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German Pages 174 [176] Year 2013
Romanistische Arbeitshefte
59
Herausgegeben von Volker Noll und Georgia Veldre-Gerner
Daniela Pirazzini
Theorien und Methoden der romanischen Sprachwissenschaft
De Gruyter
ISBN 978-3-11-028252-8 e-ISBN 978-3-11-030989-8 ISSN 0344-676X
Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalogue record for this book is available from the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2013 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Erstmalig wird mit dem vorliegenden Band eine Einführung in die Theorien und Methoden der romanischen Sprachwissenschaft gewagt, wohl wissend, dass ein solches Unterfangen sich von vielen Seiten angreifbar macht. Dennoch muss der schmerzhafte erste Schritt unternommen werden, da der Überblick über die bestehenden Theorien und Methoden einer bestimmten Disziplin, so hofft zumindest die Autorin, eine mentale Kettenreaktion auslösen kann, die zu neuen Erkenntnissen führen mag. Ausgehend von der These, die Entwicklung innerhalb einer spezifischen wissenschaftlichen Disziplin lasse sich anhand ihrer konstitutiven Metaphorik nachverfolgen (Terry Winograd), legt dieser Band die Sprachkonzeption des 19. Jahrhunderts zugrunde, wonach sie als lebende Organismen zu verstehen seien (Genealogische Sprachtheorie). Es scheint der Autorin offensichtlich, dass alle weiteren Theorien von dieser ersten Metapher abhängen und es allein deshalb möglich war, Sprache(n) zu erfassen als Familie, Raum, Organismus, Architektur, Handlung sowie Abbild des Denkens. Entlang dieser Bilder ist die Gliederung dieser Einführung aufgebaut. Aus der Tatsache, dass der vorliegende Band in erster Linie als Einführung konzipiert sein will für Bachelor-Studierende, ergibt sich die Notwendigkeit, aus der Fülle an Daten und Informationen eine handhabbare Teilmenge zu destillieren, die einlädt, den Zugang zur Disziplin zu suchen, und ihn nicht verstellt, ohne direkt für etwaige Kenner des Fachs wie ein Affront zu erscheinen. Der Prozess der Destillation ist in diesem Falle besonders schwer gefallen. Einige im Gesamtzusammenhang des Fachs und für die Fachgeschichte relevanten Theorien und Methoden wurden ausgeschlossen um innerhalb des angestrebten Rahmens einer ein Semester umfassenden Lehreinheit zu bleiben, unter Anlegen eines spezifischen Maßstabs: Jedes Kapitel soll den Fokus legen auf das Neue in der Art und Weise, mit der das linguistische Forschungsobjekt betrachtet wird, ausgehend von den Leistungen der jeweiligen Pioniere und im Hinblick auf die theoretischen Weiterentwicklungen durch Romanisten. Der Aufbau der einzelnen Kapitel folgt dem üblichen wissenschaftlichen Prozedere: Auf einen knappen einführenden Überblick folgt eine Erläuterung der allgemeinen Theorien, die als Grundlage dient, um die wichtigsten Fragestellungen, die Thesen und Korpora sowie die eigentlichen Methoden darzustellen. Die Kapitel schließen mit einer Literaturhinweisen, die zur besseren Darstellung der Evolution der Disziplin chronologisch gehalten sind, einigen besonders zur Lektüre empfohlenen Titeln sowie einer Reihe von Arbeitsaufgaben zur jeweiligen Einheit. Für die Auswahl der zu beschreibenden Theorien und Methoden und ihre jeweilige inhaltliche Ausgestaltung ist die Autorin allein verantwortlich. Für die Redaktion und den Abschluss des Werkes ist sie jedoch einigen Personen zu Dank verpflichtet. Den Herausgebern, Frau Prof. Dr. Giorgia Veldre-Gerner und Herrn Prof. Dr. Volker Noll, für die Aufnahme in die renommierte Reihe der Romanistischen Arbeitshefte und die
VI vielschichtigen Ratschläge auf dem Weg zur Fertigstellung. Frau Ulrike Krauß und Herrn Norbert Alvermann für die eingehende Feinjustierung von Seiten des De GruyterVerlags. Giuseppina Saverini, Gianna Sodat und Marina Bletsas für die aufmerksame Lektüre aller Kapitel und das unermüdliche Zusammentragen der Bibliographien. Zwei Personen, die nicht nur durch kritische und treffsichere Durchsicht der Texte und das graphische Erfassen nebulöser Ideen entscheidend auf die Fertigstellung dieses Buches hin gewirkt haben, ist besonderer Dank auszusprechen. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet: Anika Schiemann und Johannes von Vacano. Bonn, im Dezember 2012
Daniela Pirazzini
Inhalt Vorwort.......................................................................................
V
1. Entstehung sprachwissenschaftlicher Theorien und Methoden .............................
1
1.1 Sprachwissenschaft als Wissenschaft der Sprache(n) .....................................
1
1.2 Wissenschaft als Erkenntnis............................................................................
1
1.2.1 Beobachtung als Voraussetzung der Erkenntnis...................................
2
1.2.2 Das Erstaunen als Auslöser der Wissenschaft ......................................
2
1.2.3 Fragestellung(en) als Reaktion des Erstaunens ....................................
3
1.3 Das wissenschaftliche Verfahren ....................................................................
3
1.3.1 Das Aufstellen einer Sprachtheorie .....................................................
4
1.3.2 Das Zusammenstellen von Thesen .......................................................
5
1.3.2.1 Theorie- und Thesengültigkeit..................................................
5
1.3.2.2 Terminologie ............................................................................
6
1.3.2.3 Argumentation ..........................................................................
6
1.3.3 Das Zusammenstellen eines Korpus.....................................................
6
1.3.4 Stand der Forschung .............................................................................
7
1.3.5 Modelle.................................................................................................
7
1.4 Disziplinen der Linguistik ...............................................................................
7
1.5 Literatur...........................................................................................................
8
2. Sprachen als lebendige Organismen – Theorien und Methoden der historischen romanischen Linguistik......................... 2.0 Überblick ........................................................................................................
9 9
2.1 Theorien der historischen romanischen Linguistik ........................................ 10 2.1.1 Die genealogische Theorie ................................................................... 10 2.1.2 Die biologistische Theorie.................................................................... 11 2.2 Die Grundfragen der historischen romanischen Linguistik............................. 11 2.3 Die Grundthesen der historischen romanischen Linguistik............................. 12 2.3.1 Die Filiationsthese ................................................................................ 12 2.3.2 Die Kontinuitätsthese ........................................................................... 15 2.3.3 Die These des analytischen und des synthetischen Typus.................... 18
VIII
2.3.4 Die These der Sprachmischung ............................................................ 19 2.3.5 Die These der „Expressiven Mündlichkeit“ ......................................... 20 2.4 Die vergleichende Methode ............................................................................ 22 2.5 Literatur........................................................................................................... 23 2.6 Aufgaben ......................................................................................................... 25
3. Sprache(n) als Raum – Theorien und Methoden der (historischen) romanischen Sprachgeographie ......... 27 3.0 Überblick......................................................................................................... 27 3.1 Theorien der romanischen Linguistik des Raums ........................................... 29 3.1.1 Die Wellentheorie................................................................................. 29 3.1.2 Die geolinguistische Theorie ................................................................ 31 3.1.3 Die Theorie der Romania als einheitlicher Sprachraum ....................... 31 3.1.4 Die Arealtheorie ................................................................................... 32 3.2 Die Grundfragen der romanischen Linguistik des Raums............................... 34 3.3 Die Grundthesen der (historischen) romanischen Sprachgeographie.............. 34 3.3.1 Die These der gesprochenen Sprache als Quelle der Innovation.......... 35 3.3.2 Die These der Wortpathologie als Ursache des Sprachwandels ........... 35 3.4 Die sprachgeographische Methode.................................................................. 36 3.5 Die Grundthesen zur Ausgliederung des einheitlichen Sprachraums – die Romania ......................................................................................................... 38 3.5.1 Die (frühe) These der drei Sprachräume – Die Spaltung in einen östlichen, einen südwestlichen und einen nordwestlichen Sprachraum ................................................................. 40 3.5.2 Die These der zwei Sprachräume – die Spaltung in Ostromania und Westromania......................................................................................... 41 3.5.3 Die (spätere) These der drei Sprachräume – Die Spaltung in innere Romania und zwei Randromaniae ........................................................ 42 3.5.4 Die These der vier Sprachräume........................................................... 43 3.6 Die vergleichende Methode............................................................................. 44 3.7 Die Methode der Dialektometrie ..................................................................... 45 3.8 Literatur........................................................................................................... 47 3.9 Aufgaben ......................................................................................................... 48
IX
4. Sprache als Struktur – Theorien und Methoden der strukturellen Linguistik ............................................. 51 4.0 Überblick......................................................................................................... 51 4.1 Theorien der historischen strukturellen Linguistik.......................................... 53 4.1.1 Die Theorien der strukturellen Semantik.............................................. 54 4.1.1.1 Die referentielle Bedeutungstheorie ....................................... 54 4.1.1.2 Die Wortfeldtheorie................................................................ 54 4.1.1.3 Die Bildfeldtheorie ................................................................. 56 4.1.2 Die Theorien der strukturellen Phonologie........................................... 56 4.1.2.1 Die Theorie der Phoneme in Opposition ................................ 56 4.1.2.2 Die Theorie der distinktiven Züge.......................................... 57 4.2 Die Grundfragen der strukturellen Linguistik: Saussures CLG ...................... 57 4.3 Die Grundthesen der strukturellen Linguistik: Saussures CLG ...................... 58 4.3.1 Die These der Bilateralität des linguistischen Untersuchungsgegenstands: Linguistique de la Langue und Linguistique de la Parole........ 59 4.3.2 Die These Bilateralität des Sprachzeichens: signifiant und signifié ..... 61 4.3.3 Die These der Bilateralität von Zeichenrelationen: paradigmatische und syntagmatische Relationen................................. 63 4.3.4 Die These der Bilateralität linguistischer Betrachtungsweisen: Diachronie und Synchronie .................................................................. 65 4.4 Die Grundfragen der strukturellen Linguistik: Semantik ................................ 66 4.5 Die Grundthesen der strukturellen Linguistik: Semantik ................................ 67 4.5.1 Die These des ‚Referenten als drittes Element der Wortbedeutung‘ .... 67 4.5.2 Die These der Segmentierung der Bedeutung ...................................... 68 4.6 Die Grundfragen der strukturellen Linguistik: Phonologie ............................. 69 4.7 Die Grundthesen der strukturellen Linguistik: Phonologie ............................. 69 4.7.1 Die These der psychischen Lautvorstellung ......................................... 69 4.7.2 Die These der relevanten kontrastierenden/distinktiven Lauteigenschaften als Basis eines Phonemsystems ..................................... 70 4.8 Die Methoden der strukturellen Linguistik ..................................................... 70 4.8.1 Die Methoden der strukturellen Phonologie......................................... 71 4.8.2 Die Methoden der strukturellen Semantik ............................................ 72 4.9 Literatur........................................................................................................... 73 4.9 Aufgaben ......................................................................................................... 75
X
5. Sprache als Architektur – Theorien und Methoden der (historischen) romanischen Varietätenlinguistik (und Diskurstraditionen) ......................................................................................... 77 5.0 Überblick......................................................................................................... 77 5.1 Theorien der Varietätenlinguistik.................................................................... 79 5.1.1 Die Theorie der Sprache als Architektur .............................................. 79 5.1.2 Die Theorie von Nähe und Distanz ...................................................... 80 5.2 Die Grundfragen der Varietätenlinguistik ....................................................... 82 5.3 Die Grundthesen der Varietätenlinguistik ....................................................... 83 5.3.1 Die These des dreidimensionalen Gebäudes der historischen Sprache....................................................................... 83 5.3.2 Die These der zwei Konstituenten der Architektur: „Wiederholte Rede“ und „Technik“ ..................................................... 84 5.3.3 Die These der drei Schichten der Architektur ...................................... 84 5.4 Die Methoden der Varietätenlinguistik ........................................................... 86 5.4.1 Die „syn-perspektivische“ Methode ..................................................... 87 5.4.2 Die „dia-perspektivische“ Methode...................................................... 87 5.5 Theorien der Diskurs- und Texttraditionen ..................................................... 89 5.5.1 Die Theorie der Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache ................................................................................................. 89 5.5.2 Die Theorie der zwei Dimensionen der Historizität ............................. 90 5.6 Die Grundfragen der Diskurs- und Texttraditionen ........................................ 90 5.7 Die Grundthesen der Diskurs- und Texttraditionen ........................................ 91 5.7.1 Die These der Sprache als historisch gewachsenes Gebilde................. 91 5.7.2 Die These der Gleichsetzung von Diskurstraditionen und Texttraditionen............................................................................................. 94 5.7.3 Die These der Unterscheidung zwischen Diskurstradition und individuellem Diskurs........................................................................... 95 5.7.4 Die These der Abgrenzung zwischen erster und zweiter Historizität... 98 5.8 Die Methoden der Diskurs- und Texttraditionsforschung ............................... 98 5.9 Literatur........................................................................................................... 99 5.10 Aufgaben......................................................................................................... 102
XI
6. Sprache als Handlung – Theorien und Methoden der (historischen) romanischen Pragmatik ...................... 103 6.0 Überblick......................................................................................................... 103 6.1 Theorien der Sprachpragmatik ........................................................................ 104 6.1.1 Die Theorie der Sprechakte bzw. Sprechhandlungen ........................... 105 6.1.2 Die Theorie des Kooperationsprinzips ................................................. 106 6.1.3 Die Theorie des kommunikativen Handelns......................................... 107 6.1.4 Die Politeness-Theorie ......................................................................... 107 6.2 Die Grundfragen der Sprachpragmatik ........................................................... 108 6.3 Die Grundthesen der Sprachpragmatik ........................................................... 109 6.3.1 Die These der vier Teilakte................................................................... 109 6.3.2 Die These der fünf Sprechhandlungstypen........................................... 110 6.3.3 Die These der Graduierbarkeit von Sprechakten .................................. 111 6.3.4 Die These der vier Kommunikationsmaximen ..................................... 112 6.3.5 These der Konversationellen Implikaturen........................................... 113 6.4 Die Methoden der Sprachpragmatik................................................................ 114 6.5 Theorien der historischen Pragmatik............................................................... 114 6.5.1 Die Theorie der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte ..... 115 6.5.2 Die Theorie der pluridimensionalen Historiographie ........................... 115 6.6 Die Grundfragen der historischen Pragmatik .................................................. 116 6.7 Die Grundthesen der historischen Pragmatik .................................................. 117 6.7.1 Die These der Diskurstraditionen als Resultat von Kommunikationsbedingungen.................................................................................. 117 6.7.2 Die These der Unterscheidung zwischen Sprachgemeinschaft und Diskursgemeinschaften......................................................................... 119 6.7.3 Die These der Mehrsprachigkeit im Raum ........................................... 120 6.8 Die Methoden der historischen Pragmatik ...................................................... 120 6.9 Literatur........................................................................................................... 122 6.10 Aufgaben......................................................................................................... 125
XII
7. Sprache(n) als Abbild des Denkens – Theorien und Methoden der romanischen kognitiven Linguistik ........................... 127 7.0 Überblick......................................................................................................... 127 7.1 Theorien der kognitiven Linguistik ................................................................. 128 7.1.1 Die Theorie der Prototypensemantik .................................................... 129 7.1.2 Die Theorie der mentalen Repräsentation ............................................ 131 7.1.3 Die Theorie der konzeptuellen Metaphern ........................................... 132 7.1.4 Die Emotionstheorie ............................................................................. 133 7.1.5 Die Theorie der kognitiven Universalien als Grundlage des Bedeutungswandels .............................................................................. 135 7.2 Die Grundfragen der kognitiven Linguistik .................................................... 136 7.3 Die Grundthesen der kognitiven Linguistik ................................................... 137 7.3.1 Die These der Charakterisierungen ...................................................... 137 7.3.2 Die These des scenes-and-frames Zusammenhanges ........................... 137 7.3.3 Die These der konzeptuellen Konstruktion .......................................... 139 7.3.4 Die These der Ontologischen und Orientierungsmetaphern ................. 141 7.4 Die Methoden der kognitiven Linguistik ........................................................ 142 7.5 Literatur........................................................................................................... 143 7.6 Arbeitsaufgaben .............................................................................................. 147 Literatur .............................................................................................................. 149 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................. 161
1.
Entstehung sprachwissenschaftlicher Theorien und Methoden
1.1
Sprachwissenschaft als Wissenschaft der Sprache(n)
In den meisten romanischen Sprachen, die wir heute sprechen und schreiben, wird die Sprachwissenschaft als ‚Linguistik‘ bezeichnet (z.B. frz. linguistique, it. linguistica, sp. lingüística). Das Wort ‚Linguistik‘ verweist, im Gegensatz zum deutschen Wort ‚Sprachwissenschaft‘, nicht explizit auf die „Wissenschaftlichkeit“. Es stellt sich nun die Frage, ob der Anspruch der Sprachwissenschaft, sich als Wissenschaft zu bezeichnen, überhaupt legitim ist. Hätte man diese Frage dem angesehenen französischen Romanisten André Martinet (1908–1999) vorgelegt, hätte er einfach geantwortet: Ja, „[l]a linguistique est l’étude scientifique du langage humain“ (Martinet 1960, 9). Die schärfsten Bedenken gegen diese Überzeugung, nach der die Wissenschaft von der Sprache alle denkbaren Aspekte menschlicher Sprache umfasst, sind von den Sprachwissenschaftlern selbst vorgebracht worden. Der deutsche Romanist Karl Vossler (1872–1949) zum Beispiel findet in seiner Abhandlung Sprache und Wissenschaft (1925) das logische Denken insbesondere in der Mathematik und in den Naturwissenschaften verwirklicht. Dieses logische Denken ist zwar auch ein sprachliches Denken, doch ist es auf weniger deutliche Weise mit der Sprache verbunden (cf. Weinrich 2001, 207). Denn „in der Philosophie [im Lateinischen das alte Wort für ‚Wissenschaft‘]“, erläutert der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein (1889–1951), „vergleichen wir den Gebrauch der Wörter oft mit Spielen, Kalkülen nach festen Regeln, aber wir können nicht sagen, wer die Sprache gebraucht, müsse ein solches Spiel spielen“ (Wittgenstein 1945/1984, § 81, 286). Wenn nun also festzustellen ist, dass die Logik von der Sprache – bzw. vom Denken – sich nicht genau wie eine Naturwissenschaft gestaltet, so muss, um die Differenzierung zu spezifizieren, zunächst Klarheit hinsichtlich der Verbindung von Sprache und Wissenschaft geschaffen werden. Denn dann wird auch deutlich werden, was den Sprachwissenschaftler dazu „verleiten kann zu denken, dass, wer einen Satz ausspricht und ihn meint, oder versteht, damit einen Kalkül betreibt nach bestimmten Regeln“ (ibid.).
1.2
Wissenschaft als Erkenntnis
Nach klassischer Lesart ist eine Wissenschaft ein komplexes Konglomerat von Erkenntnissen. Dies entspricht dem etymologischen Sinn des Wortes. Denn das deutsche Wort Wissen (als Ersatzwort für lat. scientia) kommt von der indogermanischen Wurzel * ࡱ eid- ‚sehen, erblicken, finden‘, ‚gesehen haben, erkundet haben‘ (demnach u.a. auch verwandt mit ‚weiß‘ im Sinne von ‚licht‘, ‚hell‘ und mit lat. videre ‚sehen‘). Das lateinische Wort scientia hingegen lässt sich auf die indogermanische Wurzel *skƟi- ‚schneiden, scheiden, trennen‘ (d.h. lat. scƯre‚wissen, in Erfahrung gebracht haben‘ im Sinne von ‚unterscheiden/trennen können‘) zurückführen.
2
1.2.1 Beobachtung als Voraussetzung der Erkenntnis Eine Erkenntnis entsteht aus dem „Sehen“, der Beobachtung von Dingen, im Falle der Linguistik von sprachlichen Dingen. „Une étude est dite scientifique“, schreibt Martinet, „lorsqu’elle se fonde sur l’observation des faits“ (Martinet 1960, 9); ähnlich die deutschen Romanisten Johannes Kabatek und Claus Pusch: „Wissenschaftlich heißt, dass es hier um eine ganz besondere Betrachtungsweise geht“ (Kabatek/Pusch 2009, 30).
1.2.2 Das Erstaunen als Auslöser der Wissenschaft Die Besonderheit der Betrachtungsweise, die als wissenschaftlich gedeutet wird, liegt in der Ursache, durch die sie ausgelöst wurde. Darauf hat der griechische Philosoph Aristoteles (384–322 v. Chr.) in seiner Metaphysik (A 2, 982 b 10) deutlich aufmerksam gemacht. Es handelt sich dabei um das gr. șĮȣѺμĮ [thaNJma], d.h. das ‚Wunder‘, die ‚Überraschung‘, das ‚Erstaunen‘, mit dem sich der Wissenschaftler beschäftigt, wenn er sich vor und während seiner Untersuchung vor einer Aporie, d.h. vor einem unerklärlichen Phänomen, befindet. Für den deutschen Romanisten Meyer-Lübke (1861–1936) war z.B. erstaunlich, dass sich „das Lateinische, das zu Augustus’ Zeiten auf dem weiten Orbis Romanus ein im Ganzen einheitliches war, in so viele unter sich so stark verschiedene Idiome gespalten hat“ (Meyer-Lübke 1906, 15). Findet sich der Wissenschaftler vor einer ungewöhnlichen, unglaublichen Erscheinung, dann forscht er verwundert weiter, um die Ursachen aufzudecken, welche die Aporie verursacht haben. Der amerikanische Philosoph Charles Sanders Peirce (1839–1914) beschreibt in Syllabus of Certain Topics of Logic (1903) eine Art des Verfahrens – mit dem Stichwort ‚Abduktion‘ bezeichnet –, „die von einer überraschenden Erfahrung ausgeht, d.h. von einer Erfahrung, die einer aktiven oder passiven Überzeugung zuwiderläuft“ (Peirce (in Übersetzung) 1983, 85). Dies geschieht in Form einer Wahrnehmung, Beobachtung oder der Fokussierung einer Tatsache, die im Erwartungshorizont des Sprechers oder des Schreibers nicht enthalten ist. Eine unerwartete, abweichende Form bei etymologischen Untersuchungen, eine unbekannte Symptomatik bei medizinischer Diagnostik oder eine außergewöhnliche Entdeckung bei Kriminaluntersuchungen sind nur einige Beispiele von überraschenden Tatsachen, wobei das Maß des Erwartbaren und damit das Maß der möglichen Befremdung von dem jeweiligen Rezipienten sowie von dem entsprechenden Wissens- und Lebensbereich abhängig ist. Durch den Zustand der Unwissenheit wird die Wissenschaft gleichsam „zur Welt gebracht“. Denn: Das Erstaunen ist ein Kind der Unwissenheit; und je größer die bestaunte Erscheinung ist, um so mehr wächst das Staunen. […] Die Neugier, eine natürliche Eigenschaft des Menschen, Tochter der Unwissenheit, Mutter der Wissenschaft, zeigt, wenn das Erstaunen unseren Geist erschließt, folgende Eigentümlichkeit: wo sie eine außergewöhnliche Erscheinung in der Natur beobachtet, wie einen Kometen, eine Nebensonne oder einen Stern am hellen Tage, fragt sie sogleich, was diese Erscheinung sagen oder bedeuten wolle (Vico 1744/1924, 90f).
3
1.2.3 Fragestellung(en) als Reaktion des Erstaunens Das Erstaunen löst Fragen aus; mit den Worten von Wittgenstein: „Wir wollen etwas verstehen, was schon offen vor unsern Augen liegt. Denn das scheinen wir, in irgendeinem Sinne, nicht zu verstehen“ (Wittgenstein 1945/1984, § 89, 291). „Eine Wissenschaft existiert“, so schreiben die Sprachwissenschaftler Eugenio Coseriu (1921–2002) und Reinhard Meisterfeld „sobald man Fragen in bezug auf ihren Gegenstand stellt und sie auf sinnvolle Weise zu beantworten sucht“ (Coseriu/Meisterfeld 2003, 6). Wie soll man sich aber eine Frage der Wissenschaft, d.h. eine wissenschaftliche Frage vorstellen? Wenn sie die Feststellung bzw. die Beschreibung eines seelischen Zustandes der Ungewissheit bzw. der Unwissenheit ist, dann muss die Fragestellung sprachlich verbalisiert werden. „Die Philosophie“ (=die Wissenschaft), schreibt Wittgenstein, „ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache“ (Wittgenstein 1945/1984, § 109, 298). Die Frage, die den Schwerpunkt der Problematik (=Quaestio) zum Ausdruck bringt, gehört zu den entscheidenden Bestandteilen eines wissenschaftlichen Verfahrens. Sie gilt als allgemeine Voraussetzung für den Anfang des gedanklichen Prozesses, der auch sprachlich zum Ausdruck gebracht wird. Zur Illustration kann noch einmal auf den Ausgangspunkt der Untersuchung von Meyer-Lübke zurückgegriffen werden. Dieser hat z.B. sein Erstaunen hinsichtlich der Spaltung des Lateins folgendermaßen als Fragestellung formuliert: Weshalb [hat] sich das Lateinische, das zu Augustus’ Zeiten auf dem weiten Orbis Romanus ein im Ganzen einheitliches war, in so viele unter sich so stark verschiedene Idiome gespalten[?] (Meyer-Lübke 1906, 15).
1.3
Das wissenschaftliche Verfahren
Beobachtungen und Fragestellungen gelten als Beginn des wissenschaftlichen Verfahrens selbst, d.h. der Untersuchung der Dinge selbst. Es ist jedoch zu bemerken, dass der Informationsstand nicht Null sein kann. Wer nicht über Informationen verfügt, kann auch keine Frage stellen. Fragen brauchen oft eine Vorinformation über den Sachverhalt oder die Handlung, durch die sie gerechtfertigt werden. „Die Frage enthält bereits eine partielle Information. Sie ist Ausdruck eines Vorwissens. Nur wer etwas schon weiß, kann überhaupt fragen“ (Weinrich 1965, 56f.). Meyer-Lübkes Frage enthält z.B. bereits die Information der Einheitlichkeit des Lateinischen zu Augustus’ Zeiten bezogen auf die damalige Ausdehnung des römischen Imperiums. Es handelt sich also bei dem wissenschaftlichen Verfahren, wie der italienische Semiotiker Umberto Eco richtig formuliert hat, um das Vorgehen eines Detektivs, um das gleiche Verfahren wie das eines Sherlock Holmes (cf. Eco 1990, 247f.): Etymologisch betrachtet bedeutet ‚erfinden‘ das Herausfinden von etwas bereits irgendwo Existierendem, und Holmes ‚erfand‘ in ebendem Sinn, den Michelangelo meinte, als er sagte,
4 der Bildhauer entdecke in dem Stein die Statue, die das Material bereits umgebe und die von dem Übermaß (soverchio) des Steines verdeckt gewesen sei (Eco 1992, 328).
Beim wissenschaftlichen Verfahren geht es also zunächst um das Sehen, und zwar um das Sehen wie ein Zuschauer im Theater (und nicht wie ein Schauspieler auf der Bühne), der etwas in irgendeinem Sinne nicht versteht. Diese Teilnahme an einer Vorstellung, welche die Dinge präzise betrachten und ihnen auf den Grund gehen will, kann zu einer späteren allgemeinen Darstellung der Ergebnisse dieser „Ergründung“ führen (=Aufstellen einer Theorie).
1.3.1 Das Aufstellen einer Sprachtheorie Das deutsche Wort Theorie, von gr. șİȦȡȓĮ [theôría], bedeutet ‚Handlung des Sehens‘ und ‚Handlung, eine Vorstellung anzuschauen‘. Theorien aufstellen heißt, in der Lage zu sein, eine allgemeine Darstellung der beobachteten Dinge zu geben. Daher gilt das Aufstellen einer Theorie als eine Art der wissenschaftlichen Entdeckung, welche als Problemlösung zu sehen ist. Dies erfolgt nicht nur durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern wird durch Zusammenstellung des längst Bekannten offenbart. Eine Theorie gilt als allgemeine Antwort auf die Fragen, die der Wissenschaftler sich gestellt hat. Sie versucht nicht nur Licht in das Dunkel zu bringen, indem sie Unklarheiten beseitigt und kausale Zusammenhänge erfasst, die den Wissenschaftler in einen Zustand der Unwissenheit versetzt haben, sie versucht auch, solche Probleme zu lösen. In der Sprachwissenschaft ist z.B. die genealogische Theorie, nach der die Sprachen wie Lebewesen entstehen, wachsen und sterben, das Resultat einer wissenschaftlichen Beobachtung von der Entwicklung verschiedener Sprachen. Aus dieser Beobachtung von sprachlichen Dingen wird z.B. im Fall der genealogischen Theorie durch Induktion, d.h. vom Einzelfall (=von einer bestimmten Einzelsprache) auf das Allgemeine schließend, eine umfassende beschreibende Darstellung abgebildet, welche mit dem Wort genealogische Theorie bezeichnet wird. Dem induktiven Verfahren wurde von dem österreichisch-britischen Philosophen Karl Popper (1902–1994) mit logischen Argumenten widersprochen: Popper fordert als Grundlage wissenschaftlichen Arbeitens die Aufstellung ‚frei erfundener‘ Theorien, die dann anschließend durch Deduktion, d.h. vom Allgemeinen auf den Einzelfall schließend, an den Objekten falsifiziert werden sollen. Er nennt Einsteins Relativitätstheorie als herausragendes Beispiel einer solchen ‚wahrhaft wissenschaftlichen‘ Theorie. Poppers Sichtweise ist wegweisend für die Generative Sprachwissenschaft ab den 1950er Jahren. Eine Sprachtheorie kann also, wenn man die scharfsinnige Beschreibung von Kabatek und Pusch betrachtet, als ein „Denkgebäude“ gesehen werden, das verschiedene Aspekte der Sprache zueinander in Bezug setzt und differenziert beschreibt. Es gibt Sprachtheorien, die das Ziel haben, die menschliche Sprache möglichst umfassend darzustellen und die dann Abzweigungen für einzelne Bereiche haben, oder bewusst partiell
5 angelegte Theorien, die nur für einen bestimmten Bereich der Sprache gelten sollen (Kabatek/Pusch 2009, 36).
1.3.2 Das Zusammenstellen von Thesen Das Aufstellen einer wissenschaftlichen Theorie beruht auf dem Zusammenstellen von einzelnen erklärenden (Hypo)Thesen. Denn entgegen den Erwartungen eintretende Ereignisse verursachen das Aufstellen einer Frage, deren Beantwortung die ‚Ursache‘ des unerwartet eingetretenen Phänomens erklären kann. So zielt etwa die Frage, ob die romanischen Sprachen die Töchter des Vulgärlateins sind, darauf ab, die ‚Ursache‘ des unerwartet eingetreten Phänomens, nämlich die Spaltung des Lateins, erklären zu können. Die darauf folgende These, die mit dem Begriff Filiationsthese bezeichnet wird, gehört eindeutig zur genealogische Theorie der Sprache. In der Sprachwissenschaft wird das ‚Aufstellen einer These‘ auch als das ‚Aufstellen einer erklärenden Hypothese‘ bezeichnet. Dies entspricht dem ursprünglichen Sinn des Wortes Hypothese, denn gr. ȪʌȩșİıȚȢ [hypóthesis] bedeutet wörtlich ‚was daruntergelegt wird‘ (Ȫʌȩ [hypo] ‚unter‘ und IJȓșȘμȚ [tithemi] ‚setzen, stellen, legen‘), d.h. etwas, das als Grundlage von etwas anderem gelten kann (cf. Peirce 1983, 96). Es handelt sich also dabei nicht um eine Hypothese im üblichen Sprachgebrauch des Wortes. Die Feststellung des Wissenschaftlers ist hier nicht nur deswegen hypothetisch, weil sie – nach der Auffassung Karl Poppers – nicht „aus ein für allemal erreichten Wahrheiten besteht und daher als vorläufig und provisorisch anzusehen ist“ (Popper 1934/91989, 225), wie dies bei allen Thesen, Meinungen oder Absichten der Fall ist. Vielmehr ist die Feststellung auch deshalb hypothetisch, weil sie vom Wissenschaftler im interrogativen Modus, d.h. als ‚Ja/Nein Frage‘, aufgefasst und dargestellt wird. Beim Aufstellen einer wissenschaftlichen Theorie sind also die Thesen der zugrunde liegende Ausgangspunkt.
1.3.2.1
Theorie- und Thesengültigkeit
Jede Theorie sowie jede These muss unter dem Gesichtspunkt bewertet werden, ob sie die (sprachlichen) Fakten in angemessener Weise beschreiben kann. Mit ‚angemessen‘ ist gemeint, dass jede Theorie (sowie jede These) mit anderen denkbaren Alternativen konkurrieren kann (cf. Grewendorf/Ham/Sternefeld 1987/31989, 182). „Zentrales Kriterium für die Gültigkeit der Theorie ist deren Verifizierbarkeit […] durch Bezug auf die Objekte“ (Kabatek/Pusch 2009, 31). Klarheit, Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit sind drei Eigenschaften, „die von der Wissenschaftstheorie ohnehin gefordert sind und die ohne weiteres auch als ästhetische Werte eines wissenschaftlichen Stils anerkannt werden können“ (Weinrich 2001, 214).
6
1.3.2.2
Terminologie
„Die Wissenschaft […] ist dem Logos verpflichtet. Ihre Sphäre ist die der Begriffe“ (Loer 2011, 107). Zur Darstellung wissenschaftlicher Inhalte (=Definition) gibt es also ein wichtiges Instrument, das die eindeutige und unmissverständliche Beschreibung ermöglichen soll: die Terminologie. Ein Terminus ist ein Sprachzeichen, das sich auf einen Inhalt bezieht. Das Wort ‚Metapher‘ z.B. beinhaltet die ‚Übertragung‘ von einem Wort zu einem anderen Wort. Ein Terminus kann unterschiedlich definiert werden. In der strukturellen Theorie der Sprache wird z.B. die Metapher als ‚Substitution‘ definiert, während sie in der kognitiven Linguistik als ‚Projektion‘ bezeichnet wird. Die Sprachwissenschaft bedient sich auch der formalisierten Schreibweise, wie etwa logisch-algebraischer Zeichen. Man verwendet z.B. in vielen Darstellungen die Zeichen für Plus und Minus (±), um Merkmalpaare eines Sachverhaltes bzw. einer Wortbedeutung (wie etwa [± konkret]) aufzuzeigen.
1.3.2.3
Argumentation
Das Medium der (Sprach)Wissenschaft ist die Argumentation (und die Gegenargumentation). Es handelt sich dabei um eine kommunikative und mentale Handlung (=Raisonnement), die die Forschungsergebnisse durch Argumente, sei es eine These oder eine Theorie, stützt. Jede wissenschaftliche Argumentation „lebt im Streit von Proponent und Opponent, die in der Haltung der Kritik ihre konkrete lebendige Erfahrung in diesen Streit einbringen und sie durch ihn in Erkenntnis transformieren“ (Loer 2011, 107). Jede Argumentation basiert also auf Standpunkten, Urteilen, Bewertungen, deren Verifizierbarkeit durch Argumente geprüft und nachgewiesen werden soll. Argumente zur Stützung einer sprachwissenschaftlichen These oder Theorie sind in der Linguistik grundsätzlich (sprachliche) Fakten, Daten oder Quellen. Beispielsweise findet die Filiationsthese, die das Vulgärlatein als Mutter der romanischen Sprachen postuliert, ihren Geltungsanspruch durch den Beleg verschiedener sprachlicher Beispiele in unterschiedlichen Textdokumenten mehrerer Epochen. Jeder Sprachwissenschaftler ist also grundsätzlich verpflichtet, die mit festem Geltungsanspruch getroffene These oder Theorie mit argumentativen Mitteln zu belegen, indem er mit illustrativen, relevanten Beispielen seine These begründet oder die Gegenthese widerlegt.
1.3.3 Das Zusammenstellen eines Korpus Um eine Grundlage für die Stützung bzw. Widerlegung einer These zu schaffen, bedarf es eines Korpus aus sprachlichem Material. Ein solches Korpus besteht aus einer Sammlung von sprachlichen Daten. Diese können sowohl in geschriebener als auch in gesprochener Form vorliegen, können den gegenwärtigen sowie den vergangenen Sprachgebrauch dokumentieren oder auch einen repräsentativen historischen Überblick bieten. Während zunächst jede beliebige systematische Zusammenstellung solcher Sprachdaten
7 als Korpus gelten kann, bezieht man heutzutage den Begriff vor allem auf sehr umfangreiche Textsammlungen in digitaler Form, welche durch das Hinzufügen diverser Analysekategorien (z.B. die Markierung verschiedener Wortarten) linguistisch aufbereitet wurden und somit elektronische Suchanfragen ermöglichen.
1.3.4 Stand der Forschung Beim Stand der Forschung (the state of the art) handelt es sich um einen dokumentierten Forschungsbericht, der als „Ausblick auf die weitere Forschung gekennzeichnet werden kann“ (Weinrich 2001, 256f.). Man kann mit guten Gründen die Auffassung vertreten, dass eine ausdrückliche und sorgfältig dokumentierte Kenntnisnahme des Standes der Forschung zu den ‚essentials‘ der wissenschaftlichen Tätigkeit zu rechnen ist. Keine Wissenschaft kann heute bei Null anfangen. Immer gibt es Vorgänger, die ‚schon‘ über ein Problem nachgedacht, es aber ‚noch nicht‘ gelöst haben (ibid., 258).
1.3.5 Modelle Ein Modell (=Sprachbeschreibungsmodell) dient dazu, bestimmte sprachliche Phänomene zu beschreiben, indem es wesentliche (aber nicht alle) Eigenschaften eines sprachlichen Sachverhaltes oder einer Handlung nachbildet. „Sprachbeschreibungsmodelle unterscheiden sich voneinander hinsichtlich ihrer allgemeinen Grundannahmen, ihrer Reichweite, ihrer prädiktiven Kraft, ihrer Explizitheit und ihrer Beschreibungssprache“ (Schwarze 2003, 89).
1.4
Disziplinen der Linguistik
Es gibt verschiedene sprachwissenschaftliche Fächer oder Disziplinen, z.B: – – – – – – – – – – –
Allgemeine Sprachwissenschaft Angewandte Sprachwissenschaft Kontrastive Linguistik Historische Linguistik Computerlinguistik Korpuslinguistik Phonetik und Phonologie Dialektologie Psycholinguistik Kognitive Linguistik Eurolinguistik
8
.5
Literatur
Bibliographie Einheit 1 (chronologisch) (1744) Vico, Gian Battista: Die neue Wissenschaft. Über die gemeinschaftliche Natur der Völker, München: Allgemeine Verlagsanstalt 1924 [dt. Übers. von Erich Auerbach; Princìpi di Scienza nuova d'intorno alla Comune Natura delle Nazioni, Milano: Mondadori 1990]. (1903) Peirce, Charles Sanders: Syllabus of Certain Topics of Logic, Boston: Alfred Mudge and Son. [dt. Übers. von Helmut Pape; Phänomene und Logik der Zeichen, Frankfurt am M.: Suhrkamp 1983]. (1906) Meyer-Lübke, Wilhelm: Die Ziele der romanischen Sprachwissenschaft (Inaugurationsrede vom 16. Oktober 1906), Wien: Holzhausen. (1925) Vossler, Karl: „Sprache und Wissenschaft“, in: (ders.): Geist und Kultur in der Sprache, Heidelberg: Winter, 220–241. (1934/91989) Popper, Karl: Logik der Forschung, Tübingen: Mohr. (1945/1984) Wittgenstein, Ludwig: Philosophische Untersuchungen, in: (ders.): Tractatus logicophilosophicus, Werkausgabe Bd. 1, Frankfurt am M.: Suhrkamp, 235–580. (1960) Martinet, André: Éléments de linguistique générale, Paris: Armand Colin. (1965/62000) Weinrich, Harald: Linguistik der Lüge, München: Beck. (1987/31989) Grewendorf, Günter/Hamm, Fritz/Sternefeld Wolfgang: Sprachliches Wissen: Eine Einführung in moderne Theorien der grammatischen Beschreibung, Frankfurt am M.: Suhrkamp. (1992) Eco, Umberto: Die Grenzen der Interpretation, Wien: Carl Hanser.[dt. Übers. von Günter Memmert; I limiti dell’interpretazione, Milano: Bompiani 1990]. (1996) Ballard, Michel/D’Hulst, Lieven: La traduction en France à l’âge classique, Villeneuve d'Ascq: Presses universitaires du Septentrion. (2001) Weinrich, Harald: Sprache, das heißt Sprachen, Tübingen: Narr. (2003) Coseriu, Eugenio/Meisterfeld, Reinhard: Geschichte der romanischen Sprachwissenschaft. Von den Anfängen bis 1492, Tübingen: Narr. (2003) Schwarze, Christoph: „Romanische Sprachgeschichte und Sprachbeschreibungsmodelle“, in: Ernst, Gerhard/Gleßgen, Martin/Schmitt, Christian/Schweickard, Wolfgang (ed.): Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen und ihrer Erforschung, Berlin: de Gruyter, 89–101. (2003) Aristoteles: Metaphysik (übers. u. eingeleitet von Thomas Alexander Szlezàk), Berlin: Akademie Verlag. (2009) Kabatek, Johannes/Pusch, Claus D.: Spanische Sprachwissenschaft, Tübingen: Narr. (2011) Loer, Thomas: „Ortloser Logos – Kann Wissenschaft eine Heimat haben?“, in: Forschung & Lehre 2/2011, 106–109.
2.
Sprachen als lebendige Organismen – Theorien und Methoden der historischen romanischen Linguistik
2.0
Überblick
In dieser Einheit geht es um die Theorien und Methoden der historischen romanischen Linguistik, wie sie sich ab dem 19. Jh. entwickelt haben. Im 19. Jh. werden Sprachen als biologische Organismen gedacht, die wachsen, Nachkommen und Vorfahren haben und – gleich einem Lebewesen – sterben (können). Diese Metapher – SPRACHEN als LEBENDIGE ORGANISMEN – reicht bis in unsere Redepraxis hinein. Auch heutzutage spricht man von Entstehen, Wachsen, Blühen, Verfallen, Geburt, Leben und Tod einer Sprache. Die Konzeption des Lebewesens als unteilbarer, in seinen Einzelteilen zusammenhängender Organismus prägte im 19. Jh. verschiedene Wissenschaftszweige. In der Biologie zeigte sie sich z.B. in Charles Darwins einflussreicher Evolutionstheorie (1859). In der Linguistik entstand das (sprachwissenschaftliche) Paradigma der genealogischen und der biologistischen Theorien. Beide sprachwissenschaftlichen Theorien wenden die vergleichende Methode an. Diese Methode nimmt eine vergleichende Analyse der Sprachen vor, fragt also danach, welche Beziehungen zwischen den Sprachen bestehen und in welcher Weise sich Sprachen verändern. Solche komparativen Untersuchungen von Einzelsprachen werden noch heute in den einzelnen sprachwissenschaftlichen Disziplinen vorgenommen: In der Germanistik geht es um die vergleichende Analyse der germanischen Sprachen, in der Slawistik geht es um die slawischen, in der Romanistik um die romanischen Sprachen. Die Metapher SPRACHEN als LEBENDIGE ORGANISMEN schließt auch die Konzeption der Sprachen als soziale Lebewesen mit ein, die reich oder arm sein können, zu Sprachfamilien gehören und durch den Einfluss anderer Sprachen korrumpiert werden können. Auch heute spricht man von verwandten Sprachen, von Sprachreichtum und Korruption der Sprache. Diese Auffassung gilt als Grundlage der unterschiedlichen Bewertung von analytischen und synthetischen Sprachen (cf. 2.3.3), wobei die Attribuierung synthetisch mit großem Reichtum und alter Sprachtradition, analytisch hingegen mit Verfall und Korruption verbunden wird (cf. Hoinkes 2003, 127). Die Konzeption der Sprachen als lebendige Organismen lässt sich folgendermaßen veranschaulichen:
Abb. 2.1: Konzeptuelle Metapher der SPRACHEN als LEBENDIGE ORGANISMEN
10 Folgende Darstellung zeigt die Entwicklung der romanischen Sprachforschung ab dem 19. Jh. unter dem Blickwinkel der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS: SPRACHE als LEBENDIGER
ORGANISMUS
FAMILIE ca. ab Anfang des 19. Jhs.
HERKUNFT ca. ab Ende des 19. Jhs. Abb. 2.2: Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS
2.1
Theorien der historischen romanischen Linguistik
Für die meisten Romanisten fängt die romanische Sprachwissenschaft erst ca. 1836 mit Friedrich Diez (1794–1876) an, der als ihr eigentlicher Begründer gilt, genauer gesagt, mit dem Erscheinen seiner dreibändigen Grammatik der romanischen Sprachen (1836– 1843). Im Allgemeinen aber wird die Entstehung der Wissenschaft von den romanischen Sprachen mit der Entdeckung und Anwendung der historisch-vergleichenden Methode gleichgesetzt (cf. Coseriu/Meisterfeld 2003, 5). Diese Methode geht von zwei miteinander verbundenen Theorien aus: der genealogischen und der biologistischen Theorie, die nicht von Romanisten entwickelt, aber von diesen angewandt wurden.
2.1.1 Die genealogische Theorie Nach der genealogischen Theorie (Anfang 19. Jh.) gehen die Sprachen auf einen gemeinsamen Prototyp zurück. Eine altindische Sprache, das Sanskrit, galt zunächst als die indoeuropäische Ursprache. Hauptvertreter dieser Theorie war der deutsche Indologe Friedrich Schlegel (1772–1829), der 1808 in Über die Sprache und Weisheit der Indier das Sanskrit und die mit ihm verwandten Sprachen erforscht hat. Dem deutschen Linguisten August Schleicher (1821–1868) gelang es jedoch nachzuweisen und dabei zu rekonstruieren, dass die eigentliche Ursprache das Indogermanische war, das sich aufspaltete in die indoeuropäischen Einzelsprachen, wovon das Sanskrit nur einen „Ableger“ darstellte. Begründet worden war die Indogermanistik 1816 von dem deut-
11
schen Sprachwissenschaftler Franz Bopp (1791–1867) in dessen Schrift Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache. Schleicher entwickelte im Anschluss an Schlegels genealogische Theorie die sogenannte Stammbaumtheorie (1863). Diese wird zur Erklärung der Sprachverwandtschaft zwischen den indogermanischen (indoeuropäischen) Sprachen herangezogen. Nach dieser Theorie können die indogermanischen Abstammungsverhältnisse durch die Darstellung in Form eines Baumes mit Wurzeln, Stamm und Verzweigungen verdeutlicht werden. Unter genealogischem Aspekt ist auch die von den Brüdern Schlegel hervorgehobene Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sprachen (1808) von Bedeutung, die in 2.3.3 erläutert wird.
2.1.2 Die biologistische Theorie Nach der biologistischen Theorie, deren profiliertester Vertreter August Schleicher ist, sind Sprachen „Naturorganismen, die, ohne vom Willen des Menschen bestimmbar zu sein, entstanden, nach bestimmten Gesetzen wuchsen und sich entwickelten und wiederum altern und absterben“ (Schleicher 1863, 6). Beide Theorien, die genealogische sowie die biologistische, gelten als vorherrschende Paradigmen der historischen Sprachwissenschaft im 19. Jh. Sie beruhen auf der alttestamentarischen Bildwelt, nach der die Welt eine aus der Sprache geborene Schöpfung ist, welche Gott mit seinem Wort ins Sein gerufen hat (cf. Und Gott sprach…, I. Mose 1, 3–29; im Neuen Testament zusammenfassend wieder aufgenommen durch: Im Anfang war das Wort…, Johannes 1, 1ʶ18). Nach dieser Konzeption ist die Vielfalt der menschlichen Sprachen letztlich aufgrund des Sündenfalls und des daraus hervorgegangenen menschlichen Hochmuts entstanden (cf. der Turmbau zu Babel, I. Mose 11, 1–9).
2.2
Die Grundfragen der historischen romanischen Linguistik
Auf die genealogischen und die biologistischen Theorien sind auch die grundlegenden Fragen der historischen romanischen Linguistik zurückzuführen. Wir können diese Fragen als die ersten zentralen Fragestellungen (der romanischen Linguistik) ansehen und sie wie folgt chronologisch geordnet formulieren: – Woher stammen die romanischen Sprachen? – Warum hat sich das Lateinische in so viele sich so stark unterscheidende Sprachen aufgespaltet? – Worauf beruht die Verwandtschaft zwischen Latein und romanischen Sprachen? – Wie erklärt man den Übergang vom Lateinischen zum Romanischen? – Welche Rolle spielt der Kontakt zu anderen Sprachen bei der Ausbildung der romanischen Sprachen? – Was ist der eigentliche Motor des Sprachwandels?
