann. Denn der Epiker lässt den Hörer nicht im Zweifel darüber, dass Siegfried die Wahrheit sagt, wenn er bestreitet, sich Kriemhild gegenüber des Besitzes von Brünhild gerühmt zu haben.« Siegfrieds Schuld (1993), S. 383 f. Ich glaube nicht, dass es hier darum geht, was Siegfried wörtlich gesagt hat, sondern was Kriemhild durch das Geschenk des Gürtels und des Rings erkannt haben muss. Der Geheimnisraum der Liebe von Kriemhild und Siegfried braucht nicht das ausgesprochene, damit öffentliche Wort, um das Zeichen zu erklären. 9 Zu Minnedienst und der darin zu fassenden Standeslüge sowie dem Stratordienst Siegfrieds siehe Haustein, Siegfrieds Schuld (1993), S. 381 ff. Ich möchte aber gerade im Blick auf die Treueverhältnisse, wie sie sich im gemeinsamen Schweigen konkretisieren, nicht so weit gehen wie Haustein und von einer Verletzung des Ordo durch die Liebenden sprechen und darin den Anfang des Verhängnisses sehen. Ebd., S. 383.
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sein Geheimnis mit Siegfried ein; sie ist seine Gattin, aber nicht seine Vertraute. Und so kennt sie keine Kehrseite des gesprochenen Wortes. Deshalb definiert sie ihre Stellung allein über die im ausgesprochenen Wort konstituierte Öffentlichkeit und kann entsprechend auch die seltsame Ehrung Siegfrieds durch dessen Verheiratung mit Kriemhild nicht akzeptieren.10 Für sie ist er, seinem eigenen Wort gemäss, Gunthers man (NL 821,2).11 Es ist Brünhilds Beharren auf der durch Sprache bekräftigten Ordnung (NL 838,4), das das Verhängnis ins Rollen bringt. Dadurch wird Kriemhild dazu gebracht, das durch Treue bewahrte Geheimnis, in dem sich die der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufende Machtstruktur manifestiert, zu offenbaren.12 Indem Brünhild ihre öffentliche Stellung am Burgundenhof behaupten will, provoziert sie das Aufbrechen der heimlichen, durch Schweigen geschützten und geschlossenen Treuebündnisse, an deren plötzlicher Präsenz dann die öffentlichen Abhängigkeiten zerschellen. Sie will die ausagierte Wirklichkeit mit der im Wort geschaffenen Wirklichkeit zur Deckung bringen. Deshalb inszeniert sie die Einladung von Siegfried und Kriemhild an den Burgundenhof, um da die sichtbare Ordnung mit der verbalisierten Ordnung zusammenzubringen (NL 724–725).13 Diese Auflösung der durchs Wort bestätigten öffentlichen Machtstrukturen, wie sie sich im Auge Brünhilds realisieren, wird schrecklich deutlich in dem stummen Weinen der Königin nach Kriemhilds Anschuldigungen, sie sei ja
10 Zu Brünhilds konsequent auf öffentliche Rechtsverhältnisse bezogenen Haltung vgl. Haustein, Siegfrieds Schuld (1993), S. 379. 11 Brünhild beruft sich gegenüber Kriemhild auf das ausgesprochene Wort von Gunther und Siegfried: ich hôrte si jehen beide (NL 820,3); dô jach des selbe Sîfrit, er wære ’sküneges man. / des hân ich in für eigen, sît ichs in hôrte jehen (NL 821,2 f.). 12 Der Hinweis Kriemhilds, dass Brünhild besser geschwiegen hätte, ist Hinweis darauf, dass sie sich besser nicht auf die verbalisierten Ordnungsstrukturen berufen sollte: »kundestu noch geswîgen, daz wære dir guot« (NL 839,2). Es ist nicht nur einfach das ausgesprochene Wort, das hier zum Verhängnis führt, sondern der darin manifestierte, ausschließende Bezug auf die öffentliche Ordnung. So verweist auch Kriemhild Brünhild, dass sie sie durch ihre Worte degradiert hätte: »du hâst mich ze dienste mit rede dich an gezogen« (NL 842,2). Vgl. zur Problematik des gesprochenen Worts im Nibelungenlied auch Müller, Spielregeln für den Untergang (1998), S. 366 ff. 13 Es geht nicht darum, dass sie einen Betrug ahnt und den aufdecken möchte, sondern es ist die Bestätigung der offenbaren, ihr im Wort gegebenen Ordnung, die sie sucht. Die Diskrepanz zwischen Wort und Tat fällt ihr auf, aber sie sucht nicht die Täuschung im Wort, sondern die zum Wort passende Handlung.
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doch nur mannes kebse (NL 839,4): Prünhilt dô weinte (NL 843,1).14 Das sprachlose Weinen, das heißt das nicht durch eine Klage begleitete Weinen, ist im höfischen Roman Teil des affektiven Verstummens. Es ist aber weder Angst noch Sorge, was Brünhild weinend verstummen lässt, es ist auch nicht die höfische Scham, die der so sprachbewussten und sprachabhängigen Königin die Rede raubt, sondern in diesem wortlosen Weinen Brünhilds stürzt die durch das gesprochene Wort bestätigte, repräsentative Ordnung des Hofes zusammen.15 Und es beginnt – im Schweigen danach, während der Messe – der verhängnisvolle Kampf zu ihrer Verteidigung und Aufrechterhaltung. In der bis dahin gewahrten Verschwiegenheit Kriemhilds überlagerten sich die Treue gegenüber Siegfried – deren Schutz das gemeinsam bewahrte Geheimnis ist – und die Treue gegenüber der öffentlichen Ordnung, so dass ihr Schweigen Garant einer doppelten Treuebindung war. Kriemhild kündigt denn auch die Offenbarung des Geheimnisses mit dem Hinweis an, dass sie die durch das Geheimnis bewahrte Treue gegen Brünhild – und damit gegen die Ordnung am Burgundenhof – nicht mehr halten wolle: getriuwer heinlîche sol ich dir wesen umbereit (NL 842,4). Dass der Verrat des Geheimnisses auch ein Bruch der Treue zu Siegfried ist, ist ihr da nicht bewusst. Und doch ist es der erste Riss in dem Kriemhild und Siegfried schützenden Schweigering. Nur deshalb gelingt es Hagen dann, in den innersten Bereich der verschwiegenen Gegenordnung am Burgundenhof, den Geheimnisraum zwischen Siegfried und Kriemhild, einzudringen: er bringt Kriemhild dazu, ihm Siegfrieds verwundbare Stelle zu nennen. Indem Kriemhild Hagen dieses Geheimnis verrät, zerstört sie die ausschließende Schweigsamkeit, die Garant ihrer Bindung zu Siegfried ist. Dabei beruft sie sich gegenüber Hagen genau auf die Treuebindungen, nämlich die öffentlichen, ausge14 Man streitet sich darüber, wie diese Beleidigung Kriemhilds zu verstehen sei, da Siegfried ja – nach dem Text – den Beischlaf nicht vollzog, sondern nur – schweigend und unsichtbar – Brünhild überwältigte, bevor er sie dann Gunther weiterreichte. Doch nimmt er Brünhild nach der Überwältigung Gürtel und Ring ab und schenkt diese Zeichen des vollzogenen Beischlafs dann Kriemhild. Die so explizit und wortreich durchgeführte Trennung von Überwältigung und Beischlaf im Text ist letztlich Rechtschreibung eines Vorgangs, der den Burgundenhof im Kern bedroht. Die Tatsache, dass ohne Siegfrieds Hilfe diese Ehe nie vollzogen worden wäre, bleibt aber bestehen. Und so ist Kriemhilds Vorwurf im öffentlichen Bereich nicht richtig, im verschwiegenen Beziehungsnetz aber durchaus treffend. 15 Die ersten Tränen Brünhilds, als sie Siegfried neben Kriemhild sitzen sieht, werden von ihr noch erklärt als Ausdruck einer Scham für ihre Schwägerin, als Ausdruck einer Trauer über die Verletzung der Standesordnung (NL 620).
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sprochenen, die sie im Streit mit Brünhild zerstört und negiert hatte (NL 898). Endgültig wird der Bruch der Treuebindung zu Siegfried dann aber dadurch, dass Kriemhild es nicht mehr wagt, ihren Verrat Siegfried zu sagen (NL 920). Damit wird in die durch kein Geheimnis verstellte triuwe der zwei eine Wand des Verschweigens gezogen. Die gegen außen durch Schweigen, gegen innen durch die Absenz jeder Verschwiegenheit und Verheimlichung gefestigte Intimität zwischen Kriemhild und Siegfried ist zerstört. Indem Hagen durch die Ermordung Siegfrieds das verschwiegene Treue-Netzt zerreißt, rächt er den öffentlichen Treuebruch gegenüber der Königin und zerstört die heimliche Konkurrenz zum öffentlichen Schein und der durch die Sprache gestützten Repräsentation. Die Verletzung der öffentlichen Ordnung durch Kriemhilds Hinweis auf die verschwiegene Ordnung gegenüber Brünhild rächt Hagen durch die Zerstörung der verschwiegenen Ordnung zum Schutz der öffentlichen Macht. Und da brechen äußere und innere, öffentliche und verschwiegene Welt vollkommen auseinander und finden in keinem Moment der Erzählung wieder zusammen. Was vorher die heimliche Kehrseite der öffentlichen Treueverhältnisse war, so verbunden damit wie die Rückseite eines Stoffes mit seiner Vorderseite, wird durch Brünhilds Spott und Kriemhilds verhängnisvolle Antwort auseinandergerissen, wodurch beide Seiten, öffentliche und verborgene, zerstört werden. Hagen, dessen Stellung sich vollkommen von der äußeren Ordnung her definiert, macht sich zum Verteidiger derselben. Durch den Mord an Siegfried wird nicht nur die heimliche Machtstruktur zerschnitten, sondern auch Kriemhilds öffentliche Bindung zum Burgundenhof gekappt: von Stund an spricht sie nicht mehr mit Gunther (NL 1106).16 Wenn am Anfang Brünhild allein und isoliert dastand, nicht eingebunden in die verschwiegenen Treuebündnisse, ist nun, nach Siegfrieds Tod, als die andere Welt der durch Schweigen geknüpften Treuebande zerstört ist, Kriemhild ganz ähnlich isoliert und auf ihre eigenen Gedanken zurückgeworfen (NL 1248 f.).17 Doch wäh16 Kriemhild verkehrt zwar noch mit ihren andern Brüdern (NL 1108,1), hat aber durch den Bruch mit dem König die öffentliche Verbindung zum Hof unterbrochen. 17 Müller meint, dass der tiuvel Brünhild und die vâlandinne Kriemhild »in ihren Taten nicht miteinander zu vergleichen« seien. »Die eine fügt sich dem Wormser Hof letztlich ein, die andere fällt aus allen sozialen Bindungen heraus.« Spielregeln für den Untergang (1998), S. 441. Ich frage mich, ob man von Brünhild, der vom ersten Moment an Getäuschten, sagen kann, dass sie sich am Wormser Hof
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rend Brünhilds Selbstverständnis sich über die öffentlichen und expliziten Ordnungsstrukturen definierte, entzieht sich Kriemhild gerade dieser öffentlichen Ordnung in eine verschwiegene und geheime Welt. War die Hochzeitsfeier am Burgundenhof geprägt durch den Ausschluss Brünhilds von dem verschwiegenen Beziehungs- und Treuenetz, ist die Hochzeitsfeier Kriemhilds mit Etzel geprägt durch die innere Abwesenheit der Königin, die sich in dieser höchst repräsentativen Situation, in der ihr eine neue Stellung in einer öffentlichen Ordnung gegeben wird, in die heimliche Ordnung ihrer Treue zu Siegfried hineindenkt: wie si ze Rîne sæze, si gedâht’ ane daz, bî ir edelen manne (wie sie am Rhein bei ihrem edlen Mann gesessen hatte, daran dachte sie, NL 1371,1). Anders als Brünhild am Burgundenhof, wird Kriemhild hier nicht Königin, sondern bleibt Siegfrieds Frau. Die äußeren Machtund Zeichenstrukturen sowie Treuebindungen braucht sie lediglich als Maske und Mittel. So wird denn auch explizit darauf hingewiesen, dass an Etzels Hof niemand ihre Pläne kannte, die auf nichts anderes aus waren, als ihre Treue zu Siegfried zu bestätigen durch die Rache für seinen Mord: den argen willen niemen an der küneginne ervant (niemand erkannte die böse Absicht der Königin, NL 1399,4). Es ist aber nicht nur Kriemhild, die durch Siegfrieds Ermordung den Bruch mit der öffentlichen Ordnung vollzieht, sondern vom Moment des Mordes an werden auch alle andern öffentlichen Treuebündnisse am Burgundenhof durch verschwiegene Geheimnisse unterwandert und konkurrenziert.18 Was vorher als die zwei Seiten desselben Stoffes erschien, wobei dieselben Fäden das Gewebe bildeten, löst sich nun vollends auf – und jeder versucht mit den losen Fäden ein eigenes Stück zu weben. Selbst Hagen, den man gern als den »unbedingt Treuen« gegenüber seinem Herrn sieht, löst sich schließlich von diesem. Als die Burgunden auf Einladung von Kriemhild sich an Etzels Hof begeben, beginnt das Verschweigespiel Hagens gegenüber Gunther und damit der Bruch der unbedingten Treue. Anfang dieses »gewaltträchtigen Versteckspiels« ist aber ein verhängnisvolles Schweigegebot Gunthers gegen-
einfügen konnte. So ergibt sich im Blick auf die verschwiegenen Strukturen und Ordnungen durchaus eine Parallele, indem beide in absoluter Isoliertheit dastehen und agieren, wenn sie mit diesen teuflischen Attributen ausgestattet werden. 18 Müller weist überzeugend auf die Metaphorik von Hell und Dunkel als Ausdruck von Recht und Unrecht hin. Was er für das Dunkel herausarbeitet, deckt sich mit der hier skizzierten Schweigethematik: Spielregeln für den Untergang (1998), S. 290–295, v. a. 293.
