Thomas Murners deutsche Schriften: Band 9 Von dem großen Lutherischen Narren [Nachdr. d. Ausg. 1918. Reprint 2013 ed.] 9783110828481, 9783110002867


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German Pages 438 [440] Year 1990

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Thomas Murners deutsche Schriften: Band 9 Von dem großen Lutherischen Narren [Nachdr. d. Ausg. 1918. Reprint 2013 ed.]
 9783110828481, 9783110002867

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kritische Gesamtausgaben Elsassischer Schriftsteller des ODittelalters und der Reformationsseit veröffentlicht

von der Gesellschaft für elsassische Literatur

Thomas Sitnters Deutsche Schriften mit den Bolzschnitten der Erstdrucke herausgegeben unter Mitarbeit von

^.Sedermeyrr, K. Drescher, 3. Lefftz, D. Merker, M . Spanier u. a. von

fra n s Schultz

Band IX

Strafeburg Verlag von Rarl J. Crübner

1918

Thomas Murner Vau dem große« Lutherische» Harre» Berousgegeben von

Dr. Paul Merker a. o. Professor an der Universität Leipzig.

Strafeburg Verlag von Rarl J. Crübner 1918

Alle Red)te vorbehalten.

M. DuCDont Schauberg. Strafcburg.

Inhalt. Seite

V o rw o rt......................................................... VII E inleitu n g..................................................

1

t e x t .............................................................

85

K o m m e n ta r.................................................. 283

Vorwort. COit dem vorliegenden Bonde beginnt die von der Gefell« fcboft für elföffifcbe Literatur geplante britische Ausgabe von Cbomas M urners deutschen Schriften zu erscheinen. Wie die ihr zur Seite gehende Neubearbeitung der W erke Sifcbarts will sie nicht nur als Gefellfcbastspublihation besonderen pro­ vinzialhistorischen Interessen dienen, sondern sie hofft zugleich weiteren .literarwiffenfcbaftlicben Aufgaben gerecht zu werden. M it der Neubelebung eines von der Sorfcbung bisher un­ gebührlich vernachlässigten hervorragenden Schriftstellers der Reformationszeit gliedert sie sich zudem einem allgemeineren Zuge der deutschen Philologie unserer ta g e ein. Lange Zeit ist das ausgehende M ittelalter und d as noch vielfach von demselben Geiste getragene sechzehnte Jahrhundert von der germanistischen Wissenschaft stiefmütterlich behandelt worden. Wohl fehlte es nicht an zahlreichen „Neudrucken“ einzelner literarischer Schriften, besonders des Reformationszeitalters. Aber abgesehen davon, daß das literarische Leben des vier­ zehnten und fünfzehnten Jahrhunderts bei diesen Bestre­ bungen nur sehr mangelhafte Berücksichtigung fand, daß auch aus dem sechzehnten Jahrhundert wichtige Rulturöokumente ausgeschlossen blieben oder doch nur in ungenügenden Abdrucken vorlagen und vor allem die in ihrer entwickelungsgeschichtlichen Bedeutung noch immer unterschätzte neulateinisch-humanistische Literatur nur in beschränkter Auswahl zugänglich gemacht war, erhielten diese Ausgaben zumeist nicht das wünschenswerte literargefchicbtlicbe €cbo, das sie erst wirklich fruchtbar ge­ macht hätte. Cs fehlte an Kräften, die das in den zum Ceil ausgezeichneten Einleitungen jener Neudrucke niedergelegte

M aterial weiterbeorbeiten und verwerten wollten. Cs fehlte an Interesse, hier nun tiefer zu schürfen, die speziellen Erkennt­ nisse zusammenzufassen und d as ganze so ungemein reizvolle Bild dieser frübneubocböeutfcben Zeit wieder lebendig werden zu lassen. M it der eigentlichen Erforschung dieser Periode deutschen Geisteslebens war und blieb es zumeist recht trüb bestellt. Sie war fast immer nur vereinzelten Zielen zugewandt und hob sich nur selten zu höheren weiteren Gesichtspunkten empor. Ein philologisches Meisterwerk wie Zomckes schier unerschöpflicher Kommentar zum „Narrenschiff, der in feiner breitbasigen Anlage au s dem Erfassen des Gesamtgeistes jener Zeit herausgewachsen war, blieb jahrzehntelang eine vereinzeltstehende Großtat. Von der Vielgeschäftigkeit und Emsigkeit, mit der die mittelhochdeutsche Literatur auf der einen, die neuere und neueste deutsche Dichtung auf der anderen Seite erforscht wurde, war in dieser Übergangsepoche vom M ittelalter zur Neuzeit im allgemeinen wenig zu spüren. Seit etwa einem reichlichen Jahrzehnt aber hat sich hier eine erfreuliche Wandlung vollzogen, indem die germanistische Sorfcbung in steigendem M aße sich diesen wissenschaftlich noch vielfach brach liegenden Jahrhunderten zuwandte. Die in rascher Solge hervortretenden Publikationen der deutschen Kommission der preußischen Akademie der Wissenschaften haben d as Interesse wieder auf d as ein Menschenalter lang stark vernachlässigte spätere M ittelalter gelenkt und Neuland für ungezählte Einzelforschungen eröffnet. Burdachs Arbeiten enthüllen immer mehr die hohe kulturgeschichtliche Bedeutung des Srübbumanismus. Langsam beginnt die trotz ihres fremden Sprachgewandtes einen Ceil der deutschen Literaturgeschichte bildende und in ihrer Wirkung auf d as deutsche Geistesleben unterschätzte mittel- und neulateinische Literatur Deutschlands sich die verdiente Beachtung zu erwerben. Eifrig wird auf den Gebieten der gelehrten und volkstümlichen Reformationsliteratur gearbeitet, und allmählich nehmen alle diese Stoffe auch unter den Dissertationsthemen des wissenschaftlichen Nachwuchses wieder einen breiteren Raum

ein. freilich ist nur erst der Anfang gemacht, ßunöerte von fleißigen Bänden und klugen Röpsen finden hier noch dank­ bare Arbeit, und es wirb noch lange dauern, bis diese für die gesamte spätere Geistesentwicklung so grundlegenden spätmittel­ alterlichen und frübneubocbbeutfcben Zeiten, von denen wir im Grunde genommen erst nur ein paar Baupterfcbeinungen ge­ nauer kennen, in der ganzen Breite und tie fe ihres literarischen Schaffens und in ihrer reizvollen bunten Vielgestaltigkeit vor den erstaunten Blicken einer späten Nachwelt neu erstehen. Innerhalb dieser Rette bilden diese der Dichtung des sech­ zehnten Jahrhunderts geltenden Veröffentlichungen der Gesell­ schaft für elsässische Literatur ein bedeutsames Glied. In ihnen wird die landesgeschichtliche Sorfcbung wie die gesamtdeutsche Literaturgeschichte wertvolles M aterial und neue Anregungen erhalten, die wiederum, wie sich schon jetzt zeigt, ihren wohl­ tätigen Einfluß auf die Studien junger und jüngster Erforscher des altelfäffifcben Geisteslebens ausüben. Welch fruchtbares Ackerland sieb hier der wissenschaftlichen Sorfcbung allenthalben darbietet, habe ich wie bei meinen früheren Arbeiten über literarhistorische Probleme des sech­ zehnten Jahrhunderts so auch jetzt wieder lebhaft empfunden. Unter der Band erweiterte sich mir die als kurze Orientierung über die kirchengeschichtlichen und biographischen Grundlagen des „ Großen lutherischen H arren“ geplante Einleitung zu einer umfangreicheren Untersuchung. Erst recht sah ich mich bei der Einzelerklärung des Rommentars auf Schritt und Dritt vor offene fragen gestellt. Hur die Rücksicht auf den zur Verfügung stehenden Raum, der an sich schon stark aus­ gedehnt werden mußte, zwang mich, des öfteren die weitere Verfolgung lockender fährten abzubrechen. Die aus solchen Vorstudien erwachsene, in der Einleitung (S. 6 Anm.) erwähnte größere Arbeit über den bisher unbekannten Straßburger Satiriker Hicolaus Gerbelius, der auch in der Vorgeschichte des „Großen Lutherischen Harren“ eine gewichtige Rolle spielt, wird, wie ich jetzt ergänzend hinzufügen kann, 1919 in den

Veröffentlichungen der deutschen Abteilung d es philologischen Forschungsinstituts der Universität Leipzig erscheinen. A ber auch trotz jener sich notwendig machenden Beschränkungen b at der Kommentar, zum al die bisherigen A usgaben der S atire von Kurz und B alke lediglich äußere und dabei oft m angelhafte W orterklärungen bieten und für die sachliche Interpretation so gut wie keine V orarbeiten vorlagen, schließ­ lich einen Umfang angenom m en, wie er sonst bei W erken der spätmittelalterlichen und friibneuzeitlicben Literatur nicht üblich ist — oder richtiger gesagt, nicht üblich w ar; denn der vor kurzem erschienene monum entale Kommentar zum „Acker­ m ann von B öhm en“ b a t auch d a neue, bisher nur für die „klassische“ Dichtung anerkannte A usm aße gebracht. D aß mir bei all der im einzelnen oft zu negativen Resultaten gelangen­ den, mühevollen Detailforschung Zarnckes großes W erk a ls M uster vorschwebte, erw ähne ich gern. M öge e s mir gelungen sein, diesem ehrwürdigen D enkm al deutschen pbilologenfleijjes wenigstens teilweise nahegekom m en zu sein. Bei den gram ­ matischen und texikograpbifcben Erklärungen w ar ich bemüht, eine mittlere Linie einzuhalten, die zw ar überall und in erster ßinficbt die streng wissenschaftlichen Zwecke der A usgabe ins Auge faß t, in Rücksicht auf die besonderen Ziele der Gesell­ schaft für elsässische Literatur und ihre M itglieder ab er auch hier und d a zur Vermeidung naheliegender Mißverständnisse eine Erklärung mit einfließen läß t, die für die strengere Schulung d es Fachm annes vielleicht entbehrlich scheint. Für die Gestaltung des Dextes verweise ich auf die A us­ führungen am Schlüsse der Einleitung (S. 78 ff.), wo ich meinen S tandpunkt in dieser umstrittenen editionstechnischen Frage eingehend dargelegt habe. Ich vertrete hier allen metrischen und grammatischen Horm ierungsbestrebungen gegenüber die­ selben konservativen Ansichten wie der G esam therausgeber der A u sg abe, Berr Professor Franz Schultz, dessen richtung­ gebende Editionsprinzipien sich auch sonst im einzelnen be­ w ährt haben.

Weit später, als ick einst backte, tritt dieser Banb an die Öffentlichkeit. Nachdem die ßauptarbeit schon in den Jahren 1913 und 1914 geleistet w ar, unterband der Ausbruch des W eltkrieges und später meine eigene Einziehung die bevor­ stehende Drucklegung und geplante baldige Erscheinung. Erst seit 1917 konnte mit dem Druck begonnen werben, der bei den immer fühlbarer werdenden drucktechnischen Schwierig­ keiten freilich nur langsam vonstatten geben konnte. Einige kleine Unebenheiten im Kommentar erklären sich aus diesen jahrelangen Verzögerungen. Nachdem nunmehr die Grundlagen geschaffen sind, besteht die begründete Boffnung, daß die fol­ genden Bände der M urnerausgabe rascher hervortreten werden. Eine Ausgabe der „Gäucbmatt“, die ick wiederum übernommen habe, hoffe ick in absehbarer Zeit vorlegen zu können. Leipzig, 26. August 1918.

P a u l M e rk e r.

Als Thomas M urner im Dezember 1522 feine satirische Dichtung „Von dem großen Lutherischen Harren“ erscheinen liefe, w ar er bereits ein M ann von etwa fiehenundvierzig Jahren. Seit über zwei Jahrzehnten war der Harne dieses hochbegabten, aber ruhelosen und streitlustigen Strafeburger Sranzisbaner» Mönchs weithin bekannt. Innerhalb feines Ordens erfreute er fick trotz mancher Differenzen einer unverkennbaren Achtung. Als vielgelefenem Satiriker, als Doktor zweier Sabultäten, der Theologie und der Jurisprudenz, als gekröntem Poeten fehlte e s ihm nicht an Ruhm und äufeeren Cbren. Aber wie bis auf den heutigen Tag stand schon dam als fein vielfeitig-federflinkes Schaffen, fein ehrgeizig-widerspruchsvoller Charakter und feine ganze seltsam schillernde Persönlichkeit im Streite der Meinungen. Begeisterte Zustimmung und böswillige Verleumdung folgten ihm feit früher Jugend auf feinen vielverfcklungenen Lebens* pfaden, die ihn während einer langen, späterhin noch einmal neu aufgenommenen Studienzeit zu den verschiedensten deutschen und aufeeröeutfcben Universitäten geführt hatten und ihn bei feiner amtlichen Tätigkeit bald hier bald da im Gebiete der oberrheinischen Ordensprovinz auftauchen ließen. Überblickt man die erstaunlich reiche, von Steife und Energie zeugende, freilich im ganzen zur Popularisierung neigende schriftstellerische Tätigkeit M u rn ers1) bis zum Jahre 1520, wo eine neue Cntwicklungspbafe einsetzt, so zerfallen die bis dahin im Druck erschienenen fünfundzwanzig Schriften ') Vgl. im einzelnen die beiden in den Schritten des Vereins für Reformationsgefchichte erschienenen Arbeiten von W. R a w e r a u , Thomas Murner und die Rirche des Mittelalters, Balle 1890, und Thomas Murner und die Reformation, Balle 1891, sowie neuerdings die ausführliche, in der Bauptfache zuverlässige Murnerbiographie von Th. von Li eb e na u, Sreiburg i. B. 1913, die nur die literarhistorische Seite zu wenig berücksichtigt. 1 Murner» Werke IX.

auf den ersten Blick in zwei scheinbar zusamm enhangslose Gruppen. Auf der einen Seite stehen W erke akademischgelehrten, auf der andern Seite volkstümlich-satirischen Inhalts. Jedoch unverkennbar werben die beiden ßälften dieser über zwei Jahrzehnte umspannenden Lebensarbeit durch ein ge­ meinsames B and, die immer stärker zutage tretende lehrhafte Tendenz, zusamm engehalten. Hur in feinen frühesten lateinischen W erken, die der junge M u rn er um die W ende des 15. und 16. Jahrhunderts schrieb und die teils über Astrologie und Bexenwefen handeln, teils mit überlegener, freilich oft kleinlicher Kritik sich gegen W im pbelings „G erm ania“ und dessen humanistische Schulreform gedanken richten, verfolgt er ein selbständig-objektives Ziel. D ann aber macht sich schon sehr bald auch innerhalb dieser gelehrten Richtung d a s pädagogische und popularisierende Talent dieses BettelMönches geltend. Sür studentische Kreise verfaßt er in lateinischer Sprache Lehrbücher der Logik, M etrik und kirchlichen Poetik, wobei er besonders durch ein die Technik des Kartenspiels verw ertendes logisches M em orierw erk großen Ruhm, freilich auch viel Anfeindung erntet. In der folgenden Zeit aber er­ weitert er den Kreis derer, auf die er wirken möchte, immer mehr. Die akademische Ranzel genügt ihm nicht. Als gelehrter P opularifator wendet er sich an weite Volkskreife, indem er zum Ä rger der zünftigen Jurisprudenz die Institutionen ver­ deutscht und die notwendige Volkstümlichkeit aller rechtsge­ lehrten Quellen betont. Kommt schon in diesen späteren Arbeiten wissenschaftlichen Inhalts m ehr und mehr der auf M assenwirkung bedachte V olks­ redner zu W orte, so herrscht er unbestritten in der zweiten G ruppe von M urners früheren W erken, in feinen etw a feit dem Jah re 1508 nachweisbaren satirisch-volkstümlichen Schriften. Persönliche V eranlagung traf hier mit der allgemeinen Zeitstimmung zusammen.1) Alte Tradition des Sranziskanerorbens, 4) J o fe p l) Lefftz, Die volkstümlichen Stilelemente in Murners Satiren, Straßburg 1915, S . 5 ff.

die von jeher besonders die B ußpredigt wie die anschaulich­ satirische Sittenschilderung gepflegt h atte und eben in S eiler von Raifersberg, dem gefeierten R anzelredner des S traß b u rg er M ünsters, zu neuer Blüte gediehen war, wirkte nicht weniger ein wie d a s unm ittelbare Vorbild Sebastian B rants, dessen «Barrenschiff" kurz zuvor einen gew altigen literarischen Erfolg erlebt hatte. Die Lorbeeren des inzwischen von Basel nach seiner Vaterstadt S traß b u rg übergesiedelten B rant ließen den jungen, im Anfang der dreißiger ]a b re seines Lebens stehenden, erfolgdurstigen Mönch nicht schlafen. Mochte ihm dock immer deutlicher zum Bewußtsein Kommen, d aß seine auf jahrelangen W anderungen im V erkehr mit allen Volksschichten erworbene genaue R enntnis zeitgenössischen S ittenlebens ihn von B aus a u s ungleich m ehr zu einer umfassenden Rulturfatire befähige wie den gelehrten ßum anisten B rant, der sein W erk ohne intime Kühlung mit dem Leben des gemeinen M a n n e s vor­ wiegend a u s schriftlichen Quellen zusammengestellt batte. S o w agte es M urner, in einem Ronkurrenzwerk, feiner «Barrenbeschwörung" (1512), sich mit dem älteren S traß b u rg er M it­ bürger zu messen. Cr übernahm den allerdings auch nicht von B ran t selbst stammenden G rundgedanken der B arrenrevue großen Stils, ebenso einen ansehnlichen t e i l des B ilderm aterials und nicht w eniges an einzelnen Versen und V ersgruppen. Auch in der Detailfchilöerung begegnete er dem älteren Vorbilde oft genug. Und dock kam im ganzen ein grundverschiedenes W erk dabei zustande. B rant schuf ein gelehrtes, pseudovolkstümlickes, a u s wissenschaftlichen und geistlichen Quellen gespeistes moralisches Rompendium, ein trotz mancher Inkongruenzen w ohlerw ogenes und wohldurchdachtes, in Sprache und M etrik gefeiltes W erk, d a s zudem die unbestreitbare P rio rität des einheitlichen R abm engedankens voraus batte. M urner entwarf, offenbar mit fliegender Seder, unter Verwertung des reichen Schatzes an volkstümlicher Rede und Sprucbweisbeit ein oft genug salopp gearbeitetes, in Sprache und V ers nachlässiges W erk, d a s aber mit feiner plastischen Situationsfcbilderung, 1*

mit feiner pbantafievollen Kleinmalerei, mit feinem oft roben, ab e r meist schlagenden Witz und nicht zum wenigsten mit der unverkennbaren inneren Anteilnahm e des Verfassers die dürren (Doralifationen und nicht selten bintergrundslofen H arrenkategorien des älteren Strafeburger (Deisters übertrifft. W enn überhaupt in solchen didaktischen W erken von Poesie die Rede fein kann, so ist bei M urner davon ungleich mehr zu finden als bei Sebastian ß ra n t. 6 s ist hier nicht der Ort, des weiteren auszuführen, wie M urner die in der „Harrendeschwörunga bereits vielseitig an ­ gebaute volkstümliche Sittenfatire dann noch in einer Reihe anderer, in den Jah ren 1511— 1515 entstandener Harrenrevuen, in der „Scbelm enzunft“, der „(Düble von Schwindelsbeim “, der „G äucbm att“ immer von neuem, nur mit wechselnden Rahm enm otiven variierte. W ie der G rundgedanke, die Ver­ spottung aller geistigen und materiellen Schäden und fe h le r als Auswüchse und Äußerungen verschiedenen N arrentum s späterhin im „Grofeen Lutherischen H arren“ wiederaufgenommen wurde, wird noch zu zeigen fein. Wichtiger ist, dafe M urner bei der grofeen kritischen Abrechnung mit allen M ängeln der zeitgenössischen Kultur die Kirche und den geistlichen S tan d durchaus nicht schonte. W ie neben ihm ß ra n t, W impbeling, Geiler von Kaifersberg, P auli, G rasm us und andere aufge­ klärte und humanistisch gebildete V ertreter des alten G laubens deckt er die klerikalen Mifeftände ohne alle ängstliche Rück­ sichtnahme auf. Ja flammender und schonungsloser als alle früheren hält dieser deutsche S av an a ro la feinen Standesgenoffen ihre Sünden v o r.1) D a s Schiff P etri scheint ihm bedenklich zu schwanken und der Kirche eine Reform an R aupt und Gliedern, „der Geistlichkeit besonders“, notzutun (Harrenbefcbw. 92, 37 ff.). Beredt klagt er über d a s blofee Wortcbriftentum eines grofeen Geiles des Klerus (5, 100), dessen G laube nur „in dem Gintenfaffe fitzt und blofe in Büchern geschrieben steht“ l) V gl. Röm ische Quartalschrift für christliches Altertum und für K ir c h e n g e r ic h te , X X V , 162 ff.