12 – „Bis zu welchem Grad ist die Vorstellung eines monogenetischen Ursprungs der romanischen Sprachen (heute) überhaupt noch gerechtfertigt?“ (cf. Hoinkes 2003) – Nach welchen sprachwissenschaftlichen Kriterien kann man (heute) die Vielfalt der romanischen Sprachen klassifizieren? – Kann man die Anzahl von Übereinstimmungen zwischen zwei Sprachen als Maß der Wahrscheinlichkeit ihrer Verwandtschaft einsetzen? – „Was kann eine vergleichende romanische Sprachwissenschaft heute (noch) leisten?“ (cf. Dahmen 2006)
2.3
Die Grundthesen der historischen romanischen Linguistik
2.3.1 Die Filiationsthese Beruhend auf der genealogischen Theorie, nach der Sprachen auf einen gemeinsamen Prototyp zurückgehen, wird die grundlegende Fragestellung der Romanisten „Woher stammen die romanischen Sprachen?“ mit der These beantwortet, die romanischen Sprachen seien die Töchter des Vulgärlateins (=des gesprochenen Lateins). Diese Auffassung des gesprochenen Lateins als Ursprache wird heute mit dem Begriff Filiationsthese (von lat. filius ‚Sohn‘) bezeichnet. Sie kann als die erste These der romanischen Sprachwissenschaft angenommen werden und lässt sich mit den Worten von Friedrich Diez in der Einleitung seiner Grammatik (1836–38) präzise wiedergeben: Lateinische Wörter aus romanischen zu reconstruieren, der Mutter wieder darzubringen, was die Töchter von ihr empfangen haben, ist gewiss eine der interessantesten Aufgaben des romanischen Sprachstudiums: es hat daher nie an Versuchen in dieser Richtung gefehlt. (Diez 41976, 29).
Folgendes Schema veranschaulicht grob die Konzeption der Filiationsthese, unter Berücksichtigung der zeitlichen Einteilung nach Ineichen (1987, 14f.):
Abb. 2.3: Die Filiationsthese
13
Als Argumente zur Stützung der Filiationsthese gelten phonologische, morphologische, syntaktische sowie lexikalische Unterschiede zwischen geschriebenem und gesprochenem Latein und das häufige Vorkommen der gesprochenen Formen in den verschiedenen romanischen Sprachen. Hierzu zwei illustrative Beispiele aus dem syntaktischen (1) und dem lexikalischen (2) Bereich: (1) Geschriebenes Latein: Gesprochenes Latein: Rom. Sprachen:
Claudius filium habere dicitur Dicunt quod Clodius filium habet Ils disent que Claude a un fils (frz.) Dicono che Claudio ha un figlio (it.) Dicen que Claudio tiene un hijo (sp.)
Geschriebenes Latein:
ignis (Feuer im Allgemeinen) – fǂcus (häusliche Feuerstätte) – Ɨra (gottgeweihte Feuerstelle) fǂcus (seit dem 4. Jh. v. Chr.) frz. feu, it. fuoco, pg. fogo, rum. foc, span. fuego
(2)
Gesprochenes Latein: Rom. Sprachen:
Der sprachwissenschaftliche Begriff Vulgärlatein, für das gesprochene Latein, wurde 1866 von dem deutschen Romanisten Hugo Schuchardt (1842–1927) geprägt. Der Linguist fasste ihn in Anlehnung an lat. vulgaris sermo auf, womit Cicero die Sprache des Volkes, insbesondere der unteren Schichten bezeichnete. Das Vulgärlatein wurde nach der römischen Eroberung und der sprachlichen Romanisierung überall im römischen Reich – das phasenweise den gesamten Mittelmeerraum einschließlich Nordafrikas umschloss – gesprochen. Vor der Ankunft der Römer wurden dort verschiedene Sprachen verwendet, die dann im Laufe eines langen Prozesses, den man mit dem sprachwissenschaftlichen Begriff Romanisierung bezeichnet, entweder verschwunden sind oder sich mit anderen Sprachen vermischt haben. Die Verwendung des Begriffs Vulgärlatein zur Bezeichnung des gesprochenen Lateins wurde im Jahre 1953 von dem deutschen Romanisten Karl Vossler in seiner Einführung ins Vulgärlatein aus folgenden Gründen stark kritisiert: Vulgärlatein ist nicht schön, weil es so tut, als ob die gesprochene Rede und Sprache des schriftungelehrten Mannes etwas Vulgäres sei. Dieses falsch-aristokratische Nebengeschmäckchen müssen wir ablehnen. Schreiben ist nicht edler als Sprechen – vom Schreiben bekommen viele Leute schmutzige Finger und blöde Augen – vom Sprechen nicht (ibid., 5) […] Auch ist das Vlt. nicht ohne weiteres als die Sprache der niederen Klassen anzusehen und das Schriftlatein nicht ohne weiteres als die Sprache der Gebildeten. Im täglichen Verkehr haben sich zweifellos auch die Gebildeten nicht in kunstvollen Perioden ausgedrückt (ibid., 49).
Obwohl es sich um einen nicht sehr glücklich gewählten Ausdruck handelt, ist der Terminus Vulgärlatein in der Romanistik stark verankert. Es scheint den Romanisten bis heute schwer zu fallen, sich von ihm zu trennen und sich für die Bezeichnung gespro-
14 chenes Latein zu entscheiden. Einig sind die Linguisten aber darüber, dass es sich nicht (nur) um die gesprochene Sprache der niederen Klassen und der unteren Schichten, sondern um die gesprochene Sprache im Allgemeinen handele. Die erheblichen sprachlichen Differenzen zwischen Vulgärlatein (=gesprochene Sprache) und klassischem Latein (=geschriebene Literatursprache) zeigen, dass der Unterschied nicht sozial, sondern medial (gesprochen vs. geschrieben) zu verstehen ist. Die Belege, die heute zum Beweis des Vulgärlateins als Ursprache der romanischen Sprachen zur Verfügung stehen, sind zahlreich. Eine Reihe indirekter Quellen (in der romanistischen Sprachgeschichtsschreibung hat sich die Umschreibung „Quellen zur Kenntnis des Vulgärlateins“ eingebürgert, cf. Müller-Lancé 2006, 63), wie etwa Grammatiken, Glossen, literarische Texte, Texte christlicher Autoren, die ältesten Bibelübersetzungen, Privatbriefe, Grab- oder Wandinschriften, zeigen deutlich, dass die romanischen Sprachen nicht von der geschriebenen Literatursprache (=klassisches Latein, z.B. von Cicero oder Ovid, ca. ab dem 1. Jh. v. Chr.) abstammen, sondern von der gesprochenen Sprache der römischen Bevölkerung, die in Kontakt mit den Einwohnern der besetzten/eroberten Gebiete trat. Anmerkungen: Obwohl heute außer Frage steht, dass eine Sprache (das Vulgärlatein), die über einen Zeitraum von rund 1000 Jahren in einem so weiten Gebiet gesprochen wurde, nie einheitlich sein konnte, wurde das Vulgärlatein im ausgehenden 19. Jh. von einigen Linguisten als einheitliche Sprache verstanden. Auch der anerkannte Schweizer Romanist Meyer-Lübke vertritt 1906 die These, dass „das Lateinische, das zu Augustus’ Zeiten auf dem weiten Orbis Romanus gesprochen wurde, ein im Ganzen einheitliches war“ (Meyer-Lübke 1906/1966, 15). Verschiedene lateinische schriftliche Belege, die im Laufe der Jahrhunderte gefunden und untersucht wurden, beweisen heute mit großer Sicherheit, dass es regionale, soziale und stilistische Unterschiede gab. Diese Vermutung wurde bereits im Jahre 1953 von Karl Vossler in seiner Einführung ins Vulgärlatein als Kritik an der Filiationsthese zum Ausdruck gebracht und daraufhin von verschiedenen Linguisten als gültig anerkannt. So schreibt z.B. der italienische Sprachwissenschaftler Carlo Tagliavini (1903–1982): „Nie hat es ein vollkommen einheitliches Vulgärlatein gegeben“ (Tagliavini 1969/1998, 161). Auch der deutsche Romanist Heinrich Lausberg (1912–1992) betont, „das Vulgärlatein war nun aber keine einheitliche Sprache: weder in sozialer noch in chronologischer noch in geographischer Hinsicht“ (Lausberg 1969, § 34). Eine derartige Differenzierung könnte graphisch folgendermaßen dargestellt werden (vgl. Abb. 2.4, nächste Seite). Solche richtigen Anmerkungen führen aber zu einer wieteren grundlegenden Frage, die der deutsche Romanist Ulrich Hoinkes wie folgt formuliert: Bis zu welchem Grad ist die Vorstellung eines monogenetischen Ursprungs der romanischen Sprachen überhaupt noch gerechtfertigt?, d.h. wenn der Ursprung der romanischen Sprachen nicht das klassische Latein, sondern eine Form des gesprochenen Lateins war, inwiefern muss dann von der Heterogenität dieser ursprünglichen Sprachform ausgegangen werden? (Hoinkes 2003, 130).
15
Diese relevante Frage, die bereits während des italienischen Humanismus, beispielsweise von Flavio Biondo (1392–1463), diskutiert wurde, gilt als Grundlage der sogenannten Kontinuitätsthese, die von Schuchardt in Der Vokalismus des Vulgärlateins I (1866–1868) weiterentwickelt wurde. Darin bezeichnet er das Vulgärlatein als „Summe von Sprachstufen und Dialekten“ (ibid., IX). Die Kontinuitätsthese kann als Ergänzung der Filiationsthese verstanden werden.
Abb. 2.4: Das Diasystem (=komplexe Struktur von Varietäten, Weinreich 1954, 389f.) des gesprochenen Lateins
2.3.2 Die Kontinuitätsthese Nach Vossler sind „die einzelnen rom. Sprachen nicht die Töchter des Vlt. sondern selbst Vlt., d.h. seine Spielart. Sie sind das Latein von heute“ (Vossler 1953, 48). In dieser Formulierung steckt eindeutig die bis heute vertretene Ansicht, es handele sich weniger um eine direkte Abstammung (Vater-Mutter ĺ Töchter), sondern vielmehr um eine Fortsetzung. So sieht auch Tagliavini es als eine Tatsache an, dass die romanischen Sprachen „das Lateinische fortsetzen“ (Tagliavini 1969/1998, 158). Heute wird also allgemein angenommen, dass die romanischen Sprachen in kontinuierlicher Entwicklung aus dem Vulgärlatein hervorgegangen sind und damit eine ‚Fortsetzung‘ dieser gesprochenen Sprache darstellen. Diese These wird mit dem Begriff Kontinuitätsthese bezeichnet. Stefenelli (1938–2002) schreibt in seinem Aufsatz „Lexical Stability“: At their core, the ‚Romance languages‘ are the direct continuation of Latin or, to be more precise, they are those forms of speech that post-antique spoken Latin (‚vulgar Latin‘) turned into in those areas of the former Roman Empire that had been Latinized permanently (Stefenelli 2011, 564).
Folgendes Schema soll den kontinuierlichen Übergang zwischen den einzelnen Sprachentwicklungsstufen und gleichzeitig die zunehmende Ausdifferenzierung illustrieren:
16
Abb. 2.5: Die Kontinuitätsthese
Als zentrale Argumente zur Stützung der Kontinuitätsthese (und zur Widerlegung der Filiationsthese) gelten die folgenden drei wichtigen Beobachtungen, die durch verschiedene Quellen belegt sind: (i)
Viele sprachliche Formen des gesBsp.:
Lat. CÆLUM MARE MORI
(ii)
Fr. ciel mer mourir
It. cielo mare morire
Kat. cel mar morir
Okz. cel mar morir
Pg. céu mar morrer
RæR. tschêl mar murir
Rum. Sp. Srd. cer cielo kélu mare mar máre muri morir mòrrere (nach Stefenelli 2011, 565)
Viele sprachliche Formen des gesprochenen Lateins sind im Vergleich zum geschriebenen Latein entweder Phänomene der Reduktion (Wegfall) oder der Innovation (neue Entstehung), so dass es sich eindeutig weniger um eine direkte Abstammung handelt, sondern vielmehr um einen Wandel: Klat. ĺ Vlat. ĺ Rom. Sprachen. Hier ein illustratives Beispiel für den Wandel durch Reduktion im Lautsystem des gesprochenen Lateins: Geschriebenes Latein: Lange (¯) und kurze (Ù) Vokale zur Bedeutungsdifferenzierung. Die Länge bzw. Quantität der Vokale ist damit phonologisch relevant.
Bsp.: lƗtus (weit) vƝnit (er kam) lƯber (frei) ǀs (der Mund)
17 vs. vs. vs. vs.
lătus (die Seite) vƟnit (er kommt) lƱber (das Buch) ǂs (der Knochen) (aus Müller-Lancé 2006, 74)
Gesprochenes Latein: Keine Vokallänge sondern verschiedene Öffnungsgrade (von e und o). Die Länge der Vokale ist phonologisch nicht mehr distinktiv. Bsp.: solu (allein) – [sɬlu] (Boden)
Ein so tiefgreifender Lautwandel vollzieht sich langsam. Der deutsche Linguist Johannes Müller-Lancé nimmt drei Entwicklungsphasen an: 1. Phase:
2. Phase:
3. Phase:
Ab dem 2. Jh. v. Chr. gab es die Tendenz, lange Vokale eher geschlossen zu artikulieren, kurze Vokale hingegen eher offen (cf. dt. der Weg vs. er geht weg). In einer zweiten Phase (ab dem 1. Jh. n. Chr.) wurde dann der Öffnungsgrad der Vokale wichtiger als deren Länge. Die Opposition sǀlum (‚allein‘) vs. sǂlum (‚Boden‘) bspw. wird abgelöst von der Opposition /‘solu/ vs. /‘sɬlu/. Diese qualitative Unterscheidung existiert auch in den romanischen Sprachen, z.B.: frz. seul vs. sol, it. solo vs. suolo, sp. solo vs. suelo. Die Umstellung im Lateinischen betraf zunächst die unbetonten Vokale (ab dem 1. Jh. n. Chr.) und erst einige Zeit später in einer dritten Phase auch die betonten Vokale (ab 4. Jh. n. Chr.). Die Entwicklung vollzog sich in allen gesprochenen lateinischen Varietäten (cf. MüllerLancé 2006, 83).
Als anschauliches Beispiel für den Wandel durch Innovation im lexikalischen System des gesprochenen Lateins gilt das folgende: Geschriebenes Latein: equus (fem. equa) Gesprochenes Latein: (seit dem 2. Jh. v. Chr.) caballus (Zug- und Arbeitspferd, Wallach) Rom. Sprachen: frz. cheval, it. cavallo, lad. þaval, pg. cavalo, rum. cal, span. caballo. (iii) Viele sprachliche Formen des gesprochenen (und geschriebenen) Lateins zeigen deutliche regionale, soziale und stilistische Unterschiede: „The Latin language was a complex structure of varieties (‚diasystem‘). It also had lexical variation, especially in stylistic, socio-cultural, regional and diachronic respects“ (Stefenelli 2011, 583). Wenn also Vulgärlatein (=gesprochene Sprache) und klassisches Latein (=elaborierte
18 geschriebene Literatursprache) Varietäten (=Unterschiede) der gleichen Einzelsprache, des Lateins, sind, das von etwa 200 v. Chr. bis 600 n. Chr. gesprochen und geschrieben wurde, dann darf das Vulgärlatein nicht als chronologischer Nachfolger des klassischen Lateins verstanden werden. Als illustratives Beispiel gilt das Verstummen des Auslauts /-s/. Es handelt sich um ein diatopisches (regionales) Phänomen. Nur die Sprachen der Ostromania sind betroffen. Die westromanischen Sprachen behalten den Auslaut /-s/. Bsp: Lat.: Kat.: Okz.: Pg.: Sp.: It.: Rum.:
nos (wir) nos nos nos nos noi noi
minus (weniger) menys mens menos menos meno -
cantas (du singst) cantes cantas cantas cantas WESTROMANIA canti OSTROMANIA cânĠi (aus Müller-Lancé 2006, 86)
Als weiteres illustratives Beispiel zur regionalen Variation gilt die Bezeichnung für „Kopf“ in der Romania, wie folgende Karte verdeutlicht:
Abb. 2.6: Die Bezeichnungen für „Kopf“ in der Romania (Rohlfs 1971, Karte 90)
2.3.3 Die These des analytischen und des synthetischen Typus Beruhend auf der Kontinuitätsthese und auf der augenfälligen Beobachtung, es gebe erhebliche sprachliche Unterschiede zwischen den romanischen Sprachen, wird die unter genealogischem Aspekt grundlegende Fragestellung der Romanisten‚ „nach welchen sprachwissenschaftlichen Kriterien man die Vielfalt der romanischen Sprachen klassifizieren könne“, zunächst mit der These beantwortet, dass sich Sprachen in synthetische und analytische unterteilen lassen. Es handelt sich dabei um eine alte Differenzierung, die zum ersten Mal von den Brüdern Schlegel 1808 angeregt wurde (beeinflusst von dem schottischen Philosophen Adam Smith, 1761).
19
Synthetisch sind Sprachen, wenn ihr Satzbau durch morphologische Flexionen bestimmt wird, wie etwa das geschriebene Latein. Im klassischen Latein bringt z.B. die synthetische Form amavi (dt. ich habe geliebt) vier Informationen zum Ausdruck: Vergangenheit (amavi), erste Person Singular (amavi) sowie Indikativ und Aktiv. Analytisch sind Sprachen, wenn ihr Satzbau durch Partikeln bestimmt wird, die die unveränderlichen Wörter in einen syntaktischen Bezug zueinander bringen, wie z.B. das gesprochene Latein. Im Vulgärlatein entspricht die analytische Form magis altus/plus altus der synthetischen des klassischen Latein altior (Klat. altus, altior, altissimus). Die romanischen Sprachen gehören prinzipiell zum analytischen Typus (z.B. frz. plus haut, it. più alto, sp. más alto) und sind deswegen, nach Schlegel 1818, Produkte einer sprachlichen Verfallserscheinung: Das Latein als Sprache des Römischen Reiches sei durch den Einfluss anderer Sprachen korrumpiert worden. Mit Recht schreibt Hoinkes, dass die Tendenz, zwischen analytischen und synthetischen Sprachen zu unterscheiden, für die Sprachwissenschaftler des frühen 19. Jhs. ein Bewertungsschema konstituiert, in dem die Attribuierung synthetisch mit großem Sprachreichtum und alter Sprachtradition koinzidiert. Unter anderem aufgrund dieser Bewertung wird das Sanskrit lange Zeit als die indoeuropäische Ursprache angesehen und dabei noch über das Griechische und auch über das Lateinische, dessen analytische Tendenz bereits sehr groß ist, gestellt (cf. Hoinkes 2003, 127). Eine solche wertende Konzeption beruht, wie oben bereits erwähnt (cf. 2.1.2), auf der alttestamentarischen Bildwelt, nach der die Vielfalt der menschlichen Sprachen durch den Sündenfall bzw. den daraus resultierenden menschlichen Hochmut aufgetreten ist (Babylonische Sprachverwirrung), was letztlich auch zur Versinnbildlichung der Flüchtigkeit und Nichtigkeit aller menschlichen Dinge dient. Damit ist ebenfalls die Idee verknüpft, dass die Veränderbarkeit der Sprache ein Zeichen ihres herannahenden Todes ist: Die Variabilität einer Sprache ist eine Konsequenz ihrer Sterblichkeit (cf. Kablitz 2007, 213f.). Wichtig ist zu bemerken, dass es sich bei der Unterscheidung von analytischen und synthetischen Sprachen um eine Klassifikation handelt, die strukturelle (=innere, cf. Einheit 4) Eigenschaften einer Sprache berücksichtigt. Es handelt sich in diesem Fall also um typologische Kriterien, die weniger mit der Entstehungsgeschichte zu tun haben, als vielmehr mit der inneren Entwicklung der Sprache. Diese neue Konzeption von typologischen Betrachtungen und genealogischer Interpretation wird in der Historiographie selten hervorgehoben. Sie erscheint hingegen bes. wichtig als Ausgangspunkt für die Erklärung des Verwandtschaftsverhältnisses von Latein und romanischen Sprachen (Hoinkes 2003, 128).
2.3.4
Die These der Sprachmischung
Zur Entwicklung der Kontinuitätsthese gehört außerdem die These der Sprachmischung, welche von der Auffassung ausgeht, die lateinisch-romanische Sprachentwicklung habe ohne Unterbrechung stattgefunden, und in dem Zusammenhang die grundlegenden Fragestellungen zu beantworten versucht, wie man den Übergang vom Lateinischen zum
20 Romanischen erklären kann und insbesondere welche Rolle der Kontakt zu anderen Sprachen bei der Ausbildung der romanischen Idiome spielt (cf. Hoinkes 2003, 130). Die Linguisten sind heute der Meinung, die Unterschiede und Veränderungen der (romanischen) Sprachen ergäben sich auch durch Sprachmischung, und zwar: – durch die Wirkung des Sprachkontaktes mit der Sprache des Siegers (=Superstratsprache). Die Römer wurden z.B. von den Franken besiegt. Bsp.: Farbbezeichnungen: Das Lateinische unterschied zwischen matten und glatten Farben, nicht aber zwischen den verschiedenen chromatischen Nuancen. Dies ist der Grund, warum es z.B. zwei Wörter für ‚weiß‘ gab: albus (mattes Weiß) und candidus (glänzendes Weiß). Unter dem Einfluss der Franken wurden beide lateinischen Wörter durch die fränkische Form blank ersetzt, wie die romanischen Sprachen deutlich zeigen: frz. blanc, it. bianco, pg. branco, sp. blanco.
– durch die Wirkung des Sprachkontaktes mit der Sprache eines politisch unterlegenen Volkes (=Substratsprache). Aus der Sprache der Gallier, die im heutigen Frankreich ansässig waren, entlehnten die Römer etwa Bezeichnungen für Pflanzen, Tiere und alltägliche Objekte: Bsp.: lat. carrus (dt. Lastkarren) lat. betulla (dt. Birke) lat. beccus (dt. Schnabel)
frz. char frz. bouleau frz. bec
it. carro it. betulla it. becco
pg. carro pg. bétula pg. bico
sp. carro; sp. abedul sp. pico
– durch die Wirkung des Sprachkontaktes mit einer Nachbarsprache ohne politische Konflikte (=Adstratsprache). Adstrat des Lateinischen ist z.B. das Griechische. Bsp.: klat. verbum (dt. Wort)
ersetzt durch: gr. parábǂle (dt. Gleichnis)
ĺ
frz. parole it. parola pg. palavra sp. palabra
ĺ
frz. parler it. parlare pg. falar sp. hablar
Ļ klat. loqui ersetzt durch: vlat. parabolare (dt. sprechen) (dt. sprechen)
ĸvon vlat. fƗbulƗri (dt. sprechen)
2.3.5 Die These der „Expressiven Mündlichkeit“ Auch die These der Expressiven Mündlichkeit gehört zur Entwicklung der Kontinuitätsthese. Es wird versucht, die grundlegende Fragestellung zu beantworten, „was der eigentliche Motor des Sprachwandels ist“. In der Regel ist man sich in der Linguistik heute einig, die Ursachen des Sprachwandels seien im Bereich der Mündlichkeit zu finden, insbesondere der sog. Expressiven Mündlichkeit. Damit ist gemeint, dass es sich um Ausdrucksformen handelt, die in der menschlichen Lebenswelt emotional stark besetzt sind. Im Folgenden zwei Zitate zur Darlegung der These der Expressiven Mündlichkeit:
21
Uns allen ist die sprachwissenschaftliche Position vertraut, die davon ausgeht, dass der eigentliche Motor des Sprachwandels im Bereich der Mündlichkeit liegt, dass also nur mündliche Varietäten sich ungehemmt entwickeln können. Man spricht hier gern vom ‚progressiven‘ Charakter und von der ‚innovatorischen‘ Kraft der gesprochenen Sprache (Koch/Oesterreicher 1996, 64). Very many meaning shifts of vulgar Latin and proto-Romance come about because (often more expressive) variants with similar meanings prevail over the (usually colourless and neutral) terms of traditional Classical Latin (Stefenelli 2011, 572).
Als wichtige Argumente zur Stützung dieser These gelten die beiden folgenden sprachlichen Beispiele, welche die deutschen Romanisten Stefenelli, Koch und Oesterreicher illustrativ dargestellt und beschrieben haben: Many abstract nouns common in the classical written language are not continued as inherited words, for instance eloquentia, felicitas, memoria, sapientia, natura. The reason is that these abstracts notions were not very popular in the spontaneous spoken language (Stefenelli 2011, 578). Wir müssen nun unterstellen, dass in expressiver Mündlichkeit ständig ein Reservoir an verstärkenden und anschaulichen Ausdrucksformen für auffällige Quantitäten existiert hat. Eine dieser Formen muss in altfranzösischer Zeit bel cop wörtlich ‚schöner Schlag, großes Stück‘ gewesen sein. Schriftlich belegt ist die Form in der Bedeutung ‚viel‘ allerdings erst später, nämlich kurz vor oder nach 1300. Das alte moult [mu] ko-existiert aber mit dieser Neubildung noch bis ins 16. Jh. hinein, um dann aus dem Sprachgebrauch zu verschwinden (Koch/Oesterreicher 1996, 77).
Folgende Tabelle aus Koch und Oesterreicher (1996) zeigt den Sprachwandel am Beispiel von Lat. multum (viel) zum heutigen Französischen beaucoup (viel): lat.
afrz.
multum ‚viel‘
ĺ molt ‚viel‘ bel cop ‚schöner Schlag‘ ĺ ‚viel‘
mfrz.
nfrz.
ĺ [mu] ‚viel‘ … ĺ beaucoup ‚viel‘
Wenn also im Leben einer Sprache ein Wort X durch ein Wort Y ersetzt wird, so kommt dieses neue Wort Y keineswegs ‚aus dem Nichts‘: Vielmehr ist das alte Wort X je schon umgeben von einem ‚Hof‘ von Trabantenwörtern, die Wartburg (1888–1971) als affektgeladene oder burleske Synonyme bezeichnet (cf. Koch/Oesterreicher 1996, 88). Kritik an dieser These der Expressiven Mündlichkeit wird etwa in folgenden Betrachtungen geäußert: In der historischen Linguistik wurde immer wieder betont, dass die Nähekommunikation, also das spontane Sprechen im Alltag, der Bereich ist, von dem Innovationen ausgehen. […] Aber es reicht nicht aus, die Nähekommunikation pauschal an den Anfang des Sprachwandels zu
22 stellen. Die Komplexität der sprachlichen Situation erfordert, dass man auch danach fragt, unter welchen Bedingungen und mit welchen Konsequenzen sich eine dort situierte Innovation außerhalb dieses ursprünglichen Kommunikationszusammenhangs verallgemeinern kann (Selig 2008, 75).
Es handelt sich bei dieser Kritik in der Essenz um eine Anmerkung, die Coseriu bereits 1974 formuliert hat: Das historische Problem des Sprachwandels ist mithin nicht die Feststellung, wie ein bestimmter Sprachmodus aufkam (wie er aufkommen konnte), sondern wie er sich als Tradition konstituierte und konstituieren konnte, das heißt, auf welche Weise und unter welchen kulturellen und funktionellen Bedingungen er sich in ein System von schon traditionellen Verfahren einfügte und einfügen konnte (Coseriu 1974, 128, eigene Hervorhebung).
Ergänzend sei hier noch angefügt, dass es viele sprachliche Formen gibt, die stabil geblieben sind und keinen Wandel vollzogen haben, so z.B.: lat. amor, frz. ameur (das später durch das Okzitanische amour ersetzt wurde), it. amore, okz. amour, pg. amor, sp. amor oder lat. dicere, frz. dire, it. dire, pg. dizer, sp. decir. Es ist deswegen besonders wichtig, die Faktoren zu untersuchen, „that can govern the relationship between stability and change in the history of words“ (Stefenelli 2011, 565).
2.4
Die vergleichende Methode
„Historisch-vergleichende Sprachwissenschaft stellt Sprachen einander gegenüber und rekonstruiert ihre Vorläufer“ (Stein 32010, 4). Die vergleichende Methode ist also darauf ausgerichtet, Eigenschaften zu fokussieren, welche die Entwicklung sowie das Entstehen und Vergehen von Sprachen und deren Klassifizierungen betreffen. Dieser diachronische Ansatz des Sammelns linguistischer Daten, des Vergleichens und Klassifizierens war von Beginn an eng an die Methode der Biologie angelehnt und brachte u.a. einen vollständigen Familienbaum hervor, der die Phylogenese der natürlichen Sprachen unserer Welt sichtbar machen sollte. Die Einteilung der Sprachen in Familien, von denen man annimmt, dass sie auf einen gemeinsamen Prototyp zurückgehen, kann als erste in diesem Rahmen systematisch angewandte Methode angesehen werden. Es handelt sich um die sog. genetische Klassifikation. Besondere Aufmerksamkeit fanden dabei anfangs lexikalische und phonetische Merkmale. So lässt sich etwa am Beispiel von lat. lactem (dt. Milch) die Anwendung der vergleichenden Methode auf die romanischen Sprachen illustrieren, indem dargestellt wird, wie sich der lateinische Nexus ct in lat. lactem regelmäßig zu den in den romanischen Sprachen vorkommenden Lauten entwickelt hat. Folgende Auflistung zeigt die Entsprechungen für lactem gemeinsam mit den Entsprechungen lautlich ähnlicher Wörter (lat. factum, noctem):
23
Lat. lactem ĺ frz. lait, it. latte, pg. leite, sp. leche Lat. factum ĺ frz. fait, it. fatto, pg. feito, sp. hecho Lat. noctem ĺ frz. nuit, it. notte, pg. noite, sp. noche (aus Stein 32010, 7)
Bei der vergleichenden Methode handelt es sich insgesamt um eine induktive (=vom Besonderen/Einzelnen zum Allgemeinen vorgehende) Methode, da zu Beginn der Forschung aus einzelnen Beobachtungen eines sprachlichen Phänomens eine allgemeine Theorie abgeleitet wird. Die komparative Methode beruht dabei auf dem Prinzip der Analogie. Es werden also systematisch Ähnlichkeiten und Unterschiede, die man zwischen den Sprachen eines bestimmten Gebietes feststellen kann, fokussiert und erfasst. Auch etymologische Wörterbücher wenden eine solche Methodik an, wie das folgende Beispiel aus dem Dictionnaire étymologique von Bloch/Wartburg, 1950, deutlich zeigt: Donner. Lat. dǀnƗre „faire un don“ qui est entré en concurrence avec le lat. classique dare (donner en général), dont il n’est resté que de traces en gallo-roman; cf. au contraire it. dare et donare, esp. dar et donar (surtout juridique) […]
2.5
Literatur
Etymologische Wörterbücher in Auswahl (chronologisch) (31869) Diez, Friedrich: Etymologisches Wörterbuch der Romanischen Sprachen (EWRS), Bonn: Marcus. (1928–2002) Wartburg, Walther v.: Französisches etymologisches Wörterbuch. Eine Darstellung des galloromanischen Sprachschatzes (FEW), Basel: Zbinden. (1935) Meyer-Lübke, Wilhelm: Romanisches etymologisches Wörterbuch, Heidelberg: Winter. (1950) Bloch, Oscar/Wartburg, Walther v.: Dictionnaire étymologique de la langue française, Paris: Presses Universitaires de France. (1969) Gamillscheg, Ernst: Etymologisches Wörterbuch der französischen Sprache, Heidelberg: Winter. (1975–2011) Pfister, Max: Lessico etimologico della lingua italiana (LEI), Wiesbaden: Reichert. (1980–1991) Coromines, Joan/Pascual, José Antonio: Diccionario crítico etimológico castellano e hispánico, Madrid: Gredos.
Grammatiken der romanischen Sprachen in Auswahl (chronologisch) (1836–1843/41976) Diez, Friedrich: Grammatik der romanischen Sprachen, Bonn: Weber. (1866–1868) Schuchardt, Hugo: Der Vokalismus des Vulgärlateins Vol.I–III, Leipzig: Teubner. (1921) Meillet, Antoine: Linguistique historique et linguistique générale, Paris: Champion. (1950) Wartburg, Walther v.: Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume, Bern: Francke. (1960) Rohlfs, Gerhard: Vom Vulgärlatein zum Altfranzösischen. Einführung in das Studium der altfranzösischen Sprache, Tübingen: Niemeyer.
24 (1974) Meyer-Lübke, Wilhelm: Grammaire des langues romanes, (Nachdruck der Pariser Ausgabe 1890-1906) Genf: Slatkine.
Bibliographie Einheit 2 (chronologisch) (1761) Smith, Adam: Considerations Concerning the First Formations of Languages, Oxford: Glasgow Edition 1976. (1808) Schlegel, Friedrich: Über die Sprache und Weisheit der Indier, Heidelberg: Mohr und Zimmer. (1816/1999) Bopp, Franz: Über das Conjugationssystem der Sanskritsprache in Vergleichung mit jenem der griechischen, lateinischen, persischen und germanischen Sprache, Nachdruck der Ausgabe von 1816, London/New York: Routledge. (1818) Schlegel, August Wilhelm: Observations sur la Langue et la Littérature Provençales. (Œuvres de M. Auguste-Guillaume de Schlegel, Eduard Böcking (ed.)), Leipzig: Weidmann, 1846. (1863) Schleicher, August: Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft. Offenes Sendschreiben an Herrn Dr. Ernst Häckel, Weimar: H. Böhlau. (1906) Meyer-Lübke, Wilhelm: Die Ziele der romanischen Sprachwissenschaft, (Inaugurationsrede vom 16. Oktober 1906), Wien: Holzhausen. (1953) Vossler, Karl: Einführung ins Vulgärlatein (hrsg. und bearb. von Helmut Schmeck), München: Hueber. (1954) Weinreich, Uriel: „Is a structural dialectology possible?“, in Word 10, 388–400. (1969) Lausberg, Heinrich: Romanische Sprachwissenschaft, Berlin: de Gruyter. (1969/21998) Tagliavini, Carlo: Einführung in die romanische Philologie, Tübingen: Francke. (1971) Rohlfs, Gerhard: Romanische Sprachgeographie. Geschichte und Grundlagen, Aspekte und Probleme mit dem Versuch eines Sprachatlas der romanischen Sprachen, München: Beck. (1974) Coseriu, Eugenio: Synchronie, Diachronie und Geschichte. Das Problem des Sprachwandels, München: Fink. (1987) Ineinchen, Gustav: „Zwischen Latein und frühem Romanisch (Die Schwelle um 800 n. Chr.)“, in: Arens, Arnold (ed.): Text-Etymologie. Untersuchungen zu Textkörper und Textinhalt. Festschrift für Heinrich Lausberg zum 75. Geburtstag. Wiesbaden/Stuttgart: Steiner, 14– 18. (1996) Koch, Peter/Oesterreicher, Wulf: „Sprachwandel und expressive Mündlichkeit“, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 26, 64–96. (2003) Coseriu, Eugenio/Meisterfeld, Reinhard: Geschichte der romanischen Sprachwissenschaft. Von den Anfängen bis 1492, Tübingen: Narr. (2003) Hoinkes, Ulrich: „Prinzipien der genealogischen Klassifikation der romanischen Sprachen“, in: Ernst, Gerhard/Gleßgen, Martin/Schmitt, Christian/Schweickard, Wolfgang (ed.): Romanische Sprachgeschichte/Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen/ Manuel international d’histoire linguistique de la Romanie Vol. 1, Berlin/New York: de Gruyter, 124–137. (2006) Dahmen, Wolfgang: Was kann eine vergleichende romanische Sprachwissenschaft heute (noch) leisten?, Tübingen: Narr. (2006) Müller-Lancé, Johannes: Latein für Romanisten. Ein Lehr- und Arbeitsbuch, Tübingen: Narr.
25
(2007) Kablitz, Andreas: „Adams Sprache oder Die Geburt der Poetik aus Dantes Theorie der Sprachenvielfalt, in: Jacob, Daniel/Krefeld, Thomas (ed.): Sprachgeschichte und Geschichte der Sprachwissenschaft, Tübingen: Narr, 203–211. (2008) Selig, Maria: „Geschichte, Variation, Wandel, Sprachwandel und historische Corpora“, in: Stark, Elisabeth/Schmidt-Riese, Roland/Stoll, Eva (ed.): Romanische Syntax im Wandel, Tübingen: Narr, 67–88. (32010) Stein, Achim: Einführung in die französische Sprachwissenschaft, Stuttgart: Metzler. (2011) Stefenelli, Arnulf: „Lexical Stability“, in: Maiden, Martin/Smith, John Charles/Ledgeway, Adam: The Cambridge History of the Romance Languages Vol. I, Cambridge: Cambridge University Press, 564–605.
Empfohlene Lektüre (1996) Koch, Peter/Oesterreicher, Wulf: „Sprachwandel und expressive Mündlichkeit“, in: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik 26, 64–96. (1996) Stefenelli, Arnulf: „Thesen zur Entstehung und Ausgliederung der romanischen Sprachen“, in: Holtus, Günter/Metzeltin, Michael/Schmitt, Christian (ed.): Lexikon der Romanistischen Linguistik, Band II,1: Latein und Romanisch: Historisch-vergleichende Grammatik der romanischen Sprachen, Tübingen: de Gruyter, 73–90. (2003) Hoinkes, Ulrich: „Prinzipien der genealogischen Klassifikation der romanischen Sprachen“, in: Ernst, Gerhard/Gleßgen, Martin-Dietrich/Schmitt, Christian/Schweickard, Wolfgang (ed.): Romanische Sprachgeschichte/Histoire linguistique de la Romania. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen/Manuel international d’histoire linguistique de la Romanie, Vol. 1, Berlin/New York: de Gruyter 124–137.
2.6
Aufgaben
1. Versuchen Sie, neben den hier genannten, selbst einige Beispiele zur Illustration der Metapher SPRACHEN als LEBENDIGE ORGANISMEN zusammenzustellen. 2. Welche (theoretischen) Vorteile hat die Kontinuitätsthese gegenüber der Filiationsthese? 3. Was versteht man unter synthetischen, was unter analytischen Sprachen? Bitte stellen Sie selbst einige zusätzliche illustrative Beispiele zusammen. 4. Welche Rolle spielen Superstrat-, Substrat-, und Adstratsprachen bei der lateinisch-romanischen Sprachentwicklung? Fallen Ihnen konkrete Beispiele ein? 5. Was genau besagt die These der Expressiven Mündlichkeit? Welche grundlegenden Fragen können mit ihrer Hilfe beantwortet werden? 6. Versuchen Sie, die vergleichende Methode selbst anzuwenden, um darzustellen, wie sich der lateinische Diphthong au in lat. aurum (‚Gold‘) und lautlich ähnlichen Wörtern regelmäßig zu den in den romanischen Sprachen vorkommenden Lauten entwickelt hat.
3.
Sprache(n) als Raum – Theorien und Methoden der (historischen) romanischen Sprachgeographie
3.0
Überblick
Die Metapher SPRACHEN als LEBENDIGE ORGANISMEN (cf. Einheit 2) schließt u.a. mit ein, dass Sprachen – gleich einem Lebewesen – in einem (geographischen) RAUM existieren, welcher, insbesondere zu Beginn des 20. Jhs., als einfacher BEHÄLTER (von Sprachen und Dialekten) konzipiert wird. Mit dieser Metapher werden Sprachen als Entitäten gedeutet, deren Stellung innerhalb eines großen oder kleinen geographischen Raums definiert wird, die sich über Sprachgrenzen hinweg ausbreiten und Variationen im selben Raum aufweisen können. Noch heute redet man im gesamten Bereich der Sprachwissenschaft gemeinhin von Sprachräumen, Sprachgrenzen, Sprachlandschaften und Sprachinseln. Zu Beginn des 20. Jhs. wird das Forschungsprimat der komparativen Linguistik durch einen stärkeren Fokus auf diese Metapher abgelöst. Im Mittelpunkt der romanischen Linguistik stehen nun nicht länger die Familienbeziehungen der einzelnen Sprachen und die Erstellung genealogischer Baumstrukturen zur Erklärung der verwandtschaftlichen Abstammungsverhältnisse der Sprachen, sondern vielmehr deren Existenz in geographischen Räumen, die es zu identifizieren und zu gliedern gilt. Auf diese Weise ist es in der Linguistik gelungen, die räumliche Verbreitung der romanischen Sprachen (=Einzelsprachen wie etwa das Italienische) und deren jeweiliger Dialekte (=Sprachvarianten einer Einzelsprache wie etwa Sizilianisch oder Neapolitanisch für das Italienische) festzustellen, sie nach geographisch-arealen Kriterien zu gliedern sowie zu erklären, in welcher Weise Sprachen bzw. Dialekte mit dem geographischen Raum verbunden sind. Die mentale Konzeption der SPRACHE(N) IM RAUM hat zur Entwicklung unterschiedlicher Theorien, wie etwa der Wellentheorie, der Theorie der Romania als einheitlicher Sprachraum oder der Arealtheorie, geführt. Bahnbrechend wirkte sich die Durchsetzung der geolinguistischen Theorie und der sprachgeographischen Methode im 20. Jh. aus, die zum Entstehen der neuen linguistischen Disziplin der Sprachgeographie beitrug. Die Metapher der Sprache als lebendiges Wesen in einem Raum – SPRACHE(N) IM RAUM – bildet aber auch die Grundlage einer erheblichen Anzahl anderer sprachwissenschaftlicher Disziplinen und Unterdisziplinen, die sich je nach der Perspektive unterscheiden, aus welcher die Linguisten den Raum betrachten und beschreiben. Die Dialektologie, die Soziolinguistik, die Varietätenlinguistik, die Toponomastik (=Ortsnamensforschung), die Anthroponomastik (=Personennamensforschung), die Onomastik (Namensforschung) sowie die moderne Migrationslinguistik sind nur einige Beispiele für Forschungsbereiche, die von der Konzeption der SPRACHE(N) IM RAUM ausgehen. Auf diese Disziplinen kann im Rahmen dieser Einheit nur am Rande eingegangen wer-
28 den, hier sollen insbesondere die Theorien und Methoden zur Ausgliederung der romanischen Sprachen und die Theorien und Methoden der Sprachgeographie eingeführt und dargestellt werden. Folgende Darstellung zeigt die Entwicklung der romanischen Sprachforschung ab dem 19. Jh. unter dem Blickwinkel der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS und fügt den Raum als fokussierten Aspekt hinzu: SPRACHE als LEBENDIGER
ORGANISMUS
FAMILIE ca. ab Anfang des 19. Jhs.
RAUM ca. ab Anfang des 19. Jhs.
HERKUNFT ca. ab Ende des 19. Jhs.
Abb. 3.1: Fokussierte Aspekte der konzeptuellen METAPHER SPRACHE als LEBEWESEN
Die folgende Form will hingegen die Konzeption Sprache(n) im Raum – Raum in der Sprache grob veranschaulichen:
Abb. 3.2: Schaubild Sprache(n) im Raum – Raum in der Sprache
3.1
29
Theorien der romanischen Linguistik des Raums
Unter Theorien der romanischen Linguistik des Raums sind solche zu verstehen, welche sprachräumliche Unterschiede (=sprachräumliche Variationen) von Sprachen (inklusive Dialekten) beinhalten und thematisieren. Mit der Berücksichtigung von Dialekten, erstmalig durch den italienischen Dialektologen Graziadio Isaia Ascoli (1829–1907) in L’Italia dialettale (1882–1885), geht die Zielsetzung einher, die Ausgliederung der Romania mit größtmöglicher Präzision zu erfassen. Es handelt sich also um Theorien, die eine methodologische Zusammenführung der synchronischen Erhebung sprachräumlicher Variation mit ihrer diachronisch fundierten Beschreibung darstellen (cf. Krefeld 2008, 92).
3.1.1 Die Wellentheorie Eine der ersten Theorien, die aus der mentalen Konzeption der SPRACHE(N) IM RAUM entstanden sind, ist die Wellentheorie. Nach der Wellentheorie, als deren Begründer der deutsche Sprachwissenschaftler Johannes Schmidt (1843–1901) mit seinem Werk Die Verwandtschaftsverhältnisse der indogermanischen Sprachen (1872) gilt, breiten sich die sprachlichen Innovationen von verschiedenen Zentren (im Raum) wie Wellen auf einem See aus, die sich ihrerseits häufig überschneiden (cf. Tagliavini 1973/21998, 14f.). Es handelt sich dabei um einen theoretischen Ansatz, welchen der Romanist Schuchardt bereits im Jahr 1868, d.h. vier Jahre vor der Veröffentlichung von Schmidts Theorie, in Der Vokalismus des Vulgärlatein antizipiert hatte: Denken wir uns die Sprache in ihrer Einheit als ein Gewässer mit glattem Spiegel; in Bewegung gesetzt wird dasselbe dadurch, dass an verschiedenen Stellen desselben sich Wellencentra bilden, deren Systeme, je nach der Intensität der treibenden Kraft von größerem oder geringerem Umfange, sich durchkreuzen (Schuchardt 1868, 34).
Obwohl diese Theorie noch immer eine genealogische Dimension hat, die sich u.a. darin zeigt, dass Sprachen als Einheiten konzipiert werden (cf. im obigen Zitat: „Denken wir uns die Sprache in ihrer Einheit“), gilt sie als wichtige Grundlage für die Theorien und Methoden der Linguistik des Raums. Denn mit ihrer Hilfe kann auch die Existenz von sprachlichen Übereinstimmungen zwischen (romanischen) Sprachen erklärt werden, die sich nicht im gleichen geographischen Raum befinden und ggf. sehr weit voneinander entfernt sind. So bietet die Wellentheorie eine leichtere Erklärung für die über Sprachgrenzen hinaus existierende Verbreitung bestimmter sprachlicher Phänomene als die evolutionstheoretischen Modelle. Die Abbildung zeigt schematisch die Konzeption der Ausbreitung von sprachlichen Innovationen nach der Wellentheorie:
30 maximale Verbreitung der Innovation
Zentrum einer Innovation
Zentrum einer Innovation
Überschneidungen verschiedener Innovationen
Abb. 3.3: Ausbreitung von sprachlichen Innovationen nach der Wellentheorie
Heute kann die Linguistik wissenschaftlich folgendes belegen: – von welchem Zentrum aus sich eine Innovation verbreitet hat; – bis wohin die Innovation gelangt ist, wo also ihre Grenzen liegen; – welche Hindernisse ihre weitere Verbreitung aufhalten bzw. aufgehalten haben (cf. Coseriu 1975, 24). Folgendes Schema illustriert die unterschiedlich starke Ausbreitung sowie die regionale Überlappung verschiedener Sprachwandelphänomene/Phänomene der Innovation:
Abb. 3.4: Wellentheorie (nach Cerdá Massó 1986, 214)
Die für die sprachliche Innovation ermittelten Zentren können darüber hinaus zu sekundären Zentren der Ausbreitung werden, welche die Innovation selbst verstärken. Die Lage eines Ausbreitungszentrums von Innovationen ist oft durch das Prestige bedingt, das ein bestimmtes sprachliches Areal einem anderen gegenüber besitzen kann. Es sind also oft soziokulturelle Faktoren, die bei der Verbreitung sprachlicher Innovationen eine große Rolle spielen, da sie – um die Worte Schuchardts (1868, 34) aufzugreifen – die „Intensität der treibenden Kraft“ mitbestimmen.
31
3.1.2 Die geolinguistische Theorie Die geolinguistische Theorie geht davon aus, dass es Variationen einer Sprache im Raum gibt (=Variation im Raum), die unter (inneren) geographischen Aspekten betrachtet werden können. Als Begründer dieser Theorie in der Romanistik gilt der Schweizer Linguist Jules Gilliéron (1854–1926), der 1902–1910 ausgehend von der Darstellung ortsmundartlicher Eigenschaften (=räumlicher Varietäten) mittels kartographischer Beschreibungen den ersten romanischen Sprachatlas verfasst und die moderne Sprachgeographie in Bewegung gesetzt hat. Die Sprachgeographie beschäftigt sich mit der räumlichen Ausdehnung und Verteilung einzelner sprachlicher Erscheinungen (Phoneme, Wörter, Konstruktionen) innerhalb einer oder mehrerer „Sprachen“, sowie mit den Grenzen zwischen den von diesen Erscheinungen eingenommenen Flächen, die nur in Sonderfällen mit den Grenzlinien der jeweils untersuchten Sprache bzw. Sprachen übereinstimmen können (Coseriu 1975, 6, Hervorhebungen im Original).
3.1.3 Die Theorie der Romania als einheitlicher Sprachraum Nach dieser Theorie bilden die romanischen Sprachen eine ‚homogene Einheit‘ in einem gesamt-geographischen Raum, in dem sie gesprochen werden und wurden. Diese Einheit wird seit dem 19. Jh. in der Romanischen Sprachwissenschaft durch die Verwendung des Begriffs Romania (aus dem lat. ‚orbis romanus‘, 4. Jh.) zum Ausdruck gebracht. In der heutigen Romanistik wird die Romania wie folgt unterteilt: Romania continua zur Bezeichnung der innerromanischen sprachlichen Einheitlichkeit (=‚typisch‘ romanisch). Der Begriff wurde 1951 von dem in Spanien geborenen Romanisten Amado Alonso (1896–1952) geprägt. Romania discontinua zur Fokussierung der Sonderstellung des Rumänischen: „por su aislamento geográfico desde el siglo III, por su existencia puramente dialectal hasta hace bien poco, y por la invasora vecindad de lenguas extrañas“ (Alonso 1951, 118). Alte Romania für den Sprachraum, in dem romanische Sprachen als direkte Nachfolger des Lateinischen gesprochen werden. Neue Romania bzw. Romania Nova für die Sprachräume, in die sich die romanischen Sprachen aus dem 15. Jh. im Rahmen der kolonialen Expansion europäischer Mächte ausbreiten (cf. Kabatek/Pusch 2009, 11). Verlorene bzw. untergegangene Romania (aus dem neulat. ‚Romania submersa‘) für die Sprachräume (z.B. in Nordafrika, auf dem Balkan und im südwestdeutschen Raum), die als Teile des Römischen Reiches zumindest partiell auch sprachlich romanisiert wurden, heute jedoch anderssprachige Gebiete sind (cf. Renzi/Andreose 2003, 303–304). Nicht zur Romania submersa gehört der südöstliche Teil des Römischen Reichs, der zu allen Zeiten vom Griechischen geprägt war (cf. Kabatek/Pusch 2009, 10–11). Diese Einteilung kann man zum Teil auch als eine Unterscheidung typologischer und nicht nur geographischer Natur verstehen, da z.B. die Romania continua hauptsächlich durch ihre „innere“ sprachstrukturelle Kohärenz als ‚typisch‘ romanisch angesehen wird (cf. Jacob 2008, 149).