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über Hagen.19 Denn als dieser im Anblick des wasserreichen und gefährlichen Flusses auf dem Weg zu den Hunnen vor dem Überqueren warnt, weist ihn Gunther in höfisch-ritterlicher Manier zurecht: ein vorbildlicher Ritter darf keine Angst zeigen. Und es ist diese regelkonforme Unterdrückung der Angst, die ins absolute Verderben führt (NL 1528 f.). Der ganze zweite Teil der Erzählung ist von Todesahnung und unterdrückter Todesangst bestimmt. Hagen, der Kenner der offenbaren Welt, der jede Kleidung, jedes äußere Zeichen wie kein anderer sofort zu deuten weiss, wird hier zum Wissenden, zum Ahnenden, zum Kenner der Welt, die jenseits des Flusses liegt: da wo der Tod ist.20 Denn was er gegenüber Gunther noch als luzide Ahnung warnend äußerte, wird ihm dann von den drei weisen Wasserfrauen bestätigt: swelhe dar gerîtent, die habent den tôt an der hant (wer dahin reitet, der führt den Tod an der Hand, NL 1540,4). Hagen reagiert auf diese Weissagung mit einer eigentümlichen Mischung aus Trotz und Erfüllung von Gunthers Gebot, in ritterlicher Tugend keine Angst zu äußern: Dô sprach in grimmem muote »daz wære mînen herren daz wir zen Hiunen solden nu zeig uns überz wazzer, (NL 1543)
der küene Hagene: müelîch ze sagene, vliesen alle den lîp. daz aller wîseste wîp.«
(Da sagte mit finsterem Gemüt der kühne Hagen: »das wäre meinem Herrn schwer beizubringen, dass wir bei den Hunnen alle das Leben verlieren sollen. Zeige uns nun einen Weg übers Wasser, weiseste der Frauen.«)
Doch es ist auch der Anfang von Hagens Bruch mit der durchs gesprochene Wort bestätigten Ordnung. Das Schweigen Hagens, nachdem ihm die Wasserfrauen erklärt hatten, wie der Fluss mit Hilfe des Fährmanns zu überqueren sei, ist nicht nur der Anfang des Verhängnisses, sondern auch ein Moment, der sich nicht nur der verbalen, sondern auch der verschwiegenen Ordnung entzieht: hier beginnt die bewusste 19 Im Blick auf diese Verschweigestrategien Hagens fällt es schwer, mit Müller von »unbedingter Treue« Hagens zu sprechen, die sich am Hunnenhof nochmals als Stütze des Herrschaftsverbandes bewähre. Müller, SIVRIT: künec – man – eigenholt (1974), S. 121. Zu der Verschweigetaktik Hagens siehe jedoch auch Müller, Spielregeln für den Untergang (1998), S. 290, wo vom »gewaltträchtigen Versteckspiel« die Rede ist. 20 Siehe zu dem sowohl weltlichen wie mythischen Wissen Hagens auch Mertens, Konstruktion und Dekonstruktion heldenepischen Erzählens (1996), S. 365.
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Reise in den Tod. Hagen wird so zum wissenden Inszenator des Untergangs.21 Der übermüete Hagene er’n redete niht mêre, (NL 1549,1 f.)
den vrouwen dô neic; wan daz er stille sweic.
(Der tollkühne Hagen verneigte sich da vor den Frauen. Er sagte nichts mehr, sondern schwieg still)
In dieser ganzen Szene drückt sich eine nicht in die höfische Welt transformierte Todesangst aus. Die Unterdrückung der Angst, als höfisch-ritterlicher Verhaltenskodex für den vorbildlichen Helden, wird vor dieser Gefahr, die der gewisse Tod ist, ad absurdum geführt.22 Und von Stund an verschweigt Hagen gegenüber Gunther. So verleugnet er den Mord am Fährmann, obwohl das ganze Boot voller Blut ist (NL 1567–68) und erzählt auch den Kampf mit Gelpfrat nicht gleich (NL 1620). Hagen, der Kenner der sichtbaren und versprachlichten Welt, wird zum Kenner der verschwiegenen und verheimlichten Welt. Er ist es denn auch, der als einziger die Rachepläne Kriemhilds durchschaut und sie zu den stummen Hassblicken zwingt, die – analog zu den Liebesblicken – nur von den zwei davon Betroffenen verstanden werden. Der scharfe Bruch, durch den die verschwiegene Ordnung zerstört, dadurch aber auch die öffentliche Ordnung zerrissen ist, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass die stummen Blicke, die im ersten Teil ausschließlich Liebesblicke waren (NL 293 und 353), Zeichen einer verschwiegenen Treue zwischen Kriemhild und Siegfried, im zweiten Teil nur noch Hass ausdrücken. So Kriemhilds Blick gegenüber Dietrich, der die Burgunden warnte (NL 1749,3 f.) und gegenüber Hagen, der verweigert, dass die Burgunden die Waffen ablegen (NL 1864,1 f.). Die Utopie einer wiederzufindenden Einheit zerschlägt sich zum Schluss vollends an der Weigerung Hagens, den Ort des Nibelungenschatzes zu verraten; dieses Schatzes, den Kriemhild über Siegfried erhalten hatte, den ihr Hagen mit dem Tod Siegfrieds genommen hatte
21 Müller weist darauf hin, dass durch die Beseitigung des Pfaffen »das Wissen ausgeschaltet (wird), das in der mittelalterlichen Kultur dem Wissen der laikalen Kriegergesellschaft konkurrierte« und sagt: »Hagen, kein pfaffe, ist fortan der Unglücksprophet, der die Lage richtig einschätzt, aber auch verhindert, dass jemand kneift.« Spielregeln für den Untergang (1998), S. 196. 22 Durch die Prüfung aufs Exempel am Kaplan sucht Hagen dann aber doch noch die Bestätigung – und erfüllt gerade dadurch die Vorhersage (NL 1574–1580).
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und auf dessen Wiedergewinnung sich ihre Rache im Verlauf der Erzählung immer mehr konzentriert.23 Durch die Zerstörung der heimlichen, im gemeinsam verwahrten Geheimnis bestätigten Bündnisse, wird das Geheimnis zum im Einzelnen verwahrten Hort. Diese beziehungslose Verschwiegenheit aber beginnt mit dem Tod Siegfrieds und führt letztlich zum Tod. Kriemhilds Erinnerung an ihre Zeit mit Siegfried, als sie mit Etzel Hochzeit feiert, ist Zeichen dieser innerlich bewahrten, einsamen Schweigewelt, die in strengem Kontrast zum äußeren Leben steht und die nicht nur Tod bedeutet, sondern mit diesem einen Treuebund wahrt. Durch den Bruch der durch Schweigen gegründeten triuwe wird die äußerliche, durch Zeichen und Worte besiegelte triuwe obsolet und vereinzelt der Protagonist in seinem verschwiegenen Denken, das der Anfang vom Tod ist.24 Ist das Höfisch-Ritterliche durch die Kommunikation bestimmt und geformt, ist das Gespräch und die öffentliche Bezeichnung das Sinnund Ordnungsstiftende, schlägt sich das schicksalhaft Außerhöfische im verschwiegenen Bereich des Geheimnisses seinen Weg. Kriemhild, die sich immer mehr aus der öffentlichen Welt in ihre heimlichen Gedanken zurückzieht, wird so für den öffentlichen Blick immer mehr zur Teufelin, die die sichtbaren Geschehnisse durch eigene Gegeninteressen zu steuern und zerstören sucht, während Hagen immer mehr zum Retter der Ordnung aufrückt. Nachdem Kriemhild Gunther, den
23 In der Rechtsgültigkeit der Versöhnung zwischen Kriemhild und ihren Brüdern sieht Müller den Grund dafür, dass der Racheanlass von Siegfrieds Tod auf den Hortraub verlagert werde: Motivationsstrukturen und personale Identität im ›Nibelungenlied‹ (1987), S. 243. Indem aber der Hort Kriemhild nach Siegfrieds Tod im Burgundenreich neue öffentliche Bündnisse und Treuebindungen ermöglichte – was gerade als Gefahr im Innern der Burgundenmacht erkannt wurde – wird der Hort zu einer Art Materialisierung der Siegfried-triuwe, deren Bindung durch die Ermordung Siegfrieds durch Hagen zerschnitten wurde. 24 Wie diese innere, verschwiegene triuwe gewertet wird, ist einer der großen Unterschiede der B und C-Fassungen. Indem die B-Fassung die für die Burgunden gefährliche bündnisstiftende Potenz des Hortes hervorhebt, wird der Hort zum Instrument der triuwe der Nibelungen, die zum explosiven Zentrum innerhalb der Burgundentreue werden könnte. Damit ist der Hort aufs engste mit der über Siegfried gestifteten Personenverbindungen zusammengeschlossen und kann so für Kriemhild zum Inbegriff der verlorenen triuwe werden. Vgl. dazu die doppeldeutigen Aussagen Kriemhilds, wenn sie am Schluss vom Hort spricht. (NL 2367.3 f.). Anders die C-Fassung, die diese Verbindung auflöst und den Hort als Schatz von der Minne Kriemhilds löst und somit scheinbar psychologischer, sicher aber linearer argumentiert. Dazu auch Müller, Motivationsstrukturen und personale Identität im ›Nibelungenlied‹ (1987), S. 243 f. und 247.
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König der Burgunden und letzten ihrer Brüder, erschlagen liess, sagt so Hagen: »Nu ist von Burgonden Gîselher der junge den schaz den weiz nu niemen der sol dich, vâlandinne, (NL 2371)
der edel künec tôt, unde ouch her Gêrnôt. wan got unde mîn: immer wol verholn sîn.«
(Jetzt sind vom Burgundenland der edle König, der junge Giselher und auch Herr Gernot tot. Um den Schatz weiß nun niemand außer Gott und mir. Er soll dir, Teufelin, für immer verborgen bleiben.)
Damit zieht er eine scharfe Grenze zwischen sich, als dem Hüter eines Geheimnisses, das er nur noch mit Gott teilt, und Kriemhild, die in diesen Geheimnisraum zwischen ihm und Gott eindringen will. Indem er sie zur Teufelin zeichnet, legitimiert er sein Verschweigen. Am Geheimnis um den Hort verkehrt sich so am Schluss, auf dem Friedhof des Burgundenheers, in Hagens Worten die Wertung von Reden und Schweigen, von Heimlichem und Offenbarem. Das öffentliche Wort wird zum teuflischen Wort, das verschwiegene Wissen ist von Gott geschütztes Geheimnis.25 Im Gegensatz zu den höfischen Romanen, in denen das Erzählen in die Sprache zielt, durch das Reden das noch nicht Wort Gewordene in eine erklärte Ordnung hereingeholt werden soll, ist im Nibelungenlied das Ziel des Erzählens das letztliche Verstummen. Dabei ist das Verschwiegene und nicht Wort Gewordene Keim der Katastrophe, der Zerstörung jeder Ordnung. Geht es dem höfischen Roman um eine Bewältigung des Schweigens, indem dieses in religiöse oder gesellschaftliche Sinnsysteme eingeschlossen oder in höfischen Verhaltensregeln domestiziert wird, zeigt auch das Nibelungenlied den Versuch einer Bewältigung der zerstörerischen Kraft des nicht in der Sprache Gefassten. Im ersten Teil, am Burgundenhof, ist es in die höfische Kultur gebannt, indem mit Versatzstücken des höfisch-kulturellen Diskurses wie z.B. der tougen minne die verschwiegene Welt zum Zeichen gemacht und so – eng ans gesprochene Wort geknüpft – scheinbar Teil der höfisch-öffent-
25 Es kann hier nicht darum gehen, diese Kernfrage des Nibelungenlieds – nach Schuld und Sinn – zu stellen oder gar zu beantworten. Dass die Verurteilung Kriemhilds als Teufelin aber nicht absolut zu setzen ist, sondern Teil des in der Erzählung dargestellten Konflikts ist, ist heute Konsens. Inwiefern sich hier Deutungsstrategien als Machtmittel darstellen, wäre eine größere Studie wert. Vgl. auch Müller, Spielregeln für den Untergang (1998), S. 148, 151.
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Ausblick: Das Nibelungenlied
lichen Ordnung wird. Im zweiten Teil dann, jenseits des Flusses, am Hunnenhof, wird es aus dem höfischen Bereich ausgeklammert. Es ist einerseits Rahmen des tougen haz, Ort der Rachepläne, Mittel der Zerstörung aller Ordnungen; anderseits, in Hagens Worten, das heißt in der Perspektive des Vertreters der Burgundischen Sprachordnung und Sprachregelungen, wird es ins Religiöse überhöht, als Ort der letzten Unzulänglichkeit, des letzten Refugiums eines nicht der Zerstörung anheim zu fallenden Wissens. Das Schweigen und Verschweigen schützt vor dem Zugriff der Teufelin. So stehen sich zum Schluss, als die öffentlichen Machtstrukturen vollkommen zerstört sind, in Hagen und Kriemhild zwei auf den Einzelnen zusammengeschrumpfte Verschwiegenheiten gegenüber, in ihrem Geheimnis vereinzelte Personen: Hagen, der das Geheimnis des Hortes nicht preisgeben will, Kriemhild, die in ihrer tödlichen Treue zu Siegfried seit dessen Tod nur noch ihre eigenen verschwiegenen Pläne hat. Im höfischen Roman ist die Ambivalenz und Vieldeutigkeit des Schweigens Ort impliziter Revolutionen und Störung fester Ordnungen. Dagegen ist das Nibelungenlied die Geschichte der gewaltsamen und expliziten Verkehrung der Welt. In ihm ist sozusagen die Sprengkraft gezündet, die in den Schweigemomenten des höfischen Romans eingeschlossen ist. Was sich im höfischen Roman darstellt als intellektuelle Auseinandersetzung mit der höfischen, in der gesprochenen Sprache, dem deutlichen Wort festgelegten und realisierten Ordnung der Repräsentation, ist im Nibelungenlied in die Handlung übertragen und wird da, bis in die letzte Konsequenz der Zerstörung der überkommenen Ordnung, ausagiert.