(91, 40 ff.). Die Dummheit vieler Geistlichen gehe soweit, daß manche Pfarrer geworden feien, die „weder fingen noch lesen konnten" (53, 19). In den Rlöftern herrsche Völlerei und M üßig­ gang (25,5 ff.). Durch Simonie und Pfründenjägerei treibe man mit dem heiligen Gut feinen Spott (35, 1 ff.), auch fei die Exkommunikation durch zuviele und leichtfertige Anwendung der Verachtung anheimgefallen (20, 43 ff.). Den Rrebsfcbaden aber siebt der demokratisch gesinnte Mönch in der adligen Günstlingswirtschaft, die die Bifcbofsftüble und Domkapitel zu Sinekuren für vornehme ßerren herabwürdige (54, 11 ff.) und die Srauenhlöfter vielfach zu aristokratischen Versorgungs­ anstalten für unverheiratete töchter macke (39, 49 ff.). In ehr­ licher Entrüstung über die bestehende Notlage ruft er aus (35, 74): „Seit der Leusel den Adel in d as RirAenregiment gebracht bat, seitdem will man keinen Bischof mehr haben, der nickt ein Edelmann ist!“ In zahlreichen poetischen Genre­ bildern weiß er alle diese bedauerlicken Zustände ebenso an­ schaulich wie witzig vorzuführen. Oft genug freilich klingt hinter dem Spott und ßumor die bittere Anklage und aufrichtige Sorge hervor. So schien es eine Zeitlang, als ob M urner den reformatorischen Bestrebungen Luthers die Band reichen könne. Zwar blieben der leichtlebigeren Natur des Straßburger Franziskaners die schweren Gewissenskämpfe des W ittenberger Augustinerpaters erspart. In der Rritik an den äußeren Einrichtungen und Verwaltungsinstitutionen der katholischen Rircke aber war eine gewisse Übereinstimmung zwischen beiden anfangs unver­ kennbar, wenn auch Luther schon sehr bald ungleich schärfer und konsequenter vorging. Dock lange nach dem 31. Oktober 1517 verhielt sich M urner trotz feiner sonstigen streitbaren Neigung völlig ruhig. D as neue juristische Studium, das er als Vierzigjähriger nach der Sitte der Zeit vielfach docendo discens noch früheren Anfängen nochmals energisch aufge­ nommen batte und das feinen Abschluß mit der im Juni 1519 an der B asler Universität erfolgten juristischen Promotion fand,

zog feine ßauptaufmerkfamkeit zudem auf ganz andere Gebiete. Aueb nach der im ßerbft 1519 oder im saufe des W inters erfolgten Rückkehr n a * Strafeburg, wo unterdessen in den breiten V olksf*i*ten und im städtischen R at die reformatorifcken Ideen Sufe gefafet batten, hielt er sick, wobl in der Stille feiner Klosterzelle mit der Vollendung feiner mühevollen Übersetzung der Institutionen (Strafeburg 1521) beschäftigt, von dem eingreifen in die immer brennender werdenden Seitfragen völlig fern. Hur so wird es begreiflich, dafe der Strafeburger Anwalt und begeisterte Cutberaner Dicolaus Gerbei in feiner berühmten, im Sebruar 1520 erschienenen antikatbolifcken Satire „Cccius bedolatus“ 1) zwar neben £ck a u * Eockläus, Emfer, ßo*ftraten u. a. mit satirischen Geifeelbieben bedackte, aber mit keinem W ort auf den in feiner unmittelbaren Höbe lebenden Sranziskaner zu fprecken kam, den er wenig später so erbittert verfolgen sollte. Erst als Cutber n a * einer Zeit innerer Samm­ lung und Gebankenläuterung im Jabre 1520 mit feinen drei grofeen Reformationsf*riften erneut auf den Plan trat, um nunmehr ohne alle Konzessionen immer fckärfer gegen das Dogma der päpftli*en Cebre Sront zu macken, erkannte M urner die unüberbrückbare Kluft, die fick zwifcken ihm und dem W ittenberger Reformator aufgetan batte. Um die ganze Erbitterung und W ut feiner späteren Satire „Von dem grofeen sutberifcken D arren“ zu verstehen, ist es notwendig, die allmähliche Verschärfung der Gegensätze inner­ halb der folgenden zwei Jabre und den damit im Zusammen­ hang stehenden Verleumdungsfeldzug im einzelnen kennen zu lernen. Erst damit wird M urners Satire als Ganzes in die reckte Beleucktung gerückt und zugleich ihr Verständnis im einzelnen ermöglicht. •) Den Beweis, dafe Gerbelius nicht nur der Verfasser dieser bisher meist irrtümlich dem pirkheimer zugeschriebenen Satire, sondern auch einer grofeen Reihe weiterer Reformationsdialoge ist, habe ich in einer größeren Arbeit erbracht, deren Erscheinen nur durch die gegenwärtige Kriegslage unterbunden ist.

Den A usgangspunkt der literarischen Sebde bot Luthers kleiner, zu Anfang August 1520 erschienener Serm on über die Messe. Bei aller vermittelnden Stellungnahm e, die der Refor­ m ator hier noch mit einer evangelischen Umöeutung des katho­ lischen (Defomvfteriums versuchte, konnte e s M urner, der sich nunm ehr offenbar wieder ausschließlich theologischen Interessen zuw andte, nicht zweifelhaft sein» d aß die Gegenseite mit ihren R eform gedanken an den Grundfesten der päpstlichen Rircbe rüttele. Die wenige L age später von W ittenberg ausgebende erste große Streitschrift Luthers „An den christlichen Adel deutscher R atio n 14, die mit fpracbgewaltiger Eindringlichkeit sich gegen den P apst und die Vormachtstellung des katholischen Rlerus w andte und allein die Bibel a ls letzte G laubensnorm d es Cbriftenmenfcben gelten ließ, m ußte diese E rkenntnis in jeder ßinficbt bestätigen. M it dem ihm eigenen Tem peram ent fühlte sich M urner bewogen, nunm ehr auch seinerseits mit der Seher in den schon feit Jahren entbrannten Rampf der Geister einzugreifen und feiner Ü berzeugung Ausdruck zu geben. O hne sich auf die zweite große Streitschrift Luthers, die ihm erst w ährend der Arbeit in die B ände kam, vorläufig einzu­ lassen, veröffentlichte er am 11. November 15 2 0 1) in einer durchaus maßvollen und versöhnlichen Sprache, die stellenweise einen warm en Unterton durchklingen läßt, eine Gegenschrift auf jenen protestantischen Serm on über die katholische Messe, seine „Christliche vnd brieöerlicbe erm anung zu dem hoch gelerten öoctor (Dartino Luter Augustinerorden zu W ittem burg“. E r bittet darin den „herzallerliebsten B ruder in Christo“, von feinen vermessenen und irrigen Neuerungen abzustehen und sich wieder mit der gemeinen Christenheit zu vereinigen, auf jeden Sali aber diese G laubens- und Gewissensfragen nicht einseitig und vor der breiten Öffentlichkeit zu verhandeln, sondern die allein in f r a g e kommende Instanz eines Ronziliums und geistlichen Gerichtshofs einzuhalten. L uthers G edanken ‘) Eine zweite Auflage mit dem Zusatz „Zu dem andren mal über­ sehen vnd in seinen waren brunnen ersetzet* erschien am 21. Januar 1521.

einer deutschen Messe sowie sein Postulat eines allgemeinen Priestertum s und einer unsichtbaren Rircbe will er nicht gelten lassen. Sür die katholisch-lateinische Messe, die für ihn not­ wendig „ein w ah rh aftes O pfer“ ist, glaubt er besonders deren ehrw ürdiges Alter und geweihte Tradition ins Seid führen zu müssen. Unterdessen ab er w ar Luther einen bedeutungsvollen Schritt w eitergegangen. Dach der Niederlegung der drei M auern, die nach den A usführungen seiner Schrift an den Adel die Romanisten um sich gezogen hatten, drang er in d a s Innere der päpstlichen Zw ingburg vor, indem er sich vor allem mit eingebender Begründung gegen den päpstlichen P rim at sowie gegen die Lehre von den sieben S akram enten und den dam it ausgeübten Druck auf die G läubigen wandte. Im vollen Ge­ fühl der V erantw ortung, welche er mit solchen freien, den Rem des katholischen D ogm as berührenden Lehren auf sick nahm , liefe Luther selbst diese zweite grofee, am 6. O ktober 1520 her vorgetretene Reformationsschrift unter dem Litel „De captivitate B abylonica ecclesiae praeludium “ in lateinischer Sprache erscheinen, um dam it zunächst lediglich den Gebildeten und Sachverständigen die Augen zu öffnen. W enn M urner kurz nach der Veröffentlichung dieser Lutherischen Rampffcbrift davon eine anonym e, von ihm späterhin jedoch zugestandene Ü ber­ setzung veranstaltete1), die freilich nicht vollständig und ganz w ortgetreu ist, sondern kleinere Zusätze und textliche Ent­ stellungen aufweist, so lag dabei zweifellos die Absicht zugrunde, den R eform ator mit seinen eigenen W orten zu schlagen und ihn offen vor der Gesamtheit des V olkes a ls Verkünder um* ftürzleriscber Ideen hinzustellen2); gestand er doch in seiner zwei *) Die Übersetzung erschien Ende 1520 oder Anfang 1521. Einen auf Veranlassung des M ainzer Erzbischofs von dem Strafeburger Drucker Grüninger geplanten Neudruck untersagte im April 1521 der R at von Strafeburg (ß. V irck, polit. Rorrespondenz der Stadt Strafe­ burg I, 45). *) Ob die 1523 von Michael Stifel in feiner „Antwort uff Doctor Xchoman (Durnars murrnarrifche phantafey“ vorgebrachte Behauptung,

Jabre später gegen Michael Stifel veröffentlichten „Antwurt vnd klag- selbst mit Beziehung auf dieses Buch: «daz ich felbs vertütfcbet hab, vff das doch der gemein Christe sehe vwer gotzlesterung vnd scbendung der heiligen facrament“. Daß die wohl auch geäußerte Meinung *), in dieser Übertragung spreche sich eine vorübergehende Zustimmung M urners zu den Ideen Luthers aus, nicht d as Richtige trifft, beweist auch d as epigrammatische Schlußgedickt, mit dem die erste bei dem Straßburger Drucker Johann Prüfe erschienene Ausgabe schließt: „Mit gwalt man gwalt vertriben so!, das sckint an diszen bunden wol. Bey gwalt vernunfft bat keinen platz, Christus macht friend, der teufel hatz." Schon der scharfe Zon dieser vermutlich von M urner selbst stammenden Verse wirft ein Licht auf die Zuspitzung der Be­ ziehungen, die in den letzten beiden M onaten des Jahres 1520 eingetreten war. M it der verblüffenden Leichtigkeit, mit der M urner jederzeit zu produzieren verstand, sandte er in dem kurzen Zeitraum von etwa vier Wochen nicht weniger als drei Schriften gegen Luther in die Welt, der gleichzeitig durch die öffentliche Verbrennung der päpstlichen Bannbulle am 10. Dezember 1520 alle Verbindung mit der alten Rirche löste. Deutlich tritt in M urners Angriffen die rapid wachsende Ver­ schärfung der Gegensätze zutage. Sachlich scharf, aber immer noch unpersönlich war die Schrift, die er am 24. November gegen Luther richtete und die den Citel führte: «Von Doctor (Dartinus luters leren vnd predigen, das sie argwenig {eint vnd nit gentzlicb glaubwürdig zu halten“. €r bittet auch hier den Gegner ausdrücklich darum» der Überzeugung zu sein, daß lediglick die Sache und die Sorge um die von irrigen Lehren leicht verblendete große Menge ihn zum Eingreifen daß die Handschrift der Übersetzung ursprünglich ungleich mehr als der später publizierte Zeyct eine Fälschung des lateinischen Originals gewesen sei, begründet war oder nicht, mag dahin gestellt bleiben (Weim. Lutherausg. VI, 488). *) Noch Rawerau, Murner u. die Reformation, S . 37, möchte sie „nicht ohne weiteres von der Hand weifen“.

genötigt habe. Nachdem er in einem ersten Kapitel bargetan, wie sehr auch an den Verkündern des lutherischen G laubens die E igenart aller unw abrbaftigen Lehrer, ihre Verstellung und Scbmäbfucbt, ihr Hochmut und Neuerungseiker sich dokumentiere, versucht er den Nachweis, daß in Wirklichkeit die neue Kirchen­ lehre keinesw egs die reine W ahrheit fei und trotz mancher offenkundiger Mifestände der katholischen Kirche keinem ein­ zelnen ehrgeizigen Beurteiler, sondern allein dem P apste und der Kirche selbst die Entscheidung darüber zustehe. Ungleich gereizter klang schon die nur drei Wochen später, am 13. Dezember, bei Jo hann Grüninger erschienene Schrift M urners „Von dem babftentbum, d a s ist von der höchsten oberkeyt Cbriftlicbs glaüben wyber boctor (Davtinum L uther“. R atte der R eform ator die menschliche Institution des römischen P rim ats zu erweisen gesucht, so bemüht sich M urner, unter eingehender Erörterung der bekannten beiden Bibel­ worte, die den Grundstein des katholischen D ogm as bilden (M attb. 16, 1 8 - 1 9 und Ev. Job. 21, 1 5 - 1 7 ) , den päpstlichen S tuhl a ls Stiftung Christi hinzustellen und die Recbtmäfeigkeit der geistlichen O brigkeit zu erweisen. Die Schrift, die wiederum in einer Reibe von P unkten die Berechtigung der ketzerischen Kritik zugibt, schwankt seltsam zwischen salbungsvollem P a th o s und beleidigenden A usfällen bin und her. Sie wirft Luther Eigennutz, Neid und Verführung zum Aufruhr vor und tadelt im besonderen die Art feiner polemischen Auseinandersetzung mit Alfeld, Eck und Ernser. Schon hier batte M urner am Schlüsse weitere Gegenschriften, namentlich eine solche an den deutschen Adel, in Aussicht gestellt. In der C at liefe er wenig später, am W eihnachtstage 1520, wiederum bei Grüninger, dem einzigen Strafeburger Drucker, der nach wie vor nur katholische Druckwerke herausbrachte, ein Buch erscheinen, d a s mit feinen zehn Bogen Umfang nicht nur ungleich ausführlicher war, sondern auch im Con bedeutend heftiger die alten G lau­ benslehren verfocht. Schon äußerlich gibt sie sich als G egen­ stück zu Luthers grofeer Reformationsschrift durch den fast

gleichlautenden C itel: „An den Grofemecbtigften vnd Durchtüchtigsten abel tütfcber n atio n “, dem freilich sofort der Zusatz fo lg t: „d as fye den christlichen glauben beschirmen wyber den Zerstörer des glaubens Christi, (Dartinum tutber, einen verfierer der einseitigen Christen” *). W ie der R eform ator beginnt auch M urner feine A usführungen mit einer Vorrebe an den jungen Kaiser Karl V., den er um Schutz bittet vor den Irrlehren dieses neuen „C atilina“, der mit feinem A nhange „den G lauben um kehre, Gift ausgiefee und Russische und Wiklefffcbe Bot« schatten verkünde“. In einem folgenden zweiten Vorwort an Luther selbst hält er diesem d a s frev elh afte feines aufrühre­ rischen V orgehens und die M aßlosigkeit feiner Polem ik vor, stellt ihm ab er noch die M öglichkeit einer Verzeihung in A us­ sicht, falls er von feinem volksverführerischen tre ib e n lasse. Die Ausführungen der Schrift selbst bestreiten den weltlichen Ständen d a s Recht, über die Geistlichen zu Gericht zu sitzen, und wollen wiederum a ls letzte A utorität in allen G laubens­ streitigkeiten auf Grund biblischen Rechtes einzig und allein den P apst gelten lassen. Die fra g e , ob die Berufung eines Konzils nur dem kirchlichen O berhaupte selbst oder auch der gemeinen Christenheit zustehe, läßt M urner offen. Nachdem er dann noch eine Reibe weiterer von Luther berührter pu n k te, die fr a g e der dreifachen päpstlichen Krone, die Seelmessen und Vigilien, den M ißbrauch des B an n es u. a. beleuchtet bat, schließt er mit der eindringlichen M ahnung an den Adel, den alten Glauben zu schirmen und sich nicht durch Neuerungen betören zu lassen. Alle diese vier antilutherischen Schriften M urners w aren anonym erschienen. Doch batte der Verfasser ausdrücklich jedesm al im Nachwort darauf hingewiesen, d a ß er sich dem Bischof von Strafeburg a ls Autor bekannt habe und dieser bevollmächtigt fei, allen w ahrhaft Interessierten diesbezügliche A ufklärungen zu geben. In der L at w ar es den lutherischen Kreisen schon ') Heu herausgegeben von €. Vofe in den Neudrucken deutscher Literaturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts, Nr. 155, Balle 1898.

sehr bald bekannt, von welcher S eite diese immerhin be­ achtenswerten Angriffe kam en. S o berichtete mit Beziehung auf die am gleichen T age erschienene „Christliche vnd b rü d e r­ liche erm anung“ am 11. November 1520 der spätere S tra ß ­ burger R eform ator Butzer, der seit kurzem a u s dem Rlofter a u s ­ getreten war, feinem d am als in M ainz weilenden Gesinnungs­ genossen Capito, daß der F ranziskaner M urner soeben in deutscher Sprache ein P asq u ill gegen Luther habe erscheinen lassen, zw ar ohne Nennung feines Nam ens, aber doch so, d aß m an ihn ohne w eiteres erkannt h a b e 1). C apito wiederum schrieb, indem er zugleich auch jenes kurz zuvor veröffent­ lichte Buch „Von D octor M artin u s luters leren vnd predigen“ mit im Sinne haben mochte, am 4. Dezem ber a u s M ainz an Luther, d aß der nicht gerade gut beleumundete T hom as „(D urnar“ zwei Gegenschriften ediert habe, die zw ar völlig a u s dem Gesichtskreis der römischen P a rte i geflossen feien, denen m an aber die G ew andtheit der Diktion nicht wohl be­ streiten k ö n n e2). Trotzdem unterließ Luther vor der Band jede Entgegnung. D afür ab er regten sich umso m ehr feine T ra­ banten, die in den folgenden Wochen und M onaten eine ganze Flut von Gegen- und Schmähschriften über M urner ergossen. Vor allem w ar es der schon genannte S traß b u rg er Lutheraner N icolaus Gerbel, dessen B edeutung für die Reform ationsfatirik bisher auch nicht im entferntesten geahnt worden ist. Nach Studien in Röln, Tübingen, W ien und B ologna und einer längeren praktischen Tätigkeit als RorreKtor und wissen­ schaftlich-humanistischer M itarbeiter in Tübinger und W iener Druckereien w ar er etw a 1515 nach Strafeburg übergesiedelt, wo er die in Deutschland und Italien erworbenen Rechtskenntnisse a ls Anwalt in geistlichen A ngelegenheiten verwertete, daneben ab e r 0 R. S tä b e lin , Briefe aus der Reformationszeit, Bafel 1887,10: CDurnerus ille Sranciscanus evomuit bis diebus contra Cutberum libellum lingua vernacula scriptum, in quo et nomen suppressit suum et dissimulavit mores, tametsi auriculas suas (Didas occulere penitus baud potuerit. *) Luthers Briefwechsel, brsg. von Cnders, III, 4.

enge Beziehungen zu Strafeburger und ßagenauer Offizinen unterhielt. Seit seiner Studienzeit mit Butten befreundet und früh für den neuen Rircbenglauben begeistert trat er seit 1520 auch mit Luther selbst in direkte Verbindung, den er durch wiederholte briefliche Mitteilungen über die kirchlichen Vor­ gänge in Strafeburg und am Oberrhein, besonders zur Zeit des Abendmablsftreites mit den Zwinglianern, auf dem Lau­ fenden zu halten suchte. In feinem ziemlich ausgedehnten Brief­ wechsel mit reformatorifcben kreisen tritt er überall als eifriger Parteigänger der neuen Sache entgegen, der öfters die andern zu energischem Auftreten ermuntert, aber selbst gern im Sintergründe bleibt. Im ganzen hat es den Anschein, als ob der hochbegabte und kenntnisreiche (Dann, der {ich in seinem späteren langen Leben besonders ausgedehnten historischen Studien widmete, als Mensch ein nicht besonders fester und offener Charakter war. Wenigstens gilt dies für die Jahre, in denen er sich ziemlich skrupellos für die Reformationsideen einsetzte. Durch immer wechselnde Decknamen erreichte er es freilich, dafe er schon damals offenbar nur ganz wenigen ein­ geweihten als Verfasser vielgelesener und weithin berüchtigter Satiren bekannt war und das Geheimnis feiner Schriftstellerei fast vier Jahrhunderte lang gewahrt blieb. Seine Süblung nämlich mit einer Anzahl elfäffifcher Druckereien, besonders mit der ausschließlich im Dienste des neuen Glaubens stehenden Offizin von Johann Schott, benutzte er, um eine ganze Reihe anonymer und pseudonymer Kampfschriften in lateinischer Sprache gegen hervorragende Wortführer des Ka­ tholizismus ausgeben zu lassen. Und besonders Murner war es, den er wie vorher Eck mit derbem Spott und steigender Erbitterung verfolgte. Zunächst richtete er in den letzten tagen des Jahres 1520, jedenfalls nach dem 25. Dezember, wie sich aus der in den Scblufepartien hervortretenden Kenntnis von Murners Schrift an den Adel ergibt, unter dem Pseudonym M atthäus Gnidius Auguftenfis an den verbafeten Sranziskaner eine Schrift, die man fast als offenen Brief bezeichnen könnte

und die den Titel „Defensio Cbristianorum de C rucett fü h rt1). In einer im allgemeinen noch maßvollen und von eindringlichen W arnungen begleiteten Sprache wirft der scheinbar unter feinem w ahren Damen auftretende Verfasser dem Widersacher Luthers feine Anonym ität vor, tadelt mit echt humanistischen B edenken den Gebrauch der deutschen Sprache und läßt sich des weiteren über die uncbriftlicbe Art feines V orgehens und die m angelnde Ü berzeugungskraft feiner Gegengründe aus. Gegen den Schluß bin wird dann die Sprache merklich schärfer. Der G egner wird verdächtigt, d aß nur Babfucbt und die Boffnung auf Belohnung und Dachruhm ihn zum V orkäm pfer der päpstlichen Lehre gemacht habe. M it dem Binweis auf d a s Schicksal der Kölner Dunkelm änner und anderer W ortführer der katholischen Kirche, die m an gebührend gezüchtigt habe, droht Gniöius schließlich mit weiterem energischen Vorgeben, falls diese letzte W arnung nichts fruchten werde. Am Ende des lateinischen Textes stehen dann ein p a a r deutsche Verse, die eine parobiftifcbe Umbicbtung des alten Judasliebes bringen: Ach du armer COurnar, w as Haftu gethan, D as du also blind in der Heylgen schritt bist gon? D es muftu in der Kutten lyden pin, Aller gierten M U R R M A R R must du sin, Ohe ha, lieber (Durnar.