32
Abb. 3.5: Übersichtskarte der „Alten Romania“ (nach Wartburg, aus Tagliavini 1973, 280)
3.1.4 Die Arealtheorie Nach der Arealtheorie werden Nachbarsprachen (d.h. Sprachen in arealem Kontakt), die rein sprachtheoretisch nicht zur selben Familie gehören, dennoch als verwandt betrachtet, wenn sie gemeinsame Merkmale aufweisen, wie etwa lexikalische oder morphologische Konvergenzen. Wenn also die Verwandtschaft nicht ‚genetisch‘ begründet ist, dann beruht sie nach den Vertretern der Arealtheorie auf „Interferenzen sprachlicher Strukturen“ (cf. Haarmann 1976, 20). Sprachgruppen, die sich auf diese Weise bilden, werden mit sprachwissenschaftlichen Begriffen wie ‚Sprachbund‘ bzw. ‚Arealtyp‘ bezeichnet. Für die Klassifikation der romanischen Sprachen sind v.a. die innerromanischen arealen Befunde von Bedeutung. Nach dem deutschen Romanisten Thomas Krefeld sind areale Klassifikationen nur auf der Ebene der kleinräumigen Sprachvariationen (=Dialekte) sinnvoll, weil sich einerseits die Dialekte einer Einzelsprache vor allem ‚innerhalb‘ der jeweiligen Einzelsprache in funktionaler Hinsicht sehr stark unterscheiden können (wie etwa Sizilianisch und Venezianisch für das Italienische) und weil sich andererseits Dialekte unterschiedlicher Sprachen ähneln können. Die folgende Karte zeigt die übliche Einteilung der Romania in areale Großräume:
33
Abb. 3.6: Areale Großräume der Romania
Der italienische Linguist Matteo Bartoli (1873–1946) hat 1925 folgende ‚Arealnormen‘ formuliert, die „nach seiner Meinung der Schlüssel zur Erklärung sämtlicher Phänomene waren“ (Tagliavini 1973/21998, 33): 1.
Das isolierte Gebiet bewahrt in der Regel die ältere Phase Mittelitalien casa z.B. Sardinien domo
2.
Die Phase der Randgebiete ist normalerweise älter als die der Zwischenbereiche z.B. Ibero-R. hermoso Gallo-R. beau Italo-R. bello Balkan-R. frumos
3.
Das größere Gebiet bewahrt normalerweise die frühere Phase, falls das kleinere Gebiet weder das isolierte noch ein Randgebiet ist z.B. Ibero-R. cosa Gallo-R. chose Italio-R. cosa Balkan-R. lucru
4.
Die frühere Phase erhält sich normalerweise im später romanisierten Gebiet z.B. Provinzen comer Italio-R. mangiare
5.
Die verschwundene Phase ist in der Regel die frühere z.B.: arduus und cruor wurden von altus und sanguis ersetzt (cf. Bartoli 1925, 67–75; Bsp. nach Coseriu 1975, 44)
Anmerkungen: Das Problem dieser Arealnormen liegt darin, dass alle Unterschiede im Raum ausschließlich aus der Perspektive des Alters (einer sprachlichen Variante) gedeutet werden. Oft lässt sich jedoch nicht einwandfrei rekonstruieren, welche von zwei lateinischen Varianten älter ist.
34
3.2
Die Grundfragen der romanischen Linguistik des Raums
Von der noch genealogisch konzipierten Theorie der Romania als homogener Sprachraum – der „aus einem als einheitlich unterstellten lateinischen Ursprung“ stammt (Jacob 2008, 149) – gehen alle Fragestellungen und Thesen zur Beziehung zwischen geographischen Varianten sowie zur Identifikation und Klassifikation der romanischen Sprachen inklusive der entsprechenden Bezeichnungen aus. Es handelt sich dabei um die ersten zentralen Fragestelllungen der Linguistik des Raums, die wie folgt formuliert werden können: – Welcher innere Mechanismus wirkt im Leben einer Sprache und ruft Veränderungen hervor? – Worin liegt der tiefere Grund der Neuerung? – Nach welchen Kriterien können Sprachräume und Sprachgrenzen (auch Dialektgrenzen) identifiziert werden? – Wie viele und welche romanischen Sprachen gibt es? – Wie lassen sich die romanischen Sprachen klassifizieren? – Welche geographisch-arealen Kriterien zur Einteilung der romanischen Sprachen (bzw. Sprachräume) lassen sich identifizieren?
3.3
Die Grundthesen der (historischen) romanischen Sprachgeographie
Zur Beantwortung der Fragen Welcher innere Mechanismus wirkt im Leben einer Sprache und ruft Veränderungen hervor? sowie Nach welchen Kriterien können Sprachräume und Sprachgrenzen (auch Dialektgrenzen) identifiziert werden?, sind v.a. die Beobachtungen in der Sprachgeographie anzuführen. Für die meisten Romanisten fängt die romanische Sprachgeographie als wissenschaftliche Methode erst mit Jules Gilliéron (1854–1926) an, der als ihr eigentlicher Begründer gilt, genauer gesagt, mit der Publikation seines Sprachatlas Atlas Linguistique de la France (=ALF), der 1902–1910 in 9 Bänden erschien. Die Impulse, die zum Entstehen dieser Disziplin maßgeblich beigetragen haben, sind hingegen in der Germanistik zu suchen, und zwar in der Zielsetzung des deutschen Linguisten Georg Wenker (1852–1911), das Bestehen von Dialekten (=dialektale Einheit) und Dialektgrenzen nachzuweisen. Als Resultat der Untersuchung stellte sich jedoch heraus, dass die Lautlinien, welche die Dialekte voneinander trennen (=Isoglossen), sehr unregelmäßig sind und für fast jedes Wort unterschiedlich verlaufen (cf. Iordan 1962, 173–174). Auf diese Beobachtung sind letztlich alle Ansätze der Sprachgeographie zurückzuführen. Ziel der Disziplin ist es nämlich, die Beziehungen zwischen den geographischen Varianten (=diatopischen Varianten) einer Sprache in Form geographischer Karten darzustellen, welche die räumlichen Unterschiede und deren Interdependenz zeigen können. Dabei ist es wichtig zu bemerken, dass „die dialektologischen und sprachgeographischen Forschungen, die seit dem Ende des 19. Jhs. intensiv
35
betrieben wurden, […] sich hier v.a. gegen die traditionellen Bezugnahmen von Sprache und Nation sowie Sprache und Literatur behaupten [mussten]“ (Hoinkes 2003 130).
3.3.1 Die These der gesprochenen Sprache als Quelle der Innovation Insbesondere zur Beantwortung der Frage Welcher innere Mechanismus wirkt im Leben einer Sprache und ruft Veränderungen hervor? wird in der Sprachgeographie die These vertreten, dass die eigentliche Quelle der Innovation die gesprochene Sprache ist. Somit ist letztlich das menschliche Individuum selbst mit seinen alltäglichen Sprachhandlungen Ursache der Innovation. Nach Coseriu (1975, 39) liegt das größte Verdienst der Sprachgeographie in der Berücksichtigung der mündlich tradierten, lokalen Dialekte – also der gesprochenen Sprache – als ‚Quelle‘ der Innovation. Gilliéron kam, laut Coseriu, zu der „Einsicht, dass das Geheimnis der ‚Sprache‘ im Sprechen beschlossen liegt: dass nämlich jegliche Neuerung einen individuellen Ursprung hat“ (1975, 39). Es handelt sich dabei um eine Konzeption, welche bereits Ende der 1870er Jahre von den Junggrammatikern vertreten wurde und in welcher dem Individuum eine wesentliche Rolle bei der Sprachschöpfung und Sprachentwicklung zugestanden wird.
3.3.2 Die These der Wortpathologie als Ursache des Sprachwandels Zur Beantwortung der Frage Worin liegt der tiefere Grund der Neuerung?, vertritt Gilliéron die These der Wortpathologie als Ursache des Sprachwandels. Wenn ein Wort in eine pathologische Situation gerät, wird eine Therapie notwendig. Der Sprecher verspürt das Bedürfnis, das ihm nicht mehr dienliche Wort abzuwandeln oder zu ersetzen. Eine Wortpathologie liegt in zwei Fällen vor: – Wenn zwei Wörter infolge von Lautveränderungen homophon werden: z.B. wurde lat. serrare „(zer)sägen“ in einem Gebiet ersetzt, wo es mit einem gleichlautenden Wort serrare mit der Bedeutung „schließen“ aufeinandertraf; – Wenn ein Wort durch extreme Reduzierung seines Lautkörpers seine Ausdruckskraft verliert: z.B. lat. apis, Pl. apes, „Biene“ wurde in der Mehrzahl der französischen Dialekte durch andere Ausdrucksformen ersetzt (vgl. Abb. 3.7), weil „der Lautkörper von apes auf ein nurmehr einsilbiges Phänomen (ef, é) mit unzureichender Ausdruckskraft reduziert war“ (Coseriu 1975, 36). Als illustratives Beispiel gilt hier Karte 1 des ALF zu frz. abeille (vgl. Abb. 3.7 auf der folgenden Seite). Aus der Karte lässt sich entnehmen, dass das lat. apis, Pl. apes, „Biene“ sporadisch immer noch in einigen Randzonen vorkommt.
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Abb. 3.7: Fortsetzer von lat. apis, Pl. apes, dt. ‚Biene‘ (aus Coseriu 1975, 38)
3.4. Die sprachgeographische Methode Coseriu definiert die Sprachgeographie in erster Linie unter Bezugnahme auf die ihr eigene Methode, welche dialektologisch vergleichend und dokumentarisch vorgeht: In der Fachterminologie der heutigen Sprachwissenschaft bezeichnet der Ausdruck „Sprachgeographie“ ausschließlich eine dialektologische und vergleichende Methode, die in unserem Jahrhundert – insbesondere auf dem romanischen Gebiet – eine außerordentliche Entwicklung erfahren hat und die entweder die Aufzeichnung einer verhältnismäßig hohen Anzahl durch direkte und einheitliche Befragung in einem Punktenetz auf einem bestimmten Territorium festgestellter sprachlicher (phonetischer, lexikalischer oder grammatischer) Formen beinhaltet oder zumindest die Verteilung der einzelnen Formen auf den geographischen Raum berücksichtigt, welcher der untersuchten Sprache bzw. den untersuchten Sprachen, Dialekten oder Mundarten zukommt (Coseriu 1975, 1).
Die Herangehensweise der Sprachgeographie ist onomasiologisch, da von den Sachen her nach der möglichen Wortformen (=Bezeichnungen) in einer bestimmten Einzelsprache oder Dialekt gefragt wird. Das wichtigste Arbeitsresultat von Sprachgeographen sind die Sprachatlanten, welche als geographische Darstellung der sprachlichen Phänomene fungieren, wodurch versucht wird, die Grenzen zwischen den Sprachvarianten zu
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ermitteln und kartographisch festzuhalten. Bei der Erstellung und Konzeption von Sprachatlanten muss jeder Sprachgeograph notwendigerweise bestimmte Entscheidungen treffen, die Winkelmann/Lausberg (2001, 1004–1069) wie folgt formuliert haben: – Die Wahl des zu erforschenden Gebiets: Großräume oder Kleinräume – Die Wahl der zu erforschenden Sprachen und Dialekte: eine einzige Sprache oder einen oder mehrere Dialekte einer Sprache – Die Wahl der Aufnahmeorte und das Punktnetz Als wichtiges Arbeitsmaterial gilt der Fragebogen, der auf der Grundlage bestimmter wissenschaftlicher Überlegungen entworfen wird. So gilt es, bereits vor und bei der Erstellung folgendes zu klären: – Die Fragemethode (z.B. direkte vs. indirekte Fragen) – Umfang und Art der Fragen (z.B. mit/ohne Illustrationen, Zeichnungen, Photographien) – Die Zahl der Informanten – Die Zusammenstellung der Informanten (z.B. jung vs. alt, weiblich vs. männlich) – Die Exploratoren (Linguisten vs. nicht-Linguisten) Das gesammelte Material wird auf (Sprach-)Karten eingetragen. Abhängig von den sprachlichen Fakten können etwa die folgenden Sprachkarten erstellt werden: – Phonetische Karten: Sie verzeichnen bspw. die an den Umfragepunkten festgestellten Varianten eines Phonems oder bestimmte Phonemreihen, die sich vom historischen Standpunkt aus in jeweils derselben Stellung befinden; – Lexikalische Karten: Sie verzeichnen bspw. die zum Ausdruck ein und desselben Begriffs verwendeten Wörter, und zwar unabhängig von der Lautschwankung, d.h. der an jedem Punkt festgestellten besonderen Aussprache; – Eigentliche Sprachkarten. Sie verzeichnen bspw. die konkret an jedem Umfrageort festgestellten Äußerungen in ihrer lautlichen und morphologischen Gesamtheit. Als illustratives Beispiel zu den Sprachkarten allgemein dient eine lexikalische Karte zu lat. frater und fratellus ‚Bruder‘ in Italien (nach Bertoldi 1949), vgl. Abb. 3.8 auf der nachfolgenden Seite.. Die Eintragung des gesammelten Materials auf Karten, welche dann die Sprachatlanten bilden, erfordert grundlegende Entscheidungen zur Präsentation des Karteninhalts, wie etwa: – Das Transkriptionssystem und die Transkriptionsart – Die Datenmenge auf einer Karte
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Abb. 3.8: Lexikalische Karte: lat. frater und fratellus in Italien (aus Coseriu 1975, 9)
3.5
Die Grundthesen zur Ausgliederung des einheitlichen Sprachraums – die Romania
Die Theorie der Romania als einheitlicher Sprachraum stützt sich auf zahlreiche (Hypo-)Thesen, mithilfe derer seit Ende des 19. Jhs. anhand verschiedener Kriterien (z.B. geographischer und sprachlicher) versucht wird, folgende Fragen zu beantworten: Wie viele und welche romanischen Sprachen gibt es?, Wie lassen sich die romanischen Sprachen klassifizieren? und Welche geographisch-arealen Kriterien zur Einteilung der romanischen Sprachen (bzw. Sprachräume) lassen sich identifizieren? Zu Beginn des 20. Jhs. verläuft die Identifikation von Sprachräumen im Wesentlichen immer noch unter genealogischen Aspekten, da verwandte Sprachen als eine Art Familie und damit als einheitliche und homogene Entität wahrgenommen werden: Wir haben es hier mit der Ausbildung einer eigenständige Perspektive der romanischen Sprachwissenschaft zu tun. Das Grundanliegen der entsprechenden Forschungsrichtung liegt in der Identifikation von Sprachräumen, die unter genetischem Aspekt als einheitlich angesehen werden können, selbst wenn die in ihnen verifizierbaren Sprachformen ein mehr oder minder hohes Maß an dialektaler Variation aufweisen (Hoinkes 2003, 131).
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In verschiedenen Klassifikationsansätzen entspricht die ‚Einteilung der Romania‘ ungefähr den Verhältnissen in der ausgehenden Kaiserzeit. Es handelt sich dabei also nicht um die heutige Einteilung, welche (auch) nationalsprachliche Großräume – die ein Faktum der mittelalterlichen und neuzeitlichen Geschichte sind – berücksichtigt (cf. Lausberg 31969, 39). Um die Homogenität eines Sprachraums zu belegen, wurden in der frühen Phase der Romanistik als Korpus vorwiegend literarische Quellen herangezogen. Mit Recht schreibt Hoinkes: „Bis heute ist die Dokumentation des frühesten Sprachzeugnisses ein Schwerpunkt der Romanistik“ (Hoinkes 2003, 130f.). Die Forschungsliteratur setzt den Anfang dieses Untersuchungsgebiets gern bereits im Mittelalter an, und zwar mit der von Dante Alighieri (1265–1321) thematisierten ersten Ausgliederung des romanischen Sprachraums. Anhand ‚morphologischer‘ Argumente – und zwar des Ausdrucks für ‚ja‘ – teilt Dante in De vulgari eloquentia (1303/04) die romanischen Sprachen in drei Gruppen ein: lingua romana di si, lingua romana di oʀl und lingua romana di oc. In den von Dante identifizierten drei Sprachräumen werden im Sprachgebrauch jeweils verschiedene Arten der vor allem ab dem Mittelalter vorhandenen Möglichkeiten einer affirmativen Antwort auf eine Frage fortgesetzt (cf. De vulgari eloquentia I, viii): lat.: Venis mecum? Hoc ille fecit?
Sic (venio) Hoc ! Hoc ille.
si oc oïl/oui
dt.: Kommst du mit? Jenes hat er gemacht?
Fürwahr, ich komme. Jenes! (Ja)
(aus: Rohlfs 1971, 42)
Die folgende Karte zeigt die räumliche Ausgliederung der Romania anhand der Bezeichnung für ‚ja‘:
Abb. 3.9: Die Bezeichnungen für ‚ja‘ (aus Rohlfs 1971, 244)
Seit der Entstehung der Linguistik des Raums sind verschiedene Thesen zur Ausgliederung des romanischen Sprachraums aufgestellt worden, die unterschiedliche Faktoren berücksichtigen und so zuweilen zu entgegengesetzten Resultaten gekommen sind. Folgende, hier chronologisch dargestellte Thesen wurden Ende des 19. Jhs. als relevant betrachtet.
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3.5.1 Die (frühe) These der drei Sprachräume – Die Spaltung in einen östlichen, einen südwestlichen und einen nordwestlichen Sprachraum Die erste These zur Klassifikation der romanischen Sprachen stammt von dem deutschen Romanisten Friedrich Diez (1794–1876). Er stellt 1836 in seiner Grammatik der romanischen Sprachen (1836–43) die These auf, dass der Sprachraum Romania sich in drei große Sprachräume unterteilen lasse und identifizierte insgesamt [s]echs romanische Sprachen […]. Alle haben ihre erste und vornehmste Quelle in der lateinischen. Aber nicht aus dem classischen Latein, dessen sich die Schriftsteller bedienten, flossen sie, sondern, wie schon vielfach und mit Recht behauptet worden, aus der römischen Volkssprache oder Volksmundart, welche neben dem classischen Latein im Gebrauche war, und zwar, wie sich versteht, aus der spätlateinischen Volksmundart (Diez 1836, 3).
Folgende Abbildung veranschaulicht die Diezsche Unterteilung:
Abb. 3.10: These der drei Sprachräume (nach Diez 1836)
Diese Ausgliederung beruht auf einer vergleichenden Methode, welche keine speziell sprachstrukturellen, sondern nur geographisch-areale Kriterien berücksichtigt. Darauf lässt auch die Wahl der Bezeichnungen für die romanischen Sprachuntergruppen schließen, die nämlich grob auf das Areal verweisen, in dem die jeweiligen Sprachen gesprochen werden. Die sechs identifizierten romanischen Einzelsprachen sind unter philologischen Gesichtspunkten als Literatursprachen von kultureller Bedeutung einzuschätzen. Dies ist der Grund, warum etwa das Katalanische nicht berücksichtigt und dem Provenzalischen zugeordnet wird. Die katalanischen Dichter schreiben nämlich im Mittelalter auf Okzitanisch. Diez „erkennt aber darüber hinaus die Existenz weiterer (nicht klassifizierter) romanischer Dialektformen an“ (Hoinkes 2003, 129). Basierend auf geographischen Kriterien ist auch die Ausgliederung des Schweizer Romanisten Wilhelm Meyer-Lübke (1861–1936) entstanden, der in seiner Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft neun Sprachen identifiziert, welche in geographisch orientierter Folge von Osten nach Westen aufgeführt werden: Rumänisch, Dalmatinisch, Rätoromanisch, Italienisch, Provenzalisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch, Sardisch (cf. Meyer-Lübke ²1920, 17). Das Katalanische wird wie bei Diez dem Provenzalischen zugeordnet. Insgesamt wird festgestellt: „Die Gliederung der gesamten Romania ist hauptsächlich durch politische und durch literarische Verhältnisse bedingt“ (ibid., 16).
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3.5.2 Die These der zwei Sprachräume – die Spaltung in Ostromania und Westromania Die These, dass der Sprachraum Romania sich in zwei Sprachräume unterteilen lässt, wird von dem Schweizer Romanisten Walther von Wartburg (1888–1971) vertreten. Im Unterschied zu Diez stützt Wartburg seine in dem Aufsatz „Die Ausgliederung der romanischen Sprachräume“ (1936) sowie dem gleichnamigen Buch (1950) formulierte These mit sprachinternen Argumenten. Er nimmt damit die erste arealtypologische Einteilung des Sprachraums Romania vor. Diese Einteilung basiert auf dem Kriterium der lautlichen (=phonischen) Entwicklung und stellt damit einen ganz neuen sprachwissenschaftlichen Ansatzpunkt dar. Wartburg untermauert seine zugrunde liegenden Gedanken mithilfe folgender wichtiger Argumente: Die Ausgliederung der einzelnen romanischen Sprachräume aus dem kompakten Gebiet des Lateinischen ist das Ergebnis eines jahrhundertelangen Prozesses. Auf welchen Wegen sie sich vollzogen, welche Etappen sie durchlaufen hat, dafür gibt uns es die Überlieferung wenig Dokumente an die Hand. Die Wortforschung der letzten dreissig Jahre hat sich, vor allem unter der Führung von Jud und Bartoli, mit sichtlichem Erfolg bemüht, die Geschichte des Lateinischen Wortgutes in grossen Räumen zu schauen, und hat uns so für die Wege des sprachlichen Ausgleiches innerhalb der Romania viele Ausblicke erarbeitet. Aber der ganze Habitus einer Sprache, ihr struktureller Typus wird nur in geringem Masse vom Wortschatz bestimmt. Viel wesentlicher und tiefgreifender sind, von diesem Standpunkt, die lautlichen und morphologischen Umwälzungen, von denen eine Sprache ergriffen wird (1950, 2).
Ausgehend von der Fragestellung „Welche lateinische Form wurde in den romanischen Sprachen weitergeführt?“ und unter Verwendung einer geographischen vergleichenden Methode, die den Erhalt oder Nichterhalt des auslautenden [s] sowie die Stimmlosigkeit der Verschlusslaute [p], [t], [k] in intervokalischer Stellung berücksichtigt, unterscheidet von Wartburg die folgenden beiden Sprachräume:
Abb. 3.11: These der zwei Sprachräume nach Wartburg
Sardinien und Korsika nehmen in dieser Differenzierung eine Sonderstellung ein, weil „sie in den vorgenannten Erscheinungen bald mit dem Osten, bald mit dem Westen gehen“ (1950, 63). Die Grenze zwischen Westromania und Ostromania verläuft nach von Wartburg entlang der Linie ‚La Spezia-Rimini‘. Die nachfolgende Karte zeigt nun am
42 Beispiel von Erhalt oder Nichterhalt des auslautenden [s] (womit auch die Pluralbildung verbunden ist), wie die Wörter lat. lupos (dt. Wolf) und lat. capras (dt. Ziege) sich in Ost- und Westromania jeweils entwickelt haben und dadurch eine Abgrenzung der beiden Gebiete plausibel machen:
Abb. 3.12: Die Bildung des Plurals (aus Rohlfs 1971, 245)
Es handelt sich auch hierbei in erster Linie um eine genealogische Klassifikation, die arealtypologische Kriterien mit einbezieht, da sprachstrukturelle Eigenschaften in einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem geographischen Sprachraum gebracht werden.
3.5.3 Die (spätere) These der drei Sprachräume – Die Spaltung in innere Romania und zwei Randromaniae Der deutsche Romanist Gerhard Rohlfs (1892–1986) setzt sich in seinem Buch Romanische Sprachgeographie folgendes Ziel: Wir versuchen zu erkennen, wie weit die alte (relative) lateinische Einheit durch Sonderentwicklung der einzelnen Sprachen gestört worden ist. [Wir beschränken unseren Vergleich auf die Wörter der Schriftsprachen, ohne die Mundarten zu berücksichtigen.] (Rohlfs 1971, 197)
Auf der Grundlage der Verbreitung des romanischen Wortschatzes, wie er sich in einem Korpus von 100 Sprachkarten darstellt, welche „Verwandtschaftsnamen, Körperteile, Tiere, Bäume und Früchte, häusliche Gegenstände, Hausbau, Landwirtschaft, Zeitbestimmungen, viele Verba, einige Adjektiva, Präpositionen und Adverbia [...]“ (Rohlfs 1971, 197) beinhalten, unterscheidet Rohlfs zwischen drei Sprachräumen (Abb. 3.13 auf der gegenüberliegenden Seite). Wie bei Wartburg handelt es sich auch hier um eine arealtypologische Einteilung der Romania, welche sprachexterne (geographische) und sprachinterne (strukturelle) Faktoren berücksichtigt. Das große Verdienst von Rohlfs liegt in der Feststellung einer konservativen Prägung der Randromania gegenüber einer innovatorischen Tendenz der Zentralromania.
43
Abb. 3.13: These der drei Sprachräume nach Rohlfs
Hier sei nur ein illustratives Beispiel erwähnt, und zwar die jeweilige Fortführung der Wörter klat. rogare, magis und formosus und deren Entsprechungen im Vlat. precare, plus und bellus in Innerer Romania und Randromania: Randromania Iberia
Innere Romania Gallia und Italia
Randromania Dacia
rogare (sp. rogar) magis (sp. más) formosus (sp. hermoso)
precare (frz. prier) plus (frz. plus) bellus (frz. beau)
rogare (rum. a ruga) magis (rum. mai) formosus (rum. frumos)
precare (it. pregare) plus (it. più) bellus (it. bello)
3.5.4 Die These der vier Sprachräume In der romanistischen Sprachwissenschaft ist die These des italienischen Linguisten Carlo Tagliavini (1903–1982), die „unter Berücksichtigung der geographischen Lage, der Substrate und vieler anderer Faktoren“ (Tagliavini 1969/21998, 279) die folgende viergliedrige Einteilung vorschlägt, vehement kritisiert worden:
Abb. 3.14: These der vier Sprachräume nach Tagliavini
Anmerkungen: Gegen diese Einteilung lässt sich vorbringen, dass sie im Grunde nur grob an den geographisch-politischen Gegebenheiten orientiert ist. Die ausgewählten Klassifikationsansätze „verfolgen“ nach Hoinkes keinen Anspruch der umfassenden Berücksichtigung aller relevanten sprachgeschichtlichen Zusammenhänge. Sie verlagern sich, in einer engen Verbindung mit areallinguistischen Kon-
44 zeptionen, einerseits zu der diachron orientierten Erklärung einzelner Sprachlandschaften, andererseits zu der Aufdeckung durch Formen dialektaler Affinität gegebener sprachgrenzübergreifender genetischer Bezüge (Hoinkes 2003, 136).
3.6
Die vergleichende Methode
Derartige methodisch vergleichende Vorgehensweisen, die aber auf unterschiedlichen, uneinheitlichen Kriterien beruhen, haben schon immer Anlass zu scharfer Kritik gegeben. Hierzu seien einige wichtige Anmerkungen von Hoinkes zitiert, die als Anregung zur Reflexion dienen sollen: Es deutet sich hier ein grundsätzliches Problem der heute üblichen Klassifikationen der romanischen Sprachen an, insofern nämlich die weiterhin geltenden Prinzipien der genetischen Verwandtschaft von Sprachformen und der arealen Begrenzung von Sprachlandschaften mit einem modernen Verständnis von zugleich sprachstruktureller und sprachsoziologischer Identifikation der zu klassifizierenden Sprachen in Einklang zu bringen sind. […] Anders ausgedrückt muss – aus heutiger Sicht – der historisch ausgerichteten Klassifikation der romanischen Sprachen eine methodologisch ausgereifte Bestimmung der Klassifikationseinheiten (=Sprachen?) vorgeschaltet sein, die wiederum die Prädominanz und jeweilige Geltung struktureller, geographischer oder sozialgeschichtlicher (ethnischer Kriterien) der Klassifikation begründet (Hoinkes 2003, 133).
Zur Rechtfertigung der methodologischen Vorgehensweise der Romanisten seien Jacobs Beobachtungen kurz geschildert: Die Klassifikation der romanischen Sprachen oder Idiome hat die Romanistik von Beginn an (Diez 1836–43) als zentrale Frage begleitet, wie auch die regelmäßige Wiederkehr des Themas in Handbüchern und auf Romanistenkongressen zeigt. Der spezifische Ansatz des Faches (Herleitung der sprachlichen Verfassung der romanischen Einzelsprachen aus der gemeinsamen lateinischen Herkunft), bringt es mit sich, dass bei solchen Klassifikationen sprachstrukturelle Eigenschaften mit diachronen und genealogischen, zumeist auch arealen Erwägungen in Zusammenhang gebracht werden (Jakob 2003, 149).
In diesem Kontext sollte allerdings auch die Stellungnahme Schuchardts Beachtung finden, der bereits im Jahre 1870 erklärte, eine genealogische und areale Klassifikation des einzelnen phonetischen Charakteristikums sei möglich, aber die Bestimmung arealer Spracheinheiten könne nicht auf diese Form der Klassifikation zurückgeführt werden: Von dem Boden aber auf dem wir uns bewegen [gemeint ist der romanische Sprachraum], können wir mit Bestimmtheit sagen, daß er nie eine spanische, französische oder italienische Sprache sah, nie ein Oberitalienisch, nie ein Lombardisch, nie ein Veltlinisch (Schuchardt 1870/1922, 150).
In der heutigen Forschung wird oft betont, die genealogische Klassifikation der Romania dürfe die wesentlichen Prinzipien des Sprachwandels (=Sprachveränderungen und Sprachentwicklungen) nicht aus dem Blick verlieren und ein stärkerer Einbezug der Va-
45
rietätenlinguistik (=geographische, soziale, stilistische Unterschiede) könne hier Abhilfe schaffen.
3.7
Die Methode der Dialektometrie
Ein Beispiel für die moderne Anwendung sprachgeographischer Methoden ist die Dialektometrie, welche durch die zunehmende Entwicklung moderner Technologien um 1970 entstand und nun insbesondere von Hans Goebl (Universität Salzburg) betrieben und weiterentwickelt wird. Ziel der Dialektometrie ist die „Auffindung möglichst hochrangiger Ordnungsstrukturen in sprachgeographischen Netzen“, welche dialektale Ähnlichkeiten und Unterschiede abbilden können: Das Hauptanliegen der S-DM [=Salzburg Dialektometrie], die inneren Mechanismen der basilektalen Bewirtschaftung des Raumes durch den HOMO LOQUENS zu entschlüsseln, kann durch die korrelative Dialektometrie um ein gutes Stück weiter gebracht werden. Mit ihrer Hilfe konnte gezeigt werden, dass zwischen den euklidischen Gegebenheiten des Raums und dem menschlichen Umgang damit höchst variable und zudem sehr komplexe Bezüge bestehen, sowie auch, dass sich ähnliche Relationen zwischen den einzelnen sprachlichen Kategorien (wie Phonetik, Lexikon etc.) nachweisen lassen. Diese durchgängige Abhängigkeit des Sprechens (und damit auch von allen Spielarten von Sprache) von den relationellen Bedingtheiten des Raumes scheint somit in der faculté langagière des Menschen tief verankert […] zu sein (Goebl 2008, 79f.).
Auf der Grundlage der in Sprachatlanten enthaltenen Daten können Dialektähnlichkeiten und -varianzen digital visualisiert und damit deutlicher herausgestellt werden. Hierfür werden die Karten eines Sprachatlanten, bspw. des ALF, zunächst digitalisiert und durch die Verwendung von Farben und Polygonen übersichtlich dargestellt (Erstellung von Arbeitskarten). Für die Karte zu ‚abeille‘ aus dem ALF sieht eine solche Digitalisierung folgendermaßen aus (vgl. Abb. 3.15). Die eigentliche dialektometrische Darstellung besteht in der Synthese einer sehr großen Menge derartiger Karten. Dies ermöglicht auch die statistische und visualisatorische Verarbeitung sowie Interpretation der synthetischen Resultate. Zur Illustration hier die dialektometrischen Ähnlichkeitskarten zum Prüfbezugspunkt 268 (=der Ort Bellengreville, Département Seine-Maritime) des ALF sowie zum Prüfbezugspunkt 652 (=der Ort Rom, Latium) des AIS, in denen anhand der Graustufen ausgehend von dem gewählten Bezugspunkt der Grad der linguistischen Ähnlichkeiten im Raum ablesbar ist (Abb. 3.16).
46
ALF
1: abeille [333] 4: mouche à miel [197]
Série A: cartes 1-1421
5: bourdon [2]
Wallonie (Belgique)
(1902-1908)
6: mouche [8]
Picardie N N N N N N N
ALLEMAGNE
MANCHE
7: avette [21] 8: mouche de ruche [1]
Normandie
LUXEMBOURG
Iles anglonormandes (Angleterre)
9: ruche [1] 10: eys [1] 15: aps [16]
Lorraine Bretagne romane
Alsace
16: mouche de miel [4] 17: mouche de bruit [2] 18: mouche abeille [1] 19: bourno [1]
Suisse romande Poitou
20: touna [2] 27: essaim [8] 28: fachon d'e [1]
Vallée d´Aoste (Italie)
Saintonge
ATLANTIQUE
Vallées vaudoises (Italie)
Gascogne
29: mouche à macho d'e [1] 30: malo [1] 31: bête à miel [1] 32: mouche d'api [1] 33: mouche à l'lame [1] 34: mouche à cheture [2]
Provence Languedoc
Pays basque
Roussillon 0
100
200
ESPAGNE
MEDITERRANEE
35: mouche d'ame [1] 36: mouchotte [24] 44: wes [2] 45: échotte [4] 46: mouchette [4]
Abb. 3.15 Digitalisierte Sprachkarte zu frz. ‚abeille‘, dt. ‚Biene‘ (mit freundlicher Genehmigung von Hans Goebl)
Abb. 3.16 Dialektometrische Ähnlichkeitskarten (nach Goebl 2008)
3.8
47
Literatur
Sprachatlanten in Auswahl (chronologisch) (1902–1910) Gilliéron, Jules: Atlas linguistique de la France (ALF), Paris: Honoré Champion. (1928–1940) Jaberg, Karl/Jud, Jakob: Atlante linguistico-etnografico dell’Italia e della Svizzera meridionale/Sprach- und Sachatlas Italiens und der Südschweiz (AIS), Milano: Unicopli (1987). (1962) Navarro Tomás, Tomás: Atlas lingüístico de la Península ibérica (ALPI), Madrid: CSIS. (1995–) Bartoli, Matteo/Benvenuto, Terracini: Atlante linguistico italiano (ALI), Torino: Istituto Poligrafico e Zecca dello Stato.
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Empfohlene Lektüre (2008) Bernhard, Gerald/Siller-Runggaldier, Heidi (ed.): Sprache im Raum – Raum in der Sprache. Akten der Sprachwissenschaftlichen Sektion des Deutschen Italianistentages in Bochum, 23.–25. März 2006, Frankfurt a.M.: Lang. (2008) Goebl, Hans: „Die korrelative Dialektometrie. Eine Kurzvorstellung anhand von Beispielen aus AIS und ALF“, in: Bernhard, Gerald/Siller-Runggaldier, Heidi (ed.): Sprache im Raum – Raum in der Sprache, Frankfurt am M.: Lang, 67–91. (2008) Krefeld, Thomas (ed.): Sprache und Sprechen im städtischen Raum, Frankfurt am M. (u.a.): Lange (spazi comunicativi 2)
3.9
Aufgaben
1. Bitte vergleichen Sie die Wellentheorie mit genuin genealogischen Theorien (cf. Einheit 2). Wo liegen jeweils Gemeinsamkeiten und Unterschiede? Welche Vorteile/Nachteile bringt die Wellentheorie mit sich? 2. Nach welchen verschiedenen Kriterien kann die sog. Romania unterteilt werden. Halten Sie die vorgeschlagenen Unterteilungen für plausibel? Bitte begründen Sie Ihre Stellungnahme.
49
3. Bitte nehmen Sie kritisch Stellung zu den von Matteo Bartoli formulierten Arealnormen. Versuchen Sie selbst weitere Beispiele zu finden, welche diese Normen bestätigen bzw. widerlegen können. 4. Was wird mit Hilfe der sprachgeographischen Methode dargestellt? Nach welchen Kriterien geht diese Methode vor? Welche grundlegenden Faktoren müssen bei sprachgeographischen Untersuchungen berücksichtigt werden? 5. Auf welche Argumente stützt sich die These der Spaltung in Ostromania und Westromania? Inwiefern lässt sich die These der Spaltung in Randromaniae und innere Romania davon abgrenzen? Versuchen Sie eigene Beispiele zur Illustration der beiden Thesen zu finden. 6. Was versteht man unter Dialektometrie? Welche Möglichkeiten können Ihres Erachtens durch die Anwendung und Ausarbeitung dieser Methode eröffnet werden?
4
Sprache als Struktur – Theorien und Methoden der strukturellen Linguistik
4.0
Überblick
In den 1920er Jahren wird bezüglich der bereits etablierten Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS der Aspekt einer inneren Struktur solcher Organismen fokussiert. Das heißt Sprachen haben – wie Organismen – eine innere Struktur: Sie sind aus einzelnen Teilen zusammengesetzt, die miteinander ein geordnetes System bilden. Diese Auffassung eines systematisch aufgebauten Sprachgebildes prägt seitdem das Forschungsinteresse der romanischen Linguistik maßgeblich. Im Zentrum der Untersuchungen seit den 1920er Jahren stehen nun nicht allein die historische Entwicklung der Sprachen und ihre Familienbeziehungen sowie ihre Existenz in sprachlichen Räumen, sondern auch die Einzelsprachen selbst als eigenständige Entitäten, deren innere Struktur es zu beschreiben gilt. Daher rühren auch die Bezeichnungen strukturelle oder strukturale bzw. strukturalistische Sprachwissenschaft oder allgemein Strukturalismus. Obwohl die Auffassung der Sprache als organisiertes Zeichensystem seit den Sprachlogikern des Mittelalters in der europäischen Kultur vorhanden ist, wird die Theorie der Sprache als System erst durch die postume Veröffentlichung des Cours de linguistique générale (CLG) des Genfer Allgemeinen Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure (1857–1913) im Jahre 1916 zur Grundlage der abendländischen Linguistik. In dieser Studie wird die Linguistik als eine neue und eigenständige wissenschaftliche Disziplin postuliert, deren Aufgabe darin bestehe, den inneren Bezirk der Sprache (=innere Sprachstruktur) zu betrachten und zu beschreiben. Gleichzeitig wird für die Linguistik eine eigene, fachspezifische Terminologie eingeführt. Im fortschreitenden 20. Jh. wirkt sich die Durchsetzung der Saussureschen Theorie der Sprache als System geradezu revolutionierend aus und trägt unter anderem zum Entstehen der neuen linguistischen Disziplinen der strukturellen Semantik und der strukturellen Phonologie bei. Im Anschluss an Saussures Theorie ist von verschiedenen Linguisten, sowohl in Europa als auch in den Vereinigten Staaten, der Versuch unternommen worden, das komplexe System einer bestimmten Sprache zu beschreiben und es weiter zu untergliedern bzw. darin einzelne Subsysteme zu isolieren. Eben diesem Ansatz folgen die Theorien der strukturelle Semantik, zu welcher die referentielle Theorie (auch analytische Theorie genannt), die Wortfeldtheorie sowie die Bildfeldtheorie gehören, und die Theorien der strukturellen Phonologie. All diese Forschungsrichtungen können als wichtige Beispiele für die theoretische Umsetzung der mentalen Konzeption der ‚Sprache als komplexes System von Einzelsystemen‘ gelten. In diesem Zusammenhang prägt der amerikanische Linguist Uriel Weinreich (1926– 1967) im Jahre 1953 den Begriff Diasystem, welcher erstmals von dem rumänischen Linguisten Eugenio Coseriu (1921–2002) in seiner Studie Das romanische Verbalsystem
52 (1976) übernommen wird. Der Begriff des Diasystems gilt als wichtige Grundlage zur Darstellung von Coserius Theorie der Sprache als Architektur, die als Erweiterung der Theorie Saussures gesehen werden kann und in Einheit 5 detailliert vorgestellt wird. Ein großer Einfluss auf die damaligen Bestrebungen der Linguistik zur Beschreibung der Sprachstruktur wurde durch die Theorien und Methoden der Naturwissenschaften ausgeübt, insbesondere der Chemie, der Biologie und der Physik, welche mittels empirischer Verfahren etwa versuchten, unbekannte Substanzen in nicht weiter analysierbare Bestandteile zu zerlegen, um deren Zusammensetzung zu entschlüsseln (cf. Trubetzkoy 1933, 245). „Die [sprachlichen] Merkmale“, betont diesbezüglich der deutsche Romanist und Germanist Harald Weinrich, „entsprechen ungefähr den Elementen der Chemie oder den Atomen der Physik, die selber einfach strukturiert sind und erst in wechselnder Kombinatorik die Varietäten ergeben, die sich dem Beobachter als gegeben darstellen“ (Weinrich 1976, 71). Saussures Theorie der Sprache als System gehört ohne Zweifel zu denjenigen theoretischen Ansätzen, die am häufigsten angewandt und weiterentwickelt wurden. Sie wurde in zahlreichen strukturalistischen Schulen und linguistischen Zirkeln zur Beschreibung und Untersuchung unterschiedlicher sprachlicher Aspekte und Phänomene angewandt. So gelten die Genfer Schule und die Prager Schule z.B. als wichtige Zentren der strukturellen Phonologie, die Kopenhagener und die Tübinger Schule als Zentren der strukturellen Semantik. Folgende Darstellung zeigt die Entwicklung der romanischen Sprachforschung ab dem 19. Jh. unter dem Blickwinkel der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS und fügt die innere Struktur als fokussierten Aspekt hinzu. SPRACHE als LEBENDIGER
ORGANISMUS
FAMILIE ca. ab Anfang des 19. Jhs.
HERKUNFT ca. ab Ende des 19. Jhs.
RAUM ca. ab Anfang des 19. Jhs.
INNERE STRUKTUR
ca. ab den 20er Jahren des 20. Jhs.
Abb. 4.1: Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS
53 4.1
Theorien der (historischen) strukturellen Linguistik
Nach dem dänischen Linguisten Louis Hjelmslev (1899–1965) versteht man unter struktureller Linguistik einen Komplex von Forschungen, die auf der Hypothese beruhen, dass es wissenschaftlich legitim ist, die Sprache als im wesentlichen autonomes Gebilde interner Abhängigkeit oder, in einem Wort, als eine Struktur zu beschreiben (Hjelmslev 1944, 56).
Es handelt sich dabei um eine Konzeption, welche von Saussures Theorie der Sprache als System geprägt ist und von der Grundfrage „Mais qu’est-ce que la langue?“ (Saussure 1931, 25) [„Was aber ist die Sprache“ (Saussure 2001, 111)] ausgeht. Saussures Auffassung der Sprache als Zeichensystem: „La langue est un système de signes exprimant des idées“ (33) [„Die Sprache ist ein System von Zeichen, die Ideen ausdrücken“ (19)] lässt sich in fünf Hauptsätzen zusammenfassen:
– Jedes Zeichensystem (=frz. langue) ist ein komplexer Mechanismus, der seine eigene Ordnung hat; – In jedem Zeichensystem hängt alles mit allem zusammen; – Jedes Zeichensystem beruht auf Relationen und Oppositionen zwischen den Zeichen; – Jedes Zeichensystem an sich unveränderlich; nur einzelne Bestandteile ändern sich ohne Rücksicht auf die gegenseitige Abhängigkeit zwischen ihnen und dem Ganzen; – In jedem Zeichensystem unterliegen alle Teile der Sprache dem Wandel. Als Argument zur Stützung seiner Theorie gilt nach Saussure die wichtige Beobachtung, dass innerhalb des Systems jedes Sprachzeichen einen bestimmten Wert [=frz. valeur] hat, insofern es sich von allen anderen Zeichen des gleichen Sprachsystems unterscheidet. Ein Wort wie etwa frz. mouton hat […] zwar die gleiche Bedeutung (frz. signification) wie das englische sheep, nicht aber den gleichen Wert (valeur). Das englische Wort wird nämlich semantisch begrenzt durch seinen Feldnachbarn mutton und bezeichnet daher die bekannte Tierart nur, insofern nicht eine Speise gemeint ist (Weinrich 1976, 66; Hervorhebung im Original).
Zwischen den Wörtern eng. sheep und eng. mutton konstituiert sich also im Zeichensystem des Englischen eine Relation der Opposition, die den Wert und die Bedeutung beider Sprachzeichen bestimmt. Im Anschluss an Saussures Theorie der Sprache als System ist von verschiedenen Linguisten der Versuch gemacht worden, innerhalb des gesamten Sprachsystems einzelne Subsysteme (wie etwa ein lexikalisches System) zu isolieren und entsprechende Theorien zu formulieren. Für die Lexik etwa die Theorie des Wortfeldes (=Wortfeld-
1
Alle folgenden französischen und deutschen Zitate Saussures sind diesen Ausgaben entnommen und werden im Einzelnen nur noch durch die Seitenzahl nachgewiesen.
54 theorie, ca. 1931), für die Phonetik bspw. die Theorie der Phoneme in Opposition (ca. 1930). Dies wird im Folgenden näher betrachtet.
4.1.1 Die Theorien der strukturellen Semantik Unter Theorien der strukturellen Semantik versteht man, analog zu Hjelmslev formuliert, einen Komplex von Forschungen, die auf der Hypothese beruhen, es sei wissenschaftlich legitim, die Bedeutung eines Wortes als ein autonomes Gebilde interner und externer Abhängigkeit zu beschreiben. Zu diesem Forschungskomplex gehören die drei im Folgenden vorgestellten Theorien.
4.1.1.1
Die referentielle Bedeutungstheorie
Zu den bedeutendsten Theorien der strukturellen Semantik gehört die referentielle Theorie (auch analytische Theorie genannt), welche die Verbindung des Sprachzeichens mit konkreten Objekten und Sachverhalten in der Wirklichkeit (=Referenten) postuliert. Das 1923 von den britischen Sprachwissenschaftlern Charles Ogden (1889–1957) und Yvor Richards (1893–1979) entwickelte Dreieck-Modell gilt als wichtige Illustration der referentiellen Theorie der Wortbedeutung (cf. 4.5).
4.1.1.2
Die Wortfeldtheorie
Im Anschluss an Saussure hat der deutsche Linguist und Mediävist Jost Trier (1894– 1970) in Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts (1931) den Versuch unternommen, innerhalb des gesamten Einzelsprachsystems ein semantisches Subsystem zu isolieren, welches er als Wortfeld (in Anlehnung an Gunther Ipsens 1924 geprägten Begriffs des semantischen Feldes bzw. Bedeutungsfeldes) bezeichnet hat. Nach Trier sind z.B. Wörter wie ‚Kunst‘, ‚Weisheit‘, ‚Wissen‘, ‚Klugheit‘, ‚List‘ usw. nicht nur durch einen positiven Bedeutungsinhalt bestimmt, sondern auch durch Zahl und Lagerung der Termini in dem Wortfeld zu dem diese Wörter gehören, und zwar dem Wortfeld ‚Verstand‘. So schreibt Trier: Das Wortfeld ist zeichenhaft zugeordnet einem mehr oder weniger geschlossenen Begriffskomplex, dessen innere Aufteilung sich im gegliederten Gefüge des Zeichenfeldes darstellt, in ihm für die Angehörigen einer Sprachgemeinschaft gegeben ist (Trier 1931, 1).
Es handelt sich dabei um eine definitorische Beschreibung, die sich eindeutig unter Rückgriff auf folgende Konzeption Saussures entwickelt hat: Es ist eine große Illusion, ein Wort einfach als Verbindung eines bestimmten Lautes mit einem bestimmten Begriff zu betrachten. Es so zu definieren, würde bedeuten, es von dem System, zu dem es gehört, zu isolieren. [...] Man muß vom solidarischen Ganzen ausgehen, um durch Analyse die Elemente zu erhalten, die es einschließt (157).
55 1967 hat Coseriu in seinem Artikel „Lexikalische Solidaritäten“ beide Konzeptionen vereint und wie folgt zusammengefasst: Das Wortfeld ist ein lexikalisches Paradigma, das durch die Aufteilung eines lexikalischen Inhaltskontinuums unter verschiedene in der Sprache als Wörter gegebene Einheiten entsteht, die durch einfache inhaltsunterscheidende Züge in unmittelbarer Opposition zueinander stehen (Coseriu 1967, 294).