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Ausblick: Das Nibelungenlied
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Die Frage nach den Schweigeformen und -gesten im deutschen höfischen Roman um 1200 ist nicht nur eine kommunikationstheoretische und zivilisationsgeschichtliche Frage. Am Schweigen als Phänomen, das in höchstem Grad vom Hörer abhängig ist und also auch in dessen Deutungsnetz gefangen ist, zeigt sich exemplarisch, wie kulturelle Erscheinungen und Ausdrucksformen nur im Spiegel ihrer Wahrnehmung zu fassen sind, ja, nur in dieser Reflexion entstehen. In einem ersten Schritt ging es deshalb darum, Wahrnehmungs- und Deutungsstrukturen aufzuzeigen, wie sie sich um 1200 dem Schweigen gegenüber ausgebildet und gefestigt hatten, um vor diesem Hintergrund dann die im höfischen Roman realisierten Schweigeformen und -gesten schärfer zu sehen. Da es keine eigentliche Theorie des Schweigens gab, sich dieses aber immer in einem Gegensatz zur Rede definiert, lag es auf der Hand, da danach zu suchen, wo über Sprache nachgedacht wurde: Grammatik, Rhetorik und Sprachphilosophie. Indem grammatische und sprachtheoretische, dann auch sprachtheologische Texte gegen den Strich gelesen wurden, kristallisierten sich Grundstrukturen des Schweigeverständnisses heraus, wobei die Metaphorik, mit deren Hilfe das Thema des Schweigens gefasst wurde, für diese Rekonstruktion von Vorstellungsmustern von entscheidender Bedeutung war. Ihre Entschlüsselung öffnet den Blick auf »Substrukturen des Denkens« (Blumenberg) und weist auf »Bildfelder« (Weinrich) hin, auf denen sich der Diskurs des Schweigens mit anderen Diskursen traf. Aus der sprachtheoretischen und grammatischen Tradition lösen sich so feste Deutungsmuster heraus, die das Schweigen im Gegensatz zur in der Sprache verwirklichten Zeit als Zeitlosigkeit, im Gegensatz zu der in der artikulierten Rede geformten Stimme als Gestaltlosigkeit, im Gegensatz zu der durch das Wort gedeuteten und erhellten Welt als Dunkelheit, im Gegensatz zu der hörbaren und offenen Rede als Verschlossenheit und Unzugänglichkeit, im Gegensatz zu der fortlaufenden Rede als Bewegungslosigkeit wahrnehmen. Und in diesen, die Sprache fokussierenden Texten wurde das Phänomen der Sprachlosigkeit in ein vom Redefluss bestimmtes Zeit-Modell einzupassen gesucht, indem sowohl in der Rhetorik wie der Sprachtheologie sehr genau zwischen einem Schweigen vor, zwischen und nach dem Reden unterschieden wurde. 393
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Diese Grundmuster der Schweigewahrnehmung, kontrastierend bedingt von über die Sprache gefestigten Zeit- und Raumvorstellungen, waren weitgehend kontextunabhängig und fügten sich in verschiedene Gedankenstränge ein. Dadurch leiteten sie genauso theologische wie rhetorische oder grammatische Argumente, waren aber je auch von diesen geprägt. So wurden sie zu Trägern verschiedener Gedankeninhalte, die ihrerseits in ihnen ihre Spuren hinterließen. Das Offenlegen und Herausarbeiten solcher Grundstrukturen, in die sich unterschiedliche Deutungen eingeritzt haben, diente als wahrnehmungstheoretische Voraussetzung für die genauere Analyse der im höfischen Roman dargestellten Schweigeformen. Denn dadurch wurde ein Instrumentarium zur Verfügung gestellt, mit dessen Hilfe die Schweigedarstellungen im höfischen Roman um 1200 in ihrer Abhängigkeit von übergreifenden Vorstellungsmustern gesehen werden können. Eine Abhängigkeit, die sich oft nicht als direkter Bezug, sondern nur in den impliziten Deutungskreisen, die sich um einzelne Schweigeszenen in der höfischen Erzählung legen, fassen lässt. Damit die Veränderungen topischer Muster der Schweigewahrnehmung durch die Einbindung in höfische Erzählungen sichtbar werden konnten, mussten die im höfischen Roman dargestellten Schweigeformen in eine systematisierende Typologie gebracht werden, die ihrerseits Ausdruck einer auf Sinn hin angelegten Ordnungsstruktur ist.26 So stellt die Arbeit neben die in einem ersten Schritt herausgearbeiteten Grundmuster der Schweigewahrnehmung im zweiten Teil einen Katalog der Schweigeformen und -gesten. Dessen Ordnung ergab sich durch die angleichende Parallelisierung ähnlicher Schweigeszenen und deren Rückbindung in feste Deutungsmuster. Erst in diesem Raster wurde es möglich, die je eigene sinnstiftende Inszenierung der Schweigeszenen zu erkennen. Für die Frage nach typisierenden Deutungsmustern für die Schweigewahrnehmung waren moraltheologische und homiletische Schriften, wie sie sich in der für diese Studie relevanten Zeit der Wende vom 12. zum 13. Jahrhundert verstärkt mit dem Problem des Schweigens auseinandersetzen, aufschlussreich. Durch neue Bedürfnisse – vor allem im Bereich der Predigt und Beichte – traten Phänomene in den Blick, die bisher nicht, oder zumindest nicht in derselben Bedeutsamkeit wahrgenommen und reflektiert werden mussten. Dabei griff diese 26 Geertz spricht von einer »geschichteten Hierarchie bedeutungsvoller Strukturen«, die die Beschreibung eines kulturellen Phänomens zu berücksichtigen habe. Dichte Beschreibung (1987), S. 12
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neue Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Schweigens durchaus auf die Tradition monastischer Schweigereflexion zurück und nahm differenzierende Wahrnehmungsmöglichkeiten auf, die sich dort ausgebildet hatten. Aber in der Übertragung auf das weltliche Schweigen, oder das Schweigen in der Konfrontation mit dem Weltlichen, wurden diese Denk- und Deutungslinien in neue Zusammenhänge gebracht, dadurch verändert und weiter geöffnet. Auch wenn es sich gerade bei den interessantesten dieser Texte um eine Art Laboruntersuchungen handelt, deren direkte Wirkung auf ein breiteres kulturelles Umfeld höchst fraglich ist, sind sie deshalb von Bedeutung, weil sich in ihnen Möglichkeiten einer intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Problem des Schweigens artikulierten, die so sonst nirgends zu fassen sind. So werden hier Differenzierungen sichtbar, die das Schweigen nicht nur aus der guten Opposition zu einem schlechten oder zumindest gefährlichen Sprechen lösten, sondern auch in seiner Eindeutigkeit problematisierten. Und damit ist die durch die Tradition geprägte, aber die Tradition auch sprengende Auseinandersetzung mit dem Schweigen, wie sie sich in diesen Texten findet, der Schweigedarstellung im höfischen Roman näher als die Schweigereflexion in den scheinbar sehr viel direkter beeinflussenden normativen Texten der Didaxe. Denn die in den untersuchten Romanen dargestellten Schweigeformen und -gesten weisen weit über die kodierten Schweigeregeln in Didaxe und Klosterliteratur hinaus und initiieren Überlegungen, die alles andere als regelkonform sind. In der narrativen Darstellung werden die Schweigesituationen in Zusammenhänge eingebunden, die einerseits auf Grundstrukturen der Schweigewahrnehmung verweisen, anderseits aber durch die je eigene Zeichnung die tradierten Deutungsmuster neu arrangieren. Deshalb interessierten für die Typisierung der Schweigeformen und -gesten in den untersuchten höfischen Romanen die in didaktischer und monastischer Regelliteratur normativ festgelegten Handlungsmuster nur insofern, als sich in ihnen grundlegende Sinnstrukturen ausdrücken. Didaktische und monastische Texte wurden als klärende Parallelen herangezogen, dienten aber nicht als erklärende Grundlage, auch wenn ihre formalistische Starre verführerisch dem Interpreten eine scheinbare Sicherheit bietet. Die systematisierende Typologie der Schweigeformen im höfischen Roman konnte sich nicht auf das Schweigen innerhalb eines kommunikativen Netzes, das »beredte« oder eben »sprachgefüllte« Schweigen beschränken, sondern musste auch Sprechunfähigkeit, wie beim Kleinkind und dem Stummen, sowie Sprachverlust, vom unartikulier395
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ten Seufzer bis zum endgültigen Verstummen im Tod, berücksichtigen. Denn da die Dichotomie von Reden und Schweigen den anthropologischen Konstanten von Leben und Tod sowie Zeit und Zeitlosigkeit als sinnstiftender Spiegel diente, in dem diese sich mit Deutungsbildern religiöser oder gesellschaftspolitischer Art überlagerten, wurden auch Sprechunfähigkeit und Sprachverlust als Schweigen verstanden. Im Bezug zu einem über Sprache fassbaren Sinnsystem konnten sie bedeutend und »verständlich« werden. So konnte das sprachlose Kind in den hier untersuchten Romanen im christlichen Sinnsystem zum Inbegriff des noch nicht in der Sprache schuldig gewordenen Menschen werden, aber auch, im sozialen Wertungssystem, als spöttisches Bild für den untätigen, schwachen Helden dienen. Das endgültige Verstummen im Tod stellte sich als Schweigen in der Zeitlichkeit dar, der Sprachverlust des Wahnsinnigen, aber auch des Schläfers, wurde, im Kontrast zu der Rede des öffentlichen Raums, als Schweigen gesehen. Entzogen sich diese Sprachlosigkeiten aber dem Schweigen, indem sie nicht mehr deutend in die sprachliche Ordnung eingegliedert werden konnten, wurden sie als Bedrohung erlebt. Dabei interessierte in den hier untersuchten höfischen Romanen der Sprachverlust in seinen verschiedenen, von Tod bis Seufzer graduell unterschiedenen Formen stärker als die Sprechunfähigkeit von Kleinkind und Stummem. Die Formen des Schweigens, die sich in diesen anthropologischen Konstanten manifestieren, sind fast nur eindeutig zeichenhaft in übergreifende, meist religiöse Deutungsstrukturen eingepasst. In deren Rahmen wurden sie erst als Schweigen verstanden. Dies gilt nicht für die innerhalb der Gesellschaft gültigen und diese konstituierenden Verstehens- und Ordnungsmuster. Zwar konnten sich diese auch an religiöse Vorstellungen anpassen, waren aber im Rahmen der zwischenmenschlichen Kommunikation beweglicher und dadurch vieldeutiger. Entsprechend galt das Hauptinteresse des höfischen Romans den Schweigeformen und -gesten, die durch die sprachliche Manifestation gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen bestimmt wurden, dem Schweigen, wie es innerhalb der in der Gesellschaft gültigen Verstehens- und Ordnungsmuster wahrgenommen wurde. Es ging also vor allem um das »sprachgefüllte Schweigen«, das heißt das Schweigen, das nicht aus dem Sprachzusammenhang hinausweist und regelhaft gefasst und beschrieben werden konnte. Dabei lassen sich auch hier unter anderem religiöse und gesellschaftliche Ordnungsmuster erkennen, die sich in die Schweigewahrnehmungen eingeprägt haben, wobei sich die einzelnen Wahrnehmungsund Deutungsebenen gegenseitig legitimierten und erklärten. Gesell396
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schaftliche Muster bewiesen in der Anlehnung an religiöse Muster ihre Rechtmäßigkeit, jene bezeugten im Rückgriff auf anthropologische Konstanten ihre Wahrheit, grammatikalische Beschreibungsmodelle wurden in der moralischen und ethischen Reflexion wieder aufgenommen, die Didaxe bezog sich auf anthropologische Gegebenheiten. So konnte eine Zusammenstellung gesellschaftsrelevanter Schweigedeutungen und -gesten, wie sie sich in bezug auf das sprachgefüllte Schweigen – das Denken und das Schweigen aus zuht – machen ließ, zwar eine gewisse Typologie aufzeigen, diese durch den Rückgriff auf didaktische und theologische Vorstellungsmuster stützen, ohne dass aber der Deutungsrahmen geschlossen werden könnte. Es erstaunt nicht, dass in den hier untersuchten höfischen Romanen nur die von der Erziehung und Sozialisation bestimmten Schweigeformen eine Rolle spielen, die auf die höfische Kultur als Sprach- und Kommunikationszusammenhang hin zu deuten waren. Das schweigende Gebet, als redegefülltes Schweigen, das sich außerhalb eines innerweltlichen Kommunikationsbezugs definiert, wie auch das mystische Schweigen, in dem die Loslösung aus jedem innerweltlichen Bezug gesucht wird, interessierten die Erzähler kaum; wenn, dann nur als Zitat, das in neuem Kontext neu bedeutsam wurde. Es fällt aber auf, dass das vorbildliche, das ideale, in der Didaxe propagierte Schweigen zwar toposhaft eingesetzt ist, doch vor allem in Zusammenhängen, in denen es zerstört und in der Zerstörung problematisiert wird. In der genauen Analyse und Interpretation einzelner Schweigeszenen wurde klar, dass in der erzählerischen Realisierung nie die abstrahierte Norm, die zivilisatorisch gedeutete Regelung interessierte, sondern deren Bruch, der Moment, in dem zusammen mit dem Deutungssystem auch die Regel fragwürdig wird. Im Blick auf das Schweigen im höfischen Roman lässt sich so sagen, dass es in diesen Erzählungen nicht um die ideale Darstellung höfischen Verhaltens geht, nicht um die erzählerische Illustration höfischer Regeln, sondern um die Überwindung der festen Regeln im idealen Erzählen. Die Komplexität der Realität wurde so gerade in der fiktiven Idealität deutlich gemacht. Dabei sind es die in der Erzählung neu geordneten »Hierarchien bedeutungsvoller Strukturen« (Geertz), durch die eine Brechung höfischer Regeln passierte, ohne dass die Grundstruktur verletzt worden wäre. Das Schweigen eignete sich in seiner Ambivalenz und Deutungsnotwendigkeit besser als sprachliche Äußerung, die höfischen Regeln in Frage zu stellen und das System des Hofes, das Kommunikations- und Ordnungsssystem der höfischen Gesellschaft, auf den Horizont anderer Regeln hin zu brechen und zu problematisieren. 397
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Solche Umstrukturierungen und Neuordnungen, sozusagen implizite Revolutionen, vollzogen sich über die bildhafte Sprache, wie sie sich in der tropischen Rede, aber auch in der erzählerisch ausgeführten Szene realisierte. Gedankenstrukturen, die sich in den Schweigemetaphern der patristischen, sprachtheoretischen, didaktischen, theologischen Literatur kristallisierten und darin tradiert wurden, prägten in der Erzählung die Gestaltung fiktiver Weltbilder. Die vorliegende Studie hat deutlich gemacht, dass sich in den höfischen Romanen die Schweigeszenen in ein durch Zeit und Raum bestimmtes Muster einpassten, das seinerseits von Vorstellungen geprägt war, wie sie als Grundbilder die Dichotomie von Reden und Schweigen begleiteten. Die »Substrukturen des Denkens«, wie sie sich vor allem über die Metaphorik in den sprachtheoretischen Schriften ansatzweise erschließen ließen, finden sich in der Raum- und Zeitstruktur der höfischen Romane wieder. Verband sich in grammatischer und theologischer, dann aber auch anthropologischer oder mythischvolkstümlicher Deutung das Schweigen immer mit Zeit-, Gestalt- und Bewegungslosigkeit sowie Dunkelheit, Geschlossenheit und Unzugänglichkeit, sind die Schweigeszenen in den hier untersuchten höfischen Romanen immer mit der Nacht als dunkler und »zeitloser« Zeit, mit dem Mittag als Moment des Sonnenstillstands und der absoluten Bewegungslosigkeit, mit dem weglosen, ungeordneten und gestaltlosen Wald oder dem abgeschlossenen Raum verknüpft. Der Mikrokosmos der theoretischen Metaphorik, des veranschaulichenden und erklärenden bildlichen Ausdrucks, findet sich im Makrokosmos der Erzählung wieder. Und wenn sich dort, je nach Kontext, unterschiedliche Deutungslinien in die jeweilige Grundzeichnung einschrieben, schließen sich hier, je nach Deutungszusammenhang, einzelne Assoziationsreihen an. Dabei ist die demiurgische Kunst des Erzählers die poetische Assoziationsstiftung, die die Vorstellung und deutende Wahrnehmung des Hörers/Lesers so leitet, dass sich ganz spezifische Assoziationsfäden knüpfen. Über die Feinstruktur der mit Wald, Mittag, Kammer oder Nacht verbundenen Schweigeszenen wurden einzelne Deutungslinien, die sich je eigen in verschiedenen Diskursen in das entsprechende Grundbild eingezeichnet hatten, aufgenommen und weitergezogen, um so das Grundmuster zu verwandeln. Je nach dichterischer Inszenierung öffnen sich diese Räume und Zeiten auf verschiedene Assoziationsketten und Bedeutungsstrukturen hin, wobei nicht zuletzt in der irritierenden und changierenden Überlagerung und Überblendung verschiedener solcher Sinnnetze die Spannung liegt. 398
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Darin zeigt sich die poetische Potenz dieser Texte, und darin fällt diese mit der kulturellen Potenz zusammen. Denn hier wird Kultur als Gefüge ineinandergreifender und sich überlagernder Deutungsstrukturen in ihrer Bewegung sichtbar und wird dadurch die gesellschaftliche Ordnung, sei das die geschlechts- oder machtpolitische, in ihrer grundlegenden Unbeständigkeit offenbart. Die kulturelle Leistung der Literatur, wie sie sich im höfischen Roman zeigt, liegt in dem Spiel mit den tradierten und institutionalisierten Verhaltens- und Erklärungsmustern, das diese in neuen Deutungen löst und so die Wahrnehmung der Welt, dadurch aber auch die Welt selber verändert. Deshalb müssen in diesen Romanen die kodierten Regeln gebrochen werden, damit ein Ziel erreicht, der Held erlöst, die âventiure bestanden werden kann. Es sind Tabubereiche, wie sie die Zivilisierung – zum Beispiel bei Parzival – oder aber auch mythisch-religiöse Traditionen – unter anderem in den Schlussabenteuern von Iwein und Erec – hervorbrachten, die aufgebrochen werden müssen, damit die Erzählung gelingt, damit das Neue geschehen kann. Genau da, in diesen Momenten der Reibung und Brechung, in denen sich Wahrnehmungsmuster, damit aber auch die wahrgenommene Welt verändern, wird kulturelle Bewegung spürbar. Nur in der ständigen Brechung ihrer Regeln ist die höfische Kultur überhaupt möglich, passiert Kultur.27 So ging es in der vorliegenden Arbeit denn auch darum aufzuzeigen, wie literarische Texte als Orte kultureller Bewegung zu verstehen sind. In diesem Blick auf die Schweigeformen im höfischen Roman um 1200 zeigte sich aber nicht nur exemplarisch, wie Kultur auf divergierenden Deutungs- und Sinnsystemen beruht, sondern auch, wie sie gerade in deren Zwischenraum, im Missverständnis, im falsch gedeuteten Zeichen fassbar wird. In den hier untersuchten Romanen sind missverstandenes Schweigen, falsch gedeutete Zeichen, gebrochene Regeln von entscheidender Bedeutung. Denn hier bewegt sich die geschaute Welt, hier ereignet sich Gegenwart in einer geordneten Geschichte. Kultur wird da verständlich als das, was bewusst und deutend, im Rückgriff auf Tradition, das heißt auch in die vergangene und vergängliche Zeit eingebunden, nach der Gegenwart langt, um deren »informellen Logik« (Geertz) eine Form zu geben. So ist diese »Topographie des Schweigens« im deutschen höfischen Roman um 1200 nicht nur der Versuch, die verschiedenen Schweigeformen und -gesten in diesen Texten aufzuzeigen und zu erklären, son27 Vgl. zu diesem Kulturverständnis in der neueren Wissenschaft zusammenfassend Böhme und Scherpe, Literatur und Kulturwissenschaften (1996), S. 16.