Auf diese A usführungen selbst folgen drei kleinere offene Briefe an die Gebildeten Deutschlands, an Luther und an Ulrich von Butten. Der Brief an Luther selbst, der ebenso wie derjenige an Butten von einem angeblichen P e tru s Sranzisci a u s B agenau geschrieben fein will, zweifellos ab e r von Gerbet selbst stammt, sucht unter der S iktion2) gleichzeitiger Über» *) Exemplare der überaus seltenen, obwohl in zwei Auflagen vorliegenden Schritt kann ich bisher in Göttingen, Straßburg, Tübingen und London nachweisen. Einen Neudruck wird die erwähnte größere Arbeit von mir im Anhang bringen. *) Der Brief des Petrus Sranzisci wirb feit alters unter den echten Briefen an Luther geführt (so auch Enders, Lutherbriefe III 30 f.), dürfte aber in wirklicher Briefform niemals nach Wittenberg abge-

fenbung ber neuesten beiben M urnerpublikationen ben R e­ form ator zu einer geharnischten Antwort an ben Gegner aufzureizen, ba biefer sich bereits öffentlich feines S ieg es zu rühm en beginne. Der Scblußbrief an Butten, ber vom 25. De­ zem ber 1520 batiert ist, gebenht unter ben jüngst erschienenen bucbbänblerifcben Neuigkeiten einer Schrift, bie vom V erkauf von fünf päpstlichen Scbwinblern (im postores) banble unb unter anberen auch M urner mit vorführe; biefen will ber Schreiber bei bem Bembel für sieh erftanben haben. Gemeint ist mit biefer Anspielung bie kleine, erstmalig Cnbe 1520 er­ schienene S atire „A udio C utberom astigum " (Auktion ber Luthergegner), bie inbeffen M urner verhältnism äßig kurz abtut. Denn ber anonyme Verfasser, ber a u s inhaltlichen unb stilistischen Grünben wieberum nur N icolaus Gerbet sein kann, mochte schon bei ber Abfassung biefes Scbriftcbens im S inne haben, über M urner in einer eigenen größeren S atire zu Gericht zu sitzen. B alb barauf verwirklichte er biefe Absicht in bem zuerst vermutlich Anfang J a n u a r 1521 hervorgetretenen latei­ nischen Dialog „(D urnarus Leviathan" *), ber bereits zu bissiger Verhöhnung bes G egners überging unb zu ben schärfsten Streitschriften biefer an grobianifeben A usfällen wahrlich nicht arm en R eform ationsliteratur gehört. Der Geist biefer in for­ m aler ßinfiebt wieberum äußerst gew anbt geschriebenen Schrift, bei ber Gerbelius feine Autorschaft unter bem Pfeubonym gangen sein, fonbern wohl lebiglich ein zur literarischen Reklame be­ stimmtes Anhängsel barstellen. U h l h o r n , Urbanus RHegius 5 .3 3 , vermutet unter biefem Pfeubonym ohne Grunb Urbanus RHegius. Bock in g , Buttem Opera I, 438 beutet fälschlich auf pirkheimer. ‘) Der Dialog liegt in zwei, bis auf geringe Abweichungen gleichlautenben Ausgaben vor, vgl. Repertoire bibliographique Strasbourgeois jusque vers 1530, II. t. Martin et Jean Schott, par LH. Schmibt, Straßburg 1893, S . 34. Ljcemplare in Berlin, Dresben, Straßburg, Göttingen, Augsburg, Zürich. Linen freilich mangelhaften Neubruck bietet Scheibles Rlofter im X. Banbe, eine beutfche Ausgabe ber Schlußpartie finbet sich bei Schabe, Satiren unb Pasquille aus ber Reformationszeit, II 190-192.

Raphael (Dufaeus verbarg, gibt sieb bereits in dem Titel kund, der vollständig lautet: „(Durnarus Leviathan, vulgo bictus Geltnarr ober genszprediger-, wozu noch auf dem Titelblatt der Zusatz kommt: „(Durnarus, qui et Scbönbenselin oder Schmutzkolb» de se ip so : Si nugae et fastus faciunt quem religiosum, Sum bonus magnus religiosus egoa. In breiter Dialogführung und mit einer an Cucian geschulten, fast komobienartigen Technik, die neben der Rebe auch Banblung vor­ führt und wie im „Eccius bebolatus“ mehrmals den Schauplatz wechselt, geißelt die Satire besonders ODurners Geldgier. Sie stellt ihn zu Anfang in lebhaftem Wecbfelgefpräcb mit dem Strafeburger W inkeladvokaten und Schmarotzer Webbele dar, w as Gelegenheit gibt, den Charakter des Sranziskaners zu exponieren und allerhand Erlebnisse aus seiner früheren Zeit zur Sprache zu bringen, lieben feinem Geiz, der ihn auch während feines Strafeburger Guarbianats zu unsauberer Ge­ schäftsführung veranlaßt habe, wird feine Liebe zu den Wei­ bern, fein unruhiges und haltloses Leben und die zweifelhaftdrastische Art feiner Predigtmanier durch Beispiele und Gefchichtcben aus feiner Vergangenheit vorgeführt. Als die beiden Gesinnungsgenossen in ihrer gemeinsamen Sucht nach Gold keinen andern R at wissen und alle gegenseitigen Vor­ schläge keinen Beifall finden, beschliefet man, zu dem Strafeburger Arzte und W ahrsager Lorenz Phrisius zu gehen, der sich soeben den Anhängern der Reformation durch eine im No­ vember 1520 erschienene, mit Ausfällen gegen das Luthertum verbundene Verteidigung der Astrologie unliebsam bemerkt gemacht batte. Trotz anfänglicher Zweifel erklärt sich der Wundermann schließlich auf die Bitte feiner Besucher bin bereit, piutus zu beschwören. Nach verschiedenen obszönen Experimenten zitiert er in einer geheimnisvollen Prozedur diesen Gott des Reichtums, der unter Blitz und Donner erscheint und nach Bekanntgabe von allerhand Zukunftsausfichten feinen beiden Anhängern einen vergrabenen Schatz am Sufee eines Berges vor der Stadt verhelfet. Eilig machen sich diese nach

der angegebenen Stätte auf. Da aber beim nachgraben das Gebot unbedingten Stillschweigens nicht eingehalten wird, gebt das Mysterium nicht in Erfüllung. An Stelle der erhofften Goldstücke finden die beiden Schatzgräber nur Pferde- und Kuhmist. Andererseits aber tritt die göttliche Verheißung ein: Murner wird in einen giftspeienden Drachen (Leviathan), Weddele in ein Schwein verwandelt. Dach dem wütenden Abgang des letzteren läßt sich Murner zum Schluß noch von dem Astrologen das Borofkop stellen, w as nochmals die Möglichkeit gibt, ein­ zelne Cbarahterzüge Murners und fein Vorgeben gegen Luther drastisch zu beleuchten. Heben kleineren Bilöbeigaben war die Schrift mit einem großen Eitelholzschnitt geziert, der Murner in Drachengestalt mit Katzenkopf und Schwanz darstellte und über ihm den triumphierenden Luther mit der Bibel im Arm zeigte. Die derbe, aber witzige Satire, die in Zitaten und Bildern aus der Antike den humanistischen Verfasser nicht verleugnet, fand offenbar in dem bereits überwiegend lutherisch gesinnten Straßburg und sonst in reformatorifcben kreisen viel Anklang. Schon in den folgenden Wochen machte sieh ein erneuter Abdruck notwendig, der zugleich jene „Auctio Cutberomastigum“ als Anhang nochmals brachte. Batte Gerbelius in der „Defensio Cbristianorum“ und im „Murnarus Leviathan“ sieh ausschließlich oder doch vorwiegend mit Murner beschäftigt, so kam er in einer Reibe weiterer satirischer Schriften, die er im Sebruar oder M ärz 1521 unter dem Sammeltitel „Septem dialogi“ erscheinen ließ und bei denen er feine Verfasserschaft unter dem mysteriösen Hamen S. Abyöenus Corallus Germ, verbarg1), nur mehr im Vorbeigeben auf den verhaßten Mönch zu sprechen, den die oberrheinischen Lutheraner mehr und mehr als gefährlichen Gegner erkennen mochten. So i) Die Ansicht, daß (Zerbe! auch der langgesuchte S. Abyöenus Corallus Senn, ist und die Annahme von Strauß, Söcking, Brecht, Ciebenau u. a., die sich für Crotus Rubeanus ausfprachen, nicht das Richtige trifft, kann ich hier wiederum nur in dieser apodiktischen 5orm vertreten. (Durners Werke IX.

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gedenkt er am Schlüsse des fünften dieser Dialogex) kurz „jenes wahrhaft elenden Theologen (Durnarus, der es wahrhaftig nicht verdiene, daß ein Gelehrter auf feine Narrheiten antworte“, und im siebenten Stück, das eine Unterredung zwischen Veritas und Butten darstellt, nennt die Göttin der Wahrheit unter ihren besonderen feinden auch „jenen eitlen Geldnarren CDurnar“ (ambitiosus ille (Durnarus Geltnarr), den sie kurz darauf auch als „tollen Schwätzer“ (loquacissimus ille (Durnarus) bezeichnet. Auch die von Gerbet unter demselben Pseudonym herausge­ gebene, vielleicht schon etwas früher verfaßte lateinische „Rebe an Kaiser Karl und die fürsten Deutschlands" schließt nicht, ohne am Ende noch vorübergehend auf „jenen Thomas Murner, der ganz ungereimtes, ungelehrtes und törichtes Zeug ediert habe“ hinzuweisen*). Während so am Schlüsse des Jahres 1520 und in den ersten Monaten des Jahres 1521 die satirische Polemik gegen Murner in feiner unmittelbaren Däbe bereits üppig ins Kraut schoß, verhielt sich Luther auf die „brüderliche Ermahnung“ wie auf die folgenden ernsteren Angriffe des Straßburger Franzis­ kaners, über die man ihn umgehend brieflich in Kenntnis setzte, völlig schweigsam. Die von Gerbet in jenem Briefe so heiß begehrte Abrechnung mit dem oberrheinischen Gegner, der dem Reformator persönlich ferner stand als Eck und Emfer, überließ er den freunden. Am 14. Januar 1521 erwähnte er in einem Briefe an Johann Staupitz den neu aufgetretenen Widersacher nur mit l) Butteni Opera, Hrsg. von Bödting, IV, 593: An (Durnarus ille theologus vere miser . . . . inöignus nugis responbeat vir boctissimus. *) Oratio ab Carolum maximum Auguftum et Germaniae Principes, Bog. b 6»; Demo tarnen, qui incultius, inboctius stultiusque ebibit aliquib Tboma (Durnero. - Dur nebenbei fei barauf hingewiesen, baß auch in bem kleinen, wohl ebenfalls in biefen Wochen erschienenen Dialog „Cckius (Donachus“,ber ben Ingolftäbter Professor im Gespräch mit feiner Bausgenossin unb mit ber Verzweiflung (Desperatio) vorführt, Murner nicht vergessen wirb, inbem bie Desperatio unter satirischer Anspielung auf ein bamals öfter wieberhebrenbes Motiv ben wiberftrebenben Cck „bei ben Gänsen bes M um ar“ (per Murnari anseres) beschwört, ein mönchisches Leben zu führen.

ein p aar rubig konstatierenden W orten: „Aueb Thom as M urner bat ergrimmt wider mich geschrieben')*. Deutlicher gab sieb seine Meinung in einem am 21. Januar an Spalatin gesandten Briefe kund, der die W orte enthält1): „M urner beachte ich nicht* (Murnerum contemno), worauf Spalatin seinerseits dem Rurfürsten von Sachsen berichtete, daß Luther dem M urner nicht antworten wolle. Im Laufe des folgenden M onats aber, wo dem Reformator offenbar weitere Linzeibeiten bekannt wurden, kam er dann doch von dieser anfänglichen Absicht, die Strafeburger Gegenschriften zu ignorieren, ab. Besonders scheint ihn darin eine neue fünfte Schrift M urners bestärkt zu haben, die sich gegen Luthers Verbrennung der Bannbulle und feine öffentliche Rechtfertigung dieses bedeutungsvollen Schrittes wandte. Ls war die am 17. Sebruar 1521 wiederum bei dem Strafeburger Drucker Grüninger erschienene, fünf Bogen starke Abhandlung: „Wie doctor M . Luter ufe falschen vrfachen bewegt daz geistlich recht verbrennet bat.“ Bekanntlich batte Luther selbst, unmittelbar nachdem am 10. Dezember 1520 durch das aufsehenerregende Lreignis der endgültige Bruch mit Rom vollzogen worden war, eine Verteidigungsschrift heraus­ gegeben, in der er in dreifeig Artikeln die Gründe feiner folgen­ schweren Bandlungsweise auseinandersetzte. Indem M urner in seiner Erwiderung die einzelnen Artikel glossierend durchnähn», glaubte er, au s der heiligen Schrift und dem kanonischen Recht deren mangelhafte Begründung erweisen zu können. Wiederum macht sieh dabei d as Bestreben geltend, dem Raifer und den Ständen die Staatsgefäbrlichkeit von Luthers neuer Rachen­ lehre zum Bewußtsein zu bringen. Andererseits aber versichert er dem Gegner ausdrücklich, dafe ihm die Absicht einer persönlichen Verletzung fernliege und er lediglich im Interesse des wahren Glaubens so zu bandeln fieb verpflichtet fühle. Der Zufall wollte es, dafe Luther noch am gleichen ta g e , an dem M urners Angriff ') Cnbers, Luthers Briefwechsel, III, 71: Thomas COumar quoque in me scripsit furens. *) Cnbers, a. a. O. III, 76.

erschien, an Spolotin nach W orms geschrieben h a tte 1), daß er zwar durch die schamlosen Lügen Cmfers sich zu einer Erwiderung veranlaßt sehe, er aber noch nicht in der Stimmung fei, dem M urner eine Antwort zu erteilen; wer könne auch allen Wider­ sachern entgegentreten. Als ihm aber dann die neue Gegenschrift selbst in die Bände kam, entschloß er sieh doch, bei der Abrechnung mit Cmfer auch gleich dem Straßburger Barfüßer eine Lektion zu erteilen. Deshalb fügte er seiner Cnde M ärz 1521 veröffent­ lichten Antwort*) .A uf das überchristlich, übergeystlicb vnd überkünstlich buch Bock Cmfers zu Ceypczick“ einen kurzen Anhang bei, auf den der ü te l mit den W orten hinweist: „Darynn auch M urnarrs feynjj gesellen gedacht wirt.“ Cr hält diesem neuen Gegner, der sich wenigstens durch W ahrhaftigkeit vor Cmfer auszeichne, mit derber Laune und ungeschminkten W orten sein törichtes Seftbalten an dem überkommenen Glauben und feine wortreiche, aber inhaltslose Geschwätzigkeit vor („Cs ist möglicher, daß der Rhein versiege, denn daß dirs an Worten gebreche“ !) und entwickelt dann nochmals unter Berufung auf eine Reibe beweiskräftiger Bibelstellen feine Lehre von der unsichtbaren Kirche aller Gläubigen, mit der die menschliche Institution des päpstlichen Pontifikats und eines weltlichen Kirchenregiments in keiner Binficht zu vereinen fei. Zum Beweise, wie auch von anderer Seite über M urners Schreibereien geurteilt werde, fügt Luther am Schluß einen kurzen deutschen Reimvers bei, der ihm von Rhein her zugegangen fei: Doktor (Dumer, wie ich bericht, Bat aber ein nacht gfchlafen nicht, Zwei neuer büchlein zugericht, Darzu er sich fast Hoch erbricht, Doktor Luthers schritten anficht, Wie wohl er ganz darneben sticht etc.

Diese Spottverse führen uns wieder in die Reiben von •) Cnbers, a.a.O . III, 87: Cogor, homini [Cmfer] responbere solum ob menbacia impurissima. CDumero nonbum possum: et qui omnibus possem. *) Weimarer Ausgabe VII, 621-688.

Murners oberrheinischen Gegnern zurück. Heben den früher er­ wähnten Pamphleten in lateinischer Sprache waren nach dem Bei­ spiel Buttens,berzur selben Zeit im Interesse weiterer Wirksamkeit von feinen lateinischen Dialogen zu solchen in deutscher Sprache überging, feit Ende 1520 vorwiegend im westlichen Oberdeutschland und in der Schweiz eine Menge deutscher Satiren erschienen, die sieh entweder ausschließlich ober doch nebenbei gegen Thomas Murner richteten und die dieser wegen ihres ungleich größeren Einflusses auf die breiten Volksschichten besonders schmerzlich empfand. Die weiteste Verbreitung unter diesen Pasquillen in deut­ scher Sprache fand der zuerst Anfang Januar 1521 hervorge­ tretene, dann aber noch in mindestens acht verschiedenen Auf­ lagen und nachdrucken immer wieder neu herausgegebene „Rarftbans“, den man früher wie so vieles andere mit Unrecht Butten zuzuschreiben geneigt war, als dessen Verfasser aber neuerdings der St. Goller Reformator Vabian erkannt worden ist1). Der Titel dieser Slugfchrift, der den mit dem Rarst, d. b. mit der Backe arbeitenden Bauern bezeichnet, war direkt den kurz zuvor publizierten antilutberifeben Schriften Murners ent­ nommen, in denen wiederholt von dem Rarftbans als dem Ver­ treter des ungelehrten, zu Aufruhr neigenden Volkes die Rede ist*). Indem Vabian in feinem volkstümlich gehaltenen Dialog den alten Bauer Rarftbans neben feinem studierten Sohn im Gespräch teils mit Murner, teils mit Luther vorführt, weiß er die Stimmung des gemeinen M annes jener Tage, feinen Baß *) Von B. B urckH ardt in feiner Ausgabe des „Rarftbans* (1910) im III. Bande von Clemens ,§lugfchriften aus den ersten Jahren der Reformation”. Demselben St. Baller Bumaniften find daneben in letzter Seit noch drei weitere anonyme, bezw. pseudonyme Reformations» schritten mit Sicherheit zugewiesen worden, vgl. Rück (Ballefche Neu­ drucke Hr. 142-143), A. Bötze (Paul u. Braunes Beiträge z. Besch. der deutsch. Spr. u. Lit. 28, 236ff.) und p. (D erb er (in: Studien zur Lite» raturgefch., Leipzig, Infelverlag 1912, S. 18-50); doch find zweifellos auf diese Quelle noch einige weitere Satiren zurückzuführen. •) Ciebenau, a. a. O. S. 151, 155, 159.

gegen die Vertreter der alten Rüxbe wie sein Vertrauen zu dem R eform ator in dockst anschaulicher Weife vorzuführen. M urner, der auf dem Titelbolzfcbnitt verschiedener A usgaben der S atire a ls Mönch mit einem Ratzenkopf abgebildet ist, führt sich auch im Text mit zweifelhaften Ratzenlauten ein und wird des weiteren a ls brünstiger Rater, a ls Gäuckmeister und päpstlicher Lohnsckreiber, der vor einer persönlichen Aussprache mit Luther klein­ laut entweicht, dargestellt. D a der reformatorisck gesinnte R at Strafeburgs solchen Angriffen auf den stadtbekannten Mönch gegenüber ein Auge zudrückte und auch der senil gewordene städtische Zensor Sebastian B rant, der in diesen letzten M onaten vor seinem Tode (f 10. M ai 1521) unter starken körperlichen und seelischen Depressionen stand, nicht gegen den Vertrieb dieser Schmähschriften einschritt, richtete M urner am 13. Jan u ar 1521 an B rant eine noch erhaltene lateinische Beschwerde1), in der er sich als Verfasser jener vier in den letzten Wochen des vergangenen Jah res erschienenen Schriften gegen Luther bekannte und heftige Rlage über die gegen ihn und die päpstliche Lehre veröffentlichten Pam phlete führte. Strafeburg, d a s sich einst als eine S tä tte edelsten Ge­ rechtigkeitssinnes ausgezeichnet habe, sei jetzt durch d a s unge­ hinderte Vorgehen elender Skribenten zu einer R äuberhöhle und zu einem Tummelplatz niedrigster Leidenschaften geworden2). W erde der Verkauf aller möglichen Schriften voll Irrlehren und Schmähungen nicht eingestellt und ein amtliches Verbot dagegen erlassen, so werde ihm nur ein Appell an d a s päpstliche Sorum übrig bleiben. Aber weder dieses Schreiben noch eine gleiche Vorstellung bei dem städtischen R at führten zu einem Erfolg, nachdem wiederum neue scharfe Angriffe in Bild und W ort gegen ihn gerichtet worden waren, liefe M urner am 8. M ärz an zwölf Orten innerhalb der S ta d t eine „Defension und !) Vgl. Sitzungsberichte der Münchener Akademie der Wissen­ schaften, pHil.-Hist. Abt. 1871 (I.) S . 277 ff. *) Tarn fecerunt mali viri Argentinam speluncam latronum civitatem de optima iustitia semper commendatissimam, sentinam pessimorum virorum.

Protestation, das er wider Doc. (Dar. Cutber nicbtz vnrecbts gebandlet h ab “ anschlagen1). In durchaus maßvollem, mitunter fast wehleidigem Done weist der später so bissige Satiriker darauf bin, daß die von ihm herausgegebenen Gegenschriften nach bestem Wissen und Gewissen verfaßt worden feien und daß er wohl die falsche Lehre Luthers, aber niemals dessen Person noch die des ehrenfesten und hochgelehrten Berrn Ulrich von Butten habe in den Streit ziehen wollen. Dagegen sei die Gegenpartei mit einer Reibe anonymer Pasquille hervorgetreten, die feinen guten Hamen und feine €bre in schmählicher Weife anzutasten wagten. Dem Vorwurf, daß er ohne Nennung feines Hamens gegen Luther geschrieben habe, begegnet er mit dem Binweis darauf, daß er vor der Veröffentlichung die Genehmi­ gung feiner vorgesetzten kirchlichen Behörden eingeholt habe und durchaus keine Bedenken trage, sich nunmehr auch öffentlich dazu zu bekennen. Auch fei er jederzeit bereit, zu Bafel, frei» bürg, Beidelberg oder M ainz in einer Disputation mit den Gegnern feine Überzeugungen zu vertreten; dagegen könne ihm niemand die Ablehnung einer zum gleichen 3 wecke vor­ geschlagenen kostspieligen Reife nach Wittenberg verdenken. Hach der Bitte an alle billig denkenden Cbriftenmenfcben, den anonymen Lügenfchriften keinen Glauben zu schenken, schliefet die Proteftation mit den W orten: „Ich halt sie auch für eerlofe, meineidige böfewicbt vnd hoff auch, es werd sie ein ieder frumer für solche halten, bife das sie sich nennen oder solche mir bewiffene fcbmach mit erkantem namen vnd recht vff mich bringen.“ Der städtische R at gab zwar eine Woche später zu dieser eigen­ mächtig unternommenen Plakatveröffentlichung feine nachträg­ liche Genehmigung, stellte auch gegen den Vertrieb des „ Rarftbans“ ein Verbot in Aussicht, legte aber gleichzeitig dem beschwerdeführenden Franziskaner nabe, in 3ukunft endlich einmal Ruhe zu halten, da die Stadt feinetbalben schon mehr denn genug in Aufregung versetzt worden fei. (* Abgedruckt in Diebners Zeitschrift für die Histor. tcheologie, XVIII (1848), 598-602.