Die folgende Grafik möchte das Wortfeld ‚Bein/Fuß‘ im Französischen im Gegensatz zum Englischen illustrieren:
Abb. 4.2: Wortfeld ‚Bein/Fuß‘ (nach Jurafsky/Martin 2000, 806)
Die Metapher des Feldes ist eng mit der alten genealogischen Konzeption verbunden, dass sprachliche Elemente sich anhand ihrer Bedeutungsverwandtschaft bzw. Bedeutungsgemeinsamkeiten in Familien organisieren und gruppieren lassen. Anmerkungen: Als verbreitete kritische Anmerkungen zum theoretischen Ansatz des Wortfeldes gelten folgende, die mit den Worten Weinrichs wiedergegeben werden: Die Kritik hat gegen die Theorie des semantischen Feldes insbesondere geltend gemacht, daß alles daran hängt, ob es gelingt, ein präsumtives Feld aus dem komplexen Ganzen des Lexikons einer Sprache herauszulösen und abzugrenzen. Freilich hat es eine gewisse Plausibilität für sich, etwa von den Verwandtschaftsnamen, den Farbbezeichnungen oder den Bewegungsverben zu sagen, sie bildeten jeweils ein Wortfeld, aber diese Intuition läßt sich schwerlich methodisch so befestigen, dass sie ihrerseits den Kriterien des Saussureschen Wertebegriffes genügt. Wenn aber ein semantisches Feld nicht scharf umgrenzt ist, dann können auch die negativen Beziehungen zwischen den Feldgliedern nicht scharf „definiert“ werden, und die Untersuchung läuft, wie bei Trier, auf eine systematische Synonymik hinaus – was auch schon ein nützliches Ergebnis ist (Weinrich 1976, 67).
56
4.1.1.3
Die Bildfeldtheorie
In Anlehnung an Paul Claudels Begriff champ de figure (1938) konzipiert Weinrich in „Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld“ (1958) die Theorie des Bildfeldes, welche er folgendermaßen beschreibt: Im Maße, wie das Einzelwort in der Sprache keine Existenz hat, gehört auch die Einzelmetapher in den Zusammenhang ihres Bildfeldes. Sie ist eine Stelle im Bildfeld. In der Metapher Wortmünze ist nicht nur die Sache ‚Wort‘ mit der Sache ‚Münze‘ verbunden, sondern jeder Terminus bringt seine Nachbarn mit, das Wort den Sinnbezirk der Sprache, die Münze den Sinnbezirk des Finanzwesens. In der aktualen und scheinbar punktuellen Metapher vollzieht sich in Wirklichkeit die Koppelung zweier sprachlicher Sinnbezirke (Weinrich 1958/1976, 283).
Es handelt sich dabei um eine der bedeutendsten Theorie der deutschen Romanistik, welche noch heute als Grundlage zur Untersuchung und Beschreibung von Metaphern (nicht nur in der Romania) gilt (cf. www.metaphorik.de sowie die Bibliographie zur Metapher, www.bibliografia-metafora.uni-bonn.de). Hier werden bereits die weitaus später entwickelten Ansätze und Perspektiven der Kognitiven Linguistik antizipiert (cf. Einheit 7).
4.1.2 Die Theorien der strukturellen Phonologie Die strukturelle Phonologie beschäftigt sich mit der Funktion von Sprachlauten im Sprachsystem. Unter Theorien der strukturellen Phonologie – deren Anfänge in den 20er und 30er Jahren im berühmten Linguistischen Zirkel in Prag zu finden sind – versteht man, die Hjelmslevsche Formulierung erneut aufgreifend, einen Komplex von Forschungen, die auf der Hypothese beruhen, es sei wissenschaftlich legitim, die Lautgestalten des sprachlichen Zeichens als autonome Gebilde interner und externer Abhängigkeit zu beschreiben. Zu diesen Theorien gehören etwa die Theorie der Phoneme in Opposition und die Theorie der distinktiven Merkmale.
4.1.2.1
Die Theorie der Phoneme in Opposition
Die Theorie der Phoneme in Opposition beruht auf der Auffassung, dass die Laute, aus denen sprachliche Zeichen zusammengesetzt sind, ein System bilden, insofern sie den Status von Phonemen haben. Im Anschluss an Saussures Konzeption des Wertbegriffs (cf. 4.1) postuliert die Theorie der Phoneme in Opposition, dass auch die Lautgestalt eines Zeichens (=frz. signifiant) einen bestimmten Wert hat, insofern sie sich von allen anderen Lautzeichen des gleichen Sprachsystems unterscheidet. Bei der Aneinanderreihung von Phonemen zu bedeutungsvollen Einheiten ergibt der Austausch nur eines Phonems eine neue Kombination und damit ein völlig anderes Zeichen. Aus diesem Grund wird das Phonem als die ‚kleinste bedeutungsdifferenzierende Einheit der Sprache‘ definiert. Diesbezüglich schreibt Weinrich:
57 Das Phonem ist als Konstrukt der phonologischen Theorie ein abstraktes Gebilde, das alle Klangeigenschaften umfasst, durch die sich ein Sprachzeichen von anderen Sprachzeichen unterscheidet. Es kommt also in dem Wort ‚Vater‘ nicht auf die positiven Klangeigenschaften des Vokals a an (die schon bei einem männlichen und einem weiblichen Sprecher anders beschaffen sind), sondern ausschließlich auf die Differenzqualitäten, die das Phonem /a/ und (beispielsweise) das Phonem /İ/ unterscheiden, so daß die Bedeutungsunterscheidung der beiden Wörter ‚Vater‘ und ‚Vetter‘ in der deutschen Sprache möglich ist (Weinrich 1976, 68).
Als Begründer der strukturellen Theorie der Phoneme in Opposition und umfassender der strukturellen Phonologie gilt der russische Linguist Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy (1890–1938), der in seinem Werk Grundzüge der Phonologie (dt. 1939) die systematische Analyse von sprachlichen Lautsystemen formuliert. Bei der Weiterentwicklung der phonologischen Theorie haben insbesondere die Studien von Roman Jakobson (1896– 1982) dazu beigetragen, dass die Prager Phonologie mit ihrer Terminologie und Methode weltbestimmend war und eine der meist rezipierten Disziplinen der Linguistik geworden ist.
4.1.2.2
Die Theorie der distinktiven Züge
Diese Theorie wurde ursprünglich von Jakobson (1951) in For the correct presentation of phonemic problems geprägt. Im Unterschied zur Konzeption des Phonems als die kleinste bedeutungsdifferenzierende Einheit der Sprache, postuliert diese Theorie, dass die kleinsten Einheiten eigentlich die ‚distinktiven Merkmale‘, wie etwa nasal/oral sind, welche das Phonem konstituieren und charakterisieren. Jeder Sprachlaut kann demzufolge durch distinktive Merkmale beschrieben werden. Sie sind artikulatorischer, akustischer oder auditiver Natur. Die Analyse der distinktiven Mermale von Phonemen erlaubt es, artikulatorische Veränderungen bei einem Sprachwandel als Prozesse zu erklären und in einer Sprache sogenannte reguläre Oppositionsverhältnisse (Korrelationen) festzustellen. So lässt sich z.B. sagen: „Zwischen den Lauten b – d – g sowie p – t – k herrscht eine Korrelation in dem Sinne, dass durch aufzeigen nur eines einzigen distinktiven, also unterscheidenden Zuges, nämlich +sth/-sth: stimmhaft oder stimmlos, der Unterschied zwischen allen drei Lauten beschrieben werden kann“ (Kabatek/Pusch 2009, 61).
4.2
Die Grundfragen der strukturellen Linguistik: Saussures CLG
Mit der Theorie der Sprache als einem komplexen System von Sprachzeichen, einem System, in dem alles zusammenhängt, sind auch die grundlegenden Fragen von Saussure zur Beschreibung der konstitutiven Elemente eines solchen Systems – den sprachlichen Zeichen – verbunden. Diese Fragen können als die ersten zentralen Fragestellungen der strukturellen Linguistik angesehen werden und sollen im Folgenden in ihrer ursprünglichen Formulierung wiedergegeben werden:
58 –
Quel est l’objet à la fois intégral et concret de la linguistique? (23) [Was ist der Gegenstand der Sprachwissenschaft – wenn wir ihn vollständig und konkret bestimmen wollen? (9)]
–
Welche „propriétés générales du signe“ gibt es? (98) [Welche „generellen Eigenschaften des Zeichens“ gibt es? (77)]
–
Welcher Natur ist „le lien unissant le signifiant au signifié? “ (100) [Welcher Natur ist „die assoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten?“ (79)]
–
Welche „rapports entre termes coexistants d’un état de langue“ gibt es? (193) [Welche „Beziehungen zwischen gleichzeitigen Gliedern eines Sprachzustandes“ gibt es? (167)]
–
[D]ans un état de langue, tout repose sur des rapports; comment fonctionnent-ils? (170) [So beruht denn bei einem Sprechzustand alles auf Beziehungen. Wie funktionieren diese? (147)]
– Welche „rapports […] entre termes successifs qui se substituent les uns aux autres dans le temps“ gibt es? (193) [Welche „Beziehungen […] zwischen aufeinander folgenden Gliedern, von denen eines im Laufe der Zeit an die Stelle des andern tritt“, gibt es? (167)]
– Et si tous les faits de synchronie associative et syntagmatique ont leur histoire, comment maintenir la distinction absolue entre la diachronie et la synchronie? (194) [Und wenn alle Tatsachen der assoziativen und syntagmatischen Synchronie ihre Geschichte haben, wie kann man dann die vollständige Scheidung zwischen Diachronie und Synchronie aufrecht erhalten? (168)].
4.3
Die Grundthesen der strukturellen Linguistik: Saussures CLG
Der größte theoretische und methodische Gewinn Saussures liegt in der Erkenntnis, dass die Sprache, wie ein lebendiges Wesen, gleichzeitig auf Einheit und Dualität beruht. Dieser Aspekt der frz. dualité (und umfassender der frz. séparation und der frz. opposition), der im Cours de linguistique générale immer wieder betont wird und demzufolge als besonders relevant zu betrachten ist, basiert auf folgender Beobachtung: Le phénomène linguistique présente perpétuellement deux faces qui se correspondent et dont l’une ne vaut que par l’autre (23). Das sprachliche Phänomen zeigt stets zwei Seiten, die sich entsprechen und von denen die eine nur gilt vermöge der anderen (9).
Das Sprachliche ist nach Saussure durch bipolare Relationen (und umfassende Oppositionen) charakterisiert, die stets zusammenhängen und deswegen nur zwei Aspekte bzw. zwei Seiten (deux faces) ein und derselben Sache darstellen. Die Konzeption der Dualität in der Einheit (der Einheit in der Dualität) ist bereits im 18. Jh. stark ausgeprägt, wie etwa das Gedicht Gingo Biloba (1815) von Goethe deutlich zeigt: […] Ist es Ein lebendig Wesen? Das sich in sich selbst getrennt, Sind es zwey? die sich erlesen, Daß man sie als eines kennt.
59 Solche Frage zu erwiedern Fand ich wohl den rechten Sinn; Fühlst du nicht an meinen Liedern Daß ich Eins und doppelt bin? (Goethe 1815, 79)
Dieser Aspekt einer auf Dualität basierenden Einheit, der insbesondere in dem Begriff der Bilateralität (=Zweiseitigkeit) zum Ausdruck kommt, bildet bei Saussure die Grundlage zur Aufstellung verschiedener Thesen, die sich wie folgt formulieren lassen:
– These der Bilateralität des linguistischen Untersuchungsgegenstands: Linguistique de la langue und Linguistique de la parole; – These der Bilateralität des Sprachzeichens: signifiant und signifié; – These der Bilateralität von Zeichenrelationen: paradigmatische und syntagmatische Relationen; – These der Bilateralität linguistischer Betrachtungsweisen: Diachronie und Synchronie Diese von Saussure identifizierten dichotomischen Paare, die zusammen genommen jeweils eine Einheit konstituieren, werden im Folgenden ausführlich vorgestellt. Sie sind das Resultat eines theoretischen Anspruchs, der auf dem Postulat „c’est le point de vue qui crée l’objet“ (23) [dt. Vielmehr ist es der Gesichtspunkt, der das Objekt erschafft (9)] basiert.
4.3.1 Die These der Bilateralität des linguistischen Untersuchungsgegenstands: Linguistique de la langue und Linguistique de la parole Aus dem oben zitierten Postulat, Vielmehr ist es der Gesichtspunkt, der das Objekt erschafft (9), ergibt sich als Konsequenz, dass für Saussure jede Studie zum Sprachlichen (=étude du langage) zwei Gegenstandsbereiche in Betracht ziehen muss: L’étude du langage comporte donc deux parties: l’une, essentielle, a pour objet la langue, qui est sociale dans son essence et indépendant de l’individu; cette étude est uniquement psychique; l’autre, secondaire, a pour objet la partie individuelle du langage, c’est-à dire la parole y compris la phonation: elle est psycho-physique. Sans doute, ces deux objets sont étroitement liés et se supposent l’un l’autre: la langue est nécessaire pour que la parole soit intelligible et produise tous ses effets; mais celle-ci est nécessaire pour que la langue s’établisse; historiquement, le fait de parole précède toujours (37). Die Erforschung der menschlichen Rede begreift demnach zwei Teile in sich: der eine, wesentliche, hat als Objekt die Sprache, die ihrer Wesenheit nach sozial und unabhängig vom Individuum ist; diese Untersuchung ist ausschließlich psychisch; der andere Teil, der erst in zweiter Linie in Betracht kommt, hat zum Objekt den individuellen Teil der menschlichen Rede, nämlich das Sprechen einschließlich der Lautgebung; er ist psychophysisch. Allerdings sind diese beiden Objekte eng miteinander verbunden und bedingen sich gegenseitig. Die Sprache ist erforderlich, damit das Sprechen verständlich sei und seinen Zweck erfülle. Das Sprechen aber ist erforderlich, damit die Sprache sich bilde; historisch betrachtet, ist das Sprechen das zuerst gegebene Faktum (22).
60 In folgender Abbildung kommt die Zusammengehörigkeit von Linguistik der langue und Linguistik der parole zum Ausdruck; es wird verdeutlicht, dass es sich um zwei Aspekte ein und derselben Sache handelt, die Saussure als Linguistik der Langage (Linguistik des Sprechens/Linguistik der menschlichen Rede) bezeichnet:
Abb. 4.3: Die zwei Seiten der Linguistik der langage, veranschaulicht im Blatt des Gingko
Bei der Unterscheidung zwischen Linguistik der langue und Linguistik der parole handelt es sich nicht um die Konstitution zweier separater Sprachwissenschaften, sondern um eine Methode innerhalb der Sprachwissenschaft zur besseren Beschreibung von sprachlichen Fakten. Denn, wenn man die bipolare Betrachtungsweise Saussures im strengen Sinne versteht – und Saussure lädt nachdrücklich dazu ein – dann ist ein Zeichensystem (=langue) nicht nur durch seine innere Natur charakterisiert, sondern auch durch seine Opposition zur parole: En séparant la langue de la parole, on sépare du même coup: 1° ce qui est social de ce qui est individuel; 2° ce qui est essentiel de ce qui est accessoire et plus ou moins accidentel (30). Indem man die Sprache vom Sprechen scheidet, scheidet man zugleich: 1. Das Soziale vom Individuellen; 2. Das Wesentliche vom Akzessorischen und mehr oder weniger Zufälligen (16).
Das, was die parole ausmacht, kann unter folgende wichtige Hauptsätze subsumiert werden: – La parole est […] un acte individuel de volonté et d’intelligence (30). [Das Sprechen ist […] – –
–
–
ein individueller Akt des Willens und der Intelligenz (16)]. La Parole [est] la partie individuelle du langage (37) [Das Sprechen ist der individuelle Teil der menschlichen Rede (22)]; Elle [la parole] est la somme de ce que les gens disent […] (38). [Es [das Sprechen] ist die Summe von allem, was die Sprachgenossen reden (23)]; La langue est nécessaire pour que la parole soit intelligible. […] Historiquement le fait de parole précède toujours (37). [Die Sprache ist erforderlich, damit das Sprechen verständlich sei. […] Historisch betrachtet, ist das Sprechen das zuerst gegebene Faktum (22)]; C’est la parole qui fait évoluer la langue: Ce sont les impressions reçues en entendant les autres qui modifient nos habitudes linguistiques (37). [Es ist auch das Sprechen, was die Entwicklung der Sprache mit sich bringt: die Eindrücke, die man empfängt, wenn man andere hört, gestalten unsere Sprachgewohnheiten um (23)]; La langue est l’instrument et la parole le produit de celle-ci (37); [[Sprechen] ist zugleich das Instrument und das Produkt von [Sprache] (23)].
61 4.3.2 Die These der Bilateralität des Sprachzeichens: signifiant und signifié Zur Beantwortung der Fragen Welche „propriétés générales du signe“ gibt es? greift Saussure erneut auf das Konzept der Dualität zurück und vertritt die These, dass „das sprachliche Zeichen zwei Seiten hat“ (78), was folgendermaßen beschrieben wird: – Das sprachliche Zeichen ist die Vereinigung einer Vorstellung (=frz. concept) mit einem Lautbild (frz. image acoustique): „Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild ZEICHEN“ (78); – Diese beiden Bestandteile, Vorstellung und Lautbild, sind eng miteinander verbunden und entsprechen einander (78); – „Das Band, welches das Bezeichnete (=frz. signifié) mit der Bezeichnung (=frz. signifiant) verknüpft, ist beliebig [i.e. arbiträr]“ (79). Folgende Abbildung illustriert die Vereinigung von Lautbild und Vorstellung und zeigt, dass es sich auch in diesem Fall um zwei Aspekte ein und derselben Sache handelt, und zwar um die beiden Seiten des Sprachzeichens:
Abb. 4.4: Die Bilateralität des sprachlichen Zeichens nach Saussure
Anhand eines konkreten Beispiels (hier des Wortes lat. arbor) lässt sich Saussures Konzeption der Bipolarität des Zeichens folgendermaßen darstellen:
Abb. 4.5: Bipolarität des Zeichens nach Saussure: lat. arbor (Saussure 1931, 99)
Saussure ersetzt frz. image acoustique und frz. concept durch das Fachbegriff-Paar signifiant und. signifié, das international etabliert ist: Nous proposons de conserver le mot signe pour désigner le total, et de remplacer concept et image acoustique respectivement par signifié et signifiant (99; Hervorhebung im Original).
62 Ich schlage also vor, daß man das Wort Z e i c h e n beibehält für das Ganze, und Vorstellung bzw. Lautbild durch Bezeichnetes und Bezeichnung (Bezeichnendes) ersetzt (78f.).
Der Begriff frz. signifiant wird mit dt. ‚Signifikant‘, ‚Bezeichnung‘, ‚Bezeichnendes‘, ‚Ausdrucksmittel‘ bzw. ‚-form‘ oder ‚-seite‘ übersetzt. Als Äquivalente des frz. signifié gelten im Deutschen die Begriffe ‚Bezeichnetes‘ (CLG-Übersetzung Lommels von 1931), ‚Signifikat‘ (Weinrich 1976), ‚Zeicheninhalt‘ (Kabatek/Pusch 2009), oder ‚Inhaltsseite‘. Die Verbindung zwischen signifiant und signifié, d.h. zwischen concept und image acoustique, konstituiert nach Saussure die frz. signification, die von Lommel (s.o.) und Weinrich (1976) u.a. mit dt. ‚Bedeutung‘ wiedergeben wurde. Daraus ergibt sich, dass die Bedeutung sich nicht nur durch den Zeicheninhalt (=signifié/concept) sondern auch durch die Ausdrucksform (signifiant/image acoustique) ergibt. So hat etwa das Wort ‚Lenz‘ im deutschen Sprachsystem zwar den gleichen Zeicheninhalt wie das Wort ‚Frühling‘, nicht aber die gleiche Bedeutung (signification). Die Existenz der Wortform ‚Lenz‘ trägt dazu bei, dass sich im Sprachsystem eine Opposition zu ‚Frühling‘ ergibt. Folgende Abbildung stellt die Vereinigung zwischen Lautbild und Vorstellung dar und zeigt, dass es sich auch in diesem Fall um zwei Aspekte ein und derselben Sache handelt, und zwar um zwei Aspekte der Bedeutung (frz. signification):
Abb. 4.6: Signification – signifiant – signifié
Zur Beantwortung der Frage Welcher Natur ist die assoziative Verbindung einer Bezeichnung mit einem Bezeichneten? vertritt Saussure die oben bereits zitierte These: „Das Band, welches das Bezeichnete (=frz. signifié) mit der Bezeichnung (=frz. signifiant) verknüpft, ist beliebig“ (79). Nous voulons dire qu’il est immotivé, c’est-à-dire arbitraire par rapport au signifié, avec lequel il n’a aucune attache naturelle dans la réalité (101). Es soll besagen, dass es u n - m o t i v i e r t ist, d. h. beliebig im Verhältnis zum Bezeichneten, mit welchem es in Wirklichkeit keinerlei natürliche Zusammengehörigkeit hat (80). C’est parce que le signe est arbitraire qu’il ne connaît d’autre loi que celle de la tradition, et c’est parce qu’il se fonde sur la tradition qu’il peut être arbitraire (108). Gerade deshalb, weil das Zeichen beliebig ist, gibt es für dasselbe kein anderes Gesetz als das der Überlieferung, und weil es auf die Überlieferung begründet ist, kann es beliebig sein (87).
63 Mithilfe eines konkreten Beispiels sei das Gemeinte verdeutlicht: So ist die Vorstellung „Schwester“ durch keinerlei innere Beziehung mit der Lautfolge Schwester verbunden, die ihr als Bezeichnung dient; sie könnte ebensowohl dargestellt sein durch irgendeine andere Lautfolge: das beweisen die Verschiedenheiten unter den Sprachen und schon das Vorhandensein verschiedener Sprachen: das Bezeichnete „Ochs“ hat auf dieser Seite der Grenze als Bezeichnung o-k-s, auf jener Seite b-ö-f (bœuf). (79; Hervorhebung im Original).
Mit der Konzeption der Beliebigkeit der Lautfolge ist auch die Auffassung des linearen Charakters des Signifikanten (=frz. caractère linéaire du signifiant) verbunden: Les signifiants acoustiques ne disposent que de la ligne du temps; leurs éléments se présentent l’un après l’autre; ils forment une chaîne (103). [Für die akustischen Bezeichnungen gibt es nur die Linie der Zeit; ihre Elemente treten nacheinander auf; sie bilden eine Kette (82)].
4.3.3 Die These der Bilateralität von Zeichenrelationen: paradigmatische und syntagmatische Relationen Bezüglich der Frage Welche „rapports entre termes coexistants d’un état de langue“ gibt es? Welche Beziehungen zwischen gleichzeitigen Gliedern eines Sprachzustandes gibt es? Vertritt Saussure die These, dass es zwei mögliche Einbindungen gebe, und zwar die syntagmatische und die paradigmatische Einbindung: Ein Zeichen stehe demnach in Relation zu anderen Zeichen, sei es in der paradigmatischen Ordnung des im Gedächtnis assoziierten Zeichenbestandes der Sprache (in absentia), sei es in der syntagmatischen Ordnung der benachbarten Zeichen im vorausgehenden oder folgenden Kontext (in praesentia) (cf. Saussure, 147f.). Mit Paradigma und Syntagma werden zwei wichtige Fachbegriffe in die Linguistik eingeführt, mit denen es möglich ist, zwischen „zwei Arten unserer geistigen Tätigkeit [zu unterscheiden], die beide für das Leben der Sprache unentbehrlich sind“ (ibid., 147). Die Eigenschaften des Syntagmas lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: – Le syntagme se compose […] toujours de deux ou plusieurs unités consécutives. Par exemple: re-lire; contre tous; la vie humaine; Dieu est bon; s’il fait beau temps, nous sortirons (170). [[Das Syntagma] besteht […] immer aus zwei oder mehr aufeinanderfolgenden Einheiten (z.B. abreißen; für uns; ein langes Leben; Gott ist gut; wenn das Wetter schön ist, wollen wir ausgehen) (147).]
–
Placé dans un syntagme, un terme n’acquiert sa valeur que parce qu’il est opposé à ce qui précède ou ce qui suit, ou à tous les deux (170f.) [In eine Anreihung hineingestellt, erhält ein Glied seinen Wert nur, weil es dem vorausgehenden oder dem folgenden oder beiden gegenübersteht (147)].
–
Le rapport syntagmatique est in praesentia (171) [Die syntagmatische oder Anreihungsbeziehung besteht in praesentia (148)].
–
Ein Syntagma gehört zur langue (und nicht zur parole):
64 La phrase est le type par excellence du syntagme. Mais elle appartient à la parole, non à la langue […]; ne s’ensuit-il pas que le syntagme relève de la parole? Nous ne le pensons pas. Le propre de la parole c’est la liberté de combinaison: il faut donc se demander si tous les syntagmes sont également libres (172). [Der Satz ist der Haupttypus der Anreihung, aber er gehört dem Sprechen an und nicht der Sprache […]; folgt daraus nicht, daß das Syntagma dem Sprechen angehört? Ich denke nicht. Die Besonderheit des Sprechens ist die Freiheit der Zusammenstellungen; man muß sich also fragen, ob alle Anreihungen gleichermaßen frei sind (149)].
So gehören etwa folgende syntagmatische Reihungen zur langue: –
les locutions toutes faites, auxquelles l’usage interdit de rien changer […] (allons donc?) (172); [Das sind die fertigen Redensarten, bei denen der Brauch keine Änderung zuläßt […] (Was ist denn los?) (149)].
– tous les types de syntagmes construits sur des formes régulières […]. Quand un mot comme indécorable surgit dans la parole, il suppose un type déterminé, et celui-ci à son tour n’est possible que par le souvenir d’un nombre suffisant de mots semblables appartenant à la langue (impardonnable, intolérable, infatigable etc.) (173) [der Sprache […] sind alle diejenigen Anreihungen zuzuerkennen, die nach feststehenden Regeln gebildet sind […]. Wenn ein Wort wie indécorable ‚unverzierbar‘, im Sprechen auftaucht, so setzt es einen bestimmten Typus voraus, und dieser ist seinerseits nur möglich durch die Erinnerung an eine hinreichend große Anzahl von ähnlichen Wörtern, die der Sprache angehören (impardonnable, intolérable, infatigable usw.) (149)].
Das Paradigma hingegen lässt sich wie folgt charakterisieren: –
Ein Paradigma besteht aus einer association mentale: Les groupes fornés par association mentale ne se bornent pas à rapprocher les termes qui représentent quelque chose de commun; l’esprit saisit la nature des rapports qui les relient dans chaque cas et crée par là autant de séries associatives qu’il y a de rapports divers (173). [Gruppen, die durch Assoziation im Geist gebildet sind, stellen Verbindungen her nicht nur zwischen Gliedern, die irgend etwas Gemeinsames an sich haben, sondern der Geist faßt auch Beziehungen auf, die sich in jedem einzelnen Fall zwischen ihnen bilden, und schafft auf diese Weise ebenso viele Assoziationsreihen, als es verschiedene Beziehungen gibt (149)].
Hier einige Beispiele für Paradigmen, in denen jeweils unterschiedliche Relationen zwischen den einzelnen Elementen vorliegen: association par le radical [Assoziation durch den Wortstamm]: dt. Freund, freundlich, Freundlichkeit, Freundschaft etc. frz. enseignement, enseigner, enseignons etc. association par analogie des signifiés [Assoziation durch die Ähnlichkeit des Bezeichneten]: dt. Freundschaft, Brüderschaft, Beziehung etc. frz. enseignement, instruction, apprentissage, éducation etc.
65 In folgender Abbildung werden unterschiedliche Paradigmen dargestellt, die ausgehend von frz. enseignement im Sprachsystem des Französischen gebildet werden können.
Abb. 4.7: Paradigmen ausgehend von frz. einseignement (nach Saussure 1931, 175)
Die Konzeption des Paradigmabegriffes, die auf der Auffassung beruht: „Un terme donné est comme le centre d’une constellation“ (174). [„Ein gegebenes Glied ist wie der Mittelpunkt einer Zusammenstellung“ (151)], ist nicht nur eine weitere Beschreibungsmethode der Saussureschen Linguistik. Denn diese Auffassung hat unter anderem den Anstoß dazu gegeben, die Theorie der semantischen Blöcke (=TBL, cf. Einheit 7) ins Leben zu rufen und gilt ohne Zweifel als Grundlage vieler Theorien und Methoden der kognitiven Semantik und der kognitiven Linguistik allgemein (cf. Einheit 7), welche derartige mentale Zusammenstellungen/Assoziationen detaillierter analysieren und beschreiben.
4.3.4 Die These der Bilateralität linguistischer Betrachtungsweisen: Diachronie und Synchronie Zur Beantwortung der Frage Welche Beziehungen […] zwischen aufeinander folgenden Gliedern, von denen eines im Laufe der Zeit an die Stelle des andern, tritt gibt es? sowie Wie kann man dann die vollständige Scheidung zwischen Diachronie und Synchronie aufrecht erhalten entwickelt Saussure die These, es gebe zwei mögliche Betrachtungsweisen des Sprachzeichens: einerseits die diachronische, d.h. durch die Zeit hindurch, im Verlaufe der Zeit, und andererseits die synchronische, d.h. die Betrachtung eines Sprachzustandes. Die methodische Opposition zwischen diachronischer versus synchronischer Betrachtung hat vor allem die linguistischen Studien zum Bedeutungswandel beeinflusst und zu einigen interessanten Fragestellungen geführt. Insgesamt gehen diese Fragestellungen alle von der höchst relevanten Saussureschen Frage aus: Welche „rapports entre termes coexistants d’un état de langue“ gibt es? (193) [Welche „Beziehungen zwischen gleichzeitigen Gliedern eines Sprachzustandes“ gibt es? (167)] und tragen letztlich zur Stützung seiner These bei: „toutes les parties de la langue sont soumises au changement“ (193) [alle Teile der Sprache unterliegen dem [Wandel] (167)].
66
4.4
Die Grundfragen der strukturellen Linguistik: Semantik
Auch im Bereich der Semantik (=Bedeutungslehre) sind, wie oben bereits angesprochen, die Theorie der Sprache als komplexes System von Sprachzeichen sowie die damit verbundenen grundlegenden Fragen von Saussure zur Beschreibung der konstitutiven Elemente dieses Sprachsystems aufgegriffen worden. Dies hat zur Entwicklung der sog. strukturellen Semantik geführt. Die in dem Zusammenhang entstandenen zentralen Fragestellungen zur Wortbedeutung, zu Wortfeldern etc. sollen hier in Anlehnung an Weinrich (v.a. in „Negation in der Sprache“ (1976, 73)), der sie in verschiedenen Aufsätzen gesammelt, zitiert und beantwortet hat, ausführlich aufgelistet werden. Die Fragen sind als Anregung zur Reflexion zu verstehen und können selbstverständlich in diesem begrenzten Rahmen nicht vollständig beantwortet werden. – – – – – –
– – – – –
Was ist ein Wort und wie verhält es sich mit seiner Bedeutung? Was ist eigentlich Bedeutung? Ist die Wortbedeutung eine Eigenschaft des sprachlichen Zeichens? Sind Wortbedeutung und Inhaltsbedeutung gleichzusetzen? Welchen Status sollen die einzelnen semantischen Merkmale als Komponenten der Wörter in der Beschreibung haben? Kann man etwa zwischen mehr oder weniger universalen Merkmalen, die sich durch das ganze Lexikon ziehen, und mehr oder weniger partikulären Merkmalen unterscheiden, die nur in einem besonderen Bereich des Lexikons relevant sind? (Katz/Fodor 1963) Stehen alle Merkmale gleichrangig in einer Merkmalmenge, oder bilden sie hierarchisch eine Konfiguration? (Weinreich 1966) Kann man eine reduzierte Merkmalmenge zu einem „Archi-Semem“ zusammenfassen, das dann auf einer höheren Abstraktionsebene zu lokalisieren ist? (Pottier 1963) Kann man ein Bedeutungsfeld von seiner Sem-Struktur her konstituieren? (Baumgärtner 1966) Kann man aus semantischen Merkmalen ein Basis-Wörterbuch zusammenstellen, das die Grundlage vieler oder sogar aller Wörterbücher bilden könnte? (Alinei 1974) Kann man Metaphern von der Verträglichkeit oder Unverträglichkeit der beteiligten Seme her erklären? (Petöfi 1970)
Bezüglich der Wortfeldtheorie im Speziellen formuliert Weinrich (1976) folgende Fragen: – Nach welchen Kriterien kann man ein Subsystem innerhalb des sprachlichen Gesamtsystems abgrenzen? – Wie ist die Abgrenzung eines Subsystems möglich? – Wie kann man die Opposition [zwischen Termen] bestimmen?
67 4.5
Die Grundthesen der strukturellen Linguistik: Semantik
Die Sprachauffassung im Zuge der Saussureschen Linguistik spiegelt sich im Bereich der Semantik in den Thesen zur Beschreibung der inneren Struktur eines Wortes wider. Ein Wort besitzt demnach – wie ein Organismus – eine innere Struktur, deren einzelne Elemente (auch semantische Merkmale bzw. Seme genannt) miteinander kombiniert und in einem System aufgebaut sind, und so zur Konstitution der ‚Bedeutung‘ beitragen. Im Folgenden werden einige daran anknüpfende Thesen vorgestellt, um zumindest die relevantesten der oben genannten Fragestellungen zu beantworten.
4.5.1 Die These des ‚Referenten als drittes Element der Wortbedeutung‘ Zu den wichtigsten Theorien der strukturellen Semantik gehört die referentielle Bedeutungstheorie, welche die These einer Verbindung des Sprachzeichens mit konkreten Objekten und Sachverhalten in der Wirklichkeit (=Referenten) vertritt und damit allgemeine Fragen wie Was ist ein Wort und wie verhält es sich mit seiner Bedeutung? oder Was ist eigentlich Bedeutung? zu beantworten versucht. Mithilfe eines Wortes (=frz. signifiant, dt. Lautbild, Wortform) kann auf konkrete Objekte und Sachverhalte in der Wirklichkeit (=Referenten bzw. Denotate) Bezug genommen werden. Diese These ergänzt die Saussuresche Konzeption der Zweiseitigkeit (Bilateralität) des sprachlichen Zeichens, als Verbindung einer Lautvorstellung (frz. signifiant) mit einer (mentalen, abstrakten) Inhaltsvorstellung (frz. signifié), durch ein drittes Element des Zeichens, nämlich den Referenten. Das 1923 von den britischen Sprachwissenschaftlern Charles Ogden (1889–1957) und Yvor Richards (1893–1979) entwickelte triadische Zeichenmodell gilt als wichtige Illustration der referentiellen Theorie der Wortbedeutung.
Abb. 4.8: Triadisches Zeichenmodell (nach Ogden/Richards 1923)
Nach diesem Modell ist ein language symbol (dt. Lautbild, Wortform; frz. signifiant) nicht direkt mit dem entsprechenden Referenten, dem Ding, der außersprachlichen Entität verbunden. Die Verbindung wird vielmehr indirekt durch den thought of reference, d.h. die mentale Repräsentation des Bezeichneten (dt. Inhaltsvorstellung, frz. signifié) hergestellt.
68 Anmerkungen: Zu den wichtigsten Einwänden gegen die Referenten-These zählt die reale Beobachtung, dass –
[...] intere categorie di vocaboli (preposizioni, congiunzioni, interiezioni) non possono essere concepite come designazione di oggetti extralinguistici. Nessuno pretende che tali vocaboli siano privi di contenuto (Stati 1986, 44). – I denotata esistono indipendentemente dalle lingue. Il significato è legato ad una lingua (Stati 1986, 44). [dass ganze Kategorien von Wörtern (Präpositionen, Konjunktionen, Interjektionen) nicht als Bezeichnung von außersprachlichen Objekten betrachtet werden können. Niemand kann behaupten, dass solche Wortarten ohne Inhalt sind.] [Die Denotate existieren unabhängig von Sprachen. Der Inhalt ist an eine Sprache gebunden. (Eigene Übersetzung)]
4.5.2 Die These der Segmentierung der Bedeutung Die strukturelle Semantik postuliert die mögliche Segmentierung der Wortbedeutung. Mithilfe eines funktionalen Oppositions- und Negationsprinzips werden notwendige distinktive Merkmale (auch Bedeutungskomponenten genannt) für jedes Lexem identifiziert. Diese sollen die interne Konstitution des jeweils betrachteten Lexems aufdecken und genau erklären, inwiefern (bzw. durch welche Bedeutungskomponente(n)) es sich von den anderen (benachbarten) Sprachelementen im System unterscheidet (vgl. auch Kap. 4.8.2). Auf diese Weise können erneut allgemeine Fragen, wie Was ist eigentlich Bedeutung?, beantwortet werden, aber gleichzeitig auch spezifischere Fragestellungen wie Welchen Status sollen die einzelnen semantischen Merkmale als Komponenten der Wörter in der Beschreibung haben? oder Stehen alle Merkmale gleichrangig in einer Merkmalmenge, oder bilden sie hierarchisch eine Konfiguration?, um nur zwei zu nennen. Im Zuge seiner Bemühungen, die notwendige Fachterminologie hierfür zu präzisieren, hat einer der wichtigsten Begründer der strukturellen Semantik, der französische Linguist Algirdas Julien Greimas (1917–1992), im Jahre 1966 den Terminus ‚Sem‘ für das einzelne Merkmal und den Terminus ‚Semem‘ für die zusammengesetzte Gesamtbedeutung eingeführt. Bei der Betrachtung der sprachlichen Bedeutung geht die strukturelle Merkmalsemantik semasiologisch vor, d.h. sie fragt von der Wortform ausgehend (wie etwa dt. Brot, frz. pain, it. pane) nach dem Inhalt des Wortes in der jeweiligen Einzelsprache. Folgende Abbildung zeigt die Segmentierung der Wortbedeutung am Beispiel des Wortes dt. ‚Frosch‘:
69 ist die Wortform / der Ausdruck +belebt, +Amphibie, +grün, +klein, +glitschig, +kann springen, +quakt, +lebt in Teichen und Feuchtgebieten sind die semantischen Merkmale des Wortes / die Seme (Definitionselemente) die Bedeutung / der Inhalt eines Wortes =die Menge der semantischen Merkmale Abb. 4.9: Segmentierung der Wortbedeutung am Beispiel it. ‚rana‘ (mit dt. Übersetzung, ‚Frosch‘)
4.6
Die Grundfragen der strukturellen Linguistik: Phonologie
Mit der Auffassung, dass für die linguistische Analyse eines Sprachsystems nicht der konkret realisierte Laut, sondern die bedeutungsunterscheidende Lautvorstellung ausschlaggebend ist (cf. Kabatek/Pusch 2009, 59), sind auch die grundlegenden Fragen der strukturellen Phonologie verbunden, die wie folgt wiedergegeben werden können: – Wie (mit welchen Merkmalen) kann man Laute näher beschreiben? – Mit welchen Kriterien kann man Phoneme (=funktionale Laute/Laute mit bedeutungsunterscheidender Funktion) in einem bestimmten Sprachsystem identifizieren und klassifizieren? – Wie kann man ein Phonemsystem/das Phoneminventar einer Sprache darstellen? – Welche Restriktionen gibt es in einer Einzelsprache bei der Kombination einzelner Phoneme?
4.7
Die Grundthesen der strukturellen Linguistik: Phonologie
4.7.1 Die These der psychischen Lautvorstellung Zur Beantwortung der grundlegenden Frage Mit welchen Kriterien kann man Phoneme (=funktionale Laute/Laute mit bedeutungsunterscheidender Funktion) in einem bestimmten Sprachsystem identifizieren und klassifizieren? wird in der strukturellen Phonologie mit Bezug auf Saussure die These vertreten, dass für das Sprechen nicht die physische Realität der Laute, sondern gewisse wichtige bedeutungsunterscheidende Lautvorstellungen relevant sind (cf. Kabatek/Pusch 2009, 58). Aus diesem Grund werden Laute, deren Austausch in einer Sprache keinen Bedeutungsunterschied bewirkt, nicht als Phonem betrachtet, sondern als einfache Laute oder Phone.
70 4.7.2 Die These der relevanten kontrastierenden/distinktiven Lauteigenschaften als Basis eines Phonemsystems Zur Beantwortung der grundlegenden Frage Wie (…) kann man Laute näher beschreiben? wird in Anlehnung an Trubetzkoy die These vertreten, dass jedes Phonem ein Glied einer phonologischen Opposition sein muss, so folgt daraus, dass sich das Phonem nicht mit einem konkreten Lautgebilde, sondern nur mit seinen phonologisch relevanten Eigenschaften deckt. Man kann sagen, dass das Phonem die Gesamtheit der phonologisch relevanten Eigenschaften eines Lautgebildes ist (Trubetzkoy 1939/31962, 39f.).
So ist im Italienischen bspw. bei den Nasalen die Opposition [dento-alveolar] vs. [velar], also [n] vs. [ƾ] nicht bedeutungsunterscheidend, da die unterschiedliche Realisierung allein von der Distribution abhängt und die beiden Laute nie in dem gleichen Kontext vorkommen können. Vor /k/ steht immer [ƾ] (ancora), ansonsten immer [n]. Im Deutschen ist die Unterscheidung stimmlos-stimmhaft bei Plosiven distinktiv, die Aspiriertheit hingegen nicht. Konsonanten des Italienischen labiodentopostbilabial dental alveolar alveolar
palatal
velar
Plosive
SE
WG
NС
Nasale
P
؇
Q
ص
غ
Vibranten
U
Frikative
IY
V]
ߑ
Z
M
Laterale
O
ु
Affrikaten
WVG]
WߑGও
Approximanten
Abb. 4.10: Das Konsonantensystem des Italienischen
4.8
Die Methoden der strukturellen Linguistik
Die Forschungsmethoden zur Beschreibung von Sprachstrukturen wurden – wie bereits im Überblick erwähnt – durch die Theorien und Methoden der Naturwissenschaften, insbesondere der Chemie und der Physik, stark geprägt. Zahlreiche Linguisten betonen diesen Aspekt in ihren Beiträgen. Der deutsche Germanist Michael Pielenz schreibt z.B.: Die Analogie zur Chemie gründet auf deren empirischen Verfahren. Chemiker bestimmen vermittels empirischer Verfahren u.a. die Zusammensetzung einer unbekannten Substanz, indem diese in nicht weiter analysierbare Bestandteile zerlegt wird. Auf diese Weise ist es in der Chemie gelungen, eine überschaubare Menge grundlegender Elemente zu entdecken, mit deren Hilfe die Vielfalt chemischer Strukturen erklärt werden kann. Sprachen, so fand man, offenbarten einen vergleichbaren Aufbau, i.e. Einheiten, die zu größeren Einheiten konfigurieren können: Sätze die aus Wörtern bestehen, Wörter, die aus Lauten zusammengesetzt sind.
71 Phoneme und Morpheme bildeten das linguistische Pendant zu den chemischen Elementen, die als kombinierbare Bausteine der Struktur natürlicher Sprachen Rechnung tragen sollten (Pielenz 1993, 79).
Auch Trubetzkoy schreibt z.B. 1933 in seinem Werk Grundzüge der Phonologie [1939 postum in Prag erschienen]: Die Epoche, in der wir leben, kennzeichnet sich durch die Tendenz aller wissenschaftlichen Disziplinen, den Atomismus durch den Strukturalismus und den Individualismus durch den Universalismus zu ersetzen; diese Tendenz lässt sich in der Physik feststellen, in der Chemie, in der Biologie, in der Psychologie, in der Wirtschaftswissenschaft usw. Die gegenwärtige Phonologie steht also nicht isoliert da. Sie macht einen Teil einer weiteren wissenschaftlichen Bewegung aus (Trubetzkoy 1939/31962, 245).
Im CLG vertritt Saussure die These, dass ein System ein solidarisches Ganzes sei: „Man muß vom solidarischen Ganzen ausgehen, um durch Analyse die Elemente zu erhalten, die es einschließt“ (157). Nach dieser Konzeption dürfen die einzelnen Elemente im System nicht isoliert betrachtet werden. Von dieser Sprachauffassung gehen alle strukturellen Methoden zur Beschreibung von sprachlichen Elementen im System aus. Hier stellen wir die wichtigsten Methoden der strukturellen Phonologie und, analog dazu, die Methode der strukturellen Semantik dar.
4.8.1
Die Methoden der strukturellen Phonologie
Um die Funktionen der Sprachlaute in einem bestimmten System zu identifizieren und zu beschreiben, wird durch die sogenannte Kommutationsprobe versucht, Minimalpaare zu identifizieren, bei welchen der Austausch eines Elements eine Bedeutungsveränderung zur Folge hat. So sind z.B. /p/ und /k/ im Italienischen Phoneme, denn ihr Austausch bewirkt eine Änderung der Bedeutung, und zwar it. cane (dt. Hund) und it. pane (dt. Brot). Die Phoneme /k/ und /p/ stehen also zueinander in phonologischer Opposition. Laute, deren Austausch keine Änderung der Bedeutung verursacht, sind keine Phoneme sondern Phone. Im Italienischen, beispielsweise, la vocale /a/ è prodotta [ ] in molte zone del sud, come a Bari [ਥk ne] cane (Albano Leoni & Maturi 2003, 49), mentre si pronuncia come vocale posteriore [ľ], soprattutto in sillaba aperta e tonica, nel piemontese, nel ligure e nel napoletano [ਥka:ne] (Sobrero 1974, 60) (Treccani 2010). [wird der Vokal /a/ in vielen südlichen Sprachräumen, wie in Bari, als [ ] realisiert: [ਥk ne] cane, während er im Piemontesischen, im Ligurischen und im Neapoletanischen als hinterer Vokal [ľ] ausgesprochen wird: [ਥka:ne], vor allem in offenen betonten Silben. (Eigene Übersetzung).]
Man spricht in solchen Fällen von distributionellen Varianten oder Allophonen. Zur Identifikation eines Minimalpaars, welches aus zwei Wörtern bzw. Wortformen mit jeweils verschiedener Bedeutung besteht, die sich nur durch ein Phon in gleicher Position unterscheiden, wird zuerst eine lautliche Einheit in ihre einzelnen Bestandteile segmen-
72 tiert. Anschließend werden bestimmte Laute durch Substitution ausgetauscht und die mögliche Bedeutungsveränderung wird überprüft. Beispiel: Segmentierung: Substitutionen:
frz. [r] - [İ] - [z] - [ɬ] [s] anstelle von [r] [a] anstelle von [İ] [y] anstelle von [z]
raison saison rasons rayon
Die Klasse aller möglichen Substitute von [r] in raison umfasst [b], [s], [m], [t].
Die Methoden der heutigen strukturellen Phonologie gehen insbesondere von dem Prinzip der phonologischen Abstraktion aus, welches der deutsche Phonologe Wolfgang Hess wie folgt beschreibt: Das Phonem als kleinste bedeutungsunterscheidende Einheit existiert in einem System phonologischer (phonemischer) Oppositionen. Eine Opposition auf Phonemebene wird von zwei Phonen gebildet, die die lautunterscheidenden Segmente eines Minimalpaares sind. Das Ziel der phonologischen Abstraktion besteht in der Reduktion einer unüberschaubar großen Zahl akustischer und artikulatorischer Möglichkeiten auf eine überschaubare, endliche, möglichst kleine Zahl von Einheiten (Hess 2005).
4.8.2 Die Methoden der strukturellen Semantik Die theoretische Annahme der Existenz von Wortfeldern gilt als Basis der Analysemethode der strukturellen Semantik, welche auch mit dem Begriff ‚Merkmalsanalyse‘ bezeichnet wird. Sie wurde von Pottier in Recherches sur l’analyse sémantique en linguistique et en traduction mécanique (1963) am Beispiel des Wortfeldes der Sitzmöbel entwickelt (cf. Abb. 4.11, nächste Seite). Weinrich beschreibt sie folgendermaßen: Pottier nimmt sich, wie die Linguisten der 20er und 30er Jahre, ein Wortfeld vor. Er wählt das Wortfeld der Sitzmöbel in der französischen Sprache. Dieses Wortfeld besteht aus einer überschaubaren Menge von Wörtern, solchen nämlich wie chaise, fauteuil, tabouret, canapé, pouf usw. Wenn man die einzelnen Sitzmöbel nun zu definieren versucht, benutzt man Merkmale (Seme), nach denen sie sich unterscheiden. Das Wort chaise repräsentiert etwa eine Menge von Semen wie: (zum Sitzen) / (mit Füßen) / (für 1 Person) / (mit Lehne) / (…). Weitere Seme sind grundsätzlich denkbar; es kommt nicht darauf an, alle denkbaren Seme möglichst erschöpfend aufzuzählen, sondern man wählt diejenigen aus, die in der jeweilig untersuchten Sprache dazu dienen, diese Wortbedeutung (das „Semen“) von den anderen Wortbedeutungen des Subsystems der Sitzmöbel zu unterscheiden. Das Sem (für 1 Person) wird also deshalb als relevant gesetzt, weil es in dem in Frage stehenden Subsystem der französischen Sprache auch Sitzmöbel gibt, deren Bezeichnung das Sem (für mehrere Personen) haben, so daß die eine Bedeutung nicht die andere ist (Weinrich 1976, 72; Hervorhebung im Original.).