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dern mehr der Versuch, die in Topoi gefasste und darin sich konstituierende Tradition in ihrer Brechung und Fortschreibung durch die Lokalisierung ebendieser Topoi in umgezeichneten und neu geordneten Sinnnetzen und Deutungsstrukturen zu zeigen. Und damit ging es um nichts weniger als den exemplarischen Versuch, durch genaue Analyse und Interpretation literarischer Texte am Beispiel der Schweigewahrnehmung und -darstellung auf die feinen Bewegungen und Verschiebungen in gedanklichen Systemen hinzuweisen, durch die eine Kultur lebt.
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Dank
Dass dieses Buch in der vorliegenden Form verwirklicht werden konnte, verdanke ich vielen. Für unzählige Anregungen, Kritik und Aufmunterung, interessiertes Nachfragen und skeptisches Stirnrunzeln, spannende Diskussionen und entspannende Abende danke ich im Speziellen Christian Kiening, Susanne Köbele, Ulrich Baltzer, Peter Schnyder, Corina Caduff, Marc-Aeilko Aris, Astrid Meier, Anita Müller und meiner Familie. Ohne das Interesse an dieser Arbeit von Alois Haas, Claudia Brinker und Sigrid Weigel läge sie jetzt nicht in dieser Form vor. Allen voran aber sei hier von ganzem Herzen Joachim Bumke gedankt, der mir in seiner menschlichen Art und fachlichen Kompetenz zu einem Vorbild wurde. Ich danke dem Kanton Zürich für ein Habilitationsstipendium, das mir erlaubte, mich in weitgehender Freiheit mit dem Thema des Schweigens auseinanderzusetzen und dem Schweizerischen Nationalfonds für einen großzügigen Druckkostenzuschuss. Dass das Buch in die Reihe »Historische Semantik« aufgenommen wurde, freut mich sehr, und dafür sowie für die gute Zusammenarbeit mit den Herausgebern und dem Verlag danke ich herzlich. Dass Freundschaft auch darin besteht, zur richtigen Zeit zu reden und zur richtigen Zeit zu schweigen, wissen Astrid Meier und Anita Müller so gut, dass dieses Buch ihnen gewidmet sein soll. Konstanz, im Februar 2003
Mireille Schnyder
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Anhang
Abkürzungen und Siglen 1. Abkürzungen ABäG
AfBg ATB CCSL CCCM DTM DVjs FMSt GAG GL
HwBdA HWbP h LdMA
LiLi Lit.wiss.Jb. MGH MMS MTU MThZ PBB PL PMLA SC ZAK
ZfdA ZfdPh ZfrPh
Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik Archiv für Begriffsgeschichte Altdeutsche Textbibliothek Corpus Christianorum Series Latina Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis Deutsche Texte des Mittelalters Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Frühmittelalterliche Studien Göppinger Arbeiten zur Germanistik Grammatici Latini; hg. Heinrich Keil (Bd. 8: H. Hagen) Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens Handwörterbuch der Philosophie Lexikon des Mittelalters Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik Literaturwissenschaftliches Jahrbuch der Görres-Gesellschaft Monumenta Germaniae Historica Münstersche Mittelalter Schriften Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters Münchner Theologische Zeitschrift Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Patrologiae Latinae cursus completus; hg. J. P. Migne Publications of the Modern Language Association of America Sources chrétiennes Zeitschrift für schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur Zeitschrift für deutsche Philologie Zeitschrift für romanische Philologie
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Abkürzungen und Siglen
2. Siglen A.H. Chr. DC
Er. Greg. Iw. Mz. NL
Parz. Renner Tr. vom rehte Wb WG
Wlh.
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Der Armen Heinrich von Hartmann von Aue Chrétien de Troyes Disticha Catonis, hg. Zarncke Erec von Hartmann von Aue Gregorius von Hartmann von Aue Iwein von Hartmann von Aue Der Tugendspiegel oder der Meizoge Das Nibelungenlied Parzival von Wolfram von Eschenbach Der Renner von Hugo von Trimberg Tristan von Gottfried von Strassburg Vom Rehte Winsbeckische Gedichte Der Wälsche Gast von Thomasin von Zerclaere Willehalm von Wolfram von Eschenbach
Quellen- und Literaturverzeichnis
Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen Bei mehrfach aufgeführten Texten ist die zitierte Ausgabe, bei lateinischen Texten die zitierte Übersetzung mit einem * gekennzeichnet. Alanus ab Insulis, Liber in distinctionibus dictionum theologicalium, in: PL 210, Sp. 685–1012. –, Summa de arte praedicatoria, in: PL 210, Sp. 111–198. Albertanus von Brescia, Ars loquendi et tacendi, in: Brunetto Latinos Leonet og Skrifter, hg. von Th. Sundby, Kopenhagen 1969. Alcuin, De orthographia, in: PL 101, Sp. 901–920. –, Disputatio Pippini, in: PL 101, Sp. 975–980. –, Epistola 172 (April-Mai 799), in: MGH Epistularium IV,2, S. 284 f. –, Grammatica, in: PL 101, Sp. 849–902. Altdeutsche Predigten, hg.von Anton E. Schönbach, 3 Bde., Darmstadt 1994 (Graz 1886). Ambrosius, De officiis ministrorum, in: PL 16, Sp. 23–34. –, De virginitate, in: PL 16, Sp. 265–302. –, Exhortatio virginitatis, in: PL 16, Sp. 335–364. –, Expositio Evangelii secundum Lucam, hg. von M. Adriaen, Turnholt 1957, S. 1–400. (= CCSL 14). Anselm von Canterbury, Monologion, lateinisch-deutsche Ausgabe von P. Franciscus Salesius Schmitt O.S.B., Stuttgart 1964.* –, Proslogion, lateinisch-deutsche Ausgabe von P. Franciscus Salesius Schmitt O.S.B., Stuttgart 21984.* Anselm von Laon (Ps.-Haymon von Halberstat), Explanatio in Psalmos, in: PL 116, Sp. 193–696. Augustinus, Bekenntnisse. Confessiones, aus dem Lateinischen von Joseph Bernhart. Mit einem Vorwort von Ludwig Grasmück, Frankfurt a.M. 1987.* –, De civitate Dei, hg. von B. Dombart und A. Kalb, 2 Bde., Turnholt 1955. (= CCSL 48–49). –, De Dialectica, transl. with introduction and notes by B. Darrell Jackson, Dordrecht 1975. (= Synthese Historical Library 16). –, De doctrina christiana, hg. von J. Martin, Turnholt 1961, S. 1–167. (= CCSL 32). –, De magistro, hg. von W. M. Green, Turnholt 1970, S. 157–203. (= CCSL 29). –, De Trinitate, hg. von W. J. Mountain und Fr. Glorie, 2 Bde, Turnholt 1968. (= CCSL 50/50a).
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Stellenregister
Register
1. Stellenregister (* = Anmerkung) Hartmann von Aue
E REC Verse
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14–26 43–62 66–103 245 ff. 530 f. 557–565 577 708–765 850–852 1158–1160 1214–1259 1320–1325 1398–1402 1484–1497 1510–1531 1537–1578 1590–1697 1736–1740 2485–2488 2737 2936–2953 3011 f. 3013–3047 3098–3102 3109–3112 3113–3181 3145–3166 3184 3221 f. 3242–3258 3262
325, 294 186*, 190* 175, 168, 190*, 325 197 138* 174 194 174* 269* 294 294 f. 209, 269* 226 211 352 352 353 125, 353 118 165* 233 203 131, 189, 267 f. 205 233 143, 293*, 323 147, 155 205* 326* 205 205*
3306 f. 3345–3379 3367 3371–3373 3385 ff. 3415 3450–3453 3472–3487 3499–3516 3735 f. 3972–3997 3993 4022–4025 4093–4102 4150–4161 4183–4202 4241–4243 4401–4406 4625 4629 ff. 4679 4756–4769 4831 f. 4928 5100–5114 5115–5249 5296–5338 5401 5419 f. 5436–5517 5570–5588
323 143 205* 155 326* 205* 172 233, 237 149, 186*, 186* 143, 155 205* 234, 237 234, 234*, 236 174*, 234, 323 263*, 323 187 167* 188 212* 212 199* 354 356* 323–325 325 112*, 119, 190, 325 f. 326 f.
195*
237 237
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5591–5595 5614–5631 5664–5698 5746–5754 6080–6082 6153 f. 6324–6341 6370–6546 ff.
327 f. 328 325 292 292 147* 147*, 234 126, 162, 175, 206, 343 f. 119*, 243* 236, 236* 234, 236 f. 235, 237 236 194, 195*, 236 356* 230 356* 263*, 368 365 365–367, 369 368 164 368 128, 148 f., 368 368 356* 168*, 369 143, 369 369 364, 370* 230* 120, 120* 195* 370 127 347
238–241 245–258 263 369 383–397 400–456 480–597 610–620 676–690 715–716 731–740 769–797 815–836 839–854 855–878 911–979
266 183 293* 356* 233 301*, 302 f., 307 110, 301, 304–307 292*, 307 308 f. 308, 310 207, 308 293, 309 144*, 192 166 f., 173 129, 170 199, 204, 233, 283*, 310 192, 310 129, 171, 266* 346 121, 126, 345 142, 345 340*, 346 345 346 221* 203 144 242 229 352 110, 122, 196, 347 346 178, 192 173 173 310 165 115, 124, 148, 283, 300, 337* 198 300 115, 284, 301 283 114*, 259*, 301* 279–282, 280 f.* 282–284, 295
6587–6602 6689–6693 6737–6749 6763–6813 6872–6895 7007–7027 7046–7051 7110–7113 7195–7239 7810–7821 7826–7833 7834–8047 8108–8123 8253 ff. 8295–8305 8306–8323 8334–8349 8367–8372 8373–8389 8390–8414 8442–8457 8484–8486 8614–8618 8817–8835 8966–8972 9610–9627 9689–9692 9953–9962
1001–1044 1062–1071 1208 1324–1339 1498–1510 1631–1640 1660–1680 1697–1722 1783–1992 1790 f. 2025–2029 2073–2079 2131–2140 2190–2199 2245–2285 2348–2355 2460–2508 2514 ff. 2524 ff. 2545 2967 f. 3080–3101
I WEIN 74–97 108–127 160–180 194 f. 217–219
430
118, 264 f., 265*, 359 265*, 266 169, 169* 166 191
3116 ff. 3216–3220 3221–3233 3260 3283–3348 3369–3501 3505–3595
Stellenregister Verse
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3791–3824 3930–3949
211, 211* 120 f.*, 121, 148, 284 144 140 165, 186*, 342, 356* 178, 205, 205* 263* 227 263* 263* 123 165* 213 230*, 356* 202 213 356* 154 155 370, 372 130, 190, 370 f., 370* 161*, 371 371 372 372 372 227 f., 352 372 213 144 f. 356* 123 123, 196
874–883 937 ff. 949–961 980 999–1019 1198 ff. 1223–1230 1234–1259 1326 1339 ff. 1357 ff. 1410–1416
126, 242 140 142 142 147 151* 350 150, 351 351 168 138 128*
4140 4320 f. 4389–4434 4537–4578 4742–4797 4818–4820 5091 5150 5229 5427 f. 5496–5502 5591–5624 5642–5671 5695 ff. 5812–5818 5987–5995 5988–5991 6125–6158 6171–6282 6293–6298 6299–6318 6407–6422 6425–6470 6555–6568 6573–6586 6663–6669 6884–6894 7655–7684 7769–7780 8009 8037–8101
D ER
ARME
153–156 370 f. 386–408 459–481 486–509 555–588 756 855–864
H EINRICH 277 186* 350 f. 183*, 127* 181, 189 181 f. 188* 104, 182, 242
G REGORIUS 55 266–269 353–403 411–414 430 f. 457 483 ff. 515–626 891–898 929 f. 996–1014 1035–1050 1169–1180 1243–1257 1359 ff. 1422–1431 1739–1809 1935–1962 2251–2255 2277–2459 2572 ff. 2681–2735 2761–2765 2812–2875 2945 f. 3047–3051 3164–3190 3275–3312 3459–3584 3722–3739
96* 113 145, 202, 231*, 362 202 131 128 142 203, 362 241 244* 189 10, 106, 155 182 142, 163, 168 349 168, 161* 203*, 349, 362* 202 203 201*, 348 f. 145 349, 349* 298 130, 168, 239*, 243 130, 168 119, 241 243, 243* 244* 160, 298 f. 244*
431
Register Wolfram von Eschenbach
P ARZIVAL Verse
Seite
Verse
112,27–13,6 23,29 f. 25,23–30 28,27–29,8 35,18–36,5 44,2–30 55,11–27 68,29 84,3–19 86,5–9 93,1–10 95,30 98,11 f. 99,30–100,18 102,25–105,7 109,18–112,4 112,21–27 114,23–115,21 ff. 116,29–117,5 118,7–118,28 119,13–15 120,17–124,14 125,29–126,2 127,11–128,12 129,6–15 137,20–26 143,15–17 147,1–4 151,7–19 152,23 f. 161,23–30 166,17–20 167,23 169,15–170,4 170,10 ff. 171,17 171,17–173,6 173,7–10 180,3–8 186,28–189,5
191 f. 195* 127 130, 211 240 f. 359 232 f. 262* 195* 193 128, 164, 241, 342 262* 198 359 121, 277 f., 278* 278 f., 279* 151 144*, 172*, 193* 310 f. 104, 114, 125, 128, 311 311 312 121 221* 227, 293* 128 226 175* 129, 151*, 321 115 295 227 209 131, 186*, 296, 356* 212, 296 186, 375 141, 186, 296, 375 212 320 117*, 125*, 186, 195*, 196 f. 361 320
225,19 f. 231,15–232,4 239,8–17 245,1–247,6 247,24–248,2 249,5–251,4 255,5–29 272,8 273,15–22 279,28–30 282,5–11 282,20–302,5 283,17–284,3 285,20–289,1
192,13–194,6 224,19–21
432
Seite
319 128, 148 146, 186, 375 238, 245 191, 238 f. 319 f. 186, 191 128 359 230* 244, 320 117 117*, 320 112*, 117*, 129, 319 f., 375 289,13 f. 320 293,7–294,13 ff. 117, 117*, 126, 321 296,1–6 117*, 321, 337* 299,16 ff. 170, 207* 300,12–301,30 117*, 126, 321 315,17–316, 4 ff. 146*, 198 319,6–10 206 322,13 184 330,1–16 187*, 322 338,8–19 193, 355 339,15–17 319 342,21–343,16 188 346,24 ff. 144 348,5 f. 198 351,13 ff. 197 360,21 ff. 124 366,1 f. 144* 369,6 f. 209 378,5–8 226 396,27–30 128 397,26–398,30 320 405,1–406,20 214, 360 406,28–407,10 143, 360 407,11–19 360 409,12–21 361 422,3–8 180* 423–426 221* 433,1–3 340
Stellenregister Verse
Seite
Verse
Seite
435,2–5 435,30 441,22 453,1–10 454 f. 454,17–30 456,30 459,14–466,30 468,19 f. 473,13–474,25 476,29 f. 483,19–30 484,1 488,4–489,2 ff. 495,1–6 497,3–20 497,21–498,12 501,1–4 502,4 f. 504,7 f. 509,13–24 516,8 524,2–8 531,19 ff. 550,16–23 552,25–553,3 553,1–30 554,23–556,2 556,15–562,6 567,15–568,14 573,1–28 576,22–26 580,19 580,19–581,14 582,30 584,13 619,15–24 620,3 625,7–11 626,19–626,27 ff. 627,18 628,1–14 634,29 f. 637,20–23 643,1–644,6 644,7 f. 647,24–648,23 ff.