Die laue und nicht mehr unparteiische Haltung des Strafe* burger R ates brachte es mit sich, dafe trotz der angedrohten kerkerstrafe, die offenbar nur auf dem Papier stand, auch in den folgenden Wochen und M onaten immer neue Satiren gegen Murner hervortraten. So erschien bei dem Strafeburger Drucker Johann Prüfe von M urners eigener 1509 gleichzeitig in latei­ nischer und deutscher Sprache veröffentlichter Schrift „Von den fier ketzeren Prediger oröens“, die in chronikalischem Stile aus­ führlich den bekannten Jetzer Handel in Bern besungen batte, ein Neudruck*), der dieser zur Zeit besonders interessant gewor­ denen Darstellung mönchischen Betrugs ein paar Dutzend spötti­ scher Reimzeilen auf einige Vorkämpfer des päpstlichen Glaubens beifügte. Von Murner im besonderen beifet es hier mit Rück* deutung auf den kurz zuvor erschienenen „(Durnarus Leviathan": Sein gesell murnar hat klein gewin, Ist Kummen gar bey nach von sin, Als er wolt straffen Luthers schrifft, W ard er zur Katzen vnd speiwet gisst. Gleich wie der brach CeuiatHan, Sein bschisfene bruch tregt er auch an Vnd ist verirrt fein sin vnd müt, Von g&nfeen mer kein predig thüt.

Diesen Worten entsprechend zeigt der grofee Citelbolzfcbnitt unter den abgebildeten Cutbergegnem auch Murner in der Mönchskutte mit Ratzenkopf, Drachenschwanz und einer Art Unterhose (bruch) in den Bänden2). Aber auch von außerhalb Strafeburgs kamen Versuche, den verhaßten Sranziskaner in der Öffentlichkeit lächerlich zu machen. Im Juni 1521 liefe der Augs­ burger Reformator Urbanus Rbegius unter dem Pseudonym Simon Bessus einen vom 30. M ai datierten und späterhin noch *) Lin Exemplar dieses Neudrucks, von dem sich übrigens in kurzer Zeit drei Auflagen notwendig machten, besitzt die königliche Bibliothek in Berlin. *) Vgl. dazu meine Ausführungen im Kommentar zur Vorrede s. v. bruch.

zweimal neuaufgelegten Dialog *) erscheinen, der mit dem Ditel „ fra g vnd antwort Symonis ßeffi vnd M artini Cutberi, newlicb miteinander zu W orms gehalten“, ein fingiertes Gespräch des Verfassers mit dem Reformator unmittelbar vor der entschei­ denden Reichstagssitzung darstellte. Im Laufe der Unter­ haltung, die sich natürlich vorwiegend mit den Gegnern des neuen Glaubens befaßt, erzählt Beffus dem W ittenberger Sreunde auch die Geschichte von den voreilig bestellten, fest­ lichen Veranstaltungen, die Murner bei seiner juristischen P ro­ motion im Srübjobr 1519 in Aussicht genommen habe, die aber auf unvorhergesehene Schwierigkeiten gestoßen feien. Cs heißt dort: „Aber hör, lieber M artine, eyn freuelicbs stuck von meinem lieben M urnarr. Cr ist ein Doctor der beyligen geschrillt, aber er bat noch nit gnug wirdickeyt nach feinem fynn, vnd gedacht jm, wie er lux mundi möcht werden, auch dar zu Doctor inn beyden Rechten, dann er hatt das Institut verteutfcbt, vnd halt sich selber für ein grossen bocbberiempten Juristen, wie wol jm niemants glaubt. Dun er wolt zu Bafel Doctor in beyden Rechten werden, vnd da mit er ein berücken pomp vnd gepreng haben möcht, hatt er die Stattpfeyffer von Strafeburg mit jm gen Basel pracbt, bat wollen mit grossem pracbt berumb reytten, daß jn sein Srancifcus nit mer kennt bet, dann er wolt ein gefcbell vnd geplerr haben angefangen, daß die gantz S tatt zu were gelausten, vnd bett den schonen Driumpb des armen bettelmüncbs gesehen. Aber fein anfcblag feiet jm, vnd müft on gefcbrey vnd pomp, als einem müncb zugehört, Doctor werden, vnd ging dennoch mit müebe für sich. Sunft waren zwen Doctoranöi zu Bafel, gelerte gesellen, die praucbten die pfeyffer von Strafeburg zu jrem Doctorat, aber der M urnarr must feiner pfeyffer geraten“8). *) Abgedruckt bei Böcking, Opera ßutteni IV, 603 - 614. Den end­ gültigen Nachweis der Verfasserschaft des Urbanus RHegius scheint O. Clemen im Centralblatt für Bibliothekswesen, XVII, 566 ff. erbracht zu Haben.

') Die juristische Fakultät in Basel beschloß nämlich, zuvor eine päpstliche Entscheidung darüber einzuholen, ob ein Franziskaner über»

Ebenso war in zahlreichen anderen satirischen Schriften dieser Zeit von Murner in einer Weife die Rede, daß dieser in immer größere Erbitterung gegen die reformatorifcben kreise geraten mußte. So kam der wahrscheinlich von M artin Butzer stammende und in zahlreichen Auflagen weitverbreitete Dialog zwischen einem Pfarrer und einem Schultheiß1) auf den Straß­ burger Sranziskaner zu sprechen, der ein rechter „rölling“ sei und sich besser zu einem „bengelprediger“ als zu einem Gegner des Evangeliums eigne. M it besonderem Vergnügen erinnert sieh der anonyme Verfasser daran, wie vor kurzem der „ Karsthans« dem M urner hart zugesetzt habe, dessen theologisches Verständnis man nach den früher erschienenen Narrenschriften leicht beur­ teilen könne. Andere Slugfcbriften begnügten sich mit vorüber­ gehenden Anspielungen, indem sie zumeist die von Murner immer besonders schwer empfundene Verdrehung seines Namens in Murnar(r) brachten2). Und mit dem geschriebenen Wort wett­ eiferte die bildliche Darstellung. Vadians Satire „D as Wolfsgefang« z. B., die Ende 1520 hervortrat und sich im Text von persönlichen Invektiven noch frei hielt, trug auf dem Titelblatt einen Bolzschnitt, der um den auf dem Throne sitzenden Papst eine Anzahl Kardinäle und hohe Geistliche gruppiert, unter ihnen auch einen lauteschlagenden Mönch mit Ratzenkopf, womit zweifellos M urner gemeint ist3). Ebenso ist dieser in einer Haupt „Doktor des kaiserlichen Rechtes“ werden könne und für einen Bettelmönch sich eine prunkvolle §eier eigne. D as zugehörige Ent­ schuldigungsschreiben Murners an den Straßburger Rat bei Ciebenau, a. a. O. S . 122-123. *) Abgedruckt bei Schade II, 135. Den Nachweis der Verfasser­ schaft Buzers und einen kritischen Neudruck gab A. Götze, Archiv für Reformationsgeschichte, 1907. *) Vgl. Schade II, 126 (der Rolling, der (Durnar), III, 34 (murnarren und plotzharten), III, 48 (doctor (Durnar), III, 215 (den Murnar mit feim fchachzabel). 8) Vgl. Schade III, 221. Damit bestimmt sich auch die Erscheinungs­ zeit dieser Schrift, die Schade, S . 238, nur allgemein der zweiten Bälfte des Jahres 1520 zuweist. Da die beiden frühesten antilutherifchen Schriften Murners erst am 11. und 24. November hervortraten, kann der Bolzschnitt nicht vor November 1520 entstanden sein.

ähnlichen Gruppe von Gestalten mit verschiedenen ü e rk ö p fen zu finden, die d a s kurze 1522 erschienene P am phlet „Eyn kurtze anred zu allen mißgünstigen Doctor Luthers vnd der Christ­ lichen freybeit“ eröffnet1)* Auch bloße K arikaturen M urners und Bilderbogen mit satirischen Begleitzeilen scheinen in S tra ß ­ burg und anderen S tädten verbreitet worden zu sein, wenig­ stens berichtete der Ulmer Buchhändler W olfgang Richard im Dezem ber 1521 an Johann (Dagenbucb2): „Venit ad nos Eckius, C D u rn a ru s et reliqui Cutbero Zoll! in b estias picti, quos ego mihi denuo depingi curavi“. Bei alledem kann es nicht zweifelhaft fein, daß die hier berührten S atiren durchaus nicht ein vollständiges Bild der gegen M urner gerichteten Angriffe darstellen. W enn auch die in mehreren Drucken verbreiteten Streitschriften jener L age wohl meistens in einigen Exemplaren auf uns gekommen find, wie manches von jenen lediglich den ‘C agesintereffen dienenden Slugblättern mag für immer verloren gegangen fein3). In der L at spielt M urner in feiner großen Gegenschrift „Vom Luthe­ rischen D arren“ wie in der an die Adresse Michael S tifels ge­ richteten „Antwurt und k la g “ auf einige satirische Ausfälle gegen ihn an, die beute nicht mehr zu erklären find4). *) Schade II, 190-195. (Dir liegt ein anderer, sprachlich mehr oberdeutsch gefärbter Druck (Kgl. Bibliothek in Berlin) vor. Die ganze Profapartie ist lediglich eine Übersetzung der Schlußapostrophe von Gerbels „CDurnarus Leviathan“. *) S c h e l h o r n , Amoenitates liter., edit. II, 1. Bd. S . 298. Die Stelle muß wohl auf bildliche Darstellungen bezogen werden. An einen Hochdruck des Cccius dedolatus, M um arus Leviathan u. a. zu denken, hindern die Worte „denuo depingi“. Vgl. LH 406: „Da sie dich haben malen Ion, Recht wie ein Katzen ist formiert“. 8) Über die M enge der gerade in diesen Monaten erschienenen Satiren vgl. die Klagen des päpstlichen Nuntius Aleander ( Ka lk of f , Die Depeschen des Nuntius Aleander, Balle 1897). 4) Vgl. den Kommentar zu Vers 422 und „Antwurt und klag“, Bog. A 4a: Ich gefchweig des frumen vnd blinden edelmans von dieß* bach [?] etc., das fein vwers ewangeliums ewangeliften . . . . karfthans, kegelhans, gugelfritz, zwen bauren im fchweitzer land etc. vnd Hennen diebolt mit der leren defchen [?].“

Drotz dieser während des ganzen Jahres 1521 fortge­ setzten Angriffe enthielt sich Murner vorläufig noch einer ent­ sprechenden Gegenaktion, wenigstens drang davon nichts in d a s grofee Publikum. Nur in persönlicher Aussprache, wohl auch in Predigten, mag er feinem Arger Lust gemacht haben1). Von den zweiunddreitzig „biecblin“, die er nach dem ruhmredigen ßinweis feiner Protestation gegen d as Luthertum versetzt haben wollte und die er nur noch „in latinifcbe zungen verdolmetschen“ müsse, trat jedenfalls nichts an die Öffentlichkeit. Noch mutzten ein paar weitere Angriffe teils allgemein-sachlicher, teils per­ sönlicher Natur hinzukommen, um d a s Matz des Unmuts voll­ zumachen und die wohl schon länger geplante große Ab­ rechnung mit allen Gegnern herbeizuführen. Unter den zahlreichen Stimmen, die sich im Laufe des Jahres 1521 zu den die ganze deutsche Nation in ihren Liefen erschütternden Glaubensfragen vernehmen Netzen, erregten durch ihre fprachgewaltige Eindringlichkeit und volkstümliche Über­ zeugungskraft besonderes Aussehen, namentlich im südlichen Deutschland, fünfzehn Flugschriften, die der ehemalige Ulmer Sranziskanerpreöiger Eberlin von Günzburg erscheinen liefe*). Die ersten dieser in fortlaufender Numerierung als fünfzehn „Bunösgenoffen“ bezeichneten und in Bafel bei Pam philus Gengenbach, jedoch anonym und ohne Nennung des Druckers, herausgekommenen Streitschriften batte Eberlin, um die Zeit des Wormser Reichstags damit beginnend, noch als Mönch in feinem Ulmer Kloster verfafet. Nachdem er dann infolge feiner freimütig bekannten Zuneigung zum lutherischen Glauben Ende Juni 1521 aus der Ordenskongregation ausgeftofeen worden *) Ob die Worte Bummelbergs in feinem Briefe an Beatus RHenanus vom 12. April 1521: „Insanit belirus CDurnerus in Cutberum“ (Sitzungsber. der Wiener Akademie, 78, 1333) auf solche private Äuße­ rungen oder auf (Bumers früher erschienene antilucherische Schriften zu beziehen sind, mutz dahingestellt bleiben. *) Beu herausgegeben von Ludwig Cnders in den Neudrucken deutscher Citeraturwerke des 16. und 17. Jahrhunderts, No. 139 bis 141, Balle 1896.

war, entstanden dis weiteren in den folgenden M onaten auf der Wanderschaft in der Schweiz und an der Donau, wo eberlin im engen Verkehr mit allen Volksschichten die seelischen Wünsche und Bedürfnisse der breiten Masten im einzelnen genau kennen lernte. Seit dem Oktober erschienen die ursprünglich einzeln in rascher folge veröffentlichten Flugschriften auch in gesammelter form. Von persönlicher Satire sich im allgemeinen fernhaltend griffen diese populären predigten tief in d as gesamte religiöse und soziale Lehen der Zeit ein. Indem jeder dieser „Bunds* genossen“ sich ein Ebema vornimmt, an d as er sich freilich nicht immer streng hält, werden alle fragen, die dam als im Brenn­ punkt des öffentlichen Interesses standen, behandelt. Papsttum und Rircbenverwaltung, Mönchs» und Rlofterwefen, Predigt und Bibelverstänönis, die äußerliche Handhabung gottesdienstlicher Handlungen und der Mißbrauch des Bannfluchs, Sakram ente und Beiligenglauben, aber auch zahlreiche Punkte aus dem Gebiete des weltlichen Gemeinwesens werden vom Standpunkt des neuen Glaubens und einer fortschrittlichen Gesinnung aus scharf beleuchtet und alle Mißstände schonungslos aufgedeckt. M it ganz besonderem Zorn aber verfolgt Eberlin die Bettel­ mönche, die in feinen Schriften immer wieder auftauchen und für ihn einer der Rrebsfcbäöen der Zeit sind. Rein Wunder, daß diese aufgeklärten, in vieler Hinsicht an die Wurzeln des katholischen Dogmas und der mittelalterlichen Rircbentraöition greifenden Ausführungen Eberlins auf evangelischer Seite mit Begeisterung, dagegen in den Rreifen des alten Glaubens mit steigender Erbitterung aufgenommen wurden. Soviel auch im einzelnen an dem älteren Rircbenfyftem getadelt worden war, so tief und gründlich batte außer Luthers großen Reformfcbriften vom Jahre 1520 kein evangelischer Autor in die schwebenden Zeitfragen eingegriffen. Bei dem M angel an brieflichen Zeugnissen fehlen direkte Mitteilungen darüber, welchen Eindruck diese Flugblätter Eberlins auf Murner im besonderen machten. Da aber etwa ein fünftel feiner späteren Satire „Von dem großen Lutherischen Darren“

im wesentlichen nichts weiter ist a ls eine P arodie jener evan­ gelischen Lehren und Wünsche, so scheint sich dam it deutlich die starke W irkung auszusprechen, die gerade diese lutherische Publikation mit ihrer sich vordrängenden Tendenz gegen die Vettelorden auf den Strafeburger F ranziskaner ausübte. Moch­ ten auch feine früheren S atiren mit einzelnen P unkten der Eberlinfcben Reformvorfcbläge zusammentreffen, so mufete ihm doch hier mit grausam er Deutlichkeit zum Bewufetfein kommen, dafe eine unüberbrückbare, d a s ganze System der katholischen Rircbenlebre durchziehende Rluft ihn und feine Glaubensgenossen von diesen Neuerern trennte. Jede ßoffnung, durch beidersei­ tiges Entgegenkommen den Rife zu heilen, mufete vor diesem radikalen Program m für immer schwinden. Zwei völlig ver­ schiedene Welt- und Lehensanschauungen standen sich mit der ganzen Schärfe einer eben zum Ausbruch gekommenen Feind­ schaft gegenüber. D azu ab er kam a ls neuer Impuls seit Anfang 1522 eine persönliche literarische Fehde, die M urners Erbitterung gegen die A nhänger d es Luthertum s wesentlich steigerte. W ie Eberlin von Günzburg sich in feinem Ulmer Franziskanerkloster zu dem evangelischen Glauben durchgerungen batte, um dann in der Öffentlichkeit mit der ganzen Rraft einer neuen Erkenntnis dafür einzutreten, so w aren in Efelingen für den dam als etw a fünfunddreifeigjäbrigen Augustinerpater Michael Stifel *) die Schriften Luthers zu einem grofeen inneren Erlebnis geworden. Nock a ls Insasse feines Rlofters, d a s er dann im April oder M ai 1522 verlassen mufete, verfafete er unter dem tiefen Ein­ druck der machtvollen Persönlichkeit des R eform ators ein „Über­ aufe schön künstlich Lied samt feiner N ebenauslegung: Von der christförmigen Lehre L uthers142). Dem Zuge der Zeit zu mysti-

x) Über das bewegte Leben dieses treuen Anhängers Luthers vgl. G. LH. S t r o b e l , Neue Beyträge zur Literatur, besonders des 16. Jahrhunderts, I (1790) S. 1-90, und R a w e r a u s ausführlichen Auf­ satz in der Realencyclopädie für proteft. Theologie 19s, S. 24 ff. *) Einen Neudruck der ganzen Flugschrift gab W. Lucke in Cle­ mens Sammlung III, 7 (1909), das Lied allein auch bei Wackernagel,

schen Lehren und verwandten eigenen Neigungen folgend gründete Stifel in dieser Slugfcbrift, die in mindestens sechs Strafeburger und sechs Augsburger Drucken weite Verbreitung fand, seine Verherrlichung Luthers auf jenes vielgebeutete Wort der biblischen Apokalypse (Offenb. Job. 14, 6) von dem Engel, der vom Aufgang der Sonne aufsteigt und d as Siegel Gottes trägt. In schwungvollen, vielfach an die Sprache des Volksliedes erinnernden Versen stellte er den Reformator als die Erfüllung jener alten Prophetie bin. Kunstvoll läfet der volkstümliche Eingang des Liedes die Deutung noch offen oder doch nur mit dem adverbialen Wortspiel „luter, lauter“ leise anklingen: Joannes thüt vns schreiben von einem Engel klar, Der Gotes wort soll treiben ganz luter offenbar.

Dann aber schwingt sich der Verfasser zu einem fast dithyrambischen Preise Luthers und der Reformationsstadt Wittenberg auf, von der alles Beil ausgebe. Die zweiund» breifeig Verse1), die freilich in den letzten beiden Dritteln des Gesamtgedichts sieb nicht auf der lyrischen Bähe der Eingangs­ partie halten und lediglich eine poetische Paraphrase der zehn Gebote bringen, sind mit Prosaabschnitten burcbflocbten, die unter Berufung auf die einschlägigen Bibelstellen in klarer und allgemeinverständlicher Sprache eine predigtartige Aus­ legung des jeweilig vorangegangenen Versinhaltes geben und einen in den Schriften der Mystiker wohlbewanderten Autor erkennen lassen. Kirchenlied III, 74 ff. Da die Schrift in der Ausgabe des Strafeburger Druckers Schott von einem entsprechenden Bolzschnitt Bans Baidungs begleitet ist, der die Jahreszahl 1521 aufweift, ist es nicht unmöglich, dafe die Abfassung noch in den Schlufe des Jahres 1521 fällt. ') In der dritten Ausgabe, die bereits Stifels späterhin so leidenschaftlich vertretene Überzeugung von dem Nahen des jüngsten Cages verrät, war das Gedicht auf 50 Strophen angewachsen.