Viele Seme werden in der Methode der Merkmalanalyse binär angeordnet: Die Merkmale: (belebt) vs. (unbelebt), (konkret) vs. (abstrakt), (zählbar) vs. (unzählbar), (menschlich) vs. (nicht menschlich), (zeitlich) vs. (nicht zeitlich) ermöglichen Ja/Nein-Entschei-
73 dungen. Aus diesem Grund findet man in formalisierter Schreibweise in vielen Darstellungen die Zeichen für Plus und Minus, wie etwa ±belebt. Sem
s1
s2
s3
s4
s5
s6
chaise
+ + — + —
+ + + + +
+ + + — +
+ + + + +
— + — + —
+ + + + —
fauteuil tabouret canapé pouf
Semem =S1 =S2 =S3 =S4 =S5
s1 avec dossier s2 sur pied s3 pour une personne s4 pour s’assoir s5 avec bras s6 avec matériau rigide
Abb. 4.11: Analyse des Wortfelds „SIÈGES“ (nach Pottier 1963)
4.9
Literatur
Bibliographie Einheit 4 (chronologisch) (1815) Goethe, Johann Wolfgang von: Gingo Biloba, in: Birus, Hendrik (ed.): Johann Wolfgang Goethe. West-östlicher Divan, Frankfurt am M.: Deutscher Klassiker Verlag, 1994. (1916/21931) Saussure, Ferdinand de: Cours de linguistique générale (Bally, Charles/Sechehaye, Albert M./Riedlinger, Albert (ed.)), Lausanne/Paris: Payot. [dt. Übers. von Herman Lommel; Grundfragen der Allgemeinen Sprachwissenschaft, Berlin: de Gruyter 1931/32001]. (1923) Ogden, Kay Charles/Richards, Ivor Armstrong: The Meaning of Meaning. A study of the influence of Language upon Thought and of The Science of Symbolism, London: Kegan Paul, Trench, Trubner & Co. (1924/1930) Ipsen, Gunther: Die Sprachphilosophie der Gegenwart, Berlin: Junker & Dünnhaupt. (1931) Trier, Jost: Der deutsche Wortschatz im Sinnbezirk des Verstandes. Von den Anfängen bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, Heidelberg: Winter. (1933) Trubetzkoy, Nikolaj Sergejewitsch: „La phonologie actuelle“, in: Journal de Psychologie normale et pathologique 30, 227–246. (1939/71989) Trubetzkoy, Nikolaj Sergewitsch: Grundzüge der Phonologie, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. (1944) Hjelmslev, Louis: „Éditorial [Programme de la linguistique structurale]“, in: Acta Linguistica Hafniensia. Revue internationale de linguistique structurale 4, V–XI. (1951) Jakobson, Roman: On the correct presentation of phonemic problems. Symposium 5:2, 328-335. (neuveröffentl. unter dem Titel: For the correct presentation of phonemic problems, in: Selected Writings I, Mouton: The Hague, 1962, 435–442.) (1953) Weinreich, Uriel: Languages in Contact: Findings and Problems, New York: Linguistic circle of New York. (1958) Weinrich, Harald: „Münze und Wort: Untersuchungen an einem Bildfeld“, in: Weinrich, Harald (ed.): Sprache in Texten, Stuttgart: Klett, 1976, 317–326. (1963) Pottier, Bernard: Recherches sur l'analyse sémantique en linguistique et en traduction mécanique, Nancy: Université de Nancy. (1963) Katz, Jerold/Fodor, Jerry: The Structure of a Semantic Theory, in: Language 39, 170–210.
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Internetquellen: (2003) Hess, Wolfgang: Grundlagen der Phonetik, online: www.ikp.uni-bonn.de/lehre/informationen-materialien/informationen-und-materialienkopho/materialien-1/hess/grundlagen-der-phonetik/gph_3.pdf (zuletzt abgerufen am 6.12.2012) (2010) „Allofoni – 3. Fenomeni geografici“, in: Treccani.it. L’enciclopedia italiana: www.treccani.it/enciclopedia/allofoni_(Enciclopedia_dell'Italiano)/ (zuletzt abgerufen am 6.12.2012) www.bibliografia-metafora.uni-bonn.de (zuletzt abgerufen am 6.12.2012) www.metaphorik.de (zuletzt abgerufen am 6.12.2012)
Empfohlene Lektüre (1958) Weinrich, Harald: „Münze und Wort: Untersuchungen an einem Bildfeld“, in: Weinrich, Harald (ed.): Sprache in Texten, Stuttgart: Klett, 1976, 317–326. (1967) Coseriu, Eugenio: „Lexikalische Solidaritäten“, in: Poetica 1,3, 293–303.
75 4.10 Aufgaben 1. Versuchen Sie mit eigenen Worten zu erklären, inwiefern die Linguistique de la langue und die Linguistique de la parole zusammenhängen und inwiefern sie sich voneinander abgrenzen. 2. Gibt es auch in den romanischen Sprachen ein Bildfeld, in welchem der Sinnbezirk der Sprache mit dem Sinnbezirk des Finanzwesens verbunden wird? Versuchen Sie ggf. einige Einzelmetaphern daraus aufzulisten. 3. Versuchen Sie die Saussuresche Auffassung des Sprachzeichens mit eigenen Worten zu erläutern. Was kann dieses Zeichenmodell leisten, was sind hingegen mögliche Defizite? 4. Welche verschiedenen Paradigmen lassen sich ausgehend von frz. courir bzw. it. correre, sp. correr [dt. ‚rennen‘] bilden? Bestimmen Sie auch jeweils die Art der Relation zwischen den einzelnen Elementen der Paradigmen. 5. Schlagen Sie in einem ausführlichen einsprachigen Wörterbuch nach: Welche semantischen Merkmale werden dort im Definitionsteil des Eintrags für frz. mammifère bzw. it. mammifero, sp. mamifero [dt. ‚Säugetier‘] fokussiert? Welche semantischen Merkmale finden Sie hingegen bei frz. pastenague, it. pastinaca (spinosa), sp. pastinaca [dt. ‚Stachelrochen‘]? 6. Kennen Sie Beispiele für Laute, die in einer bestimmten romanischen Sprache den Status eines Phonems haben, in einer anderen oder im Deutschen aber nicht?
5.
Sprache als Architektur – Theorien und Methoden der (historischen) romanischen Varietätenlinguistik (und Diskurstraditionen)
5.0
Überblick
Die modellbildende Metapher Sprache als Struktur trägt zur Entwicklung der Konzeption der Sprache als Architektur bei. Im Unterschied zur Theorie der Sprache als Struktur, welche die Sprache (=langue) als eine homogene, einheitliche und somit gleichzeitig abstrakte Varietät (=System) ansieht und daher als methodologisches Prinzip die Vernachlässigung des im Sprachgebrauch manifestierten Variationsspektrums einer Sprache fordert (cf. Einheit 4), postuliert die Theorie der Sprache als Architektur, dass das gesamte Gebäude einer historischen Sprache (wie etwa des Italienischen oder des Französischen) sich aus einem Gefüge einzelner Varietäten zusammensetzt (=Subsysteme geordnet in einem sog. Diasystem). Diese Subsysteme und deren Konstitution sind abhängig von linguistischen und extralinguistischen Faktoren (wie etwa geographischen oder sozialen Faktoren). Sie können und sollen methodologisch als diskrete Einheiten betrachtet werden. Es handelt sich also bei der Theorie der Sprache als Architektur um eine Betrachtungsweise, welche stark am Sprechen als Tätigkeit des Individuums (und nicht an der Sprache als abstraktes System) orientiert ist. Die Konzeption der historischen Sprache als Architektur gilt als Grundlage der Theorien und Methoden der in den achtziger Jahren des 20. Jhs. entstandenen Varietätenlinguistik. Deren Ziel bei der Untersuchung der sprachlichen Variationen ist nicht nur die Beschreibung von Systemen, sondern auch die Identifikation von sprachlichen Normen, welche als jeweils ‚üblicher Sprachgebrauch‘ in Subsystemen konzipiert werden. Aus diesem Grund weist die Varietätenlinguistik zahlreiche Kontaktpunkte zur Pragmalinguistik (cf. Einheit 6) und zur Soziolinguistik auf und wird häufig sogar als Subdisziplin der Soziolinguistik behandelt. Unter den Thesen, welche im Rahmen der Theorie der Sprache als Architektur vertreten werden, hat insbesondere die These der drei Varietätendimensionen von Coseriu (1970) zur Entwicklung einer weiteren in der Romanistik weit verbreiteten und allgemein bekannten Theorie beigetragen, nämlich der Theorie von Nähe und Distanz von Koch und Oesterreicher (1985 und 1990). Die mentale Konzeption der Sprache als Architektur beinhaltet auch die Metapher der Sprache als „historisch“ gewachsenes Gebäude: Das Werden einer Sprache – wie das Werden eines Gebäudes – ist in allen Phasen der Konstitution oder besser der „Konstruktion“ und des „Ausbaus“ stets von Traditionen (gleichsam von architektonischen „Baustilen“) geprägt, die sich ihrerseits im Laufe der Zeit verändern. Die Möglichkeit der Ausbildung sprachlicher Traditionen, welche auf allen Ebenen der Sprachbetrachtung Relevanz haben, ist dabei durch die Wiederholbarkeit und Wiederholung von be-
78 reits Gesagtem und Gemeintem gegeben. Diese wichtige Beobachtung, die heute in der Romanistik als selbstverständlich angesehen wird, gilt als Grundlage der Theorie der Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache, welche Coseriu 1980 in Anlehnung an Saussure formuliert und entwickelt hat. Hinter der Historizität einer Sprache, die auf Traditionen beruht, verbirgt sich – nach Meinung zahlreicher Romanisten – in Wirklichkeit eine Koppelung zweier unterschiedlicher Arten oder Dimensionen von Historizität: die Historizität der Einzelsprache einerseits und die Historizität von Texten und Diskursen andererseits (=Theorie der zwei Dimensionen der Historizität). Auf der Grundlage derartiger Überlegungen hat die Linguistik in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts ein neues Forschungsgebiet eröffnet, das mit den Begriffen Text- und Diskurstradition bzw. historische Pragmatik bezeichnet wird. Untersucht werden hier z.B. einzelne Diskurstraditionen wie etwa der ‚polemische Dialog‘ als wissenschaftliche Ausdrucksform (zunächst in griechischer bzw. lateinischer Sprache, dann auch in den Volkssprachen), mit welchem Renaissance-Humanisten das breite Spektrum zeitgenössischer Diskurse prägten. Die Thesen zu Diskurs- und Texttraditionen werden heute in der Romanistik nicht einmütig angenommen. Umstritten ist z.B., ob der Begriff Texttradition mit dem Begriff Diskurstradition tatsächlich gleichzusetzen ist, und ob es objektive Parameter und Kriterien gibt, um die wissenschaftliche Differenzierung zwischen Text und Diskurs zu beschreiben. Folgende Darstellung zeigt die Entwicklung der romanischen Sprachforschung ab dem 19. Jh. unter dem Blickwinkel der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS: SPRACHE als LEBENDIGER
ORGANISMUS
FAMILIE ca. ab Anfang des 19. Jhs.
HERKUNFT ca. ab Ende des 19. Jhs.
RAUM ca. ab Anfang des 19. Jhs.
INNERE STRUKTUR
ca. ab den 20er Jahren des 20. Jhs.
ARCHITEKTUR ca. ab Mitte des 20. Jhs.
Abb. 5.1: Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS
79
5.1
Die Theorien der Varietätenlinguistik
Zu den Theorien der Varietätenlinguistik sind solche Forschungsansätze zu zählen, welche eine historische Sprache insgesamt als ein komplexes „Gebäude“ (=Diasystem) beschreiben, dessen einzelne Teile von unterschiedlichen Varietäten als Subsystemen gebildet werden. Zur Differenzierung und Anordnung der Subsysteme werden sprachexterne Faktoren (etwa geographischer, politischer oder soziokultureller Art) herangezogen, um daraufhin auch die jeweiligen Korrelationen mit intralinguistischen Sprachelementen aufzudecken. Zu diesen Theorien gehören die Theorie der Sprache als Architektur und die Theorie von Nähe und Distanz, aus denen sich schließlich die Theorie der Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache und die Theorie der zwei Dimensionen der Historizität entwickelt haben, die hier in einem eigenen Abschnitt (Kap. 5.5–5.8) ausführlich dargestellt werden.
5.1.1 Die Theorie der Sprache als Architektur Der Begriff ‚Architektur‘ wurde von dem norwegischen Linguisten Leiv Flydal (1904– 1983) in Remarques sur certains rapports entre le style et l'état de langue (1951) zum ersten Mal in Bezug auf eine historische Sprache angewandt, um diese als mehrgliedriges Gebäude darzustellen. Im Unterschied zu einer reinen Struktur spielen bei einer Architektur nicht nur innersprachliche, sondern auch aus außersprachlichen Elemente (wie etwa geographische oder soziale Faktoren), welche zur Entstehung sprachlicher Fakten beitragen, eine wichtige Rolle. Nach Flydal basiert die Architektur einer Sprache auf zwei Varietätendimensionen, einer diatopischen (=Unterschiede in sprachlichen Räumen) und einer diastratischen (=Unterschiede in sozialen Gruppen und Schichten). Aufbauend auf diese Differenzierung von Flydal fügt Coseriu (1956) eine dritte Dimension hinzu, und zwar die diaphasische Variation (aus dem griech. ijȐıȚȢ (phasis), was Coseriu mit „Rede“ übersetzt). Es handelt sich bei den diaphasischen Varietäten um stilistische Variationen (auch Sprachstile genannt), die in Abhängigkeit von unterschiedlichen kommunikativen Situationen verwendet werden, wie etwa die stilistische Variation zwischen einer umgangssprachlichen und einer gehobenen Ausdrucksweise. Zur Terminologie Coserius schreibt der Germanist Manfred Faust (1988) mit Recht: Aus der Sicht von Coserius Begrifflichkeit scheint es sich um eine Aufspaltung des ursprünglichen Begriffs ‚diaphasisch‘ in ‚diasituativ‘ und ‚diaphasisch‘ zu handeln, denn nach Coserius Auffassung sind die Sprachen der verschiedenen Generationen auf der ‚diaphasischen‘ Dimension einzuordnen, wobei er allerdings im Gegensatz zu Goossens nicht an eine beliebige altersabhängige Variation denkt, sondern an stilistische Unterschiede wie zwischen ‚der Sprache der Erwachsenen‘ und der ‚Sprache der Kinder‘ (Coseriu 1981, 13) (Faust 1988, 502).
Nach Coseriu kann jedes Sprachsystem mit Bezug auf alle drei Dimensionen bestimmt und damit auf syntopischer, synstratischer und synphasischer (cf. 5.4.1) Ebene untersucht werden. Aus dem Zusammenspiel der drei Dimensionen und damit aus der Kombi-
80 nation der unterschiedlichen feststellbaren und beschreibbaren Subsysteme ergibt sich schließlich das „Diasystem“ (vgl. Abb. 2.4; der Begriff stammt von Uriel Weinreich 1954, 389f.) einer historischen Einzelsprache. Um noch einmal auf das Verhältnis der beiden Auffassungen von Sprache als Struktur bzw. als Architektur zurückzukommen, lässt sich abschließend sagen: Es handelt sich bei der Theorie der Sprache als Architektur um die Überwindung der strikten Vorgehensweise der strukturalistischen Sprachbetrachtung, bei der die Sprachvarietäten zur Beschreibung des Sprachsystems methodologisch nicht berücksichtigt werden, wodurch letztlich die Manifestation der Variabilität innerhalb des Sprachsystems ausgeklammert wird. Das bedeutet natürlich nicht, dass bei einer strukturellen Beschreibung die Sprachvarietäten gänzlich geleugnet werden, vielmehr ist lediglich der Untersuchungsfokus ein anderer. So besteht das wesentliche Ziel der strukturalistischen Beschreibung des Sprachsystems gerade in der Suche nach Homogenität innerhalb der Heterogenität (cf. dazu Oesterreicher 1995, 4; Kabatek 2003, 2). Hierzu bemerkt Kabatek treffend: Wenn nun in einer strukturalistischen Untersuchung versucht wird, den Status einer bestimmten Varietät zu bestimmen, so wird weder der ‚Gebrauch‘ dieser Varietät im Sprechen der Individuen bestimmt, noch etwa die Beziehung dieser Varietät zur Frage von Mündlichkeit und Schriftlichkeit (ibid., 2).
5.1.2 Die Theorie von Nähe und Distanz In der Theorie von Nähe und Distanz, die im Jahre 1990 in der Freiburger Schule entstanden und weltweit mit den Namen von Peter Koch und Wulf Oesterreicher verbunden ist, wird postuliert, dass allen diaphasischen, diastratischen und diatopischen Variationen der Sprache das organisatorische Grundprinzip von Nähe (prototypische Mündlichkeit) und Distanz (prototypische Schriftlichkeit) zugrunde liegt. Denn der Sprecher verbindet bspw. eine diatopisch stark markierte Form, wie etwa die ‚gorgia toscana‘ (=die Aspiration der zwischenvokalischen stimmlosen Verschlusslaute in der Toskana), mit Nähe, wohingegen eine diatopisch gering markierte Form eher mit Distanz in Verbindung gebracht wird. Aus diesem Grund sind nach Koch und Oesterreicher Nähe und Distanz als eigene Dimension innerhalb der Architektur einer bestimmten historischen Sprache zu betrachten. Folgendes Schema zeigt die Organisation des gesamten Varietätengebäudes durch die beiden Hauptkriterien Nähe und Distanz (vgl. Abb.5.2, nächste Seite). Wie Schema deutlich zeigt, sind Nähe und Distanz als zwei Extrempunkte eines universellen Kontinuums des Sprechens anzusehen. Sie können durch eine Reihe von Parametern bestimmt werden. Als konstitutive Eigenschaften der Nähe können u.a. folgende gelten: Emotionalität, Vertrautheit und Spontaneität. Sie bestimmen die Sprache der Nähe (=gesprochene Sprache/kommunikative Nähe), in der bspw. stark emotional konnotierte Ausdrücke, spontane Äußerungen (mit eventuellen Planungsunsicherheiten, d.h. Satzabbrüchen
81 etc.), freie Entwicklung der Gesprächsthemen oder Wiederholung des bereits Gesagten zu finden sind. Als konstitutive Eigenschaften der Distanz können Zurückhaltung, Reflektiertheit und geringere Emotionalität gelten. Sie bestimmen die Sprache der Distanz (=geschriebene Sprache/kommunikative Distanz), in der eine Reduzierung von Emotionsausdrükken sowie eine reflektierte Planung zur Entwicklung der behandelten Gesprächsthematik bzw. eine elaborierte Syntax zu finden sind. Distanz
Nähe
Status
‚Nähe‘ einzelspr. kontingent
nicht markiert
‚Distanz‘
niedrig
diaphasisch
hoch
niedrig
diastratisch
hoch
stark
diatopisch
schwach
markiert
diasystematische Markierung
universellessentiell
Abb. 5.2: Nähe/Distanz-Schema (nach Koch/Oesterreicher 1990, 15)
Anmerkungen: Obwohl Koch und Oesterreicher die zwei Begriffe „Nähe“ und „Distanz“ eng mit den Konzepten „Mündlichkeit“ und „Schriftlichkeit“ verbinden, haben verschiedene Linguisten den Einwand erhoben, dass Nähe und Distanz als universelle Faktoren des Sprechens anzusehen sind (wie auch das obige Schema deutlich zeigt), während Mündlichkeit und Schriftlichkeit als kulturelle Faktoren gelten, da es Sprachgemeinschaften gibt, welche keine Schriftkultur besitzen. Um nicht von Schriftlichkeit bei Sprachgemeinschaften ohne Schriftkultur sprechen zu müssen, wählen Koch und Oestereicher den Begriff „elaborierte Mündlichkeit“. Ein Beispiel dafür sind etwa zahlreiche künstlerisch-ästhetischen Diskurse (bekannt als „mündliche Literatur“). Grundsätzlichere Kritik übt bspw. Kabatek: Der am meisten umstrittene Aspekt ist jedoch wohl die Frage, ob es überhaupt notwendig ist, die Dimension von Nähe und Distanz als eigene Varietätendimension innerhalb der Architektur einer historischen Sprache hinzuzufügen oder ob es nicht sinnvoller wäre, die hierunter gefassten Unterscheidungen unter die diaphasische Dimension zu fassen“ (Kabatek 2003, 4).
Zur Verteidigung der Notwendigkeit, zwischen Nähe und Distanz zu unterscheiden und sie nicht als Elemente der diaphasischen Dimension zu betrachten, könnte man anführen, dass sich in zahlreichen Sprachen Elemente finden, die eindeutig schriftsprachlich oder distanzsprachlich markiert sind und keiner anderen Dimension zugeordnet werden können. Kabatek schreibt jedoch diesbezüglich wiederum:
82 Wenn wir nun in einer Sprache wie dem Französischen Frankreichs Elemente wie das passé simple finden, die praktisch nicht in der Mündlichkeit vorkommen, so heißt dies, dass sie einer diaphasischen Varietät angehören, die üblicherweise vor allem geschrieben wird. Man könnte auch von einem „geschriebenen Stil“, der diaphasisch hoch einzuordnen ist, sprechen. (ibid.)
Problematisch ist auch folgende von Kabatek beobachtete Tatsache: In der konkreten Geschichte einer Einzelsprache werden manche Varietäten geschrieben, andere nicht (oder manche häufiger als andere). Was geschrieben wird, sind mehrheitlich Texte aus dem Distanzbereich und nicht aus dem Bereich der Nähe. Dies führt zu einer Identifikation bestimmter Varietäten mit der geschriebenen, von anderen mit der gesprochenen Sprache. Es kann sogar sprachliche Techniken geben, die innerhalb der Schriftsprache entstehen (oder, um es genauer zu sagen, die im Rahmen der sprachlichen Reflexion entstehen, die durch den Prozess des Schreibens ermöglicht wird). Doch alle diese Techniken bekommen unmittelbar einen stilistischen Wert und rücken somit in die diaphasische Variation ein (ibid.).
5.2
Die Grundfragen der Varietätenlinguistik
Bei den Grundfragen der Varietätenlinguistik handelt es sich in der Regel um methodologische Fragestellungen, die dazu beitragen „eine Sprache richtig und völlig zu beschreiben“ (Coseriu 1976, 20). Es geht hier, insbesondere in der deutschsprachigen Romanistik, weder darum, nach der wissenschaftlichen Gültigkeit der Tripartition in diatopische, diastratische und diaphasische Varietäten als konstitutive Elemente der Architektur zu fragen, noch darum, die Kriterien zu reflektieren, die solchen Begriffen zugeordnet werden sollen (z.B. ob die Fachsprachen, etwa der Medizin oder der Mathematik, zur diaphasischen Varietät gehören oder nicht). Vielmehr geht es um die methodologischen Kriterien zur Beschreibung der Art und Weise, wie diese einzelnen Subsysteme funktionieren und wie sich deren Zusammenspiel gestaltet. Die Tatsache, dass die Existenz der drei Variationsdimensionen im Allgemeinen problemlos anerkannt wird und lediglich der Begriff diaphasisch zuweilen Auseinandersetzungen hervorruft, hat die Perspektive der sprachlichen Untersuchungen im Rahmen der Varietätenlinguistik insgesamt sehr stark beeinflusst und nicht wenig begrenzt. In folgenden Fragestellungen lassen sich üblicherweise fokussierten methodologischen Aspekte zusammenfassen: – – – – – – – –
Aus welchen Varietäten setzt sich die Architektur einer Sprache zusammen? Wie funktionieren die Subsysteme in der Sprechtätigkeit des Individuums? Wie kann man eine Sprache richtig und vollständig beschreiben? Aus welchen Perspektiven kann man sprachliche Varietäten beschreiben? Wie kann man den Status einer bestimmten Varietät bestimmen? Nach welchen Kriterien kann man eine sprachliche Varietät isolieren? Wie gestaltet sich das Verhältnis von Schriftlichkeit und Mündlichkeit? Ist sich der Sprecher dessen bewusst, eine bestimmte Varietät zu verwenden?
83
5.3
Die Grundthesen der Varietätenlinguistik
Als Grundthesen der Varietätenlinguistik sind solche zu betrachten, die erklären, welche Elemente eine historische Sprache konstituieren, welche Relationen zwischen den einzelnen Elementen bestehen und wie sich die Funktionsweise dieses Gesamtgefüges schließlich synchronisch und diachronisch darstellen lässt. Zu diesen Thesen gehören die These des dreidimensionalen Gebäudes der historischen Sprache, die These der zwei Konstituenten der Architektur: „Wiederholte Rede“ und „Technik“ und die These der drei Schichten der Architektur.
5.3.1 Die These des dreidimensionalen Gebäudes der historischen Sprache Zur Beantwortung der Frage Aus welchen Varietäten setzt sich die Architektur einer Sprache zusammen? entwirft Coseriu das Bild der Sprache als dreidimensionales Gebäude und vertritt die These, dass dieses durch die Kombination von diatopischen, diastratischen und diaphasischen Varietäten gebildet wird. Insbesondere betont er in dem Zusammenhang die Relevanz der diaphasischen Varietät, welche als dritte konstitutive Dimension der Gesamtarchitektur, d.h. des Diasystems einer Einzelsprache mit allen Subsystemen, zu betrachten ist. Zusammenfassend stellt Coseriu demnach fest: Die diatopischen, diastratischen und diaphasischen Unterschiede treten in der historischen Sprache miteinander kombiniert auf: für jede Mundart kann man Sprachstufen und Sprachstile feststellen; für jede Sprachstufe mundartliche und stilistische Unterschiede, usw. […] Gerade diese Gestaltung von Mundarten, Sprachstufen und Sprachstilen nenne ich die Architektur einer historischen Sprache (Coseriu 1976, 29f.).
Zur Illustration des Zusammenhangs und der gegenseitigen Abhängigkeit der diatopischen und diaphasischen Varietät führt Coseriu etwa den regional unterschiedlichen Gebrauch des passato remoto bzw. des passato prossimo im Italienischen an: Im Norden steht der Typ ho fatto beispielsweise in Opposition zu faccio, farò; im Süden steht eben diesen Formen der Typ feci gegenüber; und im Toskanischen stehen feci und ho fatto zum einen in Opposition zueinander und zum anderen in Opposition zu faccio, farò, usw. (Coseriu 1988b, 295f.)
Obwohl es sich in diesem Fall auf den ersten Blick eindeutig um diatopische Unterschiede handelt, verwirklichen sich die jeweiligen Oppositionen nicht in den gleichen kommunikativen Situationen. Im Süditalienischen ist die Form feci nicht als diaphasisch „gehoben“ markiert, im Toskanischen kann das aber der Fall sein. Umgekehrt können Formen des passato prossimo im Norditalienischen als völlig unmarkiert gelten, während sie in entsprechenden Situationen im Toskanischen ggf. unangemessen wirken und einem diaphasisch eher „niedrigen“ Stilregister angehören. Beim Sprechen eines Individuums ist also stets von einer Kopräsenz verschiedener Varietäten auszugehen, die untrennbar miteinander verbunden sind.
84
5.3.2 Die These der zwei Konstituenten der Architektur: „Wiederholte Rede“ und „Technik“ Zur Beantwortung der Frage, Wie funktionieren die verschiedenen Subsysteme in der Sprechtätigkeit des Individuums? führt Coseriu die These der „Wiederholte(n) Rede“ und der „Technik“ (des Sprechens) als die zwei wichtigsten Konstituenten der Architektur ein. Wiederholte Rede und Technik werden dabei wie folgt beschrieben: Die Sprecher lassen in ihrem Sprechen verschiedene Systeme funktionieren und wiederholen zum Teil Stücke von früheren Reden, ebenso wie man auf einem Bild eine synchronisch funktionierende Technik finden kann neben Stücken, die von früheren Bildern nachgeahmt oder einfach reproduziert sind, oder in einer musikalischen Komposition Stücke, die von anderen Kompositionen einfach übernommen sind. […] Daher unterscheiden wir in der Synchronie zwischen dem Gesprochenen oder der wiederholten Rede und der Technik für weiteres Sprechen (die alles enthält, was zur Bildung neuer Ausdrücke notwendig ist) (Coseriu 1976, 25).
Als illustratives Beispiel gilt folgendes: Wir können in einem heutigen hochdeutschen Text Ausdrücke finden wie: Viel Feind, viel Ehr. […] Solche Ausdrücke wiederholt man als schon fixiert; sie entsprechen nicht den heutigen geläufigen hochdeutschen Regeln zum Sprechen. So wird im ersten Ausdruck der Teil viel nicht durch zahlreich oder groß ersetzt (man sagt nicht „Zahlreich Feind, große Ehr“) (ibid.).
5.3.3 Die These der drei Schichten der Architektur Um die Frage zu beantworten, Wie kann man eine Sprache richtig und vollständig beschreiben?, vertritt Coseriu die These, dass man sowohl ihr „System“ als auch ihre „Norm(en)“ sowie die „Rede“ zu betrachten hat. System, Norm(en) und Rede werden wie folgt voneinander abgegrenzt: In der funktionellen Sprache unterscheiden wir: das System und die Norm. Das System enthält alles, was objektiv funktionell ist, d.h. alles, was die sprachlich unentbehrlichen Gegenüberstellungen darstellt; die Norm alles, was objektiv nicht funktionell, aber im Sprechen normal, gemeinsam, traditionell ist. Das, was in einer Sprache zum System gehört, kann in einer anderen nur zu der Norm gehören, und umgekehrt. […] Ein und demselben System können aber mehrere Normen entsprechen. In diesem Fall gehören sie natürlich zu der Architektur der Sprache. Das System und die Norm einer funktionellen Sprache stellen ihre Struktur dar. […] Eine solche einheitliche, homogene Sprachtechnik nennen wir eine funktionelle Sprache. Eine funktionelle Sprache ist eine Sprache, die unmittelbar gesprochen, in der Rede realisiert werden kann (Coseriu 1976, 33, Hervorhebung im Original).
Die Architektur einer funktionellen Sprache hat demnach folgende Schichten: – System – Norm – Rede
(das Funktionelle) (das einfach „Normale“, „Gemeinsame“) (die Realisierung der Sprache im Sprechen)
85 Betrachtet man nun das Verhältnis von System und Norm genauer, so lässt sich in der Darstellung von Coseriu die Auffassung einer metonymischen Relation zwischen beiden erkennen, und zwar in der Art des pars pro toto (hier natürlich ohne den Aspekt der Substitution des einen für das andere). Das System wird hierbei als das „Ganze“, d.h. als die Menge aller in einer Sprache möglichen Realisierungsformen der notwendigen funktionellen Oppositionen konzipiert, die Norm hingegen ist insofern als „Teil“ dieses Gesamtsystems zu verstehen, als sie nur diejenigen Möglichkeiten umfasst, welche zum Ausdruck funktioneller Oppositionen in einer Sprache tatsächlich genutzt/realisiert werden und damit (traditionell) „üblich“ sind. So existiert etwa, um ein illustratives Beispiel anzuführen, im italienischen Verbalsystem die funktionelle Opposition zwischen passato remoto (Ereignis in der Vergangenheit) und passato prossimo (Ereignis in der Vergangenheit mit Bezug zur Gegenwart). Diese funktionelle Opposition wird auf der Ebene der Norm allerdings nur in der Toskana vollständig ausgestaltet und traditionell genutzt. In Süditalien gilt das passato remoto als Norm der gesprochenen Sprache zur Verbalisierung eines Ereignisses in der Vergangenheit (unabhängig von dessen Gegenwartsbezug), während in Norditalien in den gleichen Kontexten die Verwendung des passato prossimo als „alltäglich“, „gemeinsam“, „traditionell“ und damit der Norm entsprechend gilt. Analog dazu lässt sich bei dem Vergleich verschiedener Sprachsysteme etwa die funktionelle Opposition zwischen perfektivischen und imperfektivischen Vergangenheitstempora betrachten, welche theoretisch sowohl im Sprachsystem des Deutschen als auch in den Romanischen Sprachen angelegt ist. In der Ausformung ihrer jeweiligen Normen unterscheiden sich die Sprachen allerdings. Die systematische Alternanz von Imperfekt und Perfekt ist in den Romanischen Sprachen durch die Norm vorgegeben, während im Deutschen die Verwendung des Imperfekts in (schriftlichen) literarischen Erzählungen traditionell üblich ist, wohingegen in umgangssprachlich geprägten alltäglichen Gesprächssituationen normalerweise eher das Perfekt verwendet wird (zusätzlich kann hier noch die regionale Variation eine Rolle spielen). Gleichzeitig handelt es sich hier um Beispiele für die Existenz mehrerer Normen in ein und demselben System, die in Abhängigkeit von diaphasischen bzw. diatopischen Varietäten (d.h. innerhalb verschiedener Subsysteme) gewählt werden und damit die Architektur der jeweiligen Sprache ausmachen. Aus dem Bereich der Phonologie kann des Weiteren die Opposition zwischen dem alveolaren Nasal [n] und dem velaren Nasal [ƾ] angeführt werden. Im Deutschen handelt es sich um eine funktional distinktive Opposition, die damit zum System gehört, d.h. im System als solche fest verankert ist. Im Italienischen hingegen haben die beiden Laute keine bedeutungsunterscheidende Funktion und sind somit, auf der Ebene des Systems, theoretisch beide gleichermaßen als lautliche Realisierungen ein und desselben Phonems zugelassen. Auf der Ebene der Norm allerdings bestehen Restriktionen bezüglich der üblichen Realisierung: Der Nasal wird lediglich vor [k] als [ƾ] realisiert. In solchen lautlichen Kontexten wäre eine alveolare Aussprache ([anko:ra] statt [aƾko:ra]) zwar möglich, im Italienischen aber einfach nicht traditionell verankert und damit unüblich.
86 Insgesamt lässt sich nun im Anschluss an diese Beispiele hinsichtlich der Relation zwischen System und Norm folgendes beobachten: Einerseits hält das System eine Menge von Möglichkeiten (phonologischen, semantischen, syntaktischen Oppositionen, Wortbildungsregeln etc.) bereit, die im Sprachgebrauch nicht unbedingt alle traditionell realisiert werden. Das System hat somit im Vergleich zur Norm einen größeren Umfang (=Extension). Andererseits beinhaltet die Norm zusätzliche und teilweise spezifischere Informationen etwa hinsichtlich der konkreten Realisierung einzelner Phoneme in bestimmten Lautumgebungen oder hinsichtlich der Wahl bestimmter Verbaltempora, auch in Abhängigkeit von diatopischen, diastratischen oder diaphasischen Faktoren und damit unter Bezug auf die Architektur der Sprache. Die Norm hat demnach im Vergleich zum System einen größeren Informationsgehalt (=Intension). Anmerkungen: In Bezug auf Coserius Formulierung, die Norm sei alles, was objektiv nicht funktionell ist (siehe Zitat oben), ist es wichtig anzumerken, dass die Norm als Teil des Systems nicht völlig frei von funktionellen Oppositionen sein kann. Selbst wenn in Süditalien „lediglich“ der Gebrauch von passato remoto traditionell und normal ist, bleibt die funktionelle Opposition von passato remoto zu den anderen Formen des italienischen Verbalsystems, wie etwa presente oder futuro, gegenwärtig. Die ursprüngliche Normvorstellung von Hjelmslev (1942), von der Coseriu ausgeht und nach welcher die Norm als materielle Form, d.h. als konkrete Realisierung des Systems konzipiert wird, sollte daher nicht in Vergessenheit geraten. Im Gegensatz zu Coseriu konzipiert Hjelmslev Norm nicht als einen Teil des Systems, der eine Auswahl und gleichzeitige Spezifikation von Möglichkeiten darstellt, sondern es handelt sich um die Differenzierung zwischen dem System als abstrakter Entität (als „reiner Form“) und der Norm als konkreter („materieller“) Realisierung des gesamten Systems. Diese konkrete Realisierung variiert dann bspw. in Abhängigkeit von der sozialen Wirklichkeit o.ä., d.h. in Abhängigkeit von diasystematischen Faktoren (cf. 5.4.2). So bestimmt die Norm nach Hjelmslev den Usus, d.h. die Menge von Sprechgewohnheiten z.B. in einer gegebenen sozialen Gruppe (cf. Hjelmslev 1960, 16).
5.4
Die Methoden der Varietätenlinguistik
Im Hinblick auf die Fragen Aus welchen Perspektiven kann man sprachliche Varietäten beschreiben? und Wie kann man den Status einer bestimmten Varietät bestimmen?, ist Coseriu der Ansicht, dass die drei Varietäten als diskrete Einheiten des Sprachsystems anzusehen sind.
87
5.4.1 Die „syn-perspektivische“ Methode Zur Untersuchung des dreidimensionalen Gebäudes einer bestimmten historischen Sprache muss nach Coseriu – methodologisch gesehen – vor jeder einzelnen Untersuchung immer jeweils eine syntopische, synstratische und synphasische Varietät isoliert werden, die daraufhin als ein in sich stimmiges System oder Subsystem beschrieben werden kann. Diese Vorgehensweise präsupponiert eindeutig die Konzeption der Varietäten als diskrete und selbst systematische Einheiten im Sprachsystem. Um eine wirklich einheitliche, homogene Sprachtechnik festzustellen, müssen wir uns also auf einen einzigen Punkt des Sprachraumes, auf eine einzige sozial-kulturelle Schicht und auf einen einzigen Stil beschränken. Eine solche Sprachtechnik ist folglich nicht nur synchronisch, sondern auch syntopisch, synstratisch und synphasisch (z.B. zu einem bestimmten Zeitpunkt, eine bestimmte Mundart, auf einer bestimmten Sprachstufe und in einem bestimmten Stil). Nur eine solche Sprachtechnik kann unmittelbar in der Rede realisiert werden und nur in bezug auf eine solche Sprachtechnik ist der Begriff ‚Sprachsystem‘ wirklich sinnvoll. […] Eine solche einheitliche, homogene Sprachtechnik nennen wir eine funktionelle Sprache. Eine funktionelle Sprache ist eine Sprache, die unmittelbar gesprochen, in der Rede realisiert werden kann; darum bezieht sich die saussure'sche Unterscheidung zwischen langue und parole gerade auf diese Sprache und nicht auf die historische Sprache (Coseriu, 1976, 30).
Anmerkungen: Nun ist es aber fraglich, ob es überhaupt möglich ist, eine solche, ganz klar bestimmte Varietät zu isolieren, was auch Kabatek betont: Oft geschieht dies jedoch nur implizit. Wenn etwa die Beschreibung des „phonologischen Systems des Spanischen“ ohne weitere Präzisierungen vorgeschlagen wird, so wird im Allgemeinen – zumindest im Prinzip – von einer syntopischen Varietät (eines bestimmten Ortes), einer synstratischenVarietät (der Varietät bestimmter sozialer Gruppen) und einer symphasischen Varietät (der Varietät einer bestimmten kommunikativen Situation) ausgegangen (Kabatek 2003, 2).
5.4.2
Die „dia-perspektivische“ Methode
Die Theorie der Nähe und Distanz hat dazu beigetragen, neue Methoden zur Untersuchung von Varietäten zu entwickeln, mit welchen auch eine Verschiebung des Analyseschwerpunktes einhergeht. Kabatek stellt dies folgendermaßen dar: Das Neue ist hier, dass es nicht darum geht, das Problem der Varietäten als methodologisches Problem zur Isolierung eines Objekts (nämlich eines Sprachsystems), das außerhalb der Variation liegt, zu stellen, sondern dass versucht wird, von der gegenseitigen Beziehung der Systeme im Sprechen auszugehen. Die Perspektive ist hier nicht mehr ‚syn-‘ (syntopisch, synstratisch, symphasisch), sondern ‚dia-‘. Es geht um die Bestimmung des relativen Status der Elemente, die im Sprechen erscheinen, und zwar mit dem Ziel der Beschreibung ‚diasystematischer Markierungen‘ eines Elements, und zwar Markierungen, die nicht als absolut anzusehen sind, da es hier nicht mehr um diskrete Einheiten geht, sondern die entlang ihrer Kontinuen als relativ zu betrachten sind (Kabatek 2003, 4).
88 Zur Illustration dieser sogenannten „dia-perspektivischen Methode“, bei welcher unterschiedliche extralinguistische Faktoren berücksichtigt werden, soll hier exemplarisch das methodologische Prozedere von Kabatek (2003, 1) angeführt werden, welches dieser mit dem Ziel einer kontrastiven Beschreibung der phonetischen Tendenzen in der spontan gesprochenen Sprache der Taxifahrer aus Madrid und Mexiko anwendet. Ausgangspunkt einer solchen Studie ist also die Festlegung auf die Sprachverwendung einer bestimmten sozialen Gruppe (=diastratischer Faktor), deren sprachliche Eigenschaften als Grundlage für den Vergleich von Varietäten in zwei verschiedenen Städten (=diatopischer Faktor) dienen können. Die wichtigsten Schritte der methodologischen Vorgehensweise sind folgende: – Formulierung der zugrunde liegenden Fragestellung: ob diaphasische, diastratische und diatopische Faktoren die spontane Aussprache beeinflussen können. – Auswahl des Beispielmaterials (=Korpus): Sprachverwendung einer bestimmten sozialen Gruppe, hier der Taxifahrer aus verschiedenen geographischen Orten (Madrid und Mexiko). – Vergleich von sprachlichen Varietäten des phonologischen Systems des Spanischen zu beiden Seiten des Ozeans. – Auswertung des Beispielmaterials: Beobachtung von bestimmten phonetischen Unterschieden nach dem Grad der Formalität der Aussagen. – Resultat der Untersuchung: Feststellung von unterschiedlichen phonetischen Tendenzen, die in der spontanen Aussprache der Taxifahrer aus Madrid und Mexiko zu beobachten sind und die im Kontrast zu der offensichtlich relativen sprachlichen Einheit auf formellem Niveau stehen. Hierzu Kabatek: Auf informeller Ebene zeigte sich nämlich, dass die Tendenzen der Madrider Taxifahrer vor allem das Konsonantensystem betrafen, wohingegen die Tendenz der mexikanischen Taxifahrer gerade die gegenteilige war, nämlich diejenige, das Vokalsystem zu verändern bei gleichzeitiger Bewahrung des „traditionellen“ Konsonantensystems. Wir hatten es hier also mit einem Fall der kontrastiven Beschreibung eines möglichen „change from below“ (cf. Labov 1994, 78ff.) zu tun, mit sprachlichen Innovationen, die im spontanen Gespräch, in der Oralität geschaffen wurden (Kabatek 2003).
Die Dia-Perspektive der Varietätenlinguistik bietet auch die Möglichkeit, den diachronischen Wandel der Architektur einer historischen Sprache zu beschreiben. Hier lässt sich zur Illustration etwa die Methodik des deutschen Romanisten Harald Völker anführen, welche dieser in: Linguistique variationnelle historique et traitement de textes: présentation d’une méthode (2005) zur Bestimmung der möglichen Faktoren, die zur Standardisierung des Französischen beigetragen haben, verwendet: – Formulierung der zugrunde liegenden Fragestellung: Welche extralinguistischen Faktoren haben zur Standardisierung des Französischen beigetragen? – Auswahl des Beispielmaterials (=Korpus): Betrachtet wurden 180 von der Gräfin von Luxemburg und ihrem Sohn auf altfranzösisch verfasste Urkunden (frz. chartes). Der
89 Vorteil der ausgewählten Textsorte liegt darin, dass die Urkundeninhalte gleichzeitig wichtige Informationen zum politischen und kulturellen Leben liefern. – Betrachtung aller graphischen Varianten, wie etwa Interpunktion, Trennung der Wörter (selbst wenn sie als Fehler interpretiert werden können), da sie relevante geographische, soziale etc. Informationen liefern können. Auch die Datierung und Lokalisierung der Urkunden sind relevante Faktoren. – Auswertung des Beispielmaterials: Fokussierung der eindeutigen Korrelationen von einer bestimmten graphischen Variante mit einem extralinguistischen Faktor. – Resultat der Untersuchung: Es handelt sich nicht um die geographische Peripherie, welche diejenigen grammatikalischen Regeln, die zu komplex gestaltet waren, wie bspw. das komplizierte System der Negation im Französischen, aufgegeben hat, sondern um das soziale Zentrum der politischen Macht. Wie Völkers Untersuchung zeigt, bietet die dia-perspektivische Methode der Varietätenlinguistik also die Möglichkeit, die verschiedenen Sprachvariationen auch in handschriftlich überlieferten Texten zu beschreiben. Derartige Studien werden insbesondere von der sogenannten Skriptaforschung durchgeführt, deren hauptsächliches Erkenntnisinteresse Anfang der 60er Jahre rein diatopisch ausgerichtet war. So ging es etwa um die Rekonstruktion der gesprochenen Dialekte des Mittelalters bzw. um die Erfassung der regionalen Varianten der Schreibsprache. In neuerer Zeit wird die dia-perspektivische Methode auch zur Beschreibung von Sprachwandelprozessen angewandt, denn die Fokussierung des Zusammenhangs zwischen diachronischen Entwicklungen und der Architektur des Varietätengefüges erlaubt es, sprachliche Wandelerscheinungen, wie etwa Grammatikalisierungsprozesse (= Ausbildung grammatischer Formen und der damit verbundene funktionale Entwicklung), besser nachzuvollziehen und differenzierter zu beschreiben bzw. zu erklären.
5.5
Theorien der Diskurs- und Texttraditionen
Im Rahmen der Theorien der Diskurs- und Texttraditionen wird eine bestimmte historische Sprache (wie etwa das Französische oder das Italienische) als ein Gefüge von historischen Traditionen des Sprechens oder, mit anderen Worten, als ein historisch gewachsenes Gebilde aufgefasst und beschrieben. Zu diesem theoretischen Komplex gehören die Theorie der Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache und die Theorie der zwei Dimensionen der Historizität.
5.5.1 Die Theorie der Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache Es hängt von der Tradition ab, ob der Wortschatz (Lexikon) oder die Satzstrukturen einer Einzelsprache im Laufe der Geschichte relativ stabil bleiben. Diese wichtige Beobachtung, die heute als selbstverständlich angesehen wird, gilt als Grundlage der Theorie der
90 Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache, die Coseriu 1981 in Anlehnung an Saussure formuliert und entwickelt hat: Man meint ‚Sprache‘ im Sinne von ‚historische Sprache‘, d.h. als historisch autonomes Gefüge von sprachlichen Traditionen (Coseriu 1988, 48).
Saussure – und dies sollte nicht in Vergessenheit geraten – führt bereits 1916 den Begriff Tradition ein und erkennt seine Relevanz für die Sprachbeschreibung ausdrücklich an. Im Cours de linguistique geht er mehrfach auf den Aspekt der Tradition ein (1931, 111, 114, 172) und betont u.a.: „C’est parce que le signe est arbitraire qu’il ne connaît d’autre loi que celle de la tradition, et c’est parce qu’il se fonde sur la tradition qu’il peut être arbitraire“ (ibid., 108). [Gerade deshalb, weil das Zeichen beliebig ist, gibt es für dasselbe kein anderes Gesetz als das der Überlieferung, und weil es auf die Überlieferung begründet ist, kann es beliebig sein (87)].
5.5.2 Die Theorie der zwei Dimensionen der Historizität Ausgehend von Coserius Standpunkt entwickelt sich die Theorie der zwei Dimensionen der Historizität des Sprechens: Ihrem Wesen nach sind nicht nur alle Sprachsysteme, sondern auch die Traditionen des Sprechens im Allgemeinen und die Texttraditionen historisch (Coseriu 1988, 81).
Nach der Theorie der zwei Dimensionen der Historizität sind mündliche oder schriftliche Texte bzw. Diskurse nicht nur spontane Realisierungen von Grammatik und Wortschatz einer Einzelsprache, sondern bilden darüber hinaus aufgrund ihrer Wiederholbarkeit selbst eine „Tradition“ aus, d.h. spezifische Regelhaftigkeiten oder Normen auf der historischen Ebene des Sprachlichen. Da bestimmte Texte (Textsorten) aber über Sprachgrenzen hinweg produziert und rezipiert werden, können sie unabhängig von Einzelsprachen betrachtet werden. Die Existenz von statischen Textmustern (z.B. Traktat, Brief) in verschiedenen Sprach- und Kulturgemeinschaften gilt als Argument zur Rechtfertigung der separaten Betrachtung von (a) Sprachtradition und (b) Text- bzw. Diskurstradition.