320 348 187 204 138* 244* 238 117*, 137, 172, 238 208 150, 187*, 375 278 375 244 163, 208, 375 215, 375 375 201 146 174 320 194 144 174 174 209 228, 352 151*, 373 228, 373, 376* 374 375 119* 207 357 118, 357 118* 340 211* 214 190 189, 204 214 264 210* 375* 211, 231 359 189
654,26 655,13–16 657,10 f. 661,15–662,9 667,25 f. 696,29 f. 697,23 f. 710,15–26 725,12 ff. 729,15–23 731,24–733,30 734,1–7 735,5–7 752,23 758,1–5 766,19–30 789,10–15 795,24–27 799,14–17 801,30–802,10 805,21 815,1 f. 816,7 f. 818,25–819,6 825,11–826,28
204 186* 129 128, 342* 204 201 174 163, 343 210, 211* 148* 148, 240 f. 339 320 128 149 187*, 356* 130 155 229 117*, 230, 359 320 129 226* 215 215, 230, 356*, 375
W ILLEHALM 5,4–7 39,10 f. 49,28–30 50,11 53,1–10 60,21–61,19 69,10–19 70,29 f. 75,15–27 ff. 99,8–100,24 ff. 103,22 126,26 127,16 129,18–130,2 131,12–20 133,8–135,30 135,13 135,24 f.
355 112*, 113* 113* 113 128 122 113*, 114 241 171 117*, 230*, 263, 360 263* 197 151* 197 197 f. 356* 188 198
433
Register Verse
Seite
Verse
Seite
136,15–137,2 138,12–14 141,30 144,8–145,2 152,15 153,14–17 154,2–5 157,5–30 158,28 ff. 171,18 f. 179,2–6 190,1–30 191,1–7 192,6–193,30 195,1–3 226,4 f. 228,26–229,16 242,12 f. 247,11–23 252,20–24 268,8–19 274,9–14 276,11–30 279,1–281,17 282,2 ff. 284,1–5 286,2–24 289,20–26 290,19–30 293,9 308,11 f. 316,26–317,30 323,12–330,25 390,4 f. 408,13 f. 428,3 f. 430,6–10 457,5–9 460,16–20
241, 352 123 198 143, 198 104* 174* 171 171 195*, 198 128 147 168 f. 356 189, 356 356 130 121 128 163, 344 163 163, 165* 210 169* 360* 169* 214 169* 169* 186*, 190*, 356* 201 138 169* 169 191* 112 f.* 9 119* 104*, 164 165
723–727 742–789 804–836 ff. 951 f. 1057–1099 1285–1328 1383–1415 1416–1563 1555–1582 1709–1735 1782–1788 1852–1856 1892–1927 1981–1988 2062–2090 2232–2315 2480–2617 2690 ff. 2733–2756 2964 ff. 3016 3088–3094 3512–3544 3574–3577 3590–3605 3719–3739 3978–4078 4144–4267 4378 4779 4851–4905 5238–5245 5358–5448 6042–6051 6525–6529 7135–7138 7200–7207 7279–7335 7442–7446 7557–7562 7567 7791 7915–7938 7939–7965 8392 8437 f. 8793–8799
340* 210 122, 147, 340* 125 210, 211* 120, 232, 359 121, 126 121, 360 233 114*, 124 114* 164 203 142 105 149 f., 162* 297, 293* 142, 297 150, 162 188* 297 142, 297 183 150 125 199* 143, 353 f. 124, 199* 188* 112*, 1123 154 165* 162, 174*, 329 164 199* 357 114* 199, 357 204 356* 161 214 358 358 187 185 185
Gottfried von Strassburg
T RISTAN 239–242 267–270 ff.
434
184 169*
Stellenregister Verse
Seite
Verse
Seite
9000 f. 9302–9309 9426 9481–9623 9675 ff. 9755–9758 9829–9835 9987–10129 10477–10483 10583 10795 ff. 10850–10857 11017–11022 11225–11228 11690–11699 11734–11739 11819–11859 11905 11989–12043 12089 12147–12152 12187–12190 12431–12448 12588–12678 12809–12855 12889–12913 12936 13087 f. 13436–13441 13464–13623
292* 244* 330 358, 358* 177* 180*, 181* 180*, 181* 150, 358 f. 123 204 177* 151 195 184 124 122, 147, 212 212* 212 212 126 203 232 239, 247 231*, 363 270, 330 330 204 212 177* 149*, 177, 187, 200, 246 246 f. 246 f. 176 247 246* 247 247 247 244*, 248 248 248 128 248 248, 259* 116*, 131, 149, 155, 248 f.
15131–15240
112*, 123, 146, 155, 250 f., 356* 252 178*, 251 178* 177 116*, 185 131 166* 204 204 312 f. 313* 314 313 314 315 f. 313* 316 314, 315* 316 f. 317 316 f. 317*, 318 318 317 f. 318 318 270 f.*, 274* 318 318 271*, 272, 274 251*, 271, 271* 273, 275 123 f., 146, 178*, 251*, 273–275 273, 275 f. 275 275 146, 251*, 276 126* 187 148, 148* 148* 148 148 125*, 130
13626–13633 13641–13657 13665 13680 ff. 13776–13856 13857–14015 14031–14147 14158–14223 14239–14253 14270–14277 14368–14373 14500 14513–14524 14525–14586 14587–14916
15255 f. 15271–15330 ff. 15458–15462 15493–15498 15624–15635 15798 15818 f. 15916 ff. 15949–15960 16602–16634 16707 16720–16728 16777–16785 16811–16850 16883–16905 16931 17157–17169 17204–17228 17246–17278 17275–17278 17284–17328 17354–17420 17440–17458 17421–17458 17485 17540–17547 17565–17616 17743 17804 17855–18113 18130–18165 18168–18181 18187–18248 18257–18290 18312 18363 18371–18408 18474–18495 18528 f. 18969–18996 19047 f. 19058–19071 19129–19177 19275–19283
435
Register
2. Sachregister Die Anmerkungen sind nicht berücksichtigt.
Aberglauben 37, 38, 225, 262 Absicht / intentio 78 f., 98, 153, 181, 199, 202, 204, 232, 234, 252, 368, 370, 372, 382, 386 acedia / Trägheit 96, 158, 256, 265, 269 Adam 107 f., 223, 273, 305 f. Affekt / Gefühl 78, 85, 104, 112, 118, 120–124, 126, 128, 130, 133 f., 149, 157, 162, 166–169, 171, 173, 175, 177, 189, 194, 198, 207, 210, 212, 217, 241 f., 271, 299, 316, 342, 376 f., 381, 384 Aggression, 173, 175, 190, 217 Allegorie / Allegorese 225, 255, 258f., 232, 260 f., 270, 290, 330, 336, 338 Alterität / Anderes (vgl. auch: Fremdheit) 9, 14, 17, 21, 48, 60, 82, 87, 129 ambiguitas (vgl. Mehrdeutigkeit) Ambivalenz 35, 41, 127–129, 134, 140, 143, 155, 165, 186, 190, 215, 217f., 227, 262, 273, 282, 284 f., 340, 348, 391, 395, 397 Anfang 47, 55, 63 f., 66, 85, 221, 229, 261, 265, 285, 288 f., 293, 305, 370, 377, 387 – / erstes Wort 47–49, 56, 81, 155, 197, 304, 377 – der Rede 48 f., 74, 82, 84, 87, 90, 131, 140, 154 f., 183, 188, 215, 299, 370 Angst 48 f., 82, 96, 120, 123, 128, 130 f., 133 f., 136, 155, 160, 168, 178, 196, 203, 205, 220, 225, 249, 257 f., 268 f., 275, 289, 298 f., 303, 330, 332, 346, 366, 368, 384, 387 f. Antwort 141, 162, 179, 187, 194, 214, 238, 242 f., 273, 296, 304, 307–309, 364, 367, 371, 373, 375, 385 –, fehlende 158, 185, 251, 273 –, verweigerte 9, 80, 158, 170, 187–191, 226, 239, 294, 362, 364 f., 371, 373, 388 Artikulation 9, 34, 51,58, 73 f., 89, 132, 179, 253, 377
436
– / pronuntiatio 49, 52–54, 58, 60 f., 74 – / vox articulata 7 f., 51, 53 f., 66, 74 f., 81, 83, 87, 89, 392 Askese 9, 159 f., 172, 335, 379 Ausgrenzung (vgl. auch: Grenze) 9f., 17, 29, 47–49, 60, 65, 76, 112, 114 f., 118–120, 127, 132, 134 f., 152, 154, 162, 164, 182, 187, 191, 198, 201, 210, 213 f., 219, 224, 240 f., 263 f., 273, 280, 285, 291, 295, 298–302, 309, 311–313, 315, 319, 322, 332 f., 341, 343, 347–350, 354, 356 f., 376, 378, 382, 386, 400 Außerhöfisches 112, 132 f., 173 f., 190 f., 301 f., 309 f., 326, 331 f., 389 – / Räuber 222, 237, 323 – / Riesen 119, 190 f., 323, 325 f., 328, 331 f. – / Waldschrat 110, 301–304, 306–310, 331 f. – / Zwerge 168, 175, 190 f., 247 f., 250, 324 f., 331 f. Beichte 91 f., 96, 98, 179, 208, 393 Beleidigung (vgl. auch: Demütigung) 96, 118, 130, 134, 162, 167–174, 185, 190, 193, 195, 197f., 234, 239, 300, 325 Bescheidenheit (vgl. Demut) Bewegungslosigkeit 37, 83, 117, 124, 220, 227, 249, 262, 265, 274, 280, 300, 308, 347, 371, 375, 392, 397 – / Erstarrung 122, 124 f., 275, 347, 370–372 – / Stillstand 83, 276, 371, 398 Bibel / Hl. Schriften 45, 49, 64 f., 73, 79, 86, 91, 94 f., 100, 108, 153, 159, 162, 166, 178–181, 220, 223, 225, 243, 249, 252, 255, 257, 259–261, 271, 273, 289 f., 331, 337 f., 341 Blick/e (vgl. auch: Sehen, Schauen) 118, 123 f., 148–151, 178 f., 211, 229, 248 f., 274, 278, 280–283, 309, 345–347, 350, 365, 370 f., 373
Sachregister –, gesenkter 123, 179, 248 f. –, stumme 44, 124, 150, 210–212, 347, 359, 368, 381, 388 –, verweigerter 309 Bosheit 99, 130, 140, 158, 166, 179, 180, 202, 204, 222, 234, 248, 322 f., 372 Buße 95, 119, 160, 168, 235, 241, 297–299, 349, 354, 376 Chaos (vgl. Ordnungslosigkeit) contemplatio 57, 60, 66 f., 80, 86, 116 f., 136, 152 f., 216, 221, 244, 249, 290, 320–322, 333, 336 f. Dämonen (vgl.auch: Teufel) 108, 254, 257 f., 260, 281 – / Mittagsdämon 255 f., 258–262, 280 Demut / humilitas 69, 106 f., 128–130, 152, 168, 172, 178 f., 181, 191–195, 205, 214, 217, 219, 237, 296 Demütigung (vgl. auch: Beleidigung) 162, 168, 179, 181, 206, 308 f., 324 f. Denken 59–64, 67, 84 f., 87, 89, 122, 135, 138 f., 141–143, 146–150, 152 f., 159, 173, 214–217, 221 f., 227, 237, 240–242, 245, 248 f., 251–253, 255, 267–269, 272 f., 290, 319, 321 f., 369, 386, 389, 393, 397 – / Gedanke 67, 79, 81, 85 f., 137–141, 148–152, 171, 179, 194, 197, 204, 335–337, 343, 347, 351, 357, 368, 372, 385, 389 Didaktische Literatur (vgl. Erziehung) Dummheit / Torheit 115, 140, 158, 174, 180, 194 – / tumpheit 146, 210, 236, 319, 375 Dunkelheit / Finsternis 37, 49, 65, 72, 74, 79, 137 f., 219, 222–225, 229, 232, 235–239, 241, 248, 252–254, 258, 277, 287–289, 291 f., 319 f., 322, 324, 329, 331 f., 393, 398 Ehre 118, 132–134, 169, 173 f., 182, 192, 194, 203, 207, 239, 265 f., 271 f., 274, 283 f., 306, 322, 347, 358, 361–363 Eid 123, 189 f., 243 – / Meineid 300 Einsamkeit 127, 148, 220, 240, 292, 300, 337, 348, 360, 385, 389
Emotionen (vgl. Affekte) Ende 55, 223, 229 f., 236, 238, 273, 275, 295 – / letztes Wort 81 – der Rede 29, 48, 74, 81–86, 88, 113, 131, 147 Endlichkeit (vgl. Zeit: Zeitlichkeit) Engel 108, 138, 259, 262 (Er)dulden / Geduld 130, 168–172, 175, 185, 192, 206, 325, 363 Erinnerung / Erinnern 54, 83 f., 87, 105, 121, 126, 130, 133, 146–149, 168, 216, 221, 240 f., 245, 252, 267 f., 282, 284, 288, 291, 299, 300, 301, 306, 321, 331, 337, 340, 350, 368, 386, 389 – / Gedächtnis 11, 53 f., 69, 84, 148, 279 f. – / Memoria 53, 241, 343 f. Erkenntnis / Erkennen 49, 56–58, 60f., 63 f., 67, 77, 80, 87, 114, 117, 123–125, 133, 148–150, 201 f., 216, 221, 239, 241, 243, 245–247, 249–253, 255, 262, 267, 269, 275f., 278–282, 284 f., 291, 299, 317, 319, 322, 333, 335, 341, 349, 351, 359 Erlösung 108, 146, 150, 155, 187, 205, 223, 243, 319, 364, 370, 375 Erotik / Sexualität 231, 254, 256f., 263 f., 269 f., 276, 281 f., 285, 345, 351, 360 Erzähler 29, 39, 48, 101, 183, 339f., 344, 367, 397 f. – / Schweigen des Erzählers 27, 44, 101, 114, 192 f., 211, 228, 230 f., 274, 353, 358, 364 f., 367 Erziehung 15, 28 f., 34, 39, 44, 48 f., 69, 107, 111, 141, 168, 170, 172, 180f., 294–296, 319, 397 – / didaktische Literatur 24, 26–28, 35f., 38 f., 44 f., 49, 68, 100, 135 f., 139, 161, 199, 395, 398 –, höfische 24 f., 35, 38, 44, 100, 139, 156, 159 f., 171, 210, 216, 295, 319, 342, 375 – / Lehre 87, 141, 143, 146, 178–181, 186 f., 201, 210, 212, 243, 259, 296, 369 – / Lernen 57, 105, 107 Eva 56, 272, 273