Ähnlich wie Bans Sachs im Anfang feines gleichzeitigen Preisliebes auf die Wittenbergifcbe Nachtigall den neuan« brechenden Tag des Glaubens feierte, hatte Michael Stifel mit dem ganzen Schwung eines tiefergriffenen Berzens be­ geistert gesungen: »Das lyecht des tag s kumpt wider, es bricht dohär mit macht!“ So hoffnungsvoll aber die An­ hänger des neuen Glaubens in die Zukunft sahen, so ernst und verstimmt blickten die Vertreter der alten Kirche auf die immer weiter um sich greifenden Wirren. Ganz abgesehen von den rein dogmatischen Gegensätzen bedeutete der von der Reformation verlangte Bruch mit fovielen durch jahrhunderte­ alte Tradition geheiligten Einrichtungen und poetischen Vor­ stellungen eine Neuerung, die ihnen alles andere als ein leuchtender Morgen schien, die vielmehr nur Dunkelheit und Schatten über die mittelalterlich-bunte Glaubenswelt brachte. Und Murner, der offenbar nicht nur seine persönliche Lebens­ lage in den Angriffen des Luthertums bedroht fühlte, sondern als ehrlicher Bekenner der alten Kirche trotz aller früheren Kritik an feinen heiligsten Überzeugungen festhalten zu müssen glaubte, machte sich zum Sprecher solcher Empfindungen, die mit Wehmut d as alte liebgewordene Vorftellungs- und Gedankengebäude zusammenbrechen sahen. Als Antwort auf Stifels Jubelbymnus und als Gegenstück dazu liefe er im Srübjabr 1522 „Ain new Lied“ mit der bezeichnenden Über­ schrift „von dem vndergang des Christlichen glaubens“ er­ scheinen1). Wenn jemals, so zeigt sich der vielangefeindete Franziskaner in dieser feiner einzigen lyrischen Dichtung von einer menschlich sympathischen Seite. M it unverkennbarer innerer Anteilnahme und Ergriffenheit beklagt er in den fünfunddreifeig Versen, die sich mit Glück an die Weife des Volksliedes anlehnen und „im bruder Veiten tbon“ abgefafet find, ohne alle persönliche Polemik dos umftürzlerifche Vor» •) Abgedruckt bei UHland, Volkslieder 906 —917; Kloster VIII, 667 - 671; Spemanns Deutsche national»Literatur, 17. Bd., S. LXIIff. (Balke); Ciebenau, a. a. 0 . 179-182.

geben der Neuerer. Anstatt der alten Botmäßigkeit und Ordnung habe ein Seist der Aufsässigkeit allenthalben Platz gegriffen. Der Glaube an die Messe und die Sakram ente sowie die Achtung vor klerikaler Weibe und kirchlicher Obrig­ keit sei erschüttert. An die Stelle klösterlichen Sriedens trete Baß und Streit. All das, w as jahrhundertelang fromme Seelen geglaubt und woran Unzählige sich erbaut haben, soll erlogen sein, selbst „(Daria zart, die reine“ und mit ihr „die heiligen allefampt“ wolle man aus der Rircbe entfernen. Wie in feinen früheren Satiren gibt M urner offen zu, daß in den äußeren Einrichtungen der katholischen Rircbe manche Mißstände bestehen, aber er leugnet das Recht zu einer Änderung des Dogmas: Die mißbrüd), die sie klagen, die lobt kein erenman, Oot wils nit me vertragen, daz facht mich buncken an; Allein will mich betören, daz ich von Hertzen wein: den glauben vntz zerstören, daz selb klag ich allein.

Bangen Gerzens sieht der pietätvoll am alten Glauben festhaltende Mönch alle Schrecken des Bauernaufstandes und der späteren Religionskriege voraus. Cr hält es für feine Gewiffenspflicht, gegen die neue Lehre Sront zu machen: ich mein, ich feys verpflichtet bey glauben, ampt vnd er: der glaub nit werd vernichtet, daz ich thu wiberwer.

Nur wenn der Raifer und die weltliche Obrigkeit ihm Cinbalt gebieten, will er von feiner offenen Gegnerschaft lassen. M it der an Gott gerichteten Bitte, der Christenheit wieder Srieden und Einigkeit zu senden, schließt M urner sein Lied, d as er, wie wir aus Stifels späterer „Antwort und klag“ hören, einem armen blinden Sänger übergab, um es weit herum zu bringen. CDurners Werke IX.

3

Die Stimme des Straßburger §ranziskaners batte klang genug, um es der lutherischen Gegenseite ratsam erscheinen zu lassen, alsbald mit Erwiderungen hervorzutreten. Zwei Lieder erschienen in den folgenden Wochen gegen CDumers Klage« gefctng. Zunächst parodierte ein Anonymus, dessen Sprache unzweifelhaft nach dem alemannischen Sprachgebiet weist, CDumers Lied vom Untergang des christlichen Glaubens mit einem „Ander Lied darwider vom auffgang der Christenheit jn D. (Dur. Veiten tbon“ '). Den elegischen Betrachtungen CDumers gegenüber sieht er die Gegenwart und Zukunft in rosigem Lichte. Seitdem ein „freyher beide“ zur Verteidigung der christlichen W ahrheit sich erhoben hat, steht für die Bosheit und betrügerische Selbstsucht der „reyssenden wölffe“ kein Er­ folg mehr zu erwarten. Wie ein verschütteter und von neuem aufgegrabener Brunnen ist unter der entstellten Glaubenslehre nunmehr wieder das reine Gotteswort ein Labsal für alle Gläubigen geworden. Begeistert ruft er zum Beitritt zu dem tapferen Beere auf, dessen ßauptm ann Christus und dessen Bannerträger Luther sei. In der zweiten Bälfte feines Liedes aber gebt der ungenannte Verfasser dann zu scharfen persönlichen Ausfällen gegen (Durner über, obwohl dieser sich jeglicher Polemik enthalten hatte. Es liegt auf der Band, daß Verse wie der folgende nur neue Erbitterung erzeugen mußten: € r wer da Haim wol bliben mit feinem larven gschwatz, bey nacht auff decher gftigen, gleych wie ain andre katz, vnd bette lassenn bleiben die rechte götlich Kunst, Von Schelmen sol er schreiben, da ist er in der Zunfft.

CDumers Klagen über den Untergang des alten Glaubens feien nur dem Arger über die Entthronung des Papstes und die Entlarvung des trügerischen Systems entsprungen. M it •) Kloster VIII, 671-674.

der hoffnungsvollen Aussicht, daß der evangelischen Lehre noch mehr solcher (Zottesstreiter wie Luther, Butten und (Delancbthon erstehen werden, kündigt der Verfasser zum Schluß der alten Rircbe und allen Ruttenträgern einen weiteren Rampf an, dem Gottes Beistand nicht fehlen werde. Noch gröber und persönlicher aber als dieses Lied eines Unbekannten war die Erwiderung, die Michael Stifel selbst gleichzeitig oder nur wenig später ausgeben ließ unter dem Titel: „Wider D. CDurnars falsch erdacht lyeö: von dem vndergang Cbriftlicbs glaubens, Bruder Michael Styfels von Esßlingen vßleg vnnd Christliche gloß darüber." Auch diese ausführliche Gegenschriftx), die nicht weniger als sieben Bogen umfaßt, wird von einem anzüglichen Bolzschnitt eröffnet, einen W anderer vor­ stellend, der eine Ratze an der Leine führt. Wie schon dieses Bildchen der „Defenfio Cbriftianorum“ Gerbels entnommen ist, so kehren als M otto des Ganzen auf dem Titelblatt jene höhnenden Verse wieder, die wir als Parodie des alten Judasliedes bereits in der älteren lateinischen Satire fanden. Zu Beginn der Ausführung erinnert Stifel an die im „M urnarus Leviathan“ erfolgte Verwandlung des Straßburger §ranziskaners in einen Brachen, die ihn indessen nicht abgehalten habe, nach Affenweise d as frühere Lied Stifels nachzumachen. Um den pharisäischen Geist in M urners Rlagegefang zu er­ weisen, geht er denselben Zeile für Zeile glossierend durch. Ein derber Ton spricht aus den Darlegungen, die von dem sachlichen Gebiet oft in d as Persönliche abschweifen. Jmmer wieder wird der in der satirischen Literatur der Zeit fast totgehetzte Ratzen­ vergleich angebracht. An ältere Streiche M urners aus seiner Sreiburger Zeit wird erinnert, ebenso an ein neues Geschichtchen, *) Panzer, Annalen No. 1495. Ein Originaldruck befindet sich in der für die Reformationsliteratur so außerordentlich reichhaltigen Zwickauer RatsfchulbibliotHeb (XVII. IX. 16,i). Aus dem Inhalt der Schrift folgt, daß Murner zur Zeit ihrer Abfassung bereits in Augsburg weilte (vgl. die folg. Anm.), andererseits Stifel noch im Rloster war, aber den Entschluß zum Austritt bereits gefaßt Hatte. Also fällt die Entstehung in den April oder M ai 1522.

w a s soeben in A u g sb u rg 1) passiert sei, wo m an ihm statt des erbetenen Ebrenweins ein Rrüglein mit saurem W ein darge­ reicht habe. Begreiflicherweise brachten solche Angriffe, die die Zeit der gröbsten Polem ik vom Srübjabr 1521 wieder heraufzube­ schwören schienen, nunm ehr auch M urner von neuem in ßarnifcb, der unterdessen mach mehrmonatlicher Abwesenheit nach Strafe­ burg zurückgekehrt w ar und die alten Beziehungen zu örüninger wieder aufgenommen hatte. In seiner Erwiderung auf die Schrift d es Efelinger Augustinerpaters, die er am 7. Septem ber 1522 unter dem G tel „ Antwurt vnd klag mit entfcbuldigung öoctor M urners wider br&der Michel ftifel etc.“ ausgeben liefe2), ging auch er von der bisher im wesentlichen eingehaltenen sachlichen Rampfesweife zur persönlichen S atire über. W ie man immer wieder M urners Harne spöttisch verdreht batte, so bedient auch er sich jetzt dieses in der R eform ationsliteratur so beliebten Stilm ittels, den Gegner mit seinem eigenen Hamen der Lächer­ lichkeit preiszugeben. Er eröffnet d a s kleine nur sechs O ktav­ blätter umfassende Schrift eben mit einer launigen Ansprache „3& allen ftifelen des deutschen la n d s “ und bezeichnet den Gegner a ls den „gröbsten vngefebmirten fifcberftifel“, ein W ort­ spiel, d a s er noch mehrfach wiederholt und d a s auch im 39. Abschnitt des „Grofeen Lutherischen H arren“ zur Anwendung kommt. D a es jetzt den Stiefeln erlaubt fei, zu fingen, so sehe *) Infolge einer von der Ranzel Herab getanen beleidigenden Äußerung gegen die Strafeburger Drucker war Murner im §rühjahr 1522 als Lefemeifter nach Augsburg versetzt worden, wo er freilich nur kurze Zeit blieb. Dafe Murner schon Anfang April in Augsburg weilte und nicht erst nach Pfingsten dahinkam, wie Ciebenau S . 185, Anm. 1 annimmt, beweist der Brief des Augsburger Humanisten Veit Bild an Murner vom Anfang April 1522 (vgl. Zeitfchr. des hiftor. Vereins für Schwaben u. Heuburg, XX, 209). *) Diese Schrift Murners ist ungemein feiten. Bisher wurden nur zwei Exemplare nachgewiesen, das eine im Britischen Museum, das andere in der Zwickauer Ratsfchutbibliothek (XVII. IX. 1 6 ,13). Einen Inhaltsauszug gab Clemen im 26. Bande der Alemannia, S . 183 ff.

er nicht ein, warum ihm als Katze und Drachen nicht dasselbe zustehe, zumal da man ihn eines äffifcben Gebarens beschul­ dige. In dreißig knappen Artikeln bringt er dann auf die ein­ zelnen einwände Stifels seine Entgegnungen vor. Die persönlichen Anzapfungen zahlt er mit gleicher Münze zurück, indem er der Verjagung des Gegners aus Kloster und Stadt Eßlingen höhnend gedenkt l). Andererseits aber bestreitet er in den beiden Schlußartikeln energisch die über ihn ausgebreiteten Gerüchte. Seine eigene Lehre basiere auf dem Evangelium, das die Vertreter des Luthertums nur im Munde führen, während näberbetrachtet der Karsthans und andere satirische Irrlehren ihre wahre Glaubens­ norm bilden. W as man an den leitenden Stellen von den kirchlichen Reformiöeen halte, bezeuge zur Genüge das Wormser Reichstagsedikt. Besonders interessant aber ist, daß Murner am Ende den Gegner ironisch um freundliche Aufnahme seines neuen Buches bittet, indem er mit den Worten schließt: ,»wan mein großer lutbrifcber nar zu dir kummen würt, du wellest in früntlicb empfaben.“ Doch bevor diese große Gesamtabrechnung mit dem Luther­ tum aber an die Öffentlichkeit trat, ließ Murner im Herbst 1522, in dem er einen ähnlichen fieberhaften produktionseifer ent­ wickelte wie in den letzten Monaten des Jahres 1520, zwei neue Schriften erscheinen, die den Kreis feiner Gegnerschaft wiederum erweiterten, andererseits aber eine bedeutsame Kon­ zentration brachten. Über dem Widerspruch gegen Eberlins „Bundsgenossen" und der Stifelfeböe war ihm Luthers Per­ sönlichkeit selbst in den Hintergrund getreten. So wird es ver­ ständlich, daß dieser in den ersten zwei Dritteln unserer Satire nur eine sekundäre Rolle spielt. Wenn aber dann von Vers 3423 an mit einer ungleich persönlicher gestalteten Wen­ dung der Handlungsführung lange Dialogpartien zwischen Murner und Luther einsetzen und die Sigur des Reformators l) „3u dem anderen schreibt er sich v o n eßlingen, d a s ist auch war, dan die ftat ist im verholten, darumb muß er dar von sein vnd nit darinnen."

im letzten Drittel eine durchaus beherrschende Stellung einnimmt, so hing d a s mit einer weiteren literarischen Sebde zusammen, die M urner wieder direkt in den W ittenberger Gesichtskreis zurück­ führte und die mit ihrer erregten Kampfstimmung zugleich ein starkes Crescendo d es satirischen Elem entes dieser Dichtung brachte. Damit aber empfiehlt es sich, auch diese A useinander­ setzung d es Strafeburger S ranziskaners mit einem neuen, dies­ m al königlichen Gegner in die Vorgeschichte des „ Grofeen Luthe­ rischen H arrenu mit einzubezieben. Schon 1521 w ar König ßeinricb VIII. von England, einer der treuesten A nhänger des Papsttum s auf den Sürftentbronen dieser Zeit, mit einer gegen Luthers Reformideen und besonders gegen die Schrift von der Babylonischen Gefangenschaft gerichteten Verteidigungsschrift in lateinischer Sprache hervor­ getreten und batte dafür vom P apst den Ehrentitel eines „Defensor fidei“ erhalten. Luther kam, zunächst durch die Um­ triebe K arlftadts in Anspruch genommen, erst im Sommer 1522 zu einer Entgegnung. In seiner „Antwurt teutsch uff Rünig ßeinricbs Buch" g ab er dem königlichen Verteidiger des alten G laubens eine derbe Absage, die um so schärfer ausfiel, a ls der Refor­ m ator mit Unrecht den eigentlichen Verfasser des Buches weniger in dem Könige selbst a ls in dem geistlichen W ürdenträger Dr. Eduard Lee vermutete, in dem die Lutheraner seit langem einen ihrer erbittertsten Gegner erkannt hatten. W ie in England selbst zahlreiche Schriften gegen Luther P artei ergriffen, so trat in Deutschland neben Eck auch M urner für den englischen König in die Schranken, wohl nicht ohne dam it auch persönliche Ab­ sichten und Ziele zu verbinden. B atte er seinerzeit Luthers Schrift von der Babylonischen Gefangenschaft übertragen, um deren aufrührerischen C harakter offenkundig zu machen, so ver­ deutschte er jetzt d a s lateinische W erk des Königs mit dem entgegengesetzten Zwecke, dessen Ideen weiteren Kreisen zur über­ zeugenden Annahme zu bringen. Der Übersetzung aber, die am 7. Septem ber, also am gleichen Cage wie die Duplik gegen Stifel erschien, liefe M urner kurz darauf eine eigene Arbeit

folgen, die offenbar wiederum in kürzester Srift aus demselben Interessenkreis entstanden war. Es war die am 10. November ebenfalls bei 6rüninger veröffentlichte und in zwei Auflagen vorliegende Streitschrift: „Ob der Rünig vH engelland ein lügner sey oder der Luther" *). Unter dem Eindruck der scharfen Polemik stehend, die von beiden Seiten angewendet worden war, ist auch der Zon bei Murner hier ungleich gereizter und persönlicher als in feinen früheren Kampfschriften. Hach einer Reverenz an den frommen und christlichen König von England, dem auch die Deutschen zu Dank verpflichtet seien, sucht er in der form eines fingierten Gesprächs2) zwischen ßeinricb VIII., Luther und Murner selbst den Reformator als den größten Lügner hinzustellen und fünfzig Widersprüche innerhalb seiner Lehre aufzudecken. Dabei schreckt er vor Schmähungen derbster Art nicht zurück. Luther ist ihm ein „wieter blutbunö", ein „un­ sinniger, lefterlicb vfogeloffener, bübischer möncb", ein „listiger vnflat“ u. a. m. Und ähnlich wie in der gleichzeitigen Polemik gegen Stifel stellt er auch hier dem Reformator ein größeres W erk satirischen Inhalts in Aussicht, wenn er mit den Worten schließt: „und leb wol, ich wil bald wider kumen, das ir mir den Katzenkopf nit vergebens uf gesetzt haben" 3). So war Murner im Laufe zweier Jahre von einer im wesentlichen sachlichen Bekämpfung der Reformation durch die Verhältnisse zu einer scharfen persönlichen Gegnerschaft dem Luthertum gegenüber gedrängt worden. Die angeborene sati­ rische Veranlagung, die er einst in einer Reibe von Harrendichtungen bekundet batte, konnte sich mit der immer gereizter und heftiger gewordenen Stimmung verbinden, um die bissigste, aber auch großzügigste Reformationssatire zu schaffen, die dieses l) €in Neudruck findet sich in S ch eib les Kloster IV, 8 9 3 -9 8 2 . *) 3 u beachten ist, daß auch in dem gleichzeitig entstandenen letzten Drittel d e s „Großen Lutherischen N arren“ der D ialog ungleich mehr zur A nwendung kommt a ls in den früheren Partien. 3) D ie weiteren Stadien dieses S treites, die für den „Großen Lutherischen N arren“ nicht in fr a g e kommen, können hier füglich beiseite gelassen w erden. Vgl. Ciebenau, a. a. O. S . 195 und Kloster X, 241 ff.

ganze an satirischer B egabung und Neigung so reiche Zeitalter kennt. Nachdem CDurner nach Erscheinen seiner beiden für den König von England geschriebenen Bücher vermutlich mit Bockdruck an der Vollendung der S atire gearbeitet und diesem letzten te i l die ganze W ut und Erbitterung seiner dam aligen Stimmung eingegossen batte, erschien am 19. Dezember 1522 d a s wiederum von Grüninger gedruckte, fast 4800 Verse um­ fassende Gedickt „Von dem grossen Lutherischen Narren, wie in doctor CDurner beschworen bat etc.“ Zw ar batte sieh der Drucker in dem Bewußtsein, d a s frühere R atsverbot durchbrochen zu haben, nach Möglichkeit falviert, indem er sick in dem angehängten Scklutzvermerk auf ein kaiserliches Privileg berief, d a s dieses W erk für fünf Jahre vor Nackdruck schütze. Aber der Strafeburger R at, bei dem bereits am 22. Dezem ber eine Anzeige einlief1)* w ar diesm al nicht gewillt, die gleiche Nachsicht zu üben, die er kurz zuvor bei den zugunsten des englischen Königs verfaßten Büchern M urners an den Z a g gelegt batte. Am 27. Dezember zitierte er Grüninger mit den übrigen Buchdruckern der S ta d t vor die R atskanzlei. Aufeer dem erneuten Verbot, in Zukunft irgendwelche Schmähschriften für oder gegen Luther zum Druck zu befördern, wurde ihm die eidliche Verpflichtung auferlegt, die noch vorhandenen Druckexemplare zur Verbrennung a b ­ zuliefern, w ährend m an sich gleichzeitig um die Einziehung der bereits verkauften Exemplare bemühte. Vergeblich suchte Grüninger sich dam it zu entschuldigen, dafe M urner ihn zu dieser P ublikation überredet habe und er der Überzeugung gewesen sei, dafe es sich dabei lediglich um eine V erteidigungs­ schrift d es Verfassers handle. Vorübergehend scheint CDurner selbst an einen Neudruck feiner in Strafeburg verbotenen S atire in dem benachbarten ß ag e n au gehackt zu haben. W enigstens machte der geängftigte Grüninger der B ehörde eine solche ßindeutung, worauf der R at durch zwei Abgeordnete auch im Sranziskanerklofter feine Verwarnung ausfpreeben liefe. *) Vgl. A. Jung, Geschichte der Reformation der Kirche in Strafe­ burg, Strafeburg u. Leipzig 1830, S . 75 f.

Diesem energischen Einschreiten der Stadtväter zum trotz aber nahm die Druckangelegenheit des „Großen Lutherischen Darren“ dock noch eine andere Wendung. Offenbar batte örüninger bei dem drohenden Vorgeben des Straßburger Rates rechtzeitig einen größeren Posten unverkaufter Exemplare bei­ seite bringen Können, die er alsbald — wohl außerhalb Straßburgs und nur unter der Band *) — mit geringfügigen Änderungen von neuem zum Raufe darbot. Anstelle des kaiserlichen Privilegs fügte er am Schluß einen Druckvermerk bei, der die Verant­ wortung auf den von lutherischer Seite fcbwergereizten Verfasser abschob und überdies unter geflissentlicher Betonung des humoristischen Charakters der Publikation das obwaltende Geschäftsinteresse wie zur Entschuldigung hervorhob. Im übrigen aber lassen die gesamte Druckeinricbtung wie die übereinstimmenden *) So wenigstens würde sich die ungemeine Seltenheit auch dieser zweiten Ausgabe o h n e das kaiserliche Privileg (13) erklären, die ebenso wie diejenige m it Privileg (A) zu den größten bibliothekarischen Raritäten zählt. M ir liegt von der ersten Ausgabe das Exemplar der Bibliothek des Germanischen Dationalmufeums in Dürnberg, von der zweiten das Exemplar der Bof- und Staatsbibliothek in München vor. Weitere Exemplare der B-Redaktion in Berlin, Breslau, Strafeburg, Wolfenbüttel. - Eine Sonderstellung nimmt das Exemplar der Leipziger Universitätsbibliothek ein, das nach dem Druckvermerk am Schluß (Item dis büch ist getruckt mit priuilegien etc.) der A-Redaktion anzu­ gehören scheint, tatsächlich aber auf der ausschlaggebenden Seite D 1 b (da hier der Bogen X handschriftlich ergänzt ist, scheidet er für den Vergleich aus) die gemilderte Textform aufweist. Auch sonst stellt sich dieses Exemplar als Mischexemplar dar, indem bei den voneinander abweichenden Bogen der beiden Ausgaben hier die Blätter B 2, B3, B4, fl dem Druck des nürnberger Exemplars, dagegen die Blätter D l, D4, b l , b3 dem Druck des Münchener Exemplars entsprechen. Besonders auffällig aber ist, daß hier die letzten beiden Blätter eine eigene, freilich nur geringe formale Abweichungen zeigende §assung aufweifen, während auf diesen letzten vier Seiten das nürnberger und Münchener Exemplar zusammengehen. Vermutlich w ar bei der Beschlagnahme von den einzelnen Bogen nicht immer die gleiche Anzahl von gedruckten Exemplaren in Wegfall gekommen, so daß sich für die neue Ausgabe nur ein teilweiser Deudruck notwendig machte und diese dementsprechend nicht einheitlich ausfiel.