5.6
Die Grundfragen der Diskurs- und Texttraditionen
Auf die Theorie der Historizität als Grundeigenschaft menschlicher Sprache und auf die Theorie der zwei Dimensionen der Historizität des Sprechens sind auch die grundlegenden Fragen der historischen romanischen Linguistik zu den Diskurs- und Texttraditionen zurückzuführen. Diese Fragen können als die ersten zentralen Problemstellungen im Bereich der Historischen Pragmatik angesehen werden und lassen sich wie folgt formulieren:
91 – Was ist eine historische Sprache? – Was sind Diskurs- oder Texttraditionen? – Ist der historische Status der Diskurstradition auf der Ebene der Einzelsprache anzusiedeln oder eher auf der individuellen Ebene der Sprachverwendung, da es um die Wiederholbarkeit individueller, konkreter Ereignisse geht? – Sind die Traditionen Ergon (=Produkt) oder Energeia (=schöpferische Tätigkeit)? Folgende Fragestellungen konnten aufgrund mangelnder Untersuchungen bisher noch nicht präzise beantwortet werden: – Warum ist die „zweite Historizität“ eben die zweite? – Gibt es Prozesse, durch welche die erste und die zweite Historizität miteinander interagieren? – Wie hat sich ein bestimmter Sprachmodus als Tradition konstituiert? – Wie formen sich sprachliche und textuelle Merkmale zu Texttraditionen aus und wann bildet eine Konfiguration von Texttraditionen eine Textsorte/Gattung oder einen Diskurstyp? – Wie konstituieren und verändern sich kulturelle Gruppierungen, die eine Texttradition anwenden oder einen Diskurs als thematische Auseinandersetzung tragen? – Können sprachliche und textuelle Charakteristika und deren Wandel über das Modell der Texttraditionen konkreter als bisher mit gesellschaftlichen Einstellungen verbunden werden? – Wie können Diskurse und Texttraditionen aus den „Textprodukten“ rekonstruiert werden und welche Kriterien gelten hier für eine aussagekräftige Korpuserstellung? – Auf welche Weise und unter welchen kulturellen und funktionellen Bedingungen haben die lateinischen Diskurstradition die romanischen Diskurstraditionen beeinflusst?
5.7
Die Grundthesen der Diskurs- und Texttraditionen
Als Grundthesen der Diskurs- und Texttraditionen gelten solche, die versuchen, Begriffe wie ‚Diskurs‘, ‚Text‘ und ‚Tradition‘ theoretisch und methodisch abzugrenzen und deren sprachtheoretisches Potenzial zu fokussieren. Es handelt sich um die These der Sprache als historisch gewachsenes Gebilde, die These der Gleichsetzung von Diskurs- und Texttraditionen, die These der Unterscheidung zwischen Diskurstradition und individuellem Diskurs sowie die These der Abgrenzung zwischen erster und zweiter Historizität.
5.7.1
Die These der Sprache als historisch gewachsenes Gebilde
Die grundlegende Fragestellung Was ist eine historische Sprache? wird in der Romanistik, insbesondere in der deutschen, einmütig mit den Worten Coserius beantwortet. So heißt es: Eine historische Sprache (wie etwa das Italienische oder das Französische) sei als historisch gewachsenes Gebilde zu betrachten, da sie von Generation zu Generation
92 weitergegeben werde und stets in Form einer Einzelsprache auftrete. Diese Weitergabe bzw. Übernahme ist eine sprachliche Universalie und gilt demnach für alle historischen Sprachen. Nach der Konzeption der Historizität einer Sprache als Sammlung von Traditionen des Sagens und des Meinens sei es mit Coseriu wissenschaftlich legitim, die Sprache sowohl als Energeia (=schöpferische Tätigkeit) wie auch als Ergon (=Produkt dieser schöpferischen Tätigkeit) zu konzipieren und sie aus diesen unterschiedlichen Gesichtspunkten (sp. puntos de vista) jeweils auf drei verschiedenen Ebenen (sp. niveles) zu betrachten, der universalen, der historischen und der individuellen Ebene: – Die universale Ebene betrifft „la facultad general de hablar“ (Coseriu 1981/1986, 270), „saber hablar en general“ (ibid., 272), da alle gesunden Menschen sprechen können; – Die historische Ebene betrifft „la lengua concreta“ (ibid., 272), die konkrete Sprache (=Einzelsprache, wie etwa das Französische) als Produkt des Sprechens (=ergon); – Die individuelle Ebene betrifft „el lenguaje como actividad“ (=energeia), die Coseriu mit dem Begriff discurso bezeichnet und wie folgt definiert: „[…]el ‚discurso‘, es decir, el acto lingüístico (o la serie de actos lingüísticos conexos) de un individuo determinado en una situación determinada“ (ibid.). Auf allen drei Ebenen (universal, historisch und individuell) werden jeweils spezifische Arten des menschlichen Wissens (=dynamis) realisiert: – Das elokutionelle Wissen, d.h. das Wissen, wie man kohärent spricht (=universelle Ebene); – Das idiomatische Wissen, d.h. das Wissen von den Regeln des jeweiligen einzelsprachlichen Systems, z.B. dt. die Sonne: Feminin, it. il sole: Maskulin (=historische Ebene); – Das expressive Wissen, d.h. „saber relativo a la elaboración de los ‚discursos‘“ (ibid.) (=individuelle Ebene). Der Diskurs „como producto, es un ‚texto‘ (hablado o escrito)“ (ibid.). Das folgende Modell wurde 1981 von Coseriu konzipiert: NIVELES Actividad Enérgeia
PUNTOS DE Saber Dynamis
VISTA
Producto Érgon
Universal
hablar en general
saber elocucional
totalidad de lo ‚hablado‘
Histórico
lengua concreta
saber idiomático
(lengua abstracta)
Individual
discurso
saber expresivo
texto
Abb 5.3: Modell der Sprachkompetenz (nach Coseriu 1981/1986, 273)
93 Das Modell Coserius macht deutlich, dass der Begriff ‚historisch‘ die Ebene der „lengua concreta“ (z.B. das Französische) mit dem dazugehörigen „saber idiomático“ (=Wissen um die Regeln des Sprachsystems) betrifft. Zur Illustration der Anwendung des idiomatischen Wissens, d.h. der Anwendung von Regeln in einem bestimmten Sprachsystem, führt Coseriu folgendes Beispiel an, welches verschiedene sprachliche Regeln für den Satzaufbau veranschaulicht: Sp.: Me lavo las manos (e no lavos mi manos) It.: Mi lavo le mani Pg.: Lavo as mãos Eng.: I wash my hands (aus: ibid., 277)
Die anderen Ebenen, d.h. die universale und die individuelle Ebene werden von dieser Historizität (=Tradition) nur am Rande betroffen. Coseriu schreibt nämlich explizit: (N)o cabe considerar el nivel individual como mera realización de una historicidad determinada, ya que, por un lado, en este nivel hallamos hablantes poliglotos, que conocen y realizan diversas tradiciones históricas, y, por otro, ningún individuo realiza por sí solo toda una tradición histórica (Coseriu, 1981/1986, 270f.).
Anmerkungen: Es ist aber zu bemerken, dass – wenn der Begriff ‚Einzelsprache‘ mit dem Begriff ‚Sprachsystem‘ gleichzusetzen ist – dieses Sprachsystem als historisch gewachsenes Gebilde seinerseits eine Geschichte hat und daher nicht nur als Érgon, sondern auch als Enérgeia zu konzipieren ist. Da die Sprachsysteme selbst nicht statisch sind, sondern sich ständig verändern, sollte die Historizität nicht ‚nur‘ als Produkt, sondern auch als ‚Tätigkeit‘ verstanden werden: „Sprachen wandeln sich“ (Kabatek/Pusch ²2011, 92). Darauf macht bereits Saussure aufmerksam: [H]istoriquement, le fait de parole précède toujours […] La langue est nécessaire pour que la parole soit intelligible. [C]’est la parole qui fait évoluer la langue: ce sont les impressions reçues en entendant les autres qui modifient nos habitudes linguistiques (37). Historisch betrachtet, ist das Sprechen das zuerst gegebene Faktum […].Die Sprache ist erforderlich, damit das Sprechen verständlich sei (22). [E]ndlich ist es auch das Sprechen, was die Entwicklung der Sprache mit sich bringt: die Eindrücke, die man empfängt, wenn man andere hört, gestalten unsere Sprachgewohnheiten um (23). [L]a lanque et […] la parole; celle-là est à la fois l’instrument et le produit de celle-ci (37). [On] peut comparer la langue à une symphonie, dont la réalité est indépendante de la manière dont on l’exécute; les fautes que peuvent commettre les musiciens qui la jouent ne compromettent nullement cette réalité (36). [S]prache und […] Sprechen; dieses ist zugleich das Instrument und das Produkt von jener (23). [I]n dieser Beziehung kann man die Sprache einer Symphonie vergleichen, deren Realität unabhängig ist von der Art und Weise, wie sie aufgeführt wird; die Fehler, welche die Musiker machen können, betreffen diese Realität in keiner Weise (21).
94
5.7.2 Die These der Gleichsetzung von Diskurstraditionen und Texttraditionen Zur Beantwortung der grundlegenden Fragestellungen Was sind sprachliche Diskursoder Texttraditionen? geht man in Anlehnung an Coseriu davon aus, dass der Diskurs als Tätigkeit und der Text als Produkt zu verstehen sind. Beide, Diskurs und Text, gehören nach Coseriu zur individuellen Ebene des Sprechens: En el nivel individual, el lenguaje como actividad es el ‘discurso‘, es decir, el acto lingüístico (o la serie de actos lingüísticos conexos) de un individuo determinado en una situación determinada; como saber, es saber expresivo (saber relativo a la elaboración de los ‘discursos‘) y como producto, es un ‘texto‘ (hablado o escrito) (Coseriu 1981/86, 272).
Im Anschluss an diese Überlegungen scheint es theoretisch legitim, Forschungen zu Texttraditionen und Diskursanalyse als zwei Perspektiven auf ein und dasselbe Phänomen anzusehen und sie demnach eng miteinander zu assoziieren. In der deutschen Romanistik ist die Meinung weit verbreitet, dass „Diskurs“ und „Text“ als Synonyme zu betrachten sind: Per tradizioni discorsive (o tradizioni testuali, i termini sono sinonimi) si intendono i generi letterari, i tipi di testo della vita quotidiana e degli ambiti specialistici, le forme della comunicazione orale; inoltre gli elementi formulari del tipo c’era una volta e ora avvenne che; e infine gli ‚universi discorsivi‘ come la scienza, la religione ecc. (Wilhelm 2011a, 160; cf. auch Koch 1997; Oesterreicher 2001, 1558–1562). Textsorten und Gattungen sind historisch verfestigten Konfigurationen (=Manifestationen) von Text- und Diskurstraditionen (Lebsanft/Schrott, im Druck).
Anmerkungen: Zu bemerken ist allerdings, dass die wesentlichen Kategorien zur Beschreibung und Analyse des Diskurses (als Tätigkeit/Menge von Sprechtakten) nicht immer mit den üblichen Kategorien zur Beschreibung von Texten (als Produkt eines Diskurses) gleichzusetzen sind. Diskurstraditionen, wie etwa der ‚polemische Dialog‘ als wissenschaftliche Ausdrucksform (zunächst in griechischer bzw. lateinischer Sprache, dann auch in den Volkssprachen), prägen ein breites Spektrum von Texten (z.B. Traktate, Abhandlungen, Briefe), die hinsichtlich der Formen und Funktionen sehr unterschiedlich sind. Wenn Texte als Produkt des Diskurses konzipiert werden, dann können Diskurstraditionen und Texttraditionen insofern nicht als synonym gelten, als ein „Produkt“ auch aus der Kombination unterschiedlicher „Tätigkeiten“ entstehen kann und somit ein Text häufig aus einem Konglomerat verschiedener Diskurse bzw. Sprachhandlungen besteht. Die Textsorte Brief ist z.B. in ihrer strukturellen Organisation und in ihrer Verlaufsregulierung (wie etwa Gruß und Anrede, Beginn und Beendigung) seit der Antike stabil geblieben, nicht aber hinsichtlich der Versprachlichung der diskursiven Sprechakte (wie etwa Höflichkeitsformeln, Formen und Formeln der Begrüßung oder Gruß- und Anredeverhalten), die sich ständig verändern (z.B. Brief im Internet etc.). Mit Recht schreibt Kabatek:
95 Wenn in Diskurstraditionen historische FORMEN im Sinne von GATTUNGEN gesehen werden können, können sie wohl auch formal bestimmt werden. Unter Einschluss der Tradition von Formeln wie etwa ça va oder buenos días fällt dies jedoch schwerer (Kabatek 2011, Eigene Hervorhebung (Versalien)).
5.7.3 Die These der Unterscheidung zwischen Diskurstradition und individuellem Diskurs Die Beantwortung der grundlegenden Fragestellung Ist der historische Status der Diskurstradition auf der Ebene der Einzelsprache anzusiedeln oder eher auf der individuellen Ebene der Sprachverwendung, da es um die Wiederholbarkeit individueller, konkreter Ereignisse geht? bildet den Ausgangspunkt für die These, dass jeder individuelle Diskurs und Text in zwei unterschiedlichen Traditionszusammenhängen steht: in der Tradition der jeweils gewählten Einzelsprache (oder einzelsprachlichen Varietät) und in der Tradition eines bestimmten Musters zur Verfertigung von Texten und Diskursen. Man kann diesbezüglich zwischen Sprachnormen (wie etwa den sprachlichen Regularitäten zur Verfassung eines Satzes im Italienischen oder Französischen) und Diskursnormen (wie etwa den sprachlichen Regularitäten zur Formulierung von Höflichkeitsformeln im Text Brief) unterscheiden. Grundlegend ist dabei die These, dass die Tradition einer Einzelsprache und die Tradition des Diskurses unterschiedliche Regelhaftigkeiten auf der historischen Ebene des Sprachlichen darstellen. Dieser Standpunkt wird in der deutschen Romanistik fast einstimmig vertreten. So schreibt z.B. Koch: Sprechen ist nicht nur das Generieren von Äußerungen nach den einzelsprachlichen Regeln einer Grammatik und mittels eines einzelsprachliches Wortschatzes [z.B. it. il sole, frz. le soleil vs dt. die Sonne], es ist auch Tradition im Sinne von Wiederholung von bereits Gesagtem und neben der Wissenschaft von den Sprachsystemen muss in der allgemeinen Wissenschaft des Sprechens die Rolle dieser Tradition verankert werden – auch hinsichtlich ihrer Wechselbeziehung mit der Wissenschaft des Sprachsystems. Übrigens ist gerade diese Wechselbeziehung fundamental für den zum Wesen der ersten Historizität gehörenden sprachlichen Wandel (Koch 2008, 158).
Zur besseren Beschreibung der Regularitäten (=Normen und Regeln des menschlichen Sprechens), welche das Sprachliche auf ganz verschiedenen Ebenen organisieren, unterscheidet Koch vier Ebenen und modifiziert somit das Modell von Coseriu: Es gibt universale Regularitäten der menschlichen Sprechtätigkeit („Sprechregeln“). Beteiligt sind hier selbstverständlich auch anthropologische Kostanten interaktioneller, pragmatischer, kommunikativer, kognitiver und sonstiger Art. Es gibt historische und damit wandelbare Regularitäten, die nur innerhalb bestimmter Diskurs- oder Texttraditionen (Gattungen, Textsorten, Stile usw.) gelten. („Diskursregeln“ und umfassender: „Diskursnormen“). Es gibt historische und damit wandelbare Regularitäten, die nur innerhalb bestimmter Einzelsprachen gelten […] („Sprachregeln“ und umfassender „Sprachnormen“).
96 Es gibt schließlich die Ebene des aktuellen, individuellen „Diskurses“ oder Textes. Auf dieser Ebene konstituiert sich kein eigener Typ von Regularitäten; dies ist lediglich der Ort, an dem Regeln der drei vorgenannten Typen angewandt werden. (aus: Koch 1994, 204, Hervorhebung im Original)
Der wesentliche Unterschied zu Coseriu besteht in der von Koch vorgeschlagenen Einführung eines eigenständigen historischen Bereichs der Diskurstradition mit den ihm zugrunde liegenden Diskursnormen und -regeln sowie in der Unterscheidung zwischen Diskurstradition und individuellem Diskurs. Koch führt zur Begründung seiner Modifizierung des Coseriuschen Modells folgende Argumente an: Es handelt sich dabei [d.i. bei den Diskurstraditionen] um Komplexe von Diskursregeln, die auf der Basis der Sprechregeln sowie der Sprachregeln operieren, aber im Unterschied zu ersteren nicht universal, sondern historisch und konventionell sind und im Gegensatz zu letzteren gerade nicht (oder allenfalls zufällig) an Sprachgemeinschaften gebunden sind. Wir erkennen hier die genuine Form der Historizität des Diskurses (Koch 1988, 341f.). […] die historische Ebene, auf der es gerade um die unterschiedlichen historischen Erscheinungsformen von Sprache geht. Coseriu ordnet dieser Ebene den Aspekt der Einzelsprache zu. Parallel zur Einzelsprache, aber strikt davon zu unterscheiden, ist nach meiner Überzeugung auf dieser Ebene zusätzlich der Aspekt der Texttradition oder Diskurstradition anzusetzen (Gattungen, Textsorten, Stile etc., die nicht an Einzelsprachen gebundene historische Traditionen darstellen) (Koch 2005, 247, Hervorhebung im Original).
Modell: Folgendes Modell veranschaulicht die Zusammenhänge zwischen Sprechtätigkeit, Diskurs, Diskurstradition und Einzelsprache und macht die Bipartition der historischen Ebene deutlich:
Abb. 5.4: Ebenen des Sprachlichen und Sprachwandels (Koch 2005)
Anmerkungen: Im Jahre 2005 wendet sich Lebsanft vehement gegen die Modifizierung des Coseriuschen Modells: Bei näherer Betrachtung beruht Kochs Modifizierung auf einer die Möglichkeiten des Coseriuschen Modells nicht ausschöpfenden Interpretation. Ich plädiere daher dafür, das ältere Modell konsequent zu Ende zu denken und damit zu ihm zurückzukehren (Lebsanft 2005, 31).
97 Nach Lebsanft (2005) ist besonders folgende Beobachtung Kochs sehr stark zu kritisieren: Es gibt schließlich die Ebene des aktuellen, individuellen Diskurses oder Textes. Auf dieser Ebene konstituiert sich kein eigener Typ von Regularität; dies ist lediglich der Ort, an dem Regeln der drei vorgenannten Typen angewandt werden (Koch 1994, 204; Hervorhebung im Original).
Seine Kritik begründet Lebsanft wie folgt: [D]as Sprechen als individuelle Tätigkeit ist der Ort, an dem im Hinblick auf den Anderen der Sprecher bestehenden Regeln folgt oder neue Regeln zur Übernahme vorschlägt […]. Weil er [=Koch] Coserius Begriff des „individuellen“ nicht richtig fasst, meint Koch (1997, 50), das individuelle Sprechen sei ein Bereich, in dem die „drei übrigen Bereiche lediglich angewandt werden“. In Wahrheit ist es ja der Ort, an dem der Sprecher Neues durch Anknüpfen an Bekanntes schafft. Das macht die Kreativität des Sprechens aus. Daraus ergibt sich, dass auch die individuelle Ebene ihre Geschichte hat, „weil Texte ihre historischen Traditionen haben“ (Coseriu 1988, 86) (Lebsanft 2005, 31f.).
Abgesehen davon, dass der Aspekt der Historizität auf der individuellen Ebene auch von Koch implizit anerkannt wird [„dies ist lediglich der Ort, an dem Regeln der drei vorgenannten Typen angewandt werden“, 1994, 294], ist Lebsanfts Einwand auch ansonsten nicht leicht aufrecht zu erhalten. Die von Koch vorgeschlagene Modifizierung des Coseriuschen Modells wurde mit dem Ziel entwickelt, die unterschiedlichen Regularitäten (=historische Regeln und Normen) des menschlichen Sprechens klar und deutlich zu beschreiben. Es liegt auf der Hand, dass das Individuum keine Möglichkeit hat, Regeln oder Normen zu imponieren, wie Lebsanfts Formulierung suggeriert: „Das Sprechen als individuelle Tätigkeit ist der Ort, an dem im Hinblick auf den Anderen der Sprecher bestehenden Regeln folgt oder neue Regeln zur Übernahme vorschlägt“ (Lebsanft 2005, 31). Aber „Regeln zur Übernahme vorzuschlagen“ bedeutet nicht, dass der intentionale Vorschlag eines Individuums zu einer Regel oder einer Norm (der Einzelsprache bzw. der Diskurstradition) und von einer Sprachgemeinschaft angenommen wird. Bei dem individuellen Diskurs, dessen Sprechakte als innovativ und kreativ gedeutet werden können, handelt es sich nicht um Normen und Regeln im Sinne von Koch, d.h. um ‚historische‘, konventionelle Normen, sondern lediglich um ‚aktuelle‘ Regularitäten („die Ebene des aktuellen, individuellen Diskurses“, Koch 1994, 204). „Historisch“ sind auch nach Coseriu lediglich solche Aspekte des Sprachlichen, welche den Status einer Tradition haben: Ihrem Wesen nach sind nicht nur alle Sprachsysteme, sondern auch die Tradition des Sprechens im allgemeinen und die Texttraditionen historisch (Coseriu 1988a, 81).
98
5.7.4 Die These der Abgrenzung zwischen erster und zweiter Historizität Bei der These der Abgrenzung zwischen erster und zweiter Historizität handelt es sich um einen neuen methodologischen Vorschlag von Kabatek (2011), der bisher in der deutschen Romanistik noch nicht exhaustiv besprochen und auch nicht für konkrete Beispielanalysen angewandt wurde. Der Sprachwissenschaftler geht davon aus, dass unterschiedliche Formen der Wiederholbarkeit von Texten oder Diskursen als Phänomene einer „zweiten Historizität“ zu sehen und von der primären Historizität der grammatischen, sprachsystematischen Kompetenz zu unterscheiden sind, die sich gerade durch die ihr eigene Verselbständigung von Strukturen jenseits des bereits Gesagten auszeichnet. Aus diesem Grund müssen die beiden Formen der Historizität wissenschaftlich voneinander abgegrenzt und ihr jeweiliger Umfang eindeutig bestimmt werden. Zentral wird hierbei auch die Forderung nach der Bestimmung der Diskurstraditionen zunächst ausgehend von den Produkten und nicht von bereits bestehenden (Textsorten-)Kategorisierungen her sein, da sie nur so in ihrem gesamten Umfang (einschließlich der Kompositionalität der Diskurstraditionen) erfasst werden können. Die methodologische Abgrenzung zwischen erster und zweiter Historizität ermöglicht es, die in der (deutschen) Romanistik noch nicht beantworteten Fragen zu reflektieren, die in Kap. 5.6 aufgelistet sind. Hier seien als Denkanstoß die Definitionen von Kabatek angeführt: –
Erste Historizität, die eigentlich nur genetisch historisch ist und in der Übernahme einer Technik besteht, die vom Sprecher qua Technik aufgenommen wird und ihm dann zur freien Produktion von Äußerungen dient. […] Ab dem Moment, in dem er die Sprachtechnik erlernt hat, kann er selbstständig sprechen und braucht nicht mehr den Bezug zur Geschichte. Er hat diese Geschichte in Form einer Grammatik und eines Lexikons in sich;
–
Sprechen ist nicht nur das Generieren von Äußerungen nach den einzelsprachlichen Regeln einer Grammatik und mittels eines einzelsprachlichen Wortschatzes, es ist auch Tradition im Sinne der Wiederholung von bereits Gesagtem;
–
Die ‚zweite Historizität‘ ist nicht eingeschränkt auf eine bestimmte Ausformung dieser Tradition oder auf eine bestimmte kulturelle Präferenz; sie stellt zunächst nur eine zeitlich-räumliche Beziehung zwischen Redeereignissen fest, wobei diese Beziehung implizit oder explizit sein und sowohl durch die Intention des Sprechers als auch durch diejenige des Hörers zustande kommen kann. (cf. Kabatek/Pusch ²2011, 92)
5.8
Die Methoden der Diskurs- und Texttraditionsforschung
Zum Bereich der Diskurs- und Texttraditionsforschung können in der Romanistik zahlreiche Studien mit jeweils unterschiedlichem Erkenntnisinteresse gezählt werden – wie etwa die Untersuchung der romanischen Sprachgeschichte im Allgemeinen oder einzelner Sprachwandelphänomene im Besonderen, die Beschäftigung mit Gattungen mittelalterlicher Schriftlichkeit, Gesprächs- und Konversationsformen oder die Stilanalyse. Es scheint offensichtlich, dass all diese Untersuchungen methodologisch nicht gleich vorgehen und vor allem nicht gleich vorgehen können. Die Forschungsmethoden zur Ge-
99 sprächsanalyse erfordern bspw. die Fokussierung der unterschiedlichen Interaktionsformen zwischen den Gesprächspartnern, welche zur Beschreibung mittelalterlicher Handschriften wiederum nicht unbedingt notwendig ist. Die Diskurs- und Texttraditionsforschung wird in der deutschen Romanistik meistens als Gegenstandsbereich der historischen Pragmatik, die in der folgenden Einheit 6 ausführlich – auch methodologisch – vorgestellt wird, verstanden (und nicht als Teil der Varietätenlinguistik). Spezifische Methoden, die allein der Diskurs- und Texttraditionsforschung zuzuordnen sind, lassen sich nicht eindeutig identifizieren, da „Diskurstraditionen zwischen pragmatischen Vorgaben und sprachlichen Varietäten“ stehen, wie dieser Titel einer Studie von Martin-Dietrich Gleßgen (2005) richtigerweise hervorhebt. Es sollen daher im Folgenden lediglich solche Forschungsmethoden kurz vorgestellt werden, welche die Verbindung zwischen Diskurstradition und Varietäten untersuchen. Diesbezüglich werden uns bisher im Wesentlichen zwei verschiedene Methoden angeboten: Bei der ersten Variante richtet man das Augenmerk auf eine bestimmte Sprachform (zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Vergangenheit), wie etwa eine dialektisierende Sprachform, und stellt anschließend fest, in welchen Diskurstraditionen sie Anwendung findet. Wilhelm (2005) gibt dieser Methode den Vorzug. Bei der zweiten Variante richtet man umgekehrt die Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Diskurstradition (wie etwa die Tradition des Rätselaufgebens) und identifiziert anschließend die Funktion der Varietäten, wie etwa die Funktion der Volkssprachen gegenüber den klassischen Sprachen in Dialogen der Renaissance. Diese Methode liegt fast allen der zahlreichen Studien zu Diskurstraditionen und Varietäten zugrunde. In den bisher durchgeführten Arbeiten ist festzustellen, dass für die Analyse historischer Textgattungen in der Regel Coserius Modell in seiner Gesamtheit angewandt wird. Als abschließendes Desiderat lässt sich festhalten: „Komparative arbeiten, die das kommunikative Verhalten in unterschiedlichen Ländern zu Zeitpunkten in der Vergangenheit miteinander vergleichen, sind wünschenswert“ (Weidenbusch 2005, 109).
5.9
Literatur
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Empfohlene Lektüre (2003) Aschenberg, Heidi: „Diskurstraditionen – Orientierungen und Fragestellungen“, in: Aschenberg, Heidi/Wilhelm, Raymund (ed.): Romanische Sprachgeschichte und Diskurstraditionen: Akten der gleichnamigen Sektion des XXVII. Deutschen Romanistentags, Tübingen: Narr, 1-18 (Tübinger Beiträge zur Linguistik.). (2003) Kabatek, Johannes: „Oralität, Prozess und Struktur“, in: Linguistik online 13, 1/03.
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5.10
Aufgaben
1. Versuchen Sie in französischen, italienischen, portugiesischen oder spanischen Chat-Gesprächen einige typische sprachliche Merkmale festzustellen, die sich der diaphasischen oder ggf. der diatopischen oder diastratischen Dimension zuordnen lassen. 2. Welche Textsorten sind primär distanzsprachlich, welche nähesprachlich geprägt? Nennen Sie einige Beispiele. Welche Funktionen können möglicherweise einzelne nähesprachliche Elemente in distanzsprachlichen Textsorten haben und umgekehrt? 3. Ist es Ihrer Meinung nach notwendig oder sinnvoll, die Dimension von Nähe und Distanz, wie Koch und Oesterreicher vorschlagen, als eigene Varietätendimension innerhalb der Architektur einer historischen Sprache hinzuzufügen? Nehmen Sie kritisch Stellung und versuchen Sie, Ihre Argumentation auf konkrete Beispiele zu stützen (denken Sie dabei an sprachliche Phänomene (orthographischer oder intonatorischer Art, Registerwahl etc.), die ggf. nur in der Schriftlichkeit bzw. nur in der Mündlichkeit vorkommen oder die bei schriftlicher Verwendung andere Stileffekte haben als bei mündlicher). 4. Welche jeweiligen Vor- bzw. Nachteile können die syn-perspektivische und die dia-perspektivische Methode in der Varietätenlinguistik Ihrer Meinung nach haben? 5. Welche Texte bzw. Textsorten werden in einer Sprachgemeinschaft in unterschiedlichen Epochen (z. B. im Mittelalter, in der Renaissance, der Aufklärung oder der Moderne) produziert, um über das Thema „Liebe“ zu sprechen? 6. Lassen sich kulturelle Unterschiede feststellen, etwa hinsichtlich der Diskurs- und Texttraditionen im Bereich des „Kochens“ in Frankreich, Italien, Portugal, Spanien (auch im Vergleich zu Deutschland)? 7. Wie hat sich die Tradition von bestimmten Grußformen als Mittel der Hierarchieunterscheidung entwickelt?
6
Sprache als Handlung – Theorien und Methoden der (historischen) romanischen Pragmatik
6.0
Überblick
Die modellbildende Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS trägt insbesondere in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts zur Etablierung der Konzeptualisierung von SPRACHE oder SPRECHEN als HANDLUNG des Menschen bei. Diese Metapher wurde im Jahre 1967 von Jürgen Frese (1939–2007) in Sprechen als Metapher für Handeln explizit zum Thema gemacht und interpretiert. Nach dieser Auffassung bedarf das Sprechen als eine Form sozialen Handelns – gleich jeder anderen menschlichen Handlung – eines Reizes (Stimulus), welcher in einer gegebenen Situation eine bestimmte Reaktion bewirkt, was schließlich zu einem entsprechenden Resultat führt. Menschliche Handlungen sind zudem mit Erfahrungen, Wissen und Wiederholbarkeit verbunden, können als richtig oder falsch bewertet werden und implizieren oft eine Kooperation mit anderen Menschen. Diese (nichtsprachlichen) konstitutiven Aspekte menschlicher Handlungen werden häufig ausdrücklich genannt; Wendungen wie: Auf diese Frage hat sie wütend reagiert; du wiederholst dich; was du sagst, ist nicht richtig zeigen deutlich deren Verankerung in unserer Kultur. Die Herstellung einer Analogie zwischen Sprechen und sozialem Handeln bildet die Grundlage der Pragmalinguistik (aus dem gr. ʌȡĮ˜ȖμĮ (pragma) ‚das Getane‘, ‚die Tat‘, ‚das Geschäft‘; ʌȡĮȖμĮIJİȓĮ (pragmateia) ‚Tätigkeit‘, ‚Handlung‘, ‚Beschäftigung‘), welche in der Sprachwissenschaft weltweit in der Regel als die ‚Wissenschaft von sprachlichem Handeln‘ verstanden wird und je nach Philologie und Land auch pragmatische Linguistik, Sprachpragmatik oder PragmaLinguistik genannt wird. Der Begriff Pragmatik steht in Zusammenhang mit dem philosophischen Pragmatismus (cf. Charles S. Peirce (1839–1914), John Dewey (1859–1952)) und wurde zum ersten Mal durch den Semiotiker Charles W. Morris (1901–1979) in Foundations of the theory of signs (1938) (ab 1972 auch in Deutschland rezipiert) in die Linguistik eingeführt. Morris jedoch versteht den Begriff noch in einem engeren Sinne, und zwar als die Wissenschaft der Beziehung zwischen den Zeichen und ihren Interpreten, d.h. den Zeichenbenutzern. Innerhalb der Sprachpragmatik gibt es sowohl synchron als auch historisch orientierte Forschungsrichtungen. Der Schwerpunkt der synchron ausgerichteten Forschung in der linguistischen Pragmatik liegt allgemein auf der Untersuchung des Gebrauchs von Sprache als Handlung in bestimmten Situationen. Dies umfasst beispielsweise Untersuchungen zu Aufbau und Funktion von einzelnen Sprechakten, von komplexeren Interaktionen zwischen Gesprächspartnern, von Textsorten, Dialogen oder von fixierten Kommunikationsbestandteilen wie Grußformeln. Zu den Schwerpunkten innerhalb der historischen Pragmatik, die sich mit Sprechhandlungen und deren Realisierung in vergangenen Zeiten beschäftigt, zählen – insbesondere in der (deutschen) Romanistik –
104 etwa die Erforschung der Geschichte von Diskurstraditionen, die Sprachgeschichtsschreibung, die historische Textpragmatik, die historische Gesprächsanalyse, wobei insgesamt stets die Erfassung der Veränderung von Kommunikationsregeln und Kommunikationsformeln im Zentrum steht. Die Unterscheidung zwischen synchroner Pragmatik und historischer Pragmatik basiert vor allem auf der Verschiedenheit der Untersuchungsmethoden. Die historische Pragmatik braucht bspw. methodologische Kriterien zur Rekonstruktion konkreter Kommunikationsabläufe, um die Einordnung sprachlicher Handlungen in einer historisch und kulturell fernen Zeit zu bestimmen, so dass Analysekriterien und Vorgehensweisen nicht immer mit denen der synchronen Pragmatik gleichzusetzen sind. Wegen der außerordentlichen Heterogenität der pragmalinguistischen Gegenstandsbereiche sind Fragestellungen, Theorien und Methoden je nach Forschungsorientierung bzw. Forschungsperspektive sehr unterschiedlich. Eine eklektische Beschreibung dieser Theorien und Methoden ist in dieser Einheit weder möglich noch wünschenswert. Es sollen daher hier zunächst diejenigen Theorien und Methoden der linguistischen Pragmatik dargestellt werden, welche als Grundlage jeder pragmalinguistischen Forschung gelten. Dazu gehören die Theorie der Sprechakte, die Theorie des Kommunikationsprinzips, die Theorie des kommunikativen Handelns sowie die Politeness-Theorie. Keine dieser Theorien ist in der Romanistik entstanden, und alle haben eine sehr uneinheitliche Rezeption in den romanischen Sprachwissenschaften erfahren. Das Forschungsdefizit, das insofern hinsichtlich synchroner Untersuchungen in den romanischen Sprachen, insbesondere im Italienischen und Französischen (cf. Warga 2004, 63; Held 1995, 104), besteht, ist hingegen für die historische Pragmatik in keiner Weise zu verzeichnen. Denn seit Jahrzehnten steht diese im Zentrum des Interesses deutscher Romanisten. So schreibt z.B. Raymund Wilhelm: „In einer neueren Überblicksdarstellung werden nicht weniger als acht Ansätze einer pragmatischen Sprachgeschichtsschreibung genannt, von der historischen Semantik über die historische Sprechakttheorie und die historische Gesprächsanalyse bis hin zur historischen Sprachsoziologie etc.“ (Wilhelm 2005, 65). Es sollen daher in dieser Einheit lediglich die Theorien und Methoden ausführlich dargestellt werden, welche die deutschsprachige Romanistik am stärksten geprägt haben. Es handelt sich dabei um die Theorie der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte und die Theorie der pluridimensionalen Historiographie. Abb. 6.1 (nächste Seite) zeigt die Entwicklung der romanischen Sprachforschung ab dem 19. Jh. unter dem Blickwinkel der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS und fügt die sprachliche Handlung als fokussierten Aspekt hinzu.
6.1
Theorien der Sprachpragmatik
Alle Theorien der linguistischen Pragmatik gehen von der grundlegenden Annahme aus, dass das Sprechen des Individuums im Wesentlichen als Handlung zu konzipieren ist und dass es daher zu den Aufgaben der Linguistik gehört, den Sprachgebrauch in be-
105 stimmten Situationen zu beschreiben. Um die Korrelation zwischen sprachlichen Handlungen und den Situationen, in welchen diese jeweils realisiert werden, zu verdeutlichen, werden sowohl linguistische als auch extralinguistische Faktoren betrachtet. Allgemein „lässt sich die Tendenz feststellen, alle Untersuchungen, die auch außersprachliche Faktoren mitberücksichtigen, als „pragmatisch“ zu bezeichnen“ (Weidenbusch 2005, 103). Zu den Theorien, die solchen Untersuchungen zugrunde liegen, gehören etwa die Theorie der Sprechakte, die Theorie des Kommunikationsprinzips, die Theorie des kommunikativen Handelns und die Politeness-Theorie. SPRACHE als LEBENDIGER
ORGANISMUS
FAMILIE ca. ab Anfang des 19. Jhs.
HERKUNFT ca. ab Ende des 19 .Jhs.
RAUM ca. ab Anfang des 19. Jhs.
INNERE STRUKTUR
ca. ab den 20er Jahren des 20. Jhs.
HANDLUNG ab den 60er/70er Jahren des 20. Jhs.
ARCHITEKTUR ca. ab Mitte des 20. Jhs. Abb. 6.1: Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS
6.1.1
Die Theorie der Sprechakte bzw. Sprechhandlungen
Die Theorie der Sprechakte geht davon aus, dass jede sprachliche Äußerung ein Verhältnis zum praktischen Handeln hat. Obwohl diese Konzeption bereits in der Antike fest verankert ist, wird die Theorie der Sprechakte in der Sprachwissenschaft erst durch das Werk des amerikanischen Linguisten Leonard Bloomfield (1887–1949) in Language (1933) zum ersten Mal vollständig rezipiert und wissenschaftlich diskutiert. Eine sprachliche Äußerung wird von Bloomfield als ‚Sprechakt‘ (engl. act of speech, speech event) bezeichnet. Zwischen diesem und dem praktischen Handeln (engl. speechless action, practical event) wird dann ein Substitutionsverhältnis angenommen. Es handelt sich dabei um die so genannte behavioristische Handlungstheorie, welche die Sprache als Verhalten (engl. behavior) konzipiert und sie auf eine reine (Verhaltens-)Reaktion infolge eines Stimulus reduziert. Mit Recht schreibt Weinrich: „Die Sprache wird also durch
106 dieses Modell [=behavioristisches Reiz-Reaktions-Schema] nicht erklärt, sondern ist in ihm bereits vorausgesetzt“ (Weinrich 1976, 31). In Anlehnung an Bloomfield stellt der amerikanische Linguist Kenneth L. Pike (1912–2000) in Language in relation to a unified theory of the structure of human behavior (1954–1960) eine am Verhalten orientierte Theorie dar, die als Tagmemik bezeichnet wurde (aus gr. IJȐȖμĮ (tágma) ‚Angeordnetes‘ – und zwar in Bezug auf die kleinsten (bedeutungstragenden) grammatischen Einheiten bei der Satzbeschreibung). Pike geht von bestimmten gewöhnlichen Verhaltenssituationen aus, etwa einem Familienfrühstück, einem Fußballspiel oder einem Gottesdienst, und wählt diejenigen „elaborate cultural situations“ wie etwa Taufakte und Heiratszeremonien aus, „bei denen bestimmte Handlungen mit Reden und bestimmte Reden mit Handlungen zusammengehen müssen, wenn die Situation das Siegel der Gültigkeit erhalten soll“ (Weinrich 1976, 31). Die Tagmemik von Pike gilt als Grundlage der performativen Theorie des britischen Sprachphilosophen John L. Austin (1911–1960). In How to do things with words. The William James Lectures delivered at Harvard University in 1955 (postum publiziert 1962) werden sprachliche Handlungen dargestellt, die in einem bestimmten Moment in öffentlich geregelten, zeremoniellen und rituellen Situationen geäußert werden, wie etwa „Ich taufe dich…“ im Taufakt, oder „Der Angeklagte wird freigesprochen…“ im Strafprozess. In Anlehnung an den englischen Ausdruck to perform an action, werden solche Äußerungen als performative, d.h. „vollbringende“ Äußerungen bezeichnet. „Sie vollbringen nämlich, obwohl sie doch Worte sind, Handlungen“ (Weinrich 1976, 32). Austins performative Theorie (auch Theorie der performativen Leistung gewisser sprachlicher Sätze genannt) wird von dem US-amerikanischen Sprachphilosophen John Searle zu einer umfassenden Theorie der Sprechakte weiterentwickelt. Er vertritt die Auffassung, dass die Sprache ein regelgeleitetes intentionales Handeln ist. Nach dieser Theorie werden die Sprechakte als die kleinsten und fundamentalsten Einheiten der sprachlichen Kommunikation gedeutet. Behauptungen aufstellen, Befehle erteilen, Fragen stellen, Versprechungen machen oder Hinweise geben sind nur einige Beispiele dafür. Es ist aber zu bemerken, dass es Sprechakte gibt, „die von der Forschung bisher eher vernachlässigt wurden: Beschwerden, Komplimente, Komplimenterwiderungen etc.“ (Warga 2004, 26).
6.1.2 Die Theorie des Kooperationsprinzips Die Theorie des Kooperationsprinzips geht davon aus, dass das sprachliche Handeln ein zweckrationales Verhalten ist. Das heißt, „dass die Gesprächspartner sich kooperativ verhalten, also versuchen, den gegenseitigen Erwartungen zu entsprechen und gemeinsam dazu beizutragen, dass die Kommunikation erfolgreich ist“ (Kabatek/Pusch 2009, 152). Der Begriff ‚Kooperationsprinzip‘ wurde von dem englischen (später in den USA lehrenden) Sprachphilosophen Herbert Paul Grice (1913–1988) in Logic and Conversation (William James Lectures aus dem Jahre 1967, veröffentlicht 1975; cf. auch Studies in the way of words, 1989) geprägt und wie folgt formuliert:
107 Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged (Grice 1975, 45). Mache deinen Beitrag zur Konversation genau so, wie es der Punkt der Konversation, an dem er erfolgt, erfordert, wobei das, was erforderlich ist, bestimmt ist durch den Zweck oder die Richtung des Gesprächs, in dem du dich befindest (Übers. Meibauer 1999, 25).
6.1.3 Die Theorie des kommunikativen Handelns Die Theorie des Kommunikativen Handelns geht davon aus, dass das sprachliche Handeln nicht nur als zweckrationales, sondern auch als gesellschaftliches Handeln zu erfassen ist. Denn die Kommunikation zwischen zwei Handelnden – Ego und Alter – vollzieht sich grundsätzlich nach gesellschaftlich geltenden Werten und Normen, die in historisch-kulturell überlieferten Traditionen Gestalt annehmen. Der Begriff ‚Kommunikatives Handeln‘ wurde durch den deutschen Sprachphilosophen Jürgen Habermas in Theorie des kommunikativen Handelns (Bd.1: Handlungsrationalität und gesellschaftliche Rationalisierung, 1981) verbreitet. Der Begriff bezeichnet zunächst allgemein die Tatsache, dass Sprechen und Handeln stets aufeinander und gleichzeitig jeweils auf die Kommunikationspartner bezogen sind: In der Kommunikation versuchen Ego und Alter sich verständigungsorientiert aufeinander zu beziehen. Sie erheben und akzeptieren dabei wechselseitig die gleichen Ansprüche. Daraus ergeben sich folgende wichtige Aspekte, die für das ‚Kommunikative Verstehen‘ als konstitutiv gelten: – Die Absicht der sprachlichen Handlung vom Ego muss vom Alter verstanden werden. – Sprachverstehen verweist auf Handeln-Können. Dies hat zur Folge, dass der sozialisierte Sprecher über eine ‚Kommunikative Kompetenz‘ verfügt, welche aus einem Reservoir bewährter Verhaltensmuster und Handlungsweisen besteht. Nach der Theorie des kommunikativen Handelns trägt dann das allgemeine Wissen (=Weltwissen, soziales Wissen, kulturelles Wissen, sprachliches Wissen, etc.) dazu bei, dass eine sprachliche Handlung nach gesellschaftlichen Normen und Regeln in einer bestimmten kommunikativen Situation entsprechend erfolgreich oder nicht erfolgreich verläuft.
6.1.4 Die Politeness-Theorie Die Politeness-Theorie geht davon aus, dass jedes Individuum sich beim sprachlichen Handeln in einem Bedürfnis-Konflikt befindet. Die Bedürfnisse des positive face nach Anerkennung und sozialer Integration kollidieren mit den Bedürfnissen des negative face nach Autonomie und persönlicher Freiheit. Beide Begriffe verbreiteten sich insbesondere durch die Rezeption der Studie The presentation of self in everyday life (1959) des kanadischen Soziologen Erwing Goffman (1922–1982) in der Linguistik. Nach der Politeness-Theorie ist „der kommunikative Austausch daher zu einem Großteil von Handlungen geprägt, die das eigene oder das fremde face betreffen. Diesen Prozess bezeichnet man als Face Work (cf.: Call for Abstracts zur Tagung Face Work und Social Media
108 2011). Insbesondere sind die Strategien der verbalen Höflichkeit und Unhöflichkeit mit Face Work verbunden, wie die Pragmatik-Forscher Stephen Levinson und Penelope Brown in ihrer grundlegenden Studie zur verbalen Höflichkeit Politeness: Some Universals in Language Usage (1978) belegen. Der Grund dafür liegt in dem kommunikativen und sozialen Bedürfnis, höfliche Sprechhandlungen zur Abmilderung möglicher gesichtsbedrohender Handlungen (=FTA: face-threatening acts) zu verwenden. Die österreichische Linguistin Gudrun Held gilt als die erste, die durch ihre zahlreichen Untersuchungen auch die (deutschsprachige) Romanistik in die pragmatische Diskussion mit eingebracht hat, insbesondere was die Politeness-Theorie betrifft. In ihrer Untersuchung Verbale Höflichkeit: Studien zur linguistischen Theoriebildung und empirische Untersuchung zum Sprachverhalten französischer und italienischer Jugendlicher in Bitt- und Dankessituationen (1995) konnte sie anhand zahlreicher Beispiele die direkte Korrelation zwischen verbalisierter Höflichkeit und sozialer Gewichtigkeit belegen. So werden Bitthandlungen bspw. mit zunehmender sozialer Gewichtigkeit höflicher. Die Unterschiede zwischen den Realisierungsmustern der höflichen bzw. unhöflichen Sprechakte lassen sich dann prinzipiell durch den Einfluss sozialer Faktoren innerhalb einer Sprachgemeinschaft, durch die systematische Variation kontextinterner und kontextexterner sowie durch die Unterschiede zwischen universellen und kulturspezifischen Faktoren erklären.
6.2
Die Grundfragen der Sprachpragmatik
Von der Auffassung des Sprechens als einer Form des sozialen Handelns gehen alle Fragestellungen und Thesen zur Beziehung zwischen Sprechen und Handeln sowie zur Identifikation und Klassifizierung der sprachlichen Handlungen in funktionaler und situativer Hinsicht aus. Folgende Fragen werden im Rahmen der Sprachpragmatik als zentral angesehen: – In welchem Umfang und mit welchen Vorbehalten darf der soziologische Handlungsbegriff auf die sprachliche Handlung des Menschen übertragen werden? – Wie kann man die Sprache beschreiben, die wir täglich in bestimmten kommunikativen Situationen anwenden? – Kann man die verschiedenen Funktionen der Sprachanwendung beschreiben bzw. klassifizieren? – Nach welchen Kriterien kann man Sprechakte beschreiben? – Nach welchen Kriterien kann man Sprechakte identifizieren? – Wo genau liegen in der Gemeinsprache die Grenzen zwischen Sprechakten, deren Prädikation relativ gleich ist? – Gibt es irgendeine Redeform, die sich nicht als Sprechakt deuten lässt? – Woraus besteht die kommunikative Kompetenz, die wir täglich in bestimmten kommunikativen Situationen anwenden? – Was trägt dazu bei, dass die Konversation erfolgreich ist?
109 – Warum können wir die pragmatische Bedeutung von Äußerungen (jenseits deren wörtlicher Bedeutung) erfassen?