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Register Ewigkeit (vgl. auch: Zeitlosigkeit) 34, 113 f., 120, 131 f., 261, 308 Exegese / Auslegung 27 f., 34, 37, 85 f., 180 f., 222–224, 252, 257, 259–261, 289 f., 331 f. Exempel 27, 181 Feind / Feindschaft 167, 173, 195, 214, 232, 246, 303 Frage 80, 134, 144, 150, 155, 158, 162, 179, 182, 185–191, 194, 201, 215, 218, 230, 238 f., 243 f., 247, 273, 294, 296, 304, 307–309, 311, 324–326, 342, 354–356, 358, 360, 362, 364f., 367–371, 373–375, 378 – / verpasste Frage 145 f., 187, 191, 203, 238, 244, 319, 331, 374 f. Fremdheit 17, 48, 79, 82, 178, 197, 212, 214, 246 f., 282, 288, 307, 310, 313, 325, 338, 355 f., 377 – / Fremder 99, 123, 177, 190, 195f., 309, 321, 339, 342, 352, 354, 356, 361, 371, 377 f. – / Fremdsprache 9, 17, 79, 89, 339, 356, 367 Freude 121, 127 f., 134, 148, 163 f., 184, 238, 240, 298, 326, 328, 344, 347, 368 – / Vergnügen / Amüsement 129, 151, 240, 280, 298 f., 316 f., 360, 362 f. Freundschaft / Freund 199–201, 210, 212, 232, 246, 303, 357, 361 f. Garten 130, 152, 248, 250 f., 270–275, 364, 367, 369, 372 Gebet 93, 152–155, 216, 220 f., 243, 249–251, 297, 333, 360, 397 – / Beten 119, 151–153, 241, 243 Gedanke (vgl. Denken) Gefahr / Gefährdung 48 f., 82, 98, 119 f., 134–139, 145, 152, 155, 159 f., 164, 176, 182, 190, 202, 216, 222, 235–237, 247, 249 f., 253, 255, 257–260, 265, 267, 279, 284 f., 288, 292, 298 f., 308, 317, 324, 332, 346, 348, 360, 364, 366–370, 372, 374, 376, 388, 396 – des Redens (vgl. auch: Zungensünde) 49, 82, 91, 93–96, 98, 140, 152, 159, 174, 179, 329, 395 – des Schweigens (vgl. mala taciturnitas)
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Geheimnis 143, 179 f., 199–201, 203 f., 210, 212, 217 f., 250 f., 290, 330, 341, 343, 358, 362, 364, 371, 374, 376f., 381–386, 389–391 Gehorsam / Subordination 152, 178–181, 183, 195 f., 203, 218, 294, 321 Gemurmel (vgl. auch: vox confusa) 8 f., 89, 368, 370 Geräusch(vgl. auch: vox confusa) 50, 226, 236, 238, 292, 350, 364 Gerücht (vgl. auch: Verleumdung) 177 f., 205, 246 f., 267, 269, 280 f., 329 Geschwätzigkeit / multiloquitas (vgl. auch: Rede: überflüssige) 87, 137, 139, 152, 159, 161, 179, 181 f., 202, 341, 381 Gesellschaft 10, 17, 77, 98 f., 105, 112, 114 f., 118 f., 132–136, 157, 164, 178, 181, 190, 195, 213, 215 f., 218, 240, 298–300, 331, 338, 375, 378, 382, 390, 396 – / Gesellschaftsordnung (vgl. Ordnung: Gesellschaft) Gestaltlosigkeit / Formlosigkeit 55, 64f., 74, 287–289, 291–293, 302 f., 322, 331, 393, 398 Gesten / Gebärden 23 f., 120 f., 123, 126, 131, 133, 155, 178–180, 184, 193–196, 206, 211, 248 f., 301, 303 f., 328 f., 335, 344, 347, 349, 354, 371, 388 Gewalt / Gewalttätigkeit 48, 147, 162, 175, 182, 185, 187, 190, 205 f., 218, 220, 294, 312, 321, 325, 328, 344, 346, 351, 362, 373, 378 f., 386, 391 – / Drohung 189, 214, 236, 301, 321, 368, 370 Glaube 57 f., 63, 135, 182, 249, 318, 351, 356, 368 – / Unglaube 379 Grammatik / ars grammatica 7, 33 f., 38, 48–51, 54, 56, 63 f., 71, 75 f., 85 f., 108, 132, 215, 295, 318, 331, 356, 377, 393 f., 397 f. Grenze (vgl. auch: Ausgrenzung) 16f., 48, 80–83, 112, 116, 126, 132, 167, 187, 191, 200, 205, 224, 283, 291, 293–295, 297, 299, 301, 309, 311 f., 316, 320, 322, 326, 331, 341, 346, 375
Sachregister – / Sprachgrenze 16, 291, 293–295, 297, 326, 331 Gruß 122, 158, 194–198, 266, 303 f., 326, 329, 347, 352 f., 359, 370 Handlung / Handeln / Werk / Tat 92, 98, 132, 138, 140, 143, 145 f., 149, 154, 157, 167, 173, 192, 194, 206, 213 f., 216 f., 231, 252, 259, 273, 303 f., 306 f., 323, 325, 328–330, 337, 345, 372, 376, 380, 391 Heilsgeschichte / heilsgeschichtlich 77, 94, 98, 102, 108,110, 147, 158, 223, 225, 236, 238, 253, 261, 322 Heilung 108, 118, 146, 175, 199, 223, 231, 242, 280–282, 284, 330, 341, 350, 356–358 Heimlichkeit (vgl.: Vertraulichkeit und Verborgenheit) Herz 97, 124, 127, 138 f., 144, 148, 153, 167, 172, 176, 179, 189, 200, 204, 210, 246, 249, 271 f., 274, 300, 309, 319, 329, 334–336, 338, 340, 346, 360 – / Auge und Herz 148, 359, 202 – / Mund und Herz 50, 99, 127, 165–167, 212, 329 – / Ohr und Herz 183 f. – / Reden im Herzen 60, 63, 99, 139, 212, 309 – / verbum cordis (vgl. Wort: inneres) Hochmut / superbia 56, 94, 159, 162, 173, 217, 294, 308, 350 – / Stolz 193, 214, 217 Hören 50, 58, 124, 132, 176, 178f., 181, 185, 191, 205, 236, 238, 268, 280, 312, 316, 321, 323, 339, 345 – / Zuhören 152, 180, 182–185 – / Zuhörer / Publikum 8, 10, 16, 27, 39, 44, 57, 69–71, 76 f., 79–84, 89, 96, 116, 125, 144, 183–185, 217, 227 f., 230, 274, 283, 339 f., 364–366, 393, 398 Identität 142, 147, 150, 201, 216, 279f., 282, 297 f., 301, 308, 329, 356, 358, 363 Inkognito (vgl. Namen) Inspiration 61, 104, 155, 242, 244, 252 Inszenierung (vgl. auch: Ritual) 11, 37,
42, 44, 126, 167, 185, 195, 205, 271, 285, 316, 329, 359, 379, 383, 388, 394, 398 intellectus (vgl. Vernunft) intentio (vgl. Absicht) Intimität (vgl. auch: Vertrautheit) 200–203, 210, 231, 241, 263, 267, 336, 341, 359, 360–363, 376 f., 385 Intrige 178, 204, 253, 319 Irren / Verirren 155, 222, 227, 234 f., 238, 244, 252, 290, 297, 317, 319, 322, 324, 328, 331 f., 354 Inzest 145, 202, 277, 361 f. Jugend (vgl. auch: Kind) 107, 168, 180, 202, 209, 380, 396 Kammer (vgl. auch: Zelle) 153, 228, 333–338, 340 f., 344, 349–351, 353, 356–359, 362, 376, 398 Kampf 113, 120, 129, 133, 144, 160, 174, 192, 201, 204, 207, 235–237, 262, 264, 296, 307 f., 310, 312, 320 f., 323, 326–328, 343, 361, 372, 375 Kind / Kindheit (vgl. auch: Jugend) 10, 101, 103–108, 110–112, 114, 142, 149 f., 164, 180–183, 209, 212, 239, 279, 296 f., 310 f., 395 Keuschheit / kiusche 195, 208–210, 272 Kirchenväter 25, 46 – / patristische Literatur 45, 49, 91, 93f., 100, 146, 155, 160, 398 Klage (vgl. auch: Trauer) 113, 121, 124, 126, 128, 163 f., 181, 184, 194, 237, 268 f., 278, 292, 323, 324, 342–345, 348, 351, 354, 359 f., 368, 377, 384 Kloster 91, 97, 100, 135 f., 180, 219 f., 359 – / Klosterregeln 24 f., 44, 135, 152, 158, 178–180, 252, 395 – / monastische Literatur 26, 29, 31, 35–37, 40, 49, 68, 94, 97, 100, 135f., 138, 145, 155, 158, 335, 395 – / monastische Schweigeregeln 11, 24, 28, 30, 36, 44, 100, 135 f., 152, 156 f., 159, 179, 252, 395 Kommunikation 15–18, 22 f., 26 f., 32, 39, 47, 57, 59, 69, 71, 76–80, 93 f., 100–102, 132 f., 135, 156, 191, 194,
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Register 196, 216–218, 294, 301 f., 304 f., 308, 313 f., 318, 326, 389, 395–397 – zwischen Mensch und Gott (vgl. auch: Gebet) 93, 135, 138, 151 f., 216, 224, 242 f. – / Gespräch mit Gott (vgl. auch: Gebet) 56, 151 f., 154 – / Gespräch zwischen Menschen 18, 48, 69, 98 f., 158, 160, 187, 189, 200–202, 212, 237, 246 f., 273, 281, 298 f., 304, 314, 327 f., 333, 341 f., 347, 354, 358, 360 f., 367, 372, 377, 389 König –, Schweigen des 147, 184 f., 217, 369 –, Schlaf des 264–266, 285 Konzentration 11, 149, 181, 221, 241f., 244, 334 f., 337 f. Körper 51–53, 62, 64, 67, 73, 118, 131f., 162, 179, 197, 231, 244, 253, 256f., 267, 269 f., 272, 274, 279 f., 282 f., 285, 299, 301, 303, 314, 316, 327f., 333–335, 345, 349, 358 f., 361–363, 373, 377 – der Sprache 51, 53 f., 58, 61, 66 f., 73, 85, 87, 91, 94, 131 f., 253 – der Stimme 50, 52 f., 55, 58, 74, 87, 131, Krankheit 99, 145, 223, 232, 254, 341, 350, 356–358 Kummer (vgl. Leid und Trauer) Lachen 127–130, 134, 179, 305, 320f., 367, 369, 371 Lärm / clamor 15, 89, 92, 97, 153, 185, 238, 240, 250, 278, 302, 307 f., 312, 317, 321, 336, 341, 347, 361, 375 – / clamor mundi 15, 91, 97 Laster (vgl. auch: Sünde: Zungensünde und mala taciturnitas) 95, 97, 156, 217, 256 Legende 11, 43, 104, 109 f., 182 Leid (vgl. auch: Trauer und Schmerz) 120, 126–128, 130, 146, 163–165, 172, 181, 189, 206, 210 f., 223, 230, 242, 245, 272, 274, 277–279, 300, 311 f., 318 f., 324, 327 f., 342, 344, 346, 348, 368 f. Lesen 10, 16, 54, 71, 73, 221, 290, 338, 340 f., 348, 372
440
– / leises Lesen 10, 155, 341 – / Lektüre / Entziffern 110, 289 f., 328, 338, 340 f., 359, 372 Licht 48–50, 57, 65, 72–75, 87, 222, 253, 255, 257–261, 267 f., 274, 289, 291, 298, 312, 319, 331, 363 – / Helligkeit 37, 137, 236, 254 f., 257, 260, 262, 267, 269, 275–277, 285, 320, 345, 361, 393 Liebe 59, 77, 99, 120, 122, 126, 128, 130, 141, 146–148, 172, 176, 187, 189, 199, 203, 205, 210–212, 230–232, 240, 246, 249 f., 253, 264, 271 f., 274 f., 285, 300, 312–314, 316–318, 322, 334, 336, 340, 343, 345, 359 f., 376 f., 381 – / Begehren 318, 344, 346, 360 – / caritas / Nächstenliebe (vgl. auch: Mitleid) 59, 77, 99, 243 f., 323 – / Liebesszenen 119, 149, 200, 211, 230 f., 239, 263, 267, 269 f., 274 f., 277, 285, 317, 333, 341, 359–363, 377 – / Minne 20, 116, 126, 233, 240 f., 244, 313, 318, 346, 361, 381, 390 – / Minneschweigen 28, 117, 125 f., 133, 196, 321 Linguistik 14 f., 17–19, 23, 69, 80, 101 Liturgie 37 f., 65, 155, 220, 223 Lob 87, 139, 178, 191, 193 f., 220, 335 – / Lob Gottes 59, 96, 108 f., 152, 172, 220, 224 – / Selbstlob / Prahlen 162, 191–194 Lüge 58, 67, 80, 92, 96, 183, 201, 239, 355, 381 Macht 17, 56, 67, 69, 135, 147, 175, 179, 187, 190 f., 195 f., 206, 294, 301, 304 f., 308, 310–312, 322, 326, 328, 330–332, 345 f., 355, 383, 385 f., 391 Magie / magisch 27, 214, 248, 258, 275, 280 f., 285, 298, 306, 310, 331 f., 346, 364, 367 f., 372, 375, 378 mala taciturnitas 68, 92, 94–96, 98 f., 138–140, 145 f., 157 f., 161, 166, 175, 187, 202, 217, 231, 319, 377 Maß / mâze 159, 161–163, 193, 217, 272, 296, 342 Maßlosigkeit 99, 161, 217, 233, 235f.