Druckfehler und Bucbftabenverfcbiebungen zweifellos erkennen, dafe beide A usgaben bis auf eine geringe Anzahl von Text* blättern m iteinander identisch sind. In inhaltlicher Hinsicht treten nur an zwei Stellen (vgl. die L esarten unter dem Text zu V. 425 —432 und V. 3361—3388) textliche V arianten auf, die indessen nicht, wie m an zunächst erw arten könnte, eine M ilderung der derbsten Stellen retigionsgefcbicbtlicber Polem ik bringen, sondern auf den Seiten D 1 b und X 4 d lediglich einen zynisch* erotischen Passus etw as ändern, der offenbar im Hinblick auf die gesellschaftliche Stellung der in den Sali verwickelten Dame selbst dem abgebrühten em pfinden der Strafeburger Leser dieser Zeit besonders anftöfeig erschienen war, batte doch schon jene Anzeige bei dem Strafeburger R at vor allem hervorgehoben, dafe d a s Buch wider Gott, gute S itten und Ehrbarkeit geschrieben fei. Die übrigen Abweichungen sind dagegen rein formaler N a tu r1) und stellen nur grammatisch-orthographische Änderungen dar, indem meist ohne näher ersichtlichen G rund2) auch noch die B lätter D 4 (V. 5 5 4 -5 8 0 ), X I (V. 3 2 4 0 -3 2 7 1 ), b l (V. 3 9 8 4 -4 0 3 1 ), b 3 (4086 —4140) sowie der gesamte Scblufebogen f (V. 4663 —4796) ganz oder teilweise neu gedruckt wurden. Die fast durchweg schlechteren Lesarten und die flüchtige Druckanordnung dieser zweiten Sassung lassen dabei auf die Eile schließen, mit der diese Neureöaktion durchgeführt wurde. Obwohl auf diese Weife doch noch ein gewisser Absatz d es W erk es erzielt worden war, scheint Grüninger durch die mißlichen Erfahrungen gewitzigt, für die Zukunft ein geschäftliches Zusammenarbeiten mit M urner versagt zu haben, der dam it diesen letzten ihm treu gebliebenen Strafeburger Drucker verlor und sich von jetzt an nach dem Beispiel so mancher Humanisten eine eigene Druckerei in seinem Rlofter 0 Hierzu gehört auch die Ergänzung bisher fehlender (Seite 13 2 b, B 3 a, B 4 b) und die Umstellung einiger Randleisten der ersten Redaktion (Seite D i a , D 1 b, D 4 a , X 1 b, c 1 b, f 1 a, f 1 b). *) Dur bei Blatt D 4 und X 1 ist die Notwendigkeit des Neudrucks offenkundig, da diese bei dem Sormat des Buches mit den inhaltlich geänderten Blättern D 1 und X 4 zusammenhing.

einrichtete. Vielleicht aber spielten bei dieser Trennung auch persönliche Differenzen mit. D a Grüninger, offenbar unter der Nachwirkung jenes obrigkeitlichen Raufverbots, nicht auf feine Rosten kam, suchte er sich vergeblich an dem Verfasser schadlos zu halten, ebensowenig Erfolg aber batte er mit einem vom 9. Februar 1523 datierten Gesuch, in dem er vom M agistrat der S ta d t eine Entschädigung für die ihm durch die Ronfiskation erwachsenen Verluste forderte.1) Schon diese Bem ühungen deuten daraufhin, daß d a s Buch nicht den erhofften Erfolg batte. In der T at ist in der zeitgenössischen Literatur davon merkwürdig wenig die R ede.2) Die evangelischen Rreife taten d a s Beste, w as sie tun konnten. Sie brachten dem satirischen W erke des Strafeburger F ranziskaners einen passiven W iderstand entgegen und ignorierten diese grobe Verhöhnung d es Luthertums. Dazu ab er kam, dafe in den oberrheinischen Gegenden, wo am ehesten eine Verbreitung zu erw arten war, gerade um diese Zeit der Zwinglianism us festen Fufe gefafet b atte und d a s reine Luthertum im Zurückweichen begriffen war, so dafe dadurch d a s Interesse an polemischen A useinander­ setzungen dieser Art von vornherein geschwächt und auf die neu ausgebrochene Feindschaft zwischen den beiden Schwesterbekenntnissen abgelenkt wurde. In Frage kommt eigentlich nur eine einzige Gegenschrift, die P am pbilus Gengenbach 1523 in Basel herausbrachte und die aller Wahrscheinlichkeit nach diesen humanistisch gebildeten und vielfach dichterisch tätigen Drucker selbst zum Verfasser b a t.3) E s w ar die in mehreren Auflagen !) Jung, a. a. O. S . 77. 8) Unverständlich bleibt mir, wie Rawerau, a. a. O., S. 80 zu der Behauptung kommt, dafe das Gedicht „wider den Spötter eine wahre Flut der heftigsten Ausfälle entfesselte.“ s) Abgedruckt in Scheibles Rlofter VIII, 7 6 5 -7 0 5 und in Goeöekes Ausgabe von Gengenbachs Schriften, S . 2 62 -2 9 1 . Ein Originaldruck dieser Satire in Versen ist dem Münchener Exemplar des „Grofeen Lutherischen Harren“ angebunden. Den B ew eis für die Autorschaft Gengenbachs suchte ß. Rönig im 37. Bd. der Zeitschrift für deutsche Philologie (1905) zu führen. Dagegen F. Stütz, QF 117, 171 ff.

vorliegende „Hovella,“ die auch unter dem Titel erschien: „Ein grausame biftory von einem Pfarrer vnd einem geyft, vnd dem Murner, der sich nempt der Harrenbefcbwerer.a Bier erzählt ein alter Pfarrer in Franken, nachdem er feinem dem Luthertum zuneigenden M ehner eingebend die Schaden der neuen Lehre geklagt bat, daß in feiner Gemeinde vor kurzem ein Bauer mit Hamen Rarftbans gestorben fei, der sieb als ein treuer Anhänger Luthers erwiesen habe. Uber die frage, ob er in den Bimmel gekommen oder zum Teufel gefahren fei, kann man sich nicht einigen. In der folgenden Szene dieses fast dramatisch angelegten Gedichts erscheint nun, wie ein beigegebener roher Bolzfcbnitt auch im Bilde vorführt, dem Pfarrer auf feinem MeHgange ein Geist, und er vermutet, daß es der tote Rarftbans ist. Da zwei eigene Befcbwörungsverfucbe nur zu einem halben Erfolg führen, holt man den weithin bekannten Harrenbefchwörer Thomas M urner herbei, der mit großer freude vom Lode feines alten Seinbes hört: Ist Rarftbans tobt, das ist mir lieb, Er w as ein lächer vnd ein dieb, Er Hat mich gfchändt so fräuelid) 3ü einer Katzen gmachet mich, Vnd Hat wol gwift, das man nit fol Eir Katzen, die ist mütwil vol, Dratten do binden vff den fchwantz, Will er bbalten fein antlit gantz.

Als Murner den auf dem Rircbbofe wiebererfebienenen Geist mit feinem Beschwören schließlich zur Rebe zwingt, gesteht dieser zur allgemeinen Verwunderung, daß er nicht der ver­ storbene Rarftbans, sondern der große Lutherische Harr fei. Infolge feiner noch auf dem Totenbette geäußerten begehrlichen Wünsche könne er im Grabe nicht eher Ruhe finden, bis er nochmals einen großen Harren verschluckt habe. Am nächsten Morgen, als man sich nach anfänglichem Zögern der Begleiter wieder zusammengefunden bat, hält der von neuem erschienene Geist Murner zunächst nochmals alle feine Sünden vor und schlingt ihn dann trotz feines Sträubens hinunter, wie wiederum

ein begleitender Bolzscknitt vor Augen führt. M it einem kurzen Requiem, das der erfreute (Deiner anstimmt und das Bezug auf inhaltliche Vorgänge unserer Satire nimmt, schließt die Sarce, deren Technik und derber ßumor vielfach an das Saftnacbtfpiel erinnert. Abgesehen von diesem selbständigen Werk des pam philus Gengenbacb, das M urners Angriffe nicht ungeschickt pariert, indem es den Dichter schließlich selbst als Opfer des Großen Lutherischen Harren hinstellt und damit zugleich symbolisch das Geschick der päpstlichen Vorkämpfer andeutet, kam einige Jahre später noch der vermutlich aus Wittenberg hervorgegangene Vers­ dialog „Die Lutherisch S trebhaß“ kurz darauf zurück.1) Der Genius, der dort die vom Papst zu seiner Bilfe ersehnten „lieben brüder“ der Reibe nach mustert, erinnert sich unter anderem auch der großen antilutherischen Schrift M urners, die bald nach ihrem Erscheinen konfisziert worden fei: Und als dich kam der schwinde! an, Begund dein Kunst erfürer gan, In der du dich Hast selb gefchent, Der lutrisch groß narr wards genent, 3u Strafeburg durch den rat verbrent. Solch unverfchampte lefterwort Bab ich mein lebtag nie gehört, Als in dem selben büchlein war.

Hachdem in den bisherigen Betrachtungen die historischen Grundlagen, die Druckgeschickte und die Wirkung des „Großen Lutherischen Harren“ untersucht worden find, empfiehlt es sich, nunmehr einen Blick auf das Werk als Ganzes zu werfen und die leitenden Gesichtspunkte von Inhalt und form festzustellen. Dabei wird Gelegenheit fein, die im Vorhergehenden mehr bei­ läufig geäußerten Vermutungen über einzelne Phasen der Ent­ stehungsgeschichte im Zusammenhang mit der Gesamtanalyse fester *) O. Schade, Satiren und Pasquille aus der Reformationszeit, III, 112-135.

zu begründen. Die „fünfzehn Bunbsgenoffen“ eberlins, die Stifel« fekde und d as eintreten M urners für König Beinrick VIII. von engiand sind bereits als die wichtigsten Impulse zur Spracbe gekommen. Aber diese drei historischen Sakta konnten zwar den Sang der Arbeit stark bestimmen und für einzelne Deile der Satire in inhaltlicher und formaler Binficbt von größtem Einfluß sein, jedoch darf mit ziemlicher Bestimmtheit behauptet werden, daß keines dieser entwicklungsgescbicbtlicben Momente aus (ich heraus den Grundgedanken der Dichtung erzeugte. Vielmehr wurde die ursprüngliche Idee der Satire durch diese neu hinzutretenden Motive für größere Partien in den Bintergrunb gedrängt, und die Umrißlinien des ersten Gesamtplanes wurden dadurch nachträglich vielfach verwischt und verdunkelt. Damit sind wir der fra g e näher getreten: W as war der Grundgedanke des W erkes und unter welchen Umständen kam M urner dazu? Wie der Eitel klar zum Ausdruck bringt, sollte die Satire die Beschwörung des großen Lutherischen Darren enthalten. M urner also wollte d as Motiv, mit dem er einst in einer Reibe satirisch« volkstümlicher Dichtungen so großen Erfolg gehabt batte, von neuem vornehmen, um damit die immer weiter um sich greifenden kirchlichen Reformbestrebungen, die er von feinem Standpunkte aus als gefährliche Darr beiten ansah, lächerlich zu machen. Die Gesamtheit der neuen Glaubenslehren sowie das Vorgeben Luthers und feiner Anhänger stellte sich ihm in der allegorischen Sigur des großen Lutherischen Darren dar. D as alte, im Saftnacbtfpiel wie in der akademischen Sitte der Deposition verwertete Motiv des Darrenfcbneibens, d as soeben auch Dikolaus Gerbel im „Eccius dedolatus" mit Glück zur satirischen Analyse der gegnerischen M ängel benutzt batte, sollte geistreich variiert werden, indem der Beschwörer die einzelnen Insassen der großen Personifikation des Luthertums der Reibe nach a n s Lickt bringen und dann die Baltlofigkeit der in ihnen verkörperten Ideen darlegen sollte. W ann aber wäre eine solche Gefamtab« recbnung mit den Lehren und Bekennem des neuen evangelischen

Glaubens für Dbomas M urner begründeter gewesen als im Srübjabr 1521 ? In den letzten M onaten des vorhergehenden Jahres batte er in vier sachlichen Schriften, denen man freilich die steigende Erregung anmerkt, eine Widerlegung der gegne­ rischen Dogmen versucht. Als Antwort darauf war seit Anfang 1521 jene Slut von lateinischen und deutschen Schmähschriften über ihn hereingebrochen. Cr beklagt sich zwar beim städtischen Zensor, beim Rate der S tadt und schließlich in einer öffentlichen Protestation, aber keine Gegenschrift erscheint von seiner sonst doch so federflinken Band. D as amtliche Verbot zur Publikation satirischer Werke, die sich zu den religiösen Differenzen der Zeit äußerten, kann nicht ausschlaggebend gewesen sein. Denn abgesehen davon, daß Murner sich späterhin ebenso wenig wie die evangelische Seite daran hielt, hätte ihm, der wiederholt für längere und kürzere Zeit von Strafeburg abwesend war, die Möglichkeit offengestanden, jederzeit ein W erk ausw ärts auf den M arkt zu bringen. Wenn Murner also in jenen an Reformationsdialogen (o ungemein fruchtbaren Srübjabrsmonaten des Jahres 1521 und auch in der folgenden Zeit schwieg und selbst auf die bissigsten Angriffe nicht antwortete, so war dafür aller Wahrscheinlichkeit nach allein der Grund maßgebend, daß er schon dam als im stillen ein großes satirisches W erk vor­ bereitete, eben seinen „Großen Lutherischen Harren,“ dessen Anfänge entgegen der bisher gültigen Meinung bis in diese Zeit zurückzuführen sind. Ja man kann vielleicht noch einen Schritt weiter geben und eine Bypotbefe für den unmittelbaren Anlaß der Dichtung aufstellen. Wiederholt ist in der Satire von einem Umberfübren des großen Harren die Rede. In Vers 406 ff. erinnert die Titelfigur ihren Beschwörer Murner an die Verfolgungen, denen er von feiten feiner Seinde ausgesetzt war, mit den W orten: Da sie dich Haben malen Ion Recht wie ein Katzen ist formiert V nb mich zü lie b d ir vm b g e fie r t.

Ähnlich beißt es an einer anderen Stelle (V. 3396 —3398)

an der die evangelischen Sturmgenoffen auf ihre gegen Murner verübten Streiche zurückblicken: Darnach Hon wir d en g r o ß e n n a r r e n V m g e fie r e t in d em k a r r e n , Im zü schänden vnd zü schwach.

Ausführlicher wird dann am Schluß der Dichtung davon gesprochen, als es sich darum handelt, wer am Begräbnis des großen Darren teilnehmen soll, vgl. V. 4677 ff. Al, die dem narren fein verwant Vnd mit arbeit vnd mit mie Am n a r r e n Hon g e z o g e n Hie» V m b g e fa r e n m it dem n a r r e n , In der Keltin umbber karren Vnd fein erfroren in dem fchne, Wie thet der nar in also we! W ie fast die roß die arbeit baten, Doch Halffens dem narren von ftaten.

Schließlich spielt auf diesen Vorfall auch der Schlußver­ merk der Ausgabe B an, der mit den Worten beginnt: „Verantwurtung den macber diß bücblins, ftot zürn teil in der vorred1)» w ie sie im d en gr of e n n a r r e n z ü s p o t vmb g e f ü r t etc." Cs scheint somit, daß in der Saftnachtszeit, die schon feit alters in den rheinischen Städten mit großen Darrenumzügen begangen wurde, die Straßburger Gegner M urners ihre gerade in diesen Srübjabrswocben des Jahres 1521 vielfach bekundete Verspottung des Sranziskaners damit krönten, daß sie auf einem von Pferden gezogenen Schlitten eine große Puppe oder dergleichen an den Senftern feiner Zelle vorbeiführten. Die mit spöttischen Reverenzen vorbeidefilierende Sigur mit ihren Anspielungen und überbebenden Gebärden könnte recht wohl der dichterischen Phantasie als Personifikation lutherischen Darrentums erschienen fein und den Grundgedanken der Satire l) In der Vorrede Murners Heißt e s : „so Haben si e. . . . mich für einen grofen mechtigen narren vßgeben.“

nahegelegt haben.1) Gleichviel aber, ob diese Vermutung zutrifft oder nicht, diese ersten acht bezw. zehn Kapitel der Satire, die mit ihren Befcbwörungsfzenen etwa ein Sechstel des Ganzen ausmachen und nach der Bekanntgabe der Ab­ sichten des Verfassers und der Vorstellung des Großen Harren die in feinem Kopfe und in feinen Haschen befindlichen Harren herausbeschworen, nehmen offenbar eine besondere Stellung ein. Der Zon erinnert hier im allgemeinen an (Bumers frühere satirische Werke. Die Angriffe erfolgen noch mit einem gewissen überlegenen ßumor, der noch nicht in die Hieöerungen persönlicher Bosheit und derber Situationskomik herabsteigt. Von der dramatisch gesteigerten, in Rebe und Gegenrede entwickelten Lebendigkeit der Scblufepartien halten sich diese Eingangsabschnitte ebenso fern wie von den vielfach zu objektiver Anschaulichkeit neigenden Mittelteilen. Es fehlt zwar nicht schon hier am Dialog, aber er entfaltet sich noch ohne die scharfe Dialektik der späteren Kontroversen. Wie in zahlreichen anderen didaktischen Werken und in M urners eigenen Harrendichtungen der früheren Zeit hält sich die Diktion der Redenden auf demselben Hiveau: der hinter den Siguren stehende Didaktiker kommt in ihnen gleichmäßig zu Worte. Vor allem aber ist die Polemik gegen Luthers Person hier noch ganz gemäßigt, und die mitunter fast günstige Beurteilung des Reformators, der mehrfach feinen unwürdigen Anhängern gegenübergestellt wird, sticht seltsam von den maßlosen Aus­ brüchen zügelloser W ut in den Scblufopartien a b .2) Dieser Widerspruch erklärt sich ohne weiteres, wenn wir uns daran erinnern, daß Luther erst Ende M ärz oder Anfang April 1521 im Anhang zu feiner Erwiderung auf die Schrift Emfers zum ersten­ mal sich öffentlich gegen M urner aussprach, der bis dahin über *) D as in den Anfangspartien des W erkes mehrfach vorkommende Motiv des Harrenumführens und Harrenschlittens würde damit einen realen Untergrund erhalten. *) Vgl. V. 17 und besonders V. 21: „martin luthers grofe fachen.“ M an beachte auch die mannigfachen stilistischen Parallelen zu der etwa gleichzeitig geschriebenen »Protestation“ (f. Kommentar). ODurners W erke IX.

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die Wirkung seiner antilutberifcben Ducker auf die Person des Reformators selbst im Unklaren geblieben war. Dagegen trafen die anonymen und pseudonymen Angriffe der Anbänger Luthers den Strafeburger (Döncb um so empfindlicher. Ihnen galt in erster Linie seine Gegenwehr. Der Lutherische Harr als Verkörperung des Luthertums, nickt Luther selbst sollte die beherrschende Sigur der satirischen Handlung werden. Da begannen seit dem Spätfrühjahr 1521, wie erwähnt, Cberlins „Bundsgenoffen“ hervorzutreten, um in rascher §olge während des Sommers zu der stattlichen Reihe von fünfzehn zusammen­ hängenden satirischen Schriften anzuwachsen. So unpersönlich sie von Anfang an geschrieben waren und so wenig M urner selbst darin angegriffen wurde, so mochte ihm dock bald die Gefahr zum Bewußtsein kommen, die in der flammenden Beredsamkeit und unerbittlichen Logik dieser weit verbreiteten, volkstümlichen Slugfcbriften lag, die zudem mit ihren immer wiederholten Angriffen gegen die Bettelorden indirekt auch die persönlichen Lebensverhältnisse des Sranziskaners bedrohten. Indem der lockende Gedanke, auftauchte, die Reformideen Cberlins durch eine parodistiscke Verdrehung in den Augen der Menge lächerlich und damit unschädlich zu machen, knüpfte sich an die bisher fertige Gingangspartie der Satire ein neuer, in sich geschlossener Komplex von etwa 900 Versen an, der anstelle jenes Grundmotivs der Beschwörung die Parodie als beherrschendes Stilmittel setzte. Auf die gegen M urner gerichteten Schmäh­ schriften wird zwar mehrfach angespielt, im ganzen aber hält sich dieser vermutlich im Laufe des Sommers und Herbstes 1521!) entstandene 'Cell (V. 833 — 1709), der mit einem Wortspiel (Bund­ genosse —Bauckgenosse) an das Vorhergehende angeschlossen wird, frei von persönlicher Satire. Bald in engem Anschluß an ‘) Cine Bestätigung findet diese Datierung durch eine Stelle in Cberlins Schrift „Syden frumm, aber troftlofe pfaffen klagen ire not“, die vermutlich zu Anfang 1522, nach Panzer (Hr. 1208) und Weller (Dr. 1738) sogar noch 1521 erschien. Cberlin, der an seinem neuen Aufenthaltsorte Wittenberg durch Berichte a u s Strafeburg von M urners

die textliche Grundlage Cberlins, bald mit liebevoller und völlig selbständiger A usm alung der Situation werden einzelne Grundsätze und Cebren des G egners herausgehoben und mit Vorliebe in ihren absurden Konsequenzen beleuchtet. Gin Unterton ernster Sorge um d a s fortbestehen der alten Kirche klingt unverkennbar durch. Oft genug aber führt nicht der dogmatisch interessierte Widersacher d es Luthertums, sondern der alte Schalk der „ Narrenbeschwörung" die feö er, der in humo­ ristischen Augenblicksbildern mit B ehagen feiner P hantasie die Zügel schießen läßt. W ann M urner diesen parodierenden Teil seiner S atire beendete, läßt sich bei dem M angel aller brieflichen M itteilungen, die Aufschluß geben könnten, natürlich nickt genau bestimmen. Hur soviel ist sicher, d aß d a s dam it hereingekommene M otiv, freilich nunmehr ohne den parodiftifcben C harakter, bei der ferneren Arbeit an dieser Schrift beibehalten wurde und d a s alte Grundmotiv der Beschwörung zunächst völlig in Vergessenheit geriet. Die fünfzehn Bundsgenossen, die als Vorkäm pfer des Luthertum s auftraten, erscheinen dem Ver­ fasser als Kerntruppe eines aufrührerischen ßeeres, dessen weitere Bestandteile und Organisation er sich in phantasievoller Weise ausm alt. Z w ar die Landsknechte (V. 1710 ff.) versagen dem evangelischen „Bundschuh“ bald die Gefolgschaft, da ihnen kein Sold ausgezahlt wird und sie von ihrem Schwören und fluchen bei den Beiligen nicht lassen mögen. D afür ab er treten literarischer Absicht gehört haben mochte, schreibt dort (Neudrucke deutscher Literaturwerke des XVI. und XVII. Jahrhunderts» Nr. 170-172, S . 74): Wir wollen wol vnuerweret bleiben, wo wir einen verfchwigenen Büchdrucker fünden, wie auch die XV Bundtgenoffen gehabt haben, deren Handlung noch verfchwigen ist, vn d w ie e in D o c tn a r r zü f r e y b u r g (a ls m an sagt) w id e r sye schreibt, ligt nit daran, sye sollen jm wol antworten, wann auch Karsthans zü jn gefallen ist, feder vnd flegel fügen wol zejammen. - Cinen weiteren B ew eis scheint V. 850 ff. zu enthalten, w o Certufian im Anschluß an eine Stelle in Cberlins erstem Bundsgenoffen zwar als Erzieher Karls V. behandelt wird, Murner aber mit keinem Worte der am 9. Januar 1522 erfolgten Papstwahl dieses M annes gedenkt.