6.3
Die Grundthesen der Sprachpragmatik
6.3.1 Die These der vier Teilakte Zur Beantwortung der grundlegenden Frage Nach welchen Kriterien kann man Sprechakte beschreiben?, vertritt Searle 1969 in Anlehnung an Austin die These, die Berücksichtigung innersprachlicher Faktoren sowie außersprachlicher Situationsfaktoren, wie etwa die gemeinte Intention des Sprechers sowie die wechselseitige Beziehung zwischen ihm und dem Hörer, gestatte die Gliederung jedes Sprechakts in vier Teilakte, nämlich: – den lokutionären Akt, d.h. den Äußerungsakt des Sprechers A. Er ist einzelsprachlich gebunden (bspw. die deutsche Wortfolge mit entsprechender syntaktischer Ordnung und Frageintonation Wo warst du gestern Abend?); – den propositionalen Akt, d.h. den Aussageakt: „Referenten der außersprachlichen Wirklichkeit werden Eigenschaften zugeschrieben oder Handlungen zugeordnet, d.h. über sie wird etwas prädiziert“ (Kabatek/Pusch 2009, 149) (z.B. dt. Berlin ist weltbekannt; oder etwas komplexer in Bezug auf das o.g. Beispiel: die Tatsache, dass einer durch den Kontext eindeutig bestimmten Person („du“) für den vorigen Abend ein bestimmter Aufenthaltsort zugeordnet wird); – den illokutionären Akt, d.h. den intentionalen Akt des Sprechers A, welcher das Ziel der sprachlichen Handlung beinhaltet (wie etwa bei dt. Wo warst du gestern Abend?: Dies kann je nach Absicht des Sprechers eine Informationsfrage, eine Vorwurfsfrage, eine Neugierfrage etc. sein); – den perlokutionären Akt, d.h. das Erzielen einer Wirkung (wie etwa bei dt. Wo warst du gestern Abend?: In diesem Fall kann zunächst eine informative Antwort von Sprecher B als erzielte Wirkung gelten (Bei mir zu Hause.). Die Wirkung einer als Vorwurf interpretierten Frage könnte hingegen in Form einer Entschuldigung und ggf. Rechtfertigung auftreten und z.B. folgendermaßen lauten: Entschuldige, ich konnte leider nicht kommen, ich lag zu Hause krank im Bett. Lediglich eine Antwort wie etwa Was willst du von mir? bzw. Das geht dich nichts an! lässt sich schwierig als erzielte Wirkung deuten, da sie in keiner Weise mit der Intention des Sprechers A in Verbindung steht – es sei denn, seine eigentliche Intention war einzig und allein die Provokation). Letztere Beobachtung führt Austin dazu, zwischen dem perlokutionären Akt einerseits und dem perlokutionären Effekt andererseits zu unterscheiden. Der perlokutionäre Effekt ist dabei als die Wirkung zu verstehen, die infolge eines perlokutionären Aktes eintritt. Der Sprecher kann beispielsweise mit einem Sprechakt wie Wo warst du gestern Abend? beabsichtigt haben, dass der Hörer eine informative Antwort gibt. Eine möglicherweise eintretende Wirkung wie die Antwort Das geht dich nichts an!, lässt aber den intendier-
110 ten perlokutionären Akt des Sprechers A schließlich scheitern. Es kann demnach nur dann vom Vollzug eines perlokutionären Aktes die Rede sein, wenn die von Sprecher A ursprünglich, d.h. zum Zeitpunkt des Äußerungsaktes, intendierte Absicht mit der tatsächlich eingetretenen Wirkung identisch ist. Die von Searle ausgearbeitete Vierteilung eines Sprechaktes könnte, auch aufgrund der verwendeten Terminologie, den Eindruck erwecken, es handle sich in der Tat um Teilakte, die nacheinander oder gleichzeitig vollzogen werden. Vielmehr sind sie aber als Aspekte ein und derselben Sprachhandlung zu verstehen, welche durch eine Modalrelation miteinander verbunden sind (perlokutionäre Akte werden vollzogen, indem illokutionäre Akte vollzogen werden, diese wiederum, indem propositionale Akte realisiert werden und letztere indem lokutionäre Akte verbalisiert werden). 6.3.2 Die These der fünf Sprechhandlungstypen Zur Beantwortung der Fragen Wie kann man die verschiedenen Funktionen der Sprachanwendung beschreiben bzw. klassifizieren? bzw. Nach welchen Kriterien kann man Sprechakte identifizieren? sei erneut Searles These (1969) angeführt: Demnach kann man Sprechakte, die in einer historischen Einzelsprache verbalisiert werden, nach fünf Sprechhandlungstypen unterscheiden, und zwar aufgrund von drei grundlegenden ontologischen Kriterien: dem illokutionären Witz, der Anpassungsrichtung und dem psychischen Zustand: –
Der illokutionäre Witz ist der Zweck eines Sprechaktes. Eine Aufforderung und eine Bitte haben beispielsweise denselben illokutionären Witz, nämlich den Versuch, den Hörer zu einer Handlung zu bewegen. – Die Anpassungsrichtung des Sprechaktes ist dessen Wort-Welt-Bezug. Bei einer Beschreibung passen sich die Worte der Welt an. Bei einem Versprechen soll sich die Welt allerdings den Worten entsprechend anpassen. – Der psychische Zustand eines Sprechaktes ist die mentale Einstellung des Sprechers zum Gesagten. Bei einer Beschreibung ‚glaubt‘ z.B. der Sprecher, was er sagt, bei einer Bitte ‚wünscht‘ der Sprecher etwas Bestimmtes.
Nach diesen Regeln lassen sich nach Searle fünf Klassen illokutionärer Sprechakte identifizieren, die hier in der Deutung Meibauers wiedergeben werden (Abb.6.2). Illokutionäre Akte werden oft (aber nicht immer) von ‚Illokutionsindikatoren‘ wie etwa performativen Verben (z.B. versprechen), Modaladverbien (z.B.: bedauerlicherweise) oder prosodischen Merkmalen (z.B. die Intonation in der gesprochenen Sprache) explizit signalisiert. Wenn der gemeinte illokutionäre Zweck vom wörtlich ausgedrückten bzw. explizit signalisierten Akt abweicht, werden solche Akte mit dem Begriff ‚indirekte Sprechakte‘ bezeichnet. So kann beispielsweise mit dt. Es ist sehr kalt hier je nach der kommunikativen Situation etwa gemeint sein Mach bitte das Fenster zu!, Gehen wir ins Café! oder Du solltest die Heizung reparieren lassen!. „Die gemeinte Illokution ist dabei die pragmatisch primäre, die wörtlich ausgedrückte demgegenüber sekundär“ (Kabatek/Pusch 2009, 151).
111 Assertive/ Repräsentative
Direktive
Kommissive
Expressive
Deklarative
Der Sprecher verpflichtet sich zur Ausführung einer zukünftigen Handlung
Der Sprecher bringt einen psychischen Zustand zum Ausdruck
Erfordern eine soziale Institution (Kirche, Schule, Parlament). Durch die Äußerung wird ein bestimmter Zustand hergestellt
Illokutionärer Witz/Zweck
Der Sprecher Der Sprecher legt will den Hörer sich in unterzur Ausschiedlichem führung einer Maße auf die zukünftigen Wahrheit der Handlung verProposition fest pflichten
Beispiele
behaupten, feststellen, andeuten, mitteilen, berichten, informieren, beschreiben, etc.
auffordern, befehlen, anordnen, einladen, bitten, etc. Alle Arten von Fragen
versprechen, geloben, drohen, anbieten, vereinbaren, etc.
danken, gratulieren, entschuldigen, willkommen heißen, kondolieren, etc.
Exkommunizieren, zurücktreten, taufen, ernennen, Krieg erklären, etc.
Wort–an–Welt
Welt–an–Wort
Welt–an–Wort
keine
beide
Absicht
variabel (entspricht dem Expressiv)
keiner
Anpassungsrichtung psychischer Zustand
Glaube
Wunsch
Abb. 6.2: Klassifikation illokutionärer Akte (nach Meibauer 1999, 95f.)
6.3.3
Die These der Graduierbarkeit von Sprechakten
Die für die Pragmatik unerlässliche Grundfrage Wo genau liegen in der Gemeinsprache die Grenzen zwischen Sprechakten, deren Prädikation relativ gleich ist? stammt von Weinrich, welcher sie wie folgt präzisiert: [W]enn nun das Befehlen ein Sprechakt sein soll, brauchen wir dann zwischen den Zehn Geboten, militärischen Kommandos und Anordnungen des Arztes nicht mehr weiter zu unterscheiden? Oder andersherum gefragt: wenn die Zehn Gebote der Bibel unter Sprechakt-Gesichtspunkten untersucht werden sollen, welchen Typ Sprechakt stellen sie dann dar? Sind sie Befehl, Gebot, (Verbot), Warnung oder Gesetz […]? (Weinrich 1976, 35)
Zur Beantwortung dieser Fragen existieren heute für bestimmte Sprechakte (aber nicht für alle) ziemlich gut entwickelte Klassifizierungssysteme. Pionierarbeit leistete auf diesem Gebiet die Soziolinguistin/Psychologin Susan Ervin-Tripp in Is Sybil there? The structure of some American English Directives (1976). Sie vertritt die These, direktive Sprechakte, deren Prädikation ziemlich gleich ist (wie etwa Aufforderungen, Befehle, Rätsel), lassen sich nach einer Skala der Direktheit einordnen und dementsprechend unterscheiden. Ein genaueres System zur Kategorisierung von Aufforderungsstrategien wurde 1981 von den deutschen Linguistinnen Juliane House und Gabriele Kasper in
112 Politeness Markers in English and German entwickelt, welches Aufforderungen in eine 8-teilige Skala von Direktheitsstufen gliedert: Mild Hint: Strong Hint: Query-Preparatory: State-Preparatory: Scope-Starting: Locution-derivable: (a) Hedged-Performative: (b) Explicit-Performative: Mood-derivable:
Es ist sehr kalt hier drin. Warum ist das Fenster offen? Kannst du das Fenster zumachen? Du kannst das Fenster zumachen. Mir wär’s lieber, wenn du das Fenster zumachen würdest. Du solltest das Fenster zumachen. Ich muss dich bitten, das Fenster zuzumachen. Ich bitte dich, das Fenster zuzumachen. Mach das Fenster zu! (House/Kasper 1981, 163f.)
„House/Kasper stellten in ihrer kontrastiven Analyse fest, dass die deutschen Muttersprachler im Allgemeinen direktere Aufforderungsstrategien wählen als die englischen Muttersprachler“ (Warga 2004, 35). Das Vorhandensein zweier verschiedener sozialer Normen in den beiden Kulturen kann einen solchen Unterschied zum Teil erklären. Die Studie stützt eindeutig die Theorie des kommunikativen Handelns, nach der die Kommunikation zwischen zwei Handelnden sich grundsätzlich nach gesellschaftlich geltenden Werten und Normen vollzieht, die in historisch-kulturell überlieferten Traditionen Gestalt annehmen.
6.3.4
Die These der vier Konversationsmaximen
Zur Beantwortung der grundlegenden Frage Was trägt dazu bei, dass die Konversation erfolgreich ist? vertritt Grice die These, dass sich aus dem Kooperationsprinzip vier Konversationsmaximen ableiten lassen, an die sich die Gesprächspartner halten sollten: – Maxime der Quantität Sie betrifft den Informationsgehalt: „Mache deinen Redebeitrag so informativ wie nötig, aber nicht informationshaltiger“ (sämtliche Übers. nach Meibauer 1999, 23) [„1. Make you contribution as informative as is required (for the current purposes of the exchange). 2. Do not make your contribution more informative than is required.“ (Grice 1975, 45)] – Maxime der Qualität Sie betrifft die Wahrheit bzw. die Wahrhaftigkeit: „Gestalte deinen Redebeitrag so, dass er wahr ist; sage nichts, von dem du weißt, dass es falsch ist oder für dessen Wahrheit du keine Indizien oder Belege hast“; [„‚Try to make your contribution one that is true‘ – and two more specific maxims: 1. Do not say what you believe to be false. 2. Do not say that for which you lack adequate evidence.“ (Grice 1975, 46)]
113 – Maxime der Relation Sie betrifft die Relevanz: „Mache deinen Redebeitrag relevant für die Kommunikation“; [„Be relevant.“ (Grice 1975, 46)]. – Maxime der Modalität Sie betrifft die Klarheit: „Äußere dich klar und deutlich, knapp und geordnet, vermeide Mehrdeutigkeit“. [„‚Be perspicuous‘ – and various maxims such as: 1. Avoid obscurity of expression. 2. Avoid ambiguity. 3. Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4. Be orderly.“ (Grice 1975, 46)] Zu beachten ist, dass es sich dabei weniger um normative Kommunikationsvorgaben handelt, als vielmehr um zugrunde liegende Prinzipien der Kommunikation, d.h. um Maximen, die den meisten Sprechern bekannt sind, die von diesen auch intuitiv angewandt werden und von denen vor allem allgemein erwartet oder angenommen wird, dass sie befolgt werden.
6.3.5 Die These der Konversationellen Implikaturen Zur relevanten Fragestellung Warum können wir die pragmatische Bedeutung von Äußerungen (jenseits deren wörtlicher Bedeutung) erfassen? vertreten Searle und Grice die These, dass der Sprecher einen ‚Schlussprozess‘ vollziehen muss, der aus einer Reihe sogenannter ‚Konversationeller Implikaturen‘ besteht. Es handelt sich bei einer konversationellen Implikatur um eine ‚pragmatische Inferenz‘, d.h. um ein Schlussverfahren, mithilfe dessen sich bestimmte Informationen aus einer Äußerung ableiten und erschließen lassen. Eine konversationelle Implikatur ist stets von dem spezifischen Kontext abhängig, in den sie eingebettet ist. Man stelle sich etwa folgenden Dialog vor: – Mutter: Lea, du solltest dir die Zähne putzen! – Lea: Ich bin nicht müde. Die Mutter muss hier einen Schlussprozess vollziehen, um die Äußerung der kleinen Tochter mit der Implikatur „Ich will nicht schlafen gehen!“ angemessen zu verstehen und als sinnvolle Reaktion auf ihre Aufforderung zu interpretieren. Das heißt, sie muss das ‚Gemeinte‘ (‚ich will nicht schlafen gehen‘) auf der Basis der ‚wörtlichen Bedeutung‘ (‚ich bin nicht müde‘) erschließen, indem sie konventionelle kulturelle Schlussverfahren anwendet, wie etwa ‚Zähne putzen‘ dann ‚schlafen gehen‘ und ‚müde sein‘ dann ‚schlafen gehen‘. Die konversationelle Implikatur „Ich will nicht schlafen gehen“, die sich aus der Aussage „Ich bin nicht müde“ ableiten lässt, kann nur in einem spezifischen Kontext inferiert werden. Aus diesem Grund inferiert man nur auf pragmatischer Grundlage. Die Annahme des Kooperationsprinzips (vgl. 6.1.2) liefert nach dem deutschen Romanisten Franz Lebsanft „eine plausible Erklärung dafür, wie der Hörer mittels des Verfahrens der konversationellen Implikaturen die Differenz zwischen ‚Bedeuten‘ und ‚Meinen‘ überbrückt, um den Sprecher zu verstehen“ (Lebsanft 2005, 25; cf. auch Grice 1989, 26).
114
6.4
Die Methoden der Sprachpragmatik
Die Sprachpragmatik rekurriert in der Regel auf ein onomasiologisches Vorgehen. Sprachliche Handlungen, wie etwa Aufforderungen, werden z.B. aus dem Gesagten selegiert und anhand ihrer konstitutiven sprachlichen Signale beschrieben. In der Romanistik gelten insbesondere performative Verben, Modalverben, Diskursmarker und soziale Deiktika als meist untersuchte Elemente. Sie liefern wichtige Informationen zur Haltung des Sprechers zum Gesagten und Gemeinten. Komparative Arbeiten, die Unterschiede zwischen den Realisierungsmustern der Sprechakte (z.B. Aufforderungen und Entschuldigungen) in den verschiedenen Sprachen fokussieren und beschreiben, wenden in der Regel das Schema des CCSARP (=Crosscultural Speech Act Realization Project) an. Letzteres stellt nach Warga (2004) die detaillierteste Analysemethode für Aufforderungshandlungen dar. Eine solche Methode wurde von den Sprachwissenschaftlern Shoshana Blum-Kulka, Juliane House und Gabriele Kaspar (1989) in Cross-cultural Pragmatics: Requests and Apologies entwickelt. Berücksichtigt werden etwa folgende relevante Faktoren: – – – – –
der situative Kontext die Interaktionspartner die soziale Bedeutung des Sprechaktes die strukturelle Dimension oder Handlungsebene: externe Modalitätsmarkierungen die formale Dimension oder Ausdrucksebene: interne Modalitätsmarkierungen
Im Bereich der Datenerhebung sind Methoden wie die Befragung mittels Fragebogen bzw. in Form eines Diskursergänzungsverfahrens (=DCT: Discourse Completion Test) auch für die quantitative Auswertung zur Erstellung von Korpora sehr hilfreich.
6.5
Die Theorien der historischen Pragmatik
In den Theorien der historischen Pragmatik verknüpfen sich zwei Traditionen der romanischen Sprachwissenschaft: die Sprachgeschichtsschreibung und die vor allem an synchronen Sprachbetrachtungen in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelte Sprachpragmatik (cf. Schrott/Völker 2005, 2). Solche Theorien gehen davon aus, dass Sprachen aus historisch gewachsenen und immer wandelbaren Regelkomplexen gebaut sind, welche sozial verankert sind und das sprachlich-kommunikative Handeln steuern (cf. Wilhelm 2003, 232). Die Hervorhebung der kommunikativen Funktion der Sprache und die Auffassung des Sprechens als einer Form des sozialen Handelns, das heißt die Anwendung der Prinzipien der synchronen Sprachpragmatik, hat in der historischen Pragmatik zur Ausbildung der Theorie der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte und der Theorie der pluridimensionalen Historiographie geführt.
115
6.5.1 Die Theorie der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte Diese Theorie geht davon aus, dass die Geschichte einer Sprache als Geschichte der Kommunikation und Kommunikationsformen in einer Gesellschaft zu verstehen ist. Damit ist gemeint, dass die Diskurstradition der traditionell fixierten (aber immer wandelbaren) Formen der Kommunikation (sowohl geschriebener als auch gesprochener Texte) die wichtigste Grundlage zur Konstitution der Geschichte einer historischen Sprache ist. Im Sinne von Koch und Oesterreicher sind ganz unterschiedliche sprachliche Ausformungen von Diskurstraditionen geprägt, so etwa Textsorten (Beipackzettel), Gattungen (Novelle, Sonett, Rätsel, Volkslied, Gesetzestext, Essay, Trauerrede etc.), Gesprächsformen (höfische Konversation, Beichtgespräch, Wegauskunft, Verkaufsgespräch, Talkshow etc.), Stile (Manierismus, genus humile/mediocre/sublime etc.), rhetorische Genera (Prunkrede) und Sprechakte, wie etwa der Lehnseid (cf. Koch/ Oesterreicher 1990, 7; Koch 1997a, 45). Nach den deutschen Theoretikern der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte soll eine pragmatisch orientierte Sprachgeschichtsschreibung die im Alltag verwendeten Diskursstrategien rekonstruieren und beschreiben. Dies bedeutet, dass die kontextuellen Bedingungen für sprachliche Äußerungen und der Aufbau derselben im Wandel der Zeiten untersucht werden sollen (cf. Radtke 1994, 25). Folglich beachtet eine pragmatisch orientierte Sprachforschung zur Rekonstruktion und Beschreibung des Sprachgebrauchs nicht mehr existierender Sprechergemeinschaften insbesondere folgende wichtige Faktoren: – Kommunikative Regeln, wie etwa die höfischen Sprachregelungen im Mittelalter. – Konversationsregeln und Konversationsmaximen, wie etwa die Regel des Schweigens und Sprechens in Alltagsgesprächen der Renaissance; – Kommunikative Interaktionsformen, wie etwa die Unterhaltungsformen zwischen Gesprächspartnern aus verschiedenem kulturellem und sozialem Habitus; oder Streitdialoge in bestimmten Gesellschaften bzw. Gruppen, wie etwa die Tradition von religiösen Streitdialogen; – Kommunikationsprinzipien, wie etwa das Prinzip der Schweigsamkeit in mönchischen Traditionen (z.B. Benediktinerregel) und das Prinzip der Gesprächigkeit in höfischen Konversationslehren, oder das Prinzip der Kürze in der höfischen Rede und seine unterschiedliche Begründung für Fürsten und Diener (Kürze als Majestätsbeweis vs. Kürze als Ehrfurchtsbeweis).
6.5.2
Die Theorie der pluridimensionalen Historiographie
Diese Theorie geht davon aus, dass eine Sprache in den unterschiedlichen Epochen stets aus einer Vielfalt verschiedener Sprachen besteht. Aus diesem Grund kann die sprachhistorische Entwicklung lediglich durch die Abfolge unterschiedlicher Konstellationen von Mehrsprachigkeit in einem bestimmten geographischen Raum dargestellt werden (cf. Wilhelm 2007, 79). Es handelt sich bei der Theorie der pluridimensionalen Historiographie um eine Betrachtungsweise, welche sich von der traditionellen Konzeption der
116 Sprachgeschichte als Entwicklungsgang einer Einzelsprache sehr stark distanziert. Beide Perspektiven lassen sich wie folgt einander gegenüberstellen: – Nach der traditionellen Perspektive, die teleologisch ausgerichtet ist, da die sprachlichen Fakten nur im Hinblick auf den Zielpunkt der nationalen Standardsprache (wie etwa des heutigen Italienisch oder Französisch) ausgewählt werden, wird die Existenz einer ‚sprachlichen Homogenität‘ im Raum (=autochthone Sprachform) als Grundlage angenommen. In der italienischen Sprachgeschichtsschreibung wird z.B. das Toskanische als Grundlage des italienischen Standards gedeutet. In der französischen Sprachgeschichtsschreibung lässt sich der französische Standard auf das sogenannte ‚Franzische‘ zurückführen, das in der Île-de-France gesprochen wurde. – Nach der pluridimensionalen Perspektive kann man hingegen zu keinem Zeitpunkt der Geschichte einer Sprache eine sprachliche Homogenität belegen, da in einem bestimmten geographischen Raum stets eine Sprachenvielfalt existiert. Das sogenannte ‚Franzische‘ war z.B. bereits Resultat eines frühen Koineisierungseffekts. Schon vor der Sprachform Franzisch waren z.B. scriptae anderer Regionen, vor allem Pikardisch, Champagnisch, Normannisch und Anglonormannisch, wesentlich aktiver (cf. Oesterreicher 2007, 17). Blickrichtung der pluridimensionalen Historiographie ist also nicht die Sprachgeschichte als Vorgeschichte des nationalen Standards, wie etwa die ‚Geschichte der italienischen Sprache‘, sondern die Vorgeschichte der Sprachvielfalt in einem bestimmten Raum, wie etwa ‚Sprachgeschichte Italiens‘ (=Sprachgeschichte des Territoriums X) (Wilhelm 2007, 82).
6.6
Die Grundfragen der historischen Pragmatik
Bei den Grundfragen der historischen Pragmatik handelt es sich in der Regel um gezielte Fragestellungen zur Rekonstruktion sprachlicher Fakten in den vergangenen Jahren/Jahrhunderten. Folgende Fragestellungen fassen die üblicherweise besprochenen Aspekte der Theorie der Sprachgeschichte als Kommunikationsgeschichte zusammen: – Welche Beziehung besteht zwischen dem Wandel von sprachlichen Formen und dem Wandel von sozialen und politischen Ereignissen? – Wie selegiert eine Diskurstradition (z.B. das höfische Gespräch) sprachliche Mittel zu bestimmten rhetorischen Zwecken (z.B. loben oder schmeicheln)? – Wie konstituiert sich ein Sprachmodus als Tradition, wie etwa die Tradition der Briefstellerei (ars dictandi) oder die Tradition von sexusdifferenzierenden Paarstrukturen als pragmatisches Verfahren (dt. Meine Damen und Herren; it. Signore e signori; frz. Mesdames et Messieurs)? – Warum sind bestimmte Sprechakte, wie etwa Rätselaufgaben, entstanden? – Welche Rolle spielt die lateinische Diskurstradition für die historische Pragmatik der romanischen Sprachen?
117 Bei den Grundfragen im Rahmen der Theorie der pluridimensionalen Historiographie handelt es sich meist um methodologische Fragestellungen. So wird etwa nach den möglichen Kriterien zur sprachlichen Rekonstruktion in einem geographisch bestimmten Raum gefragt. Es handelt sich dabei vor allem um Sach- und Forschungsprobleme, die bisher in der Romanistik nicht vollständig beantwortet sind. Folgende relevante Fragestellungen stammen aus Wilhelm (2005) und Oestereicher (2007): – Was soll/kann die historische Pragmatik untersuchen? – Welches Erkenntnisinteresse verfolgen wir mit der sprachhistorischen Rekonstruktion? – Wie wird der Beginn der sprachgeschichtlichen Darstellung angesetzt? Wann beginnt die Sprachgeschichte des ‚Französischen‘, des ‚Italienischen‘ usw.? Welche Periodisierungsmuster werden gewählt, wie werden sie begründet? – In welcher Form kann der Zielpunkt – beispielsweise die heutige Sprachsituation, deren Vorgeschichte wir rekonstruieren wollen – bestimmt werden? – Wie wird der Raum, in dem die interessierenden sprachgeschichtlichen Prozesse ablaufen, abgegrenzt und konzipiert? Wie werden dabei sogenannte interne und externe Kriterien gewichtet? – Welche Bedeutung kommt in der sprachgeschichtlichen Darstellung der Entwicklung zur Hoch- und Schriftsprache der Literatursprachenentwicklung zu; welchen Stellenwert besitzen in der Darstellung die anderen ausbaurelevanten Diskursuniversen (Recht, Verwaltung, Religion, Kirche und Katechese, Wissenschaft, Wirtschaft und Handel usw.)? – Auf welche Weise fassen wir unsere heutige sprachliche Situation auf, deren Vorgeschichte wir rekonstruieren wollen? – Wie wird eine Sprache in einem bestimmten kommunikativen Kontext verwendet? – Auf welche Weise konstituiert sich kulturelle Identität in solchen Gesellschaften, die nicht über eine einheitliche (‚National‘-)Sprache verfügen? – Wie funktioniert die Kommunikation in mehrsprachigen Gesellschaften bzw. Sprechergruppen?
6.7
Die Grundthesen der historischen Pragmatik
6.7.1 Die These der Diskurstradition als Resultat von Kommunikationsbedingungen Zur Beantwortung der Fragen Wie selegiert eine Diskurstradition (z.B. das höfische Gespräch) sprachliche Mittel zu bestimmten rhetorischen Zwecken […]?, Wie konstituiert sich ein Sprachmodus als Tradition, wie etwa die Tradition der Briefstellerei […]? bzw. Warum sind bestimmte Sprechakte […] entstanden? wird in der historischen Pragmatik die These vertreten, dass eine Diskurstradition sich aufgrund von sozialen, politischen und kulturellen Bedingungen bildet, welche in einem System von bereits traditionellen Verfahren existieren oder sich neu konstituieren (cf. Coseriu 1974, 128). Aus diesem Grund resultieren die verschiedenen Kommunikationsformen (wie etwa Sprechakte,
118 Textsorten, Ritualformen), welche sich als Tradition konstituieren, aus den unterschiedlichen Mischungsverhältnissen folgender extralinguistischer Bedingungsarten: – Soziale Bedingungen: Sie betreffen den Einfluss sozialer Faktoren auf die Realisierungsstrategien innerhalb einer Sprechergemeinschaft. Hierarchische Rollenverhältnisse (z.B. superior-par-inferior) sowie die hierarchischen Ordnungsprinzipien in der Gesellschaftsstruktur insgesamt bestimmen häufig die Kommunikationsund Konversationsregeln. Die höfischen Sprachregelungen des Mittelalters, die sich zum Teil bis heute erhalten haben, basieren z.B. auf den Ritualen der EgoErniedrigung vs. Alter-Erhöhung (z.B. „permettetemi ch’io possa, […] porre in fronte ad una delle mie Opere il vostro veneratissimo nome, concedendomi ch’io vi baci devotamente le mani“ (Goldoni 1751, 520) [ […] erlaubt mir, dass ich einem meiner Werke Euren verehrtesten Namen voranstellen möge, und gesteht mir zu, Euch untertänigst die Hand küssen zu dürfen, eigene Übersetzung]). Ein wichtiger Beleg zur Darstellung der hierarchischen Wertigkeit zwischen Sender und Empfänger ist etwa die Präzedenzregel, die in der syntaktischen Realisation der constructio politica (Objekt vor Subjekt) vorkommt. – Politische Bedingungen: Sie betreffen den Einfluss politischer Faktoren auf die Realisierungsstrategien innerhalb einer Sprechergemeinschaft. Ein interessantes Beispiel dafür stellt die Änderung des zweistufigen mittelalterlichen Pronominalsystems im Spanischen (tú-vos) dar, in dem vos zum Ausdruck von Respekt und Ehrerbietung verwendet wurde: Durch den Zerfall der Feudalgesellschaft und die Verarmung großer Teils des Adels nahm dieses Pronomen in der ersten Hälfte des 16. Jh. […] so negative Konnotationen an, dass es für einen echten Caballero als schwere Beleidigung galt, mit vos angesprochen zu werden (Bossong 2008, 96).
Aus politischen Faktoren resultiert beispielsweise auch die Verordnung des Directoire du Département de Paris, am 22. Brumaire des Jahres II (12. Nov. 1793), zum ausschließlichen Gebrauch des Duzens. Die Ideale der französischen Revolution (cf. égalité) und der Revolutionszeit bestimmten das Duzen als Ausdruck des Gleichheitsprinzips. Während der französischen Revolution war der Gebrauch von vous strengstens verpönt, er konnte 1793 sogar lebensgefährlich sein (da alle citoyens gleich waren). Auch die Verwendung von madame und monsieur galt als obsolet und wurde durch citoyen und citoyenne ersetzt. Erst unter Napoleon und in der Restaurationszeit kehrte das vous mit Macht zurück (cf. Radtke/Schlindwein 1993). – Kulturelle Bedingungen: Sie betreffen den Einfluss kultureller Faktoren auf die Realisierungsstrategien innerhalb von Sprechergemeinschaften und Diskursgemeinschaften (wie etwa die Diskursgemeinschaft der mittelalterlichen Dichter, der Notare, usw.). Der Grad des allgemeinen Wissens (Hintergrundwissen, Werte, Einstellungen), welcher in Diskursgemeinschaften besonders hoch und homogen zu vermuten
119 ist, bestimmt in besonderem Maße die Entstehung bzw. die Änderung von sprachlichen/schriftlichen Traditionen. Von der scuola siciliana (dt. sizilianische Dichterschule) um Friedrich II. ausgehend etabliert sich z.B. das Sonett als Textsorte.
6.7.2 Die These der Unterscheidung zwischen Sprachgemeinschaften und Diskursgemeinschaften Zur Rekonstruktion der Konventionen des Sprachgebrauchs und deren Veränderungen ist die Unterscheidung zwischen Sprachgemeinschaften und Diskursgemeinschaften fundamental. Diese These basiert auf der Auffassung, dass eine bestimmte Diskurstradition, wie etwa die Tradition der höfischen Lyrik (ab 1150), innerhalb einer Diskursgemeinschaft entsteht. Die Existenz sowie die Konstitution einer solchen Gemeinschaft sind prinzipiell unabhängig von Einzelsprachen bzw. Varietäten von Einzelsprachen. Zu den Diskursgemeinschaften schreibt Wilhelm: E ricchi materiali a questo proposito si possono trovare nel Medioevo romanzo, dove la scelta tra l’una e l’altra tradizione discorsiva comporta spesso l’uso di una determinata varietà linguistica, cosicché l’appartenenza alla comunità discorsiva è effettivamente, in molti casi, primaria rispetto all’appartenenza alla comunità linguistica. […] Soprattutto le attività comunicative, come la poesia o la scienza, possono in effetti fondare una identità di gruppo. Prendiamo l’esempio della poesia cortese. […] I trobadors e i loro imitatori costituiscono in questo senso sicuramente una comunità discorsiva. […] E l’esistenza di una tale comunità è indipendente dall’uso o dall’altra lingua o varietà (2011b, 162, cf. auch Koch 1994, 204). [Reichhaltiges Material hierzu findet sich im romanischen Mittelalter, da hier die Wahl zwischen dieser oder jener Diskurstradition oftmals die Verwendung einer bestimmten sprachlichen Varietät nach sich zieht. Folglich ist die Zugehörigkeit zu einer Diskursgemeinschaft, in vielen Fällen, effektiv der Zugehörigkeit zu einer Sprachgemeinschaft übergeordnet. […] So sind es vor allem kommunikative Tätigkeiten, wie Dichtung oder Wissenschaft, die eine Gruppenidentität begründen können. Als Beispiel sei die höfische Dichtung genannt. […] Die Trobadors und ihre Nachahmer stellen in diesem Sinne mit Sicherheit eine Diskursgemeinschaft dar. […] Und die Existenz einer solchen Gemeinschaft ist unabhängig von der Verwendung einer bestimmten Sprache oder Varietät. Eigene Übersetzung.]
Anmerkungen: Nach der vorausgehenden Auffassung zum grundsätzlichen Unterschied zwischen Sprachgemeinschaften und Diskursgemeinschaften eröffnet sich aber die Möglichkeit, solche Diskursgemeinschaften zu betrachten, deren Identität/Konstitution als Gruppe bzw. als Gemeinschaft auch von der Sprache abhängig ist. Als illustratives Beispiel sei hier die Diskursgemeinschaft der ‚scientia‘ angeführt: Die mittelalterlichen doctores waren zweisprachig. Aber keine der beiden Sprachen war eine ‚andere‘ oder gar ‚fremde‘. Die ‚eigentliche‘ Sprache der doctores war wohl eher das Lateinische (Trabant 2007, 320).
Wenn nun die ‚eigentliche‘ Sprache der Diskursgemeinschaft der doctores das Lateinische war, kann man davon ausgehen, dass die lateinische Sprache die Entstehung einer Sprachgemeinschaft der doctores ermöglicht hat. Daraus ergibt sich, dass eine deutliche
120 Trennung zwischen Sprachgemeinschaft und Diskursgemeinschaft lediglich dann methodologisch relevant wird, wenn die Konventionen des Sprachgebrauchs nicht mit den Normen und Regeln einer bestimmten Einzelsprache zusammenhängen. Wenn aber die Konventionen des Sprachgebrauchs und deren Veränderungen im Lauf der Zeit mit den Normen und Regeln einer bestimmten Einzelsprache in Verbindung stehen, dann ist eine solche scharfe Trennung zwischen Sprachgemeinschaft und Diskursgemeinschaft methodologisch weder möglich noch sinnvoll. Zahlreiche mittelalterliche Diskurstraditionen (wie etwa juristische Texte) setzen beispielsweise bestehende lateinische Sprachnormen und Sprachregeln thematisch und textstrukturell fort. Und zahlreiche romanische Texte werden mit den im Lateinischen der Zeit geläufigen Gattungsnamen kategorisiert (cf. Frank-Job 2004; Frank/Hartmann 1997). In solchen Fällen sind Traditionsübernahme, Traditionsbildung sowie die Ausdifferenzierung von Traditionen lediglich durch die Zusammenbetrachtung von Sprachgemeinschaft und Diskursgemeinschaft möglich.
6.7.3 Die These der Mehrsprachigkeit im Raum Zur Beantwortung der grundlegenden Fragen Was soll/kann die historische Pragmatik untersuchen? Welches Erkenntnisinteresse verfolgen wir mit der sprachhistorischen Rekonstruktion? wird die Auffassung vertreten, dass die historische Pragmatik ihre Aufmerksamkeit auf die Mehrsprachigkeit im Raum lenken soll. Eine solche Auffassung beruht auf der These, dass ein geographisch bestimmter Raum sich aus dem Nebeneinander verschiedener Sprachen konstituieren kann, die ihrerseits wieder unterschiedlich strukturierte Varietätenräume aufweisen. Daraus ergeben sich mehrsprachige Gesellschaften bzw. mehrsprachige Sprechergruppen, welche aus komplexen mehrsprachigen Kommunikationssituationen resultieren. Diese These kann man insbesondere für den geographischen Raum Lombardei vertreten, wie die Studie Perspektive einer Sprachgeschichte der Lombardei (2007) von Wilhelm deutlich belegt. Die Lombardei stand seit dem 16. Jh. „in mehr oder weniger raschem Wechsel unter französischer, spanischer, österreichischer, wiederum französischer, wiederum österreichischer und schließlich unter italienischer Verwaltung“ (Wilhelm 2007, 96). Die Verwendung der einen oder anderen Sprache ergab unterschiedliche Konstellationen von Mehrsprachigkeit, welche mit bestimmten Diskurstraditionen verbunden waren. Die poetische Verwendung des Dialekts wurde z.B. durch die mehrsprachige Situation gefördert. Gegenstand einer Sprachgeschichte soll aus diesem Grund die Bestimmung der Abfolge unterschiedlicher Konstellationen der Mehrsprachigkeit sein, die zur Erkenntnis der Geschichte von Diskurstraditionen führt.
6.8
Die Methoden der historischen Pragmatik
„Angaben zur Methode sind in bisherigen forschungsgeschichtlichen oder program-matischen Artikeln sehr vage. In Jucker/Fritz/Lebsanft (1999, 2) wird ausgesagt, dass die
121 historische Pragmatik in der Romanistik keine festgelegte Methodologie besitzt“ (Weidenbusch 2005, 109). Das Fehlen einer eigenständigen Methodologie hängt prinzipiell mit der generellen Tendenz zusammen, auf Modelle und Untersuchungsmethoden der synchronen Sprachpragmatik zu rekurrieren. Man überträgt beispielsweise eine Untersuchungsmethode zum Sprachgebrauch zeitgenössischer Sprechergemeinschaften auf Texte, die Sprachgebrauch und Interaktionsformen nicht mehr existierender Sprechergemeinschaften dokumentieren. Wenn aber Texte bzw. Diskurstraditionen der Vergangenheit Gegenstand einer pragmatischen Untersuchung werden sollen, so stellt die Auswahl des tertium comparationis eine große Schwierigkeit dar. Denn die Selektion beispielsweise eines Sprechaktes (wie etwa des Aufforderns) als tertium comparationis erfolgt notwendigerweise nach einer gegenwärtigen Interpretation in einer bestimmten Sprachund Kulturgemeinschaft. Zwischen dem heutigen Auffordern und dem mittelalterlichen Auffordern bestehen aber auf eine Einzelsprache bezogen sehr wahrscheinlich große Unterschiede. Über diese Problematik schreibt Weidenbusch: Einige Kommunikationsmaximen können zwar eine universelle Gültigkeit besitzen, allerdings ist ihr Allgemeinheitsgrad derartig hoch, dass er als tertium comparationis für vergleichende pragmatische Untersuchungen nicht tauglich ist. Eine weitere Schwierigkeit ergibt sich bei der Interpretation der Texte und der Zuordnung der illokutiven Funktion einer Äußerung (Weidenbusch 2005, 103).
Als illustratives Beispiel zur Schwierigkeit bei der Interpretation von Diskurstraditionen der Vergangenheit stellen wir die Tradition des Rätselaufgebens im Französischen und Italienischen dar. Bei folgenden Beispielen taucht stets das Frage-Antwort-Paar auf, welches bereits in lateinischen Texten vorkommt: –
lat. Cur igitur … senatus … decrevit? Quia nulla vis umquam est in libera civitate suscepta inter civis […]. (Cic. Pro Mil. 13; zit. nach Scherer 1975, 166) [Warum also … hat der Senat … per Dekret bestimmt? Weil in einer freien Stadt/Gemeinde niemals Gewalt zwischen Bürgern existiert]
–
afrz. Et maintenant le revesti Notre Sires, et sez tu de quoi? De pacience et d’umilité. (La Queste del Saint Graal. Roman du XIII siècle, 158) [Und nun stattete unser Gebieter [d.i. Jesucrist], ihn [d.i. Lancelot] aus, und weißt du, womit? Mit Geduld und Demut.]
–
mfrz. Qui fut bien esbahy et perplex? Ce fut Gargantua (Rabelais 1532, Pantagruel, 240) [[Als Pantagruel geboren wurde], wer war da ziemlich erschrocken und perplex? [Sein Vater] Gargantua].
–
nfr. Qu’est-ce que je vois tout d’un coup devant nous, sur la route? Un petit homme […] (Alain-Fournier 1989, Le Grand Meaulnes 309) [Was sehe ich urplötzlich vor uns auf dem Weg? Einen kleinen Mann.]
–
ait. Che fecero i tre cavalieri, vedendo che messer Polo li seguitava troppo? Rimuraro mezzo l’uscio d’un loro palagio (Novellino e Conti del duecento, XLI, 123).
122 [Was machten die drei Kavaliere (Ritter), als sie sahen, wie Messier Polo sie zusehends verfolgte? Sie mauerten den Zugang zu einem ihrer Paläste zur Hälfte zu.] –
neuit. Si voltò su e che cosa vide? Vide la sua parrucca gialla (Pinocchio 1883, 13) [Er schaute auf, und was sah er? Er sah seine gelbe Perrücke]
Selbst wenn das Frage-Antwort-Paar als charakteristischer Beleg für die Diskurstradition des Rätselaufgebens gilt, bleibt die soziale Bewertung des Sprechaktes und seiner Glücksbedingungen durch die Jahrhunderte hinweg im Wesentlichen unergründlich.
6.9
Literatur
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125 Internetquellen: Call for Abstracts zur Tagung Face Work und Social Media 2013. Online unter: www.uni-hildesheim.de/index.php?id=7583 (zuletzt abgerufen am 5.12.2012.).
Empfohlene Lektüre (2003) Wilhelm, Raymund: „Von der Geschichte der Sprachen zur Geschichte der Diskurstraditionen. Für eine linguistisch fundierte Kommunikationsgeschichte“, in: Aschenberg, Heidi/Wilhelm, Raymund (ed.): Romanische Sprachgeschichte und Diskurstraditionen, Tübingen: Narr, 221–236. (2005) Schrott, Angela/Harald Völker: „Historische Pragmatik und historische Varietätenlinguistik. Traditionen, Methoden und Modelle in der Romanistik“, in: Schrott, Angela/Harald Völker (ed.): Historische Pragmatik und historische Varietätenlinguistik in den romanischen Sprachen, Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 1–24. (2005) Weidenbusch, Waltraud: „Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen einer historischen Pragmatik“, in: Schrott, Angela/Völker, Harald (ed.): Historische Pragmatik und historische Varietätenlinguistik in den romanischen Sprachen, Göttingen: Universitätsverlag Göttingen, 101–114.
6.10
Aufgaben
1. Worin liegt der wesentliche Unterschied/Perspektivwechsel der Sprachpragmatik im Vergleich zu allen vorangegangenen linguistischen Beschreibungsansätzen? 2. Bitte versuchen Sie, in der folgenden sprachlichen Äußerung (bzw. den entsprechenden Äquivalenten in den romanischen Sprachen) jeweils den lokutionären, propositionalen, illokutionären und perlokutionären Akt zu bestimmen und zu beschreiben: Ich verspreche Dir, morgen zu Deiner Party zu kommen. 3. Welche Reaktionsmöglichkeiten hat ein Sprecher A, wenn sein perlokutionärer Akt scheitert, d.h. wenn der von ihm ursprünglich intendierte perlokutionäre Effekt nicht eintritt, weil Sprecher B die Reaktion verweigert bzw. anders reagiert als erwartet? (z.B.: A: Reichst du mir bitte die Butter? B: Hol’ sie dir doch selber!; A: Kommst du heute mit in die Disco? B: Ich tanze nicht gern./Ich hasse Tanzen!; A: Was machst du heute Abend? B: Das geht dich nichts an!) 4. Drückt man sich Ihrer Meinung nach im Deutschen oder im Französischen/Italienischen/Portugiesischen/Spanischen „direkter“ aus? Bitte belegen Sie Ihre Einschätzung mit einigen Beispielen. Denken Sie dabei z.B. an Aufforderungs- oder Bittsituationen oder auch an Verabschiedungen (evtl. mit dem Vorschlag eines erneuten Treffens). Was sagt man in den einzelnen Sprachen und was ist jeweils gemeint? 5. Wie lässt sich folgender kurzer Dialog mithilfe des Kooperationsprinzips und der konversationalen Implikaturen von Grice erklären? – A: Kommst Du heute Abend mit, wir treffen uns bei Markus? – B: Och nein, ich mag keine Horrorfilme. 6. Welche Höflichkeitsregeln galten in unterschiedlichen Epochen? Versuchen Sie, einige Beispiele zusammenzutragen.
126 7. Was sind Ihres Erachtens die jeweiligen Vor- bzw. Nachteile einer teleologisch ausgerichteten Sprachgeschichtsforschung einerseits und der pluridimensionalen Perspektive auf die Sprachgeschichte andererseits? 8. Wie haben sich die sprachlichen Mittel zum Ausdruck des Lobes im Laufe der Zeit verändert? Welche Textsorten haben primär die Funktion des Lobens?
7.
Sprache(n) als Abbild des Denkens – Theorien und Methoden der romanischen kognitiven Linguistik
7.0
Überblick
In dieser Einheit geht es um die Theorien und Methoden der kognitiven Linguistik, wie sie sich ab Ende des 20. Jhs., entwickelt haben. Seit den 1970er Jahren hat die Linguistik einen revolutionären Paradigmenwechsel erlebt. Sprachen werden von Sprachwissenschaftlern weltweit nicht mehr als – gewissermaßen unabhängige – biologische Organismen gedeutet, sondern als Teil eines umfassenden kognitiven Systems. Die Metapher SPRACHE(N) als ABBILD DES DENKENS bestimmt die Konzeption der kognitiven Linguistik und weist auf die enge Korrelation zwischen Sprache und Denken hin. Auch in unserer Redepraxis taucht diese metaphorische Verbindung in unterschiedlicher Form immer wieder auf. So wird z.B. von halb ausgedrückten Gedanken gesprochen oder von scharfsinnigen Worten bzw. vom Scharfsinn seiner Worte. Man sagt in seinen Worten spiegeln sich Trauer und Verzweiflung wider. Es heißt, das Denken kann im Reden umgesetzt werden und der gedankliche Faden kann beim Reden verloren gehen. Heinrich von Kleist leitet seinen Aufsatz „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (ca. 1805–1806, postum veröffentlicht 1878) unter Bezugnahme auf ein Sprichwort ein: „Der Franzose sagt, l'appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert, und sagt, l'idée vient en parlant“ (Kleist, 91993, 319). Im Folgenden führt er weiter aus: „Ein solches Reden ist wahrhaft lautes Denken. Die Reihen der Vorstellungen und ihrer Bezeichnungen gehen nebeneinander fort, und die Gemütsakte, für eins und das andere, kongruieren. Die Sprache ist alsdann keine Fessel, etwa wie ein Hemmschuh an dem Rade des Geistes, sondern wie ein zweites mit ihm parallel fortlaufendes, Rad an seiner Achse.“ (ibid., 322) Schließlich bezeichnet bereits Platon das Denken als „Rede der Seele mit sich selbst“ (Sophistes, 263 e 3–5). Die Konzeption der Sprache als Teil eines kognitiven Systems, welches durch Erfahrungs- und Erkenntniswerte geprägt ist, wird auch in benachbarten Disziplinen wie der Psychologie, der Sprachphilosophie oder der Neurologie stark vertreten, sodass sich in den letzten Jahren eine sehr enge und produktive Forschungskooperation zwischen unterschiedlichen Fachrichtungen ergeben hat. Die Prototypentheorie (ca.1975) bspw., die als Grundlage der linguistischen Prototypensemantik und der kognitiven Semantik gilt, ist in der Psychologie entstanden. Die Theorie der konzeptuellen Metaphern (1980, welche die Sprache als System von Metaphern im menschlichen Denken postuliert und die These vertritt, dass Menschen grundsätzlich in Metaphern denken, resultiert aus der wissenschaftlichen Kooperation zwischen einem Linguisten, George Lakoff, und einem Philosophen, Mark Johnson. In der (deutschen) Romanistik haben insbesondere die deutschen Sprachwissenschaftler Andreas Blank (1961–2001) und Peter Koch wesentlich dazu beigetragen, dass die Theorien und Methoden der kognitiven Linguistik An-
128 wendung finden und u.a. auch als Ausgangspunkt für diachronische Sprachanalysen dienen. Die Theorie der kognitiven Universalien als Grundlage des Bedeutungswandels ist Blank und Koch zu verdanken. Die Metapher SPRACHE als ABBILD DES DENKENS schließt auch die Vorstellung der Sprache als Verknüpfung von Konzepten mit ein, welche im Langzeitgedächtnis nicht isoliert abgespeichert werden, sondern durch verschiedene Relationen aufeinander bezogen sind und mentale Schemata repräsentieren. Diese Auffassung gilt als Grundlage der Theorien der mentalen Repräsentation. Abb. 7.1 verdeutlicht das Hinzukommen der konzeptuellen Metapher SPRACHE als ABBILD DES DENKENS in der Entwicklung der romanischen Sprachwissenschaft ab dem 19. Jh. Aus dem Blickwinkel dieser neuen Metapher können nun unterschiedliche Aspekte betrachtet werden, welche zuvor mithilfe der ursprünglichen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS beschrieben wurden. SPRACHE als
SPRACHE als ABBILD DES DENKENS ca. ab Ende des 20. Jhs.
LEBENDIGER ORGANISMUS
FAMILIE ca. ab Anfang des 19. Jhs.
HERKUNFT ca. ab Ende des 19 .Jhs.
RAUM ca. ab Anfang des 19. Jhs.
INNERE STRUKTUR
ca. ab den 20er Jahren des 20. Jhs.
HANDLUNG ab den 60er/70er Jahren des 20. Jhs.
ARCHITEKTUR ca. ab Mitte des 20. Jhs.
Abb. 7.1: Das Hinzukommen der der konzeptuellen Metapher SPRACHE als ABBILD DES DENKENS
7.1
Theorien der kognitiven Linguistik
Im Rahmen von Theorien der kognitiven Linguistik wird Sprache bzw. werden Sprachen insgesamt als Abbild des kognitiven Systems konzipiert, woraufhin Kategorisierungsprozesse sowie mentale Verarbeitungen bei der Sprachproduktion thematisiert werden. Solche Theorien postulieren gemeinsam, dass die Sprechfähigkeit des Menschen ein spezifischer Teil der Kognition [ist]: Sie ist eine humanspezifische mentale Fähigkeit, die konstitutiv für viele unserer allgemeinen kognitiven Fähigkeiten ist. In diesem Sinne ist Kognition der allgemeinere Begriff und inkludiert Sprache (Schwarz 1992, 36).