Sachregister Mehrdeutigkeit / ambiguitas 16, 38, 68, 78–80, 116, 130, 218, 252, 289, 363, 391, 397 Metapher / Metaphorik 15, 19, 24, 26f., 37–40, 43, 51, 55, 74, 83, 94, 100, 138, 145, 209, 253, 272 f., 277, 284, 288, 290 f., 328, 331–335, 337, 341, 350 f., 379, 393, 398 – / Architekturmetaphorik 334 f., 337 f., 340 f., 351 – / Bewegungsmetaphorik 83, 397 – / Körpermetaphorik 51, 94, 253 – / Krankheitsmetaphorik 145, 173, 284, – / Lichtmetaphorik 49, 74, 137 f., 253, 255, 261, 269, 277, 291 f., 331 – / Metaphorik des Verschließens 94 f., 137 f., 291, 334, 337 f., 350 f., 398 – / Paradiesesmetaphorik 272 f. – / Schweigen als Metapher 9, 17–19, 26 Minne (vgl. Liebe) Minnesang / Minnesänger 28 f., 43 f., 113, 125, 133, 282 Misstrauen / Argwohn 139, 187, 197, 246 f., 249 f., 252, 259, 262, 330 Missverständnis 69, 78, 80, 111, 128, 130, 195, 205, 226, 370, 373, 399 Mitleid (vgl. auch: Liebe: caritas) 128, 187, 242, 244, 324–328, 337, 350, 369, 372 Mönche 91, 136 f., 152, 172, 178 f., 185, 219, 335 – / Anachoreten 255 f., 259 f. Mund (vgl. auch: Herz und Mund) 86, 99, 127, 133, 140, 146, 162, 167, 170–172, 179, 182, 189, 193 f., 205 f., 208, 220, 339 f., 359, 362, 376 Musik 44, 125, 150, 182 f., 307, 314, 316, 358, 368 Mystik 11–13, 27, 43, 116, 149, 152, 172, 322, 335, 379, 397 – / mystisches Schweigen 116 f., 216 Nacktheit 115, 132, 150, 279–282, 301, 325–327, 345, 353 Name 212–214, 280, 293–295, 299, 304–306, 325, 359, 366 f. – / Namengebung 107, 142, 306 – / Namenlosigkeit / Inkognito 123, 212–214, 280, 292 f., 295, 358, 369
Neugierde / curiositas 142, 150, 185 f., 190, 279 f., 282, 308 f., 321, 323, 325, 349 f., 359, 377 Öffentlichkeit 118–120, 127, 132, 135, 162 f., 167, 184 f., 195, 198, 210–212, 232, 236, 263 f., 266 f., 270, 272, 274 f., 285, 293, 309, 325, 333, 335, 340–345, 347–349, 351–354, 376–378, 381–386, 389, 391, 396 Ohnmacht 119–121, 124, 126, 132–134, 278 f., 284, 344 f., 381 Ordnung 11, 16, 47, 68, 81 f., 102, 131–133, 135, 139, 152, 156–158, 162, 167, 180, 182, 187, 212, 216, 235, 241, 252 f., 285, 289–293, 297 f., 301–303, 315, 317, 324, 326, 334, 339 f., 344–346, 351, 376 f., 379, 383–391, 394, 397, 399 –, göttliche 9, 21, 82, 102, 131 f., 136, 158, 234 f. Ordnung – der Geschlechter 102, 195–197, 206, 344, 351, 379, 399 – der Gesellschaft 102, 110, 115, 132, 135 f., 195–198, 212, 216, 252, 383, 396, 399 – des Hofes11, 115, 118 f., 129, 135, 156–158, 162, 164, 167, 169, 173, 175, 178, 187, 194–196, 198, 212, 216, 218, 252, 265 f., 285, 293–297, 301–303, 310, 315, 321 f., 326, 332, 344 f., 348, 353, 356, 376 f., 383–386, 388–391, 396 f. – der Welt 111 f., 131 f., 135, 139, 288, 291, 302, 297, 351 – durch Erzählen 48, 102, 178, 213, 216, 218, 225, 227, 253, 285, 297, 302, 306, 309 f., 331 f., 339, 364, 370, 378 f., 390, 394, 397–400 – / Sprachordnung (vgl. auch: Regeln: Sprachregeln) 9, 15–17, 34, 47 f., 65, 78 f., 81 f., 86, 89, 102, 110–112, 115, 120, 131 f., 135, 137, 158, 173, 215, 217, 252, 280, 285, 288, 290, 292f., 295, 297 f., 302–304, 310, 315, 326, 328, 331 f., 376, 383 f., 387, 391, 396 Ordnungslosigkeit 33, 80, 222, 285, 302 f., 332 f., 376 f., 391
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Register – / Chaos 65, 74, 252 f., 287–289, 292 f., 298 f., 302 f., 308, 331, 333, 339 Paradies 49, 56, 272–276, 302, 308, 372 Pause 16, 27, 44, 71–76, 79, 83–85, 226, 377 Poetik 10, 27, 29, 31, 39 f., 43 f., 164, 193, 204, 211, 217, 229, 231 f., 358, 379, 398 f. Präsenz 131 f., 148, 213 f., 258 f., 306, 309, 327, 344, 349, 353, 383 –, Verlust der (vgl. Verschwinden) Predigt 28, 45, 91 f., 95, 394 – / Homiletik / homiletische Literatur 11, 25, 27, 35–37, 45, 91, 158, 394 – / Prediger 92, 95 f., 98, 100 pronuntiatio (vgl. Artikulation) ratio (vgl. Verstand) Rätsel 64, 66, 76, 214, 284 Rede –, innere 57 f., 60–63, 138 f., 152, 154, 181, 183 f., 221, 301 –, überflüssige (verba otiosa) 137, 143, 159, 161 f., 179, 190, 217, 237, 314, 319, 329, 381 –, überstürzte, jähe 142, 144, 160, 167, 365 –, verzögerte 145–147, 215 f., 277 Regel 38, 76, 182, 192, 194, 209, 217f., 231, 285, 302, 333, 377, 380, 387, 397, 399 – / höfische Schweigeregeln 28, 44f., 100, 135 f., 156–158, 165–167, 211, 215, 217 f., 231, 395 – / höfische Verhaltensregeln / Vorschriften 24 f., 35, 44 f., 120, 156–159, 164 f., 167–170, 173, 194, 196, 198, 215, 217 f., 265 f., 294, 296, 301, 303 f., 320 f., 341, 344, 350 f., 371, 375, 377, 387 f., 390, 395, 397 – / Regelverstoß 31, 49, 129, 158, 163, 169, 175, 188, 194, 197 f., 205, 209, 217 f., 253, 267, 294 f., 350, 375, 378, 397, 399 – / Schweigegebot 20, 143, 152, 155, 159, 175, 181 f., 184, 187, 193, 205 f., 233, 235–237, 331, 386 – / Sprachregeln / regula loquendi 13,
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76–79, 92, 102, 135 f., 159, 195, 215, 294, 296 f., 302, 322, 329, 331, 378, 391 Religion / religiös 13–15, 17, 24, 43, 49, 102, 110, 116, 135, 140, 143, 156, 159, 166 f., 208 f., 221, 225, 232, 253, 379, 380, 391, 396 f. Repräsentation 11, 132 f., 173, 197, 207, 210, 305 f., 318, 349, 384–386, 391 Reue 144, 153, 238, 241, 323, 341, 349 Rhetorik 14, 16, 18 f., 27, 29, 33–35, 44, 48 f., 63, 67, 69, 75 f., 80, 83–87, 140, 192, 215, 217, 228, 232, 253, 318, 380, 393 f. Ritual 121, 126, 163, 241, 324, 342, 344 f., 354, 377 Ruhe 83, 118, 171, 222, 224 f., 232–235, 237, 240, 251, 261–264, 269, 274, 277 f., 308, 336, 338, 352, 356 f. Scham 48, 96, 128, 158, 165, 170, 174, 202, 206–214, 231, 269, 281 f., 300, 323, 325, 342 f., 353, 370 f., 384 Schau / visio 57, 60, 66 f., 149, 221, 261, 263, 276–279, 285, 321, 335 Schauen (vgl. auch: Sehen) 63, 126, 149 f., 211, 216, 239, 269, 278, 347 – / Beobachten 294, 344 f., 349 f., 358, 372 – / Betrachten 110, 149–151 – / Gaffen 125, 353 – / Mustern, Taxieren 150 f., 279, 302 f., 344 f., 359 – / Zuschauen 151, 185, 248, 251, 321, 326, 349, 351 Schlaf 112, 117–119, 132, 220 f., 227 f., 234, 237, 240 f., 245, 257, 262–269, 273–275, 277–282, 284 f., 357, 360, 362, 372 f. – / Schlafender 117 f., 129, 132, 280, 396 Schlüssel / Schloss / Verschließen 97, 138, 143, 146, 162, 168, 170, 200, 206–208, 272, 275, 291, 333–341, 343–350, 354 f., 357, 359 f., 364, 367, 371 f., 375 f., 383, 393, 398 Schmerz 130, 165, 176, 241, 272, 311, 344 Schöpfung / creatio 54, 57, 61 f., 64–66, 87, 220 f., 252 f., 289, 334, 339
Sachregister Schreck 49, 86, 113, 120 f., 124–126, 273, 282, 318, 353, 373 Schreien 8, 128, 130, 238, 278, 321, 361 f. Schrift 10, 51–54, 56, 63, 289, 314 – / Schreiben 7, 51, 54, 127, 280 Schuld 96, 105, 121, 145, 148, 158, 188, 194, 198, 202, 207, 212, 217, 231, 236 f., 284, 297, 299 f., 319, 323, 326, 331, 349, 376 f., 396 – / Unschuld 105 f., 110, 159, 177, 236 f., 239, 319, 396 Schüler 179–183 Schutz 49, 82, 111, 114, 118, 132 f., 138, 140 f., 152, 161, 163, 170, 179, 187–189, 201, 204, 212, 214 f., 220, 222, 230, 232, 241, 248–250, 274, 282, 285, 302, 305, 308, 313, 318, 326, 331 f., 338 f., 341–344, 347, 350, 352, 355–358, 382–385, 391 Schwäche 17, 54, 99, 104, 112, 119f., 133, 145–147, 163–165, 170, 185, 207, 227, 254, 256, 260, 262, 358 f., 396 – / Hilflosigkeit 104, 110, 177, 196, 297, 303 Seele 53, 62, 78, 84, 92, 117, 136, 153, 221, 259, 334 f. Sehen (vgl. auch Schauen, Blick) 58, 148 f., 178, 197, 202, 205, 210, 236, 248–250, 267, 274, 276, 278, 280 f., 306, 312, 314, 318, 326, 346, 349, 373, 376, 382 f. Sehnsucht 125 f., 131, 133, 147 f., 240, 300, 311 f., 335 Selbsterkenntnis 279, 282 f., 294, 312, 334, 338, 350 f. Selbstvergessenheit / Selbstverlust 112, 115, 125, 282, 293, 300, 322, 331, 333, 344 f., 353 Sentenz / Sprichwort 45, 100, 116, 141, 143, 161, 166, 170, 218, 255 Seufzer 8, 51, 119, 126 f., 130 f., 134, 267–269, 396 Sexualität (vgl. Erotik) Sinne 55, 58, 110, 117, 149, 221 f., 316, 323, 334, 337, 343 Sorge 120, 128, 130 f., 133 f., 153, 336, 342 f., 357, 384
Spott 111, 117, 129, 168, 170–175, 188, 194, 265 f., 280, 385, 396 Sprachregeln (vgl. Regeln: Sprachregeln) Sprachgemeinschaft 8, 112, 299 f. Sprachlosigkeit 8, 44, 49, 77, 85, 102–104, 106–108,110–112, 115, 117 f., 122–124, 128, 132, 134, 180, 196, 220, 229, 252 f., 275, 278 f., 284 f., 291–294, 299, 301 f., 308 f., 314–319, 327–329, 331 f., 352–354, 356, 359 f., 362, 364, 371, 376–378, 393, 396 Sprachphilosophie / -theologie / -theorie 7 f., 12, 14, 31, 33 f., 37, 39 f., 49, 54, 64–67, 71, 76 f., 80, 82, 86 f., 89, 99, 101, 111, 135, 253, 332, 393, 398 – / Sprachskepsis 21, 80, 160 Sprachverlust 85, 101 f., 112–114, 117, 119 f., 131–133, 263, 280, 292, 294, 299, 328, 331, 333, 351, 395 f. Sprachverweigerung / Redeabstinenz 9, 16, 80, 102, 135, 159, 190 f., 216 f., 242, 294 f., 298, 302, 331 f., 356, 378, 385 Sprachverwirrung 56, 58, 329 Sprechunfähigkeit 101–104, 106–108, 110–112, 131, 395 f. Sprichwort (vgl. Sentenz) Staunen 125, 133, 148–150, 175, 186, 196, 368, 372, 374 f. Stille / Geräuschlosigkeit 8, 65, 89, 90, 147, 152, 184 f., 221, 225, 240–244, 262, 278, 282, 285, 307, 337, 347, 352, 357, 359–364, 375 Stimme / vox 7–10, 50–55, 58 f., 64–67, 72, 74 f., 87, 89, 109, 127, 132 f., 168, 195, 243, 246, 253, 292, 311, 323f., 328, 354, 356, 393 – / vox confusa / Unverständlichkeit 8 f., 51, 54, 74, 89, 104, 119, 127, 131, 133 f., 332, 356 – / vox articulata (vgl. Artikulation) – / Stimmlosigkeit 67, 72, 74 Strafe 172, 191, 195, 197 f., 214, 235, 311, 323, 326 Stummheit / Stummer 101, 103, 108–112, 117, 122, 124, 222 f., 235, 238 f., 250, 274, 282, 292, 298, 300,
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Register 303 f., 320, 323, 328, 331, 354, 358 f., 362 f., 388, 395 f. Sünde / Versündigung 25, 35 f., 49, 56, 67, 82, 92, 106, 110 f., 131, 139, 145 f., 152, 159 f., 172 f., 179 f., 187, 202 f., 221 f., 224, 235–239, 241, 252f., 256, 269, 276, 298 f., 322, 337, 348 – durch Rede / Zungensünde / peccatum linguae 25, 49, 92, 95, 97 f., 105, 159, 173, 179 f. – durch Schweigen (vgl. mala taciturnitas) – / Sündenfall 161, 223f., 273, 275f., 285 – / Sündhaftigkeit 63, 92, 108, 110, 231, 234, 348, 362 Tadel / Zurechtweisung 142, 163 f., 166, 169, 171 f., 268, 343 –, unterlassener 96, 98, 175, 231 Täuschung 67, 69, 123, 139, 165–167, 185, 204, 206, 211, 216, 218, 228, 232, 235, 239, 245–247, 250–252, 259, 262, 273, 275, 284, 297, 314f., 317–319, 329 f., 342, 347, 356 f., 359, 363, 386 Teufel 49, 153, 222, 224 f., 259, 261, 299, 312, 362, 389, 390 f. Text 7–10, 18, 21, 26, 41 f., 47 f., 54, 71–76, 79, 81–83, 85, 120, 216, 288–291, 319, 324, 328, 331 f., 339–341, 349, 377, 379, 393, 399 Theologie / theologisch 11–18, 21f., 27 f., 31, 34, 37–39, 45 f., 48 f., 54, 63 f., 66, 71, 80, 131, 138, 175, 252 f., 393 f., 397 f. Tier 114 f., 171, 301–303, 305, 307 f. – / Tierstimme 51, 113, 125, 128, 307 – / Vogel 125, 250, 307, 311 f., 316 Tod 82, 87, 112–114, 120–122, 124, 131–133, 143, 145, 164, 184, 214, 223, 232, 237, 254, 257, 270, 273, 275, 277 f., 285, 292, 311, 319, 342, 344, 358, 372, 374, 380 f., 385, 387–389, 391, 396 – / Totenklage, Totenwache 121, 134, 241, 324, 342, 344 f. – / Toter 112, 114, 132, 241 Ton / Klang (vgl. auch: vox confusa) 50, 53, 55, 65, 114, 127, 367 – / Sprachlaut 51–53, 55 f., 60, 63, 65, 81