in den drei folgenden Abschnitten zu dem bisher vorhandenen Sufevolk drei Reisige (V. 1816 ff.), die mit spöttischer Namen­ verdrehung, mit lügnerischen Behauptungen und Spottschriften den Gegner zu bezwingen suchen.1) Gin Lumpentrotz (V. 2017 ff.), der sieh aus den trügerischen Scheingründen der Lutheraner zusammensetzt, beschließt vorläufig den Mannschaftsbestand der feindlichen Armee. Die folgenden Abschnitte (V. 2103 —2478) befassen sich mit der Sübrung und den Seldabzeicben dieses neugebildeten reformatorifeben ßeeres. Luther wird zum Bundeshauptmann gewählt. D as §utzvolk bekommt ein Säbnlein mit der Aufschrift des Evangeliums, die Reiter sollen im Zeichen der christlichen Sreibeit Kämpfen, während der Trotzabteilung das Abzeichen der W ahrheit für ihre Sahne zuerkannt wird. Gegen diese Ver­ teilung der kriegerischen Embleme des Bundschuhs aber protestieren die Anhänger des alten Glaubens, die die Banner der W ahrheit, des Evangeliums und der Sreibeit vielmehr alter Tradition gemäß für sich beanspruchen. Soweit mochte M urner im weiteren Verfolg des neuen, ihm durch die fünfzehn Bundsgenossen nahegelegten Grundmotivs gekommen sein, das als Leitidee anstelle der Beschwörung eine kriegerische Unternehmung vorsah, als wiederum ein per­ sönliches Erlebnis in den Gang der Handlung eingriff. Seit Anfang 1522 trat Murner, wie früher erwähnt worden ist, in jene literarische Sebde mit Michael Stifel, die sich bis in den Spätsommer hinein hinzog. Wie die Reformationssatire über­ haupt gern mit Namenverdrehungen und Wortspielen arbeitete und man zu M urners größtem Leidwesen immer wieder seinen l) Da die Verse 1913 ff. und 1961 ff. bereits auf Augsburger P er­ sönlichkeiten anspielen (vgl. den Rommentar), Murners Anwesenheit in Augsburg sich aber erst von Anfang April 1522 an belegen lätzt (s. o.), scheint es, datz die Arbeit nach längerer Unterbrechung erst im Srühjahr 1522 an dieser Stelle wieder aufgenommen wurde. Daneben freilich ist mit der Möglichkeit zu rechnen, datz diese Partien später hier ein­ geschoben wurden oder Murner schon von einem früheren Augsburger Aufenthalte her solche Rentniffe besah.

eigenen V atersnam en verunstaltet batte, so ergriff er, a ls diese Auseinandersetzung immer heftigere Sormen annahm , die sich ihm bietende günstige Gelegenheit, auch seinerseits dieses satirische Stilm ittel anzuwenden und a u s dem Hamen Stifel die nahe­ liegenden bildlichen Konsequenzen zu ziehen. D as aber führte ihn bei der Arbeit an der S atire „Von dem Großen Lutherischen H arren w dazu, auf einmal wieder, freilich auch nur episodisch, d a s ältere Rabm enm otiv der Beschwörung neu aufzunehmen. B atte M urner in den Eingangskapiteln die gelehrten Harren a u s dem Baupte, die G egner d es kirchlichen Besitzes a u s den Taschen d es großen H arren beschworen und weiterhin die fünfzehn Bundsgenossen im Bauche desselben lokalisiert, so schiebt er jetzt nach einer Unterbrechung von etw a 1700 Versen mit Beziehung auf Michael Stifel ein Kapitel (V. 2479 ff.) ein: „wer dem grofen narren in den schuhen sitzt." Auch in den folgenden drei Abschnitten (V. 2631 —2836) behält er diesen G rundgedanken bei, indem er, zum Teil auf recht derbe Weife, den Karsthans und zwei Gicfoenbeinzen a u s dem Leibe d es großen H arren hervorgehen läßt und schließlich die in den Ohren desselben sitzenden H arren beschwört1). M urner mochte selbst merken, d aß dieser Komplex von etw a 350 Versen den Gang der einmal eingeschlagenen Entwicklung unterbrach. Zw ar w ar e s durchaus nicht feine Art, auf die Komposition eines W erkes im G anzen zu achten. S o liebevoll er die Einzelsituation auszum alen geneigt ist, so wenig kümmert er sich gewöhnlich um den organischen Zusam m enhang der Teile. Bier aber ver­ suchte er doch die beiden im Widerspruch stehenden R ahm en­ motive wenigstens äußerlich zu verbinden, indem er sie einander subordinierte. Auf die mit den neuen Beschwörungsakten ein­ geführten Siguren wird nämlich V. 2479 ff. mit der Bem erkung 9 Da in der StifelfeHde jenes Wortspiel erst in der Anfang September 1522 erschienenen „Antwurt und klag" zur Anwendung kommt und Murner erst nach den persönlichen Angriffen der Gegenpartei auch seinerseits zur persönlichen Satire überging, scheinen diese Kapitel nicht vor dem Sommer 1522 entstanden zu sein.

hingedeutet, daß die bisherigen D undestruppen noch genügen und weitere Mannschaften erwünscht sind:

nicht

§ünfftzehen Knecht vnd drei zü ratz, Mit solchem lumpenwerck vnd trotz Ist fürwar nit gnüg zürn streit, W ir m üsen H aben m e d er lü t .

Hach dieser Bereicherung des B undesheeres mit ihrer vorübergehenden Neuaufnahm e des älteren Örundmotivs der Beschwörung aber kehrt M urner dann doch wieder zu der bereits weite Strecken der S atire beherrschenden Vorstellung einer kriegerischen Aktion zurück1)- Zunächst gilt es noch einige vorbereitende Bandlungen vorzunehmen (V. 2837 —3180). Die Truppen werden von dem Bauptm ann auf eine möglichst schonungslose Rriegsführung vereidigt, die Trommelzeichen er­ tönen und Vorschriften, wie m an den Aufruhr allenthalben schüren kann, werden erteilt. Dann ab er erfolgen drei Sturm ­ angriffe (V. 3181 ff.). Der erste wendet sich gegen ein Rloster, d a s vollständig ausgeplündert wird. Der zweite richtet sich gegen ein Schlotz, d a s gute Beute verspricht, in dem man aber zur größten Enttäuschung nichts als eine S a u findet. Am schwierigsten aber gestaltet sich der Angriff auf die Bauptfefte, die von M urner selbst zäh verteidigt wird. D a man weder durch Sturm noch durch Belagerung die Ü bergabe erzwingen kann, versucht m an durch Verhandlungen den W iderstand zu brechen. Aber M urner a ls Verteidiger des päpstlichen G laubens will sich auf keine Auseinandersetzungen mit W orten mehr einlassen. Erst a ls Luther nach erneuter B eratung mit seinen 1) freilich ist wiederum mit der Möglichkeit zu rechnen, daß entstehungsgeschichtlich und ursprünglich sich das Rapitel „Dem Hauptman schweren“ (V. 2837 ff.) unmittelbar an V. 2478 anschloß. Da die dazwischenliegende Beschwörungspartie auch im Ton Herausfällt und mehr der derben und persönlichen Satire der Schlutzpartie entspricht, möchte ich dies fast annehmen. Damit würde auch die Schwierigkeit fortfallen, datz Murner im Spätsommer 1522 erst etwa die ßälfte des W erkes abgeschlossen hätte und trotz der neuen Schriften für Rönig ßeinrich VIII. in etwa einem Vierteljahr weit über 2000 Verse zum Abschluß seiner Satire gedichtet haben müßte.

Getreuen zur Versöhnung des gefährlichen Seindes diesem feine Tochter zur Che anbietet (V. 3707 ff.), ist ODurner, beglückt durch diesen Vorschlag, zu einer Aufgabe seiner Gegner­ schaft bereit. Damit aber nimmt die ßandlung wiederum eine völlig neue Wendung, die äußerlich zwar dadurch leidlich begründet ist, daß die auf einen toten Punkt gekommene kriegerische Aktion einen Ausweg verlangt. Im Grunde aber kam, von der frei schaltenden und von technischen Bedenken ungehemmten Phantasie des Dichters nur lose angeknüpft, abermals ein neuer Vorstellungskomplex in die Satire hinein, der zu dem Grundmotiv der Beschwörung nicht in dem geringsten Zusammen­ hang steht, aber auch viel zu ausgedehnt und selbständig ist, um als organischer Abschluß der vorhergehenden Bundschuhs­ unternehmung gelten zu können. Vielmehr tritt mit ihm ein dritter ßandlungsftamm auf, der in inhaltlicher und formaler Beziehung ein besonderes Interesse für sich beansprucht. Aus der Sphäre der allgemeinen Gegensätze der beiden Rircben gelangen wir in den Bereich der persönlichen Differenzen (Durners und Luthers, die für längere Strecken einander gegenüber­ gestellt werden. Ja man könnte fast sagen, die satirische ßanölung wird hier zu einem tragikomischen Samilienftück, das nach der Weise des Saftnachtfpiels in rasch wechselnden Augenblicks­ bildern von packender Anschaulichkeit und derber Romik dem Schlußeffekt zustrebt. Dabei klingt ein schneidender, höhnender Ton aus diesen Abschnitten, die cynifcb das ßeiligfte des persönlichen Lebens, Che und Samilie, in den Staub ziehen und vor keiner Gemeinheit zurückschrecken. Diese Partien sind zweifellos erst im ßerbft 1522 entstanden, als (Durners eintreten für Rönig ßeinrieb VIII. von England ihn nochmals in den Bereich der religiösen Rümpfe zurückführte und in mehr oder weniger unmittelbare Beziehungen zu Wittenberg und dem Reformator selbst brachte. Die von Anfang an ungemein scharfe Polemik jenes Streites, die auf beiden Seiten grobe Schimpf­ worte und niedrige Verdächtigungen ohne Bedenken anwendet,

erhält in diesen Szenen des „Grofeen Lutherischen H arren“ ihr satirisches Gegenstück. Z w ar fehlt es auch hier nicht an dogmatisch abhandelnden Stellen, ab er die M ehrzahl der Verse ist doch von dramatischer Handlung und lebendigster Dialogführung erfüllt. S o schnell M urner (V. 3720) bereit ist, Luthers Tochter zur f r a u zu nehmen, so sehr scheut er anfangs vor der dam it verknüpften Bedingung zurück, selbst zum Luthertum überzutreten. Erst a ls ihm die Grundsätze des „Lutherischen O rd en s“ eingehend dargelegt worden sind, wobei vieles in früheren Abschnitten Erörterte nochmals zur Sprache kommt, ist auch er für die neue Lehre gewonnen, freilich gebt diese W andlung für den bisherigen Verfechter des alten G laubens merkwürdig rasch vonstatten. Doch darf m an in der satirischen Dichtung, die mit der gegebenen W elt in toller Laune schaltet, nicht ängstlich nach psychologischer folgerichtigkeit fragen. Hiebt die künstlerische M otivierung, allein der Effekt gibt hier den Ausschlag, nachdem dann M urner der Tochter Luthers im Mondschein ein Ständchen dargebracht bat (V. 3980 ff.), wohnen wir der Hochzeit des P a a r e s bei, auf der sich der B räutigam an seinen ehemaligen lutherischen Verfolgern durch einen Schabernack rächt, indem er den zahlreich erschienenen Hochzeitsgästen in einen M andelkuchen eingebacken jene „Bruch“ vorsetzt, die in der satirischen Literatur gegen den Strafeburger fra n z isk a n e r immer wieder eine Rolle spielt.1) Als nach dem Essen getanzt wird, beteiligt sich auch M urner nach anfänglichem Zögern in feiner Rutte an den ausgelassenen Tänzen. Eine herbe Enttäuschung aber wird ihm zuteil (V. 4241 ff.), als ihm am Abend im Brautgem ach Luthers Tochter die verschämte M itteilung macht, dafe sie den „grindt“ habe. Trotz ihrer flehentlichen Bitten jag t er sie in höchster W ut von sich. Seinem Schwiegervater Luther gegenüber erklärt er die Ehe für nichtig, w as um so leichter angebe, da sie nach evangelischer Lehre ja doch kein S akram ent sei. Durch eine solche Rränkung seiner fam ilienehre schwer getroffen, fühlt Luther sein letztes Stünölein gekommen (V. 4316 ff.). Da er sich ab er weigert, von der angebotenen Beichte *) Vgl. meinen Rommentar zur Vorrede Murners s. v. brüch.

und den Sterbesakramenten Gebrauch zu machen, laßt Murner den Toten wie ein A as in die Abfallgrube werfen und ihm an den Seelmeßtagen eine Katzenmusik darbringen, die er selbst dirigiert. frivoler und derber konnte der satirische Spott mit dem Gegner nicht getrieben werden. Reine der zahlreichen Reforma* tionsfatiren sinkt auf ein so tiefes Niveau herab.1) Und doch mutz man gerechterweise zugeben, daß bei aller haarsträubenden Derbheit und frivolität die Art und Weife, wie Murner hier die Weigerung des Luthertums» Che, Beichte und letzte Ölung als Sakram ente gelten zu lassen, persifliert, den Witz und Geist des sranziskaners nicht verkennen läßt. Der Grobianismus dieses ganzen Zeitalters brachte hier in einer satirisch glänzend veranlagten Persönlichkeit ein W erk hervor, dessen abstoßende Züge nur durch den weiteren historischen Zusammenhang in das rechte Lickt gerückt werden. Damit aber beantwortet sich auch die frage, welche Rolle die figur von Luthers Tochter in diesen Szenen spielt. Natürlich kann damit nicht, wie Gervinus seinerzeit wollte, eine Verspottung der Che des Reformators gemeint fein, der erst drei Jahre später feinen Bund mit Ratharina von Bora einging. Aber ebensowenig halte ick die allegorische Deutung für richtig, die vielfach angenommen worden ist. Wenn Rurz,2) Ciebenau3) u. a. darunter Luthers Ruhm verstehen wollen, an dem Murner teilnehmen möchte, so spricht dafür weder der Zusammenhang noch des sranziskaners ganze Art, dem man eine solche fade Allegorie feines sicherlich vorhandenen ehrgeizigen Strebens kaum zutrauen kann. Nock unglücklicher rät B alke4) und ihm folgend *) In Vergleich kommt Höchstens der freilich mehr pornographische „(Dönchshurenkrieg “ (ODonachopornomachia) des Simon Cemnius vom Jahre 1539, der sich in zynischer Weife mit dem ehelichen Leben Luthers und feiner freunde befaßt (vgl. p . M erker, Simon Cemnius ein ßumaniftenleben Straßburg 1908, S. 69 ff.) *) ß. Rurz, Ausgabe des Großen Lutherischen Narren, S. XXXV. 8) Ciebenau, a. a. O. S. 190. 4) Deutsche NationakCiteratur, Bd. 17,*, S. 4.

neuerdings Lefftz*), in dieser Gestalt eine Personifikation der reformierten Rircbe zu sehen. Abgesehen davon, daß auch diese Deutung in dem Texte selbst nicht die geringste Stütze findet, würde sie zu den geschichtlichen V orgängen schlecht passen. G erade in der Zeit, a ls (Durners S atire hervortrat, w aren die Differenzen zwischen dem Luthertum und dem Zw inglianism us zu einer Schärfe gediehen, die zeitweise fast den fundam entaleren Gegensatz zur katholischen Rirche zurücktreten liefe. W enn M urner mit einer spöttischen Allegorie dam als den reformierten Glauben hätte treffen wollen, würde er in diesen Jahren stärkster Seindfcbaft zwischen den beiden evangelischen Schwester­ bekenntnissen fast den strengen Lutheranern einen Gefallen erwiesen haben, denen in der Tat die freiere form des schweizerischen G laubens a ls eine Entstellung d es Evangelium s erschien. Vielmehr entspricht es M urners phantasievoller, aber niem als zu leerer Abstraktion geneigter Art, diese Sigur ohne jede allegorische Deutung a ls A usgeburt feiner tollen Laune aufzufassen. W ie er unm ittelbar darauf die Beichte und die Sterbesakram ente zur Beleuchtung der ketzerischen evangelischen Anschauungen hereinzieht, so lag ihm daran, die lutherische W eigerung, die Ehe a ls sakram entale Institution anzuerkennen, in einem drastischen Sali lächerlich zu machen, bei dem der feierlich geschlossene Ehebund ohne w eiteres wieder gelöst wird, neb en b ei natürlich lag auch eine Verhöhnung Luthers darin, der gewissermaßen noch in seinen Rindern gestraft wird. nachdem Luther tot ist, lenkt die S atire schließlich wieder in d a s A usgangsm otiv zurück, um dem W erke wenigstens äußer­ lich eine gewisse Abrundung und einen entsprechenden Abschluß zu geben. Auch der große n a r r wird krank (V. 4507 ff.) und stirbt, nachdem er eine alte Begine, die ihm M urner zur pflege und zum Troste sandte, verjagt hat. Bach seinem Tode und feiner ehrenvollen Bestattung ab er erhebt sich (V. 4721 ff.) um feine Hinterlassenschaft ein S treit zwischen Luther, der auf einmal wieder auftaucht, und den Verfassern der anonymen und i) Lefftz, a. a. O. S. 169.

pseudonymen Schmähschriften. Da erscheint M urner — und zwar der Dichter selbst, nicht die von ihm geschaffene Figur der Satire — sozusagen auf der Bühne seines dramatischen Spiels, um den streitenden Crben mit schalkhafter Mine und der ihm eigenen Selbstironie zu erklären, daß er als Verfasser der vorhergehenden Darrensatire selbst den grössten Anspruch auf die hinterlassene Darrenkappe des großen Lutherischen Darren habe. So wenig organisch sich somit der Aufbau dieses W erkes darstellt und so notdürftig die drei übereinander lagernden Bandlungsschichten (a. Beschwörung des allegorischen großen Darren, b. Parodie der fünfzehn Bundsgenossen Cberlins und kriegerische Aktion, c. Samilienkomöhie.) unter sich verbunden sind, so packend anschaulich, ja meisterhaft ist fast durchgängig die €inzelfcbilöerung. Der unruhigen, temperamentvollen und jeder Augenblickseingebung folgenden Dafür des Straßburger Franziskaners war es nun einmal nicht gegeben, in woblüber* legier und sorgsam abwägender Disposition ein Bedanken* gehäude aufzurichten. Um so kraftvoller und bildhafter aber weiß feine lebhafte Phantasie und die ihm zur Verfügung stehende sprachliche Gewandtheit die einzelne Situation zu gestalten. Saft nirgends finden wir bei ihm jene langatmigen dogmatischen Deklamationen, die sonst die polemische Literatur der Reformation auf weite Strecken beherrschen und selbst in den satirischen Dialogen dieser Zeit oft tonangebend sind. Wie schon in den Darrendichtungen seiner früheren Zeit versteht es M urner vielmehr auch hier, die trockenen Lehren in vollfaftiges, frisch pulsierendes Leben umzusetzen. Ungemein scharf erfaßt er den einzelnen Vorgang. Sür seine rege Einbildungskraft sind die auf­ tretenden Figuren keine bloßen Schemen, sondern Gestalten von Fleisch und Blut, deren Bandlungen und W orte von innerer W ahrheit erfüllt sind. Damentlich in den fünfzehn parodierenden Abschnitten tritt diese Gabe anschaulichster Situationsschilderung und packender Charakteristik oft köstlich zutage. Aber auch in den späteren Capiteln bewährt sich diese Runst. In wie drastischer