129 Die operativen Einheiten der Kognition sind die ‚Konzepte‘ (=mentale Vorstellungen, geistige Einheiten). Sie repräsentieren Erfahrungs- und Erkenntniswerte und sind im kognitiven System aufeinander bezogen. [Den Konventionen der kognitionswissenschaftlichen Darstellungsweise folgend, werden Konzepte mittels Großbuchstaben angezeigt.] Die Konzeption der SPRACHE als ABBILD DES DENKENS hat zur Entwicklung unterschiedlicher Theorien, wie etwa der Prototypensemantik, der Theorie der mentalen Repräsentation, der Theorie der konzeptuellen Metaphern und der Emotionstheorie, geführt. Diese außerhalb der Romanistik entwickelten Theorien bilden ihrerseits den Ausgangspunkt der Theorie der kognitiven Universalien als Grundlage des Bedeutungswandels, die in der deutschen Romanistik entstanden ist.
7.1.1 Die Theorie der Prototypensemantik Die Theorie der Prototypensemantik gilt als die erste Theorie der kognitiven Linguistik und als „Ursprung des kognitiven Paradigmenwechsels in der Linguistik“ (Blank 2001, 44). Die Sprachwissenschaft verwendet den Begriff ‚Prototyp‘ in Anlehnung an die Psychologie, insbesondere an die Definition der amerikanischen Psychologin Eleanor Rosch. Sie bezeichnet den Prototyp in Cognitive reference points (1975) als den eindeutigsten Vertreter und das beste Beispiel für eine natürliche Kategorie (wie etwa dt. ‚Rotkehlchen‘ als Prototyp für die Kategorie ‚Vögel‘). Der Prototyp organisiert die innere Struktur der Kategorie, denn er determiniert die mentale Anordnung in einer Rangfolge, die sich von den besten zu den weniger guten Beispielen erstreckt. Abb. 7.2 (nächste Seite) zeigt die innere Struktur der Kategorie Vögel, in der das Rotkehlchen im Zentrum der Struktur steht, während Strauß und Pinguin sich am Rande befinden. Im Unterschied zur Prototypentheorie der Psychologen, welche den Begriff ‚Prototyp‘ als natürliche, mentale Repräsentation auffasst, konzipiert ihn die Prototypensemantik in seiner engen Verbindung zur lexikalischen Bedeutung in einer bestimmten Einzelsprache. Die Prototypensemantik wird in ihrer Standardversion generell als Theorie der sprachlichen Bedeutung, insbesondere der Wortbedeutung aufgefasst (cf. Kleiber 1990, 6). Die Bedeutung eines Wortes kann als „psychische Repräsentation des besten Exemplars bzw. als Begriff seines prototypischen Objekts definiert werden, […] da es die Eigenschaften besitzt, die für die entsprechende Kategorie als typisch gelten“ (Kleiber 1993, 41ff.). Was unsere Wahrnehmung und Erfahrung als typisch bzw. nicht typisch ansieht, wird davon determiniert, welche Eigenschaften in einer bestimmten Sprach- und Kulturgemeinschaft generell als (stereo)typisch (=allgemein festgelegt/feststehend; von gr. ıIJİȡİȩȢ [stereós] ‚starr, fest‘ und IJȪʌȠȢ [týpos] ‚Gestalt‘) gelten. In der deutschen Kulturgemeinschaft sind bspw. der ‚spitze Schnabel‘ oder das ‚Legen von Eiern‘ typische und konstitutive Eigenschaften für die Kategorie Vögel.
130
Abb. 7.2: Darstellung der Kategorie Vögel (nach Aitchison 1997, 68)
Andere Eigenschaften, wie etwa das Federkleid oder die Flugfähigkeit, sind hingegen nicht konstitutiv. Dies ist der Grund, warum der Strauß bspw. im Allgemeinen, wenn auch nur am Rande der inneren Struktur, zur Kategorie Vögel gerechnet wird, obwohl er nicht fliegen kann (cf. Gabriel/Meisenburg 2007, 178). Daraus folgt, dass die Bedeutung eines Wortes sich nicht auf der Basis von Expertenwissen (etwa über Vögel) ergibt, sondern auf der Basis von gemeinsamen Stereotypen. Das Verständnis des Begriffes, das eine Person von Rotkehlchen oder von Pinguin hat, enthält die Vorstellungen dieser Person hinsichtlich dessen, was man im Allgemeinen über Rotkehlchen oder Pinguine sagen könnte (cf. Wierzbicka 1985, 215). Die Prototypensemantiker haben treffend beobachtet, dass eine lexikalische Bedeutung in einer bestimmten Einzelsprache auf verschiedene Kategorien verweisen kann. So verweist bspw. das deutsche Wort ‚Vogel‘ nicht nur auf die Kategorie Vögel, sondern auch auf die Kategorie Flugzeuge und auf die Kategorie Menschen (im Sinne von ‚komischer Mensch‘). Selbst wenn ein ‚Flugzeug‘ bzw. ein ‚komischer Mensch‘ nur im übertragenen Sinne als ‚Vogel‘ bezeichnet werden, ist das Lexem ‚Vogel‘ in der deutschen Sprache dadurch nicht ausschließlich der Oberkategorie Tiere zuzuordnen. Diese Beobachtung gilt als Grundlage der semiologisch ausgerichteten Theorie der semantischen Struktur polysemer Lexeme, welche Kleiber als erweiterte Version der zunächst onomasiologisch vorgehenden Theorie der Prototypensemantik bezeichnet und wie folgt beschreibt: Die erweiterte Version [der Theorie der Prototypensemantik] stellt in diesem Fall keine Theorie der Kategoriestruktur mehr dar, sondern eine Theorie der semantischen Struktur polysemer Lexeme. Sie zeigt nicht, wie eine Kategorie (oder ein Begriff) strukturiert sein kann,
131 sondern wie ein Wort auf verschiedene Kategorien verweisen kann, ohne dass man die Existenz einer gemeinsamen Kategorie postulieren muss, die diese verschiedenen Kategorien umfasst (Kleiber 1993, 130).
7.1.2 Die Theorie der mentalen Repräsentation Zu den bedeutendsten Theorien der kognitiven Linguistik gehört die Theorie der mentalen Repräsentation, welche die Verbindung von Konzepten (=geistigen Einheiten) mit konkreten Situationen und Handlungen in der Wirklichkeit postuliert. Solche Konzepte werden im Langzeitgedächtnis nicht isoliert festgehalten, sondern durch verschiedene Verknüpfungen miteinander verbunden und abgespeichert. Diese mentalen Verknüpfungen stellen eine geistige Referenzstruktur in unserem Gedächtnis dar, die eine bestimmte Realität (auch fiktive Realität) repräsentieren. Auf diese Weise können solche etablierten mentalen Repräsentationen – die mit dem Begriff ‚Schemata‘ (auch Frames, Rahmen, Skripts, Szenarien, mentale Schemata, mentale Modelle bzw. Textweltmodelle etc.) bezeichnet werden – in Sprache verwandelt werden. Wenn wir bspw. Märchen gelesen haben, ist in unserem Gedächtnis ein komplexes Modell gespeichert, in dem die involvierten Personen, mit ihren diversen Beziehungen und Handlungen, als Held-OpferBösewicht kognitiv repräsentiert werden. Held, Opfer und Bösewicht werden zu typischen Konstituenten eines mentalen Modells (in der kognitiven Linguistik als ‚MärchenModell‘ bezeichnet), das wie in Abb. 7.3 (nächste Seite) dargestellt werden kann: Wie auch einzelne Konzepte, sind solche mentalen Modelle nicht mit einem einzigen spezifischen Erfahrungszusammenhang (hier: Märchen) verknüpft, sondern liefern Informationen zum Aufbau von weiteren konzeptuellen Verknüpfungen mit anderen Erfahrungszusammenhängen. So stellt bspw. das Märchen-Modell eine geistige Referenzstruktur für politische Handlungen dar: Zur Rechtfertigung des Irak-Krieges im Jahre 1990 hat bspw. der US-Präsident Bush durch seine Sprachverwendung die Vereinigten Staaten als Held, Kuwait als Opfer und Saddam Hussein als Bösewicht dargestellt: This conflict started August 2nd when the dictator of Iraq invaded a small and helpless neighbor. Kuwait – a member of the Arab League and a member of the United Nations – was crushed; its people, brutalized. Five months ago, Saddam Hussein started this cruel war against Kuwait. Tonight, the battle has been joined. [...] The legitimate government of Kuwait will be restored to its rightful place, and Kuwait will once again be free. Iraq will eventually comply with all relevant United Nations resolutions, and then, when peace is restored, it is our hope that Iraq will live as a peaceful and cooperative member of the family of nations, thus enhancing the security and stability of the Gulf. [...]While the world waited, Saddam Hussein systematically raped, pillaged, and plundered a tiny nation, no threat to his own. He subjected the people of Kuwait to unspeakable atrocities – and among those maimed and murdered, innocent children (Bush 1991).
Wie das Beispiel deutlich zeigt, werden durch sprachliche Repräsentationen konzeptuelle Informationsknoten über Gegenstände, Sachverhalte oder Handlungen, miteinander verbunden. Diese Informationsknoten stellen die grundlegenden Einheiten unseres Wissens dar (cf. Schwarz-Friesel 2007, 37ff.).
132
Abb. 7.3: Das Märchen-Modell
7.1.3 Die Theorie der konzeptuellen Metaphern Laut der Theorie der konzeptuellen Metaphern, deren profilierteste Vertreter Lakoff und Johnson sind, ist die Sprache als System von Metaphern im menschlichen Denken zu verstehen. In ihrer 1980 publizierten Monografie Metaphors we live by wird betont: Unser alltägliches Konzeptsystem, nach dem wir sowohl denken als auch handeln, ist im Kern und grundsätzlich metaphorisch (Lakoff/Johnson 1980/dt. 2003, 11).
Konzeptuelle Metaphern ergeben sich aus der kognitiven Verbindung zwischen zwei verschiedenen ‚konzeptuellen Domänen‘, wie etwa SPRACHE(N) (X) und LEBEWESEN (Y), von denen die eine (X) als Zielbereich (target domain, auch Zielkonzept, Bildempfänger genannt) und die andere (Y) als Ursprungsbereich (source domain, auch Quellkonzept, Bildspender) der metaphorischen Übertragung (metaphorical mapping) fungiert. Auf diese Weise wird der Zielbereich (Sprache) in Analogie zum Ursprungsbereich (Lebewesen) konzeptualisiert. Die dadurch etablierte Koppelung ermöglicht es, „X als Y“ zu verstehen. Ausdrücke wie etwa „der Tod einer Sprache“ bzw. „die Sprachen wachsen“ zeigen deutlich, dass sich in alltäglichen Metaphern systematische Koppelungen zwischen unterschiedlichen Bereichen unserer Erfahrung widerspiegeln (cf. Schwarz-Friesel 2007, 37). Abb. 7.4 (nächste Seite), die in Einheit 2 bereits dargestellt wurde, illustriert eine solche mentale Repräsentation. Die Erkenntnis, dass solche konzeptuellen Verbindungen sich in der Sprache abbilden, findet sich bereits in Weinrichs „Münze und Wort“ (1958) (cf. Kapitel 4). Die Tatsache, dass abstrakte Konzepte (wie etwa SPRACHE) mit den Wörtern konkreter Konzepte (wie etwa LEBEWESEN) verbalisiert werden (und nicht umgekehrt), ist auf unsere Kognition zurückzuführen. Wie konzeptuelle Metaphern unser alltägliches Leben, unsere Wahrnehmung der Welt prägen, lässt sich am Beispiel der Kriegs(metaphern) veranschaulichen, die unsere Vorstellung bestimmter Krankheiten beherrschen. Krebserkrankungen werden bspw. in der abendländischen Kultur als ‚Invasion‘ körperfremder Organismen konzeptualisiert,
133 auf die der Körper mit einigen militärischen Operationen reagiert. Der Körper mobilisiert seine immunologischen ‚Abwehrkräfte‘, und die Medizin wird – denkt man etwa an eine Chemotherapie – als ‚aggressiv‘ bezeichnet. Die amerikanische Essayistin Susan Sontag (1933–2004) hat 1989 in ihrer Studie Aids und seine Metaphern zahlreiche illustrative Beispiele für diese Kriegs-Metaphern aufgeführt. So wird bei Aids-Erkrankungen bspw. das Immunsystem als ‚Krieger‘ wahrgenommen: Der Eindringling ist sehr, sehr klein, nicht größer als der sechzehntausendste Teil eines Stecknadelkopfes [...] Das Immunsystem mobilisiert ein Truppenaufgebot von Zellen, die u.a. Antikörper zur Bekämpfung der Gefahr produzieren. Das Aids-Virus ignoriert zielstrebig viele der Blutzellen, die sich ihm in den Weg stellen, entkommt den rasch vorrückenden Verteidigern und steuert automatisch den Hauptkoordinator des Immunsystems an, eine Helfer-Zelle [...] (Sontag 1989, 19f.).
Vergleicht man, mit welchen Wörtern und Sätzen in verschiedenen romanischen Sprachen über Krankheiten gesprochen wird, so wird sehr deutlich, dass die Herstellung einer Analogie zum Krieg eine besondere Rolle spielt. Bei folgenden Beispielen handelt es sich um authentische Belege aus verschiedenen Zeitungsartikeln: it. forze di difesa; abbassare le difese; la difesa dell‘organismo; protezione dell‘organismo; lotta al cancro; la febbre colpirà; un‘invasione di batteri frz. la défense de l'organisme; les procédés naturels dont l'organisme dispose pour se protéger des aggressions microbiennes, de l'infection; abaissement des défenses immunitaires
Abb. 7.4: Konzeptuelle Metapher SPRACHE als LEBEWESEN
7.1.4 Die Emotionstheorie Nach der Emotionstheorie sind Sprache und Emotionen im Gedächtnis eng miteinander verflochten und stehen in einer „prozessualen Wechselwirkung bei der mentalen Verarbeitung von Informationen“ (Schwarz-Friesel 2007, 2). Kognitive Repräsentationen und Prozesse werden maßgeblich von emotionalen Faktoren beeinflusst. Emotionen sind deswegen als konstitutive bzw. determinierende Bestandteile sprachlicher Prozesse zu verstehen. Emotionale Einstellungen werden in der kognitiven Linguistik als individuell,
134 aber zugleich als sozial charakterisiert. Denn sie hängen mit konzeptuellen und kulturellen Bewertungsrepräsentationen zusammen, welche von Erfahrungswerten, Sachverhalten, Vorgängen, Gruppenzugehörigkeit etc. bestimmt sind. Aus diesem Grund sind auch die Benennungen von Emotionen und das Bedeutungsspektrum von explizit emotionsausdrückenden Wörtern einzelsprachlich gebunden. Während bspw. das Deutsche zwischen Zorn, Wut, Empörung und Entrüstung unterscheidet, differenziert das Italienische zwischen it. collera, ira, rabbia, furore, sdegno und indignazione. Die Konstitution des Bedeutungsspektrums von einzelsprachlichen Emotionsbenennungen hängt auch davon ab, ob ein sprachliches Zeichen neben einer emotionalen eine nicht-emotionale Bedeutung besitzt. Der deutsche Linguist Norbert Fries zeigt in seiner Studie „De ira“ (2003), wie emotionsbedingte Restriktionen den Unterschied zwischen dt. Zorn und Wut bestimmen: Im Gegensatz zu Zorn besitzt Wut neben einer emotionalen eine nicht-emotionale Bedeutung , wie sich bspw. in der unterschiedlichen Bedeutung von Phrasen wie mit Wut an die Arbeit gehen und vor/aus Wut an die Arbeit gehen zeigt. Dieses unterschiedliche Bedeutungsspektrum restringiert auch die Begriffsbildungsmöglichkeiten mit den Bestandteilen zorn bzw. wut: Während bspw. die produktiven wut-Bildungen (cf. Arbeitswut, Bauwut, Bekehrungswut, Kaufwut, Konsumwut, Lesewut, Musizierwut, Putzwut, Reformwut, Regulierungswut, Sammelwut, Vernichtungswut, Verordnungswut usw.) eine nicht-emotionale Bedeutung codieren, ist dies bei Bildungen mit zorn als Letztglied nicht möglich (?? Bauzorn, ?? Sammelzorn, ?? Reformzorn usw.). Dass Wut nicht notwendig auf emotionale Bedeutungsaspekte festgelegt ist, zeigt sich zudem darin, dass leblosen Objekten Wut zugeschrieben werden kann (Wut des Sturmes; Wut der Elemente). Eine nicht-emotionale Bedeutungsvariante ist ebenso für Ableitungen wie wüten, wütend, -wütig konstatierbar (Die Inflation wütet mit einer Rate von mehr als 13Prozent [Saarbrücker Zeitung, 6.12.1979, S. 2]; wütende Schmerzen; heiratswütig, tanzwütig) (Fries 2003, 115).
Der deutsche Sprachwissenschaftler Reinhard Fiehler entwickelt in Kommunikation und Emotion. Theoretische und empirische Untersuchungen zur Rolle von Emotionen in der verbaler Interaktion (1990) eine Methodik der Emotionsanalyse anhand folgender Regeln: – Emotionsregeln: Sie setzen „relevante Typen sozialer Situationen direkt in Beziehung (...) mit bestimmten sozialen Emotionskategorien, die diesen Situationen normalerweise ‚entsprechen‘, d.h. in ihnen sozial erwartbar sind“ (Fiehler 1990, 77). – Manifestationsregeln: „Sie regeln, in welcher Situation welches Gefühl (wie intensiv) zum Ausdruck gebracht werden darf oder muss“ (ibid., 78). (z.B. Empörung ĺ Schimpfen, Protestieren) – Korrespondenzregeln: „Wenn ich in einer Situation meinen Interaktionspartner als spezifisch emotional
135 deute (z.B. verzweifelt, wütend, fröhlich), kodifizieren diese Regeln, welche korrespondierenden Emotionen bzw. welche korrespondierenden Manifestationen bei mir angemessen und sozial erwartbar sind“ (ibid., 79). – Kodierungsregeln: Diese beziehen sich auf die soziale Manifestation von Emotionen, d.h. Typen sprachlicher (bzw. auch nichtsprachlicher) Mittel für das „Ausdrücken“ oder „Thematisieren“ von Emotionen (ibid., 80).
7.1.5 Die Theorie der kognitiven Universalien als Grundlage des Bedeutungswandels Nach dieser Theorie, welche von den deutschen Romanisten Blank und Koch zusammen entwickelt wurde und in den Studien „Ein Blick auf die unsichtbare Hand: Kognitive Universalien und historische romanische Lexikologie“ (2005) sowie „Romanische Sprachwissenschaft und diachronische kognitive Linguistik – eine Wahlverwandtschaft?“ (2006) ausführlich dargestellt wird, beruhen die verschiedenen Arten des Bedeutungswandels (Bedeutungserweiterung und Bedeutungsverengung) auf fundamentalen, sprachunabhängigen, kognitiven Konstanten. Es handelt sich dabei um die seit Aristoteles bekannten assoziativen Relationen Similarität/Kontrast und Kontiguität sowie um taxonomische Relationen. Die konzeptuell-perzeptuellen Relationen der Kontiguität und Similarität werden als die fundamentalsten Größen unserer Wirklichkeitserfassung gedeutet. Zur Illustration der mentalen Relation der Kontiguität im Kontext des Bedeutungswandels führt Koch die Entwicklung von lat. coxa an: Nur von den Kontiguitäten innerhalb des frame des menschlichen Körperteils BEIN her wird bspw. der berühmte metonymische Bedeutungswandel von lat. coxa ‚Hüfte‘ zu frz. cuisse/it. coscia/pg. coxa etc. ‚Oberschenkel‘ verständlich. Es handelt sich also um Weltwissen, das für sprachliche Prozesse relevant geworden ist (2006, 106).
Ein bekanntes Beispiel für den Einfluss der konzeptuell-perzeptuellen Relation der Similarität ist der Bedeutungswandel von lat. caput ‚Kopf‘ zu frz. tête, it. testa, kat. testa etc., welchen Blank 1998 in „Der ‚Kopf‘ in der Romania und anderswo, ein metaphorisches (und metonymisches) Expansions- und Attraktionszentrum“ ausführlich beschrieben hat. Im Lateinischen bezeichnete das sprachliche Zeichen testa unterschiedliche Gegenstände wie etwa: ‚Schale‘, ‚Schüssel‘ ‚Muschel‘ ‚Topf‘, ‚Tonkrug‘, ‚Schildkrötenpanzer‘, ‚(Ton-)Gefäß‘. In den heutigen romanischen Sprachen und Dialekten sind diese Ursprungsbedeutungen teilweise noch anzutreffen: Im Neapolitanischen z.B. wird das Wort testa für ‚Blumenvase‘ verwendet. In der lateinischen Volkssprache wurde testa auch für ‚Schädel‘, ‚Hirnschale‘ gebraucht, wie ein Beispiel aus Ausonius, [T]esta hominis, nudum jam cute calvitium (Epig. 72), belegt. Nach Blanks kognitiver Interpretation handelt es sich bei der Bedeutungsübertragung von lat. caput zu frz. tête, it. testa etc. um das Aufeinanderfolgen eines metaphorischen Schrittes (Ton-)Gefäß ĺ Hirn-
136 schale und eines metonymischen Schrittes Hinrnschale ĺ Kopf (Blank 1998a, 22). Kognitiv gesehen handelt es sich also um die Kombination einer auf außersprachlicher Ebene beobachteten Similarität der Form (+rund) der betreffenden Gegenstände (‚TonGefäß‘ und ‚Hirnschale‘) mit einer bestehenden Kontiguität zwischen ‚Hirnschale‘ und ‚Kopf‘. Diesbezüglich schreibt Koch: Dass dies keine reine Spekulation ist, beweist gerade innerhalb des romanischen Materials rum. Ġeast, das auf der Stufe HIRNSCHALE stehen geblieben ist (Koch 2006, 108).
7.2
Die Grundfragen der kognitiven Linguistik
Mit der Konzeption der Sprache als Abbild des Denkens sind auch die grundlegenden Fragen der kognitiven Linguistik zur Beschreibung der konstitutiven Elemente einer solchen Abbildung verbunden. Folgende Fragen können als einige der zentralen Fragestellungen der kognitiven Linguistik angesehen werden und sollen im Folgenden nach den Bereichen Semantik, Emotion und Metapher wiedergegeben werden: Semantik: – Was ist ein Prototyp? – Warum ist ‚Spatz‘ ein typisches Beispiel für die Kategorie Vögel? – Wie kann man die Grenzen zwischen Kategorien bzw. Begriffen bestimmen? – Nach welchen Kriterien kann man die Zugehörigkeit eines Konzepts zu einer Kategorie bestimmen? – Worin bestehen die relevantesten Zusammenhänge der Sprache mit unserem Weltwissen und seiner Organisation? – Wie kann man ein Konzept beschreiben, von dem die Sprecher nicht recht wissen, wie sie es kategorisieren sollen? Emotionen: – Wo und wie sind Emotionen als Kenntnissysteme repräsentiert? Auf welcher Ebene der Sprachverarbeitung sind Emotionen als Einflussgrößen zu verankern? – Wie wird über Emotionen gesprochen? – Welche sprachlichen Mittel (Wörter, Metaphern, Vergleiche) werden benutzt um auf Emotionen zu referieren? – Wie und warum werden Emotionen bevorzugt durch Metaphern thematisiert und ausgedrückt? – Warum kann derselbe Text auf verschiedene Weise interpretiert werden? – Wie wird eine Teilwelt im Text geschaffen? Metaphern: – Sind Metaphern bestimmte Formen der Konzeptualisierung? – Welche konzeptuellen Korrelationen existieren zwischen Emotionen und Metaphern? – Welche emotionalen Einstellungen werden durch Metaphern vermittelt?
137
7.3
Die Grundthesen der kognitiven Linguistik
7.3.1 Die These der Charakterisierungen Zu den wichtigsten Thesen zur Stützung der Theorie der Prototypensemantik gehört die These der Charakterisierungen. Diese wird zur Beantwortung der relevanten Fragestellungen Wie kann man die Grenzen zwischen Kategorien bzw. Begriffen bestimmen?, Nach welchen Kriterien kann man die Zugehörigkeit eines Konzepts zu einer Kategorie bestimmen? sowie Wie kann man ein Konzept beschreiben, von dem die Sprecher nicht recht wissen, wie sie es kategorisieren sollen? genutzt. Die Beobachtung, dass bestimmte Konzepte sich schwer zu einer einzigen Kategorie anordnen lassen, hat Koch (2006, 111–113) am Beispiel von FLEDERMAUS deutlich gezeigt. Die Vielzahl von Bezeichnungen für FLEDERMAUS in der Italoromania belegt, dass die kognitive Erfassung dieses Konzeptes auf drei verschiedene Kategorien: MAUS/RATTE, VOGEL und SCHMETTERLING/LIBELLE zurückgreift. Aus diesem Grund vertritt Koch die These, dass die kognitive Erfassung eines Konzeptes nicht immer und nicht immer allein über Kategorisierung läuft. Häufig spielen die mentalen, kulturellen Verknüpfungen des Konzeptes mit bestimmten frames eine noch wichtigere Rolle, da sie weitere saliente Zusammenhänge hervorheben. Solche Verknüpfungen werden mit dem Begriff ‚Charakterisierungen‘ bezeichnet. Sie sind von Weltwissen und Sachwissen abhängig. Das Wissen über frames, in die die Fledermaus typischerweise hineingehört, wie etwa NACHT, FLIEGEN, WACH/ UNRUHIG SEIN, TEUFEL, wie das Sachwissen über Körperteile (Flügel, Haut, Federn, Haare, Bart, etc.) sind in der Lage die Kategorisierung ganz zu ersetzen oder zumindest zu ergänzen.
7.3.2 Die These des scenes-and-frames-Zusammenhangs Zu den wichtigsten Thesen zur Stützung der Theorie der mentalen Repräsentation und zur Beantwortung der Fragestellung Worin bestehen die relevantesten Zusammenhänge der Sprache mit unserem Weltwissen und seiner Organisation? gehört die These des scenes-and-frames-Zusammenhangs, welche von dem US-amerikanischen Linguisten Charles J. Fillmore in „Scenes-and-Frames Semantics“ (1977) aufgestellt wurde. Um Erfahrungszusammenhänge in einem Text (sei er gesprochen oder geschrieben) zu explizieren, entwickelt Fillmore die Begriffe (linguistic) frames und (cognitive) scenes. Die Termini frames und scenes verwendet er […] for referring to any system of linguistic choice – the easiest being collections of words, but also including choices of grammatical rules or grammatical categories – that can get associated with prototypical instances of scenes (Fillmore 1977, 63).
Nach dieser These aktivieren sich scenes und frames in einem Text wechselseitig: […] eine bestimmte linguistische Form, etwa in einem Text, ruft Assoziationen hervor. Diese wiederum aktivieren andere linguistische Formen bzw. erwecken weitere Assoziationen, und
138 dabei wird in jedem Text bzw. in jeder Äußerung die eine linguistische Form durch eine andere bedingt. […] Der Gesamt-frame des Textes (und alle größeren und kleineren frames innerhalb des Textes) lösen kognitive scenes in der Vorstellung des Lesers aus (Vannerem/ Snell-Hornby 1986, 186ff).
Die Anwendung der scenes-and-frames These auf die sprachliche Analyse bietet – gegenüber den strukturalistischen Ansätzen – entscheidende Vorteile zur Beantwortung bestimmter Fragestellungen, wie etwa: Warum kann derselbe Text auf verschiedene Weise interpretiert werden?; Wie wird eine Teilwelt im Text geschaffen? Denn die strukturalistische Konzeption des Textes als „sinnvolle Verknüpfungen sprachlicher Zeichnen in zeitlich-linearer Abfolge“ (Weinrich 1993, 17) vernachlässigt den dynamischen Aspekt der Textassimilation. Die kognitive Konzeption des Textes als Evokation kognitiver Schemata berücksichtigt hingegen den subjektiven Erfahrungshintergrund des Rezipienten und kann deswegen besser erklären, warum derselbe Text auf unterschiedliche Weise interpretiert werden kann. Die Betrachtung der kulturellen Bedingtheit eines Textes erweist sich auch für die Disziplin der Übersetzungswissenschaft als besonders fruchtbar. Denn: Als spezifisches Problem des Übersetzers kommt hinzu, dass er als nicht-Muttersprachler möglicherweise nicht die scenes aktiviert, wie es der Muttersprachler tun würde oder wie es der Autor beabsichtigt hat, da die von einem frame aktivierten scenes sehr eng mit der Soziokultur des betreffenden Sprachbenutzers verbunden sind (Vannerem/Snell-Hornby 1986, 190).
Diesbezüglich ist auch anzumerken, dass ein mentales, kulturelles Schema durch Erfahrung veränderbar ist. Das heißt, ein Schema nimmt Information auf und verändert sich dadurch. Dies hat zur Folge, dass sich die Interpretation desselben Textes im Laufe der Zeiten verändern kann. Als illustratives Beispiel sei der frame von it. selva in Dantes Göttlicher Komödie genannt: Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura, ché la diritta via era smarrita (Inferno, I, 1–3, eigene Hervorhebung)
Auf komplexe Weise kann hier der frame von it. selva u.a. die scenes von ‚Gefahrಫ und ‚Sünde‘ aktivieren. Denn in der gesamten patristischen und mittelalterlichen Tradition wurde die lat. silva als eine Art Labyrinth angesehen, als ein gefährlicher, von teuflischen Monstern und Räubern bewohnter Ort, aus dem man nur schwer entkommen konnte (cf. Eco 1990, 144). Eine solche Assoziation – insbesondere zur scene der ‚Sünde‘ – ist aufgrund kultureller und religiöser Veränderungen heute weniger unmittelbar und weniger stark ausgeprägt, kann aber noch immer rekonstruiert werden.
7.3.3 Die These der konzeptuellen Konstruktion Das Ergebnis der Auswahl zwischen verschiedenen Möglichkeiten zur Beschreibung der Realität bezeichnet man als ‚Konstruktion‘ oder ‚Auslegung‘ (engl. construal) ebendieser Wirklichkeit. Die These der konzeptuellen Konstruktion besagt, dass sprachliche Zei-
139 chen und allgemeiner sprachliche Kategorien, wie etwa lexikalische oder grammatische Kategorien, diese bei der Wirklichkeitsdarstellung automatisch realisierte Auswahl widerspiegeln. Als illustratives Beispiel kann hier das deutsche Sprachzeichen Hufeisen mit dessen Entsprechungen im Englischen und Französischen angeführt werden: engl.: frz.:
horseshoe (‚Pferdeschuh‘) fer à cheval (‚Eisen für Pferde‘)
Dies wird von den deutschen Linguisten Ralf Pörings und Ulrich Schmitz 2003 folgendermaßen beschrieben: [I]n der englischen wie auch in der französischen Sprache wird eine Beziehung zwischen dem Tier als Ganzem und dem Schutz gesehen. Im Deutschen hingegen wird der Schutz auf den zu schützenden Teil des Pferdes, nämlich den Huf, bezogen konstruiert. Sowohl im Deutschen als auch im Französischen wird das Material des Hufschutzes besonders hervorgehoben. In der englischen Sprache dagegen wird mit horseshoe ein anthropozentrischer Blick auf die Situation geworfen: der Schutz für den Huf wird als ‚Schuh‘ konstruiert (Pörings/Schmitz 22003, 16).
Um diese konzeptuellen Konstruktionen präzise beschreiben zu können, hat Koch (1995) in Anlehnung an Morris (1960) und Raible (1983), den Terminus Designat etabliert. Er bezeichnet ein Konzept, welches mit einem sprachlichen Zeichen korreliert. Koch benutzt ihn in Analogie zum Bedeutungsinhalt. In dem Maße, wie die sprachliche Bedeutung einen Inhalt hat, hat auch eine kognitive Vorstellung ihren eigenen Inhalt. Das Designat ist also ein Vorstellungsinhalt und entspricht der sprachlichen Bedeutung. Dies veranschaulicht Koch (1996b) mithilfe eines Zeichenmodells, das er von Raible (1983) übernimmt (Abb. 7.5, nächste Seite). Rückschlüsse auf konzeptuelle Konstruktionen lassen sich auch aufgrund bestimmter lexikalisch-syntaktische Kombinationen ziehen. So hat die österreichische Romanistin Heidi Siller-Runggaldier in ihren Studien zu Kollokationen: „Le collocazioni lessicali: strutture sintagmatiche idiosincratiche?“ (2008) und „Syntagmatik und Ontologie: Zweigliedrige Lexemverbindungen im Interlingualen Vergleich (Dt., It., Frz., Lad.)“ (2011) mit zahlreichen Beispielen belegt, wie konzeptualisierungsbedingte Restriktionen die Wahl des Kollokators (zu einer bestimmten Basis, im Folgenden ANGST) beeinflussen. Wie das Konzept ANGST in verschiedenen Sprachen mental repräsentiert wird, zeigen etwa folgende Kollokationen: D I F L
Angst
einjagen incutere inspirer fé
paura de la peur tëma (nach Siller-Runggaldier 2011, 156, Hervorhebung im Original)
Solche Unterschiede in der kulturell bedingten konzeptuellen Konstruktion werden von Siller-Runggaldier wie folgt beschrieben:
140 Im Deutschen wird die Angst als eine schnell und heftig bis in die Seele des Opfers hinein verfolgte, im Italienischen als eine dorthin eingeflößte und im Französischen als eine dorthin eingehauchte Emotion konzeptualisiert. Das Ladinische verfügt über kein entsprechend metaphorisiertes Verb und setzt dafür das generische kausative Verb fé ‚machen‘ ein, wörtlich also ‚Angst machen‘ (2011, 156).
Abb. 7.5: Das semiotische Fünfeck von Raible (nach Blank 1997, 99)
Auch die Art und Weise, wie spezielle Sprechakte verbalisiert werden, kann das menschliche Erleben der Realität und die daraus abgeleiteten konzeptuellen Kategorien widerspiegeln. Ein interessantes Beispiel sind etwa die möglichen sprachlichen Reaktionen auf ein unangenehmes Ereignis. Der deutsche Romanist Hans-Martin Gauger hat in „Die Deutschen schimpfen anders“ (1999a) und in „Sprache und Sexualität“ (1999b) folgende Beobachtungen dargelegt: Mir ist aufgefallen, dass in den romanischen Sprachen sexuelle Dinge herangezogen werden, um etwas Negatives zu bezeichnen. Im Deutschen ist es vollkommen anders. Wir nehmen unsere entsprechenden Ausdrücke aus einer anderen Sphäre, dem Exkrementellen. Unsere Sprachbilder hängen fast ausschließlich mit den Ausscheidungen zusammen, mit Kot und Urin. Das scheint durch, wenn wir sagen, jemand sei angeschmiert worden. Wir schimpfen mit Ausdrücken wie „Arsch“, „Arschloch“, die, so gebraucht, den romanischen Völkern wiederum eher fremd sind. Die kennen zwar auch vereinzelte Ausdrücke aus dem Exkrementellen, wir Deutschen beschränken uns aber eigenartigerweise darauf (Gauger 1999a, 263).
Bestimmte konzeptuelle Kategorien scheinen schließlich so prägend für die menschliche Weltwahrnehmung und damit so fest in der Sprache verankert zu sein, dass wir uns gar nicht von ihnen freimachen können, selbst wenn theoretische, philosophische Überlegungen dies eigentlich erfordern würden. Wittgenstein bemerkt treffend: Die Philosophen, welche sagen: „nach dem Tod wird ein zeitloser Zustand eintreten“, oder: „mit dem Tod tritt ein zeitloser Zustand ein“, und nicht merken, daß sie im zeitlichen Sinne „nach“ und „mit“ und „tritt ein“ gesagt haben, und daß die Zeitlichkeit in ihrer Grammatik liegt (Wittgenstein 1977, 49).
141
7.3.4 Die These der Ontologischen und Orientierungsmetaphern Die Theorie der konzeptuellen Metaphern beruht auf der Grundthese, dass jede alltägliche Metapher elementare Grunderfahrungen des Menschen abbildet. Sie beantwortet die Frage: Sind Metaphern bestimmte Formen der Konzeptualisierung?. Nach dieser These hat die Metapher die Eigenschaft, unsere Erfahrungsbereiche (Ereignisse, Tätigkeiten, Emotionen oder Zustände) zu strukturieren. Mit den Worten von Lakoff und Johnson: The concepts that govern our thought are not just matters of the intellect. They also govern our everyday functioning, down to the most mundane details. Our concepts structure what we perceive, how we get around in the world, and how we relate to other people. Our conceptual system thus plays a central role in defining our everyday realities. If we are right in suggesting that our conceptual system is largely metaphorical, then the way we think, what we experience, and what we do every day is very much a matter of metaphor (Lakoff/Johnson 1980, 5).
Die elementaren Alltagserfahrungen des Menschen erlauben nach Lakoff und Johnson eine Klassifikation der Alltagsmetaphern in zwei Kategorien, und zwar Orientierungsmetaphern und Ontologische Metaphern. Die „orientational metaphors“ ergeben sich aus den Grunderfahrungen des Menschen im Raum. Der Mensch bewegt und orientiert sich in verschiedene Richtungen, welche von räumlichen Wahrnehmungen wie oben-unten, innen-außen, vor-hinter, vor-zurück, über-unter geleitet sind. Solche konkrete Erfahrung im Raum wird auf abstrakte Sachverhalte, wie etwa Emotionen oder Gefühle, übertragen. Folgende Beispiele aus Schnadwinkel (2002) zeigen deutlich die enge Korrelation zwischen Emotionen und (in diesem Falle räumlichen) Metaphern und bieten die Möglichkeit, relevante Fragestellungen, wie etwa Welche konzeptuellen Korrelationen existieren zwischen Emotionen und Metaphern? Welche emotionalen Einstellungen werden durch Metaphern vermittelt? zu beantworten: GLÜCKLICH SEIN IST OBEN, TRAURIG SEIN IST UNTEN sich obenauf fühlen den Geist beflügeln im siebten Himmel sein niedergeschlagen sein die Stimmung sank LE BONHEUR EST EN HAUT, LA TRISTESSE EST EN BAS être aux anges cela m’a remonté la morale (sic!) être au septième ciel être déprimé il est retombé dans la dépression MEHR IST OBEN, WENIGER IST UNTEN die Zahl der Bücher, die jedes Jahr gedruckt werden, steigt stetig die künstlerischen Aktivitäten dieses Staates sind letztes Jahr gesunken mein Einkommen ist gestiegen/gefallen unter 18 sein
142 LE PLUS EST EN HAUT, LE MOINS EST EN BAS le nombre de livres imprimés chaque année ne cesse de s’élever mes revenus ont grimpé/chuté l’année dernière le volume des activités artistiques a baissé il est en-dessous de la limite d’âge GUT IST OBEN, SCHLECHT IST UNTEN die Entwicklung zeigt nach oben letztes Jahr haben wir eine Spitze/einen Höhepunkt erreicht, aber jetzt geht es bergab die Lage hat einen Tiefpunkt erreicht er verrichtet hochwertige Arbeit LE BON EST EN HAUT, LE MAUVAIS EST EN BAS l’espoir remonte nous avons atteint un sommet l’année dernière, mais les choses sont sur le déclin depuis les choses en sont au point le plus bas jamais atteint il fait un travail de haute qualité (Schnadwinkel 2002, 16.)
Die „ontological metaphors“ nutzen elementare Alltagserfahrungen des Menschen mit konkreten Objekten und Substanzen. Bestimmte Eigenschaften von Objekten bzw. Substanzen, wie etwa Flüssigkeit, Behälter, werden mit Ereignissen, Emotionen oder Zuständen analogisch in Verbindung gebracht: Just as the basic experiences of human spatial orientation give rise to orientational metaphors, so our experiences with physical objects (especially our own bodies) provide the basis for an extraordinarily wide variety of ontological metaphors, that is, ways of viewing events, activities, emotions, ideas, etc., as entities and substances (Lakoff/Johnson 1980, 25).
So werden beispielsweise die verschiedensten Emotionen und Zustände als BEHÄLTNISSE metaphorisiert, wie die Kursiva bei folgenden Beispielen deutlich zeigen: Er wacht aus dem Koma auf. Er verfiel in Euphorie. Er fiel in eine tiefe Depression. Il sort du coma. Il est entré dans une phase d’euphorie. Il a plongé dans la dépression (Bsp. aus Schnadwinkel 2002, 18).
7.4
Die Methoden der kognitiven Linguistik
Im Rahmen der kognitiven Linguistik finden sich unterschiedliche methodische Vorgehensweisen. Häufig wird eine onomasiologische Methode angewendet, welche, ausgehend von den Konzepten als operative Einheiten des Geistes, nach den möglichen Wortformen in einer bestimmten Sprache fragt. Koch plädiert ausdrücklich für eine „diachronisch orientierte kognitive Onomasiologie“:
143 Um zu kognitiv interessanten Einsichten im Sprachvergleich zu kommen, liegt es demgegenüber [d.h. gegenüber der semasiologisch-komparatistischen Betrachtung] nahe, onomasiologisch vorzugehen, also ein bestimmtes Konzept, wie z.B. KOPF, zu wählen und die jeweiligen Versprachlichungen in verschiedenen Sprachen oder Varietäten ‚abzufragen‘ (Koch 2006, 109).
In den letzten Jahren wird, dank des rasanten Ausbaus der technischen Möglichkeiten, außerdem vermehrt auf der Basis von großen elektronischen Textkorpora gearbeitet, welche beispielsweise Aufschluss darüber geben können, in welchen sprachlichen Kontexten bestimmte Synonyme in einer Einzelsprache verwendet werden, was wiederum Rückschlüsse auf deren unterschiedliche Konzeptualisierung zulassen kann. Hierbei wird für jedes Synonym ein sog. spezifisches „Wortprofil“ (fr. profil combinatoire des mots) erstellt, woraus dessen regelmäßige Verbindung/Kombination mit anderen Lexemen ablesbar ist. Aus dem Vergleich dieser unterschiedlichen Wortprofile einer Gruppe von Synonymen lässt sich dann etwa deren Komplementarität in der Segmentierung der gemeinsam erfassten Inhaltssubstanz ableiten. Diese Wortprofilanalyse wird etwa von dem deutschen Romanisten Peter Blumenthal in zahlreichen Studien (nicht nur zur Synonymdistinktion) angewandt und weiterentwickelt. Die Abweichungen in der Kombinatorik einzelner Synonyme liefern wichtige Informationen zu den mental-kulturell bedingten Unterschieden in deren jeweiliger Konzeptualisierung: Auch wenn im Italienischen paura und ansia zunächst als Synonyme für ‚Angst‘ gelten können, so ist ein attacco di paura nicht in gleichem Maße möglich wie ein attacco di ansia. Mittels bestimmter Suchoperationen, wie etwa dem Auffinden von häufigen Lexemen bzw. Lexemverbindungen, sowie mittels umfassender Klassifikationsprozesse lassen sich auch quantitative Aussagen machen. Konzeptualisierungsmuster, die auf der Textoberfläche sehr unterschiedlich formuliert sein können, kann man hingegen nur über qualitative Analysen adäquat erfassen (cf. Schwarz-Friesel 2010, 28).
7.5
Literatur
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7.6
Aufgaben
1. Vergleichen Sie die Erläuterung eines romanischen Wortes (wie etwa it. testa) in einem historischen Wörterbuch mit der Definition eines Wörterbuches der Gegenwart. Fokussieren Sie dann die Informationen, die kognitiv relevant sind. 2. Lesen Sie einen Zeitungsartikel über die Finanzkrise in Europa und versuchen Sie die kognitiven mentalen Modelle zu beschreiben, die in den romanischen Sprachen eine besondere Rolle spielen. 3. Der Bildspender LIEBE hat seit der Antike zahlreiche Bildempfänger erfahren (wie etwa, FEUER, KRIEG etc.). Versuchen Sie anhand von romanischen Gedichten und Romanen der Gegenwart weitere Bildempfänger zu ermitteln. 4. Vergleichen Sie einen deutschen Text mit seiner Übersetzung in eine romanische Sprache und beschreiben Sie die scenes-and-frames Unterschiede.
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Abbildungsverzeichnis Abb. 2.1:
Konzeptuelle Metapher der SPRACHEN als LEBENDIGE ORGANISMEN2 .................
9
Abb. 2.2:
Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS1 ..............................................................
10
2
Abb. 2.3:
Die Filiationsthese ...............................................................................................
12
Abb. 2.4:
Das Diasystem (=komplexe Struktur von Varietäten, Weinreich 1954, 389f.) des gesprochenen Lateins2 ....................................................................................
15
1,2
Abb. 2.5:
Die Kontinuitätsthese ........................................................................................
16
Abb. 2.6:
Die Bezeichnungen für „Kopf“ in der Romania (Rohlfs 1971, Karte 90)a .......................................................................................
18
Abb. 3.1:
Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBEWESEN1 .....................................................................................
28
Abb. 3.2:
Schaubild Sprache(n) im Raum – Raum in der Sprache2 .....................................
28
Abb. 3.3:
Ausbreitung von sprachlichen Innovationen nach der Wellentheorie1 .................
30
2
Abb. 3.4:
Wellentheorie (nach Cerdá Massó 1986, 214) ....................................................
30
Abb. 3.5:
Übersichtskarte der „Alten Romania“ (nach Wartburg, aus Tagliavini 1973, 280)a .........................................................
32
2
Abb. 3.6:
Areale Großräume der Romania ..........................................................................
33
Abb. 3.7:
Fortsetzer von lat. apis, Pl. apes, dt. ‚Biene‘ (aus Coseriu 1975, 38)b .......................
36
Abb. 3.8:
Lexikalische Karte: lat. frater und fratellus in Italien (aus Coseriu 1975, 9)b ......
38
c
Die Bezeichnungen für ‚ja‘ (aus Rohlfs 1971, 244) . ...............................................
39
Abb. 3.10: These der drei Sprachräume (nach Diez 1836)2....................................................
40
Abb. 3.11: These der zwei Sprachräume nach Wartburg2 ......................................................
41
Abb. 3.12: Die Bildung des Plurals (aus Rohlfs 1971, 245)c ..................................................
42
Abb. 3.9:
2
Abb. 3.13: These der drei Sprachräume nach Rohlfs ............................................................ 2
43
Abb. 3.14: These der vier Sprachräume nach Tagliavini ......................................................
43
Abb. 3.15: Digitalisierte Sprachkarte zu frz. ‚abeille‘, dt. ‚Biene‘ (mit freundlicher Genehmigung von Hans Goebl) ...............................................
46
Abb. 3.16: Dialektometrische Ähnlichkeitskarten (nach Goebl 2008) ...................................
46
Abb. 4.1:
Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS1 ............................................................. 2
52
Abb. 4.2:
Wortfeld ‚Bein/Fuß‘ (nach Jurafsky/Martin 2000, 806) ......................................
55
Abb. 4.3:
Die zwei Seiten der Linguistik der langage, veranschaulicht im Blatt des Gingko1, 2 ................................................................
60
Abb. 4.4:
1,2
Die Bilateralität des sprachlichen Zeichens nach Saussure ...............................
61
162 Abb. 4.5: Abb. 4.6:
Bipolarität des Zeichens nach Saussure: lat. arbor (Saussure 1931, 99) .............. 1,2
Signification – signifiant – signifié
................................................................... 2
61 62
Abb. 4.7:
Paradigmen ausgehend von frz. einseignement (nach Saussure 1931, 175) ........
65
Abb. 4.8:
Triadisches Zeichenmodell (nach Ogden/Richards 1923)2 ...................................
65
Abb. 4.9:
Segmentierung der Wortbedeutung am Beispiel it. ‚rana‘ 2 (mit dt. Übersetzung, ‚Frosch‘) ..............................................................................
69
Abb. 4.10: Das Konsonantensystem des Italienischen ...........................................................
70
Abb. 4.11: Analyse des Wortfelds „SIÈGES“ (nach Pottier 1963) ........................................
72
Abb. 5.1:
Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS1 ..............................................................
78
Abb. 5.2:
Nähe/Distanz-Schema (nach Koch/Oesterreicher 1990, 15). ...............................
81
Abb. 5.3:
Modell der Sprachkompetenz (nach Coseriu 1981/1986, 273).............................
92
Abb. 5.4:
Ebenen des Sprachlichen und Sprachwandels (Koch 2005) .................................
96
Abb. 6.1:
Fokussierte Aspekte der konzeptuellen Metapher SPRACHE als LEBENDIGER ORGANISMUS1 ............................................................. 105
Abb. 6.2:
Klassifikation illokutionärer Akte (nach Meibauer 1999, 95f.) ............................ 111
Abb. 7.1:
Das Hinzukommen der der konzeptuellen Metapher SPRACHE als ABBILD DES DENKENS 1 ........................................................................ 128
Abb. 7.2:
Darstellung der Kategorie Vögel (nach Aitchison 1997, 68)2 ............................... 130
Abb. 7.3:
Das Märchen-Modell2........................................................................................... 132
Abb. 7.4:
Konzeptuelle Metapher SPRACHE als LEBEWESEN2 ............................................... 133
Abb. 7.5:
Das semiotische Fünfeck von Raible (nach Blank 1997, 99) ............................... 140
a
b c 1 2
Zuerst veröffentlicht in: Wartburg, Walther v. (1951): Die Entstehung der romanischen Völker, 2. Aufl., Tübingen: Niemeyer, Karte I. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Max Niemeyer-Verlags, Tübingen Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Narr-Verlags, Tübingen Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlags C.H. Beck, München Konzeption: Anika Schiemann, Bonn Graphische Umsetzung: Johannes von Vacano, Bonn