444
Topos / topisch 12, 29 f., 33, 44 f., 102, 121, 125 f., 133, 166, 168, 172, 185, 191, 193, 217 f., 221, 239, 245, 257, 274, 277, 282, 284, 293, 321, 329, 332, 350, 357, 394, 397, 400 Tor / Narr 85, 115 f., 283 f., 293, 295 f., 309 Tränen 124, 128, 134, 152 f., 163, 279, 324, 373 Trauer / Traurigkeit 99, 120–122, 124, 126–128, 130 f., 133, 162–165, 210, 240 f., 292, 310 f., 317 f., 324, 333, 341 f., 344 f., 347–349, 368, 376 f. Traum 187, 220, 238, 242, 244–246, 252, 263, 276–279, 282–285, 311, 331 Treue / triuwe 128, 199 f., 202–205, 211 f., 217, 237, 240, 243, 272, 275, 322, 343, 361, 380 f., 383–386, 388 f., 391 Tugend 96, 156, 206, 210, 217, 249, 262, 324, 343 Türe / Tor 94, 138, 153, 162, 168, 190, 208, 333–336, 338 f., 341, 344, 347–351, 354, 359 f., 364, 367, 370, 376 Unhöfischheit / Unhöflichkeit 129, 134, 158, 175–177, 186, 188, 190, 207, 218, 265, 295, 321, 342, 349 f., 354, 358, 371, 375, 380 Unsagbarkeit 128, 130 f., 193, 293, 311, 364 Unverständlichkeit (siehe auch : vox confusa) 8, 17, 54, 79, 115, 118, 128, 132, 134, 190, 288, 321, 331 f., 356, 376 f. Utopie 15, 302, 311 f., 319, 331 f., 388 Verborgenheit 128, 131, 138 f., 153, 164, 167, 180, 187, 202–204, 211 f., 214, 217, 231–235, 240, 246, 251, 266–268, 297, 320, 322, 330, 338, 341, 343, 348 f., 354, 357, 361, 375, 385 f., 390 Verfehlung 92, 175, 178, 180, 194, 203, 207, 215, 232, 253, 294, 299, 329 Verfluchen 124, 148, 206, 234, 237 f., 267 f., 273, 276, 300, 322 Verletzung 112, 119 f., 133, 137, 284, 322, 357
Sachregister Verleumdung (vgl. auch: Beleidigung) 170, 172, 176–178, 267 f., 329, 372 Vernunft / intellectus 64, 78, 102 f., 179, 289, 335 Verrat 177, 199 f., 204, 246, 276, 300, 349, 384 f., 388 Verschwinden 87, 117, 132 f., 212, 281, 300, 310, 327, 349 Verstand / ratio 80, 104, 112, 114 f., 118 f., 122, 140, 174, 180, 182, 212, 248, 272, 281 f., 287, 291, 297, 334, 338–340 – / Mangel an 103, 106, 108, 112, 115, 174, 198 Verstehen / Verständnis 63, 65, 72, 75, 77, 79, 83 f., 126 f., 289, 291, 303, 328, 335, 338–340, 367 – / Unverständnis 181, 188, 288 f., 311, 318 f. Verstummen 17, 20, 29, 44, 69, 75, 82f., 85, 87, 96, 110, 112–117, 119–126, 128, 130–133, 143, 150, 217, 223, 241, 246, 251 f., 263, 268, 273–275, 278 f., 299 f., 311, 323, 330, 360, 368, 379–381, 384, 390, 396 Versuchung / Verführung 56, 202, 255, 258 f., 262, 271, 276, 281, 285, 298, 308, 322 Vertraulichkeit / Vertrauen / Vertrautheit 99, 153, 198–204, 212, 214, 217, 246 f., 267, 330, 338, 341, 355, 357, 361–363, 382–384 Verwandtschaft 128, 150, 163, 200–202, 214, 217 Verwirrung 58, 73, 122 f., 130, 133 f., 185, 229, 244, 252, 262, 301 f., 339 visio (vgl. Schau) vox (vgl. Stimme) Wächter 94, 129, 190, 282, 339, 350, 370–372 Wahnsinn 112, 114 f., 121, 124, 132, 148, 255, 279–283, 299, 301, 331, 395 Wahrheit 57, 67, 77, 86, 109, 116, 123, 181, 206, 239, 243, 245–249, 252, 268, 289, 291, 312, 315, 317 f., 329, 340 f., 397 Wand / Mauer 137 f., 150, 160, 211, 230, 274, 281, 299, 318, 323, 333,
341–343, 349–351, 357 f., 364, 376, 385 Weinen 104, 119, 125, 127 f., 133 f., 142, 163, 165, 242, 297, 311, 326, 361, 373, 383 f. Weisheit / sapientia 54, 59, 63 f., 86 f., 115, 142 f., 168, 184 f., 215, 221, 242 – / Weiser 141, 180, 194 Wille (vgl. auch: Absicht) 105, 122, 140, 248, 346, 351, 374 – / Lähmung des 104, 276 Wissen 39, 57 f., 60, 63 f., 79, 86, 99, 156, 176, 183, 201 f., 246, 280, 282, 285, 291, 298, 346, 387 f., 390 f. – / Unwissenheit (vgl. auch: Dummheit) 96, 106, 178, 201, 223, 278, 281 f., 289, 302, 319, 358 Wort 135, 140, 160, 216, 305, 314 – Gottes / Schöpfungswort 54–56, 59, 61, 64–67, 86 f., 208, 223–225, 242, 252, 298 –, inneres / verbum interius / verbum cordis 54, 57–60, 63 f., 66 f., 77, 80, 86, 135–137, 152, 221 – / Wort und Werk 92 f., 98, 172, 192, 216, 304, 323, 329 f., 383 Wortlosigkeit (vgl. auch: Sprachlosigkeit) 48, 69, 80, 104, 110, 112, 133, 206, 208, 226–228, 275, 291, 300, 302–305, 308–310, 312 f., 315 f., 319, 321, 323, 327 f., 343, 348, 352 f., 357, 359 f., 363, 368, 377 Wunder 104, 108, 110, 149, 182, 186, 229, 242–244, 298 Zeichen 16, 21 f., 43, 52–54, 57 f., 64, 67, 72, 77–81, 85 f., 102, 113, 120, 129, 131, 133 f., 147, 162, 199 f., 203, 213, 237, 275, 279, 285, 289, 295, 298, 303 f., 306 f., 309, 313 f., 318 f., 321, 330, 333, 339, 343, 349, 363, 371, 377, 382, 386 f., 389 f., 399 – / Schriftzeichen 16, 52–54, 72, 81, 83, 314, 339 – / Schweigen als Zeichen 9, 16, 22f., 26, 32, 69, 79, 85, 102, 108, 110, 115f., 120, 142, 168, 179, 184 f., 195, 197, 203, 208 f., 215, 217 f., 363, 396 – für das Schweigen 24, 72, 83
445
Register Zeit 55, 60, 65, 114, 145, 148, 161, 212, 216, 221, 223, 225–229, 232, 234f., 240–242, 252, 254, 257, 261, 271, 277, 279, 285, 331 f., 347, 370, 393, 396, 399 – / Auflösung der Zeit 148, 229, 280, 285 – / Zeitlosigkeit 37, 55 f., 59, 64 f., 67, 105, 219, 225, 227, 229, 240, 244, 252, 254, 261, 279, 285, 292, 307, 309, 316, 331, 393, 396, 398 – / Zeitlichkeit / Vergänglichkeit 37, 53, 56, 60, 63, 67, 81 f., 86, 113 f., 120, 131, 216, 240, 396 – / Zeitstillstand 254, 277 f., 280, 285 Zeitpunkt 161, 229, 277 f., 285, 306, 335 –, richtiger / falscher 95, 143 f., 191, 212, 215, 365 Zelle 97, 320, 334 f., 338, 347
Zensur 76, 111, 136, 140, 143, 156, 302, 310–312, 331 Zögern / Zaudern 145, 147, 204, 215f. Zorn 115, 124, 143 f., 162, 167–169, 171 f., 198, 200, 240 f., 246, 301, 346, 349 zuht (Anstand) 118, 134, 143, 147, 155–158, 162–169, 171, 173, 176 f., 183, 186–188, 192, 194, 197 f., 207, 209–212, 230 f., 265, 320–322, 326, 329, 370 f., 375–377, 380, 397 Zunge 49 f., 92, 97, 108, 133, 138–140, 145, 159 f., 166 f., 173, 179, 200, 230, 301, 305, 329 f. Zungensünde / peccatum linguae (vgl. Sünde: Zungensünde) Zweifel 122 f., 133, 147, 155, 196, 211 f., 249 f., 303, 305, 318, 351 – / Verzweiflung 104, 223, 251, 256, 289
3. Namensregister (* = Anmerkung) Es sind nur die Namen von Autoren theologischer, philosophischer, rhetorischer Primärtexte aufgenommen. Abaelard 98* Absalon von Springiersbach 224 Alanus ab Insulis 73*, 140*, 222*, 254*, 257*, 273*, 287*, 338* Albertanus von Brescia 92, 92* Alcuin 50*-53*, 53, 72*, 235*, 256* Ambrosius 56*, 59*, 95*, 96, 108 f.*, 137*-141*, 144*, 161*, 167, 168*, 170 f., 170 f.*, 173, 173*, 180, 180*, 208, 208* Anselm von Canterbury 58, 58*, 61*–64*, 62, 66, 67*, 135, 336* Anselm von Laon 258* Augustinus 52*-67*, 53–55, 59–62, 64–66, 74*, 77*-80*, 78–80, 86 f.*, 86, 99, 103*, 105, 105*, 107*, 109*, 135, 137, 138*, 154*, 224, 289, 289*, 333*-336*, 333 f., 338 f.* Ps.-Augustinus 93*, 140*, 160*, 172f.*, 176 f.*, 207*, 335*
446
Beda Venerabilis 89 f., 89*, 93*, 108, 122*, 167*, 181, 181*, 258* Bernhard Silvestris 287* Bernhard von Clairvaux 177*, 224*, 260 f., 260*-262* Bruno von Würzburg 258* Cassianus 95*, 153, 153*, 257*, 335*, 337* Cassiodorus 72 f.*, 289* Cyrille von Jerusalem 221* Donatus 7*, 50*, 53, 53* Evragius 256 Garnier de Rochefort (Ps.-Hrabanus Maurus) 255*, 289*, 335*-338* Geoffroi de Vinsauf 75 Gregor der Grosse 56*, 60*, 92*, 95f.*,
Sachregister 96, 137*, 139*, 141*, 145 f., 160*, 170*, 225*
Origenes 256 Otfrid von Weißenburg 290, 290*
Haymon von Halberstat 258* Hieronymus 73, 73*, 85*, 95*, 287* Hildegard von Bingen 106* Hrabanus Maurus 92*, 138 f.*, 219 f.*, 222, 222*, 234*, 255*, 257*, 259, 260*, 289* Hugo von Folieto 59*, 95*, 162*, 224, 337 f., 337 f.* Hugo von St. Cher 224 Hugo von St. Victor 222–224, 222*-224*, 289 f., 290*
Peraldus 97, 97* Petrus Alphonsus 116* Petrus Damianus 97 f.* Petrus Lombardus 98* Petrus Cantor 95, 96*, 108 f.*, 158*, 171*, 175, 175*, 191* Petrus von Blois 223* Priscianus 50*-53*, 51, 127, 127*
Ignatius Martyr 87* Isidor 72, 72*, 75, 76*, 84*, 90, 90*, 103, 103*, 109, 109*, 115*, 139*, 219*, 225*, 234, 234*, 255*, 287*, 335*
Radulfus Ardens 92, 93*, 99, 99* Remigius von Auxerre 50*-52*, 53, 221*, 258* Richard von Bury 341* Richard von St. Victor 260* Robert von Flamborough 97* Rupert von Deutz 260*, 290, 291*
Macrobius 243* Manegold von Lautenbach 258* Martianus Capella 221* Mechthild von Magdeburg 107* Nicetas 256 Notker 289
Quintilian 72*-74*, 78 f.*, 81*, 83, 83 f.*
Thomas von Aquin 149* Wilhelm von Conches 104*
447
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1: Egon Flaig
Band 2: Andreas Kablitz
Ritualisierte Politik
Der verborgene Gott und die Welt des Menschen
Zeichen, Gesten und Herrschaft im Alten Rom 2003. Ca. 288 Seiten, gebunden ISBN 3-525-36700-7
Weshalb knieten und weinten Senatoren vor politischen Gegnern? Warum entblößten sie ihre Narben? An welche Wertvorstellungen appellierten diese Gesten? In welchen Situationen wirkten sie, in welchen nicht? In welchen zeremoniellen Rahmen fand derlei statt, entlang welcher Regeln? Egon Flaig untersucht die kulturelle Semantik der römischen Politik, wie das bisher in der althistorischen Forschung noch nicht geschehen ist. Seine innovative Studie versteht individuelle Handlungen wie kollektive Rituale als Elemente einer politischen Grammatik, die selbst der Veränderungsdynamik gesellschaftlicher und politischer Prozesse unterliegt. Indem er römische Politik nicht nach Institutionen und Kompetenzen befragt, sondern nach dem signifikanten Verhalten ihrer Akteure, gelingt es dem Autor, zentrale Elemente der römischen Politik neu zu bestimmen. Zugleich präsentiert Flaig in „dichten Beschreibungen“ anschaulicher Fälle einen Querschnitt durch die politische Kultur insbesondere der späten römischen Republik.
Beiträge zu einer literarischen Anthropologie der Renaissance 2003. Ca. 656 Seiten mit ca. 10 Abbildungen, gebunden ISBN 3-525-36702-3
Band 4: Beate Kellner
Ursprung und Kontinuität Studien zum genealogischen Wissen im Mittelalter 2003. Ca. 488 Seiten mit ca. 28 Abbildungen, gebunden ISBN 3-525-36703-1
Band 5: Udo Friedrich
Menschentier und Tiermensch Phantasmen der Grenzüberschreitung in der Literatur des Mittelalters ISBN 3-525-36704-X
Band 6: Matthias Müller
Das Schloss als Bild des Fürsten Herrschaftliche Metaphorik in der Residenzarchitektur des Alten Reichs (14701618) ISBN 3-525-36705-8