Weife und zugleicd mit welch feinem Stilgefühl weiß M urner z. B. die Weigerung der Landsknechte, an dem revolutionären Kriegs­ zug teilzunehmen, den Lesern feiner Satire vorzuführen (V. 171 Off.). Als ein arm es junges Blut (Ich arm es blutlin) ist „Bruder Veit“ nur „mit einem Stück B rot“ in der Cafcbe „mit großer Eile“ aus Spanien und Srankreicb, wo er in fremdem Solde focht, nach feinem „Vaterland“ Deutschland gekommen, da er von einer „großen Hot dort hörte“ und auch seinerseits an dem allgemeinen Aufruf aller wehrhaften M änner („W as spieß vnd ftangen mögen tragen, das fol als lauften zü der wer“) teilnehmen wollte. Wie groß ist aber feine Enttäuschung, als sich alles dies a ls ein mönchischer Schwindel (ein münebes tand) herausstellt und noch dazu der erhoffte Sold ausbleibt. Seiner ehrlichen zufahrenden Landsknechtsnatur widerstrebt das hinterhältige Wesen, das sieb in dem anonymen Vorgeben der lutherischen Vorkämpfer ausfpriebt („D as ist kein redlich manlicb bat, die man verborgenlicb begat!“). Auch ist es ihm nicht recht, daß sie dem jungen eben zur Regierung gekommenen Kaiser und dem ganzen heiligen römischen Reich feindlich gesinnt find: „D as verbiet mir got vff erden, das ich erst folt zum fcbelmen werden vnd wider mein erboren reich in kriegen folt erbeben meieb!“ Und dies gerade jetzt, wo der tü rk e „hart vor der Eür liegt“. Von all den neuen Reform« Vorschlägen, die nur die alte Ordnung stören, will er nichts wissen. Besonders aber erbost es ihn, daß man die Beiligen alle „aus den Kirchen werfen“ will. Zu wem soll er in Zukunft in allen Böten des Leibes und Lebens beten? Bei wem soll er vor allem fluchen und schwören, wenn St. Georg, St. Jakob, St. Veit, St. Valentin und andere Beilige des Rriegerftanöes nicht mehr in Geltung find? Und wie um sich zu vergewissern, daß das Sluchen noch in der alten Landsknechtsweife gebt, macht Bruder Veit zum Schluß feinem Zorn gegen die ruchlosen neuerer in einer langen Reibe derbster Slücbe Luft. Überwiegt diese Neigung zu plastischer Detailfcbilberung und realistischer Kleinmalerei begreiflicherweise in den didaktischen und epischen

Partien der beiden ersten Drittel der Satire, so kommt im Schlußteil des W erkes die unverkennbar starke dramatische Begabung des Verfassers zum Ausdruck, der nicht umsonst dem alemannischen Boden, also einer der Bauptkultftätten des früh« neuhochdeutschen Volksfcbaufpiels, angehört. 3 war fehlt es schon in den früheren Abschnitten nicht an dialogischen Partien und szenischen Momenten. Bier aber wird Rede und Gegenrede zum beherrschenden Stilfaktor. Von Vers 3423 an könnte man mit geringfügigen Streichungen recht wohl den ganzen Schluß der Satire nach der primitiven Weise des Saftnocbtsfpiels zur Aufführung bringen. Dieselbe Rraft und Plastik, die die Schilderung und Darstellung der Satire im ganzen auszeichnet, spricht im einzelnen auch aus dem Stil und der Sprache des W erkes.1) Bier kam dem Dichter der Spracbcbarakter feiner Beimat, der nieöeralemannifch-elsäffiscbe Dialekt, entgegen, der im ganzen noch vielfach auf mittelhochdeutscher Entwicklungsstufe stehend sich ein besonders urwüchsiges und bildhaftes Gepräge erhalten hatte und auch in der schriftsprachlichen Prägung durch und durch volkstümlich geblieben war. Indem M urner diese Sprache des alemannischen Volkes von feinen jahrelangen W anderzügen im Elsaß und in der Schweiz und aus engster Kühlung mit allen Schichten der Bevölkerung auf das genaueste kannte, bot sich ihm ein formales Medium dar, das mit Leichtigkeit alle feine Gedanken und Vorstellungen in ein sprachliches Gewand kleidete und jeder Regung feiner offenbar ungemein stark assoziativ ar­ beitenden Phantasie *) folgte. Ohne allzusehr nach einer perfön*) 3ur Sprache (Durners vgl. Sranz S tir iu s , Die Sprache Thomas (Durners, 1. Teil, Lautlehre, Ball. Differt. 1891. — Ernst V o ss , Der Genetiv bei Thomas Murner, Leipz. Differt. 1895. — Tiefgehender als diese beiden im wesentlichen aus äußerlichen Zusammenstellungen bestehenden Arbeiten find zwei neuere hierher gehörige Publikationen: Virgil M o ser, Bift.-grammot. Einführung in die frühneichochdeutfchen Schriftdialekte, Balle 1909, und Gustav B e b e rm e y e r, Murnerus Pseudepigraphus, Gotting. Differt. 1913. *) Vgl. z. B. die Anm. z. V. 1394.

Heben Sormgebung seiner Ideen zu streben, genügt auch ihm wie den meisten Schriftstellern jener mehr kollektivistisch als individua­ listisch empfindenden Zeit dieses sprachliche M aterial der breiten Masse vollkommen, zumal er gerade auf diese te ile des Volkes wirken will. Nicht zu vergessen ist dabei, daß der Settelorden der sranziskaner von jeher die drastisch eindringliche Buß­ predigt und volkstümliche Sittensatire pflegte und damit M urner auch von dieser Seite für die Narrendichtungen feiner früheren Zeit wie für feine große Reformationssatire vorbereitet war. Die Elemente des volkstümlichen S tils 1). Sprichwörter und fpriebwortartige R edensarten2), formelhafte Ausdrücke und synonyme Zusammenstellungen, Kraftworte und drastische Ver­ gleiche, gehäufte Negationen und Hyperbeln, Anakolutbe und Wiederholungen, Slücbe und Verwünschungen, Beteuerungen und Interjektionen, frag en und Ausrufe kommen reichlich zur Anwendung, typische Wendungen und ganze Verse kehren unbedenklich wieder. Weit davon entfernt, die Bedankenreihen rasch vorzuführen und nach der Art des höheren Stiles mit bedeutsamer Prägnanz aneinanderzuketten, bleibt die Dar­ stellung nach der Art des volkstümlichen Erzählers und po­ pulären Kanzelredners gern länger bei einer Vorstellung stehen, sucht sie aber durch immer neue Variationen des Ausdrucks und gehäufte Vergleiche besonders eindringlich und lebhaft zu gestalten. Niemals ist der Verfasser um ein W ort oder eine Wendung verlegen. Ceicbt und selbstverständlich fließen die Sätze einher, zwanglos reiben sich die Verse in schier unauf­ haltsamem Sluß aneinander. Ob gelegentlich kleine Wider­ sprüche unterlaufen, macht dem federflinken Sranziskaner kein Kopfzerbrechen. Im Gegensatz zu Sebastian Brant, der auch im Stil, in der W ortwahl und in der Art seiner Vergleiche auf Schritt und t r i tt den humanistisch gebildeten Belehrten verrät, *) Vgl. die Zusammenstellungen von Lefftz, a. a. O. S . 20 ff.

*) Vgl. die zahlreichen hinweise des Kommentars auf Wanöers Sprichwörter-Cexikon. ->) Vgl. den Kommentar zu V. 2540, 2713, 3216, 3457, 4731.

bleibt M urner durchaus im Vorfteilungsbereicb des gemeinen M annes. Abgesehen von ein paar landläufigen und in der polemischen Literatur der Zeit immer wiederkehrenden Zitaten aus der Vulgata und den sinnlosen lateinischen Stoshein eines Zauberfprucbs (V 210 ff) vermeidet er fremdsprachliche W orte nach Möglichkeit1). Die textlichen Anspielungen auf einige Stellen in Schriften Luthers und Rarlsftadts sind so gehalten, daß sie auch ohne Kenntnis der Beziehungen dem naiven Leser verständlich sind, und in der Tat bat bisher niemand daran Anstotz genommen, obwohl der tiefere Sinn dieser Verse erst in dem Kommentar zu dem vorliegenden W erke klar hervortritt. Selbst die große parodiftifcbe Partie setzt keineswegs die Kenntnis der Eberlinfcben Slugschriften voraus. Bringt Brant seine biblische, antike und kirchenhistorische W eisheit nur zu gern an den M ann, so hält M urner mit Glück fast alles fern, w as der Auffassung des Laien verschlossen ist. Der Vergleich des großen Darren mit dem trojanischen Pferd und ein halb« humoristischer ßinweis auf die Scbmäbreöen der verlassenen Dido, der sich noch dazu in der Vorrede findet, sind die einzigen Brocken, die der ehemalige Virgilüberfetzer au s dem Schatze feiner nicht unbedeutenden Altertumskenntnisse beisteuert. Die beiläufige Erwähnung der konftantinifcben Schenkung und der goldenen Bulle, auf die auch sonst in der volkstümlichen Dialogliteratur der Zeit oft genug angespielt wird, sowie der kurze ßinweis auf die kirchlichen Autoritäten Thom as von Aquino, Duns Scotus, Nikolaus de Lyra und Papst Calixtus II. sowie die wiederholte Berufung auf Gerbels lateinische Satiren bedeuten bei dem Umfang des W erkes von fast 5000 Versen wahrlich keinen großen Aufwand an gelehrtem Rüstzeug in einer Zeit, die nur zu gern mit wirklichen oder vorgeblichen Kenntnissen zu prunken geneigt war. *) Die von Bebermeyer. a. a. O. S. 87 zitierten Srembworte sind trotz ihrer fremdsprachlichen ßerkunft in der Sprache der Zeit durchaus populär und kehren vielfach auch sonst in der volkstümlichen Dialogli» teratur wieder.

Dafür aber tritt d as Interesse für alles, w as d as Volk angebt und dem Empfinden und Vorstellungsvermögen des gemeinen M annes entspricht, um so deutlicher zutage. In dieser Hinsicht darf die Satire .Von dem großen Lutherischen H arren“ ebenso wie die .Harrenbeschwörung “ M urners als ein wertvolles Kultur­ dokument für die Sprache und Sitte der Zeit gelten. Raum ein Vers, in dem nicht offenkundig oder verborgen d as eminente Verständnis dieses elfäffifcben Bettelmöncbes für volkstümliches Denken und Süblen, Siebgeben und Sprechen hervortritt. In den vielfach an die Weife des Saftnacbtfpiels gemahnenden Selbstein­ führungen der monologisierenden Personen, in den treuherzigen Sormen der Anreden und Begrüßungen, in der Anwendung einfacher typischer Beiworte (lieb, bös, fründtlicb, frum usw.), in der W ahl der Bilder und Vergleiche, in der Heigung zu Deminutivbildungen und zahlreichen anderen Stileigenbeiten der Satire gibt sich dies immer wieder von neuem kund. Abgesehen von solchen sprachlichen Vulgarismen sorgen zahl­ reiche Anspielungen volkskundlicher Art dafür, daß dieser Zusammenhang mit dem seelischen Leben und Empfinden des Volkes keinen Augenblick in Vergessenheit gerät. Heben der großen M enge von Sprichwörtern, die a ls eine der Baupteigenbeiten Murnerfchen Stils auch hier gern einer individuellen Behauptung oder W ahrnehmung d as allgemeingültige Siegel ausdrücken, fehlt (V. 1660) eine allbekannte priam el nicht. Auf die Sabel vom Wolf und den Schafen (V. 983 ff.), auf d a s Märchen vom Schlaraffenland (V. 2628), auf einen Streich des Pfarrers vom Rahlenberge (V. 1605), auf die Geschichte vom Bärenhäuter (V. 741), auf den auch als Saftnacbtfpiel bearbeiteten Schwank von dem schwangeren Bauern (V. 932) wird ange­ spielt. Gestalten au s einigen allgemein bekannten Slugschriften der Zeit (V. 2631 ff, 4741 ff.) sowie ein p aar komische Siguren a u s B rants vielgelesenem .Harrenschiff“ werden erwähnt. In den Bereich des Volksaberglaubens weift ein kurzer deutscher (V. 356 ff.) und ein längerer, freilich karikiertgebildeter deutschlateinischer Zauberspruch. D as Volkslied, d as auch sonst viel-

fad) in sprachlichen Einzelheiten seine Spuren hinterlassen bat, wirb in dem Hacbtstänbcben, b as M urner Luthers Tochter bringt (V. 3992 ff.), mit Glück nachgeahmt ‘). Verfcbiebene volkstümliche Tänze ber Zeit werben bei Gelegenheit von M urners Bocbzeit genannt (V. 4187 ff.). Ein alemannischer Volksscherz (V. 1326 ff.), ber bie zahlreichen elsässisck-schwäbifcben Ortsnamen auf «wangen betrifft, wirb verwertet. Von einigen lokal- unb {tabtgefcbicbtlicben Vorgängen aus ber unmittel­ baren Vergangenheit (V. 762 ff., 1898 ff.) ist kurz bie Rebe. Weiterhin wirb auf einzelne Volksbelustigungsstätten ber Strafebürger, wie bie „Mefeiger Auen“ vor einem ber Tore ber S tabt (V. 488) unb bas als Ausflugsort beliebte Kloster St. Arbogast (V. 1363), sowie auf beliebte W allfahrtsorte (V. 55, 3726) hingewiesen, natürlich fehlen auch bie beiben Strafeburger Stabtwunber biefer Zeit, b as vom Volhsmunb als „Rohraff“ bezeichnete mechanische Orgelbilb (V. 3665) unb b as grofee Cbriftopborusbilb im Münster (V. 172) in unserer Satire nicht. Volkstümlich ist schliefend) auch ber Vers bes „Lutherischen n a rre n “2). Von ben beiben freilich nicht scharf voneinanber zu fcbeibenben rhythmischen Prinzipien ber frübneubocbbeutfcben Zeit folgt M urner, wie schon in seinen früheren Reimwerken so auch hier, nicht jener filbenzäblenben, einer festen Vers­ länge von 8 - 9 Silben zuftrebenben Art bes Bans Sachs u. a., fonbern jener volkstümlicheren Gattung ber Sprecbverfe, für bie nicht bie Silbenzahl, fonbern ber Reim bie Bauptfache ist unb bie bementfprecbenb ihren Versen freieren Lauf läfet. Seiner ganzen temperamentvollen, formlosen Eigenart gemäfe steckt er seine Verse nicht in bie enggenestelte rhythmische Scbnürbruft jener bieberen Versfchmiebe, bie ihre Zeilen *) Vgl. auch bie Anspielung auf bas volkstümliche Jubaslieb unb bas befonbers im westlichen Oberbeutfchlanb verbreitete Volkslieb vom Baberfack (f. ben Kommentar z.V. 411 u. 579). *) Vgl. im allgemeinen Julius Popp, Die Metrik unb Rhythmik Thomas Murners, Beibelb. Differt., Balle 1898; jeboch kann ich mich mit ben Darlegungen Popps nicht immer einverftanben erklären. Murner» Werke IX.

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ängstlich an den Singern abzahlen, sondern wahrt sich fast alle jene Freiheiten der Versbebanblung, die der mittelhochdeutsche Vers der klassischen Zeit kennt und die sich im Segensatz zur Runft- und Butbpoefie des ausgehenden M ittelalters die Volksdichtung erhalten hatte. Der Auftakt ist zwar die all­ gemeine Regel, fehlt aber in zahllosen Versen der Satire. Der regelmäßige Wechsel von Bebung und Senkung, der für jene zweite rhythmische Gattung wenigstens im Prinzip uner­ läßlich ist, wird zwar meist innegehalten. Jedoch weisen nicht wenige Verse zwei- und mehrsilbige Senkung auf (z. B. V. 221: Barbaralexis, foleocismus; V. 426: Der frawen, im Karsthansen verftbriben) und sind zur Aufrechterhaltung der natürlichen W ortbetonung, die offenbar für M urner selbstverständlich ist, nur mit freierer schwebender Versbetonung zu lesen.1) Einsil­ bige Verstakte mit Synkope der Senkungsfilbe finden sich zwar selten genug, werden aber doch mitunter, und zwar augenscheinlich absichtlich, mit technischer Bervorbebung der betreffenden Silbe angewandt (z. B. V. 3519: Die fcbmäcbbücb* lin, die sie bänbt; V. 2925: Bort, bort jetzt jödermän). S o schwankt die Silbenzahl in der Satire, wenn auch die Verse von 8 - 9 Silben die allgemeine Dorm sind, zwischen 6 und 11 Silben (vgl. z. B. V. 907: Cbüt ers, ich schenk im ein schweinin braten). Sern von der meist hölzern-klapprigen Natur der Bans Sächsischen Versreiben fließen die Verse M urners leicht und glatt daher. Die Unregelmäßigkeiten, die sie den silben­ zählenden Sprecbverfen gegenüber aufweisen, geben ihnen jenen freien, lebendigen, abwechslungsreichen Charakter, der sie niemals eintönig erscheinen läßt. M an fühlt beim Lesen und noch mehr beim Sprechen, daß diese Verse nicht von einem sich ängstlich abmühenden Versifex stammen, sondern von einer offenkundig für Versrhythmik und Sprachmelodie l) In zahlreichen Sällen erst durch den Druck in den 405: „Als sie mit list dir vor „Als sie mit list dir vor habn

scheint die mehrsilbige Senkung freilich Vers gekommen zu sein. Vgl. z. B. V. Haben gethon“, wo M urner zweifellos gthon“ sprach u. vielleicht auch schrieb.

empfänglichen Persönlichkeit, und man erinnert sich unwillkürlich der Scblufepartie der „Gäucbmatt“, wo M urner von sieh selbst sagt: d as ich aber rymen dickt, der kan ick mich erweren nicht; wenn ich schon anders reden fol, wurdt mir der mundt der rymen soll; rymen macken wurdt nit für eym, der d as selb bat von natur. So konnte M urner mit Recht aber nickt nur im Hinblick auf feine Verskunst im allgemeinen, sondern auch im wörtlichen und besonderen Sinne hinsichtlich feiner „rymen“ sprechen. Denn auch hier, bei feiner eigentlichen Reimkunst, offenbart sich die mühelose Leichtigkeit des Schaffens, die auch sonst allenthalben aus den W erken des talentvollen franziskaners zu uns spricht. Wie die einzelnen Verse fick in jener leicht dahinfließenden Art, die an den plauderton der Alltagsrede erinnert, anein­ anderreihen, so stellen sich an den Versenden die Reime mit einer oft verblüffenden Selbstverständlichkeit ein. freilich darf man bei der Beurteilung dieser fra g e die Anforderungen nicht zu hock spannen, sondern muß einen für d as ganze Zeitalter angemessenen M aßstab annehm en1). Ebenso wie die meisten Schriftsteller dieser reimfreudigen Zeit legt auch M urner bei der Auswahl feiner Reime kein besonderes Streben nach Sorgfalt und Eigenartigkeit an den Dag. Die Gedanken strömen ihm offenbar in so reicher fülle zu und ordnen sieh ihm unter der Band zu rhythmischen Gebilden, daß er nicht Zeit bat, auf den Verssckluß sein besonderes Augenmerk zu richten. M it derselben Sorglosigkeit, mit der auch sonst in feinem Stil die gleichen W orte und Wendungen, ja ganze Verse wiederkehren, werden gewisse Reimworte und Reimbindungen unbedenklich immer und immer wiederholt, so z. B. leben: geben (24 mal), uff erden: werden (23 mal), sacken: machen (18 mal), geserben : werden (11 mal), sind : Kind (8 mal), w o r t: mort *) Vgl. Bebermeyer, a. a. O. S. 72 ff.

(7 mal), orden : worden (7 mal) u. a. m. Von den formelhaften Reimen der älteren Kunstdichtung und besonders der Volkspoesie macht M urner reichlich Gebrauch (z. B. n o t : dot, schmerz : herz, z a r t : art, m u n d : stund, raten : ta te n 1). Jener sorglose S tandpunkt in der Reim wahl führt auch dazu, d aß nicht selten d a s gleiche R eim paar nach einer geringen A nzahl dazwischenliegender Verse von neuem aufgenommen wird (vgl. z. B. V. 2512/3— 2515/6, V. 2776/7— 2778/g. V. 3222/3— 3254/5 u. a.). D aß dies nicht etw a a u s Gründen der Reimnot geschieht, sondern lediglich der laxen Arbeitsweise M urners zuzuschreiben ist, beweist die T at­ sache, d aß dafür an zahlreichen anderen Stellen der Drei-, Vier- und Sünfreim Anwendung findet. Vielfach auch im Innern eines Abschnittes und ohne ersichtlichen Grund auftretend wird der Dreireim, der im ganzen etw a ein Zehntel aller vor­ handenen Reim bindungen der S atire um faßt, besonders gern zum energischen Abschluß einer R ede gebraucht. G egenüber dieser Cendenz, Anfang und Ende der einzelnen Dialogteile gegeneinander fest abzugrenzen, sind Beispiele für den Stichreim nirgends zu belegen. Auffällig groß ist die Z ahl der klingenden V ersausgänge. In einer Zeit, die durchaus den männlichen Reim bevorzugt und den weiblichen Reimen selten m ehr als 10°/o, ja oft weniger als 5°/o der Versschlüsse einräum t, nimmt M urner mit einem Durchschnitt von etw a 35°/o klingender V ersau sg än g e eine Sonderstellung ein und erinnert wie so oft in sprachlicher und rhythmischer Einsicht auch in diesem P u n k te an die gute Tradition der älteren klassischen und spätmittelbocbdeutfcben Zeit. Dabei ist es für die vorher dargelegte Entstehungsgeschichte der S atire nicht minder wie für die Psy­ chologie der Arbeitsweise M urners bezeichnend, daß d a s erste Drittel des W erkes mit feiner ruhigen, über dem Stoff stehen*) Ich Halte diesen M angel an individuellen Reimbindungen, so­ weit er nicht a ls metrisches Charakteristikum der ganzen Zeit aufzufassen ist, teils für bew ußtes S treben nach Volkstümlichkeit, teils für eine fo lg e der haftenden Arbeitsweise M urners. Troß der oben angeführten Reimwiederholungen kann man aber nicht geradezu von einer „Armut des Reimschatzes- sprechen, wie dies Beberm eyer, a. a. O. S. 80 tut.

den Stimmung noch einen weit höheren Prozentsatz zweisilbiger Reime, nämlich 41 °/o , ausweist, während gegen das Ende bin die Zuspitzung der polemischen Auseinandersetzung sich auch in einem starken Zurückweichen der klingenden und dementsprechend einem wachsenden Überhandnehmen der stumpfen Reime kundgibt. Bei der hoben Bedeutung, die im fünfzehnten und sechzebnten Jahrhundert besonders in W erken didaktischen Inhalts der Buchillustration zukommt, ist es notwendig, auch den 52 Bolz« schnitten der Satire die gebührende Aufmerksamkeit zuzuwen­ den. Mutz man sich doch gegenwärtig halten, wie sehr in einem Zeitalter, das noch stark vom Analphabetentum beherrscht war, dafür aber die Gabe anfcbauli